-1^

ZEITSCHRIFT

des

Vereins für Volkskunde.

Begründet von Karl Weinhold.

Im Auftrage des Vereins

herausgresreben

Johannes Bolte.

20. Jahrgang.

Mit loi; Abbildungea im Text und einem Inhaltsverzeichnis zu Band 1 20.

BERLIN.

BEHREND & C^'.

1910.

1910.

I

Inhalt. III

Iiilialt. Abhandlungen und grössere Mitteilungen.

Seite

Geschichte der deutsclieu Volkskunde, 1 o. Von Adolf Hauffen 1 17.

129-141. 290-3(h;

Die deutschen Volksnamen der Pflanzen und die Verwandtschaft und Ver- mischung der deutschen Volksstämrae. Von Hans Ziegler (mit einer Karte) 18- 35

Volkslieder aus Tirol, gesammelt von Adolf Dörlerf 3(5—44. 306—317

Eine Umformung der Gregoriuslegende im Kaukasus. Von August v. Löwis . 45— 56

Scheingeburt. Von Theodor Zachariae 141 181

Bilderbogen des 16. und 17. Jahrhunderts (11. Ein Rezept für böse Weiber. 12. Bestrafung der schlemmenden Ehemänner. 13. Die Pfaffenjagd. 14. Das Schlaraffenland. 15. Das Narrenschiff. 16. Der Kunsthändler Paul Fürst in Nürnberg). Von Johannes Bolte (mit einer Abbildung) 182—202

Über europäische und malayische Verbotszeichen. Von Max Bartels f (mit

zwei Abbildungen) 202—207

Deutsche Volkstrachten. Von Max Bartels f (mit neun Skizzen von Julie

Schlemm) 241-249

Ratschen, Klappern und das Verstummen der Karfreitagsglocken. Von Richard

Andree (mit 14 Abbildungen) 250-264

Bauerntöpferei und volkstümliche Fayencen. Von Karl Brunn er (mit 103 Ab- bildungen 265-289

Die Sage von der erweckten Scheintoten. Von Johannes Bolte 353-381

Volksglauben und Volksmeinungen aus Schleswig -Holstein (1. Glück und Unglück, 2. Träume, 3. Zauberei, 4. Vorbedeutungen, Teufel und Gespenster). Von Heinrich Carstens f 382 .387

Ein Wejhnachtszeltenspiel aus Tirol. Mitgeteilt von Oswald Menghin. . . . 387—394

Kleine Mitteilungen.

Wettermachen und Neujahrsn:iond im Norden. Von Axel Olrik 57 - 61

Ein christlicher Warnungsbrief. Von Victor Kirchner (mit zwei Abbildungen) 61 6(i

Das Riuglein sprang entzwei. Von Johannes Bolte iM\— 71

Amsterdamer Häusersagen. Von Willem Zuidema 72 7;5

Armenische Märchen (Nr. 1—5). Von Clara Daniel 74—78. 323—326

Der Schimmelreiter, ein braunschweigisches Hochzeitsspiel. Von Otto Schütte 79— 81

Eine Rätselsammlung aus dem Jahre 1644. Von Johannes Bolte 81 83

Volksrätsel aus Ostermiething im oberen Innviertel. Von Ernst Jungwirth . 83—85

Westfälische Hausinschriften (Nr. 55— 100). Von Haus Heu ft 85—90

Erntereigen. Von Hermann Strebel 90

IV Inhalt.

Seite Drum Brüder, stosst die Gläser an: Es lebe der Reservcmannl Von Johann

Lewalter 207-209

Das polnische Original des Liedes 'An der Weichsel gegen Osten' und das

schwedische Lied 'Spinn, spinn, Tochter mein'. Von Johannes Bolte . . 210—213

Eine haskischo Rolandsage. Von Henri Bonrgeois 213—214

Der Klingelstock der Hirten. Von Otto Schell (mit 4 Abbildungen) .... 317—318

Zu dem christliclien Warnungsbriefe. Von Johannes Bolte 319—321

Das Handschriftenarchiv der Deutschen Kommission der Königlich Preussischen

Akademie der Wissenschaften. Von Fritz Behrend 321—322

Die Adventskurrende und die Jutrznia in Masuren. Von Hermann Mankowski 326 327

Zum Liede auf den Reservemann. Von Robert F. Arnold 327—328

Der Schäfergruss. Von Otto Scliütte 328

Leichenwasser und Geisterglaube in Ostpreussen. Von Emil Schnippel. . . 394 398

Karfreitagsglocken und damit Zusammenhängendes. Von Otto Heilig . . . . 398—399

Der Plingstcjuak in der Saargegend. Von Karl Lohmeyer 399 401

Zwei geistliche Lieder aus dem Odenwalde. Von Lina Mangler 401—403

Berichte und Bücheranzeigen.

Neuere Märchenliteratur (Schluss). Von J. Bolte 91 100

Neuere Sagenliteratur. Von J. Bolte 329—332

Neuere Arbeiten über das deutsche Volkslied. Von J. Bolte 404 411

Neue Forschungen über die äusseren Denkmäler der deutschen Volkskunde: volkstümlichen Hausbau und Gerät, Tracht und Bauernkunst (Forts.). Von

Otto Lauffer 100—107

Neuere Arbeiten zur slavischen Volkskunde, 1. Polnisch und Böhmisch. Von

Alexander Brückner 213 225

2. Südslawisch. Von Georg Polivka 411—428

Abeling, Th. Das Nibelungenlied und seine Literatur II (H. Michel). . . . 336 338

van Andel, M, A. Volksgeneeskunst in Nederland (P. Bartels) 343

Beck, R., 0. Drude, C. Gurlitt, A. Jacobi, E. Kühn, F. Mammen,

R. Wuttke, Heimatschutz in Sachsen (K. Beucke) 225—226

Bürgers Gedichte hsg. von E. Conseutius (H. Lohre) 114

Eisler, R. Weltenmantel und Himmelszelt (R. M. Meyer) 441—443

Fabo, B. Die musikalische Entwicklung des magyarischen Volkliedes

(G. Brandsch) 340

FranQais, J. L'eglise et la sorcellerie (R. Petsch) 440—441

van Gennep, A. Religious, moeurs et legendes, 2. serie (R. M. Meyer). . . 116 117

Golther, W. Religion und Mythus der Germanen (H. Lohre) 112—113

Grönbech, V. Lykkemand og Niding (A. Heusler) 226—227

Günter, H. Die christliche Legende des Abendlandes (R. Petsch) 433—437

Henry, V. La magie de l'Inde antique, 2. edition (R. Petsch) 109—110

van Heurck, E.H., et G. J. Boekenoogen, Histoire de l'imagerie populairc

flamande et de ses rapports avec les imageries ctrangeres (J. Bolte) . . . 342—343 Hoffstaetter, W. Das Deutsche Museum und das Neue deutsche Museum,

ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Zeitschriften (H. Lohre) .... 115

Horger, A. Hctfaluer Csango -Volksmärchen (E. Rona-Sklarek) 338—339

Hoernes, M. Natur- und LIrgeschichtc des Menschen (P. Bartels) 112

Itchikawa, Daiji. Die Kultur Japans (R. Lange) 340—341

Kleinpaul, R. Die deutschen Personennamen (H. Michel) 117

Landau, M. Hölle und Fegfeuer m Volksglaube, Dichtung und Kirchenlehre

(R. Petsch) 437-440

Lehmann, A. Aberglauben und Zauberei von den ältesten Zeiten an bis in

die Gegenwart, 2. Aiill. (R. Petsch) 107—109

Inhalt. V

Seite

Meyer, R. M. Altgermanische Religionsgeschichte (F. v. d. Leyen) 428—431

Mielke, R, Das Dorf, ein Handbuch der künstlerischen Dorf- und Flur- gestaltung (M. Roediger) 229-231

Pfleiderer, 0. Reden und Aufsätze (R. M. Meyer) 110

Reinach, S. Orpheus. Allgemeine Geschichte der Religionen (R. M. Meyer) 431—432 Rhamm, K. Ethnographische Beiträge zur germanisch -slawischen Altertums- kunde II, 1-2 (0. Schrader) 332-330

Rona-Sklarek, E. Ungarische Volksmärchen, neue Folge (A. Schullerus) . 432

Saintyves, P. Les saints successeurs des dieux. Les vierges meres et les

naissances miraculeuses. Le discernement du miracle (H. Lohre) .... 228—229

Seligmann, S. Der böse Blick und Verwandtes (F. Bartels) 111

Notizen (Albers, Amalfi, Bourgeois, Brage, Dähnhardt, Freybe, Friedrich, Gebhardt, Heidrich, Heuvel, Glock, Götze, Haas & Worni, Hellwig, Inu- viertler Heimatkalender, Kirchner, Klein, Laographia, Lohmeyer, Magnanelli, Marzell, H. Mayer, Meinck, Mende, Messikommer, Norlind, Olsen & Schetelig, Orlamünder, Pestalozzi, Psichari, Raccuglia, Reisiger, Richter, Röscher, Siebs, Weise, Werner, de Wyl. Andree-Eysn, Bücher, Freybe, Huss, Kehrer, Kaortz, Maeterlinck, Orsier, Peabody, Schullerus, Straub. Ai-nold & Wagner, Brunk, Freybe, v. d. Graft, HeriTuann, Höfler, Hurt, Koskenjaakko, Land, Laographia, Launis, Mansikka, Oberammergauer Passionsspiel, Olrik, Ohnesorge, Playfair, Rabe, Richter, Rolland, Sartori, Schmidt, Schuchardt, Stahl, Steinhauseu, Stockmayer, Thümmel, Upmark, V. Zingerle. Arnold, Bohrend, Bernhöft, Diels, Feilberg, Fiebelkorn, Folkers, Grunwald, Hilka, Hoffmaun-Krayer, Jensen, Lauffer, Messikommer, Nagl, Oberammergauer Passionsspiel, Reiterer, Reuschel, Schultz, Servettaz, V. Spies, Wehrhan, Westen) 118—125. 231-235. 344-350. 443—449

August Meitzen t- Von M. Roedigcr 235—237

Ludwig Katonaf. Von A. Schullerus 450

Erwiderung (zu S. 332). Vou K. Rhamm 449

Antwort des Rezensenten. Vou 0, Schrader 450

Aus den Sitzungsprotokollen des Vereins für Volkskunde. Von K. Brunner

125-128. 237-240. 350—352

Register 451—456

Inhaltsverzeichnis zu Band 1—20 (1891—1910) nach den Mitarbeitern geordnet 457-480

Geschichte der deutschen Volkskunde.

Von Adolf HaufFen.

„Die Yolkskuude als selbständige Wissenschaft ist eine halbvollendete Schöpfung der letzten hundert Jahre; die Anläufe und Beiträge zur Volkskunde dagegen sind so alt, wie die Geschichte der Literatur"*). Mit diesen Worten eröffnete W. H. Riehl 1858 seinen Vortrag 'Volks- kunde als Wissenschaft', die auch bei einer Geschichte dieses Wissens- zweiges beherzigt werden müssen. In der Tat Beiträge und Quellen zur germanischen Volkskunde finden wir schon bei den antiken Historikern um Christi Geburt, Keime und Ansätze zu einer volkskundlichen Dar- stellung im 16. Jahrhundert; doch den Beginn einer ausgesprochenen wissenschaftlichen Pflege der Yolkskuude können wir erst mit der über- quellend reichen Wirksamkeit der Brüder Grimm ansetzen. Wiederholt wird man freilich von den älteren Zeiten zur Gegenwart Brücken schlagen können.

Während die griechischen Schriftsteller die eigenen Stämme und die fremdenVölker wesentlich vom wissenschaftlichen Standpunkt aus schilderten, verbanden die römischen Ethnographen damit das praktische Bestrebeu, die Nachbarn, die Feinde, die besiegten und noch zu besiegenden Völker näher kennen zu lernen und ihren Landsleuten genaue Berichte darüber zu liefern. Besonders den Germanen gegenüber tritt dieser Standpunkt stark hervor^).

Dass Strabos 'Geographika' viele Jahrhunderte lang als Muster einer Landes- und Völkerkunde galten, hat es wahrscheinlich bewirkt, dass

1) Der Herausgeber dieser Zeitschrift hat mich freundlichst aufgefordert, meinen bei der 50. Versammlung- deutscher Philologen und Schulmänner am 30. September lOOi) in Graz gehaltenen Vortrag in diesen Blättern zu veröffentlichen. Ich habe meinen Vortrag, bei dem ich auf eine Stunde beschränkt war, inzwischen durchaus und besonders auf dem Gebiete der Romantik ergänzt und vertieft; doch bin ich mir bewusst, dass es nur bei einer Skizze geblieben ist. Denn eine Geschichte der deutschen Volkskunde von Tacitus' Germania bis zur Gegenwart ist ein so weitschichtiger Gegenstand, dass es eines Buches bedürfte, ihn erschöpfend zu behandeln.

2) W. H. Eiehl, Kulturstudien aus drei Jahrhunderten (G. Auflage, Stuttgart und Berlin 190G) S. 225 ff.: 'Die Volkskunde als Wissenschaft'.

Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1910. Heft 1. \

2 Hauffen:

bis tief ins neimzehnte Jahrhundert die Neigung bestand, die Yolks- schiklerung nur als Ergänzung zur Landesbeschreibung aufzufassen, während es doch näher läge, die Landschaft nur als Hintergrund für das Volkstum zu betrachten. Strabo bringt bereits einige Mitteilungen über die Ger- manen und unterscheidet sie von den Galliern durch ihre grössere Wildheit, grössern Wuchs und grössere Blondheit; er fasst sie also als gesteigerte Kelten auf, während Cäsar eingehender die Unterschiede dieser beiden Völker in Tüchtigkeit, Lebensart und Tracht darstellt, ohne späterer Ver- wechslung von Kelten und Germanen vorbeugen zu können.

Erst Tacitus, der gründlichste Beobachter der Germanen unter den antiken Schriftstellern, bezeichnet dieses Volk als eine einheitliche, in sich gleiche Masse, obwohl er ihre einzelnen Stämme nach Sprache und Sitte, Religion, Lebensweise, Tracht und Behausung, nach Körper- beschaffenheit und Sinnesart, nach der. Stellung des Einzelnen zum Ober- haupt unterscheidet. In seiner 'Germania', die Riehl als „eine Weissagung auf die moderne freie und wissenschaftliche Volkskunde" bezeichnet, hat Tacitus im Gegensatz zu Strabo das Schwergewicht auf das Volkstum gelegt, welches er in einer abgerundeten sachlichen Darstellung würdigt, mag er auch im steten Hinblick auf Rom ein Idealbild geschaffen haben. Freilich rühmt nur Tacitus die Gastlichkeit der Germanen, ihre eheliche und Gefolgstreue, ihre Ehrfurcht vor den Frauen.

Als wesentliche Merkzeichen der Germanen erscheinen den römischen und den späteren griechischen Schriftstellern die von ihnen abweichenden körperlichen Eigenschaften. Nichts verblüffte sie so, wie ihre hohe Gestalt, ihre Stärke, ihr rotblondes Haar. Seltener wird von ihren Augen, und ihrer Haut berichtet, nie von der Schädelbildung. Bei den Frauen werden die Gewänder und die Haai'tracht beschrieben. Von der Be- waffnung gilt die lange Lanze als typisch für alle germanischen Völker. Von den seelischen Eigenschaften wird die Wildheit, ihr lärmendes Treiben, aber wiederum ihr Mangel an Übung und Ausdauer im Kampfe, die Masslosigkeit in Trank und Speise, das unbändige Freiheitsgefühl, die jierino-e Selbstzucht Gewalt für Recht , ihre Geradheit und Treu- herzigkeit, ihre Abhärtung und Anspruchslosigkeit, die Schwimmkunst, das starke Vertrauen auf Weissagungen, die sinnbildliche Verwendung der Schilde und Kessel, sowie der grosse Anteil der Frauen an Staat und Religion hervorgehoben ^).

Bei den Deutschen selbst erwacht die Aufmerksamkeit für Dichtung und Glauben des eigenen Volkstums unter Karl dem Grossen, dessen eigene Bestrebungen durch Gelehrte au seinem Hofe Förderung fanden. Seine Fürsorge für die deutsche S))rache, für die Aufzeichnung der

1) Richard M. Meyor, Die Anfänge der deutscheu Volkskunde (Zeitschrift 1". Kultur- geschichte, Neue [1.] Folge '2, i:'..')— 165. 189.J. Vgl. oben 3, 4(jii .

Geschichte der deutschen Volkskunde. 3

Monatsnamen und älterer Heldenlieder steht in diesem Zeitraum nicht vereinzelt da. Denn Walahfried Strabus erörtert den deutschen Wort- sehatz und weist auf die Gestalt Dietrichs von Bern hin. In theologische Handschriften wird das Muspilli, die Merseburger Zaubersprüche und ein Bruchstück des Hildebrandsliedes eingetragen. In lateinischen Kapitularien, Dekreten. Verzeichnissen, welche staatlichen und besonders kirchlichen Zwecken dienen, in Abschwörungsformeln und Beichtspiegeln findet sich eine Fülle heidnischer Überlieferungen. Wohl den ältesten Bericht über heidnischen Volksglauben gibt der ludiculus superstitionum et paganiarum, dreissig Kapitelüberschriften über Bräuche deutschredender Franken des nordöstlichen Gallien am Schluss des Capitulare Karlmanus (743). In den Dekreten des Bischofs Burchard von Worms befindet sich ein Pönitential (von ungefähr 1020), wo heidnische Bräuche knapp beschrieben werden^).

Reichliche, noch zu wenig ausgeschöpfte volkskundliche Beiträge liefern deutsche Dichtungen, Chroniken, lateinische Predigten, theologische Schriften und Beispielsammlungen des Mittelalters, abgesehen von einem vielfach brachliegenden grossen Handschriftenbestaud.

Während die höfischen Dichter mit Anteil und Behaoen die Kleidung und Lebensweise der ritterlichen Kreise ausmalen, schildern Xeidhart und die ihn nachahmenden erzählenden Dichtungen, der sogenannte 'Seifried Helbling', 'Meier Helmbrecht', 'Motzen Hochzeit' und andere, Trachten, Bräuche, Sitten und Feste der Dörper. Früh wurden die Unterschiede der Mundarten beobachtet. Gute Beispiele solcher Beurteilungen liefern Albrecht von Halberstadt in seiner Bearbeitung von Ovids Metamorphosen (1210) und Hugo von Trimberg im Renner (1300)^). Am Beginn des 15. Jahrhunderts bringen die 'Blumen der Tugend' des Tirolers Hans Vintler^) und der 'Ring' des Thurgauers Heinrich von Wittenweiler viele Beispiele für den Volksglauben ihrer Heimat.

Aus den handschriftlichen lateinischen Predigten Bertholds von Regensburg schöpft Anton Schönbach*) mit Heranziehung der deutschen Predigten reichhaltige Angaben über Seelenglauben, Verehrung heidnischer Gottheiten, über W^asser- und Bergelben, gespenstische Tiere, Zaubereien,

1) Jakob Grimm, Deutsche Mythologie, vierte Ausgabe o, 4U3ff.

2) Diese und weitere Zeugnisse teilt Adolf So ein, Schriftsprache u. Dialekte im Deutschen i^Heilbroiin 1888) S. I0(i— 118 mit.

3) Herausgegeben von J. V. Zingerle, Ältere Tiroler Dichter I (1874). Wiederholt herangezogen: J. Grimm, Mjth. 3, 420f., J. Zingerle, Sitten des Tiroler Volkes (Inns- bruck 1857) S. 187, Joh. Franck, Hexe, Anhang zu Jos. Hansen, Quellen u. Unter- suchungen zur Geschichte des Hexenwesens im Mittelalter (Bonn 1001) S. G41f.

4) Anton E. Schönbach, Studien zur Geschichte der altdeutschen Predigt II: Zeugnisse Bertholds von Regensbnrg zur Volkskunde (Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften in Wien, phil.-hist. Klasse, 142. Band. lOOO). Die -Beigaben' bringen nach anderen Handschriften des Jlittelalters weitere Belege zu Volksglauben und Brauch. Am Schluss seiner Darstellung S. 130 f. rät Schöiibach „den Fachgenossen und vornehmlich jenen, die mit rühmenswertem Eifer sich um die Sammlung des heute lebenden Volks-

4 Hauffen :

abergläubische Yorkehrungen, Meinungen und Heilmittel. Wiederholt, auch im lateinischen Text erscheinen deutsche Benennungen dieser Volks- anschauung: 'Werwolf, hulden, unhulden, pilwitz, nachtvahren, mareu, truden, \yahrsagerin, zaubrerin, aussprentzlerin' usw. Ferner Bemerkungen über Spielleute, Volkslieder, Kinderspiele, Heldensagen, Märchen und Wunschdinge, Sprichwörter, Hochzeits-, Neujahrs-, Oster- und Kechts- bräuche, Diebs- und Räuberzeichen. Natürlich erörtert Berthold den Volksaberglauben, indem er diesen vom kirchlichen Standpunkt aus be- kämpft, und benützt hierfür wie Vintler u. a. für seine Anordnung ältere Bussbücher, geht aber in seiner genauen Kenntnis des Volkstums weit darüber liinaus. Von grossem Werte ist es, dass hier die Übereinstimmung dieser Angaben m'it gegenwärtig noch lebendigen Anschauungen und Bräuchen erwiesen wird.

Die erstaunliche Fülle von Segen- und Beschwörungsformeln, die von der althochdeutschen Zeit an bis in die Gegenwart, freilich immer mehr verderbt und zerstört, ausdauern, gibt auch für das Mittel- alter viele Zeugnisse der Volksanschauungen, weist aber gar nicht oder nur im geringsten altheidnische Spuren auf. Schönbach teilt diese Formeln (nach seiner reichhaltigen, noch nicht veröffentlichten, aus Handschriften geschöpften Sammlung von ungefähr 1500 Stück) in vier Gruppen ein. Die erste besteht in einer Erzählung eines Vorganges, der in eine Be- schwörung ausgeht. Diese Formeln enthalten nur wenig Germanisch- Heidnisches. Alle sind ursprünglich in Versen abgefasst und gegenüber den andern Gruppen verhältnismässig von poetischem Wert. Die zweite, im allgemeinen jüngere Schicht hat die Gestalt von Gleichnissen, bei denen meist nur die Beschwörung gereimt ist. Die Segen in der dritten Gruppe zeigen ohne Einleitung oder Rahmen nur die Beschwörungs- formeln, die jetzt unverständliche Worte enthält, welche bald zu einer Bedingung der Zauberkraft wurden und die zumeist griechischen oder semitischen Ursprungs sind. Zur vierten Gruppe gehören Beschwörungen, Segnungen und Weihungen, welche kirchlichen Benediktionen nachgebildet und frühestens im 13. Jahrhundert verdeutscht wurden. Natürlich gibt es auch viel übergangsformen. Der Anteil der Geistlichkeit bei der Ab- fassung, Verbreitung und Umbildung dieser Formeln ist sehr stark.

Auch die lateinischen Sammlungen von Geschichten und erbaulichen Beispielen geistlicher Verfasser bringen viele volkstümliche Motive und

tümlichen Aberglaubens bemühen, die frühere Überlieferung, die Handschriften des MA., in ihre Studien einzubeziehen" (bes. die lateinischen Niederschriften deutscher Predigten aus dem 13. bis zum IG. Jh.), „die Drucke werden nicht viel mehr Ausbeute gewähren," In seinem .\uslauf über die Betonie (S. 35— 50) zeigt Seh., wie vorsichtig man dabei vorgehen muss. Denn die im deutschen Volke allgemein verbreitete Meinung von der Zauber- und Heilwirkung dieser Pflanze ist nicht bodenständig, sondern aus antiker Ge- lehrsamkeit ins Volk gesickert. Über die Einteilung der Segen- und Beschwörungsformeln S. 123-130.

Geschichte der deutschen Volkskunde. 5

Typen volkstümlicher Erzähliingskunst. Ein Meister auf diesem Felde ist der Rheinländer Cäsarius, Cisterciensermönch in Heisterbach (ungefähr 1170 1240). An seinen Wundergeschichten und Legenden verfolgt Schönbach ^) ein für jede Art von Volksdichtung wichtiges Problem, nämlich „in den Fällen, wo unter möglichst gleichen Bedingungen eines Entstehens verschiedene Fassungen derselben Geschichte vorlägen, durch genaueres Feststellen und Prüfen der bei ihnen vorhandenen Unter- schiede etwas 7A1 gewinnen, das ein theoretisches Minimum der Variabilität eines Erzählungsstoffes darstellen könnte." Nun läge es ja vielleicht näher, aus dem lebenden Treiben der Gegenwart zu schöpfen und innerhalb eines bestimmten and überschaubaren Kreises von Menschen zu beobachten, wie die Darstellung sich von Mund zu Mund verändert bei Zeitungsnachrichten oder Zeugenaussagen vor Gericht; doch Schönbach zieht es mit Recht vor, solche Beispiele der mittelalterlichen Erzähluugs- literatur zu entnehmen, und betont, wie wichtig die hier wahrzunehmenden Unterschiede der Darstellung desselben Stoffes für das Studium der Ver- änderungen einer mündlichen Überlieferung werden können, sei es, um die Abstände zwischen den verschiedenen Fassungen desselben Gedichts oder zwischen gleichzeitigen geschichtlichen Berichten oder zwei Gestaltungen eines Märchens oder einer Sage zu bemessen. Dieses Problem konnte bei Cäsarius in wünschenswerter Reinheit und Einfachheit durchgeführt werden, weil er innerhalb weniger Jahre an hundert Erzählungen zweimal und einige mehrmals aufgeschrieben hat. Und zwar in den ersten drei Teilen seiner 'Homilien', wo er Erzählungen aus seiner Zeit einverleibt, welche Disziplin und Organisation seines Ordens erläutern sollen, ferner in seinem Dialogus miraculorum, der nach den Stoffen in 42 Bücher ein- geteilt ist und wo die Geschichten in loserer Weise der Erziehung für den Orden dienen sollen, so wie in den drei erhaltenen Büchern der Libri VIII miraculorum, die allein den Selbstzweck der Unterhaltung zu erfüllen scheinen, aber auch viele abgebrauchte Stücke aus aller Welt bringen. Aus einem genauen Vergleich hat es sich ergeben, dass dreissig Er- zählungen zwei- oder dreimal vollständig gleich lauten, dass aber bei den übrigen Unterschiede im Wortlaut, sachliche Abweichungen oder gar ein- greifende Veränderungen der Tatsachen vorkommen. Diese Erzählungen werden auch später mit neuen Begleitumständen versehen, anders be- gründet oder beschlossen. Wahrnehmen lässt sich dabei, dass eine Geschichte, wo der Stoff wichtiger ist, mit den Angaben von Ort, Zeit und Per- sonen erzählt wird und dann keinen Veränderunsen unterliegt. Überwiegt

1) Derselbe, Studien zur Erzäliluuf^sliteratur des Mittelalters IV., VI., VIII. Teil: Cäsarius von Heisterbach 1- III. (Ebenda Bd. 144, 159, 1Ü3. 1902-1009). Besonders 1 1 ff., III 1 33). Für kleinere Monographien über einzelne Bräuche nach älteren Uikundon und Dichtungen mit Heranziehung der jüngsten Zeugnisse liefert Friedr. Vogt iu seiner abgerundeten Studie 'Scheibentreiben und Frühlingsi'euer' (oben 3, 349 3C>9) ein Vorbild.

Q Ilauffen :

aber eine Tendenz der Moral oder der Disziplin, dann fallen diese An- gaben weg, die Geschichte wird zu einem Beispiel und den neuen Um- ständen gemäss umgestaltet

Lehrhafter gehalten ist die Darstellung bei dem Dominikanermönch Thomas von Chantimpre in dem ungefähr 1260 abgefassten 'Liber de proprietatibus apum', einer Beschreibung der katholischen Priesterschaft im Bilde eines Bienenstaates mit eiugeflochtenen Sagen und Erzählungen. An der Grenze von deutschem und französischem Sprachgebiet lebend, hat Thomas die ihm von beiden Seiten zugetragenen Geschichten, darunter deutsche Mythen von Teufelsluftfahrten, von Wald-, Wasser- und Luft- eiben für seine Sammlungen verwertet.

Innerhalb einer Darstellung der Zeitereignisse von 1336—1389 bringt die Limburger Chronik Schwanke und Volkslieder, sowie .Nachrichten über Musik und Trachten. Eine thüringische Chronik beschreibt Kleider- trachten um 1430^). Doch über Tracht, Hausrat, auch über Hausbau des Mittelalters unterrichten uns besser Siegel, Miniaturen, Bildwerke, Gemälde und Holzschnitte'"^).

An der Schwelle der Neuzeit, mit der Wiederbelebung des klassischen Altertums, mit der Befreiung der Wissenschaft durch den Sieg des Huma- nismus über die Scholastik begannen die Gelehrten endlich das Leben um sich herum, Land und Leute zu beobachten und zu schildern. Durch die Entdeckung neuer Länder und Seewege wurde die Geographie und Ethnographie verjüngt, durch das Bekanntwerden von Tacitus' Germania wurde das Nationalbowusstsein gehoben und die Heimatkunde hervor- gerufen. Der neue, hauptsächlich durch die Reformation erzeugte demo- kratische Geist der Zeit bewirkte eine grössere Beachtung der breiten Volksschichten, ihrer Dichtungen, Meinungen und Sitten.

Die Anregung zu einer sachlichen Betrachtung der Heimat brachten zuerst italienische Humanisten nach Deutschland. Besonders Aeneas Sil- vius Piccolomini, der zuerst in seiner 'Europa' einzelne Teile Deutsch- lands beschrieb und hier, wne in der ebenfalls 1458 verfassten 'Germania' Handel, Verkehr, Sprache, Charakter, Beschäftigung, Nahrungs- und Rechtsverhältnisse der deutschen Stämme, wenn auch zum Teil in kahlen Aufzähluno-en behandelt und mit diesen Büchern auf die älteren Huma- nisten und späteren Geographen Deutschlands stark eingewirkt hat^).

Der Erste, der eine deutsche Landschaft ausführlich beschreibt, ist der Kölner Kartäuser Werner Rolevinck. Seine 'Westfalia' (ungefähr 1478)

1) Zeitschrift f. deutsches Altertum 8, 468 f.

2) Vgl. die bekannten grundlegenden Darstellungen der Kultur des deutschen Mittel- alters von Karl Weinhold, Alwin Schultz und Moritz Heyne, sowie B. Riehls Geschichte des Sittenbildes in der deutschen Kunst (1884).

o) Oberlehrer Erich Schmidt, Deutsche Volkskunde im Zeitalter des Humanismus

Geschichte der deutschen Volkskunde. 7

kann man als die älteste, allerdings dürftige volkskundliche Monographie ansehen. Der 31önch geht von geistlichen Gesichtspunkten aus und will durch den Preis der Tüchtigkeit und Treue seiner Landsleute anderen ein Vorbild aufstellen. Er teilt Sprichwörter in der Mundart mit, sowie Hochzeitsbräuche, einzelne Bemerkungen über Veme und den Charakter der Bevölkerung. Der Ulmer Frater Felix Fabri verfasste nach 1480 ein *Evagatorium\ dessen Schluss eine kurze 'Historia Suevorum' mit einer Charakteristik der schwäbischen Art in sprichwörtlichen Vergleichen mit anderen Stämmen (die Schwaben seien klüger als die Elsässer, vornehmer als die Bayern, gerechter als die Brabanter, reicher als die Franken und frömmer als alle übrigen Germanen) und ferner einen 'Tractatus de civitate Ulmensi' bilden, worin Tauf- und Zunftbräuche, Gespensterspuk, Mitteilungen über das Horublasen auf den Türmen, über Nixen im Röhr- brunnen und in einer Höhle der Umgebung, über die Unterschiede der Stände, über Schauspiele und Luxus in geschlossener Form und bereits im Geiste des Humanismus vorgeführt werden. In dem um 1500 ver- fassten 'Chronicon Germaniae' von Johann Nauclerus werden Lebensweise, Kleidung, Tätigkeit, Rechte der Schwaben nach eigener Anschauung ge- schildert.

Bei dem deutschen 'Erzhnmanisten' Konrad Celtes tritt die Landes- kunde schon deutlich als Äusserung vaterländischer Begeisterung zutage. Sein grossangelegter Plan einer 'Germania illustrata' wurde trotz reicher Stoff- sammlungen nie ausgeführt. Doch die Vorarbeiten dazu, die Oden und Epigramme bringen manche hübsche Einzelheiten über Volksbräuche, so über die Weinlese und das Martinsfest in Mainz, auch eine Charakteristik der Stämme. Die rauhe Sprache der Schwaben wird mit dem Geräusch eines Nussknackers verglichen; die Franken seien lebenslustig, die Bayern lieben schamlose Witze; Fehler und Vorzüge der Deutschen werden gegen- einander abgewogen. Das einzige vollendete Stück des geplanten Werkes, die Prosabeschreibung Nürnbergs 'Noribergae libellus' (1502), wo die Spiele der Kinder und Erwachsenen, die Mundart, die Beschaffenheit der Bevölkerung in ihrer Abhängigkeit vom Boden betrachtet werden, hat Schule gemacht. Bis tief ins 17. Jahrhundert werden ausser Nürnberg zahlreiche deutsche Städte in zum Teil sehr umfänglichen lateinischen und deutschen Lobgedichteu, meist in Versen, geschildert, von denen namentlich die eine Gruppe der Städtegedichte, wo die Kulturentwicklung besonders berücksichtigt wird, als Quelle für die Volkskunde gelten kann^).

und der Reformation (Historische Studien, Heft 47. Berlin 1904). S. 84—107 wird der Inhalt der 'Volkskunde' -Kapitel aus Bohenius ausführlich -wiedergegeben, so dass es oben nur eines Hinweises darauf bedarf. Vgl. auch die Besprechung von H. Michel oben 15, 360— 3G2.

1) Vgl. H. Eob. Hessus, Noriberga illustra und andere Städtegedichte, hsg. von Joseph Neff (Lateinische Literaturdenkmäler des 15. und IG. Jh., hsg. von M. Herrmann 12. Berlin 1896), bes. die Einleitung S. VII— XIX.

Hauffen :

Den ersten Versuch einer Beschreibung von ganz Deutschhind machte Franciscus Irenicus in seiner 'Germaniae exegesis' (1518), einer lücken- haften Kompilation, die lediglich die damaligen Kenntnisse der deutschen Humanisten wiedergibt. Doch neu sind seine Bemerkungen im siebenten Buche (Kapitel 24) vom Hirzelberge, in dem Silvani und Satyri hausen, vom mons Martis in Westfalen, vom Calus mons in Hessen, wo noch eine Fussspur Karls des Grossen zu sehen ist, von dem Hechelberge, den schwarze Raben krächzend umfliegen. Bald danach hat der bayrische Historiker Joh. Aventiu den Grundsatz aufgestellt, dass man Land und Leute nur nach eigenem Augenschein erforschen könne. Er selbst durch- wanderte unermüdlich Heimat und Fremde.

Nach der Veröffentlichung einer kleinen Jugenddichtung 'Liber heroieus', einer anmutigen Schilderung der vier Jahreszeiten mit Er- wähnung von Ackerbräuchen, hat Johannes Bohemus Aubanus einen Anlauf genommen zu einer zusammenfassenden Darstellung deutscher Volksüberlieferungen innerhalb seiner allgemeinen Ethnographie 'Omnium gentium mores, leges et ritus' (Augsburg 1520). Im dritten Buch (c. 12 16) o-ibt er mit Benutzung antiker und humanistischer Schriftsteller, doch vorwiegend auf eigenen Beobachtungen fussend, eine systematische, über alle deutschen Stämme sich erstreckende Darstellung, welche die meisten Gebiete berücksichtigt, die wir heute unter dem Begriff Volkskunde ver- einigen. Was seine Vorgänger vernachlässigten, die Formen des täglichen Lebens, beachtet Bohemus durchaus. Besonders anschaulich schildert er die Rechtsverhältnisse, und aus Jugenderinnerungen seiner Heimat, der Umgebung von Würzburg schöpfend, die Festbräuche im Kreislauf des Kirchenjahres. „Auf dem Boden des Humanismus war hier eine deutsche Volkskunde erwachsen."

Ein Jahrzehnt später beginnt Sebastian Franck seine geschichtlichen und geographischen Bücher, eine Neuerung, in deutscher Sprache zu ver- öffentlichen. Das war darum günstig, weil nun die Volksüberlieferungen in den richtigen Bezeichnungen wiedergegeben werden, während die früheren hergebrachten lateinischen Namen Missverständnisse hervorrufen konnten. Aus niederem Stande hervorgegangen, kannte Franck aus eigener Beobachtung das Fühlen und Leben des Volkes. Er zog die deutsehe Sprache auch darum vor, weil seine Lebensaufgabe die Aufklärung der breiten Schichten war. Während Bohemus erst lange nach der Abfassung seines Werkes Protestant geworden ist und seinen Gegenstand durchaus sachlich behandelt, tritt Franck als Protestant an sein 'Weltbuch' (1534) heran, wo er, Bohemus' Angaben benutzend, doch viel Neues hinzufügt, pädagogische und ethische Bestrebungen damit verbindet und die kirch- lichen Gebräuche der süddeutschen Katholiken als seltsam, töricht und als 'Narrenwerk' verhöhnt. Über seine Vorgänger kommt er auch dadurch weiter, dass er als Erster erkannt hat, dass gleich den politischen,

Geschichte der deutschen Volkskunde. 9

rechtlichen und kirchlichen A'^erhältnissen einer Nation, auch die Lebens- gewohnheiten der ländlichen Schichten für die Erforschung des Charakters eines Volkes unentbehrlich sind. Ein Gedanke, der noch heute unserer Sonderwissenschaft als letztes Ziel vorschwebt. In seiner Darstelluno- unterscheidet er mit kurzen Bemerkungen die Franken von den Schwaben, Elsässern, Bayern, Sachsen und den Schweizern und bringt in dem von Bohemus ganz unabhängigen Kapitel 'Von der Römischen Christen Festen' viel neues Material zu Sitte und Brauch, Zaubereien und Volksmedizin. Die einschlägigen Absätze sind die Hauptquelle von Thomas Naogeorgs Regnum papisticum (1553) und von dessen Bearbeitung, dem Täpstischen Reich' von Burkard Waldis (1555), die beide trotz zahlreicher Er- weiterungen und Zusätze nur wenig neue Beiträge zur Volkskunde dar- bieten i).

Mit Franck brechen die Anläufe zu einer Art wissenschaftlicher Be- handlung der Volkskunde ab. Auf mehr als ein Jahrhundert findet sich keine Spur davon. Sebastian Münsters 'Cosmographei' (1544) und die zahlreichen deutschen landschaftlichen und Städtechroniken der nächsten Jahrzehnte bieten nur geringfügige Bemerkungen zum Leben des Volkes. Nur die Familienchronik der schwäbischen Herren von Zimmern ist eine reichhaltige kulturgeschichtliche Quelle^).

Allerdings um die Wende des 16. zum 17. Jahrhundert wirkt eine ausgeprägte vielseitige Persönlichkeit, der Luzerner Stadtschreiber Renwart Cysat (1545 1614), der Aufzeichnungen über Schweizer Volksüber- lieferungen, über Mythen, Sagen, Legenden, Gebräuche, Rechtsanschauung, Volksglauben, Sprichwörter und Redensarten niederschreibt von einem Umfang und Wert, wie es bei keinem späteren Schweizer Schriftsteller der Fall ist. Dabei geht Cysat mit dem Ernst und der Gewissenhaftigkeit eines Gelehrten vor. Jeden Gegenstand „observiert, examiniert, durch- gründet er fleissig". Vorsichtig wägt er alle Begleitumstände von Ort und Zeit ab. Er steigt auf die von ihm so bewunderten Berge, lauscht den Erzählungen der Senner und Jäger, geht von Hütte zu Hütte, um die richtige Fassung zu finden. Nur das zeichnet er auf, was er für echtes Volksgut hält. Er erfüllt also alle Forderungen, die heute an Sammler gestellt werden, welche der Wissenschaft dienen sollen. Er legt ein Wörterbuch an, leitet jahrelang die berühmte Volksschauspielbühne seiner Vaterstadt und schreibt einen Stil, „der den Schollengeruch seiner Heimat atmet". Allerdings kann man diesen wahren Volksfreund nicht als ,,Be- gründer der schweizerischen Volkskunde" bezeichnen; darum nicht, weil seine handschriftlichen Schätze erst vor kurzem bekannt oeworden sind

1) Ad. Hauffen, Neue Fischart-Studien (7. Ergänzungsheft zum Euphorion. Leipzig und Wien 1908) S. 2(J3-268.

2) Zimnierische Chronik, hsg. v. K. A. Barack (Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart, Bd. 91—94. Tübingen 18G8f.).

] 0 Hauffen :

und leider nicht in die Entwicklung der volkskundlichen Darstellung seiner Heimat eingreifen konnten^).

Wie im Mittelalter, so bieten auch im 16. und 17. Jahrhundert Dichtungen, Predigten, polemische und fachliche Schriften dem kräftigen, volksmässigen Geist und Ton entsprechend eine bunte Fülle von Volks- überlieferungen. So Geilers Predigten, die grosse Schar von Sprichwörter-, Schwank- und Rätselsammlungen, von Liederbüchern, die Praktiken und deren Parodien, die Kräuter- und Arzneibücher; die um die Mitte des 16. Jahrhunderts, durch die protestantische Teufelslehre begünstigt, üppig ins Kraut schiessende Teufelsliteratur ^), die Bücher über Dämonen, Hexen und Naturgeister, sowie die Hexenprozessakten. Das überreiche Schrift- tum Luthers, der mit offenem Auge Deutschland durchwanderte und mit liebevollem Anteil Leben, Sprechweise und Sitten des Volkes betrachtet hat, gewährt verhältnismässig wenig Ausbeute; am meisten noch auf dem lehr- haften Felde der Fabeln und Sprichwörter. Luthers Tischreden, Gespräche, Briefe, Flugschriften, Predigten sind ganz erfüllt von anschaulichen Bildern und Gleichnissen, die er wiederholt dem Tierreich und der Natur ent- nimmt, von kräftigen Ausdrücken, wirksamen Sprüchen und Redensarten. Er schätzt die reife Weisheit und den Mutterwitz des Volkes, er weist als erster auf das Märchen vom tapfern Schneiderlein hin, erwähnt Fast- nachts- und Rechtsbräuche, Kinderspiele und das Fest vom Kinderbischof. Wie so viele erleuchtete Köpfe seiner Zeit, ist auch Luther vom Aber- glauben beherrscht und spricht wiederholt von den Äusserungen des Volks- glaubens. Bei seiner Hochzeit und der eines Freundes hält er an den heimischen Bräuchen fest und setzt sie auch für die Hochzeit von Kana voraus; er übt auch gelegentlich den Brauch des Johannissegens als Ab- schiedstrunk aus. Es zeigt sich daraus, dass „die Verarmung in Sitte und Brauch, die gemeinhin dem Luthertum zur Last gelegt wird, nicht Luther angerechnet werden darf, der die alte Fülle und Buntheit liebt und ehrt, wo er sie trifft, sondern den trüben orthodoxen Generationen der Pfarrer und Schulmeister vom Ende des IG. Jahrhunderts"').

Die Schwanke und Fastnachtspiele von Hans Sachs eröffnen uns eine ganze Welt von Sitten, Bräuchen und Geschichten, welche der Meister den niederen Schichten selbst abgelauscht hat, während Fischart besonders in der Geschichtklitterung die langen Reihen von Liedern und Lieder- bruchstücken, von Rätseln und Spielen, die Hinweise auf Sagen und Schwanke, die ausfülirliclien Schilderungen von Festen und Gelagen zu einem guten Teil gedruckten Quellen verdankt*). Aus Büchern und dem

1) Remvard Brandstctter, Renward Cysat, 1545— 1(!14, der Begründer der schweizerischen Volkskunde (Luzern 1!)09)

2) Vfi:l. Max üsborn, Die Teufollitteratur im IG. Jh. (Acta germanica )\. Berlin ISiK'i). ;'.) Alfred Goetze, Volkskundliches bei Luther, ein Vortrag (Weimar 1909).

4) VkI- H. A. Rausch, Das Spielverzeichnis im 25. Kapitel von Fischarts Geschieht-

Geschichte der df'utschen Volkskunde. ] ]

Leben schöpfen auch Moscherosch für seine 'Gesichte Philanders von Sittewald', Abraham a Santa Clara besonders für seinen 'Judas den Ertz- Schelin'. in den er Geschichten, Gebräuche, Lieder und Sprüche einflicht und Grimm eishausen, der sich in seinen Schriften als Sammler und Systematiker Ton Volksüberlieferungen erweist. Seine Kenntnisse holt er sich zum Teil aus gelehrten Schriften, aus Paracelsus 'Liber de nymphis, sylphis, pygmaeis et salamandris' und Kornemanns 'De monte Yeneris' u. a.; doch sehr viel hat er auch dem Volksmund entnommen und zum erstenmal aufgezeichnet. Zweifach ist hier sein Vorgehen, bald schichtet er mehrere Sammlungen nebeneinander auf, förmlich zu wissenschaftlichen Zwecken, bald verwertet er Sagenmotive für seine Romane. Er selbst ist überzeugt vom Dasein überirdischer Mächte und von den Schutzmitteln vor Dämonen. Er bekämpft aber den Aberglauben der ungebildeten Menschen, die Gott und der Sittlichkeit zum Trotz in den Besitz von Zauberkräften zu gelangen suchen. Er nimmt also eine ähnliche Stellung ein wie später Prätorius^).

Im Jahre IGOl macht Pfarrer Konrad JS'oll in Rüdesheirn auf Geheiss des Vikariats des Erzbistums Mainz einen lateinischen Bericht über die religiösen Zustände des Rheingaus, wo auch die Volksbräuche, die auf- gehoben werden sollten, behandelt sind^).

Im 17. Jahrhuudert kommen noch einige Landesbeschreibungen in Betracht: die Chronik der Ditmarschen von Joh. Adolfi Neocorus (1598 bis 1616), Heinr. v. Rantzaus (f 1598) 'Descriptio chersonesi Cimbricae', das Memoriale von Joh. Cadovius-Müller (1691) mit Grundrissen friesischer Bauernhäuser; das 'Alte Pommerland' von Micraelius und Chph. Hartknochs 'Altes und neues Preussen' (1684); ferner J. \V. von Valvasors 'Topographia Carinthiae' (1688) und 'Ehre des Herzogtums Krain' (1689) mit besondrer Berücksichtigung der deutschen Sprachinsel Gottschee.

Im letzten Drittel des ]7. und zu Begiun des 18. Jahrhunderts er- scheinen viele Sammlungen und Darstellungen von VolUsüberlieferungen, besonders aus dem weiten und vielgestaltigen Gebiete "des Aberglaubens, deren Verfasser entweder Merkwürdiges und Neuartiges bringen oder ihre Mitteilungen dem Spotte preisgeben wollen. Aus dem Bündel von Schriften des eben so fleissigen, als kritiklosen Leipziger Magisters Johannes Prätor ins (Schnitze) wären hervorzuheben die 'Saturnalia, d. i. Weihnachtsfratzen' (166.3), deren Titel bereits die hämische Auffassung

klittening (Erlanger Dissertation, Strassbnrg 1908. Jahrbuch f. Gesch. Elsass-Lothr. 24, 53). Ch. A. Williams, Zur Liederpoesie in Fischarts Gargantua (Heidelberger Dissertation, Halle 1909).

1) K. Amersbach, Aberglaube, Sage und Märchen bei Griramelshausen (2 Pro- gramme des Gymnasiums in Baden-Baden, 1892/93).

2) F. W. E. Roth, Zur Geschichte der Volksgebräuche und des Volksaberglaubens im Rheingau während des 17, Jhs. (;Zeitschritt f. Kulturgeschichte, Neue [4] Folge 2, 183-191) macht nähere AHtteilungeu über diesen handschriftlichen Bericht und druckt den grössteu Teil einer anderen Hs. über Aberglauben aus der ersten Hälfte des 17, Jhs. ab.

12 Hauffon:

erweist, 'Blockesberges Verrichtung' (Walpurgisuacht, 1668) und ins- besondere seine dreibändige 'Daemonologia Rubincalii Silesii' (1662 1665), wo zum erstenmal vom Mythus des Riesengebirgs-Elbeu erzählt wird. Doch hat Prätorius, der sich viel aufbinden liess, auch fremde Sagen auf Rübezahl übertragen. Seitdem ist mit diesem Mythus von Dilettanten viel Unfug getrieben worden, sowohl in unmöglichen Ausdeutungen seines Namens, wie in der Rückführung auf Donar oder Wotan ^), wie in der Behauptung alteinheimischer Abstammung dieser Sagen, die aber erst durch Prätorius und besonders später durch Musäus ins Yolk gedrungen sind. Die letzte von Siebs aufgestellte Etymologie ahd. hriob = der Rauhe, für ßergelbe überhaupt und zagel = Wirbelwind, also der Bergelbe als Herr des Wetters, entspricht völlig dem ursprünglichen Keim dieses Mythus. Um Klarheit in die Entwicklung dieses Stoffes zu bringen, hat vor kurzem de Wyl den gelungenen Versuch gemacht, Echtes und Un- echtes bei Prätorius zu scheiden^). Dieser war ein wütender Feind eines gewissen Kreises abergläubischer Vorstellungen, die das tägliche Leben beherrschten und die er verspottet und schilt. Aber wo der Aberglaube ein religiöses, wissenschaftliches oder gelehrtes Gewand trägt, hält er daran fest, so an der Astrologie, Chiromantie, an Hexenwahn und Zauberei. Er unterscheidet die erlaubten Mittel der göttlichen Weisheit von den ver- werflichen Mitteln des Teufels^).

Im Jahre 1675 erscheint Joh. Ch. Framanns 'Tractatus de fascinatione', 1692 Jul. Reichelts 'Curiosus amuletorum scrutator', 1706 die sogenannte Chemnitzer 'Gestriegelte Rockenphilosophie von den superklugen Weibern' von Joh. Georg Schmidt in Zittau, die 1722-1729 von 400 auf 600 Bei- spiele des Aberglaubens erweitert worden ist. Ein einzelner Brauch, das Todaustreiben am Sonntag Laetare, scheint früh grössere Aufmerksamkeit hervorgerufen zu haben; denn er wird in dieser Zeit in zwei lateinischen Schriften behandelt, von Hilscher 1690, von Zeumer 1706 und Ende des 18. Jahrhunderts in einzelnen Zeitschriften. Schliesslich erscheint 1737 eine reichhaltige Sammlung von Joh. Jak. Brauner, 'Physikalisch und historisch erörterte Curiositäteu oder entlarvter teuflischer Aberglaube von Wechselbälgen, Werwölfen, Galgenmännlein, Hexentanz, Festmachung,

1) Rübezahl, seine Begründung in der deutschen Mythe, seine Idee und die ursprüng- lichen Rübezahlmärchen (Hohenelbe 1884). Enthält die durch die Preisausschreiben des österreichischen Riesengebirgsvereins veranlassten Arbeiten von L. J. Richter, J. Böhm, C. A. Freihr. v. Schulenburg u. E. M. Schranka, die von der Kritik einmütig abgelehnt wurden.

Ü) Theodor Siebs in den Mitteilungen der schlesischen Gescllschalt f. Volkskunde 10, 5?) ff. 15, 156 tf. 20, 12; 5 ff. Die Arbeit von de Wyl erscheint in der von dieser Gesell- schaft herausgegebenen Sammlung Wort und Brauch, 5. Heft (Breslau 1909).

.'}) Friedrich Zarncke in der Allgemeinen deutschen Biograjjhie 2(i, 520—529. Mit jienauer Angabe der Titel und Fundorte der vierzig Werke von Prätorius. „Der Mann verdiente es dennoch, dass sich ein Liebliaber seiner annähme, wie es Meuselbach mit Fischart iieniacht."

Geschichte der deutschen Volkskunde. 13

Nestelknüpi'en' (Frankfurt a. M.), Alle diese und viele andere verwandte, im ganzen unerfreuliche Erscheinungen sind Fundgruben für die Volks- kunde, die freilich mit grosser Vorsicht zu verwerten sind *).

Gegenüber der dünkelhaften Stubengelehrsamkeit, die bis über die Mitte des 18. Jahrhunderts in Deutschland herrschte und den Äusserungen des Volksgeistes nicht das geringste Verständnis entgegenbrachte, sondern nur die abstossenden und schädlichen Auswüchse bekämpfte und verhöhnte, trat endlich am Ausgang- der sechziger Jahre ein erfreulicher Umschwung ein. In dem jungen Dichtergeschlechte erwachte scheinbar mit einem Male das Gefühl für das Echte, Frische, für die Vorzüge der Volksdichtung, und damit begann auch die Pflege der Volksüberlieferungen. Der äussere Anstoss dazu kam von England. Doch fanden des Bischofs Thomas Percy 'Reliques of ancient english Poetry' (17G5) in Deutschland bereits einen günstigen Boden zur Aufnahme der neuen Saat vor. Diese Lieder wurden hier freudigst begrüsst, nachgeahmt und wiederholt übersetzt. Die Samm- lung galt fast auf ein Jahrzehnt als das Handbuch der Volkspoesie schlechtweg, wiewohl diese viele Kunstlieder brachte und auch der Be- schäftigung mit dem deutschen Volkslied für die nächste Zeit die Mängel willkürlicher Textgestaltung und einer schwankenden Umgrenzung des Begriffes Volkslied mitgab. Sie regte die Göttinger Dichter Boie, Voss, Hölty, Miller zum Schaffen von Balladen und volkstümlichen Liedern an. Für Bürger war sie geradezu eine Rettung, weil sie ihn (von den seiner Natur so gefährlichen herkömmlichen burlesken Romanzen weg) zur Be- handlung von echten A^olksballaden leitete, besonders der Lenore, deren Keim ein in der Umgebung von Göttingen erhorchtes Volksliedbruch- stück war. Sie weckte bei ihm auch die Sammellust und die tlieoretische Betrachtung der Volkspoesie ^).

Bei Herder, der sich schon in jungen Jahren, aus angeborener Neigung und durch Hamann darin bestärkt, für die Volkspoesie erwärmte, hat Percy die Begeisterung dafür nicht erst entzündet, sondern von neuem angefacht. Nun erschien 1767 sein Aufruf zur Sammlung von 'alten Nationalliedern', und bis 1771 verdichteten sich seine lang gehegten Ge- danken über die Unterschiede zwischen Natur und Kunstpoesie, die er nicht so sehr in der Gattung, wie in der geschichtlichen Entwicklung fand, zu der Abhandlung 'Auszug aus einem Briefwechsel über Ossian und die Lieder alter Völker', die erst 1773 in den fliegenden Blättern 'Von deutscher Art und Kunst' erschienen ist. Hier taucht zum ersten Male

1) Anmerkungsweise sei auf das 'Frauenzimmerlexikon' von Amaranthes (1715^ hin- gewiesen, das die Hauptquelle für das Buch von Alwin Schultz, Alltagsleben einer deutschen Frau zu Anfang des 18. Jhs. (1890) war.

2) Heinrich Lehre, Von Percy zum Wunderhorn. Beiträge zur Geschichte der Volksliedforschung in Deutschland (Palästra 22, Berlin 101)2).

u

Haufifen ;

neben der Verdeutschung für das englische populär songs gleich Populär-, Provinzial- und Bauernlieder auch das von Herder so glücklich geprägte Wort Volkslied auf. Hier wird gleich auch dieser Begriff durch eine meisterliche Charakterisierung der Art und Kunst des A^olksliedes um- orenzt. In dem gleichen Jahre stellte Herder aus seinen Sammolschätzen ein kleines Bändchen zusammen 'Alte Volkslieder, englisch und deutsch', die aber nicht gedruckt, sondern für die spätere Sammlung aufbewahrt wurden. Es ist Herder mit seinem Aufruf nicht gelungen, eine grössere Zahl heimischer Lieder zustande zu bringen. Lessing und Peter Sturz teilten ihm irrtümlich mit, es gäbe ihrer hierzulande nur wenige. Und Herder fürchtete darum, die Hand zu spät au den Pflug gelegt zu haben. In zwei Bänden 1778 1779 erschien seine Ausgabe ^Volkslieder', für welche Herder den fremden Liedern durch eine kunstgerechte Übersetzung, durch wiederholtes Feilen den „heiligen Rost und Moder zu bewahren" suchte. Diese reiche Auswahl von 182 wertvollsten Liedern, worin die Stimmen vieler, auch überseeischer Völker erklingen, und die mit einer oehaltvollen Vorrede zum zweiten Bande über Geschichte und Wesen des Liedes versehen ist, hat ungemein stark auf die folgende Zeit der Wiedergeburt des deutschen Volksliedes eingewirkt.

Am Eingang dieser Bestrebungen steht Goethe, der für Herder im Sommer 1771 „auf seinen Streifereien im Elsass, aus denen Kehlen der ältesten Mütterchen" ein Dutzend Balladen „aufgehascht". Mit wissenschaft- lichem Sinn vermied Goethe bei diesen Typen ältester deutscher Volks- lieder jede Nachbesserung und liess besonders in der ersten Aufzeichnung das Mundartliche und Lückenhafte stehen. Als Erster hat er sich auch die Melodien dazu notiert, die leider verloren gegangen sind. Dieser lebendige Anteil am Volksliede verliess ihn nicht bis zu seinem Lebens- abend. Goethe schuf Volkslieder zu vollendeten Kunstwerken um, dichtete in ihrem Ton und Geist zahlreiche Lieder und Balladeu, die wiederum in den Volksmund übergegangen sind. Nicht nur in seinen Singspielen, sondern auch in einzelnen Dramen finden sich volkstümliche lyrische Ein- lagen. Seine Lyrik ist überhaupt durch die Gegenständlichkeit und An- schaulichkeit, durch die typische Auffassung und Wiedergabe des Stoffes mit dem Volkslied innerlich verwandt. In seinen verschiedenen Be- trachtungen rückte er, geläutert au seinem eigenen Schaffen, dem Wesen des Volksliedes immer näher und sieht ihren 'eigentlichsten Wert' darin, 'dass ihre Motive unmittelbar von der Natur genommen sind', und ihr äusseres Kennzeichen ist ihm die allgemeine Verbreitung. Das Erscheinen des Wunderhorns begrüsste er freudigst, und noch 1808 erwog er eine 'allgemeine Liedersammlung zur Erbauung und Ergetzung der Deutschen' ')•

1) H. Lohre, Vou Percy zum Wimderhorn S. Glff. 0. Rothbarth, Zu Goethes Aufsatz über Volks- und Kinderlieder (Euphorien 15, (lOo).

Geschichte der deutschen Volkskunde. 15

Da in Herders Sammlung wegen der Spärlichkeit der Quellen die deutschen Lieder nur ungefähr den vierten Teil einnahmen und sich dar- unter mehrere Gedichte bekannter Verfasser fanden, so war man um so mehr bestrebt, deutsche Volkslieder aufzuspüren und zu veröffentlichen. Johann Georg Jacobi, Bothe, Eschenburg und viele andere beteiligten sich daran. Nicolais würdelose Persiflage 'Feyner kleyner Almanach'(1777 1778) hat die Freunde des Volksliedes nicht wegfegen können, sondern im Gegenteil ihnen genützt, weil die von Nicolai benützten alten Quellen da- durch erst bekannt geworden sind. Boies 'Deutsches Museum' 1776 ver- öffentlichte Volkslieder und Aufsätze darüber, so Bürgers 'Herzens-Ausguss über Volkspoesie'. Die ganze Zeit über bis zum Erscheinen des Wunder- horns stand das Volkslied im Mittelpunkte des regsten Anteils, den jetzt Dichter und Gelehrte an der Volksdichtung nahmen. Doch werden die übrigen Zweige der Volksüberlieferungen nicht ganz übersehen. Schon Herder richtete in seinem Aufsatz 'Von Aehnlichkeit der mittleren eng- lischen und deutschen Dichtkunst' (1777) sein Augenmerk auch auf die Märchen, Sagen, Mythen, Tänze und Gebräuche. Er wirft hier die Frage nach dem Ursprung der Märchen auf und meint, es wäre „lehrreich, dem Gange der A'erwandlungen nachzuspüren". Auch anthropologische Ge- sichtspunkte tauchen auf, Lieder und Märcheu seien „ganze treue Natur- geschichte der Völker in eigenen Denkmälern". Er fasst also liier be- reits die Erforschung des gesamten Volkslebens als wissenschaftliche Auf- gabe ins Auge.

Mit der eingehenderen Betrachtung der Lieder erweiterte sich natur- gemäss der Gesichtskreis auf die übrigen volkstümlichen Erscheinungen. Von den Liedern kam man auf die Spiele, Bräuche, Feste, Singweisen, die innig damit verquickt sind. Friedrich Daniel Gräter charakterisiert z. B. Anfang der neunziger Jahre in seiner Zeitschrift Bragur in ab- sonderlichen und überschwänglichen, doch in die Zukunft weisenden Auf- sätzen die Lieder nach mehreren Gattungen vom Standpunkt der Sitten- geschichte aus und verspricht sich viel von der Versendung von Frage- bogen Das 'Journal von und für Deutschland' bringt eine häufig wiederkehrende Abteilung 'Aberglaube und Gewohnheiten' und veröffent- licht 'Umfragen', wie sie heute noch üblich sind.

Einen Markstein auf unserem Wege bildet Justus Moser, der Vor- läufer romantischer Politik. Im Zeitalter der Aufklärung und Humanität verteidigte er die Bauernreligion, die Schwelgerei bei den ländlichen Festen, die alten Sitten und Rechtsgewohnheiten, auch wo sie grausam und ungerecht waren. Er eiferte gegen die 'neumodische Menschenliebe' und sah die selbstgewachsene naturhafte Freiheit durch die ersonnene der Philosophen bedroht. Trotzdem bekämpfte er eigentlich nicht die Auf- klärung und Humanität. Diese scheinbaren Widersprüche seiner sozial- politischen Anschauungen erklären sich durch die Zustände seiner Heimat,

] ß Hauffen :

deren Geschichte er geschrieben hat. In der altertümlichen Verfassung des kleinen Bistums Osnabrück fand sich damals ein seltsames Gemisch von Freiheiten und Einschränkungen. In der Würdigung dieser schwierigen Verhältnisse hat Moser, während der Regierung eines protestantischen Bischofs die Seele der Verfassung, eine hohe politische Einsicht bewährt Mosers Beitrag zu den fliegenden Blättern, 'Deutsche Geschichte', ein Aus- schnitt aus der Vorrede zu seiner Osnabrückischen Geschichte, verfolgt in o-rossen Züs-en die Geschichte Deutschlands immer im Hinblick auf den 'Reichsboden und seine Eigentümer'. Er wünscht, dass man „das unter- schiedliche Verhältnis des Nationalcharakters unter allen Veränderungen" bei einer grossen Darstellung der deutschen Geschichte ins Auge fasse. Seine 1774 zusammengestellten 'Patriotischen Phantasien' sind in ihrer Mehrheit unvergleichliche Muster volkstümlicher Behandlung verschieden- artiger, namentlich volkswirtschaftlicher Gegenstände, gedankenreich, voll Humor und sittlichem Ernst ^). Kleine Meisterstücke darunter sind die 'Spinnstuben -Phantasie' und der Preis des niedersächsischen Bauern- hauses, dessen Kennzeichen bekanntlich die Einräumigkeit ist, Herd- und Schlafstätte der Familie, Diele und Stallungen ohne Scheidewände unter einem hohen Strohdach, wo die Hausfrau vom Herde aus die ganze Wirt- schaft überschauen konnte. Freilich ein Idealbild der alten Zeit, denn der Nachteile wegen, die Moser verschweigt, ist inzwischen an dieser Bau- weise viel geändert worden. Moser, der Kenner des Volksgesanges, hat Nicolai plattdeutsche Bauernlieder für den zweiten Teil des Almanachs geliefert, ohne zu ahnen, welche boshafte Absicht der Aufklärer damit verfolgte. Denn Moser ersehnte die Zeit herbei, wo die 'alten Gesänge' gesammelt würden, die ihm „lieber wären, als die Knochen aller 11000 Jungfern zu Köln" und wo „ein Bürger unsere alten Volks- erzählungen, die zuweilen so kräftig sind und immer noch den Mann ergetzen, wenn er die Freuden der Jünglinge geschmacklos findet, behandeln möge".

Das Alltagstreiben und die Sitten der Bauern schildern aus getreuer Beobachtung lebenswahr bis in die kleinsten Züge Maler Müller in seinen pfälzischen Idyllen 'Die Schafschur' (1775) und 'Das Nusskernen' (erst 1811 veröffentlicht) in frischer, mit Provinzialismen durchsetzter Prosa und Jo- hann Heinrich Voss in den Hexameterdichtungen, besonders in der 'Leib- eigenschaft', der 'Bleicherin' (1775) und in den zwei 'Veerlander Idyllen' in niederdeutscher Mundart (1776).

Von der Vorliebe Goethes für das Volkslied war schon die Rede. Doch hatte er auch Aug und Ohr für die übrigen Äusserungen des Volkes^). Schon in seiner Kinderzeit hat er sich unter die Menge ge-

1) R. A. Fritzsche, J. Moser und W. H. Rielil. Gedanken über Volkskunde (Hessische Blätter f. Volkskunde 7, Iff.).

2) K. Reuschel, Goethe und die deutsche Volkskunde (Neue Jahrbücher 15, 345 bis 358. 1905) gegen R. M. Meyer (oben 10, 1— lO).

Geschichte der deutschen Volkskunde. 17

mischt, und der Jüngling liebte den Umgang mit Kindern und schlichten Laudieuten. Bis ins hohe Alter nahm er warmen Anteil an dem Leben der breiten Volksschichten. Durch die auf den Jahrmärkten feilgebotenen 'löschpapiernen Büchlein' lernte er früh die Volksbücher kennen und schätzen. In Leipzig, im Elsass und in Weimar achtete er auf die mund- artlichen Eigenheiten verschiedener Stämme. Aus zahlreichen Werken, besonders aus dem Götz und dem ersten Teil des Faust ersehen wir seine innige Vertrautheit mit Aberglauben und Bräuchen, Liedern und Spielen, sowie mit der bildkräftigen Sprache der Bauern. In seinen Tagebüchern verzeichnet er manche Scherze und Schwanke, schildert landwirtschaftliche Bräuche und Zustände. Auf seinen Reisen, namentlich in der Schweiz und im nordwestlichen Böhmen, von Italien ganz zu schweigen, stellte er genaue Betrachtungen über das Volksleben an, wobei er das landschaftlich Eigenartige sicher herausfühlt und typische Volksgestalten mit wenigen Strichen kennzeichnet. In den Briefen über seine Schweizer Reise (1797) beschreibt er die Körperbeschaffenheit, die Tracht, Bauweise und den Haus- rat der Bauern. Im Egerlande, das er durch seine zahlreichen Reisen in die böhmischen Bäder genauer kennen gelernt hat, gibt er eine Schilderung des Yincenzfestes und eine kurze treffliche Charakteristik des Landvolkes. Unter seiner regen Anteilnahme verfasste Sebastian Grüner die älteste, vielseitige und wertvolle volkskundliche Monographie in Deutschböhmen 'Über die ältesten Sitten und Gebräuche der Egerländer' (1825). In seiner Selbstbiographie schildert er mit treuestem Gedächtnis festliche Ereignisse seiner Kindheit, das Pfeifergericht, den Geleitstag, die Hirtentänze unter der uralten Linde am rechten Mainufer, das Fest der Waisenkinder, und in Werthers Leiden den Christbaum. Vom Rochusfest in Bingen (1814) gibt er ein reizvolles Bild mit einer Fülle von volkskundlichen Beob- achtungen. Er bewundert die urwüchsige Erzählergabe des Volkes; er bemerkt 'die mannigfaltigste Gesichtsbildung' und schreibt eine Liste von Bauernsprüchen und Wetterregeln aus dem Munde von Weinbauern in sein Taschenbuch. In allen seinen Spruchsammlungen finden sich kernige volkstümliche Aussprüche. Ausdrücklich betont Goethe, da „Spriehworte und Denkreime vom Volke ausgehen . . ., so kann es unserer Sprache an Ernst und Scherz nicht fehlen". Er nimmt auch volkstümliche Wendungen aus dem 16. Jahrhundert und gereimte Inschriften auf. Und wie er wiederholt Beispiele von Vorzeichen und seltsamen Zufällen aus seinem TiOben berichtet, so erklärt er in seinen Sprüchen in Prosa: „Der Aber- glaube ist die Poesie des Lebens, deswegen schadet's dem Dichter nicht, abergläubisch zu sein".

^^^S- (Schluss folgt.)

Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1910. Heft 1.

18 Ziegler:

Die deutschen Yolksnamen der Pflanzen und die Ver- wandtschaft und A ermischung der deutschen Volks- stämme.

Von Hans Ziegler.

1. Theoretischer Teil.

Alkeraeine Ke2:ellosi,2;keit scheint auf den ersten Anblick in der Ver- breitung der deutschen Volksnamen der Pflanzen zu herrschen. Die un- begrenzte Willkür vieler einzelner scheint hier eine Nameusverwirrung angerichtet zu haben, die jeden Versuch, das einigende Gesetz in dieser Verschiedenheit zu suchen, zu vereiteln droht. Doch der Gedanke, dass die grosse Mannigfaltigkeit in Natur und Menschenwelt überall auf ganz einfachen und klaren Grundgesetzen beruht, ermuntert uns zu diesem Unternehmen.

Die gegenwärtige Verbreitung der Pflanzennamen können wir erst dann verstehen, wenn wir erkannt haben, in welcher Art und Weise ihre Verbreitung vor sich ging. Die Nutz- und Kulturpflanzen bieten in dieser Hinsicht der Erkenntnis keine Schwierigkeit. Mit der Pflanze selbst wanderte auch der Name; kam sie aus einem fremden Lande, wurde oft auch der ausländische Name mit übernommen. Verkehr und Austausch machten eine Verständigung notwendig und sorgten dafür, dass die Einheit des Namens erhalten blieb. Daher herrscht bei ihnen im ganzen deutschen Sprachgebiet im allgemeinen Namensgleichheit.

Alle diese Nutz- und Zierpflanzen in Flur und Garten scheiden wir von unserer Betrachtung aus. Uns interessieren hier gerade die Namen der Pflanzen, an denen der Mensch gewöhnlich kein Interesse hat, weil sie ihm keinen Nutzen bringen, nämlich der Blumen und Kräuter, die wild wachsen in Feld, Wald und Wiese; wir wollen sie deshalb nutzlose Pflanzen nennen. Und zwar betrachten wir nur ihre A^olksnamen, d. h. diejenigen Benennungen, welche unter der Landbevölkerung entstanden und gebräuchlich sind, und schliessen diejenigen aus, welche aus den gelehrten Kreisen stammen. Die Verbreitungsgebiete dieser Namen sind verschieden gross. Einige sind in ganz Deutschland gleich benannt, die meisten aber haben verschiedene Namen, die bald in grösseren, bald in kleineren Gebieten üblich sind. Mancher gilt in einem grossen Teil von Deutschland, ein anderer ist bloss in einer Gegend oder auch nur in einem Dorfe »ebräuchlich. Die Verschiedenheit der Benennung entstand

Die deutschen Yolksnamen der Pflanzen. 19

infolge von Neubildungen; wie ist aber die Gleichheit der Benennung in grösseren Gebieten zu erklären? Wie hat sich z. B. der Name 'Hühner- kraut' für das Ackerunkraut Stellaria media über Bremen, Holstein, Dit- marsen, die ünterweser, Göttingeu u. a. 0. verbreitet, während es bei St. Gallen, Luzern, in Siebenbürgen, Schlesien, Mecklenburg 'Vögelkraut', bei Schmalkalden und Dresden 'Mäusdarm' heisst?^)

Von einer Übertragung der Pflanze selbst und einer bewussten Ver- breitung ihres Namens kann natürlich keine Rede sein. Denn da sie dem Landmann keinen Nutzen bringt, hat er für sie fast gar kein Interesse. Er hat sie benannt, weil sie ihm täglich bei seiner Arbeit begegnete und weil er sie vielleicht als Unkraut zu bekämpfen hatte und so eine Ver- ständigung zwischen den einzelnen Menschen erwünscht war. Doch geschah die Benennung jedenfalls meistens durch die Frauen, die ja vor allem das Ausjäten des Unkrauts besorgen; liegt es doch im AVesen des Weibes, dass es nicht verstandesmässig das bloss Nützliche bedenkt, sondern alles, womit es sich länger beschäftigt, auch mit dem Herzen erfasst. Wie die Erfahrung zeigt, ist die Interesselosigkeit des Bauern gegenüber solchen Pflanzen so gross, dass er nur einige benennen kann, von anderen zwar oft die üblichen Namen kennt, aber nicht genau weiss, welche Kräuter damit bezeichnet werden. Und doch ist in jedem Dorfe eine unerwartet grosse Anzahl solcher Pflanzen benannt. So hatten von 90 Kräutern, nach welchen ich in zehn einander benachbarten Dörfern Unterfrankens fragte, nur Prunella und Ajuga reptans nirgends einen Namen. Die Wissenden aller ortsüblichen Benennungen sind aber fast nur die Frauen und vor allem diejenigen, welche oft in Gesellschaft die Unkräuter aus- roden oder auch als Viehfutter nach Hause tragen. Von ihnen haben auch die wissbegierigen Kinder, die auch selbst manche Namen erfunden haben, eine grosse Anzahl erfragt.

Und doch sind dieselben zum geringsten Teil Neuschöpfungen, meistens sind sie ein uraltes Erbgut. Das beweist, abgesehen von ihrer weiten Verbreitung, der Umstand, dass eine grosse Zahl schon in althochdeutscher") oder in mittelhochdeutscher Zeit bezeugt ist. Wie aber entstand die Namensgleichheit dieser Pflanzen in grossen Gebieten? Dafür gibt es zwei Erklärungswege: entweder wir nehmen eine Verbreitung derselben in der Weise an, wie sich auch andere neue Wörter durchsetzten, dass nämlich durch den Menschenverkehr ein benachbartes Dorf den neuen Namen erfuhr und anwandte, ohne dass die Leute seines Ursprungs- gebietes ihren Wohnsitz dauernd verliessen, oder wir nehmen an, dass

1) Nach Pritzel und Jessen, Die deutschen Volksnamen der Pflanzen (Hannover 1882). Diesem Werke sind alle Pflanzennaraen entnommen, insoweit nichts anderes be- merkt ist.

2) Vgl. Björkman, Die PÜanzeunamen der althochdeutschen Glossen (^in Kluges Ztschr. f. dtsch. Wortforschung Bd. 2. 3. 6).

20 Ziegler:

die Menschen selbst auswanderten und die Namen mitbrachten. Entweder es geschah ein wenn auch langsames Wandern der Namen von Dorf zu Dorf ohne den Menschen, oder sie wurden bloss verbreitet durch die Auswanderung des Menschen selbst, verbreiteten sich also nur im Kreise seiner jeweiligen Feldgenossen. Die Namensgleichheit ist also zu erklären entweder durch Namenswanderung, oder durch Menscheuwanderung, d. h. Abstammung (Abstammung im weiteren Sinne gefasst).

Es ist nicht einzusehen, wie eine Wanderung der Namen bei der allgemeinen Interesselosigkeit, die diesen Pflanzen gegenüber herrscht, vor sich gehen könnte. Gegen diese Annahme sprechen ferner folgende Gründe:

1. Eben die Benennungsgleichheit in grossen Gebieten. Denn es wäre sonderbar, wenn bloss in einem Orte eine Benennung einer auf- fallenden Pflanze aufgetaucht wäre und nicht in einem anderen. Die Tatsache, dass viele Pflanzen in jedem Dorfe anders benannt sind, zeigt nämlich, dass die Lust zur Namengebung eine grosse ist. Noch unter unseren Augen entstehen neue Namen, und manchmal, wenn ich eine Frau nach einer unbenannten Pflanze fragte, sagte sie im Bewusstsein souveräner Benennungsfreiheit, dass man sie so und so nennen könnte. Auf jeden Fall aber müsste es dann rätselhaft bleiben, wie ein einziger Name zur Herrschaft gelangt ist. Dazu, dass dieser fremde Eindringling über einheimische Bildungen den Sieg errang, wäre ein oftmaliges Ge- brauchen des Namens, ein gegenseitiger Verkehr und Wettbewerb nötig gewesen, auf welche Weise auch andere sprachliche Neuerungen sich durch- setzen. Aber solch ein häufiger Gebrauch widerspricht aller Erfahrung. Diese Pflanzen werden nur zufällig, hauptsächlich bei der Arbeit auf dem Felde, genannt.

2. Dagegen spricht ferner die Erfahrung, dass eben heutzutage die Pflanzennamen nicht von Dorf zu Dorf wandern und einander verdrängen, obwohl doch heutzutage der Verkehr auch auf dem Lande ein regerer ist als früher. Sie bleiben ruhig in ihrer Verschiedenheit nebeneinander be- stehen, da eben kein Bedürfnis nach Übereinstimmung vorhanden ist. Für die auffallende Linaria vulgaris gibt es in neun, höchstens je 3 km von- einander liegenden Ortschaften Unterfrankens folgende Namen (nach der Nachbarschaft aufgezählt): Löwenmaul, Hasenmaul, Guckacksblume, Drachenmaul, Eierschmalz (die Entfernung der beiden Dörfer beträgt nur 1 km\), Krackemäuler (= Rabenmäuler), Froschmäuler, Zähneblecker. Dazu erfuhr ich noch aus zwei entfernteren Dörfern: Ochsenmäuler, Kindlesdreck.

3. Auch in Siebenbürgen haben sich, trotz jahrhundertelanger Ab- geschlossenheit, die Namen nicht ausgeglichen, sondern bestehen in ihrer Verschiedenheit heute noch. Beispiele: Für Anemone pulsatilla: Biere- blomen, Isterbleam (vgl. Osterblume im Elsass und bei Eichstädt), Plump-

Die deutschen Volksnamen der Pflanzen. 21

blomen (bei Jakobsdorf). Für Anemone hepatica: Hasel voaltscher (vgl. Haselmünich in Tirol), Liewerkrokt (vgl. Leberblümchen in Deutschland). Für Ranunculus auricomus: Boglarcher (bei Reps), Freschbleiamen (bei Jakobsdorf) (vgl. Pröschblumen in der Eifel), Moorblemmen (bei Mar- burg). Für Taraxacum officinale: Gaddeläsen, Katnbleamen (ebenso in Bern, Schwaben, Henneberg u. a. a. 0.). Für Cuscuta epilinum: Zipergras (im Rautal), Deiwelzwirn (ebenso in Hessen, an der Werra, in Ostpreussen), Timseiden (vgl. Timtochter, bezeugt von Toxites, Strassburg 1574). Diese Angaben sind dem Übersichtswerke von Pritzel und Jessen ent- nommen; in Wirklichkeit ist natürlich die Verschiedenheit noch viel grösser.

4. Das Bedürfnis nach einer Wanderung, nach einem Ausgleich der Namen ist so gering, dass sogar die in ein Dorf neu eingeheirateten Frauen die früheren Namen noch ihr Lebenlang beibehalten und jeden- falls teilweise ihren Kindern überliefern.

5, Gegen die Wanderung der Namen spricht ferner die Tatsache, dass gerade eine Gruppe von Namen gleich ist, während andere Pflanzen überall verschieden oder auch gar nicht benannt sind. Es wäre sonderbar, dass gerade einige Pflanzennamen gar nicht wanderten. Vgl. das obige Beispiel der Linaria vulgaris.

Aus den angeführten Gründen dürfte wohl hervorgehen, dass eine selbständige Verbreitung dieser Namen ausgeschlossen ist. Wir kommen also zu dem Schlüsse: Die Namen der nutzlosen Pflanzen besitzen eine solche Bodenständigkeit, dass sie nicht ohne den Menschen sich verbreiten, so dass hier Nameuswanderung nur mit Menschenwanderung eintritt.

Auf welche Weise aber erklärt diese Theorie die Verbreitung der Namen? Das Verbreitungsgebiet ist verschieden je nach der Länge der Zeit, die seit seinem Aufkommen verflossen ist, und auch nach der Fruchtbarkeit und Wanderlust eines Volksstammes. So hängt ein Teil dieser Benennungen mit der Entstehung unserer Sprache und unseres Volkes überhaupt zusammen. Naturgemäss wurden zunächst die Nutz- pflanzen benannt, wie die folgenden, dem europäischen Urvolk eigenen Namen bezeugen: Buche, Erle, Föhre, Haber, Hirse, Kiefer, Korn, Lein, Moos, Roggen, Rübe^). Von den gemeingermanischen Wörtern: Bilsen- kraut, Bohne, Dill, Distel, Eibe, Eiche, Efeu, Esche, Espe, Flachs, Linde, Mistel, Schlehe, Weizen^) könnte man vielleicht die Distel zu der Gruppe der nutzlosen Pflanzen rechnen. Ob andere derartige Benennungen in dieses Alter hinaufreichen, würde eine Vergleichung der westgermanischen mit den nordischen Namen zeigen^). Ein Teil derselben wird in die

1) Nach Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache (Strassburg 1894).

2) Ebd.

8) Insoweit sie in der alten Literatur belegt sind, hat sie Björkman behandelt in Kluges Ztschr. f. dtsch. Wortf. Bd. 2.

22 Ziegler:

Hirtenzeit unseres Volkes zurückreichen, da es die Futterkräuter inter- essieren mussten und dem müssigen Herdenhüter Zeit zur Beobachtung der Pflanzen blieb; aber die grosse Masse derselben ist wahrscheinlich erst entstanden, als es zum Ackerbau überging und sesshaft wurde. Da erst lernte es die Blumen und Kräuter des Feldes genauer kennen. Und die Verbreitung eines neuen Namens innerhalb eines Bezirkes war damals eine raschere und umfangreichere, da die Arbeiten im Felde in Gesellschaft, durch die Sippe oder durch die Feld- markgenossen, verrichtet wurden. Der Ackerbau ermöglichte dann eine grössere Dichtigkeit der Bevölkerung, es wurden allmählich neue An- siedlungen nötig, neue Rodungen, neue Dörfer entstanden, welche die alten Namen beibehielten.

Eine Stichprobe aus dem englischen Lexikon von Muret- Sanders^) zeigt uns die Gleichheit einer unerwartet grossen Zahl englischer und deutscher Benennungen, ein Beweis dafür, dass dieselben schon vor 450 n. Chr., um welche Zeit die Auswanderung der Angelsachsen statt- fand, existierten. Beispiele:

Dog's camomile f. Anthemis cotula = Hundskamille.

Cuckoo-flower f. Cardamine pratense = Gauchblume b. Bock 1530, Gukuks- blume in Schlesien.

Oxeye daisy f. Chrysanthemum = Ochsenauge mhd., Rindsaug b. Brunfels 1530, Kalbsauge in Metz, Trier, Speier.

Meadow-saffron f. Colchicum autumnale = Mattensaffran im Elsass.

Dodder (of flax) f. Cuscuta epilinum = Dotter mnd., bei Fuchs 1542, Todter als in Flachs im Vocabularius 1482.

Shave-grass f. Equisetum arvense = Schafheu in Bern u. a. 0.

Lark-spur f. Delphinium = Lerchenklau in Ostpreussen.

Hemp-nettle f. Galeopsis tetrahit = Hanfnessel.

Stork's- (crane's-) bill f. Geranium, Erodium = Storchenschnabel, Kranichschnabel,

Hawk-weed f. Hieracium = Habichtskraut.

John's wort f. Hypericum = Johanniskraut.

Hard-hey f. Hypericum; ebenso ahd., mnd.

Bur (dän. borre) f. Arctium = Borren in Helgoland.

Mouse-ear f. Cerastium = Mäuskraut, -darra (verbreitet).

Cat's-foot f. Gnaphalium dioicum = Katzenpotchen in Bremen, Augsburg u. a. 0.

Cow-wheat f. Melampyrum = Kühweizen bei Bock, in Schlesien u. a. 0.

Rnot-grass f. Polygonum = Knotengras in Osterreich, Knöterich.

Fox-glove f. Digitalis purpurea = Fuchskraut (f. Dig. ambigua) b. Pholsprundt 16. Jahrh.

Goat's beart f. Tragopogon = Geissbart (verbreitet).

Colt's foot f. Tussilago farfara = Folenföt in Holstein u. a. 0.

Crow-foot f. Ranunculus = Krcienfaut in Göttingen.

Mug-wort f. Artcmisia vulgaris = Mugwurz b. Cordus 1561, Muggert in Ostfries- land u. a. 0.

1) Encyklopädischcs Wörterbuch der englischen und der deutschen Sprache (Berlin, Langenscheidt).

Die deutschen Volksnamen der Pflanzen. 2.3

Cat's-tail f. Equisetum = ahd. Katzenzagil, Katzensteert in Altmark, Mecklenburg,

Pommern, Bern. So w-thistle f. Sonchus oleraceus = Saudistel in Ostfriesland, Hadeln, Altmark,

Bern u. a. 0. Co ekle f. Agrostemma githago = Kuckel in Niederlausitz. Cat-thyme f. Teucrium marum = Katzenkraut in Bern. Way-bread f. Plantago maior-—ahd. wegabreita.

Diese Namen Hessen sich natürlich durch einen Vergleich der be- treffenden Spezialliteratur noch weit vermehren^).

Hoops, der behauptet, dass der weitaus grösste Teil der altenglischen Namen in England selbst entstanden sei^), scheint dieselben mit den heute noch gebräuchlichen nicht verglichen zu haben; z. B. finden sich für folgende Namen, die er S. 18 als in England entstanden bezeichnet, bei Pritzel und Jessen Belege:

Aegwyrt, Eierkraut f. Taraxacum officinale = Eierblumen, Eierbusch in Thüringen, Ei fei.

Foxesglofa f. Digitalis purpurea s. o. foxglove.

Healswyrt, Halskraut f. Campanala trachelium = Halskraut b. Tabernaemontanus 158>) u. a.

Hlaedderwyrt, Leiterkraut f. Polemonium caeruleum = Himmelsleiter bei Hagen, Preussens Pflanzen 1818; Jakobsleiter in Ostfriesland.

Hraefnesföt, Rabenfuss f. Ranunculus = Rappenfuss bei Tabernaemontanus 1588 u. mhd.

Hundesheafod, Hundskopf f. Antirrhinum adoratum = ahd. hunthaubito; Hunds- kopf in Schlesien.

Wulfescamb, Wolfskamm f. Dipsacus silvestris = ahd. wolyeszeisila; mhd. wolfstral, wolfdistel.

Ob die Mehrzahl unserer Yolksnamen auf diese oder erst eine spätere Zeit zurückgeht, müsste erst noch festgestellt werden. Sicher sind in christlicher Zeit noch viele entstanden, wie noch heute neue Benennungen auftauchen, welche sich dann mit den Menschen weiter verbreiten.

Aus dieser Theorie ergibt sich nun die praktisch -wissenschaftliche Polgeruno-, welche mir diese Studien vor allem wünschenswert macht: Sind diese Pflanzennamen so mit dem Menschen verbunden, dass sie gleichsam als Haus- oder Dorf eigentum mit ihm ziehen, so müssen sich in ihrer Yerbreitung die Verwandtschaftsverhältnisse des Volkes, insoweit sie auf früheren Volksbewegungen beruhen, widerspiegeln. Diese bescheidensten Erzeugnisse der deutschen Sprache erbten sich so unbewusst und unbeachtet fort und waren von so geringer Eigenbewegung, dass sie sicherer und reichhaltiger als andere sprachliche Hilfsmittel Auskunft über Wanderungen unserer Vorfahren geben. Und zwar werden auch kleinere Ansiedlungen, von deren Entstehung keine Urkunde etwas zu melden weiss, in ihren

1) Vgl. Britton & Holland, Dictionary of English Plant-Names (London 1886).

2) Über die altenglischen Pflanzennamen (Diss. Freiburg 188',)) S. 75.

24 Ziegler:

Pflanzennamen die Spuren ihrer Herkunft aufbewahrt haben. Ja die Be- völkerung jedes Dorfes hat in ihrem Namensschatz einen Schlüssel, welcher am besten über ihre Zusammensetzung und Stammesverwandt- schaft Auskunft geben kann. Die Frage, wann diese Volksbewegungen stattfanden, welche sich in der Verbreitang gleicher Namen aussprechen, ist zunächst nebensächlich. Zum Nachweis der tatsächlichen Verwandt- schaft genügt die Feststellung der räumlichen Verbreitung. Ein sicheres Resultat würde sich für ganz Deutschland ergeben, wenn die Volksnamen von allen deutschen Ortschaften gesammelt wären. Durch Ausscheiden der einem Dorfe individuellen Benennungen und Zusammenfassung der Ortschaften nach der Gleichheit der Namen würde sich eine Stammes- verwandtschaft ergeben, welche immer grössere Kreise um sich ziehen würde.

Doch nachdem wir auf die Bedeutung der eventuellen Resultate hin- gewiesen, müssen wir im einzelnen einige Einschränkungen machen und auf einige theoretische Einwände hinweisen, welche uns zugleich näher in die zu leistende Arbeit einführen.

1. Kann nicht durch Zuwanderung eines einzelnen oder einer Familie eine Zufuhr von Namen in einer Ortschaft erfolgt sein, so dass der jetzige Zustand die Verwandtschaftsverhältnisse nur unvollkommen wiedergibt? Dass auf diese Weise ein oder zwei Namen für Pflanzen, die nicht be- nannt waren, in das Dorf kamen, ist möglich. Dass aber eine grössere Anzahl dadurch dauernd eingeschleppt wurde, halte ich für so gut wie ausgeschlossen. Denn warum sollte keine von diesen Pflanzen nicht auch schon hier benannt gewesen sein? So wird die Gleichheit vieler Namen die Stammesgleichheit des Kernes der Bevölkerung beweisen, und die Gleichheit einzelner Namen wird dartun, dass Splitter der Bevölkerung aus einer anderen Gegend stammen.

2. Es ist auch denkbar, dass ein Name einwandert ohne den Menschen. Ein Knecht oder eine Magd hat sich längere Zeit in einem Dorfe auf- gehalten und einen neuen Namen mitgebracht, der sich nun verbreitet. Das ist aber nur bei einzelnen Namen und ausnahmsweise wahr- scheinlich.

3. Ist es aber nicht möglich, dass in zwei verschiedenen Gegenden durch Zufall der nämliche Name entstanden ist? Ein Name viel- leicht, mehrere sicher nicht. Darauf ist nun jeder Name besonders zu prüfen. Ich halte es z. B. für ausgeschlossen, dass die Gleichheit des Namens 'Katzenäuglein' für Myosotis palustris (Vergissmeinnicht) in Grau- bünden und in der Eifel bei Ulmen auf Zufall beruht, da ihm eine ganz individuelle Anschauung zugrunde liegt. Schon das obige Beispiel des 'Löwenmauls' zeigt, dass, selbst w^enn die gleiche Anschauung zugrunde liegt, die Benennung sehr oft eine verschiedene ist. Folgendes Beispiel zeigt besonders die Väriationsfähigkeit der Namengebung. Die Malva

Die deutschen Volksnamen der Pflanzen. 25

rotundifolia ist nach ihrer runden Frucht benannt, die von den Kindern o-poessen wird. Yon den 15 meistens nebeneinander liegenden Dörfern Unterfrankens, in welchen ich nach dem Namen fragte, ist die Benennung nur in je drei unmittelbar benachbarten gleich, sonst überall verschieden. Die Namen sind nach der Nachbarschaft: Afterküchli, Hundskümmerli (-gurkeu), Käsli (zwei Dörfer), Wecklaibli, Knöpfli, Küchli (zwei Dörfer), Laibli, Rotzbeerli (1 km entfernt!), Täscherli, Täseherskraut (zwei Dörfer), Brötchenstrauch, Kasemärli, Pfankeli (= Pfannenküchlein). Ob Zufall möglich ist, muss die Einzelbetrachtung zeigen. So ist es z. B., die Blume für sich betrachtet, möglich, dass der Name Dickkopf für Centaurea jacea in Aschfeld in Unterfranken und Hartkopp in der Eifel bei Altenahr, sowie Dickkopp für Centaurea paniculata in der Altmark auf Zufall be- ruht, weil die Benennung sehr allgemein ist und naheliegt. Doch müssen sich die Schlüsse auf Abstammung auf eine Mehrzahl von Namen stützen, wobei der Zufall dann keine Rolle mehr spielen kann.

Praktische Schwierigkeiten. Der allgemeinen Interesselosigkeit verdanken diese Namen ihre grosse Bodenstäudigkeit, ihren Wert für uns. Aber dieselbe hat auch unsere Forschungen einigermassen erschwert und komplizierter gemacht, als es auf den ersten Anblick scheint.

1. Dadurch war es möglich, dass vielleicht der eine und andere Name in einem Dorfe in Vergessenheit geriet und ausstarb und an seine Stelle ein anderer trat. Dieser Maugel wird jedoch wegfallen, wenn wir ein grösseres Gebiet vergleichen.

2. Und doch war das der seltenere Fall, wie das hohe Alter vieler Namen beweist. Sehr häufig ist es dagegen, dass der Name zwar im Gedächtnis haftete, aber, da man nicht mehr genau wusste, welche Pflanze er bezeichnete, auf eine andere, ähnliche Pflanze überging. Wir nennen diesen Vorgang Namens üb er gang. Derselbe ist um so leichter möglich, da das Volk die Pflanzen nicht nach wissenschaftlichen Gesichts- punkten, sondern nach äusseren, oft zufälligen Merkmalen benennt und die einzelnen Kräuter nicht genau unterscheidet. Im allgemeinen gilt da das Gesetz: Je älter und verbreiteter ein Name, auf desto mehr Pflanzen ist er übergegangen. Diese Namen scheiden natürlich von unserer Forschung auf Stammesverwandschaft nicht aus; für ims ist die Benennung, nicht die bezeichnete Pflanze Hauptsache. Doch dürfen wir, um unseren Schlüssen eine sichere Grundlage zu geben, einen Namens- übergang nur da annehmen, wo ihn die Ähnlichkeit der Pflanzen er- leichterte. ,

Fast bei allen Pflanzennamen kommen solche Verwechslungen vor, besonders wenn dieselben zu allgemein waren und keine Eigenart einer bestimmten Pflanze bezeichneten, oder auch, wenn es die früher so be- nannte Pflanze in einer neuen Gegend nicht gab. So gilt in Asehfeld (Unterfranken) der Name 'Herrgottstöffeli' für Lathyrus silvestris. während

^6 Ziegler:

derselbe in der Umgegend für Lotus corniculatus gebraucht wird. Dieser wird in Aschfeld Goldklee ^) genannt. Die auf beide Pflanzen passende Vorstellung ist die bei Schmetterlingsblüten treffende Form eines Pan- toffels. In Münster (Unterfranken) gilt der Name Muttergottesbettstroh sowohl für Galium verum als für Hypericum perforatum. Erst wenn man die Leute auf die gleiche Benennung dieser verschiedenen Pflanzen aus- drücklich aufmerksam machte, kam ihnen das Bedenkliche derselben zum Bewusstsein. 'Fleischblume' (nach dem rötlichen Aussehen) heisst in Obersfeld und Büchold (Unterfranken) die Anemone nemorosa; in Hunds- bach, Aschfeld, Gössenheim, Erlebach (Unterfranken), der Schweiz das Cardamine pratense; in Sachserhof, Weiersfeld, Obereschenbach die Capsella bursa pastoris. Es haftete eben bloss der Name im Gedächtnis, und dieser wurde, wenn er nur einigermassen passte, auf andere Pflanzen übertragen.

Andere Namen sind so unbestimmt und daher auf so viel Pflanzen übergegangen, dass wir sie am besten überhaupt ausscheiden, da der Zufall dabei eine Rolle gespielt haben kann. Dahin gehören die Be- nennungen nach Standort, Blütezeit, Farbe wie: Bachblume, Wiesen- blume, Märzenblume, Holzblume, Glockenblume u. a. So werden durch Zusammensetzungen mit Kuckuck (nach Farbe, Blütezeit und im ver- ächtlichen Sinne) allein über 30 Pflanzen bezeichnet. Immerhin gewährt die gleiche Benennung derselben Pflanze einen sichreren Anhalt und kann vielleicht auch als Zeichen näherer Verwandtschaft manchmal aufgefasst werden.

3. Die Interesselosigkeit und der daraus folgende geringe Gebrauch der Namen hatte ferner zur Folge, dass die Namen sich teilweise änderten, wenn nur die Vorstellung blieb. Besonders war dies bei den mit Eigen- namen zusammengesetzten der Fall, da ein innerer Zusammenhang hier nicht bestand oder nicht mehr verstanden wurde. So werden in St. Gallen bei Sargans nebeneinander gebraucht: Herrgottaschüali und Frauaschüali; so für Galium verum in Gauaschach (Unterfranken) Muttergotteshaar (auch in Obersfeld) und Engelshaar (auch in Bühler). Die Anschauung ändert sich nicht, ob das Hypericum perforatum nun ^luttergottes-, Maria-, Unserer Frauen-, Herrgotts- oder Johannisbettstroh heisst; ebenso nicht, ob eine Schmetterlingsblüte Herrgotts-, Muttergottes-, Johannisschuckeli, -schühli oder -töffeli heisst. Wir können also, wenn wir auf Abstammung schliessen, solche Namen als gleich betrachten.

4. Verändern sich schon andere Wörter rasch im Munde des Volkes und sind Miss- und Umdeutungen ausgesetzt, um wie viel mehr diese Namen, die so selten gebraucht werden! Oft genügte ein ähnlicher Klang, um einen nicht mehr verstandenen Namen in einen anderen übergrehen

1) Schon bei Gesner l.")41.

Die deutschen Yolksnamen der Pflanzen. 27

ZU lassen. In den durchforschten unterfräukischen Dörfern fand ich für Achillea millefolium folgende zwei einander gegenüberstehende Namen: Schafgarbe und Barbarakraut. Des Rätsels Lösung gab die Form in Büchoid, wo mir zugleich als Namen genannt wurden: Garbara, Schaf- garbara, Barbara und sogar Rhabarbara. Dazwischen stehen die Be- nennungen Garberi und Schafgarberi. Im Althochdeutschen ist garawa als alter Name bezeugt'), und der Gleichklang genügte, um die un- verstandene altertümliche Form von Garbara in Barbara umzuwandeln. Vgl. für Viola tricolor die Namen Denkblümli (Graubünden), Denggeli (St. Gallen), Denkegli und Änkeli (Bern); ferner für Equisetum ahd. Katzenzagil (= schwänz) und Katzenzügel in Siebenbürgen. Zu dieser Gruppe gehört wohl auch Geissblume (SchafFhausen) für Gänsblume (Chrysanthemum leucanthemum), dafür in Zürich sogar Geisseiblume; Gaisglöggli und zugleich Geistblümli in St. Gallen bei Toggenburg für Anemone nemorosa (in Luzern: Geistglöggli); in Appenzell dafür Gast- glöggli. Auch über diese Verwechslungen und Missverständnisse, deren Zahl Legion ist, können wir für unseren Zweck hinwegsehen, da dieselben nicht ursprünglich sind, sondern sich später entwickelt haben. Wir be- trachten also solche Namen als gleich. Wenn wir nun nach diesen Gesichtspunkten die Orte mit gleichen Pflanzennamen zusammenfassen, werden wir ein getreues Abbild der Stammesverwandtschaft gewinnen.

5. Doch das gilt bloss für Pflanzen, welche für den Menschen ohne Nutzen und ohne besonderes Interesse waren. Ein wenn auch oft ge- ringes Interesse wurde den Pflanzen entgegengebracht, welche in der Arzneikunde , in Sage und Aberglauben eine Rolle spielten. Bei den Arzneikräutern werden sich zugleich mit der Verwendung auch die Namen verbreitet haben. Die Wirkung und Anwendung derselben wird dann meistens schon im Namen ausgesprochen. Wird z. B. der Wiesensalbei „Salbe" genannt, so ist die Verbreitung des Ausdrucks durch die Apotheken wahrscheinlich. Die Benennung „Göckerskanmi" dagegen stammt von seiner Blütenform her und wird sich nicht auf diesem Wege verbreitet haben. Durch die Apotheken kamen auch Fremdnamen ins Volk, wie: Lavendel von lavandula, Salbei von salvia, Kerbel von cerefolium u. a. So kam auch das Wort Tausendgüldenkraut auf als falsche Übersetzung von cent-aurium^). Nun erbte sich aber auch eine Menge von solchen Arzneikünsten im Volke selbst, und zwar im engsten Kreise fort. Daher sind Namen von Arzneipflanzen nicht vollständig auszuschliessen, dürfen aber nicht zum Beweise, sondern bloss zur Bestätigung verwandt werden.

Ähnlich verhält es sich mit den Kräutern, welche in Aberglauben und Sage eine Rolle spielen. Mit den erst gottesdienstlichen, später

1) Isach Pritzel u. Jessen a. a. 0.

2) Nach Sohns, unsere Pflanzen 1907 S. 7G.

28 Ziegler:

abergläubischen Gebräuchen, zu welchen sie verwandt wurden, verbreiteten sich auch ihre Namen. Besonders diejenigen Pflanzen, welche Heiligen- namen tragen, sind in dieser Hinsicht verdächtig. So war das Mutter- gottesbettstroh (meistens Galium verum) ursprünglich der Freya heilig und wurde den Wöchnerinnen ins Bett gegeben^). Doch sind solche Bräuche sehr alt und pflanzten sich, besonders in späterer, christlicher Zeit, hauptsächlich in der Familie und im nächsten Bekanntenkreise fort, so dass vielleicht auch diese Namen zur Bestätigung der Ergebnisse unserer Forschung herangezogen werden können.

Suchen wir nun einen Überblick zu gewinnen, was die Erforschung der Fflanzennamenverbreitung zu leisten vermag. Abgesehen von der Einsicht in das Volksgemüt, welche die oft sinnigen und sinnvollen, oft auch derben Namen bieten, gewährt uns diese Forschung einen wertvollen Beitrag zum Wortschatz der deutschen Sprache. Sie zeigt uns ferner die Entstehung und Umformung von Wörtern in der Gegenwart unter Be- dingungen, welche der Beobachtung vielseitig zugänglich sind, indem sie uns die Umwandlungsprozesse, die sich sonst bloss im zeitlichen Nach- einander in der Sprache vollziehen, im räumlichen Nebeneinander vor- führt. (Vgl. das obige Beispiel von Schafgarbe und Barbarakraut.) Was die oben geschilderte historische Verwertung solcher Forschungen an- belangt, so wird diese Methode schon bei der Lösung von Einzelfragen, soweit sie Volksbewegungen betreffen, gute Dienste leisten. Wenn wir auch erst nach einer gründlichen Sammlung der deutschen Namen ent- scheiden können, in welcher Zeit die meisten Namen entstanden sind, so wird doch unsere Methode Antwort geben können auf folgende Fragen:

1. Welches ist die genauere Volkszusammensetzung bei der ost- elbischen und bei der bayrisch-schwäbischen Kolonisation in Österreich?

2. Sie wird Auskunft geben über die genauere Herkunft des angel- sächsischen Volkes.

3. Sie gibt Aufschluss über spätere, ländliche Volksbewegungen in Deutschland.

4. Es wäre sonderbar, wenn die grosse Verschiedenheit, die zwischen den einzelnen deutschen Stämmen besteht und sich schon in ihrem übrigen Wortschatze ausdrückt, sich nicht auch in diesen fast unbewussten und darum individuellsten Bildungen ihrer Sprache zeigte. Deshalb erscheint der Versuch nicht aussichtslos, auf diesem Wege über die Zusammen- setzuuo- und nähere Verwandtschaft der deutschen Stämme Klarheit zu gewinnen und so weiter in das von c\ev Geschichte nicht erhellte Dunkel der Vorzeit unseres Volkes vorzudringen. Und da sich die Stammes- zugehörigkeit noch heute in Körper und Geist eines Deutschen mehr aus-

1) Sohns, Unsere Pflanzen S. 35.

Die deutschen Yolksnamen der Pflanzen.

29

prägt, als alle späteren historischen Ereignisse Eindruck hinterlassen haben, erschliesseu uns solche Forschungen ein genaueres Verständnis der Gegenwart.

2. Praktischer Teil.

Die Sammlung der deutschen Pflanzennamen ist eine Aufgabe, welche die Kräfte eines Menschen übersteigt. Folgendes in neun unterfränkischen Dörfern systematisch gesammeltes Material möge einen Einblick in die Reichhaltigkeit und Verteilung dieser Namen geben, wenn dasselbe auch noch nicht alle dortigen Benennungen umfasst. Um ein möglichst ge- treues Bild derselben zu geben, habe ich die Arzneipflanzen nicht aus- o-eschaltet. Ein sicherer Rückschluss auf die Stammeszugehörigkeit dieser

Gegend Hess sich nicht ziehen, weil die Sammlung von Pritzel und Jessen, welche ich für die übrigen deutschen Gegenden heranzog, nicht entfernt an Vollständigkeit heranreicht, so dass die dort erwähnten Namen wahr- scheinlich auch noch in anderen Orten vorkommen. Ausserdem ist die Ortsangabe derselben für unsere Zwecke oft zu unbestimmt. Immerhin zeigt sich aus dem Material ein deutlicher Zusammenhang mit der schwäbisch-alemannischen Volksgruppe, welcher der Erklärung harrt. Bei dem geringen vorliegenden Stoffe mussten die Landschaften, welche Nameusgleichheit mit der untersuchten haben, sehr umfangreich ge- nommen, und musste ihre Begrenzung unbestimmt gelassen werden. Das Folgende soll eben keine Resultate bringen, sondern die praktische An- wendung der Methode zeigen.

Zum Erfahren der Namen wendet man sich am besten mit einem Pflanzenatlas oder einem dazu hergestellten Herbarium an Frauen eines

30 Ziegler:

Ortes, wobei man darauf zu achten hat, dass sie daselbst geboren und aufgewachsen sind. Die Namen müssen in Dialektform aufgenommen werden; aus dieser kann meistens schon entschieden werden, ob e& wirklich Yolksnamen sind, oder ob sie etwa aus der Schule stammen. Ich habe der Kürze halber die Dialektnamen da in verhochdeutschter Form gegeben, wo die Übertragung zweifellos war.

Folgende neun Ortschaften habe ich gleichmässig durchforscht: Büchold (Buch.), Sachserhof (S.), Gauaschach (Gau.), Obersfeld (O.),^ Hundsbach' (Hb.), Bühler (Bü.), Münster (M.), Aschfeld (A.) und Gössenheim (Gö.). (Siehe die Karte S. 29.)

Dazu kamen gelegentliche Ergänzungen aus Bonnland (Bo.), Hunds- feld (Hf.), Weiersfeld (W.), Obereschenbach (Oberesch.), Altbessingen (Altb.), Schwebenried (Schw.), Erlenbach (E.) und Roden.

Das Namenmaterial teile ich in zwei Hauptgruppen ein: 1. in solche Pflanzen, deren Namen in den genannten Dörfern (im allgemeinen) überall verschieden sind, 2. in solche, deren Namen allen gemein sind. Die erstere Gruppe wollen wir Dorfnamen, die letztere wegen ihrer grösseren Verbreitung Landschaftsnamen nennen.

1. Dorfnamen.

Prunella und Ajuga reptans: unbenannt.

Centaurea jacea: unbenannt in S., Gau., Bo., M., Gö. Ochsenmaul: 0., Hb.

Erdhopfdistel (Umschreibung)^): W. Herrnhuter: Buch. Knotenpfürz: Bü.

Dickkopf: A. (Splitter) 2). Capsella bursa pastoris: unbenannt in Gau., Bo., 0., Hb., Bü., M., A.

Gänseri : Buch. (Splitter). Klapperlesgras: Gö. Fleischblume: S., W.,

Oberesch. (Namensübergang) ^). Chrysanthemum segetum: unbenannt in Bü., Gau., Bo., Gö. Kansbüsch

(= Johannisb.): 0. (Splitter). Strohblume: Hb. Stinker: W. (Unbestimmt)^).

Pfeffernüssli: Bü. Wilde Weckbröseli (Calendula officinalis): M. (Um- schreibung). Studentenblume: Oberesch. (Unbestimmt, vielleicht Splitter). Cichorium Intybus: unbenannt in S., \V., Oberesch., Bo. Teufelsgäschel (-geisel):

0., A. Wegwarte: Hb., Gau. (Splitter; vielleicht aus der Schule, vielleicht

verbreitet durch die Sage). Steinkraut: Buch. (Splitter). Cichoriblume: Bü.

(Nach der Verwendung; unbrauchbar.) Wilder Endivi: M. (Umschreibung).

Wilder Raberi: Gö. (Umschr.). Echium vulgare: unbenannt in O, Hb., W. Bo., Bü. M., Gö. Rahmblnme:

Oberesch. Hundskraut: Buch. (Splitter?). Euphrasia officinalis: unb. in S., Gau., 0., Hb., Bü., M., A. Wilde Ispel: W.

(Umschreibung). Waldmeister: Buch. (Missverständnis). Niess (= Nichts):

Gö. (Splitter).

1) D. h. der Name ist unbestimmt, mittels einer anderen Pflanze gebildet.

2) Splitter nenne ich vereinzelte Namen, welche noch in einer anderen Gegend vor- kommen; s. unten.

3) Oben S. 25.

4) D. h. der Name ist zu allgemein.

Die deutschen Volksnamen der Pflanzen. 31

Epilopium (angustifolium) : unbenannt in Oberesch., Bo., Hb., Bü., M., Gö. Wilde Weide: 0., Gau. (Umschreibung). Bachpäppeli: A. Giftblume: Buch. (Unbestimmt).

Galeopsis versicolor: unbenannt in Hb., Bo., Gau., M., Gö. Wilder Hanf: 0. (Umschreibung, Splitter!). Stecher: Buch. (Unbestimmt). Stachelblume: Bü. (Unbestimmt). Wilde Sodomannli: A. (Umschreibung).

Gentiana (selten vorkommend): unbenannt. Holzglocke: Buch. (Unbestimmt).

Hieracium: unbenannt in Gau., Hb., M., Gö. Fieberwurzelblume: 0. (Un- bestimmt; Arzneiname). Hundszunge: Oberesch. (Splitter). Märzenblume: Buch. (Namensübergang).

Linaria vulgaris. Drachenmaul: 0. Eierschmalz: Hb., Bü. Krakemäuler: M. Froschmäuler: A. Zähneblecker: Gö. Löwenmäuler: Buch., Oberesch. (Splitter; von der Gartenpflanze?). Einfache Hasemäuler: S. (Umschreibung; von der Zierpflanze). Ochsenmäuler: W. Rindlesdreck: Holzkirchhausen im Spessart. Vgl. Scheisskraut bei Bock 1530.

Malva rotundifolia. Hundskümmerli (-gurken): Buch. Käsli: S., Bo. (Splitter, oder Zufall). Küchli: Hb., 0., Gau. Laibli: Bü. Wecklaibl: Gau. Rotz- beerli: M. Täscherli: A., E., Roden. Pfankeli: Gö. Brötchenstrauch: Holz- kirchhausen. Knöpfli: AV. Afterküchli: Oberesch. Kasemärli: Homburg (Ufr.).

Pimpinella saxifraga: unbenannt in Bo , M., Gö.. E. Wilde Peteries: 0., W.^ Altb. (Umschreibung). Bieberall: Hb. (aus Pimpinella; Apothekername). Schweikraut: Oberesch. (Namensübergang). Wilder Kümmel: Buch. (Um- schreibung). Bescheidekraut: A.

Ranunculus acer: unbenannt in 0., S., Gau. Hohle Dötterli: Hb. Schmar- blume: Oberesch. Schmelzblume: Buch., Bo. (Unbestimmt). Hahnefuss: B., A., Gö. (Splitter, oder aus der Schule). Giftblume: E. (Unbestimmt).

Scabiosa columbaria: unbenannt in Oberesch., Gau., Bo., A., M., Gö. Wilde Skorpione: 0. (Splitter). Sammete Hühnli: 0, Feldgeorgine: Hb. (Um- schreibung). Holzblume: Buch. (Unbestimmt). Ochsenmaul: Bü. (Namens- übergang).

Silene inflata: unbenannt in Oberesch., Bo. Tatsche (vom Knallen mit der Hand): 0. Glöberli: 0., Hb., Gau. Vgl. Klopfern: Schweiz. Klepfer: Zürich. Klöpferli: Luzern. Klapperli: Gö. Schlotterblume: Bü. Puffer: Buch. Taubenkropf: M., Roden (Splitter, oder Namensübergang).

Solidago virga aurea: unbenannt Gau., M., A. Bettstroh: 0., H., S., Oberesch. (Namensübergang). Pfeffermünzli: S. Goldbluine: Buch. (Unbestimmt). Gelbe Laibh: Bü. (Unbestimmt). Gelbe Rafel: A., Gö., E. (Rifl).

Fumaria officinalis: unbenannt in M., Gö. Silbertrippeli: A. Dotteri: Altb., S., Oberesch. Taubenkropf: 0., Gau., Hb., Bü. (Splitter).

Hierher gehört teilweise Salvia pratensis. Salzbüsch: 0. Honigblume: Hb., Bü., M. (Unbestimmt). Wilde Salbe: A., Gau, Oberesch. (Apothekername). Göckersschwanz: Altb, Buch., A., Roden. Göckerskamm: Bo., Bü. A"gl. Gockeler: Memmingen. Wilde Ispel: Gö. (Umschreibung).

Die Verschiedenheit der Benennung dieser Pflanzen ist dadurch zu erklären, dass dieselben erst benannt wurden, als die Bevölkerung schon in ihren gegenwärtigen Wohnsitzen sesshaft war. Da kein Name dafür vorhanden war, kamen unbestimmte Benennungen auf, oder man verglich sie mit anderen Pflanzen (Umschreibungen) oder verwechselte sie

32 Ziegler:

damit (Namensübergänge). Wenn sich eine fremde Person in einem Dorfe niederliess und einen neuen Namen mitbrachte, war man besonders geneigt, denselben anzunehmen (Splitter), sei es nun, dass sie aus der näheren stammverwandten Umgegend stammte, worüber mir das Namen- material fehlt und wo man vielleicht einen alten Namen bewahrt hatte, oder dass sie aus einer stammfremderen Gegend einwanderte. Aus Pritzel- Jessen würde, soweit man sich darauf verlassen kann, hervorgehen, dass die obigen Pflanzen auch in anderen süddeutschen Landschaften wenig benannt und ihre Namen sehr zersplittert sind.

Splitter.

Dickköpf: A. f. Centaurea jacea. Hartkopp: Eifel b. Altenahr. Di".kkopp f. Centaurea paniculata, Anthemis arvensis u. cotula, Chrysanthemum leu- canthemum: Altmark (Namensübergang). Dickkoppskrut f. Senecio vulg.: Göttingen.

Gänseri f. Capsella bursa past.: B. Vgl. ahd. gansekresse; Hotton 1G95: Gäns- kröss.

Studentenblume f. Chrys. seg. : Oberesch. f. Calendula off.: Mark Branden- burg (Übergang möglich). f. Malva alcea: Schlesien (Zufall?).

Steinkraut (Unbestimmt) f. Cich. Intyb.: B. f. Abyssum calycinum: Came- rarius 1588. f. Barbarea vulg.: Hotton 1695. f. Cochlearia saxatilis: Berner Oberland. f. Sedum telephium: Pholsprundt, 16. Jahrh. f. Silene acaulis: Berner Oberland.

Hundskraut f. Echium vulg.: B. f. Mercurialis perennis: Schlesien.

Nieß (= Nichts) f. Euphr. off.: Gö. Vgl. Gibinix: Waadt, Entlibuch.

Wilder Hanf f. Galeopsis versicolor: 0. Berner Oberland (Ackerhanfneßle), St. Gallen, Österreich.

Hundszunge f. Hieracium: Oberesch. mhd. f. Ajuga reptans; ahd. und in Göttingen f. Anchusa off. (häufig: Ochsenzunge); ahd., mhd. f. Cynoglossum off.; in Appenzell f. Taraxacum off. (Übergang möglich).

Käsli f. Malva rotundifolia: S., Bo. Schweiz, St. Gallen (Chäslichkrut); Altmark, Mark Brandenburg, Unterweser (Käseköpfe), Oldenburg u. a. a. 0.

Wilde Skorpione (aus Scabiosa; Apothekerpflanze) f. Scab. columb.: 0. Rends- burger Apotheke 1850.

Löwenmäuler f. Linearia vulg.: Bü., Oberesch. Li der Schweiz (Leuenmul) Siebenbürgen, Schlesien f. Antirrhinum majus (Zierpflanze).

Taubenkropf f. Silene inflata: M., Roden, Gesner 1541. Chur, St. Gallen b, Werdenberg: Taubenspeck. Schweiz: Vögelispeck.

Ackerlessalat f. Valerianella olitoria: Hf., Memmingen, Salzburg, Tirol.

Die nun folgenden Namen sind in allen durchforschten unterfränkischen Ortschaften gleich. Das ist darauf zurückzuführen, dass dieselben schon der kleineren oder grösseren Volksgruppe gemeinsam waren, von welcher die Bewohner abstammen. Walirscheinlich würde eine umfangreichere Stoff- sammlung ergeben, dass manche von den obigen 'Dorfnamen' zu der folgenden Abteilung gehören.

Die deutschen Volksnamen der Pflanzen. 33

2. Landschaftsnamen.

a) Unterfranken und Umgegend^).

Bärwinne f. Convulvulus arvensis: allgemein^) Schlesien: Bärwinde.

Moral le (Moueralle'') f. Daucus carota: allgemein. Vgl. ahd. moraja, morhila.

Demede (Frosch-, Bach-, Stink-) f. Mentha aquatica: allgemein. Bock 1530: Dymenta.

Katzestuhl f. Plantago (media): allgemein; benannt nach einem Kinderspiel.

Moosdistel (Mues-, Mus-) f. Sonchus: allgemein. Vgl. Fuchs 1542: Mossdistel.

Hühnerbolle (-bohle, -bouhle, -bolg) f. Thymus serpyllum: allgemein. Vgl. Brunschwyg 1500: wild Boley; Soranus 1587: Feldpolei; Henneberg: Hühnerpolei; Schlesien: Hühnerkraut.

Wilde Weide f. Polygonum persicaria (Unbestimmt): allgemein.

Mäuseri f. Stellaria media: allgemein (Roden, E: Meier). Kilian 1777: Mäus- darm. Schmalkalden, Dresden: Mäusgedärme.

Männertreu f. Eryngium campestre: ziemlich allgemein (A: Falsche Zungen). Namensübergang.

Dazu kämen noch mit einem Verbreitungsgebiet in der Eifel: Hundsmilch f. Euphorbia cyparissias: allgemein (Wolfsmilch in Oberesch., S.,

Roden). Eifel; Ostpreussen. Taubenkropf f. Fumaria off.: Buch., Gau.. 0., Hb., Bü. Vgl. Brunfels 1530 u. a.

Eifel: Taubenkerbel. Übergang von Silene inflata?

b) Unter franken -Schwaben-Schweiz.

Haschläffa (Ha = Heu) f. Anemone pulsatilla: allgemein; entstanden aus Had-

schläffa = Heidesschleife; vgl. Hädelschläffer in Steinfeld (Ufr.). Schwaben:

Heuschlafen; wohl falsch verhochdeutscht. Neunuhrblümle f. Anagallis arvensis: Oberesch., S., 0. Gö: Vieruhrblümle,

sonst unbenannt. Augsburg: Neunerblümle, Neunerle; Schweiz: Nüniblümli. Kühschlutten f. die Blätter von Colchicum autumnale: allgemein. Henneberg;

Elsass: Kühdutten. Schafschwanz f. Equisetum arvense: allgemein. Luzern, Bern: Schafheu;

vielleicht aus Schaft -heu. Ge weißte (erg. Dörner) f. Ononis spinosa: S., 0., Hb., Bü., M., A., Gö., Oberesch.

Schwaben: Weiße; Berner Oberland: Weißei, Whigste, Witschge u. Wüste; Österreich: Weixen.

Fünffingerkraut f. Potentilla reptans: S., 0., Hb., Oberesch., sonst unbenannt. Cordus 1561 u. a. Berner Oberland, St. Gallen b. Werdenberg. f. Poten- tilla verna: Tirol im Pongau.

Göckersschwanz, -kämm f. Salvia pratensis: Altb., Buch., Bo., Bü., A. Memmingen: Gockeler. Vgl. f. Salvia sclarea, mhd. hancam. f. Pedi- cularis palustris (Übergang möglich): Ostfriesland: Hahnekaram, -kopp.

Blutströpfchen f. Sanguisorba off.: allgemein; Tabernaemontanus 1588. Baireuth; Thüringen: Blutkraut; Ostpreussen, Sachsen. f. Adonis aestivalis: Bern,

1) Von den östlichen Kolonialgebieteii sehen wir ab.

2) D. h. in den durchforschten Ortschaften ist dieser Name allgemein gebräuchlich.

Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1910. Heft 1. Q

34 Ziegler:

Graubünden, Toggenburg. f. Anagallis arvensis: Sommerfeld. f. Ane- mone vernalis: Appenzell. f. Nigritella angustifolia: Schwaben: Blutblümlein; Tirol: Blutkraut; Kärnthen: Bluttröpfl, -nägerl. Der Namensübergang konnte leicht geschehen, da diese Pflanzen nicht überall verbreitet sind.

Ringelbüsch f. Taraxacum off.: allgemein (Buch: auch Kettenblume; A: auch Kühblume; Gö., Roden: Gänsbüsch). Henneberg: Ringelstöck; Bern: Ringelblume, Ringeza. Vielleicht auch Namensübergang von Calendula off.

Geißbart f. Tragopogon pratense: Oberesch., Buch., Hb., Bü., M., A: Geißrailch (Bo: Zuckerstengel). Schwaben, Pongau, Zillertal. Der gleiche Name f. Eriophorum, Spiraea aruncus u. a. beruht auf verschiedenen Vorstellungen.

Tagenächtli f. Viola tricolor: allgemein. Ulm, Memmingen. Viele Namens- übergänge; die Verbreitung des Namens durch die Zierpflanze ist möglich.

Schafmüulli f. Valerianella olitoria: allgemein, ausser Hf: Ackerlessalat (Splitter), Erlebach: auch Mäusöhrli (Splitter); Aschaffenburg, Würzburg, Schwaben, Schweiz.

Fleischblume f. Capsella bursa pastoris: S., W., Oberesch. f. Anemone nemorosa: 0, Buch. f. Cardamine pratense: A., Gö., E: Schweiz. f. Stachys betonica: Eifel b. Dreis. f. Lychnis flos cuculi: Bern, St. Gallen, Eifel, Schlesien, Unterweser. Der Name ist zu unbestimmt, daher die vielen Übergänge. Dieser und die folgenden Namen kommen auch im Eifel- gebiet vor.

Taubenkropf f. Fumaria off.: Buch., Gau., 0., Hb., Bü. Eifel: Taubenkerbel.— f. Silene inflata: M., Roden. Gesner 1541 u. a. Chur: Taubenspeck; St. Gallen b. Werdenberg: Tubaknopf.

Storcheschnabel f. Geranium, Erodium: allgemein, mhd. Bern, Eifel, Siebenbürgen. Vgl. Mecklenburg: Adebarsnavel ; mnd.: Kranekensnavel; Schlesien: Ackerschnabel.

Scheissmilde f. Chenopodium album, Atriplex: allgemein. Gesner 1541 u. a. St. Gallen: Schissmalter; Eifel: Schissmell; Schlesien: Schissmölten.

c) Unterfranken-Schwaben-Schweiz-Eifel-Thüringen- Altmark.

Gänsblümli f. Bellis perennis: allgemein. Eichstädt; Graubündten, Entlibuch: Gänsegisseli; Göttingen: Gänsekraut; Schlesien b. Lauban, Glogau. Dazu gehört wohl auch: St. Gallen a. Rh. u. b. Werdenberg: Gaisblümli; Zürich: Geissblümli; Aargau: Geisgisseli.

Gänsblume f. Chrysanthemum leucanthemum: allgemein. Brunfels 1530 u. a. Memmingen, Augsburg; Schaffhausen: Geissblume; Zürich: Geisselblume; St. Gallen b. Werdenberg: Gasblume.

Herrgottsschühli, -schuckeli, -töffeli f. Lotus corniculatus: Bo., Buch., Hb., Bü., M., Gau, Roden: Muttergottesschühli; A. f. Lathyrus silvestris. Bern, St. Gallen b. Sargans, Memmingen, Augsburg; Eifel b. Dann, Dreis, Kerpen, Uelmen. f. Cypripedium calceolus: Henneberg; St. Gallen, Bern; Siebenbürgen. f. Pritillaria montana: Siebenbürgen b. Gross -Alisch. f. Orchis latifolia: Eifel b. Dreis. Zu dieser Namengruppe gehört auch:

Muttergottes-, Frauen-, Mariaschühli f. Lotus corniculatus: St. Gallen b. Sargans, Werdenberg; Luzern, Bern, Aargau; Ulm; Tirol im Pongau, Pinz- gau; Sachsen b. Leipzig. f. Cypripedium calceolus: Appenzell, Luzern,

Die deutschen Volksnamen der Pflanzen. 35

Bern, Graubündten. Aargau: Jungfernschuh, Pantoffeln. Elsass; Ulm: Marien- schuh u. Pfaffenschuh; St. Gallen b. Sargans: Pfaffaschüali; Thüringen, Harz; Mark Brandenburg, Pommern, Preussen. f. Anthyllis vulneraria: Luzern, Bern. f. Corydalis cava: Elsass, Thüringen. f. Melilotus off.: Gesner 1041 u. a Appenzell, Vierwaldstätte, Zug, Zürich. f. Polygala chamae- buxus: Obertoggenburg. f. Primula off.: Bern. f. Viola tricolor: Tirol im Pongau.

Erdweizen f. Melampyrura arvense: allgemein (W., S., Buch., M.: wilder "Weizen ; Gau.: Wachtelweizen, Armeleutskorn ; Bü. : welscher Weizen). Nemnich 1793: Erdweizen. St. Gallen b. Obertoggenburg: Chuaweizä; Österreich: Huudsweiz, Taubenweiz: Eifel b. Kerpen: Katerweizen; Siebenbürgen: Kadder- weiz; Thüringen: Wachtelweizen; Schlesien: Kuh-, Wachtelweizen.

Jüdehechel f. Ononis arvensis, spinosa: Gau., Altb., Buch., Oberpleichfeld. Hauhechel: Cordus 1534 u. a. Berner Oberland: Hechelkraut; ebenso Siebenbürgen, Mecklenburg; Altmark: Hackel.

Klitsche f. Papaver rhoeas: allgemein. Cordus 15G1. Henneberg: Klitsch- blume; Würtemberg, Thüringen: Klatschrose; Altmark: Klaotschen.

Wegtreter f. Polygonum aviculare: allgemein. ahd. wegatreta. Luzern, Bern; Altmark; Schlesien: Wegelauf.,— f. Plantago major; ahd. wegatreta. Göttingen, Mecklenburg.

Märzenblümchen f. Tussilago farfara: Bü., Hb., Bo., 0., Buch. Schweiz, St. Gallen, Göttingen, Schlesien. Zu allgemein, daher viele Namensüber- gänge.

Bärtatze, -tatsche, -tlatsche, -läppe f. Heracleum Sphondylium: Oberesch., Buch., 0., Bo., Gö., Roden. Gesner 1541 u. a. Vierwaldstätte, Zürich, Zug, Würtemberg, Kärnthen; Göttingen: Bärenwörtel; Ostpreussen: Barn- kraut.

d) Namen mit noch grösserem Verbreitungsgebiet.

Schafgarbe f. Achillea millefolium. Rodel f. Agrostemma Githago. Gänseri f. Potentilla anserina. Schlüsselblume f. Primula veris. Kälberskern f.Anthriscus cerefolium (Volksetymologie aus Kerbel =cerefolium?). Schellkraut f. Chelidonium majus (Arzneipflanze). Kansbüsch (=Johannis- büsch) f. Chrysanthemum segetum. Maiblume f. Convallaria majalis. Möralle f. Daucus carota (= Möhre). Zinnkraut f. Equisetum arvense. Muttergottesbettstroh f. Galium verum u. Hypericum perforatum. Brunnenkresse f. Nasturtium offlcinale. Vergissmeinnicht f. Myosotis palustris. Hahnefuss f. Ranunculus. Sauerampfer f. Rumex acetosa. Hederich f. Sinapis arvensis. Königskerze f. Verbascum Thapsus. Bei- fuss f. Artemisia vulgaris. Rittersporn f. Delphinium consolida. Wolfs- milch f. Euphorbia. Seide f. Cuscuta Europaea. Dousede, Doust (=Dost) f. Origanum vulgare. Wegwarte f. Cichorium Intybus. Tausendgülden- kraut f. Erythraea centaurium (Arzneipflanze). Judendocke f. Physalis Alkekengi.

Erlanffen.

36 Dörler:

A olkslieder aus Tirol.

Gesammelt von •}- Adolf Dörler.

Die folgenden Lieder und Sprüche sind 1896 von dem 1902 ver- storbenen Professor Dr. Adolf Dörler^) in Tirol aufgezeichnet v^^orden. Da wir nur eine beschränkte Zahl von Texten abdrucken können, geben wir ein alphabetisches Verzeichnis sämtlicher Anfänge (114 Nummern) mit den nächstliegenden Verweisen^) und eine Auswahl der wichtigsten Stücke. J. Bolte.

Ach die warmen schönen Stunden (5 Str.). Abschied Liebender.

Ach, muss ich denn allein davon (10). Unten nr. o3.

Ach, wie viele schöne Sachen (8). Auswandrerlied. Str. 5 beginnt: Jetzt ist die letzte Stunde da. Meier, Scllwäbische VI. 1855 S. 257. Erk-Böhme 2, 596 nr. 795. Marriage S. 127. Gassmann S. 80. Heeger-Wüst 2, 235 nr. 323.

Als der liebe Gott die Welt erschaffen (3). Erk-Böhme 3, 54G nr. 1760. Kohl, Heit. Vg. S. 103. 5 An einem Bach, der rauschend schoss (10). [Lossius 1781.] Böhme S. 479. John nr. 95.

An einem schönen Sommertag, als ich (6). Erk-Böhme 2, 338 nr. 517. Oben 15, 261. John nr. 49.

An einem schönen Sonntag, wohl zeitlich (4). Kohl nr. 35.

Anno neun da bin i gstanden (7). Nicht bei Arnold und Wagner, Achtzehnhundert- neun (Wien 1909).

A Stötzel und a Melterl (12). Erk-Böhme 2, 375 nr. 551. Greinz-Kapferer 2, 85. Köhler nr. 105. Heeger-Wüst.l nr. 113. 10 Auf, frisch auf, ins Schlachtfeld lasst uns ziehn (5).

Auf, ihr Brüder von der Infanterie (6). Erk-Böhme 3, 212 nr. 1329. Oben 15, 262: 'Frisch auf, ihr Brüder von der Atalarie'.

A Weiberl haben ist a Freud (8). Der Herr vom Haus.

Bauer, kaf mir mei Stierlan o (4). Kohl nr. 175: 'Geah' . . .

Bein Nächbar Klaus häb i a Schuld (6). Der lustige Wenzerl. 15 Bein Dianal an Fenstarl (12). Missglücktes Fensterin.

Bein Dörfl steaht a Hüttl drobn (12). Der schüchterne Bua.

Danket Gott :,: teure Christen, für die Gnaden (2).

Der Bergmann im schwarzen Gewände (4). Böhme S. 457. Hruschka S. 250. Gassmann S. 116.

1) Vgl. oben 16, 278.

2) Böhme, Volkstümliche Lieder (1895). Erk-Böhme, Liederhort (1893—1894). Gassmann, Das Volkslied im Luzerner Wiggertal (190<i). Greinz und Kapferer, Tiroler Volkslieder 1—2 (1889-1893). Hruschka-Toischer, Deutsche Volkslieder aus Böhmen (1891). E. John, Volkslieder aus dem sächsischen Erzgebirge (1909). Kohl, Echte Tirolerlieder (1899); erste bis dritte Nachlese (1900—1907); Heitere Volks- gesänge aus Tirol (1908). Köhler-Meitir, Volkslieder von der Mosel und Saar (.1896). Marriage, Volkslieder aus der badischen Pfalz (1902). Schlossar, Volkslieder aus Steiermark (1881). Süss, Salzburgische Volkslieder (1865).

Volkslieder aus Tirol. 37

Der Besenbinder insgemein (3). Unten nr. 12. 20 Die Baiern und d'Antn (2). Unten nr. 6. Die Unschuld bringt Freude (8). Ehstand bringt Wehstand (7).

Ei du schöne, süsse Nachtigall (3). Kohl, erste Nachlese nr. 7. Ei ei ei, wie leben jetzt die Leut (12). Unten nr. 24, 25 Ein Fräulein hochgeboren (10). [Pfeffel 1779: 'Eine Heldin wohlerzogen']. Köhler-Meier nr. 15. Meier, Kunstlieder im Volksmunde 1906 S. 13 nr. 83. John nr. 5. Ein Krieger schnallt mit Bangen (5).

Ein Schiffer schlägt das Ruder (14). Der Schiffer und sein Schatz. Entam Bach fliegn die Taubn (5). Unten nr. 3.

Er geht geschwind nach London (Leben Napoleons III. für Solo und Chor. Anfang fehlte 30 Es regelet, es schneielet (8). Unten nr. 4.

Franzerl, i bitt di, schau mi heut nit an (5). Kohl, Heitere Vg. S. 61. Greinz-

Kapferer 1, 32. Geahn mer nach Boarn naus (4). Unten nr. 10. Geahts, lassts euk derzählen (4 + 9). Unten nr. 25. 26. Graf Radetzki, edler Degen (6). Erk-Böhme 2, 179 nr. 362. 35 Guete Nacht, sagts Diendl zu ihm Bue (8).

Heiiges Kreuz, sei hoch verehret (3). Str. 1 bei Gabler, Geistl. Volkslieder 1890

nr. 178. Heinrich schlief bei seiner Neuvermählten (11). [Kazner 1779]. Böhme S. 115.

Meier, Kunstlieder 1906 S. 20 nr. 131. Gassmann S. 20. John nr. 8. Herr Franzi, heut wünsch i a guten Tag (13). Beichte der Sennerin. Greinz-

Kapferer 1, 17. Heut, Baur, sein mer ach amal do (4). Cnten nr. 30. 40 Heut ist die erste Klöpflnacht (2). Unten nr. 28.

Heut scheint der Mond so schien (4). Hruschka S. 178. Hin zum Strand des Meeres ziehen (3). Abschied von Tirol. Hott mein Rössl, hott mei Braun (2). Unten nr. 22. Ich bin ein armer Knabe (5). 45 Ich bin ein wahres Kraftgenie (20). Schneider und Schuster.

Ich hab ein kleines Hüttchen nur (14). [Gleim 1775.] Erk-Böhme 2, 337 nr. 516.

Meier, Kunstlieder 1906 S. 25 nr. 158. John nr. 101. Ich hab einst ein Mädchen gehört (15). Unten nr. 20. Ich hab halt a paar kohlschwarze Rappen (11). Hruschka S. 262. Ich tret herein recht knödelfest (4). Unten nr. 29. Ihr Herreu Kameraden, wo nehmt ihr das Geld (5). Unten nr, 8. Im Schlosse zu Schönbronnen (6). [Saphir 1832.] Köhler-Meier nr. 294. In meiner Stubn do geht der Wind (10). Unten nr. 17. I und mei Alte allsan (2). Unten nr. 18. I woass noch ganz gut, wie der Vater hat gsagt (6). Jetz, Gietsche, ietz werd i (6). Unten nr. 15. Jetz, Joggl, steah gschwind auf (7). Unten nr. 24. Jetz, Leutlen, geats her (10). Jungfernfahrt ins Sterzinger Moos. Greinz-Kapferer

2, 65. Jetzt ists schon bald ein Jahr vorbei (23). Rekrutenklage. Jetzt los, sei ruhig und fein (14). Greinz-Kapferer 2, 70. Jetzt kimmt die lustige Fasnachtzeit (7). Das faule Weib. Oben 10, 203. Vgl.

Kohl, Tiroler Bauernhochzeit S. 207. Jetzt müess mer hoamwarts ri ra reisen (5). Oben 15, 271: 'Nach Ungarn'. Juhe, des is a Lehn (11). Brautexameu. Jungfrau sein war schun recht (4). Kohl nr. 164, 3.

50

60

38 Dörler:

Kimm i hear übarn Brennar (10). Unten nr. 14. 65 Kleine Blumen, kleine Blätter (12). [Goethe 1771.] Böhme S. 309. Meier, Kunst- lieder S. 31 nr. 192. Er. Schmidt, Charakteristiken 2, 177, Gassmaun S. 30. Kloan darf sie nit sein (4). Unten nr. 2.

Komm zu mir an den Schatten (5). Erk-Böhme 2, 355 nr. 530. Kommt nur her zu meinem Standel (7). Unten nr. 13. Lustig ists Buebnlebn (4). Unten nr. 19. 70 Mein freies, mein eigenes Leben (10). Der Hagestolz.

Mein Schatz, warum so traurig (4). Vgl. Schweizerisches Archiv für Volkskunde

11, 5G. Menschenkinder, schaudert nicht zurück (7). Der Totengräber. Merkt fleissig auf, mein frommer Christ (4). Unten nr. 31.

Muss ich jetzt in Trauern leben (11). Erk-Böhme 2, 523 nr. 722: 'Ach in Trauern'. Heeger-Wüst 2, 80 nr. 203. 75 Nachtn auf d'Nacht (14). Kohl, Tirolerlieder nr. 102. Greinz-Kapferer 1,62: 'Jatz hat mir mein Diandia'. Schlossar S. 384 nr. 346. Nur kurz und gut [will] schweigen stille (8). Unten nr. 7.

Nur, nur noch einmal in meinem ganzen Leben (12). Böhme S. 203. Meier, Kunst- lieder S. 79 nr. 505. Gassmann S. 81. 0 des verwegni Hennenvolk (6). Kohl, Heitere Vg. nr. 44. O du mei liebe Alte (9). Kohl, Heitere Vg. nr. 40. 80 0 Hearr, o schick mir zua (7). Kohl, Tirolerlieder nr. 164: '0 Gott, schick mir decht zu'. Greinz-Kapferer 2, 100. 0 Leutein, was i ietz derfahrn (13). Unten nr. 16.

S Bettelweibele hat a Häusl kaft (7). Vgl. Erk-Böhme 2, 694. 686. Süss S. 63. Schatz, mein Schätzelein, reise nicht so weit von mir (8). Erk-Böhme 2, 570

nr. 766. Hruschka S. 145. Köhler nr. 251. Gassmann S. 67. Oben 15, 261. Schenke mir ein Angedenken (3). Unten nr. 5. 85 Sennerin, schau, dunkel wirds (6). Anders als Schlossar S. 200.

Sieh, 0 Deutschland, ich muss marschieren (5). [Arndt vor 1814: '0 du Deutsch- land!] — Erk-Böhme 3, 244 nr. 1375. Meier, Kunstlieder S. 40 nr. 242. S Liedl ist gsungen (5). Unten nr. 27. Sobald is denn auf die Almen geah (10). Greinz-Kapferer 1, 169 'Bei meinem

Schatz' und 2, 140 'Und im grünen Wald'. Stets in Traurigkeit muss ich leben (4). Erk-Böhme 2, 523 nr. 722: 'Ach in Trauern'. 90 Stumpfeter Besn (3). Unten nr. 23.

Über die Almen schreit das Duanal (3). Greinz-Kapferer 1, 149. Und i bin halt a junger lebfrischer Bua (6). Die gebannten Jäger. Greinz- Kapferer 2, 137. Unermüdet stets im Jagen (3). Von Seirain sein mir ausser (7). 95 Warum sollt i denn Durst leidn (5). Unten nr. 9. Was die Leut nit dertrachtn (6). Die jetzige Welt. Was gibts doch für mancherlei Sachen (6). Das ellenlange Gesicht. Was macht der Jagerbue (4). Greinz-Kapferer 1, 13.

Weint mit mir, ihr nächtlich stillen Haine (11). [Ratschky?] Böhme S. 116. Meier, Kunstlieder S. 49 nr. 301. Oben 16, 263. Gassmann S. 73. John nr. 19. 100 Wenn die Soldaten durch die Stadt marschieren (3). [Cosmar 1839.] Meier, Kunstlieder S. 50 nr. 306. Wenn i die Welt zum Spiegel nimm (9). Der Weltspiegel. Wer die alte deutsche Treu und Redlichkeit ((!). Das Felsenland Tirol. Wer Wunder sucht und Zeichen will. Unten nr. 32. Wie schön ists in dem Himmel (5). Unten nr. 1. 105 Wie sehr wird euch dies Lied gefallen (11). Unten nr. 21.

Volkslieder aus Tirol. 39

Wie wird mir mein Herz so schwer (5). Der Deserteur. Vgl. Erk-Böhme 3, 261

nr. 1393 'Zu Strassburg auf der Schanz'. Kohl, dritte Nachlese S. 46 nr. 27. Willst du wissen meine Schmerzen (15). Oben 16, 266: 'Möchtest du'. Wir Deutschen, wir ziehen in das Feld (4). Vgl. Erk-Böhme 2, 176 nr. 359: 'Herzog

Oels der tapfre Held'. Parisius, Deutsches Museum 1857, 1, 708 Wir kommen vom Gebirg (5). 110 Wir leben sehr zufrieden in unserm Oesterreich. Das neue Mass und Gewicht.

Wo ich geh und steh, thut mir mein Herz so weh (4). [Schosser 1849.]

Böhme S. 397 nr. 531. Meier, Kunstlieder S. 54 nr. 330. Wo tut man die Säufer begraben (4). Unten nr. 11 Zehn Uhr schlagts, nun gute Nacht (6). Wichner, Stundenrufe und Lieder der

deutschen Nachtwächter 1897 S. 46. Zuagst häb i amäl den ganzen Tag gmahnt (6). Der z'nichte Bauemknecht,

1. Beim Fensterin i).

1. Wie schön ists in dem Himmel, Dass ich hai gestern Abend spat

Wie kühl ists auf der Erd! Ein andres Schätzle ghabt?

Ei du mein herzigs Schätzelein, , t^ i- ,

cn u e A i \. I 4. 'Es ist dir keine gut genug,

Steh auf und lass mich ein! ^ , , . ,. ,,

Es tut dir keine gfallen.

2. 'Ich stehe dir nicht auf, Wenn du eine schönre willst.

Ich lasse dich nicht ein. So lass dir eine malen!'

Hast du nicht gestern Abend gsagt, - o ,• ,_ r

T^, „„• , . o, 0. So heb mir mein Leben ist,

Du seiest nimma mein.'^ c^ •, o,

So lieb ist mir mein Schatz,

3. Wer hat es dir schon plauderlet? Und wenn er auch gestorben ist. Wer hat es dir schon gsagt, So lieb ich noch den Platz.

2. Wie die Braut sein soll.

1. Kloan darf sie nicht sein, Denn ich selber bin kloan, Sonst würden wir auf die Letzt Unter die Zwergl versetzt.

Es ist aber währ, was gab denn des o, wenn so a kloans Weibl heiraten tat? Die Kinder wurden immer kloaner, immer kloaner, und auf die Letzt wurden sie so kloan, dass man sie gar nimmer sehen tat, nur ein wenig schreien höret. (Jodler:) Trillalla, trillalla, trillalla, trillalla, jux auf der Alm.

2. Jedoch wäre sie zu gross. Das gab mein Charakter an Stoss; Denn folgt ich ihr nicht.

Dann prügelt sie mich.

Es ist aber währ, was gab denn des o, wenn so a kloans Mandl so a groasses Weibl nehmen tat? I müsst nach ihrem Pfiff tanzen, und folgte

1) Str. 1—3 auch in J. Grimms oben 18, 84 erwähnter Handschrift, mit der 4. Strophe: Was ist dirs dann um einmal, | was wird dirs denn drum seyn! ] Und wenns ja wirklich geschehen war, | so sollts dir nicht drum seyn. Zu Str. 1 2 vgl. Hruschka S. 178 und Schlossar S. 208 nr. 180, 10; zu Str. 2 Erk-Böhme 2, 387 nr. 560, 2 und 628 nr. 821, 2 und Heeger 2, nr. 369.

40 Dörler:

ich ihr nicht, dann prügelt sie mich, dann bleibt mir nichts anderes übrig, als ich sing an Jodler: trillalla, trillalla, trillalla, trillalla, jux auf der Alm.

3. Jung, jung, jung, recht schön, Ei, da möcht i vergehn,

Und war sie auch reich, juhe,

A solche, die möcht i wohl gleich.

Es ist aber währ, a junge, a schiene, die liess i mir schun einreden, und wenn sie a Geld a no hatt , i wisset mir schun beiläufig oane, aber mit dear häts an Fäden, die mag mi nit. Weil gestern zu nachts bin i zu ihr in Hoangert gangen, dann hat sie gsagt: 0 liebes Schatzerl, di hab i gern! Dann drahnt sie sich um und singt an Jodler: trillalla, trillalla, trillalla, trillalla, jux auf der Alm.

4. Alt, alt und recht reich, A solche möcht i wohl gleich; Das Geld gehöret dann mein, juhe, Es könnt ja nicht schöner sein.

Es ist aber währ, an alte, a reiche liess i mir a no einreden; die stirbt wolten bald, und das Geld gehöret dann mein, aber hinter der Bahre nachi wur's ja amal hoassen zu weinen! 0, wenn i mei Weibl erlebet! aber i denk mir doch allweil an Jodler: trillalla, trillalla, trillalla, trillalla, jux auf der Alm.

3. Trutzliedlein.

1. Entarn Bach, entarn Bach När ziihl i mein Diana],

Fliegn die Taubn, Sie boat [wartet] schun läng harscht [hart].

Und ietz muess is giehn ummi ^ tt j i j. l » -t u ^

, ^ 4. Und heut giehm mers gar mt hoam.

Die Fedarn aufklaubn. , -i i e ■r.u

Und morgn a no mt z trueh,

2. Die Fedarn sein aufklaubt, Und 'n Vätern sei Weckar Sein obn auf 'n Huet, Geaht oanerwegs nie.

Und ietz mächt i gern wissn, ^ ^^^^ ^^.^ ^^^^ ^p^^ ^^j. ,^ ^^^^^

Wear mers ohar dertuet. g^^^^.^ ^^^^^ ^^^ ^^^^^

3. Und heut is Kirchsunntäg, Und die Mentschar sein schläfrig.

Und morgn is Märscht [Markt]. Geahts, Buabn, giehn mer zrugg

4. Ein gleiches.

1. Es regelet, es schneielet, 2. Jetz ist er hält wohl kämmen.

Es geaht a kälter Wind. Was hat er mir denn brächt?

Mei Väter ist in Oberland, An Ringal in Finger,

I woass nit, wenn er kimmt. An Branntwein in Glas.

3. 's Ringal ist derbrochn, Der Branntwein ist gsoffn. Der Kas ist no ganz, Jetz, Dienal, geah hcar, nor tien mer an Tanz!

Volkslieder aus Tirol.

41

5. Lebe wohF).

1. Schenke mir ein Angedenken! Deine Lieb sollst du mir schenken, Denn das Schicksal ist gewiss. Lebe wohl und vergiss mein nicht! Und es ist halt so schwer voneinander

zu gehn, Und so lebe wohl auf das Wiederura-

zusehn, Lebe wohl, lebe wohl, mein Getreuster, Lebe wohl und vergiss mein nicht!

2. Könnt es einst der Fall ge-

schehn,

Dass wir einander nicht mehr sehn, So sehn wir einander vor dem Welt- gericht. Lebe wohl und vergiss mein nicht! Und es ist halt so schwer . . .

3. Hier und dort in fremdem Lande, Allwo der Freundschaft Liebesbande, Wo die treue Freundschaftsliebe

spricht, Lebe wohl und vergiss mein nicht! Und es ist halt so schwer . . .

6. Bruchstück eines Franzosenliedes.

l. Die Baiern und d' Antn, Häbts uns a alls zämm gstohln; Jetz möcht enk der Teufel Lebendig glei holn. Er holet enk wohl, Aber d' HöU wur 'n z' voll.

2. Es häbts enk sogar Über 's Heiligste traut, Die Tiirn eingschlägn. Die Fenster einghaut, 's Ciborium gstohln. Ist wohl des a Reschu [Raison]? Koa Türk hatt's nit tu.

7. Soldatenleben.

1. Nur kurz und gut [will] schweigen still, Denn ein Soldat muss leiden viel;

Hitz und Kälte muss er ertragen, Hunger, Durst und andre Plagen. Für alles das und noch viel mehr Gibt der Soldat sein Leben her.

2. Des Morgens früh, wenn der Tag anbricht, Der Korporal in das Zimmer tritt:

'Guten Morgen, meine Herrn, Auch 's aller beste soll ich gebieten: Zieht euch nur hübsch und sauber an! Es kommt der Herr Hauptmann heran'.

3. Des Morgens früh, wenn die Sonn aufgeht Und der Soldat auf dem Exerzierplatz steht,

Da heisst es bald dies, bald jenes putzen. Da darf er ja kein Wort nicht trutzen; Trutzt er nur ein einzigs Wort, So heisst es gleich: Marsch mit ihm ins Loch!

1) Vgl. Erk-Böhme 2, 5S3 nr. 782 c: 'Morgen will mein Schatz abreisen'. Köhler- Meier nr. 173: 'Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer'. Gassmann nr. 88: 'Schenke mir das Angedenken'. Heeger-Wüst, Volkslieder aus der Rheinpfalz 2, 221 nr. 3U.

42 Dörler:

4. Der Geldtag, der kommt auch herbei, Dort soll man hören das Geschrei.

Kaum hat man das Geld empfangen,

Kommt der "Wirt schon gleich herbei,

Und die Wäscherin will auch bezahlt sein.

5. Man sieht den Feind schon aufmarschieren. Und die Soldaten einquartieren.

Mein Bruder ist schon lang erschossen, Und es soll auch mein Leben kosten. Und soll ich auch mein Leben geben, So freut mich doch das Soldatenleben. Gibt es wohl ein schönres Leben Als das Soldatenleben?

6. In dem Soldatenstand Kann man vieles erleben,

Und verlassen muss man 's Vaterhaus. Fürsten, Grafen, grosse Herren Müssen jetzt zur Fahne schwören. Ist wohl ein Mensch auf dieser Welt, Dem dieses Leben nicht gefallt?

7. Wenn der Soldat muss exerzieren Und vor der Fahne stehn.

Da kann der Bauer fröhlich leben,

Mit seinen Kindern spazieren gehn.

Wenn die Kanonen krachen

Und uns nach dem Leben trachten,

Da sitzt der, Bauer zu Haus

Und isst sein Fleisch mit grossem Schmaus.

8. Hat der Feldzug geendet [schier]. Kehrt der Soldat zurück in sein Quartier; Da hat man nichts als Elend und Not Und auch im Hause kein bisschen Brot. Man sieht ihn viel lieber gehn

Und vor dem Feinde im Feuer stehn. Einen solchen Dank hat der Soldat, Der für sein Vaterland gestritten hat!

8. Soldateuschicksal^).

1. Ihr Herren Kameraden, wo nehmt ihr das Geld? Wir müssen marschieren ins weite weite Feld,

Wir müssen marschieren dem Feind entgegen. Damit wir können den Pass ablegen.

2. Wo sind denn unsere Herrn Offizier, Die uns das Volk zusammen ranschier?

Es ranschiert sich ein jeder nach seinem Ort, Wir müssen marschieren, wir müssen fort.

1) Vgl. Köhler-Meier nr. -JS-J: 'Wir tapfren Soldaten'. Erk-Böhme 3, 201 nr. 1317. Gassmaun nr. 150.

Volkslieder aus Tirol.

43

3. Wir haben keine Betstunden angestellt, Es betet ein jeder, was ihm gefällt; Befehlen wir uns alle dem lieben Gott, Wir müssen marschieren, wir müssen fort.

4. Und als das Bataillen vollendet war Und einer den andern sterben sah,

Spricht einer zu dem andern: 'Ach Jammer, ach Not, Mein bester Kamerad ist geschossen tot!'

5. Wer eine Frau bei sich will haben.

Der darf sich ja fürwahr nicht ins Feld hinaus wagen. Er darf sich ja nicht fürchten vor Pulver oder Blei, Dem Kaiser muss er dienen beständig getreu.

9. Trinklied.

1. Warum sollt i denn Durst leiden? Da war i a Narr;

Bin i lustig, so trink i, Bin i traurig, schon gar.

2. Hab zweierlei Flaschn, Is a jede von Glas;

Für Freud ane, für Leid ane. Haltet jede a Mass.

3. Steh i mit mein Diandl Bald aso, bald aso.

So bleibt mir nix übrig. Als i trink alle zwo.

4. Der Mensch hat an Geist, Hat der Schullehrer gsagt; Und dass der Wein au an hat, Han i selber derfragt.

5. Und wenn die zwoa raufn. Da hats fast 'n Schein,

Als wenn halt der Weingeist Tat der stärkere sein.

10. Verschiedene Getränke^).

1. Geahn mer nach Boarn naus! Do ist das Bier zu Haus.

Der edle Gerstensaft

Der macht den Gliedern Kraft,

Weil er im Glas so schien tut wellen.

Aber nur koa Wasser nit!

Na, na, des mag i nit;

Mei schwacher Magn

Kunns nit vertragn.

2. Geahn mer nach Ungarn nab! Do ist a gueter Schnaps,

Der edle Rebensaft,

Der macht den Gliedern Kraft,

Weil er im Glas so schien tut wellen.

Aber . . .

3. Geahn mer nach Welschland nein! Do ist a gueter Wein.

Der edle Traubensaft

Der macht den Gliedern Kraft,

Weil er im Glas so schien tut wellen.

Aber . . .

4. Jetzt ist der Schnaps gar. Jetzt ist das Bier gar,

Und der Wein tut nicht mehr wellen. Aber jetzt ist's Wasser guet; Des macht an frischn Muet. Mei Spitzbuebnmagn Kunn alls vertragn.

1) Ein ähnliches Lied hörte ich vor etwa fünfzehn Jahren in Goslar:

1. Getränke gibt es mancherlei Hier auf der weiten Welt; S gibt Bier, s gibt Wein, Champagner gar. Wer dazu hat a Geld. Und alle die Getränke die

Sind gut für meinen Magen, Aber nur ka Wasser net, Na, na, das mag i net; Mein schwacher Magen Kanus nit vertragen usw.

J. B.

44

Dörler: Volkslieder aus Tirol.

11. Der Saufkumpan').

1. Wo tut man die Säufer be- 3. Zun Tischlarbuebn hun i's schun

graben? gs^gt,

Wo tut man die Vollsäufcr hin? Er soll mer a Trühal [Sarg] mächa,

Ira Himmel hinein, wo St. Peter tut sein, Er soll mer oans macha und mala glei a

Und St. Peter brennt Enzlbranntwein. A Glasl auf meiner Truha.

2. Wo tut man die Säufer be-

graben? Wo tut man die Vollsäufer hin? Hinunter in Keller, wohl unter das Pass, Da hat er nit z' trocken und a nit z'

nass.

12. Die Besenbinder

4. Jetz hun i mein Schimmel verkaft, 's Geld, des hun i versaft, Der Wirt mit der Kreida, der kunn mi

guet leida, Der weard's wohl auf d' Wand aufi schrei ba.

1. Der Besenbinder insgemein Ist lustig und wohlauf;

Wir machen uns brav Beselein, Ein jeder einen kauft.

2. Die Bauern müessen schinden. Es weard decht koaner alt;

Und i geah Besen binden, Wells mir in besten gfallt.

3. Wenn mi die Läuse beissen, Ist glei a Mittel guet: 's Gwand von Leib weckreissen Und sengen in der Gluet.

13. Krämerstandel.

1. Kommtnur herzu meinem Standel, Gute Äpfel, Mausfalla, gutes Bier,

kauft nur ein Gute Birnen, Zwiebel, gute Knobel

Schöne Waren, Zuckerkanden, hübsch Und dazu ein Rettighobel,

und fein. Nudlabrett, Spiegelschnalla, Bohnastecken, ^ ^^^^^^^^ ^^^ Kanarienvögel,

Leberwurst und Apfelkräten, nllprhand

Fmgerrmg! Schöne Waren, Stiefelhölzer, Silbersand,

2. Nadelbüchsle, Makkaroni auch Gute Tintel, Rettigkörner,

dabei, Schöne lange Ochsenhörner,

Schneidernadel, Ziterone, Zwetschkebrei, Winterschuh.

Vorhängring und Feuerblasen, g^ ^^^^^^ ^^^^^^ ^^^^ ^^iber hab ichs

Budelkappa, Lederhosen, l-

Krautsalat, Fuchsenbälge, Brotreiber, Kuchegeschirr,

3. Öl und Essig, Pech und Spindel, Feine Handschuh, Wassertöpfe,

grüne Klee, Grosse, kleine Pfeifenköpfe,

Eisendraht und Hammerschlag, wie auch Schnupftabak.

Kaffee, Salz und Honig, Maltersäcke, Gute feine Schusterzwecke, Fetten Speck,

4. Milchhäfe, Butterballa, Wage- schmier,

7. Wollt ihr da noch weiter sehen, liebe

Leut, Kommt nur her zu meinem Standel, kauft

nur ein! Könnt ihr schon nicht gleich bezahlen, Könnt ihr auf die Woche sparen.

(Fortsetzung folgt.)

1) Vgl. oben 15, 270 nr. 17. Schlossar S. 215, Str. 1. (i. 7, Heitere Vg. S. 90 nr. 55, Str. 3. 4. G. 8.

Hruschka S.26G. Kohl,

V. Löwis: Eine Umformung der Gregoriuslegende im Kaukasus. 45

Eine Umformung der Gregoriuslegende im Kaukasus.

Von August V. Löwis.

Der Landstreicher aus dem Fluss.

Es war einmal ein mächtiger Zar. Nach dem Tode seiner Frau und der erwachsenen Kinder blieben von der ganzen Zarenfamilie nur er und seine zwei unmündigen Kinder, Tochter und Sohn, am Leben. Die Leute vom Hofe liebten den Zaren sehr und wollten nach seinem Tode das Herrschergeschlecht nicht mit einem anderen vertauschen, daher regierten sie das Reich selbst im Gedenken an ihn und im Namen der unmündigen Kinder. So wuchsen Bruder und Schwester zusammen auf, geliebt vom Hofgesinde; keinen Augenblick trennten sie sich, sie assen, tranken und schliefen miteinander. Am Ende verführte der Satan sie zur Sünde; die Schwester ward schwanger und gebar einen Sohn. Als sie ihre Ver- fehlung erkannt hatten, suchten Bruder und Schwester das Kind heimlich zu verderben, legten es in einen Kasten und warfen es in einen grossen Fluss. Danach wanderte der Bruder zur Busse nach Jerusalem, die Schwester jedoch blieb und verwaltete das Reich; der Kasten aber mit dem Kinde schw^amm den Fluss hinab, bald hier, bald dort an das Ufer stossend.

Lange trieb der Kasten, und endlich in fernem Lande geriet er in die Leit- rinne einer Mühle, und die Fahrt fand ihr Ende. Das alles begab sich zu Anfang des Frühlings. Der Müller wollte mit seiner Arbeit beginnen und machte sich daran, die Rinne vom Eise zu befreien, da erblickte er das Kindlein. Weil er selbst kinderlos war, begrüsste er den Findling mit Freuden und nahm ihn an Sohnesstatt bei sich auf. Als der Knabe heranwuchs, geschah es ihm oft während des Spiels mit Gefährten, dass er von ihnen den Namen bekam: „Der Land- streicher aus dem Fluss!" Das betrübte ihn, und er fragte den Müller, ob er wirklich sein Sohn wäre oder, wie seine Kameraden sagten, ein vom Wasser hergeführter Findling. Der Müller versicherte ihm, dass er wirklich sein Sohn, wäre; weil aber der Jüngling oft und von vielen den Namen hörte, lag er dem Müller beständig in den Ohren, dass er ihm die "Wahrheit sagen möge. Da er- zählte der Müller seinem Pflegekind, wie er ihn gefunden und in seinem Hause auferzogen habe. Als er die Wahrheit erfahren hatte, nahm der Pflegesohn Abschied von seinem Erzieher und machte sich auf, die Welt zu durchwandern^ um zu erforschen, welcher Herkunft er sei.

Lange wanderte unser Fremdling aus dem Fluss durch Dörfer, Städte und Länder und kam endlich in die Hauptstadt eines Zarenreichs, das von einer Frau regiert wurde. Der Zarin aber war es schwer, das ganze Reich zu verwalten^ und als das Volk dieses bemerkte, beschloss es, ihr einen Mann und sich einen Zaren zu wählen. Zu diesem Zweck versammelten sich eines Tages alle auf dem Platz der Hauptstadt und bereiteten die Wahl eines Zaren durch das Los vor. Man warf das Los. Es fiel auf den Herumtreiber-Pflegesohn. Mit Fragen nach seiner Herkunft und Beschäftigung bestürmt, erzählte das Pflegekind des Müllers seine Geschichte, wodurch er die Teilnahme aller Einwohner hervorrief. Allein ungeachtet aller seiner Vorzüge und seines Verstandes entschied das Volk doch^

46 V. Löwis:

dass der heimatlose Landstreicher weder den Thron einnehmen, noch in die Gemeinschaft [des Volkes] aufgenommen werden könnte, und darum erklärte man das Los für ungültig. Den Pflegling des Müllers entfernte man vom Platz und warf das Los von neuem. Das Los aber ging verloren und fiel auf keinen; dasselbe wiederholte sich ein drittes und viertes Mal; die Lose gingen abhanden. Da beschloss das Volk, den Pflegesohn in seine Mitte aufzunehmen und das Los noch einmal zu werfen. Der Fremdling aus dem Fluss w^urde auf den Platz gerufen, und das Los fiel abermals auf ihn. Voll Erstaunen über das Vor- gefallene, entschied das Volk, dass diese Wahl Gott wohlgefällig wäre, rief den Patriarchen und die Geistlichkeit und vollzog am Herumtreiber die Krönungs- weihe. Der neue Zar war sehr menschenfreundlich und mühte sich auf jede Weise um das Wohlergehen seiner Untertanen, die ihn liebten und seinen Ruhm in allen Landen verkündeten. Der Zar und die Zarin liebten einander sehr, sie lebten froh und glücklich und hatten zwei Kinder. Doch ward der Zar einst- mals gewahr, dass die Zarin aus einer Truhe ein Papier hervorholte und beim Lesen bitterlich weinte. Der Zar ward darauf aufmerksam, und er ging seine Frau mit Fragen an über das Gesehene. Die Zarin weigerte sich und sagte, sie habe in keinem Papier gelesen und habe nicht geweint. Da begann der Zar noch hartnäckiger die Zarin auszufragen, und als er nichts erreichte, forderte er von ihr den Schlüssel zur Truhe. Darauf erwiderte die Zarin, dass sie den Schlüssel verloren habe. Nun Hess der Zar das Schloss aufbrechen, und als er die Truhe geöffnet hatte, las er das Papier, in dem ausführlich berichtet war über die Sünde des Bruders mit der Schwester und folglich über seine eigene Herkunft, davon, wie er geboren und in einen Kasten in den Fluss geworfen worden war . . . Da erfuhr der Zar und die Zarin, in welchem Verhältnis sie zueinander standen . . .

„Obwohl die Sünde nicht durch unsere Schuld entstanden ist, dennoch ist es eine Sünde, und ich werfe das Zarentum von mir ab und gehe Ihn um Ver- gebung der Sünde anflehen, so lange es noch nicht zu spät ist; du aber tue, was dir gut dünkt!" sagte der Sohn-Zar. Und als er sich alte Bettlerkleider und -schuhe verschafft hatte, machte er sich auf den Weg, ohne darauf zu achten, dass es Winter war.

Lange war unser Landstreicher gewandert und hatte seine Pussbekleidung abgenützt, da gelangte er einst in der Nacht in eine ungeheure Steppe. Der Himmel war wolkenlos und schimmerte voller Sterne; in der Ferne aber sah der Wanderer dichten Nebel und ging auf ihn zu. Als er nahe herangekommen war, erblickte er ein reiches Haus, das am Meeresufer stand. Vom kalten Wind durchschauert, hungrig, mit zerrissenen wunden Füssen und von der mühseligen Wanderung völlig erschöpft, lehnte sich der Arme mit dem Rücken an die Wand, entfernt von der Haustür, und wartete, ob nicht jemand herauskommen würde, um sodann ein Nachtlager zu erbitten. Nach einigen Minuten öffnete sich die Tür, ein Diener warf Unrat heraus, schloss aber sogleich wieder die Tür, weil der Wind ausserordentlich stark war. Der unglückliche Wanderer rief dem Diener zu, dass er ihn für die Nacht einlassen möge, jener aber hatte wegen des Brausens die Worte nicht verstanden und berichtete nur dem Hausherrn, dass er vor der Tür, wenn nicht eine menschliche, so doch irgend eine andere Stimme gehört habe. Der Hausherr, ein Unglück befürchtend, sagte, dass die vernommene Stimme nicht einem Menschen zugehören könne, der Obdach suche, und befahl darum dem Diener, die Tür nicht zu öffnen, aus Furcht, dass Räuber das Haus überfallen könnten, um so mehr, als es ganz einsam am Meeresufer stand. (Der Hausherr war vom Zaren bestimmt, auf die Schiffe und den Fischfang acht zu

Eine Umformung der Gregoriuslegende im Kaukasus. 47

geben, und musste daher am Meeresstrand leben.) Der Diener aber, der sich bei den AVorten des Herrn nicht beruhigte, ging wiederum zur Tür, begann zu horchen und leise zu klopfen. „Barmherziger Mensch, rette mich! Ich komme um," glaubte der Diener zu hören; da ging er zum zweitenmal zum Hausherrn und erzählte, was er gehört hatte. Jetzt befahl der Herr dem Diener, zusammen mit noch einem von den anderen hinauszugehen und zu erfahren, ob dort wirklich nur ein Mensch und nicht viele seien, und wenn es einer wäre, ihn in das Haus zu führen. Die Diener taten also, und der Bettler wurde zum Herrn geführt. Im Gespräch mit dem Wanderer fand der Herr in ihm viel edlen Sinn und Ver- stand, trotzdem dass er barfuss und in Lumpen gehüllt war, und erfuhr aus der Erzählung sein ganzes trauriges Leben. Alsdann fragte der Gast den Hausherrn, ob er nicht irgendwo im Meer ein Inselchen wüsste, auf dem er sich niederlassen und die Zeit in Gebet und Busse verbringen könnte. Der Herr versprach, ihn auf eine solche Insel zu führen, zunächst aber reichte er ihm andere Kleidung und Schuhwerk und gab ihm Obdach für mehrere Tage; danach befahl er, ein Schiff mit Mundvorrat zu füllen, und fuhr mit seinem Gast auf dem Schiff zu jener Insel, von der er unserem Landstreicher aus dem Fluss erzählt hatte. Auf der Insel angelangt, stieg der Herr mit seinem Gast ganz allein ans Ufer und ging zu einer Höhle, wo unser Wanderer den Hausherrn zu bitten begann, er möge ihn in Ketten schmieden, den Schlüssel aber in das Meer werfen. Als der Herr seine Bitte erfüllt hatte, sagte der unglückliche Landstreicher, dass ihm von dem Augenblick an seine Sünden vergeben sein würden, wo der Schlüssel an die Oberfläche des Meeres emporsteigen werde. Der Hausherr hinterliess in der Höhle die notwendigsten Vorräte, verabschiedete sich von dem Ärmsten und fuhr auf dem Schiffe heim . . .

Es verstrichen seitdem viele Jahre, und vieles hatte sich auf der Erde ge- ändert, und vieles war vergessen; vergessen war auch unser Einsiedler. Da starb aber in einem Lande der Katholikos; das Volk und angesehene Leute suchten einen würdigen Nachfolger und konnten nirgend einen solchen finden. Da be- schloss man, das Los nach allen vier Richtungen zu werfen, zu dem Zweck, um von dort her den neuen Katholikos zu erwählen, wohin das Los fallen würde. Das Los wurde geworfen, verschwand aber; es fiel auf keine der vier Seiten; das gleiche wiederholte sich ein zweites und drittes Mal. Nun beschloss man, das Los so zu werfen, dass man erfahren könnte, ob der neue Katholikos auf dem Pestlande oder im Meere zu suchen sei; das Los wies auf das Meer hin. Das Volk wählte zwölf weltliche und zwölf geistliche angesehene Leute und sandte sie aus, den neuen Katholikos in allen Ländern zu suchen. Die Erwählten kamen auf ihrer Wanderung auch zu jenem Menschen, der den Einsiedler auf die Insel geführt hatte, und sprachen zu ihm: „Dir sind die Meere wohlvertraut. Weisst Du nicht eine Insel, auf der ein Mensch lebt, der würdig wäre, den Stuhl des Katholikos einzunehmen?" Jener entsann sich des Einsiedlers, den er auf die Insel geführt hatte, und sagte: „Vor vielen, vielen Jahren kam zu uns ein würdiger Mann, dem Aussehen nach ein Bettler, der bat mich, ihn auf irgend eine Insel zu fahren, damit er dort in der Einsamkeit zu Gott beten könne: doch weiss ich nicht, ob er noch lebt oder nicht." Darauf schlug er in seinem Gedeukbuch nach, wo er dieses ungewöhnliche Vorkommnis vermerkt hatte, und sagte, dass seit der Zeit bereits .32 Jahre verflossen wären. Dessenungeachtet beschlossen die Er- wählten, sich aufzumachen und den Einsiedler anzusehen; sie baten ihren Haus- herrn, sie auf die Insel zu fahren und ihnen den Einsiedler zu zeigen. Auf der Insel angekommen, befahl der Herr einem Diener, Fische zu fangen und einen

48 V. Löwis:

Imbiss zu bereiten. Er selbst aber ging mit den Erwählten zur Höhle, wo er zu seinem Erstaunen den betenden Alten und die Vorräte erblickte, die jener völlig unberührt gelassen hatte. Als der Alte den gewahr ward, der ihn einst be- herbergt hatte, freute er sich, umarmte und küsste ihn; die Erwählten aber küssteu dem Alten die Hände und eröffneten ihm den Zweck ihres Kommens. In diesem Augenblick kam einer von den Dienern des Strandaufsehers, übergab ihm einen Schlüssel und sagte, noch von Zweifeln erfüllt, dass er diesen Schlüssel im Bauche eines gefangenen Fisches gefunden habe. Da rief der Alte aus: „Gott hat mir meine Sünden vergeben. Führet mich, wohin ihr wollt!" Es war der Schlüssel, mit dem die Ketten des Einsiedlers verschlossen worden waren und der hernach ins Meer geworfen wurde. Darauf nahmen die Erwählten den Alten mit sich, und er wurde unter grossen Feierlichkeiten zum Ratholikos gewählt.

Er war ein gottesfürchtiger Katholikos; die Leute kamen aus verschiedenen Ländern in grosser Anzahl zu ihm, um seine Predigten anzuhören und Trost von ihm zu empfangen. Die Zarin, die seine Mutter und Frau gewesen war, kam ebenfalls zu ihm in der Hoffnung auf Vergebung ihrer Sünden, und er, ohne sich merken zu lassen, dass er sie kenne, erliess ihr die Sünden.

Es ist die Gregoriuslegende, die 'Geschiclite vom guten Sünder', die hier in neuer Einkleidung erscheint und, soweit mir bekannt, die einzige aus Transkaukasien stammende Variante ist. Aufgezeichnet ist sie in der Kolonie 'Bajan' (im Kreis Jelissavetpol, der hauptsächlich von Tartaren und Armeniern bewohnt wird) durch den Böttchermeister an der Michailov- schen professionellen [wohl Handwerk-] Schule genannter Ansiedluug P. Tonijev und veröffentlicht als erstes von vier Märchen^) in russischer Sprache im Sbornik mater. dl'a opis. mestn. i plem. Kavk. 9, 2. Teil, S. 184—189 (Tiflis 1890). Leider fehlen die Angaben, wann die Auf- zeichnung erfolgt ist und welcher Nationalität der Betreffende (ein Schüler?) war, von dem T. die Geschichte gehört hat. Es lässt sich nur die Vermutung aufstellen, dass die Aufzeichnung in der vorlieg^enden Form von einem armenischen Erzähler stammt, denn es wird (statt des Papstes in den Gesta Romanorum) hier der Katholikos eingeführt, eine Bezeichnung, die dem Patriarchen von Etschmiadsin, dem Oberhaupte der schismatischen armenischen Kirche als Ehrentitel gebührt; erwähnt wird einmal auch ein Patriarch (oben S. 46), der den Heimatlosen zum Zaren krönt.

Ein Vergleich mit den übrigen Fassungen und Bearbeitungen der

1) Nr. 2 'Der Kuhsohn', vgl. Afanas'ev, Nar. russk. skazki" Nr. 76 = A. Meyer, Russ. Volksmärchen 1905 Nr. 27. Sbornik mater. Kavk. 7, 1, 128—141. Nr. 3 'Der dank- bare Tote', vgl. R. Köhler, Kleinere Schriften 1, Register unter 'Toter dankbar', und die 'Belebung der Holzfigur', Benfey, Pantsch. 1, 489ff.; v. d. Leyen, Indische Märchen, Anm. zu Nr. 5. Nr. 4 'Gute Ratschläge kaufen', vgl. Sborn, sväd. o Kavk. gorcach 5, 1, 3, 77—78. Etnograf. Obozrenije 15, 1, 98£f. Nr. 1 (kirgis.) Sborn. mater. Kavk. 18, 3, 104— lOG (griecb.) u. 9, 2, 171— 174 (imerot.) Afanas'ev, Nar. russk. skazki»2, 292, Gesta Rom. c. 103. Seiler, Ruodlieb 1882 S. 45.

Eine Umformung der Gregoriuslegende im Kaukasus. 49

Legeude aus mündlichen und literarischen Quellen^) zeigt, dass die vor- liegende Erzählung der erweiterten Prosabearbeitung in den Gesta Romanorum Kap. 81 ^) am nächsten steht und mit ihr in den wesentlichsten Punkten übereinstimmt. Die Abweichungen betreifen weniger das sach- liche Detail und die Motive, als den Rahmen im weitesten Sinne und die besondere Abtönung und ümfärbung der kaukasisphen Erzählung. Die Eigenart dieser Veränderungen festzustellen und zu erklären, ist der Zweck dieser Abhandlung und soll im folgenden versucht werden. Auf welchem Wege der Stoff in den Kaukasus eingeführt worden ist, lässt sich nicht bestimmen. Aus dem Norden, etwa durch russische Vermittlung ist er jedenfalls nicht in den Kaukasus gelangt; denn die bekannt gewordenen russischen Varianten, die zum Teil ebenfalls mit Sicherheit auf die Gesta zurückzuführen sind, weichen sehr stark von der kaukasischen ab^). Wahrscheinlicher ist es, dass die Legende, deren Urheimat zwar nicht be- kannt ist*), aber doch wohl an den Gestaden des Mittelmeeres gesucht werden muss, aus dem Westen über Klein-Asien oder das Schwarze Meer in den Kaukasus gelangt ist, wobei an die Vermittlung durch armenische Kaufleute gedacht werden darf. Eine Untersuchung über die Art der Umbildung der kaukasischen Aufzeichnung muss, wie schon angedeutet wurde, nicht nur die Abweichungen in den sachlichen Einzelheiten und etwaige Lücken festzustellen suchen, sondern hat vor allem auch auf die innere Entwicklung der Fabel, auf die Bedeutungsnuancen der Motive in der Handlung und die Übergänge, soweit sie für die innere Form des Ganzen in Betracht kommen, zu achten.

Die Gesta erzählen in der langen Vorgeschichte von einem klugen Könige Marcus, der in hohem Alter kurz vor seinem Ende auf dem Krankenbette für die Nachfolge seines Sohnes und das Schicksal seiner Tochter Sorge trägt. Die kaukasische Variante beginnt dagegen mit der alten Eingangsformel des Märche?is „Es war einmaP) ein mächtio-er Zar" und weiss den Namen des Herrschers nicht mehr zu nennen. Die Bezeichnung 'Zar' ist hier keinesfalls auffällig, denn für einen unter russischer Oberherrschaft lebenden Armenier ist natürlich der Zar die In-

1) Vgl. Hermann Pauls Einleitung zu seiner Ausgabe von Hartmanns Gregorius 3. Aufl. Halle 190(;. [R. Köhler, Kl. Schriften 2, 173. Klapper, Mitt. der schles. Ges. f. Volkskunde 20, 22. Rona-Sklarek, Ungar. Volksmärchen 2, 261) nr. 28. Strauss, Bulgar. Volksdichtungen 1895 S. 218. 504. Hemacandras Pari.sistaparvan, deutsch von Hertel 1908, S. 68. 228. Journal of american folklore 20, 112.]

2; Oesterley S. 399 - 408.

3) Vgl. Diederichs, Russ. Revue 17, n9ff.

4) Ihre Verwandtschaft mit der Oedipussage wird bezweifelt von Seelisch, Zeitschr. für deutsche Philol. 19, 385 und E. Müller, Archiv f. Relig.-\Yiss. 3, 242f. (1900). bejaht zu- letzt von Paul S. VII.

5) Russisch: zil, byl.

Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1910. Heft 1. 4

50 V. Löwis:

karnation des höchsten Machthabers. Übrigens haben auch die Gesta zweimal 'imperator' neben 'rex' in allen übrigen Fällen i). Die Kinder lässt die kaukasische Fassung noch unmündig sein, der Grund ist nicht recht klar, und braucht deswegen eine Regentschaft für sie.

Es folgen in den Gesta die Beschreibung des innigen Zusammen- lebens von Bruder und Schwester, ihres Fehltritts und dessen Folgen in breiter, detailreicher Ausführung, wobei besonderes Gewicht auf die Zer- knirschung der Sünder und ihr Verlangen nach Busse und Vergebung ge- legt wird. Die kaukasische Erzählung weiss von letzterem nichts, sie berichtet knapp über das gemeinsame Leben und den Fall der beiden, den sie dem Einfluss des Teufels zuschreibt, und der die Geburt eines Sohnes zur Folge hat. Getilgt ist also das Tendenziöse in der lateinischen Fassung, alle dick unterstrichene Moral, aber zugleich auch das Brutale und Austössige in der Verführungsgeschichte. Mit schlichten, naiven Worten gleitet die Erzählung über den heikelsten Punkt hinweg: „Der Satan verführte sie zur Sünde". Die Plastik der Charakterisierung hat dadurch unzweifelhaft Schaden erlittten, die handelnden Personen, der königliche Rohling und die schutzlose vergewaltigte fromme Prinzessin, die sich vergebens müht, ihren Bruder von dem Verbrechen zurück- zuhalten, sie sind in der vorliegenden Fassung nicht mehr wiederzufinden; lediglich die nackten Tatsachen werden berichtet, und mit eiligen Schritten hastet die Vorgeschichte ihrem Ende zu. Nichts weiss sie von dem alten Ritter, dessen Rat eingeholt wird und der recht salbungsvoll zu reden weiss, er ist entbehrlich, eine Nebenfigur, deren Streichung den Fortgang der Handlung nur beschleunigt und eine gewisse Ökonomie der Mittel verrät. Die Geburt und Aussetzung des Kindes, in der lateinischen Fassung mit zahlreichen Details ausgestattet, die wiederum viel zur Charakterisierung der handelnden Personen beitragen, werden in der kau- kasischen Erzählung mit wenigen Worten abgetan. Es ist aber ein Zug zwanglos eingeführt, der beachtenswert erscheint. Es heisst nämlich: „Sie suchten das Kind heimlich zu verderben," um ihre Schande nicht offenbar werden zu lassen und jede Spur des Verbrechens zu tilgen. Bruder und Schwester sind hier die feindlichen Mächte, die den Helden zu verderben trachten, und erweisen sich somit als echte Gegenspieler gegenüber dem Helden der Erzählung, und zwar in absichtlich gesteigertem, weit höherem Masse als in den Gesta, wo sie kaum noch als solche gelten können; denn hier wird gerade die Fürsorge, mit der die Mutter auf das Wohl ihres Sohnes bedacht ist, um die ihm drohenden Gefahren zu mildern, noch besonders hervorgehoben. Das Schicksal des Bruders, sein Tod im heiligen Lande und die Leiden der Schwester sind breit in den Gesta geschildert, die kaukasische Überlieferung weiss nur noch, dass der

1) Oesterley S. 399, 33 und 404, 5.

Eine Umformung der Gregoriuslegende im Kaukasus. 51

Sünder nach Jerusalem gewandert ist, um Vergebung zu erlangen, vergisst ihn dann vollständig und wendet sich nun zu den Erlebnissen des Helden. Die Gesta führen gleich hier die Geschichte der Schwester bis zu dem Punkte fort, wo sie, bedrängt von einem abgewiesenen Freier, in eine wohlgeschützte Stadt flüchtet und dort viele Jahre verweilt. Die kaukasische Fassung kennt diesen entbehrlichen Einschub nicht und motiviert an späterer Stelle die Notwendigkeit der Wahl eines männlichen Herrschers ganz schlicht durch die schwachen Kräfte eines Weibes. Weiterhin folgt in den Gesta der Bericht über die Auffindung des Kindes durch den Abt, die Taufe und das Heranwachsen des Knaben als Pflegesohn eines Fischers. In der kaukasischen Erzählung schwimmt der Kasten den Fluss hinab und wird daher von einem Müller gefunden, der den Knaben auf- zieht. Eine Taufe wird nicht erwähnt und ist vollkommen überflüssig, weil auch später der Name des Knaben nie genannt wird. Darin zeio-t sich wiederum die Tilgung eines Zuges, der in einer christlich-kirchlichen Fassung nicht gut übergangen werden durfte. Noch weniger aber hätten Abt, Kloster und die Erziehung der Mönche in das Milieu der kaukasischen Variante gepasst, jene werden denn auch durch den Müller ersetzt, und wiederum ist hierbei die Zahl der Nebenfiguren gekürzt. Hinzugefügt ist nur einiges Detail bei der Auffindung des Kindes (Frühjahr, Leitrinne), das ohne Schaden für die Handlung entbehrt werden könnte. Das Spiel des Helden mit seinen Gefährten gehört beiden Fassungen an, ist detail- reicber natürlich in den Gesta, doch hat es voneinander abweichende Folgen, deren Wurzeln zum Teil in der Vorgeschichte liegen. Das Weib des Fischers in den Gesta ist hart gegen den Pflegesohn und nimmt kein Blatt vor den Mund, der Müller in der kaukasischen Fassung scheut da- gegen auch die Lüge nicht, um den geliebten Pflegesohn bei sich behalten zu können. Hier ist ein Gegensatz zu den feindlich gesinnten Eltern zu zeichnen versucht: der Müller ist der treue Berater und väterliche Freund des Helden und zeigt somit Ansätze zu dem Typus, den wir in seiner schönsten Vollendung aus dem Märchen 'Der getreue Johannes' kennen und der auch im Kaukasus nicht unbekannt ist*). In den Gesta erfährt schliesslich der Knabe von der Frau des Fischers die Geschichte seiner Geburt, was ihn veranlasst, in das heilige Land zu reisen, der 'Land- streicher' aber hört von seinem Pflegvater nur, dass er ein Findling ist, er will die Welt durchstreifen, um durch Zufall oder Glück hinter das Ge- heimnis seiner Geburt zu kommen. So wandert er nun wie ein echter Märchenheld durch Städte und Länder, bis ihn das blind wählende Schicksal auf den Zarenthron und an die Seite seiner Mutter setzt, nachdem das Los in so wunderbarer Weise für ihn entschieden hat. Die Abweichung-en

1) Vgl. Sbornik mater. Kavk. 9, 2, 75—83 (tatar.) Slawische Varianten bei Afanas'ev, Nar. russk. skazki ^ i, 224 ff. 229.

4*

52

V. Löwis;

von den Gesta sind, wie man sieht, recht stark; denn hier ist es der Ritter Gregorius, der, seinen Pflichten gehorchend, der bedrängten Königin bei- steht und durch heldenhafte Taten ihre Hand gewinnt. Wiederum sind zahlreiche Nebenpersonen und Episoden in der Variante fortgefallen, auf- genommen sind der Patriarch (der in Armenien eine grosse Rolle spielt) und die Geistlichkeit, ferner der Zug von dem menschenfreundlichen Regiment des Herrschers und der Kindersegen, der Sohn und Mutter be- schieden ist; das sind jedoch verschwindend wenige Einzelheiten neben der langatmigen, mit Nebensächlichem überladenen Erzählung in den Gesta. Die Geburt zweier Kinder ist übrigens auch nicht ungeschickt eingefügt, denn dieser Zug ist wohl geeignet, die Vorstellung von dem Glück und der innigen, obwohl widernatürlichen Liebe der Gatten zu ver- tiefen und eindrucksvoller zu gestalten. Abweichend ist weiterhin die Entdeckung des verwandtschaftlichen Verhältnisses geschildert; die Zarin besitzt eine Aufzeichnung über ihren Fehltritt, die der Gatte findet. Eine naive und recht unbeholfene Motivierung, die von der Verlegenheit, den Konflikt zu lösen, diktiert ist. Das Vergessen der dem Kinde mitgegebenen Tafel rächt sich nun auf diese Weise. In der lateinischen Fassung er- folgt die Enthüllung durch jene Tafel, die die Königin in dem Gemach findet, das ihr Gemahl täglich, sich unbemerkt glaubend, aufsucht. Stark gekürzt sind in der kaukasischen Erzählung wiederum alle grellen Ver- zweiflungsausdrücke, auf denen die Gesta eingehend verweilt, und eine Nebenperson (die Dienerin in den Gesta) ist gestrichen.

Der folgende Teil wird in den Gesta, worauf Seelisch, ZfdPh. 19, 401 aufmerksam macht, auffallend eilig abgetan, so dass ein kleiner Zug Gregorius vergisst seine Brieftafel im Hause des Fischers im weiteren Verlauf der Erzählung gar nicht mehr aufgenommen wird. Gregorius ge- langt zu dem Hause eines Fischers, der ihm mit Misstrauen begegnet, weil die vornehme Haltung nicht im Einklang mit der ärmlichen Kleidung des Reisenden steht. Auf Fürsprache seiner Frau lässt jedoch der Fischer den Fremdling in sein Haus, und auf seine Veranlassung hin begibt sich Gregorius auf den einsamen Felsen im Meer, wo er sich fesseln lässt und 17 Jahre in Busse verharrt. Die kaukasische Fassung legt grossen Wert auf die Schilderung aller Mühen, die der arme Wanderer in eisiger Winter- zeit zu erdulden hat, und auf das lange vergebliche Warten vor der Haus- tür des Aufsehers. Hier ist die Erzählung weit detailreicher als in den Gesta, und einige Abweichungen machen es wahrscheinlich, dass diese nicht als direkte Quelle der kaukasischen Variante angesehen werden darf, denn statt des Fischers erscheint ein Beamter des Zaren und statt der Fischersfrau ein Diener, vor allem aber zieht sich der Held auf seinen eigenen Wunsch hin auf den Felsen zurück, und dieser Zug kann leicht der ursprünglichste gewesen sein, weil er sich vollkommen organisch aus dem Wunsche des Helden ergibt, sein Leben der Sülme und Busse zu

Eiue Umformung der Gregoriuslegende im Kaukasus. 53

weihen. Das Schlüsselmotiv gehört beiden Fassungen an, doch fehlt in den Gesta die Prophezeiung des Büssers; hinzugefügt ist ferner in der kaukasischen Geschichte der Zug von dem hinterlasseneu Speisevorrat, der, wie es sich später zeigt, vom Einsiedler nicht berührt wird. Charakteristisch für den Stil der beiden Fassungen sind die folgenden wenigen Worte, mit denen das Verstreichen einer langen Frist, die für die Handlung ereignis- los verläuft, angedeutet wird. Die Gesta geben den Zeitraum präzise an: 17 Jahre hat Gregorius in der Einsamkeit verbracht; die kaukasische Ge- schichte dagegen trifft echten Märchenton, indem sie die Über^-angsformel von den vielen Jahren braucht, während derer vieles sich geändert hat und vergessen worden ist. Später freilich glaubt sie eine genaue Zeitangabe (32 Jahre) doch machen zu müssen, allein hier ist diese Angabe direktes Erfordernis, weil der wahrscheinlich missverstandene Zug des Nach- schlagens im Gedenkbuch (= Brieftafel in den Gesta) aufgenommen worden ist. Die nun folgende Papstwahl der Gesta ist durch die Wahl des Katholikos der armenischen Kirche ersetzt und verleiht dadurch der Erzählung ein Lokalkolorit, das, wie schon oben erwähnt, die armenische Herkunft der Variante wahrscheinlich macht. Es fehlt jedoch die allzu tendenziös-christlich anmutende Stimme vom Himmel, die den zu er- wählenden kirchlichen Würdenträger namentlich bezeichnet. Das Los werfen ist eine Wiederholung des schon einmal gebrauchten Motivs (vgl. oben S. 45f.) und ist die bei den Armeniern übliche Form, in strittigen Fällen eine Entscheidung herbeizuführen '^). Neues Detail ist auch in der Aus- sendung der Vertrauensleute zu finden, aber man wird nicht fehlgehn in der Amiahme, dass die präzisen Zahlen (12 geistliche und 12 weltliche Boten) an dieser Stelle als typische formelhafte Märchenzahlen aufzufassen sind^). Das Gedenkbuch des Aufsehers ist der Brieftafel in den Gesta gleichzusetzen. Sicherlich hat die ungekürzte Vorlage der Gesta dieses Motiv in irgendeiner Weise ausgeführt, hier aber wird der Zug einfach fallen gelassen (vgl. oben S. 52), in der kaukasischen Fassung dagegen erscheint er in etwas ungeschickter Verwendung und ist wohl kaum au richtiger Stelle eingefügt. Die Auffindung des Schlüssels ist beiden Fassungen gemeinsam, aber wiederum in der kaukasischen Erzählung an eine andere Stelle gerückt. Vergessen ist hier auffälligerweise auch das sonst so beliebte Motiv der von selbst läutenden Glocken, das sich weder die Gesta^) noch das Volksbuch*) entgehen lassen. Abweichend ist end- lich der Beschluss; der Zarin, seiner Frau und Mutter, gibt sich der Katholikos nicht zu erkennen, im Gegensatz zu Gregorius, und aus der

1) Chalatianz, Armenische Bibliothek 4, 97 Anm. 1.

2) Über die Zwölfzahl von Personen im Märchen vgl. vier Aufsätze von Potanin. Etnograf. Obozr. 15 (190?.).

3) Oesterley S. 407. [Vgl. Sartori, oben S, SOf.J

4) Simrock, Die deutschen Volksbücher 12, 109.

54 V. Löwis:

Aufnahme dieses Zuges spricht deutlich eine zwar ideal gedachte, aber doch recht grausame Befriedigung über die vollendete Abtötung des Helden oesenüber allem Irdischen und selbst dem Teuersten, das er besessen. Rückschauend auf die Analyse der beiden Erzählungen fassen wir kurz die Ergebnisse zusammen:

1. Die beiden Fassungen stehen sich besonders im ersten Teil sehr nahe und weichen nicht in wesentlichen Punkten voneinander ab, sondern da, wo die Gesta ausführlich berichten und die kaukasische Erzählung sich kurz fasst oder Lücken zeigt, kommen nur solche Momente in Frage, die für den Gang der Handlung unwichtig sind, zum grössten Teil aber sind es Abänderungen, die durch die Umbildung der sagenhaften lateinischen Bearbeitung zum Märchen entstanden sind (vgl. das unter Nr. 2 Gesagte). Als unmittelbare Vorlage wird die Erzählung der Gesta darum nicht gedient haben, weil in einigen Nebenmotiven die vorliegende Fassung teils neue Züge einführt, teils Übereinstimmungen mit der Variante im Volksbuch zeigt, die ihrerseits allerdings auf die Gesta zurück- zugehen scheint^). Die Sünde der Geschwister wird nämlich sowohl in der kaukasischen Fassung wie im Volksbuch dem Einfluss des Satans zu- geschrieben^), das Kind wird auf der Tiber ausgesetzt, was mit dem Fluss der kaukasischen Erzählung übereinstimmt (in den Gesta das Meer) und auch dem „Landstreicher" oder ,,Herumtreiber" ^) entspricht aufs Genaueste der ^Landstürzer" des Volksbuches*), weniger der „Arme Reisende" in den Gesta. Im zweiten Teil, wo das Volksbuch von den Gesta in sehr wesentlichen Punkten abweicht (das Schlüsselmotiv und die Fesselung des Helden fehlen), zeigt das kaukasische Märchen keine Überein- stimmungen mit dem Volksbuch. Es darf somit vielleicht ange- nommen werden, dass eine den Gesta sehr nahe stehende Fassung in Armenien bekannt gewesen ist und erst hier zu einem Märchen umgeformt wurde.

2. Die Abweichungen der kaukasischen Fassung von der lateinischen bestehen somit in folgendem:

a) Verschwunden sind die genauen, historische Glaubwürdigkeit fordernden Angaben (Personen- und Ortsnamen) bis auf wenige Reste, nur die Erinnerung an die mittehdterlichen Pilgerfahrten nach Jerusalem ist bewahrt. Die kaukasische Erzählung stützt ihre Angaben nicht mit Belegen, wie Sagen es wohl gerne tun, sie fordert keinen Glauben, sondern führt ihre Zuhörer in ein Reich der Phantasie und will nichts als unterhalten s).

1) Vgl. Seelisch, ZfdPh, J9, 4ül.

2) Simrock, Volksbücher 12, 85.

3) Russisch brod'aga.

4) Simrock, Volksbücher 12, lOG.

ö) Über diese Züge als Kennzeichen des Märchens vgl. Grimm, Deutsche Sagen* S.Vf. Bethe, Hess. Blätter f. Volkskunde 4, 1041".

Eine Umformung der Gregoriuslegende im Kaukasus. 55

b) Die kaukasische Erzählung sucht sich der auf Steigerung angelegten Kom- position des Märchens zu nähern, indem sie breite, entbehrliche Partien besonders in der Vorgeschichte kürzt, überflüssiges Detail und zahlreiche Nebenpersonen ausmerzt. Die vollständige Umbildung zum Märchen ist jedoch nicht erfolgt, denn in manchen Partien ist der Vortrag sehr wenig gedrängt, eher weitschweifig und ausmalend, wie z. B. in der Szene vor der Haustür des Aufsehers und anderen neu aufgenommenen Episoden. Daher fehlt durchaus die unaufhaltsame Steigerung des Märchens bis zu einem dramatischen Höhepunkt, wenn schon die Handlung straffer ist, als in den Gesta. Das Biographische, d. h. die möglichst lückenlose Wiedergabe der Schicksale des Titelhelden ist auch in der kaukasischen Variante erhalten und scheidet sie in diesem wichtigen Fall vom sprunghaft fortschreitenden, nur auf den Höhepunkten verweilenden echten Volksmärchen.

c) Eine möglichst weitgehende Loslösung von allem Christlich -Tendenziösen ist eingetreten (Kloster, Abt, Stimme vom Himmel, Taufe, kirchliche Ausdrücke, Gebetsformeln u. dgl. sind gestrichen), doch konnte die umgeformte Fassung der ursprünglichen Überlieferung nicht soweit untreu werden, dass sie den eigent- lichen psychologischen Kern der Erzählung vollkommen veränderte. Der christ- liche Grundgedanke: aufrichtige Busse besiegt selbst die in Todsünde verstrickenden Prüfungen des Lebens und führt zum ewigen Heil musste somit bleiben, wenn nicht zugleich auch die überlieferte Handlung vollständig umgestaltet werden sollte.

d) Individuelle Charakterzüge der handelnden Personen sind möglichst ge- glättet, daher ist nur wenig direkte Rede erhalten und ein Dialog fehlt voll- kommen; der Versuch, den Helden sowohl wie Gegenspieler und helfende Freunde als Typen zu fassen und wiederzugeben, ist gemacht, allein zum Charakter eines echten Märchenhelden konnte die mehr passive Natur der Hauptgestalt nur schwer umgebildet werden, ohne den Gang der Fabel völlig umzustossen. Der un- schuldig leidende Gregorius ist daher auch im Märchen fast unverändert wieder- zufinden.

e) Echte Märchenzüge sind aufgenommen: Eingangsformel, mühselige Wanderungen, die Übergangsformel von den 'vielen Jahren', Übernatürlich-Wunder- bares (Loswerfen) und die typische Märchenzahl 12.

Auf Grund dieser Ergebnisse wird man die kaukasische Erzählung als ein Märchen zu bezeichnen haben, das nicht alle Spuren seiner Ver- gangenheit als Legende getilgt hat, sondern sich mitten im Prozess der Umformung befindet und in diesem Stadium durch einen Glücksfall ans Licht gehoben worden ist. Ähnlich als wäre eine alte Freske mit Kalk not- dürftig verkleidet worden und als hätten flüchtige Hände auf diese Schicht ein neues Bild hingeworfen, das den gleichen Vorwurf wie das alte, doch in anderen Farbenwerten wiedergibt, ähnlich meine ich, yerhält es sich hier, wo sich über eine christlich gefärbte Sage das Märchen gelagert hat, wobei manche Züge unverändert übernommen, einige leichter, andere stärker verändert worden sind und dadurch das Ganze in eine eigene, neue Stimmungswelt übertragen ist, die sowohl dem armenischen wie dem nahstehenden europäischen Märchen eigen ist^).

1) Man vergleiche die Märchen bei Chalatianz, Armen. Bibliothek 4 (ISST). Haxt- hausen, Transkaukasia (Leipzig 1S5G).

56 V. Löwis: Eine Umformung der Gregoriuslegende im Kaukasus.

Man wird schwerlich behaupten können, dass die Legende, deren älteste Fassung schon einem zur Vita sancti erweiterten Typus angehört, ihrem Inhalte nach ein günstiger Gegenstand für eine Umbildung zum Märchen war; denn Handlung und Charaktere sind allzu fest in den Rahmen eingefügt, den die Durchführung des christlich-moralischen Grund- gedankens gewählt hatte. Weder das kaukasische noch das sizilianische Märchen (Gonzenbach Nr. 85) konnten sich von ihm emanzipieren, weil sie der Überlieferung recht getreu folgen. Besser gelingt dieses einzelnen nordischen Fassungen*), aber natürlich nur durch starke Freiheiten, Ein- schübe und Umdichtung. Der einzige die Umbildung zum Märchen fördernde Umstand scheint darin zu liegen, dass bereits die ältesten Fassungen bekannte Märchenmotive enthielten und diese mögen durch ihren vertrauten Klang die Hörer zu dem Yersuch verleitet haben, die seltsame Handlung samt ihrem Helden in das Märchenland zu ver- legen.

Es lag im Rahmen dieser Erörterungen, nur die auf einer Legende beruhende lateinische Bearbeitung mit ihrer zum Märchen umgebildeten Ableitung zu vergleichen. Eine umfassendere Untersuchung würde zeigen, wie die kaukasische Erzählung trotz geringer sachlicher Abweichungen doch eigenartige Nuancen herausgebildet hat und sich durch diese von anderen Märchen gleichen Inhalts, wie z. B. von den sizilianischen recht kräftig abhebt. Notwendig und aufschlussreich dürfte aber eine Unter- suchung sein, die sich auf eine umfangreichere Stoffsammlung von Leo-enden, Sagen und den entsprechenden Märchen gleichen Inhalts stützt. Dann erst wäre es möglich zu beobachten, was und warum das Volk vergisst und in welcher Folge sich die Züge einer Überlieferung verlieren, wenn diese durch vieler Leute Mund geht, die nichts mehr von dem ursprünglichen Anlass und Zweck der Erzählung wissen, und dann erst könnte die Aufstellung allgemein gültiger Gesetze der Märchen- bildunf^ und eine Chronologie der einzelnen Umformungen versucht werden, die vor allem dem inneren Bau beider Gattungen gerecht werden müssten.

Berlin.

1) Diederichs, Russ. Eevue 17, 119ff.

Olrik: Kleino Mitteilungen. 57

Kleine Mitteilungen.

Wettermaclien und Neujahrsmond im Norden.

Das 'Wettermachen' in Dänemark wurde zuerst von dem Altmeister dänischer Volkskunde H. F. Feilberg entdeckt und 1889 in seinem 'Dansk Bondeliv' (1, 255) hübsch geschildert. Hier gebe ich nur die kurze Zusammenfassung, die er 1891 als Umfrage aussandte (Folklore 2, 132: Making weather in Denmark):

Eine recht seltsame Sitte ist erst in einigen Teilen von Dänemark beobachtet. Im Februar und März 'machen' die Bauernfrauen, dann ihre Ehemänner und endlich ihr weibliches und männliches Gesinde 'Wetter'. Gewöhnlich macht die erste Person im Dorfe. die Pastorfrau, am ersten Februar Wetter. Ist das Wetter an diesem Tage gut, dann heisst Frau N. N. eine sehr wohlwollende, gutgelaunte Dame, und die Nachbarinnen besuchen sie, um ihr zum guten Wetter zu gratulieren, und werden freundlich mit Kaffee imd Kuchen bewirtet. Ist das Wetter dagegen schlecht, so ist Frau N. N. übler Laune: wir gehen und strafen oder belustigen sie. Vielleicht wird sie in den Hof hinaus geschleppt und an der Pumpe verhört, damit sie ihr eignes Wetter probieren kann. Die Nachbarn erscheinen in grosse Mäntel und Tücher gehüllt, während sie bei schönem Wetter in Sommerkleidung kommen. Sonst schleicht wohl ein Nachbar vorsichtig an der Hauswand entlang und bindet etwas Werg an die Türklinke. Das wird augenblicklich verstanden, und alles endet mit einer Tasse Kaffee, welche von der Person gereicht wird, die das schlechte Wetter macht, und nach einigen Scherzen geht jeder heim. Vgl. Feilbei-g, Bondeliv p. 255. Ich besitze nur ein unzweideutig auf eine ähnliche Sitte hinweisendes Zitat: Kuhn, Sagen aus Westfalen 2, 91 nr. 294: „Die Frauen sind im Februar Wetter- regentinnen"*). Ist diese Sitte noch anderwärts bekannt? Woher mag dies Wetter- machen stammen? Warum gerade in den Monaten Februar und März?

Ausführlichere Nachrichten über den dänischen Gebrauch finden sich bei E. T. Kristensen (Jydsk Almueliv 4, 40 42; Ergänzungsband 4, 35 37) wie auch hsl. in der 'Dansk Folkemindesaraling' zu Kopenhagen. Als Probe daraus stehe hier eine 1909 von einer Bauernfrau im Nordwesten von Seeland niedergeschriebene Aufzeichnung:

In Jordlöse am Tissö und gewiss auch anderwärts war es bis vor fünfzig Jahren Brauch, wenn der 1. Februar herankam, dass jede Bäurin, dann die Frauen der Häusler, auch die Mädchen und endlich die Männer einen bestimmten Tag hatten, wo 'ihr Wetter' war. Das nahm auf dem einen Ende des Dorfes seinen Anfang und ging weiter, wie die Häuser und Gehöfte einander folgten. Wenn nun einer 'Wetter' hatte, und es traf und

1) [„Dies gilt aber nur von den alten Hausstellen. 'Heute', heisst es z. B., 'hat Frau A. das Wetterregiment'". Wocste, Zs. f. dtsch. Mythol. 1, 388: „In nicht wenigen Dörfern der Mark und des kölnischen Süderlandes ist Brauch, dass nach der Folge der Februar- tage und der alten Feuerstellen das älteste Frauenzimmer au jedem Herde als Wetter- regentin geneckt wird. Aber der nicht überall vorkommende bestimmtere Ausdruck lautet: 'Van däge es de Spüärklsche in diäm Huse.' Das geht unverkennl)ar auf einen festlichen Umzug und eine Festzeit der alten Wettergöttin im Februar." Montanus, Volksfeste 1854 S. 20: „Noch sagt der Landniann: 'Im Monat Hornung (Hornmaned, Spürkel, Februar) regiert die Frau oder dat wif.'" Auch in Mecklenburg glaubt mau, dass die Frauen im Februar das Regiment führen (Bartsch, Sagen aus Mecklenburg 1880 2, 214 nr. 1098).]

58 OMk:

war im Ernst ein Unwetter, so kam es darauf an, den Schein zu erwecken, dass die Be- sucher glaubten, es sei richtiges Sommerwetter. So hörte ich von einer Frau, die bei richtigem Schneegestöber im Sonnenhut (einer Art Kappe aus Pappe mit bunten Blumen bemalt) hinausging. Ein Knecht, der erst kürzlich in die Gegend gekommen war und den Brauch nicht kannte, sah das und äusserte zu seinen Mitknechten: „Was in aller Welt fehlt unsrer Frau! Sie geht ja im Sonnenhut bei solchem Wetter in den Hof." „Nun, heut ist ja ihr Wetter", erhielt er zur Antwort. Auch galt es, unter dem oder jenem Vorwande Vorübergehende in ein Nebengebäude zu locken, um sie dort ein- zuschliessen. Bisweilen sollte ein Schaf gelammt oder eine Kuh gekalbt haben oder ein Hühnernest entdeckt sein u. dgl. Gelang es nun einen in die Falle zu locken, so ward die Tür unter dem Gelächter des ganzen Gesindes hinter ihm zugeschlagen; denn natürlich war nicht das geringste Merkwürdige darin zu sehen. Ich hörte sogar von Leuten aus einer andern Gegend erzählen, die in dasselbe Dorf zu Besuch kamen und nicht wenig erstaunten, als sie ein Mädchen am Dorfzaun angebunden sahen. Als sie aber die Er- klärung hörten, dass es sich nur um Spass und Narrenpossen handle, entstand ein Ge- lächter. Man brauchte sich gewiss nicht beleidigt zu fühlen, selbst wenn der Scherz etwas grob werden sollte; es galt nur bei gegebener Gelegenheit selber Vergeltung zu üben, (Karoline Graves in Viskiuge, Seeland).

Die Deutung dieses Brauches, d. h. was für ein besondrer Zusammenhang zwischen dem Wetter, dem Februar und den "Weibern besteht, ist bisher nicht ge- funden. Doch kommen wir, glaube ich, der Lösung ein gut Stück näher, wenn wir einige isländische Verhältnisse heranziehen, die bisher nicht in diesem Zu- sammenhang erwähnt wurden (Jon Arnason, Isl. pjöOsögur 2, 572). Auf Island hat man einen besondern Brauch, der an die ersten vier Monate des Jahres anknüpft: Thorri (Januar), Göa (Februar), EinraänuOV (März) und Harpa (April). Man hält Thorri für den Hausvater, Göa für die Hausmutter, EinmänuOr und Harpa für deren Sohn und Tochter. Darum mussten alle Hausväter an dem Morgen, wo Thorri 'in den Hof kam', früh aufstehen, barbeinig, im blossen Hemd, ein Hosen- bein angezogen, das andre nachschleppend zur Haustür gehen, auf einem Fuss um den Hof hüpfen und Thorri im Hofe willkommen heissen. Später am Tage hielten die Hausväter des Kirchspiels ein Mahl (porrablöt); der Tag hiess Hausvätertag (bönda dagur), und die Frau rausste sich freundlich gegen ihren Mann erzeigen. Ebenso musste die Frau am ersten Morgen der Göa ganz leichtbekleidet hinaus- gehn und Göa ins Haus einladen: „Willkommen, meine Göa, tritt ein in den Hof! Bleib nicht draussen im Winde den frühlingslangen Tag!"^) An diesem ersten Göatag mussten die Frauen ein Mahl für ihre Nachbarinnen bereiten. Ebenso mussten die Burschen EinraanuOr und die Mädchen Harpa empfangen.

Deutlich genug ist der Sinn davon: die Monate werden als lebende Wesen von göttlicher Art aufgefasst, die nacheinander die Menschen besuchen und über ihr Wohl und Wehe walten^). Die Monate mit männliclien Namen werden als Männer, die mit weiblichem Namen als Weiber aufgefasst; und die natürliche Folge davon ist, dass die Männer die männliche und die Weiber die weibliche Gottheit empfangen müssen. Besonders die ersten Monate des Jahres muss man sich zu Freunden machen nach dem Satze, der im Volksglauben eine ungeheure Rolle spielt, dass eine Sache gut begonnen w^erden muss, wenn sie gut werden soll. Um diesen Satz gruppieren sich zahlreiche Neujahrsbräuche.

1) Velkomin sirtu Gua mm, og gakktu inn i bseinn, vertu ekki üti i vindinum vor- längan daginn. Diese Halbstrophe ist augenscheinlich in dem gewöhnlichen altnordischen Versmasse forHyrtTislag gedichtet; ein Zeichen ihres hoben Alters.

2) [Über die Personifikation der Monate vgl. Bolte, Archiv f. neuere Sprachen 08, 82. 100, 149 und R. Köhler, Kl. Schriften 1, ^80.]

Kleine Mitteilungen. 59

In alter Zeit waren die Monate nicht unsre Kalendermonate, sondern die sicht- baren Mondperioden vom Neumond bis zum abnehmenden Mond, und an diese knüpfen die alten Monatsnamen an. Die Begrüssung Thorris soll stattfinden, wenn der erste Neumond nach Weihnachten sich blicken lässt. Aber diese Begrüssung am Neujahrsneumond, wenn der Herrscher über das Gedeihen des Jahres ent- scheidet, treffen wir auch anderwärts im Norden*). In Schonen zog die ganze Schar, wenn der Neujahrsneumond erschien, aufs Feld hinaus und begrüsste ihn mit folgendem Gesang':

Välkoramen, nykung, välkommen mäne

i Hailand och Skäne,

med körn och med käme,

med sol och med värme,

med fläsk och med hoste,

med godt öl om hosten,

föd ko, ko i bäs, ge hafre ät gas galtarna i skogen, träskarna logen, fiskarua i floden, föd ko, ko i bäs!

In einer Aufzeichnung aus der Mitte des 1 8. Jahrhunderts trägt die erste Zeile noch ein Kennzeichen höheren Alters:

Välkommen, Njkong, välkommen herre, med körn och käme usw.

Dieser alte, heidnische Willkommensgruss ward im 1 6. Jahrhundert zu einem Neujahrspsalm (Velkommen nytär og velkommen here) umgedichtet. Von dieser christlichen Zustutzung findet sich dagegen nichts, wenn der Westjüte beim Neu- jahrsneumond mit einem Stück Brot in der ausgestreckten Hand hinausläuft:

Nytärsny! flaeskebestel

Vorherre gi os godt körn at hoste!

Oder wenn der Anholter in gleicher Weise ruft:

Nejes uej, gi m?e smter po med brej, gi mje fl.-esk, gi mae beest, gi mfe gät kuen ä heest.

Es gab also auch beim Dänenvolke eine Zeit, wo man den ersten Mond des Jahres als den König und Herren begrüsste, der über des Jahres Gedeihen ent- schied, und wo man ihm mit einem feierlichen gereimten Gebet Willkommen bieten musste. Kurz, eine Gottesverehrung, die ganz dem isländischen porrablöt ent- spricht 2).

Kehren wir nun zu dem dänischen Brauche des Wettermachens zurück! Ein Hauptpunkt im isländischen Kulte ist, dass die Männer den ersten Jahresmonat begrüssen müssen, und die Frauen den zweiten. In Dänemark kommt gewöhnlich der zweite Monat (Februar, Göi, Göjemaned) den Frauen zu, die Männer schwanken zwischen dem ersten (selten) und dritten Insofern entsprachen sie bald dem ersten Monat der Isländer (der Hausväter), bald dem dritten (der Burschen); dies Schwanken steht vielleicht in Verbindung mit dem Namen Thorri; Tormäned ist im neueren Dänischen vom Januar auf den März übergegangen. Im Kirchspiel

1) [Begrüssung des Neumondes in Frankreich und Italien: Sebillot, Folk-lore de France 1, 57. Pitre, Bibl. delle tradizioni popolari siciliaue IG, 2l). 17, 474. Grimm, Mythol. 3 S. 666. 676.]

2) Vgl. E. T. Kristensen, Jydsk Almueliv 4, 141—144. Westerdahls Disputation (praeside Lagerbring) de festo calendarum januarii. Dausk kirketideude 1849, nr. 9. Dausk Folkemindesamling, Efterklaug A 16.

^0 Olrik, Kirchner:

Karlby auf der jütischen Halbinsel Djursland liat man ganz dieselbe Einteilung wie auf Island: Januar für die Männer, Februar für die Frauen, März für die Burschen, April für die Mädchen und ausserdem Mai für die Knaben. Auch wenn die Frauen aus Lust am Spass und Wohlgefallen an einem kleinen Schmaus den alten Brauch am meisten bewahrten, besteht kein Zweifel darüber, dass in Däne- mark wie in Island einst beide Monate und beide Geschlechter Geltung hatten. Ferner legen wir Gewicht darauf, dass an beiden Orten der Gebrauch besteht, dass die Hausfrau in dünnem oder sommerlichem Kleide ins Unwetter hinaus muss und dann eine kleine Frauengesellschaft bei sich bewirtet. Man sieht, es ist in Wirk- lichkeit derselbe Brauch.

Der Unterschied besteht darin, dass die Isländer ihre alte religiöse Vorstellung bewahrt und die Dänen sie zu einer blossen Lustbarkeit gemacht haben: ursprüng- lich ist es die Verehrung des Mondes als eines göttlichen Wesens. Was die leichtgekleidete Hausfrau draussen in der Kälte zu tun hat, ist in Dänemark ver- gessen; und das ist nicht wunderbar, weil man die Einteilung in Mondmonate auf- gegeben hat: jetzt gibts keinen Neumond zu begrüssen. Nur der lustige Spass ist vorhanden, dass die andern Frauen die, welche gerade daran ist, ins Freie hinaus nötigen; komisch ist jetzt, was einst ernst genug war: der neue Mond musste begrüsst werden, sonst gabs für die Ernte des Jahres kein Gedeihen. Auf Island mochte der Brauch jährlich zwischen den Frauen des Dorfes wechseln, in Däne- mark geht er in den Dörfern den Monat hindurch täglich reihum. Diese letztere Vervielfältigung ist vielleicht erst eingetreten, als der Brauch sein religiöses Ge- präge verlor.

Der Brauch ist in seiner alten Form, als Einladung von Thorri und Goi, uralt. Auf Island wird porrablöt und Göiblöt bereits um 1200 genannt (Hversu Noregr bygOiz, Flateyjarbök 1, 22); doch ihr Ursprung liegt sicherlich viel weiter zurück. Religiöse Bräuche, in denen Männer und Frauen solche geschlossene Gemeinschaft bilden, jede mit eigner Gottheit, weisen in eine sehr frühe Zeit zurück. Die An- rufung solcher augenblicklicher Zeitgottheiten, wie des Mondwechsels, gehört zu den ältesten und unmittelbarsten Niederschlägen der menschlichen religiösen Gefühle.

Eins erklärt uns der isländische Brauch nicht Warum muss die Hausfran in ganz leichtem Gewände Göi empfangen? Dass dies nur Göi beweisen sollte, dass sie früh aufgestanden sei, um ihr Ehre zu erzeigen, ist nicht glaublich; dann konnte der Brauch nicht so fest wurzeln, wie er es ist. In diesem Falle bietet der dänische Brauch die Erklärung: man soll in sommerlicher Tracht hinausgehn, wie dies in Karoline Graves Bericht ergötzlich ausgemalt wird. Im Gottesdienste der fernen Vorzeit pflegt man den Göttern das zu zeigen, dessen Hervorbringung man von ihnen haben will; man lockt oder hypnotisiert sie, den Sommer her- zurichten, oder man versorgt sie auf einer gröberen Stufe der Geistesentwicklung mit soviel Sommer, dass sie den Menschen Sonne und Wärme wiedergeben.

So erhält unser lustiger Brauch des Wettermachens aus der alten Neumonds- verehrung auf der ganzen Linie seine Erklärung; er ist ein Opfer (blöt) für Thorri und Göi. Er ist also, so verschiedenartig') er aussieht, ein Seitenstück zu der alten Anrufung des Neumonds als 'Neujahrskönig', die wir aus andern Gegenden des Landes mitteilten. Dass es wirklich Seitenstücke sind trotz aller scheinbaren

1) [Sollte nicht auch der weitverbreitete Glaube, dass sich aus der Witterung be- stimmter Tage, wie des Weihnachtstages, des I.Januars, des 2. Februars (Maria Licht- mess), Schlüsse auf das kommende Jahr ziehen lassen, mitgewirkt haben? Vgl. Beda,

Kleine Mitteilungen. 61

Verschiedenheit, sehen wir auch daraus, dass sie nicht in derselben Gegend auf- treten, sondern einander geographisch ergänzen: 'Wetter halten' gilt für Nordwest- seeland, Mittel- und Ostjütland und die dazwischenliegenden Inseln, das Neujahrs- gebet erstreckt sich in einem grossen Bogen aussen herum, von Westjütland über Anholt bis Schonen.

Für die Sammler der dänischen Volksüberlieferungen bietet dieser Brauch ein ergötzliches Betrachtungsobjekt. Ergötzlich ist es, einen Brauch der Vorzeit so ausgeprägt und verhältnismässig lebendig vor sich zu haben, der zugleich unserm Volke eigentümlich zu sein scheint; Feilberg hat seinerzeit vergeblich Aufklärung über sein anderweitiges Vorkommen zu finden gesucht. Nicht minder merk- würdig aber ist eine so eigentümliche Form alter Gottesverehrung, wie darin auf- bewahrt ist.

Noch etwas Erfreuliches bietet er uns. Er zeigt, was das Sammeln nützt. Jede neue Aufzeichnung bereichert unser Wissen und führt sichrer zum Verständnis. Dient sie zu nichts andrem, so erweist sie jedenfalls die Verbreitung des Brauches, und das hat, wie wir sahen, keinen geringen Wert. Immer aber hilft sie die Normalgeatalt des Brauches festlegen. Und manchmal bewahrt sie Einzelheiten, die für das richtige Verständnis von der grössten Wichtigkeit sind; so hat eine einzige jütische Aufzeichnung das Andenken an die verschiedenen Monate des Bauern, der Hausfrau, der Burschen und Mädchen bewahrt; und einige wenige berichten, dass die Frau am Pebruarmorgen in Sommerkleidung geht.

Wenn ich diese Mitteilung in der vornehmsten deutschen volkskundlichen Zeitschrift veröffentliche, so geschieht dies in der Hoffnung, dass ihre Leser aus Büchern oder aus ihrer Kenntnis des Volkslebens Kuhns knappe Mitteilung über ähnliche Bräuche in Deutschland ergänzen können. Wir wissen nie, ob nicht da und dort neue Beiträge zur Geschichte der alten Gottesverehrung zutage kommen.

Kopenhagen. Axel Olrik.

Ein christlicher Warnungsbrief.

Das im folgenden beschriebene Druckblatt erhielt ich von Herrn F. V. aus Fulda, der es im Frühjahr 1909 in den 'Deutschen Gauen', der von Kurat Chr. Frank in Kaufbeuren herausgegebenen Zeitschrift für Heimatforschung, als einen Himmelsbrief^) ausgeboten hatte. Eine genauere Betrachtung aber lehrt, dass wir es hier nicht mit einem Himmelsbriefe, d. h. einem Schriftstücke, das den Anspruch erhebt, unmittelbar aus dem Himmel zu stammen, zu tun haben. Vielmehr kann man behaupten, das Blatt bekämpfe das abergläubische Element, das in den Himmelsbriefen Anstoss erregt. Ums Jahr 1850 entstanden, wenn auch vielleicht auf ältere Vorbilder zurückgehend, handelt es im Geiste der evan- gelischen Orthodoxie von Urzustand und Sündenfall, von Sündhaftigkeit und Hin-

Prognostica temporum (Mignes Patrologia lat. 90, 951), Schönbach, Sitzgsber. der Wiener Akad. 142, 7, 13. 149. Bolte, Archiv 99, 12. 100, 154. Melusine 10, IIB. Hanimer-Zin- serling, 1001 Nacht 1, 245. Yermoloff, Die landwirtschaftliche Volksweisheit. 1905. Endlich könnte auch eine scherzhafte Anspielung auf das Wetter machen der Hexen (oben 7, 187) beabsichtigt sein.]

1) Vgl. dazu mein nicht nur an die Fachmänner der Volkskunde gerichtetes Schriftchen 'Wider die Himmelsbriefe' (Leipzig-Gohlis, Bruno Volger 1908) sowie meine weiteren Veröffentlichungen im Gustav-Glogau-Jahrbüchlein 1908 und in der Neuen kirchlichen Zeitschrift 1909, 284-311 (München). [Dazu oben 16, 422. 19, 356.]

62

Kirchner:

fälligkeit des Menschen, von Christi Erlösertod, von Himmel und Hölle, von Lohn und Strafe. Bilder und Verse lassen sicher zu wünschen übrig, aber das Ganze ist geschickt und sinnreich gedacht und ausgeführt. Die Art der Darbietung erinnert an die Form der auseinanderfaltbaren Patenbriefe, die ich im Montags- blatt der Magdeburgischen Zeitung li?09, 13. April genau beschrieben habe (vgl. auch V. Lüpke, Dorfkirche 1908). Solche sinnigen Spielereien waren früher offenbar sehr beliebt (vgl. Exemplare in den Museen von Schmalkalden, Benshausen, Zella St. Bl.). [Oben 16, 427.]

Der vorliegende Brief besteht aus einem 27 cm breiten und 22 cm hohen Stück Papier, das auf beiden Seiten mit kolorierten Lithographien und Yersen in Buch- druck versehen und um 1850 im 'Druck u. Verlag v. Ed. Gust. May, in Frank- furt a. M.' erschienen ist. Durch In- und Auseinanderklappen entstehen auf beiden Seiten je neun selbständige, miteinander in engerem oder loserem innerem Zu- sammenhange stehende Flächen, von denen die drei mittleren untereinander be- findlichen je 12 cm breit und etwas über 7 c?« hoch sind. Die 2X3 zu beiden Seiten dieser Flächen entstehenden Figuren sind Quadrate von je 7 cm Seitenlänge. Wir betrachten nun den Brief so, wie er sich nach und nach gleich einem Wunder- knäuel entfalten lässt.

Das mittelste Feld der Vorderseite, im geschlossenen Zustande des Briefes allein sichtbar, enthält auf einer mit Rankenwerk und an den Ecken mit vier Brieftauben geschmückten Bordüre die Adresse: 'An mich und dich und alle Menschen', die in den Reimen inmitten dieses Rahmens ausführlicher wieder- holt wird:

(Ein Sricf

Sicbcr ^frcunb f^ab' bod^ Me (Sütc, £ef ben Brief, ben id) D'n biete. Sein 3nl|alt [prtcbt an 2IbamsFtnber, 2In Vid) nni> midj; an alle Sütiber.

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unb alle UTenfcfjcn

Ohne aufzuklappen, betrachten wir zunächst die Rückseite, die auf dem unteren, über das obere Feld übergreifenden Quadrate das Bild Adams im Para- diese und darüber erklärende Verse enthält, die gleich allen folgenden Darstellungen zur Wegleitung für den Betrachter eine Nummer (2) tragen.

2. 0, Anblick voller Lieblichkeit, Hier gab es weder Schmerz noch Leid. Der Mensch in Unschuld lebt' nur Gott-, Er wusste nichts von Noth und Tod. Allein, was bald gescheh'n, Das kannst Du hier mit Schmerzen seh'n.

Darunter sehen wir das Urstandsbild. Adam steht am Paradiesesbaura. Löwe, Löwin, Elefant, Hirsch und andre nur angedeutete Tiere umgeben ihn, ohne ihm

Kleine Mitteilungen. 63

zu schaden. Die Vegetation ist üppig, ein Quell kommt vom Berg herab. Klappt man das Bild zurück, so erscheint der schon erwähnte Yerlagsvermerk auf dem oberen Quadrat: Druck u. Verlag v. Ed. Gust. May in Frankfurt a. M.

Nun schlagen wir auch die obere Klappe auf und sehen auf der schmalen Fläche die Darstellungen '6 und 4, den Sündenfall und den Kreuzestod, überein- ander angeordnet.

Aul dem oberen Bilde stehen Adam und Eva zur Rechten und Linken des Baumes, von dem die Schlange sich herunterwindet. Eva gibt Adam den Apfel. Noch ist paradiesischer Friede unter den Tieren: Panther, Hirsch, Einhorn (?), Hühner, Kaninchen, Bär, Strauß. Darunter die Verse:

3. 0 Anblick zum Erschrecken, Da war das Glück entschwunden;

Hier lässt Du mich entdecken Doch Deines Heilands Wunden

Den Sündenfall zum Tod. Versöhnen Dich mit Gott.

Die letzten Verse leiten wiederum über zum folgenden Bilde des Gekreuzigten, zu dessen Füssen Tod und Teufel in Schlangengestalt als überwundene Mächte liegen. Im Hintergrunde Jerusalem und Berge. Darunter steht:

■4. Damit Du Mensch nicht sollst ver- Ich bin die Thür, der Weg, das Leben;

derben, Die Sünden kann nur ich vergeben.

Musst' ich für Dich am Kreuze sterben. Ich habe Dir den Sieg erkämpft

Willst Du nun werden rein von Sünden, Und büsend Gottes Zorn gedämpft.

Kannst Du Dein Heil bei mir nur Thu' Buse und Dir wird vergeben;

finden. Nimmst Theil am ewig seligen Leben.

Wir schlagen die dreiteilige Längsseite nach links um und wenden das Blatt halb rechts, dann erblicken wir auf der so gewonnenen Fläche von 27 cm Breite und l-iVa <^'" Höhe (die beiden unteren Flächen liegen noch aufeinander) die auf S. 64 in Vi Grösse wiedergegebene Darstellung des engen und des breiten Weges (mit den Sprüchen und Reimen 5 und 6) und in der Mitte die stattlichen Figuren eines Menschenpaares in der um 1850 modischen Tracht. Das üppige Weib trägt über dem blauen Kleiderrock einen roten Überwurf (panier), dazu Perlenkette, Armbänder und grünen Sonnenschirm, der Mann blauen Frack, gelbe Weste, weiße Reithosen, Sporen und Gerte. Allein der Dichter (nr. 7) bezeichnet diese prächtigen Kleider nur als Sündendecken und fordert uns auf, sie aufzuheben.

Klappen wir gehorsam die untere Bildhälfte nach unten, so haben wir die ganze innere Fläche des Briefes vor uns, und auf den auf S. 65 nachge- bildeten beiden oberen Dritteln zeigt sich an den unten der Kleidung beraubten Gestalten, was nach Tod und Verwesung vom Menschen übrig bleibt: nackte Bein- und Handknochen ^). In den entfleischten Händen halten sie Spaten und Pickel, mit denen sie sich gewissermassen in ihrer Eitelkeit selber ihr Grab graben. Stundenglas, Totenschädel und gesenkte Fackeln erblicken wir als ver- ständliche Symbole auf einem zwischen dem Paare sichtbaren Grabmonumente; dazu die Inschrift: Memento mori, und im Hintergrunde einen Friedhof mit

1) [So zeigt auch ein Holzschnitt des IG. Jahrb. im Berliner Ms. germ qu. 718, BL 65b, wenn man die Schürze der schönen Frau aufhebt, nackte Beine von Schlangen utnringelt: dazu die gereimte Auslegung: Die weit ist frolich zu sechen an, | Das soltu bey mir in der figiu- verstan. | Er sey schon, edel, jung oder alt, | In ainer kurtz wirt er also gestalt, | Als du mich siehst vnder dem schurtz mein. | Gedenck offt au das lest vrthey] dein! Über Frau Welt s. Goethe- Jahrbuch 3, V20. Schauinsland 17, 58.]

64

Kirchner:

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Kreuzen, Cypressen und Trauerweiden. Darunter steht (auf dem hier nicht reproduzierten unteren Drittel des Blattes) eine auf das folgende Bild zielende- Doppelstrophe:

9. 0 Mensch hier spiegle Dich, D'rum folge Jesu Christ Da braucht's nicht viel Beweise, Und mühe Dich auf Erden Hier siehst Du, was Du bist, Dieweil Du lebst und bist, Nichts, als der Würmer Speise. Wie Du kannst selig werden.

Das Bild lässt einen Toten im offenen Sarge mit gefalteten Händen sehen; der Sargdeckel liegt daneben. Darunter steht in kleinem Druck:

10. Nun ist die Pracht dahin, Was ich war, bist Du nun!

Die Herrlichkeit war Staub, Sieh', was Du bald wirst werden*);

Jetzt siehe, was ich bin, Der Tod ereilt auch Dich,

Bin der Verwesung Kaub. Auch Du wirst Staub und Erden.

Zu Seiten des Mittelfeldes schließen sich links und rechts zwei den Dar- stellungen des schmalen und des breiten Weges entsprechende Bilder an, welche die Freuden und die Qualen des Jenseits offenbaren. Links wird eine fromme Seele zu den Scharen der Seligen emporgetragen. Dazu der Text:

11. Sieh da den Lohn, den die Treue verspricht. Die Seele erhebt sich zum ewigen Licht Getragen von Engel zum Throne des Herrn, Verlassend die Erde in ewiger Fern.

Sie hör't schon den Jubel im himmlischen Chor, Und höher und höher noch scliwebt sie empor, Sie bebt vor Entzücken, es nahet die Zeit, Da sieht sie ihn, dem sie ihr Leben geweiht.

Das Bild rechts zeigt einen Sünder, der vom Teufel ins Höllenfeuer geschleppt wird. Darunter die Erläuterung:

12. Hinab, hinab in grundlos tiefes Dunkel, Hinab, hinab zum Flammenpfuhl -Gefunkel.

Zu ewiger Qual, die keine Reue lindert

Die keine Bitte, keine Thräne mindert;

Wird hier die Seele, die von Gott sich wandte,

Zu ihrem Schrecken und zu ihrer Schande

Von Teufelsklaun trauend hingerissen

Zu den Verdammten in den Pfuhl geschmissen.

Benshausen. Victor Kirchner.

Das Kinglein sprang entzwei.

In Eichendorffs stimmungsvollem und vielgesungenem Liede Tu einem kühlen Grunde' (1810) klingen uns die Zeilen

Sie hat mir Treu versprochen, Gab mir ein'n Ring dabei, Sie hat die Treu gebrochen, Mein Ringlein sprang entzwei

so vertraut und volksmässig, als stammten sie oder wenigstens der darin ausge- drückte Parallelismus zwischen der Untreue der Geliebten und dem Zerspringen des

1) (Vgl. zu diesem oft wiederholten Gedanken die Parallelensammlung bei R. Köhler, Kleinere Schriften 2, 27 und die oben li>, 466 erwähnte Schrift von Künstle, Die Legende der drei Lebenden und der drei Toten.]

Kleine Mitteilungen. 67

Verlobangsringes aus der älteren deutschen Volkspoesie. Gleichwohl sucht man in Des Knaben "NVunderhorn und älteren Volksliedersammlungen vergeblich nach diesem Motive. Wenn es dagegen in neueren Sammlungen wiederholt auftaucht, so liegt zumeist eine unverkennbare Einwirkung von Eichendorffs Gedicht vor, das tait verschiedenen Veränderungen im Volksmunde fortlebt^). So lautet in einer bayrischen Mädchenklage 'Einst sass ich in der Laube' ^) die vierte Strophe:

Er hat mir Treu versprochen, Gab mir den Ring dabei; Er hat die Treu gebrochen, Das Ringlein sprang entzwei.

In einer hessischen 'Mein Schatz der ist im fremden Land'^):

Mein Schatz, der mir geschworen [hat]. Gab mir ein'n Ring dabei: Die Lieb die ging verloren, Das Ringlein sprang entzwei.

In einer sächsischen 'Viele Blümlein sah ich stehen'*):

Treue hat er mir geschworen, Und ein Ringlein war dabei;

Doch die Treue ward gebrochen. Und das Ringlein sprang entzwei.

Gleichlautend kehren diese Verse in einem schlesischen Mädchenliede -Der Himmel ist so trübe' 5) wieder. Zweifelhafter ist das Abhängigkeitsverhältnis von dem Kunstdichter schon in einem 1S57 im Inntale aufgezeichneten''), aber auch im Böhmerwalde gesungenen^) Liedchen:

1. Der Sommer geht urami, Falln d Läuberl vom Bam. Wenn einmal mein lieb Schatzerl Aus Österreich kam!

2. Jetz is ä heut komme; Was hat ä mir bracht? Und a Ringerl am Finger Und a Brieferl im Sack®).

3. S Ringerl ist brochen Zu tausend Trümma: Bhüt di Gott, mei lieb Schatzerl! I mag di nimma.

Aus Schlesien gibt PradeP) eine abweichende Fassung: Mein Schatz reist in die Fremde, aha. ' Mein Schatz hat mich belogen.

AVas wird er mir mitbringen? aha. Ein rosmarie-Riechle, Dazu ein seidnes Tüchle, aha. Was hat er an seinem Fingrer?

Das Ringlein war zerbrochen; Mein Schatz hat mir versprochen, Das Ringlein war von Dimant. Die Liebe die weiss niemand.

Ein Ring von Gold und Silber. Wie lange währt die Liebe?

Das Ringlein war gebogen; ] Wie's Wasser in dem Siebe, aha.

1) Nachweise bei J. Meier, Kunstlieder im Volksmunde 1906 S. CHI und 30 nr. 181 und Heeger-Wüst, Volkslieder aus der Rheinpfalz 2, 127 nr. 236 (1909).

2) Mitteilungen und Umfragen zur bayr. Volkskunde 2 (1896) nr. 4, S. )>.

3) J. Meier, Kunstlieder 1906 S. CHI.

4) E. John, Volkslieder aus dem sächsischen Erzgebirge 1909 nr. 71.

5) Pradel, Schlesische Volkslieder (Mitt. der schles. Ges. f. Volkskunde 20, 101).

6) Erk-Böhme, Liederhort 2, 526 ur. 724.

7) Jungbauer, Volksdichtung aus dem Böhmerwalde 1908 S. 151: 'Drei Winta, drei Summa'. Die 3. Strophe allein auch bei Pogatschnigg- Herrmann, Volkslieder aus Kärnten 1, 331 nr. 15(59 und 1647 (1879).

8) Statt des auffallenden 'Brieferl' hat Jungbauer: A Bussal af d' Nos.

9) Mitt. der schles. Ges. f. Volkskunde 20, 107. Vgl. noch oben S. 40, nr. 4.

68

Bolte:

In Kärnten') findet sich der Vierzeiler:

Das Eingerl is brechen, De Liab is schon aus aus, Und de Busserl sein gflogen Beim Fenster hinaus.

Noch weiter entfernt sich ein muntres französisches Tanzlied aus Loth- rino-en*), das durch das Zusammenlöten des zerbrochenen Ringes einen heiteren Abschluss erhält:

1. Oll est-il, mon amant, A I'heure de maintenant? II est a, Paris,

Ou bien ä Orleans.

Oll sont-ils ces rosiers blancs

Qui fleiirissent en boutons d'argent?

2. II apprend ä faire Des anneaiix d'argeut. Le premier qu'il a fait, II m'en a fait present.

;'). II r a mis u mon doigt, II y a reste sept ans, Et au bout de sept ans, Voilä l'anneau fendu.

4. Yoilä l'anneau feudu, Nos amours sont perdus. Voila l'anneau relie, Nos amours sont retrouves. Oll sont-ils ces rosiers blancs Qui fleiirissent en boutons d'argent?

Aus dieser lothringischen Ronde dürfen wir ohne weiteres schliessen, dass das Symbol des zersprungenen Ringes älter als Eichendorffs Gedicht ist. Das bestätigt auch ein mir leider nur in französischer Übersetzung zugängliches russisches Volkslied^), in welchem der scheidende Liebhaber beim Ringtausch zum Mädchen sagt:

Si Jamals je pense ä un autre amoiir, L'anneau d'or se brisera; Et toi, si tu choisis un autre fiance, Le diamant de la bague se detachera.

Eine Sage*) berichtet von dem brandenburgischen Kurfürsten Friedrich III., bei seiner zweiten Vermählung sei der Ring, den er von seiner ersten Gattin empfangen, plötzlich zersprungen, weil er sein Versprechen nicht wieder zu heiraten gebrochen.

In andern Fällen bedeutet das Zerspringen des Ringes nicht die Untreue, sondern den Tod des Schenkgebers. Nach der Legende^) empfing die hl.

1) Pogatschnigg-Herrmann 1, 350 nr. 1<J48.

2) Champfleury, Chansons populaires des provinces de France 1860 p. 168: 'Le rosier d'argent'. Piiymaigre, Chants pop. recueillis dans le pays inessin 2, 170 (1881): 'L'anneau'. Frei verdeutscht bei Erbrich, Lieder aus dem Metzer Lande (1894):

Wohl wusst er zu fügen Metall und Gestein, Mir schweisst er ein Ringlein Von Silber so fein.

Der Ring ist gesprungen. Gebrochen die Treu Die Liebe kam wieder, Mein Ringlein ist neu.

Es treiben die Knospen Am Rosenstock rot. Die goldigen Knösplein, Die Röslein so rot.

Ich trug es am Finger Wohl sieben Jahre lang. Die Jahre vergingen. Das Ringlein zersprang.

o) A, Million, Les chants oraux du peuple russe 1893 p. 153 'Les gages echanges'.

4) Lothar, Volkssagen und Märchen 1820 S. 91 = Grässe, Sagenbuch des preussischen Staats 1, 31 nr. 14 (1868).

5) Passionael efte dat leuent der hyllighen (Basel 1517. Wynterdeel Bl. 67 a, i = Lübeck 1492, Bl. 260b, 2): 'Nu luidde he syuer vrouwen ein vingerlyn to der verdelage

Kleine Mitteilungen. ß9

Elisabeth von Thüringen von ihrem zum Kreuzzuge aulbrechenden Gemahl einen Ring, dessen Stein herausfallen sollte, wenn dem Landgrafen ein Unglück zustiesse. In einer schottischen Ballade*) wird Lord ^Yearie durch das Zerspringen seines Ringes inne, dass seine Frau daheim von dem rachsüchtigen Maurer Lamkin er- mordet worden ist:

The lord sat in England, [ with niy lady at home;

a drinking the wine: j For tlie rings of my fingers

'I wish a 'may be weel the 're now burst in twain.'

Unheil, das dem Träger des Ringes selber droht, weissagt in einer hsl. lateinischen Salzburger Schulkomödie-) v, J. 169G der von ihren Feinden be- drohten Königin Rhetorica das Zerspringen ihres Fingerreifs. Man denkt dabei unwillkürlich an Schillers Wallenstein (Tod V, 4), dem am letzten Lebensabend die kaiserliche Gnadenkette zerspringt, als der Kammerdiener ihn entkleiden will.

Bei weiterer Umschau aber können wir das Motiv des zerspringenden Ringes, das wir von dem bei Joh. Christian Günther^) mehrmals erscheinenden frei- willigen Zerbrechen des Verlobungsringes zu unterscheiden haben, in die grosse Gruppe der die Lebensgefahr des fernen Besitzers ankündigenden Gegenstände*) und der bereits oben 19, 67 kurz aufgezählten Prüfmittel der Gattentreue ein- reihen. Schon im altägyptischen Brüdermärchen ^) schäumt das Bier vor Anepu und der Wein trübt sich, um ihm den Tod seines Bruders Bata-u zu verkünden. Aus gleichem Anlass wallt in andern Märchen das Blut in der Flasche, wird das

[Abschiedsgescheuk] gegeuen mit einem legaut [lechant 1492; Name eines Edelsteins]. De steen hefft de art an sik, we den einem hefft gegeuen, sterfft he, so velt he uth. Also schach ok sunte Elizabeth, der vyl de steen in de hant; do vorschrack se gans seer, wente se vorstünt do wol, dat er here doet was.' In der Chronik Joh. Rothes (Mencken, Scriptores rerum germ. 2, 1717) dagegen und in seinem gereimten Leben der hl. Elisabeth (ebd. 2, 2071) gibt Ludwig bei der Abreise seiner Gattin seinen Ring, in dessen Stein das Lamm Gottes eingegraben war, nicht, sondern zeigt ihn ihr nur, damit sie später dem Boten Glauben schenke, der ihr unter Vorzeigung des Ringes Nachricht bringe: ,,Dis fingirlin [soll] dir ein wäre botschafft sin mynes gesunden lebins adir mynes todes, wer dir das brengit." Vgl. Montalembert, Leben der hl. Elisabetli von Ungarn 1S37 S. li»2 imd über das leider verlorene Volkslied 'de separatione flebili Elizabethae et mariti sui Ludewici lantgravii in terram sanctam ituri' E. Schröder, Anz. f. dtsch. Altert. 31, 207.

1) Child, English and scottish populär ballads 2, 324 nr. 9oB 'Lamkin': vgl. Knortz, Lieder und Romanzen Alt-Englands 1872 S. 162. In einer andern Fassung (Child nr. 93 E) fallen dem Lord plötzlich die Knöpfe vom Rock ab.

2) Bellum ßhetoricum Akt 1, Sc. 9; vgl. Guarna, Bellum grammaticale ed. Bolte 1908 S. *68.

3) Günther, Gedichte hsg. von Tittmann 1874 S. 208 (So brich nur Bild und Ring entzwei | Und lass die Briefe lodern), 40 (Es lodern die Briete, der Ring briclit entzwei Und zeigt meiner Schönen: Nun leb ich recht frei), 3.') (Will ich dich doch gerne meiden! | Gib mir nur noch einen Kuss, | Eh ich sonst das Letzte leiden | Und den Ring zerbrechen muss!) Wieder verschieden ist der zwischen Eheleuten oder Freunden geteilte Ring (Sebillot, Folklore de France 4, 342).

4) Cosquin, Contes pop, de Lorraine 1, LXV. 60. 70 f. 2, 59. J. Lcvi, Signes de är et de malheur (Revue des t'tudes juives 17, 202—209). Leskien -Brugnian.

Litauische Volkslieder 1882 S. 547. Clouston, Populär tales 1887 1, 169 (Life-tokens, tests of chastity). Basset, Nouveaux contes herberes 18117 p. 30;>— oKl. Chauvin, Biblio- graphie arabe .'), 87. 6, 8. 7, 98. Rittershaus, Neuisländ. Volksmärchen i;)02 S. 27(i. 280. Macculloch, Childhood of fiction 1905 p. 118. Oben 17, 111 (ungariscli). ö) Wiedemann, Altägyptische Sagen 190(5 S. 70.

«70 Bolte:

Wasser trübe, die Milch rot, welkt eine Pflanze^), rostet oder blutet das in den Baum gestossene Messer"), wird ein Tuch blutig«), ein Bild*), ein Spiegel oder Ringstein -5) trübe oder schwarz, presst ein Ring den Finger'^), zerspringt ein Trinkbecher'), stürzt ein in die Erde gesteckter Speer um**), zerreissen die Saiten einer Zither^), versiegt ein Brunnen"), erlischt ein Licht ^^) usw. Dadurch erfährt der Bruder oder die Gattin von der Gefahr des Helden und vermag ihm häufig noch Rettung zu bringen; auf gleiche Weise wird der Gatte durch eine nicht welkende Rose, ein stets weiss bleibendes Hemd u. a. der Treue der entfernten Frau versichert. Als ein schlimmes Anzeichen gelten im deutschen Volksliede die drei roten Rosen, die auf den Liebenden unvermutet herniederfallen. So beginnt ein um lö50 aufgezeichnetes Lied ^2), das hernach in ein anderes Thema überlenkt:

Ich ritt mit hist durch einen wald, i Nun sag, nun sag, gut röslin rot,

do sangen die vöglein jung und alt. lebet mein buhl oder ist er tot?

Sy sungen als lang, bis mich verdroß, ' 'Er lebet noch, er ist nit tot,

do fielen drei röslin in mein schoß. i er leit vor Münster in großer not'

1) Grimm, KHM. 85. Basset 1907 p. ;J09. Johannes-Album 2, 174 (Chemnitz 1857. Aus Venezuela). Plinius, Nat. hist. 15, 120: 'Sacrae fuere myrti duae ante aedem [Quirini], altera patricia appellata, altera plebeia. patricia multis annis praevaluit exuberans ac laeta. quamdiu senatus quoque floruit, illa ingens, plebeia retorrida ac squalida' . . . M. Schmuck, Secretorum uaturalium thesauriolus 2, 3Gf. (^Nbg. 1653) = Zs. f. Kultur- geschichte 1857, 205: Orakel mit einem abgebrochenen und eingepflanzten Stengel Tele- phium oder Crassula. Ebenso bei Strackerjan, Aberglaube aus Oldenburg - 1, 32. 105 und Witzschel, Kl. Beiträge aus Thüringen 2, 291 (1878). Mannhardt, Wald- und Feldkulte 1, 48 f. 2, 23 f. Sebillot, Folklore de France 3, 433. 507. 527.

2) Grimm, KHM. (iO, R. Köhler oben 6, 75 zu Gonzenbach nr. 39. Rona-Sklarek, Ungar. Volksmärchen 2, 103. Andrejanoff, Lettische Märchen 189G S. 44. Kallas, Verhdl. der gel. estnischen Ges. 20, 11(3 nr. 2 und 4. Baumlöcher bemoosen sich: Zs. f. d. Mythol. 2, 391 (Bukowina).

3) Krauss, Sagen der Südslaweu 2, 353. Hemd wird schwarz: Hahn, Griech. Märchen 2, 45 nr. G9. Bürste blutet: Schieiner, Kalewala 1852 S. Gl. 75.

4) Rochholz, Schweizersagen 185G 2, 34.

5) Flore und Blanscheflur (Herzog, Germania 29, 1G3. IGG). Gianandrea, Canti pop. marchigiani 1875 p. 20: Si l'anello se muta de colore, Ricordate, ch' io sono '1 primo amore. Eine Perle erbleicht: Menzel, Deutsche Dichtung 1, 109. Ring rostet: Schuller, Romanische Volkslieder 1859 S. 37 = Franken 1889 S. Gl = Rudow 1888 S. 8. Leskien-Brugman S. 548. Ring blutet: Groome, Gypsy folk-tales 1899 p. 110. Gold- stück rostet: Wlislocki, Märchen der Armenier 1891 S. 14G.

()) Chauvin (>, 8. Spitta-Bey, Contes arabes modernes 1883 p. 124.

7) Musäus, Die Erscheinungen auf Schloss Hallermünd (Volksmärchen der Deutschen, Stuttgart [1887] S. 332). Jacottet, Contes des Bassoutos 1895 p. 110. 211.

8) Jacottet p. 2GG = T. v. Held, Märchen der Neger 1904 S. 4.

9) Hahn, Griech. Märchen 2, 15 nr. G4.

10) Basile, Pentamerone 1, 9. Nerucci, Novelle pop. montalesi nr. 8. Schneller, M. aus Wälschtirol nr. 28. Cavallius-Stephens, Schwed. Älärchen nr. 5. Grimm, D. Sagen nr. 104.

11) Zingerle, KHM. aus Süddeutschland 18.54 S. IIG = Zs. f. d. Myth. 1, 45G.

12) Die Lieder der Heidelberger Hs. Pal. 343 ed. Kopp 1905 nr. 140 = Uhland nr. 150 = Erk-Böhme nr. 20G. Vgl. Uhland, Schriften 3, 428. 524. 4, 179. Bei Meinert (Volksheder des Kuhländchens 1817 S. 239) antwortet die Nachtigall dem Mädchen auf die Frage, ob der Liebste lebe oder tot sei: 'Dos lavt ni mehr, se houns derschloen'; vgl. Erk-Böhme nr. 204b. Andre Todeszeichen bei J. (Jrimm, Mythologie 3, 328 und Wuttke, Volksaberglaube'' §297. Drei Blutstropfen fallen aus der Nase: Strackerjan, Aber- glaube - 1, 34- Ein Blutstropfen fällt dem Sohne des Sterbenden in den Teig: Germania 7, 415.

Kleine Mitteilungen. 71

Wenn hier die Blume sich herbeilässt, dem sorgenden Jüngling ein Orakel zu erteilen, so bleibt sie in dem jüngeren Liede 'Jetz gang i ans Brünnele'^) stumm. Vielmehr gerät der Liebhaber, der sein Mädchen nicht beim gewohnten Stelldichein getroffen hat, beim Anblick der fallenden Rosen in Zweifel, ob sie ■erkrankt oder mit Absicht ausgeblieben sei, und wird erst belehrt, als er darauf die Ungetreue mit einem andern Burschen plaudern sieht ^):

Ich setzte mich nieder aufs Laub und grüne Gras, Da fielen zwei Röslein mir auf meiuen Schoß.

Und diese zwei Röslein die waren rosenrot: Jetzt weiß ich nicht, lebt mein Schatz oder ist er tot.

Nicht um einen weissagenden Talisman oder eine Vorbedeutung plötzlichen Unheils handelt sichs in dem mährischen Liede 'die gebrochene ßank'^), sondern •um ein Gleichnis, das die Trauernde in ihrer nächsten Umgebung für ihr zer- brochenes Liebesglück sucht:

Die Bank, drauf ich so oft mit ihm gekoset und gelacht, Sie ist gebrochen, und war doch fest aus Eschenholz gemacht.

Sie ist entzwei, sie ist entzwei wie unsre Liebe, achl Sie ist gebrochen, die holde Bank, wie er die Treue brach.

Und so wie nimmer zusammenwächst, ach nimmer Stück mit Stück, So kehrt auch niemals, niemals wohl der alten Liebe Glück.

Direkt in die Stimmung des Eichendorffschen Gedichtes, von dem wir aus- gingen, führt uns endlich das ähnliche Bild vom zerbrochenen Mühlrade zurück, das ein Abschiedslied*) des 16. Jahrhunderts anschaulich verwertet:

Dort hoch auf jenem berge da steht ein mühlenrad. Das mahlet nichts denn liebe die nacht bis an den tag.

Die mühle ist zerbrochen, die liebe hat ein end: So gesegen dich gott, mein feines liebl Jetz fahr ich ins elend.

Und vermutlich haben gerade diese auch im Wunderhorn') zu findenden Verse bei dem jungen Romantiker die Stimmung zu seinem Mühlenliede aus- gelöst, in dem Schauplatz und Sprecher völlig die gleichen wie dort sind. Beide- mal ist es die getäuschte Liebe zu einer schönen Müllerstochter, die den Burschen in die Fremde treibt, während heutzutage das Volk die Situation des Eichen- dorffschen Gedichtes meist umkehrt und dies zur Klage eines verlassenen Mädchens umdichtet. Nur statt des zerbrochenen Mühlrades hat der Dichter passend das gleichfalls volkstümliche Motiv des zersprungenen Ringleins eingeführt.

Berlin. Johannes Bolte.

1) Erk-Böhme. Liederhort 1, (ilO nr. 203 205. Köhler- Meier, VI. von der Mosel nr. 86. Marriage, VI. a. d. bad. Pfalz nr. 4(1. Heeger-Wüst, VI. a. d. Rheinpfalz 1, 160 nr. 6S. John, VL a. d. sächs. Erzgebirge nr. 80. Nach Pixis bei L. Schneider, Jokosus 1, 21:3 (18.38). C. Müller, Progr. Löbau 1901 S. 69.

2) So ist natürlich die in manchen Fassungen in Unordnung geratene Strophenfolge zu bessern.

3) Wenzig, Westslawischer Märchenschatz 1858 S. 274.

4) Bergreihen 1537 nr. 54, Str. 8 = Erk-Böhme 2, 234 nr. 419. Köhler-lMeier nr. 99. Heeger-AVüst 1, 175 nr. 76. J. Kerner schreibt am 15. März 1816 an Varnhageu: „Das ]\Iühlrad ist gesprungen, die Liebe hat ein End, hörte ich von Schiffern auf dem Vierwald- stätter See."

5) Arnim- Brentano, Des Knaben Wunderhorn 1, 102 (1806). Vgl. K. Bode, Die Be- arbeitung der Vorlagen in Des Knaben Wunderhorn 1909 S. ;>11.

72 Zuidema.

Amsterdamer Häusersageu.

1. Das Haus mit den Köpfen (auch 'mit den sechs Köpfen') ist ein Patrizierhaus aus dem 1 7. Jahrhundert, das mit sechs überlebensgrossen steinernen Römerköpfen geschmückt ist. Der Sage nach war einmal der Hausherr mit Familie und Gesinde bis auf eine Magd ausgegangen. Das benutzten sieben Diebe und versuchten durch ein Kellerloch hineinzukriechen. Allein, die Magd hörte das Geräusch, nahm das Beil, das in der Küche zum Spalten des Brennholzes benutzt wurde, ging in den Keller, sah einen struppigen Kopf durchs Loch ragen und hieb ihn herunter und zog den Rumpf nach. Der zweite Dieb fragte ganz leise: „Bist schon drinnen?" Die Magd antwortete mit verstellter Stimme: „Ja, komm nur schnell nach!" und hieb den zweiten Kopf gleichfalls herunter usw., bis zum sechsten. Dem siebenten Räuber aber erschien die Sache nicht geheuer, und er machte sich davon. Als dann am andern Tag der Hausherr zurückkam, belohnte er die treue Magd fürstlich und Hess zum Angedenken die sechs Köpfe im Giebel meisseln (Navorscher 3, 133; auch mündlich). Dass hier ein Erklärungsbedürfnis die Geschichte von Ali Baba (Chauvin, Bibliographie arabe 5, 79) lokalisiert hat, liegt am Tage. [Die noch näherstehenden Märchen, die R. Köhler zu Gonzen- bach nr. 10 und oben G, ()2 anführt, fügen eine Portsetzung hinzu, in welcher der entkommene Räuber als Freier wiederkehrt, um sich an dem Mädchen zu rächen.]

2. Das Haus mit den drei Köpfen als Giebelschmuck (alle drei ungeheuer langnasig) soll die Porträts des ersten Besitzers und seiner Söhne zeigen. Spott- lustige Freunde, heisst es, machten ihm das Anerbieten, die Ausschmückung des Giebels zu bezahlen, mit der Bedingung, ihn selber nebst Söhnen abbilden zu dürfen; er schlug ein, und das Ergebnis war jene Nasenparade (Navorscher 5, 137). Das ist wohl aus Erklärungsbedürfnis oder zum Spass frei erfunden; die wirkliche Bedeutung dürfte eine ähnliche sein, wie in dem spanischen Giebelspruch, den ein altes Haus in Groningen trägt: Dios con nos, una hica para vos (Gott mit uns, eine Feige für euch). Und wahrscheinlich trug jener Nasengiebel eine gleich- artige, jetzt aber verschwundene Inschrift. [Neidköpfe, vgl. oben 18, 279.]

3. Das Haus mit der goldnen Kette zeigt eine vergoldete eiserne Kette statt des Aushängeschildes. Man erzählt, der einstige Besitzer sei von grossem Reichtum in tiefe Armut geraten, dann nach Indien gezogen, um sich, wie er selber sagte, eine goldne oder eine eiserne Kette zu holen, und steinreich zurück- gekehrt. Eine andere Sage bezeichnet es als Gespensterhaus: beim Brande des Stadttheaters 1772 sei der damalige Besitzer mitverbrannt, und seine Witwe habe sich erhängt; seitdem sei das Haus nicht geheuer; was aber die Kette damit zu schaffen habe, wird nicht angegeben (Navorscher ä, 157). Die erste Erzählung lokalisiert behufs Erklärung des Aushängezeichens die Redensart: „Der spielt um eine goldne oder eine eiserne Kette", d. h. sein Bestreben wird ihn entweder reich machen oder ins Zuchthaus bringen. Die zweite könnte einen wirklichen Vorfall berichten, aus dem die abergläubisch erregte Phantasie späterer Bewohner den Spuk erschuf.

4. Die untilgbare Blutschrift. Ein Haus am Amstel zeigt einige rote hebräische Buchstaben ("13 d'?), die der Sage nach von einem Juden, dessen Bitte um ein Almosen abgewiesen ward, mit seinem Blute geschrieben und trotz allen Versuchen, sie zu tilgen, unverwüstlich sind (Pesel, Eene Episode uit het leven van Rabbi Abraham Prins, leider romantisch ausgesponnen; auch mündlich). Die Buchstaben stehen wirklich da. Der Sinn ist, sagt mir ein Sachverständiger, judendeutsch: leib nar, also: Levi ist ein Narr, oder: leibh neir = [mein] Herz [ist] Licht; da dies aber gar nicht zur Sage stimmt, muss diese unter Christen

Kleine Mitteilungen. 73

entstanden sein. Zu dem schriftlichen Protest des unschuldig Hingerichteten vgl. Urquell, n. F. 2, 245 (1808); zu der wunderbaren Bestätigung seiner Unschuld ebenda, und Pröhle, Harzsagen 1854, S. 109; Wuttke, Volksaberglaube der Gegen- wart, 3. Aufl. § lo; zum Schreiben mit Blut Strack, Der Blutaberglaube bei Christen und Juden 1891 S. 6 und die allbekannte Sage vom Teufelsbündnis; zur ünver- löschlichkeit des Blutzeichens Wolf, Niederländische Sagen 1843 nr. 2<;6: zur mystischen Kraft der hebr. Schrift AVuttke § 510 und (ili^. Den Grund dieses Aberglaubens kann man suchen in der jüdischen Herkunft der Magie (Kiesewetter, Faust 1<S93 S. 33; Lehmann, Aberglaube u. Zauberei, übers, von Petersen, S. 185), doch ist obendrein zu beachten, dass Unverständliches immer mystisch anmutet und noch dazu ja allbekannt war, in dieser Schrift sei das Alte Testament geschrieben.

5. Die Atlasstatue auf dem Palast. Den Giebel des ehemaligen Rat- hauses, des jetzigen königlichen Palastes, krönt ein riesiges Bronzebild, Atlas mit der Weltkugel. Durch den Koloss führt eine Treppe in die hohle Kugel, wo ein Fensterchen eine herrliche Aussicht bietet. Die Sage aber macht diese Kugel zum Kerker; ein Bürgermeister habe dort einmal seine Magd einsperren und ihr nur Brot und Wasser zur Nahrung reichen lassen, weil sein Sohn sie liebte und hei- raten wollte. (Mitgeteilt wie oben). Von einem geschichtlichen Grunde kann keine Rede sein. Den Anlass der Sage gaben vermutlich (auch deutsche) Ritter- romane und Ritterdramen, in denen solche Gewaltakte alltäglich sind, und die Vorstellungen, die man nach der Revolution von der Macht und dem Stolze eines Amsterdamer Bürgermeisters der alten Zeit hatte; ein Kämmerlein in einer Statue musste ja die Volksphantasie reizen.

6. Die Fliegen bringen es an den Tag. Eine jetzt verschwundene Brücke hiess im Volksmund Moordenaarsbrug (Mörderbrücke); ihr ganz nahe lag ein als Gastwirtschaft benutzter Keller, der Fliegenkeller benannt. Dort setzte sich einmal ein Fliegenschwarm einem Gast aufs Gesicht und trotzte allen Versuchen, ihn zu verjagen. Das machte den Mann verdächtig; er wurde verhaftet, und es stellte sich heraus, dass er auf der Brücke einen Mord verübt hatte, (ter Gouw, Amstelodamiana 1, 265). Vgl. Die Kraniche des Ibykus und Chamisso, Die Sonne bringt es an den Tag. ;^/.. Köhler, Kl. Schriften 2, 563. Chauvin, Bibliographie arabe 2, 123. 7, 146.]

7. Der Schreierstoren (Turm der Weinenden), der letzte Rest des alten Mauergürtels der Stadt, zeigt auf einem Steine das Bild einer weinenden Frau, im Hintergrunde eine Flotte und die Jahreszahl 1569. Der Sage nach war hier der Ort, wo die ausfahrenden Seeleute sich von ihren Frauen und Bräuten ver- abschiedeten und deshalb viel gew^eint wurde; einmal soll eine Frau vor Schmerz versteinert und dann ihr Bild in einen Stein des Turmes eingehauen worden sein. Melchior Fokkens, Beschryvinghe van Amsterdam S. 733 sagt, sie sei irrsinnig geworden. Das Bild bezieht sich wohl auf die trauernden Weiber im allgemeinen und ist dann von der Sage auf eine gedeutet worden.

8. Des reichgewordenen Bettlers Bild. An einem Hause in der Doe- lenstraat war ehedem die Lehne der Treppe mit einem bärtigen Kopfe aus Metall geschmückt. Vor diesem Hause hatte einmal ein jüdischer Bettler seinen Stand- ort; eine Erbschaft aus Portugal machte ihn reich; er kaufte das Haus und schmückte die Treppe mit seinem eignen Porträt. (Mitgeteilt von 'Amstellander' in der Wochenschrift 'Het Leven', April 1908). Ein Teil der Amsterdamer Juden und namentlich der Bessergestellten unter ihnen stammt tatsächlich aus Portugal.

Amsterdam. Willem Zuidema.

74 ^ Daniel:

Armenische Märchen.

Die nachfolgenden Märchen erzählte mir i. J. 1901 ein halbwüchsiger arme- nischer Junge Krikor Kujuradjan aus Agn (türkisch Egin) am Euphrat, der nach dem blutigen Gemetzel dort von seinen Verwandten nach Konstantinopel geschickt worden war. Er hatte sie alle von seiner ürgrossmutter gehört und trug sie in einem grauslichen Gemisch von Armenisch, Deutsch und Türkisch vor. Bei der Wiedergabe des Inhalts habe ich mich möglichster Knappheit befleissigt und von der ersten Xummer nur einen Auszug gegeben.

I. Der gefangene Knabe.

Ein Knabe träumt, seine Eltern reichten ihm Waschwasser, und wird, da er den Traum niemandem erzählen will, ins Gefängnis geworfen; er gelangt durch die Wand in das Zimmer der Königstochter, hilft ihr scharfsinnig die Aufgaben des fremden Königs, der die Stadt belagert, lösen und überwindet mit Hilfe von sechs Gesellen mit wunderbaren Eigenschaften das feindliche Heer wie die Nach- stellungen des Vaters seiner geliebten Prinzessin. [G. Chalatianz, Armenische Märchen und Sagen 1887 S. öl 'Der Traumseher'. Vgl. R. Köhler, Kl. Schriften

1, 430. P. Schullerus, Archiv f. siebenbg. Landeskunde n. P. 33, 538. 586, Schott, Walach. M. S. 125. Jones-Kropf, Magyar folk-tales p. 118. Zs. f. österr. Volksk. ö, 141 zu 59. Zum ganzen ersten Teile Rona-Sklarek, Ungar. Volksmärchen

2, 245 nr. 24. Zu den Aufgaben des fremden Königs Chauvin, Bibliographie arabe G, 37.]

2. Das Pferd des Kaimakam^).

Es hatte ein Mann einen Sohn, der hatte zu keiner Arbeit Lust. Immer sass er träumend bei den Tieren oder Blumen, aber von anderen Dingen wollte er nichts wissen. Das verdross den Mann, und er sprach: „Aus dir wird dein Leben- lang nichts. 0, warum muss ich armer Mann einen so nichtsnutzigen, gottlosen Jungen haben!" Diese Klagen hörte ein Derwisch, der eben des Weges kam; er trat hinzu und sprach: „Gib mir deinen Sohn mit; ich will ihn in die Lehre nehmen. In sieben Jahren bringe ich ihn dir wieder. Dort auf jenem Berge wollen wir uns treffen." Der Vater willigte ein, und der Derwisch ging mit dem Knaben fort.

Der Derwisch verstand die Kunst, sich in irgendein Tier oder sonstiges Ding zu verwandeln, und er zeigte es dem Knaben und lehrte ihn, wie man es macht. Aber die Frau des Derwisches hatte den Jungen lieb und sprach heimlich zu ihm: ^Wenn er dich fragt, ob du es nun nachmachen kannst, so antworte stets: nein! Denn sobald du dich verwandelst, tut er es auch, und dann frisst er dich." Nach zwei Jahren fragte der Zauberer: „Hast du nun etwas gelernt?" Der Junge er- widerte: „Nein." Da lehrte ihn der Derwisch wiederum und machte ihm alles genau vor, und nach einem Jahre fragte er wieder und erhielt dieselbe Antwort. So auch in den folgenden Jahren. Schliesslich fragte er jedes halbe, dann jedes Vierteljahr, dann jeden Monat, dann jede Woche, dann jeden Tag; ja in den letzten Tagen fragte er jede Stunde, ab jedesmal erhielt er dieselbe dumme Ant- wort. Da sah der Derwisch, er könne mit ihm nichts machen, brachte ihn auf den Berg und gab ihn seinem Vater zurück.

1) [Grimm, KHM. GS 'Ue Gaudeif un sien Meester'. R. Köhler 1, 138. ööG.]

Kleine Mitteilungen. 75

Der Vater freute sich doch sehr, als er seinen Sohn wieder hatte. Sie gingen nun heira; unterwegs aber ging der Junge hinter einen Stein, und während der Vater wartete, sah er einen schönen Fuchs auf sich zukommen, der ganz zu- traulich tat. Als nun der Junge wiederkam, sagte der Vater: „Schade, dass du den schönen Fuchs nicht gesehen hast, der eben über den Weg lief!" Der Sohn schmunzelte, sagte aber nichts. Er besann sich, wie er seine Kunst anwenden könne, seinen armen Vater reich zu machen, doch wusste er keinen Weg dazu.

Xun hatte der Kaimakam (Distriktsvorsteher) zwei wunderschöne Pferde, aufs Haar einander gleich, die er sehr liebte. Da starb das eine, und er liess im ganzen Lande nach einem ähnlichen suchen. Als das der Knabe hörte, sagte er dem Vater, er wolle sich in ein Pferd verwandeln, und der Vater solle ihn dem Kaimakam verkaufen, aber für mindestens hundert Goldstücke. Nur solle er nicht vergessen, ihm den Zaum aus dem Maule zu nehmen. Er ging in den Stall, und gleich darauf hörte der Alte das Wiehern eines Pferdes, ging und nahm es beim Zaum und führte es in die Stadt, vor des Raimakams Haus. Dessen Diener sahen kaum das edle Tier, so eilten sie zu ihrem Herrn und riefen: „Herr, draussen steht ein Mann mit einem Pferd, welches genau deinem verlornen gleicht. Komm doch und sieh das prächtige Tier!'' Der Kaimakam, hoch erfreut, bewilligte sofort die verlangten hundert Goldstücke. Aber während man das Geld herbeiholte, trat ein Fremder hinzu und sprach: „Ich biete das Zehnfache für das Pferd, doch muss ich zuvor versuchen, wie es läuft." Und er schwang sich hinauf, fasste den Zügel mit starker Paust und jagte davon, dass ihn niemand einzuholen vermochte. Dieser Mann war der Derwisch. Höhnisch sprach er zu dem Pferde: „Eh, so hast du mich betrogen? Nun, jetzt bist du in meiner Gewalt, und ich werde es dir heimzahlen." Er hatte sein Haus erreicht, stieg ab und befahl seiner Frau, die Axt zu holen. Aber diese, die den Jungen lieb hatte, versteckte die Axt auf dem Söller und sagte, sie könne sie nicht finden. „So komm und halte das Pferd.'' rief der Alte wütend, „bis ich die Axt suche." Die Frau tat, wie befohlen, flüsterte aber dem Tiere ins Ohr: „Gib mir einen leichten Schlag mit dem Fusse, so werde ich hinfallen und du entläufst." Das Pferd gehorchte, kaum aber be- rührte es die Frau mit dem Fusse, so warf sich diese hin und schrie: „Oh, das böse Pferd hat mich geschlagen!" Das Pferd aber machte sich zum Vogel und flog fort; der Derwisch jedoch wurde ein noch grösserer Vogel und suchte ihn zu erhaschen. Da flog der kleine Vogel in des Königs Garten, wurde ein Apfel und fiel in des Königs Schoss. Schnell aber trat der Derwisch in Menschengestalt in den Garten, als ein Fremder, der zu Besuch kommt, und als er mit dem Könige sprach, erbat er sich den schönen Apfel. Der König wollte nicht recht, doch gab er dem Drängen nach und reichte den Apfel hin; dieser aber zerfiel in lauter einzelne Körner, welche über den Boden rollten. Geschwind wurde der Derwisch ein Hahn und pickte alle Körner auf; aus dem letzten derselben aber wurde ein Marder, der fuhr dem Hahn an die Kehle und biss ihn tot. Verwundert schaute der König diesen Dingen zu, liess den Marder greifen und in einen Käfig sperren. Aber kaum war dieser drinnen, so wurde er zur Ameise und entschlüpfte durch die Stäbe; dann flog er als Vogel auf und kam heim zu seines Vaters Haus. Dort machte er sich wiederum zum Pferd und liess sich dem Kaimakam verkaufen; der Vater zog vergnügt mit seinen hundert Goldstücken heim.

Das neue Pferd kam aus dem Stall und ging die Treppe hinauf. Der Kaimakam sah es und rief die Diener; diese aber sahen nichts und wunderten sich über die Reden ihres Herrn. Nun stieg das Pferd in eine Wasserkanne und

7g Daniel:

bewegte die Ohren. Der Kaimakam sah es und rief: „Seht doch das Pferd in der Kanne, wie es die Ohren bewegt!" Die Diener aber sahen es nicht, lachten und sagten: „Unser Herr ist verrückt geworden," schlugen ihn und stiessen ihn zum Hause hinaus. Der Knabe aber ging wieder zu seines Vaters Hause. Dieser verkaufte ihn noch mehrere Male in Gestalt verschiedener Tiere, aber stets kam er wieder heim. Dadurch aber gewann sein Vater Geld, und sie lebten vergnügt zusammen.

3. Der Knabe mit dem goldenen Haar^).

Es war ein Mann und eine Frau, die hatten kein Kind und waren sehr traurig darüber. Endlich sagte der Mann: „Ich werde dort auf den Berg gehen und den Himmel fassen und hineinsteigen und zu Gott gehen, ihn um ein Kind zu bitten." Als er nun auf den Berg ging, traf er einen Derwisch, dem erzählte er die Sache. Dieser sprach: „Ich gebe dir einen Apfel; iss du die Hälfte und deine Frau die andere, so werdet ihr einen Sohn bekommen. Aber w^enn er sieben Jahre alt ist, komme ich und hole ihn mir." Der Mann versprach es, und es geschah alles, wie der Derwisch gesagt hatte. Der Knabe wuchs heran, und sie schickten ihn in die Stadt zur Schule. Eines Tages traf ihn der Derwisch auf dem Wege und sprach: „Sage deiner Mutter, sie soll mir meinen Lohn geben." Aber der Knabe vergass es zu bestellen. Am andern Tage sprach der Derwisch ebenso, aber der Knabe vergass es wieder. Am dritten Tage steckte der Derwisch dem Knaben einen Knöchel in den Gürtel, und als ihn die Mutter abends auszog und der Knöchel zur Erde fiel, erinnerte er sich des Mannes und erzählte es seiner Mutter. Sie wurde sehr traurig, dass sie ihren Sohn hingeben sollte. Als dieser am nächsten Tage zur Schule ging, ergriff ihn der Derwisch und nahm ihn mit. Er führte ihn in ein grosses, schönes Haus; dort lebte er jahrelang und wurde gross und schön und stark.

In dem Hause lebte ein Mädchen, die sprach eines Tages, als der Derwisch schlief, zu dem Jungen: „Hast du schon die schönen Zimmer gesehen und alles, was darin ist? Nimm die Schlüssel von der Seite des Mannes und schliess alle vierzig Zimmer auf!" So tat der Junge, und er fand in dem einen Zimmer schöne Kleider, im zweiten Waffen, im dritten Gold, dann kostbaren Schmuck und andere wertvolle Sachen. Dann kam er in ein Zimmer, darin war ein Brunnen, aus dem floss Gold. Der Junge hielt seinen Kopf darunter, da wurde sein Haar zu lauter Gold. Zuletzt, nachdem er noch viele Herrlichkeiten gefunden, traf er in der letzten Stube ein Pferd und ein Schwein. Das Schwein hatte Korn zum Fressen; vor dem Pferde aber lag Fleisch. Da nahm der Junge das Korn und brachte es dem Pferde. Dieses dankte ihm und sprach: „Das hast du gut gemacht. Willst du frei werden? Dann komm und setze dich auf meinen Rücken! Nimm aber einen Krug Wasser mit dir und ein Gefäss voll Salz und ein Messer!" Der Junge tat alles, sass auf, und das Pferd sprang mit ihm zum Fenster hinaus und eilte fort. Aber da ertönte ein Glockenzeichen. Der Derwisch erwachte, setzte sich auf das Schwein und ritt dem Jungen nach. Fast hatte er ihn eingeholt; da sagte das Pferd: „Wirf das Messer hinter dich!" Da wurde der ganze Weg voll Messer; das Schwein trat hinein und verwundete sich die Füsse. Dadurch gewann das

1) [Über das Märchen vom Grindkopf vgl. R.Köhler, Kl. Schriften 1, DOO, Eitters- haus, Neuisländ. Volksmäi-chen S. 96 Bunker, Heanzische Märchen nr. 71. 96. Kind einem Zauberer oder Teufel versprochen: R. Köhler 1, ooO. 388. Futter vertauscht: oben 6, 63 zu nr. 13. Löwenmilch als Heilmittel: Chalatianz, Armenische Märchen 1887 S. 72.]

Kleine Mitteilungen. 77

Pferd einen Vorsprung; aber nicht lange, so hatte das Schwein es doch wieder eingeholt. Nun warf der Knabe das Salz hinter sich; da wurde der Weg voll Salz. Das Schwein mit seinen zerschnittenen Füssen hatte grosse Schmerzen und konnte fast nicht weiter, dennoch holte es endlich das Pferd ein. Da goss der Knabe das Wasser hinter sich, und es entstand ein grosser Strom daraus, der war zwischen ihm und dem Schwein, auf dem der Derwisch am andern Ufer hielt. Dieser fragte den Jungen: „Wie bist du hinüber gekommen?" Er antwortete: ^Nimm einen Mühlstein, steck deinen und des Schweines Kopf hhidurch und rollt ihn durchs Wasser, so werdet ihr beide hinüberkommen." Der Derwisch tat es und ertrank samt seinem Tier.

Nun war der Junge seinen Feind los und ritt fröhlich weiter. Er traf einen Hirten, von dem kaufte er für eine Handvoll Goldstücke ein Schaf, nahm den Magen des Tieres und zog ihn über seine goldenen Haare. So sah er aus, als ob er grindköpfig wäre. Als er vor die Stadt kam, sprach das Pferd: „Lege deine Schätze und guten Kleider auf meinen Rücken und lass mich gehen! Nimm aber ein Haar aus meinem Schwanz; sobald du dieses anfasst und mich rufst, werde ich kommen." Er tat alles, ging in die Stadt und setzte sich neben des Königs Garten. Als einmal der Gärtner auf den Markt gegangen war, rief er sein Pferd und ritt, schön gekleidet und mit seinem leuchtenden Goldhaar durch den Garten. Da verdorrten alle Pflanzen. Er entliess sein Pferd und setzte sich wieder als ein armer, kopfkranker Mann ans Tor. Aber des Königs jüngste Tochter hatte alles gesehen; doch schwieg sie darüber. Der Gärtner war sehr betrübt, als er seinen verdorrten Garten sah. Aber am andern Tage ritt der Knabe wieder, hinein; da wurde alles wieder grün, und alle Pflanzen trugen Früchte. Die Königstochter hatte wiederum alles gesehen. Als der Gärtner zurückkehrte, sass der Jüngling wieder da als Bettler.

Nun begab es sich, dass des Königs drei Töchter heiraten sollten, und sie sollten selbst ihren Gemahl wählen. Alle jungen Leute des Landes wurden ver- sammelt, um vor dem Palaste vorbeizugehen, und welcher den Königstöchtern ge- iiel, nach dem warfen sie einen Apfel. Die älteste warf ihren Apfel dem Sohne eines Wali zu, die zweite dem Sohne eines Pascha; die dritte aber behielt den ihrigen. Und als alle jungen Leute vorbei waren, stand da noch einer mit einem Grindkopf, und die Wachen trieben ihn fort. Da ging er an dem Palaste vorbei, und die jüngste Prinzessin warf ihm ihren Apfel hin. Der König rief: „Das gilt nicht I~ und Hess alle jungen Leute noch einmal kommen; aber die Königstöchter warfen wie zuvor. Der König ward zornig und rief wieder: „Nein, es ist nicht richtig!" und Hess die jungen Leute zum dritten Male vorbeigehen. Als nun wieder die Jüngste dem Grindköpfigen ihren Apfel hinwarf, fragte ihr Vater: „Was soll das heissen? Du willst doch nicht diesen schäbigen Kerl zum Mann nehmen?" ,,Ja, das will ich," entgegnete sie, ihn und keinen andern." Da wurde der König sehr zornig und sagte: „Wenn das dein Wille ist, so Verstösse ich dich aus memem Palaste; geh mir aus den Augen mitsamt deinem grindköpfigen Schatz!" Und er gab ihnen nur ein kleines Häuschen, weit entfernt von seiner Stadt. Aber sie lebten glücklich und zufrieden.

Nun begab es sich, dass der alte König schwer krank wurde. Die Ärzte sagten: „Wenn er gesund werden soll, so muss er Löwenmilch trinken." Da rief der König seine Schwiegersöhne und sandte sie aus, ihm Löwenmilch zu ver- schaö'en. Aber die jüngste Tochter sprach zu ihrem Mann, er solle auch aus- ziehen, und bat den König solange, bis er es erlaubte. Doch gaben sie ihm zum Spott einen lahmen Esel und einen Bratspiess, während die beiden andern prächtig

yg Daniel, Schütte:

gerüstet auf schönen Pferden davonsprengten. Der junge Mann ritt aufs Feld hinaus, bis ihn keiner mehr sah, dann stiess er den Bratspiess in die Erde, warf den Esel hin und band ihn daran fest, rief sein schönes Pferd und ritt weiter. Draussen in der Wildnis traf er ein Mädchen und fragte sie, ob sie nicht einen Ort wisse, wo eine säugende Löwin sei. Sie zeigte ihm einen Berg, in dessen Höhle eine Löwin mit zwölf Jungen liege; sie habe aber einen kranken Fuss. Wenn er diesen heilen könne, würde sie gewiss alles tun, was er verlange.

Der junge Mann ging hin, und schon von weitem hörte er die Löwin brüllen vor Schmerz. Im Gebüsch verborgen, näherte er sich leise und sah, dass ihre Tatze dick geschwollen war von einem Geschwür. Da schoss er einen Pfeil ab, der das Geschwür schlitzte. Die Löwin brüllte vor Wut; als aber sogleich der Eiter auslief und der Schmerz nachliess, rief sie: „Wer hat mir das getan? Er komme her, ich will ihn belohnen." Nun trat er hervor und sprach: „Willst du mir geben, um was ich dich bitte?" Sie versprach ihm alles, was er wolle. „So gib mir von deiner Milch in deiner Haut!" Sie erwiderte: „Meine Haut kann ich dir nicht geben; doch nimm eins von meinen Jungen, töte es und ziehe ihm die Haut ab. Aber geh fort von hier, dass ich sein Geschrei nicht höre; denn sonst muss ich dich zerreissen." Er tat, wie geheissen, und dem jungen Löwen verband er das Maul, dass er nicht schreien konnte. Die Löwin füllte nun den Schlauch ^) mit Milch, und er ritt zufrieden fort.

Im nächsten Dorfe kaufte er zwei Schläuche Ziegenmilch, lud sie auf seinen

Esel und zog heim. Als er sich der Stadt näherte, sah er von ferne auf der Strasse

die beiden andern Schwiegersöhne kommen, die nichts erbeutet hatten. Da fing

er an, auszurufen: „Kauft Löwenmilch, frische Löwenmilch!" Da kamen die beiden

eilig und verlangten alle seine Ware, boten ihm auch soviel Geld dafür, als er

nur irgend verlange. Er wollte aber kein Geld, sondern forderte, dass sie sich

mit dem glühenden Eselshufeisen ein Mal auf ihre Hinterseite aufbrennen Hessen.

Und sie merkten seine Schalkheit nicht und liessen es geschehen. Da gab er jedem

einen der Schläuche Ziegenmilch; den kleinen Schlauch Löwenmilch aber hatte er

unter dem Mantel verborgen, dass ihn niemand sah. Die beiden eilten sogleich

mit ihrer Beute in des Königs Palast. Die Ärzte kosteten und merkten wohl, dass

es Ziegenmilch war, doch gaben sie es dem Könige zu trinken. Es half aber

nichts, sondern es wurde nur schlimmer. Und schon war der König seinem Ende

nahe, da kam der junge Mann und brachte ihm die Löwenmilch, von der wurde

ihm sofort besser, und bald war er ganz gesund. Nun kam die jüngste Tochter

herbei und sprach zu ihrem Vater: „Siehst du wohl, was für ein tüchtiger Mensch

mein Mann ist? Das wusste ich ja vorher." Und sie erzählten dem Könige, wie

die beiden andern ihn betrügen wollten mit der Ziegenmilch, und zur Bestätigung

zeigte man ihm das eingebrannte Mal. Der König ward zornig über jene beiden,

und er bestimmte, dass der Mann seiner jüngsten Tochter das Königreich erben

solle. Da ging dieser hinaus, tat die schlechten Kleider und die Grindhaut ab

und erschien nun prächtig gekleidet und mit seinem goldenen Haar; und alle

priesen seine Schönheit, und seine Gemahlin ward hoch beneidet.

München. Clara Daniel.

1) Tierhäute, unzerschnitten abgezogen, dienen im Orient als Behälter für allerlei: öl, Fett, Wasser usw. Diese Schläuche sind durchaus wasserdicht.

Kleine Mitteilungen.

79

Der Schimnielreiter, ein braunschweigisehes Uochzeitsspiel.

Über den Schinimelreiter hat R. Andree^) zumal nach H. Schattenberg 2) ein- gehend gehandelt. Wenn er aber meint, dass schon um die Mitte des 19. Jahr- hunderts der Schimmelreiter in den braunschweigischen Dörfern verschwand, so irrt er. In Grasleben bei Helmstedt wurde noch 1880 vor Weihnachten 'de Snurrschimmel eredden', in den Dörfern nordwestlich von Braunschweig, z. B. in Bortfeld und in Wendeburg, hier beim Schlachtefeste, erschien er noch um das Jahr 1900. Die Verse jedoch, die ich hier mitteilen kann, stammen bereits aus den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts und wurden bei einer Hochzeit in Cremlingen bei Braunschweig vorgetragen.

Adjutant: Ich bin der Flügeladjutant Einer fremden Armee aus Ungarland Und soll einen Gruss von meinem Herrn

bestellen, Der ist draussen im Gasthofe mit seinen Gesellen 5 Mit einem schön und geschwind reitenden Schimmel, Sie reiten dort unten im ^^''eltgetümmel. Sie haben eine vreite Reise gemacht, Auch scharfe Degen und rauhe Bärter

mitgebracht. Sie kommen heute aus Sachsenland 10 Und wollen gerne zu Eurer Freund- schaft Band. Es darf aber keiner Anstoss nehmen Und sich der fremden Gäste schämen. Doch eh ich noch ein Wort zusage, Tu ich das junge Ehepaar fragen IS Und bitte sie recht herzlich fein, Ob sie davon bewilligt sein. Soll ich die Fremden zu Euch bringen. Dann lasst recht laut das Jawort klingen I Ich danke Euch für das freundliche Ja, -0 Sogleich sind die bärtigen Männer auch da. Herein mit den bärtigen Männern, herein I

Offizier:

Guten Abend alle insgemein.

Die Sie hier versammelt sein.

Ich bitte mir aus recht herzlich fein, 25 Hier ein wenig zu reden allein.

Hochgeehrte Gesellschaft, ich tu Sie bitten,

Wir kommen mit unserem Schimmel ge- ritten,

Um bei diesen Hochzeitsacheu

Euch ein Vergnügen hier zu machen.

In bunten Kleidern kommen wir,

Weil's jetzt Mod ist und Gebühr.

Wir kommen hier nicht um Schlägerei,

Auch nicht um Fress- und Sauferei,

Aus lauter Liebe geschieht's allein,

Dies junge Ehpaar zu erfreun.

Wir haben unsern Schimmel geschmücket

fein Und hoffen, dass wir werden willkommene

Gäste sein. Wir durchwachten manche lange Nächte, Um ihn zu zieren aufs allerbeste. 0 möge doch mein Wunsch gelingen, Dass es Ihnen zu Herzen dringe, Dass ich mit meiner Gesellschaft nach

Gebühr Unsern Schimmel werde vorführen allhier Und durch sein lustig Tanzen und Springen Diesem jungen Ehpaar die letzte Ehre

bringen. Die letzte Ehre in dieser Abendstunde, Weil sie sind aus unsrer Gesellschaft ver- schwunden! Mit rührendem Herzen kommen wir eben. Von Euch den traurigen Abschied zu

nehmen. Von Euch, weil manche frohe Stunden Sind alle schon dahingeschwunden, Weil wir so oft zum Freundschaftsband Recht fest verknüpfet Hand in Hand. Auch an des Bräutigams Eltern hier Wend' ich mich nun noch uaoli Gebühr, Wer kann wohl Eure Freuden zählen. Die Euch heut' um das Herze schweben, Dass Ihr könnt so vergnüget sein Und munter Euch des Tages freun. Ach, wieviel trübe, saure Stunden

35

1) Braunschweiger Volkskunde ^ S. olOff.

2) Beiträge zur Anthropologie Braunschweigs (Braunschweig 1898) S. 155 ff. oben G, 430: Anhalt: 7, .515: Ostpreussen; 8, 441: Steiermark; 12, 388.].

[Vgl.

80

Schütte, Bolte:

Sind wolil darüber hingeschwunden, Wieviel Gefahren mancher Art, Eh dieser Tag erreichet ward, Wie Ihr ilm könnt heute sehn

«5 In Ehrenkleidern vor Euch stehn. Gott schütze ihn durch seine Macht. Bis hierher hat ihn Gott gebracht.

(Musik!) Auch an die Jungfer Braut allhier Wend' icli mich nun nach Gebühr,

70 Sie war ja immer nett und fein, So möge sie "s auch ferner sein. Ihre braven Eltern stehn daran Und nun auch ihr braver Mann. Doch hiervon jetzt nun weiter still,

75 Und hört, was ich noch sagen will. Nun sorget für die Eltern fein Und lasst sie ganz Euer eigen sein Und schönet ihre alten Tage, Erleichtert ihnen Not und Plage

so Und stillet, wenn sie treffen Leiden, Bereitet ihnen täglich Freuden I So wird man Euch in allem loben. Der Gott, der segne Euch von oben! Nun wünsch"' ich noch Euch Eheleuten

85 Viel Glück an allen Enden,

Das Werk, das Ihr jetzt vor Euch habt, In Liebe zu vollenden. Gott möge Euer Schützer sein, Abwenden jede Plage,

so Eintracht alle Zeit verleihn Und viel gesunde Tage.

0 schenke sie Glück im Ehestand Und gib sie Kinder an die Hand, Das erste Jahr einen kleinen Sohn

<)5 Von Deinem lieben Himmelsthron, Das zweite Jahr ein Töchterlein! Das wird dann ihr Vergnügen sein. Hierauf lass ich sie zu Ehren Die Hörner und Trompeten hören.

(Nun machte der Schimmel seine Sprünge und verlor dabei ein Eisen. Der Schmied war sofort zur Hand, um es ihm wieder anzuschlagen. Das un- ruhige Tier suchte er zu beruhigen.)

Schmied:

100 Brr Schimmel, brr Schimmel, brr Schimmel!

1 du verdammtet Aas,

Du makst immertau noch Spass. (Dabei wurde er aber von dem Pferde so

geschlagen, dass er zu Boden fiel und ein Arzt geholt werden musste.)

Arzt: Ich bin der Doktor Eisenbart, Kurier die Leut nach meiner Art, Kann machen, dass die Lahmen gehn io5

Und dass die Blinden wieder sehn*). Ich war ein ungeratner Sohn Von meiner frühsten Jugend schon. Mein Vater, der war auch nicht dumm. Er schickte mich aufs Studium, iio

Liess mich durch hohe Schulen führen Und liess mich als Student studieren. Auf der Schule zu Frankfurt am Main Studierte ich auch weltlich eiu, Ich gedachte noch auf dieser Erden ii5

Der grösste Astronom zu werden, Doch das sag' ich dreist vor allen, Damit bin ich höchst durchgefallen. Da entschloss ich mich denn ganz allein. Ich wollte nur noch Doktor sein. 120

Meine erste Kunst, die ich probiert, Die ist bei einem alten Weibe passiert. Weil die vor allen anderen Damen Das allerhärteste Leben haben. Dann fing ich auch so dann und wann 125 Das Brauchen bei den Jungfern an; Da hab ich nun seit einigen Jahren All immer so mit fortgefahren. Zuletzt kuriert ich eine Frau, So wusst ich alles sehr genau. 130

Da bin ich gereist durch fremde Länder, Habe die Leute kuriert au allen Enden, Arme, Reiche, gross und klein, So wie s' auch hier versammelt sein. Und sollt Euch diese Nacht noch etwas i35

drücken. So wisst Ihr mich und könnt gleich

schicken. Ich bin auch so ein Doktorsmann, Der selbst vom Tode retten kann. Ihr glaubt es fest und sicher ja, Der Tod steht diesem Menschen nah. i40

Schmied: Mein Herz ist mir so ganz beklommen. Ich seh den Tod von ferne kommen.

Arzt: Johann, nur schnell mit Feuer und Brunst! Es muss geschehen die Zauberkunst:

1) (Vgl. zu diesem Liede A. Kopp, Eisenbart im Leben und im Liede (li>UO) und Zs. f. Bücherfreunde 7, 217 (190:i).]

Kleine Mitteilungen.

81

145 Hux fux filiux ober döber lapsak. Johann, geschwind zur Apotheke Und hole für fünf Pfennig Jungfernloch Und für fünf Pfennig maginierten Hä-

ring ein, Denn das wird wohl noch dienlich sein.

150 Johann, noch eins, was hier gebricht, Vergiss das Liebespulver nicht I Er ist in einer grossen Gefahr, Am Beutel hat er kein trocknes Haar. Nun frag ich dreist und bange nicht,

»55 Warum der Tod gekommen ist.

Tod: Ich bin dazu hierher befohlen. Die Menschenseelen abzuholen, Doch gegen Deine Zauberkraft allein Ist meine Macht noch viel zu klein. 100 Drum hol ich Dich, du altes Schaf, Diese Nacht ans Deinem tiefsten Schlaf.

Arzt: Was, willst du noch vom Schafe sagen? Ei, so was kann ich nicht vertragen. Wart. Du verdammter Ziegenbock,

165 Jetzt brauch ich meinen Zauberstock. Johann, geschwind an meine Seite Und gib dem Tode das Geleitel Das sind von dem noch keine Sachen, Er kann die Welt noch Nutzen schaffen,

170 Das ist ein braver Kriegesheld,

Der bleibt noch hier in dieser Welt. Musikanten, stimmt mit Hörnern ein. Dann wird er wieder lebend sein.

(Nun springt der vom Pferde Ge- schlagene wieder auf.)

Offizier: Nun, Herr Steffen, Herr Baibier, 175 Nun zeige deine Kunst allhier!

Braunschweig.

Nun setze sich ein fremder Mann, Der Herr Baibier fängt jetzt gleich an; Er ist ja auch recht flink dabei, In einer Stunde halbiert er zwei,

Baibier: Diesen zu halbieren, das ist man Spass, Aber gestern halbiert' ich einen Bars, Ein altes Weib von achtzig Jahren, Der war ihr Bart zusammengefrorea, Die wohnt zu Braunschweig im Katt-

reppeln'). Die hatte ganz barbarsche Stoppeln.

Paias-j: Ich bin gereist durch Anhalt, Da liab ich gegessen Schweineschmalz; Dann bin ich gereist durchs Land Hessen. Da gab es grosse Schüsseln und wenig

zu essen: Dann bin ich gereist durchs Land Sachsen, Wo die Mädchen auf den Bäumen wachsen; Hätt ich mich nur recht bedacht, Hätt ich mir u. unserm Herrn Offizier auch

eine mitgebracht. Nu lat ik nu tau minen Gefallen Usen Herrn Offizier de A backen knallen. [Schlägt ihn.]

Offizier: Nun Sprech ich dreist und unverhohlen. Den Paias soll der Teufel holen.

Paias: Na einen spennt e nich an.

(Der Teufel kommt und sucht den Paias überall, bis er ihn fasst. Dieser schreit, wird aber vom Teufel auf die Schulter genommen und weggetragen.)

Otto Schütte.

Eine ßätselsammlang aus dem Jahre 1644.

Frag vnd Aufflösung Etlicher kurtzweiliger schönen Geist- vnd Weltlichen Rätzeln. Durch Michael Ausser von Pesing auß Vngern in Truck verfertigt^).

1. Frag: Welches seynd die vier schwäresten Arbeit? Antwort: Regieren, lehren, hätten vnd gebären.

1) Strasse in Braunschweig. 2) Bajazzo.

3) Folioblatt mit Blumenbordüre (Kupferstichsammlung des Germanischen Museums zu Nürnberg); nicht verzeichnet bei H. Hayu, Die deutsche Rätselliteratur (Zbl. f. Bibliothekswesen 7, 516. 1890). Hinter der Überschrift ein Holzschnitt, auf dem ein Kavalier und eine Dame einander gegenüberstehen. Die Heimat des deutschungarischen Sammlers Pesing dürfte das heutige Pötsching sein, das zwischen Wiener-Neustadt und (»denburg nicht weit von der Leitha liegt.

Zeitschr. li. Vereins f. Volkskunde. 1910. Heft 1. (}

g2 Bolte, Jungwirth:

2. Was ist das allerstärckeste auff der Welt? üie Warheit. Im 3. buch Esdrae am o. capitul.

",. Wie groß ist die Welt? Fünff tausend vnd vier hundert teutscher meyllen.

4. Wie groß ist die Sonne? Hundert vnd sechs vnd sechzig mal grösser als die gantze Welt.

5. Wer hat gemacht, daß Sonn vnd Mond haben müssen stille stehen? Josua.

6. Wer hat gemacht, daß die Sonne zehen stafflen hindersich zurück hat gehen müssen? Ezechias der König.

7. Wo ist der Himmel von der Erden nicht über drey eilen hoch? In den Wasserbriinnen.

8. Wo begrabt der Todte den Lebendigen? Wann die äschen das Fewer verdecket.

9. Was ist das allergeschwindeste auff der Welt? Des Menschen Gedancken.

10. Was ist das: Der Bawer siehst [!] alle tag, der Keyser siehst gar selten, vnd Gott kans gar nicht sehen? Seins gleichen.

11. Welches ist das allerstärckeste Thier auff Erden? Ein Schneck, dann er trägt sein Hauß mit sich.

12. Was ist das: Wann man viel darzu thut, so wirds nicht grösser, vnd wann man, viel darvon nimmt, so wirds nicht kleiner? Ist das ^leer.

13. Wer hat gemacht, das eysen wie holtz geschwummen? Elisa: da einem am Jordan die Axt von jhrem Helm ins Wasser gefallen war, da stieß Elisa mit einer Stangen an den grund, da fuhr sie herauff vnd schwämme herzu, daß mans mit der Hand herauß langen konte.

14. Was ist das: Das Wasser war das Schloß, das Holtz war der Schlüssel, der Jäger jagt das Gewild, das Gewild das war entgangen, vnd der Jäger ward gefangen? Das ist Moses, als er mit seinem Stab in das Meer schlug, da zertheilete es sich von einanderen, daß er vnd die Kinder Israel trockenes fuß haben durchziehen können, Pharao, aber, der jhnen nachjaget, mit seinem gantzen Kriegßheer darinnen ertruncken ist.

15. Was ist das: Es kam der Gerechte zu dem Vngerechten vnd bat jhme, er solte jhm etwas schencken, da schenckte der vngerechte dem Gerechten etwas, das thewrer ist dann Himmel vnd Erden? - Das ist Joseph von Arimathia, als er den Leib des Herren, Christi zu begraben erlangte von dem vngerechten llichter Pontio Pilato.

K). Was ist das: ]^ein Mutter hat mich geboren, vnd sie wird wider von mir ge- boren? — Das ist Eyß vnd Wasser.

17. Wer ist gestorben vnd ist nicht geboren? Adam vnd Eva.

18. Wer ist geboren vnd ist nicht gestorben? Enoch vnd Elias.

19. Wer ist einmal geboren vnd zweymal gestorben? Der Lazarus von Bethania vnd der Wittwen Sohn von Naim.

20. Wer ist ehe geboren dann sein Vatter vnd hat die Brüst ehe gesogen als seine Mutter? Cain vnd Abel.

2. Vgl. R. Köhler, Kleinere Schriften 2, 5ö.

S. Wossidlo, Mecklenburg. Volksüberlieferungen 1, 162 nr. 677. R. Köhler 3, 509. Brunk, Rad to 1907 nr 450.

9. Paustbuch 1590 c. 56 = 1878 S. 137. Creizenach, Geschichte des Volksschauspiels vom Dr. Faust 1878 S. 52f. 76. Lehmann, Florilegium politicum 1, 264 (1662): 'Kein. Vogel ist so schnell in Lüfi'ten als die Gedancken'. Peter, Volkstümliches aus Österr.- Schlesien 1, 273: 'Des Menschen Gedanken sind schneller als Pfeil.' Grundtvig, DgF, 1, 247. 4, 744 (nr. 18 Svend Vonved): 'Sinden Gr raskere end en Raa.'

10. Strassburger Rätsell)uch ed. Rutsch 1876 nr. 23. R. Köhler, Kl. Schriften 3, 502. Wossidlo 1, 122 nr. 394. Brunk nr. 291.

11. Wossidlo 1, 156 nr. 604. Brunk nr. 405. 14. Wossidlo 1, 127 nr. 413. Brunk nr. 306.

17. Strassburger Rätselbuch nr. 274. Wossidlo nr. 40!>. Brunk nr. 302.

18. Strassburger Rätselbuch nr. 275. 20. Wossidlo nr. 411. Brunk nr. 303.

Kleine Mitteilungen.

83

21. Welche Schwestern haben jhre Brüder geboren? Des Loths Töchter.

22. Wer ist geboren vnd nicht gestorben, ist noch auff der Welt vnd lebt nicht? Des Loths Frau, die bey Sodoma vnd Gomorrha zur Saltzsäul worden ist.

23. Welcher Mensch ist weder im Himmel noch auff Erden gewesen vnd hat gelebt? Jonas im Wallfisch.

24. Welcher Mensch hat mit Gott gerungen vnd ist obgelegen? Der Patriarch Jacob.

25. Wo stehet geschrieben, daß ein Eselin mit jhren Herren geredt habe? Im 4. Buch Mosis im 22. Capitel.

26. Wo hat ein Esel geschrien, daß die gantze Welt gehört hat? In der Archen Noe.

Gedruckt zu Basel bey Georg Decker im Jahr 1644. Berlin. Johannes Bolte.

Volksrätsel aus Ostermiething, im oberen lunviertel.

1. Immer und immer Ein hohes Getümmer, A boanerne Wies':

Wenn's d' a g'wisse Jungfrau bist, Darrät'st d'as g'wiß. (Friedhof.)

2. Ich geh in ein kleines Kämmerlein, Begegnet mir ein kleines Männelein. Jungfrau darrat's, darrät's!

Wenn's d'a Jungfrau bist, Darrät'st d'as g'wiß. (Der Ratz.)

Und denk dars, daß ar eini muaßl (Brot einschieben.)

6. Meinen Bauch auf deinen Bauch Und laß mi mit mein'm Länga

In dein Loh hineing'länga! (Mostheber.)

7. Loh auf Loh, Bauh auf Bauh, Und den Langa

Laß eini g'länga! (Dasselbe.)

3. Hintarm Tüarl Sitzt a Miarl. Wer? Darrät's, darrät's! (Der Ratz.

8. Viar Büabi Brunzen in oaii Grüabi. euters.)

(Zitzen des Kuh-

4. Zwoa ziagn, Zwoa schiabni

Ubern Schoaßlberi auti. (Zwei Hände ziehen, zwei Füße schieben die Hose übern Hintern.)

5. Heb an Arsch Und reib an Arsch Und an denk'n Fuaß

9. Viar lange Stangen Können Himmel und Erd' not darglängen. (Dasselbe.)

1(1. Viar hängan, Viar gengan, Zwoa leuchten, Zwoa schauen, Zwoa losen,

22. Wossidlo nr. 408. Brunk nr. 301.

23. Wossidlo nr. 412. Brunk nr. 304.

26. Strassburger Rätselbuch nr. 285. R. Köhler 3, 506.

1. Getümmer = Getümmel; doch heisst es bei A. Peter (Volkstümliches aus Österreichisch-Schlesien 1865 1, 128 nr. 383) Gezimmer. Vgl. oben 5, 157 nr. 160—162.

2. Oben 5, 155 nr. 134—136.

3—4. Oben 5, 148 nr. 9. Das deutsche Volkslied 11, 48 (1909). 5. Oben 5, 156 nr. 150.

6—7. Wegener, Volkstümliche Lieder aus Norddeutschland 1879 S. 138 nr. 473. 8. Oben 5, 151 nr. 70.

10. Oben 5, 151 nr. 64-65. 11,129. Wegener S. 124 nr. 410. Grundtvig, Gamle danske Minder 1, 223. [Wossidlo, Mecklenburgische Volksüberlieferungen 1, 80 nr. 165.]

84

Jungwirth, Heult:

Oaner treibt hinten nach, (Die Kuh: Zitzen, Füße, Augen, Hörner, Ohren,

Sclnvanz.)

11. Runk'lte, bunk'lte übar Bahn, Runk'lte, bunk'lte auf dar Bahn, Wenn Runk'lte bunk'lte brecha tat Wer Runk'lte bunk'lte macha tat? (Ei.)

12. Zwoa kiunau's, Zwen kinnan's, Äbar zwo kinnan's not.

Beichthören.)

(Beichten und

13. Du hast oani, A rauchi, a kloani, Is ällweil naß,

Mecht ällwei was. (Zunge.)

14. G'schwind oin aus Bett

Und wir häbin zwoa rauchi z'sämm- gsteckt. (Augenschließen nach dem Schlafengehn.)

15. Knia biagn, Löchi stecha, Deant nix darbrecha.

(Nudlteig-kneten.)

16. Kniggi, knaggi Ploderhosen, Tua' n'n eini und läß'n losen, Tua' n'n außar und schau' u'n äu: Frag' n'n, was ar da drinnan hat tan.

(Kietzenbrot backen.)

17. Der Bauer geht übers Land Hat an Wischl-Waschl in der Hand;

Du Bäurin denkt eahm in seinem Sinn: Hätt ih ihn in meiner schwarzen drinn.

(Wischl-Waschl ist ein Fisch, die

'schwarze' die Pfanne.)

18. Diarn geht übarn Hof Und zoagt a'n Knecht 's Loh;

Dar Knecht denkt eahm in seinem Sinn: Hätt ih mein langa drinn. (Loh ist der Ring, der 'lange' der Finger.)

19. Dös is a Ding, Das is a Ding,

Das man habiu muaß.

Kriagt mafis beim Kramar not,

Wachst aut'n Baman not:

Dös is a Ding,

Das is a Ding,

Das man habih muaß. (Backofen.)

20. Hint und vorn is g'stutzat.

In dar Mitt hats a Roafl. (Reisigbündel.)

21. Gott hats not, D' Welt hats a not, A'n Wassar is z' find'n. Der Adam hats vorn,

Und d'Eva hats hint'n. (A.)

22. Stöffei, Stöffei, was is das, Hintar dar Bettstatt krachit was: Is koau Fuchs und is koaü Häs: Stöffei, Stöffei, was is dAs? (Floh.)

23. Was tuat unsar Herr um Siebnii

Im Himmi? (Warten, bis es acht schlägt.)

24. Wer versteht denn am mehrarn in dar Kira? (Der die größten Schuhe hat.)

25. A hülzars Hafarl und a fleischarne Deck? (Abort.)

26. 's hängt an dar Wand und braucht koan' Nagel? ('s Rotz.)

11. Die Ostereier werden über zwei zusammengelegte Rechen im Spiel lierunter- gelassen. Oben 5, 152 nr. 8i). 5, 182 nr. 20.

12. Zweü ist Masculinum, zwo Feminium, zwoa Neutrum. 14. Wegener S. 128 nr. 429.

K;. Der Kletzenbrotteig ist plodarat, d.h. rogel, körnig, unfest. Er wird in den Ofen gescholten und muß auf die Frage, was erdrinnen getan habe, antworten: Gebacken hab ich mich.

17. [Wossidlo 1, 131 nr. 4:'.!.]

20. Peter 1, 131 nr. 401.

21. Oben 5, 159 nr. 203—205. 5, 181 nr. 11. 14. Wegener S. 143 nr. 498-499. [Wossidlo 1, 137 nr. 470.]

22. Peter 1, 119 nr. 338.

25. Oben 5, 158 nr. 172. [Wossidlo nr. 269.] 2(). Oben 5, 154 nr. 123. [Wossidlo nr. 297.]

Kleine Mitteilungen. ^5

'JT. Wia bringst a Fuadar Heu übar d' Bruggn, ohne daß d'as abz'mauten brauchst?

:Setz a Henn drauf, dann is a Hennarnest) '28. Is was im Keller drunt und bringst d'as mit 4 Roß not aufar. (Spule Zwirn

der sich von der Spule abwickelt, wenn man ihn heraufzieht, so daß zuletzt

die Spule unten bleibt.) 29. Wie weit lauft das Reh ins Holzr' (Bis in die Mitte; dann lauft es hinaus.) oO. Geht über den Laubarhaufen und rauscht not? (Die Sonne.)

31. Liegt mitten im Holz drin und schreit allweil? (Kind in der Wiege.)

32. Liegt mitten im Holz und geht? (Teig im Backtrog.)

33. Geht eini ins Holz nnd läßt die Hörner heraus? (Bohrer.)

34. Was brauchst denn, wenns d' ins Boarn gehst? (An Bohrer.)

Innsbruck. Ernst Jungwirth.

Westtälische Hansinschriften.

(Fortsetzung zu 19, 101—107.)

55. WAN ALLES IST GELAUFFEN UNü GERUNNEN, IST NICHT MER ALS DIE KOST GEVVUNNEN | DER DANN GEWUNNEN HAT DIE SEILIGKEIT HADT WOL BESTAN SEIN ARBEIT. | ANNO 1711. [Die Namen sind übertüncht] (Stadt Oelde Nr. 24.)

56. HERR SCHÖPFER DIESE GANSZE WELDT DURG DEINE MACHT IN STANDE

ERHELDT | DU WOLLES VOR FEVER VND VOR ANDEREN SCHADEN VOR HAGEL VND VOR | GROSSEN VNGEWITTER AUCH VOR WASSER VND VOR BRANDT DIESES HAUS | BEWAHREN J. B. FRIE MARIA CRISTINA OSSENBECK | 1801 DEN 18 APRIL (Stadt Oelde, Nr. 162.)

57. 0 GOTT SCHENCKE UNS DEINE GNADE UND BEWARE DIESES HAUS \

GIBT UNS DEN FRIEDEN UND EINNIKEIT UND DAS HIMMELREICH ANo 1801 \ DEN 17 lUNIUS \ M F L K (Stadt Oelde, Nr. 283.)

58. ALLMÄCHTIGER DU SCHÜTZTEST EINST DIES HAUS VOR NAHEN BRAND

SO GNÄDIG SCHÜTZ UND SEGNE ES STAETS MIT STARKER MILDER HAND JODOC HENRICUS FUNKE ANNA MARIA SCHWARZE 1803 {\ JULIUS

(Stadt Oelde, Herrenstrasse Nr. 171.)

59. SOLA FIDE. 1880. (Stadt Oelde, Evangelische Kirche. Römer 3, 28.)

28. Oben 5, 155 nr. 138—139. .5, 157 nr. 1G:>. Peter 1, 12G nr. 370.

29. [Wossidlo nr. 709.]

30. Oben .'i, 154 nr. 120. 5, IMl nr. 15-10. 5, 399 nr. 154. Peter 1, IIÜ nr. .".iS. W^egener S. 115 nr. :573— 374. [Wossidlo nr. 372.]

31. Wegener S. 129 nr. 431. :>2. Oben 5, 155 nr. 124.

33. [Wossidlo nr. 317.]

34. Boarn = Bayern und Bohren.

86

Heuft:

60. WEE GOTT LIEB HAT, DEN GIEßT ER EIN SCHÖNES HÄVSLEIN VND WEIBLEIN.

(Stadt Oelde, Nr. 30. An einem in der Brauerei eingebauten Balken, der sich über der Haustür des früheren Wohnhauses befand.)

61. AUDIATUR ET ALTERA PARS (Stadt Oelde, Amtsgericht.)

62.

Religion n. Tuo:end

Arbeitsamkeit u. Fleiß

Eintracht u. Liebe

Frohsinn u. Scherz

(Stadt Oelde, Nr. 174^2. Katholisches Gesellenhaus.)

63. VERLEI . UNS . 0 HERR . DEINEN . FRIEDEN . VND . DAS . TAGLICHE . BRODT.

IN DIESER ZEIT . VND NACH | MAHLES . DIE . EWIGE . GLVCK . SEHLIKEIT . JACOB . HOLTENBERG . GENANDT . FLASKAMP . l VND . ANNA . ELISABETH . VERKIECK . GENANDT . FLASKAMP . EHELE VTE. I ANNO . 1743 . DEN . 10. JULLY .

(Feldmark Oelde, Nr. 14.)

64. SIT LAUS DEO SEMPER. DIESES HAUS IST GEBAUET AUS NOHT. GOT

GEBE UNS DAS TÄGLIGHE BROD. | HENRICUS BOKMAN ANNA MARIA HANHUS EHELEUTHE. | ANNO 1751. DEN 2. JAN. | IHS IHS (Feldmark Oelde, Nr. 11. Die Inschrift ist im Jahre 1907 beim Umbau des Hauses verschwunden.)

65. WOLL GODT VORTROWET HEFT WOL GEBOUWET. 1609. (Kirchspiel Oelde, Bauerschaft Menninghausen Nr. 31.)

66. HEST DV ZV VOREN GEKOMMEN, SO HEDE ICK MET DIR RADT GENOMEN.

BERNAT BRVMAN | ANNA HOPES. ELVTE. AN GOTTES SEGEN IST ALLES GELEGEN. HINRRICH. BRVMAN. | ELISABETH HVCKELMANS ANNO 1694 DEN 25 AVGVSTVS. | MEISTER | CASPER | GERSHOF i GENADTl BAKER 1 HAT DISES HAVS GE | BOWET. (Kirchspiel Oelde, Bauerschaft Knitlinghausen Nr. 38.)

67. SETTE . DEIN . VERTRAVEN . AVF . GODT DEN . HEREN . DER . WIRT . DICH.

VND. DEIN. I H.AVS.ERNEREN. | STEFpEN . BROLING . GENANDT . SCHVR- MANN. VND. ANNA. SCHVRMANN.EELVDE. | ANNO. 1701 . DEN . 27. JVLIVS.i CASPER . GOLLENBECK . | TIMMER . MESTER. (Ksp. Oelde, Keitlinghausen Nr. 32.)

68. ES SEY VND BLEIBE AN DIESEM ORTH VND HAVS DER SEGEN | GOTTES

JOAN CVLKEN ANNA CATHARINA GRÖNING | 1704 DEN 20. MAY ] (Ksp. Oelde, Menninghausen Nr. 48.)

69. 0 . GOT . BEWAHRE . DIESES . HAVS . FVR . FEVER . VND . BRAND .

VND . SEGENE . ES . MIT . DEINE . HAND .

MISGVNST . DER . MENSCHEN . KAN . MIR . NICHT . SCHADEN .

DOCH . WAS . GOT . WIL . MVS . DOCH . GERATEN .

(ANNO) 1720. (Ksp. Oelde, Ahmenhorst Nr. 22.)

70. GERHARDVS STRICKER I VND ELISABET MÖWIG ELAT | DER AVS VND EIN-

GANG MEIN I SOL DIR 0 GOT BEFOHLEN SEIN | DEN 4. JVNIVS | ANNO 1726 (Ksp. Oelde, Älenninghausen Nr. 37.)

Kleine Mitteilungen. g7

71 GELOBET SEI . JESVS KKISTVS . BIS . TN . ALLE . EWIKEIT . | JOHAN FRIED: POLMAN: ANNA KATRINA . HEITKEMPEES. | EHELEVTE. | AXNO 1728 DEN 18. NOVEMBER.

(Ksp. Oelde, Ahmenhorst Nr. 12.)

72. Du SicJifs mich >ieii\ anfgebawet,

Weil ich hab auf Gott Veiirairet. \ Meine Hoffniiny Steth auf den herreu. Er laß mich nicht zu Schande werden. | Johuii Bernhard Bitnue und Äiina Catharina Gerckmann \ Eheleute, j Anno den

1751 I 15. Juni/. (Ksp. Oelde, Bergeler Nr. l!l.)

73. Dem Gerechten Gehet Das licht auff' im p'nstern j Durch den Gnädigen und Barmb-

heii:igen Gott. \ Johan Bernhard Althoff und anna Ehelisabeth Schnieder \ Auuo den 20. Jung 1752

(Ksp. Oelde, Bergeler Nr. lo.)

74. Was Verbrandt ist Verlohren, Darumb hab ich dich mein Gott aun- \ erkohren. Ich

bitt Herr, zeige mihr deine Milte haudt. Wirst mich Setzen in Vo- \ rigen Standt. Anno 1758 den 24. May. (Ksp. Oelde, Menninghausen Nr. 9.)

75. ALLES . ZVR . DER . HÖGSTEN . EHR. GOTTES . GOTT. DER. BEWAHRE. DIESES .

HAVSZ. ALLES. WAS. DAR . GEHET. EIN. VND AVSZ . | JOHANN. BERNARDT . HÖCKMANN . I VND . ELISABETH . GENTTRVP. E. L.

(Ksp. Oelde, Keitliiighausen Nr. 28. Die Jahreszahl ist wegen Verwitterung des Balkens nicht mehr zu lesen, anscheinend 1774.)

76. Hn Sotteß diamen haben wir well Sebauet. | t\antz Snte Qb'6rh:ff und . . . ] . oÄnno 1773

Q)en Jit. üulij.

(Ksp. Oelde, Keitlinghausen Nr. 33.)

77. GOT ICH BEGEHRE DAS DV MIR MOGTEST i VOR SCHADEN VND VNGLVCK

BEWAHREN ; DAS DIESES SPIECKERHAVS STEHET VON AL | DEN VNGLVCK SEI BEFREIT. J. H. ERNSTING VND | A. G. D. BACKMANN ELEVTE | ANNO 1781 DEN 24 OKTOB.

(Ksp. Oelde, Bsch. Menninghausen Nr. 48.)

78. 0 : GOTT . DV . BIST . MEIN . HILF . MEIN . TROST . MEIN . GOTT . VND . ALLES . I

DV . BIST . MEIN . VND . ICH . BIN . DEIN . VND . DV. SOEST. MEIN . VND. ICH. WILL I DEIN . BLEIBEN . IN ALLE EWIKEIT. | JOHAN BERNDT KEISER CHRISTINA STIENES 1 EHELEVTE | ANNO 1785 DEN . 23 . NOFENBER.

(Ksp. Oelde, Menninghausen Nr. 30.)

79. An einein Schafstall im Kirchspiel Oelde, Bauerschaft Menninghausen Nr. 48 befinden sich die folgenden vier Inschriften, über jedem Tor eine:

1. ICH . HABE . HIR. GESTANDEN . VND . ICH. BIN. VERBRANDEN. GOTT. H AT. l DICH. LEGEN. NIEDER. VND. GIBT. MIR. DIE. GNADE. VND. SETZET. DICH.

WIEDER.

2. JOHAN HENRICH ERNSTING: VND ANNA GERTRVEDT BACKMANS: EHE-

LEVTE. I ANNO 178G DEN 30. MAIVS.

3. ICH . STAE . WIE . EIN . HIRT . DER . SCHAFFEN . VND . GOTT . WIRT . | MIR . DOCH . NICHT . VERL ÄSEN. VND . GOTT . IST. EIN. SCHÖFFER. ALLER. DIN- GEN . DAS . KÖNNEN . WIR . MENSCHEN . NICHT . ZWINGEN.

88 Heuft:

4. VND . DER . SCHÄFFERN . DER. SEIND . KLVCH.VND . FAREN . IMMER . DIE. BESTE . PFLVCH . | ZIMMERMEISTER FRANS WILME LVKENKÖTTER.

80. HÖRET IHR BECKER VND BRAVER GEBET ACHT AVF DAS FEVER ANNO 1786 1 DEN 1»J. AVGVSTVS (Ksp. Oelde, Menningliausen Nr. 37. Backhaus.)

81. 0 Gott, Sey Du Mein hütcr. Mein Seelen, Leib und guter, | Diß alles Was ich habe, das Schenck ich dir zur gäbe. | Johan Wilhelm Erdlandt Anna Maria Elisabetfi \ Binckhoff Eheleute. Anno 1788. (Ksp. Oelde, Bergeler Nr. 11. Scheune.)

82. DU DREY MAHL HEILIGER GOTT, STEH VNS BEY IN ALLER NOHT, | WOLLEST NIEMAL VON VNS WEICHEN, IN ALLER NOTH VNS HVELFE

REICHEN. (Ksp. Oelde, Bergeler Nr. 11. Scheune.)

83. 0 MARIA, DU SICHRE ZUFLUCHT MEIN,

EINE SALVAGARDE DIESER SCHEURE SEY. | UND KEHRE AB DER FEUER BRUNST UND SEIG DEIN MÜTTERLIE GUNST. (Ksp. Oelde, Bergeler Nr. 11. Scheune.)

84. Suchet . zuersten . das . Reich . Gottes . und . dessen . Gerechtigkeit, So . irird . euch . alles ^

übrige . zugegeben . werden. \ ('hrist02)h . Lüttke . ErerscMoh . und . Anna . Catharina . Schemmann. \ Den . '29. Julius .

im Jahr 1788. (Ksp. Oelde, Menninghausen Nr. 11. Über der Deele.)

85. Xu einer Scheune im Ksp. Oelde, Menninghausen Nr. 37 befindet sich über jedem der sechs Tore je eine Inschrift:

1. DAS . GVT . IST . NICHT . MEHR . ALS . DER . MANN : WER . REICH . IST . 31VSZ .

AVCH. WEISHEIT. HAN. | DES . ARMEN . KLVGHEIT . DIE . HAT . EHR . DER . REICH . VERSTEIGT . SICH .

MER.VND.MER. | VND . DABEI . FROMM . IST . VERSTAND . NARHEIT VND REICHTVM . IST .

NVR.SCHAND.

2. BOSHEIT .VND . DAS .GELD . DIE . BLEIBEN . IN . DER .WELT DIE . FRÖMMIG-

KEIT . ABER . DOCH . ALEIN . BEHÄLT . DAS . PELDT . | NICHTS . BÖSER . IST . ALS . GIFT . VND . BITERER . ALS . G ALLE . ABER . DES . MENSCHEN . HERTZ . VBERTRIFT . DIE . ALLE . :'.. DER . IST . REICH . VND . VON . GOTT . GEEHRT . DEN . SEIN . HAND . VND . BE-

RVF. ERNÄHRT. | NOCH . SEELIGER .VND . REICHER . DER . DER BRA VCHET. WAS . IH^l . GIBT .

DER. HER.

4. GOTT GEBE MIR EINEN GESVNDEN LEIB VND EIN DVGENTSAMFS WEIB : VND DAVSEND DAKATEN ZV MEINER NOT DARZV EINEN GLVCK-

SELIGEN DOTT.

5. BiEKlIPS: :s(D5i£pli m01l>3(S VND a'>3ii7(££2n:>iT2I 5€f7lliQ:(£ 3K^.^(£££f : EHELEVTE . ANNO DOMINI MDCCLXXXXII | DEN 17 .IVLIVS ANNO 1792.

6. GOTT . HILF . VNS . ERWERBEN : CHRISTLICH . ZV. LEBEN . VND . SELICH .ZV.

STERBEN.

WER . CHRISTLICH . GELEBT . VND . SELICH . GESTORBEN . DER | H AT . AVF .

DIESER . WELT . GENVCH. ERWORBEN .

Kleine Mitteilungen. 8<^

86. AVER AVF GOT VERTRAVET DER HAT AVF EINEN GRVNEN PLATZ GE- BAVET. GOT GEBE GLVCK VND SEGEN VND HERNACH DAS EWIGE LEBEN. CHRISTOFFEL SENKER LISABETH BRVGEMANN. ANNO ISOH. D. 15. STB.

^Ksp. Gel de, Bergeler Nr. 27.)

87 GOTT GIB VNS BEWOHNER FRIEDE VND BESCHVTZE AVCH DISZ HAVSZ WOLLEN WIR DICH VND MENSCHEN LIBEN BIS WIR GEHN INS KVHLE GRAB i 25 JVNY ISU.

(Ksp. Oelde, Bauerschaft Bergeler, Nr. IS.)

88. EIN FEUERSBRUNST LEGT MICH DANIEDER, DOCH NEU ERBAUET STEH ICH NUN WIEDER. 0, MÖGE EINTRACHT UND ZUFRIEDENHEIT IN MIR BLÜHEN LANGE ZEIT. DIED:HERM:FIEGENER UM) .TOH:HENR:WÜRLINGHOP GERDRUD WÖRLINGHOFEL MARGARETH DREES 1817 DEN 2. SEPTBR.

^Ksp. Oelde, Ahmenhorst Nr. 6.)

89. GOTT . WIR . WÜNSCHEN . HIER . ZU . HABEN . WAS . UNSERN . LEIB . UND . SELE.

WIRD. LABEN. PETER . ANTON . STORCK . M . K . HUSTER . EHL . j DEN 19. MAY 1828. (Ksp. Oelde, Menninghausen Nr. 60.)

90. GOTT . SEGNE .UNSEREN . FLEISZ . GIB . MUTH.UND GUTEN .WILLEN . UNSERE -

FLICKTEN . ZU . ERFÜLLEN .

STEPHAN. KLOD. GEN AND. EDELBROCK UND CATHARINA.LEIFFERS. EHELEUTE. DEN 2U TEN. MAI ANNO. 1837.

(Ksp. Oelde, Ahmenhorst Nr, 2G.)

91. DER . FEUERSBRUNST .WARF. MICH . NIEDER . DURCH .GOTTES . HÜLFE . STEH . ICH . DA . WIEDER . 0 . GOTT . SCHÖPFER . ALLER . DINGE . DU . WOLLEST . UNS .DEINE . GNADE .BRINGEN . DAS. DIESES . HAUS .SEI . VON . ALLEM .UN- GLÜCK. FREI, i

.JOHAN . BERNARD . VAHLMEIER . ANNO . 1838. D . 12. N . V. B . {Ksp. Oelde, Keitlinghausen Nr. ;U.)

92. ~Si" ZS'illi"^ '84() bcn 3. ^IprtU xvax für uns ein llngiücfstag, ba bies fiaus rem BItt, jcntiditet laoi, | ITtetifdjen ITtitletb unb (gottes Barmbci^ioifcit tjalfen uns aus Mcfer drauriiiFeit. | tdj bitte btdj 0 (Sott, laß 'ifoA) ntdjt 5u, Da§ uns fein Ungcnntter Sdjabcn tliu. | I^cinridj Bccfftcbe unb (Scrtrub Biüntcnliegcr. ^£. I. | biMi i2. ^uli ih4<). (Ksp. Oelde, Menninghausen Nr. 8.1

93. Alles was wir hier lialjeu,

Sind o Gott deine Milden Gaben, ^rcinj pietig unb ülaria ^Inna Sdrnücfcl (Eheleute. 17. ^Ipr. \852.

(Ksp. Oelde, Menninghausen Nr. Gti.)

90 Heuft: Kleine Mitteilungen.

94. Gott beiralire dieses Hans und segne uns darein und aus.

Bernard Wigard und Lisette Linnemann, den 4. August 1S53. ;Ksp. Oelde, Ahmenhorst Nr. 46.)

95. Der ßerr im Ejtmmel fd^ütjC meitic, Dal^ter €rbauetc neue Sdjenne, | Unb Ia§ Ptcl (Slücf unb gcbetl^eu, 2lm Piel^ unb am (Setreibc fein. | 'i)Z\\ (). Vflai ^801,. (Serl^arb Bcinrid? ^reje- (Ksp. Oelde, Menninghausen Nr. 7.)

96. Dies fjäuslcin (Sott regiere init Seiner Segcnsl^anb Unb Hüe barin führe (£r einft in beffre £anb. [Sgg. (Ksp. Oelde, Menninghausen in der Nähe von Ernsting. Die Inschrift ist samt dem Häuslein bereits verschwunden.)

97. Nur in der Häuslichkeit gemessnem Frieden ist uns des Lebens wahres Glück beschieden. \ Caspar Sudhoff und Anna Vrede den 13. Juni 1868. (Ksp. Oelde, Keitiinghausen Nr. S.").)

88. Xar Gutes geh in diesem Haus, Böses bleib draus. Frau;: Lemke. Anna Simminghoff

den 25 März \ 1872. (Ksp. Oelde, Bergeler Nr. 17.)

99. iüer haben tr>ir fdjou lange an gebadjt unb cnblidj 'bin i?au bnrdj (Sottcs I^ülfc unb ineufdicn ßänbe üoUbradjt. | Bernarb ^frcfc (Elifabetl) Kaifcr | (Etjeleute (Errichtet | bcn 20. 3"Ii '876. (Ksp. Oelde, Menninghausen Nr. 7.)

100. Ich förchte nicht der Menschen list. Weil Gott mich hilft zu Jeder frist. (Ksp. Oelde, Bergeler Nr. 11. Seiteneingang am Wohnhause.)

Oelde i. W. Hans Heuft.

(Fortsetzung folgt.)

Erntereigen.

Herr Dr. Hermann Strebel in Hamburg teilt uns ein Liedchen mit, das in der Nähe von Kiel die Mädchen beim Erntefest zum Reigentanz singen. Es lautet:

Willst' 'n Nachtmütz hebben, Hut overst Jahr

Kannst mi man seggen. Sind wi 'n Paar. Ik hef noch een Ik will een hebben

To söstein Penn. Wilt ook een hebben?

Magstu mi liden, Dat ik gar nich mag,

Kannst mi geern kriegen. Will ik nich seggen.

Das Tanzliedchen stellt doch wohl ein Zwiegespräch dar, in dem die ersten vier und die letzten vier Zeilen derselben Person angehören. Leider fehlt uns die Melodie.

Bolte: ßerichte und Bücheranzeigen. <^]

Berichte und Bücheranzeigen.

Neuere Märchenliteratur.

(Schluss zu l',>, 458-462.)

Einzelnen Märchen sind diesmal nur wenige Untersuchungen gewidmet. Die wichtigste ist die von Gerould*) über den dankbaren Toten, ein seit Simrocks Buch über den Guten Gerhard öfter behandeltes Thema. G. konnte sich auf die tüchtige Abhandlung Hippes, die ISS-S im Archiv für neuere Sprachen erschien, stützen, hat jedoch die zahlreichen Fassungen selbständig durchgearbeitet, hie und da ver- mehrt, leider ohne Reinhold Köhlers Nachträge^) zu benutzen, und neu geordnet. Entstanden ist das Märchen aus dem uralten Glauben an die heilige Pflicht der Totenbestattung, der durch eine Erzählung von der Vergeltung, wie die von Cicero berichtete Rettung des Dichters Simonides durch die Warnung des dank- baren Toten, besser eingeprägt werden konnte. Aber die einfachste Form des Märchens, in welcher der dankbare Tote dem Helden zu einer schönen Braut verhilft und dann, um ihn zu prüfen, gemäss früherer Abrede die Teilung dieses Gewinnes verlangt, ist nirgends mehr rein erhalten, vielmehr erscheint es mit ver- schiedenen anderen Stoffen vergesellschaftet. Zuerst bei den Juden im apo- kryphischen Ruche Tobit mit der indischen Fabel vom Giftmädchen, die in roherer Gestalt auch dem armenischen Märchen und abgeschwächt einem 1505 gedruckten Schauspiele G. Peeles und dem 'Reisekameraden' Andersens zugrunde liegt; dann im Mittelalter, wie die verstümmelte, zur Heiligenlegende umgewandelte Fassung der Scala cell erkennen lässt, mit dem verwandten Motiv der losgekauften Königs- tochter; ferner mit dem Wasser des Lebens, dem verschwenderischen Ritter, den beiden Freunden, den dankbaren Tieren, dem gestiefelten Kater, den Schwan- jungfrauen, dem Büsser Gregorius u. a. Und zwar sind solche Verbindungen mit

1) Gordon H. Gerould, The grateful dead, the history of a folk story. London. D. Nutt 1908. X, 177 S. 10/6. (Publ. of the Folk-lore society 60). Die Fabel des Guten Gerhard behandelte Gerould besonders: The hermit and the saint (Publ. of the Modern lang, assoc. 20, 529—545, 1905). Der dem Guten Gerhard voraufgehenden jüdischen Legende des Rabbi Nissim, in der ein frommer Meister Gott fragt, wer sein Gefährte im Paradies sein werde, widmet B. Heller (La legende judeo-chretienne du compagnon au paradis. Revue des etudes juives 56, 198 221. 1908) eine neue Untersuchung; er glaubt ihren Ursprung in der talmudischeu Erzählung von der edlen Tat des Pentakakos zu finden. Vgl. zu dem Motiv noch Goldziher, ZDMG 50, 493; Basset, Nouveaux contes herberes nr. 91 und Revue des trad. pop. 16, 395.

2) Kleinere Schriften 1, 38 (1898) und oben 6, 168 zu Gonzenbach nr. 74. Ferner notiere ich: Bezemer, Volksdichtung aus Indonesien 1904 S. 321. Macler, Contes armeniens 1905 p. 149. Wlislocki, Zs. f. vgl. Litgesch. 11, 470 (rumänisch). Alcover, Rondayes mallorquines 2, 65 (1897). Dottin, Contes d'Irlande 1901 p. 55. Hatiken;i?s, Norsk eventyr- skat 1888 p. 62. Jahn, Volksmärchen aus Pommern 1, nr. 34, 35 u. Anm. Bunker, Schwanke in heanzischer Mundart 1906 nr. 86. Behrend, Älärchen aus Westpreussen 1908 S. 47 und 88. Polivka, Archiv f. slav. Phil. 31, 280 nr. 152 und 169. v. Löwis oben S. 45. Zu Gerould p. 7 (Tobit) vgl, Wickram, Werke 8, ;!52; zu p. l.")f. und 22 vgl. R. Baumbach, Der Ritter im Rauch (Abenteuer und Schwanke 1884 S. 1), Der Junker u. der treue Heinrich ed. Englert 1892, Dramatisierungen des 15. u. 16. Jahrh. im Nd. Jahrbuch 6, 29 und bei Bolte, Das Danziger Theater 1895 S. 50.

1)2 Bolte:

andern Motiven, wie G. hübsch sagt, keine Konvenienzheiraten, sondern gehen aus innerer Zuneigung und Übereinstimmung hervor. Das ganze Buch ist mit be- sonnener und nüchterner Zurückhaltung geschrieben; die Resultate sind freilich nicht so übersichtlich wie in Hippes Stammbaum zu überblicken, aber für die hauptsächlichste Abweichung von Hippe, dass die Drachen im Leibe der Braut nicht der ältesten Form des Märchens angehören, sondern erst durch die Kom- bination mit dem Motiv des Giftmädchens hineingekommen sind (S. 75), hat G. beachtenswerte Gründe beigebracht. Unsern Lesern schon bekannt sind die Nachträge Hertels (oben 19, 83—92) zu Cosquins Monographie über die Erzählungen von der Muttermilch und der schwimmenden Lade sowie (19, 426 429) zur Fabel von den Hasen und Fröschen, Boltes (19, 314) zum Märchen von den Töchtern des l'etrus, Aarnes (19, 298—303) zum Märchen von der Tiersprache. Das Märchen von Rumpelstilzchen (Tomtittot, Titeliture) behandelt C. W. v. Sydow^), der früher (oben IS, 473) eine Untersuchung über die damit verwandte Finnsage lieferte. Durch eine sorgfältige Betrachtung einer grossen Zahl von Varianten gelangt er zu der Überzeugung, dass die ursprüngliche Fassung in Schweden heimisch war (ein Mädchen, dem ein Zwerg Stroh zu Gold spinnen hilft, muss dafür versprechen ihm anzugehören, falls sie nicht seinen Namen errate) und von dort nach Deutschland, England, Frankreich (M. J. Lheritier 1705) usw. wanderte. Man kann zugeben, dass die heutige schwedische Fassung der ursprünglichen am nächsten steht, ohne die Entstehung der letzteren in Schweden anzuerkennen: denn öfter haben andre Länder eine Sagenform erhalten, die im Ursprungslande zugrunde gegangen ist (piOVeksaga, Earl of Toulouse, Traum von der Brücke, indische Märchen). Unsicher bleibt auch die Ableitung des Namens Titeliture aus dem Drosselruf oder die Einwanderung des Märchens in Prankreich mit den Normannen. An zweiter Stelle behandelt S. das Märchen von den drei Spinnerinnen, das un- abhängig vom Rumpelstilzchen-Typus, aber sich öfter mit ihm kreuzend, in Deutsch- land oder Skandinavien entstanden ist. Einen ähnlichen Übergang vom Märchen zur Ortssage lässt der Traum vom Schatz auf der Brücke erkennen, den Bolte (oben 19, -289— 298) im Anschluss an Lohmeyers (S. 286-289) Mitteilung neuer Fassungen durch die Jahrhunderte verfolgte. Gaidoz^) geht an der Hand einer irischen Erzählung des 15. Jahrhunderts den Motiven des Einschlafens auf dem Feenhügel und der Geschlechtsverwandlung nach. Nyrop stellt in drei schmucken Bändchen die Entwicklung der Sagen vom Herzen des Sängers, von der Gräfin mit den 365 Kindern und die jüdischen Parabeln von den drei Ringen und vom Engel und Einsiedler sachkundig und anziehend dar (vgl. oben 19, 468). Aus einer Breslauer Hs. der um 13U0 von dem südfranzösischen Dominikaner Johannes Gobii Junior abgefassten lateinischen Predigtmärleinsammlung 'Scala celi' teilt Klapper^) in Übersetzung das Mädchen ohne Hände, die Tochter des Kaisers von Konstantinopel, das Wasser des Lebens, die drei Brüder mit. dazu aus einer andern Hss. des 14. Jahrhunderts die Legenden vom König im Bade, vom Königssohn im Bade, von der Königin, die den Marschall tötete, von der

1) C. W. v. Sydow, Tvä spinnsapor, en studie i jämförande folksagoforskning. (Lander Diss.) Stockholm, Norstedt & söner 1901). 103 S.

2) H. (Jaidoz, Du changemeiit de sexe dans les coutes celtiques (Revue de Thist. des roligions 57, 317—3321. Vpl. oben 19, 241.

:'>) J. Klapper, Sagen und Märchen des Mittelalters (Mitt. der schles. Ges. f. Volkskunde 20, 1 29). Das Märchen von dem Mädchen ohne Hände als Predigt- exempel (ebd. 19, 29—45). Eine Quelle der Don-Juan-Sage (Studien z. vgl. Litgesch. 9, 190-192).

Berichte und Bücheranzeigen. *))-{

Königin von England, Gregorius, den drei Fragen, dem toten Gast, dem Spiel- mann und dem Reichen u. a. Die nötigen Literaturnachweise sind nicht vergessen. Zu den Untersuchungen über die grosse Schar der Griseldis- Dichtungen liefert Schuster^) einen nützlichen Beitrag; er mustert genauer die französischen Über- tragungen von Petrarcas (hier abgedruckter) lateinischer 'Mythologia' und be- spricht u. a. die von Halms Griseldis abhängige Tragödie Ostrowskis und das Mystere von Silvestre und Morand, welches das neue Motiv einer AVette mit dem Teufel über Frauentreue einschaltet; die ästhetische Beurteilung allerdings geht etwas in die Breite und erfolgt nicht immer nach festen Massstäben. Die antike Erzählung von Amor und Psyche verfolgt A. Hoffmann^) durch die englische Literatur. H. liefert eine Ergänzung zu Stumfalls oben 18, 454 er- wähnter Schrift über die romanischen Bearbeitungen der apulejanischen Erzählung. Ohne auf die Frage nach der Quelle der letzteren einzugehen, untersucht er die erst im 16. Jahrhundert mit Adlingtons Prosaübersetzung anhebenden englischen Bearbeitungen sorgsam auf ihr Verhältnis zu der römischen Vorlage. Ausser Heywoods Drama (1636) und einigen Bearbeitungen von Molieres Psyche sind es Epen von Marmion, Ridley, Gurney, Tighe, Morris und Bridges, die teilweise unter dem Einfluss von Spensers allegorisierender Richtung stehen, teils wie Beaumont (1648) die Fabel ganz im christlich-religiösen Sinne umwerten. In Waxmans^) Übersicht über die Don Juan-Dichtungen vermisst man die Be- rücksichtigung der zugrunde liegenden Volkssage. Zu dem bei Petrus Alfonsi nachgewiesenen Schwank von dem bei der Auswahl zögernden Diebe (oben 18, 445) stellt Zachariae*) europäische und orientalische Parallelen zusammen., Stiefel^) erforscht mit gewohnter Umsicht und Gründlichkeit die Quellen des um 1550 ent- standenen englischen Schwankbuches 'Mery tales', die zumeist in den Werken der Humanisten Poggio, Brant, Abstemius, Erasmus, Gast, Morus u. a. und nur zum kleinen Teil in der mündlichen Volksüberlieferung bestehen. Boekenoogen"') weist zu der im 17. Jahrhundert in England und Holland verbreiteten Sage von einem Mädchen mit Schweinsgesicht neuere Varianten aus Holland und Frankreich nach. Der hessischen Mährchenerzählerin Katharina Dorothea Viehmann geb. Pierson (1755—1815), der die Brüder Grimm mehrere ihrer besten Stücke ver- dankten, und deren Bildnis sie 1819 ihrer Sammlung beigaben, hat der Chronist ihres Heimatsortes'') ein anziehendes Kapitel gewidmet, aus dem ich hervorhebe, dass ihr Vater aus Metz eingewandert war.

Unter den Textsammlungen sind an erster Stelle Dähnhardts®) natur-

1) E. Schuster, Griseldis in der französischen Literatur. Diss. Tübingen, Hecken- hauer 1909. 4 Bl., 144 S.

2) A. Hoff mann, Das Psyche-Märchen des Apuleius in der englischen Literatur. Diss. Strassburg, H. Huber 1908. 111 S.

S) S. M. Waxman, The Don Juan legend in literature (Journal of american folklore 21, 184-204).

i) Th. Zachariae, Zum Schwank vom zögernden Dieb (Studien zur vgl. Litgesch. 9, 284—287).

5) A, L. Stiefel, Die Quellen der englischen Schwankbücher des 16. Jahrhunderts, 1 : Die Mery Tales, Wittie Questions and Quicke Answeres (Anglia n. F. l'.i, 455—520).

6) G. J. Boekenoogeu, Het meisje met het varkenshoofd (Volkskunde 20. 1—8. Vgl. ebd. K;, 1-17).

7) K üsbeck, Chronik von Niederzwehren (Niederzwehren, Selbstverlag lii07. ISS S.) S. 40— 50: Die Brüder Grimm und die Märchenfrau von Niederzwehren.

8) 0. Dähnhardt, Naturgeschichtliche Volksmärchen, gesammelt. Mit Bildern von 0. Schwindrazheim. S.verbess. Aufl. 2 Bde. Leipzig, Teubner 190!i. VI, 102. \l, 127 S. je 2,40 M.

94 Bolte:

geschichtliche Volksmärchen anzuführen, die in dritter Auflage fast um das Doppelte vermehrt und auf l(i5 Nummern angewachsen vor uns liegen. Wie das Werk zuerst als Vorläufer der grossen wissenschaftlichen Publikation der 'Naturmärchen' auftrat, so hat es wieder aus D.s Beschäftigung mit diesen neue Bereicherung erfahren, aber seinen Zweck, vor allem die Jugend in die bunte Fülle der hier von verschiedenen Völkern der Erde niedergelegten Naturbeobachtungen ein- zuführen, bewahrt. Über Wesselskis 'Mönchslatein', eine Sammlung mittel- alterlicher Novellen und Schwanke, ist bereits 10, o57 berichtet; H. Plörkes Ver- deutschung von Straparolas Ergötzlichen Nächten (München, Georg Müller 1908. X, 425. XIV, 3;iG S. 28 Mk.) kam mir bisher nicht zu Gesicht. Neue Schätze der noch heut umlaufenden Volksüberlieferung bot das Wallis. Jegerlehner^), der schon im vorigen Berichte (18, 456) genannt wurde, hat zwei weitere Bände erscheinen lassen. Der erste, 'Am Herdfeuer der Sennen' betitelt, bringt o4 gut erzählte Stücke. Die Märchen sind trotz der abweichenden Überschriften durch- weg bekannte Grössen; so S. 27 (Selbergetan. Zur Polyphemsage), 41 (Sneewittchen. Grimm nr. 53), SG (Bärenhäuter. Gr. 101), 115 (Griselda. R. Köhler 2, 534), 121 (Bärensohn. Köhler 1, 543), 129 (Maria und die Hausfrau. Legenda aurea c. 119, 3. Hagen, Gesamtabenteuer nr. 78), 137 (Salomo und Markolf. Köhler 2, G40), 142 (König Drosselbart. Gr. 52), 148 (Das tapfere Schneiderlein. Gr. 20), 156 (Grind- kopf. Köhler 1, 330), 167 (Die beiden Wanderer. Gr. 107), 179 (Der dankbare Tote. Köhler 1, 5), 190 (Bürle: Gr. Gl. Eselsei: Köhler 1, 323), 200 (Müller mit dem Kätzchen. Gr. 106), 208 (Der Teufel mit den drei goldenen Haaren. Gr. 29), 238 (Seehse kommen durch die ganze Welt. Gr. 71). In der andern Samm- lung-), die 177 Sagen und Märchen aus sieben Tälern des romanisch redenden Untervvallis enthält, tritt der wissenschaftliche Zweck mehr hervor; die Texte sind knapper gehalten und zwar nicht im ursprünglichen Patois, sondern teils in fran- zösischer, teils in deutscher Übertragung, aber genau so, Avie sie der Herausgeber von seinen Gewährsleuten erhielt, gedruckt. Der Inhalt ist reich und vielseitig; auch ist ein kurzes Sachregister beigegeben, das freilich die fehlenden Verweise auf verwandte Fassungen, auch Jegerlehners frühere Sammlung nicht ersetzen kann. Ich notiere auch hier die wichtigsten Stoffe: S. 5 und 164 (Sterben beim 3. Esels- winde. Köhler 1, 486), 7 (Sandseile; oben 17, 461), 8 und 62 (Kirche gerückt, Schildbürgerstreich. Köhler 1, 324), 8 (Beterin geäfft: Frey, Gartengesellschaft S. 284. Nussknackende Diebe auf dem Kirchhofe: Wickram, Werke 3, 378 nr. öi6), 30. 83 (Dummling. Frey S. 215. 213), 72 (Hans im Glück. Gr. 83), 73 (Rätsel. Grimm 22. Köhler 1, 321); 74 (Mann und Frau tauschen. Frey nr. 20), 76. 81. 101 (Setz deinen Fuss auf meinen. Oben 6, 204), 81 und 183 (Gang zur Hölle. Gr. 29. Köhler 1, 466), 138 (Grindkopf Köhler 1, 330), 143 Bärensohn (Köhler 1, 543), 154 (Jude im Dorn: Gr. 110, und Spielhansel: Gr. 82), 171 (Kuh von Hexen ge- gessen und belebt. Köhler 1, 586), 179 (Teufel in der Kirche. Zs. f. vgl. Litgesch. 11, 259), 182 (Selbergetan. Polyphem), 191 (Gevatter Tod. Gr. 44). Dieser Band aus ünterwallis bildet eine Ergänzung zu der vom historischen Verein von Oberwallis neu herausgegebenen zweibändigen Sammlung 'Walliser Sagen' (oben 19, 123), in der sich freilich kaum eigentliche Märchen befinden. Einige Schwanke

1) J. Jegerlehner, Am Herdfeuer der Sennen, neue Märchen und Sagen aus dem Wallis, aus dem Volksmunde gesammelt. Illustriert von H. Egger. Bern, A. Fraucke 190S. 2 BI., 256 S. 3,50 Mk.

2) J. Jegerlehner, Sagen aus dem Uuterwallis, unter Mitwirkung von Walliser Sagenfreunden gesammelt aus d.'in Volksmunde. Basel 1909. IX, 196 S. 4,50 Fr. (Schriften der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde 6\

Berichte und Bücheranzeigen. 95

und Schildbürgergeschichten aus dem Sarganserland teilt A. Zindel-Kressig (Schweizer. Archiv f. Yk. 1'2, 54 56) mit. Die aus Dörlers^) Nachlass ver- öffentlichten Vorarlberger Märchen behandeln zumeist bekannte Motive, knüpfen aber teilweise an bestimmte Ürtlichkeiten und Zeiten an; nr. 1 (Fürchtenlernen) Grimm 4; 3 (Hexenritt) Köhler 1, 220; 6 (Hasenhirt) Köhler 1, 554; 9 (Flucht mit der Hexentochter) Köhler 1, 161; 10 (Goldgans) Gr. 64; 11 (Blaubart) Köhler ], 161; 12 (Meisterdieb) Gr. 192. Latzenhofer^) teilt vier von Schottky um 1S20 und 25 von ihm selber in Österreich und Ungarn gesammelte Märchen, Blau 28 Sagen und Schwanke aus dem Böhmerwalde mit. Zu Latzenhofer nr. 1 vgl. Grimm 110 (Jude im Dorn); zu 4 den Staufenberger und den Glasberg (R. Köhler 1, 444. 2, 413); 19 (Pfarrerlatein) Wossidlo 1, nr. lOdO; 26 (Prediger will werfen) Wickram, Werke 3, 369; 21 (Der schlaue Knecht) Y. Schumanns Nachtbüchlein nr. 3; 22 (Yerkehrte Begrüssungen) Frey, Gartengesellschaft S. 216; 28 (Ochsenschwanz in die Erde gesteckt) Köhler 1, 150. 327. Zu Blau nr. 1 (Der über uns) Köhler 3, 167; 2 (Schüler aus dem Paradies) Wickram 3, 391. s, 347; 25 (unruhiger Toter) oben 17, 8 nr. 2. Die 19 schlesischen Märchen, die Schiller') aus hsl. Aufzeichnungen 0. Kolbergs und Lompas veröffentlicht, sind knapp und nicht immer volkstümlich erzählt und verraten in Namen und Motiven einen polnischen Einschlag. Zu nr. 2 (Wiedergewinnung des Wunschhemdes nach mehrfacher Verwandlung) Kristensen, Fra Mindebo p. 3; 4 (Jüngster wacht am Grabe des Yaters) R. Köhler 1, 551; 5 (Belfegor) oben 15, 104. 16, 448-; 6 (Glücksvogel) Köhler 1, 409; 8 (treulose Gefährten) Köhler ], 543; 9 (Toter Freund auf der Hochzeit) Köhler 2, 226; 11 (Tierhülle verbrannt) Köhler. 1, 315; 13 (Bärenhäuter) Grimm 101; 14 (Bauerntochter) Gr. 94; 15 (Die zwölf Raben) Gr. 25; 16 (Meisterdieb) Gr. 192; 17 (Tiersprache) oben S. 298; 18 (Die beiden Wandrer) Gr. 107. In Posen hat Knoop*), der bereits 1893 ein Sagenbuch dort heraus- gab, eifrig weitergesammelt und seine Schüler und Freunde zu gleicher Tätigkeit angeregt. So ist eine für die Jugend bestimmte hübsche Auswahl von 90 Nr. und eine mit gelehrten Anmerkungen versehene Lese von 13 Märchen entstanden, welche beide die der Landschaft eigentümliche Mischung deutschen und polnischen Volkstums treu wiederspiegeln. Zu nr. 6 der Ostmärkischen Sagen vgl. Gesta Romanorum 2(t; 22 (Mönch und Vöglein) R. Köhler 2, 239; 43 (die beiden Wanderer (Grimm 1(»7; 46 (Gänsemagd) Gr. 89; 51 (der liebste Roland) Gr. Ö6i 50 (Bärenhäuter) Gr. 101; 58 Gevatter Tod (Gr. 44) und Spielhansel (Gr. s-j); 64 (Goldgans) Gr. 64; 65 (Frau hat Teufeiskopf) oben 12, 258; 67. 68 (Spielhansel) Gr. 82; 72 (Vogels Lehren) Köhler 1, 575; 77 (Bauerntochter) Gr. 94; 78 (Simeli- berg) Gr. 142; 79. 80 (Meisterdieb) Gr. 192; 81 (Dr. Allwissend) Gr. 98; 85. (Leber vom Galgen) Grimm, KHM. 3 3, 267; 86 (der dumme Hans) Frey, Garten- gesellschaft nr. 1; 87 (schwatzhafte dumme Frau) Köhler 1, 342, Wis'ser 2, 88. 3, 38; 90 (Neckmärchen) Gr. 200. Knoop hebt selbst hervor, dass mehrere dieser aus mündlicher Überlieferung aufgezeichneten Erzählungen auf gedruckte Texte-

1) A. Dörler, Sagen und Märchen aus Vorarlberg (Zs. f. österr. Volkskunde 14>. 81-96. 155-167).

2) J. Latzenhofer, Märchen und Schwanke aus Österreich und Ungarn Blümml, Beiträge zur deutschen Volksdichtung. Wien, R Ludwig 1908 S. lu;»-12!)). J. Blau,, Schwanke und Sagen aus dem mittleren Böhmerwalde (ebd. S. 129 150).

o) Ad. Schiller, Schlesische Volksmärchen. Breslau, Verlag Allegro. 1907. 82 S. 1 Mk.

4) 0. Knoop, Ostmärkische Sagen, Märchen und Erzählungen, gesammelt und hsg. Lissa i. P., 0. Eulitz 1909. VII, 193 S. 0. Knoop, Posener Märchen, ein Beitrag zur Heimat- und Volkskunde der Provinz Posen. Progr. Rogasen 1909. 29 S. 4".

M6

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zurückgehen. Seine Piograramabhandlung geht näher ein auf 1. Räuber Madej (oben lo, 70), 2. Geist in der Flasche (Chauvin, Bibl. arabe G, 23), 3. Prinzessin im Sarg und Schildvvache (R. Köhler 1, 320), 4. Der Tote und sein Diener (Sklarek, Ungar. Vm. nr. 27), 5. Teufel geäfft (Montanus, Schwankbücher S. 6u2, oben 14, 347), 6. Teufel als Knecht, 7. Teufel gibt Geige, 8. Bilder werden lebendig, ^>. Zaubrer und sein Lehrling (Gr. G8), 10. Tierquäler in Esel ver- wandelt° 11. Treulose Schwester (Köhler 1, 303), 12. Jude im Dorn (Gr. 110), 13. Unibos (Köhler 1, 230). Die ebenfalls in Posen aufgezeichneten neun Märchen von Konrad^ scheinen zum Teil etwas ausgeschmückt zu sein, merk- würdig ist das plattdeutsche 'Haas Dusenddüwel'. Viele eigenartige Züge tragen die westpreussischen Märchen, die Behrendt) teils aus einer zu Anfang des 19. Jahrhunderts angelegten Hs., über die man gern Näheres hörte, teils aus dem Volksmunde entnommen hat; öfter wird die Tucheier Heide als Schauplatz genannt, auch ein 'Reisegraf begegnet mehrfach. Nr. 1 (Fürchten lernen) Grimm 4; 2 (Bauerntochter) Gr. 94; 3 (Lügen) R. Köhler 1, 322; 5 (Drei Handwerksburschen) Gr. 120; G (verkehrte Anreden) Gr. 143; 7 (der goldene Berg) Gr. 92; 8 (Lieb- haber als Vogel) Cosquin, Contes de Lorraine GS; 9 (Freiwillig stumm) Bolte, Danziu'er Theater S. 220'; 10 und 17 (vertauschte Ehepaare. Schatz des Rhampsinit) Köhler 2, 307 und 1, 200; 11 (Herz des Wundervogels) Gr. GO; 12 (Sack voll Wahrheiten) Köhler 1, 554; 13 u. 25 (der dankbare Tote); 15 (Wunderpferd) Köhler 1, 467; IG (Kaiser und Abt) Gr. 152; 19 (Schwiegersohn durch Brief- vertauschung) Köhler 1, 465; 22 und 11 (Drachentöters Hunde) Köhler 1, 303; 23 (Schwanjungfrau) Köhler 1, 444; 24 (das tapfre Schneiderlein) Gr. 20. Neben diesem reichhaltigen Material nehmen sich die ostpreussischen Märchen von Baltus^) dürftig aus: undeutliche, verschwimmende, nicht volksmässige Dar- stellung und manche eigene Umbildung und Erfindung. Eine vortreffliche Fortsetzung haben Wissers*) ostholsteinische Märchen in einem dritten Bändchen erhalten, dessen 15 Nummern sich nicht nur durch Einflechtung eigenartiger Züge, sondern auch die frische, lebendige und echt volksmässige Darstellungsweise und die Beibehaltung der Mundart auszeichnen. S. 5 (De twölf Swön) oben 17, 333; 23 und 93 (Lügenmärchen) R. Köhler 1, 322; 31 (die vergessene Braut) Köhler 1, 187. 318; 38 (schwatzhafte Frau) Knoop 1, 342; 42 (Flucht mit der Hexentochter) Äöhler 1, 161. 279; 51 (Schlange lösen) Köhler 1, 581; 55 (Fortunat) Köhler 1, 186; 65 (der alte Mann geht zur Schule) oben 18, 4575. 19^ 94. g7 (treulose Brüder) Köhler 1, 543; 77 (drei Spinnerinnen, Rumpelstilzchen) Grimm 14, 55; 82 (die goldhaarige Jungfrau) Köhler 1, 396. 467. 542; 87 (Fürchten lernen) Gr. 4: 91 (der Zaubrer und sein Lehrling) Gr. 68. Eine hübsche Auswahl 60 niedersächsischer Märchen aus den Sammlungen von Kuhn-Schwartz, Schambach- Müller, Colshorn, Ey, Pröhle, Strackerjan, Müllenhoff, Wisser, Bartsch u. a. haben

1) H. Konrad, Neues Märchenbuch. Volksmärchen, aus der Provinz Posen, dem Plattdeutschen nacherzählt. Lissa i. P., F. Ebbecke 1906. 111 S. 1.20 Mk. Zu S. (Prinz Wilhelm) vgl. R. Köhler 1, 57. 110. 158; zu 62 (der Schwarzkünstler) Grimm 68; zu 7(; (Hauoseber) Köhler 1, 543; zu 88 (Der beste Dienst) Grimm 106; zu 106 (Hasen- lürt) Köhler 1, 554.

2) Paul B ehrend, Märchenschatz. Volksmärchen in Westpreussen gesammelt und nach dem Volksmunde wiedergegeben. Mit Buchschumck von A. Bendrat. Danzig, Kafemann 1908. VII, 96 S. 1,50 Mk.

3} K. F. Baltus, Märchen aus Ostpreussen. Kattowitz, Gebr. Böhm liXJT. 159 S. ■J,5U Mk.

4) W. Wisser, Wat Grotnioder verteilt, 2. Folge (Bd. 3). Ostholsteinische Volks- märchen gesammelt. Jena, E. Diederichs 1909. 96 S. (>,80 Mk.

Berichte und Bücheranzeigen. 97

V. Harten und Henniger^) veranstaltet; der heitere, schwankhafte Charakter waltet vor, viele Stücke sind in der Mundart gegeben. Dankenswert ist, dass auch ungedruckte oder nur in Zeitschriften veröffentlichte Stücke aufgenommen und einige Nachweise anderer Passungen angehängt sind. Nur in den teils süsslichen, teils allzu geistreichen Erzählungen von Vornbaum, Abbenseth und Ruseler im zweiten Bande werden viele Leser den wirklichen Volkston vermissen. Dass von Strackerjans trefflichem AVerke 'Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg', in welchem auch eine Anzahl Märchen enthalten sind, eine neue Be- arbeitung erschien, ist oben 19, 470 mitgeteilt. Im Paderbornischen sammelte Oeke*) einige Schwanke. Eine Sonderstellung nimmt Polsterers^) nur für Gelehrte bestimmte Lese derber, zum Teil recht unflätiger Schwanke ein: Sl aus dem Munde österreichischer Bauern, Handwerker und Soldaten aufgezeichnete Er- zählungen nebst einem Anhange von neun andern Stücken, denen Worterklärungen, aber keine literarischen Nachweise beigegeben sind. Wenn der Herausgeber S. 1 die Bauern im Gegensatze zu den Städtern als die einzigen Erfinder und Be- wahrer dieser Geschichten bezeichnet, so ist das angesichts ihres sehr verschiedenen Alters und Ursprunges voreilig geurteilt; denn neben Witzen moderner, städtischer Mache und Geschichten vom Kaiser Joseph erscheinen Schwanke, die bereits im 16. Jahrhundert aufgezeichnet und seitdem auch literarisch fortgepflanzt wurden, und internationale Märchenstoffe. So begegnet S. 69 eine Umformung der 'Halben bir' Konrads von Würzburg (ed. Wolf 1893), S. 120, 122, 130 der vom Ehemann beratene Buhler (Toldo, oben 15, 60), S. 92 das Märchen 'Sechse kommen durch die ganze Welt' (Grimm 71. R. Köhler 1, 134. 192); zu den unsaubern Rätseln S. 13 vgl. Montanus, Schwankbücher S. 621; 21 (Kommen sie, so kommen sie nicht) Wossidlo 1, nr. 992; 35. 38 (der Kopfmacher) Wickram, Werke 3, 386 nr. 79; 53 (das Kätzlein) Frey., Gartengesellschaft nr. 93; 55 (der wohlversehene Bursch) Montanus S. 578; 72 (seltsame Busse) ebd. 621; 87 (der dumme Hans) Frey nr. 1; 128 (der Buhler im Nonnenkloster) Montanus S. 631. Diese wenigen Hinweise mögen auf die Wichtigkeit des Buches für die Stoffgeschichte aufmerksam machen. Aus den Niederlanden ist ausser einem Märchen von den elf zu Schwänen verwünschten Brüdern und ihrer Schwester*) und einer neuen Auflage des Märchen- buches von Leroy^) die Fortsetzung von Boekenoogens^) Sammlung anzuführen, die über Zauberer, Hexen und Werwölfe berichtet; in nr. 119 schickt ein Karten-

1) J. V. Harten uud K. Henniger, Niedersächsische Volksmärchen und Schwanke, gesammelt und hsg. Mit Zeichnungen von E. Scbaefer. Bremen, C. Schünemann 1908. 120 4- 159 S. Ich hebe hervor 1, 55 (Katzenkiudtaufe. Grimm 73), 70 (Die kluge Grete. Gr. 34), 94 (Der arme Bauer. Gr. 61); 2, 11 (Der grosse Hans. Gr. 90), 19 (Die Tage- löhner. Gr. 87), 21 (Maus in der Schüssel. R. Köhler 3, 10), 46 (aus derselben Quelle bereits in Wissers hsl. Sammlung. Leib ohne Herz. K. Köhler 1, löiS), 67 (Goldgaus. Gr. 64), 78 (Siegfried. Drachenzungen ausgeschnitten), 148 (Die schwatzhafte Frau. Knoop. Ostmark. Sagen 1, 342).

2) W. Oeke, Dorfmärchen und anderes aus dem Volke (Zs. f. rheiu. Volkskunde (;, 23—39).

3) Futilitates, Beiträge zur volkskuudlichen Erotik 2: Schwanke uud Bauern- erzählungen aus Nieder- Osterreich, gesammelt und erläutert vou J. Polsterer. Wien, R. Ludwig 1908. 182 S. 12 Mk.

4) A. van Speybrouck, De elf zwanen (Biekorf 19, 257— 26(;. 276—282. 2.^9—293).

5) J. Leroy, Oudviaamsche zeisels en vertellingen 1: Scharmauteka. Nieuwe uitgave. leper, Callewaert 1908. 336 S. 1,50 Fr.

6) G. J. Boekenoogen, Nederlandsche sprookjes en vertelsels nr. 118—128 »^Volks- kunde 19, 151-157. 229-235. 20, 59— 64. 109—114).

Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1910. Heft 1. 7

98

Bolte:

Spieler den Treffbuben aus, um eine Flasche Branntwein zu holen. Die nor- wegische Märchensammlung Asbjörnsens^ ist in zweifacher Verdeutschung erschienen, in einem Abdruck der 1847 von Bresemann veröffentlichten Über- setzung und in einer neuen Übertragung von Pauline Klaiber. Ein Märchen von den beiden Buckligen, die dem Elfentanze lauschen, von der Insel Man teilt Miss Morrison-) mit; vgl. dazu Archiv f. neuere Spr. 90, 14. In der Revue des traditions populaires'') sind vfiederum zahlreiche Versionen bekannter Themen aus verschiedenen Gegenden Frankreichs vereinigt; die Bretagne hat dazu den grössten Beitrao- geliefert. Nicht gesehen habe ich die von Galiot und Cercamons*) herausgegebenen erotischen Schwanke aus Südfrankreich. In Italien hat Grisanti^) seinem vor zehn Jahren erschienenen wertvollen Buche über Brauch, Aberglauben und Märchen des sizilischen Tales Isnello (vgl. oben 10, lOG) eine Fortsetzung folgen lassen. In bunter Reihe führt er darin die neuerdings auf- gedeckten prähistorischen Gräber, historische Vorgänge aus der 'guten alten Zeit', Hochzeits- und Totenbräuche, kirchliche Feste und Bittgänge, Fischfang, Färberei, Blumenzucht, Tracht und Speise, Redensarten vor und fügt auf S. KU— 258 noch 27 Märchen und Sagen hinzu. Da begegnet z. B. auf S. 1Ü2 die Legende vom Ginster und Dornbusch (Dähnhardt, Natursagen 2, 58), 163 Schlange lösen (R. Köhler 1, 581), 164 Däumling (Grimm 37), Ui8 Vergeltung des Almosens (Gonzenbach, Sizil. Märchen 47), 171 Unibos (Köhler 1, 230), 175 der singende Knochen (Gr. 2s), 181 Simeliberg (Gr. 142. Chauvin 5, 79), 186 die unter- geschobene Braut, 202 der Gatte der Ehebrecherin stellt sich blind (Montanus, Schwankbücher S. 611), 206 Livoretto (Gonzenbach 83. Köhler 2, 343), 216 Paten - kind Marias und Josephs (Gonzenbach 25), 236 das Rätsel (Gr. 22), 248 Dr. All- wissend (Gr. 98), 252 die treulosen Brüder (Köhler 1, 543). Einige maltesische Legenden und Schwanke gab uns Fräulein Ilg oben 19, 308—312, zwei ungarische Märchen Frau Rona-Sklarek oben 19, 92—95.

Bei den aussereuropäischen Märchen müssen wir uns mit einer kurzen Auf- zählung begnügen. Interessante arabische, neusyrische und baschkirische Stücke bringt die Pariser Revue des traditions populaires^). Aus Indien sind neben den oben 19, 122 und 244 angezeigten ethnographischen Veröffentlichungen von Hodson und Stack namentlich zwei neue Bände von Griersons'') grossartiger Übersicht

1) P. C. Asbjörnsen und J. Moe, Norwegische Volksmärchen, eingeleitet von H. Bang und L. Tieck. Berlin, H. Bondy [1908]. XV, 304 S. (53 Nr.) 2 Mk. P. C. Asbjörnsen und J. Moe, Nordische Volks- und Hausmärchen, ausgewählt imd hsg. .von B. Björnson, deutsch von Pauline Klaiber, t— 3. München, A. Langen 19n9. 171, 154, 15r> S. G Mk.

2) S. Morrison, Billy Beg, Tom Beg and the fairies (Folklore 19, 324-327).

3) Y. Sebillot u. a., Contes et legendes de la Basse-Bretague 72—83 (Revue des trad. pop. 23, 1—6. 125—132. 235f. 290. 404). P. Sebillot u.a., Contes et legendes de la Haute -Bretagne 72-95 (ebd. 23, 82-92. 240-242. 283-288. 341 f. 381-385). D. Bressan, Contes populaires de la Bresse 3—4 (ebd. 23, 350—352. 405—408). A. Millien, Le pere Roquelaine, conte du Nivernais (ebd. 23, 27—34).

4) Galiot et Cercamons, Contes liceucieux de Toulouse et de l'Aquitaine recueillis. Paris, G. Ficker [1907J. XIX, 325 S. 20 Fr. (Contributions au folklore erotique 3).

5) C. Grisanti, Usi, credenze e racconti popolari di Isnello raccolti ed ordinati, vol. 2. Palermo, A. Reber 1909. 2G2 S. 3, 50 L.

G) R. Basset, Contes et legendes arabes 735—748 (Revue des trad. pop. 23, 74— 7G. 227-233. 373-375). F. Macler, Quatre contes chaldcens 1-2 (ebd. 23, 327-333). S. Roudenko, Lügendes et contes bachkirs 1—20 (ebd. 23, 49-63).

7) G. A. Grierson, Linguistic survey of India vol. 9, part 2: Specimens of the Rajasthani and Gujarüti. Calcutta 1908. XI, 477 S. fol. '.), 3: The Bhil languages in-

Berichte und Bücheranzeigen. 99

^über die zahlreichen Sprachen des Landes anzuführen, da hier als Sprachproben neben der neutestamentlichen Parabel vom verlorenen Sohn häufig Volksmärchen abgedruckt werden. Wir finden hier z. B. 9, 2, 14.) das Lied vom Jockei (R. Köhler 3, 355); 190 Tobias Brautfahrt; 231 die dankbaren Tiere (Benfey, Pantschatantra 1, 193); 262 die beiden Wandrer (R. Köhler 1, 280); 277 die Verscheuchung des Tigers durch den Schakal (Benfey 1, 506); 459 das Spiel der 15 Guten und 15 Bösen (Euphorien 3, 360); 9, 3, 114 den lügenhaften Hirtenknaben (Kirchhof, Wendunmut 7, 13(i); 123 das Rutenbündel (oben 17, 357); 220 das der Mutter abgebissene Ohr (Pauli, Schimpf nr. 19); 284 Tiger und Maus (Kirchhof 7, 20); 296 den statt des Mädchens in die Kiste gesetzten Affen (oben 19, 84); 307 die zur Rechtfertigung der Ehebrecherin dienende Vision vom Besuch im Feenreich (Dracott, Simla village tales 1906 p. 155. R. Köhler 2, ^06). Aus den afri- kanischen Märchenpublikationen ^) sei das Buch von Schönhärl herausgegriffen, in welchem uns der als Regierungslehrer in unsrer Kolonie Togo wirkende Vf. •eine reichhaltige und charakteristische Lese der Volksliteratur der Ewe-Neger nebst deutscher Übersetzung vorlegt. Ausser 200 von dem Mutterwitz der Neger zeugenden Sprichwörtern. 176 Rätseln und Rätselmärchen, 119 Beinamen, 20 Liedern mit den W^eisen und einigen Spielen erhalten wir 28 Märchen, denen noch 6 aus Dahome angehängt sind. Echt afrikanisch ist die darin zutage tretende Freude an listigen, selbst boshaften Streichen, wie an der Tötung der Krokodils- oder Leopardenkinder durch deren Wärter (S. 12. 30. 59), die Gestalt der ver- schlagenen Spinne (Eyeni, S. 70. 197. 2(iO; in Amerika Ananzi), die Betrachtung über die Schädlichkeit des Sklavenhandels (49), der Ursprung des Todes (83), während andre Motive wie die Dankbarkeit des Adlers (69), der Streit der drei Retter (111. 129), die Befreiung des Leoparden durch Ameisen (11. 61. 200), der Namentausch aus Gewinnsucht (26), die Ersatzforderungen für beschädigtes Eigen- tum-'), die Antwort des versteckten Ehemannes^), der Wettlauf von Fuchs und

cluding Khrinde>i, Banjärl, Bahrüpirt etc. Calciitta 1907. IX, 325 S. fol. E. M. Gordon, Indian folk-tales. London, E. Stock 1908 (s. Folk-lore 19, 506). J. A. A. McNair & T, L. Barlow, Oral tradition from the Indus. Brighton 1908 (ebd. 19, 507). Shaikh Chilli, Folk-tales of Hindustau. Allahabad, Indian press 19(»S (ebd. 20, 248). R. G. Smith, Ancient tales and folk-lore of Japan. London, A. & C. Black 1908. XV, 361 S. 4-. A. E. Lawrence, A Milano tale, Sarawak (Folk-lore 20, 88—85). A. F. Chamberlain & E. S. Hartland, A Macassar Version of Cinderella (ebd 19 230-234).

1) J. Schönhärl, Volkskundliches aus Togo. Märchen und Fabeln, Sprichwörter und Rätsel, Lieder und Spiele, Sagen und Täuschungsspiele der Ewe-Neger von Togo. Dresden, C. A. Koch 1909. 204 S. 7 Mk. J. Struyf, Kougoleesche fabeis (Volkskunde 20, 10—21. 54—58. 114f.). J. H. Weeks, The leopard in the niaize-farm, a lower Congo folk-tale (Folk-lore 20, 209-211). R. S. Rattray, Some folk-lore stories and songs in Chinyanja with english translation and notes. With preface by A. Hetherwick. London, S. P. C. K. E. J, Bourhill & J. B. Drake, Fairy tales from South Africa, coUected from original native sources and arranged. London, Macaiillan 1908. 26() S. A. C. H Ollis, The Nandi, their language and folklore. With iutroduction by Sir Ch. Eliot. Oxford, Clarendon press 1909. XL, 328 S.

2) S. 37. 49. 197. Vgl. Cosquin, Contes de Lorraine 2, 205 'L"homme au pois" und von afrikanischen Varianten Stumme, Tripolis S. 118. L). H. Müller, Mehri-Sprache 3, 4. Reinisch, Bilinsprache 1, 190. Baissac, He Maurice nr. 4. Held, Neger 1904 S. 17;J. Basset, Afrique 1903 p. 266. Callaway 1, 37. Bleek, Reineke Fuchs S. XXV. 70. 169. Cape Monthly Magazine 17, 181 (1878). Jekyll, Jamaica p. XXI.

3) S. 63. Vgl. Grimm nr. 128 'die Spinnerin'. Frey, Gartengesellschaft 1896 S. 284 >](42). Montanus, Schwankbücher 1899 S. 611.

200 Bolte, Lauffer:

Krabbe (7G) teils arabischem Einflüsse entstammen, teils allgemein verbreitet sind. Auch die Spiele zeigen bisweilen Verwandtschaft mit den unsrigen, wie Mühle- ziehen, Talerwandern, Mehlschneiden.

Einen europäischen Märchenstoff, das Halbhähnchen, hat unser Landsmann Lehmann-Nitsche^, Direktor des Museums in La Plata, in Argentinien und Chile wiedergefunden; vgl. dazu oben 8, 464 (zu De Mont & de Cock 1898 S. 104) und Sebillot, Folklore de France 3, 253. Die im Journal of american folk-lore und sonst^) verölfentlichten Märchen der nordamerikanischen Indianer, sowie die Sagen der Australier^) lassen wir bei Seite, da es uns hier nur auf die näherea Verwandten der europäischen Volkserzählungen ankommt*).

ßerlin. Johannes Bolte.

Neue Forscliungeu über die äusseren Denkmäler der deutschen Volks- kunde: volkstümlichen Hausbau und Gerät, Tracht und ßauernkuust.

(Fortsetzung zu 18, 101—11:5. 19G— 200.)

Dieser Bericht wendet sich den neueren Arbeiten über die einzelnen deutschen; Haustypen, ihre Abarten und deren lokal verschiedene Formen zu. Wenn er sich über Gebühr verspätet hat, so liegt der Grund darin, dass der Unterzeichnete- Berichterstatter infolge eines Wohnungswechsels durch neu an ihn herantretende dienstliche Verpflichtungen ganz in Anspruch genommen war.

Wenn wir die neueren Arbeiten über das niederdeutsche Haus ins Auge fassen, so gebührt es sich, an erster Stelle einen Mann zu nennen, der seit dem- letzten einschlägigen Berichte als Neuling in die Forschung eingetreten ist, der aber mit solcher Umsicht und Energie seine Arbeiten durchgeführt hat, dass er von Anfang an höchst anerkennenswerte Erfolge errungen hat: Willi Pessler. Der- selbe hat uns zunächst sein treffliches Buch 'Das altsächsische Bauernhaus in seiner geographischen Verbreitung' geschenkt^). Diese Arbeit, in der zum ersten Male mit Erfolg der Versuch gemacht ist, die Ausbreitung des altsächsischen Hauses auf Grund genauer geographischer Feststellungen klarzulegen, ist aus einer Disser- tation hervorgegangen, zu der Friedr. Ratzel die Anregung gegeben hatte. Pessler

1) R. Lehmann-Nitsche, Quiere que le cuente el cuento del gallo pelado? estudio folkloristico (Revista de derecho, historia y letras 30, *297— SOG. Buenos Aires 1908). R. A. Laval, El cuento del medio pollo, versiones chilenas del cueuto del gallo pelado (ebd. 32, 52G— 538. 1909).

2) William Jones, Fox texts. Lejden, E. J. Brill 1907. VI, 383 S. (Publications of the American ethnological society 1).

3) 0. Strehlow, Die Aranda- und Loritja-Stämme in Zentral- Australien 1: Mythen, Sagen und Märchen des Aranda -Stammes (Veröffentlichungen aus dem städt. Völker- museum Frankfurt a. M. 1). Frankfurt, J. Baer 1907. 101 S. (s. Hess. Blätter für Volkskunde 8, 72).

1) Nachträglich verweise ich noch auf 0. Arnsteins sorgfältige Bibliographie der Stoffgeschichte für 190G-1907 (Jahresberichte für neue deutsche Literaturgeschichte IG bis 17, r2G-147) und auf K. Brockelmanu, Eine altarabische Version der Geschichte vom Wunderbaum (Studien z^ir vgl. Litgesch. 8, 237 f.), der eine Variante zu Boccaccios Lidia (Cliauviu, Bibl. arabe 8, 97 f.) mitteilt.

.')) Braunschweig, F. Vieweg & Sohn 1906. XVIII, 208 S. «". Mit 171 Illustrationen, im Text, 6 Tafeln, einer Originalplanzeichnung und 4 Karten. Preis geb. 10 Mk.

Berichte und Bücheranzeigen, 101

hat sich mit achtungswertem Mute an die Aufgabe herangemacht, im Interesse seiner Studien ganz Norddeutschland mit der Bahn, mit dem Rade und zu Fuss zu durchstreifen, um so zu den vielfach ihm zuteil gewordenen Auskünften von Lokalforschern und zu den mancherlei bereits veröffentlichten Einzelstudien die beste Grundlage zu weiterer Erkenntnis, die eigene Anschauung zu gewinnen. Dass ihm zu diesem Zwecke von der Zentralkommission für deutsche Landes- und Volksforschung ein Reisestipendium gewährt wurde, ist dankbar zu begrüssen, und es erweckt für weitere ähnliche Unternehmungen die besten Hoffnungen. Der erste 'Gesichtspunkt bei der Arbeit war ein geographischer. Pessler spricht das selbst aus: -,Die Hauptsache ist die geographische V^erbreitung des altsächsischen Bauern- hauses, das sich durch Vergleich mit anderen Grenzen als eines der wichtigsten Kennzeichen des Sachsenstammes herausstellte." Den geographischen Rücksichten schliessen sich dann die ethnographisch -volkskundlichen und die architektonisch- technischen an. Die geographischen Interessen walten vor, ohne dass dabei der für die Hausforschung bestehende Wert anders gearteter wissenschaftlicher Inter- essen herabgesetzt würde. Das Wichtigste, was Pessler geben wollte, hat er in drei Hauptkapiteln zusammengefasst. Zunächst stellt er in einem 'Gang durch die Literatur' mit grossem Fleiss die bisherigen einschlägigen Veröffentlichungen ein- schliesslich der Karten zusammen und gibt damit den künftigen Forschern eine treffliche Übersicht über die älteren literarischen Quellen. Sodann gibt er eine ein- gehende Beschreibung des altsächsischen Hauses. Dabei betont er folgende Merk- male als die wesentlichen: konzentrierte Einheitlichkeit unter Einem Dach, kon- struktiv hervorragende Bedeutung der Ständer mit nur angeklappten Längswänden, Eine Feuerstelle als Mittelpunkt des ganzen Anwesens, dreischiffigerGrundriss mit hoher Mitteldiele. Besonders ist davon die Eigenschaft hervorzuheben, die P. im Gegensatz zu manchen älteren Berichten wiederholt betont, dass bei dem Fach- werkbau des sächsischen Hauses „die ganze innere Festigkeit auf den Dielen- ständern beruht" (S. 113). Im übrigen kommen ihm bei der Beschreibung die vielen selbst aufgenommenen und gut gewählten Abbildungen sehr zu statten, und als besonderes Verdienst rechne ich es ihm an, dass er auch die volkstümlichen Bezeichnungen für die einzelnen Hausteile von vornherein mit grosser Sorgfalt zusammengestellt hat. Das glänzendste Ergebnis des Buches aber ist die Fest- stellung der Grenzen des altsächsischen Bauernhauses, die im dritten Hauptkapitel besprochen wird, und die in drei Karten, je einer für das östliche, das südliche und das nordwestliche Gebiet, im Massstab 1 : 300 000 zur Anschauung gebracht ist. Dabei sind die Grenzverhältnisse noch insofern näher charakterisiert, als die Orte mit noch vorhandenen echten Sachsenhäusern, diejenigen mit umgebauten Sachsenhäusern und diejenigen, wo das Sachsenhaus seit Menschengedenken ver- schwunden ist, durch besondere graphische Markierung unterschieden werden. Wie wertvoll eine solche kartographische Behandlung für die Erforschung volks- kundlicher und ethnographischer Erscheinungen ist, das erkennt hier jeder Benutzer auf den ersten Blick. Von Einzelheiten möchte ich nur kurz darauf hinweisen, dass Pessler mit Recht darauf aufmerksam macht, wie wichtig für die Ausprägung des Haustypus und seine Veränderung an den Typengrenzen der Charakter der umgebenden Landschaft ist. Mit Recht ruft er auch mehrfach die Lokalforschung für die weitere genaue Untersuchung der Hausformen auf, z. B. weist er besonders auf den Kreis Hümmling hin wegen seiner primitiven Bauart, und er betont, dass sich hier eine Entwicklungsgeschichte des altsächsischen Hauses würde schreiben lassen (S. 233). Es kann nicht dringend genug gewünscht werden, dass solche ■Hinweise auf einen fruchtbaren Boden fallen möchten. Was die von Pessler tre-

]()2 Lauffer:

wählte Bezeichnung 'altsächsisches Bauernhaus' anlangt, so ist nichts dagegen ein- zuwenden. Nur eins ist zu bemerken: Pessler erweckt den Anschein, als ob wir bislang den Namen 'niederdeutsches Haus' als gleichbedeutend mit seinem 'alt- sächsischen Hause' gebraucht hätten, und er lehnt jene von uns gebrauchte Be- zeichnung ab, „weil sich weder das niederdeutsche Sprachgebiet noch auch Nieder- deutschland mit dem altsächsischen Hausgebiete deckt" (S. 1). Dazu ist zu sagen, dass der Name 'niederdeutsches Haus' für uns immer einen Oberbegriff bezeichnet hat, der neben dem altsächsischen auch das altfriesische Haus in sich einschliesst. Es bleibt mir auch heute noch fraglich, ob es sich nicht in vielen Fällen empfehlen wird, jenen Oberbegriff beizubehalten; denn Friesenhaus und Sachsenhaus mögen wirtschaftlich zu noch so verschiedenen Formen geführt haben, in Rücksicht auf den ursprünglichen Baugedanken und auf die Konstruktion stehen sie sich so nahe, dass ihr engerer Zusammenschluss gegenüber den anderen Haustypen be- rechtigt erscheint. Es wäre sehr zu wünschen, dass Pessler selber bald Gelegenheit findet, auch das Friesenhaus in einer umfassenden Arbeit zu behandeln. Es würde in seinen primitiven Entwicklungsstufen die Verwandtschaft mit denjenigen des Sachsenhauses leicht erkennen lassen.

Wenn nun Pessler in diesem ersten trefflichen Hauptwerke eine Reihe weiterer ergänzender Mitteilungen in Aussicht gestellt hat, so sind wir heute bereits in der Lage, über eine grössere Zahl solcher Arbeiten zu berichten. Ich führe sie in der Reihenfolge ihres Erscheinens auf. In einem Aufsatz „Die Hausforschung, vor- nehmlich in Norddeutschland"») schildert Pessler zunächst kurz, was bis jetzt geleistet ist. Er wägt die Interessen ab, die die einzelnen historischen Disziplinen an der Bauernhausforschung haben, und er wird ihnen auch im allgemeinen gerecht. Nor das Verhältnis des Hauses zum Wirtschaftsbetriebe hätte meines Erachtens etwas stärker betont werden müssen. Wohl sagt P. mit Recht: „Es fehlt noch sehr viel an der Erkenntnis, dass ein bestimmter wirtschaftlicher Betrieb auch eine bestimmte Bauart zeitigen müsse." Aber damit ist nicht gesagt, dass der Einüuss des Wirtschaftsbetriebes nur gering sei. Ich hätte eine schärfere Be- tonung der Tatsache gewünscht, dass zwar der Einfluss unter verschiedenen Ver- hältnissen sich verschieden äussert, dass diese Äusserungen aber in vielen sehr wichtigen Punkten klar vorhanden sind, und dass es eben nur gilt, sie zu er- forschen, damit man ein festes urteil darüber fällen kann. Die Erforschung der Verbreitung der Hausformen und ihre geographische Festlegung steht auch hier für Pessler im Vordergrunde, so sehr, dass er erklärt, dass der geographische Standpunkt „für die geschichtliche Verwertung der Hausforschung zunächst allein fruchtbringend sei", und von diesem Standpunkt aus beschäftigt er sich (eine spätere Arbeit bereits anbahnend) vornehmlich mit der Frage, ob der Haustypus als Stammeskennzeichen angesehen werden kann, mithin ethnisch bedingt ist. Auf die Frage: „In welchem Verhältnis stehen die heutigen Haustypen zu den alten A^'olksstämmen?", weist er darauf hin, dass Haustypus und Volksstamm nicht überall in ihrer Verbreitung zusammenfallen. Er gibt einen Überblick über die Geschichte und die bisherigen Ergebnisse der Hausgeographie speziell in Nord- deutschland, und er lässt in einer verdienstvollen Übersicht erkennen, wieviel daraus bislang für die Stammeskunde gewonnen, wieviel noch fraglich sei. Der kleine Aufsatz „Zur Verbreitung des altsächsischen Bauernhauses" ^j, in dem Pessler einen kurzen Überblick über die von ihm gewonnenen geographischen Ergebnisse darbietet, bedeutet insofern einen gewissen Portschritt, als er hier das-

1) Deutsche Geschichtsblätter, Lsg. von A. Tille 7, -JOl— 1'14 (Mai lOOi;).

2) Niedersachsen 11, 37S-;)<S0. Mit 8 Abb. nach Aufnahmen des Verfassers (190G)..

Berichte und Bücheranzeigen. 103

altsächsische Bauernhaus nicht nur als Ebenenhaus und als wesentliches Kenn- zeichen für das Auftreten des sächsischen Stammes, sondern zugleich auch als Produkt der Landwirtschaft und der Viehhaltung, d. h. der Wirtschaftsverhältnisse bezeichnet. Kurz und klar ist ein Aufsatz .,Zur Erforschung des altsächsischen Bauernhauses"'), in dem Pessler (auch hier künftige Arbeit vorbereitend) auf die Erforschung der Abarten eingeht. Er weist zunächst auf die Verschiedenheiten hinsichtlich der Konstruktion: in der Mitte und im Norden der reine Ständerbau, im Süden 'Viersäulenbau'. Daneben zeigt er kurz die Verschiedenheiten in der Gestaltung des Äusseren und endlich auch die Unterschiede im Grundriss: die Abart mit Fletdiele und die mit Durchgangsdiele. Die Erforschung auch der volkstümlichen Bezeichnungen für die Hausteile und die Feststellung der Ver- breitung dieser Bezeichnungen lässt er in ihrer wissenschaftlichen Bedeutung klar erkennen, und es wäre zu wünschen, dass sein Aufruf zur Mitarbeit auf diesem Sammelgebiete nicht vergebens geschieht.

In den vier nun folgenden Aufsätzen gibt Pessler Mitteilungen über bestimmte lokale Formen des altsächsischen Hauses. In dem Aufsatz „Das altsächsische Bauernhaus in Mecklenburg'' -) macht er den gut gelungenen Versuch, mit Hervor- hebung der technischen und sprachlichen Momente ein Bild des Sachsenhauses zu kennzeichnen. Er konstatiert folgende Grenzen: „Herrschend ist das alt- sächsische Bauernhaus in Mecklenburg noch jetzt westlich einer Linie Grabow, Goldberg, Güstrow, Ribnitz; ostwärts gibt es innerhalb der erdrückenden Majorität von ritterschaftlichen Gütern nur vereinzelte Haustypeninseln, deren bedeutsamste das Amt Dargun ist." Dementsprechend schliesst er mit der Mahnung, „in der Osthälfte des Landes die letzten Spuren sächsischen Stiles aufzusuchen, ehe sie ganz verwischt sind". Li einer zweiten Abhandlung bespricht Pessler „Das altsächsische Bauernhaus der Insel Rügen" ^). Für den Haustypus der Insel ergibt sich dabei dasselbe oder ähnliches wie für die Mundart. Letztere gehört aufs engste mit der mecklenburgisch-neuvorpommerschen zusammen und stellt somit den östlichen Teil der nordniedersächsischen Gruppe dar. Ebenso bildet der Wohnbau von Rügen samt Usedom, Wollin und dem hinterpommerschen Küsten- strich den östlichen Ausläufer des grossen Gebietes des altsächsischen Bauern- hauses. Man hat es hier noch mit echten altsächsischen Häusern zu tun. Auch hier finden sich die Ständer als Hauptträger, das grundlegende Kennzeichen sächsischen Stiles neben der hohen Mittellängsdiele. Hinsichtlich des Grundrisses stellt Pessler fest, dass das für Hannover charakteristische, Flett genannte Quer- schiff fast völlig fehlt, vielmehr der Typus mit Durchgangsdiele herrscht. Er gibt einen Überblick über die Hauptformen des Rügenschen Hausgrundrisses, betont aber auch hier, dass das Aufmerken auf die Konstruktion das Wichtigere sei. Der über Mecklenburg, Lauenburg, ganz Hannover, Nordwestfalen und die Altmark verbreitete Name 'dönze' für Stube findet sich auch auf Rügen. Ein weiterer Aufsatz schildert „Die geographische Verbreitung des altsächsischen Bauernhauses in Pommern"*). Demnach zerfällt die volkstümliche Bauweise Pommerns in den rein sächsischen Westen bis nahe zur Ucker und in das Misch- gebiet zwischen Ucker und Leba. Letzteres teilt sich in sächsische, sächsisch- fränkisch gemischte und fränkische Haustypenbezirke. ., Vergleicht man das Gebiet des echten altsächsischen Haustypus mit anderen ethnographischen Erscheinungen,

1) Niedersachsen 12, 13-14. Mit G Abb. (190<5).

•2) Mecklenburg 1, (iö— 70. Mit 8 Abb. (1906).

o) Zeitschr. f. Ethnologie 190G, 9G7-98(i. Mit 17 Abb.

4) Globus 90, 357—362 (1906). Mit 10 Abb. und einer Karte.

204 Lauffer:

so fällt es westlich der Oder mit den ausschliesslich von Nordniedersachsen be- siedelten oder besser kolonisierten Rügen, Neuvorpomraern, Westaltvorpommern, Oderinseln zusammen und geht östlich der Oder landeinvpärts nirgends über die Südgrenze der sächsisch gefärbten hinterpommerschen Küstenmundart hinaus, westlich der Oder mit dem Bezirk des rein blonden Menschentypus sich deckend, östlich erheblich hinter ihm zurückbleibend. Am dichtesten stehen auch in Hinter- pommern die Sachsenhäuser in den Gegenden, die nachweislich am dichtesten von Deutschen besiedelt sind." Eine Karte im Massstabe 1 : 300 000 gibt einen guten Überblick über die von Pessler gewonnenen Ergebnisse. Sie ist in derselben "Weise ausgeführt wie die Karten in „Das altsächsische Bauernhaus" und sie gibt die östliche Fortsetzung der dort vorgelegten Karte 2. Die vierte einer lokalen Abart gewidmete Monographie bespricht „Das altsächsische Bauernhaus in der Rheinprovinz" ^). Hier will Pessler eine Beschreibung der einzelnen im Rhein- lande vorhandenen Arten des Sachsenhauses, ihrer Entwicklung und schliesslich ihrer Verbreitung in Beziehung zu anderen Verbreitungserscheinungen geben. Er setzt die konstruktiven Unterschiede der Abarten einleuchtend auseinander, und nach diesen Konstruktionsunterschieden nicht nach den zahlreichen Grundrissvarianten, auf die er nur in ein paar charakteristischen Enormen eingeht stellt er seine Typen auf. So gelangt er zu drei verschiedenen Abarten, der nordniedersächsischen, der westfälisch-ostfälischen und der niederrheinischen, denen die Konstruktionen des reinen Ständerbaues, des Viersäulenbaues und des überhöhten Ständerbaues entsprechen. Bezüglich der A'erbreitung stellt Pessler folgendes fest: „Die Süd- grenze des Sachsenhausgebietes im Rheinlande zieht sich von Kaldenkirchen über Süchteln an den Rhein gegenüber Kaiserswerth, hat aber früher weiter gereicht, wie die Sachsenhäuser bei Gladbach beweisen . . .; am Rhein abwärts erreicht die Hausgrenze Duisburg, begleitet die Ruhr und schneidet am ganzen Nordost- rande der Rheinprovinz einen schmalen Streifen ab, indem sie über Kettwig, Velbert, Neviges, Barmen die Wupper erreicht und dieser aufwärts über Wipper- fürth folgt, um dann über Gummersbach die Provinz Westfalen zu treffen, die sie ausser den Kreisen Siegen und Wittgenstein vollkommen einschliesst." Pessler schliesst diese erfolgreiche Arbeit mit einem Vergleich der Hausgrenzen mit den Sprachgrenzen und stellt fest, dass der Niederrhein durch seine altsächsische Bauart viel mehr noch als durch seine Mundart zu Niederdeutschland gehört (S. 2(S2). In dem Aufsatz „Neues zur Kenntnis des altsächsischen Bauern- hauses"-) versucht Pessler einige Formen von grundlegender technischer Be- deutung zur Besprechung zu bringen. Er behandelt 1. den Schafstall als mögliche Urform des altsächsischen Hauses, und indem er ein paar Beispiele von Heide- schuppen aus dem Hümmling (Regierungsbezirk Osnabrück) vorführt, gibt er in schematischen Zeichnungen die Entwicklungsstadien vom Schafstall zum auf- geständerten Sachsenhause, so wie er sie sich denkt, und wie sie im Zusammen- hange auch durchaus möglich sind. 2. Bezüglich der Kübbungen, der 'Seiten- schiffe' des Sachsenhauses, weist er darauf hin, dass sie konstruktiv unwichtig, nur angeklappt sind. Er zeigt die verschiedenen Hausformen, die entstehen können, wenn die konstruktiv bedeutungslose Kübbung fehlt. Auf die entwicklungs- geschichtliche Frage geht er hier nicht ein, er äussert sich aber soweit, dass er meines Erachtens sehr mit Recht erklärt, dass er die Kübbung entwicklungs- geschichtlich nicht etwa als sekundäre Zutat angesehen wissen will. Wir kommen so zu dem Ergebnis, dem auch ich mich aiischliessen möchte, dass die Kübbung

1) Zs. d. Vereins f. rhein. ii. westfäl. Volksk. a, 27-->— 282 (IDUG). Mit 6 Figuren.

2) Niedersachsen 12, 2()0-2()4. jMit 13 Abb. (1907).

Berichte und Bücheranzeigeu. 105

gleichzeitig mit der Aufständerung entstanden ist. 3. Eine Übersicht über die Abarten des altsächsischen Bauernhauses gibt zunächst nach der Konstruktion die bereits oben genannten drei verschiedenen Unterarten. Dann aber findet sich bei Pessler hier zum ersten Male auch eine scharfe Unterscheidung nach dem (jtrundriss, indem er erstens das Haus mit Flettdiele, zweitens das mit Durchgangsdiele und drittens das niederrheinische T-Haus unterscheidet. 4. Die baulichen Fachausdrücke im Volksmunde hat Pessler für etwa Formen gesammelt. Er wählt davon einige aus, nämlich die für Einfahrtstor, Ständer, Schwelle, Torständer, Lehmwandstaken, "Windrispen, Walm, Dachtraufe, Wohnstube, und indem er die volkstümlichen Ausdrücke für dieselben vergleicht, erklärt er: „man ist vorläufig versucht, ein Nordostgebiet (Nordhannover und Ostelbien), ein Mittelgebiet, ein Südwestgebiet (Emsland, Westfalen, Niederrhein) und ein kleines Südostgebiet (Hessen und Oberweser) anzunehmen, die je ihre besonderen plattdeutschen Bezeichnungen haben."

Dem Gesamtarbeitsfelde der deutschen Hausforschung wendet sich Pessler zu in dem Aufsatz „Die Haustypengebiete im Deutschen Reiche. Eine ethno- geographische Untersuchung"^). Er gibt eine Besprechung des deutschen Bauern- hauswerkes der Architekten und ergänzt dasselbe in einer sehr wesentlichen Hinsicht, indem er die Verbreitungsgebiete der deutschen Haustypen, über die der Text des Bauernhauswerkes keine zusammenfassende Darstellung gibt, festzustellen sucht. Den anschaulichen Niederschlag dieser Arbeit, zugleich auch den wert- vollsten Teil des vorliegenden Aufsatzes bildet die im Massstabe 1 : 2 öOO 000 ge- haltene Karte. Dieselbe ist besonders dadurch für jeden, auch für den der Haus- forschung ferner stehenden, leicht verständlich gemacht, dass am Rande die Grund- risse der einzelnen Haustypen in derselben Farbe vorgeführt werden, in welcher ihre Verbreitung auf der Karte angegeben ist. Was die Einteilung der verschiedenen Haustypen anlangt, so scheidet Pessler die Gruppe von Hausforraen, die wir früher als „niederdeutsch" bezeichnet haben, in 'Friesische' und 'Niederdeutsche' (d. h. sächsische und sächsisch beeinflusste), diejenige aber, die wir früher 'ober- deutsch' nannten, nennt er jetzt „Hochdeutsch" und scheidet sie in 'Mitteldeutsche und "Oberdeutsche' Typen. Ich kann nicht finden, dass damit gegenüber unserer früheren Zweiteilung, neben der natürlich die ausserdeutschen (nordanglischen, dänischen und litauischen) Formen für sich stehen, ein grosser Fortschritt gemacht sei, um so weniger, als nun mit den Bezeichnungen 'Niederdeutsch' und 'Ober- deutsch' in einem anderen Sinne als früher operiert wird und dadurch ohne \veiteres eine gewisse Unklarheit für Jahre bedingt wird. Was Pessler meint, ist richtig. Nur die Terminologie ist zu bessern, und es wird dabei immer an- zustreben sein, dass die Tatsache zum Ausdruck gebracht werde, dass wir es beim deutschen volkstümlichen Hause mit zwei grossen Gruppen unter sich verwandter Haustypen zu tun haben. Über diese Zweizahl freilich wird man sich erst dann einigen, wenn der meines Erachtens tatsächlich vorhandene entwicklungsgeschicht- liche Zusammenhang des Friesenhauses und des Sachsenhauses widerspruchslos zugestanden wird.

Eine weitere Ausführung dessen, was er bereits in dem oben angeführten Aufsatz 'Niedersachsen' 12, 200 204, im dritten Abschnitt gegeben halte, bietet Pessler sodann in einem sehr übersichtlichen zu Lübeck gehaltenen Vortrage über: „Die Unterarten des altsächsischen Bauernhauses"'), und unermüdlich er- weitert und vertieft er die Behandlnna- dieses selben Themas in einer umfassenden

1) Deutsche Erde 19()S, 14—22. 45—52. Mit einer Karte und 10 Abbildungen.

2) Korrbl. d. Ges.-Vereius d. dtsch. Gesch. u. Altertums-Vereine liKt'J, 2i;i— 224.

106 Laiiffer, Petsch:

Arbeit über „Die Abarten des altsächsischen Bauernhauses"^). Da in dieser vor- trefflichen, methodisch sicheren und erfolgreichen Arbeit die Hauptergebnisse zusammengefasst sind, so gehe ich hier näher darauf ein. Die Arbeit zerfällt in zwei gro^e Abschnitte. Im ersten werden die Abarten nach der Konstruktion besprochen. Verf. gibt zunächst einen kurzen Überblick über die Konstruktions- verhältnisse der Heideschafställe, den er meines Erachtens mit Recht als beste Einführung in die Entwicklungsgeschichte des altsächsischen Bauernhauses be- zeichnet, wenn er auch glaubt, dass die Ableitung derselben aus den Schafstall- bauten einstweilen noch nicht genügend sichergestellt sei. Von den Abarten erklärt er das Kübbungshaus für die ursprünglichere, das Vierständerhaus für die daraus ableitbare entwickeltere Form. Er schildert die Konstruktionsunterschiede und zeigt, wie weit die Verbreitung jener Abarten geht, hier wieder den geo- graphischen Standpunkt betonend, der sich bei seinen Arbeiten so sehr als frucht- bringend erwiesen hat. Für die Altersbestimmung des altsächsischen Hauses weist P. nicht nur darauf hin, dass dasselbe, nach dem Import in das ostelbische Kolonisationsgebiet zu urteilen, seit mindestens 1150 im Gebrauch sein muss» sondern wir finden auch die höchst interessante und wichtige Angabe, dass im holländischen Drenthe und den Yssellandschaften gleichfalls das sächsische Haus in der Form des Kübbungshauses herrscht. Da diese Gegenden, worauf P. hin- weist, lange vor 400 von Sachsen erobert, bald darauf aber durch erneute Franken- besetzung dem sächsischen Einfluss vollständig entzogen sind, so wird man mit P. geneigt sein, dem altsächsischen Hause ein Alter zuzuschreiben, das vor das vierte Jahrhundert zurückreicht. Um die Entstehung des Vierständerhauses im Süden zu erklären, zieht er vergebens die physiogeographischen und wirtschaft- lichen Einflüsse heran und kommt so schliesslich zu dem Urteil, dass hier nichts übrig bleibe, als an völkische Ursachen zu denken, „sei es, dass benachbarte Haustypen durch ihre Nähe gewirkt haben, sei es, dass geradezu ein fremdes Volkstum in dieser Gegend auf die Bauweise eingewirkt hat". Aus der geographischen Verbreitung des Vierständerhauses im Vergleich mit anderen geschichtlichen Daten schliesst P., dass diese Abart des altsächsischen Hauses sich wahrscheinlich bis 770 herausgebildet habe, während das Kübbungshaus viel älter ist (S. 1(3!» 170). Besonders bedeutsam sind schliesslich die wiederholten Übereinstimmungen der Ergebnisse von Hausforschung und Sprachforschung, die P. festgestellt hat, und die auch die Sprachforscher zwingen, sich eingehend mit P.'s Arbeiten zu be- schäftigen. Der zweite Hauptabschnitt behandelt „die Abarten nach dem Grund- riss". P. weist auf den bisherigen Mangel einer einheitlichen Terminologie hin und schlägt, um die Hauptabarten zu bezeichnen, die Ausdrücke 1. „Haus mit Flettdiele", '2. „Haus mit Durchgangsdiele", 3. „Haus mit Sackdiele" vor. Er betont aber sogleich, dass die ethnologische Verwertbarkeit bei der Klassifikation der Grundrisse lange nicht so gross ist „wie die der übersichtlich gruppierten, wenig differenzierten Konstruktion". Die ursprünglichste Grundrissform, die ohne Wohnräume, findet sich nur im Westen des Stilgebietes, besonders in ab- gelegenen Teilen von Drenthe und Oberyssel. Sie ist ausgezeichnet durch Ein- räuraigkeit und freie Herdanlage. Aus dieser Urform entstehen zwei verschiedene Entwicklungsformen: 1. die mit Durchgangsdiele, 2. die mit Flettdiele. Bei der Besprechung der Verbreitungsgebiete dieser Abarten kommt P. zu dem Ergebnis,, „dass dort, wo der Sachsenstamm unverwischt sitzt, stets die Flettdiele vorkommt, während Gegenden, wo verhältnismässig starkes Fremdtum nachgewiesen ist, andere Abarten, meist die Durchgangsdiele, zeigen" (S. 17Gb). Wenn P. zum^

1) Arch. f. Anthropologie, N. F. S, 107— 1.S2 (1909). Mit 23 Abb. und zwei Karten.

Berichte und Bücheranzeigen. . 107

Schluss dieses vortrefflichen Aufsatzes die Verbreitung der Hauptgrundrisstypen des reinen Sacbsenhauses mit anderen ethnologischen Erscheinungen A'ergleicht (S. 181 182), so schneidet er damit eine Frage an, die er in der letzten uns A'or- liegenden, ebenfalls durchaus empfehlenswerten Arbeit weiter ausgeführt hat. Die- selbe führt den Titel „Ethno-geographische Wellen des Sachsentums. Ein Beitrag zur deutschen Ethnologie"^). P. geht hier mit gutem Erfolg dazu über, die Er- gebnisse seiner Hausforschung einzuordnen in das Gesaratgebiet stammeskundlicher Forschung. Um einen Anhalt zur Erschliessung der Stammessitze zu gewinnen, will er unsere Kenntnis von den Äusserungen oder Merkmalen des Volkstums (Körper, Geist, Sprache und Sachen) sowie von ihren verschiedenen Ausbreitungs- wellen, zu deren Bezeichnung wir übrigens meines Erachtens eine Reihe neuer Fremdwörter ganz gut entbehren können, miteinander in Beziehung setzen. In dieser Richtung verfährt er in vorliegender Arbeit mit den Merkmalen des Sachsen- tums. Er überträgt die für das Sachsentum in Frage kommenden Grenzlinien auf eine Karte und gewinnt so das Gebiet des reinsten Sachsentums. „Es ist das: Holstein von Schlei bis Elbe mit Ausnahme des Ostens und der AVestraarschen, ferner Nordhannover und Oldenburg mit Ausschluss der Marschen und südlich bis zu einer Linie Saterland, Kloppenburg, Visbeck, Wietingsmoor, Diepenau, Slein- huder Meer, Leinemündung, nördliche Oertze und südliche Ilmenau, wo die Ostgrenze beginnt, die von hier bis zur Kieler Bucht läuft. Von diesem engen Gebiet aus hat sich das Sachsentum- dann weiter ausgebreitet, am reinsten gegen die Ems hin, überall sonst bald auf fremdes Volkstum stossend und diesem bald das eine, bald das andere Merkmal seines Volkstums opfernd". Auch diese letzte Arbeit Pesslers ist in ihrer Methode durchweg gut und in ihren Ergebnissen überzeugend, und sie wird schliesslich auch noch dadurch sehr wesentlich gestützt, dass sie mit den archäologischen Feststellungen C Schuchhardts (Zs. d. bist. Vereins f. Niedersachsen 1908) in den Folgerungen übereinstimmt.

Wenn wir damit von den umsichtigen und an wissenschaftlichen Erfolgen so reichen Arbeiten Pesslers Abschied nehmen, so bleibt nur noch übrig zu erwähnen, dass fast alle die genannten Aufsätze durch zahlreiche Abbildungen nach des Ver- fassers eigenen Aufnahmen illustriert sind. Sie gew'ähren so zu dem geschriebenen Wort eine gute Anschauung und ermöglichen in vielen Fällen auch eine unmittel- bare Nachprüfung an den Darstellungen der besprochenen Bauformen.

Hamburg. Otto Lauffer.

(Fortsetzung folgt.)

Alfred Lehmann, Aberglauben und Zauberei von den ältesten Zeiten an bis in die Gegenwart. Deutsche autorisierte Übersetzung von Petersen. Zweite umgearbeitete und erweiterte Auflage. Mit 2 Tafeln und 67 Text- abbildungen. Stuttgart, Ferdinand Enke 1908. XII, 665 S. 14 Mk.

Victor Henry, La Magie de l'Inde antique. 2e edition, Paris, E. Xourry 15J09. XL, 286 S. 3,50 Er.

Eine Geschichte der Magie ist eine der reizvollsten, aber auch schwierigsten Aufgaben für den Kulturhistoriker der Zukunft; ihr Bearbeiter würde bis auf die vorgeschichtlichen Anfänge menschlichen Geisteslebens zurückgehen und vor der Gegenwart nicht Halt machen; er müsste in weitestem Masse die Lebensäusserungen der 'Wilden' heranziehen, aber auch die höchst kultivierten Völker der Gegenwart

1) Wörter u. Sachen, kulturhistor. Zeitschrift 1, 49— öC (1000). Mit einer Karte.

108 Petsch:

würden ihm ein überreiches, wenn auch durchaus nicht einheitliches und nicht reinliches Material liefern, und selbst im Seelenleben der führenden Persönlich- keiten eines 'erleuchteten Zeitalters' könnte er seelische Unterströmungen antrefi'en, die er mit Recht für seine Darstellung in Anspruch nehmen dürfte. Ethnologie und Sprachforschung, Religions-, Kunst- und Literaturgeschichte, historische und systematische Philosophie, nicht zum wenigsten die empirische Psychologie müssten zu diesem Werke mitarbeiten, um jene eine und vermutlich grössere Hälfte des menschlichen Geisteslebens in ihrer geschichtlichen Entwicklung zu verfolgen. Wenn der natürliche Mensch unbewusst oder mit bequemen Analogieschlüssen seine Umgebung nach Massgabe des eignen Ich beurteilt, die unbelebte Natur wie eine beseelte behandelt, einzelne Erlebnisse verallgemeinert, aus zufälligen Berührungen in Raum und Zeit auf dauernde Zusammenhänge schliesst, wenn er innere Wirkungen auf fremde Persönlichkeiten durch äussere Eingriffe etwa an ähnlich geformten Gegenständen hervorzubringen hofft oder Traumbilder und Wirklichkeit miteinander verknüpft, so verhält er sich in allen diesen Füllen vorwiegend passiv gegenüber den Sinneseindrücken, welche die Aussenwelt oder seine innere Erfahrung in seiner Seele hinterlassen haben. Auf dieser assoziativen Verbindung der einzelnen ßewusstseinsinhalte beruht letzt- lich alle primitive Beurteilung des eignen Ich und seines Verhältnisses zu der es umgebenden Welt; auf dieser Grundlage erwächst schliesslich eine ganze magische Weltanschauung, die so etwas wie ein System werden kann, zumal wenn sie sich mit Elementen aus dem gerade entgegengesetzten Weltbilde verschmelzt. Dies andere, wissenschaftlich -kritische Weltbild aber erwächst auf dem Boden aktiver Bewusstseinstätigkeit, überlegender, scheidender und neu verbindender Geistesarbeit, sie beruht auf der apperzeptiven Verbindung der Elemente. Darin nun, dass auch in dem klarsten und gewissenhaftesten geistigen Arbeiter die rein assoziativen Vorgänge nie ganz einschlafen und nicht bloss im Traum und ähnlichen Ein- schläferungs- oder Betäubungszuständen, sondern mitten im wachen Leben immer wieder eintreten, beruht die grosse Schwierigkeit, aber auch der eigentliche Reiz und vor allem die ungeheure Lebeusbedeutung des 'Magischen' im weitesten Sinne.

In diesem Sinne hat uns freilich bisher niemand die Geschichte der Magie dargestellt, aber auch eine rein empirische Darstellung der 'Magie im engern Sinne', eine Zusammenfassung des gesamten geschichtlichen Materials fehlt uns zurzeit noch. Denn Lehmanns Buch kann trotz der Erweiterungen der 2. Auf- lage nicht als solche gelten. Sein Werk ist ja, im ganzen genommen, vorzüglich eine historisch und psychologisch fundierte Streitschrift gegen den modernen Ok- kultismus und gegen dessen wissenschaftliche Ambitionen. Als solche hat sie luftreinigend gewirkt und natürlich auch heftige Angriffe von selten der Gegen- partei hervorgerufen. In diesem Sinne wirtl sie immer wieder Segen stiften, in- dem sie die Diskussion vertieft. Die einleitenden Kapitel suchen vor allem das herauszuheben, was von den älteren 'Geheimwissenschaften' heutzutage in irgend- einer Form noch fortlebt; so betrachten sie die Vergangenheit unter dem Gesichts- punkt der Gegenwart, mehr urteilend als entwickelnd, mehr nach den Erscheinungs- formen als nach den letzten Grundlagen und inneren Zusammenhängen. Auf diese Weise gibt Lehmann uns ein überreiches historisches Material; aber es ist keines- wegs gleichmässig und mit fester Methode, es ist vor allem nicht um seiner selbst willen verarbeitet. So kann es gerade für die Leser dieser Zeitschrift nur als eine äusserst anregende und fesselnde Lektüre, keineswegs aber als abschliessende Darstellung oder gar als Lehrbuch in Betracht kommen.

Gleich die Definition der Zauberei, die Lehmann an den Anfang seiner Arbeit stellt, muss unter diesen Gesichtspunkten unsern Widerspruch herausfordern:

Berichte und Bücheranzeigen. 109

.Magie ist jede Handlung, die eine Beeinflussung entweder der übersinnlichen oder der sinnlichen Welt bezweckt, aber weder zu den Kultushandlungen, noch zu den technischen Operationen gerechnet werden kann" (S. 9). Das mag für die Gegen- wart gelten, für die Entstehung der Magie sagt es gar nichts, weil diese in Zeiten hinaufführt, wo von einer anerkannten Religion mit ihrem offiziellen Kultus, wo von einer auf kausaler Naturerkenntnis beruhenden Tecknik noch gar keine Rede sein kann. Lehmann weiss davon, erwähnt es aber nur ganz nebenher (S. 12) und übersieht leider Vierkandts Aufsätze über 'die Anfänge der Religion und Zauberei' (Globus 92. 1904), wonach zauberische Handlungen bereits ausgeübt werden, ehe von Dämonologie, ja von eigentlichem Animismus die Rede sein kann. Der Wilde sieht schon in dem Pfeile, der den fernerstehenden Gegner tötet, etwas Geheimnisvolles, was seiner eigenen Kraft überlegen ist, die allenfalls den unmittelbar vor ihm stehenden Feind mit der Keule niederschmettern könnte; sucht er diese geheimnisvolle Wirkung noch zu steigern, indem er den Pfeil in der Richtung absendet, in der sich ein unsichtbarer, vielleicht meilen- weit entfernter Feind befinden muss, dem er auf diese Weise Schaden zuzufügen hofft, so liegt bereits eine magische Betätigung vor: einer natürlichen Handlung wird eine Wirkung beigemessen, welche die natürlichen (vielleicht besser: ge- wöhnlichen) Wirkungen dieser Handlung übersteigt. Lehmann versucht nun im folgenden wirklich genetisch vorzugehen und bringt eine recht brauchbare Skizze der Magie bei den Naturvölkern. Dagegen zeigt seine Geschichte der Magie in der antiken Welt wieder bedenkliche Lücken, und die Überschrift dieses ersten Abschnitts 'Die Weisheit der Chaldäer und ihre Entwicklung in Europa' kann leicht zu Irrtümern Anlass geben. Vor allem fehlt die Darstellung der indischen Magie, die doch auf die indogermanischen Verhältnisse so helles Licht wirft und für die spätere Entwicklung der europäischen Vorstellungen von so grossem Werte gewesen ist. Hier greift die ausgezeichnete Arbeit von V. Henry ein, die nun schon zum zweiten Male ihren Weg antritt. Ihre knappe 'Einleitung' stellt die Gesichtspunkte- auf, unter denen eine künftige Geschichte der ältesten Magie zu schreiben wäre. Vor allem die Konstanz der magischen Grundvorstellungen wird hier festgehalten: von der Urzeit an, wo eigentlich jeder auf eigene Hand ein Zauberer ist, über die Zeiten hinweg, wo besonders neuropathisch veranlagte Personen die Vermittlung zwischen Menschen und Dämonen übernehmen bis endlich zu dem Punkte, wa die reine Religion die Magie von sich abzuschütteln sucht, und diese nun als 'schwarze Kunst' im Dunkel ihr Wesen treibt und die Einrichtungen der Kirche für ihre Zwecke parodiert, hat sich die magische Kunst, wie alle Künste, im einzelnen unendlich differenziert und vervollkommnet, aber sie ist im Grunde immer dieselbe geblieben. So werden bei der gründlichen und allseitigen Be- sprechung des reich entwickelten und fein durchgeführten magischen Systems der Hindus alle wichtigeren Grundvorstellungen, Formeln und Methoden der Magie überhaupt zur Sprache gebracht. Henry beschreibt zunächst die beiden Hauptquellen, das Atharva-Veda und den Kaucika-Sutra und knüpft daran einzelne allgemeine Bemerkungen über die indische Magie uud ihre Erscheinungsformen: im folgenden geht er dann die Hauptzweige der zauberhaften Betätigung durch: die Wahrsagung, den Lebens-, Fruchtbarkeits- und Liebeszauber, die Zauberriten für Krieg und Frieden, die Exorzismen, die Heil- und Sühnezauber und endlich die Riten der 'schwarzen Magie'; denn auch die 'schwarze Messe', die kecke Per- siflage des Heiligen, zu der noch im 17. Jahrhundert etwa Mme. de Montespan ihre Zuflucht nahm, findet ihre Vorbilder schon in Indien. Kurze Bemerkungen über den Zusammenhang der Magie mit Mythus, Religion und Wissenschaft schliessen das treffliche, an allgemeinen Aufschlüssen so reiche Buch.

I ]^0 Petsch, Bartels:

Lehmanns Ausgangspunkt bei seiner historischen Musterung ist die Zauberei der Chaldiier, die er nach guten Quellen umsichtig und ansprechend schilderte Dagegen kann seine Darstellung der griechischen, römischen und hebräischen Zauberei durchaus nicht genügen; die hier besprochenen Arbeiten von Deissmann (oben IN, 4(;i)i) und Abt (oben 19, ;;3(3) konnten wohl freilich noch nicht ver- wertet werden, aber so dürftig hätte vor allem die wichtige Periode des hellenistischen Synkretismus"^) dennoch nicht behandelt werden dürfen, und das Weltsystem des Neuplatonismus, seine allmähliche Vermengung philosophischer Spekulation mit den Elementen der positiven Volksreligion mussten als Grundlagen für die magischen Anschauungen der Renaissance viel gründlicher dargelegt werden, als es in der kurzen Skizze S. Töf. geschieht. Hier fehlt es, wie so oft in Lehmanns Buch, an •der richtigen Verteilung von Licht und Schatten; nach Massgabe des Raumes, den er etwa auf die Darstellung der nordisch-finnischen Magic verwendet, müsste diese eine viel höhere Bedeutung für den modernen Okkultismus gehabt haben, als die der antiken Welt, was doch den historischen Verhältnissen nicht entspricht. Für ■das Mittelalter gibt Lehmann eine knappe, brauchbare Übersicht, um sich dann im zweiten Hauptabschnitt den 'Geheimwissenschaften' zuzuwenden. Hier wird vieles nachgeholt, was bereits an früherer Stelle hätte verwendet werden sollen; doch gibt Lehmann in diesem und in dem folgenden Abschnitt (Der moderne Spiritismus und Okkultismus) erheblich eingehendere, wenn auch ungleichwertige Analysen. Einzelne Kapitel sind hervorragenden Okkultisten wie Agrippa, Para- celsus oder Swedenborg usw. gewidmet (die Entstehung der Faustsage wird recht oberflächlich besprochen), andere schildern (und hierin besteht der grösste Reiz der Arbeit) die einzelnen magischen Wissenschaften (Astrologie, Auguralwissenschaften, praktische Kabbala, Alchemie) und spiritistische Strömungen der Neuzeit. Den Schluss des Ganzen macht eine breite, kritische Darlegung der 'magischen Geistes- zustände', die für unsere Zwecke kaum mehr in Betracht kommt.

Heidelberg. Robert Petsch.

1) Deissmanns treffliches Buch (Licht vom Osten) ist soeben in zweiter, vermehrter Auflage erschienen (Tübingen, Mohr li)()9).

2) AVir wollen bei dieser Gelegenheit nicht versäumen, auf einzelne trefflich orientierende Schriften über diese Epoche zu verweisen, die hier nicht eingehend besprochen werden können. Im Verlag Vaudenhoeck & Ruprecht, Göttingen, erscheinen soeben 'Die Schriften des alten Testaments in Auswahl, neu übersetzt und für die Gegenwart erklärt' (28 Lieferungen zu 80 Pf.). Hier werden auch dem Nichttheologen die gesicherten Ergehnisse der religionsgeschichtlichen Exegese in knapper Form übermittelt; die vor- liegenden Hefte bringen u. a. eine wertvolle Einführung in die alttestamentliclie Magie, in das Wesen der Traum- und der Wachvision (Extase), die Organisation der Propheteuschulen usw. aus der Feder Hugo Gressmanns, der auch das moderne orienta- lische Derwischtum geschickt zur Erklärung mit heranzieht. Wie stark derartige In- stitutionen und die von ihnen gepflegten Vorstellungsreihen, rabbinische Angelologie, astraler Äonenglaube, hellenischer Dualismus und orientalische Erlöserhoffnungen mit der ganz persönlichen, religiösen Erfahrung einer gewaltigen Persönlichkeit zusammenwirken, um eine wunderbar kom])onierte, an Widersprüchen nicht arme, aber gerade darum von reichster, werbender Kraft zeugende Weltrehgion vorzubereiten, hat Martin Dibelius gezeigt: Die Geisterwclt im Glauben des Paulus. Güttingen, Vaudenhoek & Ruprecht. 1!)09. VI 250 S. 7 Mk. Und die gesamte 'hellenistisch-römische Kultur in ihren Be- ziehungen zu Judentum und Christentum' behandelt mit bewundernswürdiger Klarheit und Konzentration P. Wendland in Lietzmanns Handbuch zum Neuen Testament I, 2. Teil (Tübingen, Mohr 1907). Hier ist der Magie ein eigener Abschnitt gewidmet, doch dient ihrem tieferen Verständnis das Werk in fast allen seinen Teilen.

Berichte und Bücheranzeigen. lU

S. Seligraann, Der böse Blick und Yerwandtes. Ein Beitrag zur Geschichte des Aberglaubens aller Zeiten und Völker. Berlin, H. Barsdorf 191U. 2 Bände. LXXXVIII, 406 S. und XII, 526 S. mit 240 Abb.

Ein gewaltiges Tatsachenmaterial ist in diesen beiden Bänden mit wirklich bewundernswerter Ausdauer und Belesenheit zusammengetragen und in einer Reilie von grösseren Abschnitten angeordnet worden. Nach einer kurzen Erläuterung des Begriffes und Wesens des bösen Blickes folgt ein sehr ausführlicher Abschnitt über das Vorkommen und die Verbreitung desselben, dann ein Kapitel über die Art der Wesen, welche den bösen Bück haben (einzelne Menschen, ganze Gemein- schaften, wie bestimmte Völker, Religionsgemeinschaften, Familien, Berufs- klassen usw., Tiere, Fabelwesen, Dämonen, selbst leblose Dinge): darauf werden die Ursachen und Mittel, welche den bösen Blick hervorrufen, erörtert; in dem von der 'Autofaszination' handelnden Abschnitt werden die Gefahren und Schädigungen geschildert, denen man sich aussetzt, wenn man sein eigenes Ant- litz, seinen Doppelgänger, seinen Schatten usw. erblickt. Es folgt dann eine Be-- sprechung der Wirkung des bösen Blickes auf die Wesen und Dinge, die ihm aus- o'csetzt sind (wozu übrigens so ziemlich alles gehört, was überhaupt bezaubert werden kann), sowie eine Aufzählung der Mittel, mit deren Hilfe man die einge- tretene Bezauberung erkennen und derer, welche man dagegen als Heilmittel ver- wenden kann. Fast der ganze zweite Band ist dann den Schutzmitteln gewidmet; einige allgemeine Ausführungen über die Versuche, die Macht des Blickes zu er- klären, machen den Beschluss. Mit Ausnahme vielleicht dieses letzten Kapitels scheint mir der Verf. die Gefahr, allzu breit zu werden, im ganzen glücklich ver- mieden zu haben. Nur wäre es wohl erwünscht gewesen, die Übersichtlichkeit des ausserordentlich reichen Stoffes durch wechselnden Druck, mehr Sperrungen bei den Hauptpunkten und ausgiebigere Verwendung des kleinen Druckes bei der Auf- zählung der Tatsachen, zu erhöhen, damit sich der Benutzer beim Nachschlagen zum Lesen ist ja ein solches Buch der Natur der Sache nach nicht bestimmt leichter zurechtfinden könne; auch bedaure ich sehr, dass die vielen interessanten Abbildungen, die das Buch schmücken und reiche Belehrung und Anregung bieten, meist nicht hinreichend mit erklärenden Unterschriften versehen sind; sie rausstea, um Häufungen zu vermeiden, über das ganze Werk verteüt werden, stehen nun aber fast ausnahmslos an ganz anderer als der zugehörigen Stelle viele z. B. im ersten Bande, die erst im zweiten besprochen werden und sind dann nur mit einem Hinweis auf die betreffende Stelle des Textes versehen; die Notwendig- keit, sich über eine das Interesse anregende Figur stets immer wieder durch Um- blättern belehren zu müssen, wirkt ermüdend und abschreckend. Sehr wertvoll sind die vielen und genauen Literaturangaben; welch kolossales Material hier ver- arbeitet ist, lehrt am besten die Tatsache, dass das Literaturverzeichnis nicht weniger als 71 Druckseiten füllt; jedem Kapitel sind ausserdem noch spezielle Hinweise auf dieses Verzeichnis angehängt, auch ist am Schlüsse des ganzen Werkes ein 50 Druckseiten umfassender Index gegeben, so dass also die Benutzung des Buches als Quellenwerk sehr erleichtert wird. Ich zweifle nicht, dass es als solches vielen willkommen sein würd, sei es nun, dass man sich über volks- medizinische Dinge zu unterrichten wünscht, sei es, dass man sonst irgendeine Frage aus dem grossen Gebiete des Aberglaubens vergleichend zu untersuchen unternimmt.

Berlin. Paul Bartels.

\\2 Bartels, Lohre:

Moritz Hoernes, Natur- und Urgeschichte des Meuscheu. Wien u. Leipzig, Hartlebeu 1909. 2 Bände. 591 und 608 Seiten, 1 Tafel, 6 Vollbilder, 10 Textkarten, 202 Abbildungen. Es ist sicherlich ein schönes Zeichen für das Aufblühen der Wissenschaft vom Menschen und die grossen Fortschritte, die sie gerade in der letzten Zeit in allen ihren Zweigen gemacht hat, dass der Plan zu einem Werke wie das vor- liegende gefasst werden konnte. Der Verfasser liefert uns nicht nur, als aner- kannter Vertreter seines Spezialgebietes, eine umfassende Darstellung dessen, was die prähistorische Archäologie bis heute geleistet hat, sondern er unternimmt es, in dem Bestreben, einen wahrhaft universellen Standpunkt durchzuführen, die Er- scheinung der Menschheit von der leiblichen wie von der geistigen Seite in ihrer Totalität zu erfassen; er sucht deshalb die Ergebnisse der naturwissenschaftlichen Forschungszweige der Anthropologie mit denen der kulturwissenschaftlichen zu verknüpfen. So ist etwa ein Drittel des gesamten Textes einem Abriss der physischen Anthropologie gewidmet, soweit sie Bezug nimmt auf die grossen Fragen des Ursprungs und der Entwicklung der Menschheit. Dieselben Fragen bilden den Gegenstand der Darstellung in dem übrigen, grösseren Teile des Werkes, nur dass ihre Lösung hier versucht wird vom Standpunkte der psychischen Antliropologie: die Grundlagen der Kultur und ihre Entwicklung werden geschildert sowohl auf Grund der archäologischen Forschungsergebnisse als auch an der Hand der vergleichend-ethnologischen Betrachtung. Es mag wohl als ein Wagnis er- scheinen, dass von derselben Hand in ihrer Technik und ihren Grundlagen so verschiedene Wissenszweige, rein naturwissenschaftliche sowohl wie mehr philo- sophisch-kulturhistorische, vereinigt werden; und der Kundige mag, da doch natur- gemäss in den ausserhalb des speziellen Forschungsgebietes des Verfassers liegen- den Ausführungen eine mehr referierende Darstellungsweise eingehalten w^erden musste, in der Art der Auswahl und der Aneinanderreihung der gesammelten Er- gebnisse dies zuweilen empfinden; doch wird jeder, der dies ebenso anregend wie eingehend geschriebene und mit einer grossen Zahl vorzüglich ausgewählter und ausgeführter Abbildungen geschmückte Werk zur Hand nimmt, falls er nicht auf einem ganz einseitig-fachwissenschaftlichen Standpunkt steht, dem Verfasser Dank wissen, der auf engem E,aum dicht nebeneinander die Ergebnisse der verschiedenen SpezialWissenschaften mit lebendigem Gefühl für das Ganze wieder vereinigt und sie dorthin zusammenführt, von wo jede einzelne ausging: zu dem Streben, die Wissenschaft vom Menschen in ihrer Gesamtheit zu erfassen und zu fördern. Cnd von diesem Gesichtspunkte aus seien auch die Leser unserer Zeitschrift, die ja gleichfalls an ihrem Teile an der Erreichung dieses hohen Zieles mitarbeiten, auf das schöne Werk von Hoernes hingewiesen.

Berlin. Paul Bartels.

W. Golther, Eoligion und Mythus der Germanen. Leipzig, Verlag Deutsche Zukunft, 1909. 115 S. 4^ 4 Mk. Golthers Buch zeigt in knapper Form einem weiteren Kreise von Gebildeten, welches Bild der germanischen Religion und des germanischen Mythus die heutigen wissenschaftlichen Arbeitsmethoden im ganzen etwa erschliessen. Solch eine gedrängte Zusammenfassung von sachkundiger Seite war ein Bedürfnis, denn das grosse Publikum denkt bei germanischer Religion noch immer fast ausschliesslich an die Götterfabeln, die es mit Richard Wagnerscher Romantik erfüllt. In diesem Buche aber wird die Scheidung von Religion, Theologie und Mythus betont, und der 'zeitgeschichtlichen' geht eine 'religionsgeschichtliche' Betrachtung voraus,

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Berichte und ßücheranzeigen. 113

d. h. es werden vor den fertigen Göttern und Göttergeschichten, die die Germanen in der Zeit ihrer bezeugten Geschichte besassen und in literarischen Denkmälern spiegelten, die Vorstufen ins Auge gefasst, wie sie aus allerlei Überbleibseln und deren Vergleich mit den religiösen Gebilden anderer primitiver Völker sich er- schliessen lassen. Denn so wenig als beim Übergang zum Christentum erlöschen beim Übergang zu höheren heidnischen Religions formen die älteren einfach spurlos. Sie leben vielmehr in Unterschichten weiter und dringen (zu unserem Glücke!) auch noch in die Literatur. In der Heranziehung solcher Überbleibsel hat Golther eine glückliche Hand; eine Geschichte wie die von Paulus Diakonus erzählte, dass dem schlafenden Frankenkönige Guntram ein 'Tierlein in Schlangen- weise' aus dem Munde kroch, zeigt den alten Seelenglauben in klassischer Gestalt. Durch solche geschickte Auswahl gelingt es dem Verf., die religionsgeschichtlichen Grundbegriffe des Manismus und Animismus und den Fortschritt innerhalb dieser Vorstellungsweisen aussc|iliesslich an germanischem Anschauungsmaterial be- friedigend klar zu machen. Ob er nicht in der gewollten Ausschliessung fremder Beispiele zu weit ging, erscheint mir zweifelhaft; es ist zu bedenken, dass das Aufzeigen verwandter Erscheinungen bei anderen Völkern dem Leser mächtig das Vertrauen stärkt, dass jene Vorstellungsweisen wirklich wie mit Notwendigkeit die primitiven Menschen beherrschen, nicht etwa kuriose Einzelfälle bilden. Auch der Forscher glaubt doch nur darum an der Religionsgeschichte eine so gute Führerin zu besitzen, weil sie die erstaunliche Gleichförmigkeit primitiver A^orstellungen, fast ein Entwicklungsgesetz derselben, aufgedeckt hat. Warum also nicht beispiels- weise für den Übergang von schlichter Naturverehrung zur Personifikation der Naturgewalten jene gewiss den meisten Lesern des Buches bekannte Iliasstelle heranziehen, wo Achill gegen den Skamander ankämpft, man weiss nicht, ob gegen das Element oder gegen den Gott? (Ilias 21, 23.-!). Ein so bezeichnendes Zwielicht liegt nicht über vielen Beschreibungen. So möchte hin und wieder massvolles Heranziehen fremden Materials die Anschauung noch mehr geklärt haben. In einem Punkte versagt einfach das deutsche Material : der "Weg von den schwanken- den und formlosen niederen Vorstellungen des Göttlichen zu den ausgebildeten Göttergestalten bleibt dunkel. Golthers Nachzeichnung des germanischen Gottes- begriffs muss da auch mehr den Abstand feststellen, als einen Zusammenhang zeigen. Das ist nicht seine Schuld; zwischen der sogenannten 'niederen Mythologie' und der 'höheren' hat die Forschung bisher keine recht gangbaren Brücken ge- schlagen. Die vergleichende Religionsgeschichte hat da auch nicht viel erhellt, und ein Eingehen darauf hätte einen überlangen Exkurs gefordert.

In dem zweiten Teile, der 'zeitgeschichtlichen Betrachtung', zeichnet Golther mit wenigen, aber sehr bedacht gesetzten Strichen die Züge nach, die die Gölter- gestalten in unseren Quellen haben, stets angebend, w^elcher Quelle die einzelne Schilderung oder Erzählung folgt, und so der populären Vermischung des Nord- und Südgermanischen und anderen Verschwommenheiten erfolgreich wehrend. Auch die kurzen kritischen Bemerkungen leiten den Leser zum Scheiden an zwischen Jungem und Altem, Religiösem und rein Novellistischem. Christliche Einschläge werden in ziemlichem Umfange, wenn auch meist mit einem 'wahrscheinlich' an- gesetzt. Sieht mancher Leser so ein mitgebrachtes reiches Phantasiebild in heterogene Einzelzüge zerfallen, so wird er dafür das befriedigende Gefühl haben. Wissenschaft für Dichtung einzutauschen. Im ganzen ein klares, geschmack- volles, besonnenes Buch, dem der Verleger, abgesehen von der steifen Deckel- zeichnung, eine musterhafte Ausstattung gegeben hat.

Berlin. Heinrich Lohre.

Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1910. Heft 1. 8

j]4. Lohre:

Bürgers Gedichte, herausgegeben und mit einem Lebensbilde versehen von Ernst Consentius. Berlin. Bong & Co. (1909). Zwei Teile in einem Bande. CXXXII, 248. 367 S. 2 Mk.

A. W. Schlegels schönes Wort, Bürger habe sich mit der Lenore 'der Volks- poesie, wie der Doge von Venedig dem Meere, für immer angetraut', ist von der o-elehrten Forschung erhärtet, doch nicht auf die Lenore beschränkt worden. Wer diesen Beziehungen nachfragt, findet in den Anmerkungen der vorliegenden neuen Bürgerausgabe die Hilfsmittel zu wissenschaftlichem Eindringen aufs bequemste zusammengestellt: die Quellenangaben, die wichtigste Literatur zur Stoffgeschichte, spätere Bearbeitungen der gleichen volksmässigen Grundlagen, Jahrmarktsdrucke Bürgerscher Gedichte. Es dürfte auch Lesern dieser Zeitschrift neu sein, dass etwa der 'Bruder Graurock' auf einem fliegenden Blatte mit der Melodie von Schubarts 'Auf, auf, ihr Brüder und seid stark' verbreitet wurde, die Lenore um 18o5 zusammen mit 'Sie sollen ihn nicht haben' und 'Was ist des Deutschen Vaterland' als 'drei neue Lieder', mit grobem Holzschnitte geschmückt, umlief. Selten wünscht man diesen reichen Nachweisen einen Zusatz, wie etwa bei 'Graf Walter' den Hinweis auf R. Köhlers Griscldis-Artikel (Kl. Schriften 2, 501) oder eine genauere Kennzeichnung der aus vielen Quellen gespeisten englischen Vor- lage des 'Bruder Graurock'. Aber nicht nur für die Beziehungen zur Volkspoesie, sondern beinahe für jede wissenschaftliche Frage, die man den Bürgerschen Gedichten anschliessen kann, legen diese stofl'reichen und exakten Anmerkungen, der gelehrteste Bestandteil der Ausgabe, das Handwerkszeug bereit; sie ver- zeichnen z. B. die vorhandenen Drucke und handschriftlichen Grundlagen voll- ständig. Ein Namensverzeichnis macht das Material der Anmerkungen und der Einleitung noch bequemer für vielerlei Zwecke verwertbar. Nur eines wünschte ich diesen Erläuterungen: dass Consentius den mit Recht viel befragten Nach- schlagewerken des 1<S. Jahrhunderts im einzelnen beherztere Kritik entgegen- gebracht hätte; nicht alle Worterklärungen bei Adelung halten die Probe, und Nehrings 'Historisch-politisches Lexikon' erweckt nicht das beste Zutrauen, wenn es uns belehren will: 'Das Paternoster ein Rosenkranz' (2, 273). Im text- lichen Teile bietet uns Consentius die zurzeit vollständigste Sammlung Bürgerscher Gedichte, denn er hat alles aufgenommen, was zerstreut in Zeitschriften oder selbst in den Katalogen der Autographenhändler aufgetaucht ist. Ein ansprechender Gedanke war es auch, die Massen dieser 'Nachlese' möglichst in der gleichen Ordnung zu bieten, die Bürger in der Ausgabe letzter Hand befolgt hat. Ein vor- angestelltes, 127 S. umfassendes Lebensbild ist mit Kenntnis und Urteil ge- schrieben; dem leidenschaftlichen Helden tritt eine vollendete wissenschaftliche Ruhe des Betrachters gegenüber, die doch nicht trocken wird, und dem Viel- geschmähten jedenfalls die äusserste Gerechtigkeit garantiert. Auszuzeichnen ist die Behandlung von Schillers Bürgerrezension, jenes scharfen Angriffs, der Bürger das Zeug zum Volksdichter schlechthin absprach; Consentius zeigt gut, worin das für den Augenblick Frappierende der Schillerschen Ausführungen liegt, und dass es ruhiger, objektsnaher Prüfung nicht standhält. Vielleicht wäre hier noch er- wähnenswert gewesen, dass Schiller in der 'Naiven und scntimentalischen Dichtung' doch eine gewisse Ptchabilitierung Bürgers brachte. Die neuere Bürgerliteratur bis 1H08 ist verwertet und in umsichtiger Auswahl verzeichnet (doch warum wird zu den Macbethfragmenten nicht Köster 'Schiller als Dramaturg' genannt?). Im ganzen ist eine ungemein gewissenhafte und fleissige Editionsarbeit für diese äusserst wohlfeile Ausgabe geleistet.

Berlin. Heinrich Lohre.

Berichte und Bücheranzeigen. n^

Walther Hofstaetter, Das Deutsche Museum (177G— 1788) und das Neue Deutsche Museum (1789 1791), ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Zeitschriften im 18. Jahrhundert. (Kösters 'Probefahrten' 12). Leipzig, R. Yoigtländer, 1908. IX, 237 S. 8\

Zeitschriften, die wie Boies Deutsches Museum mit einem reichen Programm und unter weitherziger Leitung erscheinen, sind vorzügliche Zeitspiegel: nirgend erfasst man die Bewegung in der geistigen Mittelschicht einer Epoche sicherer und lebendiger als hier. Von den langen Bändereihen solcher Zeitschriften sichtend und referierend ein verkleinertes Abbild zu geben, wäre schon eine nütz- liche Arbeit. Hofstaetter hat sie mit bündigen und geschickten Analysen, die einzelnen Beiträge zu stofflichen Gruppen zusammenfassend, geleistet, aber sich damit nicht begnügt. Er erläutert auch die Beiträge aus einer weiteren Kenntnis der Literatur und der Zeitgeschichte, ohne Breite, mit kurzen Hinweisen. Aber das 'Museum' interessiert ihn nicht nur als Zeitspiegel. Boies Zusammenwirken mit Dohm und die fortschreitende Entfremdung der beiden, auch Boies Verhalten zu den anderen Mitarbeitern im einzelnen untersuchend, gewinnt er Material für die Beurteilung von Boies Charakter und seiner Fähigkeiten als Kritiker. Es ergibt sich da freilich nichts wesentlich Neues, das Bekannte wird nur zum Teil von neuen Lichtquellen aus beleuchtet. Geschickter als Boie in allem Redaktionell- Technischen war unstreitig Dohm; die Blütezeit des 'Museums' ist die Zeit, da er neben Boie als gleichberechtigter Herausgeber wirken kann. In diesen Jahren (1776 bis Juli 177.S) trägt das Museum den Charakter einer umfassenden Revue; es geht auf fast alle Gebiete geistiger Arbeit ein, die Politik, soweit die Zensur es erlaubt, keineswegs ausschliessend. Lieblingsthemata der Zeit nehmen breiten Raum ein: die Abschaffung der Todesstrafe, Sokrates und Christus, Schulreformen. Mit dem Rücktritte Dohms gleitet das 'Museum' mählich in die gewohnten Gleise ästhetisch-literarischer Zeitschriften ein, von 1784 an sinkt es unaufhaltsam. Boies engere Interessen, seine zu grosse Konnivenz gegen unfähige, aber persönlich be- kannte, und seine gelegentliche Pedanterie gegen fähige, aber eigenwüchsige Mit- arbeiter waren daran schuld. Über diese ganze innere Geschichte des 'Museums' unterrichtet Hofstaetter ausführlich und kaum minder eingehend über die äussere: die Gründung, die Mitarbeiter, die Honorare und die anfangs ganz ansehnliche Verbreitung.

Das 'Deutsche Museum' schürte mehrfach das damals wieder aufkeimende Interesse an altdeutscher Literatur, Volkspoesie und Volkssitten. Zu den von dem Referenten früher ausführlich behandelten Beiträgen über Volksdichtung fügt Hof- staetter hier den Hinweis auf ein paar die Volkskunde streifende Berichte über deutsche Städte und die Eigenart ihrer Bewohner, über Volkssitten in Paraguay, und lenkt die Aufmerksamkeit auf Niebuhrs Berichte über allerlei Kulturhistorisches und Ethnologisches aus dem Orient (S. 197; vgl. 174, 192, 199). Es bergen die Zeitschriften dieser Zeit, die bei ihrer Verkehrsarmut sich so gern an Reise- beschreibungen ergötzte, gewiss noch manche volkskundlich interessante Notiz; freilich gehörte eine eigene Gabe des Schnelllesens dazu, das Brauchbare aus einem Meere von Schwatzhaftigkeit herauszuholen.

Berlin. Heinrich Lohre.

116 Meyer. Michel:

Otto Pfleiderer, Reden und Aufsätze. München, J. F. Lehmanns Verlag, 1909. ¥11^242 S. 4 Mk.

Für diese neun A'^ortriige ist es bezeichnend, dass sie einerseits das "Wesen der deutschen Nation vorzugsweise aus der Eigenart ihrer grossen Männer zu ver- stehen, andererseits das Wesen dieser Heroen vorzugsweise aus der Eigenart ihrer Nationalität zu erklären suchen. Gewiss werden für den „deutschen Volks- charakter im Spiegel der Religion" (S. 7 f.) oder für das „deutsche National- bewusstsein in Vergangenheit und Gegenwart" (S. (J-Sf.) auch breitere Grund- lagen des Verständnisses aufgesucht, und für Luther (S. 116 f.), Bismarck (S. 95f.), Goethe (S. 145 f.), Schiller (S. 173) auch individuellere Momente angeschlagen; vor allem ist es doch aber immer jener Weg gegenseitiger Aufhellung, den der berühmte Religionsphilosoph beschreitet. Ein gewisser circulus vitiosus ist dabei nicht zu vermeiden: der Heros erscheint als deutsch, soweit er die Eigenschaften hat, die er in der Nation als herrschend erweisen soll, und die Nation wird dann wieder durch Tugenden Luthers, Bismarcks, Goethes charakterisiert. Dennoch ist diese Methode erfolgreich, wo sie durch reichere Belege gestützt wird, wie in dem Aufsatz über das Nationalbewusstsein; kann freilich auch dann, wie in dem grossen ersten Aufsatz, leicht zur Überwertung solcher Züge führen, die keines- wegs den Deutschen allein eigen sind. Aber der frische und patriotische Geist des schwäbischen Preussenfreundes erfüllt auch solche Annahmen mit Leben und gestaltet sogar den bei dem freisinnigen Verfechter der wissenschaftlichen Theologie (S. 202 f.) und ihrer Verbindung mit der Geschichtswissenschaft (S. 222) befremdlichen ewigen Kriegsruf (S. 50 f.) zu einem rhetorisch wirksamen Dokument.

Berlin. Richard M. Meyer.

Arnold van Genuep, Religions, moeurs et legendes. Essais d'ethnographie et de liuguistique (Deuxieme serie). Paris, Mercure de France. 1909. 318 S. 3,50 Frcs.

A. van Gennep ist ein Hauptvertreter der 'ethnologischen oder soziologischen Schule', und auf die historische Methode (S. 31) und die Historiker (S. 50) ist er nicht gut zu sprechen. Auch wird man ihm gewiss zugestehen müssen, dass die vergleichende Kulturgeschichte ihre eigene Methode erfordert und dass in dieser die Hauptsache, das Auffinden der vergleichbaren Momente, eines eigenen Taktes bedarf. Hierin liegt ohne Zweifel auch die Stärke des Verf., und so ist er etwa vor den Rückfällen in die Methodelosigkeit astraler Interpretation (S. 138f.) ge- schützt, die uns jetzt von andern Ethnologen, wie Ehrenreich, so eifrig angepriesen wird.

Eine besondere Schwierigkeit auf diesem Forschungsgebiet liegt in der oft vagen Anwendung von Kunstausdrücken. Diese verfolgt v. G. mit besonderer Strenge; aber wenn er Missbräuche des Terminus 'Schamanismus' (S. 91) mit Recht verfolgt, weiss er für Tabu, Totem usw. in dem umfangreichen Aufsatz (S. 15 f.; vgl. besonders S. 56) doch nur durch anfechtbare eigene Definitionen zu helfen. Und auch das muss uns arme Historiker und Philologen ängstlich machen, wenn es sich von selbst zu verstehen scheint, dass Schriften von 1903 bereits 1909 veraltet sind (S. 26).

Der Verf. entschuldigt sich (S. 8) wegen der Anmerkungen, was doch kaum nötig erscheint. Sie beweisen eine erstaunliche Belcsenheit in der eigentlich ethnographischen Literatur, freilich auch sonderbare Lücken, wo diese aufhört.

Berichte und Bücheranzeigen. 1]7

Zur Eunenlehre kennt v. G. wohl die wertlose Schrift von Wilser, sonst aber keine neuere deutsche Untersuchung ausser der von Losch; weder Lufft noch Hempl oder mich; und wenn zur Religion des römischen Haeres v. Domaszewski (S. 9 f.) nicht zitiert wird, kann ich mich nicht wundern, in dem Essai über die Sondersprachen (S. 285 f.) meine umfängliche Studie in den Indogermanischen Forschungen nicht erwähnt zu sehen. Bedenklicher ist, was alles die Unter- suchune über die 'Heiligkeit' (S. 115 f.) nicht berücksichtigt übrigens eine sehr anregende, an die Jungfrau von Orleans anschliessende Studie. Der Verf. weiss auch sonst an neue Fragen anzuknüpfen und interessiert sich für die Eiserne Maske (S. 151) so gut wie für die Druiden, die er im wesentlichen für vorkeltisch hält (S. 103—112); und eine feinsinnige Untersuchung über eine Negerschrift (S. 258f.) oder über Konversionen zum Islam (S. 97) steht so allgemeinen Er- örterungen wie der ziemlich pessimistischen über den Kulturfortschritt '^S. 237 f., vgl. S. 120) nicht im Wege.

Berlin. Richard M. Meyer.

Rudolf Kleinpanl, Die deutschen Personennamen. Ihre Entstehung und Bedeutung. Leipzig, Göschen 1909. 132 S. kl. 8^ 0,80 Mk. (Sammlung Göschen Nr. 422).

Die einzelnen Bändchen der 'Sammlung Göschen' sind ihrem Werte nach sehr ungleich, aber eine so vollkommen verfehlte Nummer wie Kleinpauls 'Peisonen- namen' enthält sie sonst kaum. Da die kleinen grünen Bücher vielfach von Schülern, Studenten und wissbegierigen Laien gekauft und benutzt werden, so sei hier ausdrücklich eine Warnungstafel errichtet: der Verf. hat offenbar von den Schwierigkeiten der wissenschaftlichen Namenforschung keine Ahnung und fabuliert grösstenteils ins Blaue hinein. Seine dilettantischen Deuteleien können nur Ver- wirrung stiften. Dazu kommt der unerträglich witzelnde Ton, in dem das Büchlein geschrieben ist; gleich am Anfang karikiert K. die Sitte des Vorstellens: „'von Bredow, Leutnant der Reserve'. 'Lehmann, dauernd untauglich'." Ein andermal heisst es: „Philipp, als Apostel: Philippus, als Raubmörder: Lips, als Eulenburg: Phili, bedeutet einen Pferd ejokel" (S. 30). Ahnliche Scherze be- gegnen zu Dutzenden. Man glaubt mitunter eine Art wissenschaftlich -unwissen- schaftlicher Bierzeitung zu lesen.

Es wird jetzt immer deutlicher, dass die Parole für alle ernsthafte Namen- forschung vor der Hand lauten muss: „Erst Namengeschichte, Geschichte der Naraenschöpfung, und dann Namendeutung, Deutung des als deutbar Erkannten." So hat es Edward Schröder in seiner Göttinger Festrede 'Die deutschen Personen- namen' (1907, S. 7) formuliert. Über die Art und Weise der Sammlung und Ver- arbeitung des Materials mag man noch streiten: ich gestehe, dass die urkundlich statistische Methode, wie sie vor kurzem Karl Heinrichs in seinen mit erstaun- licher Zähigkeit betriebenen 'Studien über die Namengebung im Deutschen seit dem Anfang des XVI. Jahrhunderts' (Strassburg 1908) angewandt hat, mir hier wie anderwärts nicht die alleinseligmachende zu sein scheint. Gleichviel, jeden- falls brauchen wir noch zahlreiche Voruntersuchungen, ehe sich ein zusammen- fassendes, wissenschaftlich zulängliches Buch über die deutschen Personennamen schreiben lässt.

Berlin. Hermann MicheL

Hg Notizen.

Notizen.

J. H. Alb er s, Festpostille und Festchronik. Aufsätze und Vorträge über Ursprung, Entwicklung und Bedeutung aller Feste, Feier- und Heiligentage des Jahres nebst Er- klärungen der damit verbundenen Sagen, Sitten und Gebräuche. 2. vermehrte und ver- besserte Auflage. Stuttgart, C Ulshöfer 1907. VIII, 368 S. 6 Mk. Diese auf die Be- lehrung, Erheiterung und Erbauung weiter Kreise berechnete Zusammenstellung macht zwar keine gelehrten Ansprüche, kann aber auch nicht als eine populäre Wiedergabe des heutigen Standes der Wissenschaft bezeichnet werden, da der Vf. zumeist aus den vergilbten Werken von Nork, Alt, Reinsberg-Düringsfeld schöpft und von dem, was die Forschung der letzten 30 Jahre auf dem Gebiete der kirchlichen und volkstümlichen Jahresfeste ge- leistet hat, keine Notiz nimmt. Es lohnt daher kaum, auf Einzelheiten, veraltete mytho- logische Anschauungen, das über die Entstehung des Weihuachtsfestes Vorgetragene oder Versehen wie S. 47 (Clara Hätzlerin) und 5)3 (Hospinian) besonders hinzuweisen.

G, Amalfi, Museo etnografico italiauo. Napoli, Gennaro M. Priore 1909. 15 S. Berichtet über das von den Dr. Loria und Mori mit Beihilfe des Grafen Bastogi in Florenz gegründete volkskundliche Museum, das bereits 2000 Nummern zählt, und macht aufmerksam auf die weitschichtige Sammelarbeit, die für die Erkenntnis der Sitten und Besonderheiten des italischen Volkes noch zu leisten ist.

H. Bourgeois, Ethnographie europeenne. Bruxelles 1909. 45 S. (aus: Bulletin de la societe- royale beige de geographie).

ßrage: Arsskrift 3, utgiven av föreningen Brage 1908 (Helsingfors 1909. 211 S.). Der zunächst zur Förderung des schwedischen Volksgesanges in Finnland gegründete Verein Brage hat jetzt seine Wirksamkeit auf die Erforschung und Pflege des gesamten schwedischen Volkstums ausgedehnt und sowohl durch Gesangaufführungen, als durch wissenschaftliche Aufsätze in seinem Jahrbuche diesem Ziele nachgestrebt. So gibt sein rühriger Vorsitzender 0. Andersson auf S. 145 seine in Berlin gehaltenen deutschen Vorträge über schwedische Volkslieder und Volkstänze in Finnland (vgl. oben 18, 350), S. 3G die zahlreichen Varianten der schwedischen Fackeltanzweise, S. 196 ein verbreitetes Wiegenlied, das den Liebhaber draussen warnt (oben 17, 280), und ein Begräbnislied; er weist die Übereinstimmung einer Melodie aus Nyland mit einer brasilianischen nach und berichtet S. 91 über die Einrichtung der Phonogramm -Archive in Berlin und Wien. K. J. Fagerström teilt S. 106 Tanzweisen aus Lojo mit, J. Tenggren handelt S. 85 über Volkstrachten, G. Landtman S. 55 über Volksglauben in Nyland, H. Sommarström S. 101 über die Ortsnamen Skamkulla und Nyvärva. Endlich hat der Verein eine über- sichtliche Anleitung zur Sammlung von Volksüberlieferungen ausgearbeitet (S. 129).

0. Dähnhardt, Heimatklänge aus deutschen Gauen ausgewählt 1: Aus Marsch und Heide. Mit Buchschmuck von R. Engels. 2. Auflage. Leipzig, Teubner 1910. XX, 176 S. kl. 4°. geb. 2,60 Mk. Die für die Jugend und deren Lehrer trefflich geeignete Bluten- lese niederdeutscher Dichtungen in Vers und Prosa des 19, Jahrhunderts, die bei ihrem ersten Erscheinen von dem Begründer dieser Zeitschrift (oben 11, 104) warm begrüsst wurde, ist in der neuen Auflage nur wenig verändert worden. Möge sie die Freude am Reichtum der deutschen Volksart, die Liebe zur engeren und weiteren Heimat auch fernerhin fördern I

A. Freybe, Das Memento mori in deutscher Sitte, bildlicher Darstellung und Volks- glauben, deutscher Sprache, Dichtung und Seclsorge. Gotha, F. A. Perthes 1909. VIII, 2.')6 S. 4 Mk. Das Ziel des lleissigen Vf. ist offenbar nicht, dem Gelehrten Neues zu bieten, obschon auch diesem die Stoffsammlung nützen kann, sondern ähnlich wie in seinen früheren Werken dem gebildeten Publikum die sinnschweren und das Gemüt ergreifenden Gedanken vertraut zu machen, die wir im deutschen Volksglauben, wie in der mittel- alterlichen Dichtung und Kunst über das Nahen des Todes niedergelegt finden. Einige von den 19 Kapiteln beschäftigen sich mit der Sitte, Sarg und Leichenhemd bei Lebzeiten vorzubereiten und dafür schon am Hochzeitstage zu sorgen, andre mit der Gestalt des Todes in den Bildern der Altersstufen, der Totentänze, in Sagen, Märchen und Dichtungen,

Notizen. 119

andre mit den in Grabschriften, geistlichen Dichtungen und Sterbebüchlein niedergelegten Mahnungen. Dem populären Zwecke des Buches entspricht die bisweilen etwas breite, durch umfäugliche Textabdrücke unterbrocliene Darstellung, Dabei hätte jedoch auf eine systematische oder chronologische Entwicklung und auf die neueren Forschungen über das Everymandrauia, das noch immer Orcagna zugewiesene Pisaner Wandbild, die Totentauz- dichtungen u. a. mehr Bedacht genommen werden können.

Ernst Friedrich, Die Magie im französischen Theater des 16. und 17. Jahrhunderts. Leipzig, A. Deichert 1908. XXXVI, .348 S. 8,60 Mk. (Münchener Beiträge zur romanischen und englischen Philologie 41). Kömers Rostocker Dissertation über den Aberglauben bei den Dramatikern des 16. Jahrhunderts in Frankreich (1900) ergänzend, betrachtet F., wie die praktische Betätigung des Aberglaubens, die Magie, auf der französischen Bühne bis 1700 dargestellt wird, und zieht einen erheblich grösseren Kreis von Dramen als R. heran, welche Liebeszauber, Wahrsagung, Geistererscheinungen, Verwandlungen teils als reale Dinge, teils als schwindelhafte Veranstaltungen vorführen. Die Untersuchung ist sorosam und übersichtlich gehalten und wird eingeleitet durch eine lehrreiche Übersicht (S. 10—76) über die gleichzeitigen Traktate über Aberglauben und Zauberei und über die Massregeln, welche die geistlichen und weltlichen Behörden dagegen anordneten. Es kann indes nicht verschwiegen werden, dass die mit guter Methode angelegte, dankens- werte Arbeit weit mehr der Literaturgeschichte und Kulturhistorie zugute kommt als der Volkskunde. Denn wenngleich der Geisterspuk und die Charlatanerie in den Komödien für den Aberglauben der Zeit und die Vorliebe des Theaterpublikums für gruselige Szenen zeugt und wir über Wünschelruten, durchstochene Wachsbilder, Liebestränke, Nestelknüpfen, Spiritus familiaris einiges erfahren, so mischt sich doch zumeist literarischer Einfluss ausländischer Vorbilder ein: der Zaubrer Ismeno aus Tassos Befreitem Jerusalem, der Negromant aus Ariosts Komödie, die Feen aus dem Orlando desselben Dichters und aus italienischen Schäferspielen, Zauberspuk aus dem Amadis, der Astree, Verwandlungen aus Ovid u. a. Für den französischen Volksglauben erhalten wir aus Prozessakten und aus der bei Nisard und Sebillot berücksichtigten niederen Literatur, dem Evangile des quenouilles, den Kalendern, dem Leben des Herzogs von Luxemburg, selbst aus Cjrano und Perrault (oben 14, 413. 17, 452) unzweideutigere Zeugnisse. Dass S. 3 die Erklärung der Geomantie und S, 6 die 'legendäre Persönlichkeit des Doktor Faust' einer Korrektur bedarf, sei nur nebenher angemerkt.

A. Gebhardt, Nürnberger Wahrzeichen und ähnliche Bildwerke (Nordbayerische Zeitung 1909, 13. April, nr. 85).

E. Heidrich, Die altdeutsche Malerei. 200 Nachbildungen mit geschichtlicher Einführung und Erläuterungen. 1.— 30. Tausend. Jena, E. Diederichs 1909. 276 S. gr. 8". geb. 4,50 Mk. Der stattliche, 200 gut ausgeführte Vollbilder, Einleitung und Er- läuterungen zu den Bildern enthaltende Band gehört zu einem auf 25 Teile berechneten Unternehmen 'Die Kunst in Bildern', mit welchem der Diederichssche Verlag einen neuen Weg kunstgescbichtlicher Belehrung und Erziehung einschlägt. Eine Reihe charakteristischer Bilder in handlichem und doch zumeist genügend grossem Format führt uns die deutschen Meister des 15. und des angehenden 16. Jahrhunderts selber vor; dazu geben die Er- läuterungen biographische und sachliche Nachweise, während die Einführung den Nach- druck auf den Geist der ganzen Epoche legt und die landschaftliche und zeitliche Gruppierung der Künstler durch eine Tabelle veranschaulicht. Auf den erstaunlich billigen Preis sei besonders hingewiesen.

H. W. Heuvel, Volksgeloof en volksleven. Zutphen, \Y. J. Thieme & Cie. [1909.] 448 S. 2,75 tl. In dem umfangreichen Buche können wir leider keine eigentliche niederländische Volkskunde begrüssen, sondern nur einen Versuch, durch eine aus aus- gedehnter Lektüre geschöpfte Zusammenstellung germanischer und antiker Vorstellungen und Bräuche bei einem grösseren Publikum Interesse und Verständnis für die junge Wissenschaft zu wecken. Der I.Teil (S. 4— 243) bespricht den Volksglauben vom Geister- und Götterglauben an bis zur Volksmedizin, Wahrsagung, Telepathie, Hypnose und zum Spiritismus, uro daran eine hübsche Würdigung dieses Glaubens gegenüber der natur- wissenschaftlichen Erkenntnis anzuknüpfen; der zweite handelt über die Staramgeschichte,

120 Notizen.

das friesische und sächsische Haus (mit guten Abbildungen), die Familie, Beschäftigungen, Belustigungen, Charakter der Bauern, die Handwerker und das fahrende Volk, endlich Hochzeit, Kinderzucht, Begräbnis. Auf Kirche und Schule, Volksdichtung und Sprache einzugehen, mangelte der Raum. Bedauerlicherweise hat der Vf. auf Quellenangaben, die durch eine unzureichende Liste von Buchtiteln auf S. 443 nicht ersetzt werden, verzichtet und namentlich im ersten Teile eine deutliche Scheidung der Länder und Zeiten ver- absäumt, so dass man oft nicht weiss, ob ein abergläubischer Zug oder ein Brauch für das heutige Holland gilt oder für eine frühere Periode oder für Deutschland, England, Skandinavien usw. Auch ein Register fehlt. Eine Beschränkung nach Art von E. H. Meyers badischem Volksieben, Wuttkes Aberglauben oder Sebillots Folklore wäre verdienstlicher gewesen. Trotzdem und trotz verschiedener Versehen vermag das Werk vielleicht doch Nutzen zu stiften.

Joh. Phil. Glock, Breisgauer Volksspiegel, eine Sammlung volkstümlicher Sprich- wörter, Redensarten, Schwanke, Lieder und Bräuche in oberalemannischer Mundart, ein Beitrag zur badischen Volkskunde. Lahr, M. Schauenburg 1909. XIV, 182 S. 1,60 Mk. Der Vf., der schon 1897 eine hübsche Lese von Liedern und Sprüchen aus dem Elsenztal herausgab, tischt uns hier allerlei auf, was er zu Wolfenweiler bei Freiburg in lang- jährigem, vertraulichem Verkehr mit seinen Pfarrkinderu erlauscht hat: einige Dorfbilder in der anheimelnden oberaleraannischen Mundart, ferner 1015 Sprichwörter, 53 Schwanke, dl) volkstümliche Lieder, nebst verschiedenen Kinderreimen, Schlätterliversen, Orts- neckereien und neuen Dichtungen eines Dorfpoeten (W. Fotteler), endlich die Beschreibung zweier Frühlingsbräuche, des Scheibenschlagens am Funkensonntag und des Pfingstreitens in Sankt Georgen. Einer weiteren Sammlung von Volksliedern aus dem Breisgau, die Glock vorbereitet, sehen wir nach dieser beifallswerten Leistung mit gutem Vertrauen entgegen.

A. Götze, Volkskundliches bei Luther, ein Vortrag. Weimar, H. Böhlaus Nachf. 1909. 35 S. 1 Mk. Einer Anregung Mogks folgend, durchmustert ein gelehrter Kenner der Reformationszeit und Mitarbeiter der Weimarischen Lutherausgabe des Reformators Schriften und Briefe auf die Erwähnung von Volkssitten. Er zeigt hübsch, wie treu Luther die Sprichwörter, Reime und Fabeln des Volkes im Gedächtnis behält (1527 zitiert er das Märchen vom tapfren Schneiderlein), wie er den Aberglauben seiner Zeit vielfach bezeugt (Donnerkeile = ßelemniten, Wetterläuten. Anfang des Johannesevangeliums, Krokodilstränen, Zauberspiegel), wie er mit offnem und fröhlichem Sinne auf Hochzeits- bräuche, Kinderspiele (s. oben 19, 385), Handwerkersitten, Volksfeste, Rechtsbräuche acht- gibt und uns durch solche gelegentliche, in oft fernab liegende .Ausführungen eingestreute Erwähnung wertvolle Einblicke in das Volkstum seiner Zeit gewährt.

A. Haas und Fr. Worm, Die Halbinsel Mönchgut und ihre Bewohner. Mit 16 Bildern. Stettin, J. Burmeister 1909. VII, 116 S. 2 Mk. Wenn früher die Bewohner der 1295 an das Cisterzienserkloster Eldena gefallenen und mit westfälischen Kolonisten besiedelten Halbinsel Mönchgut sich von den übrigen Rügenern merklich unterschieden, so ist ihre Eigenart neuerdings besonders durch den Verkehr mit den Badegästen in Göhren und andern Dörfern sehr geschwunden. Haas, der schon 1905 ein Stettiner Schul- programm 'Volkskundliches von Mönchgut' veröffentlichte, tat daher sehr recht daran, in einer Monographie die charakteristischen Züge dieses Stückchens Erde festzuhalten. Aus älterer Literatur und sorgsamer eigener Beobachtung schöpfend und von dem Mönch- guter Lehrer Worm unterstützt, schildert er nach einer geographischen und historischen Einleitung Haus, Tracht, Stamraesart, Sprache, Aberglauben, Brauch und Sagen der Mönchguter. Ich hebe beispielsweise die Abbildung des letzten, 1888 abgebrochenen Rauchhauses hervor, die Lieder und Rätsel, den von der Volksphantasie fortwährend neu gestalteten Aberglauben, das Laken als Trauertracht, die Schilderung der Hochzeit, die durch Wilh. Müller besungene blaue Schürze vor der Tür heiratslustiger Mädchen und die Sagen von den 'witten Wiwern', unterirdischen Wesen, die vom wilden Jäger gejagt werden.

A. Hellwig, Der Hexenmord zu Forchheim |189(;j. (Pitaval der Gegenwart 5, 170 bis 195. Tübingen, Mohr 1909).

Notizen. 121

Innviertler Heimatkalonder auf das Jahr 1910. Ried. H. Mittermann. 100 S. Enthält u. a. F. Berger, Bauernregeln; Heimatkunde; Trachtenfest zu Taufkirchen. H. V. Preen, Bauernhausverzierungen. A. Bin na, Die Bauernhochzeit. W. Mayer, Napoleonlieder. F. Holzinger, Adam- und Eva-spiel. Sagen.

V. Kirchner, Die Gedenkmünzen des Benshäuser Heimatsmuseums (Thüringer Warte 1009, Beilage 277. 279. 285. 297. 1910, Beil. 1. Suhl).

Joseph Klein, Deutsche Sprüche für Inschriften, gesammelt. Köln, Ph. Gehly [1909]. G4 S. 1 Mk. Für praktische Zwecke bietet der selbst dichtende Sammler eine grosse Reihe von Wirtshaus-, Trink-, Wohnhaus- und Grabsprüchen und Kunterbunt. Manches ist echt volkstümlich und kernig, vieles aber auch platte Reimerei jüngster Mache.

Aaoygaqia, öeXxiov rfjg eD.rjvixfj? ?.aoyoa()HH>~]g haigeiag y.arä Tgifi)]vi'ar iy.öiÖoaevor, Touo; A', Tev/_o; B y.al F' . Athen, P. D. Sakellarios 1909. S. 169— 4G0. Die weiteren Hefte der oben 19, 466 angezeigten Zeitschrift enthalten: Lieder über Digenis Akritas, ge- sammelt von N. G. Politis und M. D. Chabiaras, Volkskundliches aus Bamos auf Kreta von Ph. Kukule (Liebeslieder, Sprichwörter, Lexikographisches), Hochzeitsbräuche in Leukas von E. G. Politis, vier Tiermärchen aus Paträ von Gh. P. Koryllos mit Anmerkungen von N. G. Politis, zwei Sagen von J. P. Stamatulis, zwei Schwanke (/uio£?Jdeg) aus Epirus von A. Traulantonis; dann eine Übersicht über die in griechischen Zeitschriften veröffentlichten Artikel zur Volkskunde, kleine Mitteilungen und Bücheranzeigen.

K. Lohmeyer, Bearbeitung von Birkenfelder Kirchenbüchern, Teil 1 : Die geschicht- lichen, kultur- und volkskundlichen Beziehungen. Birkenfeld-Nahe, F. Filimann 1909. 123 S. 1,50 Mk. Die seit 1568 vorhandenen Kirchenbücher von Birkenfeld, welche der Vf. durchgearbeitet hat, enthalten manches für uns Interessante: das 'Radscheiben' zur Fastnacht 1577, die Strafe des Steintragens, allerlei Hexenglauben (Brauchen, Sieb- drehen) u. a. , was durch Vergleichung andrer Nachrichten zutreffend erläutert wird. S. 100 erscheint die bereits oben 19, 28(5 mitgeteilte Sage vom Traum von der Brücke, S. 19 Votivgaben, S. 43 Glockeninschriften, S. 117 Hausfassadenschmuck. Besonders dient das Büchlein natürlich der Lokalgeschichte und Heimatkunde.

R. Magnanelli, Canti narrativi religiosi del popolo italiano novamente raccolti e comparati, parte prima. Roma, E. Loescher & co. 1909. 207 S. 4L. Wenig berücksichtigt wurden bei der Betrachtung der italienischen Volkspoesie bisher die gereimten Legenden, die wohl zu scheiden sind von den seit dem 14. Jahrhundert verbreiteten kunstmässigen Behandlungen derselben Stoffe. M. hat nun die in den letzten Dezennien aus dem Volks- munde aufgezeichneten, aber zumeist wohl noch aus dem 15. Jahrhundert stammenden Lieder vom h. Alexius, dessen Legende im 5. Jahrhundert syrisch aufgezeichnet, im 10. über Byzanz nach Rom gelangte (armenisch oben 19, 368), von der h. Barbara, von Katharina von Alexandria, von der Sünderin Katharina, die durch den als Kavalier ge- kleideten Jesus bekehrt ward, vom h. Julian, der unwissend seine Eltern erschlug, und von der h. Lucia von Syrakus zusammengestellt und den Abdruck sämtlicher Fassungen mit lehrreichen Untersuchungen über die Geschichte der Stoffe und die metrische Form begleitet. Er weist den bereits von Nigra hervorgehobenen Unterschied zwischen den piemontesisch-provenzalischen Liedern und den mittel- und unteritalienischen auch hier nach und zeigt anderseits, wie sich manche neue Motive in die überlieferte Erzählung- eingedrängt haben: Johannes Calybita in die Geschichte des Alexins, das Mädchen ohne Hände in die der h. Barbara, Christophorus, Schicksalsglaube und Teufel in die Julians, die ausgestochenen Augen der keuschen Jungfrau in die der h. Lucia u. a. Durchweg tritt Sachkenntnis und Vertrautheit mit der neuesten hagiographischen Forschung in dem anziehenden Buche hervor.

H. Marzell, Altbayrische Volksbotanik i^Blätter zur bayrischen Volkskunde, I.Reihe. 16 S. Beilage der Mitt. u. Umfragen z. bayer. Volkskunde 1909). Skizze auf Grund der Einsendungen, die beim Vf. nach einem öffentlichen Aufrufe eingelaufen sind.

Hugo Mayer, Rüppurr, ein Bauern- und Industriearbeiterdorf. Karlsruhe, G. Braun 1909. Vlir, 87 S, 8". 1,80 Mk. (Volkswirtschaftliche Abhandlungen der Badischen Hoch-

222 Notizen.

schulen 10. Band, (i. Heft). Der Verf. entwirft mit knappen, treffenden Strichen das Bild einer kleinen Volkswirtschaft und versäumt nicht, neben den rein wirtschaftlichen Verhältnissen auch die sozialen und kulturellen zu schildern. Was dabei über Wohnung, Ernährung, Kleidung u. dgl. gesagt wird, hat für den Volkskundler das gleiche Interesse •wie für den Kationalökonomen. Das schon im 13. Jahrhundert nachweisbare Dorf Rüppurr (Riedburg?) liegt V2 Stunde südlich von Karlsruhe. (H. Michel.)

Meinck, Über die Verehrung der Sonne hei den Germanen (Festschrift zum (lOOjährigen Jubiläum des Gymnasiums zu Liegnitz 1909 S. 15—41). R. Mende, Die Tierwelt im deutsciieu und französischen Sprichwort (ebd. S. 59— 70).

H. Messikommer, Aus alter Zeit. Sitten und Gebräuche im zürcherischen Ober- lande, ein Beitrag zur Volkskunde. Zürich, Art. Institut Orell Füßli 1909. 200 S. 4 Mk. Seit etwa GO Jahreu ist im Zürcher Oberlande eine grosse wirtschaftliche Umwandlung eingetreten; statt Getreide- und Weinbau treibt man Obstbau und Viehzucht, die Haus- weberei ist durch Fabrikarbeit verdrängt, Wohnung und Nahrung, Handel und Wandel siud andre geworden. Da erschien es dem Vf. an der Zeit, ein Bild des früheren J.ebens an der Hand der Literatur und persönlicher Erkundigungen zu zeichnen. Er vereinigt in knapper Form ein umfängliches Material über Haus und Hof, über Volksdichtung (Kinder- lieder, Tanzreime, Sprüche), Volksspiele, Liebe und Heirat, Jahres- und Familienfeste, Volksmedizin und Aberglauben. Durchweg sind die mundartlichen, bisweilen recht 'urchigen' Benennungen imd Ausdrücke angegeben, und auch ein ausführliches Register fehlt nicht.

T. Nor lind, Latinska skolsänger i Sverige och Finlaud. Lund 1909. XVI, 187, 4 S. (Lunds universitets arsskrift n. f. afd. 1, bd. 5, nr. 5). Das Kernstück dieser vor- trefflichen Arbeit, der schon 1901 eine deutsche Skizze in den Sammelbänden der inter- nationalen MusikgescUschaft 2, 552 voraufging, bildet eine gelehrte und gründliche Unter- suchung der in Abo von Jacobus Petri Finuo gesammelten und 15S2 von Theodorus Petri Rutha in Greifswald zum Drucke beförderten 'Piae cantiones ecclesiasticae et scholasticae', nach Herkunft, Inhalt und Geschichte. Dies oft aufgelegte und bald auch ins Finnische und Schwedische übertragene Schulgesangbuch enthält 74 lateinische Lieder aus dem Mittelalter und der Reformationszeit mit ein- und mehrstimmigen Weisen, darunter z. B. die bekannten Weihnachtslieder 'Dies est laetitiae', 'Resonet in laudibus', 'In dulci iubilo', aber auch ■weltliche wie das Vorbild des 'Gaudeamus igitur': 'Scribere proposui'. Mehr als die Hälfte der später auf 91 vermehrten Texte ist in Schweden entstanden und lässt einen Schluss ziehen auf den regen Betrieb des Gesangunterrichtes in den geistlichen Schulen Schwedens, über den uns der Vf. auch in seiner ausführlichen Einleitung unter- richtet. Die Schüler verherrlichten aber nicht nur die hohen kirchlichen Feste durch ihren Gesang, sondern nahmen auch au deu mehr volkstümlichen Feiern des Lucia-, Martins-, Gregorius-, Nicolaustages teil und führten sogar Schwert- und Reifentänze (Abbildungen S. 1(53) auf. Über den Einfluss deutscher Musiker und Volksweisen wird z. B. auf S. 41 und 1^5 gehandelt, auch die Musikbeilage führt ein Beispiel dafür vor.

M. Olsen og H. Schetelig, En indskrift med ißldre runer fra Floksand i Nord- hordland (Bergens museums aarbog 1909, no. 7. 44 S.). Die auf einem dem 4. Jahr- hundert angehörigen knöchernen Schabemesser eingeritzten Runen lina laukaR a[lu] werden gedeutet als 'Lein und Lauch mit weihender Kraft' und in Verbindung gebracht mit dem von Heusler oben 13, 24 behandelten phallischen Kult.

Dieselben, De to runestener fra Tu og Klepp paa Jiederen (ebd. 1909, no. 11. 20 ö.). _ Zwei Runensteine im Bergener Museum berichten von dem um 1000 zu Klepp ansässigen Geschlechte Helges. Die auf dem einen eingeritzten Figuren eines Mannes und Weibes werden verglichen mit dem Liebespaar auf den gestanzten Goldplättchen der Wikingerzeit, in welchen 0. Opfergaben von Brautpaaren an Freyr und Gerda erblickt.

Paul Orlamünder, Volksmund und Volkshumor. Beiträge zur Volkskunde. Bremen, C. Schünemann 1908. XVil, 300 S. 0. bietet eine bunte und lustige Auslese von allerlei Äusserungen des deutschen, aber fast ausschliesslich des niederdeutschen Volkshumors, wie er sich in Redensarten, Rätseln, Inschriften, Namen, Etymologien, Reimen und Liedern, Rechtsbräuchen, Kanzelreden usw. offenbart. Neben vielem Wohl-

Notizen. 123

bekannten und einigen Versehen (z. T. wohl blossen Druckfehlern) wird man auch manchem Neuen begegnen. Auf die benutzten Quellen wird hie und da hingewiesen, dem ver- bindenden Texte ist bisweilen eine gesuchte Bildlichkeit eigen.

Rudolf Pestalozzi, Syntaktische Beiträge. I. Systematik der Syntax seit Ries: II. Die Casus in Johannes Keßlers Sabbata. (Teutonia, Arbeiten zur germanischen Philologie hsg. v. Wilhelm Uhl, 12. Heft). Leipzig, Eduard Avenarius 1909. VIII, 80 S. v^''. 3 Mk. Der erste Teil (S. 1 22) dieses Büchleins bietet eine kritische Übersicht über die Entwicklung der syntaktischen Systematik seit dem Erscheinen der geistreichen Riesschen Schrift 'Was ist Syntax' (1894), die ja trotz ihrer aphoristischen Art in der Tat Epoche gemacht hat. Der Enthusiasmus des Verf. für das von Ries entwickelte Reformprogramm ist so gross, dass er den älteren Richtungen gegenüber befangen und bisweilen ungerecht wird. Die Darstellung könnte klarer sein. Da die Syntax der Volks- sprache in methodischer Hinsicht nicht genauer behandelt wird, erübrigt es sich, an diesem Orte auf die Ansichten Pestalozzis näher einzugehen: doch möchte ich aus- drücklich betonen, dass mir derlei zusammenfassende Berichte über die systematischen Fortschritte (oder Rückschritte!) einzelner Disziplinen der philologisch-historischsn Wissen- schaften von Zeit zu Zeit höchst wünschenswert scheinen. Der zweite Teil (S. 23—80) gibt einen sehr exakt gearbeiteten und förderlichen Beitrag zu der noch lange nicht genug erforschten Syntax des Flühneuhochdeutschen: Johannes Keßler war ein jüngerer Zeitgenosse Luthers, den er in seiner trefflichen St. Galler Chronik aus persönlicher Be- kanntschaft anschaulich geschildert hat. (H. Michel.)

M. Psichari, Les jeux de Gargantua (1. 1, eh. 22). Revue des etudes Rabelaisienues 6, 1-37. 124-181. 317—361. 7. 48-G4 (Paris 1908-09). Über Fischarts Spielverzeichnis vgl. L. Sainean ebd. 7, 234—2-36.

S. Raccuglia. La numerazione, i numeri ed i numerali [in Sicilia]. (Archivio delle tradizioui popolari 24, 131 152).

Hans Reisiger, Volkslieder in der Toskana (Der Zeitgeist, Beiblatt zum Berliner Tageblatt, 15. November 1909). Hübsches Feuilleton mit Proben.

Paul Richter, Medizinisches aus dem kleinen Berliner medizinischen Papyrus Nr. 3027 der ägyptischen Abteilung der Kgl. Museen in Berlin, ein Beitrag zur ver- gleichenden Volksmedizin (Archiv f. Geschichte der Medizin 3, 155 164. 1909). In dem von Ernian herausgegebeneu und übersetzten Papyrus (aus der Mitte des Ki. Jahr- hunderts V. Chr.) finden sich unter anderem fünf Sprüche gegen die „Kinderkrankheiten nsw und tmjt", welche Erman nicht zu deuten wusste: v. Oefele hat in ersterer Krank- heit den Pemphigus neonatorum wiedererkennen zu sollen geglaubt. Richter sucht nun wahrscheinlich zu machen, dass es sich vielmehr um das sog. „nässende Ekzem" gehandelt habe; die Formel „laufe aus" dürfe nicht auf ein Ausfliessen von Flüssigkeit aus Blasen bezogen werden, sondern sei nur eine Form der Aufforderung an die Krankheit, sich davonzumachen: n>w bedeute etwa Rauhes, bei dem eine Flüssigkeit austritt, und dies treffe bei dem so häutigen nässenden Ekzem zu. In „tmjt" will Verf. einen weiblichen Dämon wiedererkennen, der Krämpfe hervorruft. Die Kritik der Beweisführuug, wenn von einer solchen bei derartigen Deutungsversuchen, die ja meist auf sehr schwachen Füssen stehen, überhaupt die Rede sein kann, muss einer etwaigen weiteren in den be- treffenden Fachzeitschriften sich anschliessenden Diskussion überlassen bleiben. (Paul Bartels.)

W. H. Röscher, Die Tessarakontaden und Tessarakontadenlehren der Griechen und anderer Völker, ein Beitrag zur vergleichenden Religionswissenschaft, Volkskunde und Zahlenmystik sowie zur Geschichte der Medizin (Berichte der k. sächs. Ges. der Wiss., phil.-hist. Kl. 61, 17—206). Leipzig, Teubner 1909. 6 Mk. Nachdem R. der Bedeutung der Zahlen 7 und 9 im griechischen Altertum gelehrte Untersuchungen gewidmet, geht er auf die ebenfalls nicht geringe Rolle ein, welche die Zahl 40 bei Semiten, Griechen und neuereu Völkern spielt. In den Abhandlungen der k. sächs. Ges. 27, 91 138 (Teubner. 1909. 2 Mk.) zeigt er, dass bei allen semitischen Stämmen übereinstimmend 40 Tage die Frist für die Un- reinheit der Wöchnerinnen, für Trauer um den Toten, für Fasten und Busse, für medizinische und kalendarische Regeln bilden, dass 40 Jahre ein Menschenalter ausmachen, dass 40 Hiebe

124 Notizen.

die üblichste Leibesstrafe sind usw. Fast genau dieselben Tessarakoutaden ergeben sich in der vorliegenden, auf ausgedehntem Materiale ruhenden Fortsetzung dieser Abhandlung für die alten Griechen. In den Beobachtungen und Theorien über die Bildung des Fötus iui Mutterleibe, die vollständige Verwesung des Leichnams, die yevEÜ und dy./n/] des Menschen, in den Bauernregeln bei Hesiod, Varro, Plinius, in der hippokratischen Lehre von den kritischen Tagen u. a. kehrt stets die Zahl' 40 wieder; sogar die Zeit der Handlung in der Ilias und Odyssee hat man auf je 40 Tage berechnen wollen. Für die Vorsicht und Gründlichkeit Roschers, der hier, von Fachmännern unterstützt, ins astronomische und medizinische Gebiet hineinschreitet, spricht es, dass er den Geltungsbereich dieser Rundzahl sorgsam umgrenzt und dass er nicht den Einfluss der babylonischen Kultur zur Erklärung ihrer Verbreitung heranzieht, sondern den Völkergedanken Bastians. Er gibt schliesslich noch eine wertvolle, wenn auch nicht erschöpfende Übersicht über das Vorkommen der 40 bei Persern, Armeniern, Indern, Slawen, Germanen, Finnen, Ostasiaten, Amerikanern und macht darauf aufmerksam, dass mehrfach die Frist von sechs Wochen an die Stelle der 40 Tage getreten ist.

Th. Siebs, Helgoland und seine Sprache, Beiträge zur Volks- und Sprachkunde. Mit einer Kaite von Helgoland. Cuxhaven, A. Rauschenplat 1909. :>19 S. geb. 3 Mk. Das auf gründlichen und mühevollen Studien und Erkundigungen beruhende Buch be- handelt 1. die Geschichte Helgolands, das schon in der Steinzeit bewohnt war, aber erst um 1050 durch Adam von Bremen erwähnt wird, und seiner dem friesischen Stamme an- gehörigen Bewohner, sowie ihre kirchlichen und rechtlichen Verhältnisse; 2. Gespräche und Erzählungen aus dem täglichen Leben, in Helgolander und deutscher Sprache, Brauch und Aberglaube (Müllenhoffs Angaben von 1845 scheinen auf unzuverlässigen Mitteilungen zu beruhen), Sprichwörter, Gedichte (von H. Claasen u. a.), Personen- und Ortsnamen, Bezeichnungen der Vögel und Seetiere; 3. die noch von fast "2000 Leuten gesprochene, aber im Aussterben begriffene Helgolander Sprache, die auffälligerweise fast gar keine englischen und dänischen Einflüsse aufgenommen hat; auf eine kurze Laut- und Formen- lehre folgt ein höchst wertvolles, 114 Seiten starkes Wörterbuch.

0. Weise, Unsere Muttersprache, ihr Werden und ihr Wesen. Siebente verbesserte Auflage. Leipzig und Berlin, B. G. Teubner 1909. VIII, 278 S. 8". geb. 2,80 Mk. Die neue Auflage des bekannten Büchleins unterscheidet sich von der vorigen haupt- sächlich durch die Vermehrung der Beispiele und der Anmerkungen, in denen die neueste Literatur nachgetragen ist. Sehr systematisch scheint der Verf. dabei nicht zu Werke gegangen zu sein; ich vermisse z. B. bei Leibniz einen Hinweis auf Pietsch, Leibniz und die deutsche Sprache (Wissenschaftl. Beihefte zur Ztschr. des allgeni. dtsch. Sprachvereins 29 u. 30, 1907/08), bei Gottsched und Hamann auf die Bücher Eugen Wolffs und Rudolf Ungers, bei Friedrich d. Gr. auf Mentz, Friedrich d. Gr. und die deutsche Sprache (Ztschr. f. deutsche Wortforsch. 1, 194 ff.) u. dgl. m. Die Darlegungen über das Ver- hältnis des Humanismus zur deutschen Sprache 135) sind ganz schief: wie kann man die aus guten Gründen lateinisch schreibenden Humanisten mit den deutschen Querköpfen vergleichen, die sich am Ende des 19. Jahrhunderts für das Volapük begeistert haben I Was über die Entwicklung des Stils und der Kultur im Zeitalter der Romantik und des Jungen Deutsclilands gesagt wird («;§ 96/7), ist recht dürftig, die angeführte Äusserung Paul Heyses über Gutzkow höchst unbillig. Auch sonst wäre noch manches zu be- anstanden; eine weitere Auflage, die ja nicht ausbleiben wird, bedarf jedenfalls gründ- licher Durchsicht. (H. Michel.)

Ludw. Friedr. Werner, Aus einer vergessenen Ecke. Beiträge zur deutschen Volks- kunde. Langensalza, H. Beyer & Söhne 1909. VI, 208 S. Das Buch, dem der Göttinger Germanist Edward Schröder ein schönes Geleitswort mitgegeben hat, nimmt nicht die Richtung der meisten volkskundliclicn Schilderungen einer bestimmten Landschaft. Die vergessene Ecke ist ein nur undeutlich bezeichnetes armes Gcbirgsdorf in Oberhessen, in dem ein genügsamer, hart, arbeitender und tüchtiger Menschenschlag haust. Aber der Vf., durch seinen Beruf als Landarzt und seine Liebe zum Volk nahe vertraut mit dessen Gehaben und Wesen, weiss uns in diesem Dörfchen heimisch zu machen, das trotz seiner Enge eine Fülle verschiedenartiger Charaktere und Lebensschicksale birgt. In 60 kleinen

Brunner: Protokolle. 125

Skizzen führt er uns nicht bloss eine Reihe einzelner Bewohner und lustiger und rührender Begebnisse vor, sondern geht auch auf bäuerliche Eigenschaften, wie Eigennutz, Reinlich- keit, Heimatsliebe, Wirtshausleben, Witz, Verhältnis zu historischen Ereignissen, zur Sagenwelt, zur Poesie näher ein, ohne Schönfärberei, doch mit liebevoller Vertiefung und die Redeweise des Volkes treu bewahrend. Man kann aus dem warmherzigen Buche viel lernen und wird gern an diese einfachen, dem Getriebe der grossen Welt allmählich immer näher gerückten Menschen zurückdenken.

Karl de Wyl, Rübezahl-Forschungen: die Schriften des M. Johannes Prätorius. Breslau, M. & H. Marcus 1909. VIII, 159 S. 5,60 Mk. (Wort und Brauch hsg. von Tb. Siebs und M. Hippe 5). Das Buch erfüllt in vortrefflicher Weise einen bereits öfter ausgesprochenen Wunsch: es schafft Klarheit darüber, welche Glaubwürdigkeit dem Hauptgewährsmanne der Rübezahlsagen, dem Leipziger Magister Prätorius, zukommt. Die 250 Sagen vom schlesischen Berggeist, welche Prätorius von 1G62 bis 1672 in vier Bänden veröffentlichte, schöpfte er nur zum Teil aus älteren, neuerdings von K. Zacher erforschten (oben 16, 473) literarischen Quellen und aus dem Munde des in Hirschberg und Greifenberg ansässigen Apothekers H. Sartorius, des Liebenthaischeu Boten und einiger Wurzelkrämer (er selbst war nie im Riesengebirge); viele Geschichten hat er nach seinem eignen Geständnis selber erdichtet und die echten Nummern durch die Schlussformel 'Doch genug' gekennzeichnet. Als Ergebnis einer umsichtigen Betrachtung der Arbeitsweise des Prätorius und der einzelnen, von de Wyl in 22 Gruppen geteilten Erzählungen stellt sich nun heraus, dass die meisten der so endenden Geschichten wirklich aus dem Volksmunde stammen, wenn auch manche ursprünglich nicht von Rübezahl, sondern vom Teufel, vom Nachtjäger oder von Schwarzkünstlern wie Faust und Wagner handelten. Es bleibt indes noch eine stattliche Zahl echter Rübezahlsagen, die vor 1662 nur einzeln im Volksmunde umgingen und erst durch Prätorius zu jenem Gesamtbilde vereinigt wurden, das uns heut noch durch Musäus Vermittlung seit den Kinderjahren bekannt ist. Zu 'S. 5 '^ vgl. oben 19, 293; zu 97 ^ oben 19, 71; über die Jakobsbrüder S. 99 R. Köhler, Kl. Schriften 2, 558. 3, 223. 639; zum Hängenspielen S. 126 Köhler 1, 210. 585.

Aus den

Sitziinsis- Protokollen des Yereins für Volkskunde.

Freitag, den 22. Oktober 1909. Der stellvertretende Vorsitzende Prof. Bolte machte auf eine als Supplement der Zeitschrift für österreichische Volks- kunde erschienene 'Karte der österreichischen Bauernhausforraen' von Anton Dachler aufmerksam und erwähnte eine ihm von Hrn. Pf. Wilh. Kauffmann in Ralbsrieth zugegangene Mitteilung über einen märkischen Brauch aus dem Dorfe Cossar bei Kressen, wo um 18Gü bei der Hochzeit eine wie ein Weihnachtsbaum geschmückte Tanne als Brautbaum auf den Tisch gestellt und umtanzt wurde. Hr. Prof. Dr. Kück wies auf eine ähnliche Sitte in Hannover, der Unterzeichnete auf einen bei den Hanaken in Mähren vorkommenden Hochzeitsbaum hin^). Hr. Dr. Brunner legte sodann eine Anzahl von Holzgeräten mit farbigen Wachs- einlagen vor, grösstenteils Geräte zur Bearbeitung des Flachses, welche von den Burschen ihren Mädchen verehrt wuiden. Besonders häufig kommen sie vor auf Kügen, in der Mark bei den Wenden und in Braunschweig; dagegen fehlen sie in Skandinavien und Österreich. Zur Färbung des AVachses ist nur Rot und Grün

1) Vgl. auch oben 4, 101, wo Weinhold den Brauch des Hochzeitbaumes in Ost- Steiermark, Schwaben und dem lüneburg. Wendlande erwähnt. Mannhardt, Wald- und Feldkulte 1, 46. Adelung, Wörterbuch 1, 1170 (1793): 'Brautmaye'.

J26 Brunner:

verwendet. Hr. Prof. Dr. Bolte berichtete über den 3. Verbandsta^^ deutscher Vereine für Volkskunde am 27. September d. J. in Graz (vgl. oben 19, 472), der von mehreren Vereinsmitgliedern besucht war. Dann hielt Hr. Oberlehrer Dr. Samter einen Vortrag über Geburts- und Hochzeitsbräuche, in dem er an vielen Beispielen darlegte, wie der primitive Mensch sich bei Geburten, Hochzeiten und Todesfällen ganz besonders von Geistern bedroht wähnt. Da nach weit ver- breiteter Anschauung der Mensch während des Schlafes seelenlos und daher be- sonders leicht von den Dämonen zu schädigen ist, sucht man vielfach sowohl bei Geburten wie Hochzeiten den Hauptpersonen den Schlaf fernzuhalten, ja man weckt z. B, in Deutschland bei Todesfällen Mensch und Vieh, weil sonst die sterbende Seele die andern mitnehmen würde. Auf die Furcht vor bösen Geistern dürfte auch die Sitte der Verhängung von Spiegeln zurückzuführen sein, welche besonders bei Todesfüllen, zuweilen auch bei Geburt und Hochzeit geübt wird. Auf den- selben Grund führte der Redner auch den bereits im alten Griechenland bezeugten Brauch zurück, die Wöchnerin durch Kleidungsstücke des Mannes zu schützen, wobei wahrscheinlich die Absicht waltete, die bösen Geister zu täuschen. Auch die Unkenntlichmachung durch Larven und Bestreuung mit Mehl und Kleie, die in den griechischen Mysterien geübt wurde, dürfte denselben Zweck haben. Der Brauch, dem Bräutigam an Stelle der rechten Braut ein oder mehrere alte häss- liche Weiber vorzuführen (Brautunterschiebung), erklärte der Redner gleichfalls durch die Absicht, die bösen Geister auf falsche Spur zu bringen. Nach allge- meiner Volksanschauung sind diese Dämonen leicht zu täuschen, z. B. schon durch eine Namensänderung. In der Besprechung des Vortrages wies Hr. Prof. Bolte auf die Artikel 'Den Tod betrügen' oben 19, 203. 432 hin und erwähnte auch die in Märchen vorkommende Wache am Brautbett. Hr. Dr. Bartels teilte mit, dass z.B. in Russland die Männerhose als Volksmedizin bei Entbindungen eine Rolle spiele. Hr. Geh. Rat Di eis bemerkte, dass als bester Schutz gegen die feindseligen Dä- monen eine Verhüllung der Braut angewendet werde, was schon in den antiken Mysterien vorkomme, und wies auf die bei wilden Völkern beobachtete Sitte des Männerkindbettes hin (Couvade), welche vielleicht dem gleichen Zweck der Irre- führung der Dämonen diene. Hr. Dr. Samter erklärte jedoch, dass ihm vielmehr Bastians Erklärung dieser Sitte durch das sog. Vaterrecht annehmbar erscheine. Hr. Dr. Lukas führte die Mythen von Nal und Damajanti sowie Herkules und Omphale an. Hr. Prof. Dr. Kück und Direktor Dr. Minden erwähnten ver- schiedene norddeutsche Gebräuche, wie die Umstellung der Haustiere und das Um- werfen der Sarguntersätze bei Todesfällen, um die Dämonen zu verwirren. Der Unterzeichnete lud zum Besuche der Vorträge ein, welche der Verein der Kgl. Sammlung f. deutsche Volkskunde in diesem Winter veranstaltet.

Freitag, den 26. November 1909. Der Vorsitzende, Hr. Geheimrat Roe- diger, wies auf einige neue Erscheinungen der Literatur hin. besonders die von Friedel und Mielke herausgegebene 'Landeskunde der Prov. Brandenburg', deren 1. Band die natürlichen Verhältnisse des Gebietes behandelt. Dann hielt Hr. Dr. Paul Richter einen Vortrag über den Ursprung des Aberglaubens, besonders des medizinischen. Er wies auf eine bedeutende Sammlung volksmedizinischer Gegenstände hin, welche sich im Besitze des Hrn. Pachinger in Linz befindet. Noch jetzt scheuen selbst gebildete Familien in Berlin eine Operation zwischen Weihnachten und Neujahr. Für den Ursprung des medizinischen Aberglaubens sind besonders wichtig die Zaubersprüche mit ihren typischen AViederholungen. Erman hat in den Abhandlungen der Berliner Akademie einen ägyptischen Papyrus aus dem 16. Jahrb. v. Chr. veröffentlicht, welcher viele Zaubersprüche enthält, wie sie in ähnlicher Art noch heute bekannt sind. Aus dem G. Jahrh. stammen die

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auf Tonamulette geschriebenen Zaubersprüche der Babylonier. Auch die Sumerer stehen in dem Rufe, Übcrlieferer oder Urheber solcher Sprüche zu sein, und im alten Indien waren Amulette und Aberglaube über die heiligen Zahlen 3 und 7 bekannt. Die Griechen dagegen erhielten von diesen orientalischen Zaubersprüchen und der Furcht vor Dämonen, bösem Blick und dergleichen erst spät Kenntnis. Bei der Besprechung des Vortrages wandte Hr. Oberlehrer Dr. Lukas ein, dass bereits im hohen griechischen Altertum Reste von Zauber- und Aberglauben nach- weisbar seien. Überhaupt könne keineswegs überall der Orient als Urheber des medizinischen Aberglaubens gelten, wie die wilden Völker beweisen. Hr. Direktor Dr. Minden wies darauf hin, dass einheimischer Aberglaube zu jeder Zeit in den führenden Kreisen weniger bekannt gewesen sei als fremder. Hr. Direktor Dr. Rudolf Meyer bemerkte, dass sich in den Schriften des Apollonius von Thyana Hinweise auf Persien als Ursprungsland vieler Zaubersprüche und dergleichen finden. Hr. Dr. Richter erwiderte, dass ihm zwar Spuren von altem Aberglauben bei den Griechen nicht entgangen seien, dass aber Zaubersprüche erst seit der Überschwemmung mit orientalischen Einflüssen nachweisbar seien. Die Beziehungen der wilden Völker zueinander in ältester Zeit seien noch wenig geklärt Der Vorsitzende hielt dafür, dass ganz allgemeine Anschauungen der Völker am ehesten durch den A^ölkergedanken Bastians erklärt werden könnten. Nur wo ganz auffallende Übereinstimmungen bestimmter Gebräuche vorkommen, könne vielleicht an Wanderung und Entstehung gedacht werden. Dann hielt Frl. Elisabeth Lemke einen von 98 Lichtbildern begleiteten Vortrag über das Erdbeben an der Strasse von Messina, der auf dem Hintergrunde der bekannten Tatsachen mancherlei Einzelheiten, persönliche Eindrücke und volkstümliche Charakterzüge anführte. Die Lichtbilder, durch seismographische Darstellungen eingeleitet, zeigten in der Hauptsache Messina, einiges aus Calabrien und zum Schluss Taorraina, Catania und einige Bildnisse von dort. Erwähnt wurde u. a. vielerlei Aberglauben, der sich an Verstorbene und an den Anblick von Blut, Leichen u. dgl. knüpft. Die Furcht vor letzteren ist unglaublich gross; könnte doch z.B. ein böser Geist solche Gelegenheit wahrnehmen, in den lebendigen Menschen zu fahren. Vielleicht er- klärt dieser Aberglaube das sonderbare Verhalten mancher Eingebornen, das von der staunenswerten Hilfstätigkeit der Schiffsmannschaften und Soldaten recht ab- stach. Die Verstorbenen halten zu bestimmten Zeiten Umzüge und verwandeln sich in Ameisen, um so zu den Stätten ihrer Familien zu kriechen; daher schliessen die Angehörigen sorgfältig die Tür und verdoppeln ihre Vorsicht, um das Ein- schlüpfen in den eigenen Körper zu verhüten. Beim Gähnen schlägt man drei Kreuze vorm Munde; auch Knoblauch essen gilt in Sizilien und wohl in ganz Italien als besonderes Schutzmittel gegen böse Geister. Sehr gepflegt wird die Zeichensprache. Ein Bild führte den sonderbaren Brauch vor, der uns aus der Oper Cavalleria rusticana bekannt ist: der gekränkte Ehegatte fordert den Räuber seiner Ehre zum Bekenntnis auf; beide umarmen sich; fühlt nun der Gatte den ijefürchteten Biss des andern, so ist damit dessen Schuld eingestanden, und die Rache wird sogleich vollzogen.

Freitag-, den 17. Dezember 1909. Hr. Franz Treichel legte eine Anzahl von Stickereien vor, welche von bäuerlichen Arbeiterinnen in Sanddorf, Kr. Bereut in Westpreussen, in Anlehnung an heimische Muster hergestellt worden sind. Das Verdienst dieser Wiederbelebung alter Volkskunst gebührt der Frau des Lehrers Gulgowski in Sanddorf. Dann wurde die Wiederwahl des bisherigen Vereinsvor- standes auf Antrag des Hrn. Geheimrats Friedcl durch Zuruf beschlossen. Den Vortrag des Abends hielt Hr. Theodor Traub: Aus dem norwegischen Volksleben und der norwegischen Volkspoesie. Die natürliche Beschaffenheit des Landes ge-

128 Brunner: Protokolle.

stattet den Norwegern nur die Besiedelung der Täler und Fjorde und begünstigt die Vereinzelung der Gehöfte inmitten ihrer Felder und AViesen. In älterer Zeit wurden auch einige kleine Dörfer gegründet, welche aber neuerdings wieder ab- nehmen. Im Jahre 1870 waren noch 13pCt. des Bodens Allmende. Das Klima ist hart und der Sommer nur kurz. Die Haupterzeugnisse der Landwirtschaft sind Heu und Korn; letzteres wird, um nachzureifen und zu trocknen, oft an senkrecht eingepflanzten Stangen befestigt. Obstbau wird wenig betrieben. Das wichtigste Bodenerzeugnis ist Holz, welches für Bauten und Schnitzereien sehr mannigfache Verwendung findet. Die Häuser werden aus horizontal geschichteten Balken er- baut, das Dach deckt man mit Birkenrinde und Rasenstücken. Die ältesten Häuser hatten keine Fenster, sondern nur eine Luke im Dache zur Lüftung und bestanden gewöhnlich nur aus einem Vorraum und einer Stube mit zentralem Herd; noch jetzt ist ein solches Blockhaus mit Runeninschrift aus dem 13. Jahrh. vorhanden. In neuerer Zeit werden sie aus Brettern erbaut, aussen blutrot bemalt und haben auch Fenster, deren Bestimmung ursprünglich war, besseren Luftzug für das Herd- feuer zu erzielen (Windauge = engl, window). Zum eigentlichen Hause kommen hinzu die besonders liegenden kleinen Speicher (stabbur), die als Vorrats- und Schlafhäuser dienen. Diese eigentümlichen Gebäude sind ebenfalls aus Holz- stämmen erbaut, meist zweistöckig, und oft mit reichen Schnitzereien in nor- dischem oder romanischem Stil geziert. Hier stehen die Truhen, die zur Auf- bewahrung der sich stetig mehrenden Aussteuer der Kinder des Hauses benutzt werden. Ferner findet sich häufig ein kleines Badehaus zur Erzeugung von Dampf- und Schwitzbädern; eine kalte Wasserbesprengung mittels Zweigen beschliesst das Bad. Das heutige Bauernhaus ist übrigens meistens grösser als in älteren Zeiten und zweistöckig. Die alte Form findet sich vorwiegend noch als Sennhütte im Gebirge. Seit alter Zeit gibt es grosse Bauern und kleine Lehnbauern oder Hausmänner, deren gegenseitiges Verhältnis, namentlich bei Liebesangelegenheiten der Kinder, in der norwegischen Volkspoesie vielfach behandelt worden ist; denn hier wie überall gibt kein reicher Bauer gern seine Tochter einem unbegüterten Manne. Den norwegischen Volkscharakter erläuterte der Redner durch Wieder- gabe einiger Volksmärchen, durch Besprechung von Sitten und Gebräuchen im Leben und bei Todesfällen und schilderte zum Schluss das norwegische Weihnachts- fest (Jul). Nach dem Volksglauben gehen die Trolle zu dieser Zeit auf Abenteuer aus. Man deckte ehedem in dieser Nacht dem Hausgeiste den Tisch und Hess auch die Betten frei, damit er und seine Begleiter darin ruhen könnten. Auch des Viehes wird in dieser Nacht gedacht, und für die Vögel werden Korngarben auf Stangen aufgestellt. Weihnachtsritte werden veranstaltet, entsprechend den auch in Deutschland bekannten Umritten am 26. Dezember zu Ehren des Pferde- heiligen Stephanus. Hr. Prof. Bolte sprach sodann über eine eigentümliche Volksanschauung über das Wetterregiment der Frauen im Februar, zu der A. Olrik (oben S. 57) wichtige Aufschlüsse aus dänischem und isländischem Brauch gegeben hat, und bat, weitere Zeugnisse über diese Sitte der Redaktion der Zs. mitzuteilen. Hr. Direktor Dr. Minden verwies dazu auf die im jüdischen Ritus vorkommende Begrüssung des Neumondes, Hr. Geheimrat Roediger auf die in der Literatur bekannte Personifikation der einzelnen Wochentage, wie Herr Sonntag usw. Der Vorsitzende besprach endlich ein soeben erschienenes Werk unseres Mitgliedes Robert Mielke: Das Dorf, Handbuch zur künstlerischen Dorf- und Flurgestaltung (Leipzig, Quelle & Meyer).

Steglitz. Karl Brunner.

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Geschichte der deutschen Volkskunde.

Von Adolf Hauffen.

(Fortsetzung zu S. 1—17.)

Die geringen Anläufe zu einer deutschen Philologie: Gottscheds und Lessiugs altdeutsche Studien, Bodmers und Breitingers Beschäftigung mit den deutschen Dichtungen des Mittelalters, Herders fruchtbare Gedanken und Hinweise zu einer wissenschaftlichen Literaturgeschichte, die Aus- gaben und Forschungen Gelehrter, wie C. H. Myller, F. D. Gräter, Lessings Schüler Eschenburg, das 'Compendium der deutschen Literaturgeschichte von den ältesten Zeiten bis auf Lessings Tod' (1790) von Erdwin Julius Koch, solche Vorarbeiten also haben erst durch die fruchtbare Weiter- entwicklung der älteren Romantiker, die von der Liebhaberei zur Wissenschaft weitergeschritten sind, einen Wert für unsere nationale Bildung und unser nationales Leben erhalten. Durch Kochs Schüler W. H. Wackenroder, der in der altdeutschen Kunst und Dichtung „das Wesen des deutschen Charakters treu und deutlich eingeprägt" findet, wurde Ludwig Tieck in dieses Bereich gelenkt. Seiner Natur entsprach es, sich die Dichtungen des Mittelalters durch Bearbeitungen anzueignen. Seine halbschürige neuhochdeutsche Übertragung der 'Minnelieder aus dem schwäbischen Zeitalter' (1803) mit einem erfolgreichen Versuch die Gesamt- dichtung des deutschen Mittelalters in den Rahmen der romantischen Poesie einzuordnen, seine und August Wilhelm Schlegels Beschäftigungen mit dem höfischen und dem Volksepos legen den Untergrund zu dem mächtigen Bau der germanischen Philologie. Schlegel ist ausserdem durch seine, gleich früchteschweren Bäumen, gedankenreichen Besprechungen, Abhandlungen und Vorträge, besonders durch seine 1802—1804: in Berlin gelialtenen Vorlesungen 'Über schöne Literatur und Kunst' zu dem Be- gründer der Literaturgeschichte geworden. Einen Mittelpunkt dieser Bestrebungen bilden seine Einleitung zu der Geschichte der Poesie und der dritte Kurs, wo er die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der deutschen Dichtung mit philosophischem Blicke betrachtet und in den Erörterungen über 'Deutschheit' mit kühler Besonnenheit und doch wieder mit warmer Empfindung die deutsche Sprache und den deutschen Geist würdigt.

Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1910. Heft 2. q

130 Hauff en:

Mit diesen Bemühungen der Romantiker gehen Hand in Hand ihre Bestrebungen durch Ausgaben und Umdichtungen alter volks- tümlicher Stoffe, Volksbücher, Märchen. Sagen und Lieder, die so lange vergrabenen oder von den gebildeten Schichten missachteten Schätze des Volkes zu neuem Leben zu erwecken und für die weitesten Kreise zu neuer Wirkung zu bringen^).

Bei der Beschäftigung mit dem Märchen sind verschiedene Wege zu verfolgen. Zunächst die Verwendung märchenhafter Motive in der Kunstdichtung, was mit dem Eindringen der 'contes de fees', besonders der als echte Volksmärchen zu betrachtenden 'Contes de ma mere l'Oye' von Perrault und mit Übersetzungen und Nachahmungen der arabischen Märchensammlungen, besonders denen von 'Tausend und einer Nacht' anhebt. In dieser Zeit, also in den sechziger Jahren wird auch das Wort 'Märchen' zuerst in der heutigen Auffassung verwendet. In Verserzählungen, in philosophischen und Unterhaltungsromanen von AVieland bis Klinger werden solche Märchen zu moralischer Erbauung oder zur Erheiterung aufgenommen; doch überwiegt später das sinnliche Element. Die erste Bearbeitung eines deutschen Märchens gibt J. F. W. Zachariae in seinen moralisierend -galanten Erzählungen 'Zwey schöne Neue Mährlein' (1772). Ihm folgt Joh. Heinrich Jung, genannt Stilliug, der (1779) das Märchen Jorinde und Joringel aus den Schwalmgegenden in schlichter Weise erzählt. Im Jahre 1782 erscheint die erste grössere Sammlung auf diesem Gebiete, Johann Karl August Musäus' 'Volksmärchen der Deutschen', die aber nicht alle deutschen Ursprungs und nicht eigentliche Volksmärchen, sondern in Wielands Art, mit satirisch -frivoler Auffassung und in einem anmutigen Plauderton erzählte, stark verbreiterte Sagen sind. Schon Görres hat darüber zutreffend geurteilt, dass „der in ihnen herrschende Ton keineswegs eigentlicher Volkston und ihre Naivetät nicht Volks- naivetät ist"^). Eine Art Fortsetzung dazu gibt Christiane Benedikte Naubert, geb. Hebenstreit, in ihren gewandten und liebenswürdigen Be- arbeitungen volkstümlicher Stoffe: 'Neue Volksmärchen der Deutschen' (Leipzig 1789 179;3). Der Zusatz 'Neue' bezieht sich auf Musäus. Einen Gegensatz zu diesen Sammlungen bilden die anonymen 'Kindermärchen' (Erfurt 1787), vier volkstümlich erzählte, längliche Geschichten.

Der erste, der das Wort Sage für den Titel einer allgemeinen Sammlung verwendet hat und schon den heutigen Bedeutungsinhalt darunter versteht, ist Leonhard Wächter, der unter dem Namen Veit Weber vierzehn, zu förmlichen Romanen ausgesponnene Märchen- und Sagenstoffe in dem mehrbändigen Werke 'Sagen der Vorzeit' (1787 1798) veröffentlichte. Ihm kommt mit dem crleichen Titel zuvor die älteste

1) R. Haym, Die romantische Schule (Berlin 1870^, S 789-816.

2) In einer Anmerkung zu der Einleitung seiner 'Teutschen Volksbücher' 1807 S. 21. [Andrae, Studien zu den Volksmärchen von Musäus. (Diss. ]\Iarburg 1897.)]

Geschichte der deutschen Volkskunde, 131

landschaftliche Sammlung 'Sagen der Vorzeit . , . von dem berühmten Salzburgischen Untersberg (1782). Die erste theoretische Schrift über diesen Gegenstand 'Einige Winke über Yolkssagen und Volkserzählungen' von Otmar (Nachtigall) erschien 1706^).

Die von den Gebildeten lauge verschmähten Volksbücher brachten schon die Stürmer und Dränger wieder zu Ehren. Faust, der ewige Jude, Genoveva boten Goethen, dem Maler Müller, Klingern u. a. willkommene poetische Stoffe. Jung-Stilling und Lessing befassten sich mit diesen Büchern. Xach französischem Muster begründete Reichard die 'Bibliothek der Romane' (1778—1791), die auch Volksbücher in Nacherzählungen mit bibliographischen Mitteilungen und gelehrten Abhandlungen bringt. Schlegel hat in seinen Berliner Vorlesungen den Wert dieser 'unschein- baren Büchelchen' betont und einzelne davon besprochen.

Ludwig Tieck gab Volksbücher und Märchen in leichterer und stärkerer Bearbeitung heraus uud schritt später zu eigener Märchen- dichtung vor^). Der in Berlin des ausgehenden 18. Jahrhunderts unter dem Banne des einseitigen Rationalismus aufgewachsene Dichter hat einige Jahre im Solde des Verlegers Nicolai für die von Musäus be- gründete Sammlung 'Straussfedern' französisch-frivole Schwanke im Sinne der Aufklärung satirisch bearbeitet und bald eigene in gleichem Geschmack gehaltene, auch die Stürmer und Dränger verspottende Erzählungen verfasst. Die steigende Unlust an dieser Tätigkeit und die Bekanntschaft mit der Volksdichtung bewirkte in ihm einen allmählichen, doch gründ- lichen Umschwung. Schon im zweiten Teil seines 'Peter Lebrecht' (1796) gibt er den Volksbüchern vom gehörnten Siegfried, vom Herzog Ernst u. a. wegen ihrer 'wahren Erfindung' und 'reinen Darstellung' den Vorzug vor den damals 'beliebten Modebüchern'. Dieser neu erschlossenen Welt der Phantasie gab er sich völlig hin. lu seiner dreibändigen Sammlung 'Volksmärchen' (1797), einem bunten Gemisch abenteuerlicher Geschichten in den verschiedensten Formen, lässt er das Wunderbare wie etwas Natürliches frei schalten, und der aufblitzende Spott richtet sich jetzt gegen die Alleinherrschaft des nüchternen Verstandes. Bei der 'Geschichte von den Haimonskindern' wahrt er noch den alten treuherzigen Ton und tritt nicht persönlich hervor. Aber 'Die wundersame Liebesgeschichte von der schönen Magelone' umwebt er schon mit einem romantischen Duft und versieht sie mit poetischen Naturschilderungen und Liedern. Die Schwanke der Schildbürger nützt er weidlich aus, um die Narrheit seiner Zeit mit scharfen Spitzen gegen das Selbstbewusstsein, die Eitelkeit und Aberweisheit der Aufklärer zu geissein. Für diese Sammlung, sowie für die 'Romantischen Dichtungen' (1799 und 1800) und noch später

1) R. Benz, Märchendichtung der Romantiker mit einer Vorgeschichte (Gotha 1907).

2) B. Steiner, L. Tieck und die Volksbücher (Berlin 1893).

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132 Hauffen:

wandelte er Märchen, Sagen und Volksbücher zu Dramen, meist in den damals üblichen Kostüm der Ritterzeit um, den gestiefelten Kater, Karl von Berneck, das Rotkäppchen, Genoveva, Oktavian, 'die poetische Summe der Romantik' u a.

Tiecks spätere Märchendichtungen sind Kunstmärchen, wie die der übrigen Romantiker, welche auch grösstenteils von ihm ausgehen. Aller Vorbild ist Goethes 'Märchen' (1796), das in seinen schönen Natur- bildern die Möglichkeit vielseitiger Ausdeutungen bietet. Das Märchen, das „Bilder, Ideen und Begriffe durcheinander schlingt", ist nicht allegorisch, sondern symbolisch, weil es, um mit Goethe zu sprechen, nicht „zum Allgemeinen das Besondere sucht", sondern „im Besonderen das Allgemeine schaut" ^). Tiecks naturphilosophische Grundanschauungen stammen aus der Bilderwelt des mystischen Schuhmachers Jakob Böhme, aus den Schrifteu von Schellings Schüler Heinrich Steffens und aus eigenen Gefühlserlebnissen. Die Naturbeseeluno- zeichnet er in seinen Märchen als Wesensverwandtschaft zwischen Mensch und Natur und als das zerstörende Walten der Natur, dem der Mensch erliegt. In seiner düsteren, aus Jugenderinnerungen seiner Mutter geschöpften Erzählung 'Der blonde Eckbert' (1797) herrscht das Traumhafte, das Unheimliche der 'Waldeinsamkeit'. Das Grauen der lockenden Sünde schwebt über der Erzählung 'Der getreue Eckart und der Tannenhäuser' (1799), wo die Sage vom Venusberg in der neueren Dichtung zum erstenmal verwertet und mit den Motiven des treuen Eckart und des Rattenfängers von Hameln verknüpft wird. Im 'Runenberg' (1803) hinwiederum erscheint das Grauen als geheimnisvolle, dräuende Macht der Gesteine und Metalle. Naturmärchen sind auch Fouques liebliche Operndichtung Undine (1814), wo der Zauber des Wassers herrscht, sowie die Märchen E. T. A. Hoffmanus, bei denen, wie bei Tieck, Traum und Bewusstsein ineinander verschwimmen, wo aber das Dämonische viel grausiger und die Wirklichkeit viel greller zutage tritt. Die Anschauungen der Roman- tiker über die 'Nachtseiten' der Natur werden von Hoffmann noch weiter geführt in das Reich des Übersinnlichen, der Magie, der Seelenrätsel unter dem Einflüsse der Schriften Gotthelf Heinrichs von Schubert. Allegorisch-philosophisch sind Märchen von Novalis und Chamisso, wo bestimmte Gedanken und Erkenntnisse durch Sinnbilder ausgedrückt werden sollen^). Volksmässiger gehalten sind die Märchen von Clemens Brentano und seinem Nachahmer Wilhelm Hauff. Schon 1808 beabsichtigte Brentano Märchen zu sammeln und herauszugeben. Nach 1810 kam er davon ab, erfand in Stimmungen und Einfällen des Augenblicks, Selbst- erlebtes und Gefühltes verwertend, eigene Märchen, erzählte sie Kindern von Berliner Verwandten und schrieb sie 1816 nieder. Sie sind von Tieck

1) Goethe-Jahrbuch 25, S. 37— 44; 116-127 und Goethes Werke (Hcmpel) IG, 22.

2) 0. F. Walzel, Deutsche Eoniantik (Leipzig 1908) S. 137-143.

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Geschichte der deutschen Volkskunde. 133

und den phantastischen Dramen Gozzis angeregt, dem raschen Entstehen entsprechend straff zusammengefasst und dramatisch gehalten. Brentano verwendet für sie Motive aus Basiles Pentamerone, aus französischen Märchen, doch auch deutsche volkstümliche Stoffe, so für den Bären- häuter und einige Rheinmärchen. Ihr schlicht kindlicher, schalkhafter Ton wurde früh bewundert. Eichendorff verglich sie 'mit alten Bildern auf Goldgrund', doch die Einmischung literarischer Satire und persönlicher Ausfälle fiel bereits seinen Freunden unangenehm auf^).

Nach diesem langen Auslauf müssen wir wieder in den Weg von Percy zum Wunderhorn einlenken. In seinem Aufsatz über Bürger (1800) bewährt A. W. Schlegel in der Beurteilung des Volksliedes glänzend seine neue, entwickelnde Kritik. In dem Abgerissenen der Darstellung, in dem Verstecken der Beweggründe, im bescheidenen Farbenauftrag, im Zarten, Gemütlichen, Leisen, im Verzicht auf Rhetorik bei spannender Handlung erblickt er die Kennzeichen des Volksliedes. Ausgesprochen romantische Urteile folgen. „Im scheinbar Kindischen ist das Volkslied oft un- ergründlich tief und göttlich edel" oder „die ursprünglichen Volksgesänge hat das Volk gewissermassen selbst gedichtet; wo der Dichter als Person hervortritt, da ist schon die Grenze der künstlichen Poesie." In seinen Berliner Vorlesungen betrachtete Schlegel das Volkslied geschichtlich. Als erster erkannte er, dass die uns erhaltenen Volkslieder nicht über das 16., höchstens in das 15. Jahrhundert hinaufreichen. Hier erhob er den Ruf nach einem deutschen Percy. Dieser Wunsch sollte sich bald erfüllen!

Seit Herders internationaler Volksliedersammlung ist nur eine weitere Ausgabe erschienen: 'Ungedruckte Reste alten Gesanges' von Anselm Elwert (1784), die auch insofern einen Übergang zum Wunderhorn bildet, als sie zum grössten Teil deutsche, am Rhein getreu aufgezeichnete, gelegentlich mit Varianten versehene Volkslieder bringt. Besonderen Wert weist diese Sammlung dadurch auf, dass sie neben den bisher ein- seitig bevorzugten Balladen auch Lyrik enthält, und zwar Liebeslieder, die auf Goethe, Brentano und Eichendorff eingewirkt haben. Unter den fremden Liedern befindet sich auch ein Abschnitt des altfranzösischen 'Lai du corn', der die Anregung zu Titel und Prolog des Wunderhorns ge- geben hat. Gleich danach kamen Schubarts 'Gedichte' (1785—1786) mit den prächtigen im Volkston gehaltenen schwäbischen Bauernliedern heraus. Friedrich Heinrich Bothes zur Hälfte aus Percy geschöpfte Sammlung 'Volkslieder nebst untermischten anderen Stücken' (1795) bringt nicht ein wirkliches deutsches Volkslied. An der Schwelle des 19. Jahrhunderts erschienen in Bayern, Tirol und in der Schweiz innerhalb statistischer und landwirtschaftlicher Werke kleinere Reihen von Schnadahüpfeln und

1) 0. Bleich, Entstehung und Quellen der Märchen Brentanos (Archiv f. n. Sprachen 96, 43—96). H. Cardauns, Die Märchen C. Brentanos (Köln 1895).

134. Hauffen:

Kuhreigen, dann 1805 die erste selbständige Ausgabe 'Schweizer Kühreigen' Siegmunds von Wagner, welche in späteren Bearbeitungen die wichtigste und am stärksten ausgeschriebene Schweizer Liedersammlung geworden ist. Um die Zeit verfasste Goethe wieder volksmässige Gedichte. Durch das 'Bergschloss' und 'Schäfers Klagelied' (Taschenbuch auf das Jahr 1804) schuf er eine neue Art von Romanzen, welche nun die Lieblingsform der romantischen Lyriker wird.

Der Briefwechsel zwischen Achim von Arnim und Clemens Brentano^) eröffnet uns den Einblick in die Entstehungsgeschichte von des Knaben Wunderhorn. Beide haben früh in Heimat und Fremde gern dem Volksgesang gelauscht und Lieder aufgezeichnet. Besonders Brentano hatte bald eine reichhaltige Sammlung gedruckter und handschriftlicher Quellen beisammen. Der beide beglückende Gedanke einer gemeinsamen Arbeit verdichtete sich bei ihrer Zusammenkunft in Berlin, Dezember 1804, zu dem Plan einer Volkslied-Ausgabe. Im folgenden Jahre, in Heidel- berg, bearbeiteten sie ihren reichen Liederbestand. Arnims „fruchtbare Schaffenskraft verlor sich leicht ins Unendliche", Brentanos „auf ein be- stimmtes Ziel gerichtete Tätigkeit ermüdete leicht vor der Vollendung." So wurde es beiden zum Heil, dass sie sich zu einem gemeinsamen Unternehmen verpflichteten und im Bestreben gleiches zu leisten, rasch zum Ziel ge- langten. Arnims Neigung zu volksliedartig träumerischen, verschwimmenden Tönen und Brentanos schon in den lyrischen Einlagen des Romans Godwi bewährte „geniale Kunst im Sinne des Volkes mythenbildeud zu schaffen" und den echten Ton des Volksliedes erstaunlich getreu wiederzugeben, verlockten beide, an den ihnen vorliegenden Liedern kräftige Eingriffe vorzunehmen. Im Jänner 1805 erschien Arnims hochgemutes Send- schreiben 'Von Volksliedern' in 'Reichardts Berlinischer musikalischer Zeitung', dann eine Ankündigung im Reichsanzeiger und in der 'Jenaischen allgemeinen Literaturzeitung' mit der Erklärung, dass diese Lieder „von uns aus dem Munde des Volkes, aus Büchern und Handschriften gesammelt, geordnet und ergänzt sind'. Im Herbst dieses Jahres erschien der erste Teil 'Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder', Frankfurt und Heidelberg 1806, mit einer launigen Zueignung an Goethe. Wegen der Kriegswirren und der fortwährenden Änderungen und Einschübe neu ein- laufender Lieder verzögerte sich das Erscheinen des zweiten und dritten Teiles (mit einem Anhang 'Kinderlieder') bis gegen Ende 1808. Goethe hatte bereits im Jahre 1806 in der 'Jenaischen allgemeinen Literatur- zeitung' diese Sammlung freudigst begrüsst und jedes der 210 Lieder des ersten Teiles kurz und treffend charakterisiert. Görres gab in den 'Heidelberger Jahrbüchern' (1809) eine durchgehende ethische Würdigung der Lieder nach den Lebenslagen von der Kindheit bis zum Tode und

1) Herausgegeben von lleinliold Steig, Arnim und Brentano (Stuttgart 1894).

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Geschichte der deutschen Volkskunde. J35

rief hier aus, die Herausgeber haben „die ßürgerkrone verdient um ihr Volk, dass sie retteten von dem Untergang, was sieh noch retten Hess". Freilich die kühne, schier planlose Anordnung dieser bunten Fülle von Liedern, die Aufnahme von Kunstgedichten, die „Ipsefacten und Restau- rationen", an denen Arnim nachweislich stärker beteiligt war, riefen Bedenken und Widerspruch hervor. Der alte Johann Heinrich Voss erhob 1808 den Vorwurf: 'zusammengeschaufelten Wust voll mutwilliger Ver- fälschungen sogar mit untergeschobenem Machwerk'; Friedrich Schlegel bezeichnete es in seiner, Goethes günstige Besprechung parodierenden, Anzeige der 1807 von Büsching und von der Hagen in strenger Be- handlungsart herausgegebenen, doch recht kärglichen 'Sammlung deutscher Volkslieder' als Abweg der Herausgeber des Wunderhorns, dass sie „das Wesen des Volksliedes vorzüglich in die Unverständlichkeit setzen". Doch allen Widerbellern zum Trotz hat dieses „Buch voll herrlichen Lebens" eine unvergleichlich tiefgehende Wirkung erzielt. Die Herausgeber ver- folgten ja keinen wissenschaftlichen Zweck. Dadurch, dass sie mit feinem Gefühl für das Volksmässige und Poetische Lücken ausfüllten, Derbes und Geschmackloses milderten, haben sie, wie Brentano an Goethe schreibt, diese Lieder, die so sehr dem Leben gehören, dem Leben wiedergegeben. In der Tat sind gerade die Lieder, welchen die Heraus- geber ihren Geist aufgedrückt haben, nicht nur von Kennern als echte Volkslieder angesehen worden, sondern auch zu allgemeinster Beliebtheit gelangt. Was die Herausgeber erstrebten, das hat dieses unvergängliche Denkmal der deutschen Romantik erfüllt. Es hat die Poesie des Volkes den Gebildeten zugeführt, die Lyrik des 19. Jahrhunderts befruchtet und verjüngt, der Wissenschaft den Weg zu reger allgemeiner Aufsammlung und Herausgabe von Volksüberlieferungen gewiesen und das Vaterlands- gefühl in schweren Tagen gestählt und erhoben*).

In der Heidelberger Romantik wurzeln die altdeutschen Studien von Josef Görres^). Den Antrieb dazugaben ihm seine Beziehungen zu dem

1) H, Lohre, Von Percy zum Wunderhorn, Beiträge zur Geschichte der Volks- liedforschung in Deutschland. (Palaestra 22. Kerlin 1902) S. 79-127. 0. F. Walze! a. a. 0. S. 121— 12(j. In den letzten vier Jahren sind drei Untersuchungen über die Bearbeitungen der Vorlagen zum Wunderhorn erschienen, deren letzte und eingehendste diesen Gegenstand ' wohl völlig erschöpft. J. E. V. Müller, Arnims und Brentanos romantische Volksliederneuerungen, ein Beitrag zur Geschichte und Kritik des Wunder- horns (Programm der Hansaschule zu Bergedorf 1905/190G). F. Rieser, Des Knaben Wunderhorn und seine Quellen, ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Volksliedes und der Romantik (Dortmund 1908). K. Bode, Die Bearbeitung der Vorlagen in Des Knaben Wunderhorn (Palaestra 76. Berlin 1909). Bode, der auch den handschriftlichen Nachlass Arnims heranziehen konnte, setzt sich insbesonders die Aufgabe, im einzelnen zu zeigen, wie sich im Wunderhorn romantische Ideen äussern. Es hätte mich natürlich zu weit geführt, diese wertvollen Ergebnisse für meine Darstellung zu verwerten.

2) Franz Schultz, Josef Görres als Herausgeber, Literarhistoriker, Kritiker im Zu- sammenhang mit der jüngeren Romantik (Palaestra 12. Berlin 1902).

136 Hauffen:

politischen Leben Deutschlands, das er von der Literatur aus erneuern wollte. Kasch ist er durch seine Verbindung mit den Brüdern Grimm in den Kern ihres, von dem seinigen so abweichenden, Wesens und Arbeitens eingedrungen. In Heidelberg, wo er 1806 1808 weilte, auch Privatvor- lesiingen über die deutsche Literatur an der Universität unter grossem Zulauf hielt, mit Arnim und Brentano die Einsiedler-Zeitung herausgab, verfasste er die Schrift 'Die teutschen Volksbücher, Nähere Würdigung der schönen Historien-, Wetter- und Arzneybüchlein, welche teils innerer Wert, teils Zufall Jahrhunderte hindurch bis auf unsere Zeit erhalten hat', Heidelberg 1807. Für dieses, sein bestes und am tiefsten nachwirkendes literargeschichtliches Werk benutzte er eine von Clemens Brentano seit 1802 zustande gebrachte, reichhaltige Sammlung von gedruckten und hand- schriftlichen Volksbüchern, woraus er nur diejenigen heranzog, die ihm geeignet schienen, der Gegenwart zu dienen. Der an Brentano gerichteten Widmung, einer poetischen Vision von den bergentrückten Helden deutscher Vorzeit, folgt eine wohlgegliederte Einleitung, welche, von Gedanken Herders, Bürgers, A. W. Schlegels ausgehend, in grossen Zügen die deutsche Volksdichtung charakterisiert. Görres scheidet hier streng zwischen niederer, unheiliger 'Pöbelhaftigkeit' und dem 'heiligen Volks- geist' und verteidigt mit gesunden Anschauungen den Begriff Volks- literatur. Dem in Volksliede erwachten 'lyrischen Naturgeist' stellt er die 'Volkssagen' gegenüber, aus denen er in einer zu weit gehenden Ver- mutung 'die meisten Volksbücher', nämlich die erzählenden, hervorgehen lässt. Er betont aber, dass die lehrenden Volksbücher „nicht von früherer mündlicher Überlieferung ausgegangen, mithin auch nicht wie die rein poetischen aus dem Volke selbst hervorgewachsen und auch keineswegs so tief mit seiner innersten Natur verwachsen" sind. In der folgenden Beschreibung von 49 Volksbüchern geht er von den lehrenden zu den romantischen und den religiösen über und schliesst dann „mit einem grossen Blick auf das durchlaufene Gebiet von der gewonnenen Höhe hinab". Bibliographische Ungenauigkeiten und die unrichtige Anschauung, dass die meisten Volksbücher Prosaauflösungen mittelalterlicher Epen seien, muss man einem nicht nur gelehrten, sondern auch Leben atmenden Buche zugute halten. Persönliche Voreingenommenheit zeigt sich, wenn er der Volksheilkunde das Wort redet, weil er selbst Wunderkuren vor- genommen hat. Den Höhepunkt dieser literargeschichtlichen Leistung bildet die Abhandlung über die Entstehung und Weiterentwicklung der Faustsage, wie er auch die Geschichte des Buches vom Eulenspiegel richtig vermutet. Seiner Würdigung einzelner Volksbücher vom Standpunkt mit- geniessender Empfindung aus ist nichts Besseres an die Seite zu setzen.

Von dem Wunderhorn, von Tiecks Minneliedern und Jakob Grimms Schrift 'Über den alten deutschen Meistergesang' 1811 gehen Görres' weitere Beschäftigungen mit den Volks-, Minne- und Meisterliedern aus

Geschichte der deutschen Volkskunde. I37

und führen zu der Ausgabe 'Altteutsche Volks- und Meisterlieder aus den Handschriften der Heidelberger Bibliothek', 1817. In der Einleitung dazu, welche eine lebendige, aus den Minneliedern erschlossene Vergegen- wärtigung der deutschen Vergangenheit zeigt, teilt er den Standpunkt Grimms, dass das Volkslied die ganze Zeit neben dem Minne- und Meistergesänge bestanden habe, fasst aber den Begriff Volkslied viel weiter als jener, wenn ihm Volksmässigkeit gleichbedeutend mit der all- gemeinen Aufnahme und Verbreitung eines Liedes ist. Er geht aber zu weit, wenn er in der Vorrede, wie in der Ausgabe die drei deutlich von- einander zu scheidenden Gruppen zusammenwirft. Seine Auswahl aus den eben glücklich wiedererlangten pfälzischen Handschriften trifft er ziem- lich sorglos und willkürlich, ordnet die 'recht schönen Volkslieder' in stoffliche Gruppen ohne organischen Zusammenhang an, versieht sie mit zum Teil unpassenden Überschriften, schreibt sie, wie damals üblich, halbschlächtig ins Neuhochdeutsche um und, was schlimmer ist, ändert Wortlaut und Reim, streift den Reiz des Mundartlichen und Frischen ab; ganz zu geschweigen von den zahllosen Missverständnissen und Lese- fehlern. Wie Görres bei den Volksbüchern nur den Stoff und nicht die Form beachtete, so erweist er auch hier kein Gefühl für den Rhythmus und den poetischen Stil.

Von Brentanos und Arnims Bemühuno^en um die Volksdichtung und von Görres' 'Volksbüchern' gingen die wissenschaftlichen An- fänge der Brüder Grimm aus. Doch im Gegensatz zu den Roman- tikern wurden sie früh durch Erziehung und knappe Verhältnisse an eine einfache zurückgezogene Lebensweise und stete pflichtgetreue Arbeit gewöhnt. Auch hatten sie bei ihrem ernsten wissenschaftlichen Gewissen eine ganz andere Auffassung von den winkenden schönen Auf- gaben als die Romantiker, so dass eine gemeinsame Arbeit mit diesen unmöglich wurde. Bei der Vorbereitung der späteren Bände des Wunder- horns hatte Arnim im Reichsanzeiger Ende I8O0 eine Aufforderung an das Publikum veröffentlicht mit dem Ersuchen um Einsendung; von Liedern. Ferner wurde Brentanos gedrucktes Zirkular von 1806 zum Teil aufgenommen in die von ihm und Arnim November 1807 in den verbreitetsten Blättern erlassene Erklärung. Diese Aufrufe sind schon als erster Versuch zu einer Organisierung der Sammelarbeit zu betrachten. Ungefähr 1808 teilte Jakob Grimm mündlich Brentano seinen Plan zu einem 'deutschen Sammler' mit. Im Neujahrsbrief von 1811 schlug Brentano auf Grund seiner eigenen Erfahrungen Grimm vor, mit ihm, Arnim, Görres und anderen eine Aufsammlung von 'Tradition und Volks- sage' zu unternehmen, wofür Deutschland in Kreise mit besonderen Leitern der Sammelarbeit geteilt werden sollte und für die Veröffent- lichung eine Zeitschrift 'Der Altdeutsche Sammler' oder 'ein fortwährendes Buch' zu bestimmen wäre. Mit einer zustimmenden Antwort hatte Grimm

138 Hauffen:

auch gleich die erbetene 'Aufforderung an die gesamten Freunde deutscher Poesie und Geschichte erlassen'. Dieser, im wesentlichen nur die Auf- sammlung von Sagen im weitesten Sinne des Wortes bezweckende Ent- wurf ist nicht nur zu umfänglich, sondern auch zu gründlich, zu wissen- schaftlich wuchtig geraten, als dass er sich zu einer Verbreitung in den weitesten Schichten geeignet hätte. Unwillkürlich wird hier auch die beim Wunderhorn angewendete Methode gerügt, weil die getreueste Wiedergabe der Yolkserzählungen gefordert ist. So war es also für Arnim und Brentano nicht möglich, diesen Aufruf zu unterschreiben. Jakob Grimm hätte sich auch nie zu einer anderen Überzeugung bestimmen lassen und sah bald die Aussichtslosigkeit dieses Unternehmens ein. So blieb die Sache liegen, doch entschloss er sich nun, seiner eigenen Kraft vertrauend, ohne Verbindung mit den Romantikern nur mit seinem, zwar phantasie- vollen, dichterisch begabten, aber der echten Wissenschaft treu ergebenen Bruder Wilhelm zu arbeiten, und verwendete viele Gedanken des aufge- gebenen Planes für ein neues Unternehmen^). Während des Wiener Kongresses stiftete Jakob Grimm eine Gesellschaft, die „alles, was unter dem gemeinen, deutschen Landvolke von Lied und Sage vorhanden ist, retten und sammeln" sollte. Er versendete ein Zirkular, das später ^Märchenbrief zubenannt wurde, und das neben Märchen, Sagen imd Liedern auch Schwanke, Puppenspiele, Bräuche, Rechtsgewohnheiten, Aberglauben und Sprichwörter ins Auge fasst^).

Zwischen 1810 1815 haben die Brüder Grimm ihren festen Stand- punkt gefunden, von dem aus sie in ihren Arbeiten und Plänen folge- richtig und fruchtbar zu systematischen Forschungen und Darstellungen der geistigen Erzeugnisse des deutschen Volksturas vorgehen konnten. Sie haben diesen Weg weiter verfolgt bis zu ihrem Lebensende, mit immer wachsenden Erfolgen und viele Ziele erreicht, die sie sich in ihrer Jugend gesteckt hatten. Freilich der kräftigere und gesündere Jakob war viel leistungsfähiger und ging mit unablässigem Fleiss unbeirrt auf sein Ziel los, während Wilhelm oft durch Nebenbestrebungen, seine Familie und ge- selligen Verkehr von seiner wissenschaftlichen Tätigkeit abgezogen wurde ^).

1) Vgl. R. Steig, oben 12, 129 138, wo auch die erwähnte 'Aufforderung' nach der Handschrift abgedruckt ist.

2) Vgl. J. Bolte, oben 12, 9(5 Anmerkung. Das Zirkular ist abgedruckt in J. Grimms Kleineren Schriften 7,593—595. Über die Volksdichtung hinaus greift eine Anleitung, die Jakob Grimm 1822 seinem Freunde, dem Regierungsrat Werner von Haxthausen in Köln, für eine geplante Aufsammlung westfälischer Überlieferungen vorschlägt. In elf Ab- schnitten wird hier die Aufzeichnung der 'Volksdialekte nach Schmellers Muster', von Rechtsgewohnheiten, Bräuchen, Tracht, Hausrat, 'Eigenheiten bei Viehzucht und Acker- bau', von Volkssagen, Sprichwörtern, Liedern und Tänzen in Aussicht genommen. Ein Plan, der den weitesten Stoffkreis der Volkskunde in sich fasst. (Mitgeteilt von Erich Schmidt oben 12, 96-98.)

3) Hermann Paul, Geschichte der germanischen Philologie S. 61 (55. 68—73. 83—90. 94—96. (In seinem Grundriss der germanischen Philologie* I. Strassburg 1901.)

Geschichte der deutschen Volkskunde. 139

Zunächst hatten sich die Brüder die Aufgabe gesetzt, gegenüber dem Wunderhorn die volkstümlichen Prosadichtungen zu sammeln und herauszugeben. Sie begnügten sich nicht mit den gedruckten, vielfach trüben Quellen, sondern schöpften auch aus dem Volksmund. Nur Echtes, in möglichst unverfälschter Gestalt wollten sie gewinnen. Frühzeitig fassten sie den Plan zu zwei Sammlungen; sie schieden die Erzählungen, die an Ort und Zeit gebunden sind, also die Sagen, von den freien Märchen. Nach ungefähr sechsjähriger Vorarbeit des Sammeins und Sichtens zerstreuten Stoffes, einer vorsichtigen, den ursprünglichen Ton nicht verwischenden Stilisierung erschien der erste Band der 'Kinder- und Hausmärchen' 1812 und bald danach der zweite 1814. Die zweite Aus- gabe (1819 1822) brachte eine erhebliche Vermehrung, besonders der Anmerkungen, die zu einem neuen, dem dritten Bande erweitert wurden. Den ältesten Bestand bilden Erzählungen alter Frauen aus Hessen; das meiste entstammt überhaupt mündlicher Überlieferung. Neben Joh. Hein- rich Jung-Stilling steuerte auch Philipp Otto Runge, der Maler der Romantik und Liederdichter, die zwei plattdeutschen Märchen vom Fischer und seiner Frau und dem Mahandelboom bei>). Wurden die Märchen ein Gemeingut des deutschen Volkes, so haben die reichhaltigen Anmerkungen dazu, welche die Quellen, verwandte Fassungen und Stoffvergleichungen bieten, trotz dem unrichtigen Standpunkt, die Übereinstimmungen auf einen gemeinsamen, mythischen Kern zurückzuführen, die gesamte, spätere Märchenforschung auch über Deutschland hinaus angebahnt^).

In zwei Bänden erschien auch die nächste reichhaltio^e Sammlung der Brüder 'Deutsche Sagen' (1816 und 1818) mit wunderschönen Ein- leitungen, die neben der Würdigung des Gebotenen, auch Auswahl, Ein- teilung und Anordnung rechtfertigen. Der erste Teil enthält die 'mehr örtlich gebundenen', das heisst zum grössten Teil mythische Sagen, die sich an bestimmte Orte festgesetzt haben, und hier nach den mannig- faltigen Erscheinungen der Eiben angeordnet sind. Alle stammen aus dem Volksmund und sind zum grossen Teil von den Brüdern selbst auf- gezeichnet worden. Von älteren Sammlungen verwenden sie besonders die von Prätorius legen aber die Rübezahlsagen für später bei Seite und die wenigen vor ihnen erschienenen landschaftlichen Sagensammlungen, die vom Untersberge (vgl. oben S. 131), die Eisenacher Volkssagen (1795), Otmars Sagen aus dem Harz (1800) und die von Wyss (Bern 1815), die aus umfänglichen Gedichten 'in die nackende Wahrheit eingelöst' werden mussten. Der zweite Teil bringt die fast durchaus Chroniken und älteren Geschichtswerken entnommenen, 'mehr geschichtlich gebundenen' Sagen. Hier werden die Heldensagen, viele Geschlechtersagen und Legenden über- haupt nicht aufgenommen. Die Anordnung in den beiden Bänden ist so

1) Andreas Aubert, Runge und die Eomautik. (Berlin 1909).

2) Eine neue Ausgabe wird von Joh. Bolte im Vereine mit G. Polivka bearbeitet.

140 Hauffen: Geschichte der deutschen Volkskunde.

glücklich, dass sie den Eindruck eines einheitlichen, ungestörten Verlaufes macht. Das Bedeutsame dieser Sammlung von 585 Sagen liegt auch darin, dass hier bereits alle typischen Arten von Yolkssagen vorliegen, so dass die zahllosen späteren allgemein deutschen und landschaftlichen Sagen- sammlungen, die sich auch in Einteilung und Anordnung nach dieser Aus- gabe richten, nur neue Beispiele dazu liefern konnten^).

Im Jahre 1819 erscheint der erste, die Flexionen und einen Teil der Laute behandelnde Band der 'Deutschen Grammatik', die erst 1837 mit dem 4. Band fertig vorliegt^). Hier hat Jakob Grimm den überausreichen Bestand an Lauteu, Formen, Wort- und Satzbikhmg aller germanischen Yölker von den Anfängen bis in seine Zeit auf Grund zahlreicher Quellen gebucht und mit seiner Anschauung vom geschichtlich Gewordenen das erste Beispiel einer wissenschaftlichen, historischen Grammatik gegeben und damit erst die Erkenntnis der geschichtlichen Entwicklung der Sprache eröffnet. Die lebenden Mundarten sind hier nur gelegentlich berücksichtigt, weil Jakob die Fähigkeit abging, die feinen Unterschiede und Färbungen mundartlicher Laute genau zu erfassen. Eine um so wert- vollere Ergänzung fand seine gewaltige Leistung durch die gleichzeitig anhebende Erforschung der lebenden Mundarten, deren erste reife Frucht das vielfach nachgeahmte 'Bayerische Wörterbuch' (1827—1837) von Johann Andreas Schmeller ist, das nicht nur eine Fülle mundartlicher Aus- drücke, sondern auch zur Erläuterung eine Fülle von Redensarten, Sprichwörtern, Bräuchen und anderen Volksüberlieferungen bringt.

Jakob Grimm wandte sich inzwischen anderen Gebieten zu. Schon lange zogen ihn an den deutschen Rechtsbräuchen die sinnlichen, leben- den Erscheinungen besonders an. Hier fand er 'dasselbe stille Walten der Volksphantasie, das Festhalten an alter Überlieferung, wie in Sage und Mythos'. Nach einer Vorarbeit mit dem bezeichnenden Titel 'Von der Poesie im Recht' erschienen 1828 die 'Deutscheu Rechtsaltertümer', wo die bildkräftige Sprache der Formeln mit Stab- und Endreim, sowie die von den Rechtshandlungen unzertrennlichen Sinnbilder besonders eingehend berücksichtigt wurden^).

Sieben Jahre später (1835) erschien wieder ein auf emsigster Arbeit be- ruhendes, grundlegendes Werk von Grimm, die 'Deutsche Mythologie'*).

1) Deutsche Sagen, herausgegeben von den Brüdern Grimm, 4. Auflage besorgt von Reinhold Steig (Berlin 1905). In einem Bande. Beide Vorreden stehen jetzt an der Spitze. Der mehrfach entstellte Wortlaut ist gebessert. Die Quellenangaben am Schluss sind mit den Zusätzen aus dem Handexemplar der Bücher ergänzt.

2) Neuer vermehrter Abdruck des 1. und 2. Bandes durch Wilhelm Scherer (Berlin 1870-1878); des 3. und 4. Bandes durch Gustav Roethe und Edward Schröder (Gütersloh 1890 u. 1898).

3) Vierte Auflage von Andreas Heusler und R. Hübner (Leipzig 1900).

4) Vierte Auflage besorgt von Elard Hugo Meyer (Berlin 1875—1878), wo Grimms handschriftliche Nachträge verwertet sind.

Zachariae: Scheingeburt. 141

Nur schwache Versuche sind vor ihm auf diesem Gebiete ent- standen, so hat er auch dieses Werk wie die Grammatik aus dem Vollen geschaffen. Mit Absicht zog er hier die nordischen Quellen nicht heran, weil er der Frage, ob die beiden Mythologien urgermanisch, also gemeinsamer Besitz seien, nicht vorgreifen wollte. In Deutschland aber lagen ihm nur weit zerstreute Trümmer vor, doch hat er es verstanden, aus schriftlichen Quellen aller Zeiten des deutschen Volkes und aus mündlichen Überlieferungen einen stattlichen Bau aufzurichten. Die Heldensage hat er, was auffällig ist, nur wenig ausgebeutet. Unter der beigebrachten Masse von Belegen ist von der späteren Kritik manches gestrichen worden, was überhaupt nicht mythischen oder doch nicht alt- deutschen Ursprunges ist, sondern späterer Ausbildung oder fremder Be- einflussung entstammt Vorsichtig aber hat sich Grimm im Gegensatz zu seinen Vorgängern und Nachfolgern aller Ausdeutung von Mythen ent- halten. So wie seine Grammatik, hat auch seine Mythologie auf den wissenschaftlichen Betrieb dieser Gebiete nicht nur in der deutschen Nation, sondern bei allen gebildeten Völkern mächtig und nachhaltig ein- gewirkt.

°' (Schluss folgt.)

Scheingeburt.

Von Theodor Zachariae.

Der italienische Reisende Pietro della Valle ist ein klassisch gebildeter Schriftsteller, 'ein in den Historicis und alten Scribenten, die er an vielen Orten anführet, wohl belesener und vieler Sprachen kundiger Mann'. Er wird nicht müde, die Klassiker zu zitieren, namentlich dann, wenn sichs um die Vergleichung orientalischer Sitten und Gebräuche mit denen der Griechen, Römer und anderer Völker handelt. Den Türken ist es nicht erlaubt, mit Schuhen oder Pantoffeln in die Moscheen zu gehen ^), gleichwie man auch in der Dianen Tempel auf Kreta hat tun müssen, nach dem Bericht des Julius Soliuus. Auf den Särgen der ottomanischen Kaiser sieht Della Valle (1,21) ein Kleid und ein Tulband von der Form, wie es der Verstorbene getragen hat, liegen. Beide Gegen- stände werden, wie er hört, alle Jahre erneuert. Dies erinnert ihn an

1) Della Valle 1. 14. Ich zitiere Della Valles Reisebesrhreibung nach der deutscheu Ausgabe vou Widerhold (4 Teile, Genff 1674), mit Vergleichuiiir des unentbebrlichea italienischen Originals in der Ausgabe von Gancia, Brighton ISlo.

242 Zachariae:

das, was nach Thuc. 3, 58, 3 die Bürger von Platää taten. In Konstantinopel wurde Della Yalle von einer römisch-katholischen Familie zu einer Tauf- feierlichkeit eingeladen; er selbst musste bei dem Kinde, einem Mädchen, Gevatter stehen. Die Handlung unterschied sich in nichts von der in Italien üblichen i); nur wurde das Kind, nachdem es in die Kirche ge- tragen worden, zunächst auf eiilen Teppich gelegt, und nachdem der Priester etliche Gebete gesprochen, musste Della Yalle als Pate das Kind von der Erde aufheben: 'Welches vor alters die Yätter selbsten bey ihrer Kinder-Geburt gethan haben ^), hierdurch zu erkennen zu geben, dass sie Yätter darzu wären, und sie für die ihrige erkenneten'. Della Yalle fügt hinzu, dass er das Kind nicht allein von der Erden, sondern auch, ihrer Gewohnheit nach, so hoch in die Höhe heben musste, als seine Arme reichen konnten, gleich als ob dieses ein gutes Yorzeichen wäre, dass das Kind zu seinem vollkommenen Gewächs gelangen würde (1, 43). Bei den Türken gilt die linke Hand als die Oberstelle, als der ehrlichste Platz ^). So hat auch Cyrus, wie Xenophon Cyr. 8, 4, 3 berichtet, die linke Hand für die ehrlichste gehalten. In Kairo lernt Della Yalle (1, 128 vgl. 2, 236) zum ersten Male die Tauben kennen, deren man sich im Orient bedient, um Briefe zu befördern*). Er erinnert an die Tauben, die Decumus Brutus aus dem belagerten Mutina ins Lager der Konsuln schickte (Plinius 10, 37), sowie an die 'fliegenden Boten' Tassos (Gerusa- lemme liberata 18, 52). Im Jahre 1616 beobachtete Della Yalle (1, 176) in Aleppo eine Mondfinsternis. Mit kupfernen Becken, auf die sie schlugen, und auf andere Weise machten die Bewohner der Stadt einen grossen Lärm, um das Tier zu verjagen, das, nach ihrem Glauben, den Mond zu verschlingen drohte^). So machtens auch die Alten mit ihren sistra und anderen Instrumenten von Metall, wie Della Yalle in Cartaris Imagini degli Dei gelesen hat®). Mit einer in Persien geltenden Strafe

1) Doch vgl. Della Valles nachträgliche Bemerkung über die Wachskerze, die bis zum Tode des Täuflings aufbewahrt und ihm mit ins Grab gegeben wird (Reiss-Be- schreibung 1, 45 b).

2) Belegstellen gibt Della Valle nicht, wenigstens nicht in der deutschen Ausgabe. In Gancias Ausgabe 1, 79 wird verwiesen auf Dempster, Antiqu. roman. lib. II. Paralip. ad cap. 19 [Kölner Ausgabe von 1620 S. 391—95]. Siehe sonst A. Dieterich, Mutter Erde 1905 S. 6 ff. und meine Bemerkungen in der Wiener Zs. für die Kunde des Morgen- landes 17, 143 f. Id Bihar wirft die Hebamme das Kind fünfmal in die Luft und fängt es wieder auf. Dies und anderes geschieht, um den bösen Blick abzuwenden (G. A. Grierson, Bihür peasant lifo § 1401. 1402). Vgl. noch Fischarts Gargantua 1891 S. 167: 'Secht, daß ihrs hoch genug auffjiebt, daß es auch hoch wachß! Hebts ihr lieben Paten, wie die frommen Cheiben dieEydgnossen iren lieben Pfetterman König Heinrich!'

3) Della Valle 1, 57. 64. Vgl. Tbevenots Reisen (Franckfurt 1693) 1, 42. Otto Stoll, Das Geschlechtsleben in der Völkerpsychologie S. 279.

4) Vgl., u. a., Thevenots Reisen 2, 56. 91.

5) Ähnlich das Verhalten der Bewohner von Ispahan bei Gelegenheit einer Mond- finsternis (Della Valle 2, 42).

6) Vgl., u. a., Preller, Griechische Mythologie * 1, 134, Römische Mythologie ^ 1, 328; Grimm, Deutsche Mythologie^ 668 ff.

Scheingeburt. ]4;-{

für Notzuchtsverbrechen vergleicht er (2, 231) die Strafe, die nach Diodor

1, 78, 4 bei den Ägyptern bestand (roü ßtaoajuevov yvvaly.a i/Lev&egav irgogha^av ojioyMTneo^ni aiddla). Die Türschwelle wird von den Persern für heilig i) und unverletzlich gehalten (Della Valle 3, 87 vgl.

2, 29); ebenso wie es die Alten im Brauch gehabt, die, nach Varro& Bericht, den Servius in seiner Auslegung über die 8. Ecloga Yirgilii an- führt, die Türschwelle gleichfalls für heilig gehalten und der Göttin Vesta gewidmet haben. Die Perser nennen alles das, was seiner Art und Natur nach stärker und dauerhafter ist, männlich, hingegen aber was weich und zart ist, weiblich (Della Valle 3, 143); dasselbe berichtet Seneca von den Ägyptern (aquam virilem vocant mare, muliebrem omnem aliam etc.; Nat. Quaest. 3, 12, 2 ed. Gercke). In Passa (Fasa) in Persien sah Della Valle (3, 144. 182) einen sehr alten, mächtigen Zypressenbaum, den die Mahometaner mit grosser Andacht verehren^). Diese Baum- verehrung möchte er für einen Rest alten Heidentums erklären; er zitiert die 'cupressus Religione patrum multos servata per annos' des Virgil und bemerkt noch, dass auch die Juden dem Baumkultus gehuldigt haben (1. Könige 14, 23 und sonst; vgl. R. Smith, Religion of the Semites * p. 185if.). Von den Klageweibern bei den Persern handelt er 3, 205. Er vergleicht sie mit den Praeficae der Römer, erinnert daran, dass Klage- weiber bereits in der Heiligen Schrift vorkommen (Jeremias 9, 17), und fügt hinzu, dass Klageweiber noch heute in Kalabrien (nach Ortelius) und, wie er glaubt, auch in Sizilien gebräuchlich sind. Anknüpfend an einen bestimmten Fall von Verhexung verbreitet sich Della Valle 3, 2 18 f. ausführlich über die Gattung von Zauberei, die von den Mahometanern 'mangiare il cuore', Herzessen, genannt wird^). Dieses Herzessen ist, meint er, nichts anderes, als was wir 'bezaubern' (affascinare) nennen, welches durch der Hexen böses und schädliches Anschauen geschieht, dass man bisweilen darüber sterben muss; es ist auch nichts Neues, noch anderswo Unerhörtes; so erzählt Plinius, nach des Isigoui Bericht, dass sich Beschreier (effascinantes) unter den Illyrern und Triballeru finden, die sogar durch den Blick bezaubern und die töten, die sie längere Zeit mit zornigen Augen ansehen. In Indien macht Della Valle 4, 14 die Beobachtung, dass man das Angesicht eines Abgottes 'über und über mit hoch - leibfarb' (di un colore incarnato acceso) angestrichen

1) Vgl. Thevenots Reisen 2, 116. James Morier, A second journev through Persia 1818 p. 254.

2) Fast 200 Jahre später sah und bewunderte William Ouseley denselben Baum (Travels in various countries of the East 1, 374 ff. 2, 90 f.).

3) Grimm, DM. ^ S. 1031. 1034 ff. M. Höfler, Archiv für Anthropologie 33 (1906), 269 ff. Derselbe, Volksmedizinische Organotherapie 1908, S. 230 ff. Auf die Stelle iu Della Yalles Reisebeschreibung hat schon Liebrecht, Heidelberger Jahrbücher 57, 826 hingewiesen.

144 Zachariae:

hat ^). So färbten auch vor alters die Römer, wie Plinius 33, 7 berichtet das Angesicht ihres Jupiter rot mit Minium.

Von nicht geringem Interesse ist eine persische Sitte, die Della Yalle 3, 38. 39 mitteilt und mit einer von Diodor überlieferten Sitte vergleicht; eine Sitte, an die ich eine Reihe von Betrachtungen und Unter- suchungen knüpfen möchte. Alljährlich an dem Tage, an dem Mahomet nach der Lehre der Perser*) seinen Eidam Ali an Kindesstatt annahm und zu seinem Erben und Nachfolger einsetzte, feiern die Perser zum Gedächtnis daran das sogenannte Fest der Brüderschaft (festa della fratellanza), 'an welchem sich nicht allein die Feinde miteinander ver- söhnen; sondern auch viel unter ihnen, zur Nachfolge ihres Gesetzgebers (ad imitazione del loro legislatore), andere an Kinds-Statt annehmen, und mit einem theuren Eyd bekräfftigen, dass sie die Knäblein für ihre Brüder, und die Mägdlein für Schwestern halten wollen, welchen Eyd sie auch die Zeit ihres Lebens unverbrüchlich halten. Weil nun dieses eine sonderbare anmerkliche Sache ist, so kau ich hierbey unaagefügt nicht lassen, dass sie, wann sie jemand an Kindes Statt annehmen wollen, fast eben die Ceremonien brauchen, deren sich, wie Diodorus Siculus schreibt, die Juno bedienet hat, als sie den Hercules zu ihrem Sohn angenommen, welciie dann bey den Barbarischen Völkern noch immer im Gebrauch geblieben seyn. Diese Ceremonien nun bestehen darinnen, dass sie die jenige Person, die sie an Kinds-Statt annehmen wollen, gantz nackend in ihr Hembd stecken, und an ihr Fleisch legen, und alssdann dieselbe wieder heraus ziehen, als

1) Vgl. Ouselpy, Travels 1, 84. 86if mit den Anmerkungen Liebrecht, Zur Volks- kunde S. .395 f. F. V. Duhn, Archiv für Religionswissenschait 9, 19 ff. Beiläufig mache ich auf das aufmerksam, was Della Valle 3, 205 über die rote Beuialung von Gräbern sagt. In der Nähe seines Hauses in Schiras befand sich ein 'Begräbnuss', das, wie auch die Äste zweier Zjpressenbäume daselbst, stets mit roter Färb angestrichen worden.

2) A. Müller, Der Islam im Morgen- und Abendland 2, 13. Eine kurze Erwähnung des Brüderschaftstestes, das auf den 18 Tag des Monats Dsül-hedsche fälli, bei Della Valle 2, 67. (Ob das Fest noch heute gefeiert wird, weiss ich nicht; nach dem, was A. Müller 2, 17 f bemerkt, ist es nicht wahrscheinlich.) Das Fest wird auch von anderen Autoren erwähnt, so von Chardin, Oharius (Pers. Reisebeschreibung 4, 19), Le Bruyn, William Francklin; aber das, was Della Valle darüber mitteilt, finde ich sonst nirgends an<regeben. Nur Adam Olcarius scliildert in seiner Persianischen Reisebe.-^chreibung 5, 14 (Haml)urg 1G96, S. 310, mit dankensw.Tter Ausführlichkeit, wie die Perser jährlich einmal zusammenzukommen pflegen und sich miteinander verbinden, treue Freundschaft und Brüderschaft Zeit ihres Lebens zu halten. Doch Olearius sagt nicht, an welchem Tage des Jahres die Eingehung und 'Einscjinung' der Brüderschaften stattfand. Vgl. noch Jo. de Laet, Persia, seu regni Persici status, Lugd Batav. 1633, p 158. Dass die Schliessung der Brü'lerschaft in Persien an einen bestimmten Tag, an ein bestimmtes Fest gtkiiüpft war, ist bemerkenswert. Man trifft diese Erscheinung auch anderwärts. Vgl. nur Ciszewski, Künstliche Verwandtschaft bei den Südslaven S. 41 fl'.; Krauss. Sitte und Brauch der Südslaven S. (ioOf. So werden auch Gottesurteile an bestimmten Tagen vorgenommen. Oben 18, 384 (Freitag); Post, Grundriss der ethnologischen Juris- prudenz 2, 478.

Scheingeburt. 145

wann sie, wie ihre leibliche Kinder, aus ihrem eigenen Leibe kommen wäre.'

Die von Della Yalle angezogene Diodorstelle lautet: rtjv Texvcooiv yeveo&ai q)aol TOiavrrjv. tijv "Hqqv ävaßäoav em y.?uv)]r xal rov 'HgaxMa 7ioooXaßoij,evtp' tiqo^ to ocojLia did rcov tvövfiUTCOV dq^eTvai Jioög Ti)v yrjv, fUjiiovuh')]v Ttjv dh]div)p' yereoiv. ojieo i^d'/Qi rov vvi' Tioieiv rovg ßagßdoovg oxav &eTÖ)' i'lör Jioielo&at ßovXcovxai^). Diese Adoptionsart wird kaum anders aufgefasst werden können, als wie sie Diodor aufgefasst hat. Es liegt hier offenbar eine juljutjoig xT/g dhy&irijg yeveoEwg, eine imitatio naturae, eine Scheingeburt^), vor, und man wird Frazer durchaus Recht geben müssen, wenn er den von Diodor überlieferten Brauch unter der Rubrik 'imitative magic' aufführt').

Seit der Zeit, wo Della Valle schrieb, sind fast 300 Jahre verflossen. Die Ausleger zu Diodor 4, 39, 2 (namentlich Wesseling), ferner Everardus Otto, Grimm, Liebrecht, Bachofen, Frazer und andere haben sich mit der von Diodor geschilderten, als barbarisch bezeichneten Sitte beschäftigt und eine ganze Anzahl von Parallelen beigebracht. Wir wissen jetzt, dass der Adoptionsritus, den Della Yalle bei den Persern vorfand, in derselben oder in einer ähnlichen Form, im Mittelalter verbreitet war; ja er soll noch heute im Schwange sein. Von den Parallelen, die die genannten Autori- täten und andere zusammengestellt haben, will ich die wichtigsten hier folgen lassen. Im voraus bemerke ich nur, dass wir bei unseren Be- trachtungen ausser den Adoptionsriten auch die beim Abschluss der Bluts- oder Wahlbrüderschaft herrschenden Gebräuche zu berücksichtigen haben. Fallen doch Adoption sowie Brüderschaftsschliessung beide unter den Be- griff der künstlichen Verwandtschaft*).

Zunächst ist der türkische Brauch zu erwähnen, von dem Herbelot in seiner Bibliotheque Orientale u. d. W. Akhrat berichtet: L'adoption qui est frequente parmi eux (les Turcs] se fait en faisant passer celuy qui est adopte par dedans la chemise de celuy qui l'adopte. Cest pourquoy pour dire adopter en Türe, Ton s'exprime en ces termes: Faire passer quelqu'un par sa chemise. Die bosnischen Türken^) 'pflegen in der Regel unmündige Kinder zu adoptieren, und zwar nach orientalischem

1) Bibl. bist. 4, 39, 2. Zu der Stelle vgl. E. Eohde, Psyche ^ 2, 421. A. Dietericb, Eine Mithrasliturgie S. 124. 1:^6.

2) Dieser Ausdruck wird gebraucht von A. H. Post, Grundriss der ethnologischen Jurisprudenz 1, 111.

3) The golden bough - 1, 21. Der von Della Valle bezeugte persische Brauch wird von Frazer nicht erwähnt.

4) J. Kohler, Studien über die künstliclie Verwandtschaft (Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft 5, 415—440). A. H. Post, Grundriss der ethnologischen Jurisprudenz 1. 93-111.

5) F. S. Krauss, Sitte und Brauch der Südslaven 1885 S. 1)00. Stanislaus Ciszewski, Künstliche Verwandtschaft bei den Südslaven (Leipzig 1897) S. 103.

Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1910. Heft 2. 10

146 Zachariae:

Brauche. Die Adoptivmuttei' stopft nämlich das Kind in ihre weiten Hosen hinein und lässt es durch die Hosen auf die Erde nieder, als wenn sie das Kind gebären würde'. Eine ähnliche Adoptionsart soll früher in Serbien geherrscht haben. Man glaubt dies aus einer Stelle in einem serbischen Volksliede schliessen zu können, worin wir von einer Kaiserin lesen, dass sie ein Kind durch ihren seidenen Busen zog, damit das Kind ein Herzenskind genannt werde^). In Bulgarien bestand und besteht noch heute die folgende Adoptionsart ^). Die Adoption wird von einer Frau vollzogen, und zwar in der Weise, dass sie das Kind unter ihrer Kleidung in der Richtung von ihren Füssen her nach der Brust zieht und es in der Brustgegend wieder hervorholt.

Von der Adoption mittels des Durchziehens durchs Hemd u. dgl. haben wir nun eine Reihe von geschichtlichen, mehr oder weniger gut beglaubigten Beispielen. Diese Beispiele sind zusammengestellt worden von Ducange in seiner Dissertation 'Des adoptions d'honneur en fils' (in seiner Ausgabe von Joinvilles Geschichte Ludwigs des Heiligen; abge- druckt auch im 7. Bande von Henschels Ausgabe des Glossarium ad scriptores mediae et infimae latinitatis, Paris 1850) und von Ev. Otto in seiner Jurisprudentia symbolica 1730 p. 276 278. Siehe auch Grimm RA. S. 464; Bachofen, Mutterrecht '"^ S. 254 f.; Liebrecht, Zur Volkskunde S. 432. Ich lasse die wichtigeren Beispiele folgen, indem ich wegen der hier nicht gegebenen Belegstellen auf die genannten Werke verweise. Balduins Adoption durch den griechischen Fürsten von Edessa wird in einer Quelle wie folgt geschildert: (Princeps Edessae) Balduinum sibi filium adoptivum fecit, sicut mos regionis illius et gentis habetur, nudo pectori suo illum astringens, et sub proximo carnis suae indumento semel hunc investiens; in einer anderen Quelle: Intra lineam interulam, quam nos vocamus cami- siam, nudum intrare eum facieus sibi astrinxit. Von der adoptierenden Maria Cantacuzena heisst es: biaoyfovoa ibv Inevbm^v aixcpoi Miyai^X xal ücpsvTio&laßov Ttaq h.dreQa tcov avrfjg äyxaX&v eri^ei. In verschiedenen Handschriften der Crönica general de Espana wird erzählt, wie an dem Tage, wo Mudarra getauft und zum Ritter geschlagen wird, seine Stief- mutter ein sehr weites Hemd über ihre Gewänder angelegt hat, einen Ärmel des Hemdes über ihn wegzieht und ihn durch die Kopföffnuug wieder heraus- kommen lässt; wodurch sie ihn für ihren eigenen Sohn und Erben erklärt^).

1) Ciszewski, Künstliche Verwandtschaft S. 104. Doch vgl. Krauss, Sitte und Brauch der Südslavcn S. 599.

2) Ciszewski, Künstliche Verwandtschaft S. 104.

3) Frazer, Golden boiigh^ 1, 21 n. hebt hervor, dass in den mittelalterlichen Beispielen einer Adoption durch 'Simulation of birth' die Adoption von Männern ausgeführt werde; Liebrecht jedoch habe einen Fall zitiert, wo die Zeremonie von der adoptierenden Mutter vollzogen wurde (nämlich die Adoption Mudarras: Zur Volkskunde 432). Dieser Fall ist aber keineswegs der einzige in seiner Art. Auch ist Liebrecht nicht der erste, der auf Mudarras Adoption liingewiesen hat.

Scheingeburt. X47

In einer anderen Quelle^) wird Mudarras Adoption wie folgt erzählt: (Adoptionis) hie ritiis fuit, rudis quidem sed insignis. Quo die nostra Sacra suscepit, et balteo militari donatus a Garsia Fernando Comite Castellae est, novercae amplissimi indusii manica acceptus, collari etiam indusii capiti inserto, additoque osculo in familiam transiit. Ex eo more vulgare proverbium manavit, Ingressus manica, collari tandem egreditur: de eo qui ad familiaritatem admissus raajora sibi indies sumit"). Mit Bezug auf die Adoption Ramiros wird gesagt^): Adoptionis ins, illorum temporum instituto more, rite sancitum tradunt: qui is ino- leuerat, ut quae adoptaret, per stolae fluentes sinus eum, qui adoptaretur, traduceret*). Unbestimmte Hinweise auf den uns beschäftig-enden Ritus, wie y.axä xbv naQaxolov&rjoavra Jiegl tcov roiomcov ndXai xvnov, sicut mos est terrae, secundum regionis morem lasse ich beiseite').

In den Berichten, die wir durchmustert haben, wenn nicht in allen, so doch in den meisten tritt als das wesentliche des alten Adoptions- ritus hervor: ein Durchziehen (traducere), ein Hindurchgehenlassen des Adoptauden durchs Hemd u. dgl. Es fragt sich jetzt, ob es andere, bei

1) Joh. Marianae Historiae de rebus Hispaniae lib. 8, c. 9. Vgl. Lafuente, Historia general de Espana 3, 16 (1888).

2) Diccionario de la lengua Castellaua por la R. Ac. Espanola* (1817) u. d. W. manga ('Entra por la manga, y sale por el cabezon'). Roniancero general trad. par Damas Hinard (1844) 1, 12-2.

o) Hieronymus Surita, Indices rerum ab Aragoniae regibus gestarum. Diese Autorität wird von Bachofen, Mutterrecht S. 254 fälschlich für Balduins Adoption an- geführt.

4) Quitard, Etudes sur les proverbes Fran<;ais 1860 p. 229 erwähnt Ramiros Adoption und fügt u. a. hinzu, dass adoptierte Kinder mit Vorliebe Rene (Renatus) genannt wurden. Davon ist mir nichts bekannt. Aber der iivoxr]? wird bisweilen als renatus bezeichnet: Rohde, Psyche" 2, 421. Wir haben es hier nur mit den Adoptionsriten zu tun; es sei aber bei dieser Gelegenheit auf die Rolle hingewiesen, die das Bild von Tod und Wiedergeburt bei der Weihe (Pubertätsfeier, Initiation) spielt: Frazer •">, 422 44.'\ Oldenberg, Religion des Veda 468 ff. Dieterich, Mithrasliturgie 157 ff. Preuss, Globus 87, 398. Caland, Archiv f. Religionswissenschaft 11, 128. Von besonderem Interesse ist es, dass bei der Initiation ein Durchkriechen vorkommt; vgl. Frazer 3, 403, n. 4; W. F. Otto im Rhein. Museum für Philologie 64,468.

5) Unter der Überschrift 'Simulation of birth' erwähnt Frazer 1, 21 f. noch folgenden, in Sarawak auf Borneo herrschenden Brauch: The adopting mother, seated in public on a raised and covered seat, allows the adopted person to crawl from behind between her legs, etc. Nahe steht der von Ciszewski S. 105 beschriebene bulgarische Adoptions- ritus (Der Adoptivvater nimmt das zu adoptierende Kind zwischen seine Füsse). Nach Ciszewski S. 109 herrscht in vielen Gegenden Bulgariens die Sitte, dass die junge Frau, ehe sie das Haus ihres Gatten betritt, unter einem Bein oder unter einer Hand des Gatten hindurchgehen muss (Adoptionsbräuche und Hochzeitsbräuche stimmen vielfach über- ein; vgl, z. B. Rieh, Scliröder, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte'" S. 71, A. (i2). So auch in der Hercegovina; wenn die Braut das erste Mal das Haus des Bräutigams be- tritt, muss sie unter seinem aufgehobenen Arm durchschlüpfen, 'damit sie ihn allezeit fürchte' (Wissenschaftliche Mitteilungen aus Bosnien und der Hercegovina 6, (ill). Nach Curtiss, Ursemitische Religion 1903, S. 91 gibt es in einem Dorf in den Drusenbergen aufrecht stehende Steine, zwischen denen ein Brautpaar hindurchgehen muss.

10*

148 Zachariae:

der Adoption sowie bei der Legitimation und beim Abschluss der Bluts- brüderschaft vorkommende Bräuche gibt, die mit dem besprochenen Ritus in Zusammenhang stehen, die aus ihm hervorgegangen sind, oder, wie dieser, als eine imitatio naturae aufgefasst werden können.

Da ist zunächst das Umfangen mit einem Mantel: üblich bei der Adoption, namentlich auch bei der Legitimation (filii mantellati, Mantel- kinder) und bei der Trauung^). Dass auch diesem Eitus eine imitatio naturae zugrunde liege, ist vielfach angenommen worden. Die Kinder, die man unter den Mantel nahm, sollten dadurch als 'quasi prognati' bezeichnet werden (s. Ducange im Glossarium unter pallio cooperire). Indessen ist auch eine andere Auffassung möglich. Der Mantel ist ein Zeichen des Schutzes (Grimm RA. S. 160. 892) sowie auch der Besitznahme. 'Unter den Mantel ward derjenige genommen, den man schützen und in Obhut haben wollte', heisst es im Deutschen Wörterbuch unter Mantel G^ 1608. Es kommt aber auch vor, dass jemand einen Mantel über eine Person wirft, um auszudrücken, dass er von ihr Besitz ergreifen will-). Alles in allem glaube ich nicht, dass das Umfangen mit dem Mantel als ein Rest jenes alten, auf einer imitatio naturae beruhenden Adoptionsritus anzusehen ist. Post dürfte recht haben, wenn er unter den Adoptions- formen die 'Scheingeburt' und das 'Mitumfangen mit Kleid oder Mantel' gesondert aufführt (Grundriss der ethnologischen Jurisprudenz 1, 111).

Dagegen ist wohl die Schoss- oder Kniesetzung hierherzuzieheu (Grimm RA. 160. 433. 465; auch als Verlobungszeremonie vorkommend). Sie erinnert jedenfalls, um Kohlers Worte zu gebrauchen, lebhaft an die Adoption durch Nachahmung des Geburtsaktes ^).

Der Gedanke, dass der Adoptand eine 'Scheingeburt' durchmachen muss, ehe er an Kindesstatt angenommen werden kann, tritt uns augen- scheinlich auch bei einer anderen Art von künstlicher Yerwandtschaft ent- <reo-en: bei der Blutsbrüderschaft. In erster Linie ist hier der alt- nordische Rechtsbrauch des Ganges unter den Rasenstreifen zu er- wähnen^), den Pappenheim als eine Darstellung des zur künstlichen Schaffung von Brüdern dienenden Geburtsaktes erklärt hat (s. namentlich

1) Die Trauung- -wurde als eine Hino^abe der Braut in Adoption aufgefasst; R. Schröder, Lehrbuch der deutschen Rcchtsgeschichte* 1907 S. 71.

2) Ciszewski, Küustliclie Verwandtschaft S. 109 ff. Wellhausen, Archiv für Religions- wissenschaft 7, 40 f.

3) Zs. für vgl. Rechtswissenschaft 7, 222. Erwähnt sei auch die 'adoption par allaitement', über die Cosquin vor kurzem gehandelt hat; vgl. Joli. Bolte oben IS, 454 f. nnd Post, Grundriss der ethnologischen .furisprudenz 1, 93. 98.

4) M Pappenheim, Die altdänischen Schutzgilden 1885 S. 21 ff. und die daselbst Eitierte Literatur Der Rasengang kommt auch in anderen Verwendungen vor, z. B. als Gottesurteil (Grimm RA. 119). Sehr passend vergleichen Felix Dahn, Bausteine 2,14.44 und Pappenheim, Schutzgilden S. 514 das Gehen unter den Rasenstreifen im Dienste des Gottesurteils mit dem 'Hergehn unter dem Stock', dem 'Stockordal', bei Grimn> RA. 932.

Scheingeburt. 14y

Zs. für deutsche Philologie 24, 161). Nur liegt in diesem altnordischen Brauche ein eigentliches Durchziehen oder Durchkriechen allerdings nicht vor: die Männer, die den Blutbund schliessen wollen, treten unter den Rasenstreifen, wecken sich Blut und lassen ihr Blut zusammenfliessen in die Erde und rühren alles zusammen, die Erde und das Blut; danach fallen sie auf die Knie und schwören den Eid, dass jeder den anderen rächen soll, wie seinen Bruder. Aber wenn der 'Rasengaug' als Heil- ritus zur Verwendung kommt, so haben wir ein regelrechtes Durch- kriechen — oder Durchziehen , was auf dasselbe hinausläuft. Der folgende nordische Brauch ist uns von Feilberg beschrieben worden: Ist ein Kind vom bösen Blick getroffen, so schneidet man aus einem neuen Grabe drei Rasenstücke, stellt zwei lotrecht, das eine wagerecht über die beiden lotrechten, so, dass ein Loch gebildet wird. Das kranke Kind wird gewöhnlich nach Sonnenuntergang oder vor Sonnenaufgang nackt, den Kopf voran, mit der Sonne, schweigend, dreimal durch dies Loch gezogen^).

Ferner will ich nicht unterlassen, in diesem Zusammenhang auf einen sehr merkwürdigen südslavischen Brauch hinzuweisen, wo das Kriechen durch eine Öffnung, wie mir scheint, ganz deutlich als eine Vorbedingung oder Einleitung zu der Brüderschaftsschliessung auftritt. Bei den Pilger- fahrten zu dem Kloster des h. Johannes von Rila, einem der ältesten bulgarischen Klöster, wird unter folgenden Umständen Wahlbrüderschaft geschlossen. An jenem Orte befindet sich ein Stein mit einer engen Öffnung, durch die sich die Pilger hindurchdrüoken. Infolge der engen Öffnung des Steines und des ungleichen Leibesumfanges der Pilger wird es vielen oft schwer, sich durch die Öffnung hindurchzudrücken. In diesem Falle reicht die Person, die schon hindurchgekommen ist, einer anderen Person, die es nicht vermag, die Hand zur Hilfe, worauf beide zum Geist- lichen gehen, entsprechende Gebete verrichten lassen und öffentlich ver- kündigen, dass die Wahlbrüderschaft unter ihnen geschlossen sei. Ciszewski"), dem ich die Kenntnis des Brauches verdanke, rechnet diese auf so eigentümliche Weise geschlossene Wahlbrüderschaft zu den künst- lichen Verwandtschaften, die durch Zufall entstehen. Es wird aber gestattet sein, den Vorgang anders aufzufassen. Nicht der Zufall waltet hier, sondern der ursprüngliche, den Pilgern natürlich nicht mehr be- wusste Gedanke, dass sie vor dem Eingehen der Wahlbrüderschaft eine neue Geburt durchzumachen haben. Ich bin jedoch weit entfernt davon.

1) Vgl. oben 11,327. 7,42ff. 'Nackt, den Kopf voran": vgl. dazu Liebrecht, Gervasius von Tilbury 1856 S. 170. Auch das Hindurchschreiten eines Kranken durch zwei Rasenstücke kommt vor: Fr. Krauss, Volksglaube der Südslaven S. 52 (zitiert von Wein- hold, Zur Geschichte des heidnischen Ritus S. 38).

2) Künstliche Verwandtschaft bei den Südslaven S. 5 (vgl. S. ;»). nach einer Mitteilung von Naßov.

250 Zachariae:

meine Beurteilung des bulgarischen Brauches als sicher hinstellen zu wollen.

Wir gehen weiter. Wenn die Annahme richtig ist, dass sich dieAb- schliessung von Bündnissen zwischen Stämmen oder Völkern aus der Brüderschaftsschliessung zwischen zwei Individuen entwickelt hat'): so müssen wir erwarten, in jenem Falle wie in diesem dieselben oder ähn- liche Kiten anzutreffen. Und so finden wir in der Tat beim Eingehen der Brüderschaft sowohl wie beim Abschliessen von Bündnissen zwischen Völkern das Aufritzen der Arme und das gegenseitige Bluttrinken (Hero- dot 1, 74. Grimm RA. 192 ff.). Aber bei der Bundesschliessung tritt uns noch ein anderer, ganz eigentümlicher Ritus entgegen: das Hindurch- schreiten durch zerschnittene Opfertiere. Da bereits Liebrecht, Zur Volkskunde S. 350, an einer Stelle, wo er sich mit der Erklärung des Durchkriechens beschäftigt, auf einige der hier zunächst in Betracht kommenden Fälle hingewiesen hat'^), so glaube auch ich darauf eingehen zu müssen. Die eigentümliche Zeremonie der Bundesschliessung, bei der das Hindurchschreiten eine Rolle spielt, lernen wir aus dem Alten Testa- ment kennen (Genesis 15, 9 ff.;, Jeremias 34, 18 f.). Gewisse Haustiere: eine dreijährige Kuh, eine Ziege und ein Widder von gleichem Alter, eine Turteltaube und eine junge Taube (nach Jeremias: ein Kalb) wurden geschlachtet und mit Ausnahme der Vögel halbiert, worauf man die einzelnen Hälften und die Vögel einander gegenüberlegte. Nun schritten die, die Verpflichtungen auf sich genommen hatten, hindurch und sprachen dabei den grässlichen Fluch, dass es ihnen für den Fall einer Bundesver- letzung so ergehen möge wie diesen Tieren^). Nach Ephraem wäre dieses Hindurchschreiten durch Opfertiere eine chaldäische Sitte gewesen: Chaldaeis istud solemne fuit, ut lampadem manu gestautes, inter dissecta hostiarum corpora et certo utriuque ordine disposita transeuntes, faetas pactiones sancirent. Ob auf dieses Zeugnis viel zu geben ist, weiss ich nicht. Wiederholt wird Ephraems Behauptung von Cyrillus (Gegen Julian, Buch 10; Migne, Patrologia Graeca 76, 1054). Cyrillus fügt hinzu, dass noch heute bei den Barbaren Eidschwüre in ähnlicher Weise bekräftigt werden; ja auch bei den Alten komme das vor: er verweist auf das Feuerdurchschreiten bei Sophokles*). Im übrigen lassen sich als

1) E. Kraetzschmar, Die Bundesvorstellung im Alton Testament, Marburg 189(i, S. 20. 41. W. R. Smith, Die Religion der Semiten, deutsch von R. Stube 1899, S. 245.

2) Danach auch Gaidoz, Un vieux rite medical S. GS ff. Die Stellen, wo das Hin- durchschreiten durch Opfertiere u.dgl. erwähnt wird, sind schon in älterer Zeit zusammen- gestellt und besprochen worden, z. B. von Hugo Grotius zu Matth. 2G, 28 (Opera theologica 17:52 vol. 2 p. 252) und von Samuel Bochart, Hierozoicon lib. 2 c. iio. 5G (= od. Rosen- müller 1, p. 332. 333. 798).

3) Nach Kraetzschmar, ßundesvorstellung S. 43 f. Auch den Hinweis auf Ephraem den Syrer verdanke ich diesem Buche.

1) Anligone 2G5: die zum Beweise dafür, dass auch bei den Griechen Gottesurteile

Scheingeburt. 151

Parallelen zu dem altjüdischen 'ritus foederalis' (um Bocharts Ausdruck zu gebrauchen) eigentlich nur drei Fälle anführen. Sie finden sich sämt- lich in der Ephemeris des Diktys von Kreta. Die Fürsten Griechenlands verpflichteten sich mit einem heiligen Eide, dass sie nicht eher vom Kriege ablassen würden, als bis sie Ilium zerstört hätten. Vorher Hess der Seher Kalchas ein männliches Schwein herbeibringen, zerteilte es und legte die beiden Hälften nach Osten und Westen zu auseinander: sodann Hess er die Fürsten einzeln, mit nackten Schwertern, mitten hindurchschreiten (1, 15). Etwas weiter ab stehen die Stellen 2, 49 und 5, 10. An der ersten Stelle wird erzählt, wie Agamemnon zur Bekräftigung der Ver- sprechungen, die er dem Achilles machte, ein Opfertier zerteilte, die Teile auseinanderlegte, sein Schwert mit dem Blute des Tieres bestrich und durch die Teile hindurchging. Nach 5, 10 schwuren Diomedes und Ulixes, dass sie halten würden, was sie mit Antenor ausgemacht hatten; wobei sie Jupiter, die Mutter Erde, die Sonne, den Mond und den Oceanus als Zeugen anriefen. Hierauf gingen sie durch Opfertiere hindurch, die in zwei Teile zerlegt wurden, 'ita ut pars ad Solem, residuum ad naves expectaret'.

Wie ist nun dieses Hindurchgehen durch zerteilte Opfertiere zu er- klären? Ganz allgemein, in älterer wie in neuerer Zeit, fässt man die Handlung als eine Art von Selbstverwünschung auf: die Paziszenten fordern, dass sie für den Fall der Eidbrüchigkeit in ähnlicher Weise in Stücke gehauen werden sollen, wie die Opfertiere ^). Damit ist aber, wie

bestanden, oft angeführte Stelle (Grimm RA. 933. R. Hirzel, Der Eid 1902 S. 199). Das Feuerdurchschreiten kann jedoch mit dem Schreiten durch geschlachtete Opfertiere keines- wegs auf dieselbe Stufe gestellt werden: bei jenem ist eine Verletzung oder Verbrennung der hindurchschreitenden Person möglich, bei diesem ist jede Gefahr ausgeschlossen. Das Feuerdurchschreiten erscheint übrigens oft als Reinigungszeremonie. Ein hierher ge- höriger Fall wird uns am Schluss dieser Abhandlung begegnen. Auch das Überschreiten des Feuers kommt vor; vgl. z. B. Festus 3, 1 Müller: Funus pfosecuti redeuntes ignem supergradiebantur aqua aspersi; quod purgationis genus vocabant suffitionem.

1) Vgl. 1. Samuelis 11, 7. Selbstverwünschungen bei feierlichen Eiden häufig in Griechenland und Rom: Kraetzschmar, Bundesvorstellung S. 44. Siehe sonst Post, Grund- riss 2, 485ff., wo viel Material zu finden ist. Ich will noch zwei weniger bekannte Fälle anführen, die schon deshalb unser Interesse erregen, weil die darin geschilderten Vorgänge eine gewisse Ähnlichkeit mit dem jüdischen Bundesritus besitzen. Joinville erzählt in seiner Geschichte Ludwigs des Heiligen, wie bei denKomauen Blutsbündnisse geschlossen wurden. Die Komanen Hessen, wie auch anderwärts üblich. Blut aus den Adern rinnen, vermischten das Blut mit Wein und tranken es gegenseitig aus (s. Grimm R.\. 194). Ausserdem gab es bei ihnen noch einen besonderen Ritus: 'Encore firent passer un chien entre nos gens et la lour, et descoperent le chien de lour espees, et nostre gent aussi : et distrent que ainsi fussent-il decopei se il falloient li uns a FaUtre' (Joinville ed. N. de Wailly 1874, p. 272, § 496). In seinem Aufsatz über die Blut- und Speichelbünde bei den Wadschagga teilt der Missionar J. Raum (Archiv f. Religionswissenschaft 10, 289) eine Form der Bundesschliessung mit, der ein hohes Alter zugeschrieben wird. Sie besteht darin, dass ein Knabe und ein Mädchen, nachdem die Paktierenden damit drei- oder siebenmal eingekreist und die Beschwörungsformeln gesprochen worden sind, in der

152 Zachariae:

Kobertsoü Smith mit Recht betont hat, der charakteristische Zug in der (jüdischen) Zeremonie, das Hindurchschreiten zwischen den Stücken, nicht erklärt. Derselbe Gelehrte hat auch versucht, eine Erklärung für dieses Hindurchschreiten zu geben. Er schreibt^): We see from Ex. 24, 8, 'this is the blood of the covenant which Jehovah hath cut with you', that the dividing of the sacrifice and the application of the blood to both parties go together. The sacrifice presumably was divided into two parts (as in Ex. 1. c. the blood is divided into two parts), when both parties joined in eating it; and when it ceased to be eaten, the parties stood between thepieces, as a symbol that they were taken within the mystical life of the victim. This Interpretation is confirmed by the usage of Western nations, who practised the same rite with dogs and other extraordinary victims, as an atoning or purificatory ceremony.

Ob Smith mit seiner Erklärung das richtige getroffen hat, muss ich dahingestellt sein lassen. Jedenfalls hat er das grosse Verdienst, darauf hingewiesen zu haben, dass nicht nur das Töten der Opfertiere, sondern auch das Hindurchschreiten durch die Stücke dringend einer Er- klärung bedarf. Um nun, wenn möglich, zu einem sicheren Urteil über den merkwürdigen Vorgang zu gelangen, müssen wir noch die Fälle von Hindurchschreiten betrachten, in denen es sich, nach Smith, um eine Sühn- oder Reinigungszeremonie (lustratio, xd&agoig) handelt. S. Bochart (auf den Smith verweist) und andere haben die folgenden Fälle aus griechischen und römischen Klassikern angeführt:

Im Monat Xandikos pflegten die Makedonier eine Musterung und Reinio-un^ des Volkes in Waffen vorzunehmen. Die Reinigung geschah in der Weise, dass ein Hund mitten durchgeschnitten und zwischen den blutigen Hälften die ganze waffentragende Mannschaft in fester Ordnung hin- durchgeführt wurde ^).

Herodot 7, 38 - 40 berichtet, wie Pythios der Lyder den Xerxes bat, er möchte einen von seinen fünf Söhnen, den ältesten, vom Kriegsdienst befreien. Denn alle fünf sollten mitziehen in den Krieg gegen Hellas. Da schonte Xerxes zwar den Vater und die vier jüngsten Söhne; den ältesten aber liess er heraussuchen und mitten durchhauen, und die beiden Hälften liess er, die eine zur Rechten, die andere zur Linken des Weges

Mitte entzwei geschnitten und an der Grenze, die die beiden Länder trennt, einge- graben werden, worauf dann die Paziszenten, über das Grab hinwegschreitend, ihren Heimweg antreten. Nach einer Angabe soll es auch geschehen sein, dass beide Kinder lebendig begraben wurden. Wie die Kinder entzwei geschnitten wurden, so auch das Dasein des Bundbrüchigen, er soll sterben wie sie ohne Nach- kommenschaft. (Zum Hinwegschreiten über das Grab vgl. Post. Grundriss der ethnologischen Jurisprudenz 2, 480.)

1) W. R. Smith, Lectures on the religion of the Scmites 1894 p. 4SI; in Stübes deutscher t'bersetzung 1S99 S. "242 f.

2) Usener, Archiv für Religionswissenschaft 7, 3(11: nach Livius und Curtius.

Scheingeburt, 153

hinlegen. Darauf musste das ganze Heer mitten hindurchgehen. Seneca, der dieselbe Geschichte kürzer und etwas abweichend erzählt (De ira 3, 16, 4 Haase), bemerkt: Hac victima [Xerxes] lustravit exercitum und fügt hinzu: Habuit itaque quem debuit exitum; victus et late lougeque fusus ac stratam ubique ruinam suam cernens medius inter suorum cada- vera incessit^).

Hierher gehört wohl auch Apollodor 8, 13, 7. Peleus eroberte Jolkos, tötete die Astydameia, die Gattin des Akastos (die ihn beim Akastos ver- leumdet hatte), zerteilte die Glieder und führte sein Heer hindurch in die Stadt.

Liebrecht, Zur Volkskunde S. 350 verweist noch auf Plutarch Quaest. Rom. 111, wonach die Böoter zum Zweck der Reinigung zwischen den Teilen eines entzweigeschnittenen Hundes hindurchgingen, und auf Diodor 1, G5, wo dem ägyptischen König Bokchoris^) in einem Traume verkündet wird, er könne nur dann glücklich und lange über Ägypten regieren, wenn er alle Priester mitten entzwei schnitte und mit seinem Gefolge zwischen den Teilen hindurchginge.

Und wie will nun Liebrecht diese und ähnliche Fälle, bei denen sichs doch augenscheinlich um Sühn- oder Reinigungszeremonien handelt, erklären? Er stellt die Fälle auf eine Stufe mit dem wohlbekannten Durchziehen oder Durchkriechen, das gewöhnlich als Heilritus, aber auch in anderen Verwendungen vorkommt, und das er als eine symbolische Wiedergeburt auffasst. In einer bemerkenswerten Auslassung (Heidel- berger Jahrbücher der Literatur 1869, 812 = Zur Volkskunde S. 34?, Nr. 15), die ich hier, wenigstens auszugsweise, wiedergeben muss, geht er aus von dem Aberglauben bei Wuttke § 695, wonach man eine Kuh, die vom Bullen kommt, durch einen entzweigeteilten Wagen hindurchführt, damit sie tragend werde. Liebrecht sieht in dieser Zweiteilung des Wagens eine symbolische Handlung, die aber wie alle dergleichen aber- gläubische Mittel zugleich auch sympathetisch^) wirken soll. Hier wird symbolisch eine Geburt angedeutet; sowie nämlich die Kuh durch den entzweigeteilten Wagen durchgeht, so soll das gewünschte Kalb durch das sich teilende Geburtsglied zur Welt kommen. Wenn nach dem Aber- glauben bei Grimm DM.\ Anhang Nr. 929 ein der Schwangerschaft ver-

1) Wie Xerxes den Sohn des Pythes (Pjthios) schlachtete und zerschnitt und dem Heer befahl, durch die Teile hindurchzugelieu, erzählt Bochart, Hierozoicon 1, 33;'> uach Plutarchs Schrift über die Tugenden der Frauen und bemerkt dazu: ut [Xerxes] tarn atroci supplicio militiae desertores terreret. Itaque idem fuit ritus, qui Judaeorum, sed finis plane diversus.

2) So! Ein seltsamer Irrtum Liebrechts. Gemeint ist Sabakou ^Sabakos) der Athioper, der längere Zeit über Ägypten herrschte. Vgl. Herodot 2, 139, wo ebenfalls von dem Traume des Sabakos die Rede ist; nur wird bei Herodot nichts gesagt von einem Hindurchschreiten durch die zerschnittenen Priester.

3) Vgl. Gaidoz, Uu vieux rite medical p. 79. Hoops, Globus ()3, 199 b.

154 Zachariae:

dächtiges Mädcheu genötigt wird, zwischen einem entzweigeteilten Wagen hindurchzugehen, so soll sie, meint Liebrecht, auf diese Weise gezwungen werden, eine richtige Gehurt abzuhalten. Schwieriger ist die Erklärung des Aberglaubens bei Burkhard von Worms (Grimm DM.* 1097), wonach ein Wagen entzweigeteilt und eine Leiche zwischendurch getragen wird^). Liebrecht vermutet: wie man von Krankheiten durch eine symbolische Wiedergeburt geheilt wurde, so hatte man dies auch auf eine Wieder- geburt durch den Tod im christlichen Sinne übertragen, was aber die Kirche als abergläubisch verwarf. Liebrecht verweist dann auf den bereits erwähnten böotischen Brauch (Reinigung vermittels des Durchgehens durch entzweigeschnittene Hunde); 'auch hier ist vielleicht eine reinigende Wiedergeburt angedeutet und zwar vermittels eines zugleich dar- gebrachten Opfers'. Liebrecht verweist ferner auf das, was Diodor 1, 65 von Bokchoris (vielmehr Sabakon!) erzählt, und endlich auf Jeremias ;U, 18, mit anderen Worten, er zieht auch den oben ausführlich ge- schilderten altjüdischen Ritus der Bundesschliessung herbei. Soweit Liebrecht.

Sollen wir Liebrecht Glauben schenken? Wenn wir uns ihm an- schliessen, so werden wir alle die Zeremonien, die wir bei der Eingehung von Brüderschaften oder Bündnissen angetroffen haben, auf eine Linie stellen müssen: den Rasengang, das Kriechen durch hohle Steine, das Hindurchschreiten durch zerschnittene Opfertiere. Es könnte diesen Handlungen der Gedanke zugrunde liegen, dass vor dem Eingehen von Brüderschaften oder Bündnissen eine 'Reinigung" stattfinden müsse. Und diese Reinigung käme ebenso oder ähnlich zustande, wie die Heilung von Krankheiten mittels des Durchkriechens durch hohle Steine, ge- spaltene Bäume u. dgl. zustande kommt.

Ich vermag nicht über Liebrecht hinauszugehen und au die Stelle der von ihm gegebenen Erklärung eine bessere zu setzen. Wohl aber möchte ich die sich mir darbietende Gelegenheit benutzen, um mich über die verschiedenen Erklärungen zu verbreiten, die das Durchziehen oder Durchkriechen zu Heilzwecken (die 'Kriechkur') bisher erfahren hat. Und zwar geschieht dies in dem Bestreben, die von Liebrecht aufgestellte Wiedergeburtstheorie zu stützen und einiges zur Klärung der ganzen Frage beizutragen ■•^).

Liebrecht hat sich, zuerst^), soweit ich sehe, in seinen Bemerkungen

1) Auch Gaidoz (p. 62) hält die Erklärung dieses Brauches für schwierig.

2) Zur Literatur über die Frage vgl. z. B. die Zusammenstellungen von BdUc (aus Weinholds Notizen) oben 12, 110'. Leider ist mir nicht alles, was dort angeführt wird, zugänglich. Übrigens ist die einschlägige Literatur jetzt schon so angeschwollen, dass sie sich kaum mehr übersehen lässt. [Sebillot, Folklore de France 3, 417. 4, 56. 157.]

3) Siehe sonst auch Liebrecht, Zur Volkskunde S. 349f. 397 f.; Germania Kl. 226: Zeitschrift für roinan. Philologie 5, 419; u. s. f.

Scheingeburt. ]55

zu CTrimms Deutscher Mythologie (s. Gervasius von Tilbiiry 1856 S. 170) dahin ausgesprochen, dass ihm die ursprüngliche Bedeutung des Durch- kriechens in einer symbolischen Wiedergeburt des Kranken zu be- stehen scheine, wodurch der Kranke gleichsam aufs neue durch eine den weiblichen Geburtsteilen ähnliche Öffnung in die Welt eintrete und seine frühere Krankheit hinter sich zurücklasse. Zur Begründung seiner Ansicht weist Liebrecht auf zwei merkwürdige Bräuche hin: zunächst auf einen indischen Brauch, wonach sich einer, der eine symbolische Wieder- geburt sucht, in eine goldene Kuh einschliesseu und durch die Geburts- teile derselben herausziehen lässt. Das ist die 'Wiedergeburt durch die Kuh", von der weiter unten ausführlich gehandelt werden soll. Sodann verweist Liebrecht (Zur Volkskunde S. 397) auf einen von Plutarch überlieferten griechischen Brauch: Ein Totgesagter, für den die Bestattungsriteu in absentia vollzogen worden waren, galt, wenn er wider Erwarten zurück- kehrte^), solange für unrein, bis er eine symbolische Wiedergeburt durchgemacht hatte; er musste durch den Schoss eines W^eibes gehen, er niusste sich waschen, in Windeln wickeln und säugen lassen. Eine nahe verwandte Zeremonie, die im alten Indien aus derselben Veranlassung wie in Griechenland vorgenommen wurde, ist später von Caland ans Licht gezogen worden^). Es ist nun auffällig, dass Liebrecht den von Della Valle und andern überlieferten, von mir ausführlich besprochenen Adoptionsritus nicht zur Unterstützung seiner Wiedergeburtstheorie verwertet hat; um so auffälliger, als er diesen Ritus, das Hindurchziehen durchs Hemd, sehr wohl kennt und ziemlich ausführlich behandelt (Zur Volkskunde S. 432. 514), Meines Erachtens ist der Ritus sehr gut geeignet, zugunsten von Liebrechts Theorie ins Treffen geführt zu werden. Denn das Hindurchziehen durchs Hemd findet sich nicht nur bei der Adoption: es gilt auch als Heilritus. Ich zitiere den französischen Aberglauben bei Liebrecht zu Gervasius S. 240 IS^r. 256: 'Faire passer un enfant malade du mal appelle de S. Gilles, dans la chemise de son pere, et porter ensuite cette chemise sur un autel de S. Gilles, afin que l'enfant guerisse'. Und in Schweden^), 'pour guerir un enfant rachitique on con- seille de dechirer une bände de la chemise du pere, de neuer cette bände de trois uoeuds et d'y faire passer Tenfant'. Was liegt nun näher, als das Durchziehen durchs Hemd, wenn es als Heilritus auftritt, ebenso aufzufassen, wie bei der Adoption? Wird das Durchziehen hier, bei der Adoption, mit Recht als eine Nachahmung des Geburtsaktes, als

1) Ein solcher hiess voTeoöjroTito; oder (^fiTfoo.Tor/toc. Letzteres Wort wird unter anderem erklärt mit 6 öevteqov öiu yvraty.elov xöXnov diaövg. (ög fOo.; i'jf .-laoä ' Adijvaioi^ '^y. devTsoov yevväadai (Hesychios). Vgl. dazu Rohde, Psyche - 2, 421. A. Dieterich. Eine Mithrasliturgie S. 160.

2) W. Caland, Von der Wiedergeburt Totgesagter; Der Urquell, N. F. 2, 193 i^lSOS . Frazer, Golden bough - 1, 22.

.]) Nyrop bei Gaidoz, Un vieux rite medical p. Go. Vgl. auch .Alelusine 8, 177 f.

J56 Zachariae:

eine iuiui]oig r)~jg äh]ßivrjg yevsoecog, erklärt, so wird auch Liebrechts Er- klärung der Durchzieh- oder Kriechkur zu Recht bestehen. Die Kriechkur ist ein symbolischer Akt der Wiedergeburt zur Gesundheit.

Liebrechts Wiedergeburtstheorie hat Anerkennung und Beistimmung*), aber auch Widerspruch gefunden. So stimmt Kristoffer Nyrop ^) im wesent- lichen mit Liebrecht überein. Insonderheit aber hat sich K. Weinhold für Liebrechts Theorie ausgesprochen, s. oben 2, 50. 3, 233 und die Ab- handlung Zur Geschichte des heidnischen Ritus 1896 S. 37, wo Weinhold schreibt: 'Das Durchkriechen durch ein Loch oder eine Öffnung in der Erde, in Felsen oder Bäumen, oder durch eine künstlich gebildete Höhlung ist eine rituale Handlung, die wohl nicht das Abstreifen der Krankheit und die Übertragung auf den Stein oder den Baum usw. be- zweckt, wie manche angenommen haben, sondern welche die symbolische Wiedergeburt als gesunder Mensch bedeutet'. In ähnlichem Sinne hat sich auch B. Kahle geäussert; s. oben 16, 318 und vgl. A. von Doma- szewski, Abhandlungen zur römischen Religion 1909 S. 222 und 233.

Andere dagegen verwerfen Liebrechts Erklärung; sie gestehen im beäten Falle zu, dass der Glaube an eine Wiedergeburt mittels des Durehkriechens beim Zustandekommen dieses abergläubischen Brauches mitgewirkt haben könne; keineswegs aber dürfe dieser Glaube als Aus- gangspunkt des Brauches angesehen werden. Als Hauptgegner Liebrechts darf man wohl Gaidoz und Frazer bezeichnen. Henri Gaidoz hat in einer kleinen, aber gehaltvollen Schrift (Un vieux rite medical, Paris 1892) das Durchkriechen ausführlich behandelt^). Im 6. und letzten Kapitel der Schrift (Explication et theories) erklärt sich Gaidoz für die wohl zuerst von J. Grimm*) vorgetragene Auffassung des Durchkriechens als Über- tragung (trausplantation) der Krankheit auf einen Baum, einen Stein oder dergleichen. Hinzugesellt hat sich die Idee des Abstreifens der Krank- heit an einem Baum oder Felsen. Gaidoz denkt an die Reptilien, die sich an einem Baum oder Felsen reiben, um ihre alte Haut abzustreifen. Auch Sympathiezauber soll noch im Spiele sein (S. 79f.; vgl. Grimm DM. ^ 1118); endlich auch 'transfusion", d.h. die Überleitung der Kraft z. B. eines jungen uud kräftigen Baumes auf den durchkriechenden Kranken

1) Vgl. Liebrecht in deu Heidelberger Jahrbüchern der liiteratur 1869, 803.

2) Dania 1, 1-31. Mir nicht zugänglich; doch siehe diese Zeitschrift 2, 50. 7, 43. H;, 318. Zeitschrift für deutsche Philologie 24, 157.

3) Die Schrift ist für jeden, der sich mit dem merkwürdigen Heilbrauch des Durch- kriechens beschäftigt, unentbehrlich, wie Weinhold oben 3, 233 mit Recht bemerkt hat. Leider kann ich die seltene Schrift jetzt nur in den Auszügen benutzen, die ich mir vor einiger Zeit habe machen können, tibrigens sind die Nachträge nicht zu übersehen, die Gaidoz im 8. und 9. Bande der Melusine zu seiner Schrift gegeben hat.

4j Deutsche Mythologie* S. 1119. 1122. Übrigens meint auch Liebrecht, dass man beim Dui-chkriechen, als sich die ursprüngliche Idee (die Idee von der Wiedergeburt) verdunkelte, vermutlich bloss an ein Übertragen der Krankheit auf einen Baum u. dgl. dachte; Gervasius S. 171.

Scheingebuxt. 157

(vgl. Melusine 1», 6). Die Wiedergeburtstheorie will Gaidoz nicht ganz ausgeschlossen wissen (noas ne voulons pas exclure entierement la theorie de la renaissance); nur dürfe man diese Theorie bei der Erklärung des Ritus nicht zum Ausgangspunkt nehmen.

Auf die Aufstellungen von Gaidoz werde ich weiter unten gelegentlich zurückkommen müssen. Hier will ich nur darauf aufmerksam machen, wie schwierig sich für ihn die Erklärung des Ganges unter den Rasen- streifen gestaltet (S. 82 f.). Selbst in diesem Falle will er die Wieder- geburtstheorie nicht gelten lassen. In der Melusine 9, 6 ff. allerdings, wo er noch einmal auf Liebrechts Theorie zu sprechen kommt, erklärt er, dass sich die Idee von der Wiedergeburt mit den Primär- Ideen (trans- plantatio morbi usw.) vermischt habe, ja dass sie bisweilen vorherrschend >ei, so z. B. in den Fällen, wo der Mensch unter den Rasen kriecht.

Für Frazer (The golden bough ", London 1900) ist Liebrechts Wiedergeburtstheorie, wie es scheint, gänzlich abgetan. Er erwähnt sie, soweit ich sehe, mit keinem Worte: weder in dem kurzen Abschnitt über Scheingeburt (Simulation of birth) 1, 19—22, noch in dem grösseren Abschnitt 'Fassing through apertures to shake off ailments' .3, 394 406. Im ganzen und grossen stimmt Frazer in seiner Auffassung des Durch- kriechens mit Gaidoz überein, wie er selbst bekennt (3, 396, X. 2). Er sieht in der Kriechkur ein Abstreifen der Krankheit: 'Apparently the disease is conceived as something physical, which forms part of the patient and yet can be stripped off him and left behiud in the narrow aperture through which he has forced his way". Zur Bestätigung seiner Ansicht verweist Frazer auf eine Reihe von Begräbniszeremonien ^), Zeremonien von der Art, wie die oben 17, 470 (nach Caland) geschilderte indische Reinigungszeremonie ^). Wie Gaidoz, so glaubt auch Frazer,

1) Siehe auch Andree, Ethnographische Parallelen und Vergleiche 1878, S. 32. Einer älteren Beschreibung der Begräbniszeremonien im Königreich Guinea entnehme ich folgende Stelle: Cum ad locum sepulturae ventum est, Libitinarii humum aperiunt, foueani facientes i pedes profundam, haue deinde imposito cadauere multis palis operiunt, ita vt nihil penetrare ad lunus possit, postmodo mulieres hac illac per sepulchrum serpeudo, multas querelas lamitantes nectunt, et vltimum defuncto suo vale dicunt. Vgl. die India Orientalis der Gebrüder De Brj^ Teil (j, Frankfurt 1601, S 93 f. (= All- gemeine Historie der Reisen 4, 166). In dem diesem Teile beigegebenen Tafelband findet sich eine Abbildung (Nr. 18), wo dargestellt ist, 'quomodo mulieres hinc inde per sepul- chrum serpant, cum defunctus in id iam collocatus, et terra aliquo modo opertus est'.

2) Oben 17, 470 ist auch angegeben worden, wie sich Caland den indischen Brauch zurechtlegt. Wenn die vom Verbrennungsplatz nach Hause zurückkehrenden Verwandten des Toten unter einem 'Joch' von zusammengebundenen Ästen liindurchgehen, wobei der letzte, der hindurciigeht, die Äste auseinanderwirft, so soll das bedeuten: die Verwandten verbarrikadieren dem Geiste des Verstorbenen, der ihnen folgen möchte, den Weg. Wie Frazer, auf den die Erklärung zurückgeht (.Golden bough:'), 399 ff), diese und andere •Reinigungszeremonien', insbesondere die, die nach der Bestattung eines Toten vor- genommen werden, aufgefasst sehen will, setzt er im Journal of the Anthropological Institute 15, 80 kurz auseinander. 'In general, I think we may lay down the rule that

J58 Zachariae:

•dass der Gedanke an die Möglichkeit einer Überleitung z. B. der Kraft ■eines starken Tieres auf den durchkriechenden Kranken eine Rolle beim Durchkriechen gespielt habe (Golden bough 3, 405).

Zu den Bekänipfern der Wiedergeburtstheorie hat sich neuerdings auch gesellt Reinhard Hofschläger in seinem Aufsatz^) Über den Ursprung der Heilmethoden S. 209—215. 'Der Brauch des Hindurch- kriechens', sagt dieser Autor, 'ursprünglich eine primitive Heilform mit dem realen Zweck des Abstreifens^) lästiger Parasiten, wurde erst auf der Kulturstufe des Seelenglaubens mit dem Kultus in Beziehung gebracht. Da aber die Ursprungsbedeutung mit fortschreitender Kultur im Gedächtnis der Völker vollkommen verloren ging, erhielt die Heil- methode die symbolische Bedeutung einer mit Hilfe des Baumgeistes sich vollziehenden 'Wiedergeburt' oder eines symbolischen 'Abstreifens der Krankheit'. Mit diesen Worten gibt Hofschläger zu, dass die Idee der Wiedergeburt wenigstens für die spätere Zeit anzunehmen sei. Er selbst bemerkt S. 213, dass diese Idee in der Tradition des norddeutschen Volkes im Vordergrund stehe. Mecklenburger Weiber lassen abends kränkliche Kinder zwischen ihren Beinen hindurchkriechen. Auch beim Durchkriechen durch Wunderbäume wird die Heilkraft dem symbolischen Akte der Wiedergeburt beigemessen. Wie K. Bartsch^) betont, ist es in Mecklenburg notwendig, dass der Zwieselbaum an seinem Wieder- vereinigungspunkte eine mit den weiblichen Geschlechtsteilen überein- stimmende Gestaltung besitzt. Ein Baum zu Lützow, zu dem noch im 19. Jahrhundert gewallfahrtet wurde, hat eine wulstförmige, einem Bauch mit Hüfte und Nabel ähnliche Bildung; die ganze Baumpartie gleicht dem Unterteil eines die Beine spreizenden Weibes.

Blicken wir jetzt zurück auf die Äusserungen der genannten Gelehrten über das Durchkriechen, so ergibt sich, dass vielfach verschiedene Aus- gangspunkte zugleich für diesen Heilbrauch angenommen werden. Es

wherever we find a so-called purification by lire or water Irom pollution contracted by contact with the dead, we inay assume with much probability that the original inteution was to place a physical barrier of fire or water between the living and the dead, aud that the o.onceptions of pollution and purification are merely the fictions of a later age, invented to explain the purpose of a ceremony of wliich the original Intention was for- gütten. The discussiou of the wider question, whether all forms of so-called puri- fication may not admit of an analogous explanation, niust be reserved for another occasion'. Vgl. The golden bough 3, 57 ff.

1) In der Festschrift zur Feier des 50jährigen Bestehens des Naturwissenschaftlichen Vereins zu Krefeld (Krefeld 1908) S. 135-'2LS.

2) Das Hindurchkriechen ist ein elementarer Völkerbrancli, der seine Wurzel in dem tierischen Triebe hat, durch mechanisches Scheuern an rauhen Flächen sich des Unlust- gefühles eines Hautreizes zu entledigen (Hofschläger S. 21b). Das ist also etwa das 'frottement', von dem Gaidoz spricht (s. diese Zeitschrift ."., 2:V.\).

o) Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklcnburg 1, 418 (Wer zwischen den -Beinen eines Weibes durchkriecht, wird neu geboren) und 2, 321f.

Scheingeburt. 159

habeu, wie es scheint, 'Ideenkreuzimgen' stattgefunden. So schreibt denn auch Feilberg- oben 11, 327 au einer Stelle, wo er verschiedene Fälle von Durchziehen, die zur Abwendung des bösen Blicks dienen, bespricht: dass diese Mittel 'wohl unter die Vorstellung von einer bildlichen Wieder- geburt zusammengefasst werden können, obwohl auch der Gedanke an Abstreifen oder Überführung des Übels auf andere Gegenstände die Vorstellung mit beeinflusst haben mag\ Und mit einer gewissen Resignation schreibt Albrecht Dieterich ^): 'Den verbreiteten Heilbrauch des Durch- ziehens (auch wenn es durch Erdgruben oder Brdstücko geschieht) würde ich nur in wenigen Fällen als einen Akt magischer Wiedergeburt verstehen können. Auch^) hier kann nicht ein ganzer Komplex von Bräuchen aus einem Funkte erklärt werden: unentwirrbar knüpfen sich ineinander die verschiedensten Fäden alten Glaubens'. Daher könnte es scheinen, dass ich für eine verlorene Sache eintrete, wenn ich, wie im obigen geschehen ist, nochmals zugunsten von Liebrechts Wiedergeburtstheorie das Wort ergreife und sie durch einen Hinweis auf jenen alten Adoptionsritus zu stützen versuche. Und wenn man das grosse Material überblickt, das von Gaidoz, Frazer und vielen anderen Forschern zusammengebracht und zur Erklärung des Durchkriechens verwertet worden ist, so könnte es fast unmöglich erscheinen, noch etwas neues vor- zubringen, noch etwas beizutragen zur Lösung der Frage. Dennoch meine ich, dass das möglich ist. Ich glaube einige bisher übersehene, höchst charakteristische Fälle von Durchkriechen anführen zu können; ich glaube auch, dass sich einiges von dem, was bereits bekannt ist, in eine bessere Beleuchtung rücken und richtiger als bisher erklären lässt.

Der indische Hiranyagarbha-Ritus.

Zunächst habe ich einiges über jenen eigentümlichen indischen 'Religiousgebrauch' zu sagen, den Liebrecht^) seinerzeit bei der Erklärung des Durchkriechens heranzog: über die 'Wiedergeburt durch die goldne Kuh', über den Hiranyagarbha-Ritus*). Wer eine symbolische Wieder- geburt sucht, lässt sich in eine goldene Kuh einschliessen und durch ihre

1) Mutter Erde, ein Versuch über Volksreligion S. 29. Siehe auch Dieterich, Eine Mithrasliturgie S. 160.

1^) Dieses 'auch' bezieht sich unter anderem auf eine Äusserung Dieterichs über die Beerdigung von Menschenleichen in Hockerstelluug: 'Es braucht hier nicht aus einem einzigen Grunde und einer einzigen Vorstellung der so weit und mannigfaltig ver- breitete Brauch erklärt zu werden" (Mutter Erde S. 28 Anm.; vgl. S. i) Anm.). Ähnlich habeti sich, mit Bezug auf andere Bräuche, ausgesprochen z. B. F. Galton, Journal of tho Anthropological Institute 15, 101, und W. Hertz, Gesammelte Abhandlungen S. 208.

3) Gervasius von Tilburj S. 171. Zur Volkskunde S. 31)7.

4) Hiranyagarbha, Goldkeim, Goldschoss; auch Bezeichnung des Gottes Brahman. Liebrecht nennt den Hiranyagarbharitus, nach einer Zeitungsnotiz, Ernjagherpuni. Dieses Ernjagherpuni ist = Hiranyagarbha.

160 Zachariae:

Geburtsteile wieder herausziehen. Die Kuh stellt, meint Liebrecht, bei dieser symbolischen Handlung die grosse Erdmutter dar, aus deren Schoss wir hervorgegangen, in den wir zurückkehren und aus dem wir, ob wirk- lich oder symbolisch, auch wiedergeboren werden sollen^). Liebrechts Angaben über die Wiedergeburt durch die Kuh sind von Gaidoz^), wenn ich mich recht erinnere, bezweifelt worden. Seine Zweifel beziehen sich insonderheit auf die Glaubwürdigkeit Wilfords, der Liebrechts Gewährs- mann war^). Allein Frazer erzählt im Golden Bough 1, 307 unter Be- rufung auf Wilford die auch sonst öfters erzählte*) Geschichte von den zwei indischen Gesandten, die nach England geschickt und nach ihrer Rückkehr für unrein und ihrer Kaste für verlustig erklärt wurden, und die dann durch das Bildnis einer goldenen yoni (Mutterschoss, Vulva) hin- durchkriechen mussten, um gereinigt zu werden"). Die Herstellung einer goldenen Kuh wäre zu teuer gewesen. Dabei zitiert Frazer wörtlicli genau dieselbe Stelle, die Liebrecht zu Gervasius S. 171 aus Colemans Mythology of the Hindus p. 151= Wilford, As. Researches 6, 538 anführt. Wenn Liebrecht bei seiner Erklärung des Durchkriechens grosses (rewicht auf den indischen Brauch legte, so war er meines Erachtens vollkommen im Recht. Aber einige genauere Angaben über den Brauch dürften den Lesern dieser Zeitschrift willkommen sein. Erst nach der Zeit, wo Liebrecht seine Bemerkungen niederschrieb, sind die Texte bekannt oder besser bekannt geworden, auf die sich eine Darstellung des Brauches in erster Linie gründen muss.

Die älteste Fassung des Hiranyagarbharitus finden wir in einem der Parisistas (Anhänge, Ergänzungen) zum Atharvaveda*). Das 13. Parisista führt den Titel Hiranyagarbhavidhi und enthält das Ritual für eine Zere-

1) Liebrecht fügt hinzu: 'deshalb aucli liess der ägyptische König Mykerinos seine Tochter in einer goldnen Knh begraben, Herod. 2, 129'. Diese Parallele ist bereits vor Liebrecht von James Forbes bei einer Besprechung des Hirauyagarbbaritus gezogen worden (Oriental Memoirs 1, 379. 1S13). Siehe auch A. Dieterich, Eine Mithrasliturgie S. lo7.

2) Un vieux rite medical S. TOff. 76 f.; vgl. S.33f.

3) Die Angaben von Coleman, Mythology of the Hindus p. 151, auf den sich Liebrecht beruft, gehen zurück auf einen Artikel von Francis Wilford 'On mount Caucasus' iu den Asiatick Researches (Oktavausgabe) G, 455-539.

4) Vgl. z. B. James Forbes, Oriental Memoirs, London 1813, vol. 1, p. 379. Von einem neueren Fall der Art berichtet William Crooke, Things Indian, being discursive notes ou various subjects connected wiih India, London 190(), p. 5U0: Quite recently the ambassadors of a native prince, who had become polluted by crossiug the 'Black \Vater\ were purified by passing through the golden image of a cow.

5) Vgl. Dubois, Hindu manners, custoras and ceremonies, translated by Beauchanip, Oxford 1897, p. 42- When expulsion from caste is the result of some heinous offence, the guilty person who is readmitted into caste has to submit to one or otherofthe following ordeals: his tongue is slightly burnt with a piece of heated gold; he is brauded indelibly on different parts of his bodj- with red-hot iron; he is made to walk barefooted ovcr red-hot embers; or he is compelled to crawl several times under the belly of a cow.

6) Über diese Parisistas vergleiche man M. Bloomlield, The Atharvaveda, Strassburg

Scheingeburt, 161

monie, die die 'Vereinigung des Königs mit Hiranyagarbha, dem goldnen Embryo', bezweckt. Die Herausgeber der Parisistas schildern die Zere- monie in ihren Hauptzügen wie folgt: 'The king is washed over a golden vessel with water containing pancagavya^) and the leavings of the offerino-, and poured from golden jars; he is then shut up in a golden vesseP) and left to meditate upon Hiranyagarbha; afterwards he is taken out and pressed down again with a golden wheel; the Brähmans declare that he has been accepted by Hiranyagarbha . Zum Schluss heisst es, dass die Brahmanen, die bei dem Ritus assistieren, den üblichen 'Opferlohn' er- halten sollen. Aber davon ist noch keine Rede, dass das goldene Gefäss wie es später der Fall war oder noch heute der Fall ist, zerschlao-en und an die Brahmanen verteilt werden muss. Erst später wurde, um mich so auszudrücken, aus dem Hiranyagarbha-Ritus eine Hiranyao-arbha- Schenkung (Hiranyagarbha däna). Und so ist es, wie ich meine, zu er- klären, dass der Hiranyagarbha unter die 16 'grossen Geschenke' (mahädänäni) aufgenommen wurde. Geschenke spielen im relio-iösen Leben der Inder eine grosse Rolle; die Berechtigung zum Empfang von Geschenken bildet das wichtigste Privileg der Brahmanen. Je wertvoller das Geschenk desto grösser der Himmelslohn ^). An der Spitze der 16 orossen Ge- schenke steht der Tuläpurusa (Tuläbhära), d. h. das Wegschenken von 'Gold oder anderen Kostbarkeiten im Gewicht eines Mannes'; an zweiter Stelle steht der Hiranyagarbha. Über die Geschenke handeln eine o-anze Reihe von indischen Schriften. Die wichtigsten Stellen daraus hat He- mädri (zwischen 1260 und 1309 n. Chr.) ausgezogen und zu einem Bande dem Dänakhanda*), vereinigt. Auf eine genauere Darstellung des Hiranya- garbha nach den späteren Sanskritschriften kann ich mich hier nicht ein-

1899, S. 16 f.: J. von Negelein, Orientalistische Litteraturzeitung 11, 44-7_45(3_ Eine Ausgabe der Parii^istas ist begonnen worden von G. M. Bolling und v. Neo-elein (Teil 1 Leipzig 1909).

1) D. h. die 5 (pafica) Dinge von der Kuh: Milch, saure Milch, Butter, Harn und Kot, denen eine ausserordentliche reinigende Wirkung zugeschrieben wird; Dubois Hindu manners p. 42f. 154f. 19Gf. W. Crooke, Populär religion 2, 28. J. Jolly, Eecht und Sitte § 37. Noch heute wird beim Hiranyagarbharitus das goldene Gelass mit dem paücagavya angefüllt: siehe S. Mateer, Native Life in Travancore 1883 p. 130. 389.

2) Man sehe das Titelbild 'Processionof golden tub' in dem eben zitierten Buche von S. Mateer. Was die goldene Kuh angeht, so ist davon in den mir be- kannten Sanskrittexten keine Rede. Doch gibt es z. B. einen Tiladhenuvidlii, d. h. einen Ritus (der Schenkung) einer Kuh, die künstlich, aus Sesam, hergestellt wird: und der- gleichen mehr.

3) Nach J. Jolly, Recht und Sitte, Strassburg 1896, § 31, wo man näheres über die 16 grossen Geschenke finden kann.

4) Dieser Band, ein Teil des 'imposanten' Caturvargaciutämaui, umfasst in der ge- druckten Ausgabe (Calcutta 1873) nicht weniger als 1056 Seiten. A'om Hiranyagarbha handelt Hemadri auf S. 218—232. Zum ersten Male erschien, soviel ich weiss eine Dar- stellung des Hiranyagarbha in dem zu wenig beachteten enzyklopädischen Wörterbuch Sabdakalpadruraa u. d. W. Hiranyagarbha.

Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1910. Hefe 2.

11

162 Zachariae:

lassen. Im ganzen und grossen deckt sich der Ritus mit dem Ritus, der im Atharva-Parisista 13 vorgeschrieben wird. Eine Einzelheit aber, von der wir im Parisista nichts erfahren, eine Einzelheit, die für unsere Untersuchung von der grössten Wichtigkeit ist, muss besonders hervorge- hoben werden. Während die Person, die sich dem Ritus unterwirft, in dem Gefäss^) sitzt, werden die sogenannten Schwangerschaftszere- monien, vom Garbhädhäna ab, von den Priestern vollzogen; und wenn die Person aufgestanden und aus dem Gefäss herausgekommen ist, werden die Geburtszeremonien verrichtet^). Es ergibt sich nun die interessante Tatsache eine Tatsache, auf die meines Wissens noch niemand mit voller Schärfe hingewiesen hat: dass der Hiranyagarbharitus fast ganz genau übereinstimmt mit dem indischen Ritus, der mit einer totgesagten, in effigie bestatteten, aber wider Erwarten zurückkehrenden Person vor- genommen wird. Man vergleiche nur die Darstellung dieses Ritus, die W. Caland nach den indischen Quellen, die er wie kein anderer beherrscht, gegeben hat^).

Die Nacht nach seiner Rückkehr wird der Totgesagte in eine mit flüssiger Butter und Wasser gefüllte Wanne eingeschlossen. Sein Vater oder dessen Stell- vertreter rezitiert einen vedischen Spruch, aus dessen Inhalt hervorgeht, dass die Wanne als der Mutterschoss angesehen wurde. Der Eingeschlossene bringt die Nacht, wie ein Embryo im Mutterschoss die Fäuste ballend*), ohne ein Wort au sprechen, in der Flüssigkeit zu. Am nächsten Morgen werden an ihm vom Vater alle die Zeremonien (Sakramente) vollzogen, die an einer schwangeren Frau verrichtet zu werden pflegen. Dann wird der Totgesagte aufs neue ge- boren, indem er die Wanne auf der hinteren Seite verlässt. Endlich werden noch die Geburtszeremonien an ihm vollzogen, er heiratet in optima forma seine frühere Gattin wieder, oder er nimmt eine andere, und er legt mit ihr wieder die sakralen Feuer an.

Der Hiranyagarbha kann nicht anders aufgefasst werden als der eben geschilderte Ritus. Der Hiranyagarbha ist ein Regenerations- ritus. Mit Bewunderung müssen wir feststellen, dass Liebrecht schon vor Jahren, gestützt auf höchst dürftiges Material, mit genialem Blick den Zusammenhang erkannte, der zwischen dem indischen 'Ernjagherpum' und der 'symbolischen Wiedergeburt' der voreQOJtoTjiwi in Griechenland besteht (Zur Volkskunde S. 397). Warum Frazer im Golden Bough 1, 22, wo er unter der Überschrift 'Simulation of birth' von der Wiedergeburt der Tot- gesagten in Griechenland und Indien handelt, nicht auch den Hiranya-

1) Sanskrit kunda 'Krug, Topf"; soll die Gestalt eiuer Trommel haben; also etwa 'Tonne, Wanne'.

2) Über diese Zeremonien vgl. A. Hillebrandt, (Indische) Ritualliteratur S. 41ff.; J. JoUy, Recht und Sitte § ÖG.

3) Die altindischen Toten- und Bestattungsgebräucho, Amsterdam 1896, S. 89: Der Urquell 1898, AiJf. Die von Caland benutzten Quellen sind mir nicht zugänglich.

4) Zum Ballen der Fäuste vgl. die Bemerkungen von Caland im Archiv für Religions- wissenschaft 11, 128.

Scheingeburt. 163

garbharitus (der ihm wohl bekannt ist; vgl. 1, 807) erwähnt hat, vermag ich nicht zu sagen. Neuerdings hat übrigens Crooke, wie ich mit Be- friedigung gesehen habe, bei seiner Behandlung des Hiranyagarbha (Things Indian p. 501) unter anderem auch auf Frazer, Golden Bough 1,22 ver- wiesen; d. h. also, Crooke zweifelt nicht daran, dass der Hiranyagarbha und der Ritus, der an einem Totgesagten vollzogen wird, eng zusammen- gehören. Und noch eins. Wenn Liebrecht den indischen Ritus, 'genannt Ernjagherpum', bei seiner Erklärung des Durchkriechens heranzog und das Durchkriechen als eine symbolische Wiedergeburt auffasste, so hat derselbe Crooke eine Äusserung getan, die darauf schliessen lässt, dass er Liebrechts Standpunkt durchaus teilt. Crookes Äusserung ist deshalb be- sonders wertvoll, weil sie wahrscheinlich in keiner Weise, weder mittelbar noch unmittelbar, durch die Liebrechtsche Wiedergeburtstheorie beeinflusst ist. Crooke schreibt in seinem Buche Things Indian S. 500: 'We may perhaps connect rites like thesei) with the custom common in Europe and elsewhere of passing people through the holes in a dolmen, or through a cloven ash-tree as a eure for rupture or rheumatism, or as a chastity test, as at «St. Wilfrid's Needle" in Ripon") Cathedral".

Ich habe noch einiges hinzuzufügen über den Hiranyagarbharitus, wie «er uns in der neueren und neuesten Zeit entgegentritt. Denn wie schon aus der Zeitungsnotiz vom Jahre 1869 bei Liebrecht, Zur Volkskunde S. 397, zu ersehen ist, wird der Ritus noch heute vorgenommen. Über Form und Zweck des heutigen Ritus unterrichtet uns z. ß. William Crooke, Things Indian S. 499 f. in dem Artikel 'Twice-born'.

In the modern form of the rite, which was solemnised [in Travancore] in 1854 and again in 1894, the Maharaja entered a largo golden vessel filled with water, which had been mixed with all the products of the sacred cow^'). A Cover was put on the vessel, and he bathed four times in the liquid, while Brahmans chanted hymns. On einerging, he bowed before the tutelary gods of his kingdom, and the crown was placed on his head. The object of the rite is to elevate the Maharaja from the lower caste to which he right- fuUy belongs^) to the dignity of a Brahman, or as near this as it is possible for him to reach. After the 'Regeneration cereraony', the Prince can no longer partake of food with the niembers of his own family, to whora he is now superior in caste as well as rank. But he is admitted to the privilege of being present w^hen the Brahmans are fed, and he may eat in their presence.

1) D. h. den Hiranjag-arbha und andere, später von mir zu erwähnende Riten. Den Namen Hiranyagarbha erwähnt Crooke a. a. 0. nicht, wohl aber in seinem Buche: The Populär Religion- 2, 231.

2) Vgl. oben 16, 316 f. Auf das 'Nadelöhr' im Dom zu Ripon komme ich weiter unten zu sprechen.

•3) 1). h. mit dem bereits im Atharvaparisista erwähnten paucagavya; siehe oben.

4) Der König ist ein 'Nair' und wird als solcher zur Kaste der Südras gerechnet. Eine reiche Literatur über die Nairen verzeichnet Wilhelm Hertz, Gesammelte Ab- handlungen S. 11)9.

11*

164 Zachariae:

Formerly the Mahiiräja passed through a golden Image of the cow. More re- cently a representation of the holy lotus of Vishnu was selected. After the rite the Image is broken up, and the fragments shared between the Brahmans and the temple treasury.

Aus dieser Mitteilung Crookes, sowie aus dem, was Samuel Mateer ^) ausgeführt hat, geht hervor, dass der Hiranyagarbha zusammen mit dem oben genannten Tuläpurusa heutzutage zu den Feierlichkeiten gehört, die bei der Thronbesteigung eines Fürsten vorgenommen werden. ,

Dem Berichte Crookes will ich noch zwei andere hinzufügen. Der erste ist "200, der zweite fast 100 Jahre älter als Crookes Bericht. Yon dem grössten Interesse ist die ausführliche Beschreibung eines Hiranya- garbha, die der Venetianer Niccolao Manucci (in Indien von 1653— -1708) gegeben hat. Der Bericht ist erst seit drei Jahren bekannt^).

Some years ago a Hindu prince called 'the Victorious', whose country is- close to Cape Comorin^), sought to obtain the privileges of a Brahman, a thing that in that country is absolutely impossible. However, the prince, anxious to carry out this design, called an assembly of all the Brahmans within his do- minions. He gave them a great feast, and promised a large sum of money if they would grant him the right to enjoy their privileges. To this the Brahmans answered that he was asking an irapossibility. Nevertheless, he continued to press them with such insistence that to get rid of him they told him that nothing of the sort could be effected until he was born anew in the stomach of a cow.

Not to lose so excellent an opportun ity, the prince caused a golden cow. to be made secretly such as would suit his purpose. Then he caused the Brah- mans to be sent for, and once more renewed his demands. The Brahmans gave the same answer as before. At this the king put on a look of sadness, bub retiring, placed hiraself in the belly of the golden cow, which stood ready in a large hall close by. All the Brahmans were called in, and then the prince issued from the cow and began to bellow like a calf. They per-

1) Native life in Travancore p. 130. 388—390. Weitere Einzelheiten über den. Hirai.ijagarbha hat Mateer in seinem Buche 'Land of Charitj' p. 169—175 gegeben. Dieses Buch ist mir leider nicht zugänglich. Ich verweise noch auf den Aufsatz 'A Travancore State Ceremony' in der Calcutta Review 111, 330.

2) Manucci, Storia do Mogor; ins Englische übersetzt von William Irvine, 3, 274 (1907). Eine kurze Erwähnung des Hirai.iyagarbha auch schon bei dem Holländer Ph. Baldaeus, Beschreibung der Ost-indischen Küsten Malabar und Cororaandel, Amsterdam 1672,8.445: 'Dann der König von Trevancor, damit er ein Bramine würde, soll von einer guldnen Kuh hergekommen seyn, die er darzu hatte machen lassen'.

3) Nach Irvine in seiner Ausgabe des Manucci 4, 151 ist gemeint: König Vijaya Räghava (f 1674) von Tanjore, Präsidentschaft Madras. Auf denselben König bezieht sich folgende Beschreibung des Hiranyagarbha, die ich der Calcutta Review 117, 28 ent- nehme: 'A colossal cow in bronze was cast in a mould and the king was shut up inside. The wife of the king's Brahman Guru acted as nurse, received him in her arms, Tocked him on her knees, and caressed him on her breast, and he tried to cry like a baby' (vgl. Plut. Quaest. Rom. 5: UysTai ror 'AgiaiTvor naQaayjlv mvTov ojoiTteo i^ uQyijQ TixiöfiEror TuTg yvvai^lv anokovaai xal ojiagyavwoai y.al drjXijv enioxEiv). Derselbe Bericht, wohl aus Nelson, Madura 3, 188 stammend, bei Baierlein, Allgemeine Missionszeitschrift 7, 166.

Scheingeburt. 165

formed on him such ceremonies as are observed for a new-born child'), in spite of bis being theti fifty-two years of age.

The Brahmans were much incensed at being thus overreached, and asserted that he was not truly a calf. At these complaints the would-be new-born calf weut down on all fours and bellowed louder than ever. In spite of all this they were not satisfled, and they made every effort to evade the claim of this prince. To this intent they set forth divers reasons, to each of which an instant reply was produced. Pinally they were reduced to asking that the cow might be sent to the teraple where they dwelt. When this had been done, the prince at last obtained what he desired, and enjoyed the Privileges of Brahmanhood, and after him bis posterity likewise.

Die meisten Berichte über den Hiranyagarbha stammen, wie der Bericht Manuccis, aus dem Süden Indiens. Travancore zumal scheint das klassische Land des Hiranyagarbha zu sein; Crooke, Things Indian p. 501 spricht geradezu von einem 'Travancore rite'. Aber der Ritus ist sicher auch in anderen Gegenden Indiens, ja ausserhalb des eigentlichen Indiens, vorgekommen. Zum Beweise folge hier ein Bericht, der aus der Landschaft Katschar in der indobritischen Provinz Assam stammt. Ich entnehme ihn einer Xotice sur le Royaume de Katchar ou Hiroumba-) in Malte-Bruns Xouvelles Annales des Yoyages 15, 362 (Paris 1822). Von einem König der Katschäris wird hier erzählt, dass er, aus Yorliebe für den Brahmanismus, ein Proselyt dieser Religion habe werden wollen. Dann heisst es weiter:

A cet effet, il subit la ceremonie connue sous le nom de pounneh djenma'^); il s"y prepara par plusieurs actes religieux. et nourrit un grand nombre de brahmes. Ceux de ses serviteurs qui etoient animes du desir de lui plaire suivirent son exemple. On raconte encore qu'il fit faire une vache en or, par le ventre de laquelle il passa avec ses courtisans les plus devots, afin de se rendre plus dignes d'etre admis dans la religion de Brahma. Si le fait est vrai, il n'est pas douteux que la figure en or de Fanimal sacre n'ait ete tellement sanctifiee par cet acte, qu'elle n'ait pu passer ensuite que dans les mains des brahmes.

Der Hiranyagarbha ist ein Regenerationsritus. Es scheint aber, dass er auch als Sühnritus sowie als glückbringender Ritus vor- genommen wurde oder noch vorgenommen wird. Auffällig wäre das nicht. Crooke, Things Indian p. 499 schreibt geradezu: 'The rite is still retained as being most efficacious in removing sin and impurity'. Ob freilich der Fall, den Crooke als Beleg anführt, hierher gehört, ist zweifelhaft. Der unbeschuhte Karmeliter Fr. Paullinus a. S. Bartholomaeo erzählt nämlich in seinem Systema Brahmanicum*), dass ein König von Travan- core, der mehrere heidnische Tempel hatte abbrennen lassen, nur dadurch

1) Die Geburtszeremonien, die jütakarmridikrih kriyäli der Sans^krittexte (siehe oben).

2) Ein Auszug aus der mir nicht zugänglichen Zeitschrift 'The friend of India'. ■3) Dieser Ausdruck ist = Sanskrit punarjanma 'Wiedergeburt'.

4) Romae 1791, p. 39. Vgl. auch des Fra Paolino da San Bartolomeo Reise nach Ostindien, deutsch von J. R. Forster 1798, S. 174f.

j.66 Zachariae:

von seiner Sünde habe losgesprochen werden können, dass er durch eine goldene Kuh kroch ^). Dabei polemisiert der allzeit kampflustige Karmeliter gegen Karsten Niebuhr und Anquetil Duperron^), die be- hauptet hatten, jener König sei durch die Kuh hindurchgekrochen 'ut se nobilem redderet'. Es ist aber möglich, dass sich vielmehr Paullinus einen Irrtum, eine Verwechslung hat zuschulden kommen lassen. Näheres darüber bei S. Mateer ^). Dagegen wird man hierher ziehen dürfen, was Forbes*) von Raghunath Räo (genannt Ragoba) berichtet. Ragoba soll, als er von seinen Feinden besiegt und aus seiner Hauptstadt vertrieben war, 'in hopes of better fortune" durch eine goldene Kuh gekrochen sein. Man vergleiche auch die Sitte, die, nach Crooke, im Norden Indiens heimisch ist: wenn das Horoskop eines Kindes anzeigt, dass das Kind, irgend ein A'erbrechen in einer früheren Existenz begangen hat, oder dass ihm ein Unglück in seinem Leben bevorsteht, so wird ein dem Hiranyagarbha sehr ähnlicher Ritus an dem Kinde vollzogen").

Ein paar Worte möchte ich noch hinzufügen über den Tuläpurusa, von dem ich oben gesagt habe, dass er, wie der Hiranyagarbha, in den Sanskritschriften zu den 16 'grossen Gescheuken' gerechnet wird. Doch kann ich mich kurz fassen, da Max Bartels in dieser Zeitschrift 13, 359 den Tuläpurusa bereits erwähnt, und da Michael Haberlandt®) ausführlich darüber gehandelt hat. Beim Tuläpurusa ist, wie beim Hiranyagarbha,

1) Ähnlich äussert sich auch Robert Orme (bei Forbes, Oriental Memoirs 1, 378 n.): The klag of Travencore has couquered, or carried war into all the countries which lay round his domiuions, aad lives in the continual exercise of bis arms, To atone for Ihe blood which he has spilt, the brahmius pcrsuaded him that it was necessarj he should be born anew: this ceremony consisted in putting the prince into the body ofa golden cow of immense value: where, after he had laid the tinie prescribed, he came out regen erated, and frecd from all the crimes of his former life. The cow was afterwards cut up, and divided amongst the Seers who had invented this cxtra- ordinary method for the remission of his sius.

2) Niebuhr, Reisebeschreibung 2, 17 f.: Anquetil Duperron, Zendavesta, Discours preliminaire p. CXLTX n. ('renaissance du Veau d"Or').

3) Native Life in Travancore S. 130 gegen Ende. Mau sehe auch Papi, Lottere suU' Indie Orientali, deutsch Weimar 180G (Bibliothek der neuesten und wichtigsten Reise- beschreibuugen 32), S. oloff.

4) Oriental Memoirs 1, 379. Der oben genannte Ragoba kroch auch, um seine Sünden loszuwerden, durch einen hohlen Felsen: siehe Campbell, Indian Anti- quary 27, 108.

5) Crooke, Things ludian p. 500. Fast dasselbe sagt Crooke in seiner 'Populär Religion' 2, 231 (s. schon oben 12, 112f., wo die Stelle nach der 1. Auflage des Buches im \Yortlaut mitgeteilt ist). Nachdrücklich will ich noch hinweisen auf die Sage von der Verheiratung des Gottes Brahman mit der Hirtentochter Gäyatri bei Crooke, Pop. Religion 2, 231 (vgl. 1, 54. 2, 233), wo eine 'Wiedergeburt durch die Kuh' vor- kommt. (Dieser Zug fehlt iu der entsprechenden Sage des Padmapuräna; siehe Lenz, Jounial of the Royal Asiatic Society, old serics 2, 190 )

()) Da Bartels, der sich auf Haberlandt beruft, anzugeben unterlassen hat, wo man Haberlandts Abhandlungen finden kann, so will ich das hier nachholen. Kurz liat Haber- laudt den Tuläpurusa behandelt unter der Überschrift 'Die wohltätige Wage' in seinem

I

Scheingeburt. 167

das Schenken allmählich zur Hauptsache geworden. In Travancore kommt der Tuläpurusa noch heute vor, und zwar in inniger Verbindung mit dem Hiranyagarbha, unter den Krönungsfeierlichkeiten. Die Kosten für beide Zeremonien belaufen sich, nach S. Mateers Berechnung, auf 30 000 Pfund Sterling. Aber der ursprüngliche Sinn und Zweck des Tuläpurusa war nicht das Verschenken des Gewichtes der eigenen oder einer andern Person in Gold u. dgl. Wir wissen, dass das Gewicht des menschlichen Körpers, ebenso wie das Mass, eine übersinnliche und über- natürliche Bedeutung besitzt (M. Bartels). Das Zahlen von Gold im Gewichte des Körpers erscheint als eine Ersatzleistung für begangene Sünden oder Verbrechen. Es kann also als eine Art Busse angesehent werden. In dem ältesten indischen Dokumente über den Tuläpurusa heisst es, dass sich zuerst der Gott Indra dieser Prozedur unterzogen habe 'sarvapäpapranäsäya' d. h. zur Vernichtung aller seiner Sünden (Atharva- parisista 11, 2, 2). So schreibt Mateer: 'Scale -weighing is primär ily a religious donation as atonement for sin, or as a deed of merit no uncommonly practised in Bengal' (Native lifo in Travancore p. 390). Aus Pegu berichtet Mendez Pinto, dass sich bei Gelegenheit eines Festes viele Leute abwägen Hessen und eine ihrem Körpergewicht entsprechende Gabe opferten, und zwar einerseits, um Gelübde zu erfüllen, die sie bei Unglücks- fällen und Krankheiten getan hatten, andererseits, um Vergebung für früher begangene Sünden zu erlangen (liiebrecht, Zur Volkskunde S. 505). Besonders bemerkenswert in diesem Berichte ist das, was über das Ab- wägenlassen im Fall einer Krankheit gesagt wird. Denn das Opfern einer Gabe im Gewicht des Kranken, also gewissermassen das Loskaufen des Kranken von dämonischen Mächten, ist, wie Grimm und andere gezeigt haben, etwas sehr gewöhnliches. So in Indien^); so auch ander- wärts. Ich zitiere nur den Satz: Ad superstitionem pertinet ponderatio hominis ad aequalitatem siliginis contra morbum caducum (Dionysius Carthusianus bei Liebrecht, Gervasius von Tilbury S. 237, nr. 223).

Was ich über das Durchkriechen zu sagen habe, will ich zu- sammenfassen unter der Überschrift

Durchkriechen als Reinigungszeremonie (Gottesgericht; Keuschheitsprobe).

Man ist gewohnt, das Durchkriechen oder Durchziehen als einen Heil- ritus anzusehen. Grimm hat das Kriechen durch ausgehöhlte Erde, hohle

Buche 'Der altindische Geist" 1887 S. 343—347 und ausführlicher in den Mitteilungen der anthropologischen Gesellschaft in Wien 19, 160—164 (1869'. Ferner will ich, da Haber- landt seine Quellen fast durchweg ungenau zitiert, noch besonders hinweisen auf Grimm RA. G7of., auf Liebrecht, Zur Volkskunde 8 236. 505, auf Ducange u d. W. ponderare und auf Godefroy, Dictionnaire de Faucienne langue Franraise u. d. W. contrepeser. Eine Abhandlung, die Gaidoz über den Tuläpurusa geschrieben hat (siehe Journal of the R. Asiatic Society 1891, 349), ist mir leider nicht zugänglich.

1) Ausser dem, was Haberlandt beigebracht hat, vergleiche mau namentlich Indian Antiquarj 11, 122.

jgg Zachariae:

Steine oder gespaltene Bäume in dem Kapitel 'Krankheiten' behandelt (DM.2 g_ 1118—1121). Gaidoz hat sein kleines Buch über das Durch- kriechen mit dem Titel 'Un vieux rite medical' versehen. Dem gegen- über kann nicht genug betont werden, dass mit dem Durchkriechen keineswegs nur eine körperliche, sondern auch eine geistige Wieder- geburt bezweckt wird, um Liebrechts^) Ausdruck zu gebrauchen. Ja, nach Nyrop bedeutet der Ritus des Durchkriechens ursprünglich die Reinigung von Sünden, erst später die Befreiung von Krankheiten^). Fälle, die hierher gehören, sind allerdings von Gaidoz und anderen bereits erwähnt und besprochen worden. Doch sind die Fälle in der Schrift von Gaidoz nicht ohne weiteres zu übersehen, da es diesem Autor in erster Linie darauf ankommt, die verschiedenen Arten des Durchkriechens und die dabei in Betracht kommenden Gegenstände vollständig aufzuzählen; die Beantwortung der wichtigen Frage, zu welchen Zwecken^) das Durch- kriechen unternommen wird, steht bei Gaidoz in zweiter Linie und nimmt eine mehr untergeordnete Stellung ein. Jedenfalls dürfte es nicht über- flüssig sein, hier einige weniger bekannte Fälle aufzuführen, in denen das Durchkriechen klar und deutlich als Reinigungszeremonie auftritt. Das Durchkriechen kommt nicht selten zur Verwendung, wenn sich jemand von einem Verdacht reinigen, wenn jemand seine Unschuld be- weisen will. Wem es gelingt, durch eine enge Öffnung zu kriechen, der gilt als ein ehrlicher, unschuldiger Mann. Kurz, das Durchkriechen steht im Dienste des Gottesgerichts*), genau so, wie etwa das Schreiten durchs Feuer oder das Tragen glühenden Eisens. Wenn wir also z. B. lesen, dass sich der Brahmane Vatsa, von seinem jüngeren Bruder unedler Herkunft beschuldigt, der Feuerprobe") unterwarf, wobei ihm 'das Feuer auch nicht ein Haar versengte"; oder wenn wir bei Grimm RA. 463

1) Zu Gervasius S. 171: 'In Indien wh-d die geistige, in Europa die körperliche Wiedergeburt symbolisch dargestellt'. Wogegen nur zu bemerken ist, dass die 'geistige Wiedergeburt' keineswegs auf Indien beschränkt ist.

2) Siehe Weinhold oben 3, 233: vgl. 2, 50 und seine Abhandlung Zur Geschichte des heidnischen Eitus 1895 S. 37. Nyrops Ansicht wird bekämpft von Gaidoz, Un vieux rite medical p. 76. [M. Andree-Eysn, Volkskundliches 1910 S. 9—12.]

3) Zu den verschiedensten Zwecken wird das Durchkriechen unternommen. Durch- kriechen kann höheres Wissen verleihen. So wurden in Obersteiermark zwei Bauern belauscht, als sie nackt durch eine gespaltene Buche krochen, in der Meinung, danach hexen zu können (Weinhold, Zur Gesch. des heidn. Eitus S. 38 f.). In einem polnischen Märchen kriecht ein Prinz durch die Ohren eines Wunderpferdes und gewinut dadurch übermenschliche Stärke, die er später, nach wiederholtem, aber umgekehrtem Durch- kriechen wieder verliert (E. Köhler, Kl. Schriften 1, 406).

4) Der Easengang im Sinne eines Beweises der Unschuld oder Wahrheit ist bereits oben erwähnt worden. 'Der Rasen konnte losbrechen und den darunter stehenden be- schädigen, insofern war es gefährlich und einem Gottes Urteil zu vergleichen' (Grimm EA. 119). Dubois nennt das Hindurchkriechen unter dem Bauch einer Kuh ein 'ordeaU (Hindu mauners 1897 p. 42).

5) Manu 8, IIG; vgl. A. AVebcr, Indische Studien 9, 44f.

Scheingeburt. 169

leseu, dass ein natürlicher Sohn im alten Norden den Yater aufsuchen und. wenn er im Gottesgericht das glühende Eisen trug, seine An- erkennung fordern konnte: so lesen wir ähnlich auch von einem Fels- locli in dem Gebirge nahe bei Desht-e-arjun^), das durchkrochen wird zum Beweise legitimer Geburt. James Morier, A second journey through Persia, London 1818, S. 54 (deutsch, Weimar 1820, S. 62) erzählt davon folgendes:

At Desht-e-arjun there is a hole. in the mountain, which the Persians believe possesses the quality of deciding legitimacy of birth. The epithet of haram zadeh (unlawfuUy begotten) is nearly the most odious that can be given to a Persian. one which easiest excites his wrath, and therefore in tlieir quarreis they constantly recur to it, as a great raeans of Irritation. One of their stories is, that a corpulent man, of larger circumference than the hole, once presented hiraself to pass through it, in order to ascertain his legitimacy, when the sagacious rock yielded him an easy passage; but that a thin man, who came on a like errand, could not force his way through^), and was ever after calied haram zadeh.

Kurz erwähnt auch William Ouseley dieses Felsloch (by passing through which, a man of suspected birth might absolve himself from every Imputation of illegitimacy) in seinen Travels in various countries of the East 1, 305. London 1819.

Felslöcher, durch die man kriecht, um sich von Sünden zu reinigen oder um seine Unschuld zu beweisen, gibt es auch anderswo. So in Indien^). Ich erwähne zunächst das von Liebrecht (Zur Volkskunde S. 398) und anderen bereits genannte berühmte Felsloch auf dem Malabar Point bei Bombay, wo die Gläubigen hindurchkriechen, um ihre Sünden loszuwerden, wie es z. B. John Henry Grose im 6. Kapitel seiner Reise nach Ostindien geschildert hat (s. Crooke, Things Indian p. 500f.). Ton unten gehen die Pilger in den Felsen hinein und oben kommen sie wieder heraus. Berühmte Männer, wie Siväji, Kanoji Angria und der oben schon genannte Itaghunäth Peishwa sollen durch das Felsloch auf dem Malabar Point bei Bombay gekrochen sein. Campbell, aus dessen Notes on the

1) An der Strasse von Abuscliehr nach Schiras; etwa 5(» englische Meilen von Schiras entfernt.

"2) So gibt es auch in Ezra (im Haurän; Syrien) zwei Pfeiler, zwischen denen ein Bastard nicht hindurchschreiten kann: s.S. J. Curtiss, Ursemitische Religion IWS S. 91.

•"i) Wie Gaidoz, Uu vieux rite medical p. 33 f. feststellt, ist die folgende Anfrage, die in den Panjrib Notes and Queries 1, 50 erschien, ohne Antwort geblieben: "Holy S ton es. It has been stated that naturally perforated stones (possibly artificially en- larged) exist in parts of India, the neighbourhood of Bombay and Gujarüt have been cited as localities, and that people who have passed through them are supposed to have become new-born i. e., to receive a new birth of the soul. Can any one state exactly wherc such stones are to be found, and whether they are still in common use in such a sense. as. for instance, when the Mahäräjä of Travancore, a Nair by birth, is made a Brähman by passing through a golden cow?" (Nach dem Wiederabdruck der Anfrage im Indian Antiquary 2(), 252.)

170 Zachariae:

spirit basis of belief and custorn ich diese Angabe schöpfe, bemerkt noch: The cleft stone in Malabar Point is explained by Brähmans as a symbol of a second birth (Indian Antiquary 27, 109).

Weiter nenne ich den durchlöcherten Stein in Bhownuggeri), über den Alexander Kinloch Forbes, Ras Mala (London 185G) 2, 285 in einer Besprechung der indischen Gottesgerichte folgendes bemerkt:

Another kind of ordeal is used at Bhownugger. There is a stone there with a hole in it, through which, if a suspected man can creep, his character is held to be cleared; if he cannot, he is pronounced to be a liar. The stone goes by the name of the window of truth and falsehood.

In der Anmerkung zu dieser Stelle verweist Forbes auf Ras Mala 1, 460, wo er den Stein kurz erwähnt (an oblong stone, derived, apparently, from the funeral monument of an ascetic); ausserdem bemerkt er, dass sich ein ähnlicher Stein in Dhuboy^) befinde. Von diesem Stein berichtet James Forbes, der von 1780 bis 1782 britischer Resident in Dhuboy war:

Near it [d. h. nicht weit von dem Grabmal der Mahma Doocree] a perfo- rated stone is used for ordeal trials, and I was often obliged to consent to this experiment in favour of injured innocence, from the faith which the pre- sent inhabitants of Dhuboy, both Hindoos and Mahomedans, place in the sanctity of this heroine. (J. Forbes, Oriental Memoirs 2, 33'S. London 181 y.)

Denselben Stein erwähnt auch Crooke, Things Indian p. 357 in dem Ai'tikel über die indischen Gottesgerichte; sehr passend vergleicht er das 'Nadelöhr' in dem Dom zu Ripon in England, von dem weiter unten noch die Rede sein wird. Crooke fügt hinzu, dass ein heiliger Baum in Riwakantha (FRewakantha; Präsidentschaft Bombay) ebenso verwendet werde, wie der durchlöcherte Stein in Dabhoi. 'Its intertwined branches form a loop, through which suspected persous are made to pass; every one believes that it grips the guilty, and allows the innocent to pass unscathed'.

Steine, wie die in Bhaunagar und Dabhoi, durch deren Öffnungen man kriecht, um seine Unschuld oder Ehrlichkeit zu beweisen, gibt es auch in Tibet. Von solchen Steinen gab Sven Hedin in den Vorträgen über seine letzte tibetische Reise Kunde und erregte mit seinem Bericlit die Heiterkeit der Zuhörer.

The Tibetans have some stränge tests for ascertaining the character of a man. One is by nieans of a hole in a block of granite, through which the in- dividual has to crawl. If he is an honest man he will, according to the theory of the Tibetans, creep through, but if a scoundrel he will stop in the middle.

1) Bhownugger (Bhaunagar) liegt in Gnjarät, am Golf von Cainbay.

2) Dhuboy (Dabhoi), im Staate Baroda (Gujarät). W. W. Hunter schreibt im Imperial Gazetteer of India" 4, 76 in dem Artikel Dabhoi: 'In the towu is a place called nninui- dokri, where Stands a khirni or nuisk-melon tree, through wbose hoUow trunk no guilty person can pass.' (In der neuesten Auflage des Imperial Gazetteer 11, 99 ist dieser Passus weggeblieben.)

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Scheingeburt. 171

'W'e hud a very funny experience with one of these blocks of granite', said Dr. Hedin. 'A fellow could not continue and could not come back, and so all our men had to tie ropes to his feet and drag him out in that way'. (The Daily Telegraph, February 12, 1909.)

Ob der 'Stein mit einer engen üffuung' im Kloster des h. Johannes von Rila, wovon ich oben, nach einer Mitteilung Ciszewskis, gesprochen habe, hierher gezogen werden kann, vermag ich nicht zu entscheiden. Dagegen gehört ohne Zweifel ein Brauch hierher, den derselbe Ciszewski (Künstliche Verwandtschaft S. 5 Anni.) aus einer Schrift Nacovs mitteilt. Nacov erzählt aus seiner Jugend, dass sich in der Nähe der Stadt Stara- Zagora ein Stein mit nicht allzugrosser Öffnung befand, durch die er sich als Kind zusammen mit seinen Altersgenossen hindurchdrückte, um zu er- kennen, wer ein Sünder sei; den Sünder nämlich sollte der Stein zusammenquetschen.

Die hier und auch sonst zutage tretende Anschauung, dass der Gute leicht und unversehrt durch eine enge Öffnung zu gelangen vermag, während der Schlechte stecken bleibt oder zerdrückt wird, kehrt ähnlich wieder in einem türkischen Brauche, den ich nicht unerwähnt lassen möchte. In einem Aufsatz über osmanisch-türkischen Volksglauben schreibt Julius Meszäros (Keleti Szemle 7, 65):

Stambul ist voll von Heiligengräbern, an jedes derselben knüpft sich irgend etwas aus dem Volks-Aberglauben. Unter die berühmtesten derselben gehört das Grab Merkez efendis in der Nähe des Brunnens Cilehäne. Will jemand, dass ihm irgend ein Wunsch in Erfüllung gehe, so geht er zu dem in der Nähe dieses Heiligengrabes gelegenen Brunnen, dessen Wasser schon ausgetrocknet ist und zu dessen Auslaufrohr ein schmaler enger Weg^) führt. Dort hebt er ein kleines Steinchen auf, steckt es in die Tasche und trägt es ein volles Jahr bei sich. Nach Verlauf eines Jahres trägt man das Steinchen wieder zurück und legt es dort wieder nieder, von wo man es genommen. Man mag was immer wünschen, ist es was Gutes, so geht alles in Erfüllung, sollte es aber jemand wagen, sich dem Brunnen in böser Absicht, oder mit schlechten Wünschen zu nähern, so wird er von dem zu den Auslaufröhren führenden schmalen Weg erdrückt.

G. Jacob, dem ich den Hinweis auf diesen türkischen Brauch ver- danke-), macht noch aufmerksam auf das Säulenpaar der 'Amr-Moschee in Kairo, von dem erzählt wird, dass sich nur der wahre Gläubige hin- durchzudrücken vermöge^).

Als Reinigungszeremonie scheint das Durclikriechen auch in zwei deutschen Bräuchen aufzutreten, die R. Hofschläger in der oben

1) Professor E. Littmann macht mich aufmerksam auf eine abessinische Zauber- handlung, in der ein enger Pfad vorkommt (yg\. Andree, Abessinien. Leipzig lS(i9, S. 97).

2) Vgl. G. Jacob, Türkische Bibliothek 7, 17, Anmerkung.

3) Vgl. R. Andree, Ethnographische Parallelen und Vergleiclie 1878, S. 34: H. Gaidoz, Un vieux rite medical, chap. 5. G. Jacob zitiert den mir nicht zugänglichen Cicerone durch das alte und neue Ägypten von G. Ebers 1, 190. [Andree-Eysu 1910 S. l'J.J

272 Zachariae:

zitierten Abhandlung^), nacli einer mir nicht zugänglichen Quelle, an- geführt hat.

Am Niederrhein war noch vor etwa einem halben Jahrhundert das Hindurch- kriechen eine Entsühnungsprozedur, durch die man sich von sittlichen Ver- fehhmgen reinigen konnte. Ein Bursche, der durch die Lösung eines Liebesver- hältnisses in den Kreisen der Dorfjugend moralischen Anstoss erregt hatte, konnte von allem Makel befreit werden durch eine Zeremonie, bei der er durch einen bodenlosen Korb kriechen musste. Durch einen feierlichen Ausruf wurde kund ^etan, dass er 'rein und ledig sei, wie ein Kind von Mutterleib her, rein wie die Sonne, rein wie der Mond und rein wie das Licht des Tages'. War ein Mädchen zur 'Drüwäsch' (Trockenwaschung) verurteilt, so musste sie durch das 'Drügels- iuch' hindurch, d. h. durch ein langes, schmales Handtuch, dessen Enden zu einem Ring zusammengenäht waren'-).

Ich komme jetzt zu einem Fall von Durchkriechen, das klar und deutlich im Dienst eines Gottesgerichts steht. Ja die Quellen, die ich so- fort anführen werde, sprechen ausdrücklich von einem Gottesgericht. Letzterer Umstand ist es, der den Fall besonders interessant macht. Wie bekannt, wird die Entscheidung durch ein Gottesgericht nicht selten an- gerufen zum Beweis der jungfräulichen Keinheit oder der ehe- lichen Treue. So ruft Sita, des Räma Gattin, als ihre Treue ange- zweifelt wird, das Feuer zum Zeugen ihrer Unschuld an und stürzt sich in die Flammen; da steigt der Feuergott aus dem Scheiterhaufen empor, übergibt die Sita, die unverletzt geblieben ist, dem Käma und versichert ihn, dass ihm seine Gattin die Treue gewahrt habe^). In einer indischen Erzählung badet sich eine verleumdete Frau in siedendem Öl, um ihre Keuschheit zu beweisen*). Nach den Chroniken des Mittelalters soll Richardis, Karls des Dicken Gemahlin, ihre Unschuld bewährt haben, in- dem sie im blossen Hemde durch einen entflammten Holzstoss ging®).

1) über den Ursprung der Heilmethoden S. 213. Quelle: Montanus, Die deutschen Volksfeste 1854 S. 82.

2) Über die Drüwäsch (dröge Wäsche) und verwandte Gebräuche macht mir Prof. Bolte die folgende Mitteilung: Die Drüwäsch gehört zu den Ehrenstrafen, die an dem treulosen oder abgewiesenen Burschen oder Mädchen von den Dorfgenossen vollzogen wurden: körben oder durch den Korb fallen lassen (Schmitz, Sitten und Sagen a. d. Eifel 185G 1, 52. Deutsches Wörterbuch 5, ISOOff. 1805), durch den Teich ziehn (Borkum), Häcksel streuen oder Strohmann setzen (E. H. Meyer, Badisches Volksleben S. l!)o. 223. A. de Cock, Volkskunde 12, 15) usw. Siehe auch E. H. :\[oyer, Deutsche Volkskunde 1898 S. 165. Bereits Albrecht Weber hat 'die entsühnende Kraft des Körbens in der Eifel' mit dem Durchziehen oder Durchkriechen verglichen; Indische Studien 5,453(1802).

:•)) M. Winternitz, Geschichte der indischen Literatur 1, 420. Vgl. Crooke, Populär Religion 1, 52.

4) Steel and Temple, Wide-awako Stories 1884 p. 421). Crooke, Populär Religion 2, 272.

.5) Siehe Grimm RA. l»12if., wo weitere ähnliche Fälle zu finden siud. Vgl. sonst «twa Weinhüld, Die deutschen Frauen in dem Mittelalter ^ 1, 205. Wuttke, Der deutsche Volksaberglaube § 284. 342. 420. Funkhänel im Philologus 2, 395. 398 f. R. C. Temple, Indian Antiquary 29, 95.

Sclieingebiut. 173

Das gleiche begegnet nun in einer Erzählung der Sukasaptati (Textus simplicior, Nr. 15), in einer von jenen Erzählungen, die das in der Literatur so berühmte Motiv vom gefälschten Gottesurteili) ent- halten. Und zwar vollzieht sich die Rechtfertigung einer ungetreuen Frau hier mittels des Durchkriechens zwischen den Beinen (der Statue) einea Halbgottes.

Sriyädevl, die Gattin des Gunäkara, hat ihrem Gatten die Treue gebrochen. Als man sie verdächtigt, erbietet sie sich, zum Beweis ihrer Treue ein Gottes- urteil anzurufen. 'Hier im Dorfe steht im Norden ein Yaksa; zwischen seinen Beinen will ich hindurchgehn. Wer auch immer die Wahrheit sagt, der geht zwischen den Beinen (unversehrt) hindurch: das ist bekannt.' Ehe es Tag wird, geht die Treulose in das Haus ihres Buhlen und spricht zu ihm: 'Geliebter, früh- morgens will ich, eines Gottesurteils halber, zwischen den Beinen des Yaksa hindurchgehn. Du musst dorthin kommen, dich wahnsinnig stellen und mir um den Hals fallen'. Als er zugesagt hat, kehrt sie in ihr Haus zurück. Am Morgen nun versammelt sie alles Volk, geht nach dem Tempel des Yaksa, nimmt in dem nahen Teiche ein Bad und fängt an, den Yaksa zu verehren; da schlingt ihr Buhle nach der vorher getroffenen Verabredung als Wahnsinniger seine beiden Arme um ihren Hals. Da ruft sie: 'Was soll das?' und geht nochmals baden, während der Verrückte von den Leuten an der Gurgel gepackt und von dem Platze entfernt wird. Als sie ihr Bad vollendet hat, tritt die Frau zu dem Yaksa, bringt ihm Verehrung dar und spricht, so dass es alle hören können: 'Ehrwürdiger Yak.sa, wenn mich ausser dem eignen Gatten und diesem Verrückten noch ein andrer Mann jemals berührt hat, dann möge ich zwischen deinen Beinen hindurch keinen Weg finden.' Mit diesen Worten schreitet sie vor den Augen aller Welt zwischen die Beine und hindurch. Der Yaksa lobt sie im Herzen wegen ihrer Klugheit. Sie aber geht in ihre Behausung, von allen Leuten als eine Gattentreue ge- priesen 2).

Dieselbe Erzählung findet sich, als Episode einer grösseren Erzählung 'Xüpurapanditä und der Schakal', in Hemacandras^) Parisistaparvan 2, 533 545. Auch hier sagt die ungetreue Frau, dass sie sich einem Gottesurteil (daivi kriyä) unterwerfen wolle; und weiter, dass es einem Linreinen unmöglich sei, zwischen den Beineu des Y^aksa hindurch- zugehen.

In den verwandten Erzählungen, oder auch in den Erzählungen, die, im übrigen unverwandt, dasselbe Motiv vom gefälschten Gottes- urteil*) enthalten, wie Sukasaptati 15, kommt das Durchkriechen, so-

1) 'Die raffinierte Eidesleistung mit Reservation': E. Rohde, Der griechische Roman S. 4y4.

2) Nach R. Schmidts Übersetzung der Sukasaptati, Textus simplicior, Kiel 1894, S. 29 f. Genau stimmt zu dieser Version die gleichfalls von R. Schmidt übersetzte Ma- räthiversion der Sukasaptati (Abhandlungen für die Kunde des ]Morgenlandcs 10, 4 S. 29f^ 106f.). In der entsprechenden Erzählung des Textus ornatior der Sukasaptati (Nr. 24^ fehlt das g'ifälschte Gottesurteil.

3) Vgl. die ausgewählten Erzählungen aus Hemacandras Pari.^istaparvan. deutsch von Job. Hertel 1908, S. 102. 2:35.

4) Job. Hertel oben 18,69. Benfey, Pantschatantra 1, 455ff.

174 Zachariae:

weit ich sehe, nicht vor. Im Andabhüta-Jätaka (Nr. 62) erbietet sich die Frau des betrogenen Brahmanen, zum Beweis ihrer Unschuld durchs Feuer zu schreiten^). In dem von Joh. Hertei übersetzten kasch- mirischen Volksroman (oben 18, 384 f.) besteht das Gottesurteil darin, dass die Prinzessin die Kette einer Moschee berührt: ruft sie das Gottes- urteil ungerechterweise an, so wird ihre Hand von der Kette gefesselt; tut sie es gerechterweise, so bleibt ihre Hand frei. Im Ardschi Bordschi leistet Naran Gerel den Reinigungseid über Gerstenkörnern-). In der Geschichte 'La femme justifiee' bei Cardonne, Melanges de litterature Orientale 1, 39—49 steigt die des Ehebruchs angeklagte Frau ins Eid- wasser, ohne unterzusinken usw.

Das Durchkriechen zwischen den Beinen, das in der 15. Erzählung der Sukasaptati und bei Hemacandra vorliegt, ist uns oben, in einem anderen Zusammenhang, bereits begegnet. Ausserdem sind hier noch zwei Fälle erwähnenswert. Der erste Fall findet sich in einem indischen Drama, in der Viddhasälabhanjikä des Räjasekhara.

Mekhalä, die Milchschwester der Königin Madanavatl, hat dem Vidüsaka'') einen Possen gespielt. Der Yidflsaka beschliesst, sich dafür zu rächen. Eine Dienerin der Königin muss in der Dämmerstunde, als Mekhalä im Garten lust- wandelt, einen Baum besteigen*) und ihr zurufen, dass sie an einem bestimmten Tage sterben werde. Auf die Frage der Mekhalä, wie sie dem Tode entrinnen könne, verkündet ihr die Dienerin: 'Wenn du einem Brahmanen Verehrung dar- bringst, ihm zu Füssen fällst und zwischen seinen Beinen hindurchgehst, so wirst du dein Leben empfangen.' Als nun die Schergen des Todesgottes kommen, um die Mekhalä zu fesseln und fortzuführen, flüchtet sie sich zu dem VidQsaka, geht zwischen seinen Beinen hindurch und wird so gerettet^).

Auf diese interessante Stelle hat Hanns Oertel vor kurzem hingewiesen (Studien zur vergleichenden Literaturgeschichte 8, 116). Wenn er aber meint, die Stelle beziehe sich auf 'Heilung durch Durchkriechen', so kann ich ihm darin nicht beistimmen. Ich meine vielmehr, dass Mekhalä mittels des Durchkriechens ein neues Leben, eine AViedergeburt er- langt®).

1) H. Oldenberg, Die Literatur des alten Indien S. 118—121.

2) Mongolische Märchen. Die neun Nachtrags-Erzilhlungen des Siddi-Kür und die •Geschichte des Ardschi-Bordsehi Chan. Übersetzt von B. Jülg 1SG8 S. IKi— 118.

o) Der Vidüsaka ist die lustige Person des indischen Dramas und immer ein Brahmane.

4) Auf Bäumen wohnen die Bhütas, die bösen Geister.

b) Vgl. L. H. Grays Übersetzung der Viddhasälabhaüjika im Journal of the American Oriental Society 27, 42-45 und S. Levi, Le theätre Indien 1890 p. 24(). Bemerkenswert ist der Ausspruch der 'alten Weisen', den Räjasekhara anführt: 'Von den Füssen eines Brahmanen her (kommt) Reinheit'. Gray verweist dazu auf Böhtlingk, Indische Sprüche* 4508: 'Brahmanen sind an den Füssen rein, Kühe am Rücken, Ziegen und Pferde am JMaule, Weiber aber an allen Teilen des Körpers'.

()) Auch Wiaternitz geht in seiner ausgezeichneten Abhandlung über das altiudische Hochzeitsrituell 18i>2 S. 46 bei der Erklärung eines indischen Brauches (das Loch des

Scheingeburt. 175

Den zweiten Fall entnehme ich dem Buche von S. Levi über NepaU). Bei den Gorkhas in Xepal wird der Ehebruch sehr streng bestraft. Der Verführer wird gefangen gesetzt und vor Gericht gestellt; wird er schuldig befunden, so erhält der betrogene Gatte das Recht, ihn mit dem Kukhri- niesser^) niederzustossen. Doch stehen dem Verurteilten zwei Möglich- keiten der Rettung offen. Es ist ihm gestattet, sein Heil in der Flucht zu suchen, ja, man gibt ihm sogar einen kleinen Vorsprung. Gewöhnlich aller- dings umzingeln ihn des Gatten Freunde und stellen ihm ein Bein, so dass ein Entrinnen unmöglich ist. Das Gesetz erlaubt ihm aber noch einen anderen Ausweg; 'il peut sauver sa vie en acceptant de passer sous la jambe levee du mari: mais du nieme coup il perd la caste et l'honneur'. Soweit der Bericht. Eine Beurteilung des Falles ist nicht leicht. Ist das Durchkriechen unter dem Bein des beleidigten Ehegatten wirklich eine ^Schmach", wie Boeck^) oder sein Gewährsmann annimmt? Wurde es ursprünglich als eine Schmach empfunden? Ist der Verlust der Kaste eine Folge des Durchkriechens unter dem Bein des Beleidigten? Vielleicht hat der Verlust der Kaste mit dem Durchkriechen gar nichts zu tun, sondern ist nur als eine Ehebruchsstrafe anzusehen, eine Strafart, die auch sonst vorkommt*).

Wir haben gesehen, dass das Durchkriechen häufig als Reinigungs- zerem.onie auftritt; wir haben gesehen, dass solche, die in irgendeinem Verdachte stehen, mittels des Durchkriechens ihre Unschuld beweisen können. Wir sind jetzt genügend vorbereitet, um einen Aberglauben zu begreifen, der sich an St. Wilfrids Needle, das 'Nadelöhr' in der Kathedrale zu Ripon (Yorkshire), knüpft. Nach den Berichten, die B. Kahle oben 16, 317 mitgeteilt hat, diente dieses Nadelöhr, ein enger Gang, zur Probe für die Frauen, die mehr 'mit dem Herzen als mit dem Verstand' geliebt hatten. Valderaar Bennike erfuhr von einem Kirchendiener, dass Frauen, die im Verdacht standen, ausserehelich schwanger zu sein, zu dem Nadel- öhr geführt worden seien. Die Frauen knieten auf einem Stein nieder, der unter der Öffnung lag, und baten Gott, ihre Unschuld zu be- -weisen. Darauf probierten sie, durch die Öffnung zu kriechen, während der Priester im Gang davor stand und sie durchziehen half.

Wagenjochs wird auf das Haupt der Braut gelegt) von der Voraussetzung aus. dass das Durchziehen 'eigentlick eine Heilzeremoiiie' ist. Ich sehe mit Oldenberg, Religion des Veda 495 in dem indischen Brauche eine Reinigungszeremonie, die mit dem Braut- bade, dem /.ovToor vi\u(fty.6r, auf einer Stufe steht.

1) Sj^lvain Levi, Le Nepal: etude historique d'un royaume Hindou 1, äliS (Paris 1905). Vgl. auch [Daniel Wright], Encyclopaedia Britannica" 17, 343: Kurt Boeck, Durch Indien ins verschlossene Land Nepal 1903 S. 2SG. Die gemeinsame Quelle, die Levi und Boeck benutzt zu haben scheinen, habe ich bis jetzt nicht aufzuspüren vermocht.

2) Kukliri, die Nationalwaffe der Gorkhas. Eine Abbildung bei Levi 1, 278 und bei Boeck S. 319.

3) Durch Indien ins verschlossene Land Nepal S. 286.

4) A. H. Post, Grundriss der ethnologischen Jurisprudenz 2, 370.

I'JQ Zachariae:

War die Öffnung nun zu eng, so dass es nicht anging, hielt man sie der Schuld überführt. Ausserdem soll der Glaube herrschen, dass sich eine Frau, die durch St. Wilfrids Nadel hindurchkriecht, die Treue ihres Mannes und ein glückliches Zusammenleben mit ihm für immer sichert. Dennoch diente das Durchkriechen im vorliegenden Falle, seinem ersten und ursprünglichen Sinne nach, ohne Zweifel als Keuschheitsprobe^): eine unschuldige Frau gelangte mit Leichtigkeit durch die Öffnung hin- durch, eine schuldige blieb stecken.

B. Kahle ist allerdings anderer Ansicht. Er vermutet, dass der Sinn der Handlungsweise falsch angegeben oder nicht mehr verstanden worden ist. Das Ursprüngliche, meint er, wird gewesen sein, dass schwangere Frauen zur Erleichterung der Geburt durch die Öffnung krochen. Dafür sprechen ja, wie Kahle mit Recht bemerkt, zahlreiche Analogien. Ich selbst habe in dieser Zeitschrift 12, 110 ff. einen Aufsatz über das 'Durchkriechen als Mittel zur Erleichterung der Geburt' veröffentlicht, wozu ich noch einige Nachträge geben kann-). Allein in dem Falle, der uns hier beschäftigt, sind wir, wie ich glaube, nicht berechtigt, die Über- lieferung für falsch zu halten. Für die Richtigkeit der Überlieferung treten die analogen Fälle beweisend ein, die ich im vorhergehenden aus- führlich besprochen habe.

Zum Schluss habe ich einiges über eine sehr alte, wohlbekannte Sitte zu sagen: über das Hindurchgehen oder Entlassen eines gefangenen Heeres unter dem 'Joch' (sub iugum abire, iugum subire; sub iugum mittere, emittere, traducere; vjiö Cvyov exnefxneiv usw.). Dass hier ein regelrechtes Durchkriechen*) vorliegt, ist nicht zu bezweifeln. Und so ist denn der Fall auch bereits von Gaidoz am Schluss seines Buches Un vieux rite

1) 'A chastity test'; W. Crooke, Things Indian p. 500. Auch auf S. 357 erwähnt er 'the opening of the crypt of Eipon Cathedral, through which only the virtuous can pass'.

2) In Ljubinje (Hercegovina) herrscht der Brauch, dass schwangere Frauen unter der Türschwelle hindurchschlüpfen, damit sie leicht gebären (Lilek, Wissenschaftl- Mitteilungen aus Bosnien und der Hercegovina 4, 48(1). Ebenso dient das Durchkriechen zur Er- zielung von Nachkommenschaft. Einer Frau, die unfruchtbar ist, rät man, unter dem Bauche eines Elefanten hindurchzugehen (Mitteilungen des deutschen Palästinavereins 7 114, Kr. 215). In Gujarät, when an ascetic of the Dündiya sect dies, women who seek the blessing of a son try to secure it by creeping under the litter on which his corpse is removed (Crooke, Populär religion 1, 227). Women in Cairo walk under the stone on which the decapitated bodies of criminals are washed, in the hope of curing Ophthalmia or procuring offspring. The woman must do this in silence, and with the left foot foremost (Crooke 2, 1()5).

;'.) Weinhold, Zur Geschichte des heidnischen Ritus S. '61 weist nach, dass sich die ursprünglich allgemein beim Ritus des Durchkriechens vorauszusetzende Nacktheit noch jetzt erhalten hat. Wer die Berichte über das Mittere sub iugum wörtlich nimmt, kann behaupten, dass Weinholds Voraussetzung in ihnen zuweilen erfüllt erscheint: Nudos enim emiserat Livius 3, 29, 1; omnes nudi sub iugum missi 10, 36, 14; vgl. Primi consules prope seminudi sub iugum missi 9, (i, 1; cum singulis vestimcntis 9, 4, 8; 5, 12; 15, i'>: oiv xixoi%-Loxo) fiovcp Appian. de rebus Punicis 7:>.

Scheingeburt. 177

medical zur Sprache gebracht worden. Auf S 83 behandelt er den von mir bereits erwähnten Rasengang, der auch als ein Zeichen der Unter- werfung vorkommt^). Er meint, in diesem Falle liege eine Vermischung des Durchkriechens mit einem ünterwerfungsritus vor; er erinnert an das Werfen auf die Erde, an Redensarten wie deutsch 'ins Gras beissen'^), französisch 'mordre la poussiere' und zieht schliesslich auch die alte Sitte des Jochganges wie ich sie der Kürze halber nennen will herbei. Es fragt sich aber, ob der Jochgang als ein ünterwerfungsritus be- trachtet werden kann. Wenn wir ergründen wollen, was die ursprüng- liche Bedeutung des Jochganges gewesen ist, so müssen wir uns ganz und gar frei machen von der uns so nahe liegenden Yorstellung, als sei das Joch ein 'Symbol' der Knechtschaft, der Unterwerfung. Ausdrücke wie: einem ein Joch auflegen, den stolzen Nacken unters Joch beugen^); Joch der Dienstbarkeit, der Fremdherrschaft usw. sind uns ja so geläufig, sind so gewöhnlich im Deutschen wie in anderen Sprachen. Die falsche Yor- stellung, die wir an den Jochgang zu knüpfen gewöhnt sind, ist hervor- gerufen durch die freilich wörtliche, aber nur allzu wörtliche Übersetzung des lateinischen iugum. Der Weg zu einem richtigeren Verständnis des Jochganges ebnet sich sofort, wenn wir für 'Joch' einen anderen Ausdruck einsetzen. Man gebe dem Gerüst, das die Römer iugum naiinten, und das, den Beschreibungen zufolge, die Form eines griechischen 11 hatte, die Bezeichnung 'Pforte' oder 'Torweg'*). Und so darf denn auch der

1) Grimm RA. 119. Der Rasengang 'eine demütigende Art der Busseleistung': Pappenheim, Zs. für deutsche Philologie 24, 158.

2) R. Pischel in den Sitzungsberichten der Berliner Akademie 1908, S. 447. Siehe auch Grimm UM. - S. 609.

3) Forcellini schreibt im Lexicon totius latinitatis: 'Iugum dicitur in re militari, cum transversa hasta duabus stantibus imponitur, ita tarnen demissa, ut qui subter transire velit, curvare se, et corpus duplicare necesse sit'. Was Forcellini in der zweiten Hälfte dieses Satzes sagt, dürfte in den Bereich der Phantasie gehören. Bei ■welchem antiken Autor- steht zu lesen, dass sich die Jochgänger bücken und krümmen mussten? Aber selbst wenü von einem Klassiker etwas derartiges erwähnt würde, so brauchten wir kein besonderes Gewicht darauf zu legen.

4) So sagt C. Peter, Geschichte Roms ^ 1, 150 von dem Jochgang der Aequer im Jahre 458 v. Chr : 'Es wurden zwei Speere in die Höhe gerichtet, über diese wurde ein dritter gelegt, und durch dieses schimpfliche Tor wurden sie aus ihrer Einschliessung ent- lassen'. Bemerkenswert ist ferner, dass Appian einmal nvXr} (öiä fitä? TTvlrjg öiE^s?.^sTr De reb. Pun 73) gebraucht, wo man ^vyov erwarten sollte. Mommsen RG. ' 2, 24, der die Appianstelle wiedergibt, spricht von einem Abzug der Karthager 'unter dem Joch'. Auch die scheinbar so weit abliegende porta triumphalis mag zum Vergleich mit dem iugnm herangezogen werden, s. A. von Doniaszewski, Archiv für Religionswissenschaft 12, 72 f. = Abhandlungen zur römischen Religion 1909 S. 223. Ebenso auch das a.a.O. erwähnte tigillum sororium, von dem weiter unten gesprochen werden soll. Die Alten selbst verglichen dns Hindurchgehen des Horatiers unter dem 'Schwesterbalken' mit dem Jochgange: Liv. 1, 26, 13: is (Horatii pater) transmisso per viam tigillo capite adoperto velut sub iujrum misit iuvenem, und Dionys von Halikarnass sagt geradezu: vTi^yayov tov ' Ooduov vno L.vy6r (Ant. Rom. 3, 22, 7 ed. Jacoby).

Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1910. Heft 2. 12

178 Zachariae:

Jochgang nicht als eine Schande betrachtet werden, als eine Schande, die ein siegreicher Feind einem besiegten Heere antun wollte. Der oft gebrauchte, übrigens wohl nicht klassische Ausdruck iugum ignominiosum ist zu verwerfen. Die Alten sind freilich anderer Ansicht. Fassen wir nur das berühmteste Beispiel eines Jochganges ins Auge, den Jochgang der Römer nach der Niederlage bei Gaudium. Ob die Schilderung der Vorgänge bei und nach dieser Niederlage auf Wahrheit beruht, verschlägt nichts^). Den Berichten zufolge werden die Römer von den Samnitern in den furculae Caudinae eingeschlossen. Sie müssen sich zu einem Vertrag bequemen, 600 Ritter als Geiseln stellen und die Waffen aus- liefern; dann werden sie unter dem Joch aus der Gefangenschaft ent- lassen. Dieser Jochgang wird nun ganz allgemein von den alten Historikern für einen grossen Schimpf, der den Römern widerfuhr, ausgegeben. Es genügt, auf Liv. 9, 5 f. zu verweisen. Livius sagt auch, die Samniter hätten die Römer beim Durchzug unter dem Joch verhöhnt und ver- spottet; ja sie hätten einige, in deren Mienen sie den Ingrimm über die unwürdige Behandlung seitens der Sieger entdeckten, verwundet und ge- tötet. Appian bemerkt: övvaxai e/uol doxeiv ro eiöog rfjg uqpeoEcog, o xalovoiv Ol rfjÖE ^vyöv, öveidiCstv (hg doQiaXcöroig^).

Dennoch war das Entlassen durchs Joch ursprünglich keine Be- schimpfung. Liest man die Berichte über die Einschliessung der Römer bei Gaudium und über ähnliche Katastrophen ohne Voreingenommenheit, so muss man zu dieser Auffassung gelangen. 'Ich will einen jeden von euch', sagt Pontius zu den Römern, 'unversehrt durch das Joch entlassen, wenn ihr schwört, die und die Friedensbedingungen zu halten' (App. Samn. 4, 5; vgl. Liv. 9, 4, 3). Ebenso sagt Jugurtha zu dem Legaten A. Postumius Albinus, den er besiegt und eingeschlossen hat: se memorem humanarum rerum, si secum foedus faceret, incolumis omnis sub iuo'um missurum^). Das heisst also: wenn sich ein besiegtes oder ein- geschlossenes Heer den Kapitulationsbedingungen fügte, die ihm ein sieg- reicher Feind stellte, so erhielt es freien Abzug durchs Joch. Schimpflich war wohl der Vertrag*), den man schliessen musste, ehe man freien Abzug

1) Die Erzählung von den Vorgängen bei Gaudium eine Dichtung: Nissen, Rhein» Museum l'ür Philologie 25, 57.

2) Liv. 9, (5, 2; Appian, de reb. Samn. 4, G ed. Mendelssohn. Es ist vielleicht be- merkenswert, dass Dionys von Halikarnass an der Stelle, wo er ausführlich von dem iugum der Römer handelt, nichts von einer Beschimpfung sagt. Er schreibt (Ant. Rom. 3, 22, 7): sozi 'Fco/naiois vöfufiov, ozav jioh/iicDV jiagadiSövziov xa öjiXa yevmviai xvqioi, ovo xazanrjTXEiv ^vXa oQ&a xal tqIxov ifpaQ/Liözxsiv avxolg uvcoßev nXäycov, eji£i&' vjrdyeiv xovs aixiiaXojzovg vno ravxa xal disXdvvxa? anolvstv eXsv&eQovg ijil xa o(pEZSQa. xovxo xalsTzai, nag avxocg ^vyov.

3) Sallust Jug. 38, 9. Zu beachten Liv. 10, 3G, 19 quod captivos sine pactione sub iugum misisset (?).

4) So z. B. die pax Caudina, die von Livius als ignominiosa (oder foeda) pax odeK als sponsio infamis bezeichnet wird.

Scheingeburt. 179

erlangte; aber der Jochgang selbst war kein Schimpf. Der Schimpf, der einem ungünstigen, demütigenden Vertrag naturgemäss anhaftet, wurde von den Historikern, wenn ich so sagen darf, auf den Jochgang über- tragen. Für meine Ansicht, dass der Jochgaug keinen Schimpf in sich schliesst, kann ich eine Stelle aus H. Nissens Abhandlung über den caudinischen Frieden, Rhein. Museum für Philologie 25, 58 f., zitieren. Sie scheint mir wichtig genug, um hier wörtlich mitgeteilt zu werden:

Die Annalisten betonen die Schmach so überaus stark, dass das römische Heer das Joch passierte und wissen ihre Freude nicht laut genug zu bezeugen, als die Samniten von Luceria das gleiche Schicksal betraf (Liv. 9, 15). Allein sie verkennen damit das allgemeine Kriegsrecht, welches bei einer Anzahl von Völkern des Altertums Geltung hatte. Es ist mitnichten ein besonderer Schimpf, den C. Pontius über die Legionen verhängen wollte. Vielmehr wenn in die geheiligte Umzäunung des Lagers von dem Sieger ein Durchgang gebrochen ward^) und die Eingeschlossenen unter dem Speer davonzogen, so deutet die Symbolik an, dass sie sich als kriegsgelangen und nur durch Gnade in Freiheit gesetzt bekennen-).

Ich glaube, dass man sich dieser Äusserung Nissens in jeder Hinsicht anschliessen kann. Nur mit der 'Symbolik', die Nissen in dem Jochgang sucht, wird heutzutage schwerlich noch jemand einverstanden sein. Der Jochgang ist eine Form des freien Abzuges; aber warum musste der Abzug 'durchs Joch' geschehen? Ich meine, der Jochgang ist nichts weiter als eine uralte, später gar nicht mehr verstandene Form der Reinigung, eine Reinigungszeremonie, eine lustratio. Die Frage, welches der ursprüngliche Zweck der Reinigung war, will ich vorläufig offen lassen^).

Die Ansicht, dass der Jochgang ursprünglich eine Reinigungszeremonie war, ist nicht neu. Sie ist bereits von Frazer, The golden bough 3, 406 Anm. aufgestellt worden*). In der Tat, wer die Fälle bei Frazer 3, 398 ff. durchmustert, die Fälle, wo das Durchkriechen deutlich als Reinigungs-

1) Hierfür zitiert Nissen Appian, Samn. 4, 6 yerofisvoov de rcöv öqxcov 6 uh IJovrio? jiaQaXvaag xi rov diarst)ria/.iazog, nai övol dÖQaoiv kg rt^v yrjv ifiji£:rci]y6aiv i:Tix(xgaiov äXXo ifii&ei'g, s^ejie/.ijie 'Poofiaicov k'xaarov vjio zovtco.

2) Vgl. was Livius 3, 28, 10 den L. Quinctius Cincinnatus sagen lässt: Sanguinis se Aequorum non egere; licere abire; sed ut exprimatur tandera confessio sub- actam domitamque esse gentem, sub iugum abituros.

3) Frazers Ansicht über diesen Punkt teile ich in der folgenden Anmerkung mit. Vielleicht war das Durchkriechen unterm Joch ein Kitus, der ursprünglich die Zurück- luhrung der Kriegsgefangenen in ihre frühere Stellung, in ihre früheren Rechtsbeziehungen bezweckte ('Kriegsgefangenschaft suspendirt das Bürgerrecht'; Mommsen, Römisches Staats- recht ^ 3, 46). Vgl. E. Goldmann in den Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte 68, 132. Doch dies will nur eine Vermutung sein. Möglich wäre es, dass in unserem Falle, wie sonst oft, eine 'Kreuzung von Motiven'' stattgefunden hat.

4) With the preceding examples before us, it seems worth while asking whether the ancient Italian practice of making conquered enemies to pass under a yoke niay not in its origin have been a purificatory ceremony, designed to strip the foe of bis mali- gnant and hostile powers before dismissing him to bis home. For apparently the cere- mony was only observed with prisoners who were about to be released; had it been a

12*

IgO Zachariae:

Zeremonie, zumal nach Leichenbegängnissen, auftritt, der muss, wie Frazer selbst, zu der Überzeugung gelangen, dass der Jochgang nicht 'a mere mark of ignominy' gewesen ist. Das Material aber, das Frazer zusammen- gebracht hat, lässt sich noch durch einige charakteristische Fälle vermehren.

Da ist zunächst das Tigillum sororium in Rom, der 'Schwester- balken', zu erwähnen. Wie W. F. Otto vor kurzem gezeigt hat^), war dies ein heiliger, über die Strasse gelegter, in die gegenüberliegenden Wände eingerammter Balken. Nicht mit Unrecht hat man dies Gebilde als 'eine Art Pforte' bezeichnet, als ein Gebilde, das mit dem iugum eine gewisse Ähnlichkeit besass. Von dem grössten Interesse aber ist es, dass die Kultbräuche, die sich an das tigillum knüpften. Sühn- oder Reinigungsbräuche waren. 'Der zu Reinigende ging unter dem heiligen Balken durch, gewissermassen in ein neues Leben, und liess die Befleckung hinter sich' (W. F. Otto) So musste der Horatier, zur Sühne des Schwestermordes^), nach verschiedenen anderen Reinigungen mit verhülltem Haupte^) unter dem Balken hindurchgehen (Liv. 1, 26, 13. Dion. Hai. 3, 22, 7).

Ferner gehört hierher ein schon oben 17, 470 von mir besprochener, auch von W. F. Otto Rhein. Mus. 64, 468 erwähnter indischer Ritus*). Wenn die Leidtragenden von einer Verbrennungsstätte zurückkehren, wird u. a. die folgende Reinigungshandlung vollzogen: man schlägt zwei Äste des Paläsa- oder Sami-Baumes in den Boden, deren Spitzen mit einer dünnen oder gräsernen Schnur zusammengebunden werden. Durch diesen Bogen ('Joch' Oldenberg, Religion des Veda S. 577) gehen die Verwandten des Verstorbenen hindurch. Aus dem Spruch®), den der 'Vollzieher' oder 'Verrichter' der Bestattuugszeremonien dabei sprechen muss, geht klar hervor, dass mit dem Durchkriechen durch den Bogen eine Reinigung bezweckt wird.

Einen Ritus, der dem indischen ziemlich genau entspricht, der auch, gerade wie der indische, nach einem Leichenbegängnis vorgenommen wird, finden wir bei den Mongolen (Tartaren).

mere mark of ignominy, there seems to be no reason why it should not have bcen inflicted also on men who were doomed to die. Für den Brauch zitiert Frazer: Liv. 3, 28. 9. 6. 15. 10, oC). l)azu sei kurz bemerkt, dass der Brauch, der Überlielerung nach, auch ausserhalb Italiens vorgekommen ist (s. Nissen, Rhein. Museum 25, 59). Ja die Parther sollen einmal römische Lejiionen unterm Joch entlassen haben. Tac. Ann. 15, 15: addidit rumor sub iugum missas legioues

1) Rheinisches Museum für Philologie 64, 4(;6-4GS (1909). 2) Mord heischt Sühne. Siehe Frazt-r im Journal of the Authropological Institute 15, 80f. und im (Jolden Boutih 1, ö31 341. Vgl. auch Festus p. 117, 13 Müller: Laurcati milites sequobantur cnrrum triuuiphantis, ut quasi purgati a caede humana intraront Urlicm. 3) Zur Hanpt- verhüllung vgl. H. Diels, Sibyllinische Blätter S 122. E. Samter, Familienfeste der (iriechen und Röiiipr S. 36 f. 43 f. A. Dieterich, Eine Mithrasliturgie S. 167. 4j Die ausführlichste Darstellung des Ritus bei Caland, Die altindischen Toten- und Bestattungsgebräuche 1896 S. 73. 5) Vgl. den Spruch bei Caland S. 73. xVlan beachte Calands Bemerkung zu diesem Spruch auf S. 75, Anm. 278.

Scheingeburt. 181

Bei den Mongolen vollzieht sich die Reinigung im allgemeinen mittels des Hindurchschreitens oder Hindurchtragens zwischen zwei Feuern. Notwendig ist diese Reinigung in den verschiedensten Fällen. Wenn z. B. Gesandte zu einem Khan kommen, so müssen sie, ehe sie bei ihm vor- gelassen werden, durch zwei Feuer gehen. Ebenso müssen die Geschenke, die sie mitbringen, durch zwei Feuer getragen werden^). Besonders wichtig aber ist die Reinigung nach einem Todesfalle. Und da genügen die beiden Feuer nicht. Um den Zauber zu verdoppeln, 'to make assurance doubly sure', wie Frazer bei der Besprechung eines cähnlichen Brauches sagt (Golden bough 3, 402), werden zwei Spiesse neben die Feuer ge- stellt, und die Spitzen dieser Spiesse werden mit einem Seil verbunden. Zwischen diesen zwei Feuern und unter dem Seile gehen die zu reinigen- den Menschen, Tiere und Zelte hindurch. Und wie die indischen Zauber- handlungen immer von Sprüchen begleitet werden: so steht hier auf jeder Seite ein Weib, das Wasser sprengt^) und Sprüche hersagt.

Die einzige Quelle, die ich für diesen mongolischen Ritus kenne, ist die Historia Mongalorum ('quos nos Tartaros appellamus') des Franziskaners Johannes de Piano Carpini. In Kap. 3, §4 (De ritu funeris) teilt er über die 'purificatio familiae et bonorum post mortem' folgendes mit^):

Parentes et omnes alios qui morantur in stationibus suis oportet puriflcari per ignern; quae purificatio fit hoc modo: Faciunt duos ignes, et duas hastas ponunt juxta ignes, et unam cordam in sumniitate hastarum; et ligant super cordam illam quasdam scissuras de bucarano; sub qua corda et ligaturis inter illos duos ignes transeunt homines, bestiae ac stationes; et sunt duae muiieres una hinc, et aha inde, aquam projicientes et quaedam carmina recitantes: et si aüqui currus ibi franguntur, vel etiam res ibidem ahquae cadunt, incantatores accipiunt*). Et si aliquis occiditur a tonitruo, omnes illos homines qui morantur in stationibus illis oportet praedicto modo per ignes transire.

Halle a. S.

1) Joh. de Piano Carpini ed. D'Avezac p. 231: Ut breviter dicam, per ignem credunt omuia purificari: unde quando nuncii veniunt ad eos, vel principes, vel personae quae- cunque, oportet ipsos et munera quae portant per duos ignes transire, ut purificentur, ne forte veneficia fecerint et venenum vel aliquid mali portaverint. Vgl. S. 225. 229. 348. "Wilhelm von Rubruck (Rubruquis) bei Purchas, Pilgrimes 3,42 (1G25): They (theirSooth- sayers) inake all things which are sent to the Court passe betweene fires, and they haue a due portion thereof. They also purge all the houshold-stuffe of the Dead, drawing them betweene the fires. The Voiage and Travaile of Sir John Maundeville ed by Halliwell 1839 p. 249. Frazer, The golden bough 1, 308.

2) Vgl. Sartori, Das Wasser im Totengebrauche, oben 18, 3öo- 378: namentlich S. SGSff.

3) Nach D'Avezacs Ausgabe, Paris 1838, S. 23G. Die Stelle ist auch mitgeteilt worden von Liebrecht, Gervasius von Tilbury S. 104 Anm., aber nicht nach D'Avezacs Ausgabe, sondern nach dem Auszug aus 'Johannes de Plancarpio' bei Vincentius Bello- vacensis Spec. hist. 31, 7. Man berichtige Liebrechts Angabe, dass die Reinigung 'wie es scheint an den Neumonden' stattgefunden habe.

4) Rubruck bei S. Purchas, Pilgrimes 3, 42: If any liuing creature, or any thing eise, fall to the ground, while they (their Sooth-sayers) thus make them passe betweene the fires, that is theirs.

182 Bolte:

Bilderbogen des 16. and 17. Jahrhnnderts.

Von Johannes Bolte.

(Vgl. oben 17, 425—441. 19, 51-82.)

11. Ein Rezept für böse Weiber.

Es ist ein recht grober, aber im 17. und 18. Jahrhundert öfter wieder- holter Rat für einen geplagten Ehemann, der in dem folgenden Gedichte zu einer Erzählung ausgesponnen wird, nämlich das böse Weib so zu prügeln, dass sie noch in derselben Woche das Leben verlässt und dem Manne dadurch einen ruhigen Sonntag verschafft^). Dies unten in Y. 43 bis 51 wiederkehrende Rezept habe ich im Zusammenhang mit andern Wochenliedern bereits im Archiv für neuere Sprachen 98, 298 f. besprochen; vgl. auch R. Köhler, Kl. Schriften 3, 417 und oben 19, 177, Zeile 3 (Scherzpredigt aus der Oberlausitz). Hier begnüge ich mich, ein englisches Kinderlied aus den Notes and Queries 6. Ser. 3, 473 (1881) als nächste Parallele anzuführen:

Tom married a wife on Monday, Dead was she on Friday, 5

He got a stick on Tuesday, Glad was Tom on Saturday,

He beat her well on Wednesday, To bury bis wife on Sunday. Sick was sbe on Thursday,

Ein köstlich gutes bewertes Recept, vor die Männer, so böse Weiber haben.

(Folioblatt des 17. Jahrhunderts, mit dreispaltigem Text und neun kleinen Kupfer- stichen. — Wolfenbüttel.)

Ein jung Gesell in einer Stat Zu lebn ohn all Vnfried vnd Streit, lo

Sich mit sein Freundn beratschlagt So bßnd er gar das Wiederspiel;

hat, Dann sie jhm nicht gehorchen will,

Daß er sich wolt in Ehstandt gebn Wie das eim Weib zusteht vnnd gbürht. Mit einer Jungfraw schön vnd ebn, Derhalb er hoch bekümmert würdt

5 Bey welcher er in Prewd vnd Ruh Vnd klagts seim Nachbarn in Vertrawn is

Die Zeit seins Lebens brächte zu. Vber sein bitter böse Frawn,

Da er dieselbig nun bekam Daß er bey jhr hett kein gut Stund,

Vnd zu sich heim in sein Hauß nam, Sondern sie hett ein gidtign Mund,

Vermeint mit jhr in Einigkeit Daß jhm leydlichr wehr, hat auch liebr

1) Das ähnlich betitelte Flugblatt 'Offt Probiertes und Bewährtes Eecept oder Artzney für die büße Kranckheit der vnartigen Weiber' (Nürnberg, P. Fürst. Weller, Annalen 2, 485. In Berlin und Wolfenbüttel) dagegen bebandelt die Fabel von den neun Häuten der schlimmen Frauen; vgl. oben 11, 258, wo noch Schreger, Zeitvertreiber 1753 S. Go3, Diederichs, Dtsch. Leben der Vergangenheit '2, nr. 1105 und ein Folioblatt 'Von den neun Häuten der bösen Weiber' (Augspurg, J. Klocker. Im Braunschweiger Museum) nach- zutragen ist.

I

Bilderbogen des 16. und 17. Jahrhunderts.

183

30 Das drey oder viertäglich Fiebr, So hett er doch je bißweiln Ruh; Aber das Keiffn wehrt immerzu, Daß er von jhr an keinem Orht Wedr Tag noch Nacht hett ein gut Wort, 25 Sondern wegn jhrer grossn ßoßheit Möcht sie zerspringen allezeit. 'Dernthalb weiß ich nicht, was ich

thu, Damit ich han niocht Fried vnd

Ruh. Kam derhalb in Vertrawn zu euch, 30 Mir mitzutheihi ewrn Rath ohn scheuch'. Der Nachbar jhm bald antwortet: "Ihr habet ewrm Weib bald zur Stat Erstlich den Zaum zu lang gelassn; Solchs kompt euch nun gar zu Vnraassn. 35 Dann da sie solchs an euch ver- merckt,

Ist sie dardurch worden gesterckt, Sich der Herrschafft genommen an Vnd euch nicht wolln seyn vnterthan. Derhalb so were diß mein Raht, Daß jhr hinginget vff der Statt Vnd folgendt Reimen practicirt Damit jhr ewrs bosn Weibs loß würdt: Hastu ein böses Weib am

Sontag, So fahr ins Holtz am Montag Vnd haw Bengel am Dinstag, Schlag dapfer drauf am

Mitwoch, So wärdt sie kranck am

Donnerstag Vnd legt sich gewiß am

Freytag. Stirbt sie dann am Sambstag, So begrebst du sie am Sontag, Vnd darauf machst ein gutn

Montaff."

[Diese letzten neun Verse stehen in grösserer Schrift über neun kleinen Kupfer- stichen, unter denen je zehn Verse gleich die Ausführung des groben Rates schildern. Das erste Bild zeigt eine Stube mit drei Butzenscheibenfensteru; die Frau schreitet auf den zur geöffneten Tür hereingekommenen Mann los.]

'W^eil ich dann hab gar ein boß Weib, Welch Täglich plagt mein jungen

Leib Mit Keiffen, Zancken, Murrn vnnd ßeissn, 55 Mit Hadern, Balgen, Rauffn vnnd Schmeissn,

Daß ich bey jhr wedr Nacht noch Tag Zu Tisch vnd Beth Ruh haben mag, Derhalb will ich ein andr Manir Mit jhr anfangn, damit sie mir Muß vnterthan vnd ghorsam seyn, Vnd solts gleich kostn das Leben mein.

[2. Bild: Der Mann reitet auf einem vor einen Karren gespannten Pferde in den Wald, während die Frau drohend in der Tür steht.]

'Derntweg will ich in Wald Welches ich meim Weib vff jhr naußfahrn Haut

Vnd an mein Fleiß gar nichts er- Mocht legen, damit sie erweicht

sparn, Vnd freundlichr sich gegn mir er- Damit ich ein gut Recept bkem, zeigt.

65 Daß meim Weib jhr Boßheit ab- Dann in den Kreutern verborgn leit lo

nehm. Groß Krafft, wann mans braucht zu Oder mocht finden ein out Kraut, rechtr Zeit.

[3. Bild: Der Mann haut im Wald Knittel ab; sein Hund und sein Karren stehn daneben.]

184

Bolte:

'Weil ich dann nuu im Wald hie bin, Will ich abhawen nach meiin Sinn Ein zimlich hauffen Bengei starck, 75 Mit welchen ich mein AVeibe arg Will schmiren vnd recht salben wohl,

Daß sies gar wohl empfinden soll. Auch jhr bezahlen vnd vergeltn Ihr böße Wort vnd grobes Scheltn, Damit sie mich gar offt vnd dick Beleydigt hat gar vngeschick.'

[4. Bild: In der Stube steht der Mann und schlägt mit einem Stocke auf seine Frau, die er am Haare gepackt hat, los.]

Vnd diese Bengl vff dir probirn. Dir auch anhencken ein Denck- zeichn,

'Hör, Weib, weil du mich jeder- zeit Geschendet hast vnd wol geheit. Mich nur gehalten für dein Narrn, So will ich dir dein Haut nicht

sparn, Sondern dein Lenden salbn vnd schmirn

Damit andere Weibr deins gleichn An dir ein Exempel mogn sehn Vnd jhrn M-innern freundlich vndr Augn gehn.'

[5. Bild: Die Frau sitzt im Lehnstuhl hinterm Tisch, den Kopf in die Hand gestützt,]

"Ich bin ein krafftloß kranckes Weib. Zerbleut ist mir mein Kopff vnd

Leib, Daß ich kan weder gehn noch stehn. 95 Solchs ist mir von meim Mann geschehn, Derselb hat mir mit Brüg^eln hart

Also gesalbt mein Lenden zahrt Vnd mich so zum Gehorsam bracht. Weil ich jhn jederzeit veracht. Deßhalb will ich mit gdultigm

Hertzn Willig leiden solch Pein vnd

Schmertzn."

[6. Bild: Die Frau liegt in einem Himmelbett, um das zwei Frauen imd ein Mann

herumstehn.j

"Ihr mein liebe Nachbaurin all, Nembt ein Beispiel ob meim Vnfall, Habt ewr Männer in hohem Ehrn, 105 Wie solchs die Heilig Schrifft thut lehrn. Seit jhn ghorsam vnd vnderthan!

Dazu ich euch vermahnt will han, Will auch hiermit vor meinem Endt Mein letzten Wiiln vnd Testament Gemacht han vnd meim frommen

Mann All mein Nahrun"' zukommen lan."

[7. Bild: Neben dem leeren Bett steht ein Sarg mit der Leiche der Frau, um die zwei Weiber beschäftigt sind.]

"Weil ich dann nun auß dieser Das bitt ich euch gar freundlich ab,

Welt Bevehl nun an meim letzten End

Abscheiden muß, wans Gott gefeit. Mein Seel, 0 Gott, in deine Händt,

So bitt ich euch. Hertzliebster Schatz, Wolst mir Sünderin gnädig seyn. 120

115 Ihr wolt verzeihen mir den Tratz, Ade, ich stirb im Nahmen dein." Den ich euch als bewiesen hab.

[8. Bild: Auf dem Friedhofe senken zwei Männer den Sarg in das Grab; dabei ein grosses Leichengefolge in Trauermänteln.]

'Nachdem nun ist mein böses Weib Nach Christlicher Ordnung vnd Brauch Gestorben ab, will ich jhrn Leib Statlich vnd ehrlich bcgrabn auch 1^5

Bilderbogen des K). und 17. Jahrhunderts. 185

Vnd jhr hiermit jhr letzte Ehr Meinten, ich hätt sie lieb gehatt,

Erweisen thun nach jhreni Bekehr, Vnd mich ein schone Jungfraw nem, is» Damit andre Leuth an der Statt Dajmit ich bald widr ein Weib bkem.'

[9. Bild: Fünf Zecher sitzen im Wirtshause am Tische. Ein Knecht bringt Wein herein; im Hintergrunde drei Musikanten.]

'Weiln nun die Bgrabnuß ist So lang vnser einer kan stehn,

volnbracht, Darmit raeim Weib jhr Seelmeß haltn.

So will ich hiermit vff diß Nacht Spielt aufT, jhr Spielleut, last Gott Mit guten Freundn das Leyd ver- waltn,

trinckn, Seyt frolich, lustig, guter Ding! i4o

135 Daß wir vnter die Bänck sincken. All mein Trawren fährt jetzt dahin,

Vnd den Trawr beehr lan rumber Dann ich vom Fegfewr erlost bin. gehn,

Protestation an alle Ehrliebende, Fromme vnd gütige Weiber.

In diesen oberzehltn Reimen Welchm Mann nun Gott ein solch be- Thut mann nur böse Weibr meinen, schert,

145 Von gütigen abr vnnd gelindn Derselb kann jm nicht gnug drumb Ist hierin kein boß Wort za danckn.

findn; Derhaib bitt ich ohn alles wanckn, läo

Dann solch seind aller Ehren Es wols Ein jed zum bestn verstehn

wehrt. Vnd denckn, es teht sie nit angehn.

12. Bestrafung der schlemmenden Ehemänner.

Ein vermutlich aus Strassburg stammender grosser Holzschnitt des 16. Jahrhunderts in Querfolio (Gothaer Museum, Xylogr. II, 165), dessen oberster Rand leider abgerissen ist, schildert, wie eine üppige Kirch weih- feier jäh durch die über diese Schlemmerei ergrimmten Frauen unter- brochen wird und die Männer von diesen weidliche Prügel erhalten. Die Erwähnung des Ablasses und des Jubeljahres 1550 legt uns nahe, hier der von Luther (An den christlichen Adel 1520. Werke, Weimarische Ausg. 6, 446) und andern (Naogeorg-Waldis, Das bäbstisch Reich 1555 Blatt Oo 3a: 4, 29. Wickram, Werke 3, 65. 4, 213) geführten Polemik wider die zu wüsten Saufgelagen entarteten Kirchweiheu zu gedenken^). Das Bild zerfällt in vier Szenen, die durcli mitten darin stehende Inschrift- tafeln erläutert werden. Die Überschrift lautet:

. . . vfi halt in eyner Sum,

Wölches wcyb hat ein verspielten liederlichen man,

Der sol hienfürter jm Reich kein Freiheit mer han.

Auch sol eyn jedes weyb jren man selbs Reformieren,

Wol mit Stangen, gablen, stecken, Ruten schmieren

Und keyn vertrag mer mit jenen machen,

Auch nit auffhoren, das loch thü im dan krachen.

1) Vgl. die von Kassel im Jahrbuch f. Gesch. v. Elsass-Lotliringen 'lo, 171 183 zu- sammengetragenen Nachrichten über die Elsässer Kirwen.

186 Bolte:

[l. Gruppe, rechts oben. Zwei Frauen kommen mit Stöcken auf einen Tisch zu, an dem neun Männer im Freien trinken, und schlagen auf diese los.]

Wol her, hie ist kilchwy in disem tal! 10 Ablaß vor alle schand laster liberal Gibt man vni gelt, wz dir ist noten, Wan du schon willen hast nur zu toten. Vin geltt han ich vil ablaß vertriben, Der aller jm 1550 jubel jar ist überbliben.

[2. Links davon fliehen acht Männer in den Wald.]

15 Her, her, lieben gsellen jung vnd alt!

Es ist kein fryheit allein in dem walt. Vns ist auch dz rych verhütten darum. Die weiber verklagten vf dem consilium.

[3. Unten rechts und links hauen Frauen Ruten von den Bäumen.]

Wol her, her mit freidigem hertzen dran! 20 Nun Wollen wir auch gute kilwey han Vnd sie vmb jhr böses leben straffen. Frisch her mit stecken, stangen vnd wafen!

Her, der angriff ist geschehen schon. Yede fraw thüt zu jrera man gon. 25 Schlahen drin mit stecken vnd rüthen, Von ensten mocht eim dz loch bluten!

[4. Unten in der Mitte schlägt eine Frau einen liegenden Mann auf das entblösste Gesäss, während ein Narr ihr eine neue Rute reicht.]

Herzu, alle weiber, vnd schawen an! Thü dich auch frün[t]lich bitten.

Min Junckern sie ich, den verspilten [Will] dich fieren jn einem schlitten. is

man. Was sal ich singen oder sagen!

On ketten, dolchen, ring vnd Golt. Kan nit genüg materi erzu tragen,

30 Darum nym on din verthienten solt! Da mit man die man thüt er-

Ja nun sei dir der teüfel mer holdt. boren,

Nit also, 0 liebe frawe mein! Wolch dz ir so schentlich thon ver- leb bin nur eimal gsein. zeren.

13. Die Pfaffenjagd.

Von einer antikatholischen, in der alten Folio -Ausgabe fehlenden Dichtung des Hans Sachs (v. J. 1545), die erst E. Goetze im 22. Bande seiner Gesamtausgabe (Tübingen 1894) S. 316 nach des Dichters Hand- schrift veröffentlicht hat, fand ich auf der Feste Coburg den von Goetze vermissten alten Einzeldruck: 'Das Münich vnd Pfaffen gaid | Nyemand zu lieb noch zu laid', ein Folioblatt mit einem grossen Bild und 68 Versen, doch ohne des Dichters Namen und ohne Angabe von Druckort und Jahr. Auf dem Holzschnitte, den Pauli (H. S. Beliam 1901 S. 463 nr. 1431. 35,5 cm hoch, 49 cm breit) nach einem in London befindlichen Abdrucke ohne Text beschreibt, jagen viele Teufel verschiedene Mönche mit Dreschflegeln, Spiessen, Netzen, Hunden und hornblasend dem Höllen- rachen zu.

Bilderbogen des 16. und 17, Jahrhunderts. 187

Varianten: 8.316,4 erschröcklich träum 5 eygentlich in der bildtnus 12 groß geschell 13 endtrisch i4 Daruor ig durch das i7 gedöss, echtzn 22 ab- wartz 27 eyner, der wurd geiagt 317, 2 Vnd man jn so 5 geistlichkeyt 7 dann die weltlich wellt 12 stiften, pfründ, reut 21 Fast all sitzen an 28 jrer stewr, gpot 31 Verfürten den gmeyn man 32 Das er hat Gottes wort 36 Darumb so geben wir 318, 2 in werck vnd leben 3 geben, AMEN 4-c fehlen.

14. Das Schlaraflfenland.

Das Märchenland des grenzenlosen Genusses^) hat uns Deutschen niemand eindrucksvoller geschildert als Hans Sachs in seinem 1530 ver- fassten Schwanke 'Das Schlauraffenlandt' ^). Schon die alten Griechen wussten von der goldenen Zeit und den Inseln der Seligen Wunderdinge zu berichten, unter den fahrenden Klerikern des Mittelalters lief die lustige Fabel um von dem Wunschreiche Cucania, als dessen Abt sich der trinkfrohe Dichter der 'Confessio Goliae" um 1163 bezeichnet, im 13. Jahrhundert ward das Keich in dem launigen französischen 'Fablel de Coquaigne") als das Land der Faulenzer und Schlemmer ausgemalt, und sein Ruhm drang bald nach England*) und Holland") wie nach Italien*') und Spanien^), während in Deutschland die Lügendichtung 'Wachtel-

1) Vgl. J. Poeschel, Das Märchen vom Schlaraffenlande (Paul-Braune, Beiträge 5, 389-427. 1878) und Erich Schmidt, Charakteristiken 2, 51—90: Das Schlaraffenland (1901).

2) H. Sachs, Folioaasgabe 1, 5, 541a (1558) = Fabeln ed. Goetze 1, 8 nr. 4.

3) Meon, Fabliaux 4, 175. Histoire litt, de la France 23, 149.

4) Mätzner, Altenglische Sprachproben 1, 147 (1867). Im 16. Jabrh. kommt auch der Ausdruck 'Lubberland' vor.

5) Van dat edele lant van Cockaengen (132 Verse. Priebsch, Tijdschrift voor nederl. Taalkunde 13, 185—191. 1894). Van 't Lujeleckerlandt (1546, nach H. Sachs. Bolte, ZfdA. 36, 297). 'My lust van hier te varen' (Kalff, Het lied in de middeleeuwen 1884 S. 490). 'Sa, wevers met g'heel hopen' (Lootens-Feys, Chants pop, flamands 1879 nr. 92). Ein Sticii nach Pieter Brueghel mit Versen (L. Maeterlinck, Le genre satirique dans la peinture flamande 1907 p. 313). Auch neuere Bilderbogen existieren.

6) [G. C. Groce?] Capitolo di Cuccagna 1581: 'Son stato nel paese di Cuccaggna' (57 Terzinen. Storia di Campriano contadino, ed. Zenatti 1884 p. 55 und LXI); 1625 (Mones Anzeiger 7, 406); Giovannino il Tranese, Historia di Cuccagna 1715 (Giambattista Basile 2, 84. 1884). Über die Schilderungen von Calmo, Folengo, Basile, Quirico Rossi, Goldoni u. a. vgl. Novati, Giornale storico della lett. ital 5, 263 f. und A. Graf, Miti del medio evo 1, 236 (1892). Die bei Drugulin (Histor. Bilderatlas 1, nr. 2535— 3S'i und Nagler (Künstlerlexikon 10, 182) angeführten Bilderbogen des venezianischen Kupfer- stechers Nicolo Nelli (II paese di Cucagna 1564. II trionfo di Carnavale nel paese di cucagna. La vcnerabile Poltroneria regina di Cucagna 1565) blieben mir bisher leider unzugänglich. Boccaccio (Dec. 8, 3) nennt das Freudenland ßengodi.

7) Um 1340 erwähnt Juan Ruiz Erzpriester von Hita, der auch einen Kampf von Frau Fasten mit Herrn Fastnacht (Meon 4, 80. Montaiglon 10, 110. Keller, Fastnsp. 624. 1516. Brueghels Bild 1559. Wright, Hist. de la caricature 1875 p. 341. Ashton, Huraour of the 17. Century 1883 p. 282) schildert, einen 'escolar goloso companero de Cucana' (copla 112 und 331. Biblioteca de autores esp. 57, 225. 260). Die 'tierra de Jauja' wird beschrieben in einem 1567 gedruckten Zwischenspiele von Lope de Rueda (Obras 1, 50. 1895) und in zwei Romanzen (Duran nr. 1347. 1733. Depping, Romaucero castellano 1844 2, 430. 477). Auch der IMamo tierra del Pipiripao ist üblich.

188 Bolte:

maere' von den Fladendächern und Wurstzäuneu des Landes Kurrelmurre- und der Strassburger Prediger Geiler von den Milchquellen, Semmel- bäiimen und den herumfliegenden gebratenen Tauben eines Fabellandes zu erzählen wusste. Das anschaulichste und ausführlichste Bild aber ent- warf, wie gesagt, Hans Sachs: im Schlauraffenlande, zu dem man sich durch einen drei Meilen dicken Berg von Hirsebrei hindurchessen muss, sind die Häuser mit Fladen gedeckt, die Wände bestehen aus Speck- kuchen, Tür und Fensterladen aus Lebkuchen, die Zäune sind aus Brat- würsten geflochten, aus den Brunnen rinnt Malvasier, auf den AVeiden- bäumen an den Milchbächen reifen Semmeln^), den Hungrigen schwimmen gesottene und gesulzte Fische zu oder fliegen gebratene Tauben ins Maul,. Baueru wachsen auf Bäumen, unter denen schon Stiefel für sie bereit- stehen, Pferde legen Eier, Esel Feigen usw. Doch in diesem Lande (so spottet der Dichter ohne langweilige Moralpredigt der trägen Genuss- sucht) ist nur Platz für faule, liederliche und grobe Gesellen; vernünftige,, arbeitsame und ehrbare Leute werden ausgewiesen.

Der Schwank ist einer der allerbesten des Nürnberger Dichters, trotzdem er nicht auf den Ruhm selbständiger Erfindung Anspruch er- heben darf. Den Namen 'Schluraffen' (sluderaffen) hatte bereits Brant im 108. Kapitel seines Narrenschiffes (1494) auf die gedankenlose und üppige Rotte angewandt, die mit einander zu Schiff gen Narragonia und Schluraffenland fährt. Mit Beziehung auf Brant redet 1515 die Quaestio de generibus ebriosorum^) von 'der preiteu geselschafft, die do schiffen und segeln mit halben wind versus Narragoniam, in Schlauraffenland, do die heußer mit bratwürsten gezeunet und mit honig bekleibt und mit fladen gedeckt seyn, da uns die gebraten tauben in die meuler fliegen'. Und wohl noch früher fällt der 'Spruch vom Schlauraffenlandt'^), welcher im Eingange auf das Narrenschiff Bezug nimmt, in der Beschreibung der Schlauraffey (v. 10 55) hie und da, doch nicht in Reihenfolge und Aus- druck zu Hans Sachs stimmt, in der Schelte auf die dahin gehörigen Gesellen (v. 56—163) aber sich weit mehr Raum gönnt und mit einem Gebet an Maria schliesst. Zwischen 1527 und 1538 erschien zu Nürn- berg ein Meistergesang vom Schlauraffenlande im roten Zwingerton*}, dessen Autor gleichfalls selber zum Zug dahin auffordert; die Schilderung steht in der Reihenfolge der Einzelheiten dem Hans Sachs noch näher, mischt jedoch grobianische und sexuelle Unflätereien ein. Ferner liegen

1) Den Semmelbaum am Milchweiher hatte schon Rosenplüt (Stiefel, H. Sachs- Forschungen S. 48j geschildert.

2) Zarncke, Die deutschen Universitäten im Mittelalter 1, 121 (1857).

:5) In Brants Narrenschiff hsg. von Zarncke 1854 S. CXXII aus der Wiener Hs. 3027, Bl. llHb (1G7 Verse).

4) In disem land kan ich nymmer beleyben (7). Gedruckt zu Nürnberg durch Kunegund Hergotin. 4 Bl. 8" (Berlin Yd 7821, 18) = Brant hsg. von Zarncke S. 455.

Bilderbogen des 16. und 17. Jahrhunderts. 189

in späteren Drucken zwei Fassungen eines Liedes im Lindenschmidston^) vor, eine von 37 und eine von 34 Strophen, welche unzweifelhaft in nächster Verwandtschaft zu Hans Sachs stehen; nur ist es fraglich, ob sie aus Hans Sachs entlehnen oder, wie Stiefel in seiner scharfsinnigen Untersuchung^) annimmt, Hans Sachs aus einer älteren Fassung schöpfte, welche die Eigentümlichkeiten von L 1 und L 2 vereinigte. Denn ausser den gemeinsamen Versen weist jede dieser drei Versionen, sowohl das Spruchgedicht Hans Sachsens (S) wie die strophischen Dichtungen L 1 und L 2, besondere Züge auf, die wieder auf eine ältere Überlieferung zurückgehen. So besteht der Berg, durch den sich jeder, der ins Schlaraffenland will, durchbeissen muss, in L 2 wie im mittelenglischen 'Poem of Cocaygne' aus Dreck, bei S aber aus dem appetitlicheren Hirse- brei; in L 1 und L 2 regnet es Honig und schneit es Zucker entsprechend dem Fladenregen im französischen und niederländischen Gedicht, und wer eine alte Frau hat, schickt sie zum Jungbrunnen, worauf sie zu einem jungen Maidlein wird; auch dieser Zug findet sich im Französischen und Niederländischen, aber nicht in S. Umgekehrt fehlt in L 1 und L 2 <iie Ortsbestimmung 'das ligt drey meyl hinder Weyhnachten', die S nebst einigen anderen Versen aus dem roheren Meisterliede im roten Ton Peter Zwingers entlehnt hat; es fehlen dort auch die auf Bäumen wachsenden Bauern, die H. Sachs wohl als eiu ergötzliches Naturwunder^) einführt das zugleich Knechte und Hörige für die Schlauraffen liefert, ohne doch diese ihre Bestimmung deutlich zu bezeichnen. Wenn nun Stiefel bei den gemeinsamen Verspartien die Priorität nicht S, sondern L 1 2 zu- erkennt, so leitet ihn dabei die Einheitlichkeit von L 1 2, während ihm bei H. Sachs die doppelte Erwähnung der drei Meilen in V. 3 und 7 und „die nicht hineingehörenden auf Bäumen wachsenden Bauern" als ein Anzeichen der Kompilation erscheinen. Ferner meint er, ein Nachahmer*) des H. Sachs hätte sich die vortrefflichen Stellen, die in L 1 2 fehlen, nicht entgehen lassen. Allein umgekehrt kann man auch behaupten, dass

1) L 1: Nun höret zu und schweiget still. 37 Str. mit einer Einleitung von 16 Versen: Ein Land das ist mir wolilbekannt. 4 Bl. o. 0. u. J. (Berlin Ye 481. Wernigerode) = Hoü'mann v. F., Altdeutsche Blätter 1, 168 (1836'. L 2: Nun höret zu und schweiget still. 84 Str. Gedruckt im Jahr 1611. 4 Bl. (Zürich) = Wackernagel, ZfdA. 2, 464 = Scheiblf, Schaltjahr 1, 301 = Mittler, Volkslieder 1855 nr. 1334 = Böhme, Altdeutsches Liederbuch nr. 278a = Erk-Böbme, Liederhort 3, 40 nr. 1096.

2) In der Festschrift Hans Sachs-Forschungen 1894 S. 37 52 und in Kochs Studien zur vgl, Literaturgeschichte 2, 154-156 (1902).

8) Vgl. sein verlorenes Gedicht 'Pauni, darauf maid und gesellen wachsen': dazu Fabeln ed. Goetze 1, 111 nr. 33, MüUer-Fraureuth, Lügendichtungen S. 97 f. und oben 19, 51. Den vermutlich zu diesem Gedichte gehörigen Holzschnitt (20,5 : 36,2 c»i) sah ich jüngst auf der Feste Coburg.

4) Ein solcher Plagiator ist Hans Witstatt, der des H. Sachs Schwank 'Der Sturm des vollen Berges' (Fabeln 1, 138 nr. 43) unter neuem Titel: 'Vom ßacho Vnd seinen Gesellen, höret wunder wie sie sich stellen' (4 Bl. o. J. Berlin Yh 901) plünderte.

190

Bolte:

H. Sachs, falls ihm die angeführten Plusstellen aus LI 2 vorlagen, diese schwerlich verschmäht hätte, wenn er auch den Dreckberg absichtlich in einen Hirseberg umwandelte; und sollte L 1 2 jünger sein als S, so kann der Verfasser die Zusätze aus der älteren Tradition eingesetzt haben. Mich dünkt es daher vorsichtiger, in dieser Frage ein Non liquet auszusprechen, zumal wir doch gewiss nur einen Bruchteil der im 16. Jahrhundert umlaufenden Schilderungen des Schlaraffenlandes kennen. Zu dieser Rekapitulation veranlasst mich die Auffindung eines Einzel- druckes^) von S aus dem letzten Viertel des 16. Jahrhunderts, der eine

charakteristische Illustration enthält. Der Holzschnitt allein, welcher alle oben aufgezählten Züge des Gedichtes in derben Umrissen wiedergibt, ohne sich durch P. Brueghels Bild beeinflussen zu lassen, war mir bereits auf dem Berliner Kupferstichkabinett^) begegnet (18 : 28,5 cm), das voll- ständige Blatt besitzt die Wiener Hof bibliothek (L 6, nr. 48):

Das Schlauraffenlandt. [Darunter das oben •wiedergegebene Bild.]

Der bei Hans Sachs 110 Verse umfassende Text ist auf 88 Verse

zusammengestrichen und ohne Rücksicht auf das Metrum etwas modernisiert;

des Dichters Name fehlt:

V. ?> bis 10 fehlen 11 gedeckt mit Fladen 12 Laden 13 Thielen 17 Malmasier 18 selbst 19 bis 24 fehlen 25 die Semel 26 Bech mit Milch

1) Der älteste Einzeldruck (1530) ist verloren, ebenso die hsl. Fassung im :>. Spruch- buche. Goetzes Text beruht auf einem frühestens 1534 entstandenen Einzeldrucke (Gesamtausgabe 24, 144 Enr. 117, 5;.

2) Vgl. Sachs, Fabeln ed. Goetze 2, XI nr. 4.

Bilderbogen des 16. und 17. Jahrhunderts. 191

-21 falln 29 pehn Lachen 30 Gesotten bachen 33 mügt jr glauben 36 selbst 37 Jar wol geraten 38 gebraten 42 Die] fehlt 4!) bis 52 fehlen; dafür: Am weg vil Gelds man finden ist, J Ein Junck Brun ist im Land alle frist 53 alten 54 thut halten 5G weitest 57 bis 60 fehlen 67 welcher sein Geld auch 68 gibt 69 gern 71 Muß jhm jhener zu geben ohn klag 72 wol trincken mag 73 batzen 74 fatzen 7(> geyt man] fehlt 78 gantz] frey 79 brauchen 87 Der der feulest 88 Derselbig 89 vnd wild 90 zu aller frist 91 Fürsten 92 gern Leberwürsten 94 nichts nit 95 Denn schlaffen 96 Graffen 97 nichts nit 103 gewönlich ist faul 105 man sie weiß in Schlau- raffen — 106 schlüchtig straffen 108 nye] nichts Zu Nürnberg, bey Wol ff Strauch^).

Diesem Bilderbog-en reihe ich zwei weitere Darstellungen des Schlaraffen- landes an. Auf einem Wandkalender, den der Zürcher Buchdrucker Christoph Froschower d. j. 1566 herausgab 2), ist oben ein Holzschnitt angebracht, der allerlei närrische Ess- und Trinkverrichtungen von einzelnen darstellt. Die Beischrift lautet:

Eumpt har jr liebhaber deß Lands, War dryn wil kon, muß mögen ässen.

Lugend als in eim spiegel gantz, Deß trinckens ouch gar nit vergässen.

Ob derglych land sey vff erden! So man den schnuderberg hat bstigen.

Gar keins mag jm verglychet werden. Thut es der linken hand nach ligen lo

5 Ein Insel ists vnd wirdt genannt Dry myl hinder Sant Vrbans tag.

Zu rechtem tütsch Schlur äffen land. Kein eebrecher dryn kommen mag.

Auf einem Kupferstiche des 17. Jahrhunderts^) hat der Zeichner die Szenerie des Strauchschen Holzschnittes benutzt, um, vermutlich in Anlehnung an die oben S. 187 ® zitierten italienischen Bilderbogen, einen Triumphzug des Königs von Schlauraffenland hiueinzusetzen, dessen Pferd hier nicht mehr Eier legt, sondern Geld in grossen IVIengen münzt, und hinter dem eine appetitlich anzuschauende Schar essbarer Dinge, Eier, Käse, gebratene Hühner, Schweine, Rinder usw. einherzieht. In einem Mandat*) ladet er alle guten Schlemmer in sein Reich ein:

Der König von Schlauraffen Landt.

In diesem Landt da ist gut sein, Diß Land ist gutt für manchen Bruder,

Aber gar langsam Kompt man drein, Der frist vnd saufft vnd ligt im Luder. Dieweil der Weg ist gar zu Weit, Die Lufft Kocht gar,

Nimbt dahin zu reysen lange Zeitt. Schmeckt wol l'urwar. 10^

5 Wer da hin kompt bey seinen tagen, Kam auch an mich,

Der kan vnd mag von gluck wohl sagen. Ohn sorg wäre Ich.

1) Goetze, Hans Sachs 24, 246 verzeichnet Drucke von Wolfgang Strauch v. J. 1570 und 1596.

2) Folioblatt im Besitz der Antiquarischen Gesellschaft zu Zürich; vgl. E. Weller, Anzeiger f. K. der dtsch. Vorzeit 1859, 368 f. Leider ist das Blatt gegenwärtig, wie mir Herr Prof. Dr. G. Meyer von Knonau mitteilt, in Zürich nicht aufzufinden.

;3) Folioblatt im Germanischen Museum zu Nürnberg. Eeproduziert bei Diederichs, Deutsches Leben der Vergangenheit in Bildern 1908 2, nr. 1115. Vgl. damit den älteren Bacchuszug bei Diederichs 2, nr. 1117.

4 Vgl. die Edicta ludicra im Anzeiger f. K. d. d. Vorzeit 1868, 198. 288. 1872, 311. Zs. des Harzvereins 25, 262. liindener, Rastbüchlein 1883 S. 50. Zs. f. d. Alt. 36, 301., Oben 15, 41. 43.

192

Bolte:

[Der Kupferstich zeigt den von einem Fahnen schwinper und drei Knechten mit Weinkrügen und Geldkorb geleiteten König zu Pferde sowie die andern in den folgenden Versen beschriebenen Szenen, mit den Nunijnern 1 bis 11 versehen ]

Wovon mau gelust, kau man von

schneidt. Das[e]lbst springt auch ein schön

Fontein Vom besten weissen vnd rothen Wein. Diß Landt hatt auch in sich die arth, 40 Daß man nur zehrt vnd gantz nichts

spart h. Daselbst mawret man die heußer mit

fladen, Die Tächer mit Pfaunenkuchen vber-

laden. Die Gärten sind geziehret recht, Die Zeune mit bratwurst außgeflecht. 45 Die Beüme tragen Frucht von aller-

handt, Bleibt alle Zeit reiff vnd gar im Land. Es muutzet auch hier des Konig Pferdt Vberflußig geld, drumb ists nicht

werth. In Summa, da ist Abuudanz. 50 Frew dich, Bruder, di ßes LandtsI Da zu wohnen wehr wohl mein Sin, Wen ich nur kommen könt dahin.

10.

11.

Ihr Königliclie Majestätt 1.

Ausdrücklich Publiciret hattl 15 In seinem gantzen Königreich:

Alle Fres.ser vnd Sauffer zugleich,

Welche sich nimmer lassen genügen.

Die sollen sich in sein Land verfugen,

Die weil mau da gute Mores lehrt, 20 Wofern sich daß Blatt nicht verkelirt.

Daß (Jrobianus Meister wirdt.

Mit dießer Tugendt ist der geziert.

Die Freiheit geb ich ietzundtz [!] allen,

Den dieses Landt thut Wohlgefallen, 25 Die kommen frölich letzt ins Reich,

Fresser, Sauffer, Faulleutzer zugleich. 2.

Ja welch'T diß am besten kan.

Der ist alda der beste Mann,

Vnd welcher an Tugendt ist sehr faul, so Dem fliegen gebratene tauben ins 3. Maul.

Auch man im Kochen keine Muhe anwendt.

Alles ist gar vnd lenü't behendt. 4.

Pasteten, Ochsen, Schaff vnd Schwein, 5.

Die lauffen von sich selbst herein, 35 Alles gekocht vnd wohlliereitt;

Über die Verbreitung der Dichtung, die sich ja vielfach mit den Gruppen der Lügenmärlein, Utopien, der Schilderungen des irdischen und des himmlischen Paradieses und anderer phantastisch ausgemalter Wunsch- länder^) berührt, haben Poeschel, Müller-Fraureuth (Die deutschen Lügen- dichtungen 1881 S. 96 f.), das Grimmsche Wörterbuch und Erich Schmidt zahlreiche Zeugnisse gesammelt: aus Hans Sachs, Sebastian Franck (Chronik 15o9 Bl. 60b), Liiidener (18h3 S. 50), dem Finkenritter, der Zimmerschen Chronik (3, 155), Fischart (Gargantua 1891 S. 143), Mangolt (1596), Eyring (2, 54), Schweigger (1608. Germ. 15, 101), Schuppius (S. 352. 539), Grimmeishausen (1, 262. 2, 225. -80 Kurz), Weise (Erz- narren 1878 S. 39), Stranitzky (1886 1, 27. 2, 72), Ertl (1721. Germ. 17, 93), Niviandts (1752. Germ. 16, S5) u. a. Ich füge hinzu: Nie. Gryse, Leieu Bibel 1, Bl. Cc la (Rostock 1604): „Se tehen hen in Sloraffen Landt, darvon men redet, dat darsüluen de Hüser allenthaluen mit Peperkoken gedecket, mit Bradtwörsten getünet vnde mit Specksyden vnde hounich- zucker Fladen kalcke vpgemüret syn schöhfu." Bei S. von Birken, Androfilo und Sylvia 1656 S. 72 sagt Tewes: „Ich habe mich drey Meilen durch den Heydelbrey ins Schlauraffenland durchgefressen." Auf einem

1) Vgl. z. B. Matthaei, Das weltliche Klösterlein und die deutsche Minneallegorie (Diss. Marburg 19('8) und Mac Conglinnes Vision bei Tlmruej^seu, Sagen aus dem alten Irland 1901 S. 137-145.

Bilderbogen des 1(3. und 17. Jahrhunderts. 1<)3

gleichzeitigen Nürnberger Bilderbogeni) beginnt ein Aufschneider seine Lügen folgendermassen:

Ich schwer, ich habe mehr als tausend mal gesehen, Was in der gantzen >Velt vom Anfang her geschehen In Süden, Ost, Nord, West. Dort in Schlar äffen Land Da steht ein guter Äff in einem guten Stand. 5 Die Häuser sind bedeckt mit güldenen Marzipanen, Die Tische zieren schön Pasteten vnd Fasanen Vnd was das Hertz begehrt. Die üänse sind geropfft. Gebraten, fliegen um mit Kesten voll gestopfft. Die Brunnen die sind Milch, die Bach mit Honig fliessen, 10 Die gantz Schlaraffen Land mit Milch Kern übergiessen . . .

Dagegen geht das Ryrabökelin (ed. Seelmann 1885 Y. 3311 f.) nur auf Braut zurück, und in der Frischlin nachgebildeten Komödie Rebecca des Schlesiers Calagius (Liegnitz 1599 Bl. E 3b) entspricht das Schlaraffen- land, von dem der Parasit Gastrodes Fabeldinge berichtet, dem Lügenlande Utopia bei Frischlin lY, 6, ebenso wie in [Schnebelius oder Schrebelins] albernem Yoyage imaginaire 'Der Staat von SchlarafFen-Land' (um 1700. Berlin Yz 3559. Müller-Fraureuth S. 97) und in den Liedern bei Böhme, Altdeutsches Liederbuch nr. 278 b, Erk-Böhme, Liederhort nr. 1095, Peter, Ytl. aus Österr.-Schlesien 1, 73 nr. 198 oder Grimm, KHM. 158. Zu den von Pöschel (Beitr. 2, 425) und Müller-Fraureuth (Lügendichtungen S. 97) besprochenen Landkarten des Schlaraffenlandes, die durch Morus' Utopia (1516) angeregt sind, sei auf Exemplare im Joachimsthalschen Gymnasium zu Berlin und im Germanischen Museum hingewiesen (Drugulin, Histor. Bilderatlas 1, nr. 2914—15)2).

15. Das Narrenschiff.

Zur Nachgeschichte von Brants Narrenschiff (1494), die Zarncke 1854 in seiner bahnbrechenden Ausgabe S. CXYI f. behandelt hat, gehören auch einige von ihm nicht erwähnte Bilderbogen des 16. bis 17. Jahrhunderts. Zwei Kapitel Brants hat der Augsburger Briefmaler Hans Hof er um 1550

1) New außgebildeter jedoch wahrredenter ja rechtschaffener Auffschneider. Nürn- berg bey Paulus Fürsten (Berlin, Gotha, München, Nürnberg).

2) Ob in Skandinavien das Schlaraffenland zu einer ähnlichen Volkstümlichkeit gelangte wie bei uns, ist mir zweifelhaft, obwohl die Wörterbücher ein dänisches Over- daadighedensverden und ein schwedisches Lättingarsland verzeichnen. Bei den Cechen entspricht der Ausdruck Lenoraj (Land der Faulen), wie Spina (Die alttschechische Schelmenzunft Frantova präva 1909 S. 199 f.) bemerkt. Eine polnische Beschreibung findet sich, wie mir Herr Prof. Dr. A. Brückner freundlich nachweist, bei Podworzecki, Wrozki (Kvakau 1589; zit. bei Adalberg, Ksi^ga przyslüw S. 77): „Schon sind nicht mehr jene Jahre, da man aus Würsten Zäune flocht, die Häuser mit Speckseiten und Klössen deckte und Met und Honig in den Strömen floss." Ähnlich bei Cnapius (1632; vgl. Wurzbach, Histor. Sprichwörter der Polen S. 251): „W^o sind die Zeiten hin, da die Würste auf der Welt herumflogen?" Aus einer Hs. des 17. Jahrhunderts führt Herr Prof. Brückner die Ortsbezeichnung 'im dyrlandischen Lande' (w ziemi dyrlandzkiej^ an.

Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1910. Heft 2. 13

194

Bolte :

ohne Andeutung der Entlehnung und mit einem neuen Holzschnitte ver- sehen, veröffentlicht, cap. 33 'Vom Ebruch") und cap. 48 (Eyn gesellen schiff) als 'Das verdorben schiff der handtwercksleut, Getruckt zu Augs- purg durch Hans Hofer Briefmaler, im klainen Sachsen geßlin'^) durchweg in abgeändertem Ausdruck. Eine selbständigere Stellung dagegen darf das folgende, in zwei Drucken erhaltene Poem beanspruchen:

A) Narrenschiff. Folioblatt o. 0. u. J. um 1600 (Wien L 6, 49). Der Kupfer- stich (11,2 : 15,0 cw) zeigt ein Schiff voll trinkender Narren; die Mastspitze mit der Raae bricht ab: ein Narr sucht einem ins Meer gefallenen Genossen herauszuhelfen*). Der Text in drei Spalten.

B) Narrenschiff. Folioblatt. Augspurg, bey David Mannasser, Kupfferstecher 1630. (Feste Coburg).

N arrenschiff.

Dise Schiffart vor Augen stellt Dem [!] gmainen Lauff jetziger Welt, Weil man erstlich darob wirdt gwahr AUerley Volck ein grosse Schar,

;. Gelehrt, Idioten, Arm vnd Reich, Edel vnd Vnedel deßgleich, Auß jeder Handthierung vnd Zunfft Ein Außschuß, die mit jhr Vernunfft Andere vbertreffen weit

10 Nach jhrem Beduncken der Zeit; Derhalb sie auch von jederman Ohn corrigirt wollen hingahn, Vnd maint ein jeder stoltzer Kropff, Die Mainung, so er in sein Kopff

15 Vast, muß hinauß gehn zu der stund, Vnd solt die Welt drob g:ehn zugrund. Fangen vil an, machen nichts auß. Als daß sie Tag vnd Nacht im sauß Fressen, sauö'en vnd panckatiern.

20 Andere thun jhr Zeit verliern Mit Wirffei, Karten vnd Bretspil. Auch so findt man wol jhrcr vil, Die mit Saitenspil all jhr Gelt Einbüssen, vnd dannoch otft feit

25 Zu bezahlen, die jlim hofiert,

Welchs solche Gänch mächtig wol ziert. Etlich jhr Recreation Hond mit dem Fraweuzimmer schon, Bemühen sich vil Tag vnd Nacht,

30 Werden doch letztlich drob verlacht.

Auch finden sich ein grosse Summ

Herren Almodiscipul jung,

Die, was jhr Eltern han erspart,

Wenden an die laidig Hoffart.

Andere thun sich selber verführen

In Künsten, so jhn nicht gebüren.

Und lesen alle Bücher auß,

Biß jhm Fraw Armut kompt zu Hauß.

Ein grosser Hauff mit köglen, schiessen

Auch Gelt, Arbeit vnd Zeit einbüssen.

Jagen, hötzen, beissen, Gwildt fällen

Ohn Noth verderbt vil gutr Gesellen,

Auff Gutschen fahren, reiten vil

Grosses Einkommen haben wil.

Das nicht betracht manch junger Boß,

Biß der Schuster beschlägt sein Roß.

Ein guter theil die Arbeit fliehen,

Darfür spatziern herumb ziehen

Oder Agiren jederman

Ohn noth, wer nur für sie thut gähn.

Dise Bürschlein, so vor diß mahl

Ich jetzt nicht kan erzehlen all,

Wollen vor lauter Büberey

Mit auffgezognem Segel frey

Auffwarts fahren im Wasser groß.

Wie starck der Windt herwider stoß.

Ist jemand da, der sie redt an

Von sollicher Weiß abzustahn.

Vnd sagt, wie auff diser Manier

Der Handl nicht lang bstehn kan schier.

35

45

1) Gothaer Museum, Sammclband 2, 80. Reproduziert von Ed. Fuchs, Die Frau in der Karikatur 1906 S. 176, Tafel.

2) Gotha 2, 93. Aus Murners Schelmenzunft (1512) nr. 12 stammt der Bilder- bogen 'Die oren laßen melken' (Gotha 2, 77). Über ein aus Schwarzenbergs Cicero (1531) Bl. 30a geschöpftes nid. Blatt vgl. Tijdschrift voor nederl. Taalkunde 14, 138.

3) Über die Idee des Schiffes s. Zarncke, Nanenschiff S. LX f. und Kalff, Het Lied 1884 S. 4G6, auch den Kupferstich 'Banckrotdirer Freyheyt vnd Privilegium' (Berlin Kupferstichkab., München, Nürnberg).

Bilderbogen des 16. und 17. Jahrhunderts. 195

Was vor Kletten, Schmach, Hon vnd Eim jedem vndern Füssen ligen, so

Spott Den sie vormal vfft selb veracht.

Einem zlohn wirdt von diser Rott, So bald ändert sich solcher Pracht

Darff er gar nicht thailen mit mir: Diser vollen ßurcht vnbesunnen.

Dann sie gedencken für vnd für Drumb wer dem Vnglück wil entrinnen,

6.i Ihr Sach durchzuführn mit Gwalt. Steig auß dem Schiff behendt vnnd 85

Ob schon der Mastbaum vns zerspalt, schnell,

Gleichwol sollen all Sach behendt Damit jhn nicht treff Vngefäll,

Nach jhrem Kopff lauffen zu Endt, Vnd ergeh sich mit Hertz vnd Muth

Mit welcher weiß sie offt vnd dick Verständiger Leuth Warnung gut,

70 Widerstreben Gott vnd dem Glück Die es mit jhm mainen in trewn,

Vnd wollen zwingen die Natur, Auff das jhn nicht erst thu gerewn 90

Hawen mit Gwalt vber die Schnur, Der Haudel, so es ist zu spat

Biß sie vnversehens mit Gfahr Vnd nicht mehr hilfft getrewer Rath

Sambtlich an ein Stock fahren gar. Ehrlich Kurtzweil zu aller stundt

75 Vnd zutrüramern geht das Scliiff, Wie auch Gsellschafft ist wol vergunst

Ob dem Wasser der Trübsal tieff Nach eines jeden Beruff vndt Standt 95

Mit noth vnd Jammer herumb schwemmen, Oder seinem Einkommen zuhandt,

Daß sie sich hernach müssn schemmen Aber wer vber sein Vermögen

Vnd gantz demütiglichen schmügen, Mit Gwalt wil thon, der muß erlegen.

FINIS.

16. Der Kunsthändler Paul Fürst in Nürnberg.

Einen Überblick über die reiche Produktion der älteren volkstüm- lichen Bilderbogen zu gewinnen hält zurzeit schwer. Wir brauchen auch nach Drugulins Bilderatlas (1863 1867) und Wellers Annalen der poetischen Nation alliteratur (1862 1864) genaue Verzeichnisse der Bestände unsrer öfiPentlichen Sammlungen und Übersichten über die Tätigkeit der einzelnen Verleger^), um zu einer Datierung der einzelnen Blätter zu gelangen. Nur als einen bescheidenen Versuch auf diesem Gebiete stelle ich hier einige Notizen über den fruchtbarsten Verleger von Flugblättern des 17. Jahrhunderts, den Nürnberger Paul Fürst, zusammen.

Paul Fürst war zufolge den Messkatalogen ^) von 1638 1666 als Buchhändler in Nürnberg tätig, muss also vor 1615 geboren sein. Er übernahm das Geschäft des 1635 verstorbenen Buch- und Kunsthändlers

1) In Augsburg druckten Bilderbogen Dominicus Custodis (1.397 1603), Christoph Mang (1612), Sara Mangin Wittib (1618), Martin Wörle (um 1620), Hans Jörg Mannasser (1621—1623), Daniel Mannasser (1621—1623), David Jlannasser (1630), Mattheus Rembold (1622—1630), Lucas Schultes (um 1622), Christoph Greutter (1622), Job. Klockher (1626 bis 1629), Marx Anthoni Hannas (um 1640), Job. Umbach (1648), Martin Zimmermann (1649—1653); in Darmstadt Balthasar Hofmann (1619); in Frankfurt a. M. Conrad Corthoys (um 1600), Eberhard Kieser (1620); in Kempten Stephan Michelspacher (1614 bis 1617); in Köln Peter Overadt (1593), Job. Bussemacher (1604—1616), Gerhard Altzen- bach (1648. Merlo, Kölnische Künstler 1895 S. 40): in München Peter König; in Nürn- berg, wo für das 16. Jahrhundert Hampe (Nürnberger Ratsverlässe über Kunst 1904: auch H. Sachs ed. Keller-Goetze 24, 242f.) treffliche urkundliche Nachweise lieferte, Peter Isselburg (1614-1616), Balthasar Caymox (1622), Joh. Hofmann (1658—1674); in Speier Mattheus Buschweller (1620); in Strassburg Jacob von der Heyden (1()16), Marx von der Heyden, A. Aubry (1668) usw.

2) G. Schwetschke, Codex nuudinarius 1850 S. 94ff. Bei J. F. Roth, Geschichte des Nürnberger Handels 3, 36 (1801) steht nur: Fürst, Paul, Kunst- und Buchhändler, 1663.

13*

196 Bolte:

Balthasar Caymox^), deu er 1642 seinen „geliebten Herrn Yhr Schwer- vater" nennt ^) und als dessen Erbe er schon 1640 auftritt. 1646 ward er unter die Genannten des Grösseren Rates aufgenommen^). Sein Tod fällt nach Roths Angabe ins Jahr 1666, was durch die Messkataloge bestätigt wird; denn hier erscheinen von 1667 1696 nur Paul Fürsts Erben oder Paul Fürsts Witwe und Erben. Da in den Totenbüchern von St. Sobald in Nürnberg*), die Herr Archivrat Dr. Mummenhoff von 1662 1697 freundlichst für mich durchgesehen hat, sein Name nicht begegnet, muss er ausserhalb Nürnbergs, etwa auf einer Geschäftsreise, verstorben sein. Wenn trotzdem ein 1678 neu aufgelegtes Werk D. Meisners ^), eine Ab- bildung des Marktplatzes von 1675 und ein Papstporträt von 1689 (unten nr. 74-76) den Druckvermerk tragen: 'Paulus Fürst excu[debatj', so ist diese Beibehaltung der alten Firma als eine nachlässige Geschäftspraxis bei Neuauflagen anzusehen und beweist keine längere Lebensdauer Fürsts. Es überlebten ihn seine Witwe, ein 1697 un vermählt verstorbener Sohn Georg Paulus®) und drei Töchter^), von denen eine den Buchhändler R. J. Helmers heiratete*) und eine andere, 'Magdalena (1652 1717) sich als Blumenmalerin hervortat; sie war eine Schülerin von J. Fischer und Sibylle Merian^).

Yon Fürsts Yerlagsartikeln beschäftigen uns nicht die Bücher, die sich aus den Messkatalogen ohne Mühe feststellen lassen'"), sondern die mit Kupferstichen gezierten Flugblätter, die einst als Wandschmuck in viele Bürger- und Bauernhäuser drangen und sich in den Mappen von

1) Vgl. unten nr. 1 (1G40) und die neue Auflage von J. Sauberts Emblemata sacra (1646. 1647). Caymox, der 1596—1630 verschiedene Bücher herausgab (Schwetschke S. 33. Ein Bilderbogen von 1622 unten S. 197 zu nr. 3), starb 1635 im 52. Lebensjahre (Nagler, Künstlerlexikon 2, 278).

2) In der Widmung zu der 1638 begonnenen achtbändigen 'Sciographia cosmica, d. i. Newes Emblematisches Büchlein' des Deutschböhmen Daniel Meisner an den Nürnberger Ratsherren Hans Wilhelm Kress von Kressenstein.

:)) Roth, Genanntenbuch 1802 S. 127.

4) Da Fürst in der Zisselgasse wohnte, gehörte er in diesen Sprengel.

5) Libellus novus politicus emblematicus, pars 5 8. 1678 (München K. Bibl.).

6) Totenbücher von St. Sebald 1697, zum 8. Oktober: 'Der Erbar und Fürnehni Georg Paulus Fürst, des Erbaren und Fürnehmen Paulus Fürsten seel. hinterlassener Sohn in der Zießelgaß'.

7) Auf einem kleinen Kupferstiche der Nürnberger Stadtbibliothek, der drei mit Handarbeiten beschäftigte Damen und zwei daneben sitzende Herren zeigt, ist hsl. beige- fügt; 'Paul Fürsten Töchter'.

8) G. A. Seyler, Geschichte der Heraldik 1889 S. 549.

9) Nagler, Künstlerlexikon 4, 523.

10) Ausser den bereits angefühlten Werken verzeichne ich beispielsweise J. Vogel, Icones mortis sexaginta imaginibus (nach Holbein. 1648); G. P. Harsdörft'ers Trincierbuch (1649. 1657. 1664); A. Bosse, Etzbüchlein verteutscht durch G. A. Böckler (1652. Nach dem Traicte des manieres de graver en taille douce sur l'airin 1645); J. Siebmachers Wappeubuch 1—5 (1655—1667; Bd. 1-4 von Harsdörffcr) ; Die Drillkunst (1664): Ortelius redivivus et continuatus, oder der ungarischen Kriegs- Empörungen historische Beschreibung, vermehrt durch Martin Meyern (1()65).

i

Bilderbogen des IG. und 17. Jahrhunderts. 197

Kunstliebhabern teilweise bis heut erhalten haben. Da sich Fürst nirgends als Stecher*), sondern nur als Drucker und Verleger bezeichnet, so wird sich seine Tätigkeit auf die Auswahl, Zurichtung und den Vertrieb dieser Bilderbogen beschränkt haben. Findig und in bezug auf Prioritätsrechte wenig skrupulös, druckte er, was dem Geschmacke des Publikums am meisten entsprach: Abbildungen bekannter örtlichkeiten, historischer Be- gebenheiten und Porträts, erbauliche Stücke, vor allem aber lustig spottende und für uns als Sittenbilder wertvolle Satiren auf Laster und Modetorheiten, auf das zarte Geschlecht, das klatschende Gesinde, die Bauern, auch Schwanke und Tierfabeln. Er griff sowohl auf Dürer (84) und Beham (53) zurück wie auf die späteren Meister P. Isselburg (3. 44), H. Troschel (3), 31. Merian (9), A. Khol (22), Heberlein (2), Sadeler (36), A. van Ostade (52), Bosse (29. 61 64), Lievens (76), Ambrosius Franck (68—75), G. Sti-auch (77), Columbiua (15) und Anonyme (20. 24. 25. 31. 35. 37. 40. 42. 43. 55. 59. 67. 88. 89), hielt aber immer auf eine soro-- fältige und geschmackvolle Ausführung. Die Modernisierungen, die er öfter mit den Texten vornahm, mögen vielfach sein Eigentum sein; gab er doch auch 1663 eine türkische Chronik") heraus, bei der wohl nicht bloss der Bilderanhaug und die Vorrede von ihm herrühren. In zwei Flugblättern (25. 41) liegen Spruchdichtungen des alten Meisters Hans Sachs zugrunde, drei andere (2. 46. 79) enthalten Lieder seiner Zeit- genossen S. von Birken und J. Klaj. So können wir den nachhaltigen Erfolg, den seine Bilderbogen errangen, als einen verdienten bezeichnen.

A. Datierte Blätter (l(i40-1664).

1. Venus die Göttin sehr ergrimmt, | Wenn ein Alter ein Junge nimpt, | Dann nicht vngereimbters seyn kan | Als ein jung Weib vnd alter Mann. (Greis umarmt eine Jung- frau, daneben der Dichter). Koenig David, als er war alt ... (o6 Verse'). Nürnberg, bey Paulus Fürst, Balthasar Caymox Sei. Erben zu finden. Gedruckt im Jahr Christi 1G40. (Berlin KL). Zum Motiv vgl. Bolte. Tijdschr. voor nederl. Taalkunde lo, 146f.

2. Nürnbergisches Denkwürdiges Freuden Fest, wegen deß Völlig-geschlossenen. . . Reichs-Friedens den 2(;/lG. Junij jetzlaufifenden 1650. Jahrs. (Bild: Abfahrt der Gesandten. Leonhart Heberlein inven. A. Khol sculps.). Dazu ein Gedicht von J. Klaj: Es liegt in Nordgaus Land. (Berlin KB.). Drugulin 2, nr. 2328.

:'). Magengifft, d. i. Eines alten Schlemmers Klage über seinen bösen Magen. Ich alter armer Man muß leider meinen Magen... Nürnberg, Bey Paulus Fürst 1G51. (Berlin KB. und Kk., Braunschweig, Coburg, Dresden, Wolfenböttel). Weller 1, :j85. Nach einem Stiche von Hans Troschel (f 1633) 'Magengifft, Nürnberg bey Peter Issel- burg Kupferstechern zu finden' (München, Ulm, Wolfenbüttel. Weller 2, 559" Diederichs,

1) Von Stechern nennt sich nur Peter Paul Troschel (nr. 16. 46. 47. 90), A. Khol (2), M. van Somer (17), L. Schnitzer (18), G. Walch (57); einmal erscheint der Drucker H. Pillenhofer (66); Sauberts Emblemata sacra (1625) sind meist von P, Isselburg (Merlo, Kölnische Künstler 1895, S. 459), D. Meisners Sciographia cosmica (1638—1642) zum Teil von Seb. Furck in Frankfurt (1589—1666. Nagler, Monogrammisten 4, nr. 4054 f. 4085) gestochen.

2) Türckische und Ungarische Chronica. Nürnberg, In Verlegung Paul Fürsten, Kunsthändlern, Gedruckt daselbst bey Christoff Gerhard 1663. Folio (München K. Bibl.\

198 Bolte:

Deutsches Leben in der Vergangenheit 2, nr. 1158), der auch mit dem Vermerk vorkommt: Nürnberg-, bei Balthasar Caymox zu finden 1G22 (reprod. bei Scheible, Die fliegenden Blätter 1850 S. 108 - 11".).

4. Spiegel einer Christlichen und friedsamen Haußhaltung. 1651. (Wolfenbüttel ).

5. Pulsiloquium spirituale. Eröffne dich, o schwacher Mund... 1651. (Wolfen- büttel).

6. Lustiges Gespräch Eines alten Greißen, wie es jhme auff seiner jungen Bulschafft und Freyerey ergangen. 1652. (Wolfenbüttel).

7. Aller Verlaßnen Wittiben vnd Vatterlosen Waysen... Gebett. 1652. (Wolfen- büttel;.

8. Neuer Eathschluss der Dienst-Mägde. Verzeih mir, Jungfer Mäid, wann dir diß nit behag, Ich sag dir, was Du thust, thu du nicht was ich sag. (Ich weiß nicht, hab ich jüngst im Traume nur ge[se]hen (136 V.). 1652. (Nürnberg). Reprod. bei Hirth, Kulturgeschichtl. Bilderbuch 5, 1747 nr. 2603. - Vgl. nr. 48. 90.

9. Lustige Abbildung Der drey Natürlichen Lüsten deß Menschen hier auff Erden. (Kindheit, Jugend, Alter). 1652. (Dresden, Nürnberg). Wohl nach einem Blatt von M. Merian: Von dreyen natürlichen Lüsten des Menschen. Es ist ein Sprichwort, welches kan... (Weller 2, 488).

10. Geld regirt die Welt. Du edles Fräulein Geld (64 V.\ 1652. (Berlin Kk., Coburg, Gotha, Nürnberg, Wolfeubüttel). Weller 2, 485. Reprod. bei Steinhausen, Der Kaufmann 1899 S. 9(). Vgl. Bolte, ZfdA. 48, 53 f.

11. Der Thier und Jäger Krieg. Alles ist nun umbgekehret, was man fast siht in der Welt... (Erstürmung einer Festung). 1652. (Nürnberg). Vgl. nr. 66.

12. Lobspruch deß edlen, hochberühmten Krauts Petum oder Taback. Ein Sprich- wort heist: Was gut ist, ist weit her... 1652. (Dresden, Wolfenbüttel). Vgl. nr. 28.

13. Eigentlicher Abriss der Reichstages Solennitet so in Regensburg bey eröfnung der Kaiserlichen Proposition gehalten worden. [1653]. Drugulin 2, 221. nr. 2384.

14. Kronungs-Adler Deß Allerdurchleuchtigsten . . . Herrn Ferdinands deß IV. Er- wählten Römischen Königs (Beschreibung der Regensburger Feier am 18. Juni 1653). (Berlin Kk.\

15. Der Doctor Schnabel von Rom. J. Columbina ad vivum delineavit. 1656. (Gotha). Reprod. bei H. Peters, Der Arzt 190(J S. 58.

16. Iconographia arcus triumphalis invictissimo Caesari Leopoldo . . . positi. Die 6./16. Augusti Anno 1658. P. Troschel sculpsit. (Berlin KB.) Drugulin 2, nr. 2470.

17. Abbildung welcher gestalt die Rom. Kais. Maj. Leopoldus ... zu Nürnberg . . . ist eingeholet worden den (;./16. Augusti im J. 1658 (NV; Somr. ad vivum del. et sculps.). (Berlin KB.). Der Stecher Mathias van Somer erscheint 1649 in Rotterdam, dann in Köln und Nürnberg (noch 1663), 1667 in Regensburg.

18. Abbildung und Beschreibung des herrlichen Siegs, welcher . . . den 19. Julii 1664 von den Christen wider die Türeken erhalten worden. (L. Schnitzer feeit). (Berlin KB.). Drugulin 2, nr. 2618.

B. Undatierte Blätter (um 1638-1666)^).

19. Spottstreitt Der alten und neuen Manns- und Weiber-Tracht. Junger Teutscher Kleider Geck, sag was gelten die Frantzosen ... (Braunschweig, Coburg).

20. Gantz New eröffneter Bartkram, Darinnen 24. Sorten allerhand zierliche . . . Barte zu finden. (Dresden, Wolfenbüttel). Nach einem bei Diederichs, Deutsches Leben 2, nr. 1148 reproduzierten älteren Stiche (Nürnberg): vgl. Bolte, Jahrbuch f. Gesch. Elsass-Lothr. 13, 169'.

1) Möglicherweise befinden sich unter diesen undatierten Blättern einige, die gleich nr. 85-87 Paul Fürsts Namen mit Unrecht tragen, d. h. erst nach seinem Tode her- gestellt sind.

Bilderbogen des 10. und 17. Jahrhunderts. 199

21. New aaßgebildeter jedoch wahrredenter ja rechtschaffener Auffschneider vnd übermühtiger Großsprecher. Ich schwer, ich habe mehr als tausend mal gesehen (GOV.). (Berlin KB., Gotha. München, Nürnberg). Vgl. oben S. 193.

22. Kurtzweilige Vnterredung Eines grossen Riesens vnd eines kleinen Männleins. Hol Roland, sey gegrüst von einem Erdgewürme (8U V.). (Berlin Kk., Nürnberg, Wolfenbüttel). Wohl nach einem undatierten Kupferstiche des 1G56 verst. A. Khol (Weller 2, 489).

23. Speculum bestialitatis Das ist: Der unvernünfftigen Thier: oder Narrenspiegel . . . Pythagoras thut fabulirn (132 V.). (Braunschweig, Coburg, Nürnberg, Wolfenbüttel). Reproduziert oben 17, 438.

24. Die Verkehrte Welt hie kan Wohl besehen Jedermann. 25 Bilder mit je zwei Versen. (Braunschweig, Gotha). Abgedruckt oben 15, IGl mit Hinweis auf ein älteres Vorbild.

25. Der heutigen Welt Lauff. (Stich: ein vorn und hinten bespannter Wagen\ Lateinisches und deutsches Gedicht. (Nürnberg). Stimmt vermutlich überein mit dem Blatt o. 0. u. J. Der Welt Lauff. Hie sih, gut Freund, zum Augenschein. (Wolfen- bütteli. Vorbild war wohl ein durch Hans Sachsens Spruch 'der Zuchtwagen' (ed. Keller-Goetze 23, 360. 58(i. Boesch, Kinderleben 1900 S. 48 Taf.) angeregtes Blatt 'Currus cursus mundi' (Coburg).

26. Daß Lachen stehet ja Für alle Menschen frey, Drümb Lachen Du und Ich, Wir Narren alle zwey. (Stich: ein lachender Narr). (Nürnberg).

27. Ein Narr, welcher Schellen an die Kappe nähen will. Drugulin 1, nr. 2576. Kopie nach einem Stiche von M. Quad v. J. 1588.

28. Tabacologia. Das ist Lobspruch deß edlen Krauts Petum oder Tabac. Ich kom von fernen vber Meer (99 V.). (Gotha). Reprod. bei Hirth, Bilderbuch 4, 1170 nr. 1712. Vgl. nr. 12.

29. Der Schulmeister. (A. Bosse inv.) Drugulin 1, nr. 1329. Vgl. G. Duplessis, Catalogue de l'oeuvre de Abraham Bosse 1859 nr. 1389 (Revue des arts).

30. Der Neue Allamodische Postpost. Ich bin die Post zu Fuß, Ich trage diß und das (12 V.). (Coburg).

31. Allamodischer Niemandt. Ich bin ie ein vnschuldig Mann (32 V.). (Berlin Kk., Brauuschweig, Gotha). Bolte, Jahrbuch der d. Shakespearegesellschaft 29, 15.

32. Trawrige Klag vber den erbärmlichen Abschied deß wolbekandten Herrn Credits , . . Hör, Wandrer, was in kurtzer Frist (90 V.). (Berlin Kk., Wolfenbüttel). Reprod. bei Steinhausen, Der Kaufmann 1899 S. 82.

33. Geld zeucht die Welt. (Nürnberg).

34. Da kommet der Karren mit dem Gelt, Freu dich! aufl du verarmte Welt. (Stich: Jungfrau auf einem mit Geldsäcken beladenen Wagen, den mehrere Teufel ge- leiten). Man hat, seither der Fried in Teutschland wiederkommen. (Dresden, Wolfen- bütteli.

.35. Spanneuer geflochtener Freyerkorb, Allen Jungen -Gesellen und Jungfern . . . Es giebet von neuen ein neues entzweyen (46 V.). (Wolfenbüttel). Reproduziert oben 19, 53 f. nebst dem älteren Vorbilde.

36. Manns manum lavat. (P. Troschel sculpsit). Schaut! Ehen die werden im Himmel beschlossen (16 V.). (Nürnberg). Reprod. bei Diederichs, Deutsches Leben 2, nr. 1102. Vorbild war wohl ein gleichbetitelter Stich von Job. Sadeler nach Frid. Sustris (Berlin Kk. Hirth, Bilderbuch 3, 989 nr. 1509).

37. Der Jungfrauen Narrenseil. Mein Seil ist aufgespannt, zu narren die Gesellen {12 V.). (Wolfenbüttel). Reproduziert oben 19, 56f. nebst dem älteren Vorbilde.

38. Eigene Schuldbekäntnüß Einer so genandten vnd vermeinten Jungfraw Ader- lässerin. Eine Jungfrau hat in Schertzen (14 Str.). (Wolfeubüttel). Zu diesem Schwanke vgl. Montanus. Schwankbücher 1899 S. 573. 652. ZfdPh. 40, 418. H. Sachs, Fabeln 5, 342 Nr. 813.

39. Des holdseligen Frauenzimmers Kindbeth-Gespräch. Als Jüngsten eine Frau •war in die Wochen kommen (148 V.). (Dresden, Nürnberg). Weller 1, 409. Reprod.

200 Bolte:

bei Boesch, Kinderleben 1900 S. 24 und Hirth, Bilderbuch 5, 1774 Nr. 2632. Wohl nach einem älteren Stich in Merians Manier (Drugulin 1, nr. 2557).

40. Neweröffneter Ernsthaffter Männerbefehlich. Wir groß- und Ertzhertzog (80 V.). (Dresden, Gotha, Nürnberg, Wolfenbüttel). Weller 2, 485. Eeproduziert oben 15, 41 und bei Diederichs, Deutsches Leben 2, nr. 1095. Ein 'Männer Mandat' in Prosa sah ich in Gotha.

41. Offt Probiertes und Bewährtes Recept oder Artzney für die böße Kranckheit der unartigen Weiber. Es war ein Junggesell... (Berlin KB., Wolfenbüttel). Drugulin 1, nr. 2564. Es ist der Schwank des Hans Sachs von den neun Häuten (ed. Keller Goetze 24, 164 Enr. 161h; vgl. Fabeln 1, nr. 54 und oben 8, 163. 11, 258. 20, 182»).

42. Ein New auffgethanener Köpff kram, Darinnen allerliand possierliche wolanständige Männer vnd Weiber Köpffe vor Junge vnd Alte Personen befindlichen. Es ist ein altes Wort vnd waares Wort im Land (48 V.). (Berlin KB., Braunschweig).. Abgedruckt im Jahrbuch f. Gesch. Elsass-Lothr. 13, KiSf. nebst Nachweis des Vorbildes (ZdA. 28, 79: Moscher osch); vgl. auch Diederichs, Deutsches Leben 2, nr. 1098 'Weiterhaupt Artzt\

48. Künstliche Winnd-Müll: Auff welcher mann die Alten . . . Weiber widerumb gantz Schön vnd Sauber durchmallen vnd herauß Beiteln kan. Zu wissen sey hiemit (Prosa). (Berlin KB., Coburg, Gotha). Vgl. Bolte, Archiv f. neuere Sprachen 102, 245, wo auch eine metrische Vorlage mit einem Stiche von GAB nachgewiesen ist.

44. Bericht, Wie es gehe gar nach dem A B C, welche sich zur Ehe unbesonnen gebn. (Dresden, Wolfenbüttel). Nach dem Flugblatte P. Isselburgs von 1616 mit dem Gedichte von Cheruspatte Faron, d. i. R. v. Castenhof, reprod. bei Hirth, Bilder- buch ',), 1067 nr. 1596 und Diederichs, Dtsch. Leben 2, nr. 1596 (Braunschweig, München, Nürnberg, Wolfenbüttel), das auch 1616 bei J. Büssemächer in Colin erschien (Gotha).

45. Kurtzweilige Erzehlung einer Frawen im Elsaß, welche bey nächtlicher Weil jhrem Mann die Taschen geraumet, vnd wie sie sich selber drüber verrahten müssen. Kommet nur alle her, sehet die Tasche hier hangen . . . (Wolfenbüttel).

46. Die Weiber-Treu der Frauen zu Weinsberg (P. Troschel sculp.) Lasset uns ein Liedlein singen (12 Str. von S. v. Birken). (Berlin KB., Wolfenbüttel). Weller 2, 49. Drugulin 1, nr. 2981. Montanus, Schwankbücher 1899 S. 617.

47. Hierinnen man befind Daß recht loß Haußgesind. (P. Troschel sculpsit). Wer einen Sohn hat der gerne spielt (12 V.). (Berlin KB., Nürnberg).

48. Ein Rahtschluß der Dienst Mägde. (Wolfenbüttel). Vgl, nr. 8. 90.

49. Nürnbergische Bäurin und Bauer. (Braunschweig, Nürnberg). Reprod. bei Diederichs, Deutsches Leben 2, nr. 1072.

50. Newe Bawren-Klag Vber die unbarmherzigen Bawren-Reuter dieser Zeit . . . Ist auch jetzt wol ein Mensch in dieser Welt zu finden (56 V.) (Gotha). Reprod. bei Bartels, Der Bauer 1900 S. 120 Tafel.

51. (Der Advokat und die Bauern.) Rabula de tabula nil dat nisi pinguia dona . . . Der Zungendrescher nimbt Gelt, Butter, Hüner, Endten ... (Gotha).

52. (Der Bauer beim Wundarzt.) Kein Narr ist klug, er werde dann geschlagen (12 V.). (Nürnberg). Nach A. van Ostade. Reprod. bei Diederichs, Deutsches Leben 2, nr. 1049.

53. Kurtzweilige Beschreibung der löblichen Spinn- und Rockenstuben. Mein lieber Leser, steh hier still (91 V.). (München). Weller 2,485 (P. Troschel fec). Wendeler, Archiv f. Litgesch. 7, .T).'! und oben 15, 28.

54. Abbildung und entwurff der Sieben Frommen und Redlichen Schwaben. 8 Alexandriner. (Nürnberg). Abgedruckt in Montanus Schwankbüchern 1899 S. 597.

55. Historia von den Sieben frommen vnd redlichen Schwaben. 44 Verse in schwä- bischer Mundart. (Gotha). Vgl. das bei Diederichs, Deutsches Leben 2, nr. 952 und oben 4, 435 reproduzierte Blatt o. 0. u. J.

56. (Künstler-Elend.) Stich von G. Walch: ein Maler sitzt in seiner ärmlichen Werkstatt mit seiner Frau und zwei Kindern. Ars mendica gemit . . . Wo krieges-Unfal hat ... (Berlin KB.).

57. Unvorgreiflf liebes Bedencken Lucas und Leckes über den Spruch Der Mars ist

Bilderbogen des 16. und 17. Jahrhunderts. 201

nun im Ars. Der Krieg und ^Ears gewinnen nun ein loch ... (Berlin KB.). Vgl. den Kupferstich G. Altzenbachs bei Diederichs, Deutsches Leben 2, nr. 1067.

ö8. Newauffgerichte Verträgliche Brüderschafft eines Frantzösischen vnd teutschen Soldatens. (Gotha).

50. Halsprunner Hof zu Nürnberg. (Fechtspiel). (Nürnberg). Nach einem Stiche von 1623.

60. Omnium Pontificum a S. Petro vsque ad praesentem [Innocentium X.] Effigies ab antiquis diligenter extractus. ("246 Porträts in 10 Eeihen). (Berlin KB.).

61 (i4. Die vier Jahreszeiten nach A. Bosse. (Hamburg). Reprod. bei Diede- richs, Deutsches Leben 2, nr. 1039—1041. Vgl. G. Duplessis, L'a'uvre de Abr. Bosse 1809 nr. 1082—1085.

65. Das langgeohrte Thier, das sonsten sich bequemet (12 V. Stich: ein Esel im Bett, von Hasen bedient). (Nürnberg).

66. Der Maus und Katzen Krieg. (Stich: Belagerung einer Festung. Gedicht in Alexandrinern). Gedruckt bey Heinrich Pillenhof er. (Nürnberg). Vgl. nr. 11.

67. Der Wolff den Gänssen Predigt. Paulus Fürst Excudit. (Coburg). Vgl. oben 17, 431.

68—75. Der wohl und übel gearte Mensch. Ambrosi Franc k Liventor. Paulus Fürst Exeu. 8 Stiche (18 : 26 an) mit je 8 Versen. (München). Ambrosius Francken d. ä. starb 1618 in Antwerpen.

1. Weisheit und Torheit, mit je zwei Schülern.

Deß Weisen kluger Sinn gedenckt auf seinen Gott

Und richtet seinen Weg nach dessen Lehr Gebott.

Er hält sich allzeit für, wie man im tod und Leben

Sol Gott vereinigt seyn, und nach dem Himmel streben. .

Der thöricht aber spricht, Ich frage nicht nach Gott;

Es halte wer da wil, die 'Göttlichen Gebott,

Die Welt ist meine Freud, Ich wil im tod und Leben

Der Welt und ihrer Lust nicht säumen nachzustreben.

2. Hoffart, Unnötige Sorge, Demut. 3. Glaub, Unglaub. 4. Neid, Liebe. 5. Verzweifl'elung, Hofnung. 6. Ungehorsam, Gehorsam. 7. Wanckelmut, Standhaftig- keit. 8. Leben, Tod.

76. (Zwei Spieler und der Tod. Joannes Lyvyns [Lievens] invent. Paulus Fürst excudit.) Ruchloß und Wucherhold ergrimmen ob dem Spiel (8 Verse). (Gotha, Nürn- berg). Reprod. bei Diederichs 2, nr. 1136.

77. So treibet mancher Tod der Menschen Lebens lauff: Das Rad hält Angst und Noht zuletzt der Grabstein auff. (Ein Rad mit 13 Totentanz-Szenen : G. Strauch inv.) (Katalog 80 von A. Weigel in Leipzig 1905 nr. 1991).

78. Passions-Schiff . . . Was ist diß Elend Leben (K; Str.). (Wolfenbüttel).

79. Einer Christglaubigen angefochtenen Seelen Ritterliche Angstkämpffung . . . Ich halt dir auß, mein Gott, in meinen Nöthen (12 Str. von J. Klaj\ (Wolffenbüttel).

80. Christliche Betrachtung Der nichtigen Flüchtigkeit zeitlicher Güter. Betracht, 0 Seele, wie es ist (20 Str.). (Wolfenbüttel).

81. Bußfertige Beschreibung schwermütiger Gedancken. Nun hab ich meinen Lauff vollend. . . (Wolfenbüttel).

82. Der Schönste unter den Menschenkindern. (Brustbild Christi). Die Welt ist ie verkehret, dieweil sie nicht mehr liebet (24 V.). (Coburg). Benutzt sind die alten Verse der Klagen Christi: Nd. Kbl.21, 11. .')4. 61 (19o0). C. Steinii Peregrinus 2, lo (Königs- lierger Univ. progr. 1874). Reinh. Baku Commentarius in psalterium 2, 354 b. :'>, 226 a (1664). Hörmann, Haussprüche aus den Alpen 1892 S. 151.

83. Schau, welch ein Mensch, o Mensch, wer dich und deine Sund (4 V. Christus an der Martersäule). (Coburg).

84. 0 Mensch I Schau an diß Martterbild und denck in deinem Hertzen (4 V. Der gemarterte Christus sitzend, nach A. Dürer). (Coburg\

I

202 M. Bartels:

C. Blätter aus dem Verlage der Witwe Fürst (1G67— 1G96).

85. Papst Clemens X. [seit 1G70]. (Sitzbild. Paul. Fürst exe.) (Coburg). .S(i. Papst Alexander VIII., creatus 1689. (P. Fürst exe.) (Coburg).

87. Eigentliche Abbildung des Markts der L. K. Reichs Statt Nürnberg mit all des- selben gelegenheit. Paul. Fürst, excud. 1()7.'). (Nürnberg Stadtbibl.).

88. Extract zweyer Particular-Schreiben, Eins an Signor Pladis, von den Rebellischen Bauren (im Land ob der Enß; in gebrochenem Deutsch). Bey Paulus Fürsten Wittib. (Braunschweig, Wolfenbüttel). Abdruck eines älteren Blattes (Coburg).

S9. Wunderliche Zeitung Von dem neuen Wunder-Krieg und erlangten Weiber Sieg. Hört einen neuen Krieg! Nach dem der Fried geschlossen ((14 V.). Bey P. Füi-sten Wittib und Erben. (Dresden). Abgedruckt oben 8, 22 f.; vgl. 15, 151.

90a. Neuer Rathschluß der Dienst Mägde. P. Troschel fec. Ich weiß nicht, hab ich jüngst. . . Bey Paulus Fürsten Wittib. Weller 2, 485. Vgl. nr. 8. 48.

90b. Neuer Rathschluß der Dienst-Mägde (Beschliesserin, Kindsmagd, Köchin, Hauß- magd, Bauernmagd). Bey P. Fürsten Wittib und Erben. (Dresden).

Berlin.

rber europäische und malayisclie Verbotszeichen').

Von f Max Bartels.

Wenn dem Städter sich einmal die erwünschte Gelegenheit bietet, in der ihm knapp zugemessenen Sommerfrischzeit auf dem Lande einen Spaziergang zu machen, so begegnet es ihm ab und zu, dass der nahe- liegende Waldessaum ihn zum Besuche der Waldeinsamkeit einladet. Aber von dem Walde trennt ihn ein grünbewachsenes Feld oder eine Wiese, 'welche sich längs der staubigen Landstrasse hinzieht. Ein schmaler Fusspfad führt durch dieses Feld, dessen Einmündungssteile in die Land- strasse man glücklich erreicht, froh darüber, dass man nun endlich den brennenden Sonnenstrahlen entrinnen könne. Aber da findet man eine aufgerichtete Stange mit einer hölzernen Tafel daran, auf welcher uns die niederschmetternden Worte: Verbotener Weg entgegenstarren.

Nicht selten wird dem Übertreter des Verbotes auch gleich die Strafe angedroht, und es heisst dann auf der Tafel: 'Das Betreten dieses (Jrund- stückes ist bei Pfändung verboten'.

Wir haben hier in diesen Warnungstafeln Dinge vor uns, w^elche in die Gruppe der sogenannten Verbotszeichen gehören. In der soeben beschriebenen Form können sie natürlicherweise auf kein sehr hohes Alter zurückblicken. Denn die Zeit liegt nicht viel mehr als ein halbes Jahrliundert hinter uns, wo ausser dem geistlichen Herrn und dem Schul- meister kein einziger Mensch in dem ganzen Dorfe bis zu der schweren

1) Vortrag, am 20. Oktober 1900 im Verein für Volkskunde gehalten. Vgl. oben 10, 460.

über europäische uud malayische Verbotszeichen. 203

Kunst des Lesens vorgedrungen war. Was sollten in jener Zeit und bei derartig ungeschulten Bauern nun also wohl geschriebene Warnungstafeln helfen? Hier musste man sich der Zeichensprache bedienen, und solche stumme Verbotszeichen sind auch heute noch vielfach bei uns im Ge- brauch. Aber sie werden, soweit ich beurteilen kann, immer seltener und seltener, uud man sollte sie für die volkskuudliche Forschung wohl durch genaue Beschreibungen und durch Zeichnungen oder Photographien festzulegen suchen, bevor sie vollkommen verschwunden sein werden. Ich erinnere hier au ein paar bekannte Formen, von denen mir drei im Ge- dächtnis geblieben sind.

Die erste und wohl am allerwenigsten misszuverstehende Form ist der kleine, ausgehobene Graben, w^elcher sich quer vor den Zugang des verbotenen Weges legt und welcher in auo'onfällio-ster Weise zeisjt, dass man hier nicht gehen dürfe. Eine zweite Form, nicht minder deutlich, ist ein langgestreckter, kleiner Haufen von abgeschnittenem Dornen- reisig, welcher den Anfang des Weges sperrt. Ferner ist dann endlich noch die aufgerichtete Stange zu erwähnen, an deren oberstem Ende sich ein angebundener Strohwisch befindet. Um dieses Zeichen richtig zu deuten, um es für jedermann verständlich sein zu lassen, muss natur- gemäss eine sehr lange Zeit verstrichen sein. Sonst würde es uns un- begreiflich bleiben, wie der Sinn und die Bedeutung dieses Verbots- zeichens derartig in Fleisch und Blut der gesamten deutschen Bevölkerung überzugehen vermochte, dass es jetzt wohl keinen einzigen Menschen gibt, der dasselbe nicht verstehen sollte. Wie es entstanden ist, wann es eingeführt wurde, warum man gerade ein Strohbündel wählte, das an die Stange angebunden wird, darüber würde es sich wohl verlohnen, weitere Forschungen anzustellen.

In den Weingärten bei Meran sah ich kürzlich hier und da eine hochaufgericlitete Stange, an deren Spitze sich ein Bündel von frischem Laube befand. Begreiflicherweise hielt ich auch diese Stangen für Ver- botszeichen, um so mehr, als soeben die Trauben die zum Essen nötige Reife erlangt hatten. Aber mein Kutscher belehrte mich eines Besseren. Xicht Verbotszeichen waren es, sondern vielmehr um Einladungszeichen handelte es sich. Sie sagten aus, dass hier ein sogenannter Buschen - schank') sich befinde, in welchem man, ausser einem Trunk Wein, auch Käse und Brot, aber keine warmen Speisen erhalten könne.

Ein Verbotszeichen kennen die Meraner aber auch. Es wird nament- lich auch an ihren Weingärten zur Zeit der Traubenreife aufgerichtet. Es ist das ebenfalls eine Stange oder eine Latte, deren Schaft mit Dornenzweigen umwunden ist. An dem oberen Ende befindet sich eine aus einem Brett roh auso-esäg-te flache Hand mit aussiestreckten Fingern. So

1) [Vgl. dazu R. Andree, oben 17, 19.5.]

204

M. Bartels:

So sieht das ganze einem Wegweiser nicht unähnlich. Aber derselbe fordert nicht auf, den Weg in den Weingarten hinein zu nehmen, sondern er zeigt im Gegenteil an, dass derjenige, der den Weingarten betritt, einer Pfändung verfallen würde. Eine solche aufgerichtete Hand wird als des Königs Handschuh bezeichnet. Die kleine, in Fig. 1 wiedergegebene photo- graphische Aufnahme, die ich bei Gargazon in der Nähe von Meran gemacht habe, zeigt solch einen Handschuh des Königs. Dieser Königs- liandschuh war schwarz, ebenso wie einer, den ich in Nals sah. Ludwig von Hörmann (Das Tiroler Bauernjahr 1899) sagt, dass die Saltner- Hand, wie dieses A'erbotszeichen auch noch genannt wird, von roter

Fig. 1. Des Königs Handschuh, Verbotszeichen an einem Weingarten in Gargazon bei Meran (hölzerne Hand an einer mit Dornenzweigen bebundenen Stange).

Farbe sei und dass manchmal auf dieselbe noch die Figur des Teufels aufgemalt würde, um dem Verbotszeichen melir Respekt zu verschaffen. In Italien scheint die Einrichtung der Verbotszeichen nicht bekannt zu sein. Ich habe namentlicli in der Lombardei, sowie in Toscana und Umbrien, aber auch in anderen Teilen des Landes vielfache Gelegenheit gehabt, ländliche Gegenden zu besuchen, aber ich kann niicli nicht erinnern, jemals ein Verbotszeichen gesehen zu haben, obgleich es die Zeit der Fruchtreife war. Begreiflicherweise werden aber auch in Italien die Felder in besonders gefährdeten Gegenden bewacht. Aber ein Abzeichen habe ich niemals an irgend einem Menschen bemerken können, das ihn. wie etwa in Tirol den Saltner, als Feldwächter kenntlich gemacht hätte ^).

1) [Vielleicht aber bezeugt eine in Florenz spielende Novelle Boccaccios (Decameron 7, 1) diesen Brauch wenigstens für das 14. Jahrhundert. Dort benutzt ein Liebespaar

über europäische und malayische Verbotszeichen.

205

An der Küste des Schwarzen Meeres, in der südlichen Krim, habe ich Verbotszeichen von sehr eigentümlicher Form gesehen, durch welche die tatarisclien Bauern ihre Weinberge schützten (vgl. die Skizze in Fig. 2). Auch hier war es die hoch aufgerichtete Stange, damit das Zeichen deutlicher sichtbar wird, und auf diese war der gebleichte Schädel eines Pferdes oder Kindes aufgesteckt. Er war mit dem soge- nannten grossen Hinterhauptsloch auf die Stange geschoben, und infolge- dessen war sein Schnauzenteil gerade nach oben gerichtet. Diese weissen Schädel hoben sich sehr malerisch von dem dunkelgrünen Weinlaube ab. Die Wächter dieser Weinberge haben sich in den höheren Ästen eines Baumes eine Art von Lagerstatt bereitet, von der aus sie den Weinberg zu über- sehen vermochten.

Verbotszeichen zum Schutze der landwirtschaftlichen Anlagen , der Palmenpflanzungen , der Bananen- gärten usw. sind auch in dem malay_ ischen Archipel bekannt, nament- lich im Osten desselben, auf den Inseln des alfurischen Meeres, welche sich zwischen Neu-üuinea und Selebes hinstrecken^). Sie werden gewöhnlich mit dem malayischen __

Namen Matakäu bezeichnet. Ihre ~ _ - ~ _^~~-'^^ ^"^^ _ ~?

Form ist eine vielfach wechselnde. ... , ,r , ^ . , , ,. . v.

Flg. 2. Verbotszeicnen der tatarischen

Vor den Verbotszeichen unseres Vater- Bauern in der Krimm.

landes haben sie etwas sehr Wichtiges

voraus. Unsere Verbotszeichen warnen den Herannahenden; aber, wenn er das Verbot übertritt, so kann er doch nur dann der angedrohten Strafe verfallen, wenn er von dem Feldwächter ergriffen wird. Das ist nun bei dem Matakau viel besser. Demselben wohnt selber die Fähigkeit inue, den Übeltäter in Strafe zu nehmen. Die Sache hat folgende Bewandtnis. Das Aufrichten eines Matakäu ist eine sehr wichtige Angelegenheit. In

1 -

einen Eselsschädel, der auf einem Weinpfahle am Eingange eines Weinberges auf- gesteckt ist, um durch die Drehung des Scliädels nach einer bestimmten Richtung ein Stelldichein zu verabreden. Wozu sollte der Schädel hier ursprünglich sonst dienen, als zum Verbote des Eintrittes in den Weinberg? J. B.]

1) J. G. F. Riedel, De sluik-eu kroesharige Rassen tusschen Selebes en Papua (s' Gravenhage 1886) S. G2. KIT. 477 Taf. XIII.

1

206 ^I- Bartels: Über europäische und malayische Verbotszeichen.

sehr vielen Fällen muss dazu erst die Erlaubnis der Dorfältesten einge- liolt werden. Ist diese letztere aber erteilt, dann geht der Besitzer des betreffenden Grundstücks an die zur Errichtuns: des Matakau aussre wählte Stelle und bringt hier zuerst der Gottheit ein Opfer dar. Bei demselben spricht er eine Beschwörungsformel, durch welche er das zu errichtende Verbotszeichen beauftragt, demjenigen, der seine Pflanzungen unberechtigter- weise betritt, oder der gar von den Früchten etwas stiehlt, einen ganz bestimmten Schaden zu bringen, dessen Auswahl und Bestimmung der Phantasie und dem Ermessen des Grundstückbesitzers überlassen bleibt. Wenn diese Zeremonie vorüber ist, dann wird das Matakau aufgerichtet, und nicht nur der Errichtende selbst, sondern auch alle seine Dorf- genossen sind so fest davon überzeugt, dass den Übeltäter unverzüglich das durch das Matakau angedrohte Übel ereilen werde, dass solch Ver- botszeichen in Wirklichkeit einen sicheren und unfehlbaren Schutz des betreffenden Grundstückes abgibt.

Was das nun für ein Unglück ist, welchem der Dieb verfallen würde, das ist an der Form und Gestaltung derjenigen Gegenstände erkenntlich, welche, aus Holz oder Palmenblättern gefertigt, an der Spitze der Mata- käustange angebracht sind. Sie sprechen für die Eingeborenen eine ganz deutliche Zeichensprache, die wir überkultivierten Europäer allerdings nicht in allen Fällen ohne Erklärung verstehen würden.

Die durch das Matakau angedrohten Übel sind nun allgemeinerer Art, Verfeindung mit den Stammesgenossen, plötzlicher Tod, Tod durch irgend ein gefährliches Tier, oder es sind ganz bestimmte Krankheiten oder Krankheitssymptome, welche den Dieb befallen sollen.

Hierdurch gewinnen diese Matakäus auch ein weiteres ethnographisches Interesse. Denn wir können nun aus denselben ersehen, welche Unglücks- fälle und Krankheitserscheinungen diese Insulaner für besonders quälend und gefährlich erachten, und hierdurch wird es uns gestattet, einen Rück- schluss darauf zu machen, welche Krankheiten auf der betreffenden Insel vorkommen können. Denn es bedarf wohl keiner weiteren Betonung, dass diese Leute doch nur solche Krankheitssymptome in das Verbotszeichen hineinzaubern werden, welche sie selber schon einmal beobachtet haben, oder welche sie wenigstens vom Hörensagen, also durch die Beobachtung ihrer Landsleute kennen^).

Unser Königliches Museum für Völkerkunde besitzt eine schöne Sammlung solcher Matakäus. (Es folgte eine Vorlegung von Abbildungen.)

Auf die Analyse dieser angedrohten Krankheitssymptome und die Rückschlüsse, die man hieraus auf die in jenen Inseln vorkommenden

1) Vgl. M. Bartels, Die Medizin der Naturvölker (Leipzig, Th. Griebens Verlag 1893\ wo eine ganze Reihe von Verbotszeichen unter diesem Gesichtspunkte abgebildet und beschrieben sind. [Treichel, Verbotszeichen. Zs. f. Ethnologie 20, Verh. S. lOOf. ;52, Verl). S. .587— 592.J

Lewalter: Kleine Mitteilungen. 207

Krankheiten machen kann, vermag ich hier nicht näher einzugehen. Aber von diesen Matakäus in Niederländisch Indien wollen wir nun noch einmal zu unserem einfachen Strohwisch zurückkehren. Sollte der- selbe in alten Zeiten auch so harmlos gewesen sein, wie jetzt? Oder liegt nicht der Gedanke nahe, dass man auch ihm ursprünglich durch Be- schwörungen bei seiner Aufrichtung allerlei böse Zauberkraft verliehen habe, durch welche er dem Übertreter des Verbotes Schaden oder Unglück zu bringen vermochte? Ich möchte auf diesen Punkt die Aufmerksam- keit lenken, aber ich kann nicht verhehlen, dass ich hier nur eine Vermutung ausspreche. Anhaltspunkte aus der deutschen Sage, dem Märchen oder dem Sprichwort stehen mir für diese Annahme nicht zu Gebote. Erinnern möchte ich aber daran, dass man in dem gesamten Deutschland fest daran geglaubt hat, und zum Teil noch daran glaubt, dass es durch Zaubersprüche möglich sei, Feld- oder Obstdiebe fest- zubannen, bis die Strafe sie ereilen kann. Hierdurch erhält meine Ver- mutung eine kräftige Stütze, dass wohl auch der Strohwisch einstmals imstande gewesen sein wird, gleich dem malayischen Matakau durch die ihm übertragenen Zaubersprüche dem unvorsichtigen Übertreter den ange- drohten Schaden beizubringen.

Berlin.

Kleine Mitteilungen.

Dram Brüder, stosst die Gläser an: Es lebe der Keservemann!

Gemässigt.

EEE3{i^^3Eg^jSEE^|E^^^^IE^^|^EE^

Es blinkt so freundlich in der Fer - ne das lie - be, teu - re

warn Sol- da - ten, wa - ren's ger - ne, doch jetzt ist un - sre

-^t^T-

-0-

Va - ter-haus: wir Dienstzeit aus. Drum Brü-der, stosst die Glä - ser an: Es

le - be der Re - ser - ve-manni Wer treu ge - dient hat sei - ne

^^^^i^EEm^m^mmM

Zeit, dem sei ein vol - les Glas ge - weiht. (4—5 Str.)

208 Lewalter:

Der erste Druck dieses bekannten Reservistenliedes fällt in das Jahr 1880 (Liederbuch für Soldaten von Clemens und Justus Pape, Hamburg, S. 137 Nr, 126). Ausserdem ist es noch in folgenden Sammlungen zu finden: bei Adolf Andre, Der Volksspiegel, Liederbuch für den Soldaten (Offenbach a. M. 1882) S. 35 Nr. 34, Dr. Alfred Müller, Volkslieder aus dem Erzgebirge (Annaberg 1883) S. 31, Hans Ziegler, Deutsche Soldaten- und Kriegslieder aus fünf Jahrhunderten, 1386_1871 (Leipzig 1884) S. 77 Nr. 81, 'Des deutschen Soldaten Liederbuch' (Berlin 1889) von einem aktiven Offizier S. 132 Nr. 153, Johann Lew alter, Deutsche Volkslieder aus Niederhessen (1890) Heft 1, S. 49 Nr. 23, Freiherr von Mirbach, Lieder für Soldaten (Berlin 1891) S. 109 Nr. 173, Karl Becker, Rheinischer Volksliederborn (Neuwied 1892) S. 97 Nr. 134, Ernst H. Wolfram, Nassauische Volkslieder (Berlin 1894) S. 263 Nr. 299, Erk-Böhme, Deutscher Liederhort Bd. 3 (1894), S. 238 Nr. 1367 aus Hessen und Schlesien, Köhler- Meier, Volkslieder von der Mosel und Saar 1 (Halle a. S. 1896), S. 286 Nr. 278, ferner im 'Deutschen Armee-LiederbucV (Leipzig, ohne Jahreszahl) S. 84 Nr. 95 und 'Soldatenlieder buch' (Leipzig, Reclam, ohne Jahreszahl) S. 43 Nr. 50. [H. H(ermelink), Soldatenlieder (Tübingen 1902) Nr. 83. Pecher in F. Pfaffs Volkskunde im Breisgau 1906 S. 131 Nr. 21. Liederbuch des K. Alexander- Garde-Grenadier-Regiments Nr. 1, Mülheim-Styrum o. J. Nr. 214.]

Der Anfang des Reservistenliedes lautet meist „Was blinkt so freundlich in der Ferne", aber auch „Es blinkt" oder „Es winkt". Die Melodie ist allenthalben der von mir aufgezeichneten im grossen und ganzen ähnlich. Bei Böhme, Wolfram und Köhler-Meier ist der Schluss „Es lebe" etwas anders.

Nach den bisherigen Niederschriften sollte man annehmen, das Lied sei aus jüngerer Zeit. Dem ist aber nicht so. Ich habe Gewährsmänner, die dasselbe schon vor dem Jahre 1870 gehört haben. Nach Aussage des Landesrates und Geheimen Regierungsrates Herrn von Dehn-Rotfelser in Kassel wurde das Reservistenlied auf einer Jenenser Korpskneipe schon im Jahre 1865 zu Ehren eines auf dieser als Reservist anwesenden Studenten mit folgendem auf ihn gemünzten Schluss: Drum Brüder, stosst die Gläser an: Es lebe August H . . . . manni

gesungen. Also schon vor 1865 war das Lied im Munde des Volkes. Aber seine Entstehung wird wohl in noch frühere Zeit verlegt werden müssen, wenn man berücksichtigt, dass die Weise dazu von dem berühmten französischen Romanzen- Komponisten Frederic Berat stammt. Berat, ein guter Freund Berangers, hatte dessen Volkstümlichkeit auf seine Tondichtungen übertragen und deshalb in Prankreich die allergrössten Erfolge als Romanzen- und Chansonetten-Komponist aufzuweisen. Jahrzehntelang wurden Berats Lieder, zu denen der Komponist auch häufig noch die Worte dichtete, in allen Gauen des Franzenlandes gesungen und sind heute noch nicht verklungen. Am bekanntesten wurden 'Le depart', 'A la frontiere', 'La Lisette de Beranger', 'Bibi, mon cheri', 'C'est demain qu'il arrive', 'Mon petit cochon de Barbarie' und 'Ma Normandie'. Ich lasse zunächst Weise und Worte des letztgenannten schönen Liedes folgen.

Andante.

quc rhi - ver fuit loin de nous.

Kleine Mitteilungen.

2Ü9

2. J'ai vu les champs de l'Helvetie Et ses chälets et ses glaciers; J'ai vu ie ciel de Fltalie, Et Venise et ses gondoliers. En salutant chaque patrie, Je me disais: aucun sejour N'est plus beau que ma Normandie, C'est le pays qui m'a donne le jour.

3. II est un Age dans la vie chaque reve doit finir; Un äge Fäme recueillie A besoin de se souvenir: Lorsque ma muse refroidie Aura fini ses chants d'amour, J'irai revoir ma Normandie, C'est le pays qui m'a donne le jour.

Selbst der Laie wird beim Vergleiche der Weise des Reserveliedes mit der Melodie dieser Beratschen Romanze zu dem Schlüsse kommen, dass unser deutscher Soldatensang seine Musik dem französischen Komponisten verdankt. Ja, die deutschen Soldaten haben die französische Melodie so schön 'zersungen' (wie das ja im Volksliede so häufig geschieht), dass 'Der Reservemann' fast noch besser klingt wie das Original. Nun ist Berat im Jahre 1800 in Rouen geboren und in Paris am "2. Dezember 1855 gestorben. Die alte, volkstümliche Weise von ^Ma Normandie" wird also gewiss schon längere Zeit vor 1865 ein deutscher Soldat lieb gewonnen und dazu dann das schöne Soldatenlied gedichtet haben. Vielleicht tragen diese Zeilen dazu bei, den Verfasser endgültig feststellen zu können^).

Kassel. Johann Lewalter.

1) [Berats Melodie ward um 1842 durch F. Sucher (Ausländische Volksmelodien Nr. 19) mit Adelbert Kellers Verdeutschung des Textes: 'Wenn Frühlingstage neu beleben' und durch verschiedene Einzeldrucke in Deutschland eingeführt. Eine üm- dichtung 'Wenn von des Lenzes Hoffnungsspuren', die aus hsl. Liederbüchern von 1857 bis 1858 bei Heeger-Wüst, Volkslieder aus der Rheinpfalz 2, 276 nr. 356 (1909) mit- geteilt wird, fügt eine die deutsche Heimat preisende 4. Strophe hinzu:

Ich war in manchem schönen Städtchen, Der Himmel hat mich weggetrieben,

Wo schöne Mädchen Engeln gleich. Sah Hannchen, Lenchen, Gretchen,

Käthchen, An Schönheit wie an Schätzen reich.

Ich habs gesehn und nicht begehrt; Am Eh ein da ist mein Herz geblieben. Das Heimatland mir über alles wert.

Die beiden neuerdings in der Pfalz aufgezeichneten Melodien bei Heeger-Wüst stehen zwischen Berats Weise und der des Reservistenliedes, auf die auch in der Anmerkung hingewiesen wird, in der Mitte. J. B.]

Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1910. Heft 2.

14

210

Bolte:

Das polnische Original des Liedes <An der Weichsel gegen Osten' und das schwedische Lied *Spinn, spinn, Tochter mein'.

(Vgl. oben 19, 314 421.)

Zu den oben 19, 421 von Fräulein A. Simon mitgeteilten vier Volksweisen') des polnischen Liedes 'Tam na bloniu btjrszczy kwiecie' möchte ich eine fünfte nachtragen, die 1907 von Paul Grossmann in der Zeitschrift des oberschlesischen Geschichtsvereins (Oberschlesische Heimat 3, ■208—210) veröffentlicht wurde. Dem Herausgeber, der sie bereits 1861 in Stubendorf, Kr. Gross-Strehlitz gehört und mitgesungen hat, erschien sie deshalb merkwürdig, weil ihre zweite Hälfte ganz zu der des seit etwa zwei Jahrzehnten in Deutschland verbreiteten schwedischen Liedes 'Spinn, spinn, Tochter mein' stimme, nach der auch die sog. oberschlesische Nationalhymne gesungen werde; er stellt deshalb die Frage: Ist die Melodie zu 'Spinn, spinn, Tochter mein' schwedisch oder oberschlesischV Die Sache verdient •wohl, dass wir ihr einige Aufmerksamkeit schenken, wenn sie auch mit der von Herrn R. Bartolomäus und Fräulein Simon untersuchten Einwirkung des polnischent Liedes auf den deutschen Volksgesang nur in losem Zusammenhange steht. Ich drucke deshalb die Stubendorfer Weise ab und füge auch das schwedische Spinn- lied bei. Trotz des abweichenden Taktes ist die Identität beider Melodien, be- sonders vom Zeichen * an unverkennbar 2).

-8^-2- !

Aus Stubendorf, Kr. Gross-Strehlitz 1861.

-^^ä3?^3^£t5^il=Öl3i=^^

1. Tam na blo - niu btyszczy kwie - cie, sto - i

lan na we-

1) Die drei S. 422 f. abgedruckten Melodien sind bereits bei J, Roger, Polnische Volkslieder der Oberschlesier 1863 S. 22 nr. 43 a— c zu finden.

2) Ein solches Überlenken in eine andere Melodie (So leb denn wohl, du stilles Haus; von Wenzel Müller) zeigt auch eine von Herrn Ernst Koschny in Charlottenburg freundlich mitgeteilte oberschlesische Weise aus Neu-Berun bei Kattowitz (um 1880):

—S—ä-

Na tej gor - ze kwit-na (Auf den Ber - gen blü - hen

ru - Ro -

ze, sen.

t-:

V— -

■-Z^ßT.

A und

ur - ich

wac kann

ich nie mo- sie nicht pflnk-

^L^

ge-

ken.

Mi- Ich

lo - wa - lam f a - lecz-ni - ka, mi- lo - wac go nie rao - g?. lieb - te ei - nen Fal- sehen, ich kann ihn nicht mehr lie - ben.)

Denn eine um 30 Jahre ältere Melodie desselben Liedes lautet:

eS

izq:

^^^M=E^I^

Kleine Mitteilangen.

211

^gsiü-^JI^

-1^ 1

de - cie, a dziew - czy - na jak ma - li - na nie - sie ko - szyk roz.

iti=:^z^.

4=1:

^S

2. Stöj, po- cze - kaj, mo -ja dusz-ko! gdzie tak drob- na stapisz noz - ka?

3:

t-

#•--

.0 0

Tarn z tej chat - ki, rwa - lam kwiatki,

po - wra- cam juz ').

t-n-

Aus dem Schwedischen, nach einer estländischen Volksweise.^)

4-

^^

-^

1. Mägd-lein hielt Tag und Nacht trau - rig an dem Spinn-rad Wacht;

^^S^^^^

^^1

nd

draussen rau-schend 'sWas-ser sprang, saust der Wind und's Vög - lein sang.

2. 'Röslein man holt im Hag. Mich doch niemand lieben mag. Zeiten fliehn; nein, dieses Jahr Führt mich keiner zum Altar'.

3. „Spinn, spinn, spinn, Tochter meini Morgen kommt der Freier dein." Mägdlein spann, die Träne rann, Nie doch kam der Freiersmann.

(Hermann Graeser.)

Von dem schwedischen Spinnliede sind verschiedene Ausgaben mit wenig abweichenden Texten in Deutschland erschienen: 'Mägdlein von früh bis spät" (Berlin, Schlesinger. Vor 1888), 'Mägdlein am Spinnrad saß' (Berlin, Simrock. Vor 1894), 'Mägdlein in stiller Nacht' (Zürich, Hug). Die älteste Bearbeitung aber, aus der jene Abdrücke geflossen sind, ist die von Hugo Jüngst für Männer- chor gemachte, die von ihm zuerst am 21. Juni 1881 auf einem Konzert des von ihm geleiteten Dresdener Männerchors zur Aufführung gebracht wurde (erschienen im April 1881 in Wien bei Buchholz u. Diebel, jetzt Ad. Robitschek). Wie mir Herr Professor Jüngst in Dresden unter dem 21. Januar 1910 freundlichst schreibt, hatte er die nicht harmonisierte Melodie einige Jahre zuvor von einem befreundeten Herrn, der sich längere Zeit in Schweden aufgehalten hatte, als schwedisches Volkslied erhalten; erst später erfuhr er, dass das Lied eigentlich „ein estländisches oder livländisches A^olkslied sei, das gelegentlich eines schwedisch -russischen Krieges von einem russischen Offizier nach Schweden gebracht und erst durch diesen daselbst bekannt geworden sei." Als ein Beleg für die grosse Beliebtheit,

1) Weitere Varianten zu dem Texte oben 19, 315: Str. 4, 3 Ach dla Bogal nigdzie wroga 6, 3 do tej chetki 8, 4 Ja buziaka dam.

2) Nach H. Jüngsts Originalausgabe, Der schwedische Text beginnt: 'üngmön vid sländan satt, sorgsen bade dag och natt; fjerran hördes bäckens sprang, \'indens sus och trastens sang'.

14*

212 Bolte:

die sich die von Jüngst eingeführte Weise rasch errang, ist folgende im Wester- walde gehörte Fassung anzusehen, die mir Herr Musikdirektor Karl Becker in Köpenick aus seiner reichen hsl. Sammlung von Volksmelodien mitteilt:

Rengsdorf, Kr. Neuwied 1887.

"Weitere Auskunft verdanke ich dem tüchtigen schwedischen Musikhistoriker Dr. T. Norlind. In Schweden taucht die Melodie erst um 1880 in Eggelings 'Sfingbok' mit der Bezeichnung 'aus Üsel' auf, hat sich dann aber rasch verbreitet. Herr Dr. Norlind erklärt sie für keine schwedische und überhaupt für keine eigentliche Volksweise; er vermutet vielmehr (ohne Grossmanns Aufsatz zu kennen), dass sie aus Deutschland nach Livland, Estland, Ösel, Finnland und zuletzt nach Schweden gedrungen sei. Ist dem so, so hätte die "Weise durch die neue Über- tragung aus Schweden nach Deutschland einen Kreislauf beendet. Welche Stellung dabei die oberschlesische Melodie des, wie wnr sahen, auch nach andern Weisen gesungenen polnischen Liedes von F. Kowalski vom Jahre 1831 einnimmt, bleibt bei dem Mangel älterer, d. h. vor 1881 liegender Zeugnisse noch zu erforschen. Vielleicht vermag einer unserer Leser hier weiter zu helfen.

Auch für den Text der 'Spinnerin' suchte Grossmann eine oberschlesische Parallele bei Roger nr. 501 (deutsch von Erbrich, Oberschlesische Heimat 3, 46 nr. 11) nachzuweisen:

1. Ach ich armes Mägdelein! "Wer erbarmt, erbarmt sich mein?

7. Schmücke mich, soviel ich kann; doch es kommt kein Freiersmann.

0. Muss zuletzt doch ganz allein ohne Mann im Hause sein.

Allein gerade die charakteristischen Verse finden sich, wie Herr Dr. Norlind bemerkt, eingesprengt in ein schwedisches Kniereiterlied der Kinder 'Rida, rida ranka', von dem Nordlander, ßarnvisor och barnrim 1886 S. 107 nr. 178 (Nyare bidrag tili kännedom om de svenska landsmalen b, 5) Varianten aus üppland, Roslagen, Helsingland, Finnland mitteilt:

'Spinn, spinn, doter min, i morgen kommer friarn diu'. Dottern spann, ock taren rann, Men aldrig kom den friarn fram.

Und dadurch wird es wah'-scheinlich, dass die ursprüngliche (polnische oder deutsche) Melodie einem andern Texte angehörte als dem von der traurigen Spinnerin.

Grossmann fügt auch eine freie Verdeutschung des polnischen Liedes von Emil Erbrich hinzu, die man mit der oben 19, 315 gegebenen wörtlichen Version vergleichen mag.

Auf Wacht.

1. Rosen blühen licht und heiter, 2. 'Halt! woher, wohin? Verweile,

Nach dem Feinde späht der Reiter. Hemm der flinken Füßchen Eile!'

Ohne Bangen kam gegangen „Dort zum Häuschen (pflückt ein Sträußchen)

Rosenfrisch die Maid. Kehr ich nun zurück."

Kleine Mitteilungen. 213

3. 'Solch ein Vorwand wäre billig; 7. 'Ei, so wag ich denn mein Leben, Hin zur Wache folg mir willig!' Einen Kuß mußst du mir geben.' ,Hab Erbarmen mit mir Armen! „Willst du sterben, dich verderben, Mutter harret mein/ Bist du selber schuld."

4. 'Nein, die Feinde sind nicht ferne, 8. 'Doch kehr ich vom Streite wieder, Kunde gäbst du ihnen gerne.' Leg ich einst die Waffen nieder?' „Wen ich kenne, Freund ich nenne, „Dann begrüß ich dich und büß ich Habe keinen Feind.'- Gerne meine Schuld."

5. 'Nun wohlan, dein will ich schonen, 9. 'Wenn die Glocken Frieden künden, Doch ein Kuß soll es mir lohnen'. Wo soll ich dich wiederfinden?'

,Bin nicht spröde, bin nicht blöde; „Harre deiner, denkst du meiner,

Steig vom Rößlein nur!" Hier beim Mütterlein."

»;. 'Darf von Roß und Wehr nicht 10. 'Doch bin ich zum Tod erkoren,

scheiden, Ist dein Kuß mir ja verloren.'

Sonst muß ich den Tod erleiden.' „0, dann wisse, daß ich küsse

, Welch Bedenken! Willst mich kränken; Still dein Totenkreuz!" Sieh, ich bin bereit."

Berlin. Johannes Bolte.

Eine baskische Bolandsage.

In der Landschaft Soule in den französischen Pyrenäen kennt man eine Rolandsage. Diese erhält besonderes Interesse durch die Nähe von Roncesvalles, wohin die historische Legende den Heldentod von Karls des Grossen Neffen ver- setzt. Doch entfernt sich die Souletiner Fassung erheblich von der gewöhnlichen Erzählung, ihr Held erinnert vielmehr an den weltbekannten, aber echt fran- zösischen Gargantua, sowie an den estnischen Nationalhelden Kalewipoeg '), wenigstens da, wo dieser als eine Personifikation der ßergnatur gelten darf.

Der baskische Roland ist eine Art Herkules. Noch heut sagt man in der Soule sprichwörtlich: so stark wie Roland (Errolan bezan azkar). Bis zu seinem dritten Jahre ward er von einer Kuh gesäugt, die er seine Amme nannte und die er so liebte, dass er, als sie viele Jahre später starb, nm sie trauerte wie ein Kind um seine Mutter. Die Milch bekam ihm gut; denn mit fünf Jahren war er schon stärker als ein Erwachsener. Sein Vater fürchtete sich vor ihm und veranstaltete, um ihn zu bändigen und zu demütigen, ein Abenteuer, wobei der junge Riese unterliegen sollte. So hiess er ihn eines Tages unter dem Vorgeben, Feuer zu be- dürfen, bei einigen Schäfern in der Nähe, mit denen er sich vorher verständigt hatte, Kohlen holen. Die Schäfer gaben ihm eine grobe Antwort, um ihn zum Streite zu reizen. Da packte Roland mit einer Hand den sukhubel, d. h. den auf dem Herde glimmenden Baumstumpf, und trug den gewaltigen Brand, ohne dass jemand ein Wort zu sagen wagte, zu seinem Vater. Diese Kraftprobe ver- mehrte noch die Furcht des A^aters und der Nachbarn; sie beschlossen, Roland von den Wächterhunden zerreissen zu lassen, und hetzten bei erster Gelegenheit eine Meute auf ihn. Allein der junge Held packte einen Hund beim Schwänze

1) Kalewipoeg übersetzt von Reinthal und Bertram ISGl; vun Löwe und Reiman 19(»0. [über die französischen Gargantua-Sagen und deren Verwandtschaft mit den Rolandsagen vgl. Sebillot, Gargantua dans les traditions populaires (188o) und Folklore <le France 4, 334.]

214 Bourgeois: Kleine Mitteilnngen.

und brauchte ihn als Keule, um die andern totzuschlagen. Noch mehr erschreckt, sandte ihn sein Vater in den Krieg, damit er dort umkomme. Doch Roland zer- schmetterte mit seiner Durandal die Feinde zu Tausenden. Bemerkenswert ist, dass die Durandal in der Souletiner Fassung kein Schwert, sondern eine Art Dreschflegel ist, ein Knittel, an dessen einem Ende eine eiserne Kugel angekettet ist. Noch heut zeigt man in der Abtei zu Roncesvalles eine Waffe dieser Art, welche allerdings recht neu zu sein scheint, als eine Reliquie Rolands. In einem der Kämpfe, an denen Roland teilnahm, begab er sich auf die Spitze des Magdalenenberges bei Tardets und schleuderte von da gegen die in den Bost- Mendita (einem aus fünf in einer Reihe liegenden Spitzen bestehenden Bergzuge) verborgenen Feinde 20 km weit alle Felsen, die man noch zahlreich in der tiefen Schlucht, wo der Aphura entspringt, und den nahen Bergwäldern er- blickt.

Anders erklärt Elisoe Reclus in seinem Artikel 'Die Basken' (Revue des deux mondes 18G7, 338) den Ursprung dieser Felsen. Der junge Roland soll mit diesen ungeheuren Steinen Steinwerfen gespielt haben. Während er jedoch seine Ge- schosse handhabte, glitt sein Fuss auf einem Kuhfladen aus^), und der Felsen, den er im Begriff war fortzuschleudern, fiel, ohne sein Ziel zu erreichen, bei Lacarry auf der linken Talseite nieder. Ihn nennen die Landleute heut 'Rolands Felsen'.

Rolands Tod endlich soll unter etwas andern Umständen als in der land- läufigen Sage eingetreten sein. Dass er bei Roncesvalles besiegt ward, geschah, weil er seine Durandal mitzunehmen vergessen hatte. Er merkte erst zu spät, dass die Schlacht verloren war, stiess nun in sein Hörn Oliphant und blies so stark, dass die Sehnen an seinem Halse zerrissen und das elfenbeinerne Hörn zersprang. Dann versuchte er vergebens sein Schwert am Felsen zu zerbrechen, da er es nicht in die Hände der Feinde fallen lassen wollte; vielmehr zersprang der Fels und eine Quelle sprudelte hervor. Von brennendem Durst gequält, trank der Paladin in langen Zügen von diesem Wasser, das sofort sein Herz erstarren liess und seinen Tod bewirkte. So ward ihm die Schmach einer Niederlage erspart.

So lautet die baskische Rolandsage aus der Soule, die uns Hr. G. Her eile in Bayonne, korrespondierendes Mitglied des französischen Unterrichtsministeriums, mitgeteilt hat.

Brüssel. Henri Bourgeois.

1) [Vgl. St'ibillot, Folklore de France 1, 37G nach Cerquand, Taranis lithobole 1881 p. 7.]

Brückner: Berichte und Bücberanzeigen. 215

Berichte und Bücheranzeigen.

Neuere Arbeiten zur slavischen Volkskunde.

I. Polnisch und Böhmisch.

Von polnischeD periodischen Publikationen vertritt nur noch der Lud, seit- dem die Wisla leider dauernd eingegangen ist, die Volkskunde. Von dem 'Kwar- talnik etnograficzny Lud', unter der kundigen und aufopfernden Redaktion von Szymon Matusiak, ist Bd. 15, Heft 1 3 erschienen (Lemberg 1909). Daraus sei besonders hervorgehoben "W. Klinger, Zum Einfluss des Altertumes auf die Volks- überlieferung 1 3. Der Verf. sucht, wie in zahlreichen vorausgegangenen Studien, Elemente des klassischen Altertums im modernen Volkstum nachzuweisen; so zeigt er, dass die südrussische Sage vom Schlangenkönig, wie er seine Goldkrone auf rotes Tuch abwirft, einfach Philostratus, vita Apollonii III, 8 übersetzt; ebenso wiederholt sich hier und dort die Sage von der Fortpflanzung der Echsen, und eine andere, wie man durch Schlangen die Tiersprache erlernt: Benfey (Orient und Occident 2, 133 171) hatte das entsprechende indische Märchen als die Quelle des griechischen angenommen. Klinger weist das Gegenteil überzeugend nach; endlich leitet er eine Episode in der Magdalenenlegende (Legenda aurea ed. 1890 p. 907 917) aus dem Roman des Apollonius von Tyrus her. Der Lemberger Romanist Ed. Poezbowicz bespricht die Abhandlung von J. Reinhold, Berte aus grans pies in den germanischen und romanischen Literaturen (194 S. 46. Bd. der Krakauer Philolog. Abhandlungen); er erkennt hier zwei Schichten: die alte genea- logische Sage liess Pipin von Heristal mit einer Fee den Karl Martell zeugen (um dessen uneheliche Geburt zu rechtfertigen); die jüngere übertrug dies auf Karl den Grossen, den Pipin mit der Bertha (einer Art Melusine; ihre Füsse er- innern an die Gänsefüsse der Königin von Saba in den salomonischen Apokryphen) gezeugt hätte; die anders gefassten Ergebni-ose Reinholds werden mit Recht abge- wiesen. A. Fischer bespricht die Verbreitung des Motivs vom blühenden Stecken (Aarons Stab). Die Materialiensammlungen usw. übergehen wir; sie enthalten mancherlei Interessantes (Volkslieder, Bräuche usw.). Auf die 'Mitteilungen des Vereins für kaschubische Volkskunde', vierteljährliche Hefte, herausgegeben von Dr. F. Lorentz und W. Gulgowski (Leipzig, Harrassowitz), sei hier nur ver- wiesen, da sie in deutscher Sprache herausgegeben werden ; einzelnes Material selbst wird polnisch (kaschubisch) gedruckt. Als Gegenstück sei der von Dr. A. Maj- kowski in Behrent polnisch herausgegebene Gryf (Greif, nach dem alten Landes- wappen) genannt, der monatlich erscheint und regelmässig auch kaschubisches volkskundliches Material bringt. Die Societas literaria Torunensis hat wiederum zwei Bände erscheinen lassen, den 13. ihrer Fontes (Thorn 1909, XLVIII und 385 576. den Schluss der Kirchenvisitationen des 17. Jahrhunderts enthaltend) und Rocznik (Jahrbuch) 16 (214 S.); aus seinen Beiträgen seien die wichtigen lokal- historischen von St. Kujot genannt, u. a. über die Lage des alten Kulm (die An- gaben des Chronisten Peter von Duisburg über eine Verlegung der Stadt sind

216 Brückner:

irrig; der Orden hat Kulm ebenso wie Thorn weit ab von der Ordensburg an- legen lassen, um sie nicht in ihrer freien Entwicklung zu hindern); dann die Geschichte der Prechlauer Pfarre; ein Tagebuch des Wal. "Wolski aus den Jahren 1806—1810 (Belagerung von Danzig); die Geschichte des polnischen Buchdruckes in Westpreussen (Schluss); Berichte über Gräberfunde und Abbildungen zweier interessanter Gesichtsurnen (mit Schmuckstücken in den Ohren) u. a.; den Schluss bildet eine kritische Bibliographie aller auf Westpreassen bezüglicher Publikationen. Von den 'Notizen' (Zapiski) der Gesellschaft enthalten die Nr. 7 8 einen ausführlichen Katalog der Sammlungen, speziell der prähistorischen, aus ihrem Besitz (S. 135 bis 187), mit einem Abriss der prähistorischen Heimatskunde, von K. Chmie- lecki. ImAnschluss an diese westpreussischen Drucke sei genannt die fleissige Monographie von Dr. Fr. Duda, Rozwoj terytorjalny Poraorza Polskiego (die territoriale Entwicklung des Polnischen Pommerns, Krakau 1909. 170 S. mit Stammtafel und Karten), eine Ergänzung und Fortführung der historischgeo- graphischen Arbeiten von Quandt und Toeppen mit manchen neuen, dankenswerten Ausführungen.

Von Publikationen alter, zumal volkskundlicher Texte erschien eine neue Reihe u. d. T. Biate Kruki (weisse Raben, d. i. bibliographische Seltenheiten), heraus- gegeben von K. Badecki; das erste Heft (Lemberg 1910, VII und 25 S.) brachte den Lament chlopski na pany (Klage der Bauern über die Herren, s. 1. e. a., aus dem Anfange des 17. Jahrhunderts; herausgegeben von Prof. J. Kallenbach); in die beweglichen Klagen hat der gebildete Anonymus die bekannte Anekdote von der Ungleichheit der Stände (die H. Sachs mehrfach bearbeitete: Die ungleichen Kinder Evä; Wie Gott der Herr Adam und Eva ihre Kinder segnet) eingeflochten. Eine gediegene Publikation verdanken wir der neuen Warschauer Gesellschaft des Schutzes alter Denkmäler; Adam Jarzgbski, Hofmusiker des Königs Wladislaus IV, hatte 1643 die neue Reichshauptstadt, Warschau (gegenüber der alten, Krakau), dem Publikum mit ihren Palästen und Kirchen geschildert, in einem Dialog, den ein Bauer als Geschenk vom Jahrmarkt seinem Herrn mitbringt; die Verse sind recht schlecht, desto interessanter dafür der Inhalt, auch von Bürgern und Juden handelnd; der Abdruck (Adama Jarzebskiego Gosciniec albo opisanie Warszawy, Warschau 1909. XXVII, 176 S.) ist mit vielen Stadtansichten, alten Plänen u. dgl. reich ausgestattet. Von den Collectanea der Ordinatsbibliothek der Grafen Krasiriski erschien Nr. 2, der Pseudolucianische Dialog zwischen Charon und Palinurus in der Bearbeitung in Versen des Begründers der polnischen Literatur, Biernat von Lublin, die sich vom lateinischen Original durch die Betonung der Standesunter- schiede, durch die Verurteilung der grossen Herren und ihres Treibens, scharf unterscheidet; leider ist der Dialog nur in Fragmenten aus einem alten Einband erhalten (aus den 20er Jahren des IG. Jahrhunderts; herausgegeben von Fr. Pu- iaski, Warschau 1909. XXXVII, 27 S.). Während die Privilegien, Innungsbriefe u. dgl. der Krakauer Zünfte und Gilden längst von Prof. Fr. Piekosiüski heraus- gegeben sind, erfolgen erst jetzt ähnliche Publikationen für Warschau; ihre Reihe eröffnet B. Slaski mit einer Sammlung der Privilegien der Bierbrauer (Dawne przywileje cechu piwowarow miasta Warszawy, Warschau 1909, 41 S.).

Historischen und rechtshistorischen Arbeiten sei vorausgeschickt ein Kapitel der Bevölkerungsstatistik. Dr. L. Sawicki verfasste eine Schrift über die Dichtig- keit der Besiedolung der Westkarpathen (Rozmieszczenie ludnosci w Karpatach zachodnich, Krakau 1910. 60 S., mit 2 Tafeln). Die Bearbeitung der Adels- geschichten schreitet rüstig fort; Frl. Dr. Hei. Polaczek gab heraus Materjaly do heraldyki polskiej (Krakau 1909. 84 S.), die eine vollständige Sammlung der mittel-

Berichte und Bücheranzeigen. 217

alterlichen proclamationes (Klan- oder Sippenrufe, älter in Polen als die Wappen) samt den zugehörigen Wappen bringen. Die Entstehung und den Verfall einer Schicht dieses alten Adels, eines militärischen Kleinadels, behandelt Dr. Wl. Sem - kowicz, Wlodycy polscy na tle porownawczym slowianskien (die p. Wlodyken auf vergleichendem slavischen Hintergrunde, die südslavischen vojnik, böhmischen panose, Lemberg 1908); Ergänzungen dazu über die niederen Adelsschichten in den Rechtsstatuten König Kasimirs des Grossen gab 0. Balzer in dem Peters- burger slavistischen Sbornik (Sammelband, Petersburg 1909, 23 S. fol. des Ab- druckes) 5 sie stehen etwa mit den squire's auf gleicher Stufe. Der von Dr. Wt. Semkowicz herausgegebene Miesiecznik heraldyczny (Her. Monatsschrift, Lem- berg) ist in seinen dritten Jahrgang eingetreten: Familiengeschichten, allgemeinere Fragen, eingehende Bibliographie füllen ihn aus. Hierher gehört das von Dr. Pr. Dabkowski herausgegebene Prawo prywatne polskie (Polnisches Privatrecht, Bd. 1, Lemberg 1910. XXII, 601 S.), weil es in klarer, populärer Darstellung die Anfänge auch der polnischen Rechtsinstitutionen (z. ß. Ehe, künstliche Verwandt- schaft durch Adoption und Anbrüderung usw.) und die volkstümlichen Rechts- gewohnheiten stark berücksichtigt. Der Historiker A. Szelagowski behandelt mit Vorliebe ökonomische und geographische Probleme; ich sehe von seinen neuesten Arbeiten über die Rivalität zwischen Polen und Moskau einer-, Deutsch- land und England andererseits in bezug auf den Ostseehandel ab; aber besondere Erwähnung verdient sein Buch 'Die ältesten Strassen aus Polen nach dem Oriente im arabisch-byzantinischen Zeitalter' (Najstarsze drogi z Polski na Wschod etc., Krakau 1909. IX, 145 S.), wobei sich ergibt, dass es keine direkten Wege, z. B. von Krakau ostwärts gab, sondern nur grosse Umwege über die Weichsel und den Bug, wie die Ausgrabungen (arabische Münzfunde) beweisen. In bezug auf Ausgrabungen sei genannt das Buch von St. J. Czarnowski, Polska przed- historyczna (das vorhistorische Polen, Warschau 1909. 148 S. gr. 8^): dieser ein- leitende Band enthält nur die systematische Bibliographie des Gegenstandes (und im 10. Abschnitt eine alphabetische), nicht nur der Literatur, sondern auch der Sammlungen und Museen selbst und bespricht auch die angrenzenden Länder. Zur Geschichte der fremden Völkerschaften in Polen nennen wir z. B. die Studie von Prof. 0. Balzer, Über die armenische Gerichtsbarkeit im mittelalterlichen Polen (Lemberg 1909, 187 S.); zur Geschichte der Juden in Polen ist 'Das Juden- viertel (in Lemberg), seine Geschichte und Denkmäler' (Lemberg 1909, als 4. und i). Heft der 'Lemberger Bibliothek', 100 S.) von Dr. ßalaban Majer zu erwähnen eine sehr lebhafte und anschauliche, auch reich illustrierte Erzählung von diesem Ghetto. Aus der zahlreichen Memoirenliteratur sei nur ein Werk genannt, wegen seiner grossen Fülle volkskundlichen Stoffes (Anekdoten, Beschreibung der Bräuche, Feste usw. des krakauischen Volkes): des Krakauer Bürgers und Anti- quars Ambrozy Grabowski (1782 1868) Aufzeichnungen, die aus einer Unzahl von Bänden Prof. St. Estreicher ausgewählt hat ('Wspomnienia' = Erinnerungen, 2 Bde., Krakau 1909, XLVII und 344, 417 S. Nr. 40 der 'Krakauer Bibliothek). Aus der historischen Literatur nennen wir weiter St. Kutrzeba, Der Mord im polnischen Recht des 14. und 15. Jahrhunderts, Krakau 1907, eine treffliche Studie; dann Publikationen aus den Archiven der Fürsten Sanguschko, der Grafen Droho- jowski und Zamoyski (letztere veröffentlichen das Archiv ihres grossen Vorfahren, des Kanzlers und Grosshetman, davon enthält Bd. 2, Warschau 1909, 445 S., den Ertrag von nur drei Jahren, 1580 1582, allerdings sind es Kriegsjahre, muster- haft bearbeitet von Dr. J. Siemieiiski); diese tragen namentlich zur Kunde der ökonomischen Verhältnisse bei und gewähren einen immer tieferen Einblick in die

•)]^g Brückner:

inneren, auch volklichen Verhältnisse der 'Republik'. In einem neuen Bande des grossen Sammelwerkes, Geographisch-statistisches Bild Polens im 16. Jahrhundert, Bd. 17, Warschau 1909, 252 und XXXV. S. schildert A. Jabtonowski die Be- siedelung und Organisierung des den heidnischen Jatwingen entrissenen Podlachien durch Polen und Russen. Die Herausgabe der Lauda (Beschlüsse) der Partikular- tage von AVisznia aus den Jahren 1572—1648, durch Ant. Prochaska (20. Band der Grod- und Landesakten, Lemberg 1909. 50, 6;!9 S.) lässt die steigenden An- sprüche des Adels auf Dezentralisation und Autonomie sichtlich erhellen. Das Werk von Dr. W. Tokarz, Galizien in den Anfängen der Josephinischen Ära im Lichte einer offiziellen Enquete vom Jahre 17S3 (Rrakau 1909. 400 S.) würdigt kritisch die Berichte des Hofrates J. von Margelik über die Lage der Bauern, Bürger, Juden usw., die Kolonisation durch Deutsche, die Emigration des Volkes, während man eine Immigration wegen der gebesserten Lage des Bauern erhofft hatte, u. dgl. m. Über neueste Verhältnisse handelt Ed. Czyuski, Ethno- graphisch-statistischer Grundriss der Zahl und Ansiedlung polnischer Bevölkerung, 2. Aufl., Warschau 1909, mit Karten und Plänen: die Zahl gibt Czyuski auf etwas über 20 000 000, davon an 2 000 000 in Amerika an (anders Niederle; s.u.). Diese Aufzählung möge beschliessen ein von der Krakauer Akademie herausgegebenes Werk, 'Ubiory ludu polskiego' (polnische Volkstrachten); die bisher erschienenen zwei Hefte enthalten nur das Krakauer Land; Text, Tafeln und Illustrationen stammen von dem Maler AVI. Tetmajer und gewähren grossen Genuss durch die Pracht und Genauigkeit der Ausführung. F. Kopera und J. Pagaczewski gaben ein 'Polskie Muzeum oder eine Sammlung von 64 Abbildungen unserer Denk- mäler', Krakau 1909, reich illustrierte Skizzen polnischer Kunstgeschichte, Bild- hauersachen, von den Bronzetüren der Gnesener Kathedrale (Magdeburger Arbeit) aus dem 12. Jahrhundert an bis zu Thorwaldsens Denkmälern, das Krönungsschwert (eine deutsche Ordenswafl'e des 13. Jahrhunderts), Holzschnitte, ausgewählte Malereien usw.; manches davon befindet sich im Krakauer Nationalmuseum, das wegen der beschlossenen Überführung in das alte Königsschloss auf dem Wawel bedeutende Zuwendungen erhalten hat.

Bei der Besprechung der böhmischen Publikationen stellen wir die des un- ermüdlich tätigen Prof. C. Zibrt voran. Zuerst seinen 'Markolt a Nevim v literatufe staroceske' (Morolf und Niemand in der altböhmischen Literatur, Prag 1909, böhm. Akad. d. Wiss., 264 S. gr. 8»); abgedruckt ist hier der Marcolphus, disputationes quas dicuntur habuisse rex Salomon sapientissimus et Marcolphus etc. Francofordiae 1591 (u. ö.), dann der böhmische Text nach einem Unicum vom Jahre 1608, parallel damit eine nur wenig modernisierte Jahrmarktausgabe von 1877 mit dem 'Mandat von der Weiberherrschaft des Perimarus' (auf drei Jahr in einem Jahr), wonach die Frauen von den Männern zu bedienen sind und nach Ablauf dieser Frist den Männern mit gleichem vergelten sollen. Derartige Privilegien, ohne den Namen Ferimarus, sind in polnischen Handschriften des 17. Jahrhunderts häufig, vgl. auch den Einzeldruck aus dem Ende des 18. Jahr- hunderts 'Mcjzatek Dam przywileje' (Privilegien der verheirateten Damen, an- geblich 'aus dem Deutschen in diesem Jahr'). Weiter druckt Zibrt ab die , Komödie von König Salomon aus dem dritten Buch der Könige auserwählt, in böhmische Sprache in Rhythmen gebracht", 1571 und 1604 (ebenfalls ein unicum). Prof. H. Machal hat nachgewiesen, dass dieses anonyme Spiel aus der 'Sapientia Salomonis drama comicotragicum' des Xystus Betuleius (Sixt Birk 1547) frei übersetzt ist, doch sind gerade die bei Birk ganz kurzen Reden des Marcolphus von dem böhmischen Bearbeiter im Sinn und Stil der alten CoUationes stark er-

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weitert (vgl. Über zwei böhmische biblische Komödien aus dem 16. Jahrhundert im Vestnik der kgl. Ges. d. Wiss. 1902; die andere Komödie, von Paul Kyrmezersky, Leitomischl 1573, beruht auf Leonh. Culmanns 'Spiel von der Widtfraw, die Gott durch den Propheten Elisa mit Öl von ihrem Schuldherrn erlediget' 1544). End- lich des Jos. Gallas, eines bekannten Sammlers von Volksbräuchen u. dgl., hand- schriftliche (unvollendete) Bearbeitung und Auszüge aus dem Markolf, vom Jahre 1826: die Abweichungen in Namen und Einzelheiten sind wohl den idyllisierenden und slavisierenden Tendenzen des Bearbeiters zuzurechnen. Der zweite Teil be- handelt den Nemo, den mittelalterlichen Text und die Nachahmungen (U. v. Hütten u. a.), namentlich des Strassburgers Georg Schans Gedichte vom Niemand, von denen das kürzere und ältere (um 1512) über die Unsitte des Hausgesindes, auf den Niemand alle Schuld zu schieben, in einem böhmischen Flugblatt bearbeitet ist, das J. Bolte in Gotha fand und im Archiv f. slav. Philologie 18, 126 129 mitteilte. Zibrt gibt den 'Nemo vir perfectus', den Campanus und nach ihm der Universitätspedell Jioinsky aus einer alten Hs. 1618 und 1610 in Prag abdruckten, dann das Gothaer Flugblatt; in der Einleitung hebt er besonders hervor, wie der Text deutlich anspielt auf ein beliebtes Motiv slavischer (und deutscher) Volks- lieder vom Herrn, der dem Mädchen den Krug zerschlug und mit eigener Person den Schaden bezahlte. Zuletzt druckt Zi'brt eine 'Unwahrscheinliche und über- natürlich wunderbare Neuheit von einem grossen Riesen, der von einem Fürsten auf einer wilden Insel gefangen ward ... in narrischer (sie!) Sprache geschrieben und jetzt ins böhmische übersetzt 1587' (nebst einer komischen 'Pranostika', d. i. Kalenderprophezeiungen für alle Zeiten); beides ist so originell, so voll von An- spielungen und Beziehungen auf böhmische Verhältnisse, dass es durchaus nicht übersetzt zu sein braucht. Eine Fülle alter volkstümlicher Texte gab Zi'brt heraus in den 'Rädy a präva starodavnych pijanskych cechü a druzstev krato- chvilnych v zemich eeskych' (Ordnungen und Rechte der alten Säuferzünfte und kurzweiliger Brüderschaften in den böhmischen Landen, Prag 190'S. 372 S.), nicht weniger als 61 Nummern, ganze Broschüren, Flugblätter u. dgl. und Auszüge aus Predigten und moralisierenden Traktaten der Zeit. Besonders zahlreich sind die Ausführungen über die alten Hackebrüderschaften (auch in Schlesien wohlbekannt)^ die man ganz missverständlich mit den böhmischen Brüdern oder mit Freimaurern in Zusammenhang brachte, während dies nur freundschaftliche Vereinigungen von Saufbrüdern und lustigen Kumpanen waren, die 'auf die alte Hacke' tranken. Ich kann hier nicht alle Dialoge, Lieder u. dgl. meist des 16. Jahrhunderts auf- zählen, die Zibrt in dem eng gedruckten Bande (als Beilage zum 'Brauer', den 0. Zachar herausgibt) vereinte; er nahm u. a. auch eine polnische Schelmen- zunft aus dem Anfange des 17. Jahrhunderts auf, die durch ihren urwüchsigen Witz auffällt. Das Buch verfolgt zwar keine wissenschaftlichen Ziele, ist populär gehalten, aber durch die Fülle des Materials ein wertvoller Beitrag zur Kultur- geschichte Böhmens; ein zweiter Band soll verwandtes Material aus dem 19. Jahr- hundert bringen. Ähnliches umfasst eine neue Publikation Zi'brts, eine Er- gänzung förmlich zum Cesky Lid, in derselben Ausstattung, mit zahlreichen Illustrationen: Toc se a vre kolovratku. Obrazky z piastek byvalych (Laufe und schnurre, Spinnrad. Bilder von den einstigen Spinnabenden), Prag 19(^9, 56 S.; es werden zuerst die alten Angaben aus dialektisch -satirischen Schriften des 16. Jahrhunderts, obrigkeitliche Gebote u. dgl. besprochen, dann nach den einzelnen Gegenden in Böhmen, Mähren und Schlesien der Brauch unserer Zeit (mit den Spielen usw.) nachgewiesen und die einschlägige Literatur ausgezogen. Von der 'Bibliographie der böhmischen Geschichte' ist Bd. IV, 2 erschienen, die Ge-

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schichte des Dreissigjährigen Krieges, die Jahre 1621 1632, Nr. 8074 11 820, S. 481 720 zweispaltig; aus der erstaunlichen Fülle des Materials sei nur hervorgehoben das alphabetische Verzeichnis der böhmischen 'Exulanten' nach der Schlacht am Weissenberge und ihrer Lieder (mit interessanten, sonst ganz unbekannten Einzelnheiten), S. 5o7 578. Eine ähnliche, ebenso genaue wie ausführliche Bibliographie ihrer Geschichte kann keine andere Nation aufweisen.

Daneben nehmen ihren Portgang die periodischen, von Zibrt als Herausgeber geleiteten Publikationen. In erster Reihe für uns der Cesky Lid, Band 18, Heft 5 10 und 19, Heft 1 4. Aus dem bunten und reich illustrierten Inhalt sei hervorgehoben der Abdruck dreier Komödien aus der Mitte des 16. Jahrhunderts durch Zibrt, 18, 306 325 Dialogi variarum personarum; der erste enthält die nachdrückliche Zurückweisung eines Trunkenboldes; der zweite schildert den Bacchusdienst; der dritte (unvollendet) handelt von Kartenspiel, einem Quack- salber und Tauben: alles kurze B^'astnachtszenen von derbem Humor und einer urvolkstümlichen, mit Sprichwörtern reich durchsetzten Sprache. Volkstexte und Melodien, Prosaaufzeichnungen aller Art, Berichte über Bräuche (namentlich das Umgehen mit den drei Königen, mit der Beruchta usw.), die Erinnerungen des Franz Hais (Aufzeichnungen über Dorfleben aus den vierziger Jahren des 19. Jahr- hunderts); die Untersuchungen von Dr. Joseph Volf über die Rosenkreuzer in Böhmen, die Polemik, die sie hervorgerufen haben (mit Budovec, ihre Prophe- zeiungen für das Jahr 1622), desselben über die Reste der Adamitensekte im Böhmen des 19. Jahrhunderts, ziehen sich durch mehrere Hefte, Genannt seien noch Aufsätze über die Berührung der Smetanaschen Kompositionen mit dem Volksliede (Dr. Ott. Zieh); über die Wünschelrute (aus alter und neuester Zeit); zahlreiche dialektische Beiträge (Glossare u. dgl.). Besonders sei hervorgehoben die Bibliographie böhmischer Volkskunde für 1908 und Zibrts Übersicht der kulturhistorischen und ethnographischen Literatur 1908 (S. 462 480); hier sind u. a. aufgezählt die zahlreichen Feuilletons Zibrts in der Abendausgabe der Narodni listy, die u. d. T. Jindy a nyni (Einst und jetzt) eine Menge kultur- historischer und ethnographischer Einzelnheiten behandeln.

Von dem Casopis, der böhmischen Musealzeitschrift, ist Band 83 ab- geschlossen (480 S.) und der 84. für 11)10 begonnen. Ich hebe hervor die Be- richte Zibrts über Safaiik, über Jugend und Schicksale des berühmten Historikers und Ethnographen der Slavenwelt, auf Grund der Familienkorrespondenz; J. Jelinek weist aus Kirchenbüchern und ürbarien alles Nähere über die erste Jugend des J. Arnos Comenius nach, bis zum Besuch der Lateinschule in Prerau 1608 (geboren in Ungarisch-Brod den 28. März 1592). Zibrt ergänzt seine Aus- gabe der böhmischen Bearbeitung von (angeblich) Konrad Has 'Gesprech des Herrn mit S. Petro von der itzigen Welt lauff' (1560), die ihm nur in einem ver- stümmelten Unicum von 1585 vorlag, nach dem vollständigen Exemplar des Wiederabdruckes von 1605, und bespricht das Verhältnis zur deutschen Vorlage. Jedes Heft enthält zudem zahlreiche Beiträge zur älteren böhmischen Bio- und Bibliographie. Von fremden Themen sei nur erwähnt die Studie von Rowalski über Carlo Goldoni als Reformator des Schauspieles im 18. Jahrhundert. Die Literatur-Übersicht behandelt vor allem Boheraica in fremden Sprachen, z. B. The life and times of Master John Hus, London 1909 (von Graf Fr. Lützow); Teza, I viaggi di Marco Polo nella vecchia versione boema, Venezia 1709 (auf Grund der trefflichen Akademieausgabe des Million, die Dr. Prasek und Flajshans 1902 besorgten); Dr. Fr. Spina, Die alttschechische Schelmenzunft Frantova priiva, Prag 1909 (in den Prager deutschen Studien 13, als erster der

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'Beiträge zu den deutsch-slavischen Literaturbeziehungen' erschienen); auf Grund der ausgezeichneten Ausgabe Zi'brts weist Spina eine gewisse Abhängigkeit von der Schelmenzunft des Gribus 1479 und der Schweinezunft Schramms 1494 (weniger von anderen) nach; die Schwanke selbst stammen aus Bebel und Poggio; besonders gelungen ist der Nach\veis der engen Kulturbeziehungen zwischen Pilsen und Nürnberg, wo Pilsener Bürger das böhmische Buch drucken liessen. Darüber hat Fr. Spina bereits im 9. Heft der Prager Studien besonders gehandelt (Tschechischer Buchdruck in Nürnberg am Anfang des 1 6. Jahrhunderts) und dabei die vielen 'Ratsverlässe' zur Kontrole der 'pikartischen' Drucker besprochen.

Von dem Närodopisny Vestnfk ceskoslovansky (Ethnographischer Anzeiger) unter der Redaktion von Kraus, Polivka und Tille ist Band 4 abgeschlossen (232, 158 S.) und Band 5 eröffnet. Eine auch das deutsche Volkslied in Österreich nahe berührende Studie sei zuerst genannt. 1819 ward auf Anregung der Wiener Gesellschaft der Musikfreunde den Statthaltereien in den Kronländern die Samm- lung geistlicher und weltlicher Volkslieder aufgetragen; diese wälzten die Aufgabe auf die armen Volksschullehrer ab, ohne diesen irgend eine Entlohnung dafür zu gewähren^). So entstanden bereits 1819 wertvolle deutsche und slavische Lieder- sammlungen; die böhmische ist sofort von Rittersberg (Böhmische Volkslieder, Prag 1825) verwertet, die mährische liegt noch heute ungedruckt. Zwar hat sie der bekannte Sammler alles mährischen Volkstumes, Fr. Bartos, eingesehen und bei seinen eigenen Publikationen benutzt; aber wie ungenügend, wie viel er davon übergangen hat, zeigt St. Soucek in einem längeren Aufsatz; Soucek hat auch in Lid 19, 26 ff. über die gleichzeitige handschriftliche Sammlung deutscher und böhmischer Volkslieder des Kuhländchens (unabhängig von Meinerts Ausgabe von 1817) gehandelt, die ein Deutscher, Felix Jaschke (gest. 1831 in hohem Alter), als stattlichen Anhang u. d. T. 'Sammlung alter Lieder' zu seinem Quodlibet oder Sammelchronik von Fulnek und Umgebung veranstaltete; seine böhmischen (mährischen) Texte decken sich fast vollständig mit dem entsprechenden Faszikel jener amtlichen Sammlung von 1819. Es ist hier ein noch nicht ganz gehobener Schatz zu verzeichnen.

Besondere Aufmerksamkeit verdient die Beilage zu Bd. 4 und 5, die Samm- lung böhmischer Erzählungen aus der Grafschaft Glatz von J. Kubin, die Prof. Polivka kommentiert hat. Die Texte dieser preussischen Böhmen sind äusserst sorgfältig phonetisch aufgezeichnet und schon darum wertvoll, aber der Kommentar verleiht ihnen noch ganz besonderen Wert, denn Polivka begnügt sich nicht mit blossem Zitieren der Parallelen, wie er es sonst tut, sondern verweilt in grösster Ausführlichkeit bei allen Einzelheiten des Stoffes und schafft einen hoch- willkommenen Beitrag zur Märchenkunde überhaupt. Hier sei gleich ein anderer Beitrag zur böhmischen Märchenkunde angeführt: 'Ceske pohädky do roku 1848' (Böhmische Märchen bis 1848, herausgegeben von der Prager Akademie, 1909. VI und 18(1 S. gr. 8»); W. Tille hat hier die Geschichte, Inhalt und Wert aller böhmischen Märchen- und Sagensammlungen, angefangen von W. A. Gerles Volks- märchen der Böhmen (1819) bis zu den reichen Sammlungen von Krolmus, Maly und B. Nemcova (1845—1847) kritisch geprüft, damit man sie zu vergleichenden Studien verwerten kann; ein zweiter Teil wird denselben Stoff für die zweite

1) Einer von ihnen beklagt sich auch, dass den Lehrern verboten ist, in Schank- häuser spielen zu gehen, aber er hätte von seinem bitteren Verdienste zahlen müssen, „um einige von denen Volkliedern anführen zu können". Zudem mussten die Lehrer ihre Sammlungen in zwei Exemplaren einschicken.

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Hälfte des Jahrhunderts, d. i. bis zum Aufkommen wissenschaftlich genauer Auf- zeichnungen, zu behandeln haben; ausserdem hat er dem Neudrucke der "Werke der B. Nemcova eine ausführliche Studie über deren Märchen gewidmet.

Aus dem übrigen Inhalt des Anzeigers seien noch die Arbeiten von Srdinko und Bohäc über die Bewegung der Bevölkerung in den böhmischen Rronländern genannt: in Böhmen hat das deutsche Gebiet relativ höhere Geburtenziffern, in Mähren das slavische. Sonst wäre die sorgfältige Studie Ton J. Tykac über die Leinwandhausindustrie in der Gegend von Böhmisch-Trübau, St. Klimas ethno- graphische Skizzen aus der östlichen Slovakei (Texte u. a.) usw. zu nennen; die literarischen Besprechungen zeichnen sich durch Ausführlichkeit und Objek- tivität aus.

Von anderweitigen Publikationen sei eine neue 'Sammlung von Volksliedern erwähnt, die die alte Erbensche fortführt und ergänzt: Cen.^Holas, Ceske narodni pisne a tance (böhmische Volkslieder und Tänze); der 2. Teil (Prag 1908. 199 S.) bringt 319 vom Herausgeber selbst gesammelte Lieder und Melodien, mit Verweisen auf Parallelen usw., aus dem Prachiner Bezirk.

Von der ausgezeichneten Sprichwörtersammlung von Prof. Vaclav Flajshans sind drei Hefte erschienen, 'Ceskä pTislovi, Prag 1909 und 1910, Spalte 1 384 folio. Ich wüsste aus keiner anderen Literatur der Welt eine gleich ausführliche und genaue, erschöpfende Sammlung zu nennen. Eine Art Vorarbeit hatte Prof. Flajshans in seiner Neuausgabe der slovakischen Sprichwörter des Daniel Horcicka-Sinapius (Neoforum latinoslovenicum, Lissa 1(577) geleistet, indem er den polnischen Ursprung (aus des Cnapius Thesaurus 1632) der Mehrzahl dieser Sprichwörter nachwies. Sein neues Werk wird in den ersten acht Heften das alte, in den folgenden das neue Material bieten. Es ist von einer erstaunlichen Fülle und Genauigkeit; gerade der historische Teil dürfte unübertroffen bleiben; gesammelt sind nicht nur die eigentlichen Sprichwörter, sondern auch sprich- wörtliche Wendungen und Benennungen (von Personen); alle Nachweise aus der .heimischen Literatur und die Nachweise des Ursprunges (Frage der Ent- lehnung usw.), wobei besonders beachtet wird, dass nicht für ein böhmisches Sprichwort angesehen werde, was bloss als Übersetzung aus dem Polnischen, Russischen usw. meist durch Öelakovsky in dessen Sammlung eingeschmuggelt wurde. Diese Erörterungen füllen manchmal ganze Spalten. So braucht z. B. •der berühmte Didaktiker Stitny (Ende des 14. Jahrhunderts) helmbrecht (mit Ableitungen) für einen losen Vogel, Geck, Schwelger, das sicher aus dem Meier Helmbrecht des Gartenaere stammt, aber Flajshans führt auch eine andere Erklärung an, aus helmberechtigt, d. i. zum Turnier berechtigt, als Beweis der Zügellosigkeit des damaligen Adels; schon in Rücksicht auf das altböhmische najthard, najthartovati (aus dem Neidhart der deutschen Literatur) ist nur die erste Erklärung richtig. Eine ähnliche interessante Entstehung ist hampajs, im 16, Jahrhundert für Schwelgerei weit verbreitet, aus dem bekannten hanbeis = gallimordium (öffentliches Haus), heute für Kegelbahn gebraucht!

Von den Publikationen der Akademie seien genannt die Herausgabe des alt- böhmischen 'Lebens der alten Väter' (Staroceske zivoty svatych otcuv, durch E. Smetanka, Prag 1909, 712 S., davon S. 481—708 das Glossar zu diesen Texten). Interessanter ist die Ausgabe der Übersetzungen der Werke Wiklefs, die ja in andern mittelalterlichen Literaturen fehlen, in Böhmen ausserordentlich (Hussitismus schien ja erst nur Wikleffismus zu sein), eingewirkt haben, verbot sie doch schon Papst Martin V. 1418 und liess sie vertilgen. Wohl wusste man, dass Hus und Hieronymus den Trialog Wiklefs übersetzt hatten und dass ihr

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eifrigster Mitstreiter, Jacobellus von Mies (Jakoubek ze Stribra) anderes über- setzte, aber alle Texte schienen verschollen. Nun ist die einzige, leider un- vollständige Handschrift einer Übersetzung eines der Hauptwerke Wikleffs, des Dialogus (zwischen Wahrheit und Ltige), gefunden und von Milan Svoboda herausgegeben, Mistra Jakoubka ze Stribra Pfeklad Viklefova Dialogu usw., Prag 1909, XXXVIII und 197 S. Der Herausgeber weist nach, dass Jacobellus diesen Traktat etwa 1410 oder 1411 übersetzt haben dürfte, und nun fällt Licht auf eine bisher unerklärte Angabe. Petr Cheicicky, der grosse böhmische Reformator des 15. Jahrhunderts, den Leo Tolstoj als seinen Vorläufer bezeichnet, polemisiert in einigen seiner Werke mit einem Magister Protiva (d. i. Widerpart); es sind Stellen aus Wikleff offenbar gemeint, doch warum nennt ihn nicht Cheicicky ausdrücklich, wie er es sonst tut? Nun zeigt es sich, dass Cheicicky eben diesen Übersetzer als „Widerpart" bezeichnet, weil Jacobellus faktisch sein eigener Widerpart in Prag 1419 und 1420 war, in dem Streite, ob Christen die Waffen gebrauchen dürfen: die Universität und ihr Hauptsprecher, Jacobellus, bejahten dies Recht für die Defensive, Cheicicky verwarf es wie Tolstoj und verlangte, dass die siegreichen Hussiten wegen ihres Kämpfens in Acht und Bann getan würden. Die treffliche Übersetzung gibt den gelehrten Dialog in freier Paraphrase wieder, erweitert ihn namentlich an allen Stellen, wo von der Verweltlichung und der Simonie des Klerus die Rede ist, eifernd gegen die falschen Ablässe. Andere Ausgaben, 'Studien zu Stitny' von A. Soucek, die Werkchen des Neulateiners Joannes Cocinus a Cocineto (Isagoge zu Cicero, De Oratore), stattliche Bände von Korrespondenzen (des Begründers der Slavistik, Abt Dobrovsky, des Literaten Celakovsky, eine schier unerschöpfliche Fundgrube für die Geschichte der böhmischen Wiedergeburt (1. Teil, die Jahre 1818—1829, 452 S.), des Politikers Vinaricky) u. a. seien nur flüchtig genannt. Der 17. Band des Anzeigers (Vestnik) der Akademie, 499 S. gr. 8", für 1908, enthält u. a. einen Bericht von Flajshans über die zahlreichen Bohemica des Klosters Schlägl in Oberösterreich (10 Handschriften von Werken des Hus u. a.) und die Polemik von Janko gegen Peiskers Ausführungen über die germanische und turkotatarische Sklaverei der ürslaven, ein viel umstrittenes Thema.

Von besonderen dialektologischen Publikationen der Akademie sei namentlich auf Dr. Ant. Kasik, Popis a rozbor nareci stredobecevskeho (Prag 1908, 154 S.) hingewiesen, denn die Hälfte des Bandes umfassen lauter Gespräche und Er- zählungen, die das Leben des Volkes an der mittleren Becva, um Walachisch Meseritz in Mähren herum, aus seinem eigenen Munde wiedergeben, äusserst charakteristisch ausgewählt; dadurch unterscheidet sich diese Sammlung sehr zu ihrem Vorteil von der gewöhnlichen Schablone. V. J. Dousek beendigte mit einem dritten Teil seine Lautlehre südböhmischer Dialekte (Hlaskoslovi usw., 1908. 66 S.). Von dem monumentalen Werke Lubor Niederles, das uns endlich die schon seit einem halben Jahrhundert veraltete slavische Altertumskunde J^afariks würdig ersetzen wird, ist jetzt der zweite Teil (Herkunft und Anfänge der Südslaven, Prag 1910. 547 S. gr. 8*^) abgeschlossen. Es werden die ethno- graphischen Verhältnisse der Donauländer und des Balkan im Altertum (in Kap. 6 dieselben im 6. und 7. Jahrhundert n. Chr.) und die Thesen über die Ankunft der Slaven erörtert. Verf. rückt sie sehr hoch hinauf, findet Spuren sporadischer Besiedelung schon im 1. bis 5. Jahrhundert, schildert die historisch beglaubigten Einfälle und verweilt namentlich bei der Einwanderung der Serben und Kroaten (die sagenhaften Angaben desPorphyrogenetos darüber), zeigt dann die Differenzierung der Südslaven in die heutigen Stämme, behandelt die schwierige Frage der Namen

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Slave, Serbe, Kroate und endigt mit einem Kapitel über die archäologischen Ver- hältnisse auf dem Balkan, das Vordringen der lausitz-schlesischen Kultur nach dem Süden, die ältesten slavischen Gräber und Grabstätten daselbst (8. bis 11. Jahrhundert). Ihm verdanken wir gleichzeitig ein 'Geographisches und statistisches Bild des zeitgenössischen Slaventums', das in russischer Sprache (als zweite Nummer der grossen, von der Petersburger Akademie herausgegebenen Encyklopädie der slavischen Philologie, Petersburg 1909, 160 S. gr. 8") und in böhmischer Fassung erschienen ist ('Slovansky Svet' usw., die slavische "Welt usw., Prag 1909, 197 S.): eine äusserst sorgfältige, auf den zahlreichsten und neuesten Quellen beruhende Arbeit, welche die einzelnen Stämme nach ihren Sitzen, Gruppen und Zahlen behandelt; an Zahl ergibt sich für alle Slaven für das Jahr 19< Kj 1H6 500()()0 (der russische Gelehrte Florinskij in seinem 'Slavenstamm' gibt für 1906 148 521000 an), davon allein Russen (Gross- und Kleinrussen) ungefähr 94O0O0O0 (102 000 000 Florinskij), gegenüber 85 000 000 Deutschen (nach Lang- hans, 82 000 000 nach Henoch) für dieselbe Zeit.

Über historische Publikationen dürfen wir uns nur kurz fassen. An ihre Spitze darf gestellt werden das eben vollendete 'Vollständige topographische Lexikon des Königreichs Böhmen, Historischer Teil' (Uplny mistopisny slovnik kralovstvi ceskeho, Prag 1895—1909, 1043 S. gr. kleinen Druckes), ein Ertrag der Lebensarbeit von August Sedlacek, die Geschichte aller Städte, Burgen, Dörfer, Klöster Böhmens, aus den Archiven geschöpft, eine Arbeit, wie sie nicht leicht irgend eine andere Literatur aufzuweisen vermag; besondere Rücksicht wird auf alte Namensformen und auf eingegangene Ortschaften genommen; bei den Klöstern werden nach Möglichkeit sogar die Äbte, bei den Städten die be- rühmteren Mitbürger aufgezählt usw. Es ist der Verfasser der 'Burgen und Schlösser Böhmens', von deren Beschreibung seine auch Genealogie und Heraldik umfassenden Studien ihren Ausgang nahmen. Die Beschreibung der historischen Denkmäler des Königreiches nach den einzelnen Kreisen nimmt ihren Fortgang, zuletzt erschien Nr. 32, den Turnauer Kreis betreffend, von J. V. ."?imäk (Prag 1909, 259 S ). Degleichen begann Kanonikus A. Podlaha eine nach den Vikariaten der Prager Erzdiözese geordnete Beschreibung der Kirchen, Kapellen, Klöster und anderer Denkmäler katholischen Glaubens und Eilers in Böhmen; bisher sind drei Teile erschienen ('Posvätna mi'sta kralovstvi Ceskeho, dejiny a popsäni chramil kaph" etc., Prag 1907—1909, 319, 373, 338 S.); es wird die Geschichte jeder Kirche usw. gegeben. Legenden und alte Lieder abgedruckt, weil das gross an- gelegte Werk für ein weites Publikum bestimmt ist, aber die Fülle der aus Kirchenbüchern, Konsistorialakten usw. geschöpften Materials leihen ihm wissen- schaftlichen Wert.

Zur Geschichte der Reformation in Böhmen ist oben einiges bereits genannt. Fr. Loskot schrieb die erste, vollständige Studie über Leben, Wirken und Werke des Augustinerchorherrn Konrad Waldhauser, des Vorläufers von Hus (Prag 1909, 125 S. als Eröffnung einer Serie: Die grossen Männer der böhmischen Reformation). Von dem weitläufigen Werke des Mathias von Janov (De regulis Veteris et Novi Testamenti) erschien der zweite Teil mit vier Traktaten (über Kirche, Zeugen der Wahrheit usw.) des wichtigsten, dritten Buches. Das 4. Heft der „Quellen zur böhmischen Kirchengeschichte vom 16. bis 18. Jahrhundert" (herausgegeben von A. Podlaha, Prag 1909), enthält die Geschichte des Klosters Plass. Eine Gesell- schaft von Bibliophilen erneuerte in einer Prachtausgabe des Comenius 'Testament der sterbenden Mutter Brudereinheit' (Ksaft etc.) nach der ersten Ausgabe; zu Comenius hat sein unermüdlicher Erforscher, der Dorpater Professor J. Kvacala

Berichte und Bücheranzeigen. 225

Analecta Comeniana in den Denkschriften der Dorpater Universität (Bd. 18), neue Briefe, Drucke, die Akten der Synode der böhmischen Brüder in Lissa 1G35, ver- öffentlicht. In den 'Quellen der böhmischen Geschichte 6* begann J. Simäk den Abdruck der Städtechroniken des 16. Jahrhunderts mit der Prager Chronik des Bartos und andern auf die Wirren von 1524 bezüglichen (Prag 1907, 438 + XXXIX); sie sind böhmisch geschrieben.

Die treffliche historische Zeitschrift (Cesky Casopis Historicky) ist in den 15. Jahrgang getreten; im 14. beendigte J. B. Novak die sehr instruktive Studie über die mittelalterlichen Diktamina; er weist speziell für Petrarka, was man bisher unbeachtet gelassen hatte, für dessen Epistolographie den engsten Zu- sammenhang mit den Dictatoren des Mittelalters nach. J. Hanns bespricht die Anfänge kritischer Geschichtsschreibung in Böhmen als Beiträge zur nationalen Wiedergeburt, speziell Dobner u. a. Im neuesten Heft (15, 1) beginnt A. Neu- bauer eine Studie über Prokop Holy, den Nachfolger des Zizka bei den Taboriten, Aus Anlass von Jubiläumsdaten sind zwei stattliche Publikationen erschienen: vom Senat der böhmischen Universität die notarielle Abschrift des Kuttenberger Dekretes König Wenzels (über die Stimmen der Universitätsnationen), die für Hus zu Zwecken seiner Verteidigung auf den Konzil angefertigt wurde (Dekret Kutnohorsky etc., Prag 1909, 72 S., mit Faksimile) und vom Historischen Klub der Majestätsbrief Kaiser Rudolf II. über die Glaubensfreiheit in Böhmen, dieser glanzvolle Erfolg der Bemühungen der böhmischen Stände (K. Krofta, Majestät Rudolfa II, Prag 1909, 43 S. mit einem trefflichen Faksimile der böhmischen Urkunde).

Übergangen sind hier vollständig lokale Veröffentlichungen, die gerade in Tageszeitungen, Zeitschriften, Museal publikationen eine Fülle lokalen ethno- graphischen Materials gewähren, die mährischen z. B. und andere. Schon was hier vorgebracht ist, beweist hinlänglich die rege Tätigkeit, ja die Hingabe, mit der weite Kreise an die Erforschung der heimischen Volkskunde herantreten.

Berlin. Alexander Brückner.

Heimatschutz in Sachsen . Vorträge von Kichard Beck, Oskar Drude, Cornelius Gurlitt, Arnold Jacobi, Ernst Kühn, Franz Mammen, Robert Wuttke. Mit 74 Abbildungen. Leipzig, B. G. Teubner 1909. 184 S. 2,25 Mk.

In Dresden haben sich vier Hochschulen, die Technische, die Tierärztliche, die Bergakademie und die Forstakademie zusammengeschlossen, um einen Verein für volkstümliche Hochschulkurse zu gründen. Eins der ersten Unternehmen des Vereins ist der hier im Druck vorliegende Zyklus von acht Vorträgen über Heimatschutz. Die Bewegung für Heimatschutz hat in Sachsen nach rühriger Vorarbeit des Vereins für Volkskunde überraschend schnell Wurzeln geschlagen. Die Regierung hat diese Bestrebungen kräftig unterstützt, vor allem durch Vor- legen eines Gesetzes gegen die Verunstaltung von Stadt und Land, das im März 1909 von beiden Kammern angenommen worden ist.

Bedeutung und Ziel, Umfang und Grenzen des Heimatschutzes im allgemeinen behandelt der letzte Vortrag (R. Wuttke); die übrigen sind den einzelnen Gegen- ständen des Heimatschutzes gewidmet. Sachsen ist reich an geologischen Denk-

Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1910. Heft 2. 15

226 Beucke, Heusler:

malern der verschiedensten Formationen, die, wie z. B. der einzigartige Topas- felsen des Schneckensteins, Schutz verdienen und bedürfen. Die Entstehung des Landschaftsbildes und ihres Pflanzenkleides schildert 0. Drude und fordert Schutz nicht nur für die floristischen Seltenheiten, wie z B. gewisse „Glazialrelikte'' in den Schluchten der Sächsischen Schweiz und auf den Hochmooren des Erz- gebirges, sondern auch für solche Bestände, in denen besonders reichhaltige und charakteristische Pflanzengenossenschaften sich zusammengefunden haben. Zur Erhaltung der Schönheit des Waldes ist es erwünscht, dass wenigstens die Um- gebung besuchter Aussichtspunkte und anderer landschaftlich hervorragender Stellen von dem Kahlschlagbetriebe verschont bleiben. Einzelne Waldpartien von besonders urwüchsiger Art sollten als „Urwaldreservationen" überhaupt von der Durchforstung ausgeschlossen bleiben. Prachtexemplare von Bäumen, die durch Alter oder Wuchsform sich auszeichnen, sind vor Vernichtung zu bewahren. Der heimatliche Tierschutz sollte sich nicht engherzig auf den Nützlichkeitsstandpunkt stellen, sondern auch die „schädlichen" Tiere, wo sie nicht überhandnehmen, ge- währen lassen, weil jedes in seiner Weise zur Harmonie und Fülle des ganzen Naturbildes beiträgt.

Wie eine rücksichtslose, der landschaftlichen Eigenart zuwiderlaufende oder auch an sich hässliche Bebauung den harmonischen Charakter des Landschafts- bildes zerstören kann und wie nötig hier energischer Schutz und Abkehr von verfehlter Entwicklung ist, das zeigt E. Kühn besonders an dem Beispiele des Plauenschen Grundes. In ähnlicher Weise will C. Gurlitt das Städtebild vor Verunstaltung bewahrt wissen. Wichtiger noch als die Schonung wertvoller alter Bauwerke scheint ihm die Erhaltung des alten, naturgemäss entwickelten Plan- bildes, die Beibehaltung der schönen, geschwungenen Linienführung in den Strassenzügen, der geschlossenen, ruhigen Platzanlagen. Hier werden dem ver- meintlichen Verkehrsbedürfnis durch Fortreissen, Verbreitern und Durchbrechen oft ganz unnötige Opfer gebracht, und manches reizvolle Bild nutzlos zerstört.

Heimatschutz kann nur gedeihen, wo im Volke die Gesinnung innerlicher Hochachtung vor den Werten der Natur und der Kultur erweckt ist. Dazu bei- zutragen sind diese Vorträge durch die vielseitigen Anregungen, die sie geben, wohl geeignet. Da Ziele und Gegenstände des Heimatschutzes in allen deutschen Landen wesentlich dieselben sind, so ist dem hübschen Büchlein mit seinem reichen, zweckdienlichen Bilderschmuck eine weite Verbreitung auch ausserhalb der grün-weissen Grenzpfähle zu wünschen.

Berlin. Karl Beucke.

Vilh. Gronbecli, Lykkemand og Niding. Vor Folkea-t i Oldtiden. Forste Bog. Kobenhavn. V. Pio, 1909. 220 S. 8°.

Schon nach den ersten zwei Seiten merkt man, dass man einem ganz persön- lichen Buche und Stile gegenübersteht. Erst viel später kommt man dahinter, was der Autor eigentlich will und wie sich der geheimnisvolle Obertitel zu dem fassbareren Untertitel verhält. Der Lykkemand, das ist der Begabte im Vollbesitz der Ehre, dem es im Leben gelingt, und der Niding ist der von diesen Gütern Ausgeschlossene. Nämlich in der Welt der aisl. Sagas, der aengl. Epen und der anderen Kronzeugen für das vorkirchliche Germanentum. Eine Einleitung kontrastiert die Schilderung des Aussenseiters Tacitus mit den germanischen

Berichte und Bücheranzeigen. 227

Selbstporträts in der Saga und stellt das Leitmotiv auf: das agerm. Seelenleben liegt uns viel ferner, als man beim ersten Blicke glaubt; viel ferner als das der homerischen Griechen; wer es wahrhaft verstehen will, muss es sich von den Fundamenten aus aufbauen unter steter Abwehr der störenden, verwischenden Analogien aus unserer heutigen Welt. Jene Fundamente aber sind das Sippe- gefühl, das Ehrgefühl und der Glaube an Glück und Unglück als dem Menschen angewachsene Eigenschaften. So überschreibt sich denn ein erster Abschnitt 'Friede', d. i. eben Sippegeftihl; dann kommt einer, betitelt 'Ehre' S. 69; dann, S. 120, noch einmal 'Ehre', S. 144 'Glück' und S. 181 abermals 'Glück'. Dies lässt schon ahnen, dass G. kein Landstrassenwanderer ist. Als Probe des Stils nehme man: „Wir können das Sippegefühl verfolgen von seiner bewussten Ent- faltung rückwärts durch den Menschenwillen und bis an die Grenze, wo es sich in der Wurzel dieses Willens auflöst. Wir ahnen, nicht der Mensch will den 'Frieden', sondern der 'Friede' will ihn. Er liegt in der Tiefe seiner Seele als das grosse Grundelement, so blind und so stark wie die Natur selber" (S. 55). „Die Rache enthält die Verklärung und die Erklärung des Lebens, das Wahrste und Schönste am Leben, die innerste Natur des Lebens kommt zum Ausdruck in dem Rächer" (S. 72). „Unstern ist ein Bubenstreich, und ein Unsternsmensch ist soviel wie ein Neiding oder, je nachdem, ein Neidingskandidat" (S. 179). Man sieht, wie der Verf. seine Gedanken zuspitzt. Auf jeder dritten Seite streift er ans Paradoxon. Aber er verliert sich nicht daran; eine treffsichere Intuition be- schirmt ihn. Man muss ihm freilich ohne Pedanterie folgen, sonst hätte man allzu oft zu widersprechen. In den späteren Abschnitten, von S. 116 an, gerät er wohl öfter auf einen toten Strang, redet er, seitenweise, wortreich um die Sache herum. Nur in kleinen Dosen kann man diese fein berechneten, oft grüblerischen, auch tüfteligen Sentenzen in sich aufnehmen. Das wohltuende Gegengewicht, die Stellen mit köstlicher Ironie (siehe S. 80. 86. 193 f.), findet sich nur selten ein. Im ganzen ein kulturreifes Buch, wie es vielleicht nur in Dänemark ent- stehen konnte. Es erinnert an die delikate Kunst Valdemar Vedels, ohne dessen realistische Frische zu erreichen. Grenbech redet nicht als Fachmann, sondern als ein Künstler, der sich in einen Ausschnitt der alten Schriftwerke innig ein- gelebt hat, durch kein philologisches Blatt Papier von diesen Quellen getrennt. Es nimmt sich fast aus wie Selbstgespräche eines Schriftstellers, der sich von dem Geäder des altnordischen Seelenlebens genaue Rechenschaft ablegt, um der- einst aus dieser gesättigten Anschauung einen geschichtlichen Roman zu formen. An welchen Leserkreis wendet sich solch ein Buch? Wer das germanische Altertum nur aus Abstand kennt, müsste eine festere, stofflichere, handgreiflichere Belehrung verlangen. Und von den Kennern der Sagas werden wenige geneigt sein, ein Buch durchzulesen, dessen Ertrag für sie in einer langen Reihe geist- reicher Epigramme besteht. Und doch fände der Rechts-, der Sittenhistoriker hier Formulierungen, die dazu taugten, als geflügelte Worte durch ihre Lehrbücher zu gehen! Die wenigen Leser werden sich in einem persönlichen Verhältnis zu dem Autor fühlen. Der Ref. zählt sich zu dieser dankbaren kleinen Gemeinde, nur kommt er über die Frage nicht hinweg: war das Buch, das 220seitige Buch die rechte Kunstform für diesen Inhalt? Bogenzahl und Entstofflichung bedingen sich doch wohl, und zwar in umgekehrtem Verhältnis. War ein so überlegener Abstracteur de quintessences gezwungen, über die drei, vier Druckbogen hinaus- zugehen? . . . Und auf dem Titelblatte drohen die Worte 'Erstes Buch'.

Berlin. Andreas Heusler.

15^

228 Lohre, Eoediger:

P. Saintyves, Les saints successeurs des dieux. Paris, Emile Nourry 1907. 410 S. Les vierges meres et les uaissances miraculeuses. Ebenda 1908. 280 S. Le discernement du miracle. Ebenda 1909. 352 S.

Die Zeiten, da Hermann üsener eine ausgezeichnete kritische Legenden- studie der 34. Philologenversammlung nur mit einer gewissen Entschuldigung vor- zulegen wagte und erzählte, auf der Angelikana habe man seine Beschäftigung mit Legendenhandschriften als preussische Spionage beargwöhnt diese Zeiten sind für immer vergangen. Heute bemühen sich Philologen, Theologen und Historiker wetteifernd um diese Literatur, und Streit herrscht wohl um Einzelheiten, kaum noch um die kritischen Methoden. Den (pseudonymen?) Verfasser der vorliegenden Schriften werden wir in jenen kritisch gerichteten Kreisen katholischer Theologen Frankreichs zu suchen haben, für die der unendlich vieldeutige Name der 'Modernisten' erfunden ward.

Dass unter den zahlreichen Märtyrergeschichten nur eine verschwindend kleine Zahl historischen Wert habe, wusste man eigentlich schon seit den Arbeiten des Mauriners Thierry Ruinart (f 17(i9). Heute erkennt Harnack gegen 18, Delehaye (vgl. oben 16, 123) mit Vorbehalten etwa 13 Texte als historisch brauchbar an. Aus welchen Quellen nun aber die grosse Masse der übrigen Legenden gespeist wurde, wenn nicht aus der historischen Wirklichkeit, das hat erst die neueste Forschung zu erhellen sich bemüht. Usener und andere klassische Philologen zeigten den Einfluss hellenistischer Vorstellungskreise, Delehaye und H. Günter (Legendenstudien 1906) zeigten die spontane Arbeit der Volksphantasie, die irgend einen geringen Wirklichkeitskeim, eine bildliche Darstellung, ein metaphorisches Bibelwort u. dergl. zu bunten Fabeleien aufquellen Hess. So ergab sich eine mehr kulturhistorische und eine mehr volkspsychologische Betrachtungsweise, die einander ergänzten, nicht ausschlössen. Saintyves' Buch erweckt durch seinen Titel den Anschein, schlechthin der Usenerschen Richtung anzugehören; der Inhalt zeigt, dass das nicht der Fall ist. Es ist ein Buch weitblickender Zusammen- fassung. -Der Verfasser schürft selbst keine neuen Resultate aus den Quellen empor, so teilt er auch nicht die Einseitigkeit der Pfadfinder; er kennt und würdigt alle kritischen Gesichtspunkte, die man an die Legenden herangebracht hat; sein Buch fasst das Wesentliche aus einer reichhaltigen Literatur zusammen. Namentlich in den Arbeiten französischer Gelehrter ist er überaus belesen; er kennt aber auch alles Wichtige aus der deutschen und englischen Forschung. So scheidet er 6 Quellen, aus denen die Phantasie der Legendenerzähler schöpfte:

1. La lecture des epitaphes (falsche Deutung von Abkürzungen, Adjektiven usw.),

2. L'interpretation des images, 3. Le temps et le mobilier liturgiqucs, 4. Les fahles et les paraboles dans la vie des saints; les doublets hagiographiques, 5. Les traditions populaires; l'eraigration des contes, 6. La migration des miracles et l'amour du surnaturel, 7. Les traditions mythiques. Noch nicht auseinandersetzen konnte sich der Verf. mit Reitzensteins erst 1906 erschienenen 'Hellenistischen Wundererzählungen' und der darin angedeuteten Einwirkung der Propheten- und Philosophenaretalogien auf die Legenden. Sonst aber ist nichts Wichtiges über- gangen, und überall zeigt sich gediegene Verarbeitung und selbständig durch- dachte Verbindung des aus der gelehrten Einzelarbeit Geschöpften. Das gilt auch von dem Eingangskapitel über den Ursprung der Hciligcnverehrung überhaupt und von dem anregenden Schlussabschnitt: 'La raythologie des noms propres'. Hier

Berichte und ßücherauzeigen. 229

werden Tatsachen, wie die Hypostasen göttlicher, in einem Adjektiv festgehaltener Eigenschaften zu selbständigen Göttern oder Heiligen, der Einfluss gelehrter und ungelehrter Etymologien und ähnliches behandelt. Es zeigt sich, dass die Mythologie der Sprachforschung noch immer bedarf, wenn sie auch die einseitig etymologische Methode Ad. Kuhns und Max Müllers verlassen hat. Man darf mit Spannung der angekündigten Fortsetzung des Werkes entgegensehen, die 'la mythologie des Images paiennes' und 'la mythologie des rites paiens' be- handeln soll.

Das Buch 'Les Vierges meres' trägt das Kennzeichen gewaltiger Be- lesenheit so gut wie das erste Werk. Ziel der Darstellung und darum letztes Kapitel ist hier die Einordnung der Geburtsgeschichten Jesu bei Lucas und Matthäus in einen religionsgeschichtlichen Zusammenhang für den Kenner der deutschen kritischen Theologie kein neues Thema. Aber so weit wie hier ist der religionsgeschichtliche Rahmen wohl selten gespannt worden; alle nur irgend auf- findbaren Überlieferungen von wunderbaren Geburten werden herangezogen, keineswegs die Jungfrauengeburt allein, sondern die Mythen von gebärenden Steinen, Wasserfluten, Pflanzen, der befruchtenden Sonne usw. Dies weite Material wird, so weit irgend angängig, in Verbindung gebracht mit rituellen oder profanen Volksgebräuchen: ohne die verbreitete Praxis des Kinderaussetzens keine Geschichte wie die von Roraulus und Remus. Die umsichtige Durchführung dieses Er- klärungsprinzipes ist geeignet, manche Mythe des romantischen Geheimnisses zu entkleiden, das ihr zunächst anhaftet; wie denn überhaupt ein gesunder, nicht überheblicher, Rationalismus dem Autor eignet.

Das zeigt sich auch in seinem dritten, der Kritik des Wunders gewidmeten Buche, das aus früher veröfTentlichten Einzeluntersuchungen hervorgegangen ist. Anders als zur Zeit der Aufklärung ruht hier der Akzent nicht auf der philo- sophischen, sondern auf der historischen und naturwissenschaftlichen Kritik. Kapitel wie das vierte und fünfte: 'Du genre litteraire des livres historiques qui racontent des miracles', 'De l'idee que les redacteurs de recits miraculeux se sont faits de l'histoire' konnten erst in unserer Zeit geschrieben werden; sie ergänzen manche Ausführungen über die Legenden in dem ersten Buche. Auch der Teil, der der philosophischen Wunderkritik ^ilt, ist weniger erkenntnistheoretisch als psychologisch gehalten: die seelischen Zustände, die Wunderglauben erzeugen, werden diskutiert. Für näheres Eingehen auf dieses am meisten theologische Buch des gelehrten Verfassers ist hier nicht der Ort.

Berlin. Heinrich Lohre.

Robert Mielke, Das Dorf. Ein Handbuch der künstlerischen Dorf- nnd Flurgestaltuug. Mit 256 Textabbildungen. Leipzig, Quelle nnd Meyer, 1910. VI, 290 S. gr. 8 ^ 5,40 Mk., geb. 6 Mk.

Seit langen Jahren hat Mielke seine Studien dem deutschen Dorf und seinen Bewohnern zugewandt. Er hat das bäuerliche Haus und Gehöft nach ihren Typen und deren Verbreitung sowie nach einzelnen ihrer Teile untersucht, hat sein Auge auf die landschaftliche Umgebung des Dorfes und die bäuerliche Kunst gerichtet und hat endlich in zwei Büchern diese und andere Beobachtungen zusammenzu- fassen gesucht: „Das deutsche Dorf^, 1907 erschienen, charakterisiert auf historisch-geographischer Grundlage, das vorliegende Werk stellt dar und beurteilt nach künstlerischen Gesichtspunkten. Es ist eine architektonische Dorfkunde und

230 Roediger: Berichte und Bücheranzeigen.

Dorfkritik mit dem Ziele des Heimatschutzes, wendet sich aber nicht nur an dvn Baukünstler, sondern an jeden, der durch seine Stellung als dörflicher Grund- und Hausbesitzer oder als Beamter an der Gestaltung des Dorfes mitzuwirken be- rufen ist, oder der auch nur das deutsche Dorf liebt und lernen möchte, sich Rechenschaft zu geben über die Ursache der von ihm ausgehenden Eindrücke, der sein Urteil messen möchte an dem eines durch weite Umschau geschulten Mannes. Denn die in diesem Buche niedergelegten Beobachtungen sind das Er- gebnis zwanzigjähriger Reisen (Vorwort S. VI), deren Ausdehnung durch ganz Deutschland die rund 2t)U Abbildungen erkennen lassen, alle bis auf ein Zehntel von Mielke selbst aufgenommen.

Das mit einem eingehenden Namen- und Sachregister ausgestattete Buch setzt sich aus drei Teilen zusammen. Der allgemeine behandelt die Lage des Dorfes in der Landschaft und seine Abhängigkeit von der Natur, die sich in seiner Gestalt sowie in den Stoffen und Formen der Bauten äussert. Freilich bestimmt die umgebende Natur jetzt nicht mehr allein die Tätigkeit der Dorfbewohner, weil diese sich vielfach durch äussere Anstösse verschoben hat, was dann wieder zu Änderungen der baulichen Anlagen, der Landeinteilung usw. Anlass gab. Der vierte Abschnitt dieses Teiles „Das Dorf in seinen geschichtlichen Formen" wird seiner Überschrift nicht gerecht. Die ästhetische Betrachtung überwiegt zu sehr die historische, so dass der Inhalt sich zum grössten Teil anderweitig unterbringen Hesse, das Entwickelungsgeschichtliche aber an einleitender Stelle Platz finden könnte. Gerade hier bietet übrigens Mielkes zweites Buch eine Ergänzung, und auch der erste Abschnitt des die Dorfgestaltung betrachtenden zweiten Teiles im vorliegenden Werke, der vom Lageplan handelt, greift ein. Daneben kommen in diesem Teil andere umfassende Gebilde zur Sprache: das Dorf von aussen und innen gesehen, die Gestaltung der Wege, die Flur. Die Überschriften ,.Das Dorfbild, das Strassenbild, die Strasse" drücken, scheint mir, den Inhalt der Ab- schnitte nicht ganz glücklich aus. Der letzte Teil prüft die Bauten im einzelnen, wobei ich den Brunnen lieber zu den übrigen Nutzbauten, die Denkmäler deren Begriff ein wenig schillert! an den Schluss gerückt hätte. Kleine Bedenken in bezug auf Form oder Technik habe ich auch sonst noch hin und wieder empfunden. S. 85 nimmt sich das „Gesetz, dass die zunehmende Grösse (eines Bauwerkes in der freien Natur) proportional der abnehmenden Helligkeit sein muss", sonderbar aus, und es geht selbst aus dem Zusammenhange nicht glatt hervor, dass die helle Färbung des Bauwerks gemeint ist. S. 180 sind AYege- steine in den Zwischenräumen mit Hecken bepflanzt, statt der Zwischenräume zwischen den Wegesteinen. S. 112 „um so näherliegender" statt näher liegend oder allenfalls naheliegender. S. 55 ff. finde ich Schindel durchweg als Masculinum statt als Femininum gebraucht, ohne Zweifel durch Attraktion an „der Ziegel^. Anderes mag in das Gebiet der Druckfehler fallen, unter denen Baumgruppe statt Baugruppe (S. 240) der unangenehmste ist und von denen ich nur noch die falschen Zitate S. 210 statt 154 f. (S. 243) und S. 2G9 statt 2(JG f. (S. 234) be- richtige. Sie sind jedoch selten, nur leider nicht in den Verweisungen auf Bilder. S. 76° muss es heissen Abb. 03 statt 6!>, S. 95 bei dem unteren Bilde 145 statt 150, S. 102 /^bb. 13'J satt 3ii, S. IGG Abb. 145 statt 152, S. 233 Abb. üla statt 91, S. 240 Abb. 214 statt 228, S. 248 Abb. 223 statt 222. An einigen Stellen weiss ich den Fehler nicht mit Sicherheit zu bessern, oder liegt er in den Illustrationen. Ist S. 127 Abb. 113 statt 110 gemeint? S. 180: Abb. 96 stellt keinen Bergweg dar. Abb. 62 erläutert die Angaben des Textes S. 223 nicht, Abb. 23 zu S. 37 is^t undeutlich, Abb. 7 genügt für die Anmerkung auf S. 43 nicht und auf Abb. 27

Notizen. 231

tritt die charakteristische Bretterverkleidung des Giebelzwickels, von der der Text redet, nicht hervor. Aber das sind wohl die einzigen Mängel an den sonst vor- züglich geratenen und ihren Zweck durchaus erfüllenden Bildern.

Wie immer bei Geschmacksurteilen wird der Verfasser nicht durchweg Zu- stimmung finden. Aber man dürfte die Überlegtheit und Duldsamkeit seiner Kritik anerkennen und ihm zugestehen, dass er nicht mit einem theoretisch kon- struierten, fertigen Massstab an die Dinge herantritt, sondern aus der Betrachtung des Vorhandenen zu lernen und Normen zu gewinnen sucht. Er hebt auch mit Recht hervor, dass die Vorfahren nicht die von uns abgezogenen Regeln besassen und nach ihnen geschaffen haben, sondern dass eine verständige Anpassung an das Gegebene und Zweckmässige die Grundlage des Wohlgefälligen in der bäuerlichen Kunst bildet. Mielke ist weder ein blinder Lobredner und Ver- teidiger des Alten, noch ein Verächter der Mittel und Forderungen der Neuzeit, sondern verlangt nur ruhiges Abwägen nach beiden Richtungen und Vorsicht im Verwerfen des Altbewährten, w^eil es sich oft genug schonend und doch vorteilhaft und befriedigend umgestalten lässt. So gesellen sich seine systematischen Be- trachtunijen zu den praktischen Bestrebungen hervorragender Architekten und werden das Verständnis für sie hoffentlich immer mehr wecken und ver- breiten.

Berlin. Max Roediger.

Notizen.

Marie Audree-Eysn, Volkskundliches, aus dem bayrisch-österreichischen Alpen- Gebiet. Braunschweig, F. Vieweg 1910. XIV, 274 S. gr. S" mit Titelbild und 2-25 Ab- bildungen. — IG Abhandlungen enthält der stattliche Band, in welchem die verehrte Ver- fasserin den Ertrag einer langjährigen, fruchtbaren Sammelarbeit und einer besonnenen, knappen und dabei deutsche wie ausländische, neue wie alte Literatur umsichtig heran- ziehenden Betrachtung niedergelegt hat: 1. St. Wolfgangs Verehrung in Bayern und ■Österreich: seine Wunder: Quellenerweckung, Erweichen der Steine, Beilwurf u. a. Bräuche der Pilger: Durchkriechen durch eine Felsenspalte, Steinschleppen, Opfergaben, Glocken- zeichen des Beters für den Heihgen. 2. Pestkapellen und -bilder, Sebastianspfeile als Amulette: die Patrone Sebastian, Rochus, Cbristophorus, Anna. 3. Die drei h. Jungfrauen Einbetta. Worbetta, Wilbetta und ihre Bilder in Süddeutschland, Luxemburg und Böhmen. 4. Der Buchstabe T als Pestamulett über der Tür, auf Schutzbriefen imd Anhängern (nach Hesekiel 9, 4: iri = Zeichen auf der Stirn der Auserwählten). .">. Das Frautragen in Salzburg oben 9, 154. 13, 430). 6. Deckengehäuge im deutschen, slawischen und schwedischen Bauernhause: die kunstvoll aus Holz geschnitzte Heihggeist-Taube und die aus Stroh oder Zittergras hergestellte 'Unruh'. 7. Pranger- oder Reifstangen in Salzburg. 8. Schutzmittel für Haus imd Hof: Inschriften, Benediktuspfennig, Bilder, Segen, Palm- buschen. Antlaß-ei, Schädel, Trudensteine u. a. 9. Amulette: Feige, Schutzzettel, Benediktus- kreuz, Nepomukzunge, Walpurgisöl, Lorettohauben, Ringe, Trudenmesser, Fraisschlüssel, Edelsteine. Maulwurfspfoten usw. 10. Schädelkultus im Alpenlande; Bemalung. Inschriften. 11. Die Perchten in Salzburg, die schiachen und die schönen. 12. Maibäume. 13. Vieh- schmuck beim Almabtrieb. 14. Verstücher und -briefe. 15. Sagen aus der Rauris: Berg- mandl, wilde Frau, Zauberer, Hexen, Festbannen, Spuk. 16. Hag- und Zaunformen: Brauch. Sprichwort, Aberglaube, Sagen über den Zaun. Natürlich vermag diese knappe Aufzählung nur eine schwache Vorstellung von der ungemein reichen Fülle des Inhalts, die durch eine grosse Zahl vortrefflicher Abbildungen noch anschaulicher wird, und von den zum Teil ganz neuen Forschungsergebnissen, z. B. bei Nr. 3, 4, (>, 9, 10, IG, zu geben. Durch die wohltuende Vorsicht gegenüber mythologischen Spekulationen (S. ."lö. 87. 157') und die scheinbar mühelose Beherrschuns: der volksktmdlicheu Literatur erinnert das Werk

232 Notizen.

uns fast auf jeder Seite an Richard Andrees glänzende Arbeit über die süddeutschen Votive (s. oben 15, 233), der es nun als die zweite Frucht eines harmonischen Zusammen- wirkens des verehrten Paares an die Seite tritt.

K. Bücher, Arbeit und Rhythmus. Vierte ueubearbeitete Auflage. Leipzig und Berlin, B. G. Teubner 190!). XI, 47G, XIV S. 8". 7 Mk. lu der vor vierzehn Jahren erschienenen ersten Auflage dieses Werkes legte der bekannte Leipziger Nationalökonom, den uralten Zusammenhang zwischen Arbeit, Rhythmus und Lied ins Auge fassend, die historische Entwicklung einer ursprünglich nur mit Unlust betriebenen Arbeitsleistung zu ihrer rhythmischen Gestaltung und weiter zur Entstehung von Arbeitsgesängen zum ersten Male einleuchtend dar und knüpfte daran weitere in die Urgeschichte der Musik und Dichtung hineingreifende Folgerungen. Der fruchtbare, durch eine stattliche Zahl von Beispielen und Belegen gestützte Grundgedanke Büchers hat bald Anklang gefunden, und wir freuen uns, nach der oben 12, 372 ausführlicher charakterisierten dritten Auflage eine durch neue, namentlich ostasiatische Arbeitslieder, einen instruktiven Bilderanhang von 14 Tafeln sowie durch allgemeine Ausführungen vermehrte Bearbeitung begrüssen zu können. "Was über die Frauendichtung der primitiven Völker (S. 394) ausgeführt wird, ist sicherlich ernster Beachtung wert. Dagegen scheint mir die Behauptung: „Es ist die energische rhythmische Körperbewegung, die zur Entstehung der Poesie geführt hat, ins- besondere diejenige Bewegung, welche wir Arbeit nennen" (S. 36ö) allzu kühn und schwer beweisbar. Soll Tanz, Musik, Poesie aus der körperlichen Arbeit hervorgegangen sein, nur weil diese wesentlich geistigen Betätigungen sich gleichfalls dem rhythmischen Ge- setze unterordnen? In der rhythmischen Begleitung der primitiven Arbeit die einzige oder auch nm- die hauptsächliche Wurzel der Poesie zu sehen vermag ich nicht. Nach- träge zu den Liedern der Böttcher, Schmiede, Drescher, Rammer, Klöpplerinnen zu geben wäre natürlich leicht; ich möchte aber nur auf den schweizerischen Erntegeiger bei Messikommer, Aus alter Zeit 1909 S. 46 hinweisen.

A. Freybe, Der deutsche Volksaberglaube in seinem Verhältnis zum Christentum und im Unterschiede von der Zauberei. Gotha, Perthes 1910. XV, 194 S. 3,60 Mk. Für junge Geistliche schreibt F. ein in den Lehrbüchern der praktischen Theologie fehlendes Kapitel über die rechte Behandlung des Aberglaubens. Indem er ausführlich über die verschiedeneu Äusserungen des Aberglaubens und seinen Zusammenhang mit dem germanischen Heidentum orientiert, macht er auf die ethischen Züge, die poetische Naturanschauung und die zahlreichen christlichen Spuren darin aufmerksam und empfiehlt statt rationalistischen Spottes zarte und wohlwollende Rücksichtnahme nach dem jMuster der alten Kirche. Dagegen will er von der Zauberei und dem Spiritismus nichts wissen. Karl Huss, Die Schrift vom Aberglauben, nach dem in der fürstlich Metternichschen Bibliothek zu Königswart befindlichen Manuskripte hsg. von A. John. Prag, J. G. Calve 1910. XXXII, 48 S. mit 12 Abbildungen und 4 Farbentafeln. 3 Mk. (Beiträge zur deutsch- böhmischen Volkskunde 9, 2). Die 1823 abgefasste, volkskundlich wertvolle Schrift des Egerer Scharfrichters Huss (1761—1838) handelt nicht wie die ältere seines Nürnberger Kollegen Meister Franz (ccL Endter 1801) von seinen amtlichen Verrichtungen; sondern der aufgeklärte, nur durch das allgemeine Vorurteil von einem gelehrten Berufe aus- ireschlossene Mann, dessen Antiquitätenmuseum wiederholt von Goethe besucht und endlich vom Grafen Metternich erworben wurde, trägt hier eine Fülle abergläubischer Meinungen des Volkes zusammen, ohne mit seiner ehrlichen Entrüstung und seinem herben Spott über die menschliche Torheit zurückzuhalten. Schon in der ZföVolksk. G, 107 hatte der um die Volkskunde des Egerlandes hochverdiente A. John einen sachlich geordneten Auszug aus der bisher unbekannten Hs. gegeben; jetzt erscheint der vollständige Text mit den interessanten Zeichnungen einer Wünschelrute, eines Erbschlüssels, Drutenfusses, kabbalistischer Figuren, der Satorformel usw. und mit einer ausführlichen Einleitung.

H. Kehrer, Die heiligen drei Könige in Literatur und Kunst. 2 Bde. Leipzig, E. A. Seemann 1908. X, 114. XV, 327 S. mit 1 Taf. und 348 Abbildungen. 30 Mk. Kehrer, der bereits 1904 eine Studie über die h. drei Könige in der Legende und in der deutschen Kunst veröffentlicht hatte, kehrt hier mit reiclierer Ausrüstung zu seinem Thema zurück und liefert eine auf umfassenden Quellenforschungen ruhende, trefflich illustrierte

Notizen. 233-

Darstellung. Wie sich die durch Springer, Ficker u. a. vertretene neuere Richtung der mittelalterlichen Kunstgeschichte überhaupt dadurch kennzeichnet, dass sie an die Be- trachtung und Deutung der Kunstwerke nicht ohne ein ausgedehntes Studium des ge- samten Literatur- und Kulturlebens dieser Zeit herantritt, so hat auch K. der Entwicklung der Dreikönigslegende einen ganzen Band gewidmet, der alle theologischen und literar- historischen Fragen berücksichtigt und mit den neuesten, bisweilen noch ziemlich hypo- tlietischen Ansichten operiert. Im Anschluss an Dieterich erblickt er in dem Stern und den Magiern des Matthäusevangelinms einen Zusammenhang mit der babylonischen Astrologie und dem Mithraskulte. Er schildert die geistliche Deutung der orientalischen Kirchenväter, die volkstümliche Erweiterung der Legende in der syrischen •Schatzhöhle'^ (drei Könige, ihre Namen) und das zuerst bei den alexandrinischen Gnostikern gefeierte, um 350 auch nach dem Westen gedrungene Epiphanienfest, dessen Liturgie ursprünglich auch die Geburt und Taufe Christi verherrlichte. Nachdem dann das Gebuitsfest Christi davon abgelöst und auf den "25. Dezember verlegt worden war, prägte Augustin das Fest um zum Geburtstage der Heidenkirche, als deren Erstlinge er die Magier bezeichnete. Die Dreizahl und das Königtum der letzteren taucht nun auch im Abendlande auf, ihre Namen Bithisarea, Melichior, Gathaspa führt hier zuerst ein Mönch des Merowiugerreiches an. und die lateinischen, deutschen, französischen Bearbeiter der Legende fügen immer neue reizvolle Züge hinzu. Eine üppig ausgeschmückte deutsche Fassung, die 1475 in Freysing aufgezeichnet ward, hat K. 1, 82—95 aus dem Cgm. 504 abgedruckt. Aus der abendländischen Liturgie des Dreiköuigstages entwickelte sich in Frankreich zu Ende des 11. Jahrhundert ein kirchliches Schauspiel, bei dem wohl eine Madonnenstatue auf dem Altar stand, und dem später ein Herodesspiel, eine Hirtenszene und der Ludus inno- centium angefügt ward. Im Volksglauben galten die h. drei Könige als Patrone der Reisenden und Helfer gegen Epilepsie, ihre Reliquien wurden 11()2 aus Mailand nach Deutschland gebracht. Der zweite Band behandelt in 27 Kapiteln die. verschiedenen Typen der künstlerischen Darstellung der Legende. Aus seinem ungemein reichen In- halte sei nur einzelnes hervorgehoben. Den auf dem oben 18, 28i) reproduzierten Kata- kombengemälde vertretenen Typus nennt K. den hellenistischen, weil hier die in der Ti-acht der Mithraspriester erscheinenden Magier ihre Huldigung nach antiker Weise stehend, nicht mit dem persisch -byzantinischen Fußfall (Proskynesis) darbringen. Die Sarkophagreliefs zerfallen in eine Gruppe, die vor, und eine, die nach der Einführung des Weihnachtsfestes entstanden ist. Im orientalischen Typus erscheint statt des Sterns eiU' Stemengel. Auf den Einfluss des Schauspiels gehen zurück die vollständige Kniebeugung statt der halben Genuflexio und der Gestus des Hindeutens auf den Stern, ferner die Ruinenarchitektur des 15. Jahrhunderts und der seit 1470 in Deutschland (wo Kaspar allmählich zum lustigen Kasperle wird) auftretende Mohrenkönig, endlich das Zusammen- treffen der drei Könige samt ihrem stattlichen Gefolge. Sorgfältige Literaturnachweise und Register erhöhen den Wert des Werkes, dem ein paar stilistische Härten und will- kürliche Schreibweisen wie Hepting, Hippolyth, Komestor, Märlant besonders aufzunmtzeii kleinlich wäre.

K. Knortz, Die Insekten in Sage, Sitte und Literatur. Annaberg, Graser 1910. 151 S. 2,40 Mk. In vier Kapiteln werden uns I^esefrüchte aus allen möglichen Ländern und Zeiten mitgeteilt über Biene und Honig, Floh und Laus, Fliege und Spinne, allerlei Kriecher und Flieger. Der Mangel an Ordnung und höheren Gesichtspunkten verschuldet es, dass man höchstens einzelne Partien daraus als eine unterhaltende, wenn auch nicht immer geschmackvolle Plauderei bezeichnen kann. Der Forscher wird dies bunte Sammel- surium, dem häufig keine Quellenangaben zur Seite stehen, nur gelegentlich als ^laterial- sammlung benutzen,

L. Maeterlinck, Le genre satirique, fantastique et licencieux dans la sculpture flamande et wallonne. Les misericordes de stalles (^art et folklore). Paris, J. Schemit 1910. III, 380 S. 12 Fr. Maeterlincks neues Werk ergänzt sein oben 17, 3-'>5 charakte- risiertes Buch über die satirische Richtung in der vlämischen Malerei durch eine sorg- fältige Sammlung und Beleuchtung der gleichartigen kirchlichen Holzschnitzereien des 13. bis 17. Jahrhunderts. An den Miserikordien, d. h, den Knäufen der Sitzklappen des

234 Notizen.

Chorgestühls, auf denen man während des durch die liturgische Ordnung gebotenen Stehens ausruhte, haben die belgischen Bildschnitzer eine reiche Phantasie, eine für die Sittengeschichte höchst wertvolle Beobachtung des Volkslebens und einen oft jede Schranke überspringenden Humor bekundet. Auf diesen kleinen Holzreliefs gewahren wir nicht bloss grinsende Köpfe oder Fabeltiere, Affen und gliederverrenkende Narren, sondern vor allem lebendige Szenen des Alltagslebens, Liebespaare, Prügeleien, Stockspiel, Band- wurmkuren und ähnliche skatologische Vorgänge, Satiren auf die Streitsucht der Frau, die ihrem Manne die Hosen eutreisst und selbst den Teufel bindet, auf die Uukeuschheit der Mönche und Nonnen, auf die Juden. Der derbe, oft unflätige Realismus dieser Dar- stellungen ist in der späteren Malerei kaum überboten worden. Literarische Einflüsse treten zu Tage, wenn der Zauberer Vergil im Korbe zwischen Himmel und Erde hängt oder der Meister Aristoteles der schönen Phyllis als Pieittier dient, wenn die Gestalten der Tierfabel, die Katze mit der Schelle, der beim Storch speisende Fuchs, auftreten oder lehrhafte Gleichnisse (Perlen vor die Säue werfen, blinde Blindenleiter) und Sprichwörter (den Backofen angaffen, mit dem Kopf durch die Wand, die Welt durchkriechen) er- scheinen. Die Anschaulichkeit der Schilderung wird durch 275 vom Autor selber ge- zeichnete Abbildungen unterstützt. In der Anordnung ist der Grundsatz durchgeführt, die örtlich und zeitlich zusammengehörigen Denkmäler zusammen zu besprechen. Wie in seinem früheren Werke hat M. überall auf den Zusammenhang mit der gleichzeitigen Literatur und den aktenmässig zu belegenden Tatsachen der Kulturgeschichte hin- gewiesen: besonders interessant ist der Nachweis illustrierter vlämischer Sprichwörter (S. 2S9. o(i2: dazu Fred. Muller, De nederlandsche Geschiedenis in Platen nr. 3020 und Nachtrag nr. 703 a b). Auch in England, Frankreich, Spanien und Deutschland hat die vlämische Bildschnitzerei Einfluss ausgeübt; vielleicht regt Maeterlincks vortreffliche Leistung einen unserer Kunsthistoriker an, einmal die Darstellungen der in Deutschland vorhandenen Miserikordien im grösseren Zusammenhange zu mustern.

J. Orsier, La moquerie savoyarde, apologue en vers patois de la fin du KJ. siecle et ses origines. Paris, H. Champion 1910. 28 S. 8". Das 1603 zu Chambery er- schienene Gedicht in savoyardischem Dialekt, welches 0. abdi'uckt und durch eine weitaus- holende Stoffgeschichte erläutert, behandelt die bekannte Fabel vom Vater, Sohn und Esel (Pauli, Schimpf und Ernst 477) im Anschluss an Poggios lateinische Fassung.

Ch. Peabody, Certain quests and doles (The Putnam Anniversary volume 1900, 344 oG7). Eine vergleichende Übersicht über den in England wie in anderen euro- päischen Ländern nachweisbaren Brauch der Kinder, zu Weihnachten, Neujahr, Drei- königstag, Ostern und an anderen Tagen des Jahres herumzuziehen und durch Bettelverse Gebäck und ähnliche Gaben einzufordern.

Siebenbürgisch-sächsisches Wörterbuch, mit Benutzung der Sammlungen Johann Wolffs hsg. vom Ausschuss des Vereins für siebenbürgische Landeskunde, 1. bis O.Lieferung, bearbeitet von Adolf Schullerus. Strassburg i. E., K. J. Trübner 1908—1910. LXXir, 416 S. gr. S^ 12 Mk. Die siebenbürgische Mundart ist im eigent- lichen Deutschland wenig bekannt, trotzdem dieser wackere, kernige Stamm alljährlich viele seiner Söhne und Töchter auf deutsche Hochschulen sendet und eine keineswegs unbedeutende Dialektliteratur aufzuweisen hat. Vor allem freilich muss die Entwicklung der Mundart dieser im 12. Jahrhundert aus dem mittelfränkischen Eifel- und Moselgebiet ausgewanderten Volksgemeinschaft den Sprachforscher aufs höchste interessieren. Und so hat schon Leibniz, der als erster das Wesen der Mundarten in den Kreis wissenschaft- licher Betrachtung zog, ein siebenbürgisch-sächsisches Wörterbuch gefordert. Seiner An- regung leisteten im 18. und 19. Jahrhundert verschiedene siebenbürgische Pfarrer und Beamte Folge, insbesondere griffen J. K. Schuller, J. Haltrich und J. Wolff diese grosse Arbeit mit Avissenschaftlichem Sinne, wenn auch jeder in anderer Weise, an, ohne zum Abschlüsse und zur Drucklegung zu gelangen. 1S95 endlich nahm sich der Verein für siebenbürgische Landeskunde der durch Wolffs Tod ins Stocken geratenen Sache an: A. Schullerus schrieb eine Vorgeschichte des Wörterbuches (Hermannstadt 1895) und ver- sandte in Gemeinschaft mit A. Scheiner und 0. Wittstock neue Fragebogen. Zehn Jahre .später konnte er mit G. Keintzel und G. Kisch einige Proben von ausgearbeiteten Artikeln

Roediger: August Meitzen f- 235

veröffentlichen, und der Vereinsausschuss beschloss nunmehr die Drucklegung. In- zwischen war dem Wörterbuch durch Untersuchungen über einzelne Teilmundarten und über die Yervraudtschaft mit dem niederrheinischen Dialekt Förderung erwachsen. Hübsch berichtet Schullerus, wie er mit einigen Genossen durchs Moseltal wandernd die Bauern in seiner Mundart anredete, um die vor 70(t Jahren verlassene Heimat seines Stammes festzustellen, oder wie ein alter Letzeburger, dem die Siebenbürger sich als Landsleute vorstellten, bedächtig meinte: „Wenn ir Letzeburger sit, da sit ir lang fürt von hai, da must ir schong als Kanuer (Kinder) se fürt gange." Die historische Betrachtung des ge- sammelten ^^'ortvorrates schied jetzt das vom Rhein mitgebrachte romanische liehngut (lat. cavea, trabs, satellum, gradus etc.) von den durch die veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse, durch den Verkehr mit Magyaren und Rumänen und durch den Einfluss der deutschen Schriftsprache hinzugekommenen Ausdrücken. So stark aber blieb der Einfluss der ererbten Mundart, dass die Schriftsprache bis vor kurzem nur eine geschriebene, nicht auch gesprochene Sprache war. Bis gegen 1850 herrschte die Älundart auf der Kanzel und in den Gerichtsverhandlungen ausschliesslich, auch die Schule übte wohl das Hoch- deutschschreiben, aber nicht das Sprechen: hochdeutsche Ausdrücke wurden also einfach in mundartliche Laute umgesetzt: aus hd. Knabe ward ein 'Knu°we' statt des heimischen 'Gang'. Immerhin hat sich neben den kräftigen Dorfmundarten unter dem Einflüsse dieser Kanzel- und Amtssprache eine abgeschliffenere Umgangsmundart gebildet. Die Aus- führung des nach so langer und umsichtiger Vorbereitung ans Licht tretenden Unter- nehmens verdient nach den vorliegenden Lieferungen, die auf 41G zweispaltigen Seiten den Wortschatz von A Bätsch vorführen, warmes Lob. Da der gesamte Sprachschatz des siebenbürgischen Volkes in möglichster Vollständigkeit vorgeführt werden soll, so sind die Belege aus den früheren Jahrhunderten und die Formen der allgemeinen Um- gangssprache wie der drei Hauptmundarten sorgsam aufgezählt, Personen- und Ortsnamen sind aufgenommen, insbesondere aber ist der sachlichen Belehrung über volkskund- liche Gegenstände ein breiter Raum gewährt, so dass einst das Werk eine Fundgrube für die Kenntnis des siebenbürgischen Volkslebens bilden wird. Welch reiches Material über Hochzeitsbräuche bieten z.B. die Artikel abbitten, abdanken, abfangen, abtanzen, Almesch, anbieten, anhalten, ansinnen, aufnehmen, auftuen, ausgrüssen, auskehren, Aus- schank: über Spiele: abreiten, abschneiden, Apfel, Asche, Bär: über Aberglauben: Abnehmen. Ader, Altar, Äscher, auslöschen u. a.I Welche Fülle steckt in den .\bschuitten Arm, Auge, Bach, Backen I Nach dem Vorbilde des schwäbischen Wörterbuchs ist die alphabetische Reihenfolge nach dem hochdeutschen Stichworte eingerichtet und die Schreibung möglichst einfach und gemeinverständlich dargestellt. Die einzelnen Orts- dialekte werden durch Lauttafeln versinnlicht, welche 144 Worte in ihren Abwandlungen vorführen und später durch einen geographischen Atlas der Mundart ersetzt werden sollen. Möchte das schöne Werk weithin Anerkennung und Förderung finden!

K. Straub, Die alte Reichsstadt Xördlingen im Ries und ihre nähere Umgebung. Nördlingen, Verein zur Hebung des Fremdenverkehrs [1910]. 48 S. 0.50 Mk. Ein hübsch illustrierter Führer.

August Meitzen •]'.

Wieder ist einer von den Begründern des Vereins für Volkskunde dahin- gegangen, Weinholds mit ihm eng befreundeter Landsmann August Meitzen. Er wurde am IG. Dezember 1822 in Breslau geboren und starb zu Berlin am 19. Januar d. J. In den ersten Jahren unseres Vereins beteiligte er sich lebhaft an den Versammlungen, hat auch das Amt eines Beisitzers bis zu seinem Tod innegehabt, aber nach und nach musste er Zeit und Kraft für seine Arbeiten aufsparen, wie denn auch zunehmende Kränklichkeit und Schwäche ihn ans Haus fesselten.

236 Eoediger: August Meitzen f.

Meitzen widmete sich zuerst dem Studium der Medizin, ging aber bald zur Rechts- und Staatswissenschaft über. Den Doktorgrad darin erwarb er 1846, dazu 1848 den der Philosophie mit. einer Arbeit über die Schwarzwälder Uhren- industrie. Die begonnene Laufbahn als Staatsbeamter verliess er, als er 1853 zum Bürgermeister von Hirschberg gewählt wurde, kehrte aber 1856 in den Staatsdienst zurück. Durch seine Tätigkeit bei den Grenzregulierungen der Schlesischen Generalkommission legte er den Grund für seine agrarhistorischen Arbeiten, lernte den Wert der Plurkarten und Kataster als Wegweiser in die Ver- gangenheit erkennen und wurde mit den ländlichen Verhältnissen zunächst Schlesiens vertraut. Von seinem Eindringen in ihre Geschichte legten die 1863 von ihm herausgegebenen Urkunden schlesischer Dörfer Zeugnis ab, doch unter- brach diese Forschungen eine ministerielle Berufung nach Berlin. Er wurde dort mit einer Arbeit betraut, die bis in seine letzten Jahre hineinreicht und deren Ergebnisse vorliegen in dem achtbändigen, mit einem Atlas versehenen Werke 'Der Boden und die landwirtschaftlichen Verhältnisse des Preussischen Staates' (Berlin 1868—1872. 1894—1901). Als Mitglied des preussischen Statistischen Bureaus war er zugleich Lehrer am Statistischen Seminar und ging später zum Kaiserlichen Statistischen Amt über. Er schied 1882 aus ihm, als er zum Mit- direktor des Staatswissenschaftlich-statistischen Seminars der Berliner Universität ernannt wurde, der er seit 1875 als Extraordinarius, seit 1892 als ordentlicher Honorarprofessor angehörte. Ich übergehe seine uns ferner liegenden Veröffent- lichungen und nenne nur die der Volkskunde besonders wertvollen wirtschafts- geschichtlichen: Die Ausbreitung der Deutschen in Deutschland 1879, Der älteste Anbau der Deutschen 1881 (aus dem Jahrbuch für Nationalökonomie und Statistik N. F. 2), Das deutsche Haus in seinen volkstümlichen Formen 1882, Das Nomaden- tum der Germanen (in den Verhandlungen des zweiten deutschen Geographen- tages, April 1882), Die Grösse von Volkshufe und Königshufe (in der Festgabe für Hanssen 1889). Sie bereiten das zweite grossartige Hauptwerk Meitzens vor, das den Gipfel seiner Lebensarbeit bildet: Siedelung und Agrarwesen der West- germanen und Ostgermanen, der Kelten, Römer, Finnen und Slawen (drei Bände und ein Atlas, Berlin 1895). Hierin zeichnet Meitzen das aus Flurkarten, Ur- kunden und Geschichtswerken ihm aufgegangene Bild der Besiedelung Europas nördlich der Alpen, die Verschiebungen der Völker und ihr Ringen um Land, das Wesen ihrer Niederlassungen und ihrer sich wandelnden Wirtschaftsformen. Als Einführung und zum Teil Ergänzung hierzu können dienen die drei einleitenden historischen Abschnitte des 1901 erschienenen sechsten Bandes des ersten grossen Werkes über den Boden, die speziell aus der Agrargeschichte Norddeutschlands behandeln die ersten Bewohner, Wanderungen, Stammes- und Sprachverhält- nisse, die feste Besiedelung und Agrarverfassung, die deutsche Kolonisation und Grosswirtschaft im slawischen Osten. Im dritten Bande der Siedelung beschäftigt sich Meitzen eingehend mit dem deutschen und nordischen Hause und vertieft seine älteren Forschungen darüber, die neben Hennings Arbeiten der Beschäftigung mit den Hausformen einen neuen Anstoss gegeben haben. Dass er dabei nicht zu unbestrittenen Ergebnissen gelangte, können wir ihm angesichts des fort- dauernden Ringens mit diesen Problemen nicht zum Vorwurf machen, und das gilt ebenso für das gesamte Werk. Wir denken jetzt anders über das Nomaden- tum der Germanen und zweifeln an Meitzens darauf gebauten Berechnungen und Schlüssen; w^ir nehmen seine Ansichten über den Einfluss der Kelten und die Völkerverschiobungen nicht ohne Einspruch hin, und auch gegen andere Resultate machen Gelehrte verschiedener Richtung und verschiedener Fächer Einwendungen.

Brunner: Protokolle. 237

Aber diese Bedenken richten sich nur gegen die Ausdeutung des Materials. Zu- gestehen wird ihm jeder seine Bereicherung, die energische Durchdringung des Stoffes, die Verfolgung der Probleme bis zu ihren Wurzeln und letzten Kon- sequenzen, die Vertrautheit mit den bäuerlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen, und den grossen Zug in der Anlage des Werkes. Eine feste, freudige Über- zeugung, auf dem richtigen'jWege zu- sein, durchwehtes, trieb Meitzen zu rastloser Arbeit und fand auch im persönlichen Verkehr Ausdruck. Aber sie war frei von jeder Anmassung, die diesem reinen und liebenswürdigen, freundlich milden Charakter gänzlich fern lag. Nur ein wohltuendes Bild kann von ihm nach- bleiben.

Berlin. Max Roediger.

Aus den

Sitziings-ProtokoUen des Vereins für Volkskunde.

Freitag, den 28. Januar 1910. Der Vorsitzende, Herr Geheimrat Roediger, widmete dem verstorbenen Mitglicde A. Meitzen einen längeren Nachruf, der die Verdienste des Gelehrten im allgemeinen und seine Bedeutung für die Volkskunde im besonderen behandelte. Durch seinen Tod wurde auch eine schmerzliche Lücke im Vereinsvorstande gerissen, dem er seit langen Jahren als Beisitzer an- gehörte. Der Schriftführer Herr Direktor Minden wurde auf eigenen Wunsch zum Beisitzer im Vorstande und Herr Schriftsteller Robert Mielke an seine Stelle neu in den Vorstand gewählt. Der Vorsitzende erstattete den Bericht über das vergangene Vereinsjahr und an Stelle des verhinderten Herrn Schatzmeisters Dr. Fiebelkorn auch den Kassenbericht, aus welchem die infolge steter Steigerung der Druckkosten entstandene ungünstige Lage der Vereinskasse hervorging. Es ist infolgedessen geboten, auf Werbung neuer Mitglieder bedacht zu sein oder andere Einnahmequellen zu erschliessen. Auf Vorschlag von Herrn Geheimrat Friedel wurde dem Schatzmeister Entlastung erteilt und ihm der Dank des Vereins für seine Mühewaltung ausgesprochen. Der Vorsitzende wies sodann auf eine in den 'Mitteilungen des Verbandes deutscher Vereine für Volkskunde' ent- haltene Anregung hin, welche die Sammlung von Soldatenbriefen aus Feldzügen bezwecke. Herr Professor Roediger teilte mit, dass ein Elsässer Pfarrer Jakobi sich an ihn gewendet habe, um Auskunft über etwa bekannte ornamen- tierte Ziegelsteine zu erhalten. Vielfach finden sich an solchen Hausmarken und andere Zeichen. Die Sammlung dieser Erscheinungen möge den A'^ereinsmitgliedern empfohlen sein. Herr Sökeland erinnerte an die mit Kopfdarstellungen versehenen Firstziegel, welche von Herrn von Preen oben 18, 277 veröffentlicht wurden. Herr Friedel teilte mit, dass sich im Märkischen Museum eine Anzahl von Ziegeln mit Marken vorfänden. Der Vorsitzende machte dann Mitteilung von der Herausgabe eines neuen Werkes 'Schlesische Sagen', Teil 1, welche die Schlesische Gesellschaft für Volkskunde bearbeitet hat. Herr Franz Treichel legte einige kaschubische Flechtereien aus Wacholder (Kaddik)-AVurzeln vor, die in neuen Formen alte Arbeitsüberlieferungen wieder beleben sollen. Er zeigte dann noch eine Anzahl grosser Photographien von volkstümlichen Vorgängen und Bauten in der Kaschubei, wie den Hochzeitsbitter, das bekannte 'Binden' von Gästen

238 Brunn er:

während der Ernte, Kartoffelkaulen, Armenkathe, Erdsiedelungen usw. Herr Professor Bolte zeigte dann einen aus Thüringen stammenden, mit meist un- verständlichen schriftartigen Zeichen beschriebenen Papierbogen vor, der wohl einen Bausegen bedeuten sollte und hinter dem Türpfosten eines Hauses auf- gefunden worden ist. Er besprach sodann das neu erschienene Buch von Marie Andree-Eysn 'Volkskundliches aus dem bayrisch -österreichischen Alpengebiet'. Herr Sökeland besprach ebenfalls unter* Vorlegung von Gegenständen einzelne Ab- schnitte des ebengenannten Buches, so besonders die interessante Gruppe der Heiliggeisttauben und anderer Deckengehänge in Bauernstuben, die in nördlichen Gegenden oft als Unruh bezeichnet werden und als hexenwehrend oder -anzeigend gelten. Zu dem Kapitel Volksmedizin in Form von gedruckten kleinen Heiligen- bildchen und dergleichen, die verschluckt werden müssen, erwähnte er eine vor wenigen Jahren in Berlin beobachtete Parallele. Junge Damen im Backfischalter schrieben den Namen eines schwärmerisch verehrten Bühnenkünstlers auf Papier- zettel und verschluckten sie. Herr stud. phil. Hugo Siebenschein sprach dann unter Vorlegung zahlreicher farbiger Bilder des Malers Jöza Vprka über Volks- leben und Volkstracht in Südmähren. Die Hauptmasse der Bevölkerung besteht aus Slowaken, die ein arbeitsames, frohes und frommes Völkchen sind. Die vor- wiegend ländliche Arbeit vermag die Bevölkerung nicht zu ernähren, deshalb ziehen besonders die armen Gebirgsslowaken auf Arbeit nach Österreich. Trotzdem lieben sie bunte Farben in ihrer Tracht und sind grosse Freunde des Humors und der Musik. Auf der slowakischen Kirchweihe pflegt es sehr lustig herzugehen. Auch andere Feste werden geräuschvoll gefeiert. Die Sitte des Maibaumes ist ihnen bekannt. Man tanzt unter ihm, während bunte Bänder die Paare verbinden; Nationaltänze werden von einzelnen zum besten gegeben. Bemerkenswert ist auch die grosse Frömmigkeit der Slowaken. Fast jedes Dorf hat eine Kirche. Ihre Andacht entbehrt völlig der Mystik, und Wallfahrten, besonders zu einer Kapelle des Heiligen Anton, spielen eine bedeutende Rolle. Ihre Wohnhäuser sind von einfacher Bauart und weissglänzend bemalt, über den Fenstern häufig farbige Verzierungen, welche von den Frauen hergestellt sind. Die Ausstattung der kleinen Stuben zeigt Vorliebe für bunte Geschirre und bemalte Truhen, während Schränke fehlen. Die slowakische Volkstracht in Nordungarn wurde von einer anwesenden jungen Dame veranschaulicht. Dann beschloss der Redner seinen interessanten Vortrag mit einigen gesungenen slowakischen Volksliedern. In den Ausschuss des Vereins wurden gewählt: Fräulein Elisabeth Lemke und die Herren Bartels, Behrend, Friedet, Goetze, Hahn, Heusler, Ludwig, Maurer, Samter, Erich Schmidt, Schulze-Veltrup.

Freitag, den 25. Februar 1910. Der Vorsitzende Geheimrat Prof. Roediger begrüsste das anwesende Ehepaar Professor Andree aus München und teilte mit, dass der neugewählte Ausschuss Herrn Geheimrat Fr i edel zum Obmann erwählt habe. Der Unterzeichnete legte aus der Sammlung für deutsche Volkskunde einige Gegenstände, wie einen Wettersegen, einige Trudenmesser und Photo- graphien aus einer grossen Sammlung von deutschen Zunftaltertümern vor. Letztere gehören dem nordischen Museum in Stockholm und sollen demnächst in Deutsch- land versteigert werden. Ferner verlas er eine Mitteilung des Herrn Rendanten Ratig in Perleberg über 'Feierabend- oder Sonnensteine'. Das sind Dachsteine mit eigentümlichen fächerförmigen Verzierungen, die früher als erster Stein im Jahre, auch nach Feierabend oder am Schluss der jährlichen Arbeitsperiode in den Ziegeleien von den Gesellen hergestellt und dem Besitzer oder Meister über- reicht wurden. p]s kommen ausser den erwähnten Mustern auch Namen, Jahres-

Protokolle. 239

zahlen, Kreuze, Tannenbäume und Sprüche auf ihnen vor. Ausserdem wurden diese Dachziegel öfter Besuchern der Ziegelei überreicht unter Aufsagung eines Spruches, der zur Hergabe eines Geldgeschenkes aufforderte, ähnlich wie das z. B. bei Erntearbeiten und anderen Gelegenheiten allgemein üblich ist. Herr Professor Andree wies im Anschluss daran auf Morse hin, der diesen Gegen- stand ausführlicher bearbeitet hat. Dann besprach Herr Treichel die 'Mit- teilungen des Vereins für kaschubische Volkskunde', und Herr Geheimrat Friedel an der Hand einer Sammlung von verschiedenartigen Löffelformen die Entwicklung der Essgeräte. Als älteste Form, vor Messer und Gabel entstanden, sieht er den Löffel an, in der Form der hohlen Hand und der Muschel von der Natur dem Menschen dargeboten. Besonders die Muschel ist als Schöpfgerät in der Kunst von jeher dargestellt worden und hat auch bei religiösen Zeremonien eine Rolle gespielt. So findet sich auf alten Bildern die Muschel oft bei der christlichen Taufe angewendet. Als vermutlich älteste Form des Messers wurde ein rohes Gerät aus Hornstein ägyptischer Herkunft gezeigt, dessen Alter auf 10- bis 20 000 Jahre geschätzt wurde. Eine eigentümliche gebogene und spitze Messer- form, wie die süddeutschen Trudenmesser, im Spanischen navajo genannt und als Messer der St. Jakobspilger bekannt, dürfte ehedem zugleich als Gabel gedient haben. Die Benutzung einer eigentlichen Gabel beim Essen ist erst spät auf- gekommen; noch im 13. Jahrhundert galt das als ungewohnter Luxus. Als Küchen- gerät mag die Gabel schon uralt sein, wie aus der Erzählung von Elis Söhnen im zweiten Buche Samuelis hervorgeht. Herr Maurer bemerkte, dass bei Alpen- burg (Mythen und Sagen Tirols) ausführlich über den Gebrauch der Truden- oder Pinzgerraesser gehandelt sei. Herr Stadtverordneter Sökeland gab sodann einen ausführlichen Bericht über das Linviertler Trachtenfest zu Taufkirchen in Ober- österreich, Pfingsten 1909, mit Erläuterung der Tänze und Spiele. Zu den festlichen Veranstaltungen gehörte vor allem eine Bauernhochzeit, die von F. Holzinger, Taufkirchen, in der kleinen Festschrift 'Alt-Innviertler Trachtenfest' ausführlich geschildert ist. Dann wurden vom Vortragenden eine grosse Zahl von Volkstänzen wie Siebenschritt, Eckerischer, Polstertanz und vor allem der Schwert- tanz besprochen. Zur Veranschaulichung des letzteren hatte ein jüngeres Vereins- mitglied die Tanztracht, weiss mit roten Besätzen und fezartige Kopfbedeckung, angelegt. Von den Spielen, die bei dem Feste vorgeführt wurden, sind einige identisch mit den oben 14, 361 beschriebenen Drischlegspielen. Besonders er- wähnenswert wäre das durch seine naive Frische erheiternde Adam- und Evaspiel (Paradeisspiel), das in Irüherer Zeit zu Weihnachten dargestellt zu werden pflegte. In der Besprechung des Vortrages wies Herr Roediger zur Vergleichung auf die in der Zs. f. österr. Volkskunde 1909, S. 161 gegebene illustrierte Darstellung von Spielen der Gössler Holzknechte hin. Hinsichtlich des angenommenen tür- kischen Ursprunges des Schwerttanzes möchte er lieber einen uralten und später umgestalteten Volksbrauch annehmen. Schon Tacitus erwähnt einen Schwerttanz der Germauen. Der mit auftretende Hanswurst des oberösterreichischen Schwert- tanzes deutet auf spätere volkstümliche Umwandlung. Allerdings sei es schwierig bei der grossen Lücke in der Tradition hierin zu einem sicheren Schluss zu ge- langen. Herr Professor Bolte wies darauf hin, dass man den neueren Schwert- tanz, der ja nicht nur in Oberösterreich bekannt sei, für eine gelehrte Wieder- belebung des alten germanischen Tanzes angesprochen habe. Herr Dr. Hahn erwähnte den Lübecker Schwerttanz und fand in der voi'geführten Schwerttänzer- Iracht keinen zwingenden Grund für die Annahme türkischer Herkunft, sondern wollte diese Tracht eher als ältere deutsche ansehen.

240 Brunner: Protokolle.

Freitag, den 18. März 1910. Fräulein [da Bahn legte eine Reihe von Stickmustertüchern aus Lübeck vor, die eine mit der Zeit fortschreitende Ver- armung in den Mustern erkennen liessen, ferner ältere Häkelarbeiten, ein Kon- iirmationstuch von 1847 und ein blau-weiss gewebtes Tischtuch aus dem 18. Jahr- hundert mit einem Adler als Mittelbild und Bärenfiguren in den vier Ecken. Fräulein Elisabeth Lemke zeigte einige schwedische Stickereien, Gobelins und Leinenmalereien vor, die auf Grund alter volkstümlicher Motive neuerdings her- gestellt werden. Herr Prof. Bolte bezog die auf diesen Leinentüchern dargestellte lichtertragende Jungfrau auf die in Schweden übliche Feier des Lucientages am 13. Dezember. Er besprach dann einen neu erschienenen Führer durch Nörd- lingen, um dies volkskundiich interessante Gebiet zur Bereisung zu empfehlen, und legte eine von Alois John herausgegebene Schrift 'Vom Aberglauben' vor, die 1823 von dem Egerer Scharfrichter Karl Huss verfasst ist und auch Ab- bildungen von Egerländer Trachten enthält. Herr Prof. Ludwig zeigte eine mehr- fingrige Pflanzenwurzel aus dem schlesischen Gebirge vor, die als Wichtel- männchen bezeichnet und zusammen mit einem Stückchen Brot, Salz und kleiner Münze in die Kleiderfalten einer Frau eingenäht war, um Glück zu bringen. Für den Hausbedarf hatte man grössere Wichtelmännchen. Herr Dr. Eduard Hahn sprach über das Säuern der Lebensmittel in der bäuerlichen Wirtschaft und •anderes. Er zeigte, wie schon in primitiven Zuständen der Frau die Sorge um •die Ernährung der Familie zufiel und wie auf diese Weise die Konservierung mancher Lebensmittel allmählich Gemeingut geworden ist, besonders aber die Pflege und Erzeugung der Gärungserreger. Eine eigentümliche und in weiteren Kreisen noch wenig bekannte Art der Aufbewahrung von Kraut in Gruben, wo es bis zu drei Jahren liegt, sah der Vortragende in Steiermark, nachdem er von Rosegger darauf aufmerksam gemacht worden war: der Kohl wird geschnitten -oder in ganzen Köpfen etwas angekocht fest in die Grube eingestampft; auf den Deckel der Grube werden mehrere Zentner Steine gepackt; so entwickelt sich eine .gewisse Gärung. Das Kraut wird zur Nahrung für Mensch und Vieh verwendet. Auch in anderen Erdteilen spielt die Konservierung von Lebensmitteln durch Säuern eine Rolle. So wird in Ozeanien Tarok eingesäuert, in Südafrika, z. B. bei den Herero, wird alle Milch in den nie gereinigten Milchsack geschüttet, und das sich nun entwickelnde, etwas berauschende Getränk wird lieber genossen als reine Milch. Ähnliches ist aus Steiermark, Island, Pinnland usw. bekannt. Auch die Chinesen weisen Milch und Käse als menschliche Nahrung zurück, obwohl -sie Eier jahrelang liegen lassen, ehe sie diese geniessen. Die Bereitung des Brotes zeugt schon von einem hochentwickelten Kulturstandpunkt; früher wird die tägliche Nahrung der Brei gewesen sein, wie es noch heute hier und da vor- kommt. So ist der Flammeri ursprünglich nichts als ein einfaches schottisches Nationalgericht, das man bereitet, indem man Mehl in siedendes Wasser schüttet und darin verrührt. Weit verbreitet ist die Verwendung von Baumrinde bei der Bereitung des Brotes; in Skandinavien setzt man diesem die Rinde von zarten Zweigen zu; dasselbe Verfahren ist den Weddas auf Ceylon bekannt. Man kann annehmen, dass diese verschiedenen Methoden der Bereitung und Konservierung von Lebensmitteln bereits in uralten Zeiten von den Frauen erfunden sind.

Steirlitz. Karl Brunner.

5V'

Deutsche Volkstrachten').

Von Max Bartels f.

Mit neun Skizzen nach Albert Kretschmer von Julie Schlemm.

Als im Jahre 1888 zu Berlin das 'Museum für deutsche Volkstrachten und Erzeugnisse des Hausgewerbes' begründet worden war, da wurde dieser die Zwecke und Bestrebungen des Museums sehr bezeichnende, aber etwas lange und unbequeme Titel in dem gewöhnlichen Sprach- gebrauche sehr häufig in den Namen Trachten-Museum abgekürzt. Es knüpfte sich dann hieran die falsche Vorstellung, als ob für das Museum überhaupt nur alte Anzüge gesammelt werden sollten; und wir mussten nicht selten die höhnische Bemerkung hören, dass wir eine Masken- garderobe zusammenbringen wollten. Aber auch sehr ernst zu nehmende Gregner erwuchsen dem jungen Institute, und unter diesen befanden sich Männer, denen eine Sachkenntnis nicht abzusprechen war. Es wurde be- hauptet, däss es keinen Sinn habe, deutsche Volkstrachten sammeln zu wollen, denn es gäbe gar keine deutschen Volkstrachten. Das, was dafür ausgegeben würde, sei weiter nichts als stehengebliebene höfische oder höchstens Patriziermode des 17. oder 18. Jahr- hunderts. Weiter als bis in das 17. Jahrhundert reiche keine ländliche Tracht zurück.

Um nun zu sehen, was an diesem vielfach nachgesprochenen Satze Wahres ist, müssen wir dasjenige, was wir als Volkstracht anzusprechen pflegen, einmal etwas genauer betrachten. Vor allen Dingen müssen wir uns aber klar machen, dass sich die Volkstracht doch in ver- schiedene Gruppen sondert, welche nebeneinander betrachtet werden müssen.

Erstens zerfällt sie in die Männer- und in die Weibertracht, welche letztere sich sehr häufig noch in die Tracht der jungen Mädchen, der verheirateten Frauen und der Witwen sondert. Dann ist meistens die Alltagstracht von derjenigen bestimmter Feiertage zu trennen, Sonutags- tracht, Abendmahlstracht, Hochzeitstracht usw. Zu der Alltags-

1) Die folgenden drei Aufsätze erscheinen gleichzeitig in den 'Mitteilungen aus dem Verein der Königlichen Sammlung für deutsche Volkskunde zu Berlin', Bd. 3, S. 125—173.

ZeJtschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1910. Heft 3.

242 M. Bartels:

tracht gesellt sich die Tracht für ganz besondere Arbeiten. Ich erinnere hier an die Almentracht der Sennerinnen, an die Tracht der Fischerinnen in Cuxhaven usw. Auch die Tracht der Knaben und der Mädchen ist nicht selten von der der Erwachsenen unterschieden.

Wenn wir nun finden, dass sich in einem ländlichen Gebiete die Einwohner in bezug auf die Form, die Farbe und die Zusammenstellung der Kleidungsstücke in gleichmässiger und übereinstimmender Weise tragen, dass diese Tracht nicht der schleunig wechselnden Mode unterworfen ist, sondern seit langen Jahrzehnten oder selbst seit Jahrhunderten sich un- verändert erhalten hat, dass sie von der in den Städten des Landes ge- bräuchlichen Tracht erheblich abweicht, so müssen wir sie unweigerlich als eine ländliche Volkstracht ansprechen. Da wir nun in verschiedenen Teilen Deutschlands Trachten dieser Art antreffen, so kann es keinem Zweifel unterliegen, dass es deutsche Volkstrachten gibt, und es muss billig wundernehmen, wie es in unserer reiselustigen Zeit noch Männer geben konnte, welche diese Tatsache bestreiten wollten.

Sieht man, dass in einem Gebiete, in welchem eine Volkstracht gebräuchlich gewesen war, diese allmählich ausser Gebrauch gerät und durch internationale Fabrikware ersetzt und verdrängt wird, so ist es die allerhöchste Zeit, bevor die Komponenten der alten Tracht gänzlich der Vernichtung anheimgefallen sind, Proben davon als Belegstücke für die Heimatskunde zu retten und sie entsprechenden Sammlungen zur Er- haltung und Aufbewahrung zu überweisen. Anstatt Tadel und Vorwürfe einzutragen, sollte ein solches Vorgehen vielmehr als eine Betätigung der Vaterlandsliebe und der Hochschätzung der Heimat Beifall und An- erkennung finden.

Die Frage nach dem Alter der betreffenden Tracht, ob sie hundert, zweihundert oder noch viel längere Jahre in Gebrauch gewesen ist, steht erst höchstens in zweiter Linie, und auch durch ein geringeres Alter büsst sie nichts von ihrer volkskundlichen Bedeutung ein. ^) Wenn diese Tracht auch erst seit hundert Jahren in Gebrauch sein sollte, so muss man sie für die betreffende Periode doch unweigerlich als die herrschende Volkstracht ansehen, und damit hat sie Anspruch darauf, dass Belegstücke von ihr für die vaterländische Kulturgeschichte gesammelt und bewahrt werden müssen.

So, denke ich, ist es hinreichend bewiesen, dass es deutsche Volks- trachten gibt, und dass wir recht daran getan haben, sie nach Möglichkeit zu sammeln. Das erläutert auch deutlich der Umstand, dass unser Museum manche Stücke besitzt, welche als das allerletzte Überbleibsel gerade noch aufgetrieben werden konnten.

1) [Beispiele hierfür bieten der Neudruck von F. Frieses Historischer Nachriebt von den Cereinonien der Altenburgiscben Bauern 1703 (Schmölln 1887), K. Häberlin, Trauer- trachten auf der Insel Föhr (Zs. f. Volkskunde 19, 2G5) und J. Heierli, Basler Trachten des 17. Jahrb. (Schweizer. Archiv f. Volkskunde 14, 117).]

Deutsche Volkstrachten.

243

In dem oben wiedergegebenen Satze, welcher unsere Sammeltätigkeit als unlogisch und überflüssig zu charakterisieren sucht, wird fernerhin behauptet, dass alles, w^as man gewöhnlich als deutsche Volkstracht ausgibt, nichts anderes als stehengebliebene höfische oder Patriziermode des 18. oder höchstens des 17. Jahrhunderts sei^). Solche mit dem Tone der Sicherheit und Sachkenntnis ausgesprochenen Behauptungen haben für sehr viele Hörer etwas Bestechendes und Überzeugendes. Es will mir daher nicht ganz unnütz erscheinen, wenn wir einmal die deutschen Volkstrachten näher in Augenschein nehmen, um zu untersuchen, ob jener Satz auf Wahrheit beruht, und ob die Tatsachen für ihn sprechen. Sehr geeignet ist für diese Zwecke das bekannte Werk von Albert Kretschmer: 'Deutsche Volkstrachten' (Leipzig o. J.). Einige seiner schönen Figuren werden hier in leichter Skizze wiedergegeben.

Dass der oben angeführte Satz nun mindestens nicht für alle Fälle zutreffend ist, das beweisen mancherlei Trachten; Ich weise unter anderen nur auf die Tracht der Altenburgerinnen (Fig. 1) und der Vi er länderinnen (Fig. 2) hin, oder auch auf die der Oberbayern mit der Juppe und der die Knie frei lassenden Lederhose (Fig. 3). Wann sollten diese Trachten höfische Mode gewesen sein? Die Zahl solcher Beispiele Hesse sich aber mit grosser Leichtigkeit noch vervielfältigen. Aus den Nach- barländern möchte ich als Beispiele unhöfischer Mode die bekannte Mädchentracht des Alpbach- tales bei Brixlegg (Unterinntal) erwähnen, deren ^^^' ^- Sachsen-Altenburg

^ . r^ r. , ^ c , (Kretschmer Tafel 21).

weite, m Querfalten gelegte Strümpfe ungeheure

Waden vortäuschen, und aus dem Schweizer Kanton Tessin die Hirten- mädchentracht, welche von der höfischen so weit, wie irgend möglich, abweicht. Letztere findet sich in dem schönen Werke der Frau Julie Heierli 'Die Schweizer Trachten vom 17. bis 19. Jahrhundert nach Originalien dargestellt' (1901).

Wenn der Satz nun in seiner Allgemeinheit nicht gilt, so müssen w^ir jetzt der Frage näher treten, ob es denn überhaupt eine deutsche Volkstracht gibt, welche sich als höfische Mode erkennen Hesse. Ich muss das verneinen; mir wenigstens ist keine solche bekannt. Die bei vielen Stämmen in Gebrauch befindliche Brautkrone würd man nicht als Beweis dagegen anführen können. AHerdings hat für sie sicherlich wohl ur-

1) Vgl. Mitt. a. d. Museum f. d. Volkstrachten Heft 7, S. 270 f.

KV

244

M. Bartels:

sprünglich eine Königskrone als Vorbild gedient. Aber diese Nachbildung ist ja auch nur so lange in Benutzung, als die Braut sich in der Würde der Königin des Hochzeitsfestes befindet. In Vorarlberg wird die Krone nicht von der Braut, sondern von den Brautjungfern getragen, aber natürlicherweise auch nur während der Hochzeit.

Dehnen wir die Frage dahin aus, ob bei den Trachten der den Deutschen stammverwandten Nachbarvölker ebenfalls keine Überlebsel

Fig. 2. Vierlande bei Hamburg (Kretschmer T. G).

Fig. 3. Schliersee in Oberbayern (Kretschmer T. ()2).

höfischer Mode existieren, so ist dafür allerdings ein Beispiel anzuführen, das sich in dem oben erwähnten Werke der Frau Heierli findet. Es ist ein Bauer aus dem Lötschentale in Wallis, welcher mit seinem licht- gelben Frack und gleichfarbigen Kniehosen, mit seiner gestickten W^este und Schnallenschuhen, mit seinem kleinen dreispitzigen Hute ohne weiteres unter den Kavalieren Ludwigs XVI. auftreten könnte. Aber dieses ist auch der einzige Fall, und dieses Gewand ist nicht die tägliche Tracht, sondern der Hochzeitsanzug des Bräutigams. Seine Braut aber zeigt in ihrem Anzüge keine Andeutung mehr an höfische Mode. Dass

Deutsche Volkstrachten.

245

es nun untunlich ist, nach einer solchen Ausnahme, für die noch dazu das gleiche wie für die Brautkrone gilt, die originale Bedeutung der Volks- trachten ableugnen zu wollen, das bedarf wohl keiner weiteren Erörterung. Wie verhält es sich nun mit der Patriziermode? Ist diese in der Volkstracht stecken geblieben? Um diese Frage zu entscheiden, empfiehlt es sich, die Tracht der Männer und die der Frauen gesondert zu be- trachten. Wir wollen mit der letzteren beginnen. In einem Studenten- liede heisst es:

Denn lange Kleider und spitze Schuh | Die kommen keiner Dienstmagd zu.

Fig. 4. Amt Biedenkopf in Hessen (Kretschmer T, 38).

Fig. 5. Weissenburg im Elsass (Kretschmer T. 44).

Dementsprechend finden wir auch, dass die Volkstracht der Weiber über- wiegend eine kurzröckige ist, und das sehen wir bereits auf Abbildungen aus dem 15. Jahrhundert^). Hier gibt es nun allerdings manche Ab- stufungen. In einer Anzahl von Fällen blickt das Bein nur bis ungefähr handbreit über dem Fussgelenk unter den Kleidern hervor; in anderen Fällen reichen die Röcke nur bis zur höchsten Wölbung der W^ade, wie z.B. bei der Vierländerin in Fig. 2; und in noch anderen bedecken sie eben noch die Knie, so dass das ganze Strumpfband sichtbar wird. Das letztere sehen wir bei den Altenburgerinnen (Fig. 1), und bei den Hessinnen im Amt Biedenkopf (Fig. 4). Diese Trachten bieten eine

1) [Vgl. z. B. Ad. Bartels, Der Bauer in der deutschen Vergangenheit 1900 S. ^i. 86.]

246

M. Bartels:

Fig. 6. Betzingen in

Württemberg (Kretschmer T. 55).

reiche Gelegenheit, mit geschmackvoll gestickten Strümpfen und reichen und zierlichen Strumpfbändern zu prunken. Yon einer höfischen oder Patriziertracht kann hier keine Rede sein.

Nun gibt es aber einige Gegenden, in denen die Weiber wirklich längere Kleider tragen, z.B. in Tannhausen (Schlesien), in Dannstedt (Sachsen), im Elsass (Fig. 5) und in Lothringen, in Donaueschingen (Baden), im Oberinntal und Zillertal in Tirol. Aber hier sind die Kleider wenigstens immer noch fussfrei, oder zum alier- mindesten blickt noch der vordere Teil des Fusses unter dem langen Kleide hervor. Schleppen aber finden sich niemals. Auch hier erscheint es mir zweifelhaft, ob von Patriziermode gesprochen werden kann. Wenn an vereinzelten Punkten auch ein langes Kleid mit den Hals bedeckender Taille ge- tragen wird, so ist es doch beinahe die Regel, dass der städtische Eindruck, den diese Tracht macht, durch verschiedenes wieder illusorisch gemacht wird. Entweder ist es die Art der Umhüllung und Be- kleidung des Kopfes, oder die Form des die Schultern bedeckenden Übertuches, oder eine sehr grosse und lange Schürze oder endlich auch die Mehrfarbigkeit des Kleiderrockes, dessen obere Hälfte anders als die untere gefärbt ist, welche uns doch wieder zum Bewusstsein bringen, dass wir eine Bauerntracht vor uns haben.

In dieser kurzen Besprechung ist nicht der Platz, um alle Volkstrachten Deutschlands zu analysieren; doch will ich kurz erwähnen, dass bei der Bedeckung des Kopfes der Weiber durch Tücher, Hauben, Mützen und Kappen, bei der Bekleidung des Oberkörpers durch offene oder geschlossene Mieder, durch Taillen, durch ärmellose, kurzärmelige oder langärmelige Jacken sich, dem Gebrauchszweck des Kleidungs- stückes entsprechend, vielleicht bisweilen hier und da ein leichter Anklang an die analogen Kleidungs- stücke des Bürgerstandes wird auffinden lassen. Der Schluss aber, dass die ersteren dann die Nachahmungen und stehengebliebenen Überreste der letzteren sein müssten, ist sicherlich voreilig und unrichtig. Denn es könnte ebensogut die Städterin eine Zeit hindurch die ihr geschmack- voll, kleidsam und praktisch erscheinende ländliche Mode nachgeahmt haben. Also auch das wäre kein Beweis gegen den Wert und die Be- deutung dieser ländlichen Volkstracht.

Fig. 7. Schwalm in

Hessen (Kretschmer T. 36).

Deutsche Volkstrachten.

•247

Als Überreste patrizischer Mode könnte man allenfalls bei mancher ländlichen Mäunertracht zwei Arten der Kleidungsstücke ansehen; das ist einmal der langschössige Tuchrock und ausserdem die Gruppe von festen, steifen Hüten, welche hier und da noch als Dreispitz, als Zweispitz und als hochaufgeschlagener Napoleonshut auftreten. Man sehe Fig. 6—7 aus Betzingen in Württemberg und aus der Schwalm in Hessen. Diese Hüte sind aber wohl weniger den Kopfbedeckungen der Patrizier, als vielmehr denen der hohen Offiziere nachgebildet.

Fig. 8. Prechtal in Baden (Kretschmer T. 48).

Fig. 9. Betzingen in Württemberg (Kretschmer T. 54).

Als eine Nachahmung patrizischer Kopfbedeckung kann man eventuell die absonderlichen Yariationen von Zylinderhüten ansehen, welche sich in manchen ländlichen Gebieten Deutschlands noch in Gebrauch finden, z. B. im pommerschen Weizacker, in Baden, dem Pinzgau usw. Es findet sich jedoch schon eine Art von Zylinderhut als Bauernkopfbedeckung auf bildlichen Darstellungen aus dem Anfange des 16. Jahrhunderts, z. B. bei Dürer. Müssen wir nun die Gebiete, wo solche Bekleidungsstücke noch getragen werden, aus der Reihe derjenigen Distrikte, welche noch im Besitze von Volkstrachten sind, ausscheiden, und diese Tracht, weil sie

248 M. Bartels:

nicht von originaler Erfindung ist, als Volkstracht nicht mehr in Betracht ziehen? Hierzu ist folgendes zu bemerken. In erster Linie muss daran erinnert werden, dass der langschössige Rock in den betreffenden Gebieten niemals die ausschliessliche Männertracht darstellt, sondern dass daneben immer auch noch andere Trachten gebräuchlich sind, welche unverkennbar originale Bauerntracht sind. Namentlich häufig findet sich daneben die kurze Jacke. Dasselbe gilt nun auch von den vorher erwähnten, steifen Hüten. Es werden an den gleichen Stellen, wo sie sich finden, auch allerlei andere Kopfbedeckungen getragen: niedere, runde, weiche Filz- hüte, Schirmmützen, Pelzmützen und dergleichen, und selbst die Zipfel- mütze fehlt manchmal nicht, welche wir als Kennzeichen oder Attribut des deutschen Michels zu betrachten gelernt haben.

Wird der Zylinderhut nun aber zu einer weiblichen Kopfbedeckung, nimmt er dabei statt des männlichen Schwarz eine leuchtend rote oder gelbe oder auch grüne Farbe an, so ist er doch zur echten Volkstracht geworden. Das treffen wir im Prechtal (Baden) Fig. 8, in der Jachenau (Bayern) und in Oberösterreich. Im Pinzgau hat sich allerdings auch der schwarze Zylinderhut als weibliche Kopfbedeckung erhalten, aber mit einer grossen, goldenen Quaste.

Unbestreitbar echte Volkstracht wird auch aus dem von den Bauern adoptierten langschössigen Rock, wenn er sich nicht unbeträchtlich in der Anordnung und der Zahl der Knöpfe und namentlich in seiner Farbe ändert. Ich kann es mir nicht vorstellen, dass irgend jemand den weissen Rock des braunschweiger, westfälischen oder württemberger Bauern (Fig. 9) mit dem scharlachroten Futter nicht als eine echte Volkstracht anerkennen wollte, nur weil er lange Schösse besitzt. Gern soll nun zugegeben werden, dass einzelne Teile der ländlichen Tracht in patrizischer Mode des 18. Jahrhunderts ihre Vorbilder haben. Aber immer handelt es sich nur um einzelne Stücke. Andere Kleidungsstücke aber, namentlich be- stimmte Jacken, gewisse Mieder, allerlei Mützen und, wie wir gesehen haben, selbst der Zylinderhut, reichen bis in den Anfang des 16. und soffar bis in das 15. Jahrhundert zurück. Und dass das höhere oder ^erinsere Alter für das Wesen oder den Wert einer Volkstracht ohne Bedeutung ist, das glaube ich oben schon gezeigt zu haben.

Soll man nun Volkstrachten sammeln einzig und allein aus dem Grunde, weil sie uns eine gute Vorstellung von der allgemeinen Erscheinung einer gewissen Bevölkeruugsgruppe während einer bestimmten Zeitperiode zu geben vermögen? Das allerdings ist in erster Linie der Zweck solchen Sammeins. Aber wir lernen daraus auch noch mehr, als nur den Schnitt und die Anordnung der Kleidung kennen. Interesse bieten auch die Stoffe, aus welchen die Kleidungsstücke hergestellt wurden. Denn in früheren Zeiten sind sie bekanntlich stets in dem Hausstande selber an- gefertigt worden. Der Flachs und die Wolle wurden gesponnen, die

Deutsche Volkstrachten. 249

Leinwand gewebt, das Tuch gewalkt, auch das Färben fand auf dem Bauernhofe statt; das Stricken, das Schneidern, das Putzmachen und das Sticken wurde ebenfalls daselbst ausgeführt. So gibt die Volkstracht uns gute Belegstücke für die frühereu Hausindustrien: Spinnen, Weben, Wirken, Tuchwalken, Färben usw.

Beachtenswert ist ferner auch die Wahl und Zusammenstellung der Farben, da sie uns eine Vorstellung von dem Geschmack, von dem Farben- sinn und von der Farbenfreudigkeit des Landvolkes liefern. Von ganz besonderer Wichtigkeit sind auch die Muster ihrer Webereien und Stickereien, welche für das Studium des Ornaments ein unschätzbares Material zu bieten vermögen. In der letzteren Beziehung ist auch die Formgestaltung des bäuerlichen Schmuckes nicht zu unterschätzen.

Wenn es nun nach den obigen Darstellungen, wie ich hoffe, An- erkennung finden wird, dass das Sammeln der Koste der deutschen Volkstrachten keine zwecklose Arbeit ist, sondern dass es zu den not- wendigen und unabweislichen Aufgaben eines der vaterländischen Volks- kunde gewidmeten Museums gehört, so möge doch auf eines noch hin- gewiesen werden. Unendlich vieles von diesen Dingen ist bereits durch die Freude an neuer Mode, sowie durch die Leichtigkeit der Beschaffung billiger Fabrik- und Jahrmarktsware, welche manche mühevolle Haus- industrie überflüssig macht, unwiederbringlich verloren gegangen. Dieser Prozess bedauerlicher Zersetzung wirkt aber in immer sich steigerndem Masse fort, je mehr die Bequemlichkeit des Reisens andere Sitten und fremde Erzeugnisse kennen lehrt.

Noch aber ist hier und da im deutschen Vaterlande manches lehr- reiche Stück erhältlich, vielleicht schon längere Zeit ausser Gebrauch, aber noch nicht verloren und vernichtet. Mögen uns hier recht viele Helfer erstehen, dass es uns glücklich gelingen möge, derartige Zeugen unserer Vergangenheit für die deutsche Volkskunde zu retten. Dazu ist unser Museum gegründet; aber noch bietet es manche Lücke, welche ihrer Ausfüllung harrt. Xur die weite Tätigkeit vieler kann hier das Er- strebenswerte erreichen.

Berlin.

250 Andree:

Eatschen, Klappern und das Verstummen der Karfreitagsglocken.

Von Richard Andree.

In die neuerdings von den Ethnographen vielfach besprochenen 'Kultur- kreise' wird oft recht Zweifelhaftes hineingeheimnisst. Solchen mit einem Fragezeichen versehenen Kreisen können aber andere gegenübergestellt werden, die durchaus einen sicheren und auch geschichtlich nachweisbaren Zusammenhang haben, und dafür liefert uns die grossartigste Organisation, die wir kennen, die katholische Kirche, ein Beispiel. Ihre Gebräuche und ihre Geräte gehen gleichförmig durch die ganze Welt, der schwarze Priester auf Haiti liest seine Messe so, wie der weisse in Rom, wobei allerdings bald feinere, bald gröbere Abweichungen zu bemerken sind, die durch Milieu und Rasse bedingt werden, ein Kapitel, dem einmal nach- zugehen, eine lohnende Aufgabe für einen Ethnologen wäre. All der Schmuck und Prunk, den jene Kirche ihren Gläubigen bietet, wiederholt sich in der alten, wie in der neuen Welt. Wie anziehend wirken bei uns zur Weihnachtszeit die 'Krippen' der katholischen Kirchen, und ins Indianische übersetzt kann man sie z. B. in Mexiko finden, dessen schöne Wachsfiguren auf spanische Krippen zurückgehen^). Der Rosen- kranz, buddhistischen Ursprungs, ist durch die katholische Kirche über die Erde verbreitet worden, und der 'bekehrte' Melanesier oder Indianer hat ihn, der ohnehin an seinen Schmuck anklingt, sich zum lieben Alltags- gerät erkoren. Als Keller-Leuzinger''^) den brasilianischen Madeirastrom hinauffuhr, übten sich seine indianischen Ruderer in der Kunst, Rosen- kranzperlen zu schnitzen und zu durchbohren, eine Kunst, die aus längst eingegangenen Jesuitenmissionen stammte. Wie das eindrucksvolle Ritual der katholischen Kirche von den Jesuiten im 16. Jahrhundert nach Japan übertragen wurde, wie man dort den Gottesdienst ganz wie in Europa handhabte, erkennen wir aus zahlreichen Briefen der damaligen Missionare; in der geschicktesten Weise verstanden diese es, alles dem Japaner zu akkoramodieren, althergebrachte Formen beizubehalten und mit neuem, christlichen Gehalte zu erfüllen, wobei allerdings auch manche weniger nützliche und erbauliche Bräuche, wie die Geisselung, mit unterliefen. Aber auch hier wie in Europa verstummten in der Osterwoche die Glocken, wurden die Wände der Kirchen verhüllt und ertönten unter

1) Zeitschrift f. Ethnologie 1908, S. 960.

2) Vom Amazonas und Madeira 1874, S. 123.

Ratschen, Klappern und das Verstninmen der Karfreitagsglocken. 251

dem englischen Lobgesange erst am Karsamstage die Glocken wieder^). Es ist dies ein Brauch, der seit alters ungemindert durch die ganze katholische Christenheit geht und eine Anzahl volkstümlicher Gebräuche im Gefolge hat, von denen hier die Rede sein soll.

Am Donnerstag vor Ostern setzte Jesus Christus das Abendmahl ein und ging dann nach dem ölberge. Coena domini wird der Tag zur Er- innerung von der Kirche daher genannt. Bei der Messe läuten, unter dem englischen Lobgesange Gloria in excelsis, noch alle Glocken und die Orgel spielt feierlich. Aber sofort nach dem Schlüsse des Lobgesanges verstummen allüberall, wo katholische Kirchen stehen, die Glocken zum Zeichen der Trauer, um erst am Karsamstag beim Gloria in der Messe wieder freudig zu erschallen. Und als ein weiteres Zeichen der Trauer in jenen drei Tagen, werden nach der Vesper am Grünen Donnerstag alle Altäre ihrer Zierden beraubt, die Bilder werden verhüllt, und nur ein Kruzifix bleibt sichtbar, als Zeichen, dass Jesus am Abend dieses Tages, seiner Jünger beraubt, allein und verlassen war und am folgenden Tage entblösst am Kreuze hing. Trauer und Stille herrscht ringsum, ver- misst wird der gewohnte Klang der Glocken, und die Sage bemächtigt sich ihrer, fragt, was aus ihnen geworden ist.

Glocken haben in der Sage von jeher eine wichtige Rolle gespielt. Man hat sie, die ja getauft sind, sich als eine Art belebter Wesen vor- gestellt, die selbständig handeln . können. Sie beginnen von selbst zu läuten, wenn ein wichtiges Ereignis bevorsteht, ein hervorragender Mann stirbt, ein Feind der Stadt naht. Sie haben Stimmen, ihrem Klang legt man Worte unter, sie bannen Gewitter, vertreiben böse Geister^). Besonders verbreitet sind die Sagen von der Romreise der Glocken, welche mit unserm Thema zusammenhängen.

Nach Mitte der heiligen Wochen Vom Glöcklein der Waldkapelle

Ziehn alle Glocken nach Rom, Bis zur Riesenglocke im Dom.

So heisst es bei uns, und im vlämischen Belgien sprechen die Kinder:

Op wüten donderdag | Gaan de klokken naar Roomen

All over hagen en boomen, | En Paschavond komen ze te huis.

Während, zum Zeichen der Trauer um den Tod des Herrn, vom Mittwoch bis zum Karsamstag die Glocken schweigen, erfolgt ihr lautes Getön wieder zur Feier der Auferstehung. W^as geschieht mit ihnen in der Zwischenzeit? Hier und da ist wohl die Rede davon, dass die Glocken dann 'sterben"); aber allgemein ist der Glaube an ihre Romreise, und ihr Aufenthalt in der ewigen Stadt wird sehr verschieden aus2;eschmückt.

1) Haas, Geschichte des Christentums in Japan (Tokio 1902) 2, 322. 324. 326. 327.

2) Zahlreiche Glockensagen hat Sartori gesammelt (Zeitscbr. f. Volkskunde 7, 113ff.), aber die hier in Betracht kommende Romreise der Glocken nicht berücksichtigt.

3) [A. John, Sitte im deutschen Westböhmen 1905 S. 59.]

^52 Andree :

Nach Meinung der Pfälzer Kinder halten sie sich dort auf, um zu beichten und Milchbrote zu essen ^), und die Lothringer Kinder wissen, dass sie dort sogar Mahlzeit mit dem Papste halten '^). Sehr weit verbreitet ist der Kinderolaube, dass bei ihrer Heimkehr die Glocken die Ostereier mitbringen. In der Tuchmacherstadt Aachen wünschen sich die Kinder aber etwas anderes. Wenn die dortige Marienglocke nach Rom reist, werfen die Kinder ihr ein Stückchen Tuch nach und bitten sie, ihnen dafür ein neues Kleid am Karsamstag zurückzubringen^). Selbst zum Transport von Menschen werden die Glocken benutzt; denn in der Bretagne erzählt man sich von einem Glöckner, der auf einer Osterglocke rittlings die Fahrt nach Rom machte*).

Aber, wenn auch die Glocken verstummt sind und nicht mehr die Gläubigen zur Kirche rufen können, wenn selbst die Schellen und Altarglöcklein im Innern der Kirche nicht mehr erklingen dürfen, der Dienst der Kirche feiert nicht und geht seinen Weg. Da müssen andere Zeichen für die Gläubigen an Stelle des Glockenklanges treten; es er- tönen, aber niemals harmonisch, andere Geräte, zum Teil uralter Herkunft aus der Vorglockenzeit. Das sind die Klappern und Ratschen für den Handgebrauch und die grösseren Schallbretter, Tafeln und deren Nach- folger statt der Turmglocken. Ihr Gebrauch geht in das frühe Mittelalter zurück, wofür mehrere Beispiele vorliegen, von denen nur eines, auf die Karwoche bezügliches hier mitgeteilt werden soll. Es ist uns überliefert durch Symphosius Amalarius von Metz, der, ein Franke von Geburt, Schüler Alkuius war und um 857 starb. In seinem Hauptwerke De ecclesiasticis officiis libri IV, 21, das dem Kaiser Ludwig gewidmet war, ist davon die Rede, dass durch den Klang der sehr alten Schallbretter das Volk zur Kirche berufen wurde ^). Eine Andeutung in der Richtung, dass schon im 13. Jahrhundert vor der Osterzeit (und auch vor Weihnachten) Knaben auf den Strassen Lärm vollführten, um das Fest anzukündigen, finden wir bei Berthold von Regensburg®); wenn auch nicht gesagt wird, dass es während des Schweigens der Glocken geschah und die Instrumente tubae waren.

1) Bavaria 4, 393.

2) H. Lerond, Lothriüger Sammelmappe Heft 5, S. 61 (Metz 1894). 8) H. Boeckeler, Beiträge zur Glockenkunde (Aachen 1882) S. 111.

4) A. Le Braz, Contes du Brume et du Soleil (Paris 1906) p 213.

5) Necnon etiam altitudo siguorum, quae fiebat per vasa aerea, deponitur, et lig- Tiorum sonus usquequaque humilior aeris sono, necessario pulsatur, ut conveniat populus ad Ecclesiam. Botest et in hoc liumilior usus Ecclesiae Romanae designari antiquis temporibus, quam nunc sit, et praecipue tunc, quando latitabat per cryptas propter persecutores: Nam adhuc junior Roma, quae antiquis temporibus sub uno Domino cum antiqua Roma regebatur, usum lignorum tenet, non propter aeris penuriam, sed propter vetustatem (Migne, Patrologia Latina 105, 1201).

G) Bei Schünbacli, Studien zur altdeutschen Predigt 2 (Sitzungsberichte der philos.- histor. Klasse der Akademie d. Wissensch. Band 142, VII. Wien 1900) S. 110.

Katschen, Klappern und das Verstummen der Karfreitagsglocken. 253

Allgemein werden in der katholischen Welt an jenen drei Tagen heute jene Geräte als Glockenersatz benutzt, die wir zusammenfassend als Klappern und Ratschen bezeichnen wollen, und deren Benutzung mit vielerlei volkstümlichen Gebräuchen verknüpft ist. Sie führen, je nach Yolk und Landschaft, zahlreiche verschiedene Benennungen, meist onomato- poetischer Art, sind mit dem Katholizismus über die Erde gewandert, nach Ost und West, und bilden den Kulturkreis der Ratschen. Ehe ich zu den sehr verschieden gestalteten Geräten selbst übergehe und die Lieder und Gebräuche bespreche, mit denen die Zeit des Glocken- verstummens bei uns ausgefüllt wird, will ich an einem Beispiele zeigen, wie diese katholische Sitte sich in einem fernen Lande äussert, wo sie von christlichen Spaniern zu einem heidnisch-indianischen Volke gebracht wurde. Auch in Mexiko schweigen am Gründonnerstag nach der Nach- mittagsmesse alle Glocken und verschwinden selbst die lärmenden Wao-en von der Strasse. Statt dessen wird auf dem Turme der Kathedrale eine mächtige hölzerne Maschine gleich einem Wasserrade, la Matraca (die Rassel), errichtet, welche nun die Stunden angibt und statt des Läutens, bedient von ein paar Sträflingen oder Soldaten, ihren unharmonischen Lärm ertönen lässt. Das Rasseln steckt an, und zur Feier des Oster- festes ergreift jedermann. Alt und Jung, Hoch und ISliedrig, eine kleine Rassel und zieht damit durch die Strassen, um dem Judas auf diese Art die Knochen zu zerschlagen; Judaspuppen, entweder von spanischen oder aztekischen Typus, werden verkauft, man hängt sie oder verbrennt sie. Es sind alte, einige Jahrhunderte zählende Typen, an denen der Mexikaner keinerlei Veränderung vorgenommen hat^). Das Judasbrennen und die Ostereier sind aber allenthalben in der katholischen Christenheit dem Osterfeste folgende volkstümliche Gebräuche, auf die ich aber hier nicht näher eingehen kann*).

Die Glocken sind also für drei Tage verstummt, und an ihre Stelle treten die Lärmgeräte in zweierlei Art. Erstens die grosse, meistens auf dem Kirchturm stehende Ratsche, welche die Tageszeiten zu ver- kündigen und den Beginn des Gottesdienstes anzuzeigen hat. Zweitens statt der im Lmeren der Kirche beim Gottesdienste benutzten kleinen Schellen und Glöcklein eine zumeist hinter dem Altar versteckte Ratsche oder Klapper. Die Turmratsche gewöhnlich vom Mesner, die kleinen Geräte von den Ministranten bedient. Genügt aber die grosse Turmratsche nicht oder ist sie überhaupt nicht vorhanden, dann übernehmen es die Ministranten und ihnen befreundete Schulknaben, in ihrer Weise Stunden-

1) E. B. Tjlor, Anahuac (London 1^61^ p. 49.

2) [Eiu Judasliedchen der Kinder aus Köln bei Erk-Böhme, Liederhort 3, 139 nr. 1230. Im Mieser Bezirk singen die ratschenden Buben nach A. John (Sitte, Brauch und Volks- glaube im deutschen Westböhmen 1905 S. 64) das alte Lied „0 du armer Judas": vgl. Bäumktr, Das katholische deutsche Kirchenlied 1, 463f. Erk-Böhme 3, GTO nr. 19G3.]

254 Andree:

zeit und Beginn des Gottesdienstes mit Handratschen und Handklappern im Orte auszurufen, währenddem sie nicht vergessen, auch Gaben zu heischen, meistens Ostereier. Dabei fehlen aber auch fromme Ermahnungen und fromme Lieder nicht, die in Deutschland vielfache Übereinstimmung zeigen: dass bei diesen Umzügen auch Lieder mit unterlaufen, die aus Missverständnis in die Osterzeit verlegt wurden, aber ursprünglich einem andern Feste oder Heiligen angehören, ist eine häufig beobachtete Sache. Im nachstehenden Liede der Katschbuben aus Friedland in Nordböhmen ^) gehört z. B. nur der erste Vers der Osterzeit au, während der Rest einem Dreikönigsliede entnommen ist:

Klapper, klapper Griindodsch! Lasst mich ne zu lange stehn!

Bin ein kleiner König; Muss a Häusl weiter gehn.

Gebt mer ne zu wenig.

Sehr weit durch Süddeutschland ist der fromme Spruch der Ratsch- buben verbreitet:

Wir ratschen, wir ratschen den englischen Fallt nieder, fallt nieder auf eure Knie

Gruss, Und betet fünf Vaterunser und Avemarie!

Den jeder katholische Christ beten muss.

Die Tageszeit wird auch unter Ratschen mit bestimmten Sprüchen ausgerufen und dabei gesagt, ob es sich um die Morgen-, Mittags- oder Abendglocke handelt, wie in den Orten an der preussisch-holländischen Grenze^). Schon am frühen Morgen sind die Ratschbuben bei ihrer Arbeit. So rufen sie in Ranschbach bei Landau in der Pfalz:

Steht auf ihr Leut! 's isch Betenszeit, Für die Armen und die Reichen. Der Tag fängt an zu bleichen Betglock').

Besonders wird die Mittagsglocke durch starkes Ratschen hervor- gehoben, damit jeder Gläubige dann den Hut ziehen kann.

Mittagsglock Wenns nicht klingelt,

Rosestock. Da rappelts doch,

heisst es in Deutsch -Lothringen am Gründonnerstag, während am Kar- freitag gerufen wird:

Mittagsglock

Bohneblatt,

Iwermorje ischt Oschtersunntag*).

Zum letzten Male spielen an manchen Orten die Ratscher ihre Rolle in der Nacht vom Karsamstag zum Ostersonntag. Noch einmal ertönen ihre Geräte mit dem Rufe: „He Leute, stehet auf, es ist Ostertag" in

1) Zeitschrift f. österr. Volkskunde 12, 213. 2) Zeitschr. f. rhein.-westfäl. Volksk. 3, 148.

3) Bronner, Von deutscher Sitt und Art (1908) S. 128. [E. H. Meyer, Badisches Volksleben 1900 S. 100: Kerren und Ratschen. „S örschte Mole, s ander Mole, zamme, zamme in die Keriche!"' u. ä.]

4) Lerond, Lothring. Sammelmappe 5, G3. Dort ist aus St. Julien bei Metz auch eiu französischer Dialektvers der 'Rätscherknechtc' mitgeteilt.

Ratschen, Klappern und das Verstummen der Karfreitagsglocken. 255

den Eifeldörfern^) und zu Delbrück bei Paderborn singen dann die 'Klapper- jungen' laut in die Osternacht hinaus: „Stohet up, jung un olt, dainet Guod, dem beeren"^)! Anderwärts übernahmen es die mit den Katschen versehenen Nachtwächter, den Auferstehungsgruss um Mitternacht aus- zurufen, so in der alten Deutsch- Ordensstadt Lauchheim in Württemberg, wo sie sangen:

Die Glocke hat geschlagen, Zu einem neuen Leben

Das ist zur halben Nacht, Macht eure Seel parat!

Der Herr ist auferstanden Bewahret Licht und Feuer,

Und hat gross Genad euch bracht. Dass euch beschieht kein Schad*).

Aber während des Ratschens wird auch für die Mühewaltung der Lohn verlangt, wobei es meist die Ostereier sind, auf welche es ab- gesehen ist.

Da komme de arme Rätscherknechte, En dutzend Eier isch nit sc viel,

Suchen ihre Hasenrechte. Ratschen is ken Kinderspiel,

rufen sie in Deutsch-Lothringen*), und in Schlesien (Neurode) heisst es:

Gelobt sei Jesus Christus zum grünen Do seit-r-ne schine Muhme;

Donnerschtijel Umma Ziega-ättr (Ziegeneuter)

Seid gebäta ema Honigschnite, Do seit-r-a guder Vetter*). A üsterae derzune,

Mit diesen Beispielen dürften die wesentlichen Typen der sich ziemlich gleichbleibenden Rätschlieder und Sprüche gekennzeichnet sein.

In protestantischen Ländern ist die katholische Sitte des Ver- stum.mens der Glocken in der Osterwoche abgekommen, damit sind auch die Ratschbuben verschwunden, aber sie leben noch in den mit Versen und Liedern auftretenden Ostereiersammlern. Hier und da haben sich Nach- klänge aus katholischer Zeit erhalten, wie ja noch so mancher katholische Brauch im Bereiche der evangelischen Kirche in einzelnen Sitten sich, wenigstens rudimentär, erhielt (Wallfahrten, Quellenverehrung, Opfer, Märkte an Heiligentagen, Fastenspeisen u. dgl. ein besonderes Kapitel). Wenn im Schaumburger Lande junge Burschen den Kirchturm besteigen und statt des Läutens die Glocken mit Hämmern schlagen, w^as dort 'bimmeln' heisst, so ist dieses vielleicht dorthin zu rechnen; es geschieht allerdings nicht zu Ostern, sondern Weihnachten®). Li dem evangelischen Orte ßeuern in Hessen Hessen, trotz mehrfacher Verbote im 18. Jahrhundert, sich die Burschen es nicht nehmen, gewaltsam in die

1) Zeitschrift für rhein.-westfäl. Volkskunde 1, 137.

2) Ebendort 4, 21.

3) A. Gerlach, Die Stundenlieder der Nachtwächter in Lauchheim 1907 S. 14.

4) Lerond, Lothr. Sammelmappe 5, 64.

5) Drechsler, Sitte, Brauch und Volksglaube in Schlesien 1, 79 (1903).

6) Hessler, Hessische Landes- imd Volkskunde 2, 579. [In Pommern wird am Abend or den Fasten 'gebeiert'; Blätter f. pommersche Volkskunde 5, 95. 1897. ZfVk. 15, 93.]

256 Andree:

Kirche einzudringen, um am Ostermorgen 'den Has auszuläuten', eine Ent- artung der ursprünglich ernsten Sitte ^). Und auch als Nachklang der katholischen Ostersitte kann man es betrachten, wenn die Sage im protestantischen Visbeck in Oldenburg und zu Neukirchen in der Wieding- harde, Holstein, erzählt, die in Sümpfen oder Teichen versunkenen Glocken erhielten am Ostertage ihre Stimmen wieder^). Ebenso ist wohl auch als Überlebsel aus katholischer Zeit zu betrachten, wenn am Kar- freitag in Fishlake, einem Dorfe an der Südostküste von Yorkshire, die Glocken früh morgens um 8 Uhr nicht wie gewöhnlich zur Kirche rufen, „but the great bell of the church is solemnly tolled as for a death or funeral"").

Im katholischen Kirchendienst muss man, wie schon kurz bemerkt wurde, nach Grösse und Funktion zweierlei Arten von Ratschen unter- scheiden, die grossen und die kleinen. Die ersteren dienen dazu, die verstummte Kirchenglocke zu ersetzen, stehen gewöhnlich auf dem Turme der Kirche, zeigen die Stunden an und rufen zum Gottesdienst. Die kleineren dagegen sind die Handratscheu und Handklappern, die inner- halb der Kirche, bei der Messe, Wandelung usw. von den Ministranten bedient werden, während die grossen Turmratschen meist vom Mesner in Bewegung gesetzt werden. Können diese grösseren Geräte aus irgend einem Grunde nicht auf dem Kirchturme angebracht werden, dann stehen sie gewöhnlich vor der Kirche, auf dem Freithofe usw. Sie heissen dann in Bayern 'Standratschen'*).

Auch die grossen Turmratschen sind je nach den verschiedenen Ländern von verschiedener Art. Da es sich nur darum handelt, die in der Osterwoche verstummten Glocken zu vertreten, so hat man statt der gewöhnlichen Ratschen auch ganz andere Lärmmacher an ihre Stelle gesetzt. Aus der Kirche St. Cerneuf in Billom (Auvergne) finde ich dafür die Strorabusschnecke erwähnt, anderwärts in Südfrankreich eine Art Posaune und in Spanien die Zambomba, eine grosse Trommel. Auf Korsika schiesst man sogar, um die Zeit des Kirchgangs anzuzeigen.

Gewöhnlich sind die grossen Lärmgeräte auf den Türmen auch richtige Ratschen, die durch Drehen in Bewegung gesetzt werden. Eine solche in Habeischwert in Schlesien nimmt einen Flächenraum von 0,75x1 m ein"). In München kann man sie mitten durch den Strassen- lärm in der Osterwoche hören. Zuweilen handelt es sich um Ratschen, die zweierlei Töne, einen dumpferen und einen helleren, abgeben. Eine solche

1) Hessische Blätter für Volkskunde 8, 187.

2) Strackerjai], Aberglaube aus Oldenburg 2, 212 (= 2. Aufl. 2, 319). MüUenhofif, Sagen aus Schleswig-Holstein 184") S. 118.

3) W. Henderson, Folk-Lore of the Northern Counties of England 1879 p. 81.

4) Schlicht, Altbayernland (Augsburg 1886) S. 107.

5) Abgebildet hei Otte, Glockenkunde 2. Aufl. S. 31.

Ratschen, Klappern und das Verstummen der Karfreitagsglocken. 257

Doppelratsche ertönt z. B. vom Kirchturme zu Mittel-Darching bei Holz- kirchen in Oberbayern. Die Fig. 1, die ich von ihr hier gebe, lässt er- kennen, wie die zwei Töne entstehen, für deren Hervorbringung je eine besondere Kurbel den Apparat in Bewegung setzt.

Dass ursprünglich statt der mit der Hand gedrehten Ratschen die mit Klöppeln geschlagenen Schallbretter benutzt wurden, lässt sich nach- weisen. Im katholischen Teile "Württembergs, Rottenburger Gegend, heisst das Gerät Karfreitagsratsche oder Dofel. Der ganze Apparat besteht aus einem kastenförmigen Resonanzgehäuse, über dem eine zackenbesetzte Walze mit einer Kurbel gedreht wird, an der lauggestielte Hämmer ab- gleiten, die ein starkes Geräusch hervorbringen^). Aber die Bezeichnung Dofel (Tafel) deutet sicher darauf hin, dass man in jener Gegend ur- sprünglich ein Schallbrett anwendete, für welches in Süddeutschland der Ausdruck Tafel gebräuchlich ist. Man gebrauchte 'täfern' geradezu für das Läuten und Ratscheu, wofür Schmeller^) einen Beleg vom Jahre 1519 aus dem Kloster Tegernsee anführt. Man 'täferte' dort in der Karwoche und beim Tode eines Klosterinsassen. Die grösseren Tafeln standen wohl auf dem Kirchturme, und wir haben ein Zeugnis dafür, dass sie geradezu 'Char-Freytags-Glocken' genannt wurden. So berichtet Reht- meyer^), dass unter den 17 Glocken des Braunschweiger Doms die Kar- fi'eitagsglocke „eine hölzerne gewesen, davon hängt noch (1707) ein hölzerner Hammer und ist nur am Char-Freytag, da andere Glocken nicht gezogen werden, im Papstthum damit geläutet." Wie der Hammer an- deutet, muss es sich um ein geschlagenes Schallbrett gehandelt haben, um keine hölzerne 'Glocke'. In der Schweiz heisst (im Frei- und Kelleramt) das grosse auf dem Kirchturme aufgestellte Klappergerät, der Ersatz der Osterglocken, Rafele. Es ist dort schon im 18. Jahrhundert belegt*).

Was nun die kleineren, von den Knaben in der Osterwoche benutzten Handratschen und Handklappern betrifft, so sind sie, wie schon diese beiden Ausdrücke andeuten, gewöhnlich von zweierlei Art und im land- schaftlichen Gebrauche geschieden. Die Typen beider sind aus den Fig. 2 und 3 erkenntlich. Die Klapper ist das einfachere Gerät, das ur- sprüngliche, das aber auch schon eine Entwicklung durchgemacht haben muss, da es zunächst nur aus einem mit einem Hammer oder Klöppel mit der Hand geschlagenen Brett bestand. Dabei waren zwei Hände nötig; brachte man aber den Hammer über dem Brette in einem Scharnier be-

1) Abbildung in den Mitteilungen aus dem Verein der Königlichen Sammlung für deutsche Volkskunde zu Berlin 2, 163 (190(j).

2) Bayrisches Wörterbuch^ 1, 587. [Tafeln, belegt aus dem 14. Jahrh. bei Grimm, DWb. 11, 21.]

3) Der berühmten Stadt Braunschweig Kirchenhistorie 1707 S. 109.

4) Schweizer. Archiv f. Volksk. 9, 14A:.

Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1910. Heft 3. 17

258 Andree:

weglich an und schwang das Brett an einem Stiele, so war die heutige Klapper fertig, die mit einer Hand regiert wird. Als schon etwas kom- plizierter Mechanismus ist die Ratsche jünger als die einfachere Klapper. Bei der Ratsche entsteht der Ton dadurch, dass eine Anzahl elastischer Holzfedern oder nur ein dünnes Holzbrettchen gegen ein kleines Kamm- rad stossen, wobei die Bewegung des letzteren durch Drehen des Stieles mit der Hand hervorgebracht wird. Bei beiden Geräten ist der hervor- gebrachte lärmende Ton sehr verschieden; er wird durch die Benennungen gekennzeichnet, die somit onomatopoetisch sind (klapp-klapp und rätsch- rätsch). Und solcher Art sind auch die verschiedenen mundartlichen Ausdrücke^) für das Gerät, wie aus der nachstehenden Zusammenstellung ersichtlich, die auch einige Anhaltspunkte für die geographische Ver- breitung der Geräte gibt.

Kleppe oder Rauspel, einfache Klapper oder Rassel mit Kammrädchen an der deutsch-holländischen Grenze Zeitschr. f. rhein.-westfäl. Volkskunde 3, 148.

Klenkel, deutsche Gegend von Znaim in Mähren. Zeitschr. f. österr. Volks- kunde 2, 310.

Klätter, 'hölzerne Klapperorgel' zu Delbrück bei Paderborn. Zeitschr. f. rhein.-westf. Volkskunde 4, 21.

Klapper oder Ratzein in Deutsch-Lothringen, wogegen in Metz 1716 und 1758 Polizeiverordnungen erlassen wurden. H. Lerond, Lothringische Sammel- mappe, Heft 5, S. 62 (Metz 1894).

Klibberklaber oder Jarr, hölzerne Klapper in Luxemburg. De La Fon- taine, Luxemburger Sitten 1883 S. 37.

Chlofele in Jonen, Schweiz, hölzerne Klapper, deren sich der Ministrant statt der Klingel in der Kirche bedient. Schweiz. Archiv 9, 144.

Ratschen im Kanton Glarus, der hinter dem Hochalter versteckte Klopfer. Daselbst 4, 269. [Grimm DWb. 8, 190.]

Bilapp, ebenso in Merenschwand, Schweiz. Schweiz. Archiv 9, 144.

Klepaty, Klappern, ein mit Klöppeln geschlagenes Brett, wird von den- Ruthenen in den Ostkarpaten benutzt statt der in der Osterwoche schweigenden. Glocken. Kaindl in der Zeitschr. f. österr. Volkskunde 1902 S. 244.

Gipe-Gep, hammerartige Handklapper in der Rottenburger Gegend Württem- bergs, wie Fig. 2. Mitt. aus dem Verein der Königlichen Sammlung für deutsche Volkskunde zu Berlin 2, 163 (1906).

Schubklapper, Rumpel, Schnurre im nordwestlichen Deutsch-Böhmen. A. John, Sitten in Deutsch- Westböhmen 1905 S. 59.

Klebern, das nachstehend näher beschriebene und abgebildete Gerät, welches nach G. Zeller (Zeitschr. d. V^er. f. Volkskunde 12, 215) im Salzburgischen haupt- sächlich als Essglocke, aber auch während der Karwoche Verwendung findet (wo nicht durch Ratschen verdrängt). Im Brixental heisst dieses Schallgerät Klebei oder Klapperl. Einem vortrefflichen Kenner der Salzburger Volkskunde, Herrn Fachlehrer K. Adrian, verdanke ich nähere Auskunft über die Klebern, die er schon in der Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 13, 436 besprochen hat, über die aber unter Beifügung von Fig. 4 und 5 nach seinem Briefe noch näheres

1) [Otte, Handbuch der kirchl. Kunstarchäologie ^ 1, 3G7 zitiert die lateinischen. Bezeichnungen crcpitacula ecclesiastica und crecollae.]

Ratschen, Klappern und das Verstummen der Karfreitagsglocken. 259

gesagt werden kann. Die Klebern dient zunächst keinem kirchlichen Zwecke, sondern vertritt die Essglocke. Sie fand sich (denn jetzt ist sie nur durch Exem- plare im Salzburger Museum vertreten) vereinzelt in der Gegend von Fuschl (Flachgau), häufiger im Oberpinzgau von Piesendorf bis Krimml. Im Pinzgau wurde sie auch Klapper, Schepper, hauptsächlich aber Glagl genannt. Meist war sie aus Ahornholz verfertigt, in ihrem vorderen Teil ausgehöhlt und mit einem an einem Lederriemen hängenden Holzklöppel (oder einer Bleikugel) ver- sehen, der auf die Schallplatte aufschlug (Fig. 4). An dessen Stelle trat auch ein im Scharnier schwingender Holzhammer, wie ein Exemplar des Salzburger Museums aus Aufhausen bei Piesendorf im Pinzgau zeigt (Fig. 5). Diese grösseren, 20 cm langen und 7 cm breiten Klebern haben aber, wie K. Adrian betont, kirch- lichen Zwecken nicht gedient, dafür sind die kleineren, auf dem gleichen Prinzipe beruhenden Klappern da, bei denen der Hammer auf ein einfaches, nicht durch- höhltes Brett schlägt. Sie dienen in den letzten Tagen der Osterwoche statt der Altarglocke.

[Klabatter (Aachen) bei Grimm DWb. 5, 887. Vgl. ebd. S. 955 Kl äp fe- iein, Klepfl, 965 Klapper. E. H. Meyer, Bad. Volksleben 1900 S. 100: Scharre.]

Klabbaerd, Klepberd, Klappe, Klippe, die in den Niederlanden viel- fach gebräuchlichen Ausdrücke, mit denen am 'Mitten Donderdag' (unserm Grün- donnerstag) die Knaben, Ostereier sammelnd, den Ort durchziehen. Das Klep- berd ist dort etwas umständlicher hergestellt, als bei uns (wie Fig. 6 aus Hedersum), da der Hammer an einer Querschnur befestigt, zwischen zwei senkrechten Pflöcken auf das Schallbrett niederschwingt. De Cock en Teirlinck, Kinderspel in Zuid- Nederland 7, 80 (Gent 1907). Weitere Ausdrücke in den Niederlanden für das österliche Lärmgerät sind: Klater, Kreckeleere, Krakere, Kreckel, Reutelare, Rotelare, Ruttelare. Als Ratel oder Rateltje wird dort be- sonders das Gerät bezeichnet (Fig. 7), welches unserer Ratsche entspricht. Es ist aber dieser gegenüber vervollkommnet, da es mit einem Resonanzkasten versehen ist. Ebendort, S. 284.

Rumpeln (Verbum) in Tirol. Nach L. v. Hörmann, Tiroler Volksleben (Stuttgart o. J.) S. 53 hat der 'Grump Mittich' seinen Namen von Gerumpe, rumpeln, Lärmmachen, da an diesem Tage bei der abendlichen Rumpelmette (Pumpermette) das erstemal mit den Ratschen 'gerumpelt' oder 'gedämmert' wird. An manchen Orten Tirols wird in den letzten Tagen der Karwoche in der Kirche die 'Dammermette' gefeiert. „Dabei werden eine Anzahl Schlegel hinter dem Altar versteckt gehalten, bis die letzte Kerze verlöscht ist. Hierauf holt sich jeder einen oder zwei derselben und nun geht das 'Dammern' (Klopfen, Hämmern) los, welches die Entrüstung über die böse Tat des Judas ausdrücken soll." Es ist also etwa dasselbe, als wenn die Juden am Purimfeste in den Synagogen mit Hämmern ihren Feind Haman totschlagen.^)

Nicht minder mannigfaltig nach Namen und Gestalt sind die öster- lichen Lärmseräte in den romanischen Ländern. Mundartliche Wörter-

1) Panzer, Beitrag z. dtsch. Mythol. 2, 554 hat hier noch folgende Erklärung: „Die Pumpermetten, Chorgesang, der jetzt an den Vorabenden des Donnerstags, Freitags und Samstags in der Charwoche statt hat, ursprünglich aber in den horae matutinae ge- halten zu werden pflegte. Ehemals sollen hierauf die Kirchgänger mit Stöcken, Hämmern Steinen usw. an die Bänke und Wände geschlagen und dieser Lärm soll dem Verräter Judas gegolten haben." [Grimm, DWb. 7, 2231 und 8, 1488: Eumpelmette.]

17*

260

Andree:

Fig. 1. Doppelrätsche aus der Kirche zu Mittel-Darching bei Holzkirchen, Oberbayern.

Fig. 2. Deutsches Klapperbrett (allgemein}. Fig. 3. Deutsche Eatsche (allgemein).

Fig. 4. Klebern aus dem Pinzgau (Museum Salzburg).

Fig. 6. Belgisches Klapberd (nach A. de Cock).

Fig. 5. Klebern aus Aufhausen, Pinzgau (Museum Salzburg).

Fig. 7. Belgische Katel (nach A. de Cock).

4

Ratschen, Klappern und das Verstummen der Karfreitagsglocken,

i.

261

I

Fig. 8. Römische Trocola. Fig. 9. Neapolitanische Trocola.

Fig. 10. Aus Siena.

Fifj. 11. Italienische Ratsche.

Fig. 13. Klappergerät aus Plessnitz, Kärnten (nach Bunker).

Fig. 12. Spanische Matraca.

Fig. 14. Simandra im Kloster Stiris am Farnass (nach H. Belle).

262 Andree:

bücher würden hier die beste Auskunft geben ^), Indessen kann ich einiges hier mitteilen, und zwar nach einem mit Abbildungen versehenen Artikel der Londoner Zeitschrift The Graphic vom 1. April 1899. Der weitgereiste, ungenannte Verfasser schildert hier 'the Beils of the holy weak' und bemerkt, dass in romanischen Ländern der allgemein ver- breitete Name Claquette (Fig. 8 und 9) sei. Das Gerät besteht dort aus einem länglichen harten Holzbrette, oben mit einer Öffnung für das Hineinstecken der Hand, die das Brett schwingt. Der lärmende Ton wird durch die in Haspen schwingenden eisernen Bügel hervorgebracht. Dieses Gerät findet sich in Italien, Spanien und Osterreich. Die Namen dafür sind:

Tabella (Florenz),

Crepitaculo (Padua),

Trocola (Neapel, Rom) siehe Fig. 8 und 9,

Batarella (Rovigo),

Croccola (Palermo),

Tric-Trac (in den Abruzzen).

Statt der eisernen, den Lärm verursachenden Bügel hat man in Siena zwei eiserne Kugeln an Ketten angebracht, die beim Schwingen des Brettes durch ihr Rollen den Glockenersatz liefern (Fig. 10). Es fehlt übrigens in Italien nicht an Geräten, die ganz auf dem Prinzipe unserer Ratschen beruhen (Fig. 11), doch ist in unserer oben bezeichneten Quelle weder Name noch Ort dabei angegeben.

In Spanien und in den von ihm sprachlich abhängigen amerikanischen Ländern vertritt die Matraca die verstummten Osterglocken. Der Ausdruck (Klapper) wird sowohl für die grösseren Geräte auf den Türmen, als die Handklappern gebraucht. Die Matraca beruht auf dem Prinzipe der Kastagnette, Holz klappert gegen Holz (Fig. 12).

Die Rasseln und gleichwertigen Klapperinstrumente im kirchlichen Gebrauche sind auch zu Prozessionsinstrumenten geworden, wie dieses aus Kärnten bekannt ist, von wo aus dem Dorfe Plessnitz bei Leoben durch J. R. Bunker ein derartiger Brauch geschildert wird^). In dem dortigen Johanniskirchlein befindet sich eine jener bekannten Johannisschüsseln mit dem Haupte des Täufers, das in der Nähe unter einem alten Kirschbaum gefunden sein soll. Dort steht jetzt eine Säule mit dem Bilde Gottvaters und zu diesem finden die Klapperprozessionen statt. In der Kirche befinden sich zu diesem Zwecke etwa 15 Instrumente von verschiedener Grösse und von der Art, wie die Fig. 13 zeigt. Wird

1) In dem Werke von J. D. Blavignac, La Cloclie, Etudes sur son histoire, Geneve 1877 p. o!)4 sollen die Ratschen (traquet, matraca, tartarelle) behandelt sein. Dieses Werk konnte ich mir nicht verschafl'en.

2) Mitt. der Anthropol. Ges. in Wien ;U, Sitzungsbericht S. 119. Es kann sich hierbei auch um die Geräte handeln, welche die verstummten Osterglocken ersetzen.

Ratschen, Klappern und das Verstummen der Karfreitagsglocken. 263

der Apparat auf- und abgeschwungen, dann beginnen die Hämmer ihr Klapperkonzert, was man 'Taferln' nennt. Dieses findet „an einem be- stimmten Tage" statt. Die klappernde Prozession zieht zum Gottvater- bilde, betet dort und kehrt unter fortgesetztem Taferln zurück".

Ich habe mich hier fast nur auf jene Lärmgeräte beschränkt, die in der katholischen Welt zum kirchlichen Gebrauche benutzt werden und eine weite Verbreitung besitzen. Aber sie sind nur ein ganz kleiner Ausschnitt aus der ungeheuren Masse ganz gleicher, ähnlicher und ver- wandter Klappern und Rasseln, die über die ganze Erde verbreitet sind, bei Natur- wie Kulturvölkern vorkommen und in ein hohes Altertum hinaufreichen, in die Yorglockenzeit. Sie dienten mehr noch profanen wie kirchlichen Zwecken. Sehr verbreitet waren sie bei den Nacht- wächtern, falls diese kein Hörn besassen, beim Stundenausruf. Rättel- keerls heissen die Hamburger Xachtwächter nach ihren Geräten^), und in Braunschweig unterschied man Rättelwächter mit der Ratsche und Tut- wächter mit dem Tuthorn. Zum Zusammenruf der Gemeinde bedient sich, wo nicht der Gebotstock herumgeht, ihrer der Gemeindediener. [Auch Bettler und Aussätzige riefen durch eine Klapper die Mild- tätigkeit der Begegnenden an; Grimm DWb. 5, 965.] Mit einem Klapper- instrument wie Fig. 8 waren im 18. Jahrhundert die österreichischen Briefträger ausgerüstet, um ihr Kommen anzuzeigen, wie eine Ab- bildung im Reichspostmuseum zu Berlin lehrt. Heute noch ist die Treiber- klapper bei Jagden ein Gerät, wie die Fig. 6. Und die Bauernjungen vertreiben mit der Klapper die Sperlinge aus den Feldern. Über die weite Verbreitung und ganz überraschende Ähnlichkeit dieser Geräte, namentlich der einfachen mit Klöppeln geschlagenen Schallbretter, be- sitzen wir seit nicht langer Zeit eine ganze angeschwollene Literatur. Ich habe dazu^) die Veranlassung gegeben, indem ich das Signalbrett der Harzer Köhler, die jetzt verschwundene 'Hillebille', ans Licht zog und ähnliche Geräte damit verglich. Wer sich für diesen Kulturkreis, der seiner Natur nach gar nicht aus einer Quelle stammen kann, interessiert, findet das meiste zusammengetragen in der unten angeführten Stelle').

Für den kirchlichen Gebrauch der Schallbretter {äyia |r/a) liegen sehr alte Zeugnisse vor. Als die Reliquien des 627 gestorbenen persischen Märtyrers Auastasius nach Cäsarea gebracht wurden, zog das Volk ihm in Prozession voll Jubel entgegen und schlug die heiligen Hölzer*). Und in der orthodox-griechischen Christenheit leben sie bis zum heutio-en Tao;e fort. In unseren Lauden kamen sie als Ersatz sogar

1) M. Richey, Idioticon Haraburgense 1755 S. 207. [ZfVk. 13, 437: Siidrussland.]

2) Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde 5, 103 (1895).

3) Richard Andree, Braunschweiger Volkskunde, 2. Aufl. S. 253. [ZfVk. tJ, 445. 7, 208. 8, 347. 15, 93. IG, 430. Auch ZföVk. 15, 40: Fressglocken.]

4) Wetzer und Weite, Kirchenlexikon, 3. Aufl. 5, 697.

264 Andree: Eatschen, Klappern und das Verstummen der Karfreitagsglocken.

wieder zum Vorschein, wenn Gemeinden zu arm waren, sich Glocken an- zuschaffen^). Als im Jahre 1627 das Dorf Rhode bei Königslutter von Kaiserlichen Soldaten ausgeplündert wurde, zerschlugen diese die Kirchen- glocken und führten das Metall hinweg. Da schrieb der Geistliche in das Kirchenbuch: „Weiln nun keine Glocke mehr vorhanden gewesen, damit man die Leute zum Gottdienste rufen konnte, hat mau aus Noth ein Brett vor die Kirchtür hängen lassen müssen, an welchem der Küster mit zwei Hämmern anschlagen und zum Gottesdienst klappern müssen, welches man dann zwei Jahre lang also continuiert" ^). Wer heute statt der Glocken das uralte Schallbrett (äyia ^vla) bei christlichen Kirchen noch im täglichen Gebrauche sehen will, der muss sich allerdings schon nach der Balkauhalbinsel begeben. Dort findet er es, von Mönchen ge- schlagen, so benutzt, wie Fig. 14 es darstellt. Als, vor etwa 40 Jahren, der französische Reisende Henri Belle das griechisch-orthodoxe Kloster Stiris am Parnass besuchte, da wurden die Mönche durch die Simandra zum Gottesdienste zusammengerufen. Zwischen zwei Pfählen hing ein hölzernes mit Eisenstreifen beschlagenes Brett, auf welches zwei Mönche mit gekrümmten Hämmern schlugen, so dass kurze, dumpfe Töne ent- standen^). — Diese Schallbretter haben schon vor ein paar Jahrhunderten den gelehrten Leo Allatius interessiert, und er hat ihnen auch eine nähere Beschreibung gewidmet"). Er setzt zunächst auseinander, dass die Türken, nachdem sie das byzantinische Reich unterworfen hatten, den Christen den Gebrauch der Glocken verboten und diese daher wieder zum Gebrauche der Schallbretter griffen, um den Beginn des Gottesdienstes zu bezeichnen. Allatius beschreibt dabei das Gerät so genau und die Art, wie es geschlagen wird, dass wir darüber vorzüglich unterrichtet werden und ich seine Be- schreibung in der Anmerkung hier beifügen wilP). München.

1) Z. B. Digot, Histoire de Lorraine 1, 182 bei Lerond.

2) Vaterländisches Archiv des Königreichs Hannover 1820, II, 360.

3) Globus 32, 68 (1877).

4) Leo Allatius, De tempHs Graecorum recentioribus (Coloniae Agrippinae apud Jodocum Kalcovium et socios 1645) p. 4.

r>) Quare sacerdotes Graeci ligneo instruinento, ad Graecos in ecclesiam convocandos, utuntur. Id est lignum binarum decempedarum longitudine, duorum digitorum crassi- tudine, latitudine quatuor, quam optime dedolatum, non fissum aut rimosum; quod manu sinistra medium tenens Sacerdos, vel alius, dextra malleo ex eodem ligno, cursim hinc inde transcurrens, modo in unam partem, modo in alteram, prope vel eminus ab ipsa sinistra, ita lignum diverberat, ut ictum, nunc plenum, nunc gravem, nunc acutum, nunc crebrum, nunc extentum, edons perfecta musices scientia auribus suavissime modu- latur. Et hoc otjfiavrrjQiov nuncupatur, magisque proprio nomine xf'^Qf^o/jfiavTQov, quod manibus teneatur, iisque pulsetur; ad differenfiam alterius magni, quod ^liya oi'ifiavTQor dicitur, ex eodem ligno et in turribus, sive campanariis catenis ferreis, suis extremitatibus appenditur. Illud est insigni magnitudine, ut quandoque sex palmos latitudo, unum crassitudo, triginta longitudo exaequet, malleoque pro magnitudine Semanterii pulsetur.

Brunner: Bauerntöpferei und volkstümliche Fayencen. 265

Bauerntöpferei und volkstümliche Fayencen.

Von Karl Brunner.

Die Bestände der Königlichen Sammlung für deutsche Volkskunde an Erzeugnissen bäuerlicher Töpferei und Fayencen volkstümlicher Art sind bisher in unseren 'Mitteilungen' noch wenig berücksichtigt worden. Es erscheint daher an der Zeit, dieses vielfach noch recht dunkle Gebiet durch eine umfassendere Veröffentlichung wenigstens zu umgrenzen und die einzelnen Erscheinungen so weit als möglich zu gruppieren, um so eine endliche Lösung der Fragen nach Herkunft und Verbreitung gewisser charakteristischer Erzeugnisse der Töpferkunst anzubahnen. Vorerst sollen die keramischen Sammlungen unseres Museums behandelt werden, die sich auf die neuere Zeit, vorwiegend das 18. und 19. Jahrhundert beziehen. Denn die Hauptmasse der Gegenstände stammt aus dieser Periode; das wenige Ältere ist noch zu lückenhaft, um einen erschöpfenden Rückblick auf die Bauerntöpferei älterer Zeit zu gestatten. Um den Stoff der Be- arbeitung etwas einzuschränken, soll auch zunächst nicht die Ofentöpferei einbezogen werden, die einer besonderen späteren Erörterung vorbehalten bleiben mag, ferner auch nicht die Steinzeugtöpferei, die besonders am Rhein, in Nassau und in der Lausitz blühte.

Obwohl die Töpferscheibe zu den ältesten Erfindungen des Menschen gehört, gab es doch bis in die neuesten Zeiten sogar in Europa Töpfer- werkstätten, die dieser Einrichtung entbehrten. Da sind z. B. die so- genannten Juten- oder Tatertöpfe, von denen Fig. 1 einen zeigt, über deren Herstellung durch jütische Frauen J. Mestorf im Archiv für Anthropo- logie 11, 453 (1879) ausführlich berichtet. Diese Töpfe zeigen ein so prähistorisches Äussere, dass man sie wohl mit alten Graburnen ver- wechseln könnte, und die Beschreibung ihrer Erzeugung lediglich mit der Hand und einigen höchst einfachen Geräten von Stein, Holz und Eisen mutet ausserordentlich altertümlich an. Sie werden keinem scharfen Brande, sondern nur einem mehrmaligen Trockenprozess bei schwachem Feuer unterworfen. Die dunkle Farbe erhielten sie durch Einwirkung des Rauches von einem Schmauchfeuer. Man sollte meinen, dass so zer- brechliche Ware nicht weiter durch Handel vertrieben werden könne, aber doch sind sie nach J. Mestorf von Jütland aus nicht nur nach den dänischen Inseln, sondern sogar über die Elbe bis tief nach Deutschland hinein verfrachtet worden.

AVie eine Drehscheibe für Töpfereibetrieb bis in unsere Tage aussieht, zeigt das in Fig. 2 hier abgebildete Modell aus glasiertem Ton, welches Herr Töpfermeister Bluth in Goslar seinerzeit für das Museum

266 Brunner:

gefertigt hat. Wir sehen den Meister vor der Seheibe sitzend, deren Unterteil er mit dem nackten rechten Fuss in drehende Bewegung setzt, während die Hände oben mit der Formung des Gefässes beschäftigt sind, welches, auf einer kleineren runden Plattform stehend, um seine Achse rotiert. Zur rechten Hand des Meisters liegen aufgestapelte Tonklumpen und daneben steht eine Lade, welche Wasser enthält und oben aufliegend allerlei Werkzeuge. Auf der Bank vor dem Töpfer stehen vier fertig ge- formte einfache Gefässe. Dass die Töpferscheibe in Europa bereits in grauen vorchristlichen Zeiten in Gebrauch war, ist bekannt genug, ebenso auch, dass sie im Norden Europas nur zuweilen erst um den Beginn unserer Zeitrechnung benutzt wurde. Ja, noch in den frühgeschichtlichen Siedelungen, wo vorslawische und slawische Gefässsch erben aufgefunden werden, betrachtet man die Spuren der Drehscheibe als slawisches Merkmal. Haben nun die Yerfertigerinnen der oben besprochenen jütischen Tatertöpfe die altgermanische Methode der Formung ohne Scheibe noch bis in die neuere Zeit sich bewahrt, so kann es uns nicht wundern, dass bei den Kassuben, einem polnischen Yolksstamm in Westpreussen, sich die ganze Technik und Formgebung altslawischer Keramik bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts erhalten hat, wie Fig. 3—4 zeigen. Diese Gefässe sind sogenannte Kassuben-Töpfe, die im Jahre 1873 von einem Töpfer, sogenanntem Schwarzbrenner, in der Tucheier Heide nicht weit von Hornberg in Westpreussen angefertigt wurden. Der rohe Ton, nicht die schwarzgebrannte Vase, nimmt bei festem Streichen mit einem Poliersteine oder Knochen Glanz an. Diese kassubischen Töpfe kamen um 1840 auf die Jahrmärkte und wurden zu Kochgeschirren verwendet. Um 1880 waren sie bereits ausser allgemeinem Gebrauch. Ygl. A. Voss, Katalog der Ausstellung prähistorischer und anthropologischer Funde Deutschlands (Berlin 1880) S. 474 Nr. 89.

Nicht minder prähistorischen Eindruck macht das in Fig. 5 dargestellte rohe Tongerät, welches ein sogenanntes Muläpen ist, eine aus Lübeck stammende Fusswärmvorrichtung, die auf dem Markte feilgehalten werden und wegen ihrer grossen Öffnung zur Einführung glühender Kohlen ihren drastischen Namen erhielten. Der Ausdruck 'Maulaifen feilhalten' dürfte hiermit erklärt sein. [Vgl. A. Richter und O. Weise, Deutsche Redens- arten 1910 S. 142.]

In den Spreewald führt das Bild Fig. 6, welches einen mit einem Stülpdeckel versehenen unglasierten Tontopf darstellt, der zum Aus- räuchern der Bienen gebraucht wird.

Fig. 7 zeigt einen kleinen Ofen aus unglasiertem roten Ton mit ab- nehmbarem Deckel, offenbar eine Nachahmung eines gusseisernen so- genannten Kanonenofens. Diese Öfen werden in Barmen als Weihnachts- geschenke für kleine Mädchen hergestellt. Über der unteren Öffnung befindet sich inwendig ein Feuerungsrost. Die obere Türöffnung ist nur angedeutet.

Bauerntöpferei und volkstümliche Fayencen.

267

Eine andere Verwendung primitiver Töpferkunst ist die Herstellung von Opfern für die Gottlieit. Schon aus dem Altertum ist das bekannt

Fig. 1.

Vis. 2.

Fiff. 8.

Fio:. 4.

Fiff.

Fiff. (i.

Fiff. 7.

Fisr. 5.

Fiff. 9.

und wird in Bayern und Österreich noch heute geübt. Die Fig. 8 zeigt einen solchen Opferkopf aus St. Valeutinshaft im Mattigtal, Oberösterreich, ein Geschenk von Fräulein Marie Eysn. Die grosse Ähnlichkeit des Ge-

268

Brunner:

fässes mit römischen Graburnen aus dem Rheinlande springt in die Augen. Diese unsere Opferköpfe wurden von der bäuerlichen Bevölkerung teils wegen Kopfleiden, teils zur Erzielung von Fruchtbarkeit in den Kirchen und Kapellen niedergelegt, vielfach auch mit Getreide gefüllt. Näheres hierüber bei R. Andree, Votive und Weihegaben des katholischen Volkes in Süddeutschland 1904 S. 139 ff. Fig. 9 zeigt ein kleines Töpfergerät aus Ludwigslust in Mecklenburg mit oben eingesteckter Federpose. Es wird zum Auftragen von Farbe auf Tonwaren benutzt und ist ein Geschenk des Herrn Hans von Schier städt.

Fig. 11, 12.

Fi?. 15.

Fisr. 14.

Fis. 10.

Fi- 13.

Zur Herstellung von Festgebäcken hat man sich in Süddeutschland vielfach der Formen aus unglasiertem Ton bedient, wie hier in Fig. 10 eine solche nebst Abdruck abgebildet ist, die eigentümliche Darstellungen zeio-t, während Fig. 11—12 eine kleine Tonform vorführt, welche in Salzburg zur Herstellung von Weihnachtskrippenfiguren benutzt wurde.

Um den porösen Ton undurchlässiger zu machen, hat man schon in sehr alter Zeit Salz- und Bleiglasuren erfunden, die an sich durchsichtig sind, aber auch vielfach gefärbt werden. Die grosse Masse der als Bauern- töpferei bezeichneten Gefässe und Geräte ist mit solchen Glasuren, meistens nur einseitig, überzogen. Sehr interessant ist eine grosse Kuchen- oder Speiseform aus Stützheim, ein Wickelkind darstellend. Die Form ist

Bauerntöpferei und volkstümliche Fayencen.

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innen glasiert. Vermutlich hat man sie besonders in der Weihnachts- zeit benutzt. Fig. 13 ist eine aus Nordfriesland stammende, innen glasierte Reisform aus Ton mit Darstellung einer Öeejungfer, datiert 1611. Ahnliche Formen sollen in der Umgegend von Glückstadt bei Hochzeiten gebraucht werden und oft mit sehr drastischen Darstelluno^en versehen sein.

Fig. 18.

Fig. 19.

Fig. 22.

Tis. 20.

Fig:. 21.

Fiff. 17.

Ein eigentümliches Gerät ist in Fig. 14 dargestellt. Es dient zum Waschen von Spitzen, die um das Gerät herumgewickelt werden, und ist in Ludwigslust in Mecklenburg von Herrn Hans von Schierstädt erworben worden, der es dem Museum überwies. Zahlreich sind die Siebge fasse in der Sammlung, die zu verschiedenartigen Zwecken im Haushalte gebraucht werden. Das hier in Fig. 1') dargestellte dreifüssige Siebgefäss diente zur Käsebereitung im Schwarzwalde. Mit dieser Ver-

270 Brunner:

besseruDg des Geschirrs durch die Glasuren steigert sich natürlich die Ver- wendungsmöglichkeit des Tongeschirrs, wie wir aus den folgenden Proben noch weiter sehen können. Fig. 16 ist ein irdener glasierter Bettwärmer aus Sufflenheim im Elsass mit eingedrückten Ornamenten, Fig. 17 ein kacheiförmiger Topf, der in Ostfriesland mit glühenden Kohlen gefüllt in den sogenannten Bakerkorb (Badekorb) zum Anwärmen der Kinder- wäsche gestellt wird, Fig. 18 eine im bajuvarischen Gebiet häufige Flaschen- form, Fig. 19 eine Nachtlampe aus Oberösterreich, wozu das hiesige Kunstgewerbemuseum in seiner Fayencesammlung ein Vergleichsstück aus Ravenna besitzt, dem Ende des 18. Jahrhunderts entstammend, Fig. 20 ein Lämpchen aus Wasselnheim im Elsass, Fig. 21 ein Lämpchen für Binsenmarkdocht und Öl aus Litauen und Fig. 22 ein Totenleuchter aus Genuin bei Landsberg a. Warthe. Das Drillingsgefäss Fig. 23 stammt aus Ludwisrslust in Mecklenburg.

Von diesen einfach glasierten, nicht mit farbigen Verzierungen ver- sehenen Gefässen und Geräten führt uns der nächste Schritt zu denjenigen Irdenwaren, welche mit Glasur und ein- oder mehrfarbigen Ornamenten geschmückt sind. Bereits oben Fig. 9 ist ein einfaches Töpfergerät ab- gebildet worden, welches zum Farbenauftragen benutzt wird. Die Zahl dieser Erzeugnisse ist natürlich jederzeit sehr gross gewesen, da der meist geringe Brand der Gefässe sie leicht zerbrechlich machte, so dass wenig- Älteres erhalten geblieben ist. Solche Töpferarbeiten sind überall an- gefertigt worden, aber nur wenige Orte oder Bezirke sind als Ursprungsort bestimmter Ware allgemeiner bekannt geworden. Von diesen dürften am berühmtesten die als Marburger Geschirre durch ganz Deutschland ver- triebenen braunroten Irdenwaren sein, die oft mit aufgelegten Blumen und anderen Figuren in verschiedenen Farben geschmückt sind. Fig. 24 gibt eine Anzahl solcher höchst charakteristischer Erzeugnisse wieder. Andere hessische Tongeschirre sind in Fig. 25 dargestellt.

Weit bekannt sind auch die Töpferwerkstätten von Bürgel bei Jena, von der das kleine, am Arm zu tragende Henkeltöpfchen Fig. 26 stammt mit der humoristischen Inschrift: Bleib mir 3 ] 4 und 4. Die gelbe Kaffee- kaune Fig. 27 ist aus Gerstungen bei Eisenach.

Nicht minder berühmt sind die Erzeugnisse von Bunzlau in Schlesien. Fig. 28 zeigt zwei Teller, von denen einer am Rande mit einer frommen Inschrift, der andere mit grün-weiss-gelben einfachen Verzierungen auf dunkelbraunem Grunde versehen ist. Der Hauptruhm von Bunzlau liegt aber auf dem Gebiet des Steinzeugs, das hier nicht besprochen werden soll.

Durch künstlerisch sehr hochstehende Irdenwaren sind die Töpfereien von Heimberg bei Thun bekannt, von denen Fig. 29 Beispiele gibt. Sie zeichnen sich durch prachtvolle Glasur aus, die besonders auch auf der Rückseite durch ihren warmen rotbraunen Ton auffällt. Die eine Schale

Bauerntöpferei und volkstümliche Fayencen.

271

ist innen weiss mit vorwiegend blauem, die andere mit mehrfarbigem Blumenmuster auf schwarzbraunem Grunde verziert. Diese und die folgende schweizerische Gruppe ist mit Abbildungen besprochen im Schweizerischen Archiv für Volkskunde 1905, 243 ff. 1910, 161 f.

Eine andere schweizerische Werkstatt in Langnau im Kanton Bern lieferte die in Fig. 30 dargestellte kleine braune Suppenterrine mit kronen- artig verziertem Deckel. Vielleicht gehört das Gefäss zu der Gattuno:

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Fig. 24.

jener oft reich geschmückten Patengeschenke, die in Niederdeutschland als Möschentöpfe bekannt sind. Das Stück ist mit der Marke (?) jj oder 11 inwendig gezeichnet.

Auch im Elsass hat die Bauerntöpferei einst in Blüte gestanden, wie die grosse Schüssel Fig. 31 aus Offenheim zeigt, deren Ornamente aus Weiss, hellerem und dunklerem Braun zusammengesetzt und durch präch- tige Glasur ausgezeichnet ist. Das Essigfass Fig. 32 von W^esthofen in Elsass dürfte wohl aus Marburg bezogen sein, an dessen Glasur und weiss- grüne Ornamentik es lebhaft erinnert.

272

Brunner:

Fig. 25.

Fijr. 26.

Fiff. 00.

Fig. 37.

Fier. 38.

Fiff. 27.

Fig. 28 a.

Fiff. 28 b.

Bauerntöpferei und volkstümliche Fayencen.

273

Fig. 29.

Fig: o2.

Fisr. HX

Fi». 3G.

Fig. 33. Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1910. Heft 3.

Fi-. 34.

18

274

Brunner:

Die bayrische Bauerntöpferei sei hier durch einige grosse Schüsseln Fig. 33—35 vertreten. Die eine, aus dem Dorfe Hundham bei Schliersee stammend, zeigt innen auf grünlich-weissem Grunde etwas unsicher ge- zeichnete gelbliche Blüten mit grünen Stengeln und Blättern, eine andere auf grünem Grunde einen Wanderer mit Hund in weisser, dunkelbrauner und hellbrauner Farbe. Die dritte Schüssel endlich aus der Gegend von Tegernsee zeigt weisse Zickzacklinien auf dunkelbraunem Untergründe.

Fig. 39.

Fie. 35.

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Fiff. 31.

Fiff. 44.

Sehr beliebt sind dort auch ganz einfarbig, besonders in Blau, hergestellte glasierte Tonwaren. Auch Gefässe mit marmorierten Glasuren sind beliebt^ wie solche der in Braun und Weiss bemalte Vexierkrug Fig. 36 aus Ober- österreich zeigt. Der Henkel dieses Kruges ist hohl und hat oben eine Öffnung, aus der allein die eingegossene Flüssigkeit, ohne davon zu ver- schütten, gegossen werden kann. Der Hals des Gefässes ist von aus- geschnittenen Dreiecken und Ellipsen durchlöchert.

Ein Gerät, das in keinem katholischen Hause fehlt, ist der Weih- ■wasserkessel, Weihbrunn, wie ihn Fig. 37 aus Tirol vom Jahre 1769>

Bauerntöpferei und volkstümliche Fayencen.

275

darstellt. Das einer Kanzel nachgebildete Stück ist dunkelbraun glasiert und mit farbigen Engelköpfen und einer Rosette verziert. Die Rückwand bildet einen viereckigen Rahmen, in welchen ein kleiner Kupferstich der Mutter Maria mit dem Christusknaben eingesetzt ist. Fig. 38 ist ebenfalls solch ein Weihbrunn aus der Schweiz.

Aus Böhmen besitzt die Sammlung einige farbige Bauerntöpfe mit einfachen, kräftig gezeichneten Blumenmustern, die ein gutes Bild all-

Fig. 43.

Fig. 45.

Fig. 46.

Fig. 42.

Fig. 41.

Fig. 47.

gemeiner Bauernornamentik gewähren. Fig. 39 zeigt einen solchen grossen Teller mit grün -gelb -braunroter Bemalung auf weissem Grunde vom Jahre 1840 und mit einer Umschrift auf dem Rande, wie sie allgemein in der Bauerntöpferei beliebt sind. Der Haubenkopf Fig. 40 stammt gleichfalls aus Böhmen und ist mit gelb-grünen Glasuren Überflossen.

Zum Schluss seien hier noch einige bäuerliche Töpferarbeiten ab- gebildet, die vereinzelten Werkstätten hier und da angehören und nur dazu dienen sollen, das Bild dieser bäuerlichen Kunstübung abzurunden und einige ihrer weit verbreiteten Eigentümlichkeiten zur Anschauung zu bringen. Da ist zunächst in Fig. 41 eine Gefässform, der sogenannte

18*

276 Brunner:

Paartopf, dargestellt, der besonders dazu dient, den ausserhalb des Hofes beschäftigten Arbeitern Mittagessen zuzutragen. Dieses einfache hellbraune Gefäss mit farbiger Verzierung stammt aus Rombitten in Ostpreussen. Der darauf liegende Deckel ist aus Holz geschnitzt. Ebendaher kommt der in Fig. 42 abgebildete Teller, in der Mitte auf weissem Grunde mit farbigen und zum Teil vertieften Mustern verziert. Dass dieses einfaciie Stück schon zum Schmuck der einfachen Bauernstube dienen sollte, be- weisen die auf der Rückseite angebrachten Durchlochungen zum Durch- ziehen einer Schnur und verdeutlichen uns so die künstlerische Anspruchs- losigkeit jener Bevölkerung.

Fig. 43 zeigt ein grosses terrinen artiges Gefäss aus Mecklenburg, aussen dunkelbraun, innen hellbraun glasiert und mit einer frommen Umschrift: 'Lass Gott in allen Dingen dein, den Anfang und das Ende sein', in weisser Farbe aufgetragen.

Die grosse Schüssel Fig. 44 aus Schleswig-Holstein mit einem kleineren Mittelnapf zeigt auf weissem Grunde vorwiegend braungefärbte Blumenranken und eine originelle Umschrift auf dem Rande: „Est meinen lieben Gäste so ihr nicht Est so sind ihr nicht meine lieben Gäste. Maria Wulfen in Hohenwestedt. AnQ 1826."

Die beiden folgenden Fig. 45 46 zeigen das in der Bauernornamentik aller Zeiten und Länder so sehr beliebte Tulpenmuster. Fig. 45 stammt aus einer neueren Werkstatt in Cuxhaven, ist glänzend braun glasiert und mit kräftigen grünen, weissen und dunkelbraunen Farben geschmückt. Fig. 46 aus Braunschweig bietet ausserdem das in der Volkskunst gleichfalls sehr beliebte Muster des Vogels auf Blütenzweigen, ausser- ordentlich schmuck und in schönen, besonders rotbraunen w^armen Farb- tönen. Die Mitte zeigt weissen Grund.

Endlich gibt Fig. 47 einen hell ziegelroten Krug mit weissen und grünen Mustern wieder, der aus einer neueren Werkstatt in Münster am Stein, Kreis Kreuznach, stammt.

Man kann ganz im allgemeinen vielleicht die Beobachtung machen, dass bei der grossen Masse der landläufigen als Bauerntöpferei zu be- zeichnenden Irdenwaren die blaue Farbe etwas in den Hintergrund tritt, während Braun mit Abstufungen nach Rot hin, Grün, Weiss und Gelb am meisten verwendet werden. Diese Erscheinung verschwindet um so mehr, je lieber die weisse Farbe als Malgrund für die ganze Gefäss- dekoratiou gebraucht wird. Zugleich erkennt man die Vorliebe für Ver- wendung nur blauer Farbe auf dem weissen Grunde. Das ist zweifellos, wenigstens im nördlicheren Deutschland, auf den Einfluss der Delfter Fayencefabrikation zurückzuführen, während in Bayern Blau auch bei der einfachen Bauerntöpferei als nationale Farbe eine ganz andere Rolle spielt. Ausserdem ist natürlich das blaue Steinzeug aus Nassau von der

Bauerntöpferei und volkstümliche Fayencen.

277

obigen, nur ganz allgemein gültigen Regel auszunehmen, wie ja das Stein- zeug als besonders zu behandelndes keramisches Erzeugnis bei unseren Erörterunii-en hier ausscheidet.

Fiff. 50.

Fier. 52.

Fi?. 51.

Fi?. 5.:

Fig. 49.

Fiff. 48.

Fi?. 54.

Das Museum besitzt nun eine reiche Zahl von Tellern und Schüsseln aus Bauernhäusern, die den Ansprüchen nicht ganz zu genügen scheinen, welche man ankeramischeErzeuguisse mit dem Namen Fayence zu stellen pflegt. Der Grund hat oft nicht den Glanz und die Weisse, welche die für Fayence charakteristische, durch Zinn- asche undurchsichtig weiss gefärbte Glasur den Gefässen verleiht. Ausserdem ist, im Gegensatz zu dem gewöhnlichen Fayencerieverfahren, meist nicht das ganze Gefäss in die Glasur ge- taucht, sondern nur die Innenfläche damit über- zogen. Auf diesen Überzug pflegte dann die far- bige Bemalung gebracht zu werden, worauf das Gefäss in den Brennofen kam. Diese Gruppe von Geschirren steht also gewissermassen selbständig in der Mitte zwischen den oben besprochenen irdenen Waren mit Blei- oder Salzglasuren und den eigentlichen Fayencen. Und dieser Gruppe gehört ein beträchtlicher Teil der

Fic

278

Brunner:

auf weissem Grunde farbig dekorierten Bauernteller unseres Museums an. Die Farben, mit denen diese Geschirre bemalt wurden, sind vorwiegend Blau, Grün und schwärzliches Braun oder Violett. Auch Gelb ist verwendet, dagegen fehlt fast ganz die rote Farbe. Die Gefässe sind meistens keine künstlerischen Leistungen, zeigen aber doch hier und da Geschick in der Verzierung und manche interessante Einzelheit. Fabrikmarken fehlen wie

Fig. 56, 57.

bei den früher beschriebenen Irdenwaren auch hier fast völlig. Die ganze Masse lässt sich in zwei grosse Gruppen teilen, eine brandenburgisch- pommersche und eine schleswig-holsteinische, von denen die erstere die einfachsten Gefässe umfasst.

Fig. 48—54 zeigt eine Anzahl derselben aus dem Spreewalde, dem Weizacker und von der Halbinsel Möuchgut, die anscheinend zwei V^erk- stätten entstammen, von denen eine, Fig. 48 50, die grüne, die andere, Fig. 51—52, die dunkele tintenartige Farbe bevorzugte. Eine dritte Unter- gruppe dieser Abteilung ist nur blau auf weiss dekoriert. Sie ist durch

Bauerntöpferei und volkstümliche Fayencen.

279

einige Teller aus dem Weizacker Fig. 53 .54 repräsentiert und scheint Delfter Einfluss zu verraten. Als Einzelerscheinung möge noch Fisr. 55

Fig. 58.

Fig. 59.

zeigen, wie der Zeitgeschmack auch später diese bäuerlichen Töpfereien beeinflusst hat. Die Schüssel stammt aus dem Spreewald und dürfte im Anfanore des 19, Jahrhunderts ano-efertio-t sein.

280 Brauner:

Wir kommen nun zu einer im Museum sehr reich vertretenen Gruppe von schleswig-holsteinischen Schüsseln, die innen mit magerer weisser Zinnglasur, aussen aber mit einer ins Gelbliche spielenden durchsichtigen Glasur überzogen sind. Ihre Bemalung ist teilweise recht ungeschickt, zeigt aber auch vielfach einen kräftigen Schmuckstil und dürfte von den Delfter Erzeugnissen nicht unwesentlich beeinflusst sein. Die vorkommen- den Farben sind Blau, Violett, Gelb und. Orange.

Fig. 56 57 zeigt einige Stücke dieser charakteristischen Gruppe. Herr Direktor Dr. Justus Brinckmann hatte die grosse Güte, mir über diese Gefässe folgende Auskunft zu geben: „Dies ist eine sehr häufig verstreut im Lande bei uns vorkommende Gruppe grosser Schüsseln, denen allen gemeinsam ist die nicht mit Zinnglasur überschmolzene, sondern gelbliche Rückseite, ähnlich der Rückseite der Majoliken von Diruta aus dem Anfange des 16. Jahrhunderts. Die Bemalung dieser Schüsseln auf der Vorderseite ist stets auf weissem Grund ausgeführt. Dargestellt sind sehr häufig Reiter, Brustbilder, auch gekrönte Häupter, Fruchthaufen. Die Malerei ist sehr roh ausgeführt; die Baumkronen scheinen wie mit einem Schwamm getupft. Sie werden bestätigen, dass die Glasur bei allen Ihren Stücken nur oerino-en Glanz hat. Eine Örtlichkeit für die Ent- stehung dieser überaus häufigen Fayencen habe ich nicht ermitteln können, da sie nirgends so gedrängt sich finden, um damit auf eine Spur zu kommen. Ich glaube nicht zu irren, wenn ich annehme, dass diese Schüsseln aus keiner der von mir schon vor Jahrzehuten festgestellten schleswig-holsteinischen Fayencefabriken stammen, also nicht aus Criseby, Eckernförde, Kiel, Schleswig, Rendsburg, Flensburg, Stockelsdorff. Auch an die Kopenhagener Manufaktur ist nicht zu denken, und Kelling- husen, an das der Derbheit seiner Bauernfayencen wegen vielleicht gedacht werden könnte, ist uns in charakteristischen Erzeugnissen doch zu gut bekannt. Ich vermute, dass die Schüsseln jener Gruppen, wenn nicht aus Holland eingeführt, so doch in einem westelbischen Platze, vielleicht zwischen Weser und Ems entstanden sind, und zwar vor der Mitte des 18. Jahrhunderts. Ähnliche Schüsseln mit Reitern und Brust- bildern kommen auch in England vor und gelten als englische Erzeug- nisse, sind aber doch weniger roh als die hier vorliegenden." Herr Detlev Schröder in Rosdorf bei Kellinghusen, Besitzer einer grossen Fayencesammlung, hatte ferner die Freundlichkeit, über die fragliche Gruppe von Fayencen die folgenden Angaben zu machen: „Es sind die sogenannten Klütenföät (Klösseschüsseln). Ich glaube, diese Schüsseln sind bedeutend älter als Kellinghusen (1765) und entweder in Holland oder Oldenburg gemacht. Es ist eine grosse Menge davon angefertigt und ist Delft das Vorbild gewesen. Für die gewöhnliche Bürger- und Bauersfrau war die Delfter Ware zu teuer; sie wollte aber auch ihre Küche schmücken, und der Absatz war gross. Kellinghusen, ja ganz

Bauerntöpferei und volkstümliche Fayencen. 281

Schleswig-Holstein, hatte rege Verbindung mit Holland. So erklärt es sich, dass die Teller fast in jedem Dorf zu finden sind, oder vielmehr waren, denn jetzt sind sie schon selten." Diese Schüsseln sind durch- gehends ohne Marke, nur in einem einzigen Falle fand ich eine solche auf einem Stücke in der Sammlung des Herrn Geh. Sanitätsrat Dr. Halling in Glückstadt. Diese Schüssel war mit einem gekrönten Frauenbrustbild in Yiolett und wenig Gelb bemalt. Die Marke hatte O diese Form und ist meines Wissens sonst nicht bekannt. Die Verbreitung dieser Gefäss- gruppe nach Westen und Süden konnte noch nicht festgestellt werden. Bemerkenswert ist es vielleicht, dass nach Mitteilung von Herrn H. Sökeland eine derartige Schüssel sich im Goethemuseum in Frank- furt a. M. befindet. Eine nahe verwandte kleine Gruppe befindet sich noch in unserem Museum; es ist eine Anzahl kleiner Schüsseln, von denen Fig. 58 einige zeigt, die in Schmuck, Farbe und Glasur ähnliches auf- weisen wie die grossen Gefässe.

Dass auch anderwärts das Verfahren der unvollkommenen Zinnglasur geübt wurde, zeigen die vier Teller Fig. 59 aus Schlesien, Oberbayern und Oberösterreich, welche auf der Rückseite eine magere durchsichtige oder gar keine Glasur tragen. Die Malerei der Innenseite ist in ziemlich matten Farben, vorwiegend blau und gelb, sowie grün und. violett aus- geführt. Am meisten interessieren die naiven Inschriften der zwei ober- bayrischen Teller: „Die Däller Lieb ich ins gemein, wen wass gutts dar in Thut seyn" und „Lieben und nichts haben: Ist härter als steyn graben".

Wir gehen hiermit über zu den in unserer Sammlung reich ver- tretenen bäuerlichen Fayencen mit beiderseits überflosseuer Zinnglasur. Wir können hier mehrere gut vertretene Gruppen nennen, neben zahl- reichen mehr oder minder bemerkenswerten Einzelstücken. Die Haupt- gruppen sind die Fayencen von Kellinghusen in Holstein, von Delft nebst Nachahmungen, dann solche aus Lausitzer Fabriken, aus Elsässer und bayrisch-österreichischen Werkstätten. Marken sind bei allen diesen Erzeugnissen selten vorhanden, da es sich vorwiegend um künstlerisch geringer bewertete Stücke handelt, wie sie das Volk mit Rücksicht auf den Preis eben bevorzugt.

Die Fabriken von Kellinghusen haben vorwiegend wohl in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine grosse Menge von charakteristischen Gefässen, besonders Teller und Schüsseln, für den bäuerlichen Bedarf hergestellt. Diese Gattung ist bekannt genug und auch im Museum reich vertreten. Fig. 60 zeigt solche Schüssel mit der üblichen Malerei in bunten Farben, von denen das häufig zur Randbemalung benutzte Zitronen- gelb am meisten auffällt. Eine andere Gattung, welche Fig. 61—66 zeigt, mit Gebäuden und Baumschlag; nach Art der Delfter Fliesenbilder vor-

282 Brunner:

wiegend in Violett bemalt, ist durch die auf dem grossen Teller Fig. 61 angebrachte Marke KH als Kellinghusener Fabrikat gekennzeichnet. Hiernach unterliegt es kaum einem Zweifel, dass auch die in Fig. 62 ff. dargestellten Teller derselben Fabrik entstammen, wenn sie auch keine Marke tragen.

Die Delfter Fayencefabrikation mit ihrer Nachahmung ostasiatischen Porzellanschmuckes ist ja bekannt genug, als dass es nötig wäre hier weiter auf die Erzeugnisse dieser Industrie in unserer Sammlung näher einzugehen. Fig. 68 gibt einige Proben dieser Fayencen, meist ohne Marken und zum Teil auch nicht besonders bemerkenswert in ihren durch lange Überlieferung erstarrten Verzierungen. Dass die Delfter Fayencerei durch ihre gewaltige Produktion und Verbreitung auch ihrerseits wieder den Trieb zur Nachahmung erweckte, haben wir oben bereits gesehen,

und es wird sich gelegentlich der weiteren Besprechung unserer Fayencen noch wieder- holt zeigen.

Zunächst aber soll jetzt hier eine grössere Gruppe von Fayencen betrachtet werden, die besonders aus geradwandigeu Bierkrügen besteht und meistens mit Zinn- deckel, zuweilen auch mit Fussreifen aus Zinn versehen ist. Die Sammlung besitzt eine grosse Zahl dieser Gefässe, und zwar

sind die meisten im Spreewalde erworben

Fig. 60. ,

worden.

Nur wenige dieser Bierkrüge sind mit einfachen Marken am Boden versehen, die aber ausnahmslos nicht weiter bekannt sind. Eine grössere Gruppe stammt, wie gesagt, aus Spreewälder Bauernstuben, und unter ihnen zeigen zwei Stücke einen deutlichen Hinweis auf sächsischen Ursprung durch das aufgemalte sächsische Wappen Fig. 69 70. Da die Lausitzen ehemals sächsisches Gebiet waren, so können wir wohl schliessen, dass diese Krüge im Lande angefertigt sind, wenn auch die Fabrik nicht näher bekannt ist. Der eine der beiden Krüge mit den in Blau gemalten Abzeichen des Metzgerhaudwerks zeigt ein plumpes G als Marke auf dem Boden. Ein anderer, ebenfalls aus diesem Gebiet stammender Krug zeigt einen arbeitenden Schuster in charakteristischer Zeichnung (Fig. 71).

Unter den Spreewälder Krügen finden sich ferner solche, die ein Mittelbild aufweisen, das beiderseits mit palmenartigen Bäumen eingefasst ist, wie Fig. 72 74 zeigt. Diese Palmen sind den Fayencefabriken Hannoverisch-Mündeu und Magdeburg eigentümlich, doch ist ihre Übertragung durch wandernde Gesellen in andere Werkstätten sehr wohl denkbar. Eine andere Eigentümlichkeit in der Verzierung der Mündener Fayencen ist nach Herrn Dr. Robert Schmidt in Berlin eine kleine gitter-

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Bauerntöpferei und volkstümliche Fayencen.

283

artige, in Gelb ausgeführte Zeichnung, wie sie an dem Spreewälder Krug Fig. 75 sich zeigt. Dieses Gefäss trägt am Boden eine violette, etwa achtförmige unbekannte Marke. Noch charakteristischer tritt das gelbe Gitter bei dem Kruge Fig. 76 aus Neuhardenberg, Kr. Lebus, he^rvor. Beide Krüge zeigen im übrigen das für die Mündener Fabrikate charakteristische Vorwiegen der violetten Farbe in der Bemalung, wie auch bei dem Kruge Fig. 77, der nur violett bemalt ist. Hierher ist auch

Fi- 67.

Fi- m.

Fig. 65.

Fiff. 63.

Fig. 61.

FifiT. Gi.

Fi-. 62.

vielleicht der aus Braunschweig stammende Teller Fig. 78 mit Pfau- darstellung in Violett, Blassgrün und wenig Gelb zu stellen, der die violette Marke AI in Cursivschrift trä^t.

Als bessere Einzelleistungen seien dann noch die in Fig. 79 80 dar- gestellten grossen Krüge mit buntfarbiger Bemalung erwähnt. Fig. 79 ist mit eine munterstrichenen W als Marke versehen, das vielleicht auf die Fabrik W^risbergholzen bei Hildesheim geht, während Fig. 80 mit der Marke K durch die frischen Farben auffällt und dadurch besonderes Interesse erregt, dass der Krug von der ehemaligen Besitzerin als Meister-

284

Branner:

stück eines Töpfermeisters Krün in Bürgel bei Jena bezeichnet wurde. Er ist 1734 datiert. Den Delfter P]influss verraten einige aus dem Spree- walde stammende Krüge Fig. 81 82, denen zum A"er2:leich ein aus Schlesien stammender Teller (Fig. 83) gesellt ist. Die Dekoration dieser drei Stücke ist mehrfarbig, vorwiegend in blau, violett, grün und gelb gehalten. In Schlesien zeigen ja sogar die bäuerlichen Möbel den Einfluss der Delfter Fayencen in ihrer Bemalun"-.

W

Fig. GS.

Als letzte der nord- und mitteldeutschen Gruppen von Fayence- krügen unserer Sammlung sei eine in Rügen gesammelte und durch besonders grosse Exemplare auffallende noch erwähnt, die in Fig. 84 8(> dargestellt ist. Sie sind deutlich als Erzeugnisse einer noch unbekannten Fabrik charakterisiert, welche den oberen und unteren Abschluss der Be- malung durch wagerechte blaue und gelbe Ringe andeutet, während für die figürliche und pflanzliche Dekoration zum Teil Schablonen angewendet worden sind. Die Farben sind etwas matt, vorwiegend dunkelgrau, gelb, violett und s-iün.

Bauerntöpferei und volkstümliche Fayencen.

285

Die Gruppe der aus dem Elsass stammenden Fayencen der Sammlung zeigt Fig. 87. Da sind besonders die mit fünf Öffnungen versehene Blumen- vase und die Flasche in Form eines auf einem Fasse reitenden Mannes

Fiff. 71.

Figf. Gl

Fiff. 70.

Fig. 75.

Fig. 7(;.

Fiff. 78.

Fig.

hervorzuheben, weil in diesen Formen vielleicht Delfter Einflüsse er- kennbar sind. Die Bemaluug der Blumenvase ist mehrfarbig mit hervor- stechendem Karminrot, eine Eigentümlichkeit der Strassburger Fayence- fabrik. Auch bei den übrigen Stücken der Gruppe tritt dieses Merkmal

286

Brunner:

hervor, nur nicht an dem Teller mit dem vorwiegend in Gelb, Grün und Blau gemalten Sternmuster, der vielleicht der Fabrik von Niederweiler in Lothringen entstammt. Charakteristisch ist bei zweien der Teller auch

Fig. 80.

Fis. 84.

Fie:. 85.

Fiff. 86.

Fi^. 81.

Fig. 83.

Fitr. 82.

Fig. 9G. Yig. 95. Fig. 07. Fig. 100.

die vielfach geschwungene Randlinie. Nur eines der Gefässe, der ein- henklige Krug, ist mit einer etwas undeutlichen blauen Marke St M nebst zwei gekreuzten grünen Stäbchen bezeichnet.

Bauerntöpferei und volkstümliche Fayencen.

287

Unter den Fayencegefässen der Sammlung aus Süddeutschland und Österreich fallen besonders zwei Gruppen auf, von denen die eine durch

Fiff. 87.

Fig. 88.

Fi?. 89.

Fig. 93.

Fig. 94.

Fig. 99. Fig. 91.

Fig. 90

das Überwiegen der blauen Bemalung, die andere durch vorherrschend matte grüne, manganviolette und gelbe Farben gekennzeichnet ist. Die-

^88

Brimner:

erstere Gruppe stammt meistens aus Bayern, die andere aus Österreich. In Fig. 88 89 sind ein Krug und ein Teller abgebildet mit ähnlicher Blaumalerei, in Fig. 90 ein an Delft erinnernder blauweisser grosser Teller und in Fig. 91—92 zwei Krüge, gleichfalls blau bemalt, von denen einer (Fig. 91) eine blaue Marke S mit vier Punkten darunter aufweist. Die Marke ist nicht bekannt, doch dürften für alle diese Erzeugnisse bayrische Fabriken, wie Nürnberg, Bayreuth, Künersberg usw. in Frage kommen. Ton geringerem künstlerischen Werte sind die in Fig. 93—94 dargestellten Oefässe. Der Teller ist in Gelb, Yiolett, Blau und Grün bemalt und mit der Inschrift 'Maria' in der Mitte versehen, während der übrige Schmuck gleichsam die Strahlenkrone der Mutter Gottes darstellt. Die Deckel- schale Fig. 94 stammt aus Hundham in Oberbayern und diente bei der Hochzeit zum Einsammeln der Geldgeschenke für die Braut.

Fiff 102.

Fig. 101.

Fig. 103.

Die in Fig. 95—97 dargestellte Gruppe von Fayencen besteht aus •einem Teller mit äusserst mattfarbiger Dekoration, einem Bilde des heiligen Franciscus, umgeben von einem Blätterkranze. Auch die Glasur ist im Gegensatz zu den eben besprochenen bayrischen Fayencen mager •und rissig. Ähnlichen Charakter tragen die beiden walzenförmigen Krüge Fig. 96 97, deren Verzierung allerdings etwas kräftiger gemalt ist. Merk- Avürdig ist die Figur einer Heiligen (?) in Gebirgstracht mit Sichel und Zinnkanne. Der gelbe Kreis um ihr Haupt scheint nach Analogie der zwei anderen Gefässe doch eine Heilige anzudeuten. Das Gefäss ist durch zwei umgelegte Drähte oben ausgebessert. Diese drei Fayencen dürften aus der Fabrik G munden stammen.

Eine andere, oben verjüngte Krugform, wie sie Fig. 98 zeigt, ist in ■der Sammlung mehrfach vertreten. In den Farben entsprechen diese Krüge ungefähr den eben erwähnten von Gmunden. Die Darstellungen, welche sie zeigen, sind meistens dem ländlichen Leben entnommen, auch

Bauerntöpfevei und volkstümliche Fayencen. 289

tragen sie öfter Inschriften. Die Herkunft dieser Gefässe, deren Form sowohl in deutschen als slawischen Gebieten Österreichs wiederkehrt, konnte nicht mit Sicherheit ermittelt werden, doch deutet ihre Verbreitung auf Ober- oder Niederösterreich, vielleicht auch Salzburg als Herstellungs- mittelpunkt hin. Die Glasur dieser Gefässe zeigt einen rötlichen Ton; bemalt sind sie in Grün, Gelb, Violett und Blau.

Bei dem Kruge Fig. 99 sind wir dagegen in der Lage mit ziemlicher Sicherheit die Stadt Salzburg als Ursprungsort angeben zu können. Das Gefäss ist mit einer blassblau gefärbten Glasur überzogen und mit violetter Farbe sowie mit weissen Punkten und Spuren von Gelb bemalt. Eigentümlich verzerrt ist die Figur des Hirsches mit einem Blätterbüschel im Maul, das an die eigentümlichen blasenartigen Gebilde erinnert, welche sich an gleicher Stelle bei Tierdarstellungen der vorgeschichtlichen Hallstattperiode vorfinden. Sollte die Volkskunst dieses alte Motiv solange bewahrt haben?

Als Einzelstücke möchte ich zum Schlüsse noch einige Fayencen aufführen, die aus verschiedenen Gegenden stammen, aber hinsichtlich ihres Herstellungsortes bisher zum Teil nicht bestimmbar waren. Fig. 100 zeigt eine grössere, aus dem Spreewalde bezogene Schüssel mit farbiger, besonders karminroter Bemalung, Fig. 101 einen in leuchtendem Blau, Gelb, Grün und Violett dekorierten Teller, angeblich aus der ungarischen Fabrik Holitsch stammend und in einem schlesischen Bauernhause vorgefunden; Fig. 102 ist ein ebenfalls aus Schlesien stammender Bauernteller von 1832 mit aufgemaltem Besteck in Gelb und Blau. Das Eisen ist blau gemalt, die Jahreszahl, die Umrisslinien und eine Kreislinie ringsherum violett. Ich erwähne das, weil für die Forschung nach dem Ursprung und dem Alter des Eisens die Frage von Interesse ist, wie der volkstümliche Künstler die verschiedenen Materialien farbig darzustellen pflegt. Schliesslich zeigt Fig. 103 eine zweihenklige Vase von 1715 mit blauem Dekor auf weissem Grunde. Die Herkunft dieses Gefässes ist bisher unbekannt, doch dürfte durch Vergleichung wohl einmal die Fabrik festzustellen sein.

Zum Schlüsse möclite ich nicht unterlassen, den Herren, welche mir bei diesen Nachforschungen bereitwilligst ihre Hilfe geliehen haben, den Herren Direktor Prof. Dr. Justus Brinckmann in Hamburg, Detlev Schröder in Rosdorf bei Kellinghusen und Dr. Robert Schmidt in Berlin, den herzlichsten Dank auszusprechen, indem ich hoffe, dass diese erste Gruppierung unseres reichen Materials Veranlassung zur weiteren und besseren Bearbeitung jener wichtigen Klasse deutscher Volksaltertünier geben wird.

Berlin.

Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1910. Heft 3. 19

990 Hauffen

GescMchte der deutschen Volkskunde.

Von Adolf HaufPen.

(Fortsetzung zu S. 1—17 und 129—141)»).

Während dieser bewundernswerten Wirksamkeit der Brüder Grimm wurde nicht nur die Aufsammlung von Volksliedern eifrig fortgeführt, sondern es setzte auch bald die Forschung auf diesem Felde kräftig ein. Die lange Reihe der landschaftlichen Liedersammlungen wurde 1817 er- öffnet durch Joseph George Meinerts 'Alte teutsche Volkslieder in der Mundart des Kuhländchens'. Yor diesem Titelblatt steht noch ein Blatt mit einem Kupferstich (an einer Eiche eine Harfe angelehnt, dahinter ein Wasserfall und ein schlossgekrönter Berg) mit der Überschrift 'Der Fylgie'. Meinert war durch seine Beschäftigung mit literarischen, ge- schichtlichen und ethnographischen Stoffen, sowie als Professor der Ästhetik und Geschichte der Wissenschaften an der Universität in Prag (1806 bis 1811) für seine beste Leistung fachmännisch vorgebildet. Von dem Wunder- horn angeregt, das ihm Brentano in Prag im Spätherbst 1811 persönlich übergeben hatte, bereitete Meinert, nachdem er durch zwei volle Jahre aus dem Munde von etwa hundert Sängern eine Sammlung von 150 Stücken zustande gebracht hatte, seine vielseitige Ausgabe von Balladen, Liebes-, Fabel- und Weihnachtsliedern, Kinderreimen und Rätseln ungemein sorg- fältig vor. Das erweisen seine Angaben in der Vorrede. Er befragte 'über ein und dasselbe Lied nicht bloss einen Mund, und zwar mehr als

1) Bei der Darstellung des letzten Jahrhunderts hatte ich mit zwei grossen Schwierig- keiten zu rechnen. Zunächst mit der einen, die chronologische Aufeinanderfolge mit der Behandlung der Fortschritte auf den verschiedensten Gebieten der Volksdichtung ins Ein- vernehmen zu bringen, und ferner mit der Gefahr einer Überwucherung der Bibliographie über die Darstellung. Das Gebiet der 'sachlichen Volkskunde', welches in den letzten Jahrzehnten ungemein fruchtbar betrieben wurde, musste ich völlig weglassen, weil ich als Literarhistoriker die Geschichte der deutschen Volkskunde im wesentlichen nur im Rahmen der Literaturgecchichte zu schildern versucht habe. Ich weiss wohl, dass dadurch wichtige Abschnitte aus dem Kreise der Volkskunde wegfallen, doch werden die Leser dieser Zeitschrift über die neuesten Fortschritte der sachlichen Volkskunde durch die ständigen Berichte von Prof. Dr. 0. Lauffer ausgezeichnet unterrichtet. Zur Ent- lastung meiner bibliographischen Angaben ist mir sehr zugute gekommen die, Herbst 1900, in zweiter, bis zum letzten Jahre vermehrter Auflage erschienene lückenlose Übersicht über die aus mündlicher Überlieferung geschöpften Sanmilungen der deutschen und nieder- ländischen Volkspoesie von John Meier (H. Pauls Grundriss der germanischen Philologie 'J. Aufl. 2, 1, 1178—1297). Nach kurzen wertvollen Vorbemerkungen werden hier bei allen Absclmitteii: Volkslied, Sagen und Märchen, Sprichwort, Rätsel, Volksschauspiel, die Bibliographie, die Schriften über den bctrctfenden Gegenstand und sämtliche allgemein deutscheu und landschaftlichen Sammlungen verzeichnet.

Geschichte der deutschen Volkskunde. 291

einmal, sondern die verschiedenen Sänger gleichsam als ebenso viele, mehr oder minder reichhaltige, leserliche und abweichende Handschriften, aus denen sich der Text zusammentragen und durch sorgfältige Ver- gleichung in seiner möglichst schönen Gestalt herstellen lasse'. 'Jedes Bruchstück zu heilen, jede Lücke auszufüllen, jede Verbildung durch das Schönere zu verdrängen wird vielleicht der ausgedehntesten Nachforschung nicht gelingen; aber daran zu verzweifeln, ziemte wenigstens nicht mir'. Er nahm fast alles in seine Sammlung auf; denn er meint, 'auf jeden Fall ist äusserst weniges, was das Volk in seiner alten Mundart singt, ganz ohne dichterischen Wert'. In der Würdigung seiner Sammlung hebt er mit Recht hervor, dass diese die 'christlich-mythische' Weltanschauung und die Lebensverhältnisse des deutschen Mittelalters wiederspiegelt. Die vor seiner Ausgabe erschieneneu Liedersammlungen von Herder, von Nicolai, das Wunderhorn, auch die Zeitschrift Bragur und die Märchen der Brüder Grimm zieht er zu vergleichenden Anmerkungen heran. Die damals allgemein verbreitete Anschauung der Gebildeten, 'es sei mit Liedern, die in einer Bauernsprache herausgegeben werden, auf weiter nichts abgesehen, als auf behagliche Erschütterung des Zwerchfelles', will er durch seine mundartlichen Lieder bekämpfen. Durch eine geschickte, verständige Schreibung erreichte er ein wohltuendes Ebenmass und Gleichartigkeit des mundartlichen Gewandes. Durch seine eingehende Darstellung der Mundart des Kuhländchens und das mit Erläuterungen versehene Wörter- verzeichnis im Anhang hat seine Ausgabe auch der Dialektforschung eine frische Quelle erschlossen^).

1) Unter dem Titel: 'I. Band. Wien und Hamburg. 1817'. Doch ein zweiter Band ist nicht erschienen. 'Unveränderter Neudruck, herausgegeben vom Deutschen Volkslied- Ausschuss für Mähren und Schlesien. Mit Bildschmuck und einer biographischen Ein- leitung nebst Vorwort zum Neudruck von Josef Götz', Brunn li)09. Dieser Abdruck ist sehr dankenswert, weil Meinerts überaus wertvolle Sammlung seit langem nur schwer zu be- schaffen war. Götzens Einleitung bringt auf Grund neuer Funde ein knappes, doch ab- gerundetes Lebensbild Meinerts und einen Bericht über seine poetischen und gelehrten Schriften. S. XXIII* wird erwähnt, dass gleichzeitig, doch unabhängig von Meinert, ein Fulnecker Grossbürger Felix Jaschke mundartliche Lieder mit Melodien (ISIS. Hand- schrift im Landesarchiv zu Brunn) aufgezeichnet hat. Da Meinerts Sammlung keine Singweisen enthält, so hat sich Götz der Mühe unterzogen, Melodien dazu aufzuspüren und einen grossen Teil bereits gefunden, die erst in der vom Unterrichtsministerium ge- planten Ausgabe 'Das Volkslied in Österreich' herauskommen werden. Zu bemängeln ist, dass bei der Anordnung des Neudruckes die Zugaben Götzens und die bibliographischen An- merkungen Josef Matzuras zwischen die verschiedenen Abschnitte der Meinertschen Aus- gabe eingeschoben wurden, so dass das Neue von dem alten Bestand sich nicht deutlich abhebt. Wenigstens hätte das im Inhaltsverzeichnis ausdrücklich betont werden sollen. Fylgie gebraucht Meinert männlich, obwohl im Nordischen, wie nach seiner eigenen Mit- teilung im Kuhländchen diese Schutzgeister als weiblich angesehen werden. Das theatralische und unnatürliche Auftreten der Fylgie, wie sie in der Vorrede geschildert wird, entspricht durchaus nicht dem Wesen der nordischen Fylgjen (vgl. Eugen Mogk, Mythologie iu Pauls Grundriss der germanischen Philologie ^^ '2. Aufl. 3, 251 und 371 f.). Zweifellos liegt hier eine Selbsttäuschung Meinerts vor.

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2<)2 Hauffen:

Der schon erwähnten Sammlung deutscher Yolkslieder von Büsching und von der Hagen sind einige Melodien beigegeben. 1810 erschien das vielleicht von dem berühmten Kechtslehrer Anton F. J. Thibaut oder von Arnim und Brentano selbst herausgegebene Liederbuch 'Vierund- zwanzig deutsche Lieder aus dem Wunderhoru, mit bekannten, meist älteren Melodien beim Klavier zu singen' (Heidelberg 1810). Das Wort Weise für Melodie kommt jetzt allgemein in Gebrauch, so bei A. Zarnacks Sammlung 'Deutsche Yolkslieder, zwei Teile mit Weisen' (Berlin 1818 bis 1820) und gleich danach in einer Zusammensetzung bei den 'Öster- reichischen Volksliedern mit 67 Siugweisen, gesammelt und herausgegeben von Franz Ziska und J. M. Schottky' (Wien 1810). Entsprechend der lebenslustigen und wohlhabenden Bevölkerung im Wiener Wald, in den Wein- und Hügelgeländen bis zum Semmering und nach Ungarn hin atmen die hier aufgelesenen, durchaus mundartlichen Kinder-, Liebes-, Schützenlieder und Schnadahüpfeln einen gemütlichen, heiteren und auch übermütigen Geist aus. Nach dem Vorbild Meinerts folgen auch hier Be- merkungen über die Mundart und ein Wörterverzeichnis^). Keine Melodien enthält die heute nur als Nachschlagewerk verwendbare fünfbändige Sammluno- des Freiherrn Friedrich Karl von Erlach 'Die Volkslieder der Deutschen' (1834 1836), die nicht nur Volkslieder, sondern zum grösseren Teile Gedichte bekannter Verfasser von der Mitte des 15. bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts bringt. Den später allgemein ver- wendeten, treffenden, doch in seinen Grenzen fliessenden Ausdruck 'Volks- tümliches Lied' gebraucht Erlach zum erstenmal im letzten Band dieser Sammlung. Früher sagte man dafür volksmässig oder im Volkston. 'Volkstümlich' ist eine Weiterbildung der von dem Turnvater F. L. Jahn geschaffenen Zusammensetzung, die durch sein kraftstrotzendes Buch 'Das deutsche Volkstum' (1810) unseren Sprachschatz bereichert hat.

Im Sommer 1836 begann Heinrich August Hoffmann von Fallers- ieben, durch den Gesang eines Grasmädchens in der Umgebung von Breslau bewogen, schlesische Volkslieder zu sammeln. Glückliche Funde, eifrige Unterstützung seiner Freunde und Aufrufe in Zeitungen förderten rasch sein Unternehmen. Sein Arbeitsgenosse Ernst Richter besorgte gewissenhaft die Singweisen. Die Lückenhaftigkeit und Verkehrtheit mancher Aufzeichnungen machten ihm grosse Mühe. Seine eigenen Er- gänzungen und Berichtigungen bestätigten sich oft durch spätere, bessere Nachsendungen. Abweichende Singweisen für das gleiche Lied hat er nebeneinander gestellt. Er ist der erste, der Volkweisen richtig behandelte, und der erste, der Schüler, nämlich seine Zöglinge am evangelischen

1) Die zweite vermehrte Auflage (1844) gab Tschischka (der jetzt in deutscher Schreibung erscheint) allein heraus. Über den Neudruck von Friedrich Krauss (1906) vgl. oben 17, 206.

Geschichte der deutschen Volkskunde. 293

Lehrerseminar in Breslau, zur Mitarbeit heranzog. Ein Vorgehen, das bis heute mit grossem Nutzen befolgt wurde. Als wertvolles Ergebnis der ge- meinsamen Arbeit erschienen 1842 'Schlesische Volkslieder mit Melodien aus dem Munde des Volkes gesammelt'. HofPmann gab überdies in den nächsten Jahren zahlreiche verschiedenartige Sammlungen heraus: Politische Gedichte aus der deutschen Vorzeit, Deutsche Gesellschaftslieder des 16. und 17. Jahr- hunderts, Volksgesangbuch, Die Kinderwelt in Liedern. Auch sind viele seiner einfachen, gemütvollen Gedichte zum Eigentum des Volkes geworden. Wenig jünger als die Brüder Grimm, schloss sich Ludwig Uhland auch der Heidelberger Romantik an. Als Dichter und Forscher streifte er bald das Phantastische der Romantik ab und vertiefte sich im immer mehr in das Volkstümliche der alten deutschen Poesie. Durch 'des Knaben Wunderhorn" wurden den Deutschen die Augen geöffnet über das Wesen des Volksliedes, nun musste noch die wissenschaftliche Erforschung und geschichtliche Betrachtung hinzutreten. Wie die Brüder Grimm auf dem Felde der Mythen, Sagen, Märchen und Rechtsbräuche, so hat Uhland mit seiner Ausgabe und Erforschung des Volksliedes, dem Höhepunkt seiner gelehrten Tätigkeit, 'an die Stelle eines glänzenden Bildes mit ver- schwimmenden Umrissen ein klar und scharf nach der Wirklichkeit ge- zeichnetes gesetzt'. Seine Beschäftigung mit dem Minnesang und seine eigenen besten Leistungen als Dichter, die Balladen und lyrischen Gedichte im Volkston, führten ihn zur Sammlung und wissenschaftlichen Behandlung des Volksliedes. Das wurde nun sein Lieblingsgebiet, demgegenüber seine früheren, wertvollen Studien zu Mythos und Sage zurücktraten. Seit 1833, nach seiner Dienstenlassung, verwendete er seine unfreiwillige Müsse zu tief eindringenden Studien und zu weiten Reisen durch ganz Deutschland bis nach Dänemark und Holland, um sich das weit verstreute Material zu beschaffen, das er dann sorgfältig verarbeitete. Bei der Aufsammlung der Lieder waren ihm unter anderen auch Massmann, Freiligrath und Hoffmann v. Fallersleben behilflich. In den Jahren 1844 und 184.5 er- schienen in zwei Bänden seine 'Alten hoch- und niederdeutschen Volks- lieder', die erste ausgesprochen wissenschaftliche und noch heute un- entbehrliche Ausgabe. Sie enthält rund 370 Lieder aus dem ganzen deutschen Sprachgebiet, und zwar nur ältere Lieder nach Handschriften vom 15. bis 18. Jahrhundert und nur ausnahmsweise, wo ältere Auf- zeichnungen nicht erreichbar waren, einige aus mündlicher Überlieferung. Der vorsichtige Gelehrte traute nicht recht dieser Quelle beständiger Ver- fälschung. Die mit feinstem Gefühl aus seinem reichen Bestand getroffene Auswahl ordnete er stofflich an: Liebes- und Naturlieder, Balladen, geschichtliche, Reiter- und Landsknechtslieder, Gesellschaftslieder (Fest-, Trink-, Tanz- und Lügenlieder), Lieder auf bestimmte Berufe und schliesslich religiöse Lieder. Li dem kurzen bescheidenen Vorwort erklärt er ausdrücklich, weil es damals nocli notwendig schien: „Das Ganze ist

294 Hauffen :

weder eine moralische noch eine ästhetische Mustersammlung, sondern ein Beitrag- zur Geschichte des deutschen Yolkslebens". In seinem I^s^achwort begründete er Auswahl und Anordnung, seine gewissenhafte Textkritik, die Schreibung der mundartlichen Lieder und gibt seine Quellen genau an. Mit dieser wissenschaftlichen Verarbeitung, mit der stofflichen Ein- teilung, mit dem . Yerzeichnis der Liederanfänge ist Uhlands Ausgabe Vorbild geworden für alle späteren Liedersammlungen. Uhlands 'Ab- handlung über die deutschen Volkslieder und die umfänglichen, von ausserordentlicher Belesenheit zeugenden, stoffvergleichenden Anmerkungen zur Abhandlung und zur Ausgabe sind erst nach seinem Tode in den 'Schriften zur Geschichte und Sage' (dritter und vierter Band, 1866 und 1869) erschienen. Von den geplanten Studien sind nur vier ausgeführt: Sommer und Winter, Fabellieder, Wett- und Wunschlieder, Liebeslieder, die mit Recht als die feinste Blüte seiner Gelehrtentätigkeit bezeichnet wurden. Wenn auch hier deutlich Jakob Grimms romantische An- schauungen durchschimmern, dass die Kämpfe zwischen Sommer und Winter und die Fabellieder auf alte Göttersage und auf ein irrtümlich an- genommenes Tierepos zurückgehen, so berührt das nicht den Kern dieser Abhandluno-en. Und obwohl Uhland bei seinen Arbeiten und besonders bei diesem ihn so anziehenden Gegenstand nicht nur mit dem Kopfe, sondern auch mit dem Herzen dabei war, so erscheint diese warmblütige, fesselnde Darstellung doch durchaus sachlich und überzeugend. Hier hat sich der Dichter mit dem Forscher verbündet, um ein Werk von tiefer Gründlichkeit und innigem Gemüt in einer durch kunstvolle Gliederung und meisterhafte Bewältigung des überreichen Stoffes vollendeten Form zu schaffen, das ohne Beispiel in unserer gelehrten Literatur dasteht^).

Wie Hoffmann v. Fallersleben und Uhland ist auch Karl Simrock ein gelehrter Literarhistoriker, der sich mit Liebe der Volksdichtung zu- wandte und zvrar ihrem ganzen Umfang nach, freilich nicht mit demselben Erfolg wie Uhland. Bald nach den trefflichen Bearbeitungen deutscher Volksbücher von Uhlands Freund und Dichtergenossen Gustav Schwab (1836) und von Marbach (1838—1847) gab Simrock seine, auf Grund der ältesten Ausgaben erneuerten 'Deutschen Volksbücher' (1839 1843) heraus, welche, wie die von Schwab, oft aufgelegt wurden und die Kenntnisse dieser alten Geschichten in den weitesten Kreisen verbreitet haben. Simrock stellte auch das alte Puppenspiel von Faust her und gab es gleichzeitig mit dem Volksbuch (1846) heraus. In dem gleichen Jahre

1) Die letzte Ausgabe 1H93 in der 'Cottaschen Bibliothek der Weltliteratur'. Der erste und zweite Band enthält die Ausgabe; der dritte und vierte Band bringt die Ab- handlungen mit den dazu gehörigen Anmerkungen, doch nicht die Anmerkungen zu der Ausgabe. Die gehaltvolle Einleitung von Hennann Fischer wurde oben dankbar ver- wertet. — Vgl. E. K. Blümml, Briefe von und an Uhland (Zeitschrift für Bücherfreunde, Neue Folge 1, Heft 5-6).

Geschichte der deutschen Volkskunde. 295

erschienen 'Die deutschen Sprichwörter', ferner 'Das deutsche Kinderbuch' (18J:8), die erste Sammlung deutscher Kinderlieder und Sprüche, 'Die geschichtlichen deutschen Sagen' (1850), welche nur erzählende Gedichte aus Stoffen von Volks- und Heldensagen von bekannten Dichtern und vom Herausgeber selbst bringen, und die aus dem Volksmund geschöpften 'Deutschen Volkslieder' (1851), 'Das deutsche Rätselbuch' mit Nachlesen (1850 1863), wofür Simrock handschriftliche Sammlungen Müllenhoffs verwerten konnte, schliesslich 'Deutsche Weihnachtslieder' (1859) und 'Deutsche Märchen' (1864).

Der erste, der im Sinne von Jakob Grimm eine Darstellung deutscher Sitten und Festbräuche versuchte, war Fr. A. Reimann. Sein Werk 'Deutsche Volksfeste im 19. Jahrhundert' (1839), Geschichte ihrer Ent- stehung und Beschreibung der Feier, von dem nur der erste Band erschien, ist heute noch gut zu verwerten, da der Verfasser auf Grund von sorg-

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fältig verzeichneten Quellen Bräuche und Feste schildert, die längst ver- schwunden sind. Ende der vierziger Jahre erschien ein merkwürdiges, mehrbändiges Sammelwerk 'Das Kloster', eine kritiklose Anhäufung von Abdrücken und von Mitteilungen nach dem Volksmunde, wovon drei Bände Volksüberlieferungen bieten: 'Die gute, alte Zeit' nach handschriftlichen Sammlungen von Reinöhls und der 'Festkalender', sowie 'Sitten und Gebräuche' von F. Kork. Die landschaftlichen Sagen und Märchen- sammlungen der vierziger und fünfziger Jahre nehmen auch Sitten, Bräuche und Volksmeinungen auf^). Den Weg dazu hat A. Kuhn ge- wiesen in seinen 'Märkischen Sagen und Märchen' (1843) und in den mit seinem Schwager W. Schwartz herausgegebenen 'Norddeutschen Sagen, Märchen und Gebräuchen aus Mecklenburg, Pommern, der Mark, Sachsen, Thüringen, Braunschweig, Hannover, Oldenburg und Westfalen' (1848). In der A'orrede dazu bezeichnen die Herausgeber als ihr letztes Ziel, alles was an Sagen und Gebräuchen noch lebendig war, zu sammeln, um so Quellen für die Darstellung der Geschichte des Volksglaubens von den ältesten Zeiten herab, zu gewinnen. Bei der Anordnung erschien es ihnen am zweckmässigsten, die Sagen der verschiedenen Stämme bei- sammen zu lassen, und nur bei den Bräuchen die stoffliche Einteilung beizubehalten. Sie haben sich vorzugsweise an die niederen Stände ge- wendet, da bei diesen die Sage sich in einer oft bewunderungswürdigen Reinheit fortpflanzt. „Dieselben Wörter und Wendungen gehen hier meist von Geschlecht zu Geschlecht, und man hält mit einer Treue daran fest, dass man oft glauben möchte, alle hätten ihre Erzählung nach einem ge- meinsamen Berichte auswendig gelernt". Sie beschweren sich über die Poliziverbote und meinen mit Recht, dass das Volk seine wenigen Feste

1) Vgl. Eugen Mogk, Sitte. (In H. Pauls Grundriss der germanischen Philologie '> 496-499).

296 Hauflfen:

als Vereinigungsorte zu gemeinsamen Vergnügen liebe: „sie sind die einzigen Haltpunkte für seine Einheit, und da man bisher nichts Besseres an die Stelle der alten Gebräuche zu setzen wusste, so lasse man sie ihm und suche sie nur von ihren Auswüchsen zu befreien". Die Feste, Lieder und Sagen „sind das einzige poetische Element im Leben des Landvolkes, und man wird nicht leugnen wollen, dass sie oft einen veredelnden Einfluss auf seine rauhe Derbheit üben". Die Herausgeber bringen auch be- merkenswerte Aussprüche von Leuten aus dem Volke bei, z. B. von einem Halberstädtischen Bauer: „Der alte Fritz hat die Zwerge verjagt, aber Napoleon hat allen Spuk aus dem Lande vertrieben". Dieser Sammlung ist ein ausgezeichnetes Sachregister beigegeben, wohl das erste und auf lange hinaus das einzige Beispiel dieser Art.

Karl Müllenhoffs 'Sagen, Märchen und Lieder der Herzogtümer Schleswig-Holstein und Lauenburg' (1845) sind eingeteilt in die Gruppen: Historie von der ältesten bis in die neuere Zeit, Thaumaturgie, Mythologie und Poesie (Märchen, Schwanke, Fabeln, Kinderreime, Rätsel, Segen und Sprüche). Die Lieder, zum grössten Teil erzählende, sind nach ihrem Inhalt unter die Sagen und Märchen eingereiht. Eine schwer gelehrte Einleitung berichtet über die Geschichte der deutschen Volkspoesie und den mythologischen Wert dieser Ausgabe. Am Schluss folgt ein kurzer Aufruf zur Sammlung von Sitten und Bräuchen, der mit seinem eng- gepackten Reichtum noch heute als Richtschnur dienen kann.

Rasch hintereinander folgen dann ganz ähnliche Sammlungen von E. Sommer 'Sagen, Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen' (1846), F. Panzers 'Bayerische Sagen und Gebräuche' (1848 und 1853)» Ign. V. Zingerles 'Sagen, Märchen und Gebräuche aus Tirol' (1859) und Ernst Meiers 'Sagen, Sitten und Gebräuche aus Schwaben' (185'2). Die letztgenannte Sammlung ist nach dem Vorbild der Brüder Grimm in mythische und geschichtliche Sagen eingeteilt; das dritte Buch bringt Sitten, Gebräuche und Volksmeinungen. In der deutlich von Kuhn be- einflussten Vorrede teilt der Verfasser mehreres aus seinem Umgang mit dem Volke mit, das er offen und ehrlich wie eine Kinderseele gefunden hat. Ein künstlich angelegter Eroberungsplan werde bei natürlichen Menschen ohne Erfolg bleiben. Auch Meier wendet sich gegen die Polizei- verbote und gegen das ungerechte Vorgehen der pietistischen Seelsorge. Ein krasses Beispiel von beschränkter Gelehrtheit wird hier mitgeteilt. Ein Grammatiker wollte ihn von dieser Arbeit abhalten, mit dem Einwand, 'die Schwaben besässen ja kein Imperfektum, könnten mithin auch nicht erzählen'!

Für den weiteren Stoffkreis, mit dem sich jetzt die Sammler und Forscher beschäftigen, kommt die sehr zutreffende Bezeichnung Volks- überlieferungen auf. Sie erscheint 1848, wohl zum erstenmal auf dem Titel des Buches von J. F- L. Woeste 'Volksüberlieferungen in der Graf- schaft Mark'.

Geschichte der deutschen Volkskunde. 297

Der grosse, aus dem Geist der Romantik geborene Gedanke der Brüder Grimm von der Einheitlichkeit aller Äusserungen des Volkes und ihrer ununterbrochenen, in immer neuen Formen lebendig bleibenden Ent- wicklung, bewirkte auch die Vorstellung, dass die von ihnen eingebürgerten, gelehrten Begriffe 3[ythus, Märchen und Sage, die sich zu scharfen Formen auswuchseu und bald schieden, was sie nur ordnen sollten, einander abgelöst hätten. Aus dem Mythus also seien später Märchen und Sage erwachsen und ihr wahrer Sinn sollte nur durch Rückführung auf ihren mythischen Ursprung zu erfassen sein. Ihr Lieblingsbeispiel dafür war das Märchen vom Dornröschen, welches ihnen als Nachklang des Mythus von Brünhild, Odin und Sigurd erschien. Das haben sie als sicheres^ Ergebnis in den Anmerkungen zu den Märchen (1856) ausgesprochen^J. Diese anziehende Auffassung, die mit ihrer werbenden Kraft nachwirkte, wurde von Theodor Benfey erschüttert. In seiner Einleitung zu der Bearbeitung der indischen Märchen- und Fabelsammlung 'Pantschatantra" (1859), die auf lange Zeit das Vorbild für die vergleichende Märchen- forschung wurde, zeigte er, dass die germanischen Märchen nicht eine Ausstrahlung der heimischen Göttermythen, sondern wie bei anderen Völkern aus dem Orient eingewandert seien. Indien sei das Quelland, dessen reiche Ströme sich im 11. Jahrhundert über Europa ergossen. Das Verdienst dieser Ausführungen ist die Erkenntnis, dass Märchen, Schwanke, kurze Geschichten frei über die Erde hinwandern. Spätere Untersuchungen haben auch Benfeys Annahme von der Ausbreitung ausländischer Märchen über Asien, Europa und Afrika bestätigt, doch anderseits nachgewiesen, dass diese Wanderungen viel früher begannen und dass nicht nur aus Indien, sondern auch aus Ägypten, dem ältesten Kulturland, aus Griechen- land u. a. Märchen nach Westeuropa gedrungen sind, und dass sich auch bei überseeischen Völkern, sogar bei den Ureinwohnern Amerikas zahl- reiche verwandte Märcheumotive wiederfinden. Die englischen Anthropo- logen Tylor, Lang, Frazer haben wieder autochthone Abstammung der Märchen in den verschiedenen Ländern behauptet. Diese gegensätzlichen Anschauungen Hessen sich doch miteinander vereinigen. Gewiss ist es, dass indische und sonstige fremde Stoffe die germanische Märchenwelt beeinflusst haben, auch in späteren Zeiten durch die ausgebildete Er- zählungstechnik der Orientalen, aber andererseits sind bei allen A-'ölkern so viele Keime zur Mythen- und Märchenbildung gemeinsam, dass sich auch deutsche Märchen, wie Schneewittchen, Goldener, Allerleirauh, das Wasser des Lebens, der Meisterdieb u. a. ganz selbständig entwickelt

1) Märchen 0^ 85. Friedrich Vogt, Dornröschen-Thalia (Beiträge zur Volkskunde. Festschrift Karl Weinhold zum 50 jährigen üoktorjubiläum, dargebracht von der schlesischeu Gesellschaft für Volkskunde, Breslau 18%) S. 195—237. H. Hamann, Die literarischen Vorlagen der Kinder- und Hausmärchen und ihre Bearbeitung durch die Brüder Grimm (Berlin 190(;).

•298 Hauffen:

haben konnten und dass die Ähnlichkeit mit fremden Motiven auch nur aus den allen Völkern gemeinsamen Anschauungeai erklärt werden könne. Die Frage, ob allgemein menschliche, gemeinsam indogermanische oder gemeinsam germanische Keime vorliegen, ob die Märchen von Volk zu Volk wandern oder in späterer Zeit aus der Kunstdichtung ins Volk dringen, kann nicht grundsätzlich entschieden, sondern muss bei jedem einzelnen Märchen sorgfältig untersucht werden, wobei man wohl nur selten zu unbedingt sicheren Ergebnissen kommen dürfte^).

Den Grimmschen Märchen am nächsten stehen an Zeit, Güte und Beliebtheit Ludwig Bechsteins Märchenbücher (1846 und 1856), die bis y.ur Gegenwart immer wieder neu aufgelegt werden. Bechstein, der auch einige Märchen- und Sagensammlungen seiner Heimat Thüringen heraus- gegeben hat, war der erste, der über die verschiedenen Arten der Volks- erzählungen, Mythus, Sage, Märchen und die Nebenformen Fabel und Schwank, die trotz mannigfachen Übergängen und Mischungen in den reinen Typen deutlich voneinander zu scheiden sind, eine grössere theoretisch-geschichtliche Darstellung 'Mythe, Sage, Märe und Fabel im Leben und Bewusstsein des deutschen Volkes' (1854 und 1855) geschrieben hat, in welcher er den ganzen damals erreichbaren Stoff zusammenfassend, verarbeitete. In demselben Jahrzehnt sind noch die Märchensammlungen von J. W. Wolf (1845 und 1851), Heinrich Pröhle (1853), E. Meier für Schwaben (1852) und Ignaz und Josef Zingerle für Süddeutschland (1854) erschienen.

Jakob Grimms Mythologie hatte indessen einen sehr eifrigen, doch vielfach dilettantischen Betrieb hervorgerufen, weil viele seiner Nachfahren gerade die unrichtigen Anschauungen ihres Meisters weiterführten und übertrieben. In Bräuchen und Volksmeinungen, in Sagen und Märchen witterte man nun Reste uralten Götterglaubens, die ohne weiteres mit nordischen Mythen zusammengeworfen wurden. Diese verkehrte Auf- fassung wurde besonders durch Karl Simrocks 'Handbuch der deutschen Mythologie mit Einschluss der nordischen' (1853 55) weitverbreitet, und sie beeinflusst noch heute Dilettanten in schädlichster Weise. In der von J. W. W^olf 1853 begründeten Zeitschrift für deutsche Mythologie und Sittenkunde liefen die mythologischen Aufsätze in den gleichen Spuren, doch enthielt sie wertvolle Beiträge über Brauch und Volksglauben aus verschiedenen deutschen Gegenden. Es war das Verdienst dieser Zeit- •schrift, dass in den nächsten Jahren die Beschäftigung damit einen solchen Aufschwung genommen hatte, dass die reichhaltige, abgerundete Zu- sammenfassuno; von A. Wuttke 'Der deutsche Volksaberglaube der Gegen-

1) E. Bethe, Mythus, Sage und Märchen (Hessische Blätter für Volkskunde 4, S. 97 bis 142). F. V. d. Leyen, Zur Entstehung des Märchens (Archiv f. d. Studium der neueren Sprachen und Literaturen 11:5, 249-2G9. 114 1—14: 115, 1-21.- 273-289; HG, 1—24. 282-300).

Geschichte der deutschen Volkskunde. 299

wart' (1860) möglich wurde ^). Der Verfasser, Professor der Theologie in Halle, unterscheidet in der Einleitung und im Schlusswort vorsichtig die christliche und die heidnische Religion von dem Aberglauben und da noch besonders den einheimischen 'mehr natürlichen' Volksglauben der ländlichen Schichten von dem 'widerwärtigen und lächerlichen' Aber- glauben der Gebildeten. Kirche und Schule, mahnt er, sollten nicht alle, besonders nicht die mit der Sitte verwachsenen Yolksmeinungen aus- rotten. Trotzdem der Verfasser an diesen Stoff als protestantischer Theolog herantrat, ist die Darstellung durchaus sachlich gehalten. Diese, aus Büchern, handschriftlichen Mitteilungen und eigenen Aufzeichnungen des Verfassers geschöpfte übersichtlich geordnete Darstellung wird noch auf lange "die reichste Schatzkammer des Volksaberglaubens' bilden. Spätere verwandte Bücher wie E. L. Rochholz 'Deutscher Glaube und Brauch im Spiegel der heidnischen Vorzeit (1. Deutscher Unsterblichkeitsglaube, 2. Altdeutsches Bürgerleben'. 1867) und Ch. Rogges 'Aberglaube, Volks- glaube und Volksbrauch' (1890) und andere können sich mit Wuttkes ab- gerundetem Stoffe nicht messen.

W. Schwartz hatte aus seiner Beschäftigung mit Sitten und Sagen erkannt, dass noch zu seiner Zeit im Volke ein reicher mythischer Grund- stock vorlag, der Jahrtausende überdauert hat und sich im Kern bei fast allen Völkern findet, welcher also viel älter ist, als der, eine höhere Kultur voraussetzende und nur kurze Zeit währende Glaube an Götter. Diese unanfechtbare Erkenntnis hat er in der Schrift 'Der heutige Volks- glaube und das alte Heidentum mit Bezug auf Norddeutschland' (18J:9) niedergelegt. Er verfolgte diesen Gedanken weiter in zahlreichen Schriften und eröffnete so die Forschungen auf dem Gebiete der niederen Mythologie, wie er diese Anschauungen von niederen mythischen Wesen, den Eiben, benennt, im Gegensatz zu der höheren Mythologie, der Götter- kunde, die bei den Germanen in den eddischen Dichtungen vertreten ist. Den Ausgang der Eiben und Dämonen erblickt er in den Naturerscheinungen, geht aber in seiner Beweisführung insofern willkürlich vor, als er auch bei den jüngsten Sagen mythischen Kern voraussetzt. Schwartz, ferner sein unvergleichlich kritischer vorgehender Schwager Adalbert Kuhn, besonders mit seiner 'Herabkunft, des Feuer- und Göttertrankes' (1859 bis 1886), sowie der Indogermanist Max Müller, mehr auf sprachlichem Gebiete, sind die Begründer der vergleichenden Mythologie geworden. Schwartz hat durch seinen Nachweis, dass bestimmte Anschauungen ein notwendiger Ausfluss allgemein menschlicher Natur auf ältester Stufe

1) Zweite völlig neue Bearbeitung (18(39). In der dritten Bearbeitung bat Elard H. Meyer (1900) den Grundstock und die Auffassung dieses Buches nicht angetastet, doch die Belege nach inzwischen erschienenen Sammlungen und nach eigenen Forschungen, besonders aus Südwestdeutschland, reichlich vermehrt und Versehen berichtigt. Mit der Zeit wird natürlich dieser Gegenstand eine völlig neue Darstellung erheischen.

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seien, der 'Anthropologie der Naturvölker' (1859 1864) von Theodor Waitz vorgearbeitet. Die Ergebnisse der Werke der von Waitz aus- gehenden Ethnographen A. Bastian und des Engländers Gt. Tylor wurden zur Erhellung der Vergangenheit der Kulturvölker, also namentlich der Deutschen und der Engländer, herangezogen. So entstand eine Völker- kunde, die auch der Volkskunde zugute kommen sollte^).

Nach Wolfs Tode führte Wilhelm Mannhardt dessen Zeitschrift bis zu ihrem Eingehen (1859) weiter. Von dilettantischen Versuchen auf dem (lebiete der Märchenmythologie arbeitete er sich allmählich zu einer historisch-philologischen Kritik und zu einem eigenen Standpunkt empor. Er folgte den Bahnen von Kuhn und Schwartz, stellte aber seine Forschungen auf eine breitere und festere Grundlage. Er fand bald, dass Volksglaube und Brauch der Gegenwart ältere und echtere Elemente darbieten als Lied und Märchen. Seinen gross angelegten Plan, einen 'Quellenschatz germanischer Volksüberlieferungen' zu schaffen, verfolgte er mit ganzer Kraft und sicherer Methode. Sein sorgfältig ausgearbeiteter Fragebogen über alle beim Ackerbau gebräuchlichen Sitten und Meinungen wurde in vielen Tausenden über ganz Deutschland und ins Ausland ver- sendet. Er selbst machte weite Reisen, um ein möglichst vollständiges Material zu beschaffen. Seine überaus umfänglichen Sammlungen, die jetzt auf der Königlichen Bibliothek in Berlin liegen, hat er nur zum Teil verarbeitet. In den sechziger und siebziger Jahren erschienen seine wichtigsten Werke, über den 'Roggenwolf und Roggenhund', die 'Korn- dämonen', 'Wald- und Feldkulte'. Er unterscheidet hier verschiedene Schichten der Überlieferung, die ineinander und nebeneinander fliessen, und verfolgt auch die fortwährenden Einflüsse der Um- und Neubildung. Sein ziemlich kühnes und abstraktes System eines Vegetationsdämonen- kults hat sich keine Anerkennung verschaffen können. Trotzdem hat Mannhardt Schule gemacht in Deutscliland wie in England und dort besonders auf Frazer eingewirkt.

Trotz dieser wertvollen Bestrebungen kam es nicht zu grösseren be- friedigenden Ergebnissen. Viel Schweiss geistiger Arbeiter floss ver- geblich, viel Kraft wurde zersplittert. Und das ist um so schlimmer, als gerade um die Mitte des 19. Jahrhunderts weite, blühende Gefilde von Volksüberlieferungen durch den heissen Odem der Industrie und gross- städtischer Kultur versengt worden sind. Es ermangelte eines Zusammen- schlusses, eines bewährten Führers, einer leitenden Zeitschrift, einer Be- zeichnung für den allmählich in der Stille wachsenden Wissenszweig. Ein Name ist nicht immer Schall und Rauch; eine glückliche Bezeichnung kann zu einem Programm werden, zu einer flatternden Fahne, um die

1) Eugen Mogk, Geschichte der germanischen Mjthologio (H. Pauls Grundriss der germanischen Philologie 2. Aufl. 3, 238 247. Strassburg 1!)00). Die Behandhing der volkstümlichen Sitte der Gegenwart (ebd. 3, 493—5307.

Geschichte der deutschen Volkskunde. 301

sich die Streiter zu gemeinsamer Arbeit schareD, Streiter, die sonst ver- einzelt blieben oder in Beschaulichkeit verharrten.

So geschah es, dass die Engländer uns mit der Ausgestaltung eines besonderen Wissenszweiges, mit einer neuen Bezeichnung und einer gross angelegten Sammeltätigkeit zuvorgekommen sind. In England, wo bereits 1725 durch die 'Antiquitates Vulgarenses' von H. Bourne^) eine ergiebige Quelle erschlossen wurde, hat William John Thoms durch einen in der bekannten Wochenschrift 'The Athenaeum' 1846 erschienenen Aufsatz die Volkskunde in Eluss gebracht. Thoms geht von Jakob Grimms Mytho- logie aus, die er als Vorbild rühmend empfiehlt, und spricht den Wunsch aus, dass in allen Gegenden Grossbritanniens ein ähnlicher Stoff aufge- sammelt und dem Athenaeum eingesendet wercJe. Hier schlägt er für die älteren, nicht zutreffenden Bezeichnungen 'Populär Antiquities' oder 'Populär Literature' ein neues Wort, 'a good Saxon Compound", Folklore vor'). Dieser Aufruf wirkte wie ein Zauberstab-, neben reichlichen Ein- sendungen an diese Zeitschrift entstanden in allen englischen Landschaften von 1850 ab eigene Monographien mit dem Titel 'Folklore'. Zeitschriften und Vereine für Folklore wurden allerdings erst vom Ende der siebziger Jahre ab begründet. Diese Bezeichnung, die also Thoihs geschaffen und deren Umfang er begrenzt hat, drang dann zu den übrigen germanischen und den romanischen Völkern. In Deutschland bedienten sich besonders Dilettanten dieses Fremdwortes und nannten sich mit eitlem Stolze 'Folk- loristen', damit es gelehrter klinge. Und gerade in Deutschland wurde dieses Wort lange in unrichtiger Bedeutung verwendet, als die Wissen- schaft oder die Lehre vom Volke, also gleichgesetzt der Bezeichnung 'Volkskunde'. Folklore bedeutet aber nicht eine Wissenschaft, sondern den Gegenstand, den Stoff kreis einer Wissenschaft, the lore of the people; also sie entspricht unserer Bezeichnung 'Volksüberlieferungen' ganz genau.

Inzwischen ist in Deutschland ein Dichter und Gelehrter aufgetreten, der Aufgaben und Probleme für die Zukunft angedeutet und der Wissen- schaft Lösungen vorweggenommen hat, Wilhelm Heinrich Riehl. Er selbst pries Moser als einen Meister und Seher, und zwar den Moser der 'Patriotischen Phantasien'. Das Studium dieses Vorbildes befähigte Riehl Volksstämme, Stände und Berufe in ihren besonderen Lebensäusserungen zu verfolgen und das Volkstümliche, das Moser entdeckt hatte, sicher zu erfassen. Wie Moser ist auch Riehl in seinem Denken von der Romantik beeinflusst, besonders in der verklärenden Auffassung des Mittelalters. Seine Schriften sind mehr anregend als belehrend. Von Haus aus Journalist, behält er in seinem Stil die Vorzüge und Unarten dieser Zunft bei. Riehl betrachtet das

1) umgearbeitet von J. Brand 1777, H. EUis 1813, W. E. Hazlitt 1870.

2) G. Kossinna, Folklore, oben 6, 188—192.

302 Hauffen:

Volk, welches er auf weiten Fusswanderungen kennen und lieben gelernt, sowie in zahlreichen Schriften geschildert hat, als eine plastische Persön- lichkeit, als ein harmonisches Kunstwerk. Seine Antithesen sind allerdings überscharf, und seine Sinnbilder für Ideen können der Kritik nicht stand- halten. Er will das Land und die Leute ineinanderschauen; eine Ver- flechtung von Bodengestalt, Geschichte und Menschenart schwebt ihm vor, während heute die Volkskunde das Land um der Leute willen betrachtet. Wie Moser in der Zeit der Aufklärung in politischer Absicht schrieb, sa Riehl in der Zeit des beginnenden Liberalismus. Seine 'Naturgeschichte des deutschen Volkes' entstand unter dem Eindruck der Revolution von 1848. Ähnlich wie Moser war er besorgt um die gefährdete Eigentüm- lichkeit der alten Landschaften und Stände. Da Kiehl den Standescharakter am reinsten bei den Bauern gewahrt sieht, so waiidte er diesen seine ganze Zuneigung zu, die er freilich in seinen feinsinnigen Schilderungen idealisiert. Sein Herz war bei den 'Mächten des Beharrens', beim Knorrig- bodenständigen. Bei seiner geschichtlichen Einsicht konnte er sich der freien Entwicklung nicht entgegenstemmen. Verwirrung und Unverstand der Revolution hat er miterlebt, doch konnte er sie nicht als Unheil an- sehen. Seine Anschauung, sein Stil sind ganz anderer Art, als bei den Schriftstellern des Vormärz^). Sein grosses Lebensziel war die Ausbildung einer deutschen Volkskunde. Mit seiner ausgezeichneten Monographie 'Die Pfälzer' (1857), wo die Entstehung dieser mannigfaltigen Stammesart aus den natürlichen, das wirtschaftliche Leben gestaltenden Bedingungen erklärt wird, hat er ein Vorbild für zahlreiche ähnliche Arbeiten ge- schaffen. Unter seiner Leitung entstand das fünfbändige geographisch- ethnographische Werk 'Bavaria' (1859—1867). In seinem 1858 gehaltenen Vortrag 'Die Volkskunde als Wissenschaft' erscheint zum ersten Male dieses bestimmt von ihm geprägte Wort Volkskunde. Er kann darum auch als der Taufpate dieses jungen Wissenszweiges bezeichnet werden. Der Gehalt dieses Vortrags lässt sich kurz mit seinem eigenen Ausspruch zusammenfassen: „Die Volkskunde selber aber ist gar nicht als Wissen- schaft denkbar, solange sie nicht den Mittelpunkt ihrer zerstreuten Unter- suchungen in der Idee der Nation gefunden hat." Weiters zieht er hier die Grundlinien einer wissenschaftlichen Volkskunde, wie er sie sich vor- stellt und wünscht, wie sie aber erst drei Jahrzehnte später verwirklicht werden sollte^). Denn Riehls Bestrebungen wurden in den nächsten Jahren scheinbar vergessen, und das Wort Volkskunde kam erst um 1880 in Gebrauch.

1) E. Gothein, W. H. Riehl (Preussische Jahrbücher 02, 1-27). R. A. Fritzsche, Justus Moser und W. H. Riehl, Gedanken über Volkskunde (Hessische Blätter für Volks- kunde 7, 1-9).

2) Erschienen in den gesammelten Vorträgen : 'Kulturstudien aus drei Jahrhunderten' (1859. 6. Auflage 190;5) S. 225 -251.

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Geschichte der deutschen Volkskunde. 305

Eine ganz anders geartete Persönlichkeit war der Weimarer Ober- bibliothekar Reinhold Köhler, 'dessen Dasein sich im Engen und Engsten abgespielt, dessen Wissen und Wirken aber die weite Welt umspannt hat'. Trotz seiner ausserordentlichen Fruchtbarkeit ist dieser gründliche und vielbelesene Gelehrte nie ein Schriftsteller geworden, weder dem Umfang noch der Form nach. Reichliche Beiträge zu Märchenausgaben, Hunderte von meist kleineren Aufsätzen, Notizen und Besprechungen liegen von ihm vor. Abgesehen von dem weiter ausgreifenden Yortrag über Art, Ent- stehung und Verbreitung der europäischen Märchen (1865) und einigen stoffgeschichtlichen Abhandlungen über Griselda, Genoveva und Hirlanda,. Eulenspiegel, St. Petrus den Himmelspförtner, die Balladen von der sprechenden Harfe und den eingemauerten Menschen, über die Märchen und Allegorien von Glück und Unglück u. a. sind es meist überaus wert- volle Zusammenstellungen von Parallelen. Dieser 'Doktor Allwissend' war der grösste Kenner von Sagen, Märchen und Schwänken der ganzen Welt, die er in ihren Keimen, Zusammenhängen und Veränderungen gewissenhaft und besonnen verfolgte, indem er nie Hypothesen versuchte, sondern nur unsere Kenntnisse auf diesem Gebiet ungemein vermehrte. Auch über Lieder, Sprüche, Rätsel, Sprichwörter, Volksglaube und Brauch verdanken wir ihm manche fruchtreiche Spende, trotzdem hat er die Bezeichnung Folklore nie angewendet. Dieser rührend bescheidene, uneigennützige Mensch war von einer beispiellosen Hilfsbereitschaft den Forschern aller Nationen gegenüber. Aus der Fülle seiner kleinen Schriften wäre viel verschollen und vergessen worden, hätten sich nicht getreue und dazu berufene Freunde das grosse Verdienst erworben, seinen handschriftlichen Nachlass und seine wichtigsten, an abgelegenen Stellen erschienenen Artikel und Rezensionen herauszugeben^).

Von der Mitte des vorigen Jahrhunderts an tritt eine überaus rege Tätigkeit auf allen Gebieten der Volksüberlieferung ein. Darstellungen, methodologische und theoretische Schriften, Ausgaben und Sammlungen folgen einander in ununterbrochener Reihe bis zur Gegenwart. Die Ge- danken und Ergebnisse Mannhardts wurden in Forschungen über Mythen, Kulte und Sagen fortgeführt. Der bedeutendste von Mannhardts deutschen Schülern, Elard Hugo Meyer ist durch die Bearbeitung der vierten Auf- lage von Jakob Grimms Mythologie (1875 1878) tiefer in diesen Stoff eingedrungen, obschon er hier lediglich die Masse von Zitaten, An- deutungen und Einfällen nach ihren Beziehungen zum Handexemplar in

1) Erich Schmidt, Reiuhold Köhler: mit einem Verzeichnis seiner Schriften (oben 2,. 418 - 437). R. Köhler, Aufsätze über Märchen und Volkslieder, aus seinem handschrift- lichen Nachlass, herausgegeben von Johannes Bolte und Erich Schmidt (Berlin 1894). R. Köhler, Kleinere Schriften 1 : Zur Märchenforschung. 2 : Zur erzählenden Dichtung des Mittelalters. 3: Zur neueren Literaturgeschichte, Volkskunde und Wortforschung, hg. von J. Bolte (Berlin 1898—1900). Mit reichen Beiträgen des Herausgebers.

304 Hauffen :

Gruppen zu sondern und durch Erläuterungen und Verknüpfungen in einen verständlichen Zusammenhang zu bringen hatte. In seinen eigenen Ar- beiten, .den 'Indogermanischen Mythen' (1883 und 1887), bildete er das Kiihnsche Periodensystem weiter aus, gewiss beeinflusst von den inzwischen erschienenen religionsgeschichtlichen Schriften Julius Lipperts, wo zum erstenmal Seelenglaube und Kult als Ausgang, und zwar einseitig als einziger Ausgang für Mythenbildungen aufgestellt wird, Meyer nimmt mehrere Schichten an; aus dem Seelenglauben und Totenkult entwickele sich eine Verehrung der in der Natur erscheinenden Seelen, also Natur- dämonen, besonders im Sturm, Gewitter, im Regenbogen und den Ge- stirnen und eine dritte Schicht, nur denkbar bei Völkern mit Ackerbau und staatlicher Kultur, wo Einzeldämonen zu Göttern werden. Er über- schätzte aber den Dämoneuglauben und übertrug später diese einseitige Auffassung auf sein Lehrbuch 'Germanische Mythologie' (1891) und auf die für weitere Kreise berechnete 'Mythologie der Germanen' (1903). Was Meyer versäumte, der Mythenbilduug der einzelnen Stämme und Landschaften ihr Recht einzuräumen, das wurde von Ludwig Laistner in den 'Nebelsagen' (1879) eingehend durchgeführt, indem er bei den Volkssagen die verschiedenen mythischen Erscheinungen aus der Land- schaft erklärte und dadurch deren Zahl vermehrte. In seinem späteren Werke 'Das Rätsel der Sphinx, Grundzüge der Mythengeschichte' (1889), berücksichtigte er auch die aus dem Traumleben erwachsenen Mythen.

In seinen tief eindringenden mythologischen Abhandlungen beschäftigte sich Karl Müllenhoff nur mit höheren Mythen und betrachtete die Helden als gesunkene Götter. Bei den mythischen Quellen ging er mit ebenso strenger Kritik vor wie bei den literarischen Denkmälern, doch seine Schlüsse sind oft allzu kühn. Von Müllenhoff ausgehend, wies Karl Wein- hold in mehreren Einzeldarstellungen, die sich über fünf Jahrzehnte hin- ziehen, auf die Wichtigkeit der Kulte als Wurzeln für Mythen nachdrück- lich hin.

Das beste zusammenfassende W^erk über germanische Kulte rührt von Heino Pfannenschmid her, 'Germanische Erntefeste im heidnischen und christlichen Kultus mit besonderer Beziehung auf Niedersachsen' (1878). Trotz dieser landschaftlichen Beschränkung auf dem Titel werden hier auch die übrigen deutschen Stämme und germanischen Völker reichlich herangezogen. Der Verfasser selbst schöpfte in seiner Heimat Hannover aus dem Volksmund, dann in Franken, in der Pfalz und in seinem späteren Aufenthalt im Elsass. Handschriftliche Sendungen aus verschiedenen Landschaften, Studien in Archiven und die ihm zur Verfügung stehende Literatur bereicherten seinen Stoff. Pfannenschmid verfolgte hier eine ganz besondere Aufgabe, die Zeit der germanischen Völker in ihrem Übergang vom Heidentum zum Christentum an Beispielen darzulegen, wo- für ihm die Erntefeste ihres hohen Alters wegen besonders geeignet

Geschichte der deutschen Volkskunde. 305

schienen, und hier auch zu zeigen, was die Kirche von heidnischen Bräuchen aufgenommen und was sie ausgeschieden hatte und wie unge- mein viel Heidnisches sich in diesen Festen bis zu seiner Zeit noch fort- pflanzte, das als unzertrennlicher Begleiter der christlichen Feiertage auftritt. Wie mehrere seiner Vorgänger ist auch Pfannenschmid der Meinung, dass diese weltlichen Belustigungen zur Gesundheit des Volkes gehören, und wünscht, dass sie von der Kirche nicht lieblos abgewiesen und von der Obrigkeit nicht unverständig verfolgt, sondern mit Einsicht geregelt werden mögen. Die begründende Darstellung ist von den umfänglichen An- merkungen und Ausläufen getrennt; Sach- und Ortsregister, sowie eine oenaue Inhaltsübersicht erleichtern die Benützung. Eine wertvolle Er- gäuzung dazu bilden die Schriften von Ulrich Jahn, 'Die deutschen Opfergebräuche bei Ackerbau und Viehzucht' (1884) und von Alexander Tille, 'Die Geschichte der deutschen Weihnacht' (1893). Eine ähnliche Aufgabe wie Pfannenschmid, doch nicht so gediegen und beweiskräftig führte der katholische Kirchenhistoriker Joh. Nep. Sepp durch in seinem umfänglichen Werke 'Die Religion der alten Deutschen und ihr Fort- bestand in Volkssage, Aufzügen und Festbräuchen bis zur Gegenwart. Mit durchgreifender Religionsvergleichuug' (1890).

An allgemeinen Darstellungen von Festen und Bräuchen ist kein Maugel. Von O. v. Reinsberg-Düringsfelds unkritischer bunter Dar- stellung 'Das festliche Jahr der germanischen Völker' (1863)^) über die einziehende und in gutem Sinne volkstümliche Schrift von Julius Lippert, 'Deutsche Festbräuche' (1884) und die Preisschrift von Rolfs 'Unsere Volksfeste' (1896) bis zu der jüngsten Erscheinung 'Feste und Spiele des deutscheu Landvolkes' von E. Kück und H. Sohnrey (1009). Doch diese und andere verwandte Darstellungen beanspruchen keinen wissen- schaftlichen Wert.

Während vor dem Sagenbuch der Brüder Grimm nur ungefähr ein Dutzend Sagensammlungen erschienen, folgten von 1816 1830 mehr als fünfzig und nach dem Erscheinen von Jakob Grimms Mythologie in dem Jahrfünft bis 1840 allein wiederum ungefähr fünfzig, und von da ab bis zur Gegenwart ein halbes Tausend deutscher Sagensammlungen. Wie in den vierziger und fünfziger Jahren, so bringen auch jüngere Sagen- sammlungen nebenbei Bräuche und Volksmeinungen, so die beiden Aus- gaben von A. Birliuger für Schwaben (1861 und 1873f.) und Karl Bartsch für Mecklenburg (1879), später Karl Reiser für das Allgäu (1895) und J. A. Heyl für Tirol (1897). Erwähnenswert wegen des reichen Bestandes oder wertvoller wissenschaftlicher Beigaben wären noch

1) Der ungenannte Verfasser der Neubearbeitung (1907) behält den völlig veralteten Text bei und fügt nur ganz äusserlich einiges Neue hinzu.

Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1910. Heft 3. 20

306 üörler:

J. W. Wolf für Hessen (1853), Georg Schambach und Wilh. Müller für Niedersachsen (1855), Ignaz Zingerle für Tirol (1859, zweite vermehrte Auflage 1891), drei Bücher von H. Pröhle für den Harz (1854—1886), August Stöber für das Elsass (1852, wozu erst Kurt Mündel in der zweiten ver- mehrten Auflage [1892 bis I896J Quellen und Nachweisungen hinzufügte), schliesslich die Sagenbücher des Preussischen Staates (1871) und des König- reichs Sachsen (1874) von J. E. Grässe.

P^^S- (Schluss folgt.)

Volkslieder aus Tirol.

Gesammelt von f Adolf Dörler.

(Vgl. oben S. 36—44.)

14. Erlebnisse des Senners Klaus.

1. Kimm i hear übarn Brennar, Bia a schmutziger Sennar,

Hun a Bartl wie a Goass.

Madl, mögst nit a wissn, wie i hoass?

2. Hoassn tue i Klaus, In Buggl hun i a Laus, Laus hat rai bissn,

Hat mir an groassn Schlempn aussar grissn.

3. Kimm i hear vu Trins,

Hun i wölln häbn vu sechs Batzn in Zins, Hun i wölln 's Kapital a no habn, Häbn s' mi bein Doarf ausgschlägn.

4. Kimm i hear vu Bamkirchn, Do tian sechs Weber wirchn,

Häbn Schnoatling [Anschnitte von Sägebäumen] einträgn, Und mit Drämml [Stämmen] häbn se 's Zuig gschlägn! Madl, mögst nit a a sölla Brustigfleckl häbn?

5. Kimm i hear vu der Hall er Au,

Hat a Weibele die Knödl ungmächt mit ar Hau,

Mit an Knoschpen [Holzschuh] hat sies eini gemächt!

Hun i decht gelacht.

G. Kimm i hear äft an Georgn, Do hun i 300 Guldn z' erbn;

"Volkslieder aus Tirol. 307

Die halbn hun i verlumpt, die hälbn versoffn, Die halbn hun i schien Gitschnen gschenkt; Zelm hun is gar z'n ergstn troffn^).

7. In ändern Tag war mers hält a schieni gangen, Hätt i gsollt Hennen hüetn, so war i nix kann,

Hun i gnoramen an Knüttl, an dickn und an längen; Teuxl, is dear Huhn \u der Henn dervun gangen!

8. In ändern Tag drau, war mers a schieni gangen; Hätt i gsollt Hennen greifen, so war i nix kann. Hun i oane derwuschn bein ar Griti;

De Henna hat unghebt ze tien und ze schreidn, Do hun is denkt: När lasch es bleibn!

9. Kimm i hear vu Keara,

Do singen die Leut hintern Heara [Geistlichen], Do häbns mi ungstellt a Böckl ze schneidn; Dös Ding hat mi unghebt ze derloadn Und an der Lescht gär nit meahr z' freudn.

10. Kimm i hear zun Tonigstöcklan, Begegnet mir an älts Weibele mit an Böcklan.

Des Böcklan hat unghebt ze bachelen und ze soachn, Dass raer hatt kinnen hundert Elln Tuech bloachh. Nächar is no a Lackn übrig gebliebn, Dass 's hatt an Stampf und a Mühli dertriebn.

15. Mein Häusl.

1. Jetz, Gitsche [Mädchen], ietz werd i Von mein Häusl die Wahrheit sägn; Wenn d' es mir nit glabst,

Kannst an lustign Buebn frägn.

2. Mei Häusl ist so nett und angenehm gebaut; Das Dach ist von ar alten Gitschenhaut,

Der Kamin ist von ar alten Ruebn,

Dianal, du magst glaubn, du bekemmst gwiss an alten Buebn.

3. Die Tür ist von ar lärchenan Rindn, Die hätt i bald ängschürt mit Tabak änzündn. Hinter der Stubntür

Ist a Kätznschwoaf statt an Riegl vür.

4. Hinter der Ofnbänk Liegt a toati Maus kränk.

Der Groassknecht muess sie kuriern,

Und die Kuchldirn muess sie aufs Labl [Abort] führn.

5. Die Ofnhöhla ist a saggrisch weit, Do hat Platz a paar Leut;

1) Damit hab ichs gar am besten getroffen.

20*

308

Dörler:

Des tuet 'n Knecht und der Dirn taugn, Do lässt gär die Dirn in Knecht atie [manchmal] die

Knie unschaugn.

6. Der Ofn ist a saggrisch höh, Brauchet a Loater zun steign auf und o, Aber des Dianal lässt si lei nit derschreckn, Des kiramt ihr oft wohl, Kindsblachelen ze drockn.

16. Das zerbrochiie Häusl.

1. 0 Leutein, was i ietz derfährn, Des könnts enk bildn nit ein,

Die Dürftigkeit därfts nit spärn, AVie's bei meiner Wirtschaft tuet sein:

2. Mai Häusl steaht drobn auf der

Leitn, Bin a koa Stund sicher derbei, Obs mir nit eher tuet reitn [rutschen], Und Spreitz häts a schun zwoa drei.

3. Die Haustür ist freilich derbrochn, Seit's baut woarn ist, ist's hält soviel

läng, Auf 'n Heard kunn i a nimmer kochn. Drum fällt mir jetzt alles zusämm.

4. Die Stubn, die muess i mir ziern. Wenn i amäl selber derhoam,

'n Ofen muess i a no aufführn,

Häb freilich koan Kälch und koan Loam.

8. Und in Speisgwölm ist's gräd wie in Keller, Und der Geldbeutel tuet ällweil an

Scheller, Und die Kistn sein alle so rein, Wie die Kinder in der Unschuld tien sein.

9. Die Kummer [Kammer], de tuet

no älls ziern, Es tuet freili a wieg Schnea eini

führn. Weil fast nicht(s) mehr beianänd hängt, Ist der Strohsäck ganz faul bei der

Wand.

10. Der Tennen, älls derbrochn. Es ist hält älls soviel alt,

'n Heustock ist a nimmer ums Lächn, Er woass a koa Stund, wenn er fällt.

5. Die Stüehl und die Bank und die Sächn Toan Referenz voar anänd inächn. Und wenn mer bein Fenster geaht vir, Und melchen zu ander Leut giehn So siecht mer kräd 's bloasse Papier.

11. Mit Schleglen [Butter rühren] dearf si oane nit plägn, Kuehställ hat koaner koan Bodn; Se muess si hält drauf verstiehn

6. Wenn i mei Diandl in Keller tue

führn. So ist si glei kämmen und hat zu mir

gseit; Dass es gär nit kunn ausser studiern, Was es bei dear Wirtschaft ietz treit.

7. Auf der Tafel stiehn drei Metzn

Rüabn, Sein de no nit sicher voar 'n Diebn, Und unter die Mauern herum. Da häbn die Maus ihrn Sprung. (Oder: Do springen die Maus umedum.)

12. Und wenn i mein Dianal die Feidung

tue zoagn, Wo unsre Peldung tuet stiehn. So muess se mit mir ins Boarn Und Poln und Sachsn und Wien.

13. Da gibt's Acker wohl a ganze

Renkn Und Mahder wohl a g;inze Flenkn, Und essn kunn oane kräd gnueg, Wenn oane nu 's Kochn dertuet. Und kochn kunn oane kräd gnueg, Wenn oane nu 's Essn dertuet.

Volkslieder aus Tirol.

309

17. Bettlerlied.

1. In meiner Stubn

Do geaht der Hm, Hm, Hm, In meiner Stubn, Do geaht der Wind.

2. War fast derfroarn -Mit Weib und Kind.

3. I geah bettlen, Und du geahst mit.

4. I nimm 'n Bettel sack Und du 'n Koarb.

5. I geah ins Dörfl ein Und du in d' Stadt.

6. I bitt a Stückl Broat, Und du an Loab.

7. I säg: Vergelt's Gott, Und du sägst Dank.

8. I kimm in Himmel, Und du in d' Höll.

9. I bin a halber Narr, Und du a gänzer.

10. I tue gern fluechn, Und du tuest hm, hm, hm, Ich tue gern fluechn.

Und du no lieber.

18. I und luei Alte.

1. I und mei Alte alloan

Häbn in Dächbodn a Kammerl alloan, Do häbn mer hält ällm a Gfrett, Weil mer häbn mitsammen a Bett.

2. Und wie si hält 's Mandl umkeahrt. Liegt di Alte schun aussn auf der Eard: Aber Alte, bleib liegn und sei stad!

Jetz hat si auf oamal die Weltkugl draht.

19. Lustig ists ßuebnlebn.

1. Lustig ists Buebnlebn, Derfn koa Steuer nit gebn, Derfn koa Geld nit zahln, Weil mer koans häbn.

3. Lustig ists Bue sein, I tauschat mit koan Hearru, Wenn mi 's Bue sein nimmer freut, Kunn i Frühmesser wearn.

2. Lustig ists Bue sein, Voaraus bein Land, Wenn oar amäl schlüpft. Hat er glei wieder Stand.

4. Wenn i Frühmesser bin, Kunn i Beicht hearn a; Wenn a feins Dienal kimmt, Kunn i 's absolviern a.

20. Das wählerische Mädchen i).

1. Ich hab einst ein Mädchen ge- hört, Die hat sich am meisten beschwert, Sie hat alles durcbkritisiert, Die Männer im Lieben probiert.

2. Es war ihr fast keiner nit recht, Sie schildert an jeden nit schlecht. Drum nenn ich sie alle so dar, Und höret gefällig mich an!

1) Vgl. Greinz-Kapferer 2, 70: 'Jatz losts und seids rüabig und fein'.

310

Dörler:

3. Der Vincenz, der macht ihr zu

viel Gräm, Der Siegmund tut z' einfältig' gehn, Der Schorschl, der ist ihr zu fromm, Der Lipl viel z' dalket und z' dumm,

4. Der Nazi geht z' wenig nach der

Mod, Der Heinrich ist blass wie der Tod, Der Rochus hat Augen wie a Drach, Der Wilhelm zu viel Ausländersprach,

5. Der Ludwig, der schnupft zu viel

Tabak, Beim Loisl gehts bums auf das Gnack, Dem Karl gings gerne zu. Der kriegt halt die andern genug.

6. Vom Gottfried das Köstl ist ihr

z' schwach, Beim Florl ist s Feuer im Dach, Beim Toni gehts allweil verkehrt. Der Hansl ghört unter den Herd,

7. Der Fritz hat z' viel Feuer im

Blut, Dem Ulrich wird öfters nit gut. Der Konrad ist ihr zu faul, Der Michl hat 's Hölzl im Maul,

8. Der Dominikus geht zu wenig zu

der Gailn, Der Elias zuckt ihr die Feign, Der Gabriel wankelt wie a Jad, Der Wenzl greift z' oft auf den Hut,

9. Der Ferdinand hat z' wenig in Blech, Vom Seppl kriegts alle Tag Schlag, Den Ludwig, den möchts weiter nit, Der gibt Tag und Nacht nie koan Fried,

10. Der Anderl ist gschreckig wie a

Ross, Beim Wastl ist die Gurgl viel z' nass. Der Christoph, der ist ihr zu gross. Der Valentin schnarcht wie a Ross,

11. Der Nikolaus, der ist ihr zu klein, Der Poldl ist gar wie a Stein,

Der Jakob, der ist wie a Stock, Der Lazarus stinkt wie a Bock,

12. Der Simon, der ist ihr zu keusch, Der Eduard z' mager im Fleisch, Der Petrus, der hat ja an Glatz,

Der Quirin ist falsch wie a Katz.

13. Jetzt hab ich sie alle benennt, Damit ihr die Mädchen erkennt. Wie zärtlich im Leben sie sind. Bis eine an Liebhaber findt,

14. Ists Madl ein wenig noch jung, Sucht sie unter die Mannsbilder um, Sie braucht bei a vierzig gewiss,

Bis einer ihr anständig ist;

15. Ists Madl amal a dreissig Jahr, Und sei der Bue gar hundert Jahr, Und wenns auch der Teufel selbst war, So müsst er als Bräutigam her.

21. Die zehn Alter des Menschen^).

1. Wie sehr wird euch dies Lied gefallen. Von zehn bis hundert angeführt.

Und in diesen Zehent allen

:,: Das Menschenalter expliziert :,:

2. Was ist der Mensch dann? Ein Meisterstück aus

Schöpfers Händen, An Körper schwach, an Weisheit blind; Mit seinen Gaben und Talenten Ist er bis zehen Jahr ein Kind.

1) Vgl. über die menschlichen Altersstufen oben ir», 399 und IT, IG.

Volkslieder aus Tirol.

3. Dann bis 20: Ist er ein unerfahrner Jüngling, Der alles wissen und können will.

Dann kommt die Lieb, macht ihn zum Dümmling, Verdirbt sein ganzes Lebensziel.

4. Dann bis 30: Ist er ein Mann aus vollen Kräften, Und die Vernunft tritt wirklich ein;

Ist er nun glücklich in Geschäften, So kann er sich des Lebens freun.

5. Dann bis 40: Das ist die schönste Lebensstufe, Er schaut dem Reichtum in den Schoss;

Ist er nun glücklich im Berufe, So ist beneidenswert sein Los.

(3. Dann bis 50: Umschlungen vom Familienkreise, Wo er als Vater sich erblickt; Dann steht er still in seiner Reise Und lebt zufrieden und beglückt.

7. Dann bis GO: Da sieht man schon im Angesichte, Dass das Alter fängt nun an,

Er geniesst die süssen Früchte Von dem, was Guts er einst getan.

8. Dann bis 70: Lebt er in seiner Eignen Mitte Und freut sich immer noch als Greis

Und wirft erziehungsvoll die Blicke Zurück auf seine Lebensweis.

9. Dann bis 80: Da geht die Weisheit wiederum zu

Grunde, Er bittet täglich Gott den Herrn Um eine frohe Abschiedsstunde Und lebt noch immer herzlich gern.

10. Dann bis 90: Ist er, was er einst gewesen, Ein Kind, doch andern nur zum Spott,

Da sind die Worte auserlesen, Er lebt bis hundert Jahr vor Gott.

11. Dann bis 100: Dies Los ist wenigen beschieden. Drum lebet allzeit gut und fromm!

Dann bringt es euch die süssen Früchte Hinüber ins Elysium.

22. Kinderreime.

1. Hott, mei Rössl, hott, mei Braun, 2. Zottl, zott, mei Rössl mein,

Morgn toan mer Haber einbaun. Wenn mer kloan und winzig sein,

Hott, mei Rössl, hott, Wenn mer grösser wearn.

Mir reitn in die Stadt, Reif mer mit die Hearrn,

Wo die grosse Bäurin ist. Wenn mer uns nit traun,

An drei Dutzend Knödl frisst. Reit' mer mit die Fraun.

Hott, mei Rössl, hott, Fraun reitn übern Bach,

Mir reitn in die Stadt. I und 's NN hintn nach.

311

312

Dörler :

o. Heia dutscha rutscha, Kaf mer a silberne Gutscha, Kaf mer a Gutscha Und sechs Schimml drun, Dass i und mei Büebl fährn kunn. Jetz müess mer no a Rössl bschlägn

Und derrait auf Halli (Hall) fahrn,

Um a Massl Meahl,

Um a Massl Salz,

Um a Massl Fisslkern,

Die frisst 's Rössl a soviel gern.

23 bis 30. Sternsinger- oder Klöpfelliederi).

23.

2. „Die Englang tänd singen, Die Müettergöttes tuet spinnen, Die Hiachlang [Hirtlein] tänd blasen, Die Schaf lang tänd grasen."

o. Wenn die Schlüsselang klingen, Wearn s' ins bald uane Kloaperlang [gedörrte Äpfel und Birnen] bringen. Wenn die Spridelang [Holzscheite] krachen, Wearn s' ins bald uane Kiachlang [Küchel] hear bachen.

(Zell am Ziller.) 24.

1. 'Stumpfater Besn, Wo bische gewesn?' „An Himmelreich öbn". 'Was tänd [tun] se denn öbn?'

1. 'Jetz, Joggl, steah gschwind auf, Schloif aussar vun Nest,

Und boat [warte] decht nit völlig Gär all weil auf d' Lescht!

2. 'I hun di jo schun A zwoa dreimal geweckt. Jetz nimm i äft 's Rüetl, Wenns Schrein nit kleckt [hilft]!'

3. „Heut, Väter, heut geistets, Geit mer gär nie koan Fried. Noat ist ietz 's Aufstiehn Hält decht amäl nit.

4. „Mir häm ins jo erst Nit läng niedergelegt, Ist's eppar erst zwölfe? Jetz wenns meahr schlägt."

1. Geahts, lässts enk derzähln, Wie's mir ietz ach geaht: 1 hed [hatte] hält mit Heiratn Viel z' fast an Gneat [zu sehr Eile].

5. 'Du wearst müssen föign, Wenn ich eppas säg.

Geah schaug, wie 's liecht ist, Ist schun umedum Tag!'

6. „Jetz Väter, ietz kimmt mir decht

vir, Der Himmel brinnt o. Es ist schun an Engel Um d' ßrändstuier [milde Gabe für die

Abgebrannten] do.

7. „Schau Väter, dort kimmt oar. Red du, frag 'n, was 's ist,

Aber hält fein höflach Redn tue sist [sonst]!'

(Zell am Ziller.)

25.

2. Die Zergl verbrennt. War noat Strempflar awaus. Die Kräpfn legts ein Wie a trägende Maus.

1) Diese Lieder variieren dieselben Motive wie die von Weinhold (Weihnachtspiele und Lieder aus Süddeutschland 1853 S. 399), Hartmann (Oberbayerisches Archiv 34. 1875), Pailler (Weihnachtlieder aus Oberösterreich und Tirol 1881-83), Wackerneil (Archiv f. neuere Sprachen 102, 1), Leuwald (ebd. 123, 397), Ulr. Schmid (Walhalla ö, 179), Schlossar u. a. veröffentlichten Weihnachtsgesänge.

Volkslieder aus Tirol,

313

3. Es kam raer halt vir, Wenn i kräd a Koch [Mus] kochn kunnt, Es blieb hält decht wienigar Steckn in Schlund.

4. Wenn sie nit so füdisch [spöttisch] war, Decht war i froah.

Mächt se wegn raei noch hundert Jähr lebn Oder gär a zwoa.

(Zell am Ziller.)

26.

1. Geahts, lässts enk derz<ähln "n heutign Schei(n)!

Die Sunnen, weils Nacht ist, Kunns decht schier nit sei.

2. Es singen die Vögel Vun Meer bis as Tüx, Es tänzn die Gans

Und kolt (bellt; der Fuchs.

3. Die Schaf hebn un springen, Decht gär recht verhöllt,

Sie hebn un tänzn,

Dass' die Schwänz aufn schnellt.

4. Die Gans hebt un schrein, Dass es klumpacht in Haus, Und die Hennen de mächens Schier bos awaus.

5. Und äft sitzt si die Graue [Henne] Hält recht hintn u(n)

Und schreit, was sie Kraft hat, Was giggerihu.

6. Ist der Heiland geboren Do untn an Stall,

Was müss mer gien eppar [denn etwa] Bringen amäl?

7. A näglnuis Spatl, A Bital do drein,

Des wur hält den Kindl Wohl uständig [passend] sein.

8. Des fälschate Kitzl Und 's scheckate Lamm, Und äft dessn Huhn Mit 'n zwislign Kämm.

9. Toll braun presste Knödl Und an Pfensar') oben drauf, Des gait hält die Bäurin

n' Jöppl auf. (Tuxer Tal.)

27.

1. S Liedl is gsungen Und s Kreuzarl is gwungen; Wear s Kreuzarl nit geit. Hat 'n Kreuzerles-Neid.

2. S Liedl is gsungen, Dauert nimmar längar,

Und die Muetter schupft Nudl', Die längstn Drümmar.

3. S Liedl is gsungen. Und 's Gsatzl is aus,

Jetz kuglt 's Madl Übars Roandl abaus.

4. Kimmt der Bua, Schaugt ihr zua. Lacht sie brav aus.

5. Die Nudl aufn Heard Sein in Wässer gebächt! Hat der Huhna drein gaget,

Häts assigar [schmackhafter] gmächt.

28.

1. Heut ist die erste Klopf Inächt'-), 0 heut is kalt.

Wenn ihr uns ebbes geben woUts, 0 so gebts uns bald!

1) Pfensar = über die Speise gegossenes heisses Schmalz.

2) Vgl. Erk-Böhme :'.. Kil nr. 1273.

314 Uöiier:

2. Jetzt hab i hören das Schlüssele klingen, I glaub, man wird uns ebbes bringen, Sei es an Zelten oder a Wurst, Das hilft für 'n Hunger und für 'n Durst.

29.

1. Ich tret herein recht knödelfest. Ich grüss den Herrn samt seine Gäst^). Ich grüss den Herrn samt seine Goass,

I möcht gern wissn, wie die Hausfrau hoasst.

2. Die Hausfrau hoasst Anna Pfefferkern, Den Weihnachtszelten, den ess i gern.

Den Weihnachtszelten, der war schon guet,

Wenn mer von die Weinbeern, Mandeln und Zibebn drein tuet.

3. Bin is der Türk und du der Schweizer, Krieg i an Zeltn und du an Kreuzer.

Aha, do hun i schun hearn die Schlüsselang klingen,

Do wird mir die Bäurin gwiss a vier a fünf Kreuzer bringen.

4. Na, na, do krieg i schun gär a Stuck Zeltn!

(Nun fängt der Sternsinger an zu radeln, d. h. er setzt den goldenen Stern auf dem Stecken in kreisende Bewegung.) Und ietz isch es aus und ietz isch es gär, Jetz wünsch i dem Bauer a glückseligs neus Jähr!

5. Und ietz isch es aus und ietz isch es gär, Jetz wünsch i der Bäurin a glückseligs neus Jähr!

(Ebenso allen anwesenden Familienmitgliedern.)

30.

1. Heut, Bauer, sein mer ach amäl do, I wünsch dir nur recht a guets Jähr;

Die Hennen legn a recht toll. Die Gans, de sein federvoll, Weard 's Bett a schien lind Und auf's Jähr a schiens Kind.

2. Jo, Bauer, hast du an schien Stier, Der versieht dir wohl fleissig die Küeh; Die Küeh die wearn alle früeh [kälbern] Do gibts a Milch was wie.

Die Sau tuet a schiene gleich [gedeiht auch gut], Wearn mer stuenewegs reich.

3. Die Töchter sein woltei z' hoach drun, Hun öfter schun sägn gheart dervun,

Jo de sein lieb und fein, Lässn Buebn aus und ein. Gär a zwoa drei Sein all Nacht derbei.

1) Vgl. Schlossar S. 41.

Volkslieder aus Tirol. . 315

4. Jo, Bauer, hast du frische Buebn, De wächsn nett auf wie die Ruebn. Jo, des sein frische Leut, Gehn die Nacht auf d' Weit, Beim Tag do liegns hear, Jo, was willst du no meahr? (Tuxer Tal.)

31. Neujahrslied.

1. Merk fleissig auf, mein frommer Christ, Ein guts neus Jahr vorhanden ist,

Ein guts neus Jahr kommt auch herein, Wir Menschen sollen fröhlich sein.

2. Das alte Jahr vergangen ist. Wir danken dir, Herr Jesus Christ, Dass uns hast in grob Gefahr

So gnädig uns behüt dies Jahr.

3. Wir wünschen dem Herrn Hauswirt im Ehestand Ein guts neus Jahr von Gotteshand,

Wie^der Hausfrauen alsogleich

Ein guts neus Jahr, den gesunden Leib,

4. Wie auch der Jugend Sonderheit. Gott Vater der Barmherzigkeit,

Gott wird euch geben ein guts neus Jahr,

Wie das, was in Gnad uns gewähret war. (Wolfurt.)

32. St. Antonius.

Reponsorium zu dem heiligen Antoni von Padua, so zu betten ist, wenn man in Unglück kommet oder was verliert oder gestohlen wird.

Wer Wunder sucht und Zeichen will, Er vielen wiederbringen tut.

Bei Sankt Antoni findt er viel; Die Gefahr hört auf, die Not vergeht.

Der Tod, der Irrtum, Aussatz, Not, Sein Lob in Padua ewig besteht.

Weicht ab von dannen gar geschwind. Ehr sej dem Vater, Sohn

Wo er Antoni Fürbitt findt. Und heiligen Geist im höchsten Thron.

Die Kranken werden auch zur Stund, Heiliger Antoni, du edler Beichtiger, bitt Da sie ihn bitten, frisch und gesund. für mich.

Das Meer wird still, die Eisenband Dass ich der Verheissung Christi teilhaftig Erbrechen sich ohn alle Hand. werde durch dich. Amen.

Verlornes Geld, verlornes Gut

(Aus einer Abschrift eines sog. Gertraudi-Büchels vom Jahre 1504.)

33. Abschied vom Leben').

1. Ach, muss ich denn allein davon 2. Ich tu ein Reis, die niemand weiss;

Und weiss nicht, welche Strassen! Gott weiss, wie's wird noch gehn.

Ins Grab bin ich gerichtet schon, Herr Jesu Christ, mein Zuflucht bist,

Die Welt muss ich verlassen. Mir tröstlich wollst beistehn!

1) Vgl. im allgemeinen Blümml, Germanische Totenlieder (Archiv f. Anthropologi< n. F. 5, 149- 181).

316

Dörler: Volkslieder aus Tirol.

3. Behüt eucli Gott, all Freunde mein, Euch Nachbarn und Bekannte, Gevatters auch und Eltern mein

Und alle Blutsverwandte!

4. Hab ich was wider euch geredt, Ach, tut mir's doch vergeben.

Denkt nicht mehr dran, was ich getan, Wünscht mir das ewig Leben!

5. Ihr Brüder, Freund, die mir lieb sind, Von euch muss ich abscheiden. Gedenket mein, wann ich werd sein Vielleicht dort in dem Leiden!

6. Wann ich werd sein in schwerer Pein, Tut fleissig für mich beten!

Ihr werdt den Lohn bekommen rein. Wenn ihr mich werdt erretten.

7. Die hier allda beisammen sein Und mir das Gleit tut geben.

Mein Freundschaft und Geschwisterten Und ihr alle Träger eben,

8. Hab ich euch etwas Leids getan, Ach, tut es mir verzeihen!

Bet't all für mich! Glaubt sicherlich, Gott wird euch Gnad verleihen.

9. Ich nimm Urlaub von euch allhier, Ihr Alte und auch Junge,

Der Tod hat gwart't vor meiner Tür, Bis er mich hat bekommen.

10. Von allen mein geliebten Freund, Die ich jetzt nur verlasse.

Macht euch bereit, gebt mir das Geleit Zu meiner Ruhbett-Strasse!

34. Die Hölle.

1. Ei, ei, ei, wie leben jetzt die Leut 7. Im zweiten Zimmer obendrein

So lustig und fidel!

Kein Mensch denkt an die Ewigkeit,

Kein Mensch denkt an die Höll.

2. Ich sah's wohl deutlich bei der Nacht In einem Traum einmal. Ja, Teufel gibt es in der Höll Viel tausend an der Zahl.

Gibts Weiber ohne Zahl, Da treibt der Teufel Luzifer Mit ihnen spezial.

8. Der Teufel hat die grösste Furcht Und traui sich nicht daran, Er hängt ein jeder ein Schloss ans Maul, Sie ihn nicht beissen kann.

3. Beim Höllentor da steht a Wacht, 9. Auch hab ich in der untern Welt

Potz tausend saperaraent! Viel Bäcker dort erblickt.

Der hat ganz feurige Stiefel an, Ein Teufel ist dort angestellt,

Der Rock der ist verbrennt. Der sie beständig zwickt.

4. Der Stuhl der ist ganz feuerrot, Da sitzt der Teufel drauf.

Und kommt aso a Jungfraupost, Macht er das Tor gleich auf.

5. Im ersten Zimmer unten drin Ein Geissbock und ein Scher,

Da dacht ich mir beim ersten Blick, Die Schneiderzunft es war.

10. Sie zwicken auch auf dieser Welt Von jedem Laibchen Brot,

Drum zwickt sie auch der Teufel dort Für jedes bare Lot.

11. Auch Schuster gibt es in der Höll, Der Teufel schaut nur zu,

Da flickt der Meister und der Oberg'sell Dem Teufel die alten Schuh.

G. Ja, Schneider ein ganzes Regiment 12. Hantierer gibt es allerhand,

Dabei sind gross und klein; Kurz, jeder Handwerksmann.

Ein jedes gstohlne Fleckl brennt, Der Teufel hat die grösste Freud,

Das ist die Schneiderspein. Wenn er nur zwicken kann.

Nachtrag- zu S. üG, nr. 4: 'Als der liebe Gott die Welt erschaffen'; vgl. John Meier zu Grolimund, Volkslieder aus dorn Kanton Solothum 1910 nr. 55. S. 39 nr. 2: Wie die Braut sein soll. Auch bei Grolimund nr. 51. S. 41 nr. 5: 'Schenke mir

Schell: Kleine Mitteilungeii. 317

ein Angedenken' rührt von Cordes her: vgl. John Meier, Kunstlieder im Volksmund nr. 190. Nr. G. Dies 'Bruchstück eines Frauzoseuliedcs ist, wie Herr Professor Dr. E. F. Arnold in Wien freundlich mitteilt, die arg verstümmelte 7. und 5. Strophe eines dem Jahre 1813 (nicht 1809) entstammenden, ziemlich langen Gedichtes, das uns dreimal überliefert ist: bei Peternader, Tirols Landes -Verteidigung 2, 54 (15 Strophen), in der Kufsteiner Festschrift 1893 S. 38 (14 Str.) und in F. F. Kohls Echten Tiroler- Liedern S. 2r)l (nur 4 Str. mit Siugweise). Das aus der Gegend von Kufstein oder St. Johann stammende Lied beginnt bei Peternader: 'Jetzt sing ich noch eins, Wenn ich gar nimmer möcht". Näheres ündet sich bei R. F. Arnold und K. Wagner, Achtzehn- hundertneun, die politische Lj'rik des Kriegsjahres (Wien 1909) S. 439—443. In dem Trinkliede nr. 9 sind die Strophen 4—5, wie flerr Prof. Dr. John Meier in Basel uns nachweist, von K ob eil (Schnaderhüpfln S. 31 nr. 95 und 96) verfasst.

Kleine Mitteilungen.

Der Klingelstock der Hirten.

Auf einem Teil des Westerwaldes, namentlich bei den Ortschaften Maxein, Freilingen usw., bedienen sich die Hirten noch heute vereinzelt eines Instrumentes, das im allgemeinen jetzt sehr selten im Gebrauch sein dürfte; es wird die Heck- genannt (Fig. 1). Dieselbe besteht aus einem Haselstock von V4 und mehr Länge, welcher einen starken Ast aufweist; letzterer wird seiner Spitze beraubt und dann mit Draht an dem Hauptstabe befestigt, in die so gebildete Schlinge hängt man mehrere Eisenringe. Fügen sich nun die Tiere den Anordnungen des Hirten nicht, so rasselt er mit der Heck oder wirft diese nach dem betreffenden Tier. Die Heck ersetzt dem Hirten mithin den sonst üblichen Stab, aber auch den Hund. Der letztere Umstand fällt auf dem armen AVesterwald immerhin ins Gewicht.

Auch in Westfalen muss dieses Instrument einst bekannt gewesen sein. Fr. Woeste (Wörterbuch der Westfälischen Mundart) bemerkt nämlich: 'Klinge, f. 1. Hirtenstab mit Ringen, Synonyma Krummelte, Ringelbengel'. Und weiter: Krumm elte, f. Hirtenstab (Fürstenb.) Syn. Krümmel (W^aldeck). [Vgl. Woeste, Zs. f. dtsch. Mythol. 3, 304 und Grimm, DWb. 5, 1176: Klinge, Klingelstock.]

[In der Mark Brandenburg begegnet die Klimperkeule oder Klimper- büsse in der Hand der Pferdehirten. Das unter Nr. 2 nach einer Photographie von Herrn Dr. K. Brunner abgebildete Exemplar hat Herr W. v. Schulenburg der königl. Sammlung für deutsche Volkskunde zu Berlin überwiesen; vgl. seine Be- schreibung im Archiv der Brandenburgia 11,9 f. 100 (1904). Auch Schmidt von Werneuchen erwähnt sie in seinem Gedichte 'Frühlingstag auf der Dorfpfarre" (Calender der Musen und Grazien 1796,89 = Archiv der Brandenburgia 8, 24. 1891): „Wo der Pferdehirte mit eisernen Ringen am Knüppel | Seiner Heerde ge- beut i)." Der 'Hirtenstock mit Klingel' ist nach A. Treichel (Zs. f. Ethnologie 21, Verh. 1889, S. 749) auch in Westpreussen und nach Dr. K. Brunner in Litauen üblich. A'om Starnberger See stammt ein im Hamburger Museum für Völker-

1) [Sollten nicht auch die 'wilden Klapperstöcke' in Goethes Erster Walpurgisnacht (1799) hierher zu ziehen sein? „Kommt," ruft der heidnische Brockenwächter, „mit Zacken und mit Gabeln | und mit Glut- und Klapperstöcken | lärmen wir bei nächtger Weile."]

318

Schell, Bolte:

künde befindliches, anscheinend verkürztes Exemplar aus Weichselholz und Eisen,, von dem mir Herr Prof. Dr. K. Hagen freundlichst eine Zeichnung- sandte (Fig. 3). In der Schweiz dagegen ist laut Mitteilung von Herrn Prof. Dr. E. Hoffmann- Krayer das Gerät nicht bekannt. J. B.]

Ferner vermag ich den Klingelstock im skandinavischen Norden nachzu- weisen. H. F. Peilberg (Dansk Bondeliv, Köbenhavn 1889, S. 177) bringt eine Abbildung von diesem Werkzeug aus der schwedischen Provinz Schonen (ehemals dänischem Besitze) und gibt dazu folgende Beschreibung: „Ausser dem Hörn hatte der Hirte auch einen Ringlestav oder Ranglestock, einen kurzen Stab mit einem dünnern Stock, hier auf dem Bilde (vgl. Fig. 4) von Eisen und festgemacht an der Seite. Auf dem dünnen Stab war eine ganze Reihe rasselnder Eisenringe ange- bracht. Wenn ein Stück Vieh die Herde verlassen wollte, warf der Hirte den.

Fig. 1. Heck

(Westerwald), 85 cm lang.

Fig. 2. Klimperkiile

(Mark Brandenburg),

(51 cm lang'.

Fii

. 3. Vom Starn- berger See, 46 cm lansr.

Fig. 4. Ringlestav (Schonen).

Stab nach ihm. Das Vieh gehorchte dann ebensogut, als es in unsern Zeiten dem Hunde gehorchte. Es war auch ein starker Lärm, welchen solch ein Stab machen konnte, wenn er dahinsauste (Skattegraveren 6, 95 nr. 85; vgl. das Märchen ebd. 6, 110. Kristensen, Jyske Folkeminder 5, 132)."

Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass der Haselstock ursprünglicher und be- deutsamer ist als der halbeiserne Rasselstock des skandinavischen Nordens, welcher wohl nur aus praktischen Rücksichten später an des ersteren Stelle trat. Als ich einen Mann vom Westerwalde fragte, warum die Heck nur aus einer Haselstaude gemacht würde, meinte er, dieser Stock eigne sich am besten dazu. Das dürfte aber nicht ganz zutreffen, denn die Hainbuche (ebenfalls die Eberesche) ist nach vielen Richtungen hin vorzuziehen. Der Grund liegt tiefer und dürfte sich aus der besondern Bedeutung, welche der Hasel im Volksglauben, vor allen Dingen in bezug auf das Vieh, beigemessen wird, ergeben. Darüber hat sich u. a. K. Wcinhold (oben 11, 8 ff.) ausführlich verbreitet. Wir dürfen wohl annehmen, dass der Klingelstock in ein hohes Alter hinaufreicht. Jedenfalls wäre es von, Interesse, das Vorkommen desselben weiter zu verfolgen.

Elberfeld. Otto Schell.

Kleine Mitteiluns-en.

31<>

Zu dem christlichen Warnungsbriefe.

Eine handwerksmässige Kopie des oben S. 61 beschriebenen Frankfurter Blattes bietet eine um 1860 entstandene kolorierte Neuruppiner Lithographie (21,5 : 27,3 cm), die mein Bruder, Pastor Gotthard Bolte, im Dorfe Briesen bei Cottbus auffand und mir mitteilte. Die Bilder sind schlechter gezeichnet, die Verse durchweg abgeändert.

1. Vorderseite mit der Adresse: Einen Brief an mich u. Dich

Laß mich Freund Dir überreichen,

Lies ihn Dir bedächtiglich

Und beachte seine Zeichen.

Nicht zur Kurzweil, nicht zum Scherz,

Nein zum Segen für Dein Herz,

2. Bild: Adam im Paradiese. Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde,

Zum Bilde Gottes schuf er ihn. Zu seines Spöpfers f!] Huld und Milde Sah er sich Freud u. Wonne blühn. Voll Unschuld könnt' er ohne Grauen

3. Bild: Adam und Eva mit der Ach wider Gottes heil'gen Plan,

Das Prüfungswort der Liebe,

Liebt sich im falschen Glückeswahn

Die Macht bethörte Triebe.

Denn er zeigt im Ueberblick, Was da gilt uns Menschen allen, Wie wir aus dem höchsten Glück In das tiefste Leid gefallen, Zeigt den Weg zum Höllenpfuhl Und den Weg zu Gottes Stuhl.

Ihm allezeit ins Antlitz schauen. Des Paradieses reines Glück Stell sich hier dar vor Deinem Blick. Der Mensch ein Herr der Creatur Empfand hier keines Leidens Spur.

Schlange.

Vom Schlangenwort der Lust versucht, Vergällt der Mensch durch ihre Lust Sein Glück, sein Herz u. Leben.

4. Bild: Christus am Kreuz, 0 Menschenkind, o Menschenkind! Sieh hier die Folgen deiner Sund, Du hast den Tod verdient. Da zahlet selbst der Herr der "Welt Sein Blut am Kreuz als Lösegeld, Und du wirst Gott versühnet. Für solche Liebe deines Herrn Sei dankbar stets u. folg ihm gern

darunter Maria, Johannes und Magdalena. Mit liebentflammtem Herzen. Wer seinen Geist hier widerstrebt Und ohne Scheu der Sünde lebt, Der wird sein Heil verscherzen. 0 Menschenkind, o Menschenkind! Bedenk dein Heil, verlaß die Sund, Sonst wird dich's ewig schmerzen!

.5 7. Ein Menschenpaar in modischer Tracht; doch steht diesmal der Mann (in blauem Rock, einen Cylinderhut unter dem Arm) auf der linken Seite neben dem schmalen Wege, die Dame rechts neben der breiten Pforte.

5. Die Pforte ist eng und der "Weg ist schmal, der zum Leben führet, u. wenig sind ihrer die ihn finden. Matth. 7, 14.

Mein Jesus macht mir offenbar. Die Lebenspforte sei sehr enge. So reiche mir nur Kräfte dar, Daß ich mich bücke, schmieg u. dränge, Und mache mich von Sünden frei, Damit der Eingang leichte sei. "VVer mir nachfolgen will, der verläugne sich selbst u. nehme sein Kreuz auf sich täglich u. folge mir. Luca Cap. 9. 23—26.

6. Die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur "Verdammniß abführet u. ihrer sind viele die darauf wandeln. ]\[atth. 7. v. J3.

Mein Jesu spricht: Der Weg ist schmal, Der uns in jenes Leben führet, Und deren wenig an der Zahl, Die man auf solchem Pfade spüret. Laß mich mein Gott bei denen stehen. Die mit der kleinen Heerde s-ehn.

320

Bolte, Behrend:

Sagt Jesu Mund, der Weg ist breit, Der Viele zur Verdammniß leitet, Und zeigt er mir die Pforte weit, Durch die man in die Hölle schreite. Ach so bewahre meinen Fuß, Daß er den Abgrund scheuen muß.

Sieht Jesu Auge ihrer viel

Auf diesem breiten Wege gehen,

So lasse mich ein ander Ziel

In meinem Wandel vor mir sehen.

Mein Jesus sei mir Pfort und Bahn,

Daß ich den Himmel finden kann.

Die Welt vergehet mit ihrer Lust, wer aber den Willen Gottes thut der bleibet in Ewigkeit. 1. Joh. 2. v, 17.

7. 0 Menschenkind voll Eitelkeit, Gedenke deiner Sterblichkeit,

Was hilft es dir in dieser Zeit, Und du wirst vor dir selbst erschrecken.

Mit Putz u. Flieder [!] dich zu decken?

Herr lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir klug werden. Psalm 90, 12.

9. Unter den halb zu Gerippen

Ein kurzer Schritt ist nur dahin. Wo ich der Würmer Speise bin. Dies will ich stets bedenken Und in der flüchtigen Sterbenszeit Den Blick von Tand u. Eitelkeit Hinweg auf's Ew'ge lenken.

verwandelten Menschengestalten steht:

Was nützen Schätze, Putz u. Pracht? Wir haben hier nichts mitgebracht Und werden nichts mitnehmen. "Wer das bedenkt in seiner Seel, Der wird die sündig Leibeshöhl Zu putzen sich nur schämen.

10. Bild: Ein Leichnam im Sarge.

0 Eitelkeit, o Eitelkeit, Fleuch hin aus meinem Herzen weit, Du sollst mich nicht berücken.

Mit Christi Blutgerechtigkeit, Mit seiner Unschuld Ehrenkleid Will ich die Seele schmücken.

11. Offenbarung Cap. 4. Cap. 7 v. 9 (Darstellung des Himmels).

Hier siehst du, die aus großer Trübsal kommen [1. kamen]

Und wuschen ihre Kleider in des Lammes Blut.

Geschrieben wurden ihre theuren Namen

Ins Buch des Lebens von dem höchsten Gut.

Jetzt dürfen sie vor seinem Thron sich weiden

In ewig ungetrübten heil'gen Freuden,

In reiner weißer Kleider Pracht,

Geschmückt mit Friedenspalmen,

In hohe [!] Jubelpsalmen

Lobpreisen Gottes Gnad' u. Macht,

Die sie hiedurch gebracht.

0 würde dieses unaussprechlich große Heil

Durch Jesu Blut auch mir u. dir zu Theill

12. Offenbarung Cap. 20 v. 10-14 Thu einen Blick voll Graus hienein In diesen Ort der Flammeupein. Hier siehst du, die im Erdenthal Nach eitlen Dingen nur getrachtet, Die Gnade Gottes frech verachtet.

(Darstellung der Hölle).

Kein Trost das matte Herz erfrischt, Ihr Wurm nicht stirbt, nicht untergeht, Verwünschen sie zu spät, zu spät, Daß sie die Gnad' des Herrn verschmäht. Freund laß mit Zittern uns auf Erden Stets schaffen, daß wir selig werden!

Die flücht'ge Lust trug ew'ge Qual. Hier, wo ihr Feuer nicht erlischt,

Druck u. Verlag v. F. W. Bergmann in Neu-Rupphi.

Ich reihe noch ein paar Notizen zur Vorgeschichte dieses Bildergedichtes an. Nur aus der kurzen Beschreibung in Drugulins Historischem Bilderatlas 1, nr. 2632 (Leipzig 18G3) ward mir ein Vorläufer aus dem 18. Jahrhundert bekannt: „Warnungsbrief gegen die Freuden der Welt. rad. 4". Anonym. Zum Zu- sammenlegen nach Art eines Briefes. Aussen Adresse an die, so sich der Lust . . . Warnungsbrief gestellt. Erste Klappe ein Gastmahl, zweite ein Tanz; beim Öffnen derselben erscheinen die Tänzer als Gerippe." Aus dem Anfange des

Kleine Mitteilungen. 321

17. Jahrhunderts stammen zwei Kölner Kupferstiche von Conrad Goltzius, welche Drugulin 1, nr. 2502 und 2503 verzeichnet: „Die Hof fahrt. Ein Klappenbild; unter dem Rocke ein Gerippe und der Sündenfall. Mit Versen. C. Goltzius sc. J. Bussemiicher exe. fol.^) Die Hoffahrt, durch eine männliche und eine weibliche Figur dargestellt. 2 Klappenbilder. Unter dem Rocke der Frau der Sündenfall, unter den Beinen des Mannes die Vertreibung aus dem Paradiese. Mit Versen. C. Goltzius sc. P. Overradt. exe. fol."

Man sieht, es reicht die Hauptidee des Warnungsbriefes, die Verwandlung einer blühenden Frauengestalt in ein abschreckendes Gerippe, durch verschiedene Zwischenglieder bis ins 16. Jahrhundert zurück, wo wir bereits ein an die mittel- alterlichen Darstellungen der Frau Welt erinnerndes Klappbild fanden.

Berlin. Johannes Bolte.

Das Handschriftenarchiv der Deutschen Kommission der Königlichen Preussischen Akademie der Wissenschaften.

„Soviel der Spürgeist unserer Tage aufgraben mag, so wird wohl doch auch für folgende Geschlechter noch genug zu finden, zu sichten, zu bessern bleiben. Und das ist unsern Nachkommen zu gönnen, denn auch sie werden vielleicht oft mehr Wert legen auf das Finden als auf das Gefundene!" So schrieb 183.S Andreas Schmeller an seinen Freund Hoffmann von Fallersleben, in einer Zeit, da die junge Germa- nistik ihr Jugendträumen für ernste Arbeit bereits hingegeben hatte: Uhland, Jakob und Wilhelm Grimm und Lachmann, an ihren eigenen Leistungen wachsend, legten damals die Fundamente. Gruben sie in die Tiefe, so forderten die anschwellenden Materialien auch die Arbeit in die Breite. Der literarische Grundriss zur Geschichte der deutschen Poesie von den ältesten Zeiten bis in das Ki. Jahrhundert (Berlin iyi2), den Friedrich Heinrich von der Hagen im Verein mit Büsching geboten hatte, wurde bald als unzulänglich empfunden. So sehr die Handschriftenkunde dank der Arbeit zahlreicher Forscher wuchs, so dauerte es doch bis zum Jahre 1904, als die neu geschaffene Deutsche Kommission der Preuss. Akademie der Wissen- schaften neben anderen Aufgaben sich unter Burdach und Roethe zur Inven- tarisierung sämtlicher literarischen Handschriften Deutschlands bis ins 16. Jahr- hundert rüsten konnte. „Nur so wird es möglich werden", so heisst es in ihrem ersten Bericht, „das reich bew^egte sprachliche und geistige Leben voll zu erfassen und zu verstehen, aus und in dem sich Humanismus, Reformation und Schrift- sprache bei uns entwickelt haben; insbesondere wird nur so ein umfassender Überblick zu gewinnen sein über die erbauliche, wissenschaftliche, technische und Cbersetzungsprosa der mächtig ringenden Zeit, die dem Buchdruck unmittelbar vorhergeht. Auch deutsche Handschriften des späteren 16. und 17. Jahrhunderts, sowie die mittel- und neulateinischen Manuskripte Deutschlands sollen berück- sichtigt werden, soweit sie Werke von ästhetischem Anspruch, vornehmlich Dichtungen, enthalten."

1) Etwas ausführlicher beschreibt Merlo, Kölnische Künstler 1895 S. 299 das Blatt: „Die Hoffahrt, eine reich gekleidete Dame mit Pfau. Über dem Haupte: Exterivs picta, svmqve interivs maledicta usw. Hebt man das Kleid in die Höhe, so zeigt sich die untere Hälfte eines Skeletts. Conradus Goltzius sculptor. Johan busseraecher excudebat. Tiefer 20 Zeilen Verse: Die Holifart jhr selbst wolgefelt usw. Folio."

Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1910. Heft 3. 21

322 Behrend, Daniel:

Trotz mancher Hemmungen weiss der letzte Bericht (Sitzungsber. der Rönigl. Preuss. Akademie der Wissensch. 1910, 77) wie seine Vorgänger erfreuliche Er- gebnisse zu melden. Nicht weniger als 4000 nach bestimmten Grundsätzen ge- arbeitete Beschreibungen von Handschriften aus ganz Europa sind dem Hand- schriftenarchive einverleibt worden. Sie wurden nach verschiedenen Gesichts- punkten — die I.Abteilung enthält die Eigennamen, die 2. die Anfänge, die 3. Stoffe und Titel, die 4. die Jahreszahlen, die 5. Realien (Wasserzeichen, Wappen u. dgl.), die 6. formale Erscheinungen auf über 162 000 Zettel verarbeitet. Zahlreiche wissenschaftliche Anfragen konnten vom Archivar positiv beantwortet werden.

Ist dank dieser Sammeltätigkeit manch Erzeugnis der hohen Literatur erst be- kannt geworden, so wird es unseren Lesern besonders interessant zu erfahren sein, dass auch zahlreiche bisher gar nicht oder wenig bekannte Materialien für die Geschichte der deutschen Volkskunde aufgespeichert wurden: Volkslieder, Zauber- und Segensprüche, Rätsel und Volksreime usw. Wie in Sammelhand- schriften des Mittelalters Wissenschaftliches und Populäres oft bunt durcheinander gewürfelt wurde, mögen zwei Handschriften veranschaulichen.

Die Hds. Ms. allem. o3ob der Pariser Nationalbibliothek, die in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts geschrieben sein mag, und über deren Provenienz nichts feststeht, bietet in ihren ersten Seiten Bruchstücke verschiedener Heilmittel; daran schliessen sich Wundsegen, Blutsegen, Rosssegen, Brandwundensegen, Wurmsegen, Pestsegen, Segen gegen den Brand, Segen für Pferde, Augensegen in all den verschiedenen Einkleidungen, wie sie Dr. Ebermann in seiner Arbeit über Blutsegen charakterisiert hat. Noch bunter sieht die Hds. XVI P 3 der Prager Universität aus, deren einstiger Besitzer 1643 einzeichnete: 'Hans Victor Geranß von Libuschin | Gott der heylandt ist mein gewinn.' Eine ernste Abhandlung von des Menschen Vernunft und ihrem Zweck steht am Anfang; dem folgenden Arznei- buch sind angefügt Bemerkungen von der Heilkraft des Geiers, Winke, heil- und zauberkräftiges ül herzustellen, ferner Blutsegen, Zahnsegen, Segen für Nieder- kunft — mit lateinischen Bestandteilen , Anweisungen, sich unsichtbar zu machen, Feuerkugeln herzustellen, Glas zu schmelzen. Bäume zu züchten, Schlösser durch Zauber aufzusperren. Auch der Humor, der so lebendig im Mittelalter quillt, fehlt nicht. Der schalkhafte Schreiber fügt am Schluss zu: 'Item dz ein schloß auffgehet, | So nim ein schlisl vnnd mag auff. | Probatum est.'

Stehen diese Materialien wissenschaftlichen Interessenten ohne Entgelt zur Verfügung, so ist es gewiss, dass dieses grosse nationale Unternehmen nur ge- deihen kann, wenn ausser den zahlreichen Beauftragten spontane Mitarbeit Kundiger eintritt. Gern wird der unterzeichnete Archivar die Grundsätze der Inventarisierung mitteilen. Besonders sei hier noch darauf aufmerksam gemacht, dass schon der Hinweis auf den Privatbesitz solcher Handschriften wichtig ist.

Die Freude am Finden, von der der alte Schmeller sprach, wird auch heute noch lebendig sein, und dass das Gefundene richtig gewertet werde, dafür bürgen die Namen der Leiter des Unternehmens.

Berlin. Fritz Behrend.

Kleine Mitteilungen. 323

Armenische Märchen.

(Vgl. oben S. 74—78.) 4. Der kluge Zauberer').

In einer Stadt lebte ein armer Weber. Dessen Frau ging eines Tages ins Badehaus, und da sah sie, wie eine Zauberin, die am Hofe des Königs angestellt war, von der Badefrau aufs höflichste bedient wurde. Die Frau des Webers wurde neidisch; sie hätte auch gern gesehen, dass man ihr Tücher brachte und sie abrieb; aber weil sie arm war, tat ihr niemand diesen Dienst. Da ging sie A-erstimmt nach Hause und sagte ihrem Mann: „Du musst auch ein Zauberer werden, damit du reich wirst! Ich will nicht länger arm und verachtet sein." Der Mann in seiner Dummheit wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Seine Frau aber kaufte ihm einen neuen, schönen Kaftan und. ein grosses Buch und schickte ihn auf die Strasse, nahe beim Badehause. Dort stand er nun und rief mit lauter Stimme aus, er sei ein grosser Zauberer aus fernen Landen und erbiete sich, verlorene Sachen wiederzufinden.

Nun begab es sich, dass ein fremder Fürst, der sich zurzeit in jener Stadt aufhielt, im Badehause einen Ring verloren hatte. Als der den neuen Zauberer rufen hörte, forderte er ihn auf, sein vermisstes Kleinod herbeizuschaffen. Da war der arme Mann in nicht geringer Verlegenheit. Was sollte er tun? Er öffnete das Buch, machte allerlei seltsame Bewegungen, murmelte Unverständliches in seinen Bart, und endlich vernahm man abgerissene Worte: „Haare zwischen Steinen." Die Diener, die seines Winkes warteten, hatten dieses kaum gehört, so eilten sie ins Badehaus zurück, durchsuchten alle Steinritzen und fanden in einem Winkel den Ring, in Haare gewickelt. Der Fürst belohnte den Zauberer nach Gebühr; seine Diener aber verbreiteten die Kunde durch die ganze Stadt, und alle Leute fürchteten sich vor dem Mann. Wenn nun seine Frau ins Bad ging, eilten alle Dienerinnen, ihr Hilfe zu leisten, und so hatte sie, was sie gewollt.

Einige Zeit danach verlor auch der König einen überaus wertvollen Ring. Da liess er den Zauberer rufen und versprach ihm grossen Lohn. Dieser erbat sich drei Tage Zeit, um in seinem Buche nachzulesen. Dann eilte er hinweg und lief in seiner Ratlosigkeit ganz verzweifelt durch alle Strassen der Stadt. In einer abgelegenen Gasse eilte plötzlich eine Frau auf ihn zu, fiel nieder, umfasste seine Knie und flehte: „0 Herr, verrate mich nicht! Ich weiss, warum du kommst; aber höre mich erst an: ich fand den Ring auf dem Hofe des Palastes, und als ich ihn aufgehoben, fürchtete ich mich, ihn abzugeben, denn man würde sagen, ich habe ihn gestohlen. So nahm ich ihn mit. Aber ich war in grosser Angst seinetwegen, und nun bitte ich dich, nimm ihn mit und sage niemand, woher du ihn hast." Der Zauberer war überglücklich, auf diese Art den Ring entdeckt zu haben, tat aber klug und sprach bedächtig: „Du hast recht geraten; ich kam soeben, um von dir den Ring zu fordern und dich zur Bestrafung aus- zuliefern. Aber du dauerst mich, und wenn du tust, was ich dir sage, will ich dich nicht ins Unglück bringen." Und nun erkundigte er sich, ob nicht der König einen Hühnerhof habe, und darin vielleicht irgend ein auffälliges Tier. „Eine

1) [Vgl. Grimm, KHM. 98 'Doktor Allwissend'. R. Köhler, Kl. Schritten 1, 39. 584. Oben 15, 373. 16, 242 (zu Künos, Türk. Volksmärchen nr. o^). 17, 333 (Bunker 2) und ;i41 (Hahn 1. 7).]

21*

324 Daniel:

lahme Ente, die er sehr liebt," erwiderte die Frau. „Nun, so höre! Morgen ganz früh gehst du hin und gibst der Ente den Ring zu schlucken. Dann bist du frei von der Schuld." Die Frau war ganz glücklich und versprach, alles genau zu tun.

Als nun am nächsten Tage der Zauberer vor dem Könige erschien, sprach er: „0 Herr, du hast einen Hühnerhof voll allerlei Geflügel, und unter diesem befindet sich eine lahme Ente." „Woher weiss er das?" dachte der König ver- wundert. Der Zauberer fuhr fort: „Diese Ente hat den Ring verschluckt; lass sie schlachten, so wird man ihn finden." Der König antwortete: „Die lahme Ente ist mein Liebling. Lasse ich sie nun schlachten und finde den Ring nicht, so lasse ich dich zur Strafe auch schlachten." Da kriegte es der Zauberer mit der Angst, schwieg aber und liess sich nichts anmerken. Als man nun die Ente schlachtete, fand sich der Ring. Da war grosse Verwunderung. Der König be- lohnte den klugen Mann, und alle Leute ehrten ihn und priesen seine grosse Macht. Seine Frau hatte nun gute Tage, und sie lebten fröhlich und vergnügt.

Da geschah es, dass eines Nachts des Königs Schatzhaus ausgeraubt wurde. Der König rief den Zauberer und befahl: „Schaffe mir meinen Schatz herbei, oder du musst sterben!" Der Zauberer bat um vierzig Tage Bedenkzeit und ver- langte vierzig Gänse. Diese brachte er nach Hause und sprach: „Liebe Frau, in vierzig Tagen müssen wir sterben. Wir wollen bis dahin leben, so gut wir können, und jeden Tag eine von diesen Gänsen essen." Und so lebten sie dahin und dachten an ihren nahen Tod. Die Diebe aber, welche den Schatz gestohlen, hatten keine Ruhe, denn sie fürchteten sich vor dem berühmten Zauberer, der schon so manche schwere Aufgabe gelöst hatte. Es waren ihrer vierzig, und der eine sprach: „Ich will mich auf seinem Dach verstecken und hören, was sie im Hause sprechen; so erfahre ich, ob er von uns weiss." So tat er, und da hörte er, wie der Mann auf den Hof hinausrief: „Frau, der erste von den Vierzig ist da; schlachte die erste Gans!" Er meinte den ersten von den 40 Tagen; der Dieb aber dachte an sich und erschrak: „Woher weiss er, dass ich hier bin?" und eilig entrann er zu seinen Kameraden. Von diesen ging am nächsten Tage ein anderer hin; der hörte den Zauberer rufen: „Der Zweite ist gekommen; schlachte Nr. Zwei!" So sprach der Mann jeden Tag zu seiner Frau, wenn sie die Gans schlachten sollte. Die Diebe aber, die einer nach dem andern kamen, um es selbst zu hören, fürchteten sich sehr vor dem, was er nun wohl insgaheim gegen sie vorbereite, und als zuletzt, am 40. Tage, ihr Oberster es auch vernommen, versammelte er seine Leute, und sie gingen alle zu dem Zauberer und baten ihn, sie nicht zu verraten; sie wollten ihm das Gestohlene wiedergeben und noch reichen Lohn dazu. Der Zauberer erwiderte: „Vergrabt den Schatz hier an dieser Stelle des Berges, so will ich ihn morgen dem Könige zeigen, und ihr werdet straffrei ausgehen." Die Diebe waren herzlich froh, dass er sie nicht anzeigen wollte, und taten, wie ihnen geheissen. Der Zauberer aber führte am Morgen <les 41. Tages den König an den Platz, wo der Schatz vergraben lag. Der König erschrak vor der Allwissenheit des Zauberers. Er baute ihm ein Schloss, dem seinigen gegenüber, und gab ihm viele Geschenke.

So lebten nun der Zauberer und seine Frau lange Zeit in Ruhe und Frieden. Eines Tages sass er auf dem Divan und schlief; im Traum aber bewegte er die Hände wie früher, wenn er das Weberschifflein hin und her warf. Der König, der eben gegenüber ans Fenster trat, sah seine sonderbaren Bewegungen und rief seine Gemahlin. Diese antwortete: „Verstehst du nicht, was er will? Er winkt uns, zu ihm zu kommen." Und beide beschlossen, ihn mit der Ehre ihres Besuches zu erfreuen und hinüber zu gehen. Aber kaum waren sie auf der

Kleine Mitteilungen. 325

Strasse, so stürzte die Decke des Gemaches ein, in dem sie soeben geweilt hatten. Als sie sich von dem Schrecken erholt hatten, riefen sie aus: „Das hat der Zauberer gewusst, und darum hat er uns mit solchem Eifer gewinkt, heraus- zukommen! O der gute Mann!" Und in ihres Herzens Freude beschenkten sie ihn über die Massen reich. Der kluge Zauberer aber lebte in Reichtum, Macht nnd Ehren bis an sein ruhiges Ende, und seine Frau war mit ihm zufrieden.

5. Der Habgierige.

In einer Stadt des Ostens lebte ein reicher Mann, der über die Massen hab- gierig war. Er hatte die üble Gewohnheit angenommen, bei allen Leuten Geld- schulden zu machen und bei deren Rückzahlung einen Teil des geliehenen Geldes widerrechtlich zu behalten. So wurde er immer wohlhabender. Die armen Leute, die er derart betrog, konnten nichts dagegen machen, denn er war ein grosser und mächtiger Herr; sie durften nicht einmal wagen, ihm ihr Geld zu weigern, wenn er es als Darlehen forderte. Der Reiche wurde schliesslich so frech, dass er öffentlich prahlte, er habe noch nie eine Schuld richtig zurückbezahlt und werde es auch niemals tun.

Nun wohnte in einem Orte unweit jener Stadt ein vornehmer Mann, der auch sehr reich war, dabei aber rechtschaffen. Er zahlte all seinen Arbeitern ihren Lohn zu rechter Zeit und blieb niemandem etwas schuldig. Er verlangte aller- dings von seinen Schixldnern, dass auch sie pünktlich ihrer Verpflichtung nach- kamen. Dieser Mann hörte von dem Habgierigen und seiner Prahlerei und nahm sich vor, ihm eine gründliche Lehre zu geben. Er kehrte einst besuchsweise in die Stadt ein, und, wie er erwartet, kam der Habgierige alsbald zu ihm, um Geld zu leihen, und zwar verlangte er 1000 Goldstücke. Der Rechtschaffene tat ihm den Willen, kam aber nach Ablauf der gesetzten Frist, um sein Geld zurück- zufordern. Da geriet der Geizige in grosse Verlegenheit. Denn sein Gläubiger war zu reich und mächtig, als dass er hätte wagen dürfen, ihn zu schädigen; wiederum wollte er von seinem bösen Grundsatz nicht lassen, ja er hätte sich geschämt, pünktlich zu zahlen. Schliesslich übergab er dem Boten den Betrag von 1000 Pfund, mit Ausnahme eines Fünf-Parastückes (272 Pf- an Wert). Darauf hatte der andere gewartet. Er schickte sogleich einen seiner Diener und Hess die fünf Para fordern. Natürlich vergebens. Da sandte er einen andern Diener hin, und dann wieder einen, und dann noch einen, und so fort den ganzen Tag und alle folgenden Tage. Alle paar Minuten erschien ein Mann am Hoftor, klopfte an und verlangte mit lauter Stimme Einlass, so dass das Volk zusammenlief und ein grosser Tumult entstand; liess er ihn dann vor sich kommen, so forderte jener das Geld für seinen Herrn. So hatte der Geizige keine ruhige Stunde mehr und geriet schliesslich in helle Verzweiflung. Ja, bald mietete sein Gläubiger das gegenüberliegende Haus, um ihn von dort aus noch besser plagen zu können. Es war schliesslich nicht mehr zum Aushalten. Statt sich nun aber durch Zahlung der fünf Para von dem lästigen Forderer zu befreien, besann sich der Habgierige auf eine List, ihn los zu werden. Er liess den Dienern des Fremden sagen, er sei krank. Aber diese drangen bis an sein Lager vor und schrien und verlangten das Geld. Da befahl er, ihnen mitzuteilen, er sei gestorben. Man führte sie in (las Zimmer, wo der Sarg stand, und gegen Abend wurde das Begräbnis begangen. Der Gläubiger aber ahnte den Schwindel und sagte: „Gebt acht, ob der uns nicht wieder betrügen will! Er ist gar nicht tot. Ich selbst werde an seine Grabstätte gehen, um mich zu überzeugen." Als nun die Nacht kam, schlich er sich in das

326 Dauiel, Mankowski, Arnold:

Grabgewölbe, verbarg sich im tiefen Schatten und lauerte darauf, dass der neue Sarg sich öffne und der Mann heraussteige, um zu essen oder gar um nach Hause zu gehen.

Indem er dort wartete, kamen zwei Diebe, die von der ganzen Sache nichts wussten, in das Gewölbe, machten Licht und breiteten ihre Beute auf dem Boden aus, die sie hier ungestört zu teilen gedachten. Es war ein reicher Schatz von Gold und Kleinodien. Sie gerieten aber bei der Verteilung in Streit. Als sie sich durchaus nicht einigen konnten, sprach der eine: „Gib acht, wenn ich jenen Toten dort mit einem Schwertschlage mitten durchschneide, so soll jener Teil mein sein!" Der andere war mit dem Vorschlag zufrieden; sie hoben den losen Sargdeckel ab und wollten den Körper des Reichen herausnehmen und zerhauen. Aber da begann der vermeintliche Tote ganz erbärmlich zu schreien, und hinten aus der Ecke ertönte eine tiefe, heulende Stimme, so dass die Diebe glaubten, böse Geister seien hinter ihnen her, und voller Angst fortliefen, so schnell sie konnten. Und siehe, da trafen sich der Schuldner und sein Gläubiger bei der verlassenen Diebesbeute. Der sprach: „Schau, schau! Man sagte doch, du wärest tot? Geschwind geh und hole mir meine fünf Para!" Der andere antwortete: „Warte doch! Sieh, dieser Schatz ist jetzt unser, denn die Diebe haben ihn verlassen. Komm schnell, lass uns teilen!" Aber der Gläubiger sprach: „Nicht eher, als bis ich meine fünf Para wieder habe.'' Da bot ihm jener ein Goldstück statt der Kupfermünze, aber er bestand darauf, er wolle nur das, was ihm zukomme. Und als der Schuldner endlich ärgerlich ins Haus ging, um das verlangte Kupferstück zu holen, packte der Gläubiger den ganzen Schatz zusammen, trug ihn heim und sandte einen Diener hinüber, die fünf Para auch noch in Empfang zu nehmen. Der Geizige war rasend vor Zorn. Aber endlich besann er sich, dass ihm eigentlich recht geschehen sei, sagte sich von seinem schlechten Grundsatz los und begann sich auch sonst zu bessern. [Vgl- Wickram, Werke 3, 368 nr. 23.]

München. Clara Daniel.

Die Adventskurrende und die Jutrznia in Masuren.

Es sind nun schon über 40 Jahre verflossen, seit ich wiederholt als Knabe bei meinen Verwandten im masurischen Kreise Sensburg weilte und so die Masuren ziemlich genau kennen lernte. Damals trugen die Männer noch grosse blaue Röcke mit gelben Messingknöpfen und weiss- und rotkarrierte Leinwand- westen, zuweilen auch grobe hohe Pilzhüte. Heute erblickt man jene alten Trachten nicht mehr; aber viele Bräuche sind noch in Masuren geblieben, und dazu ge- hören u. a. auch die Adventskurrende und die Jutrznia (Morgenröte). Beide habe ich mit angesehen, und ich weiss noch recht lebhaft, dass die Jüngern Burschen nach der Adventskurrende in das Dorfwirtshaus einkehrten, um dort mehr oder weniger Wodki (Wasserchen) zu trinken. So nennt der Masur den Schnaps.

Ist die Adventszeit da, dann sammeln sich jüngere Leute am Sonntage abends entweder am Schulhause oder an einem andern Hause, zünden Laternen an und ziehen in Begleitung erwachsener Personen singend durch das Dorf, um sich an einem festgesetzten Punkte aufzulösen. Wo eine Kirche vorhanden ist, tritt die Adventskurrende am Schlüsse entweder in diese oder vor das Pfarrhaus, wo noch ein feierliches Adventslied gesungen wird. Auf den Dörfern besteht dieser Brauch noch heute, und die Jugend wird dazu angehalten.

Kleine Mitteilungen. 327

Die Jutrznia*) trägt schon den Charakter des Christfestes und ist sowohl in einzelnen Kirchen als auch Schulen erhalten geblieben. Ehedem begann sie in der heiligen Nacht bald nach 12 Uhr und setzte sich bis zur Morgenfrühe fort. Da zogen beispielsweise in Passenheim die Bürger der Stadt wiederum durch die Stadt. Adventslieder singend: „Wachet auf, ruft uns die Stimme" und andere. Bald scharten sich Leute aus den Dörfern zu ihnen, immer weiter zogen sie durch die Strassen, bis endlich die Kirche geöffnet und beleuchtet wurde. Gegen 3 Uhr meldete, wie Herr Superintendent Skierlo in Johannisburg berichtet, der Glöckner: „Herr, die Kirche ist voll, sie singen ein Lied nach dem andern."

Da war es Zeit, zur Feier ins Gotteshaus zu gehen. Freilich, der Geistliche hatte bei der Feier nicht viel zu sprechen, nur hin und her einzugreifen und zu leiten. Die Hauptsache machte die Gemeinde unter Leitung des Kantors. In unserm deutschen Gesangbuch stehen 18 Weihnachtslieder, im polnischen 39, mit denen im Anfang sogar 41, darunter auch Lieder mit eingemischten lateinischen Worten und ursprünglich lateinische Lieder, deren Text neben der polnischen Übersetzung steht, z. B. 'Puer natus in Bethlehem, in Bethlehem, unde gaudet Jerusalem, Halleluja, Halleluja'. Es steht auch ein kurzes Lied darin mit der Überschrift: Lied der Abc-Schützen bei dem Weihnachtsfrühgottesdienst, ein Lied in vier Chören, wo abwechselnd ein Chor nach dem andern von den Emporen aus seinen Vers anstimmte, bis dann alle Chöre von den Emporen her Umzug durch die Kirche hielten und den letzten Vers vor dem Altar sangen. Was den Gesängen aber den wesentlichen Reiz gab, war, dass sie zum grossen Teil von 'Engeln' gesungen wurden. Welche Freude wars für die Kinder, dass die tüchtigsten die Erlaubnis erhielten, in der Kirche im Engelchor zu singen! Diese hatten über ihre Kleider ein weisses Hemd gezogen, das um die Hüften mit einem farbigen Bande zusammengehalten wurde; auf den Köpfen trugen die Mädchen bunte Papier- kränze, die Knaben von buntem Papier gefertigte hohe Kronen; so führten sie Wechselgesänge auf und stellten sich dann vor den Altar, wo sie die Weihnachts- geschichten vortrugen. Auch pflegten wohl in späterer Zeit Waisenkinder durch Hersagen von Liederversen die Gemüter der Gemeinde zum Mitleid zu bewegen und für eine spätere Gabe an sie willig zu machen."

Die Sachsengängerei hat nun freilich mit den herkömmlichen Gebräuchen in den Städten aufgeräumt, aber in den Dorfkirchen haben sie sich noch erhalten, und wahrscheinlich noch bis auf fernere Zeit. Nur wird die Jutrznia schon am heiligen Abende gefeiert, statt am ersten Weihnachtsfeiertage bald nach Mitternacht.

Danzig. Herrmann Mankowski.

Zum Liede auf den Keservemauu.

Zu den interessanten Ausführungen Joh. Lew alters (oben S. 207 f.) möchte ich bemerken, dass mir das Lied vom Reservemann mit einer von der dort auf- gezeichneten ganz verschiedenen Melodie bekannt ist, und zwar aus meiner Dienst- zeit (18*JIff.) bei den k. und k. Infanterie -Regimentern Nr. 2 und Gl, deren deutsche Mannschaft aus Siebenbürger Sachsen der Gebiete von Kronstadt und von Broos besteht.

1) [Über diesen dem im Nordosten Deutschlands verbreiteten Quenipas -Singen nach- gebildeten Brauch vgl. das oben 19, 122 besprochene Buch von E. Heidrich über die Christnachtfeier 1907 S. 184 188: Polnischer Christnachtsgesang in Adelnau, Kempen und Wilhelmsbrück.l

328

Schütte: Kleine Mitteilungen.

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haus, ja Hei-mat-haus. Ich war Sol-dat und wars so gern, wars so gern, drum ist jetzt mann, Re-ser-ve-mann, der treu ge-dient hat sei-ne Zeit, sei - ne Zeit, dem sei ein

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Wien.

Drum

weiht!

Robert F. Arnold.

Der ScMfergrass ^).

Wo ich auf meinen Wanderungen im Braunschweiger Lande einen Schäfer traf, hielt ich an und redete mit ihm. In den meisten Fällen fand ich bereit- williges Entgegenkommen und Eingehen auf meine Fragen. Einer fragte mich sogar eines Tages selbst, ob ich denn den Schapergruss kenne.

Auf meine verneinende Antwort gab er mir als Gruss der Schäfer zwei Rätsel an:

1. Wannehr dregt et Schap de meiste Wulle? (Wenn er de Bock uppe sitt.)

2. Wann is de Schaper ein Schaper? (Wenn e allene bi den Schapen is.)

Danach habe ich alle Schäfer, die ich traf, danach gefragt, aber nur von zweien noch eine Auskunft erhalten. Der eine nannte mir als Schäfergruss:

Buffen, schillen, schaben. Fix, geist op en Graben.

Der andere die folgenden, unzweifelhaft alten Reime, die aber etwas" verderbt zu sein scheinen:

Patjedach-) op en Graben, Zug 2) in de Före [= Furche]. Patjedach, du säst Wost hebben. Ne, uist will ik seggen.

Otto Schütte.

Ene Bene Pitschenrime, Ränzel in en Ring, De Hunne sind flink.

ßraunschweig.

1) [Vgl. oben 7, 97. 210. E. H. Meyer, Deutsche Volkskunde 1898 S. 150.. Bcauquicr, Blason populaire de Franche-Comte 1897 p. 253.]

2) Namen der Schäferhunde.

Bolte: Berichte und Bücheranzeigen. 325->

Berichte und Bücheranzeigen.

Neuere SagenUteratur.

Endlich scheint sich auf dem Gebiete der Sagenforschung, das in dem letztere Jahrzehnt nur vereinzelte Arbeiten von Bedeutung aufwies, eine regere Tätigkeit zu entfalten. Grössere Sagensammlungen erscheinen, in denen der Stoff gebucht und gesichtet wird; einzelne Sagen werden nach Ursprung und Verbreitung er- forscht; Methode und Umfang der zu lösenden Aufgaben werden erörteit.

Um mit dem zuletzt Genannten zu beginnen, so hat kurz nach dem oben 18, 4(i& angezeigten Handbuche Wehr hans auch BöckeH) eine Einführung in die deutsche Volkssage erscheinen lassen, die zwar in Hinsicht auf die Definition der Sage und die Verweise auf wissenschaftliche Arbeiten und auf die Anführung von Varianten 2) strengere Anforderungen nicht völlig erfüllt, aber ausgebreitete Kenntnis mit poetischem Sinne und warmer Heiraatliebe so verbindet, dass eine auf alle Hauptpunkte eingehende, anschauliche und anregende Darstellung entstanden ist. B. unterscheidet bodenständige und Wandersagen und teilt den Stoff in mythische, geschichtliche, Natur-, Zauber- und Schatzsagen, Verhältnis zur Volkssitte und zum Humor, überall Beispiele einflechlend; er zählt die älteren und neueren Sagen- quellen auf und fordert eine kritische grosse Sammlung für das ganze deutsche Sprachgebiet. In eigenartiger Weise verbindet Ranke^) Sagenstoff und Er- läuterung in dem 4. Teile des von F. v. d. Leyen herausgegebenen Deutschen Sagenbuches. Während die ersten noch nicht erschienenen Bände den Götter-,. Helden- und historischen Sagen gewidmet sind, führt der vorliegende die im 19. Jahrhundert aus dem Volksmunde geschöpften Sagen mit Ausschluss der ge- schichtlichen in einer geschickten Auswahl vor. Die Anordnung ist natürlich eine sachliche: auf die Sagen von der menschlichen Seele (Truden, Hexen, Werwölfe, Tote) folgen die selbständigen Gestalten des Volksglaubens (Zwerge, Wald- und Wassergeister, geheimnisvolle Tiere), Wesen und Ereignisse der Vergangenheit (Riesen, Freveltaten, Schätze, Glocken) und endlich der Teufel. Zwischen diese aus allen Gegenden Deutschlands entlehnten Texte sind kurze Bemerkungen ein- geschaltet, die in schlichter und vorsichtiger Weise eine psychologische Erklärung der Entstehung versuchen und sich in die dämmerige Tiefe des so vielen Gebildeten verschlossenen Volksbewusstseins und in den Kindheitszustand der dichtenden Phantasie mit Glück hineinversetzen, ohne gleich etwa in der Art von Henne -Am Rhyn (Die deutsche Volkssage 1879) alles aus einem mythologischen Systeme her- zuleiten. Die am Schlüsse des Buches folgenden Quellennachweise deuten ge- legentlich auch auf gelehrte Arbeiten hin; hübsch veranschaulicht die Einleitung das Wesen der Sage durch einen Vergleich mit dem Märchen: jene verlangt für

1) 0. Böckel, Die deutsche Volkssage, übersichtlich dargestellt. Leipzig, Teubner 1909. IV, 162 S. geb. 1,25 Mk. (Aus Natur und Geisteswelt 202).

2) Über die Entstehung von Sagenvariationen vgl. die Bemerkungen von K.Spiegel (Mitt. zur bayer. Volkskunde n. F. 20, 153—158).

3) Fr. Ranke, Die deutschen Volkssagen. München, Beck 1910. XYII, 294 8. geb. 2,50 Mk. (- F. v. d. Leyen, Deutsches Sagenbuch, 4. Teil).

330 l^olte:

ihren kurzen und sachlichen Bericht unbedingt den Glauben der Zuhörer, dieses will der zeitkürzenden Unterhaltung dienen und schmückt sich mit dichterischen Zutaten; jene lässt der Schuld regelmässig die Strafe folgen, dieses meidet seiner kindlich heiteren Weltanschauung entsprechend tragischen Ausgang. Den ge- samten Sagenvorrat eines ganzen Gebietes, des Königreiches Sachsen, legt uns Meiche^) in einer umfänglichen Neubearbeitung von Grässes Sagenschatz (2. Aufl. 1874) vor, die bereits 1903 erschien, auf die wir aber in diesem Zusammenhange zurückkommen wollen. Sie zählt nicht weniger als 1 268 Nummern, darunter freilich viele aus älteren Quellen entlehnte, die heut im Volk nicht mehr bekannt sind. Die Anordnung ist auch hier sachlich: Mythische (Seelen, Eiben, Dämonen und Oötter, Teufel, Wunder, Schätze), geschichtliche (Land, Orte, Familien) und roman- tische, d. h. literarisch beeinflusste Sagen. Pleissig hat M. den Stoff für weitere Forschungen bereitgelegt, auch nach Möglichkeit unechte Sagen ausgeschieden. Eine ähnliche Kodifikation hat nun Kühnau^) im Auftrage der schlesischen Ge- sellschaft für Volkskunde für Schlesien unternommen, wo Weinhold und Kastner wohl diese Arbeit angefangen, aber nicht zu Ende geführt hatten. Er beschränkt sich auf Mittelschlesien, Üsterreichisch-Schlesien und das Braunauer Ländchen und lässt sowohl Oberschlesien und die durch Haupt bereits bearbeitete Oberlausitz als auch die Breslauer und die Rübezahlsagen beiseite. Wenn trotzdem der die Seelensagen enthaltende Band 658 Nummern bringt, so wird diese Zahl eine Vor- stellung von der aufgewandten Mühe wie von der vorhandenen Sagenfülle geben. Die romantischen und die unechten Sagen sind ausgeschieden, die allzu breite Darstellung ist gekürzt, so dass wir nun ein wissenschaftlich zuverlässiges Material vor uns haben, dem K. auch einige Erläuterungen voraufschickt. Dass den Quellen- nachweisen sich keine Parallelen beigesellen, wird man nicht tadeln können; in einigen Fällen wäre aber wohl eine Verweisung auf Grimms Märchen am Platze gewesen, so bei Nr. 108 auf 'Brüderchen und Schwesterchen' (Gr. 11), bei 117 auf das 'Fürchten lernen' (Gr. 4), bei 584 auf das 'Tränenkrüglein' (Gr. 109), bei 638 auf das 1. Bruchstück (Grimm 3% 267). Dass in einzelnen Fällen die Por- .schung noch ältere Quellen ermitteln kann, mag das Beispiel des Ringes im Schädel der Toten ^) beweisen. Li Vlämisch-Brabant, wo zuerst J. W. AVolf Sagen sammelte, haben zwei bewährte Forscher, A. de Cock und Teirlinck*), im Auftrage der Genter Akademie ein neues Sagenbuch hergestellt, das in Plan und Ausführung von wissenschaftlicher Umsicht zeugt. Von den vier geplanten Gruppen der mythologischen (Zauber-, Geister-, Pflanzen-, Götter-), Teufelssagen, Legenden und historischen Sagen liegen die beiden ersten, 249 Nummern umfassen-

1) A. M ei che, Sagenbuch des Königreichs Sachsen, Leipzig, G. Schönfeld 190?). LVII, 1085 S. 12 Mk.

2) R. Kühnau, Schlesische Sagen 1: Spuk- und Gespenstersagen. Leipzig, Teubner 1910. XXXVIIl, 618 S. 8 Mk. (= Schlesiens volkstümliche Überlieferungen hsg. von F. Vogt und Th. Siebs 3, 1).

3) Zu Kühnau Nr. 140 (v. J. 1833) vgl. Harsdörffer, Gesprächspiele 7, 363 (1647) und Mordgeschichte 1649 Nr. 75. Kindermanu, Buch der Redlichen 1663 S. 575. Happel, Re- lationes curiosae 3, 522 (1()87). Unterredungen von dem Reiche der Geister 2, 232 (1731). Bräuner, Curiositäten 1737 S. 272. A. v. Arnim, Werke 3, 124. 127 (1840). Baader, Volkssagen aus Baden 1851 Nr. 91. Menzel, Deutsche Dichtung 2, 171 (1875).

4) A. de Cock en Is. Teirlinck, Brabantsch sagenboek 1: Mythologische sagen, Duivelsagen. Gent, A. Siffer 1909. XXXII, 307 S. 4 Fr. (Publ. der K. Vlaamsche Academie voor taal- en letterkunde). Zum Teufel in der Kirche (nr. 200) vgl. Bolte, Zs. f. vgl. Litgesch. 11, 249; zu dem Teufel und dem seltsamen Vogel (nr. 239) H.Sachs, Schwanke ed. Goetze 3, 33. 5, 9.

Berichte und Bücheranzeigen. 331

den Abteilungen vor, die viel Interessantes bringen; ich nenne z. B. das Lied und Bild des ewigen Juden (nr. G4) und das Verzeichnis der Teufelsnamen (nr. 199). Sehr nützlich sind die Verweise auf deutsche Parallelen und auf wissenschaftliche Forschungen. Eine vortreffliche Vorarbeit für das Schweizer Gebiet liefert Heinemann') in einer Fortsetzung seiner Bibliographie der Kulturgeschichte und Volkskunde (vgl. oben 17, 357. 18, 232. 471), die bis 1900 reicht, mehrfach aber auch über diesen Termin hinausgreift. Mehr als 100 Seiten füllt die Liste der allgemeinen und kantonalen Sagensammlungen, für die auch ältere Zeitschriften und Kalender ausgebeutet wurden; dann folgen die Artikel über Einzelsagen (Ahasver usw., für Teil nur ein Nachtrag zu Heinemanns Bibliographie von 1907), über Legenden und Märchen. Die Vorrede weist auf ein künftiges gesamtschweize- risches Sagenlesebuch hin.

Neben solcher Sammelarbeit geht die Erforschung der einzelnen Stoffe und Stoffkreise einher. In die Probleme der ältesten Entwicklungsperiode leuchtet eine •durch Klarheit und scharfe Formulierung ausgezeichnete Untersuchung von Heus 1er 2) hinein. Auf wenigen Blättern unterwirft er die verbreitete Ansicht über die Entstehung der germanischen Heldensage aus geschichtlichen und mythischen Elementen einer strengen Prüfung und zeigt, dass bei der Aufnahme historischer Personen nur deren rein menschliche Konflikte Geltung behielten, dass aber die unpersönlichen Mächte Vaterland und Religion hier im Gegensatz zur französischen Heldendichtung keine Triebkraft hatten und erst bei der späteren Ausstaffierung eine gewisse geschichtliche Haltung hineinkam. Der Kern der Sage ist auch nirgends ein deutbarer Naturmythus, neben den mit phantastischen Motiven ausgestatteten Sagen gibt es auch wunderlose, lebenswahre. Die im .4. 6. Jahrh. aufgekommene Kunstgattung der Heldensage schöpfte vielmehr aus vier Quellen: der Geschichte, dem Privatleben, eigener Erfindung und vorhandenem Erzählgute (Märchen, Mythen, Anekdoten usw.). Von methodischem Werte ist auch Schönbachs^) neue Studie über Caesarius von Heisterbach. Er bemerkt, dass der rheinische Cistercienser des 13. Jahrh. in seinen drei Werken oft denselben Vorfall in verschiedener Form berichtet, ermittelt in 38 unter 84 Fällen sachliche Differenzen und erkennt aus 47 Fällen, in denen der Dominikaner Etienne de Bourbon ein Predigtmärlein dem Jacques de Vitry nacherzählt, dasselbe Prinzip <ier Variation. Die Erbauungsschriftsteller des Mittelalters legten also auf treue Wiedergabe solcher historischer Überlieferungen keinen Wert, sondern änderten sie mit einer heut nur den Dichtern zugestandenen Freiheit, und zwar besonders, sobald Ort, Zeit und Personen nicht mehr genau bezeichnet waren. Kundig und ausführlich behandelt A. de Cock*) die dem Don Juan-Drama zugrunde liegende Sage von dem zum Mahl eingeladenen Toten; er zählt 45 Fassungen auf, unter denen die vlämischen auf die von Poirters 1646 gereimte Leontiusfabel zurück- gehen. — Einem andern ebenso berühmten Stoffe, der Tannhäusersage, widmete Nyrop^) ein anmutiges, mit Abbildungen geschmücktes Büchlein. Er begnügt

1) F. Heinemaun, Bibliographie der schweizerischen Landeskunde V, 5, Heft 3: Sagen und Legenden, Märchen und Fabeln. Bern, Wyss 1910. XX, 211 S.

2) A. Heusler, Geschichtliches und Mythisclies in der germanischen Heldensage (Sitzungsberichte der Berliner Akad. 1909, 922—945).

3) A. E. Schünbach, Studien zur Erzählungsliteratuv des Mittelalters 8: t'ber Caesarius von Heisterbach III (Sitzungsber. der Wiener Akad. 163, 1. 1909), 90 S.

4) A. de Cook, De sage van den te gast genooden doode (Verslagen der k. Vlaamsche academie 1909, 641— G82).

5) Kr. Nyrop, Fortids sagn og sänge (>: Tannhäuser i Venusbjaerget, med billeder. Kobenhavn, Gyidendal 1909. 120 S.

332 Bolte, Sclirader:

sich nicht mit einer Betrachtung des historischen Minnesängers, der deutschen Lieder und der Wagnerschen Oper, sondern zeigt auch, dass die Sage vom Ritter im Venusberge erst um 1450 aus Italien nach Deutschland drang und dort loka- lisiert und mit dem Wunder des blühenden Stabes verbunden ward. Die italienischen Erzählungen vom Berge der Sibylla (vgl. oben 17, 249) bringt er in Verbindung mit der Fee Morgana und mit keltischen Vorstellungen von einem Feenlande, wie sie im Lai de Guingamor, in den Sagen vom irdischen Paradiese und sogar bei den von Sven Hedin besuchten Kirgisen Tibets fortleben; er ver- mutet den Einüuss eines verlorenen französischen Artusromanes 'Lionel le sauvage'. Ebenso aufschlussreich und anziehend ist Nyrops oben 19, 469 er- wähnte Studie über die Sage von der Gräfin mit den 3G5 Kindern. Den ver- breiteten, aus einem orientalischen Märchen herzuleitenden Traum vom Schatz auf der Brücke verfolgte Bolte oben 19, 289 durch die Jahrhunderte und wies ebd. 19, 312 den ersten Bericht vom Hexensabbat am Nussbaum zu Benevent nach. Von K. de Wyls tüchtiger Arbeit über die Rübezahlsagen war schon oben S. 125, von J. Endts Sammlung der im Erzgebirge über den zauberkundigen Pater Hahn und den Wunderdoktor Rölz umlaufenden Sagen oben 19,465 die Rede.

Berlin. Johannes Bolte.

Karl ßhamm, Ethnographische Beiträge zur germanisch-slawischen Alter- tumskunde. Zweite Abteilung: Urzeitliche Bauernhöfe in germanisch- slawischem Waldgebiet, 1. Teil: Altgermanische Bauernhöfe im Übergang vom Saal zu Fletz und Stube. Mit 152 in den Text eingedruckten Abbildungen und zwei Tafeln. Braunschweig, F. Vieweg 1908, XXXII, 1117 S. 42 Mk. 2. Teil: Germanische Altertümer aus der slawisch- finnischen Urheimat, 1. Buch: Die altslawische Wohnung. Mit 45 in den Text eingedruckten Abbildungen, ebd. 1910. 431 S. 15 Mk.

Von diesen beiden mir vorliegenden Bänden des Rhammschen Werkes (vgl. oben 19, 330) werde ich ausführlicher nur den zweiten hier besprechen, einer- seits, weil es mir zurzeit an der nötigen Müsse fehlt, den beiden umfangreichen Bänden, die zusammen an 1600 Druckseiten umfassen, in gleicher Weise gerecht zu werden, andererseits, weil ich nach Massgabe meiner Studien glaube, auf dem Gebiet des altslawischen Wohnungswesens eher als auf dem des altgermanischen dem Verfasser und Leser etwas Neues bieten zu können. Doch hängen, wie sich noch zeigen wird, beide Gegenstände in dem Werke des Verfassers so eng zu- sammen, dass es notwendig sein wird, bei Besprechung der altslawischen Wohnung die Ausführungen des Verfassers über die altgermanischen Bauernhöfe, namentlich den zweiten und dritten Abschnitt (Die urnordische Wohnung und der Übergang von dem Saal zur Stofa und Die altnordische Wohnung in der Stofa-Zeit) häufiger heranzuziehen. Was nun die Darstellung der altslawischen Wohnung durch den Verfasser betrifft, so sei ihm vor allem der uneingeschränkte Dank der Volkskunde dafür ausgesprochen, dass er uns zum erstenmal ein deutsches Werk geschenkt hat, in dem eine der wichtigsten Seiten des slawischen, besonders des russischen Volkstums, eben das Wohnungswesen, auf Grund einer vorzüglichen Kenntnis der einheimischen Quellen untersucht wird.

Damit ist hoffentlich das Eis gebrochen, welches die deutsche Wissenschaft in Beziehung auf die Erforschung der volkstümlichen russischen Einrichtungen, Sitten

Berichte und Bücheranzeigen. 333

und Gebräuche seit lange gefangen hielt, und alle A.usstellungen, die man an dem vorliegenden Buche im einzelnen machen kann, müssen vor dieser seiner prinzipiellen Bedeutung zurücktreten. Auch verdient die Arbeit des Verfassers doppelte Anerkennung, wenn man die von ihm (Vorwort S. VIII) mit Recht hervor- gehobene, wahrhaft klägliche Ausstattung unserer Bibliotheken mit der auf die Volkskunde der slawischen Länder bezüglichen Literatur bedenkt. Doch bereitet sich auch hier ein Wandel vor, und. wie man hört, soll wenigstens eine der preussischen Universitätsbibliotheken, nämlich unsere Breslauer, als Zentrale für die slawische Literatur ausgebildet werden, wobei dann natürlich vor allem die Volkskunde gebührend zu bedenken wäre.

Das Buch des Verfassers zerfällt in zwei Abschnitte, von denen der erstere Das Wohnhaus der russischen Slawen und seine verschiedenartige Einrichtung' betitelt ist. In dem L Kapitel werden zunächst die beiden sich fundamental von- einander unterscheidenden Gruppen des russischen Hauses, nämlich 'das Stock- haus', d. h. das auf einem niedrigeren oder höheren Unterbau errichtete Haus, das demzufolge wieder in ein 'Niederstockhaus' (in den mittleren Landschaften) und ein 'Hochstockhaus' (Nordrussland) zerfällt, und 'das Niederhaus', d. h. das auf dem flachen Erdboden stehende Haus (südwestliches Gross-, Klein- und Weiss- russland) anschaulich und ausführlich dargestellt und erläutert.

Nachdem sodann das durch die Verbindung von Hof und Haus charakterisierte nordrussische Haus in seinen beiden Erscheinungen, der des Einbaus (mit Längs- rerband von domü und dvorä), des 'Nowgoroder Hauses' (Wologda, Archangel, Olonetz) und der des Zwiebaus (mit seitlicher Verbindung von domii und dvorü; Jaroslaw, Wologda) eingehend besprochen worden ist, geht der Verfasser in dem 2. Kapitel des ersten Abschnitts (Die Entwicklung des russischen Bauernhauses) dazu über, die ersten seiner Hauptsätze aufzustellen. Sie lauten: 1. Das altslawische Haus war ein einziger Raum mit der Tür, bzw. dem Vorhaus am Giebel. Er besass als Feuerstätte einen von innen zu heizenden Ofen und führte überall den Namen izba. 2. Hoch- und Niederhaus besitzen die Einrichtung des polü, ein Wort, das in ersterem den das Haus über den Erdboden erhebenden hölzernen Fussboden, in letzterem eine Art von hölzerner Bühne bezeichnet.

Der Begründung dieser Sätze sind das 3. Kapitel (die izba des grossrussischen §tockhauses) und das 4. Kapitel (die izba des Niederhauses) gewidmet. Das 5. Kapitel beschreibt die Konstruktion des Daches (die Strohtechnik, der Walm, der Traufrand, das Dachgerüst). In einem Anhang wird über die Vorhalle, die seni, gehandelt, die einen wesentlichen Teil der izba-Wohnung ausmacht.

Die Urbestandteile der altrussischen, d. h. nach dem Verfasser zugleich alt- slawischen Wohnung sind demnach die durch den Ofen geheizte izba zusammen mit dem immer kalten Vorraum der seni.

Ist dieses den Slawen nach dem Verfasser vor der Zeit der grossen Wanderung eigentümliche Wohnhaus bodenständiges Gewächs? Oder haben sie es anders- woher übernommen? Und woher? Die Antwort lautet, und mit ihr betreten wir zugleich das Gebiet des zweiten Abschnitts unseres Buches (Das altslawische Wohnhaus istüba und sein germanischer Hintergrund): „Die altslawische Wohnung ruht mit allem, was in ihr niet- und nagelfest ist, nicht auf eigenem Gründe, sondern auf einer Nachahmung germanischer Wohnungsverhältnisse" (S. 311).

Um dies zu verstehen, muss man sich einige der Ergebnisse vergegenwärtigen, 2u denen der Verfasser in dem ersten Teil der zweiten Abteilung seines Werkes hinsichtlich des altgermanischen Bauernhauses gekommen zu sein glaubt. Ihnen

334 Schrader:

zufolge wäre für die altskandinavischen Verhältnisse eine doppelte Wohnart zu unterscheiden. Die ältere wird durch die Namen Saal oder Halle mit dem Plet (zum Sitzen oder Schlafen), die jüngere durch den Namen Stofa mit dem pallr (eine treppenstufenartig hergestellte bretterne Erhebung des Erdbodens) charakteri- siert. Die letztere ist aus der Badestube hervorgegangen, in welcher der pallr dazu diente, dem sich Abdampfenden immer höhere Wärmegrade zu ermöglichen. Eine solche Stofa-Wohnung muss nach dem Verfasser schon in den ersten Jahr- hunderten unserer Zeitrechnung bei einem germanischen Stamm im inneren Russ- land vorhanden gewesen sein (II, 1, 436). Sie ist es, die der slawischen izba zum Vorbild gedient hat.

Um dies zu erhärten, dient dem Verfasser die Sprache als "Wegweiser, d. h. es wird eine Reihe charakteristischer Ausdrücke der altnordischen Pallstube mit ebensolchen Termini des grossrussischen Stockhauses verglichen und der Versuch gemacht, die letzteren als Entlehnungen aus dem ersteren zu deuten. Es handelt sich dabei um folgende Gleichsetzungen (S. 312):

1. Russisch istüba, izba (s. o.) aus altn. stofa, 2. russisch banja 'Bad' aus altn. baO („unter Anfügung des Suffixes -nja"), 3. russisch laznja 'Bad' aus altn. laug 'Lauge' (ebenfalls „unter Anfügung des Suffixes -nja"), 4. russisch culanü 'Abscheidung in der izba' aus altn. kylna 'Kochhaus', 5. russisch polü (s.o.) aus altn, pallr 'Sitzbühne zu beiden Seiten der -stuf a', 6. russisch golbecü 'schrankartiger Verschlag am Ofen' aus altn. golf 'die vorderste Abteilung der stufa', 7. russisch polati 'hohe Schlafbühne in der izba' aus altn. loptr 'jeder obere Raum, insbesondere der Oberstock des Hauptgadems', 8. russisch selomü 'First' aus schwed. hjelm 'bewegliches Schutzdach'.

Hier sind wir zugleich bei dem Funkte angekommen, wo unser Widerspruch gegen den Verfasser einzusetzen hat; denn, um es kurz zu sagen, von den hier aufgezählten Gleichsetzungen ist keine beweiskräftig, weil sie entweder direkt falsch oder äusserst zweifelhaft sind, oder, wenn an sich richtig, doch aus anderen. Gründen nicht das beweisen können, was sie beweisen sollen.

Als direkt unmöglich sind aus zwingenden, jedem Sprachforscher unmittelbar deutlichen Gründen der Lautgeschichte und Wortbildungslohre die Erklärungen des russischen banja und laznja anzusehen. An ihre Entlehnung aus altn. baO' und laug kann unter keinen Umständen gedacht werden. Vielmehr ist banja eine gemeinslawische Entlehnung aus lat. balneum, griech. |3a>.«-i'eTov, wie schon Sieznevskij erkannte (vgl. jetzt auch Berneker, Slav. etymol. Wörterbuch S. 43), und für laznja ist trotz Rhamm S. 'ö22^ an der schon von Dahl angenommenen Identität mit laznja 'Stiege' von lazatT 'steigen' festzuhalten. Tatsächlich hat das Holzgorüst des russischen Dampfbads nicht selten die Ähnlichkeit mit einer Stiege oder Treppe. Ebenso unhaltbar ist die Herleitung des russ., und zwar nur russ. culanü aus dem oben genannten altn. Wort für Küche. Vielmehr ist culanü ein Wort türkisch -tatarischer Herkunft (vgl. Miklosich, Türk. Elemente S. 42), wie denn gerade im russischen Bau- und Wohnungswesen ein starker orientalischer Einschlag hervortritt. Vgl. Wörter wie chata 'Hütte', saraj 'Remise', cerdakü 'Erker', ambaru 'Scheune' u. a. Auch für russ. solnusü, das nordrussische Synonym für culanü, ist gewiss nicht mit Rhamm S. 346ff. an Entlehnung aus altn. svefnhus 'Schlafhaus', sondern eher mit Kors an finnischen Ursprung zu denken. Zu finnisch aitta (Rhamm S. 35<S) bemerke ich, dass es in dem Russisch-karelischen Wörterbuch von M. D. Georgievskij (St. Petersburg 1908) einfach mit culanti übersetzt wird.

Berichte uud Bücheranzeigen. 335

Ganz unmöglich ist endlich die Ableitung des russ. polati 'Schlaf bühne' aus altn. loptr, wie übrigens der Verfasser S. o83 selbst zu erkennen scheint. Es kommt ohne Zweifel von lat.-griech. palatium TraÄctVioi', TraXaVa, wenn auch die Bedeutungsentwicklung noch besser erforscht werden muss. Eine der Mittelstufen scheint 'Empore' (im kirchlichen Sinn) gewesen zu sein ("vgl. DahP S. 645 und M. R. Vasmer, Griechisch-slawische Studien 3, 154 f.)

Als noch nicht sicher gestellt ist das Verhältnis von altn. pallr: slaw. polü anzusehen. Mit Rhamm oder besser vor ihm leitet Johannson K. Z. 36, 370 das slawische "Wort aus dem Germanischen ab. Aber die Mehrzahl der Germanisten, zuletzt Fischer, Die Lehnwörter des Altnordischen, Berlin 1909, S. 16, 44, nehmen doch umgekehrt Entlehnung des altn. pallr aus slawischem poKi an, das seiner- seits wieder entweder für einheimisch, oder aus dem urgriech. rraXo; 'Stange, Balken' als entlehnt angesehen wird (vgl. Vasmer S. 155). Mir scheint der slawische Ur- sprung von polü 'Diele' am wahrscheinlichsten, das zu polot! 'spalten' gehören, und, worauf mich mein Kollege Neckel aufmerksam macht, mit altn. fi^l 'Brett' (*pelä) zusammenhängen wird. Ob pallr, das sich auf das Altnordische be- schränkt — ein deutsches von Rhamm (II, 1, 434) herangezogenes phal 'die oberste der terrassenförmig aufgestellten Bänke im Bad' scheint auf schwachen Füssen zu stehen , aus polü entlehnt ist, wage ich nicht zu entscheiden. Jeden- falls ist die Reihe pallr-polü viel zu unsicher, um historische Schlüsse von solcher Bedeutung zu tragen.

Für einigermassen wahrscheinlich ist hingegen mit Rhamm die Entlehnung des russ. golbecü aus altn. golf anzusehen (so auch Berneker S. 320). Allein dasselbe könnte bei seiner Beschränkung auf das Russische einer-, das Nor- dische anderseits, ungefähr wie das russ. jarusü 'Stockwerk' aus altn. jardhüs, höchstens etwas für die Warägerzeit, nicht aber für germanisch-slawische Beziehungen vor dem 6. Jahrhundert beweisen. Russ. selomü 'First' und schwed. hjelm endlich haben ihre besondere Bedeutung, was übrigens auch der Verfasser als möglich andeutet, offenbar erst auf dem Boden der beiden Einzelvölker ent- wickelt.

Somit bleibt von der oben angeführten Liste nur das gemeinslawische izba aus einem germanischen stuba (des genaueren ist die Lautentsprechung noch nicht ermittelt) als beweisend für einen germanisch-slawischen Zusammenhang auf dem Gebiet des Wohnungswesens vor der slawischen Wanderung übrig. Was aber bedeutete izba damals auf slawischem Boden? Die durch den Araber Ibrahim ihn Jakub für itba = izba bezeugte älteste Bedeutung ist Badestube. Da aber,, so folgert Rhamm S. 331, die Slawen für diesen Begriff bereits zwei andere Aus- drücke, nämlich banja und laznja, von den Germanen entlehnt haben, so kann das Wort izba „von Anfang an nur die Wohnstube bedeutet haben". Nachdem wir oben gezeigt haben, dass der Vordersatz Rhamms falsch ist, fällt auch der Nachsatz in sich zusammen. Die älteste Bedeutung von izba auf slawischem Boden kann daher sehr wohl Badestube gewesen und die Entwicklung von der Badestube zur Wohnstube auf slawischem Boden erfolgt sein. Ein Überbleibsel der Zeit, in der izba nur Badestube oder Bade- und Wohnstube war, wird die auch von Rhamm angemerkte, in zahlreichen Teilen Russlands herrschende Sitte bewahren, das sonnabendliche Dampfbad in dem Ofen der izba selbst zu nehmen. Genau dieselbe Entwicklung wie die russ. izba hat die litauische pertis 'Bade- stube' von periü 'schlage mit dem Badequast' durchgemacht, insofern im Lettischen, wie Bielenstein Holzbauten S. 110 gezeigt hat, die Badestube zugleich auch als Wohnung und zu anderen Zwecken gedient hat. Im Finnischen, z. B. im Kareli-

336 Schrader, Michel:

sehen (parti) ist dann das lit.-lett. Wort der gewöhnliche Ausdruck für izba geworden.

Für die Rekonstruktion der urslawischen Wohnung ist meines Erachtens von •dem echt slawischen seni 'Vorhalle = griech. o-xvivv]' (*ska(i)na) 'leichte Hütte, Zelt' auszugehen. Die Gleichung beweist, wie die Beschaffenheit der ältesten slawischen Wohnung gewesen ist. Gebadet wird man damals, d. h. vor Einwirkung des germanischen Einflusses, ebenso haben wie die Skythen des Herodot IV, 73, d. h. in Zelten, die mit Filzdecken behangen waren. Demgegenüber wird die germanische stuba (izba) den ürslawen zuerst den germanischen Blockbau, der den Dampf und die Hitze weit besser festhielt, gebracht haben. Nachdem die izba in der oben geschilderten Weise sich auf slawischem Boden selbst zu einer Art von Wohnung entwickelt hatte, wird aus seni und dem germanischen izba (bei den Klein- und Weissrussen aus sini, seni und dem persischen chata) durch Zu- sammenrückung der ürtypus des altrussischen Bauernhauses entstanden sein. Doch muss ich die weitere Erörterung dieser Frage auf einen anderen Ort und eine hindere Zeit verschieben und kehre zu unserem Verfasser zurück.

Der Leser hat gesehen, dass ich den Hauptsatz des Verfassers, dass die alt- slawische Wohnung mit allem, was in ihr niet- und nagelfest ist, auf einer Nach- ahmung germanischer Wohnungsverhältnisse beruhe, nicht unterschreiben kann. Trotzdem wird der Wert des Buches dadurch nicht wesentlich beeinträchtigt. Die Hauptsache ist, dass wir vor Rhamm in Deutschland über das russische Haus recht wenig wussten, und dass wir jetzt durch Rhamm über sein Inneres und Äusseres in einer Vollständigkeit belehrt werden, von der diese immerhin kurze Anzeige kaum eine genügende Vorstellung gegeben haben dürfte. Wenn der Ver- fasser geirrt hat, so hat er als Sprachforscher geirrt, der er, wie er selbst bemerkt, nicht ist, als der er sich aber doch wohl zu viel zutraut. Gleichwohl wird auch der Sprachforscher dem Verfasser dankbar sein müssen, da er durch ihn auf eine Fülle kulturhistorisch wichtiger Wörter aufmerksam gemacht wird und mit den Wörtern richtige Vorstellungen von den Sachen, die sie bezeichnen, ver- binden lernt.

Wir sehen dem folgenden Bande, der die wirtschaftlichen Verhältnisse des slawischen Bauernhofs untersuchen soll, mit Spannung entgegen.

Breslau. Otto Schrader.

Theodor Abeling, Das Nibelungenlied und seine Literatur (Zweiter Teil). Mit einem Faksimile (= Teutonia hrsg. v. W. IJhl, 7. Heft, Supplement). Leipzig, Eduard Avenarius 1909. XX, 76 S. 8". 3 Mk.

Bunter noch als der erste Teil dieses Buches, den ich oben 18, 117 f. be- sprochen habe, ist der zweite. , Er bringt nach einer etwas breit geratenen Vor- rede, in der sich Abeling mit seinen bösen Kritikern auseinandersetzt, schätzbare Nachträge und Ergänzungen zur Bibliographie und zu den Handschriften- beschreibungen. Dann folgt ein Abdruck nebst Faksimile des bisher nicht be- achteten Wiener Fragments einer Nibelungenhandschrift (= Lachm. 530 551). Daran schliesst sich die 'Klage' nach der neuerdings öfter behandelten Hand- schrift J: Abeling meint, es sei noch sehr zweifelhaft, ob diese Fassung der 'Klage' wirklich nur einen 'Auszug' darstelle, wie man in der Regel annehme, und nicht vielmehr die älteste vorhandene Gestalt des Gedichts repräsentiere. So wenig

Berichte und Bücheranzeigen. 337

glücklich mir diese These scheint, so verdienstvoll bleibt doch die vollständige Veröffentlichung der 'Klage' in einer jedenfalls eigenartigen Fassung. Minder förderlich ist der Neudruck des niederdeutschen Liedes von 'König Ermenrichs Tod', auf den ich gleich noch näher eingehen will. Im Anhang werden die Bibliotheks-Signaturen der Handschriften des Nibelungenliedes und ähnliche Dinge zusammengestellt. Endlich erhalten wir noch nützliche Register und Schluss- bemerkungen, unter denen für unsere Zwecke die leider nur allzu aphoristischen Angaben über Vortragsweise und Apparat von Moritatenerzählern auf Jahrmärkten des 19. Jahrhunderts in Betracht kommen.

Das Lied 'Koninc Ermenrikes döt' druckt Abeling nach Goedekes bekannter Ausgabe (Hannover 1851) ab, da über den Verbleib des Originals nichts zu er- mitteln gewesen sei (S. 57). Nun, es gehörte kein besonderer Spürsinn dazu, um es in der Königl. Bibliothek zu Berlin zu entdecken (Yf 80G1), zumal Goedeke im 'Grundriss' l ^, 459 ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht hat. Aber Abeling hat offenbar nur die erste Stelle des 'Grundrisses' aufgeschlagen, wo Goedeke des Liedes gedenkt (1 ^ 338), und nicht die eben zitierte zweite. Aus dieser zweiten hätte er auch ersehen, dass das Lied seither mehrfach in leicht zugänglichen Werken (z. B. in Oesterleys Anhang zu Goedekes 'Deutscher Dichtung im Mittel- alter' Dresden 1871, S. 19 ff. und in F. M. Böhmes 'Altdeutschem Liederbuch' Leipzig 1877, S. 9 ff.) abgedruckt worden ist, und vielleicht wäre ihm dann auch klar geworden, was es mit dem von MüUenhoff in der 'Zeitschr. f. deutsches Altertum' 12, 363 erwähnten 'jüngeren Druck in einem Liederbuch auf der Ham- burger Stadtbibliothek" für eine Bewandtnis hat: denn offenbar dachte MüUenhoff an das sogenannte 'de Boucksche Liederbuch', von dem er durch die Mitteilungen im 18. Bande des 'Serapeums' (1857, S. 262) wissen konnte und auf dessen Abdruck in den 'Niederdeutschen Volksliedern' (1. Heft, Hamburg 1883) Goedeke an jener zweiten Stelle des 'Grundrisses' hinweist. In dieser freilich weder recht bekannt gewordenen noch wissenschaftlich zulänglichen Publikation finden sich als Nr. 85 von 'Koninc Ermenrikes döt' 24, zum Teil unvollständige Strophen Weitere Orientierung bietet A. Kopps kundiger Aufsatz 'Die niederdeutschen Lieder des 16. Jahrhunderts' im 26. 'Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung' ;1900, S. 1 ff., 32 f.;. Aber damit sind selbst die bibliographischen Fragen, die sich an dieses merkwürdige Lied schliessen, noch nicht entfernt erledigt: es bleibt noch festzustellen, wann, wo und bei wem es in der älteren Gestalt gedruckt worden ist. Goedeke meinte (S. 4 seiner Ausgabe), es sei zwar ein selbständiges fliegendes Blatt, in Hamburg oder Magdeburg um 1560 hergestellt, aber das sechste aus einer grösseren Reihe, da es die Signaturen F, Fij und Fiij trage; 'einige Blätter der Reihe aus derselben Druckerei zeigen, dass vielleicht noch andere Heldenlieder dabei waren, der grösste Teil aber wahrscheinlich aus lyrischen Gedichten bestand'. Wir haben keinen Grund, Goedekes Angaben zu bezweifeln, allein bevor die erwähnten Blätter nicht zum Vorschein kommen, können wir damit wenig anfangen. Ein Buch, das von vornherein dazu bestimmt war, in fliegende Blätter zerteilt zu werden, dürfte immerhin zu den grössten Seltenheiten gehören. Viel wahrscheinlicher ist die Annahme, dass 'Koninc Ermenrikes dot' (und das mit ihm zusammengedruckte Lied auf den Junker ßaltzer, vgl. Liliencron, Historische Volkslieder 4, 44) einem bisher nicht be- kannten Buch als Annex dienten: derlei 'Beiwagen" waren ja im 16. Jahrhundert ausserordentlich beliebt.

In einem solchen Anhang, den Joachim Greff seinem Zachaeusdrama ('Ein schön neue Action auf das 18. vnd 19. Capittel des Evangelisten Lucae', Zwickau

Zeitschr. d. Vereius f. Volkskunde. 1910. Heft 3. 22

338 Michel, Rona-Sklarek:

1546) beigegeben hat, fand ich kürzlich ein noch nicht gebuchtes Zeugnis für das Fortleben der Heldensage im 16. Jahrhundert. Greff sucht da sein endloses Lazaruslied durch die Bemerkung zu rechtfertigen, dass 'yederman dis sagen mus / das es vil Christlicher vnd seliger ist / . . . von solchen , das ist Geistlichen vnd Christlichen Historien zu singen / Sonderlich Frawen vnd Junckfrawen / ia auch noch wol Jungen gesellen / als das sie auswendig lernen vnd singen / die lieder von Herr Ditterich von Bern / vom alten Hildebrandt / von Hertzog Ernst odder von dem Ritter aus der Steyermarck / welche yetz erzalte lieder ia auch zimlicher lenge / Schweres thon vnd doch nur pul Jieder vnd weltlich sein' (Bl. Giiij''). Wir wissen längst, namentlich aus Müllenhoffs 'Zeugnissen und Ex- kursen zur deutschen Heldensage' und Jänickes Nachträgen dazu (Zeitschr. f.' deutsches Alt. 12, 253 ff. 413 ff. 15, 310 ff.), dass Dietrich noch im 16. Jahrhundert neben Siegfried die bekannteste Persönlichkeit aus dem Kreise der Heldensage gewesen ist. Man hat aber zu wenig betont, dass auch das Ermenrichslied mit dazu beigetragen haben wird, diese Bekanntschaft lebendig zu erhalten. Damit soll nicht gesagt sein, dass Greff den eben zitierten Stossseufzer just im Hinblick auf das Ermenrichslied getan haben müsse. Die Stelle bedarf eingehenderer Interpretation, die ich in diesem Zusammenhange nicht geben kann.

Eingehenderer Interpretation bedarf jedoch auch das Ermenrichslied selbst, das Abeling eben nur abgedruckt hat. Ich sehe nicht, dass wir bisher über die Ergebnisse Goedekes und Jacob Grimms wesentlich hinausgekommen sind; was Rassmann in seiner 'Deutschen Heldensage' 1, 356 ff. über das Lied sagt, ist kaum erwogen worden. Wann es in der vorliegenden Fassung entstanden ist, muss sich bei genauer Betrachtung von Sprache und Metrik annähernd sicher bestimmen lassen. Aber auch die ursprüngliche Gestalt ist vielleicht mit Hilfe eddischer und rtltdänischer Heldenlieder in ihren Grundzügen zu erschliessen. Dass es trotz der jungen und entstellten Form Spuren hohen Alters an sich trägt, wird von den Sagenforschern wohl allgemein zugegeben; auch die Ähnlichkeiten mit den HamÖismQl sind ihnen nicht entgangen (vgl. etwa Symons in Pauls Grundriss 3 % 640.686; Jiriczek, Deutsche Heldensage ^ Leipzig 1906, S. 33 f.). Heusler hat gelegentlich darauf hingewiesen, dass es möglich sei, durch Heranziehung des Krmenrichsliedes eine richtigere Strophenfolge des HamOirliedes zu gewinnen (Anzeiger für deutsches Altertum 30, 81, vgl. oben 8, 102).

Berlin. Hermann Michel.

Hetfalusi Csängö Nepmesek gyöjtötte es jegyzetekkel kiserte Horger Antal. [Hetfaluer (Siebendörfer) Csango- Volksmärchen, gesammelt und mit Anmerkungen versehen von Antal Horger.] Budapest, Az Athenaeum Reszveuytarsulat tulajdona. 1908. YIII, 464 S. 8 °.

Im vorliegenden Werke, das den 10. Band der von der Risfaludy-Gesellschaft herausgegebenen Sammlung ungarischer Volksdichtungen bildet (Magyar nepköltesi gyüjtemeny), ist wieder ein gut Teil des reichen ungarischen Märchenhortes ge- borgen worden. A. Horger hat darin einen Teil der Märchen veröffentlicht, die er bei den in [sieben Dörfern des Kronstadter (Brassö-) Komitats ansässigen Csango-Magyaren gesammelt hat, eines wahrscheinlich vom grossen Stamme der Szekler abgesprengten, armen Völkchens, dessen Leidensgeschichte uns in der Einleitung erzählt wird. Wenngleich die 53 Märchen des Bandes in stofflicher

Berichte und Bücheranzeigen. 339

Hinsicht kaum Neues bieten, bilden sie doch eine sehr dankenswerte Ergänzung der ungarischen Märchenliteratur; denn sie bringen teils sehr interessante Varianten bekannter Märchen, teils bessere, d. h. absolut treue Wiedergaben von Märchen, die wir bisher nur in etwas redigierter Form kannten. In den Anmerkungen weist der Herausgeber auf die entsprechenden ungarischen Märchen früherer Sammlungen hin. Sehr dankbar wird der Leser das Verzeichnis der in den Märchen vorkommenden Dialektausdrücke am Schluss des Bandes begrüssen. Den grossen Vorzug der ungarischen Märchen, ungemein lebendig und anschaulich erzählt zu werden, teilen auch die vorliegenden Märchen, überraschen aber den durch angarische Volks- märchenerzählkunst Verwöhnten durch die oft verwirrende Häufung verschiedenster Motive in einem Märchen. Den lang ausgesponnenen humoristischen Einleitungen und Schlüssen begegnen wir auch hier wieder. Durch die Form interessiert Nr. 25, eine Variante des in Ungarn sehr beliebten Märchens vom entwendeten und wiedergewonnenen Zauberring. Es ist in Versen erzählt und dürfte damit bisher ganz einzig in ungarischen Märchensammlungen dastehen. Wie A. Horger in der Anmerkung mitteilt, hat er es von einem 45 jährigen Töpfer, dem besten Märchenerzähler des Dorfes, der ihm berichtete, er habe es in seiner Jugend von zwei berühmten Märchenerzählern gehört, die dieses Märchen im Walde beim Holzhauen oder Sägen herzusagen pflegten, und zwar abwechselnd jeder einige Worte oder eine Zeile, zum Takt der Axthiebe oder des Sägens.

Die bekannte Motive behandelnden Märchen^) seien zum Schluss zur Orientierung über die Sammlung zusammengestellt. Zu Nr. 1 : Märchen vom Glücks vogel, Grimm <30 und 122. Nr. 2: Einäuglein, Zweiäuglein, Dreiäuglein, verbunden mit dem Märchen von dem dämonischen Wesen, das das Vieh ins Hörn zurücktreibt und dafür die Heirat des Helden verbietet. List mit der Klage des Brotes (vgl. Köhler 1, 131). Zu Nr. 3 und 32: Der junge Riese (Grimm 90). Nr. 5: Treulose Schwester und Drachentöter. Zu Nr. 6, 30 und 50 Der Krautesel (Grimm 122). Zu Nr. 7: Bruder Lustig (Grimm 81). Nr. 11 Die drei Pomeranzen. Nr. 12: Schäfer Wahrhaft (Gonzenbach n). Nr. 13 Das kluge Mädchen (Grimm 94). Nr. 15 und 16: Der Tierbräutigam. Nr. 20 Die drei Ratschläge (Gonzenbach 81). Nr. 21: Das Brüdermärchen (Grimm 60) Nr. 22: Cymbelinestoff. Nr. 23: Räuberbräutigam (Grimm 40). Nr. 26 Polyphem. Nr. 27: Grindkopfmärchen. Nr. 28 und 29: Märchen von der auf der Hochzeitsfahrt durch eine andere verdrängten und geblendeten Braut. Nr. 31: Narrenstreiche (u. a. Fett und Kuhhaut verkaufen). Nr. 33: Das Rätsel (Grimm 22). Nr. 35: Gestiefelter Kater. Nr. 36: Märchen von den zwölf Brüdern, deren jüngster die goldhaarige Jungfrau holen muss. Nr. 37: Märchen von den zwei neidischen Schwestern in 1001 Nacht. Nr. 38: Märchen von den Tierschwägern, verbunden mit Rhampsinits Schatz. Nr. 40: Allerleirauh (Grimm 65). Nr. 41: Lügenmärchen. Nr. 42, 51, 52: Märchen vom hohen Baum, in dessen Wipfel ein Schloss ist Nr. 44: Schneewittchen. Nr. 46: Feuerzeug (Andersen). Nr. 47: Das tapfere Schneiderlein (Grimm 20). Nr. 48: Simeliberg (Grimm 142). Nr. 53: Meisterdieb und der gescheite Hans (Grimm 192 und 32).

Berlin. Elisabet Rona-Sklarek.

1) [Von den Nummern 14, 27, 28, 36, 37, 38, 42 linden unsere Leser jetzt eine deutsche Übertragung bei E. Bona - Sklarek, Ungarische Volksmärchen, neue Folge. Leipzig, Dieterich 1909. J. B.]

22*

340 Brandsch, Lange:

B. Fabö, A magyar nepdal zenei fejlödese. (Die musikalische Entwicklung- des magyarischen Volksliedes.) Budapest 1908. 608 S.

Der Verfasser versucht es auf Grund vorhandener Liedersammlungen, eigener VolksHedaufnahmen und des allerdings nicht sehr reichen handschriftlichen und gedruckten Materials aus älterer Zeit eine Geschichte des magyarischen Volksliedes und Tanzes und die Entwicklungsgeschichte der magyarisch-volkstümlichen Melodik und Rhythmik zu schreiben. Da eigentlich alle Vorarbeiten fehlen, war der Ver- such bei den eigentümlichen ethnographischen Verhältnissen Ungarns trotz ge- legentlicher Heranziehung slowakischer, rumänischer und anderer Volkslieder gewagt. Und es zeigt sich denn auch im Verlauf der Darstellung auf Schritt und Tritt, dass der Verfasser in Ermanglung gründlicher Einzeluntersuchungen zu anfecht- baren Hypothesen greifen muss, so in der Konstruktion des magyarischen Ur- verses, der von westeuropäischem Einfluss unabhängig aus der Urheimat mit- gebracht worden sein soll, in der Aufweisung slawischer und türkischer Elemente im magyarischen Volkslied, in seinen Ansichten über die Entstehung und den Ur- sprung der einzelnen Tanzformen. Namentlich steht die Melodienvergleichung im einzelnen noch auf unwissenschaftlicher Grundlage, und es genügt dem Verfasser häufig eine entfernte Ähnlichkeit im Rhythmus oder in der Tonführung, um Ver- wandtschaft zu konstatieren.

Trotz alledem ist das Buch wertvoll, nicht nur weil es eine Fülle von an- regenden und zum Teil neuen Ideen enthält, sondern auch als Materialiensamm- lung (es bringt gegen tausend Notenbeispiele). In grossen Zügen ist wohl auch die Entwicklung des magyarischen Volksliedes, namentlich seine Befruchtung durch die kirchliche Musik und dann wieder die jüngste Epoche im 19. Jahrhundert, richtig gezeichnet. Für das so interessante Problem des gegenseitigen Verhältnisses und der gegenseitigen Beeinflussung der nationalen Musik bei den verschiedenen Volksstämmen Ungarns bleibt der Einzelforschung noch sehr viel, um nicht zu sagen alles, zu tun übrig.

Treppen, Post Mettersdorf (Siebenbürgen). Gottlieb Brandsch.

Daiji Itchikawa (Lektor am orientalischen Seminar und Lehrer des Japanischen an der Königlichen Kriegsakademie zu Berlin), Die Kultur Japans. Berlin, Karl Curtius 1907. 149 S. 2 Mk.

Die meisten Leser werden dieses Buch mit grossen Erwartungen in die Hand nehmen, in der Hofi'nung, dass ein Japaner die Kulturverhältnisse seines Vater- landes klar und wahrheitsgetreu darlegen werde. Aber ich fürchte, dass sie es nicht voll befriedigt aus der Hand legen werden. Das kleine Werk, das seine Entstehung einer Reihe von Vorträgen verdankt, die der Verf. an verschiedenen Orten gehalten hat, ist nach dem Vorwort nicht für Fachgelehrte, sondern für Laien bestimmt und soll nur die allgemeinsten und allerwichtigsten Punkte der japanischen Kultur enthalten. Es ist nicht zu leugnen, dass der Laie manche Be- lehrung über die japanische Kultur erhalten wird, und selbst auch der Fach- gelehrte dürfte manches darin finden, was ihn interessieren wird und was in Büchern ähnlichen Inhalts, die von Europäern geschrieben sind, nur selten zu finden ist. So z. B. die Darstellung über die Einführung der holländischen Sprache im 18. Jahrh. (S. 68 ff.), ferner die Wiedergabe der fünf Artikel des sogenannten

Berichte und Bücheranzeigen. 341

Eides (S. 14d), den der jetzige Kaiser kurz nach seinem Regierungsantritt im Jaiiro 18G8 abgelegt und auf dem die Forderung der Japaner nach einer Ver- fassung beruht. Auch kann man den Ansichten des V^erf. über die angebliche gelbe Gefahr (S. 48 fr.), die uns von China und Japan drohen soll, nur zustimmen. Auf der andern Seite leidet das Werkchen aber an vielen Mängeln, die eine ge- rechte und unparteiische Kritik nicht verschweigen darf. Leider ist die Dar- stellungs- und Ausdrucksweise des Verf. stellenweise so knapp, unklar und schief, dass der Laie oft nicht wissen wird, was derselbe meint, und falsche Vorstellungen von den Verhältnissen erhalten wird ; nur der Fachgelehrte wird in solchen Fällen den Worten des Verf. den richtigen Sinn unterzulegen imstande sein. Der Raum gestattet mir nur ganz wenige von den vielen Fällen anzuführen. So spricht der Verf. oft von der Politik 'Tokugawas', während er die 'Tokugawafamilie' meint, er spricht stets von 'Buddha', worunter man nur den Stifter der Religion ver- stehen kann, während doch die japanische Sonnengottheit Amaterasu nicht mit diesem Buddha identifiziert worden ist (s. hierzu S. 98 f.). Was soll sich der Laie ferner bei dem kurzen Ausdruck 'Universjtätshalle', S. 83, denken? usw. usw. Auch fehlt es nicht an Verstössen gegen bekannte historische Tatsachen. Nach der Darstellung des Verf. ist z. B. die Einführung der westlichen Kultur der Ini- tiative des jetzigen Kaisers zuzuschreiben, während es doch eine historische Tat- sache ist, dass damit schon die Shögunregierung während der letzten Zeit ihres Bestehens begonnen und der Kaiser nach der Beseitigung jener Regierung und Wiederherstellung seiner Macht diese Politik nur fortgesetzt hat. Der Fürst No- bunaga wird S. 20 Shögun genannt, und lyeyasu soll die Shögunregierung errichtet haben (S. 28. 33). Falsch ist auch die Darstellung des Abschlusses der ersten Verträge (S. 32) und die Behauptung, dass die Amerikaner im Jahre 1860 zum zweiten Male nach Japan gekommen wären. Merkwürdig und unverständlich ist die Bemerkung S. 113 über den Ursprung der japanischen Ethik. Es heisst dort folgendermassen: „Was die Quelle der japanischen Ethik anbetrifft, so ist sie so- wohl in den orientalischen als auch in den okzidentalischen Religionen zu finden, ganz besonders aber in der westlichen Philosophie und hauptsächlich in der Lehre des Konfuzius." Aus seiner weiteren Darlegung geht hervor, dass sie nur auf den Grundsätzen des Buddhismus und der chinesischen Philosophen beruht, was auch den Tatsachen entspricht. Vor allem vermisst man aber eine Darstellung der japanischen Kunst auch nur in den kleinsten Umrissen, die doch auch zur japa- nischen Kultur gehört. Eigentümlich ist auch, dass der Verf. bei der Besprechung der geistigen Kultur nur die religiösen Verhältnisse und die Ethik behandelt, während Sprache, Wissenschaft und Erziehungswesen in dem Artikel materielle Kultur ihren Platz gefunden haben. Der Stil und die Ausdrucksweise sind ein- fach, aber stellenweise einförmig und durch die häufige AViederholung derselben Ausdrücke ermüdend (man vgl. nur S. 91, wo zehnmal der Ausdruck 'geistige Kultur' gebraucht ist); bisweilen ist die Darstellungsweise naiv, und der Verf. verbreitet sich über manches, was sich von selbst versteht, wie besonders in dem Artikel über die Ethik. '

Man darf nicht verkennen, dass die Bearbeitung eines solchen Themas in deutscher Sprache für einen Japaner grosse Schwierigkeiten hat, aber es ist die Frage, ob die Notwendigkeit vorlag, wiederum ein Werk so allgemeinen Inhalts über Japan, von denen es schon so viele gibt, zu veröffentlichen. Was nach meiner Ansicht für unsere Kenntnis des Landes ein viel dringenderes Bedürfnis ist, das sind Arbeiten über Spezialfragen.

Berlin. R udolf Lans:e.

342 Bolte, Bartels:

E. H. van Heurck et J. Boekenoogen, Histoire de rimagerie populaire flamande et de ses rapports avec les imageries etrangeres. Bruxelles, G. van Oest et cie 1910. IX, 729 S. 4^ 30 Fr.

Öfter schon ist der Mangel einer Übersicht über die reiche Bilderbogen-Pro- duktion Deutschlands während des IG. und 17. Jahrhunderts bedauert worden; noch auffälliger aber ist die Vernachlässigung der künstlerisch freilich weit tieferstehenden Volksbilderbogen des 19. Jahrhunderts. Höchstens die politischen Karikaturen oder die Leistungen begabter Zeichner wie Schadow, Schwind, Busch haben Be- achtung gefunden, und gelegentlich ist auf die Bedeutung der Neuruppiner Ver- lagsfirmen hingewiesen worden (Bauer in Velhagens Monatsheften 18, 2, 633 650. 1904). Und doch böten diese für manche Volksschichten so einflussreichen und für die Kulturgeschichte wichtigen Blätter ein hübsches Objekt für Sammler. Die alten Verse „Was Glehrte durch die Schrift verstahn, Das lehrt das Gmähl den gmeinen Mann" (Scheible, Die fliegenden Blätter des 17. Jahrhunderts 1850, S. 249) gelten mutatis mutandis auch noch für die Zeit vor 100 Jahren.

Solche Gedanken steigen uns beim Durchblättern des vorliegenden grossen und prächtig ausgestatteten Bandes auf, der eine Geschichte der vlämischen Bilder- bogenliteratur zu geben verheisst. Den Anlass zu seiner Entstehung gab die Er- werbung sämtlicher Holzstöcke des Verlegers Brepols zu Turnhout und des Bilder- vorrates des Verlegers Beersmans ebenda durch Herrn van Heurck. Dieser ver- fasste nun ein beschreibendes Verzeichnis sämtlicher während des 19. Jahrhunderts in Turnhout angefertigter Bilderbogen und ging der Entwicklung der dabei be- teiligten Druckerfirmen nach (S. 21— 517), vervollständigte aber diesen Abschnitt dann im Verein mit Dr. Boekenoogen durch eine Schilderung des Herstellungs- verfahrens und durch gelegentliche Berücksichtigung anderer Blätter aus Gent und Schaerbeck. Ja, wir erhalten auf S. 531—665 einen dankenswerten Überblick über die Bilderbogenliteratur in den Niederlanden, in Frankreich, Deutschland, Österreich, Schweiz, Italien, Spanien, England, Russland und Schweden, wobei natürlich viele Partien in Ermanglung ausreichender Vorarbeiten ungleichmässig behandelt werden. Trotzdem freuen wir uns dieser nützlichen und warm an- zuerkennenden Leistung, deren Wert durch die Beigabe von mehr als 300 Ab- bildungen, zum Teil Abdrücken der Originalstöcke, und von 14 Tafeln noch er- höht wird. Hinsichtlich des Kunstwertes können sich diese roh ausgeführten Blätter allerdings nicht mit den Bilderbogen des 16. bis 17. Jahrhunderts messen, die als beliebter Wandschmuck in vielen Bürgerhäusern dienten, aber sie führen uns hinein in den Gedankenkreis des niederen Volkes, und besonders der Kinder, die sie oft im Tauschhandel vom Lumpenmatz erhielten: wir finden das Abc dar- gestellt, Kinderspiele, den Popanz, Musikanten, Handwerker, Zeitereignisse. Mächtig erweist sich, hier wie in allen Erscheinungen des Volkstums, die Tradition: in den bis ins Mittelalter zurückgehenden geistlichen Darstellungen, in den Figuren der Volksbücher Reinke Vos, Eulenspiegel, Valentin und Oursson, des ewigen Juden, Cartouche, Robinson, in den nationalen Typen des Lammen Goedzak, Jan Klaassen, Klaes Kapoen, Tetjeroen, Mannekenpis, in den Abbildungen der Sprich- wörter, der Stände, Altersstufen, des Kredits, der Mode, des schon bei H. Sachs beschriebenen Freierbauraes, der Ehesatiren, der verkehrten Welt, des Schlarafl:en- landes usw. Die Märchen sind teils aus Perrault geflossen, teils aus der Grimm- schen Sammlung (Bremer Stadtmusikanten, Marienkind). Und nicht nur Schillers Gang nach dem Eisenhammer, sondern auch Meyerbeers Robert der Teufel und

Berichte und Bücheranzeigen. 343

Mozarts Zauberflöte gelangen durch diese Vermittlung ins vlämische Volk. Wer der Geschichte verbreiteter Vorstellungen und^ Erzählungsstoffe nachgeht, findet hier mancherlei Material, dessen Verwendung durch gute Register der Abbildungen, Gegenstände, Städte, Drucker usw. bequem gemacht wird. Es wäre zu wünschen, dass sich viele Leser des Werkes zur Mitarbeit auf diesem noch wenig beackerten Felde bewegen Hessen.

Berlin. Johannes Bolle.

M. A. yan Andel, Volksgeneeskunst in Nederlaud. Proefschrift (Leiden). Utrecht, J. van Boekhoven 1909. 459 S. 2 Abb. 8°.

Diese als medizinische Doktordissertation abgefasste Schrift enthält eine Zu- sammenstellung einer grossen Reihe von volksmedizinischen Angaben, die der Verfasser mit grossem Fleisse teils selbst gesammelt, teils aus der Literatur zu- sammengetragen hat. Wie er sehr richtig hervorhebt, hat ja gerade der Arzt sehr häufig gute Gelegenheit, besonders wenn die Art seiner Hilfeleistung, z B. bei Entbindungen, ihn lange Stunden im Hause der Patienten festhält, das Vertrauen der Familien auch nach der Richtung hin zu gewinnen, dass sie ihn in manche Geheimnisse der Hausapotheke einweihen; dies hat sich der Verfasser zunutze gemacht und bei Gelegenheit seiner beruflichen Tätigkeit mancherlei in Erfahrung zu bringen gesucht, was hier als der Kern seines Werkes wieder erscheint. Dazu kommt weiteres Material, welches er durch Versendung von Fragebogen an Ärzte, Apotheker, Lehrer, Geistliche und von Hebammen erhielt; ferner wurde natürlich die Literatur berücksichtigt, und da diese zum Teil solchen Quellen entnommen ist, welche im Ausland weniger bekannt und zugänglich sind, so dürften auch diese Angaben vielen willkommen sein. Die Anordnung des Stoffes richtet sich nach der Systematik der Krankheiten. Zuerst wird Schw^angerschaft, Geburt und Kind- bett behandelt; dann folgen die Kinderkrankheiten, Geistes-, Augen-, Ohrenkrank- heiten, Erkrankungen der Atmungs-, A'^erdauungs- und Geschlechtsorgane, In- fektionskrankheiten, Hautkrankheiten, Chirurgisches und rheumatische Erkrankungen. Die Einzelheiten lassen sich hier natürlich nicht zusammenfassen; man wird manchen interessanten Fund machen. Als Beispiel führe ich an das Inserat aus dem „Xieuwsblad voor Neederland" von 1907: „Mejuffr. N. N., Planeet- en Handlijnkundige, is met en heim geboren. Geeft opheldering in alle zaken, is elken dag te spreken" ein interessanter Beleg dafür, wie allgemein verbreitet in Holland noch heute der Glaube sein muss, dass ein 'im Helm' oder, wie wir sagen würden, 'in der Glückshaube' geborener Mensch mit übernatürlichen Kräften begabt sei. Von den Abbildungen stellt die eine ein Amulett gegen die Fraisen vor: an einer Schnur sind aufgereiht eine Elensklaue, ein in Silber gefasstes Maul- wurfspfötchen, eine ohrförmige Muschel und ein mit einer eingeschnittenen, an- geblich Jesus vorstellenden Figur geschmückter violetter Stein, gleichfalls beide in Silber gefasst; das Mittel wird verliehen und dem Leidenden unter das Rissen gelegt. Man erkennt hier auch sonst beliebte Fraismittel wieder. Die andere Ab- bildung zeigt drei gegen die fallende Sucht gebrauchte Zettel mit einem Gebet an die h. drei Könige von Köln (welche vor Maria mit dem Kinde "niederfielen') aus dem 19. Jahrhundert; eines derselben ist in französischer, die anderen beiden in holländischer Sprache abgefasst; sie befinden sich in der Kgl. Bibliothek zu 's Gravenhage.

Berlin. Faul Bartels.

344 Notizen.

Notizeü.

Achtzehnhundertneun, die politische Lyrik des Kriegsjahres, herausgegeben von E. F. Arnold und K. Wagner. Wien 190i>. XXIX, 482 S. geb. 20 Mk. (Schriften des literarischen Vereins in Wien 11). Die österreichische Jahrhundertfeier der Schlacht von Aspern und der Tiroler Kämpfe gegen Napoleon I. und seine Verbündeten hat neben wissenschaftlichen und gemeinverständlichen Rückblicken auch das vorliegende Buch ge- zeitigt, in dem der Wiener Literarhistoriker Prof. Arnold mit einem jüngeren Mit- arbeiter eine überraschend reiche, um nicht zu sagen erschöpfende Sammlung der öster- reichischen Kriegslyrik jenes Vorspiels zu dem deutschen Befreiungskriege von 1813 aus Zeitungen, Flugblättern und Handschriften mit allen -wünschenswerten historischen, sprach- lichen und literarischen Erläuterungen vor uns ausbreitet. Die grosse Zahl von 172 Liedern, die während dieses einzigen Jahres in Österreich entstanden, hat allerdings noch be- sondere Gründe. Mit Bewusstsein suchte die Regierung damals ausser ihren politischen und militärischen Reformen auch durch eine literarische Agitation in Prosa und Versen den Patriotismus des Volkes zu erwecken und zu steigern. Namentlich die neue Schöpfung der Landwehr ward von H. J. v. Collin, der als Vorläufer des Hoffmannschen Liedes 'Deutschland über alles' ein 'Ostreich über alles' (S. 50) dichtete, u. a. in geschickter Weise verständlich gemacht. Neben Collin, Friedrich Schlegel, Schleifer und Zoller marschieren freilich manche matte Reimer mit Reminiszenzen an Klopstock und Schiller auf; doch auch das ältere Soldatenlied vom Prinzen Eugen klingt kräftig nach, und viele mundartliche Gedichte unbekannter Verfasser treffen den echten Volkston. So schliesst eine derbwitzige Satire auf die in Tirol eingedrungenen Bayern mit den launigen Versen (S. 226):

Gemacht habens unser vier: Und werdt mich nicht verrathen;

Ich, Tinte, Feder und Papier. Sonst kam ich auf die Polizey,

Ihr seyd ja Kameraden Und da war aller Spass vorbey.

Wirkliche Volkslieder von kühner und leidenschaftlicher Färbung finden wir insbesondere in der Gruppe, welche die Heldenkämpfe der Tiroler darstellt, Dass Andreas Hofers treuherziges Sterbelied 'Ach Himmel, es ist verspielt' (S. 270) von Hofer selber herrührt, wie Hörmann annimmt, möchten wir entschiedener als die Herausgeber bezweifeln. Rühmenswert ist die musterhafte Textbehandlung und die ausgiebige sachliche Erläuterung, um derenwillen das Werk R. v. Liliencrons schöner Sammlung unsrer älteren historischen Volkslieder an die Seite gestellt zu werden verdient.

A. Brunk, Osnabrücker Rätselbüchlein (Progr. des Gymn. zu Osnabrück 1910, Nr. 429. 84 S). Die oben 17, 298—307 herausgegebene Sammlung erscheint hier von 106 auf 343 Nummern vermehrt und mit einer hübschen Einführung.

A. Freybe, Das deutsche Haus und seine Sitte. 2 Teile. Gütersloh, Bertelsmann 1910. VIII, 163. X, 223 S. 5 Mk. F. behandelt nach einer in Riehls Weise gehaltenen Einleitung die Herd und Haus gründende, die bekennende und heiligende, die gesellig verbindende, die warnende und bewahrende, die schmückende und die trauernde und tröstende Sitte. Der Wert seines nachdrücklich auf die ethischen Werte der Volkssitte hinweisenden Buches beruht weniger in den hier zusammengetragenen Materialien, bei deren Auswahl er von den neueren landschaftlichen Forschungen nur selten Notiz nimmt und zuweilen (in Mythologie, Etymologie, Hausbauforschung usw.) kritische Vorsicht ver- missen lässt, als auf den Anregungen, die er damit weiteren Kreisen, besonders Geistlichen und Lehrern, zum Nachdenken und zur Schonung bestehender Bräuche gibt. Der erste Teil war bereits 1892 zum ersten Male erschienen.

C. Catharina van de Graft, Palmpaasch, een folkloristische Studie van pahii- zondaggebruiken in Nederland. Dordrecht, C. Morks Gz. 1910. 72 S. mit 13 Tafeln. Die aus einer kleinen, aber methodisch angelegten Abhandlung (s. oben 17, 357) er- wachsene Studie schildert die durch umständliche Nachfragen ermittelte Verbreitung der verschiedenen Formen des mit einem Kranz und Vogel aus Brotteig u. a. verzierten Palmsonntagszweiges, mit .dem die Kinder in Holland herumziehen und singend Gaben

Notizen. 345

heischen. Natürlich stammt der Brauch aus der kirchlichen Sitte des Mittelalters, an diesem Tage mit grünen Zweioen in Prozession hinter dem Palmesel herzuziehen; aber die mit der neueren volkskundlichen Forschung vertraute Verfasserin weist noch weiter zurück auf die altgriechische Eiresione und die heidnischen Opferkuchen, um endlich in den letzten Kapiteln die nid. Zeugnisse und Bilder aus dem 17. bis 18. Jahrhundert und die neueren Palmzweigliedchen und deren Weisen vorzuführen. Die Illustrationen, ins- besondere die farbige Reproduktion eines Gemäldes von J. Buys (1772), sind wohlgelungen. Vgl. G. Schmidt, Palmsonntagszweige in Westböhmen (Zs. f. öst. Yk. 15, 153f.).

M. Herrmann, Bilder aus dem Kinderleben des 16. Jahrhunderts (Mitteilungen der Ges. f. deutsche Erziehungsgeschichte 20, 125 145). Zehn Abbildungen aus den in Braunschweig befindlichen Trachtenbüchern des Augsburgers Matthäus Schwarz und seines Sohnes.

M. Höfler, Die Schnecke (Die Propyläen 7, Nr. 25, S. 392-394. München lillO'.

Jakob Hurt, Setukeste laulud: Setukesian songs, the old folksongs of the Esthonians in the government Pskov and in two neighbouring parishes of Lifland, with a summary in german, 1—8. Helsingfors 1904 1907 (Monumenta Estoniae antiqua 1, 1—3: Carmina popularia = FF Publications, northern series 1). XL, 73(J, 88. XXVTII, 710, 1G8. IX, 474, 137 S. 42 Mk. Von den grossen Sammlungen zur estnischen Volkskunde, die der 1907 verstorbene Pastor Hurt zusammengebracht hat, liegen nunmehr die Lieder der orthodoxen Pleskauer Esten in vollständigem Textabdrucke vor. Es sind 268 epische und 699 lyrische Texte in dem bekannten Versmasse von vier Hebungen ohne Auftakt: Melodien fehlen. Leider konnte Hurt nicht gleich seinen Vorgängern Neus und Kreutz- wald (ISöOff.) eine vollständige Verdeutschung beigeben, sondern wurde durch V'i ge- waltigen Umfang seines Werkes genötigt, sich auf eine angehängte Inhaltsarf^*55e in deutscher Sprache zu beschränken. Auch für diese sind wir sehr dankbar, da wir so er- wünschten Einblick in die Gemütswelt des Estenvolkes und die verwendeten Motive ge- winnen. Wenn in den 'mythischen' Liedern Sonne, Mond und Sterne als Freier einer Jungfrau auftreten oder ein Sonnensohn erstochen wird, so scheint dies mehr eine poetische Hyperbel als eine mythologische Figur zu bedeuten; nur vom Hause des Totengottes Tooni herrscht eine konkretere Anschauung. Bäume, Sterne, ein Schmuck werden redend eingeführt, Vögel als Boten oder als Lehrer des Gesanges: der Schlaf, das Lied, die Lustbarkeit werden personifiziert; ein eigentümliches Symbol bildet das 'Liebesblatt' (1, 12), das ein Mädchen im Walde findet, aber nicht eher aufzuheben vermag, als bis sie ihren Schmuck, ihre gesamte Aussteuer, ihr Haus mit allen Brüdern verspi'ochen hat: wie sie darauf heimkommt, ist das Haus samt den Ihrigen in einem See versunken. Bekannte epische Stoffe sind die Losgekaufte (Erk-Böhme nr. 78), das in den Krieg ent- botene, aber durch seinen Bruder vertretene Mädchen, die Mutter und die Spinnerin (Erk- Böhme nr. 838), die zum Lachen gebrachte Prinzess (Grimm KHM. 64), ätiologische Fabeln von Pferd, Ochs, Espe, der mit Maria (nicht Petrus) wandernde Christus. Eine eigentümliche Erscheinung ist die Zusammenschweissung von zwei -oder drei epischen Liedern zu einem neuen. Die im 2. und 3, Bande enthaltenen lyrischen Stücke betreffen die verschiedenen Lebensstände, Beschäftigungen, Spiele und Feste. Den meisten Raum nahmen die Hochzeitsgesänge ein, welche das bei dieser Feier übliche umständliche Zeremoniell zeigen; bei jeder einzelneu Handlung wird gesungen, und für alle Gäste und alle Verhältnisse gibt es besondere Lieder, so z. B. wenn eine Einladung an die ver- storbenen Eltern im Grabe oder an einen früheren Liebhaber der Braut ergeht, wenn' der Bräutigam eine Witwe oder ein gefallenes Mädchen ehelicht oder selber ein 'Gefallener' ist. Wir erhalten ferner Begräbnislieder, Gesänge beim Johannisfeuer, für den Martins-, Annen-, Katharinentag, Aufzählungen der Flachsarbeiten, Klagen des Rekruten, der Magd,, der Waise, der unglücklichen Frau, Lügenlieder, Tierfabeln wie das Begräbnis der Bremse, des Hasen Klage usw. Das eigentliche Verdienst des Sammlers kann natürlicii nur ein Kenner der estnischen Sprache würdigen, aber auch so gebührt der Finnischen Literatur- gesellschaft lebhafter Dank, welche diesen Schatz allgemein zugänglich gemacht und au die Spitze der Veröffentliclmngen der Folklore-Fellows Society gestellt hat, von denen schon eben 19, 233 (Thuren; vgl. unten S. 347 Launis) die Rede war.

346 Notizen.

A. Koskenjaakko, Koira suomalaisissa ynnä virolaisissa sananlaskuissa (Der Hund in linnischen und estnischen Sprichwörtern). Diss. Helsingfors 1909. 142 S.

Das Land, Zeitschrift für die sozialen und volkstümlichen Angelegenheiten der Land- bevölkerung, Organ des Deutschen Vereins für ländliche Wohlfahrts- und Heimatpflege, Organ des Deutschen Landpflege Verbandes. Herausgeber Prof. Heinrich Sohnrey. 18. Jahrgang. Berlin, Trowitzsch & Sohn. 1910. 24 Nr. 4". 6 Mk. Unter den Zeit- schriften, welche sich mit deutscher Volkskunde beschäftigen, nimmt 'Das Land' nicht die letzte Stelle ein. Die Ziele, welche diese von Heinrich Sohnrey im Auftrage des Deutschen Vereins für ländliche Wohlfahrts- und Heimatpflege herausgegebene Halbmonatsschrift verfolgt, decken sich in manchen Punkten mit den Bestrebungen der Vereine für Volks- kunde. Dafür legt besonders der Abschnitt 'Heimat und Volkstum' in jeuer Zeitschrift beredtes Zeugnis ab. Diese Abteilung ist eine reiche Fundgrube von Originalberichten über alle Gebiete der Volkskunde. Die grosse Zahl der Mitglieder des Deutschen Vereins für ländliche Wohlfahrts- und Heimatpflege nach dem letzten Geschäftsbericht sind es über 5000 persönliche und etwa 450 korporative diese grosse Zahl, denen allen die Zeitschrift 'Das Land' zugeht, bürgt für eine weite Verbreitung und Kenntnisnahme der volkskundlichen Artikel durch ein hierfür besonders interessiertes Publikum. Wir haben daher aus diesen Anregungen auch weiterhin viele schätzenswerte Beiträge zu erwarten und können für die Pflege und Bewahrung volkstümlicher Überlieferungen aller Art die besten Hoffnungen auf 'Das Land' setzen. Was die Hauptziele des 'Deutschen Vereins' betrifft, so liegen sie auf dem Gebiet der praktischen Arbeit und Sorge für das Wohl- ergehen der Landbevölkerung in geistiger, körperlicher und sozialer Hinsicht. Diese Be- stre'iiiogen müssen jedem höchst 'dankenswert erscheinen, der für die Zukunft unseres Volke'.?'* besorgt ist und in der Abwanderung der Landbevölkerung in die grossen Städte keine naturnotwendige Erscheinung erblickt, sondern eine Krankheit, deren Heilung uns allen am Herzen liegen muss. In der richtigen Erkenntnis, dass die Liebe zur Heimat viel zur Bekämpfung des Übels der Landflucht beitragen kann, hat der Herausgeber des •Land' der geistigen Waffe der Volkskunde in seiner Zeitschrift Raum gewährt und be- kämpft so durch die Kunde von der deutschen Eigenart in Wohnbau, in Tracht, Gerät, Glaube, Brauch und Sitte die Gleichgültigkeit gegen die Grundlagen menschlicher Zu- friedenheit und irdischen Glücks, Heimat und Vaterland. Um nun auch einige Bei- spiele aus dem Inhalt der besprochenen Zeitschrift zu geben, sei der laufende 18. Jahr- gang herangezogen. Da finden wir eine von Chr. Schlag in Weida verfasste ausfülirliche Schilderung des Spinn- und Hutzenstubenwesens im Vogtlande und in Ostthüringen im 2. bis 4. Heft, eine Beschreibung des interessanten Richtefestes in Nordhannover von Job. Autlos in Lüneburg im 8. Heft, dann eine lebensvolle Besprechung der Advents- gebräuche im Böhmerwalde von Joh. Peter im 5. und von demselben im 12. Heft einen Aufsatz über das 'Eierpecken', eine Ostersitte im Böhmerwalde. Schliesslich sei noch ein anderer, vom Pfarrer Wildhagen zu Cumlosen im Heft 13 beschriebener Ostergebrauch aus der Priegnitz erwähnt, der 'Brautball' und 'Brautschiebel' heisst. Das sind zwar alles Volksbräuche, welche sich nicht nur iu den angegebenen Orten finden, sondern weit verbreitet sind oder waren, aber ihre Schilderung ist teils unmittelbar aus dem Leben oder der Er- innerung der ehemals dabei Beteiligten geschöpft und deshalb von Wert, zumal auch immer einige lokale Besonderheiten n)it unterlaufen, die bei systematischen Untersuchungen wichtig werden können. So ist die Zeitschrift 'Das Laud' allmählich zu einer zeit- genössischen Quellensammlung für deutsche Volkskunde geworden , welche eine aus- führlichere Besprechung und Empfehlung an dieser Stelle rechtfertigt. (Karl Brunner.) ^laoy ()Uffia, dsXzcov Tijg flkrjvixrj^ XaoyQa<fixijg haiQfia;, TÖfiog A' , Tsv^og A' (Athen, Beck & Barth. 1910. S. 461—732). Das Schlussheft des 1. Bandes der von N. G. Polites vortrefflich geleiteten Zeitschrift enthält eine ausführlich ikonographische Studie von A. Adamantios über die auf Elfenbeinreliefs, Miniaturen, Wandgemälden und Holztafelu dargestellte Keuschlieitsprobe der Jungfrau Maria mittels des Fluchwassers (4. Mose 5, IT); ferner mehrere Lieder und Rätsel, einen Traktat über die Bedeutung der Muttermäler und einen Brief C. Dapontes, alles von A. Papadopulos-Kerameus aus Hss. hervor- gezogen; K. D. Papajoannides, 68 Volkslieder aus Sozopolis; E. Kurilas, 30 alba-

Notizen. 347

nesische Spricliwörter: Polites, Yolkskundliche Zeitschriftenschau. Ausserdem Miscelleu, Mitteilungen, Bücherbesprecbungen, Register.

Annas Launis, Lappische Juoigos-Melodien gesammelt und hsg. Helsingfors 1908. LXIV, 209 S. 10 Mk. (Memoires de la soc. finno-ougrienne 26 = F. F. Publications, northern series no. 3). 712 in Finnisch- und Norwegisch-Lappland gesammelte Lied- weisen (Juoigos) bietet uns L., ein Schüler Ilmari Krohns. Die Texte bestehen oft nur aus dem oft wiederholten Namen des besungenen Menschen, Tieres oder Ortes mit einigen Füllworten oder aus einem charakteristischen Ausspruch: 'Piera: Ich habe kein Mädchen gesehen, um dessen willen ich mir das Gesicht waschen würde' (384), 'Klein Margit: Hätte ich doch Kadja Jovsa genommen, so hätte ich ein Kiud im Zelte wiegen können' (468), 'Das Dampfschiff geht, das Wasser sprudelt' (712), 'Tag und Nacht arbeitet er, selbst Träume quälen ihn nicht' (18. Spott auf den Liedersammler). Wesentlicher sind die Melodien, für welche die Lappen ein feines Gehör und gutes Gedächtnis haben. Die ein- fache Melodik, welche dieselbe Toufolge öfter wiederholt, bewegt sich meist in der pen- tatonischen Tonleiter; sehr entwickelt ist das rhythmische Gefühl, das öfter verschiedene Taktarten kombiniert. Angeordnet ist das reiche Melodienmaterial nach der Zahl der Akzente in der Zeile. Das S. I angeführte Werk von Wiklund (Lapparnes sang och poesi, üppsala 190()) ist dem Ptef. bisher unbekannt geblieben.

V. J. Mansikka, Kleinere Beiträge zur Balder-Lemminkäinen-Frage (Finnisch- ugrische Forschungen, Anzeiger 8, 206—217). Slawische Apokryphen des 16. bis 18. Jahrh. schmücken den Kreuzestod Christi mit ähnlichen legendarischen Zutaten über -den Kreuzesbaura, Gespräche mit Maria u. a. aus, wie sie Bugge für die nordische Balder- sage und Kroha für die finnische Lemminkäineu-Rune als Vorbild annahmen.

Der älteste Text des Oberammergauer Passionsspieles, nach der Handschrift im Archiv des Hauses Guido Lang hsg. [von Georg Queri]. Oberammergau, Gg. Lang sei. Erben 1910. XLVII, 172 S. kl. 4". Kart. 8 Mk. Die Geschichte des berühmten Passionsspieles, das in diesem Sommer wiederum viele Tausende von Zuschauern in Ober- ammergau versammeln wird, liegt dank den Forschungen Aug. Hai-tmanus u. a. im wesent- lichen klar vor uns. 1633 infolge einer Pest gestiftet, hat es im Laufe der Zeit eine Menge grösserer und kleinerer Abänderungen erfahren, die wir in drei Perioden gliedern können: 1. die des Meistersäugerstiles seit 1662, 2. die des J^uitenstiles seit 1750, 3. die des Prosadialoges seit 1811. Der gegenwärtige Spieltext (gedruckt 190O) ist seit 1850 vom Pfarrer Daisenberger verfasst auf Grund der 1811 von P. Ottmar Weiss unter- nommenen Neugestaltung: Weiss hatte die prunkvollen allegorischen Figuren, die krasse Ausmalung von Judas Selbstmord u. ä. in der Fassung des P. Ferd. Rosner aus Kloster Ettal (1750) gestrichen und die schwülstigen Verse durch einen auf den Bibeltext zurück- gehenden Prosadialog ersetzt, in den er alttestamentliche Vorbilder und Liederstrophen einlegte. Rosners Text, der schon 1780 durch M. Knipfelberger aus Ettal überarbeitet ward, ist uns bisher nur durch einzelne Proben bekannt; dagegen liegt die älteste er- haltene Gestalt des Passionsspieles vom Jahre 1662 uns jetzt in einem wortgetreuen, vor- züglich ausgestatteten und mit Dürer.schen und Altdorferschen Holzschnitten gezierten Abdruck vor, in dem wir uur eine Zählung der Verse vermissen. Die Einleitung macht keine gelehrten Ansprüche, fügt aber den bereits früher ermittelten Tatsachen einige neue Mitteilungen, besonders über Rosners Stück, und zwei aus Oberammergauer Hss. geschöpfte Weihnachtslieder hinzu. Der Text ist, wie Hartmann 1880 darlegte, keine Originaldichtung, sondern aus zwei Augsburger Passionsspielen, einem anonymen des 15. Jahrhunderts und einem 1566 gedruckten des Meistersängers Seb. Wild, in ziemlich mechanischer Weise zusammengesetzt; er reicht also wirklich teilweise bis ins Mittelalter zurück und streckt seine Wurzeln sogar über Deutschlands Grenzen hinaus. Denn wie im Archiv für neuere Sprachen 105, 1 gezeigt wurde, fusst Wilds Drama auf dem lateinischen 'Christus redivivus' des Oxforder Magisters Nicholas Grimald, der 15o6 von Augsburger Gymnasiasten aufgeführt wurde. So bildet der uns jetzt zugänglich gemachte Ober- ammergauer Spieltext von 1662 für die Geschichte des Volksschauspieles ein wertvolles Dokument, an dem sich die überraschende Fortdauer der mittelalterlichen Kunstübung gut studiereu lässt.

348 Notizen.

A. Olrik, Irminsul og gudestetter (Maal og minne 1910, 1—9). Die Säulen mit dem Götternagel, die im Hause der altnordischen Häuptlinge neben dem Ehrensitze standen hatten, wie aus einem Vergleiche der altdeutschen Irminsäulen (universalis columna, quasi sustinens orania) und der noch im IS. Jahrhundert bei den Finnen verehrten 'Weltpfeiler' erhellt, die zweifache Bedeutung einer die Welt tragenden Säule und eines rohgeschnitzten Götterbildes.

W. Ohnesorge, Deutung des Namens Lübeck, verbunden mit einer Übersicht über die lübischen Geschichtsquellen sowie über die verwandten Namen Mitteleuropas, ein Beitrag zur deutschen und slawischen Ortsnamen- Forschung. Progr. des Katharineums. Lübeck 1910. 104 S. Ein erweiterter Abdruck der oben 19. 469 augezeigten Abhandlung.

A. Playfair, The Garos. With an introduction by Sir J. Bampfylde Füller. London, D. Nutt 1909. XVI, 172 S. mit Illustrationen und Karten. 7 sh. 6 d. Die Garos sind ein aus Innerasien nach Assam eingewanderter Stamm am Brahmaputra, der inmitten des dortigen Völkergemisches viel von seiner Eigenart bewahrt hat. Ihre Sprache gehört der tibetanischen Gruppe an, enthält aber auch türkische Elemente. Die Sitte des Matriarchates haben sie mit den benachbarten Khasis gemeinsam, über die eine tüchtige Monographie von Major Gurdou (s. oben 17, 357) vorliegt. Nach dem Muster dieses Werkes ist auch das vorliegende Buch des Majors P. disponiert; es behandelt in sieben Abschnitten mit militärischer Knappheit Allgemeines, häusliches Leben, Gesetze und Sitten, Religion, Volksüberlieferungen, Vermischtes, Sprache. Ohne auf die Götterwelt der Garos, ihre geschnitzten Ahnenpfeiler, die zahllosen Ohrringe u. a. einzugehen, weisen wir nur auf die S. 118—146 mitgeteilten Erzählungen und Lieder hin. Ausser einer Lokalsage und mehreren Tiermärchen (warum der Rattenschwanz kahl; der Regenwurm; der Krebs rettet seine Freundin, die Bachstelze) begegnet ein hübsches Märchen von der Jungfrau Singwil, die, um einer harten Mutter zu entrinnen, sich in eine Taube verwandelt, von einem Jüngling gefangen und geheiratet wird und diesen dreimal vom Tode errettet: ferner eine Totenklage, ein Liebesduett und Festgesänge.

J. E. Rabe, Kasper Putscheneller (Mitt. aus dem Quickborn 3, 69—83. Hamburg 1910). Anziehende Mitteilungen über Hamburger Kasperlespiele und deren Abbildungen, Abdruck einiger Szenen. Vgl. A. Delen, Het poppenspei in Viaanderen (Elsevier 1910, 96—115).

A. Richter, Deutsche Redensarten sprachlich und kulturgeschichtlich erläutert, dritte vermehrte Auflage hsg. von 0. Weise. Leipzig, F. Brandstetter 1910. II, 238 S. 2,40 Mk. Die nützliche, dem Buche von Borchardt- Wustmann verwandte Sammlung erscheint hier auf 212 Nummern vermehrt. Die neuere Literatur hat W. berücksichtigt und bei zweifelhaften Erklärungen meist Vorsicht beobachtet. Doch ist Nr. 42 'Es ist die höchste Eisenbahn' ohne Quellenangabe wörtlich aus dieser Zs. 12, 348 übernommen, während andre Zeitschriftenartikel sorgsam gebucht werden.

E. Rolland, Faune populaire de la France tome 11: Reptiles et poissons, premiere partie. Paris 1910. VII, 255 S. 8 Fr. Zu den sechs Bänden seines ausgezeichneten Werkes über die Tierwelt im französischen Volksmunde (1877—83) hatte der unermüdliche Sammler R. eine im Selbstverlage erscheinende Eigänzung begonnen und bereits drei Bände (7. 8. 12.) veröffentlicht, als ihn am 24 Juni 1909 der Tod abrief. Aus seinem Nachlasse gibt nun sein Freund H. Gaidoz, der auch die Fortführung der 'Flore populaire' (1—7. 1896—1906) und der Zeitschrift 'Melusine' übernommen hat, den 11. Band heraus, welcher die Reptilien und die Fische vom Haifisch bis zum Hering behandelt. Die knappe und übersichtliche Einrichtung, nach der die zahlreichen mundartlichen Bezeichnungen der romanischen und germanischen Sprachen, die Redensarten, Meinungen, Bräuche, Märchen usw. aus den letzten vier Jahrhunderten nebst Quellenangabe vorgeführt werden, ist dieselbe geblieben. Für Volkskundler und Sprachforscher eine wahre Fundgrube.

P. Sartori, Sitte und Brauch, 1: Die Hauptstufen des Menschendaseins. Leipzig, W. Heims 1910. VIII, 186 S. 2 Mk. (Handbücher zur Volkskunde 5). Mit besonderer Freude begrüssen wir den neuen Band der volkskundlichen Handbücher, der uns eine längst ersehnte zuverlässige Zusammenfassung des in Büchern und Zeitschriften ver- streuten Materiales über die au Geburt, Hochzeit und Tod anknüpfenden Bräuche des

Notizen. 34*>

deutschen Landvolkes bietet. Mit -wissenschaftlichem Takte sind dabei die wichtigsten Berichte ausgewählt und knapp, aber hinreichend deutlich die Besonderheiten einzelner Landschaften, die sich neben aller Gemeinsamkeit geltend machen, hervorgehoben. Zur Erläuterung hat der Vf. mehrfach auf verwandte Bräuche andrer europäischer und ausser- europäischer ^'ölker verwiesen, bei der Deutung aber durchweg Vorsicht geübt. Die reichhaltigen Quellennachweise nehmen zumeist die untere Hälfte jeder Seite ein, öfter auch mehr. Auf S. 101 186 folgt ein gut ausgewähltos Literaturverzeichnis.

E. L. Schmidt: Johannes Bohemus, Das deutsche Volk (152()). Progr. des k. Luiscn- gymnasiums zu Berlin 1910. 63 S. Aus dem ersten wissenschaftlichen Kompendium der Völkerkunde, dem von Seb. Franck, Münster u. a. ausgeschriebenen Werke des Huma- nisten J. Bohemus 'Omnium gentium mores, leges et ritus' druckt S., der bereits 1904 die Anfänge der deutschen Volkskunde sachkundig dargestellt hatte (oben 15, 360), die Kapitel 12—17 des 3. Buches, die von den Sachsen, Westfalen, Franken, Schwaben, Bayern handeln, mit einer kurzen Einleitung ab. Er empfiehlt diesen Text nicht nur den Freunden der Volkskunde, sondern auch den Gymnasiasten als Klassen- oder Privatlektüre.

H. Schuchardt, Sachwortgeschichtliches über den Dreschflegel (Zs. f. romanische Philologie 34, 257-294).

H. Stahl, P. Martin von Cochem und das 'Leben Christi', ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Volksliteratur (Beiträge zur Literaturgeschichte und Kulturgeschichte des Rheinlandes 2). Bonn, Hanstein 1909. VIII, 200 S. 4,50 Mk. Während die protestantische Erbauungsliteratur in H. Beck (1883) einen Darsteller fand, ist die religiöse Volksliteratur der Katholiken lange ein vernachlässigtes Gebiet geblieben. Doch hat schon Scherer nachdrücklich auf die Bedeutung des Kapuzinerpaters Martin von Cochem (1634—1712) hingewiesen. Unter den Werken dieses fruchtbaren Schriftstellers verdient neben dem 'Historybuch', aus dem die Volksbücher von Griscldis, Hirlanda, Genovefa, Elisabeth von Thüringen geflossen sind, namentlich sein 1677 erschienenes und unzählige Male aufgelegtes *Leben Christi' Beachtung. Ihm gilt die vorliegende fleissige Arbeit. Stahl zeigt an ein- zelnen Kapiteln, dass M. durchweg kompilatorisch verfuhr und aus lateinischen und deutschen Quellen (Bernhard, Bonaventura, Walasser, Stanihurstus, Quaresmius usw.) alle Züge zusammentrug, die dem Volke verständlich waren und die heilige Geschichte an- schaulich« r und ergreifender machen konnten, wie er sich jedoch zugleich in die Seelen- zustände seiner Personen hineinversetzte, so dass ihn ein rationalistischer Kritiker nicht ohne Grund den Oberseufzervorschneider nannte. M. hat zwar nicht aus älteren Passions- spielen geschöpft, wie Wackerneil annahm, wohl aber auf die späteren Volksdramen ein- gewirkt.

G. Steinhausen, Germanische Kultur in der Urzeit. 2. Auflage. Leipzig, Teubner 1910. IV, 136 S. geb. 1,25 Mk. (Aus Natur und Geisteswelt 75). Die zunächst als Ein- leitung in St.s 'Geschichte der deutschen Kultur' gedachte Schilderung der germanischen Urzeit berücksichtigt durchweg die neuesten Forschungen, ohne im Widerstreit der Meinungen jedesmal Partei zu ergreifen. Die durch gute Literaturnachweise gestützte Orientierung über die vorrömischen Einflüsse, die mit andern Völkern gemeinsamen Züge, den verhältnismässig hohen Stand des Ackerbaues und der Kultur überhaupt u. a. wird vielen willkommen sein, zumal der Vf. auch in schwierigen Fragen ein massvolles und besonnenes Urteil bewährt.

Gertrud Stockraayer, Über Naturgefühl in Deutschland im 10. und 11. Jahrhundert. (Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance, hrsg. v. Walter Goetz. Heft 4) Leipzig und Berlin, B, G. Teubner 191(i. VI, 86 S. Dass man seit einiger Zeit daran geht, Alfred Bieses schätzbare Arbeiten zur Geschichte des Naturgefühls zu er- gänzen und zu vertiefen, ist gewiss erfreulich, nur sollte man nicht unterlassen, sich zuvor über den keineswegs eindeutigen Terminus 'Naturgefühl' etwas genauer zu verständigen. Vieles, was die Verf. mit anerkennenswertem Fleiss und in übersichtlicher Gliederung aus den spröden Quellen des 10. und 11. Jhs. zusammengestellt hat, scheint mir weniger Natur- gefühl zu bezeugen als ein gewisses, zum Teil sehr verstandesmässiges Verhalten zur gegenständlichen Welt. Ja oft genug bin ich zweifelhaft, ob überhaupt eine Relation zu den Dingen stattgefunden hat und nicht vielmehr lediglich die Sprachmühle in Bewegung

350 Brumier:

fjesetzt worden ist. Denn das Material besteht häufig aus stereotypen Metaphern und Gleichnissen, vor allem aber aus antiken Zitaten, über deren Verwendbarkeit für Unter- suchungen dieser Art die Verf. sich doch wohl täuscht (S. 5). Ich leugne nicht, dass ein Zitat von wirklichem Gefühl eingegeben sein kann, aber wann dies in den behandelten Jahrhunderten der Fall war, lässt sich bei dem eigentümlichen, ganz und gar von Wendungen aus dem (heidnischen und christlichen) Altertum durchtränkten Sprachgebrauch jener Zeit schwerlich feststellen. Trotz diesen prinzipiellen Bedenken wird der Kultur- historiker die Arbeit mit Interesse durchsehen und sich diesen oder jenen Hinweis zunutze machen. Zu der Bezeichnung der Jungfrau Maria als 'maris Stella' (S. 23) wäre auf Hrotsvithas 'Abraham' (ed. Strecker S. 1(;4 Z. 12ff,) zu verweisen gewesen. (H. Michel.)

Albert Thümmel, Der germanische Tempel. Leipziger philosophische Dissertation. Halle, E. Karras 1909. 124 S. Mit 2 Karten. (Auch abgedruckt in den Beiträgen zur Geschichte der deutschen Sprache 35, 1. Heft). Der weitaus grösste Teil dieser vor- trefflichen Arbeit beschäftigt sich mit dem isländischen Tempelbau, von dem der Verf. auf Grund archäologischer und literarischer Untersuchungen ein sehr anschauliches Bild ent- wirft. Auch die Bemerkungen über den Berg- und Waldkult der Germanen sowie ander& religionsgeschichtliche Erwägungen sind für unsere Zwecke beachtenswert. Vgl. Stutzs- lehrreichen Aufsatz 'Arianismus und Germanismus' (Internationale Wochenschrift 1909^ Nr. 50—52) und Gudmundssons ergänzende und berichtigende Besprechung (Deutsche Literaturzeitung 1910, Nr. 17). (H. Michel.)

G. Upmark, En gesällbok frän 1700-talet (Fataburen 1909, 37—45).— Handwerks- gebrauch der Zinngiessergesellen, 1755 von C. F. Baldthoff in Stettin aufgezeichnet.

0. V. Zingerle, Mittelalterliche Inventaro aus Tirol und Vorarlberg, mit Sach- erklärungeu hsg. Innsbruck, Wagner 1909. IX, 401 S. 14 Mk. - Ein für die deutscheu Privataltertümer höchst -wertvolle Quellenpublikation. Einzelne Hausinventare sind wohl bisher in Zeitschriften abgedruckt, so oben 17, 454; hier aber erhalten wir zum ersten Male eine Sammlung, die ein bestimmtes Gebiet und eine bestimmte Zeitperiode aus- schöpft, nämlich 82 Inventare von Tiroler Burgen, sowie von einigen städtischen Behausungen und Kirchen, sämtlich aus dem 15. Jahrhundert, durchweg dem Innsbrucker Statthalterei- Archive entnommen. Besonderen Dank verdienen des Herausgebers Sacherklärungen, die er auf S. 240—392 in lexikalischer Form neben dem Personen- und Ortsverzeichnis und dem Verzeichnis der Wertansätze uns darbietet; sowohl die Kulturgeschichte und Volks künde als die deutsche Wortkunde wird daraus Gewinn ziehen.

Aus den

Sitziings-ProtokoUeii des Vereins für Volkskunde.

Freitag, den 22. April 1910. Der Vorsitzende, Hr. Geheimrat Prof. Dr. Roediger, teilte mit, dass der Herr Kultusminister dem Verein wieder eine Beihilfe zur Herausgabe der Zeitschrift bewilligt habe. Der Unterzeichnete legte eine Reihe von bemalten und gefärbten Ostereiern aus der Kgl. Sammlung für deutsche Volkskunde vor. Bereits in alter Zeit wurde das Ei als Auferstehungs- symbol geschätzt; bei dem römischen Totenopfer spielte es eine bedeutsame Rolle, und schon im frühen Mittelalter ist die Sitte der Verspeisung von Ostereiern nach- gewiesen. Die verschiedenen neueren Techniken der Verzierung von Ostereiern wurden eingehend besprochen und ihre Verbreitung festgestellt. Die drei Haupt- arten der Verzierung sind erstens das einfache Färben ohne Musterung, besonders in roter Farbe, zweitens willkürliche Musterung der gefärbten Eier und drittens

Protokolle. 351

Zeichnungen verschiedenster Art; unter letzteren besonders bemerkenswert das Wachsüberzugverfahren (zu vgl. mit dem Batiken der Malaien), hauptsächlich in slawischen Gebieten, und die Kratztechnik (Sgraffito), wo aus dem farbigen Grunde mit einem Instrument oder mit Scheidewasser (Vitriol) helle Muster oder Schriften herausgehoben werden. Dieses Verfahren ist ebenso wie das einfache Färben sehr weit verbreitet, nicht nur im deutschen, sondern auch im slawischen und ungarischen Gebiet. Andere Verzierungsarten, wie Bekleben und direktes Bemalen der Oster- eier, sind weniger volkstümlich und vereinzelt. Bemerkenswert ist es dann noch, dass die Ostereier mit ihrem reichen Schmuck vielfach nicht zum Essen bestimmt sind, sondern als Stubenschrauck und wohl auch als Fruchtbarkeit erzeugende Symbole in den Bauernhäusern von einem Jahr zum andern aufbewahrt werden. Im Anschluss daran legte Frl. M. Lauf fer ein reich mit Filigran verziertes Osterei aus einem russischen Kloster, R-c. H. Sökeland ein solches aus dem Gasteiner Tal vor, welches im Innern einen Papierstreifen mit aufgeschriebenem Verse barg. Hr. Geheimrat Roediger zeigte mährische, im Wachsüberzugverfahren reich ver- zierte Ostereier und Ostergebäcke sowie einige auf Osterbräuche bezügliche Ab- bildungen. Er wies auf einen hier geschilderten Brauch, das sog. Schmackostern hin, welche Bezeichnung sich in slawischen und ehemals slawischen Gebieten vor- findet. Es ist das Berühren mit der Osterrute, die von Mannhardt als Dämonen vertreibende, Fruchtbarkeit weckende Lebensrute gedeutet wird. Auch St. Nikolaus wird von Mannhardt als lebenspendendes Wesen älterer Mythologie erkannt. Dass St. Nikolaus nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich um die Weih- nachtszeit gefeiert wird, lehrte auch ein vorgelegtes Weihnachtsgebäck aus Rheims, das die Bischofsflgur zeigt. Hr. Dr. Bolte verwies auf einige neuere Veröffent- lichungen, in denen das Palmpaschen in Holland, das Todaustragen u. dgl. in Böhmen geschildert wird. Hr. F. Treichel erwähnte schliesslich, dass in West- preussen Ruten vorher ins Wasser gesetzt und zum Keimen getrieben werden, um sie alsdann zum Osterpeitschen, in der Mark auch Äschern genannt, zu benutzen. Er machte ferner auf Gebäcke aufmerksam, die Figuren darstellen mit einem ganzen Ei im Leibe; diese Gebäcke hat er in Berlin gesehen. Frl. E. Lemke teilte ähnliche Beobachtungen aus Italien mit. Hr. Dr. Samter fragte nach der Be- deutung des Wortes Dingüs, welches in Posen zur Bezeichnung der österlichen Wasserbegiessung gebraucht wird. Hr. Robert Mielke sprach dann über das Thema 'Von der Volkskunst zur Hausindustrie' unter Vorlegung von Gegenständen aus der Sammlung für deutsche Volkskunde. Er führte aus, dass die Auffassung des Wortes Volkskunst sehr verschiedenartig sei. Man soll den Begriff aber nicht zu eng fassen; er ist nicht auf das Landvolk zu beschränken, da auch in den. Städten viel Volkskunst geleistet worden ist. Man kann in der Volkskunst drei Entwicklungsstufen unterscheiden: reine Volkskunst, dörfliches Handwerk und Heim- industrie. Bereits im 14, u. 15. Jahrh. geben die Weistümer an, was alles aa volkskünstlerischen Leistungen auf einem Bauernhofe vorkommt. Was im Hause und in der Wirtschaft gebraucht wird, durfte vom Hausherrn und seinem Gesinde selbst hergestellt werden, darüber hinaus verboten die Zunftverfassungen zu gehen. Die fortschreitende Entwicklung zum Bezüge fertiger Waren setzte schon früh ein,, ist aber je nach der Lage des Ortes und seinem Zusammenhange mit dem grossen Verkehr zeitlich sehr verschieden. Neben der alten Hauskunst bildete sich als Übergang zum Handwerk die Stör heraus, die im Gegensatz zum Handwerk keine Betriebsmittel voraussetzte. In Niederdeutschland wurde auf der ärmeren Geest die Stör, in den reichen Marschen das Handwerk bevorzugt. Was aus der Hand des Bauern oder ländlichen Handwerkers hervorging, darf nicht mit dem Massslabe

352

Brunner: Protokolle.

der historischen Stile geraessen werden. Für die Volkskunst sind andere Grund- lagen vorhanden, so vor allem die textilen Arbeiten in Verbindung mit der Land- wirtschaft. Allmählich entwickelte sich aus dem Hausfleiss eine mehr handwerk- liche Spezialisierung und im 18. Jahrh. die Hausindustrie, indem die Vermittler oder Unternehmer die Arbeitskräfte nach dem Geschraacke der Besteller modelten. Meist geschah das in landwirtschaftlich dürftigen Gebieten. Aber man sah bald, dass die Industrie schädliche Polgen für den Betrieb der Landwirtschaft hatte, und bereits 1765 fing man an sie einzuschränken. Aus dem Hausfleiss entwickelte sich die Hausindustrie, aus ihr die Fabrik. Im Gegensatz zur modernen Entwicklung setzte sich früher die Industrie vorwiegend da fest, wo die vorhandenen Einwohner aus äusseren Gründen keine genügenden Erwerbsmöglichkeiten, besonders in der Landwirtschaft hatten. So im Schwarzwalde, wo teilweise das Klima acht Monate im Jahre landwirtschaftliche Arbeiten unmöglich- macht. Wenn man Volkskunst befördern will, soll man die landwirtschaftliche Grundlage nicht aus den Augen verlieren. Die Überzeugung von der Schädlichkeit der Industrie hat Riehl schon vor 60 Jahren ausgesprochen. Man soll vor allem keine Spezialmassenartikel von der Volkskunst herstellen lassen, da eine Änderung in der Konjunktur verderblich wirkt. Weniger gefährlich ist die künstlerische Individualisierung solcher Ar- beiten. Da jedes Hausgewerbe abhängig ist von seinem Stoffe, so muss dieser nahe und leicht erreichbar sein. Dann können Versuche zur Wiederbelebung der Volkskunst aussichtsvoll sein, wenn Hauskunst und Handwerk sich verbinden.

Freitag, den 27. Mai 1910. Vorsitzender Geheimrat Prof. Dr. Roediger. Elr. Dr. Fiebelkorn legte eine grössere Anzahl von Trachtenpostkarten aus dem französischen Departement Savoyen vor, ohne aber die Tatsachen bestätigen zu können, da er die Trachten an Ort und Stelle nicht mehr feststellen konnte. Hr. Prof. Dr. Bolte besprach eine bemerkenswerte Veröffentlichung der Herren van Heurck und Boekenoogen 'Histoire de l'imagerie populaire flamande', welche eine grosse Anzahl volkstümlicher Bilderbogen z. T. nach den Originalstöcken und in Dreifarbendruck vereinigt. Er empfahl diese älteren, durch ihre volkstümlichen Personifikationen volkskundlich interessanten Bilderbogen auch in Deutschland zu sammeln, wie z. B. die Ruppiner, Stuttgarter und Münchener. Hr. Prof. Ludwig erwähnte, dass in einem Ruppiner Bilderbogen auch der Schwank von einer auf dem Wege zum Grabe erwachenden Scheintoten dargestellt sei Hr. Maurer teilte mit, dass im Märkischen Museum eine Sammlung Ruppiner Bilderbogen vor- handen sei. Der Unterzeichnete legte eine Anzahl deutscher Zunftaltertüiner vor, die vor kurzem von der Sammlung für deutsche Volkskunde erworben wurden. Sie sollen mit den älteren Beständen vereinigt zum Ausbau einer Zunftstube im Museum benutzt werden. Hr. Prof. Dr. Bolte sprach dann über die Sage von der erweckten Scheintoten. In der anschliessenden Diskussion, an der sich die Herren Direktor R. Meyer-Krämer, Sökeland, Roediger und Brucker beteiligten, wurde besonders betont, dass der Volksglaube noch immer an der Möglichkeit des Scheintodes festhält, trotzdem in neuerer Zeit noch kein solcher Fall wissenschaft- lich einwandfrei festgestellt wurde. Hr. Dr. Hahn regte an, in der ersten Sitzung des Herbstes eine Besprechung des germanischen Schwerttanzes stattfinden zu lassen. Der Vorsitzende teilte mit, dass der Verein im Laufe des Winters sein 20jähriges Bestehen werde feiern können, und wünschte ein gesundes Wiedersehen in der ersten Sitzung nach den Ferien am 28. Oktober.

Steglitz. Karl Brunner.

5b-5

Die Sage von der erweckten Scheintoten.

Von Johannes Bolte.

Dass mit dem Tode eines Menschen sich eine undurchdringliche Pforte hinter dem Dahingeschiedenen schliesst und dass fortan jeglicher Verkehr zwischen ihm und seinen Lieben aufhören rnuss, ist eine harte und bittere Wahrheit, die sich dem Empfinden der schmerzbewegt Zurückbleibenden nur schwer einprägt. Daher liebt es die Phantasie der verschiedensten Völker und Zeiten, sich eine zeitweilige Rückkehr des Toten zu den Stätten seines Erdenwallens auszumalen. Insbesondere schreibt sie den Tränen brennender Sehnsucht oft eine magische Gewalt zu; sie rufen in der altdänischen Ballade der Mutter Geist nachts an das Bett der verlassenen Kinder, sie führen im deutschen Märchen vom Tränenkrüglein das tote Kind zu kurzer Zwiesprache mit der trostlosen Mutter zurück, sie locken in der Lenorensage den verstorbenen Jünfflin»

*^ DO

aus dem Grabe, in das er seine einsam klagende Braut mit sich hinab- reisst^). Hellere und freundlichere Bilder dagegen entrollen uns andere Erzählungen, die nicht von einem kurzen Geisterbesuch zu nächt- licher Stunde, sondern von der dauernden Wiederkehr einer o-e- liebten Frau aus dem Totenreiche ins frische Leben berichten. Dem liederreichen Orpheus freilich gibt in der altgriechischen Sage der Herrscher der Schatten die verstorbene Gattin nur mit einer Bedino-uno- zurück, die er nicht zu erfüllen vermag; doch die treue Alkestis wird dem trauernden Admetos durch dessen starken Freund Herakles wieder zugeführt, und in dem indischen Märchen von der undankbaren Gattin, mit dessen Wanderungen uns Gaston Paris in seiner letzten Arbeit (oben 13, 1. 129) bekanntmachte, gelingt es dem treuen Manne, durch Aufopferung seines Blutes oder eines Teiles seiner Lebensjahre seine Frau vom Tode zu retten. Wenn nun in den letztgenannten Sagen nur die Gottheit das vollzogene Urteil rückgängig machen und die Verstorbene den Lebenden wieder zugesellen kann, so stellt das Märchen, dessen Fundamentalunter-

1) Vgl, Erich Schmidt, Charakteristiken 1 ^, L'12 (1902). Zeitschr. d Vereins f. Volkskunde. 1910. Heft 4. 23

.354 Bolte:

schied von der Sage gerade in seinem anders gearteten Verhältnis zur Wirklichkeit besteht'), die Wiederbelebung leichter und phantastischer dar. Ein Tote erweckendes Zauberkraut, dessen Kenntnis der Mensch einem Tier ablernt*), tritt in dem aus jener indischen Erzählung er- wachsenen Märchen von den drei Schlangenblättern (Grimm nr. 16. Oben 13, 137) an die Stelle der Gottheit oder ihres wundermächtigen Propheten. Oder die Heldin versinkt, wie es die Märchen von Snee- wittchen') und Dornröschen*) schildern, statt wirklich zu sterben, in einen Zauberschlaf, aus dem sie durch einen Kuss oder eine Berührung erweckt wird, welche den giftigen Bissen aus dem Halse, die Agen aus dem Finger, den Schlafbrief, Ring, Kamm, die Nadel usw. entfernt und so ihre hypnotische Wirkung aufhebt.

Doch auch in andern Erzählungen, die sich um die realen Be- dingungen des Geschehens mehr kümmern und stärkere Ansprüche auf Glaubhaftigkeit erheben, erscheint etwas dem Zauberschlafe Sneewittchens Ähnliches, nämlich eine voreilig von allen Hausgenossen als das Lebens- ende angesehene Ohnmacht, als ein Scheintod. Dann erfolgt die Rettung entweder vor dem eigentlichen Begräbnis durch einen weisen Arzt, wie in der antiken, oft übersetzten 'Historia Apollonii regis Tyri"), wo der Sarg der Gattin des Helden von den Schiffsleuten über Bord geworfen und von den Wellen bei Ephesus ans Land gespült wird; oder die scheintote Frau schlägt bei einer zufälligen oder absichtlichen Berührung die Augen auf, wie in den weiter unten genauer zu betrachtenden Sagen und in dem Schwanke von der au der Dornenhecke vorübergetragenen und von ihr gestreiften Leiche^); oder es wird drittens die vermeintliche Tote in einem Grabgewölbe beigesetzt und erwacht nach einiger Zeit von selber aus ihrem Starrkrämpfe. Diese einer breiten und spannenden Ausmalung fähige Situation begegnet uns bereits in zwei griechischen Romanen der

1) Vgl. die klaren Ausführungen von F. Ranke, Die deutschen Volkssagen 1910 S. XI f.

2) R. Köhler zum Lai d'Eliduc (Marie de France, Lais hsg. von Wamke 1885 S. CIV).

3) Grimm, KHM. nr. 53. Oben G, GO zu Gonzenbach nr. 2—4. Böklen, Snce- wittchenstudien 191Ü S. 135.

4) Grimm nr. 50. F. Vogt, in den Beiträgen zur Volkskunde, Festschrift für Wein- hold 189G S. 195.

5) Historia Apollonii ed. A. Riese 1893 cap. 26; über Ursprung und Verbreitung dieses Romans vgl. E. Klebs, Die Erzählung von ApoUonius aus Tyrus 1899. Auch der antike Arzt Asklepiades entdeckte, als er einem Leichenzuge begegnete, noch lieben in der vermeintlichen Leiche (Weinreich, Antike Heilungswunder, Religionsgeschichtliche Versuche 8, 173); ebenso Apollonios von Tyana (Philostratus, Vita Apollonii 4, 45) und ein Chaldäer bei lamblichos c. G (Hercher, Erotici Graeci 1, 22:»).

G) Als vierzehn Jahre später die Frau wirklich stirbt, ruft ihr Mann auf dem Wege zum Kirchhofe an jener Stelle den Trägern zu: 'Kommt der Hecke nicht zu nahe!' (Menagiana 1G93 p. 117; Gellerts Gedicht 'Der betrübte Witwer'; ein oben S. 352 an- geführter Neui'uppiner Bilderbogen u. a.). In einem IGU vcrfassten Meisterliede des

Die Sage von der erweckten Scheintoten. 355

römischen Kaiserzeit. Um 200 n. Chr. erzählt Chariton von Aphrodisias^), wie die schöne Syrakusauerin Kallirrhoe, bei ihrem Gatten Chaereas ver- leumdet, von diesem in eifersüchtigem Grimm durch einen Fusstritt zu Boden geschleudert, für tot gehalten und 'einer schlafenden Ariadne ver- gleichbar zu Grabe getragen wird. Nachts kommt sie wieder zu sich, erkennt ihre Lage und ruft vergeblich um Hilfe. Während sie in rührenden Worten ihr Los bejammert, bricht der nach ihren Kostbar- keiten lüsterne Räuber Theron mit seinen Gesellen ins Grabmal ein. Er schrickt zwar zurück, als sie ihm zu Füssen fällt und um Erbarmen fleht, schleppt sie dann aber auf sein Schiff und verkauft sie in Milet als Sklavin. Fast das gleiche Abenteuer begegnet der Epheserin Antheia in dem uns wohl nur im Auszuge vorliegenden Romane des Xenophon von Ephesus^), nur dass diese, von ihrem Gatten Habrokomes getrennt und in Tarsus zur Heirat mit Perilaos gezwungen, selber am Hochzeits- tage Gift nimmt, das sich zum Glück nachher als ein Schlafpulver er- weist'), und darauf begraben und von Räubern fortgeführt wird. Beide- mal bilden der Scheintod und die nachfolgende Gefangenschaft nur ein Glied in der Kette der gefährlichen Abenteuer, durch welche die beiden Hauptpersonen des Romans nach dem für diese ganze Gattung üblichen Schema getrennt und bis zu ihrer endlichen Vereinigung herumgeschleppt, geängstigt und geprüft werden. Kein vom Schicksal verhängter Unfall, sondern eine listige Yeranstaltung ist der Scheintod in der französischen Romanze*) von der Prinzessin, die sich auf den Rat ihres Liebsten tot- stellt, um der väterlichen Hut zum Trotz zu ihm zu gelangen, und sich

Nürnbergers B. v. Watt 'Einer wirt in der todtenbar wider lebendig' (Nürnberg Ms. Will III fol. 784, Bl. 323a) ist das Verhältnis der Gatten umgekehrt: der Mann soll be- graben werden und erwacht, als die Träger an der Schmiede vorübergehend anstossen; und die Frau äussert später jene Besorgnis vor einem zweiten Erwachen.

1) jiEQi XaiQsar xal KalhQQÖip' 1, 4—9 (Hercher, Erotici scriptores Graeci 2, 11). Die Datierung nach W. Schmidt bei Pauly-Wissowa, Eealencyclopädie des class. Altertums 3, 2168 f.

2) Tot y.aza 'Ardsiar y.ai 'AßQoy.6fi7]v 'E(f£oiay.d 3, 6—8 (Hercher 1, 366); vgl. E. Eohde, Der griechische Eoman 1876 S. 401.

3) Auch bei lamblichos c. 4. 6. 7 (Hercher 1, 222—224) spielt der Scheintod eine grosse EoUe, und zwar werden immer beide Liebenden, Ehodanes und Sinonis, zugleich für tot gehalten: einmal weil sie vom Honig vergifteter Bienen genossen, dann weil sie sich in einem Grabmale zum Schlafe niedergelegt haben: das drittemal schiebt ihnen Soraechus einen Schlaftrunk statt des Gifttrankes unter. E. Eohde S. 377 weist auf die Nachahmungen in der Sofouisbe des Frl. von Scudery und Philipps von Zesen hin. Noch künstlicher richtet ein Zauberer in einer öfter dramatisierten Episode im 9. Buche des Amadis (Bolte, Das Dauziger Theater 1895 S. 113. Toldo, Morti che mangiano 1909 p. 13 [aus der Eivista teatrale italiana 13]) es so ein, dass Arpilior und Galathea einander für tot halten, indem er jedem die Leiche des andern zeigt.

4) Doncieux, Eomancero populaire de la France 1904 p. 71 'La füle du roy Loys': vgl. Schweiz. Archiv f. Volkskunde 14, 156. Nigra, Canti popolari del Piemonte 18S8 nr. 45 'Amor costante'. Child, English and scottish populär ballads nr. 96 'The gay goshawk'.

23*

356 ßolte:

rasch ermuntert, als ihr Liebster dem Leichenzuge begegnet und die Decke von der Bahre abreisst. Ebenso täuscht Shakespeares Julia*) durch einen Schlaftrunk den aufgedrungenen Bräutigam und die Eltern in der Hoffnung, mit Hilfe des aus der Ferne herbeigerufenen Romeo aus der Gruft zu entrinnen; doch eine verhängnisvolle Verkettung der Umstände hindert das Gelingen ihres Planes.

Nach dieser kurzen Umschau, die zugleich eine Abgrenzung unsres Gebietes bedeutet, treten wir an die in einer Fülle von Varianten vor- liegende Sage von der erweckten Scheintoten'') heran, um sie etwas genauer zu mustern. Hier beruht die Krankheit und die totenähnliche Ohnmacht der Frau auf keiner Verstellung; als eine Verstorbene be- stattet, erwacht sie plötzlich in dem Augenblick aus dem Starrkrämpfe, wo ein Mann ihren Sarg öffnet, sei es um ihren kostbaren Schmuck zu rauben oder um die im stillen Geliebte noch einmal zu betrachten. Der Erwecker ist also entweder ein Dieb oder ein unglücklicher Liebhaber, und demgemäss ist auch die weitere Entwicklung verschieden: entweder kehrt die Frau zu ihrem erstaunten und erfreuten Gatten zurück, oder der Liebhaber macht sie diesem streitig und sucht sie für sich zu ge- winnen. Wir haben somit zwei Hauptformen der Sage zu unter- scheiden, eine einfachere ohne erotischen Charakter und eine romantisch gefärbte.

1. Die einfachere Sagenform (Ringdiebstahl-Motlv)

treffen wir seit dem 15. Jahrhundert ohne wesentliche Abweichungen an verschiedenen Orten von Deutschland, Frankreich und England an. Die berühmteste Fassung ist die Kölner Erzählung von Frau Richmod, deren Gedächtnis dort noch heut durch den Namen einer vom Norden des Neu- marktes ausgehenden Strasse fortlebt. Die 1499 gedruckte Koelhoffsche Chronik der Stadt Köln^) meldet unter dem Jahre 1400, 'wie ein vrauwe zo Coellen, die gestorven ind begraven was ind weder upgegraven, levendich wart', nennt aber keine Namen:

It was ein grois sterfde zo Coellen, dat der lüde in Coelne sere ind vil starf, dat men groisse kulen machde ind die dairin warp. So woinde ein eirber vrauwe do zer zit zo der Pappegeien up dem Nuimart, die wart krank ind starf, als men

1) Über verwandte Dichtungen vgl. L. Fränkel, Zs. f. vgl. Litgesch. 7, 155 f. Ferner eine Novelle von Giraldi Cinthio (Hecatommiti 3, 5), übersetzt von B. Riebe, Farewell to militarie profession 1581 nr. 6, und die von Carl Loewe wundervoll komponierte Ballade 'Die Gruft der Liebenden' von E. v. Puttkamer (1832. Loewe, Balladen hsg. von Kunze G, 28. Vgl. Yogi, Balladen 1851 S. 69 'Der Grabeswächter").

2) Gehandelt haben über sie bereits Liebrecht, Zur Volkskunde 1875» S. 54 und E. A. Axon, The dead lady's ring (The Reliquary 8, 146-150. 1867—68) und Tennyson's Lover's tale, its original and analügues (Transactions of the royal society of literature 2. series 24, 61-79. 1903).

3) 1499 Bl. 286a ^ Die Chroniken der deutschen Städte 14, 736 f. (1877j. Vgl. Merlo, Die Familie Hackeney zu Köln 1863 S. 46.

Die Sage von der erweckten Scheintoten. 357

meint, so dat men si vur doit zo sent Apostelen droich, ind ir eeman lies ir durch liefden ind jamers wille irren truwerink an dem vinger. Dat verstoinden die dodengrevere van ir sagen ind quamen des nachtz ind schorren ir die erde af ind daden die lade up ind begunten ir den rink uisser hant zo zien. Ind as die vrauwe so lucht kreich ind beweicht wart, so begunte si zo suchten ind zo sprechen, ind die grevere vlouwen van anxsten vur, ind die vrauwe richte sich up ind trat allentzelen vur ir huis heim. Der man ind dat gesinne waren lange slaifen, ind si scheide. Dat gesinde wuscht risch up ind vraegede, wer dae scheide. Die vrauwe antworde: si wer it, dat si up deden ind Hessen si in. Dat gesinde wart ervert [erschrocken] ind vlo geringe weder zo bedde. Die goide vrauwe scheide widder; mer niemans quam, der si inliesse. Si scheide so dick ind so lange, dat der man dat gesinde begunte zo scheiden, dat si niet upstunden ind besegen, wer dae scheide. Si antworden: 'Lieve here, wir sin upgeweist ind hain gevraicht, wer dae were, ind it hait uns gesaicht, it si unse vrauwe, dat wir updoin ind laissen si in. Do wurden wir verveirt, want si doch doit is ind begraven, ind van der ververnisse endorren [wagen] wir niet widder an die portzen gain'. Der rede verwonderde den man, ind gingen zosamen wederumb slaifen. Do scheide die goide vrauwe noch me ind me. Der man dede die kertzen intfengen ind gink selve vur die portze ind vraegede, wat dae scheide. Die vrauwe antworde ind sprach: 'Och lieve huiswirt, erbarmstu dich niet, dat ich sus lange hain gestanden ind bin beslossen vur dat huis, dat doch unser beider is van der gotz genaiden, ind leis mich sus ellendich vervreissen [er- frieren]?' Der man hoirte ind erkante sinre huisfrauwen minschliche stimme ind slouis die portze up ind entfink sin lieve huisfrauwe, ind dede vuir ind cleider warm machen ind erquikde si. Ind got halp der vrauwen, dat si gantz stark ind gesunt wart, ind leifde dairnae lange zit in gesuntheit, ind kriegen noch dri kinder. Ind as si starf, wart si wederumb begraven zo den Apostelen bineven der vurder kirchduere in eime verhaven grave an der muiren, dae men it noch zoenet [zeigt].

Diese anschaulich und hübsch ausgemalte Erzählung trägt ganz das Gepräge einer mündlichen Yolksüberlieferung, die an die Apostelkirche auf dem Neumarkte und das ebenda auf der östlichen Ecke der Oliven- gasse gelegene Haus zum Papagei anknüpft, aber weder das Jahr des Ereignisses (denn 14.00 ist offenbar nur als ungefähre Zeitbezeichnung aufzufassen) noch die Xamen der Personen anzugeben weiss. Der Chronist (wahrscheinlich der Schulmeister Job. Stump) schöpfte anscheinend weder aus einer schriftlichen Aufzeichnung, noch kannte er die Erinnerungstafel in der nördlichen Vorhalle der Apostelkirche, die 1582 zum ersten Male erwähnt wird, 1604 eine Erneuerung erfuhr und 1785 beim Abbruch der Vorhalle zugrunde ging^). 1582 nämlich weist der Bremer Arzt Joh. Ewich, um vor einer vorschnellen Bestattung der Pestleichen zu warnen, auf die Kölner Geschichte und die Tafel folgeudermassen hin"):

1) F. E. V. Mering, Geschichte der Cunibertskirche in Köln 1833 S. 31. Doch nennt er das Bild 'schauerlich an die Wand gemalt', während Ewich von einer 'tabula picta et suspensa ad aedem Apostolorum' redet. Vgl. auch Bussenmacher ^^unten S. Iv)8).

2) J. Ewich, De officio magistratus tempore pestilentiae rempublicam praeservandi (Neapoli Nemetum exe. Matthaeus Harnisch 1582) S. 140. Ich gebe oben die Ver- deutschung von Justus Moller (J. Ewich, Pestilentzordenunge 1583 Bl. 0 Ib) wieder.

358 Bolte:

Ein gleiches Exempel weis man, welches auch die gemahlte und auffgehangene Taffei in der Apostel Kirche bezeuget, von einem AVeibe zu Colin, welche, ob sie wol in dem Sarck verschlossen und mit der Erden all begraben gewesen, so ist sie doch wunderbarer weis errettet worden, zu jrem Manne wider gekeret und noch lange zeit mit ihme im Ehestande gelebt; denn da der Todtengräber ge- sehen, das sie einen köstlichen Ring an eim Finger stecken gehabt, eröffnet er in der Nacht das Grab, im willen, ihr den Ring abzuziehen. Indem er [0 2 a] aber an dem Finger also rüttelt und den Cörper erschüttelt, kompt das Weib wider zu ihr selber und lebt noch lange zeit hernach.

Eiuen wortlosen Beweis für die Popularität der Geschichte liefert zehn Jahre später der Kölner Zeichner Augustin Braun, der in seiner 'Vita beatae Mariae yirginis' 1592 auf einem Kupferstiche die Gestalt des Todes und im Hintergrunde die Apostelkirche darstellt, neben der eine Frau aus dem Grabe steigt und die Totengräber vor ihr davonlaufen^). Und 1597 setzt Petrus Opmersensis seu Cratepoleus (auch Mersaeus genannt) im Catalogus omnium archiepiscoporum p. 103 das Faktum ums Jahr 1350 unter dem Erzbischof Wilhelm von Genep an^), während er in der früheren Ausgabe von 1578 S. 35 nichts davon berichtet hatte. Wichtiger aber ist ein 1604 erschienener Bilderbogen des Kölner Kupfer- stechers Johann Bussenmacher '^); denn hier wird zum ersten Male der Name der Frau 'Richmuth von der Adoicht' und das Jahr 1357 genannt und eine Erneuerung der alten Tafel erwähnt. Bei dieser Gelegenheit mögen die holperigen Verse, welche inhaltlich mit der Koelhoffschen Chronik übereinstimmen und nur den geistlichen Stand der drei Söhne hinzufügen, verfasst sein; denn 'alt' klingen sie keinesfalls.

Reno: Ao. 1604.

Abbildung der alten, wunderbaren, vnd doch warhafften geschieht, so sich vor drittehalb hundert Jahren in Collen am Newen marckt, vff dem Kirchhoue zu S. Apostolen zugetragen, durch Frau Richmuth, deren geschlechts wapen, sampt jhres Mannes biltnuss mit hieunden an gesatzt. new in truck gebracht, nach der alten tafel bej der kirch thuren daselbst hangende. Zu Colin truckts Johan bussemacher im jähr Christi 1604.

Das Bild beschreibt Merlo folgendermassen. Im Vordergrunde ist der bei der 'Sanct Aposteln kirch' gelegene Friedhof, zwischen Leichensteinen erhebt sich aus dem eben geöffneten Grabe die vom Scheintode erwachte Frau: die Totengräber, von Ent- setzen ergriffen, fliehen von dannen und lassen einen Teü ihrer Gerätschaften sowie aut dem beiseit gelegten Deckel des Sarges die Leuchte zurück. Hinter der niedern Kirch- hofmauer zeigt sich 'Der New marck', auf dem man 'Die AVindmüll' sieht. Rechts schreitet der Leichenzug der Frau Richmuth an der Kirche vorüber, Ordensbrüder tragen den Sarg, die Leidtragenden geben mit Fackeln voran; in der Ferne sieht man Geistliche.

1) Reproduziert von 0. Zaretzky, Zs. f. Bücherfreunde 3, 143 (1899-1900).

2) Sub hoc contigit illud spectrum de mortua muliere apud dd. Apostolos, quae a morte triam filiorum facta est mater.

;3) Exemplare in Köln (Historisches Museum nr. 1258) und Nürnberg (German. Museum). Vgl. Merlo, Nachrichten von dem Leben kölnischer Künstler 1850 S. 7&' = Kölnische Künstler 1895 S. 151. Die Verse auch bei v. Mering 1833 S. 34.

Die Sage von der erweckten Scheintoten, 359

Links liegt das Wohnhaus der Erstandenen, 'In der Papegeien' genannt, an der Ecke der Olivengasse. Frau Richmuth, die Laterne in der Hand, zieht die Schelle, ihr Gemahl schaut am obern Fenster heraus. An der andern Ecke der Gasse steht ein stättliches Gebäude, welches der Wohnsitz der Edeln von Hackeney war. Wir müssen nun wieder zum untern Teile des Bildes zurückkehren, wo rechts ganz im Vordergrunde Frau Richmuth neben ihrem Gemahl und hinter ihnen drei Söhne in Priestertracht, alle betend knien, als Stifter des Gemäldes. Vor ihnen ist das Wappen der von Adocht: drei ge- krönte Vögel im Schilde. Darunter liest man folgende Verse:

Als man zallt MCCCLVII Jahr,

Alhier zu Collen ein gros sterben war.

Vmb vier vhren im nachmittag

Ein wunder ding das da geschach. 5 Ein erbar Fraw, Richmuth genant.

In den fünfzehn Geschlechtern hoch bekant,

Von der Adoicht dises Ihr herkunfift war,

In der Papegeien Ihr wonung hatt offenbar.

Diese stirbt, wie sie vermeinet haben, 10 Vnd als man sie nun solt begraben.

Durch lieb des Ehstandts ohn verdriess

Ihr Man Ihr den Trewrink am finger liess,

Damit man sie zu dem grab hintrug.

Der Doten Gräber dess nam achtung gnug, 15 Des Abents spaet mit seinem knecht

Der schantzen -waar sie namen eben recht.

Die Lade sie gruben aus der Erden

Vnd hofften, Ihnen solt der Ringk so werden.

Damit der knecht den deckel auffbricht, 20 Alsbald sich da die Fraw auffricht,

Vor schrecken die beide da lauffen gehn,

Vnd laessen der Frawen die Lucern da stehen,

Mit welcher sie heim geht und die Schell thut trecken,

Damit sie den Man vnd das gsind thut wecken. 25 Der Man sie bej der stimm vnd dem Ring erkant,

Gieug bald hin, liess sie hnein zu hant,

Mit fewr und kost that er sie erquicken.

Zu frischer gesundtheit ward sie sich schicken,

Drei junger Söhne hernach sie trug, 30 Dess sie Got nicht kundt dancken gnug.

Welcher drej sich in Geistliche Orden begaben,

Vnd thaten Got unseren Herren allzeit loben.

Bussenmachers Blatt ist wiederholt nachgestochen^) und durch den Arzt Wilhelm Fabricius^) aus Hilden in die gelehrte Literatur der

1) In G, H. Velschii Sylloge curationum et observationum medicinalium 1(568, Episagmata p, 68 nr. 100 'Mortua reviviscens', 37 lateinische Distichen nebst Tafel (Recudit Augustae Vindel, J. G, Bodenehr 1667). Ein niederländischer Kupferstich des 17, Jahrh. von Matham im Nürnberger G. Museum; ebenda ein Holzschnitt von 1739 mit einem Lied, das wohl dem Texte von Kretzschmer-Zuccalmaglio, Volkslieder 2, 170 zu- grunde liegt,

2) Guilh. Fabricius, Observationum et curationum chirurgicarum centuriae (Lugd. 1641) 1, 312; in der 1011 zuerst gedruckten Centuria 2, nr. 95 (geschrieben 1008): Reich- muth Adolch.

360 B«lte =

Curiositäteni) eingeführt worden. An der weiteren Ausbildung der Ge- schichte beteiligten sich Lokalhistorie und Volksdichtung. In einer Familienchronik des Geschlechtes Lieskirchen wird dieser 'casus plus admirationis habiturus apud posteros quam fidei' übereinstimmend mit der Chronik und Bussenmacher erzählt und der Geburtsname Lieskirchen der Frau Kichmodis von der Aducht aus der Widmung eines Messgewandes erschlossen^). Gelen ins, der uns diese Nachricht aufbewahrt hat, fügt den Namen des Gatten 'Mengosus vel Menginus de Aquaeductia gente' und sein aus drei Papageien bestehendes Wappen hinzu. Als dann 1687 Maximilien Misson^) auf seiner Reise nach Italien durch Köln kam, hatten sich verschiedene Nebenumstände in der Tradition verändert: der Vorfall ward ins Jahr 1571 und in ein benachbartes Haus am Neumarkt, aus dessen Bodenfenstern zwei weisse Pferdeköpfe herausschauen, ver- legt; der Hausherr sollte, als ihm gemeldet wurde, seine tote Frau stehe draussen vor der Tür, ungläubig gerufen haben: 'Das ist so unmöglich, als dass meine Pferde aus dem Bodenfenster sehen'. Da vernahm er ein Getrappel auf der Treppe, und die Pferde standen alsbald im obersten Geschoss. Ferner sah Misson in der Apostelkirche ein grosses Leinen- tuch, das die erstandene Frau selbst gewebt und gestiftet haben sollte. Damit ist die Sagenbildung im wesentlichen erschöpft. Die späteren Aufzeichnungen der Reisenden*) und der Sagensammler "), die auffälliger- weise an den ältesten Fassungen achtlos vorübergingen, bieten keine

1) H. Kornmann, De miraculis mortuorum 1694 (zuerst 1610) p. 41 (2, c. 16). G. Horst bei Marcellus Donatns, De historia medica mirabili 1613 p. 707 (lib. 7, c. 9). S. Goulart, Les 3. et 4. volume du Thresor des histoires admirables de nostre temps (Col. 1614) p. 661. G. Nymman, De apoplexia tractatus 1629 p. 178. J. Brandmyller, Manuductio ad ius canonicum ac civile 1661 p. 437. G. A. Eeies, Elysius iucundarum quaestionum campus 1661 p. 527. T. Winckler praeside B. Bebel, Diss. theologica de bis mortuis 1672 § 9 Bl, A 4b. Happel, Relationes curiosae 3, 790 (1687. nach Horst). W. Turner, History of the most remarkable providences 2, 33 (Lond, 1697. Richmet Adolick 1537). Ph. Wahrmund, Compendiöses Historien-Buch 1722 nr. 25 (R. Adolch). Hilscher, Goldschmids-Frau in Dreßden 1725 S. 6.

2) Tandem vocantibus fatis priori redditur sepulchro, quod elevatum terra altius cum historia ibidem adiecta hodie apparet, sed posito nomine Richmodis solo et gentis cognomine, in quam haec transit nubendo . . . Nomen gentile Richmodis non promptum est, quod vestis ad Minores cxim nomine utriusque et insignibus auro multo, argento atque serico intertexta sacra profitetur. Bei A. Gelenius, De magnitudine Coloniae 1645 p. 202.

3) (M. Misson), Nouveau voyage d'Italic faict en l'annee 1688 1, 35 (A la Haye 1691) = 1, 5(; (Amsterdam 1743).

4) Z. B. (Dielhelm), Rheinischer Antiquarius 1739 S. 536. Pöllnitz, Memoires 3, 154 (1735). (Riesbeck), Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland 2, 496 (1783). Ph. W. Gerken, Reisen durch Schwaben etc. 3, 324 (1786). J. Lang, Reise auf dem Rhein 2, 288 (1789).

5) Grimm, Deutsche Sagen 1818 nr. 340. E. Weyden, Cölns Vorzeit 1826 S. 192. Kiefer, Sagen des Rheinlandes 1845 S. 48 = Grässe, Sagenbuch des preuss. Staates 2, 69 (1871). Sagen, Mythen und Legenden der Stadt Köln 1880 S. 82 (Grootes Gedicht).

Die Sage von der erweckten Scheintoten. 361

neuen Züge; auch die Dichter^) haben sich durchweg treu an die Über- lieferung gehalten; nur Oehlenschläger lässt in seiner Novelle den Toten- gräber nicht aus gemeiner Habsucht, sondern durch bittere Not getrieben den Raub begehen und, als die Tote sich aufrichtet, sofort zu Herrn Adocht eilen, der sich darauf mit einem Knecht zum Dome begibt und seine Frau auf dem Altar sitzend findet.

Wie steht es aber nun mit der historischen Glaubwürdigkeit der Kölner Erzählung, deren allmähliches AYachstum wir an der Hand der Zeugnisse verfolgen konnten? Merlo"), der einzige, der ihr eine kritische Untersuchung gewidmet hat, wies aus den Schreinsbüchern nach, dass weder 1400 noch 1357 das Haus zum Papagei auf dem Neumarkte der Familie von der Aducht oder von Lyskirchen gehört hat und dass Watelm Mennegin von der Aducht, welcher noch vor 1353 starb, mit seiner Frau Richmodis in einem Hause auf der Sandkaule in der St. Albanspfarre wohnte. Damit fällt die Glaubwürdigkeit der Angaben auf der mindestens seit der 2. Hälfte des 16. Jahrh. an der Apostelkirche angebrachten Gedächtnistafel, die 1604 bei Bussenmacher erweitert und ausgeschmückt werden, in sich zusammen, und wir müssen diese Inschrift als einen Versuch ansehen, eine längst vorhandene Sage, die 1499 in der KoelhofFschen Chronik noch ohne Personennamen erscheint, mit einem fremden, nicht zu ihr gehörigen Grabmonument in Verbindung zu bringen: ein Vorgang, der sich in der Entwicklung der Ortssagen häufig wieder- holt. Auch die am Hause zum Papagei haftende Erzählung vom Jahre 1499, welche die handelnden Personen nicht benennt, verdient keinen Glauben; wie sollte eine nicht in einem luftigen Grabgewölbe beigesetzte, sondern in die Erde vergrabene Scheintote viele Stunden aushalten, ohne an Luftraangel zu ersticken! Nehmen wir dazu das Auftauchen derselben Geschichte an anderen Orten, so wird uns deutlich, dass wir es hier mit einer Wanders age zu tun haben. Möglich ist natürlich, dass ein wirk- licher, weniger komplizierter und wunderbarer Vorfall in Köln im Sinne dieser bereits vorhandenen Sage ausgeschmückt wurde ^). Späte Zusätze sind die Pferdeköpfe am Giebel des Wohnhauses, die auf den Unglauben

1) E. V. Groote, Richrauth von der Aducht (Taschenbuch f. Freunde ad. Kunst 1816, 21 = Ziehnert, Preussens Volkssagen 3, 40. 1840 = Hocker, Deutscher Volksglaube 1853 S. 15. 222 = Simrock, Rheinsagen 1869 S. (M nr. 22; vgl. A. Kaufmann, Quellenangaben 1862 S. 25). J. Dilschneider, Richmodis, ein Epos (Brewers Vaterländische Chronik der Rheinprovinzen 1, 160. 273. 1825). Oehlenschläger, Richmuth von Adocht (Werke 20, 7—22. 1839). F. Jacobs, Das Pferd im Bodenloch (Schriften für die Jugend 1844). Kretzschmer-Zuccalmaglio, Volkslieder 2, 176 nr. 85 'Richmut und Adocht' (1840) = Erk- Böhme, Liederhort 1, 595 nr. 196 c.

2) Merlo, Die Familie Hackeney zu Köln 1863 S. 46 52. Ich verdanke deu Hin- weis auf diese wichtige Schrift Herrn Stadtbibliothekar Dr. 0. Zaretzky in Köln.

3) Vgl. die interessante Darlegung ähnlicher Vorgänge bei Schönbach, Über Cäsarius von Heisterbach III (Sitzungsberichte der Wiener Akademie 163, 1. 1909).

362 Bolte:

des Gatten hinweisen sollen und erst 1687 erwähnt werden^), und das in der Apostelkirche als eine Weberei der Frau Richmodis gezeigte graue Leinentuch mit dem Bilde einer vor der Jungfrau Maria knienden Frau; denn dies einst wohl als Fastentuch dienende Stück stammt aus dem Ende des 12. Jahrh.'').

Mustern wir nun die parallelen Ortssagen! Um 1566 berichtet die Zimmersche Chronik (1, 309 ed. Barack 1869), wie zu Lebzeiten Johanns von Zimmern des älteren im 15. Jahrh. die Frau Haugs von Hausen, eine seb. Winenden, zu Mösskirch an der Pest starb und auf dem Kirchhofe zu St. Martin in die Grube gelegt ward, aber nachts erwachte, als ihr der Totengräber den Ring und ihre Röcke abziehen wollte, und heimkehrte. Keinen Ort nennt Phil. Salmuth^) in seiner ähnlichen Erzählung von der wieder auflebenden Frau des Buchdruckers Matthäus Harnisch; sollte er hier aufs Geratewohl den in Neustadt a. d. Hardt ansässigen Drucker von Ewichs oben S. 357 erwähnter Schrift über die Pestbehandlung eingesetzt haben? Ferner liegen Varianten unsrer Sage vor aus Dresden, Laibach, Magde- burg, Altenburg, Hamburg, Danzig, Thorn, Glückstadt, Lübeck, Dünkirchen, Aachen, Bolkenhain, aus dem Yogelsberg, aus Nürnberg, Schweinfurt, Memmiugen, Regensburg, Freiburg i. B. und Siebenbürgen, die wir im Interesse des Lesers zusammenfassend charakterisieren wollen*). Die

1) Mit Unrecht erblickte also Simrock (Deutsche Mythologie ^ § 106, 4) in den Pferdehäuptern am Söller, denen er eine Beziehung zum Totenreiche zuschrieb, den Anlass zur Entstehung der Sage. Viel einleuchtender ist L. Friedländers (Petronius, Cena Trimalchionis 1891 S. 289 zu c. 63 'Asinus in tegulis') Hinweis auf altrömische Prodigia, bei denen ein Esel oder Rind aufs Dach steigt. Ein allnächtlich die Treppen emporsteigender Spukschimmel bei Seifart, Sagen aus Hildesheim 1, 15 (1854).

2) F. Bock, Das heilige Köln 1858 Nr. 92-93 (St. Aposteln) S. 8.

3) Ph. Salmuth, Observationum medicarum centuriae tres 1648 p. 102 (cent. 2, 87): 'Puerpera hysterica sepulta reviviscit'. Danach Job. Praetorius, Anthropodemus Plutonicus 1666 1, 342; C. Blanckardus, Neuer historischer Lust -Garten 1701 S. 84 nr. 26; J. C. Hilscher, Goldschmids-Frau 1725 S. 5; Bruhier, Kennzeichen des Todes 1754 S. 133.

4) Dresden: J. Lassenius, Adeliche Tisch-Reden 1661 S. 83. *M. Grundmann, Geist- und weltliche Geschicht-Schul (um 1665) S. 221. J. Praetorius, Anthropodemus Plutonicus 1666 1, 341. J. C. Hilscher, Nachricht von der aus ihrem Grabe wieder auferstandenen Goldschmids-Frau in Dreßden, nebst einer Erinnerung von der unerkannten Sünde, die Leute zu begraben, ehe sie noch gestorben sind, 1725 (mit Abbildung des Grabsteins). W. Schäfer, Deutsche Städtewahrzeichen 1, 167—172 (1858. Mit Abbildung). Fehlt bei Meiche, Sagenbuch des Königreichs Sachsen (1903). Laibach: Valvassor, Ehre des Erzherzogtums Crain 2, 715 (1689). Hilscher, Goldschmidsfrau 1725 S. 28. Hormayrs Taschenbuch 1840, 374. Magdeburg: Büsching, Volkssagen 1812 S. 389 'Der Wink Gottes'. Reissieg, Sagen der Stadt Magdeburg 1, 246 (1848) = Grässe, Sagenschatz des preuss. Staates 1, 251 (1868). Revue des trad. pop. 11, 466. F. Lohmann, Mathilde von Asseburg (Novelle in Schutzes Taschenbuch der Liebe und Freundschaft 1826, 161—241). H. A. Pröhle, Chronik von Hornhausen 1850 S. 121. A. F. v. d. Asseburg, Denkwürdig- keiten 1842 S. 23. H. Pröhle, Deutsche Sagen '^ 1879 S. 65 nr. 35 'Sophia von der Asse- burg und das weisse Ross auf dem Breiten Wege zu Magdeburg'. *C. L. Brandt, Der Dom von Magdeburg 186:'>. Hanftmaim, Führer durch den Magdeburger Dom 1909 S. 88 (Epitaph des 1611 verstorbenen Domherrn Heinrich von Asseburg). Ploss-Bartels, Das

Die Sage von der erweckten Scheintoten. 363

Grundform der Sage ist überall dieselbe; in mehreren Fällen (Dresden, Magdeburg, Altenburg, Lübeck, Schweinfurt, Thorn, vielleicht auch Bolken- hain) zeigt man noch heut das Grabrelief der Frau, das aber keinerlei Besonderheit, sondern nur die kniende Verstorbene mit ihren Kindern, bisweilen auch mit ihrem Manne enthält; in Magdeburg, wo eine zweifache Form der Sage existiert, blickt auf einem Gemälde des Jüngsten Gerichts im Dome unter einem sich hebenden Leichensteine ein Kopf hervor, in dem sich vermutlich der Maler selber verewigen wollte. Die jüngeren,, erst im 19. Jahrhundert aufgezeichneten Varianten (Magdeburg, Hamburg,. Danzig, Glückstadt, Dünkirchen, Aachen, Hessen, Nürnberg, Memmingen, Freiburg, Mühlbach) weisen fast sämtlich auf den am Hausgiebel oder au den Fensterläden (Nürnberg) befindlichen Pferdekopf hin, der zur Erinnerung an den anfänglichen Unglauben des Witwers und das darauf erfolgte Wunder angebracht worden sei; in Hamburg ist es dagegen der Kopf eines Einhorns, in Memmingen ein Steinrelief mit einem in der Wiege liegenden Gaul. Der bei Langbein und Ziehnert verwertete Zug, der Gatte sei durch die Wiederkehr der auferstandenen zänkischen Frau un- angenehm überrascht worden, ist vermutlich eine satirische Erfindung des ersteren^). In Freiburg wird wie in Köln auch ein angeblich von der Sagenheldin gewebtes Fastentuch gezeigt. Man kann hier deutlich ge- wahren, wie die zuerst in Köln lokalisierte Geschichte gleich Sommer- fäden durch die Luft fliegt und als 'ikonischer Mythus' bald hier, bald

Weib ® 2, 808 (1908). Gedichte von Langbein, Die selige Frau (Minerva, Taschenbuch f. 1815, 177 = Sämtl. Schriften 5, 169. 1835), Ziehnert, Preussens Volkssagen 1, 113 (1838. 'Das Pferd in Magdeburg') und Jul. Wolf, Die Frau des Ratsherrn (Nord u. Süd 23, 211. 1882). Altenburg: Gräsae, Sagenschatz des Königreichs Sachsen * 2, 371. Geyer, Osterlandsagen 1901 S. 36 nr. 22 (Grabstein von 1622). Hamburg: Amalie Schoppe, Sagenbibliothek' 1, 200 (1866; zuerst 1833): 'Das Einhorn'. Danzig: Karl, Danziger Sagen 2, 31; anders in Brans Minerva 1856, 2, 219. Thorn: Behrend, Westpreussischer Sagenschatz 3, 50 (1908): der Totengräber holt reuig den Gatten. Glückstadt: MüUenhoff, Sagen von Schleswig-Holstein 1845 nr. 554. Lübeck: Deecke, Lübische Geschichten 1852 S. 277. Dünkirchen: J. W. Wolf, Niederländische Sagen 1843 nr. 536. Aachen: fievue des trad. pop. 11, 328. 466 (1896): 'La morte ressuscitee, legende liegeoise'. Bolkenhain: Goedsche, Die Sagen des Riesengebirges 1884 S. 93 (Frau Schuller 1533). Dorf am Vogelsberg: Bindewald, Oberhess. Sagenbuch 1873 S. 170. Böckel, Die dtsch. Volkssage 1909 S. 12. Nürnberg: Lotter, Sagen der Stadt Nürnberg 1899 nr. 136 'Die verfluchte Jungfer'. Schweinfurt: Bechstein, Sagenschatz des Frankenlandes 1, 166 nr. 35 (1842) und Deutsche Sagen nr, 818. V. Hefner-Alteneck, Trachten des christl. Mittelalters 3, 131 Taf. 119 (1840— .54. Grabmal der Frau Susanna des Syndikus Adam Alberti, f 1565). Schöppner, Sagenbuch der bayerischen Lande 1, 217 nr. 222 (1852). A. Kaufmann, Mainsagen 1853 nr. 28. Memmingen: Schöppner 2, 413 nr. 877 'Das Pferd in der Wiege'. Reiser, Sagen des Allgäus 1, 411 nr. 497 (1897. mit Abb.). Regonsburg: Brandt 1863. Freiburg i. B. : Baader, Neugesammelte Volkssagen aus Baden 1859 nr. 50. Eine hsi. Fassung erhielt ich 1904 von Hjn. Prof. Amersbach. Mühlbach: F. Müller, Siebenbürgische an 1857 nr. 155. 1) Vgl. dazu den oben S. 354^ erwähnten Schwank.

364 Bolte:

dort anhaftet, wo sich ein ihr entsprechendes Denkmal auf dem Kirchhof oder am Hause darbietet.

Keine solche lokalen Erinnerungszeichen finden wir in den fran- zösischen Varianten. Tallemant des Reaux^) berichtet von der um 1550 lebenden Baronin de Panat, die an einem Knöchelchen erstickt und be- graben, durch eine Dienerin erweckt wurde, welche ihren Schmuck stehlen und sich zugleich durch Schläge auf den Nacken an ihr rächen wollte. Zur selben Zeit soll Renee Taveau, die Gemahlin des Herrn Fran^ois de Rochechouart, durch einen Diener, der es auf ihren Diamantring abgesehen hatte, vom Scheintode erweckt worden sein^). Misson^) reiht seinem Berichte über die Kölner Sage den gleichen Fall der Goldschmiedsfrau Mervache in Poitiers an; und der Pariser Arzt Bruhier zählt in seiner ^Dissertation sur l'incertitude des signes de la mort'*) ganz analoge Geschichten aus Orleans (Frau des Notars Bellejoie), Toulouse (morgens hören die Mönche die begrabene Frau klagen und finden neben ihr den vor Entsetzen halbtoten Diener, der ihr den Finger abgeschnitten hatte); Bordeaux (Frau von Revenac) und Dublin auf, die bei einem kritischer gestimmten Forscher gerade durch ihre Ähnlichkeit Verdacht erweckt hätten. Dass auch in England die Sage Verbreitung gewann, erfahren wir aus einer lehrreichen Zusammenstellung von Axon^). In einer Ballade von R. S. Hawker, die zu Cothele in Calstock, Cornwall spielt, heisst die Scheintote Annot of Benallay, nach Mrs. Bray aber Lady Edgcumbe in Maker. Eine von Timbs erwähnte Sage knüpft sich an eine neben der Kanzel der St. Giles-Kirche in Cripplegate angebrachte Gedenktafel für Constance Whitney, welche die sich aus ihrem Sarge aufrichtende Frau zeigt. Die Erweckung durch den Ringdieb wird ferner erzählt von einer Mrs. Killigrew, von einer Lady Longstone of Longstone in Derbyshire, aus Glocestershire, Drogeda, Halifax, Watchett, Somersetshire. Aus Ungarn meldete 1904 die Budapester Zeitung®) als einen kürzlich ge-

1) Les historiettes de Tallemant des Reaux 3. ed. par Monmerque et Paris 1, 436 (1854).

2) Bayle, Dictionnaire historique 4, 323 (1730) nach dem Mercure galant 1702,

Oct. p. 107.

3) Misson, Voyage d'Italie 1, 60 (1743. Noch nicht in der 1. Ausgabe) = Bruhier, Kennzeichen des Todes 1754 S. 48 = Bouchut, Signes de la mort 1874 p. 282.

4) Bruhier, Abh. von der Ungewissheit der Kennzeichen des Todes, übersetzt von J. G. Jancke 1754 S. 9. 21 (Orleans; := Bouchut 1874 p. 284). 53 (Toulouse; = Bouchut p. 283). 73 (Bordeaux). 78 (Dublin).

5) The Reliquary 8, 148 f. (1867—68) und 9, 249. Vgl. Hawker, Recor^s of the westem shore 1832 p. 13. Mrs. Bray, Gentleman's Magazine 1853, Nov. p. 449. Münchner Neueste Nachrichten 1903, 25. Juli. Timbs, Things not generally known 2. ser. 1859 p. 179. Miss Wynne, Diaries of a lady of quality p. 1. Hunt, Hundred romances from real life p. 88 (Francis de St. Civile).

6) Berliner Lokal-Anzeiger 1904, 30. April und Münchner Neueste Nachrichten 1904, 17. Mai.

Die Sage von der erweckten Scheintoten. 365

schehenen Vorfall, dass Helene Fritsch in Egerszeg, die man für tot bestattet hatte, wieder erwachte, als Diebe ihr nachts drei Finger ab- schnitten, und darauf in ihr Haus zurückkehrte.

Ein neues Motiv enthält eine in Padua spielende Erzählung bei dem schon erwähnten Arzte Joh. Ewich*):

Ein solches ist mir auch erzelt worden von einem andern Weibe zu Padua, welche schwanger gewesen und, wie man sich bedüncken lassen, sie were todt, zu Grabe gebracht worden und baldt hernach im Grabe zween Kindlin geboren, die auch so laute geschrihen, das es die Rüster in der Kirchen gehört und die Kindlin neben der [0 1 b] Mutter lebendig wider aus dem Grabe genommen haben . . .

Und diese Überlieferung, welche die seltsame Rettung der scheintoten Frau durch die glückliche Geburt von Zwillingen ins Fabelhafte steigert^), hat sich bis in ein Bänkelsängerlied des 18. Jahrhunderts fortgepflanzt: 'Eine sehr merkwürdige und noch nie erhörte Wundergeschichte, welche sich in dem Städtlein Hirschleben mit einer Sechswöchnerinn, eines Bergmanns Ehefrau zugetragen hat, wie nehmlich dieselbe drey Tage und drey Nächte in Kindesnöthen gearbeitet, endlich gestorben und begraben worden, nach dreyen Tagen aber hat man sie im Grabe singen hören; worauf das Grab geöfnet worden, sie lebendig gefunden, und an jeder Brust ein säugendes Kindlein angetroffen, über welche zwey weisse Tauben gesessen. Ganz neu gedruckt' ('Nun lasst uns Wunder hören', 29 Str. 4 Bl. 8**. Berlin Yd 7923, 16). Eine andre Bearbeitung dieser Wunder- geschichte ('Hört zu, ihr lieben Christen Leut', 20 Str. Berlin Yd 7922, 43), die Arnim und Brentano 1805 für ihr Wunderhorn benutzten, verlegt das Ereignis nach Zürich in den Januar 1792; neun Tage nach dem Tode der Frau Jerman Weizers vernehmen die überlebenden Kinder aus ihrem Grabe den Gesang eines Wiegenliedes; die eilig Ausgegrabene berichtet, wie sie von einem Knäbleiu wunderbar gespeist und getröstet worden sei, und prophezeit ausführlich Kriegsnot und Pestilenz. In zwei jüngeren Fassungen aus Schlesien und Brandenburg ist die Erzählung sehr zu- sammengestrichen und die Ortsangabe fortgefallen^).

Ganz abseits steht endlich eine düstre alt dänische Ballade von

1) Ewich, De officio magistratus 1582 p. 140 = Ewich, Pestilentzordenung deutsch durch J. Mollerum 1583 Bl. 01a. Vgl. Bruhier S. 88.

2) Vermischung mit dem Motive der Erweckung durch den Dieb zeigt die von Matth. Hammer (Rosetum historicum, Zwickau 1G54 S. 514 nach einer Magdeburger Leichen- predigt) überlieferte Geschichte einer thüringischen Edelfrau, die an Maria Krautweih in der Kirche in eine Ohnmacht fällt, als wäre sie tot. Ihr Eheherr lässt die vermeinte Leiche samt dem Geschmeide gleich in der Kirche liegen; als aber nachts ein Dieb die Kleinode rauben will, erwacht sie und gebiert einen Sohn, der später Pfarrer wird.

3) Erk- Böhme, Liederhort 1, 594 nr. liKia— b (nach Arnim -Brentano, Wunderhorn 1, 322 = Erlach, Volkslieder 4, 82 und Peter, Volkstümliches aus Üst. Schlesien 1, 202). Vgl. K. Bode, Die Bearbeitung der Vorlagen in Des Knaben Wunderhorn 1909 S. 557 bis 560.

.366 Bolte:

Stolz Lydborg, der jungen Gattin Herrn Wolmers^). Als diese in Ab- wesenheit ihres Ehemannes in Kindesnöten liegt, weigert die arge Schwieger ihr jede Erquickung und lässt sie, als sie in Ohnmacht sinkt, schleunig be- graben. Doch ihre Mutter Frau Mettelille wird durch den treuen Pagen benachrichtigt, kommt zum Friedhofe, hört Lydborg aus dem Grabe rufen, befreit sie und gebietet, die tückische Schwieger zu verbrennen. Als Herr Weimer heimkehrt, ist seine Mutter tot und seine Frau fortgezogeu.

2. Die romantische Sagenform (Kussmotiv).

Die zweite Hauptform der Sage, in der die Erweckung der Schein- toten von einem unglücklichen Liebhaber der Dame ausgeht, lässt sich bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen und zeigt in ihrer Ausgestaltung naturgemäss eine grössere Mannigfaltigkeit als der besprochene erste Typus, da sich hier eine grössere Zahl von Möglichkeiten darbot und die Lösung zugleich den juristischen Scharfsinn beschäftigen konnte. Die Begrabene konnte Jungfrau oder Braut oder jüngst vermählte Frau sein; der Jüngling konnte ihre Hand mit oder ohne Einwilligung der Eltern erhalten, er konnte versuchen sie ihrem rechtmässigen Gatten abzusiewinnen oder in edelmütigem Verzicht sie diesem wieder zuführen; der erste Gemahl konnte durch törichtes und unwürdiges Verhalten oder durch seinen Tod die Vereinigung der Liebenden ermöglichen; der angerufene Gerichtshof konnte seine Entscheidung nach der einen oder andern Seite hin fällen usw. Der Stoff hat seine Anziehungskraft bis in die neueste Zeit bewährt, und mehrfach wiederholt sich das fesselnde Schauspiel einer Ausgestaltung und Verfeinerung des Sagenstoffes durch einen begabten Poeten und einer Beeinflussung der Volksüberlieferung durch eine solche Kunstdichtung; doch muss sich hier unsre Betrachtung hüten, allzuweit ins literargeschichtliche Gebiet überzugreifen.

Um 1260 berichtet der Löwener Dominikaner Thomas von Cantimpre in seinem lateinischen Bieueubuch'^), wie ein armer Jüngling in dem brabantischen Dorfe Gwerthena (Werchten, Zwarteva?) ein Mädchen lieb- gewann, aber von dessen Eltern zurückgewiesen ward. Das Mädchen fiel in ein starkes Fieber, starb und ward bestattet. In der Nacht darauf wanderte der Jüngling traurig durch einen Wald, da hörte er eine klagende weibliche Stimme. Er trat hinzu und fand die totgeglaubte Jungfrau^),

1) Grundtvig-Olrik, Danmarks gamle Folkeviser 6, 149 nr. 342 'Volmers hustru levende begravet'. Eine schwächliche Umbildung ist nr. 343 'Faßstem^en levende begravet'.

2) Bonum universale de apibus 2, 57, 20 (Duaci 1G05 p. 551) = Gering, Isl. Aeventyri 2, 194: deutsch bei J. W. Wolf, Ndl. Sagen 1843 nr. 315. Vgl. A. Kaufmann, Th. V. Chantimpre 1899 S. 105 und W. A. van der Vet, Het bienboec van Th. van Cantimpre 1902 S. 157.

3) Also einsam, nicht inmitten einer Schar verstorbener Frauen, wie es in der Sage bei Walther Mapes (De nugis curialium 1850 p. 82. 168; vgl. Uhlaud, Schriften 8, 455 und Liebrecht, Zur Volkskunde 1879 S. 55) heisst.

Die Sage von der erweckten Scheintoten. 367

die ihm erzählte, ein Mann sei vor ihr hergegangen und habe sie her- geführt. Rasch entschlossen barg der Jüngling sie in einem Hause ausser- halb des Dorfes, eilte zu ihrem Yater, der noch beim Leichenmahle sass, und fragte diesen, ob er ihm jetzt seine Tochter zum Weibe geben wolle, wenn er sie ihm lebend zuführe. Als der Yater dies zusagte, gingen sie zum Sarge und fanden unter dem Linnen ein teuflisches Gebilde aus faulem Holz, mit einer Haut überzogen. Einige Tage darauf ward eine fröhliche Hochzeit gefeiert.

Nicht recht begreiflich erscheint in diesem Berichte die Handlungs- weise des Dämons, der das scheintote Mädchen in den Wald bringt. Ist er hier nur die Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft? Oder ist er ein mönchischer Zusatz zu einer einfacheren Gestalt der Über- lieferung? Man möchte dies fast glauben, wenn man die isländische Er- zählung des 133y verstorbenen Bischofs Jon Halldörsson^) vergleicht, die dieser auf seinen Reisen in Frankreich und Italien gehört haben mag; denn sie spielt in einer Stadt der Lombardei. Der arme Jüngling wagt hier gar nicht, um die einzige Tochter des reichen Ritters zu werben, schleicht aber, als sie plötzlich stirbt und bestattet wird, nachts in die Familiengruft, trägt die Leiche auf seinen Armen in sein Haus und wärrat sie, bis sie die Augen aufschlägt^). Als er dann sie bittet, seine Frau zu werden, ist sie einverstanden; er begibt sich zum Yater und fragt ihn, ob er ihm seine Tochter verloben würde, wenn er sie ihm lebend zurück- bringe. Ungläubig weigert der Alte eine solche Zusage, willigt aber freudio- ein, als der Jünorlins: die Totgesrlaubte holt und ausführlich Bescheid gibt.

In Italien ist auch die berühmteste und wichtigste Yersion unserer Geschichte heimisch, die uns Giovanni Boccaccio zweimal überliefert, zuerst ohne die Namen der Personen um 1340 in seinem Romane Filocopo und dann ausführlicher im Decameron 10, 4 (um 1358). Unter den 13 Fragen, die in der Hofgesellschaft zu Neapel in jenem Romane^) auf- gegeben werden, erzählt an letzter Stelle Massalino eine in seiner Stadt

1) Gering, Islendzk Aeventyri 1882 2, 192 nr. 86 'Die scheintote Geliebte' (aus einer um 1400 geschriebeneu Kopenhagener Hs.); vgl, Germania 25, 142.

2) Der isländische Autor setzt hinzu, der Jüngling habe sich jeder Unzucht ent- halten; und mit Recht schliesst Gering 2, 194 aus dieser Bemerkung, dass ihm Erzählungen bekannt waren, die von einer Leichenschändung berichteten (Liebrecht, Zur Volkskunde 1879 S. 49. Oben 13, 18. 16, 416. Ploss-Bartels, Das Weib ^ 2, 798. Hebbel, Tagebücher ed. Werner 2, 444. Wlislocki, Märchen der Zigeuner 1886 nr. 40). Einen solchen Fall von einem Mönche, der bei einem scheintoten Mädchen Leichenwache hielt und sie später heiratete, erzählt Pitaval (Causes celebres 8, 425. 1737. Bruhier, Kennzeichen des Todes 1754 S. 62).

3) Boccaccio, II Filocopo (Vinegia 1551) Bl. 241b— 245 a. Deutsch in der Histori der hochen lieb Florio und Bianceffora (Metz 1499) Bl. 89 a mit Holzschnitt. Ohne Quellen- angabe nacherzählt von Harsdörffer (1641) und Abele (1654). Englisch 1567 von H. G., A pleasant disport of diuers noble personages (Hazlitt, Handbook 1867 p. 42, 6).

368 Bolte:

(also Neapel) Yorgefallene Geschichte von einem Ritter, der eine ver- heiratete Edelfrau liebgewann, ohne von ihr Huld zu erlangen, und während er in einer nahen Stadt ein Amt verwaltete (al reggimento d'una cittä assai alla nostra vicina fu chiamato), vernahm, dass jene Frau in Kindesnöten plötzlich verblichen und alsbald bestattet worden sei. Er verwünschte den Tod, der ihm die Geliebte geraubt habe, und ritt in der Nacht mit einem getreuen Diener in die Heimat, öffnete das Grab, stieg hinein und begann die Tote zu küssen. Da spürte er an ihr einen leisen Pulsschlag und erkannte mit freudigem Erschrecken, dass sie nicht tot war. Sanft zog er sie aus dem Grabe hervor, hüllte sie in einen Mantel und trug sie mit dem Diener in das Haus seiner Mutter, wo sie unter guter Pflege bald zu sich kam und einem Knaben das Leben gab. Der Ritter, der nicht länger verweilen konnte, nahm ihr das Versprechen ab, vorläufig im Verborgenen bei seiner Mutter zu bleiben. Bald darauf war seine Amtszeit abgelaufen; er kehrte zurück und lud eine grosse Gesell- schaft zu Tisch, darunter den Gatten der Dame und ihre Brüder. Die Dame nahm schweigend neben ihrem Manne Platz, der sie staunend und zweifelnd betrachtete und endlich den Wirt fragte, wer dies sei. Der Ritter offenbarte nun, wie sich alles zugetragen, und gab ihm Frau und Kind zurück. Urteilet nun, schliesst der Erzähler, ob der Edelmut des Ritters oder die Freude des Gatten grösser war! Im Decameron verlegt Boccaccio den Schauplatz der Handlung nach Bologna und nennt die Heldin Catalina, Gattin des Niccoluccio Caccianimico, und ihren Liebhaber Geutile da Carisendi. Er lässt ferner das Begräbnis in Abwesenheit des Ehemanns stattfinden und gestaltet die Schlussszene eindrucksvoller; bei dem Mahle fragt Gentile, ob ein Herr, der einen erkrankten Diener von sich stosse und verlasse, noch ein Anrecht auf ihn habe, nachdem ihn ein Fremder aus Mitleid aufgenommen und mit Sorgfalt gesund gepflegt habe^); und als Niccoluccio diese Frage verneint, lässt er Catalina mit ihrem Kinde auf dem Arme unter die erstaunte Gesellschaft treten und vereinigt die beiden Gatten. Diese mehrfach übersetzte^) Novelle ward von Hans Sachs und von Tennyson in dichterische Form gekleidet; sie liegt ferner einem niederländischen Epos von Cats und einer französischen Novelle von Lenoble zugrunde; einen entsprechenden Vorfall aus Pont Saint- Esprit in Languedoc erzählt Bruhier (Kennzeichen des Todes 1754 S. 504).

1) Ein Gegenstück dazu ist die Frage der vor einer zweiten Vermählung stehenden Märchenheldin, ob sie den neuen Schlüssel oder den wiedergefundenen alten gebrauchen solle (R. Köhler, Kl. Schriften 1, 169. 426; dazu Schell, Bergische Sagen 18'.>7 S. 407. Wisser, Wat Grotmoder verteilt 2, 52. Archiv f. siebenbg. Landeskunde 33, 680. Revue des trad. pop. 23, 128). Vgl. unten S. 37(1 das Gleichnis von dem Gärtner und der Blume.

2) Ausser den Übertragungen des gesamten Decameron vgl. Nicolas de Troyes, Le grand parangon des nouvclles 1536 nr. 126 (Auswahl von E. Mabille 1869 p. XXXVII). Painter, Palace of pleasure 2, 19 (1567). Turbervile, Tragical tales nr. 3 (um 1576). Coornhert, Lustige historien of nyeuwicheden J. Bocacii 1564 nr. 46.

Die Sage von der erweckten Scheintoten. 3(39

Hatte Boccaccio den Nachdruck auf den edelmütigen Verzicht des Liebhabers gelegt, so gestaltete ein toskanischer Dichter des 15. Jahr- hunderts Agostino Yellettii) eine ähnliche Florentiner Lokalsage von einer auferstandenen Scheintoten zu einer Verteidigung der Rechte des Herzens gegen die starre Satzung der Kirche. Ginevra degli Almieri (eigentlich Amieri), welche von Antonio Rondinello geliebt wird, muss nach dem Willen ihrer Eltern Francesco de'Angolanti heiraten. Nach einiger Zeit erkrankt sie und wird als tot neben dem Dome (S. Reparata) nahe dem Glockenturme beigesetzt. Nachts jedoch erwacht sie von selbst aus ihrem Starrkrämpfe, steht auf, hebt, von einem durch eine Ritze fallenden Mondstrahl geleitet, mit grosser Anstrengung die schadhafte Steinplatte der Gruft und schreitet durch die einsame Strasse, die seitdem Via della morte heisst, zum Hause ihres Gatteu. Der aber hält die Anpochende für ihren Geist und weist sie von dannen, morgen wolle er für ihre Seelenruhe beten. Sie wandert zum Hause der Eltern und klopft an; die Mutter ruft aus dem Fenster: 'Geh fort in Frieden, seliger Geist!' Ebenso ergehts ihr an der Tür ihres Oheims. Jammernd ruft sie Maria an, da Eltern, Oheim und Gatte sie Verstössen*), und will sich schon zum Sterben hinlegen, da gedenkt sie ihres einstigen Liebhabers Antonio und pocht an seine Tür. Antonio eilt, als er ihren Namen hört, hinunter, trägt sie auf ein Lager, das seine Mutter und die Magd bereiten, und geht dann aus, um die Gruft wieder zu schliessen und köstliche Speisen ein- zukaufen. Erst nach mehreren Tagen, als Ginevra sich völlig erholt hat, wagt er die Frage, ob sie zu ihrem Gatten zurückkehren wolle. 'Nein', antwortet sie entschlossen, 'aber wenn du mich willst, so werde ich deine Frau. Der Tod bricht Gesetz und Verwandtschaft.' Sie verloben sich vor dem Notar, Antonio kauft (und das ist ein Zug, der den praktischen Sinn des Italieners verrät) dem Witwer Francesco die Kleider seiner an- geblich verstorbenen Frau ab, und Ginevra geht am Sonntag mit Schwieger und Magd öffentlich zur Messe. Voll Erstaunen erblickt ihre Mutter sie dort und redet sie an, dann ihr Gatte Francesco: 'Wo warst du? Wer zog dich aus dem Grabe?' Sie erwidert: 'Du nicht, denn du hast mich lebend begraben', und verlässt den Ort. Francesco fordert von Antonio seine Frau zurück und verklagt ihn beim erzbischöflichen Gericht. Dort

1) A. Velletti, La storia di Ginevra degli Ahnieri che fu sepolta viva in Firenze, ed. A. d'Ancona, Pisa 1863 (82 Stanzen). Über andre Ausgaben vgl. Passano, I novellieri italiani in verso 18G8 p. Gl. über die Sage F. Rondinelli, Relazione del contagio in Firenze 1634 p, 55. Manni, Istoria del Decamerone 174:-2 p. 553 und Le veglie piacevoli (2. ediz. 1816) 6, 44—60. AdemoUo, Marietta de' Ricci 6, 2169 (1845). G. Reies, Eljsius iucundarum quaestionum carapus 1661 p. 527: 'Memini in quodam poeta Italo similem casum legisse' . . .

2) Ognun mi ha di pietä chiuse le porte; | 0 vitupero, o misera vergogua | Di padre, madre, di zio e marito | D'abbandonarmi in si estrenio partito! (St. 37),

Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1910. Heft 4. 24

370 Bolte:

aber führt Ginevra ihre Sache so gut, dass die Ehe mit Francesco für nichtig erklärt und ihre Verbindung mit Antonio anerkannt wird. Der Dichter setzt den Vorfall 1396 (andere 1400 zur Zeit einer Pest) an. er erwähnt neben andern Florentiner örtlichkeiten die noch vorhandene gesprungene Grabplatte i). Seine Erzählung, welche die Befreiung aus dem Grabe nicht dem Jünglinge, sondern der Heldin selber zuschreibt und durch die vergebliche Anrufung von Gatte, Eltern und Oheim kaum zufällig an die weit verbreitete Volksballade von der losgekauften Jung- frau') anklingt, entsprach mehr als Boccaccios Novelle dem Geschmacke des grossen Publikums und ward wiederholt dramatisiert, zuerst 1546 in Florenz^), dann in italienischen und französischen Opern*), 1840 noch von dem englischen Dichter Leigh Hunt. Auch Shelley begann 1821 eine poetische Bearbeitung.

Küchterne Beurteiler mochten freilich über die dem kirchlichen Rechte widersprechende Entscheidung des Florentiner Erzbischofs einigen Zweifel hegen. Und aus solcher Erwägung heraus hat der Bischof Matteo Bandello®), der sicherlich Vellettis Dichtung so gut wie Boccaccios- Novelle kannte, in seiner Erzählung aus der Ehefrau eine Braut gemacht. Elena, die Tochter eines venezianischen Edelmanns, soll, während ihr heimlicher Geliebter Gerardo über See gefahren ist, mit einem andern vermählt werden. Aus Kummer fällt sie vor der Hochzeit in eine tiefe Ohnmacht und wird begraben. Kurz darauf kehrt Gerardo heim; wie er von Elenas Tod hört, steigt er mit seinem Bootsmanne nachts in die Gruft, entdeckt in der Scheintoten noch Leben und bringt sie in da» Haus des Bootsmannes. Er gewinnt seines Vaters Einwilligung zur Heirat-^ in der Kirche aber erkennt der erste Bräutigam Elena und fordert, da Gerardo ihre Auslieferung weigert, diesen zum Zweikampfe heraus. Der

1) A Santa Reparata, Rasente chiesa, ov' e la sepoltura, Che ancor oggi vi si puö vedere La lapida con un po' di fissura (St. 16f.). Nach Manni befand sich neben dem Dome ein mit den Buchstaben GA bezeichneter Grabstein der Ginevra degli Amieri.

2^ Liebrecht, Zur Volkskunde 1879 S. 222. A. Herrmanu, Ethnol. Mitt. aus Ungarn 1, 33. 10(5 (1887). Krohn, Journal de la soc. finno-ougrienne 10, 111 (1892). Erk-Böhme, Liederhort nr. 78. Geijer-Afzelius, Svenska folkvisor nr. 14 (1880).

3) 1546 ward im Palaste des Herzogs Cosimo eine Komödie 'Ginevra morta, dal Campanile, la quäle essendo morta e sotterrata resuscitö' gespielt (Manni, Veglie 6, 60). Luigi del Buono, Ginevra degli Almieri sepolta viva in Firenze con Stenterello commedia 1855. J. V. d. Traun 1883 (unten S. 372).

4) Paer, Ginevra degli Almieri (Dresden 1802), G. Farinelli, G. degli Almieri (Venedig 1812, Text von Foppa), Halevy, Guido et Ginevra (Paris 1838, Text von Scribe), S. Levi, Ginevra (Triest 1840), Älabellini (Turin 1841), Tommasi, Guido e G. (ISöG). Vielleicht gehören auch die 'Ginevra' betitelten Opern von G. A. Perti (Florenz 1708), Santo Lapis (Prag 1739), F. G. Bertoni (Venedig 1753), P. Soracci (Mailand 1876) und G. Vigoni (Florenz 1891, Text von Venuti) hierher.

5) Novelle 2, nr. 41 (1554). Französisch bei F. Bellcforest, Histoires tragiques nr. 62 (4, 243—282. Lyon 1590). Deutsch bei E. v. Bülow, Novellenbuch 2, 133 (1835> und A. Keller, Italiän. Novellenschatz 4, 111 (1851).

Die Sage von der erweckten Scheintoten, 371

Rat der Zehn gebietet jedoch beiden, den Handel vor das Gericht zu bringen, und dieses entscheidet zu Gerardos Gunsten.

Es hiesse allzuweit von der Richtung dieser Zeitschrift ablenken, wollte ich nun die ganze Schar der Kunstdichtungen vorführen, die durch diese drei italienischen Erzählungen Boccaccios, Vellettis und Bandellos direkt oder indirekt angeregt wurden. Ich gebe nur eine Liste, die den Freunden der versrleichenden Literaturgeschichte zu weiterer Vermehrung und Betrachtung empfohlen sei, und hebe einige wichtigere Züge heraus:

Spanisch: Lope de Vega, La difunta pleyteada (1604 in seinem Peregrino en su patria, Vorrede angeführt; 1663 in den Comedias varias compuestas por los majores ingeniös de Espaua 20, 185 unter dem Namen von Francisco de Rojas gedruckt. Vgl. Wurzbach, Lope de Vega 1899 S. 224. Schaeffer, Gesch. des span. Nationaldramas 2, 122). F. de Rojas Zorrilla, Varios prodigios de amor (Comedias de los mejores ingeniös 42, 1. 1676). Maria de Zayas, Novelas amorosas y exemplares 1, 81b nr. 8 'El imposible vencido' (1659; zuerst 1635). Mila y Fontanals, Observaciones sobre la poesia populär 1853 p. 125 = ßomancerillo catalan 1882 nr. 249 'La amante resuscitada'; deutsch Germania 29, 359. Portugiesisch: Almeida Garrett, Romanceiro 3, 127 (1851) = Hardung, Romanceiro portuguez 1, 267 (1877) 'Dona Agueda de Mexia' mit Ver- gleichung von Braga, Romanceiro geral 1867 p. 53; deutsch von Ferd. Wolf, Sitzgsber. der Wiener Akad. 20, 105 (1856) und Geibel-Schack, Romanzero der Spanier und Portu- giesen 1860 S. 366 'Guimar'.

Französisch: E. Le Noble (f 1711), Promenades (deutsch 1783 bei Mylius, Kleine Romane 2, 91 'Treu' und Edelmut'). Gatien de Courtilz (f 1712), La morte vive (wo?). Madame de Gomez, Cent nouvelles nouvelles 2, 36 nr. 8 'La mort vaincue par l'amour' (1733). Pitaval, Causes celebres 8, 434 (1737) - Brubier, Kennzeichen des Todes 1754 S. 59 = Bouchut, Signes de la mort 1874 p. 323; englisch bei Stephen Collet, Reücs of literature 1823 p. 186, Brubier S. 75 (ein Offizier aus Perigord lässt sich vom Küster das Grab der Geliebten öffnen; das Gericht entscheidet gegen den Ehemann). Bouchut 1874 p. 308 (Victorine d'Omond und Chevalier de Sejanne in Toulouse. Angeblich aus Pitaval). Florian (f 1794), Oeuvres completes 1826 1, 158: Valerie, nouvelle italienne. E. Scribe, Guido et Ginevra ou la peste de Florenöe (1838, komp. von Halevy. Oeuvres completes 3. Serie 3, 173—253. 1875). Der von Liebrecht (.Zur Volkskunde 1879 S. 63) angeführte Roman 'Sylvandire' von Alex. Dumas (1843) gehört nicht hierher; denn Constance de Beuzerie ist dort nicht scheintot, sondern wird nur für tot ausgegeben; sie tritt (1, 159) nachts als Geist vor das Lager ihres verzweifelnden Geliebten Roger d'Änguilhem, um ihn von seinem Entschlüsse, ins Kloster einzutreten, abzubringen, sinkt ihm aber beim dritten Erscheinen in die Arme.

Englisch: Beaumont & Fletcher, The knight of Malta (vor 1619, gedruckt 1647. Koeppel, Quellenstudien zu^Ben Jonson, J. Marston und Beaumont 1S95 S. 68). Shelley, Ginevra (1821. Fragment. Vgl. Notes & Queries 7. ser. 11, 387. 481. 1891). A. Tennyson, The lovers tale (1828. Tennyson"s suppressed poems ed. by J, C, Thomson 1903 p, 140. Ein Teil, The golden supper, ward publiziert in The holy grail. Vgl. Axon, Transactious of te Royal society of literature 24, 61—79. 1903). Leigh Hunt, A legend of Florence (1840. Drama). Über den lange in Florenz lebenden Dichter Charles Grant hörte Isolde Kurz (Florentinische Erinnerungen 1910 S. 301) dort erzählen, „sein Vater habe seine Mutter zum erstenmal gesehen, als sie scheintot im Sarge lag, habe sich in sie verliebt und sie von der Bahre weg geheiratet eine Geschichte, der man gerne Glauben schenkte, weil sie dem romantischen, glühenden und doch so zarten Gefühlsleben des Sohnes entsprach" (Mitteilung von Hermann Michel).

Niederländisch: J. Cats, Proefsteen van den Trouringh 1637: 'Graf-houwelick of Leven uytten doodt' (vgl. Worp, Noord en Zuid 20, 65. Bolte, Tijdschrift voor nederl. taalkunde 16, 245. S. Schroeter, Cats' Beziehungen zur deutschen Literatur, Diss. Heidel- berg 1905 S, 6): lateinisch von C. Boyus in Cats, Faces sacrae 1643: 'E tumulo thalamus',

24*

372 Bolte:

deutsch von Titz 1G44 und von Feind 1712 (Cats' Sinnreiche Werke 4, 745). Zitiert von J. Lassenius, Adeliche Tischreden 1661 S. 81.

Deutsch: H. Sachs, Gentile mit der doten frawen (1544, nach Boccaccio. Meister- lied und Spruchgedicht. Schwanke ed. Goetze 3, 337 nr. 173 und Folioausgabe 1, 2, 159 a). Titz, Leben aus dem Tode, oder Grabesheirat 1644 = Deutsche Gedichte ed. Fischer 1888 S. 18. 273 (nach Cats). Harsdörffer, Gesprächspiele 2, ö(] (1641) = 2, 69 (1657. Nach Boccaccio, Filocopo). Abele, Metamorphosis telae iudiciariae 2, 659 nr. 67 (1654. Nach Harsdörffer). J. M. Dilherr, Ehre der Ehe vom Ehe- und Wittwen-Stand (1662) = Vulpius, Curiositäten 9, 183 (1821) = Ernst, Historisches Lusthaus 2, 886 (1703). Happel, Relationes curiosae 3, 792 (1687. Die wieder auffgewachte Liebste. Nach Abele). F. Gräffer, Romantische Vignetten (1813). Leop. Schefer, Genevion von Toulouse (1846). C. Paul (F. Pachler), Die Frau von Bouisseur (Aurora 1856, 97—188). G. Keller, Die Provencalin (Entwurf. Baechtold, G. Kellers Leben 2, 509. 3, 171. 1897). J. v. Weilen, Dolores (1874). Julius V. d. Traun (Schindler), Ginevra di Almeri, 1. Akt (Die Dioskuren 12, 3—15. 1883). E. V. Handel-Mazzetti, Deutsches Recht (1908). G. Hirschfeld, Das zweite Leben (Drama. 1910) nach einer Novelle aus einer Zeitschrift zu Anfang der sechziger Jahre.

Schwedisch: Selma Lagerlöf, Ingrid 1^99 (deutsch von K. Oberländer, Stuttgart 1901 = Eine Gutsgeschichte, übers, von M. Buchholz, Lpz. 1901).

Die meisten dieser Bearbeitungen übernehmen ohne weiteres eine der drei Lösungen der Verwicklung, welclie Boccaccio, Yelletti und Bandello gefunden hatten: entweder führt der Liebhaber in edler Entsagung die auferweckte Frau dem rechtmässigen Gatten wieder zu, oder das Gericht trennt die erste Ehe, weil der Mann seine Frau für tot erklärt, bestattet und bei ihrer Rückkehr aus dem Grabe fortgewiesen hat, oder weil keine Eheschliessung, sondern nur ein Verlöbnis durch die Eltern stattgefunden hatte, dessen Aufhebung keine erheblichen Schwierigkeiten macht. So lässt Frau von Gomez, deren Novelle gleich der Bandellos in Venedig spielt, ihre Heldin Isabelle Contariuy erst sechs Monate nach der Hoch- zeit ohnmächtig werden und bestatten; in effektvollerer Weise fällt bei Florian, der aus dem Liebhaber einen Offizier des österreichischen Generals Laudon macht, und in Scribes Oper, die in die florentinische Erzählung Motive aus der Leichenraubsage einmischt^), Scheintod und Begräbnis auf den Hochzeitstag; und bei allen dreien, wie auch in der spanischen Novelle der Maria de Zayas und in der Romanze 'La amante resuscitada', tritt der Gerichtshof ohne weiteres auf die Seite des Liebes- paares. Selbständiger verfährt der spanische Dramatiker Lope de Vega in seiner 'Verstorbenen vor Gericht'; hier fällt, obwohl der Advokat Fabricio den Satz 'Mors omnia solvit' für den Liebhaber Manfrede an- führt, der Fürst Robert von Neapel das Urteil, dass Isabela bei ihrem Gatten zu verbleiben habe; denn ihm habe sie Treue gelobt mit ihrer Seele, die noch dieselbe sei wie früher. Ebenso lässt der deutsche Jurist Abele die Gerichtsverhandlung zugunsten des Ehemannes enden, und in

1) Dass Ginevra in der Gruft nachts von selber aufwacht und dann erst die Räuber einbrechen, ist eine wohl zufällige Ähnlichkeit mit den griechischen Romanen des Chariton und Xenophon (oben S. 355).

Die Sage von der erweckten Scheintoten. 373

Pitavals merkwürdigen Rechtshändeln entgeht der Liebhaber, der die erweckte Frau nach England entführt und zehn Jahre darauf mit ihr nach Paris zurückkehrt, nur dadurch der Verurteilung, dass er wiederum mit ihr Frankreich verlässt. Auch Leopold Schefer erkennt in seiner mit romantischen Verwicklungen überladenen Novelle 'Genevion von Toulouse' das höhere Recht des Ehegatten an; als der Pariser Gerichtshof das erste Urteil, das Genevions Ehe mit Herrn von Boissieux aufhob, für ungültig erklärt, kehrt sie zu dem verhassten Manne zurück, um dem provenzalischen, auch in einer ergreifenden Erzählung Paul Heyses^) verherrlichten Grund- satze Genüge zu tun: „Der Schuldner zahlt dem Gläubiger seine Schuld" ; allein gleich darauf sinkt sie tot nieder, denn sie hat zuvor Gift ge- nommen.

Eine einfachere Lösung ersinnt der niederländische Dichter Cats, indem er an Boccaccios Novelle noch einen befriedigenderen Schluss anhängt. Gleich Messer Gentile veranstaltet der edelmütige Liebhaber Gaurin, nachdem die wiedererweckte Rhode in seiner Mutter Pflege völlig ge- nesen ist, ein Mahl und führt sie dabei ihrem Gatten Sylas wieder zu; allein der Alte erschrickt bei ihrem Anblick so heftig, dass er auf den Tod erkrankt; kurz vor seinem Ende befiehlt er dem zartfühlenden Gaurin die Sorge für seine Frau an. Diesen Schluss haben auch eine kurze Prosaerzählung des Nürnberger Predigers Dilherr (1662) und ein um 1800 im Schwarzwalde aufgezeichnetes Volkslied 'Kummet her, kummet her, ihr jungi Leut'^) mit dem niederländischen Epos gemeinsam; nur geleitet der Liebhaber (bei Dilherr ein Apothekergesell, im Volks- liede ein Färber zu Miltau oder Moldau) die wiederbelebte Frau sofort in das Haus ihres betagten Gatten zurück; von einer Entbindung der Frau ist hier so wenig wie bei Cats die Rede').

Ein zweites deutsches Bänkelsängerlied, das die Liebenden Adolf und Emilie nennt und mir in fünf Fassungen vorliegt*), scheint aus einer

1) Heyse, Novellen 4, 125 (1873): 'Geoffrey und Garcinde'.

2) Arnim-Brentano, Wunderhorn 2, 298 (1808): 'Der Färber' = Erlach, Volkslieder 4, 294 = Günther, Gedichte in versch. dtsch. Mundarten 1841 S. 92; vgl. ßode, Die Be- arbeitung der Vorlagen in Des Knaben Wunderhorn 1909 S. 104. 748.

3) Treuer als Cats folgt der französische Novellist Le Noble dem Boccaccio: bei ihm schenkt Frau von St. Just im Hause ihres früheren Verlobten, des Chevaliers St. Memin, einem Knaben das Leben, und der Gatte erhält Frau und Kind zurück, stirbt indes nach 18 Monaten, worauf der Chevalier die Witwe heimfülirt.

4) A. Das unten abgedruckte Flugblatt von 1854 (Der Schwur der Treue und ge- zwungene Ehe, oder Die lebendig begrabene Braut. 4 Bl. 8"). B. Ein zweites, etwa 1870—1880 entstandenes Flugblatt (Der Eaub des Todtengräbers oder: Die Erwachung. Zu haben bei Carl Heinemann in Breitungen. Schwiebus, Druck von Hennigmann u. Reiche. 4 Bl. 8°). C. D. Zwei schlesische Fassungen aus Eckersdorf und Hermsdorf bei F. Pradel, Mitteilungen der schlesischen Ges. f. Volkskunde Heft 14, 102 (,1902). E. Aus Wiesa 1900 bei E. H. H. John, Volkslieder aus dem sächs. Erzgebirge 1909 nr. 22. Eine prosaische Nacherzählung in Olvenstedter Mundart 'Oadolf un Eemileje' bei Wegener, Geschichtsblätter f. Magdeburg 15, 71 nr. 7G (1880).

374 Bolte:

Prosaerzählung hervorgegangen, der es in zwei Flugblättern angehängt wird. Als ein beachtenswertes Beispiel für den Zusammenhang von Prosaerzählung und epischen Liedern^) lasse ich hier die älteste Fassung folgen :

Der Schwur der Treue und die gezwungene Ehe, oder: Die lebendig be- grabene Braut. 1854 2).

In Kopenhagen lebte ein reicher Kaufmann, er war verheirathet und zeugte fünf Kinder, wovon vier starben; nur eine Tochter blieb ihm am Leben, welche ihm zu seiner größten Freude aufwuchs.

Weil er mehrere schöne Gärten hatte, hielt er sich einen Gärtner, welcher ebenfalls verheirathet war. Beide Frauen waren in gesegneten Umständen, beide wurden an einem Tage entbunden; die Kaufmannsfrau gebar eine Tochter und die Gärtnersfrau einen Sohn. Beide Kinder wuchsen mit einander auf, zur größten Freude ihrer Eltern, und liebten sich wie Schwester und Bruder. Da traf leider den Gärtner ein hartes Schicksal, seine Frau starb plötzlich am Schlagfluß; trostlos stand der Vater mit dem kleinen Adolph am Sarge seiner Mutter. Der Knabe hob die Händchen gen Himmel und rief: „Ach, lieber Gott, schenke mir doch meine Mutter wieder!" Da kam der Kaufmann mit seiner Frau und der kleinen Emilie und trösteten den Gärtner. Die kleine Emilie umfasste den kleinen Adolph und rief: „Weine nicht, Du sollst mein Bruder sein; meine Mutter wird für Dich sorgen und Deine Mutter sein." Diese kindliche Liebe rührte die Aeltern so, daß sie beschlossen, den kleinen Adolph zu sich zu nehmen und ihn als ihren Sohn zu erziehen. Der Gärtner willigte mit freudigem Herzen ein und überließ seinen Sohn den reichen Kaufmannsleuten.

Als Adolph confirmirt war, erlernte er die Kaufmannschaft bei seinem Pflege- vater. Da sich nun Adolph und Emilie täglich sahen, konnte es nicht anders kommen, als daß die jungen Leute sich liebten. So vergingen Jahre, ohne daß die Aeltern etwas davon gewahr wurden, und so nahete auch die Zeit heran, daß Adolph ausgelernt hatte. Sein Pflegevater wollte ihn aber noch in der Handlung behalten, weil er viele Schulkenntnisse hatte | und er ihm seine ganze Handlung überlassen konnte. Allein die Liebenden ahnten nicht, daß ihre Liebe sollte durch einen Andern gestört werden. Ein reicher Handlungsdiener, welcher mit in der Handlung war, hatte sich auch in Emilien verliebt und bat sie flehentlich um ihre Gegenliebe. Sie aber wies ihn zurück und gab zur Antwort, ihr Herz habe schon gewählt. Hierüber machte er ihr Vorwürfe, daß sie einen armen Gärtner vorzöge, der nur aus Mitleid von ihren Aeltern erhalten würde, er wisse wohl, daß sie den Gärtner heimlich liebe.

Sie wurde gewahr, daß ihr Geheimniß entdeckt sei. Adolph aber tröstete sie und sprach: „Liebe Emilie, sollten wir verrathen sein, so trifft uns ein hartes Schicksal: Dein Vater wird mich gleich aus seinem Hause verweisen." Adolph wurde den andern Tag von seinen Aeltern auf die Stube gerufen. Sein Pflege- vater sagte zu ihm, daß er in drei Tagen sein Haus verlassen müsse, er habe ihn nach Bremen in eine Handlung verschrieben. „Ich habe Dich so weit gebracht,

1) Vgl. Ulrich Jahn, Jahrbuch f. nd. Sprachforschung 12, 157 f. (188G). Bolte, oben 3, Gl.

2) Die Schwiebuser Fassung (B) ändert vielfach den Ausdruck und schaltet ausser einer kurzen Einleitung oft kleine Zusätze ein.

Die Sage von der erweckten Scheintoten. 375

daß Du nun Dein Glück weiter suchen kannst; denn in meinem Hause würde Dir das Glück zum Unglück werden. Denke, daß Du nur mein Püegesohn bist und das Gute, was Du von uns genossen, nicht mit Undank belohnen solltest." Adolph stand wie versteinert, ihra ahnte, daß seine Liebe zu Emilien entdeckt und von seinem CoUegen verrathen war. Mit Thränen rief er aus: „Geliebte Aeltern, womit habe ich mich vergangen?" „Du fragst noch?" sprach der Kaufmann. „Kannst Du glauben, ich kenne Dein Geheimniß mit Emilien nicht? Dein armer Gärtnervater kann Dir nichts geben, wovon Du mit Emilien dem Stande gemäß leben könntest; ich habe Dich jetzt mit Wohlthaten überhäuft, welche Du mit Undank belohnst; aber aus Dir und Emilien wird nichts." Mit weinenden Augen verließ er nun seiner Pflegeältern Haus und nahm Abschied von seinem A'ater. Noch vor seiner Abreise bestellten sich beide Liebende in den Garten, wo sie von einander Abschied nahmen und sich ewige Liebe und Treue schwuren. Dann be- sprachen sie sich, daß sie einen heimlichen Briefwechsel führen wollten, damit sie beiderseits wüßten, wie es ihnen ginge. |

So waren sie mehrere Jahre getrennt, da begab es sich, daß ein reicher Kaufmann um Emilien anhielt; es wurde ihr vorgestellt, mit wem sie verlobt sei, ohne sie weiter zu fragen, worüber sie sich so erschreckte, daß sie in eine Ohn- macht fiel. Als sie sich erholte, bat sie sich von ihrem Vater in dieser Sache, die ihr in den Tod zuwieder war, eine Bedenkzeit von mehreren Wochen aus. Während dieser Zeit schrieb sie ihrem geliebten Adolph: „Rette mich, oder ich bin für Dich verloren; ich soll meine Hand einen [!] Andern geben und gezwungen in eine Sache willigen, die uns beide auf ewig trennt, die mir das Leben kosten wird." Adolph las den Brief und grämte sich so, daß er in eine Krankheit ver- fiel, wovon er sich erst nach mehreren Wochen erholte. Darauf reiste er von seinem Aufenthaltsort ab, um seinen Pflegevater noch einmal zu bitten, von seinem Vorhaben abzustehen.

Als er die Thore Kopenhagens erreichte, hörte er ein Glockengeläute, er fragte die Leute, was es zu bedeuten hätte. Sie sagten ihm, die Tochter des reichen Kaufmannes N. feiere heute ihre Vermählung mit einem reichen Kauf- mann aus Danzig. Es hätte nicht viel gefehlt, so wäre Adolph vom Pferde gesunken; er faßte sich aber, kehrte in einen Gasthof ein und ging nach seines Vaters Hause, ließ sich aber weder vor seinem Pflegevater noch sonst vor einem Bekannten sehen. Der Brautzug kam näher. Adolph trat vor die Hausthür seines Vaters, um noch einmal seine geliebte Emilie zu sehen. Als die Braut vor dem Hause [!] kam, schlug sie die Augen auf; kaum blickte sie nach der Thür, so sah sie da Adolph stehen und sank, ohne einen Laut von sich zu geben, leblos zu Boden, Man machte Anstalten, die Braut wieder in's Leben zurückzubringen; aber Alles war vergebens. Alle Hochzeitsgäste blieben nun zum Begräbniß da; sie wurde am dritten Tage mit ihrem Brautschmuck in ein Gewölbe zur Ruhe bestattet.

Adolph hatte Alles mit angesehen; vor Schreck und Verzweiflung wurde er krank, sein alter Vater pflegte ihn; seine Pflegeältern wußten nicht, daß Adolph da war. Vor Kummer konnte Adolph nicht einschlafen. Es hatte kaum zwölf geschlagen, so hörte er, daß Jemand an der | Hausthür klopfte. Er stand auf und sah zu seinem Erstaunen Emilien vor der Hausthür stehen. Er rief ihr zu: „Bist du ein Geist oder lebst Du noch?" Sie rief: „Geschwind mach' auf und laß mich an Deiner Brust erwärmen!" Er sprach: „Es kann nicht möglich sein, daß Du noch lebst!" Sie antwortete: „Ich bin kein Geist; mach' geschwind auf, nachher werde ich Dir erzählen, auf welche Weise ich von der Ohnmacht, in die ich nur gefallen war, erweckt wurde."

376 Bolte:

Nachdem Adolph sie herauf geholt hatte, erzählte sie ihm, daß der Todteu- gräber in's Gewölbe gekommen wäre, um ihren Brautschmuck zu rauben: „aber einen King von meinem Finger konnte er nicht abziehen; er nahm daher ein Messer und wollte den Finger abschneiden. Durch den Schmerz bin ich von meiner Ohnmacht erwacht. Als ich mich aufrichtete, lief der Todtengräber davon und ließ das Gewölbe offen. Als ich zur Besinnung kam, erinnerte ich mich. Dich gesehen zu haben, und so eilte ich hierher."

Am andern Morgen ließ sich Adolph bei seinen Pflegeältern anmelden, er wurde freundlich empfangen; sie baten, Trauerkleider anzulegen und mit ihnen den Verlust ihrer einzigen Tochter und seiner jugendlichen Gespielin zu betrauern. „Wäre unsere Tochter noch am Leben, kein Anderer sollte ihre Hand erhalten, als Du, lieber Adolph."

Hierauf wurde ein Gastmahl angestellt, und alle Gäste, die zum Begräbniß o-evvesen, dazu eingeladen. Als sie an der Tafel saßen, unterhielten sich die Gäste mit Erzählungen. Als die Reihe an Adolph kam, erzählte er: „Ich habe mir in meinen Kinderjahren eine Blume gepflanzt^), sie war die schönste, die im Garten stand. Ich kam fort und sah sie nicht mehr; sie wurde mir durch einen andern entrissen. Sie begann zu welken, da trieb mich mein Herz sehnsuchtsvoll, noch einmal meine Pflegeältern zu sehen. Ich ging in den Garten und sah die schöne Blume welken; ich richtete die Blume auf und pflegte sie, daß sie wieder auf- blühte. Nun antworten Sie mir: ob ich, der sie pflegte, oder der, der sie ver- welken ließ, ein Recht daran hat?" Alle Gäste stimmten überein, daß die Blume dem zukomme, der sie gepflegt und erhalten hat. „Nun erlauben Sie, geliebte Aeltern und Freunde, daß ich die Blume hole." |

Adolph ging; aber wie erstaunten die Aeltern, als er mit Emilien wieder zurückkehrte. Er sprach: „Liebe Aeltern, hier ist die Blume, nun sprecht Euer Urtheil." Sie schlössen Emilien und Adolphen in ihre Arme und gaben den Segen zu ihrer Verlobung. Aus dem Trauermahl wurde ein Freudenmahl, und bald war die Hochzeit. Ihr aufgezwungener Bräutigam mußte abtreten. Adolph übernahm seiner Pflegeältern Handlung und lebte mit seiner Emilie glücklich, i

Die lebendig begrabene Braut^).

1. In der Hauptstadt Kopenhagen Adolph weihte sich dem Stande Lebte einst ein Handelsmann, Seines lieben Pflegeherrn,

Der durch kluges, frisches Wagen Blieb nicht nur im Heimathlande,

Geld und Gut gar viel gewann. Sondern selbst beim Pflegeherrn.

Von fünf Kindern blieb nur leben 3 pj^ gj. stündlich sonst gesprochen,

Ihm ein zartes Töchterlein, pj^ ^j. brüderlich geliebt,

Zum Gespielen ward gegeben ^ j ,^^4. f^^lt er sein Herz erpochen,

Ihr des Gärtners Sohn, noch klein. ^^^^ g-^ ^^^j. ^jg jj^nd ihm giebt.

2. Adolph und Emilie liebten Kaum wird es der Vater inne, Sich wie ein Geschwisterpaar, Daß Emilien Adolph liebt, Lernten fleißig und betrübten Zürnt er so ob ihrer Minne, Keine Seel' im ganzen Jahr. Daß er ihm den Abschied giebt.

1) Nach Pradel (Mitt. 14, 103) hätte dieses an Boccaccio (oben S. 368') erinnernde Gleichnis auch in der Eckersdorfer Fassung (C) des folgendes Liedes gestanden: „Ein Gärtner zog eine Blume aiif, ein andrer brach sie ab; wem gehört sie zu Recht?"

2) Varianten der Fassungen BCDE: 1,5 Von zwölf C 1, 7 Und das war des Vaters Streben CDE 1,8 Adolf der Emilie klein B; Sich dem Kinde ganz zu weihn. I Zum Gespielen ward erkoren | Adolf, eines Gärtners Sohn, | Der die Mutter früh ver- loren, 1 Dessen Vater dient um Lohn CDE 2,5 3,4 fehlen in CD 3,7 mit seiner Miene C; und machte Miene D auf 3,8 folgt in E: Doch bevor sich beide trennen, |

Die Sage von der erweckten Scheintoten.

377

4. Als drei Jahr' dahin geschwunden, Da erschien ein reicher Mann,

Der Emilien schön gefunden,

Hielt um sie beim Vater an.

Doch sie konnte ihn nicht lieben.

Da ihr Herz für Adolph schlug.

Drum ward schnell ein Brief geschrieben,

Der die Kunde zu ihm trug.

5. Kaum las Adolph diese Kunde, So griff er zum Wanderstab, Reisete zur selben Stunde Sehnsuchtsvoll von Bremen ab.

Als er nahet Kopenhagen, Hört er feierlich Geläut Und vernimmt auf sein Befragen: „Eine Reiche hat Hochzeit!" |

6. Schnell durchzieht er Straßen, Gassen, Eilt zum Vater klagend laut:

..Ach wie groß ist mein Verlangen, Noch einmal zu sehn die Braut!" Kaum hat er dies Wort gesprochen, Nahet eine Menschenschaar, Und es wallt mit Herzenspochen Die Geliebte zum Altar.

7. Als man Adolph's Hause nahet, Blickt die Braut es traurig an, Sinket, eh' man sie umfahet, Leblos hin zur Erde dann.

Nichts vermag der Eltern Klage, Fruchtlos müht der Arzt sich ab, Drum senkt man am dritten Tage Sie in ihrer Väter Grab.

8. Um die mitternächt'ge Stunde Pocht es stark an Adolph's Thür, Und ihm klingt's wie Geisterkunde: „Adolph! Adolph! öffne mir!" Aengstlich wird die Thür erschlossen, Und mit Furcht läßt man sie ein: Doch die Freudenthränen flössen. Denn sie hatte Fleisch und Bein.

9. „Mich des Brautschmucks zu berauben. Trat der Todtengräber ein;

Er entfernt des Sarges Schrauben, Plündert mich bei Lichtes Schein. Doch ein Ring, des Bundes Zeichen, Der längst zwischen uns besteht, Wollte nicht vom Finger weichen, Daß ihm die Geduld vergeht.

10. „Da versetzt mit scharfer Waffe Er mir einen scharfen Schnitt,

Daß im Sarg ich mich aufraffe Und er eiligst von mir schritt." Kaum drang diese Wunderinähre Zum betrübten Elternpaar, Giebt man Gott gerührt die Ehre Und führt Adolph zum Altar.

Schwuren sie mit Mund und Hand, ] Für einander treu zu brennen, | Trenne sie auch Meer und Land. CD bieten Unverständliches: Den er stündlich hat gesprochen, | Doch die Herzen konnte er nicht trennen, | Trennte sie auch Meer und Land. 4, 2 Kam ein schöner reicher Herr B 4, 4 Um sie warb beim Vater sehr B auf 4, s folgt in E : Eile, Adolf, mich zu retten! | Man will rauben dir mein Herz, | Mich an einen Freier ketten. | Eile, ich vergeh vor Schmerz! CD fast ebenso 5,4 Hamburg C 6, 2 Eilt dem Vaterhause zu | Und erfähret mit Erblassen, | Seine Emilie freit im Nu. | Schlnchzeud [Und nun] hielt er fest umschlungen | Seinen Vater, klagend laut CDE G, 2-4 Eilt zum Vater klagend hin: | Kann von meiner Lieb nicht lassen, | Nicht ohn sie durchs Leben ziehn B 6,5—7,8 Als Emilie ihn erblicket, | Stürzt sie leblos vor ihm hin. | Keinem Arzt ist es geglücket, | Sie dem Grabe zu entziehn B 7,3 Und getroffen von einem Schlage C 8, i-3 fehlen CD auf 8,4 folgt in E: Zitternd eilet er zum Fenster, | Schauet leise dann hinaus | Und erblickt statt der Gespenster I Schaut [Schön?] Emilie vor dem Haus E; verstümmelt in C: Und er schaut hinaus zum Fenster, | Und er sieht statt der Gespenster | Emilie seine Braut 8,5—8 Als der Stimme er gehorchet, | Tritt Emilie zu ihm ein, | Die im Grabe gar erwecket | Will vom Totengräber sein. | Sie erzählt mit leisem Worte, | Während er sich an sie schmiegt, | Wie's geschehn am Todesorte, | Daß an seiner Brust sie liegt: B 9, i Um die mitternächtge Stunde B 9,3-4 Er beraubt mit bleichem Munde | Mich bei hellen Lichtes Schein B : ähnlich E 9, 6 bestand BE 9, 8 Er darob in Wuth entbrannt BE 10,4 Und dann eilend zu dir schritt E 10, 6 geliebten B 10, 8 Und führt beide B. Man erkennt aus den Varianton zu 1, s. 3,8. 4,8. 6,2. 8,4, dass A aus einer ausführlicheren Rezension geflossen ist, deren Reste sich in den trümmerhaften und entstellten jüngeren Fassungen CDE erhalten haben und von der sich die selbständig ändernde Fassung B am meisten entfernt. A hat 80, B 7-2, CD 79, E 96 Verse.

378 Bolte:

Der sentimentale Vortrag der Prosaerzählung zeigt, dass ihre Ent- stehung frühestens in die letzten Jahre des 18. Jahrhunderts zu setzen ist. Offenbare Mängel, wie die Schwächlichkeit des Liebhabers der Tochter seines Wohltäters, die schattenhafte Gestalt des Nebenbuhlers, die unklare A'orstellung von Kopenhagens Lage, übergehe ich und weise nur darauf hin, dass Emilie am Hochzeitstage beim Anblicke des heimlich Geliebten in eine todesähnliche Ohnmacht sinkt, dass in ihrer Erweckung durch den Leichenräuber ein (auch bei Scribe beobachtetes) Eindringen eines Motivs der ersten Sagenversion in die zweite, romantische Form vorliegt und dass sich in Adolfs Rätselrede das bei Boccaccio und Cats die Vor- stellung der wiederbelebten Frau einleitende Gleichnis in etwas ver- änderter Gestalt fortpflanzt. Nicht aus dieser beliebten 'Volksuovelle' und ihrer kürzeren Versifizierung im Metrum von Schillers Ritter Toggenburg geflossen ist eine in Hessen aus mündlicher Überlieferung aufgezeichnete Fassungi), welche die Kaufmannstochter Thereschen nennt, den Liebhaber zu einem Schäferssohn Häuschen macht und von einer genaueren Orts- angabe absieht; denn hier ist nicht der Totengräber, sondern der älteren Sagengestalt entsprechend der unglückliche Liebhaber der Erwecker; er zieht mit dem Mädchen heimlich von dannen und stellt es erst nach einigen Jahren ihren Eltern als seine Frau vor. Dazu stimmen zwei Volksmärchen aus Mähren, deren Kenntnis ich Herrn Prof. Dr. G. Polivka^) verdanke. Dagegen fehlt das erotische Moment in einer Erzählung, die Herr Professor 0. Knoop von einem Schüler in Ro gasen vernahm und mir brieflich übermittelte: ein Student wettet, um seine Furchtlosigkeit zu erweisen, dass er nachts die Leiche eines soeben begrabenen Mädchens holen und in sein Zimmer bringen wolle; als er das ausgeführt und sich schlafen gelegt hat, erwacht die Tote auf dem Tische und verlangt ein Glas Wasser; er bringt sie morgens zu ihren Eltern und erhält eine gute Belohnung. In andern slawischen Varianten aus Kroatien, Polen und Kleinrussland, die Polivka herangezogen hat, wird die Toteuerweckung nicht als ein unerwarteter Zufall geschildert, sondern als eine durch zauber- kräftige Gebete oder Talismane (Eidechsenkraut, Lebenswasser) bewirkte Wundertat; es ist also eine Kombination mit fremden Märchenkreisen eingetreten. Ein indisches Märchen der Vetälapancavincati^) lenkt gar in den Streit der kunstreiclien Gesellen um die belebte hölzerne Frau über.

1) Hoffmeister, Hessische Volksdichtung 1869 S. 86 nr. 93 'Thereschen'.

2) Polivka, oben 13, 410—412: Zu der Erzählung von der undankbaren Gattin. Zwei von Herrn Prof. 0. Knoop mir freundlich mitgeteilte Yolkssagen aus Kujavien legen das Hauptgewicht auf die Erlebnisse der Scheintoten im Jenseits, auf ihre Wanderung durchs Fegfeuer bis an die Himmelspforte.

3) Oesterley, Baitul Pachisi 1873 S. :'.9 nr. 2. Tawney, Kathä Sarit Sägara 2, 242 eh. 76 (1884). Lescallier, Le tröne enchante 1, 111 (1811. Nachgewiesen von Professor Th. Zachariae). Swynnei-ton, Indian uights' entertainment 1892 p. 237.

Die Sage von der erweckten Scheintoten. 379

Einheitlicher und schöner empfunden ist es jedenfalls, wenn der Dichter der oben S. 371 zitierten portugiesischen Romanze 'Guimar' die Belebung der toten Jungfrau dem Mitleide der gnadenreichen Gottes- mutter zuschreibt. Als Don Johann verzweifelnd an Guimars Sarge sich erstechen will, wirkt Maria ein Wunder:

Die Gestorbne reicht die Rechte Ihrem Herzgeliebten hin, Und die holden Augen öffnend Lächelt sie ihm sanft und mild.

Ebenso tritt Maria in der in Barcelona spielenden spanischen Romanze 'La amante resuscitada' im entscheidenden Augenblicke hilfreich ein, und auch in einem armenischen Märchen^) weist sie im Traume den Burschen an, das Grab der Neuvermählten nachts zu öfPnen, dann aber still heimzugehen; die Braut erwacht, schreitet allein zum Hause ihres angetrauten Mannes und ihrer Eltern, wird aber gleich Ginevra d'Almieri (oben S. 369) als Gespenst fortgewiesen und pocht endlich bei ihrem früheren Geliebten an.

Alle bisher erwähnten Erzählungen stammten, wenn wir von dem nur teilweise hergehörenden indischen Märchen absehen, aus Europa; wir treffen indes unsern Stoff auch in Asien an. In einem kirgisischen 'Büchergesange' ^) wird berichtet, wie ein Derwisch namens Adam abends an den Gräbern vorüberwandelnd aus einem Grabe eine Stimme vernimmt. Als er dieses öffnet, findet er die kurz zuvor bestattete Tochter des Herrschers, die mondgleiche Jungfrau Sakyp Dschaman. Er zieht die Wiedererwachte heraus und will sie zu ihren Eltern bringen; aber sie spricht: „0 Adam, du bist mir Vater und Mutter; was habe ich früher von Yater und Mutter gesehen? Du sprich von mir zu keinem Menschen! Wenn ich sterbe, will ich aus deiner Tür hinausgehen." Der Derwisch holt einen Mulla, der die Trauung vollzieht, und die Prinzessin lebt sieben Jahre in Adams Hause verborgen, bis ihre alte Amme in dem jungen Sohne der Prinzessin deren Züge erkennt und die Fürstin ver- anlasst, des Knaben Mutter holen zu lassen. Als der Fürst die totges-laubte Tochter wiedersieht, erhebt er ihren Mann zum Wesir. Verwickelter ist die Handlung in einer chinesischen Novelle der Sammlung Lung-tu- Kung-ngan^). Der junge Gelehrte Fan -Sien wird vom Vater genötigt, seiner Geliebten Hoa-hien zu entsagen und eine andre Ehe zu schliessen. Die verlassne Junojfrau fällt vor Betrübnis in Ohnmacht und wird als eine

1) Wlislocki, Märchen der Bukowinaer und Siebenbürger Arm^ier 1S91 nr. r)2 'Die scheintote Geliebte'.

2) Radioff, Proben der Volksliteratur der türk. Stämme Südsibiriens o, 742 'Sakyp Dschaman' (1S70).

3) C. Puini, Novelle cinesi tradotte (Piacenza 1871) p. 71 = Axon, Transactious of the R. Society of lit. 2. ser. 24, 76.

380 Bolte:

Tote begraben. Aber als ihres Yaters Diener Li-Sin nachts zu ihrem Grabe schleicht, um die heimlich verehrte Herrin zu küssen, erwacht sie und lässt sich bereden, nicht ins Elternhaus zurückzukehren, sondern ihres Erweckers Weib zu werden. Sechs Monate leben beide zusammen, da brennt nachts ihr Haus nieder; Hoa-hien, im Getümmel von ihrem Manne getrennt, sucht bei ihrem Vater Zuflucht, wird aber (gleich der Floren- tinerin Ginevra) als Gespenst abgewiesen. Nun pocht sie an ihres früheren Geliebten Tür und erinnert ihn an den roten Elfenbeinball, den er ihr einst zugeworfen habe. Fan -Sien lässt Weihrauch anzünden, um dem ruhelosen Geiste Frieden zu verschaffen; als sie weiter klagt, tritt er liinaus, gebietet ihr, zu ihren Eltern zu gehen, und schliesst dann wieder seine Tür; als ihre lauten Bitten nicht aufhören, stürzt er, um dem Spuk ein Ende zu machen, nochmals hinaus und schlägt ihr mit einem Schwert das Haupt ab. Die Wächter finden die Leiche, und ihr Yater, durch eine Traumerscheinung unterrichtet, verklagt den Mörder seiner Tochter. Der weise Richter Pao-Kung jedoch verurteilt den entlaufenen Diener Li-Sin, der sich infolge einer öffentlichen Aufforderung als Öffner des Grabes und Erwecker des Mädchens gemeldet hatte, um die verheissene Belohnung zu erhalten, als den Urheber des ganzen Unfalles zur Enthauptung und spricht Fan-Sien frei. Allein Reue und Kummer werfen diesen aufs Krankenlager, auf dem er seinen Geist aufgibt.

Diese blutige Schauernovelle, über deren Alter ich nicht zu urteilen vermag, zeigt jedenfalls nicht jene Einfachheit, die das Kennzeichen der Ursprünglichkeit ist; vielmehr vereinigt sie zwei sich schlecht miteinander vertragende Motive: die erweckte und ihrem Erwecker folgende Schein- tote und die nachts aus dem Grabe heimkehrende, aber von den nächsten Verwandten als Gespenst zurückgewiesene Tote, und schliesst sie zu einer tragischen Lösung zusammen. Seltsam verwandelt tritt uns hier unsre mittelalterliche Sage entgegen, und doch kaum stärker verändert als in den neuesten Bearbeitungen der österreichischen Dichterin Enrica V. Handel -Mazzetti, deren Heldin ihrem Retter, dem wegen Grabes- schändung zum Tode verurteilten Diebe, aus freiem Entschlüsse vor Gericht Hand und Herz bietet, oder der Schwedin Selma Lagerlöf, bei der die auferstandene Ingrid ihren Erwecker in selbstüberwindender Liebe von jahrelangem Irrsinne heilt, oder gar in Georg Hirschfelds Drama 'Das zweite Leben' (Berlin 1910), wo ein Anatom plötzlich in dem gestohlenen Leichnam Leben entdeckt und durch Hypnotismus in der von ihm Auf- erweckten, mit der er sich vermählt, jede Erinnerung an die Vergangenheit zu tilgen sucht. Die Frage, ob hier eine Wanderung des Motivs von Westen nach Osten stattgefunden habe oder umgekehrt, lassen wir vor- läufig besser unbeantwortet. Deutlicher zeigt sich uns die allmähliche Entfaltung und Ausgestaltung der Sage iu den europäischen Fassungen, welche in bezug auf den Stand der Heldin (Jungfrau, Braut, Frau, Kind-

Die Sage von der erweckten Scheintoten. 381

betterin) und ihres Ketters (Dieb, Liebhaber, zufällig am Grabe Vor- übergehender), seine Belohnung (Begnadigung des Diebes, Yerzicht des Liebhabers, Befreiung von Krankheit und Lebensgefahr, Heirat; nur im Chinesischen Tötung) und das Verhalten des Ehegatten (freudige Auf- nahme, Unglaube oder Abwehr aus Gespensterfurcht oder Widerwillen) ziemlich alle Möglichkeiten erschöpfen. Von den beiden Gruppen mit dem Ringdiebstahl und dem Kussmotiv ist die erste zwar erst aus dem Jahre 1499 bezeugt, aber als die einfachere Sagenform sicherlich älter als die bereits im 13. und 14. Jahrhundert auftauchende romantische und verwickeitere Gestalt. Einen Zusammenhang mit den oben S. 355 be- sprochenen Episoden aus den griechischen Romanen des Chariton und Xenophon glaube ich durchaus ablehnen zu müssen; vielmehr kann der Ursprung der Erzählung sich recht wohl auf einen wirklichen A^orfall gründen, den die mündliche Tradition weiter ausschmückte; denn schon um 1300 berichtet Arnaldus von Villanova ^) von im Grabe erwachten Scheintoten und warnt vor der Unsitte voreiliger Bestattung, besonders in Pestzeiten; ebenso Alexander Benedicti um 1500 und andre Arzte. Was wir aber von der Ausgestaltung und Lokalisierung der Sage in den ver- schiedensten Gegenden (insbesondere Deutschland und Italien) vom 14. bis ins 19. Jahrhundert kennen lernten, das bewahrheitet aufs schönste Schillers

Worte:

Alles wiederholt sich nur im Leben, Ewig jung ist nur die Phantasie: Was sich nie und nirgends hat begeben, Das allein veraltet nie.

Berlin.

1) Arnaldus Villanovanus, Breviarium practicae 1, 14 (Opera, Basel 1585 p. 1080B): 'Vidi enim et audivi hoc de multis, qui taliter subterrati fuerunt et postmodum auditi sunt in sepulcro clamantes, ut iuvarentur, infra spatium LX horarum. Et alii, qui mortui sunt in sepulcris et postmodum in processu temporis, cum aperta sunt sepulcra eorum, inventa sunt linimenta eorum dilacerata ab ipsis et ipsi cum bracchiis et pedibus dissolutis mortui sunt inventi.' Alexandri Benedicti Veronensis De re medica opus, Basel 1549 p. 193 (lib. 10, c. 9): 'Feminae aliquando in vulvae cruciatu elatae in se- pulchris ad vitam rediere, quae pro alterius mortui sepultura detectae locum mutavere atque ita miserrime mortuae inveutae sunt.' Und p. 555 (De pestilenti febre c. 1): "Una ex magnis matronis hoc modo sepulta paulo post visa est mortua, tarnen quae sedens et emota loco inter cadavera revixerat; evulsae comae dilaniatumque ungue pectus maiori indicio fuere.' Vgl. auch die oben S. 354 erwähnten Geschichten von Asklepiades und Apollonios von Tyana.

38*2 Carstens:

Volksglauben und Yolksmeinungen aus Schleswig- Holstein.

Von Heinrich Carstens f.

1. Glück und Unglück.

1. Die grosse Zehe eines Hingerichteten in der Tasche bringt Glück im Kartenspiel (Dithmarschen). 2. Ein Schweinsgehör in der Tasche bringt Glück beim Kartenspiel (Stapelholm). 3. Wer Glück haben will beim Kartenspiel, muss sich an einen Schweinstrog scheuern (Dithm.). 4. Ein 'Knoop' (früheres dänisches Vierbankschillingstück) in der Tasche, ohne dass man es weiss, bringt Glück im Kartenspiel (Kleinsee in Stapelholm). 5. Unterm Balken sitzen beim Kartenspiel bringt Unglück (Bahren wurth bei Lunden). 6. Auf ein Lotterielos oder auf sonst ein Los, das man erhält, muss man spucken, dann gewinnt es (Kellinghusen a. d. Stör). 7. Ein weisser Fleck unter dem Nagel, vorzüglich der linken Hand, bedeutet Glück, und das abergläubische Volk hütet sich, den Nagel zu beschneiden, der die Giücksblurae trägt (Schütze, Holsteinisches Idiotikon 1, 116). 8. Wer in einen Dienst tritt, muss sich vorher an einen Schweinstrog scheuern; das bringt Glück (Osdorf bei Gettorf im Dänischen wohld). 9. Tritt jemand in einen Dienst und zerbricht sofort etwas, so bringt das Glück (Dithm,). 10. Wächst ein Hollunder (Sambucus niger) unter der Mauer heraus, so bringt das Glück (Schwienhusen bei Delve in Dithm.). 11. Ein vierblätteriges Klee- blatt bringt Glück, desgleichen ein sechsblätteriges; ein fünf blätteriges bringt Unglück (Lunden in Dithm. Schütze 2, 273). r 12. Findet man im Brote ein heiles Roggenkorn, so muss man es in der Tasche bei sich tragen, da das Glück bringt (Dithm.). 13. Ein ganzes Roggenkorn im Brote bedeutet grosses Glück (Drage in Stapelholm). 14. Schönmalven (Abutelon), Efeu und Fuchsien soll man nicht als Topfgewächse ziehen; sie bringen Unglück (Lunden). 15. Efeu soll das grösste Unglück sein (Osdorf bei Gettorf). 16. In einem Weizenfeld, Roggenfeld, über einem Brunnen darf man kein Haus bauen; das bringt Unglück über die Bewohner (Lunden). 17. Die Blüten vom Mohn bei sich tragen, bringt Unglück (Dahrenwurth bei Lunden). 18. Die Zahl 11 ist eine Unglücks- zahl, weil sie die 10 Gebote überschreitet (Schütze 1, 301). 19. Man darf nicht umkehren, wenn man ausgeht und etwas im Hause vergessen hat; ein anderer muss es herausbringen (Kellinghusen a. d. Stör). 20. Kommt beim F'lütten (Umziehen) etwas entzwei, so bringt das Glück (Dithm.). 21.- Begegnet einem bei einem Angange ein junger Mann mit Pferd und Wagen oder ein Reiter, so bringt das Glück (Dithm.). 22, Begegnet einem bei einem Angange ein altes Weib, oder läuft ein Hase quer über den Weg, oder kommt einem eine Katze entgegen, so kehre man um; sonst gibts Unglück (Dithm.). 23. Ist jemand auf einer Tour und stösst unterwegs mit dem rechten Fuss an einen Stein, so wird die Reise nicht gut ablaufen (Lübeck). 24. Wenn bei einem Angange eine schwarze Katze über den Weg läuft, so hat man Unglück (Kelling- husen a. d, Stör). 25. Läuft einem, wenn man ausgeht, eine Katze nach, so bedeutet

Volksglauben und Volksmeinungen aus Schleswig-Holstein. 383

das Glück. Daher warf man dem, der ausging, früher wohl eine Katze nach, erzählte meine verstorbene Schwiegermutter (Bunsoh bei Albersdorf). 2G. Läuft eine Spinne an jemandem hinauf, oder spinnt einen Faden vor ihm nieder, so bringt das Glück (Dithm.). 27. Eine weisse Spinne bringt Glück (Angeln). 21 &. Eine kleine Spinne bringt Glück (Dithm.). 28. Spinne nach Uhr 12 bringt Glück, vor Uhr 12 Unglück (Schwienhusen bei Delve.) 29, Eine weisse Katze bringt Glück, eine schwarze Unglück (Angeln). 30. Vogelschmutz am Fenster bringt Glück (Landen). 31. Ein gefundenes Hufeisen über der Haustür oder Stalltür angebracht, bringt Glück (Allgemein). 32. Kommt das Vieh nass auf den Stall, so bedeutet das Glück (Kellinghusen a. d. Stör). 33. Den Kehricht darf man nicht über die Türschwelle hinweg fegen, da man dann das Glück mit hinaus fegt (Stapelholm). 34. Wenn man jemanden beim Ausfegen anfegt, so fegt man ihm das Glück fort (Stapelholm). 35. Fällt das Glas, das bei der Richtrede von dem neu erbauten Hause heruntergeworfen wird, entzwei, so bringt das Glück über die Bewohner; fällt es nicht entzwei, so bringt es Unglück (Norderdithm., Stapelholm, Kolonie Christiansholm bei Hohn). 36. Macht jemand zufällig beim Sprechen einen Reim, so bekommt er etwas geschenkt (Kellinghusen). 37. Sieht man einen Stern vom Himmel fallen, so muss man sich in dem Augenblick etwas wünschen; das geht nämlich in Erfüllung (Dithm.). 38. Liegt ein Messer auf dem Rücken, so liegt jemand im Wasser und kann sich nicht helfen (Marne in Dithm.). 39. Beschenken zwei sich gegenseitig mit Messer oder Schere, so gibt es Streit (Husum). 40. Schere oder Messer als Geschenk zu geben, ist bedenklich und schneidet die Freundschaft entzwei (Schütze 4, 31). 41. Das Jucken des rechten Auges bedeutet Tränen, das des linken Freude (Husum). 42. Wenn das rechte Auge juckt, so gibt es etwas zu weinen, wenn das linke Auge juckt, etwas zu lachen (Süderstapel in Stapel- holm). — 43. Legen die Hühner ein Sparei (d. i. ein kleines Ei, Ständerei), so bedeutet das Unglück. Ein solches Ei muss man hinter einen Sparren stecken (Schwienhusen bei Delve). 44. Wer des Morgens schon so früh singt, den trifft noch an demselben Tage ein Unglück. Das Sprichwort sagt: De Vagele, de so froh singt, de halt öwer Dag de Katt (Dithm.). 45. Morgens singen gibt abends Klage (Hansen, Charakterbilder S. 11). 46. Kein wichtiges Werk fange Montags an; Montags wird nicht Wochen alt. Kinder dürfen nie an einem Montage zum ersten Male in die Schule geschickt werden; erst recht nicht darf der Schulbesuch nach überstandener Krankheit an einem Montage wieder be- ginnen (Lunden). 46a. Freitags beginne keine Reise; kein Schiffer lichte die Anker; das bringt Unglück (Dithm., Kellinghusen). 4 7. Wäscht man sich mit einem andern zusammen in demselben Wasser die Hände, so gibt es Streit. Spuckt man aber ins Wasser, so geht es gut (Üithm., Eiderstedt). 48. Steigt man morgens zuerst mit dem linken Fuss aus dem Bette, so gibt es sicherlich Streit. Von einem, der nicht gut gelaunt ist, heisst es: „De is ok mit'n linkn Fot to irs ut 't Bett kam" (Dithm., Stapelholm, Husum). 49. Auf das erste Stück Geld, das auf einem Markte eiugenomman wird, muss gespuckt werden, das bringt Gewinn (Dithm.). 50. Jedem Menschen steht sein Schicksal vor der Stirn geschrieben (Drage in Stapelholm). 5L Treibt Schaum auf der Kaffee- tasse und treibt nicht an den Rand, so erhält man Geld (Allgemein). 52. Gibt es in einem Jahre viele 'Goldsmäd' (Goldschmiede, Libellen), so deutet das auf Krieg (Feddringen in Dithm.). 53. Hände besehen gibt Streit (Erfde in Stapel- holm). — 54. Finger besehen gibt Streit (Kellinghusen). 54a. Verliert jemand den Trauring oder zerspringt dieser, so gibt es Unglück (Lunden). 55. Wirft

384 Carstens:

man einen Spiegel entzwei, so gibt es sieben Jahre Unglück (Friedrichstadt a. d. E ).

56. Wenn vor einem vorüber eine Elster über den Weg iliegt, so passiert ein Unglück (Kellinghusen). 57. In einem Schaltjahr passiert viel Unglück (Süder- stapel in Stapelholm). 58. Wer durchs Fenster kriecht, wird nicht grösser. Kleine Kinder dürfen nicht durch ein offenes Fenster gehoben werden (l)ithm.).

59. Zwei Personen dürfen nichts miteinander teilen, z. B. Brot, da das die Freundschaft zerstört (Dithm.). 60. Nadeln darf man nicht wegschenken, da das die Freundschaft aussticht (Dithm.). 61. Für Nadeln darf man sich auch nicht bedanken (Dithm.) 62. Einer Hexe darf man keine Nadel leihen; sie tut einem leicht etwas an (Dahrenwurth bei Lunden). 63. Eine Mehlgase darf man einer Hexe nicht leihen (Lunden in Dithm.). 63a. Ein Mehlsieb darf man einer Hexe nicht leihen (Drage in Stapelholm). 64. Der helle Funke am Licht zeigt an, dass ein Dieb im Hause ist (Dithm.). 65. Wenn man niest, so geht das, was man in dem Augenblick denkt, in Erfüllung (Preil bei Lunden). 66. Einen Donnerkeil (Belemniten), der mit einem Blitz, der irgendwo zündet, vom Himmel fährt, soll man aufheben, weil er Glück bringen soll (Schütze 2, 252). t)?. Ein Kreuz von einem Kirchhof im Hause bringt Unglück (Lunden).

68. Beim Sandstreuen in der Stube darf man keinen Sand auf einen Gegen- stand werfen, das bringt allerlei Unglück (Gegend von Hohenwestedt). 69. Zieht man Wäsche verkehrt an, so gibt es Streit (Süderstapel). 70. Liegt eine Harke mit den Zinken nach oben und fällt in gewissem Umkreis davon jemand ins Wasser, so muss derselbe ertrinken (Lunden).

2. Träume.

1. Träumt man von Brand, so bekommt man Blut zu sehen (Christiansholm bei Hohn). 2. Traum von Feuer bedeutet Geld (Dithm.). 2a. Träumt man von Brand, so muss man die Summe der Jahre, die diejenigen Personen zählen, die man auf der Brandstätte antrifft, in der Lotterie besetzen (Lahn bei Lunden).

3. Wer ein Haus brennen sieht, muss die Nummer des Hauses in der Lotterie besetzen (Lunden). 4. Ein Haus im Innern im Traume brennen sehen, bedeutet eine Leiche (Lahn bei Lunden). 5. Träumt man von Blut, so bedeutet das Feuer (Dithm.). 6. Träumt man von Eiern, so gibt es Streit (Dithm.). 7. Was man in der ersten Nacht in einer neuen Wohnung oder in einer fremden Wohnung träumt, geht in Erfüllung (Dithm., Stapelholm), 8. Träume in der Scheidenacht zweier Jahre oder in der Geburtstagsnacht gehen in Erfüllung (Schütze 1, 259). 9. Wer von Nummern träumt, muss dieselben in der Lotterie besetzen (Dithm.). 10. Träumt man, dass man mit einer Person, die schon längst verstorben, zusammen ist, so bedeutet das eine Leiche (Dithm.). 11. Träumt man von einem Toten, so muss man, sobald man aufwacht, ein Vaterunser für ihn beten (Drage in Stapelholm). 12. Traum von Mäusen be- deutet Zwist (Schütze 3, 126). 13. Wer von Schlangen träumt, kommt in Gesellschaft (Feddringen in Dithm.). 14. Sieht man im Traum einen Sarg, so bedeutet das Glück (Blankenmoor bei Neuenkirchen). 15. Traum von Läusen bedeutet eine Leiche (Lahn bei Lunden). 16. Träumt man, dass man ins Wasser gefallen oder im Wasser umherschwimrat, so bedeutet das eine schwere Krankheit (Drage in Stapelholm). 17. Träumt man von Zähnen, so hat man den folgenden Tag Glück (Kellinghusen). 18. Traum von Kindern, von Pferd und Wagen bedeutet Glück (Dithm.). 19. Traum von Läusen bedeutet Streit (Dithm.). 20. Traum von Gold bedeutet Streit (Dithm.). 2Üa. Wer rück- wärts ins Bett steigt, träumt etwas Gutes (Norderdithm.). 21. Hat jemand im

Volksglauben und Volksmeinungen aus Schleswig-Holstein. 385

Traum mit weissem Zeug zu tun, so deutet das Trauer an (Lunden). 22. Ein Haus im Traum hell brennen sehen, bedeutet Glück; dunkel mit Rauch und Qualm Unglück (Dithm.). 23. Ein Traum von ausgefallenen Zähnen bedeutet Krankheit oder Tod (Dithm., Husum). 24. Traum von Kleingeld bedeutet Streit (Dithm.).

3. Zauberei.

1. \yer einen falschen Schilling in der Tasche hat, kann 'Ogenverschrön' (Blendwerk, Zauberwerk) sehen (Dithm.). 2. Wer ein vierblätteriges Kleeblatt, ohne eigenes Wissen, bei sich trägt, kann 'Ogenverschrön' sehen (Lunden). Vgl. Müllenhoff, Sagen nr. 563. Kl. Groth, Quickborn 1, 195. 3. Um ein Stück Wild zum Stehen zu bringen und sicher schiessen zu können, schreibe der Jäger auf die Flinte: „Dat Dai Di!'' und er kann alles Wild treffen. Pulver von ge- erbten Silbersachen einnehmen dient zur Entzauberung (Schütze 4, 224). 4. Wenn man in dieFussspur eines Diebes einen Nagel schlägt, so muss der Dieb das Ge- stohlene wiederbringen (Dithm.) 5. Man fange einen Maulwurf, ziehe demselben lebendig das Fell ab, so dass die Vorderfüsse daran sitzen bleiben; und daraus fertige man sich einen Geldbeutel, der dann immer Geld halten wird (Rehm bei Lunden). 6. Wenn man die Fussspur eines Diebes aufnimmt, in eine 'Fase' steckt und so in den Rauch hängt, so muss der Dieb, wenn er nicht das Ge- stohlene wiederbringt, elendiglich umkommen (Lunden). 7. Ist Obst gestohlen worden, so vergrabe man eine Katze lebendig (beim Obstbaum?), und so, wie die sich in der Erde quälen muss, so muss der Dieb sich quälen und sterben (Feddringen in Dithm.) 8. Ist man bestohlen worden, so male man ein Auge auf Papier, zersteche dasselbe mit einer Nadel, und der Dieb muss ein Auge verlieren (Lunden). 9. „Hut is Nicasiusdag!" an die Stubentür geschrieben verscheucht Ratten und Mäuse (Schütze 3, 176). 10. Will ein unbändiges Pferd sich nicht beschlagen lassen, so gehe man dreimal um dasselbe herum und spreche: „Uni, nu-ni, ne-ri!" und das Pferd steht wie ein Lamm (Norderdithm.). 11. In der Neujahrsnacht zwischen 12 und 1 Uhr legen die Bewohner eines Hauses sich auf den Bauch und werfen die Pantoffeln von den Füssen, und zwar über Kopf. Je nachdem nun die Pantoffeln mit der Spitze oder nicht nach der Tür hin liegen, deutet man daraus, ob die Person als Braut aus dem Hause ziehen oder noch darin bleiben wird (Dithm;, Stapelholm. Vgl. Schütze 2, 11; 4, 286). 12. Wenn jemand beim Schwören die drei Finger der rechten Hand in die Höhe hebt und drei Finger der linken Hand von sich nach unten streckt, so kann er gerne falsch schwören, der Meineid schadet ihm nichts (Kramper Marsch).

4. Vorbedeutungen, Teufel und Gespenster.

1. Einen Knopf darf man nicht auf dem Körper annähen (Dithm.). 2. Eine helle Stelle am Licht bedeutet einen Dieb im Hause (Schütze 1, 209). 3. Eine helle Stelle am Licht bedeutet für die nächste Zeit einen Brief (Schütze 1, 149. Feddringen in Dithm.). 4. Das Jucken der inneren Handfläche bedeutet Ge- winn. Das Jucken der Nase bedeutet Neues in Erfahrung bringen, oder etwas Gutes erfahren, oder aber auch einen Dreck zu riechen; auch die Schmerzens- träne (Dithm., Stapelholm. Hansen, Charakterbilder S. 10). 5. Wenn zwei zur gleichen Zeit denselben Gedanken aussprechen, so loben sie noch ein Jahr zu- sammen (Dithm., Stapelholm). 6. In der Neujahrsnacht schmilzt man Blei oder Wachs, giesst es aufs Wasser und deutet aus den entstehenden Figuren sich oder andern Glück oder Unglück (Schütze 1, 12). 7. In der Neujahrsnacht giesst man

Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1910. Heft 4. 20

386 Carstens: Volksglauben und Volksmeinungen aus Schleswig-Holstein.

Eiweiss aufs Wasser und lässt es bis zum Neujahrstage stehen. Aus der Form deutet man dann auf Glück oder Unglück (Schütze 1, 297). 8. Wenn bei einem Brande das Vieh losgebunden ist, so muss man es mit dem Handrücken (mit de verwende Hand) schlagen; dann geht es hinaus und kehrt auch nicht zurück in das brennende Haus (Drage in Stapelholni). 9. Will man die Raupen loswerden, so sammle man sich vor Sonnenuntergang eine ungerade Zahl und gehe damit gegen den Lauf der Sonne an ein Wasser und werfe sie da hinein mit den Worten: „Hier bring' ik jüm an dissen Ort; un all de in min Garn kamt, de folg jüm na." Im Namen f t t- (Von Frau Schacht aus Finkenwerder). 10. Man sammle drei Raupen und werfe die ins Feuer, so verschwinden auch die andern (Süderstapel in Stapelholm). 11. Wer im Besitze eines Erbschlüssels ist, kann damit einen Dieb ermitteln. Man nimmt den Schlüssel, legt ihn in eine Eibbibel und hängt, während einer die Bibel hält, ein Sieb daran. Dann nennt man verdächtige Personen, und w^ird der Name des Diebes genannt, so fällt das Sieb zur Erde (Dithm., Kolonie Christiansholm bei Hahn in Südschleswig). 12. Nägel muss man entweder Freitags bei abnehmendem Mond oder Dienstags beschneiden. Die abgeschnittenen Nägel müssen unter der Türschwelle verwahrt werden (Osdorf bei Gettorf im Dänischenwohld). 13. Freitags Nägel schneiden schützt gegen Fieber (Süderstapel in Stapelholra). 14. Schneidet man die Nägel drei Freitage nach der Reihe stillschweigend, und zwar über Kreuz, d. h. die Nägel des linken Fusses mit der rechten Hand und die des rechten Fusses mit der linken Hand, und später immer nur an einem Freitage, so schützt das sicher gegen Zahnweh (Lunden). 15. Sonntags die Nägel beschneiden gibt Verdruss (Dithm.). lu. Kleinen Kindern darf man die Nägel nicht beschneiden (Dithm.). 17. Dem Toten darf man die Nägel nicht beschneiden (Dithm.). 18. DasHaar muss man bei zunehmendem Mond (towassen Mand) schneiden lassen; dann wächst es gut (Dithm.). 19. Märzschnee aufbewahrt und damit das Haar gewaschen, gibt demselben gutes Gedeihen (Feddringen in Dithm.). 20. Das abgeschnittene Haar darf man nicht fortwerfen, da man dann Kopfweh bekömmt (Dithm.). -

21. Wenn man das abgeschnittene Haar fortwirft, so nisten die Vögel darin, oder auch man erhält einen kahlen Kopf, sog. Mondschein auf dem Kopfe (Dithm.).

22. Man muss das abgeschnittene Haar entweder verbrennen oder vergraben oder auch in dem Dachstuhl verstecken (Dithm.). 23. Beim Verbrennen des Haares halte man den Daumen fest in der Hand; dann stinken sie nicht (Dithm.). 24. Klingen einem die Ohren, so redet jemand von uns. Klingt das linke Ohr, so redet man Gutes; klingt das rechte Ohr, so wird Böses geredet; darum: „Dat linke, dat flinke; dat rechte, dat siechte" (Delve in Dithm), 25. Klingt das rechte Ohr, so klemme die Zungenspitze zwischen die Zähne, und der Verleumder beisst sich auf die Zunge (Lunden). 26. Klingt einem das rechte Ohr und man denkt zufällig an diejenige Person, so Böses von einem redet, so ist das Ohren- klingen sofort vorüber (Dithm.). 27. Klingt das Ohr und jemand spricht Böses von einem, so schlage man sich mit der Hand an das klingende Ohr, und der Betreffende beisst sich ein Stück von der Zunge ab (Eckernförde). 28. Wenn Kindern die Milchzähne ausgehen, so müssen sie dieselben in der Stube fort- werfen (Angern: unters Bett werfen) und sprechen: „Mus, ik gev di'n ol'n Tän, giv mi 'n nien weller!" Oder: „Ich gebe dir einen goldenen Zahn, gib mir einen knöchernen wieder (Feddringen). 29. Den Zahn muss man unter einen Schrank werfen und sprechen: „Mus, ik bring di'n holten Tän, giv mi en nien weller, de ni gillt (killt?), de ni swillt, de ni weh deit (Lunden). 30. Auch heisst es: „Mus, ik gev di 'n Kus (Backzahn), giv mi 'n goH'n Tän weller!" Oder: „Hest

Menghin: Ein Weihnachtszeltenspiel aus Tirol. 387

mi'n ol'n Tän, giv nii 'n nien well'r!" (Schwienhusen bei Delve). 31. Man wirft den Zahn in ein Mauseloch und spricht: „Mus, Mus, ik gev di 'n ol'n Tän, giv mi 'n nien weller !" Auch vergräbt man den alten Zahn unter der Tür- schwelle (Lehe bei Lunden). 32. In Stapelholm heisst es: „Mus, ik gev di 'n ol'n Tän, giv mi 'n nien weller, de ni kellt, de ni swellt, de ni weh deiti" (Drage in Stapelholm). 33. Die Zähne, die der Mensch später verliert, werden aufbewahrt und ihm mit in den Sarg gelegt. 34. Spricht man von jemauden, so ist er nicht weit. Wenn man vun 'n Düvel snakt, so is he nicht wiet. 35. Wer gern und viel in den Spiegel schaut, dem guckt der Teufel über die Schulter (Dithm.)- 36. Wenn man bei Licht in den Spiegel sieht, so steht der Teufel hinter einem (Dithm.). 37. Ein Kind muss abends nicht in den Spiegel sehen, sonst steht der Teufel hinter ihm (Schütze 4, 164). 38. Abends, wenn man mit dem Pflug vom Felde kommt, muss man denselben von der Schleife nehmen; da sonst der Teufel darauf (darunter) ruht (Schütze 3, 220). 39. Freimaurer sind böse Leute und stehen mit dem Teufel im Bunde. Wer Mitglied einer Freimaurerloge ist, wird stets beobachtet. Verrät er den ge- leisteten Eid, so wird er getötet. Von jedem Mitgliede hat man ein Bild, und dann sticht man mit einer Nadel die Stelle, wo das Herz sitzt, und er muss sterben (Dithm.). 40. Geister gehen nachts um, und es gibt weisse oder himmlische, bunte oder weltliche und schwarze oder höllische (Lehe bei Lunden). 41. Will man in der Walpurgisnacht die Hexen oder was man will, sehen, so muss man sich unter zwei an einem Kreuzwege gegeneinander aufgestellte Eggen legen (Schütze 1, 295). 42. Wenn ein Schiff, das im Hafen liegt, heftig knackt, so wird es untergehen (Christiansholm bei Hohn im südl. Schleswig). 43. Wenn der Klabautermann sich auf einem Schiff sehen oder hören lässt, so wird das Schiff untergehen (Delve in Dithm.).

Nachschrift. Am 5. Januar 1910 verstarb zu Dahrenwurtli bei Lunden der Lehrer Heinrich Carstens, geb. 1849 zu Heuwisch, ein emsiger Sammler auf dem Gebiete der holsteinischen Volkskunde, wie seine 'Wanderungen durch Dithmarschen' (1903. 1907) und die mit F. Höft herausgegebene, freilich strengeren wissenschaftlichen Anforderungen nicht genügende Zeitschrift 'Am Urdsbrunnen' (1 6. 1881 89. Am Urquell 1. 1890; bezeugen.

Ein Weilinachtszeltenspiel aus Tirol.

Mitgeteilt von Oswald Menghin.

Das folgeude Stück gehört einem nicht unbekannten Typus der volks- tümlichen Tiroler Dichtung an. Der Weihnachtszeiten, den die pietät- lose Fremdenindustrie unter dem geschmeidigeren Titel 'Tiroler-Früchten- brot' das ganze Jahr hindurch herstellt, spielt bei der tirolischen Weihnachts- feier eine grosse Rolle. Nur zu Weihnacliten leistet sich der Bauer, der auf Religion und alten Brauch noch etwas hält, diese edle Speise. Was Wunder, dass der Anschnitt des Zeltens, den die Sehnsucht der Kinder kaum er-

25*

388 Menghin:

warten kann, in vielen Gegenden unter feierlichen Zeremonien statt- findet, und dass das köstliche Gebäck auch als gern gesehenes Geschenk, besonders unter Liebenden, verwendet wird!

Ärmere Leute, die sich den Zelten nicht selbst zu backen vermögen, suchen ihn von wohlsteheuden Bauern durch Aufführung eines Spieles zu erlangen; solchem Zwecke entsprang das nachstehende Stück. Ein Bauern- dichter, S. Klocker aus Axams bei Innsbruck, Kerschbuchhofer in Hötting, hat Text und Weisen im Jahre 1853 geschaffen. Er muss seinen Spass an derlei Dingen gehabt haben, da er selbst die Hauptrolle, den Wald- gott ^), gab. Die übrigen Rollen waren durch Knechte und Senner besetzt. Zu Perchtalhof, Sennerhof, Sauerweinhof, Danielhof, ötztalerhof, Zircherhof, Kranewicken und beim Fritz, lauter in Hötting gelegenen Höfen, kam das Stück in den Weihnachtsfeiertagen des obgenannten Jahres zur Aufführnng. Neben jenen materiellen Zwecken verfolgten die Darsteller aber auch einen lehrhaften: sie wollten die Bauern darauf aufmerksam machen, wie sehr sie den Wäldern durch unvernünftiges Schlagen und insbesondere durch die damals aufgekommenen eisernen Rechen zur Streusammlung schadeten.

Das vorliegende Stück hat sich nur durch einen Zufall erhalten. Obgleich es ungemein gefiel, die Darsteller in einigen Gasthöfen zu Hötting auftreten mussten, ja sogar nach Innsbruck verlangt wurden, kam es in den folgenden Jahren nicht mehr zur Aufführung und geriet endlich in Vergessenheit. Aber in einem der ehemaligen Spieler, dem letzten, der noch lebt, hat es sich erhalten. Herr Alois Mayr, geboren zu Yöls bei Innsbruck, seit langem in Meran wohnhaft, war als ITjähriger Bursche am Sennerhof bedienstet und hatte die Aufführung des Stückes zu über- wachen, beteiligte sich auch an der Ausarbeitung der Gesänge. Der nun wusste trotz seines hohen Alters von 73 Jahren Text und Melodie des Spieles noch vollkommen auswendig. Herr Otto Mayr schrieb auf den Wunsch seines Vaters die Verse nieder, Herr Lehrer Josef Moll in Meran zeichnete den gesanglichen Teil auf.

Hier gebe ich das Stück genau nach der Niederschrift des Herrn Otto Mayr. Sie bietet, da Herr Mayr, obwohl in der Stadt lebend, den Zusammenhang mit dem Volke sich noch ganz gewahrt hat, ein getreues Bild des sogenannten Bauernhochdeutsch, einer konsequenzlosen Mischung von Schriftsprache und Dialekt. Nur einige wenige orthographische Kleinigkeiten habe ich verändert und schwer verständlichen Worten Er- klärungen beigefügt.

Wien.

1) (Oben 7, 435 ist ein Singspiel 'Der grosse Waldgott' etwa aus dem Anfang es 19. Jahrhunderts erwähnt, dessen Hs. L. v. Hörmann in Innsbruck besitzt.]

Ein Weihnachtszeltenspiel ans Tirol.

389

Weihnachtszelten spiel.

Personen:

Der Vorläufer.

Der Waldgott. Die Fichte. Die Kiefer.

Die Birke.

Die Lärche (auch Echo).

Der Bauer.

Der Kehraus.

Kostüme:

Der Vorläufer: Rote Bluse mit Ledergürtel, am Kopfe eine rot -wollene Türkenmütze (Fes) mit weisser Flaumfeder vorne; in der Rechten einen Stab mit bunten Bändern, der zum Platzmachen dient.

Der Waldgott: Mantel, ganz mit Baumbart bedeckt und von feinem Silberflitter durch- zogen: langes Kopfhaar und Vollbart aus Baumbart, in der Rechten einen Stab mit Waldfrüchten geziert.

Die Bäume: Jeder Darsteller mit Zweigen seines Baumes ganz bedeckt; am Kopfe eine

kleine Baumkrone. Der Bauer: Natioualkostüm, eiue Hacke unterm Arm. Der Kehraus: Dorfteppartig gekleidet, mit grossem Birkenbesen: sehr witzig, hat es

besonders auf die Weiber und etwa in der Stube anwesende Liebespaare abgesehen.

Prolog.

Vorläufer (in die Stube tretend);

Hochwertgeschätzte Freunde, Gott grüß euch all beisammen! Ihr wisset es vielleicht, Warum ich her bin kommen. Wir haben uns auf heut Ein Kurzweil unternommen: Ein Schauspiel wird es halt. Vom Waldgott angefangen. Meine Laufbahn ist als heut. An alle Ort und End, Wohin ich immer komme, Zu machen mein Kompliment. Ich komme als ein Kurier, Als Läufer und als Bot, Es kommet gleich nach mir Der große Wäldergott, Der hier ein Auftritt macht Mit seinem Waldkonvent, Weil man bei Tag und Nacht Jetzt so viel Holz verbrennt. Ein Bauer kommet auch, Der schreit den Wald voll ein; Sein Widerhall, meint er. Das muß ein GeistP) sein. Und weil der Bauer noch mehr

Den Wald will niedermachn, Laßt der Waldgott nix mehr her Als nur zum Zeltn bachn. Doch endlich laßt uns geltn. Hält mit sein Lärmen ein; Denkt ihm: wenn nur die Zeltn Recht wohl geraten sein. Dann singt noch der Konvent Ein Liedlein zum Beschluß; Dann hat das Spiel ein End Und ÖS öpper^) koan Verdruß.

(Platz machend.)

Nun aber machet Platz, Räumt alles auf die Seitn! Der Waldgott kommt herein Mit seinen Edelleutn. Indessen will ich gehn, Ihr alle, lebet wohl! Weil ich Vorläufer bin, Mich weiter machen soll. (Ab.)

I. Auftritt.

W a 1 d g 0 1 1 : Ich bin ein edler Greis, Waldgott tu ich mich nennen; Komm her aus finstrem Gsträuß, Laß mich durch nichts verbrennen. Ich bin schon lang im Wald,

1) Gespenst 2) ihr etwa.

390

Menghin :

60 Seitdem die Welt ersctiaffn, Und hab bis jetzt noch meist So leidlich ruhig gschlafn. Aber weil jetzt so viel Bäum Im "Wald werdn niedergschnittn,

55 Drum derleid is jetztn kam,

Wia is früher hun derlittn. Drum moch i jetzt an Ernst; Es kunn nit anders sein, Und daß i mi kunn wehrn. Drum ruaf i meine Bäum.

Ihr Bäu-me steigt her-aus Es ruft euch eu - er Gott,

aus finst-rer Er - de Schoss, be- waff-net euch mit ja weil die Bau- ern-rott sich wie- der mei- ne

Stär-ke Macht

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und brecht die Wur- zeln los ! ')

und meinen Thron will setzen, sich

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schon die Hacken wet-zen, da - mit ich mei-neu Mut und Stär-ke zei-gen kann.

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1. Lasst hö-ren, wie ra- send, feu-er - fun-keln-des Blit-zen! Ver - lan- ge Ge-

2. Ihr wil- de-sten Höh-len der Lö- wen und Bä- ren, der Wöl-fe und

3. Kommt, rieht euch zur Waffe, ihr Feichten nud Lär-che, ver - til - get den

m

1. hor-sam und Wil-len -) von euch.Kommt,helft mir meinThron und die Macht un-ter-

2. Ti - ger,brechtauf doch ein-mal, da - mit ihr nicht säu- met den Wald zu ver-

3. Stachel! Dies sei nun mein Will. Laub- höl-zer und Zir- men^),zeigt auch eu-re

-^^

1. stüt-zen, er - schüt-tert im Abgrund das ir - di - sehe Reich!

2. meh-reD,und wir uns er - götzen im jauchzen-den Schall!

3. Stär-ke und las - set den Bauern 1: zu derHacknko-an Stiel! :|

1) Wird hinter der Türe durch Abbrechen von Holz nachgeahmt.

2) Willigkeit. 3) Zirbelkiefer.

Ein VVeihnachtszeltenspiel aus Tirol.

391

2. Auftritt.

(Die vier Bäame. Waldgott bleibt in der Mitte stehn).

Alle vier Bäume

(singen nach derselben Melodie):

0 Gott und Gebieter, siegreicher Florierer, «5 Dein Reich ist gestützet auf festesten Grund.

Du Unüberwindlicher, stets Trium- phierer,

Ja wenn du's befehlest, :,: geht alles zugrund :,:

Wir stehn allzeit bereit.

Zu folgen dein Begehren; 90 Das ist ja unsre Freud,

Die Hacken zu zerstören.

Waldgott: Ein jeder Bauersmann spricht: Ihr sollet in die Flammen!

Die Bäume: Das soll uns treffen nicht, 95 Wir schwören's alle zusammen!

Fichte: Ich schwinge meine Äst, Schlag ihm die Augen ein; Ich glaub, es ist das Best, Wenn er stockblind tuat sein. 100 Wenn mich die Bauernrott Von meinen Sitz will heben. Ich schwör s bei meinem Gott: Ich geh ihnen auf das Leben.

Kiefer: Wenn er mi hackt und zuawer- stehet'),

loö So stell i mi grad faul,

Und wenn er sunst nit weiter geaht, Wirf i d'n2) a Schoat^) ins Maul, Daß ihm grod's Bluat hearrinnt, Und sollt er a drum sterben;

110 Do moch i mir koan Wind, Weil er ins will verderben.

Birke: Weil i die Birken bin, Tuat mir koan Axt nit weah; Wenn ober der Kehraus kimmt. Stutzt er mi sauber hear. ns

I kunn ihms a mit wehrn. Wenn er mir nimmt die Reiser, Weil er muaß sauber kehrn Fast gar in alle Häuser. Und kehrn tuat er sauber 120

Mit seinen groaßn Ratzn*) Und hin und hin tuat er nix Als die Weiberleut recht tratzn'). .

Waldgott:

Nun, also ist es recht,

Tiat nur koan Hieb verschonen, 125

Ihr, meine getreuen Knecht!

Ich werd euch schon belohnen.

3. Auftritt.

Bauer (mit einer Hacke unterm Arm hereinspringend; :

Was hör i in dem Wald?

Wer will mir widersprechn?

Wenn mir der erste fallt, iso

Muaß a der zweite brechn.

Mei Hack ist voller Schneid,

Die alles niedermacht;

Vor mir der Wald nit leit.

Gib i nit iander^) nach. 135

Brauch Besn-, Gabi, Rechenstiel,

Muaß Ladn, Schindln machn.

Und mein Weib braucht a gor viel,

Voraus zum Zeltn bachn.

Dös wur'^) a Handl fein iio

Und erst die Weiberleut!

kriagatn ja den Ziepf^)

Oeatzt^) bei der kaltn Zeit.

Do hättets ös*°) die Schuld,

Wenn mir oane derfriern soll; 145

I war ja gor koan Stund

Meahr sicher in Tirol.

Lärche (Echo): Tirol!

Bauer (sich umdrehend);

Wer antert"; mi denn do?

Den gab i glei a Schnol^^)! 150

1) herzusteht 2) ich ihm 3) Rindenstück 4) Schnurrbart, hier scherzhaft für Besen 5) necken 6) eher 7) würde S) Pips, eine Krankheit des Geflügels 9) jetzt 10) ihr 11) äfft nach 12) Ohrfeige.

392

Menghin :

Lärche:

Echo hats getan, Dei eigner Widerhall!

Bauer (für sich):

Echo? was ist das für a Vieh?

Dös möcht i gearn söchn; 155 AVerd öpper^) woll nit gifti sein,

Nor kann miar ja nix gschöchn.

Es tuet als wia a Mensch;

Moanst net, es warn zwoa;

Wenn mi mei AVeiberl antern tuat, 160 Ist grad a so a Gschroa.

Lärche:

Schrei du nur Echo frei, So werd es si schun mahrn^), Und wenn dus nor^) der wischt, Muaßt gschwinn an Stoan drau schwarn*).

165 Bauer (schreit)-. EchooGOOo!

Lärche: Echoooooo!

I bin allzeit bereit An jedn Antwort z' gebn; Mags sein, wer's immer will, Tua i mei Stimm erhebn. Er mag lateinisch, deutsch, Wohl gar französisch lachn; Dös ist mir koane Kunst, Ihm alles nach zu machn. Gar alle Tier und Vögl, Was immer schreit und bellt, kennen meine Stimm, Fast in der ganzen Welt. I bin schun lang im Wald,

Schun bei sechstausend Jahr; Wer nur ein wenig schreit, Hört mich ein jeder Narr.

Bauer (für sich):

Dös muaß a Wichtele sein. Dös gor so 's Maul auslaart^); Den möcht i gearn kennen, Dear do an Stoan drau schwärt. Der Geist verhindert mi. Daß i nit Holz kann fällen; Hon dechterst**) heut no glabt A zwoa drei nieder z' schnölln').

Waldgott: Da laßt man dir schun Holz, Voraus zum Zeltn bachn; Was krump und schadhaft ist. Kannst alles niedermachn.

Pichte: I gib an Ast!

Kiefer: Und i an ganzn Stamm!

Birke:

Es ist grod souvl^) a guate Kost!

Alle: Do helfn miar alle z'samm!

Waldgott: Dann singen wir zum Schluß Ein saubres Lobgesang, Und dös im Augenblick. Drum zaudert nit so lang!

Waldgott und die vier Bäume (singen)

Auf,

auf ihr Bau - me, schreit und singt, dass uns

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der

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1) etwa 2) so wird es sich schon melden :'>) dann 4) pressen 5) aus- leert — 6) doch 7) niederzuhauen 8) gerade so viel.

Ein "Weihnachtszeltenspiel aus Tirol.

393

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dass's Maul schiar aus den An - geln springt! Der

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1. Zeltn

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2. Holz schaffn miar euch in

Überfluß, Larch, Feichte, kloan und groaß, Damit die Madin koan Verdruß; •jio So werd der Ofen hoaß.

3. Birnen-, Äpfl-, alle Bam, stiahn in unsern Wald,

Und wenn man halt koan Obst bekam. So warn die Zeltn galt*).

215 4. Beim Ofenloch ists Weiberchor, Die ganze Zeltnweich-); Bald oane schreit, bald Poor und

Poor, Z'löscht^) Schrein sie alle z'gleich.

5. Und wenn s'n öpper gar ver-

brennt, 2-'o Daß 's öpper nit gschwind reart*); So höbt fürs Maul glei boade Hand, Daß mans nit weiter heart!

6. Vesper dauert oft lange Zeit, Bis er ist ausgebacht^);

.-.'3 Frau Wirtin hat aus lauter Freud 'Te deum laudamus' gmacht.

AValdgott (zu den Bäumen):

Jatzt ziachn miar giahn^) ab. Bleibt miar fein koaner hintn!

(Zu den Zuschauern).

Und ös kemmts a zu ins"),

Im Wald a Ströbe®) schindn.

In Wosn^) laßts miar liegn!

Grund und Bodn gheart nou^") mein;

Wenn i enk") die Gratn^'^) laß.

So kennts schun zfrieden sein.

(Zu den Bäumen).

Und wenn die 'eisernen Rechen' ;

Einreißen in mein Reich, So ziacht mit mir ins Feld Und wehrt enk alle z'gleich!

Alle Bäume:

Miar schwörn alle zsammen: Miar leidn koan eisernen Rechn. :

Sonst schlagn miar zua, bis uns Die ganze Macht möcht brechn.

(Alle ab).

Epilog.

Kehraus (mit einem grossen Birkenbesen):

Weil i der Kehraus bin, Muaß i halt zletztn kemman;

1) abgetan 2) Zeltenweihe 3) zuletzt 4) weint 5) ausgebacken <i) gehn (adverb.) 7) ihr kommt auch zu uns S) Streu i») Rasen 10) noch 11) euch 12) Gräten.

394 Schnippel:

245 Den Zeltn, den die oan^) nit ein- Was miar nit recht tuat taugn;

packt habm, Drum machts mi fleißig sein

Den werd halt i miar nemman. Und in die Winkel schaugen.

Der Kehraus, hätt halt noat, Weil jetzt ober^) alls sauber ist,

Der schauget^) in alle Winkel, So geah i wieder fort;

Ob wohl koan ungleichs Gschlecht Nimm mein Besen über die Achsl

250 Beieinander in der Dünkel. Und kehr in an andern Ort.

Und alles kehr i aus,

Kleine Mitteilungen.

Leichenwasser und Geisterglaube in Ostpreussen.

Im Anschluss an den inhaltsreichen Aufsatz von P. Sartori 'Das Wasser im Totengebrauche' (oben 18, .359) sind vielleicht die nachfolgenden Mitteilungen von Interesse, die ich aus Anlass eines ganz neuerdings beobachteten Falles gesammelt habe wobei ich aber noch ausdrücklich hervorheben will, dass sie zusammen- gestellt sind, noch ehe ich jenen Aufsatz kannte. Sie beziehen sich auf einen auffallenden und, wie ich nunmehr ermitteln konnte, in gewissen Teilen Ostpreussens noch immer gar nicht ganz seltenen abergläubischen Brauch, der sich aber meist im Verborgenen abspielt und so auch mir, der ich seit einem Menschenalter Land und Leute recht gut zu kennen glaubte, wunderlicherweise gänzlich un- bekannt geblieben war. Er begegnete mir zum ersten Male am 13. September 1909 in unserem Städtchen, das, im ostpreussischen Oberlande genau auf der Sprachgrenze gelegen, etwa 15 000 grösstenteils evangelische Bewohner zählt und im allgemeinen einer 'der Neuzeit entsprechenden' Aufklärung huldigt. Abgesehen von kurzen, nur die Tatsache selbst bestätigenden Erwähnungen bei M. Toppen, E. Lemke und M. Philipp ist er, soweit ich sehe, der volkskundlichen Literatur unserer Provinz ebenfalls völlig fremd geblieben.

Bei der Beerdigung einer hochbetagten, würdigen, dem besseren Mittelstande angehörigen Witwe trat, als der Leichenzug sich in Bewegung setzen sollte, aus dem Trauerhause eine alte Frau heraus mit einer grossen verdeckten irdenen Schüssel und goss, noch bevor die Leidtragenden herbeigekommen waren, eine ziemliche Menge schmutzigen Wassers gegen den Sarg hin auf den Boden, so dass der begleitende Pfarrer beinahe stark bespritzt wurde. Die Umstehenden waren entrüstet, die Alte aber, die beim Ausgiessen einige unverständliche Worte ge- murmelt hatte, ging befriedigt von dannen; offenbar hatte sie nicht etwa den An- gehörigen oder gar dem Andenken der allgemein geachteten Toten einen Possen spielen wollen, sondern freute sich anscheinend des Bewusstseins, ein gutes Werk getan zu haben. Und ein dabeistehendes junges Dienstmädchen, das die Sache ebenfalls mit angesehen hatte, sagte: „Das ist nur recht gut, dass sie das getan hat; nun kann der Tod nicht ins Haus zurückkommen." Sie hatte schon vorher

1) einen 2) schaute 3) aber.

Kleine Mitteilungen. 395

die Besorgnis geäussert, es könne der Tod, der von unserer niederen Bevölkerung, zumal der weiblichen, als leibhaftig uraherwandelnd gedacht wird^), nochmals wiederkehren, vielleicht weil gerade ein Kind in demselben Hause schwer krank lag. Andere sagten, das sei ein alter Brauch, und das Weib habe so getan, damit der Tod nicht übers Wasser kommen könne. Die Alte selber, später zur Rede gestellt, erwiderte höchst erstaunt: „Das wissen Sie nicht? Das muss so sein; denn sonst geschieht im Hause oder in der Familie ein Unglück.'- Die Schüssel hatte sie sogleich nachher zertrümmert, damit 'der Tod erschlagen' werde.

Nähere Erkundigungen meinerseits ergaben alsdann noch Folgendes. Das aus- gegossene Wasser war Leichen w asser, d. h. dasjenige, womit die Alte (nicht etwa eine gewerbsmässig tätige Leichenwäscherin, sondern eine wackere ältere Aufwartefrau und nur gelegentlich zu diesem Dienst herangezogen) die Gestorbene gewaschen hatte. Und das gilt allerdings als ein ganz besonderer Saft. In der Tat hatte sie geglaubt, dass das Wasser einen kleinen Bach bilde, der für den Tod unüberschreitbar sei; sie mache das stets so, wenn sie jenen Dienst zu leisten habe. Ob dabei aber vielleicht auch an den Gestorbenen selbst gedacht war, dessen Wiederkehr etwa befürchtet wurde und der andere 'nachholen' könnte, war nicht mit Sicherheit zu ermitteln. Jedenfalls hatte sie, wie sich nachträglich ergab, das Leichenwasser wie immer im Sterbezimmer selber unter einem Sopha sorglich verwahrt, um es dann auf der Strasse ausgiessen zu können. Auch der beteiligte Geistliche bestätigte mir nicht nur die Tatsache selber, sondern konnte des weiteren berichten, dass der Brauch namentlich bei der niederen Bevölkerung der Vor- städte trotz seines Protestes gegen den 'Aberglauben' noch immer vorkomme, allerdings gewöhnlich möglichst heimlich vollzogen werde. Meist seien es die Angehörigen des Toten, die das Wasser ausgössen oder aber auch den 'Topf mit dem Leichenwasser samt den beim Abwaschen der Leiche gebrauchten Lappen vor den Leichenwagen stellten, damit er von diesem entzweigefahren werde. Das solle verhindern, dass der Tod noch ein weiteres Mitglied der Familie hole. Ebenso kannte auch der Geistliche der Landgemeinde aus seinem ganzen, sehr ausgedehnten und bereits halbpolnischen Kirchspiel den noch immer überall trotz des Verbotes geübten Brauch, beim Abfahren der Leiche die Schüssel mit dem Leichenwasser zu zerfahren, so dass das Wasser umherspritzt. Seines Wissens geschehe dies, damit der Geist des Verstorbenen Ruhe finde, oder aber damit er nicht ins Haus zurückkommen und die Hinterbliebenen ängstigen könne.

Was die Verbreitung der Sitte anbetrifft, so scheint sie, soweit ich habe fest- stellen können, sich im wesentlichen auf die beiden, für die Volkskunde so er- giebigen Landschaften Oberland und Ermland zu beschränken. Für letzteres be- richtet M. Philipp in seiner ausserordentlich inhaltsreichen Dissertation 'Beiträge zur ermländischen Volkskunde' (Greifswald 190G) S. 123 dazu noch, dass das Schreiten über die Schüssel mit dem Leichenwasser Krankheiten verursacht: „Darum lässt man sie vom abfahrenden Wagen zertrümmern oder giesst das Wasser dem Rade nach" wozu er aber auch die in der deutschen Mythologie vielfach zu belegende, die Geister abwehrende Kraft des Wassers vergleicht, mit Verweis auf Grimm, Deutsche Mythologie S. 90 und 786, Müllenhoff, Sagen Nr. 429 ■^)t

1) „Neulich ging er (nämlich der Tod) hinter mir her, er ging dann aber weiter nach der Vorstadt." So erzählte erst kürzlich in vollstem Glauben ein jüngeres Aufwarte- mädchen.

2) Er hätte auch auf den Nachen des Charon verweisen können. Dass Geister 'nicht übers \Y asser' können, sagt u. a. E. Mogk bei H. Meyer, Deutsches Volkstum S. 32S n. sonst, und Sartori, oben IS, SGi. n6ö. 3G7.

396 Schnippel:

Die Angaben bei M. Toppen, Aberglauben aus Masuren 1867, S. 108 (Sartori, S. 359), beziehen sich ebenfalls grösstenteils auf das Oberland (Hohenstein und Gilgenburg), nur Willenberg, Kr. Orteisburg, wo 'es spukt', wenn die Schüssel mit dem Leichenwasser nicht dem Sarge aus dem Hause 'nachgeworfen' wird^), gehört bereits dem eigentlichen Masuren an. Aus Hohenstein weiss er noch zu vermelden, das Ausgiessen des Wassers solle bedeuten: „wenn der Geist des Toten zurückkommen will, wird ein See vor dem Hause sein, und da kann er nicht hinüber." Und ebenso aus Gilgenburg, dass auch der Kamm, mit welchem man die Leiche gekämmt hat, erst mit dem Leichenwasser zusammen bei dem Hinaustragen hinausgeschafft wird. Insbesondere ist auch im nördlichen rein deutschen Oberlande, den Kreisen Pr. Holland und Mohrungen, der Gebrauch des ausgeschütteten Leichenwassers nach persönlichen Mitteilungen „früher" nicht unbekannt gewesen; aus der Saalfelder Gegend gibt Frl. E. Lemke, Volkstümliches aus Ostpreussen 1, 56 (Mohrungen 1884; vgl. oben 18, 359) noch an, dass die aufbewahrte Schüssel mit dem Leichenwasser am Rade des Leichenwagens zer- schlagen wird. „Wird das Wasser vor dem Begräbnistage fortgegossen, so findet der Tote keine Ruhe." Aber gerade auch das Zerschlagen der Töpfe und Schüsseln ist etwas Wesentliches, vgl. oben 18, 356; 365 Anm., 367 u. ö.

Nachträglich erfahre ich noch, dass auch in vielen Teilen des angrenzenden Königreichs (d. h. Russisch-) Polen das Ausgiessen des Leichenwassers früher sehr verbreitet war und hin und wieder noch vorkommt, doch so, dass (wie so oft) es kaum auszumachen ist, ob der polnische Brauch dem preussischen, oder der preussische dem polnischen entlehnt ist, oder ob beide in einer älteren 'slawisch- germanischen Kulturgemeinschaft' (V. Hehn) ihren Ursprung haben. Ebenso wird mir berichtet, dass noch in der Mitte des vorigen Jahrhunderts jene Sitte auch bei vornehmeren Toten oft geübt ward: im Jahre 1853 schüttete z. B. in Osterwein die 'Wirtin' dem Kinde der adligen Herrschaft das Leichenwasser nach, wobei es als der tiefere Sinn gegolten habe, dass mit diesem Wasser nun alles, auch das letzte Körperliche vom Toten aus dem Hause der Lebenden hinweggeführt sei. Namentlich aber schreibt mir Frl. Elise Witt in Königsberg bezüglich jenes Teiles des ostpreussischen Oberlandes, den einst Max v. Schenkendorf in seinem Gedichte 'Das Lied von den drei Grafen' so begeistert als das 'schöne Oberland' pries, d. h. der anmutigen Landschaft links von der unteren Passarge, über die in Rede stehende Sitte und den damit zusammenhängenden Geisterglauben aus eigener Erfahrung folgendes, was mir von anderen Seiten durchaus bestätigt wird:

„Die Sitte, das Leichenwasser beim Begräbnis dem Sarge nachzugiessen, bestand dort noch in den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts. Gemeint ist das Wasser, mit welchem man die Leiche abwäscht, ehe sie auf das sogenannte Leichenbrett gelegt wird 2). Dieses Totenwasser wurde in einer Schale unter das Leichenbrett^) gestellt und nach erfolgter Einsargung der Leiche anderswo sorgfältig aufbewahrt. Beim Hinaustragen der Leiche aus dem Sterbe- hause folgte jemand möglichst unbemerkt der Leiche mit dem Totenwasser. War der Leichenzug etwa 100 Schritte vom Sterbehause entfernt, so wurde die Schale mit dem Wasser der Leiche nachgeworfen, so dass sie zerbrach. Wurde die Leiche auf einem Wagen zum Friedhofe gebracht, so zerschellte man das Gefäss

1) Vgl. Sartori oben 18, 3G4.

2) „Die Leiche liegt auf dem Brett" ist eine bis heute auf dem Lande gebräuchliche Redensart (E. Witt).

3) P. Sartori, oben 18, 265 u. ö. : 'unter das Totonbett'.

Kleine Mitteilungen. 397

mit dem Leichenwasser an den Rädern des Leichenwagens. Lag die Leiche auf dem Brett, so erhielt sie als Kopfkissen einen mit Stroh gefüllten Sack. Dieses Stroh wurde dann beim Begräbnis auf den Leichenwagen gelegt und bei der Fahrt zum Kirchhofe (der meist im Kirchdorfe sich befindet) oder auch bei der Heimfahrt auf der Grenze zwischen dem Dorfe, in dem der Entschlafene gelebt, und dem, welches der Leichenwagen zunächst durchfuhr, niedergeworfen. Nach dem Volksglauben diente dieses Totenstroh den Geistern, die zwischen 11 und 12 Uhr nachts zu den heimatlichen Gefilden wanderten, als Ruhesitz^). Kein Wanderer, ist er auch noch so müde, nimmt bei Tage auf diesem Stroh Platz, und von jedem Vorübergehenden wird es mit Scheu betrachtet. Noch jetzt ist mir erinnerlich, wie der Kutscher kurz vor der Grenze, an der Totenstroh lagerte, die Pferde jedesmal zu rasender Eile antrieb, wenn wir um Mitternacht solche Stellen passierten. Das Totenstroh wird aber noch jetzt (1909) im Sam- lande, in Natangen und im Oberlande gefunden.

„Der Glaube, dass der Tote Zeuge seines Toten mahl es sei (im Oberlande nennt man es Zärm), stand in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts sowohl im Oberlande, als auch im Samlande fest. Bei jedem Begräbnis hing an der nach dem Hausflur führenden Tür der Gaststube ein langes Handtuch, das halb einen dahinter stehenden Stuhl verdeckte. Nach der Volksansicht beobachtete von diesem Stuhle aus der Tote die Vorgänge beim Totenmahl. An dem Handtuche trocknete er sich die Finger ab, die er in die 'dicke Grütze' ^) gesteckt hatte, um zu prüfen, ob sie auch nicht angebrannt sei. Im Oberlande stellte man auf den Stuhl auch wohl ein Schüsselchen mit Grütze, um dem Toten das Grützeschmecken zu er- leichtern, vielleicht auch, um ihn von der Tafel fernzuhalten, während anderer- seits häufig auch an der Gasttafel selber ein Stuhl unbesetzt bleibt: das ist der Totenstuhl, von dem aus der Tote die Gesellschaft beobachten und scharf hin- horchen kann, ob man seiner auch lobend gedenkt. Vertraut mit diesem A^'olks- glauben, habe ich mich als Kind nur schwer dazu entschliessen können, meine Eltern zu einem Begräbnis im Dorfe (Schlobitten) zu begleiten. Auf die 'dicke Grütze' habe ich stets mit Schaudern geblickt, von ihr gegessen habe ich nie; und so fest eingewurzelt ist bei mir trotz der grossen Spanne Zeit, die zwischen meiner Kindheit und der Gegenwart liegt, jener Kinderglaube, dass ich auch heute noch in einem Sterbehause nur mit Überwindung esse.

„Der Glaube an die Wiederkehr der Entschlafenen spricht sich auch noch in einer anderen Sitte aus. Die eingesargte Leiche steht auf zwei kurzen, quergestellten Bänken. Wird der Sarg aus der Wohnung herausgetragen, so werden diese über Kreuz mit den Füssen nach oben gekehrt''). Geschieht dies nicht, so stellt sich der Tote wieder ein und nimmt auf einer der Bänke Platz. Dass diese Sitte auf dem Lande noch gang und gäbe ist, wusste ich; interessant aber war es mir, das Umdrehen der Bänke noch kürzlich bei einem Begräbnis in hiesiger Stadt (Königsberg) beobachten zu können. Falls es von den Leidtragenden oder

1) H. Frischbier, Preuss. Wörterbuch 2, 407, zitiert zu dem Worte aus dem im Platt der Elbingischen Höhe verfassten Gedichte „Dat Spook" (Neue Preuss. Prov.-Blätter 4, 471"! : Öm blingen Brook | Da wankt dat Spook, | Da sott et op em Doodenstroh | On schnört ju all'n die Gorgeln to, | Vgl. auch M. Philipp S. 123.

2) „Nun gibt es bald dicke Grütze" sagt man noch heute, wenn jemand lebens- gefährlich krank ist, und „Aus der dicken Grütze wird nichts" heisst es, wenn es mit dem Schwerkranken zur Besserung geht, womit früher wohl Hirsebrei, jetzt meist 'dicker Pteis' gemeint ist (E. Witt).

3) Vgl. Sartori, oben 18, 363.

398 Schnippel, Heilig, Lohmeyer:

den Dienstbeflissenen des Hauses vergessen wird, sollen die Leichenträger das Umdrehen der Bänke besorgen. Dass die letzteren beim Hinaustragen des Sarges diesen möglichst unbemerkt einmal umdrehen, um den Toten bei einer etwaigen Wiederkehr in der Richtung irre zu machen, beobachtete eine bereits verstorbene Freundin vor einigen Jahren in Zinten, allerdings, wenn ich nicht irre, bei einem jüdischen Begräbnis. Wird nun einerseits der Wiederkehr des Verstorbenen vorgebeugt, so ist man andererseits auch wieder bemüht, ihm diese, falls er wirklich wiederkommen soll, zu erleichtern'). Die Leiche wird vollständig an- gekleidet, insbesondere dürfen auch die Schuhe nicht fehlen, und zwar werden diese streng nach Mass gekauft, und mit ängstlicher Sorgfalt wird darauf geachtet, dass sie genau passen, denn der Tote soll doch bei seinen Erdenwanderungen in ihnen fest auftreten können. Verliert aber der Tote bei seinen Gängen einen Schuh, so stirbt ihm bald einer aus seiner Familie nach. Das Hemd freilich darf nur bis zu den Waden reichen, damit sich sein Träger darin nicht 'verzappelt'. Auch das für eine weibliche Leiche bestimmte Kleid wird aufgenäht, wenn es zu lang ist, um der Toten bei der Wanderung nicht hinderlich zu sein. An dem Nähmaterial aber darf kein Knoten sein, weil dieser die Ruhe des Toten beeinträchtigen würde

ebenso wie Tränen, die etwa auf seinen Körper, auf sein Gewand oder in

seinen Sarg fallen. Dem Totenhemd übrigens wurden allerlei Heilkräfte zu- geschrieben. Insbesondere sollten Feuermale, von ihm berührt, verschwinden. Das Berühren der grossen Zehe des Verstorbenen sollte gegen übergrosse Toten- furcht schützen."

Soweit meine Gewährsleute. Die 'Gebildeten' freilich wissen auch bei uns von alledem nichts.

Osterode in Ostpreussen. Emil Schnippel.

Karfreitagsglocken und damit Zusammenliäiigeiides.

Zu R. Andrees Aufsatz 'Ratschen, Klappern und das Verstummen der Karfreitagsglocken' (oben S. 250) kann ich vorwiegend aus dem nördlichen Teile Badens folgende Sagen und Gebräuche anführen:

1. Die Glocken werden nicht nach Rom, sondern nach Speier wandernd gedacht (Gegend von Wiesloch). 2. Sie wandern nach Rom, wo sie Kaffee trinken (Bruchsal). 3. Sie gehen nach Rom, um dort vom Papste wieder geweiht zu werden. Nach einer anderen Sage befinden sie sich in einem benach- barten Wald, wo sie hoch oben an den Bäumen hängen. Die Ersatzglocken heissen hier 'Klappern' (Waibstadt). 4. Die Ersatzglocken heissen 'Karren'; dazu auch das Verbum 'karre' (Herbolzheim). 5. Die Ersatzglocken und das Klappern mit denselben heisst 'Dofle' (Oberbaibach). G. Die Glocken fliegen am Grün- donnerstag nach dem Gloria über den Rhein. Sie werden ersetzt durch die

1) Frl. Witt fügt hinzu: „Ich wohne hier (in Königsberg) zusammen mit einer TGjährigeD, aus dem Samlande stammenden Tante. In der Silvesternacht lässt sie (und ich mag sie darin nicht stören) in unserer besten Stube die Lampen die ganze Nacht hindurch brennen; an den stark geheizten Ofen stellt sie einen Stuhl, damit die Toten, die nach dem Volksglauben in dieser Nacht die Runde bei den Verwandten machen, ihre erstarrten Glieder zur weiteren Wanderung an dem warmen Ofen geschmeidig machen können."

Kleine Mitteilungen. 399

'Klappern'. Am Karfreitag laufen die sog. 'Karrbuben' im Dorfe herum und sagen folgenden Spruch: ^Karre, Karre, Hutzel raus, | Schickt den Marder ins flühner- haus." Am Morgen dieses Tages, gegen 4 Uhr, wird von ihnen das 'Ave Maria' gesungen. Gegen 6 Uhr wird das sog. 'Osterfeuer' angezündet, zu dem tags vorher alte Kreuze und Kränze aus dem Kirchhof geholt werden. Ein jeder der Buben legt in dieses Feuer einen Pfahl, den er ankohlen lässt. Der Pfahl wird während des ganzen Jahres im Keller, Speicher oder Stall aufbewahrt. Er schützt das Haus gegen Feuer oder sonstiges Unglück (Malschenberg bei Heidelberg). 7. Wenn die Glocken von Rom mit herrlicherem Geläute zurückkehren, schütteln die Kinder die Bäume. Sie glauben dadurch einen reichen Obstertrag zu erwirken. Die Ersatzglocken heissen 'Retze(n)'; ebenso das Verbum. Am Karsamstag holen die Ministranten, von Haus zu Haus gehend, Ostergeschenke. Dabei singen sie folgendes Lied:

Wir haben geklappert zum heiligen Grab Gebt's uns Eier, Gottes Gabi Nicht so klein, nicht so gross, Dass das Körblein niclit zerstoss! Glück in Haus, Unglück naus, Sechzig Eier müssen raus, Suuscht schicke mer de Marder ins Hühnerhaus.

Variante: Wir haben gehütet das heilige Grab Und bitten um eine Ostergab' .... (Rauenberg b. Heidelberg).

8. Die Glocken gehen nach Rom, werden dort geweiht und erhalten wieder schöneren Klang. Nicht der 'Judas' wird am Karsamstag verbrannt, sondern der 'ewige Jude' (Schwarzach b. Rastatt).

Rastatt. Otto Heilig.

Der Pflngstquak in der Saargegend.

Ein heutzutage nahezu verschwundener Gebrauch ist das Pfingstquakreiten in der Saargegend, eine alte Volkssitte, die als Grundlage die Begrüssung des Frühlings hat'). In den Saarstädten selbst ist der Brauch schon lange ein- geschlafen, er hatte sich hier bis gegen die Mitte des 19. Jahrhunderts gehalten, und zwar in der Weise, dass die Quock oder Quackritter, verkleidete junge Leute, von Haus zu Haus zogen, um in herkömmlicher Weise Eier zu fordern. In den Dörfern haben sich hie und da noch Reste erhalten; in Dud Weiler ritten die jungen Burschen mit Bändern geschmückt durch den Ort und sammelten Eier, Butter, Speck und Mehl ein, die dann als Picknick verwandt wurden, dabei war dann folgender Gesang üblich, wie man ihn jetzt wohl noch von Kindern am ersten Pfingsttag hören kann:

Quock, Quock, Quock, Eier, Butter, Mehl unn Speck Ehnder gehn ich net vor der Dier ewegg Oder der Bese muss met.

1) [Vgl. Mannhardt, Wald- und Feldkulte 1, 355. Kück-Sohnrey, Feste und Spiele 1909 8.122. Oben 12, 425 (Nahetal). Becker, Hess. Bl. f. Volkskunde 6, 170 f. Weinhold, oben 3, 10 deutet das Wort als Ptiugstfroscb.]

^.QQ Lohmeyer, Mangler:

In Waldhambach bei Diemeringen zogen noch 1860 kleine mit Blumen bekränzte Jungen von Haus zu Haus mit einem Korb, um die gesammelten Gaben darin unterzubringen; dabei sangen sie:

Do klimme die arme Pingstenknecht, Gehn mer all mituander

Sie hätte gäre das Pingstenrecht, For der Dier ewegg.

An Ei odder zwei Eier eraus, Budder eraus,

Odder e Stickel Speck; Sitzt e scheni Jungfer im HausI

In Hirzweiler, einem kleinen Dörfchen eine Stunde von Ottweiler, wurde der Quack noch um 1878 geritten: Auf Ackergäulen ritten je zwei Burschen hintereinander durch das Dorf. Der Vorreiter trug den Quack, ein mit Bändern geschmücktes Birkenbäurachen. Vor jedem Hause wurde zwei- bis dreimal die Runde gemacht und 'Quackauf' gerufen. Am Nachmittage sammelten die Burschen bei Leuten, wo sie den Quack geritten, Eier, Speck usw. ein, die dann abends in der Dorfschenke verzehrt wurden. In der Stadt Ottweiler wurde zu Pfingsten und am 1. Mai ein mit blühendem Ginster geschmückter Mann auf einem Pferde, von einer zahlreichen Kinderschar umgeben, durch die Stadt geführt und dabei von Zeit zu Zeit 'Quackauf gerufen. In Fechingen, Bischmisheim, Güdingen, Brebach, Scheidt gab es bis weit ins 19. Jahrhundert Quacken zu Fuss und zu Pferd; erstere waren Kinder, letztere junge grössere Burschen, eine Schar von 10 bis 20 Reihen. Die Hauptperson war der eigentliche Quack, der gewöhnlich mit Blumen und Laubw^erk gänzlich unkenntlich gemacht war. So zog die Schar vor jedes Haus und rief davor aus:

Quack, Quack, Sieben sind gesotten,

Sieben Eier sind gebackt, Der Quack ist wohl nicht gerothen.

Hierauf sammelte man Eier, Butter, Mehl, Milch und Salz, und davon wurden in einem bestimmten Hause Pfingst-Pfannenkuchen gebacken.

Einst wagten sich einige 20 Fechinger Pfingstreiter in die Stadt St. Johann hinein, wurden aber von der Polizei schleunigst zurückgewiesen.

In dem Saarbrücken benachbarten, schon im Pfälzischen gelegenen St. Ingbert hatte sich der Brauch noch längere Zeit gehalten, er war dort bis vor wenigen Jahren üblich und mag auch noch vereinzelt vorkommen. In aller Stille wurde vor dem Feste ein in frischem Laube prangender Birkenbaum im Walde gehauen, heimlich nach Hause gebracht und versteckt gehalten. Ein niederer, flacher, zweiräderiger Karren stand dann bereit, über den sich bald durch der Burschen fleissige Hände eine Tannen- und Birkenlaube wölbte, so dass sein Inneres dem neugierigen Auge verborgen blieb. In der Mitte des Karrens erhob sich hoch über das andere Grün der weisse Birkenstamm, dessen Krone mit bunten Bändern und Blumen geziert war. Hierbei waren hauptsächlich die jungen Arbeiter des St. Ingberter Eisenwerks tätig. Am Pfingstmontage nun zwischen 5 und G Uhr erschallten plötzlich langgezogene Töne, und der von Burschen gezogene grüne "Wagen hielt seinen Einzug im Städtchen, durch das er in aller Eile durchraste, unter Durchfahren aller Gässchen, in denen das Gefährt wenden konnte; denn je schneller und knapper letzteres ausgeführt wurde, desto grösser war die Befriedigung der Teilnehmer; dabei knallte ein auf dem Wagen befindlicher Bursche fortwährend mit der Peitsche, und auch aus dem Innern des Wagens erschallten die langgezogenen Töne, und unzählige Kinder und auch Er- wachsene folgten dem Gefährt. Alle, gross und klein, riefen fortdauernd: „Quack,

Kleine Mitteilungen. 401

Quack". AVar nun die Rundfahrt beendet, so gingen die 'Quackbuben' in die Häuser, um wieder Eier und auch Geld einzusammeln. Einer, der Mohr, der im Gesichte gehörig angeschwärzt war, sagte an der Haustür dieses Sprüchlein:

Dominus hallelujahl Holb Ei, gonz Ei,

Krie mer ebbes, Holbe Dohler, gonze Dohler.

Krie mer olle Johr ebbes.

Die empfangenen Gaben wurden dann teils zur Deckung der Auslagen ver- wandt, während der Rest zur Veranstaltung eines vergnügten Nachmittags diente. Der Quack aber, also die Birke, wurde hoch auf dem ßrunnenhause angebracht^).

In Ettingen bei Saargemünd wird noch am Pfingstsonntag ein ganz in Gras eingewickelter Knabe von Haus zu Haus getragen; er heisst dort Neschkwack, und die Kinder singen:

Nesch Kwack, Nesch Kwack, Sin gerot, sin gesot,

Siwe Eier sin geback, Sin dem Häre wohlgerot.

In demselben Orte wird auch noch am Vorabend vor Ostern ein Lied ge- sungen im Reste des Pfingstquaks stecken:

Kwick, Kwack, Kwick, Kwack, Oder e Stick Speck,

Morje frih isch Oschtersuuda. Oder geh mer heit de Da

E Dutzert Eier oder zwen Nit von der Dür eweck-).

Saarbrücken. Karl Lohmever.

Zwei geistliche Lieder aus dem Odenwalde.

Die beiden folgenden Lieder hörte ich als Kind häufig von der jetzt 60jährigen Frau eines Waldhüters in Buchen im badischen Odenwalde singen. Sie hat sie, wie sie sagt, in der Strickschule von der Lehrerin gelernt, die ein Buch mit mehreren derartigen Liedern besass.

I. Sankt Katharina.

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1. Hei-lig Ka - thri - na ging ü - ber das Land, da be - g^g - net ihr ein

:Eiqz=iq=z-i=H=

heid-ui-scherMann,da be- geg - net ihr ein heid - ni - scher Mann.

2. „Heilig Kathrina, willst werden mein 3. 'Ein heidnischen Mann mag ich nicht

Weib, haben,

So will ich dir geben Land und Leut." Ein heidnisches Weib mag ich nicht sein.'

1) Vgl. Niesseu, Sagen und Geschichten des Saartals 1900 S. 135.

2) Follmann. Wörterbuch der deutsch-lothringischen Mundart li)00 S. 382.

Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1910. Heft 4. 26

402 Maugler:

4. Da fasste der König ein grimmigen 13. Und als die vierzehn Jahr um waren,

Zorn Der König zu ihr hineine kam.

Und hatte Kathrina ja nimmer verschont.

14. „Heilig Kathrina, wer hat dich er-

5. Er sperrt sie ein sieben Jahre nährt,

lang, Dass dich die Würmer nicht haben ver-

Keine menschliche Speise genoss sie zehrt?"

dann.

15. 'Mich hat ernährt ein heiliger Mann, G. Und als die sieben Jahr um waren, Mit Namen Jesus mein Bräutigam.'

Der König zu ihr hineine kam.

16. „Heilig Kathrina, willst werden mein

7. „Heilig Kathrina, wer hat dich er- Weib,

nährt, So will ich dir geben Königreich."

Dass dich die Würmer nicht haben ver- zehrt?'- 17. Ein heidnischen Mann mag ich nicht

haben,

8. 'Mich hat ernährt ein heiliger Mann, Ein heidnisches Weib mag ich nicht sein. Mit Namen Jesus, mein Bräutigam.'

18. Er Hess ihr macheu ein Eädelein

9. „Heilig Kathrina, willst werden mein Von siebenundsiebzig Messerlein.

Weib, So will ich dir geben Königreich." 19. Er Hess das Rad herumetreiben,

Der heilig Kathrina ihm l.eib zerschneiden.

10. 'Ein heidnischen Mann mag ich nicht

haben, 20. Und wo ein Tröpflein Blut hinsprang»

Ein heidnisches Weib mag ich nicht sein.' Da stand eine Kerze schneeweiss und

brannt.

11. Da fasste der König ein grimmigen

Zorn 21. Und wo der heilig Kathrina ihr Haupt

Und hatte Kathrina ja nimmer verschont. hinsprang.

Da stand ein Engel schneeweiss und sang.

12. Er sperrt sie ein vierzehn Jahre

lang, 22. Und wer dies Lied alle Freitag

Keine menschliche Speise genoss sie singt,

dann. Der wird sein Lohn im Himmelreich linden.

Das gleiche Lied mit grösseren und kleineren Abweichungen steht bei Erk- Böhme, Liederhort Nr. 2116. Unsre Fassung unterscheidet sich vor allem durch die Anfangsverse, die in einer Reihe von Segen wiederkehren. Siehe A. Kuhn, Sagen aus Westfalen (1856) 2, 201 Nr. 566: Unser Herrgott und St. Peter gingen über Land, | Da fanden sie nichts als Feuer und Brand im Sand. Nr. 576: Unsre liebe Frau Mutter ging über Land, | Da fand sie einen Baum, der brannt'. J. ^y. Wolf, Beiträge zur deutschen Mythologie 1, 254 (1852): Die heiligen drei Könige gingen über das Feld, | do mutten ihnen Alfmedi, Alfinne. S. 259: 0ns liewe ATOUwken ging over het land | zonder stok of steen in de hand, daer kwam hacr teegen een kwade hond. Mehrfache Übereinstimmungen zeigen auch die Nummern 2117—2119 bei Erk-Böhme. [Hess. Blätter f. Volks- kunde 9, 118.]

[Über die Legende vgl. Knust, Geschichte der Legenden der h. Katharina von Alexandrien und der h. Maria Aegyptiaca 1890; H. Varnhagen, Zur Geschichte der Legende der Katharina von Alexandrien 1891; Magnanelli, Canti narrativi religiös! del popolo italiano 1, 103 (1909); Melusine 1, 508; Grundtvig, Danmarks gamle folkeviser 2, 543 nr. lOl; Geijer-Afzelius, Svenska folkvisor - nr. 3.]

Kleine Mitteilungen.

403

2. Die arme Seele.

Es warn ein - mal zwei ar -

-I A-ia naiu. mu - uiai i«ci d.1 - mC

die woll - ten ja bei Gott ein

Seein, kehrn,

die woll- ten ja bei

E^-IEE^klzE^El

Gott ein - kehrn, die woll - ten ja bei Gott ein - kehrn.

2. Und als sie kamen vor die Himmelstür, 9. 'Eine arme Seel und unsre liebe Frau,

Sprach Peterus: „AlVer ist dafür?"

3. 'Zwei arme Seelen stehn vor der Tür, Sie wollen ja bei Gott einkehrn.'

4. „Die eine soll hereine gehn. Die andre soll bleiben draussen stehn.

ö. ..Die soll gehn den breiten Weg, Allwo "s in die bittere HöU ueiugeht.''

Sie wollen ja bei Gott einkehrn.'

10. ,,Unsre liebe Frau soll hereine gehn, Die arme Seel soll bleiben draussen stehn.

11. „Die soll gehn den breiten Weg, Allwo "s in die bittere Höll npingeht."

12. '.Ja lieber als die Seel fortgeht. Ja lieber will ich selbst fortgfehn.'

G. Und als sie ging den breiten Weg, Da begegnet ihr unsre liebe Frau.

7. „Ei arme Seel, geh du mit mir, Geh du mit mir vor die Himmelstürl''

8. Und als sie kamen vor die Himmelstür, Sprach Peterus: „Wer ist dafür?"

13. „Was hat sie dir denn guts getan, Dass du für sie willst selbst fortgehn?"

14. 'Sie hat mir alle Samstag Nacht Zwei Kerzlein in die Kirch gebracht.'

15. „Und weil sie dir hat das getan.

So soll sie sitzen auf dem höchsten Thron."

Das zweite Lied entspricht der Nr. 217a bei Erk- Böhme: „Zwei Schwestern starben an einem Tag" [Marriage, VI. aus der badischen Pfalz nr. 15]. Während aber dort die Sünde, derenwegen Petrus der Seele den Eintritt in den Himmel weigert, in einem Reigentänzchen zu jeder Samstag- Nacht besteht und das Wort Marias genügt, sie in die Seligkeit einzuführen, liegt hier das Hauptgewicht nicht auf der Sünde, sondern auf dem Verdienst, das sie trotz anfänglicher Zurück- weisung in den Himmel führt; jene Verse wurden also versetzt und für den neuen Zweck geändert. Sicher ist das eine bewusste Änderung in kirchlichem Sinne. Vgl. auch Erk-Böhme Nr. 218 (Drei Schwestern), 2031 39 (Die arme Seele), 2070—71 (Unerschöpfliche Gnade).

Die gleiche Frau pflegte auch die Legende von der heiligen Ottilia zu singen in der Fassung wie Erk-Böhme Nr. 2113. Doch fehlten einige Strophen.

Buchen, Baden. Lina Mungler.

26"

404

Bolte:

Bericlite und Bücheranzeisen.

Neuere Arbeiten über das deutsche Yolkslied^).

Unter den der Volksdichtung;^ zugewendeten Untersuchungen von allgemeinere Bedeutung verdient die neue Auflage von Büchers 'Arbeit und Rhythmus', die oben S. 232 kurz gewürdigt wurde, den ersten Platz. Der zweite gebührt einem Buche von Daur-) über die formelhaften Ausdrücke des deutschen Volksliedes im 15, und 16. Jahrh. Dass das Volkslied dieser Zeit gleich dem mhd. Spielmannsepos durchweg mit typischen, festgeprägten Ausdrucksformen arbeitet, dass der Volksdichter im Geo-ensatz zum Kunstdichter nicht bewusst nach selbständiger Gestaltung des Ausdrucks strebt und dass Äusserungen eines besonders gearteten Geistes in Kunst- liedern vom singenden Volke entfernt werden, ist eine öfter gemachte Beobachtung, die aber von D. hier mit Energie weiter verfolgt wird. Trotz solcher Beschränkung entstanden in jener Zeit dort, wo ein zartes und reiches dichterisches Gefühl lebte, Lieder, die uns noch heut entzücken; ja es bildete sich, weil das Volkslied mit einem Bestände fester Formeln wirtschaftete, die der Schmiegsamkeit ent- behren, joner springende, durch Verschweigen wirkende Balladenstil; mit der Ab- nahme des lyrischen Vermögens in der zweiten Hälfte des 16. Jahrh. führte diese Technik zu einem leeren Spiel mit Worten. D. scheidet epische und lyrische Formeln; jene betreffen äussere Vorgänge (Menschen, Ort, Zeit, Handlung), diese Gefühle (Liebesversicherung, Bitte, Klage, Abschied). Die typischen Formeln er- scheinen besonders im Eingange, auch als 'Gerippformeln' mit einem variablen Teile (In braun [grün, schwarz] will ich mich kleiden), und im Schluss (Wer ist, der uns das Liedlein sang'?), Reimbänder werden zu Motivbändern, die neue Strophe nimmt einen Ausdruck der vorigen auf usw. Diese durch zahlreiche Be- lege gestützten Darlegungen werden ergänzt durch die Betrachtung einzelner Lieder, die mehrere Strophen mit andern gemeinsam haben oder die ganz aus formelhaften Versen komponiert sind. Eine gewisse Einseitigkeit des Vf. liegt auf der Hand; denn jene Formeln haben doch nicht von Anfang fertig und bereit dao-eleo-en, sondern sind zu irgend einer Zeit für einen bestimmten Zusammen- hang geschaffen worden. Aber absichtlich lässt D. den Ursprung bestimmter Verse und Strophen, den E. v. d. Recke für die dänischen Kärapeviser (oben 17, 209) festzustellen suchte, beiseite und beschäftigt sich nur mit ihrer Art und Ver- wendung. Obwohl die Formulierung seiner Gedanken bisweilen umständlich und schwerfällig wirkt und die Variantensammlungen von A. Kopp und E. Marriage öfter hätten herangezogen werden können, begrüssen wir seine gründliche und ertragreiche Arbeit mit Dank. Mühsame und solide Detailforschung zeichnet auch Hennig s^) Buch über die geistliche Kontrafaktur aus. Die Sitte, beliebte welt-

1) Vgl. unsern letzton Bericht oben 19, 219—234 und die Abteilung 17 (Volks- dichtung) im Jahresbericht über germanische Philologie 1909 (Leipzig, Rcisland).

2) A. Daur, Das alte deutsche Volkslied nach seinen festen Ausdrucksformen be- trachtet. Leipzig, Quelle u. Meyer 1909. VII, 200 S. (i Mk.

3) K. Hennig, Die geistliche Kontvafaktiir im Jahrhundert der Reformation, ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Volks- und Kirchenliedes im IG. Jahrh. Halle,

Berichte und Bücheranzeigen. 405

liehe Lieder durch geistliche ümdichtungen zu verdrängen, lässt sich vom 14. bis ins 18. Jahrh. in Deutschland nachweisen; besonders stark trat sie in der Reformationszeit hervor, wo Katholiken, Lutheraner, Reformierte, Wiedertäufer und böhmische Brüder darin miteinander wetteiferten. Wenn damals Triller, Knaust, Yespasius, Winnenberg ganze Serien dieser Art herausgaben, so mag auch der Mangel an geistlichen Melodien dazu mitgewirkt haben. Nicht weniger als oOO Nummern aus dem IG. Jahrh. zählt H. auf, die entweder vollständige oder teilweise Parodien weltlicher Lieder sind, vergleicht sie mit ihren Vorbildern und charakterisiert die Umbildung der Motive (Wächterlied, Liebesverhältnis, Klage, Jahreszeiten usw.) und die technische Verwertung derselben, der Eingangsworte und Reime. Für das Alter, die Beliebtheit, die Weise und selbst für den Text vieler Volkslieder liefern diese Kontrafakta brauchbare Zeugnisse. Wünschenswert wäre nur, dass H. ausser dem alphabetischen Register der geistlichen Parodien noch ein Verzeichnis der weltlichen Lieder und der geistlichen Umdichter gegeben hätte. Allgemeineren Interesses ist die umfängliche Untersuchung sicher, die ßode*) den Vorlagen zu 'Des Knaben Wunderhorn' gewidmet hat. Denn obschon Rieser vor kurzer Zeit (oben 19, 224) dasselbe Thema in einem fleissigen Buche bearbeitet hat, so ist B. dadurch, dass er Arnims hsl. Nachlass in Erks treuen Kopien benutzen konnte, und durch intensivere Studien zu weit bedeutenderen Ergebnissen gelangt. Er untersucht 1. die Entstehung der Sammlung und ihre Wirkung, 2. die benutzten Quellen, 3. die Bearbeitung der Vorlagen. Hier scheidet er nach dem Grade der vorgenommenen Änderungen fünf Typen: unveränderten Abdruck: Modernisierung von Sprache, Dialekt und Metrum; Änderungen, Kürzungen und Zusätze; Ümdichtungen und endlich eigne Dichtungen. Scharfsinnig sondert er den Anteil beider Freunde, Brentanos, der den Stoff lieferte und bei seinen Änderungen schonend verfuhr, und Arnims, der, um die Kluft zwischen den Ge- bildeten und dem Volke zu überbrücken und den vaterländischen Sinn zu wecken, nicht vor weiteren Ausführungen einer kargen Überlieferung und Zudichtungen zurückscheute. Die Untersuchung ist aber nicht bloss eine geschmackvolle Charakteristik und ein förderlicher Beitrag zur Geschichte des Volksliedstudiums, sondern auch reich an positiven Ermittlungen über die Texte und Quellen aller im Wunderhorn enthaltenen Volkslieder. Eine Liedergruppe, auf die schon Pfannenschmid in seinen Germanischen Erntefesten hingewiesen hatte, wird durch Jürgensen-) in helleres Licht gesetzt: die Gesänge, mit denen im nieder- ländischen Sprachgebiet und in Nordwestdeutschland die Kinder am 11. November und am Abend vorher Gaben heischend umherziehen. Aus der gedruckten Literatur bringt J. 102 solcher Martinslieder zusammen, die mit der im Mittel- alter aus Prankreich herübergekommenen Verehrung des h. Martin zusammen- hängen, aber auch Züge aus den Weihnachts- und Neujahrsversen aufgenommen haben, wozu der Abschluss des bäuerlichen Wirtschaftsjahres und die Ähnlichkeit des mildtätigen Bischofs mit St. Nicolaus (auf protestantischem Gebiete mit Martin Luther!) Anlass jjab. Dass das Martinsfeuer, für das die Kinder sich wie

Niemeyer 1909. XI, 322 S. 8 Mk. Vgl. zu S. (j (Ich weiss mir ein Blümlein^ Zs. f. vgl. Litgesch. :3, 285. 2il2. 10 (Narrenkappe^ Wickram, Werke ö, XCIII. 10 (Mag ich Unglück) Zs. f. dtsch. Alt. oö, 435. 56 (Susanna Avilt du mit) oben 12, 101. Ferner Zs. f. d. Phil. 21, 145 (Anna von Köln) und 22, lOO (Anialia von Cleve).

1) K. Bode, Die Bearbeitun«; der Vorlagen in des Knaben Wunderhorn, Berlin, Mayer & Müller 1909. IV, 807 S. 20 Mk. (= Palaestra TG).

2) W. Jürgensen, Martinslieder, Untersuchung und Texte. Breslau, Marcus 1910. VI, 174 S. 5,G0 Mk. (Wort und Brauch hsg. von Th. Siebs und M. Hippe G).

406

Bolte:

bei andern Festen (oben 5, 420) Brennholz erbitten, ursprünglich wohl einem Reinigungszauber (S. :i3) diente, kann man dem Vf. zugestehen; weniger w^ahr- scheinlich ist mir, dass der herumgeführte Martinsvogel einst die Seele des Heiligen bedeuten sollte (S. 41) und dass die Verbindung Martins mit der Gans nicht aus der in den November fallenden Schlachtzeit dieses Tieres, sondern aus dem altrömischen Kultus des Mars (S. 69) herzuleiten ist. Die angehängten 28 Gesellschaftslieder des 15. bis 17. Jahrb., welche Martin als Spender des Weins und des Gänse- bratens preisen, berühren sich mit jenen Kinderversen natürlich nur flüchtig.

Unter den Textpublikationen aus älterer Zeit erwähne ich neben Schmidts^) Abdruck einiger Inedita die Beschreibung, die Williams^) von zwei im Vatikan aufbewahrten Liederbüchern (Prankfurt, Basseus 158(». Collen, H. Nettessera o. J.) liefert, und Blümmls^) Inhaltsübersicht über zwei von Leipziger Studenten angefertigte Liederhandschriften des 17. Jahrh. Die erste l<it)9 von Christian Clodius zusammengeschriebene und jetzt in Berlin befindliche Hs. enthält 109 Nummern mit Melodien von Ad. Krieger, H. Albert, M. Colerus u. a. und war in musikalischer Hinsicht bereits 1891 von Niessen ausgebeutet worden; die andre minder umfangreiche, die 1683—95 von drei verschiedenen ungenannten Besitzern gefüllt wurde (Wiener Hs. 13 287), wurde 1887 von Creizenach in die Erörterungen über Chr. Reuters literarische Tätigkeit hineingezogen. Den Haupt- inhalt bilden natürlich Trink- und Liebeslieder zahmer und derbster Art, daneben einige historische und Gelegenheitsgedichte, sowie ein paar Stücke in meissnischem und schlesischem Dialekt. Der Herausgeber hat einen sachkundigen Kommentar und den Abdruck der wichtigeren Nummern beigefügt. Auch die für das Gesellschaftslied des 18. Jahrh. so wichtige Leipziger Sammlung von Sperontes (J. S. Scholze 1736—45) hat in den Denkmälern deutscher Tonkunst ihre Auf- erstehung gefeiert*). August Hartmann^) hat dem oben 19, 224 erwähnten ersten Bande seiner verdienstlichen Sammlung historischer Volkslieder eine bis 1750 reichende Portsetzung (Nr. 97—181) folgen lassen, die wiederum viele un- bekannte süddeutsche Stücke bringt, wenn auch der poetische Wert durchgängig nicht sehr hoch ist. Die meisten Lieder, Sprüche und Dialoge betreffen die Raubkriege Ludwigs XIV., den spanischen Erbfolgekrieg und die Salzburger Exulanten, unter deren Liedern sich auch eine Wiedertäuferdichtung des 16. Jahrh. fortgepflanzt hat (S. 271). Leider fehlen auch in diesem Bande Überschriften und Kolumnentitel, dagegen erfreuen wiederum die saubre Text- und Dialektbehandlung und die ausführlichen sachlichen und sprachlichen Erläuterungen, die zu der Sorglosigkeit v. Ditfurths einen wohltuenden Gegensatz bilden. Auffällig häufig erscheint die Form des mundartlichen Bauerngespräches; zu dem gebrochenen Deutsch der Franzosen auf S. 155 vgl. oben 19, 190; zur Breisacher Buhlschaft S. 41 R.Köhler, Kl. Schriften 3, 397; zum steirischen Raufjodel S. 325 oben 4, 335.

1) Ulrich Schmidt, Volkslieder (Walhalla 5, 17G-18S).

2) Ch. A. Williams, Zwei deutsche Liederbücher des 16. Jahrh. (Journal of english and germanic philology 8, 489-500).

15) E. K. Blümml, Zwei Leipziger Liederhandschriften des 17. Jahrh., als Beitrag zur Kenntnis des deutschen Volks- und Studentenliedes hsg. Leipzig, E. Avenarius 191t I. XXIII, 117 S. (TeutoDia 10).

4) Sperontes Singende Muse an der Pleisse, hsg. von E. Buhle. Leipzig, Breit- kopf und Härtel 1909. XLV, 242 S. fol.

5) Aug. Hartmann, Historische Volkslieder und Zeitgedichte vom IG. bis 19. Jahr- hundert, gesammelt und erläutert, 2. Bd. Von Mitte des 17. bis zu der des 18. Jahr- hunderts. Münclien, Beck 1910. IV, 355 S. 12 Mk.

Berichte und Bücheranzeigen. 407

Gar nicht berücksichtigt hat H. die historischen Lieder des wackren bayrischen Chorherrn J. A. Poyssl (IG'22 bis nach 1690), mit dessen Lebensumständen und dichterischem Nachlass sich Rolte^) beschäftigt. Die ausgezeichnete Sammlung der politischen Lyrik Österreichs im Kriegsjahre 1809 von R. Arnold und K. Wagner haben wir bereits oben S. 344 unsern Lesern vorgestellt. Einen mehr populären Zweck verfolgt Glock^) in seinen badischen Rriegsliedern des 19. Jahrb., von denen er nicht weniger als 233 Nummern aus hsl. und mündlicher Überlieferung zusammengebracht hat: Napoleonslieder aus der Rheinbundzeit, Dichtungen aus den Befreiungskriegen, der badischen Revolution, den Kriegen von 1864, 1866 und LsTO, auch einen Widerhall der Einigung Deutschlands aus Deutsch-Amerika. Hübsch erläutert er in der Einleitung die zeitgeschichtlichen Beziehungen, ohne doch gebührend auf den ausserbadischen Ursprung so vieler Lieder aufmerksam zu machen; namenlos marschieren da Dichtungen von Schubart, Schenkendorf, Zedlitz, Holtei, Mosen u. a. auf, selbst bei der Wacht am Rhein, beim Kutschkelied, bei 'König Wilhelm sass ganz heiter' wird kein Verfasser genannt. Hier hätte der Sammler sich der bequemen Führung Hoifmann-Prahls und John Meiers anvertrauen sollen. Drei Lieder auf den bei Quatrebras ge- fallenen 'Herzog Oels', dazu das alte niederdeutsche 'Bronsewyk du leiwe Stadt' und die 1871 von Rossmann gedichtete 'Treue Rieke' vereinigte Hassebrauk^) zu einem allerliebst ausgestatteten Hefte. Zu einem früher von R. M. Werner behandelten Thema 'Das Vaterunser als politisches Kampfmittel' lieferte G. Mehring (oben 19, 129 142) willkommene Nachträge; politische Satiren aus der Zeit des spanischen Erbfolgekrieges zogen P. Beck (oben 19, 186 190) und Bolte (ebd. 190 194) hervor. Als Quelle des neuerdings vielgesungenen Soldatenliedes 'An der Weichsel gegen Osten' wiesen R. Bartolomäus und A. Simon (oben 19, 314—316. -421 423. 20, 210—213) eine 1831 verfasste polnische Dichtung von F. Kowalski nach. Für die Ballade von der erstochenen Geliebten (Erk-Böhme Nr. 52) ermittelte John Meier*) durch methodische Vergleichung von 50 Auf- zeichnungen die ursprüngliche Gestalt (9 X 8 V.), eine von einem österreichischen Bänkelsänger verfasste katholische Legende, aus der die kürzeren Passungen unter Veränderung der Motive geflossen sind.

Auch die Erforschung des noch lebenden Volksliedes hat nicht gerastet. Aus Österreich haben wir, abgesehen von dem S. 291 erwähnten Neudrucke von Meinerts Sammlung und kleineren Arbeiten von Dörler (oben S. 36 44. 306 bis 317) und Webinger (oben 19, 96 101), eine interessante Veröffentlichung Pommers^) zu verzeichnen, die von dem Tiroler Bauern Blattl zu St. Johann

1) J. Bolte, Drei Gedichte von Johann Albert Poyssl (Archiv f. neuere Spr. 122, 225-245).

2) J. Ph. Glock, Badischer Liederhort I.Band: üie historischen Volkslieder des Grossherzogtums Baden, insbesondere die Kriegslieder der badischen Truppen in den Feldzügen des 19. Jahrh. Karlsruhe, G. Braun 1910. XII, 279 S. k. 1,50 Mk. - Doubletten sind Nr. 15 und 49, 18 und 20, 123 und 131.

3) G. Hassebrauk, Altbraunschweigische Volk- und Soldatenlieder, mit Bildern von H. F. Hartmann und Noten von A. Kurzrock nebst einer geschichtlichen Einleitung. Braunschweig, Ramdohr [1909]. 7 Bl. fol. 1,25 Mk.

4) John Meier, Geschichte eines modernen Volksliedes (Schweizerisches Archiv f. Volkskunde 13, 241—270). Leichtherzige Unkenntnis der Literatur zeigt sich in den Konstruktionen von Liesenfeld über das gleiche Lied (Zs. f. rhein. Vk. G, 124—127).

5) Blattl -Lieder, nach Wort und Weise verfasst von dem Tiroler Bauerndichter Christian Blattl (1805— 18G5) mit einem Anhang: Blattls Lieblingslioder fremden Ur- sprungs, bearbeitet von J. Pommer. Wien, Robitschek 1910. XIX, 221 S. 5 Kr.

408 Bolte:

verfassten und komponierten Gesänge, welche P. aus dem Munde von Blattls blinder Tochter, die bei des Vaters Tode erst neun Jahre zählte, niederschrieb und dann vierstimmig harmonisierte. Diese Dichtungen behandeln teils im Dialekt das Leben des Bauern, Senners, Schützen, Fuhrmanns, teils im redseligen Bauern- hochdeutsch den Gegensatz von Arm und Reich, die Jahreszeiten, die Weihnachts- geschichte, die Heimatliebe und lassen bisweilen auch Einflüsse der Kunstpoesie erkennen (Cupido und der Schmied; Weint mit mir ihr stillen Haine; Das Jahr ist gut, braun Bier ist geraten); manche, wie die Betrachtung des Totenkopfes, haben sich weiter verbreitet. Sorgfältig hat P. solche anderweitigen Überlieferungen verglichen und von den 73 angeblichen Blattl-Liedern 15 als älteres Gut aus- geschieden, darunter z. B. die oben S. -ilO von Dörler mitgeteilten 'Zehn Alter des Menschen'. Die Schweiz hat uns zwei anmutige Bändchen von Grolimund*) und Wiederkehr^) beschert; der erste bietet in knapper Form 102 Balladen und Lieder aus dem Solothurnischen Schwarzbubenlando samt wertvollen literarischen Nachweisen J. Meiers über Texte und Melodien, während Wiederkehr durch eine gemeinverständliche Abhandlung über Form, Arten und Schicksale des Volksliedes das Interesse wecken und zur Sammlung anregen will und anhangsweise 32 Lieder mitteilt. Von der prächtigen Pfälzer Unternehmung von Heeger und Wüst^), die wir oben 19, 354 begrüssten, ist ein weiterer Band herausgekommen, der die Fortsetzung der Liebeslieder enthält. Die Nr. 158 b bis 378c entsprechen in ihrer Reihenfolge den Nummern 659—740 des Erk-Böhraeschen Liederhortes, dazwischen stehen aber noch viele andre Liebeslieder des 19. Jahrh. von bekannten und un- bekannten Verfassern mit Varianten, Melodien und Literaturangaben. So alt- väterische Lieder wie 'Zerdrück die Träne nicht' singt der Pfälzer noch heut. Wer sich ein wenig auf die vom Herausgeber sehr erleichterte Vergleichung der Texte einlässt, erstaunt über die Dauer im Wechsel dieser Lyrik; Wanderstrophen und Wandermotive kehren immer wieder und setzen sich kaleidoskopartig zu neuen Gebilden zusammen. Zu Nr. 356 vgl. Lewalter oben 20, 207; zu Nr. 372 oben 15, 264. In dem sangesfrohen Hessen hat Weber*) den gesamten Lieder- schatz des Dorfes Storndorf, Kr. Alsfeld samt den Weisen zum Drucke befördert, ein Unternehmen, das bisher nur Augusta Bender für das badische Dorf Ober- schefflenz durchgeführt hat; ausgeschlossen sind nur einige überall bekannte Soldatenlieder und ganz kürzlich zur Aufnahme gelangte Kunstlieder, die noch nicht im Munde des eigenmächtig ändernden Volkes ein volkstümliches Gepräge angenommen haben. Unter den 177 Nummern gewahren wir manche kaum be- kannte, z. B. ein Dreschmaschinerlied (Nr. 30), die Abzugslieder der Dienstboten am Schürztage, d. h. am dritten Weihnachtstage (z. B. 137: Von dir muß ich scheiden, prächtiges Berlin), die angehängten Triller, d. h. Refrains (Nr. 162 f.). Sehr nützlich sind die beigegebenen literarischen Nachweise; vgl. noch zu Nr. 16 (Im Manöver) oben 15, 99. 337. 16, 86; zu 42 (Die scheintote Geliebte) oben S. 373; zu 49 (Die Selbstmörderin) oben 11, 459, Jungbauer 1908 S. 89, E. John

1) S. Grolimund, Volkslieder aus dem Kanton Solothurn gesammelt und hsg. Basel 1910. VII, 111 S. 3 Fr. (Schriften der Schweizerischen Gesellschaft für Volks- kunde 7).

2) G. Wiederkehr, Das Volkslied, mit Beispielen aus dem Freiamte. Bern, A. Francke 1909. 92 S. 1,50 Mk.

3) G. Heeger und W. Wüst, Volkslieder aus der Rheinpfalz, mit Singweisen aus dem Volksmunde gesammelt, Bd. 2. Kaiserslautern, H. Kayser 1909. 318 S. geb. ."»,80 Mk.

4) Heinr. Weber, Die Storndorfer Volkslieder, der Liederschatz eines Vogelsberger Dorfes, gesammelt in den Jahren 1907 1909 (Hessische Blätter f. Volkskunde 9, 1—12.')).

Berichte und Bücherauzeigen. 409

1909 Xr. 98. Mitt. f. sächs. Volksk. 4, h)2, Aus dem Posener Lande 2, 7.") (1907), Mitt. der schles. Ges. '20, 90; zu 76 (Ach Annchen) oben 17, 207* (Blüraml, Erot. Volksl. S. 30). Die ganze Arbeit Webers kann als eine prompte Antwort auf einen Aufsatz Schultes^) angesehen werden, der zu rascher Bergung der Liederschätze des hessischen A'olkes auffordert. Das sächsische Erzgebirge, dem A. Müller 1883 eine kleine Liederlese entnahm, hat jetzt durch John-) eine weit stattlichere Vertretung erhalten. J. bietet uns i'15 Lieder mit den Melodien und mit Nach- weisen, zu denen J. Meier beigetragen hat, ferner 129 Tschumperlieder (Vier- zeiler) und 64 Spottreime auf einzelne Ortschaften. Wo die Mundart deutlicher zu spüren war, hat er sie sorgfältig wiedergegeben. Vgl. zu Nr. 24 (der Toten- kopf} Pommer, Blattl-Lieder 1910 Nr. 4; zu Nr. 83 Erk-Böhrae 1, 48; zu Nr. IdS Erk-Böhme 3, 1599; zu Nr. 108, Str. 1 Simrock, Gedichte 1863 S. 68 'Schnür dein Bündel'; zu Nr. 108a (der Heiratslustige) Treichel 1895 S. 81 und Kopp 1899 S. 147; zu Nr. 114 (der kleine Mann) Erk-Böhme 2, 895; zu Nr. 171 (Böttcherlied) oben 15, 172; zu Nr. 173 (Schlosserlied) Grübeis Gedichte; zu Nr. I!i8 (Morgen marschieren wir) Koffmann v. Fallerslebens Gedichte. S. 96 u. ö. w'ird Gassmann, Das Volkslied im Luzerner Wiggertal 1906 falsch zitiert. Eine erfreuliche Gabe aus Ostpreussen erhalten wir von Fräulein v. Batocki^): 30 Balladen und Liebes- lieder mit Melodien, zumeist ältere Volkspoesie, doch auch Dichtungen von Pfeffel (Nr. 6), Lossius (2), Chamisso (5), v. Zedlitz (21), Dreves (22), teilweise in der mündlichen Überlieferung umgemodelt, sowie das aus Kowalskis polnischem Originale verdeutschte Lied: 'An der Weichsel gegen Osten' (1).

Auf dem Gebiete des Kinderliedes sind zwei westdeutsche Sammlungen anzuführen, eine reichhaltige (407 Nr.) und gutgeordnete aus dem Hunsrück von Dillmann*), an der man wieder beobachten kann, wie sich Balladen der Er- wachsenen hier als dramatische Spiele fortpflanzen, und Schöns^) Saarbrücker Kinderreime und Spiele ohne Verstext, denen auch die bescheidenen Melodien und Versuche mythologischer Deutung beigegeben sind. Für den praktischen Gebrauch der Schulkinder haben zwei Lehrerinnen, Frl. Radczwill^) und Frl. G. Meyer'), zwei nette Büchlein verfasst, welche auf der volkskundlichen Forschung ruhend die alten Tanzspiele und Singtünze wieder zum Gemeingut der Jugend machen wollen. Beide beschreiben die Ausführung genau und fügen die Melodien hinzu; jene gruppiert 67 Spiele sorgsam nach Alter und Herkunft, so dass die platten Reime Fröbels und seiner Nachfolger für sich stehen, diese gibt 33 deutsche und schwedische Volkstänze mit Klavierbegleitung. Auf die kleineren, in Zeit- schriften verstreuten Beiträge zur Kunde des Volksliedes kann hier nicht ein- gegangen w'erden, nur Pommer s bis zum 12. Jahrgange gelangte Zeitschrift 'Das

1) 0. Schulte, Das Volkslied in Oberhessen. Giesson, R. Lange [19(t9|. 26 S.

2) E. H. H. John, Volkslieder und volkstümliche Lieder aus dem sächsischen Erz- gebirge, nach Wort and Weise aus dem Munde des Volkes gesammelt und mit literar- historischen Anmerkungen versehen. Annaberg, Graser 1909. 239 S. 4,80 Mk.

3) E. T. V. Batocki, V2 Schock alte ostpreussische Volkslieder, in Heuaust und Spinnstube gesammelt. Königsberg i. Fr., Ostpreussische Druckerei 191u. 8^1 S. 1.50 Mk.

4) J. Dillmann, Hunsrücker Kinderlieder und Kinderreime, gesammelt, geordnet und mit Anmerkungen versehen. Frankfurt a. M., A. Heil [1909]. VIII, 104 S. 1,25 Mk.

5) Fr. Schön, Kinderlieder und Kinderspiele des Saarbrücker Landes, zum prak- tischen Gebrauche hsg. und mit Anmerkungen versehen. Saarbrücken, C. Schmidtke 1909. 4Bk 129 S.

6) Minna Rade z will, Singspiele, im Auftrage des Ausschusses für Volksfeste verfasst. Leipzig, Teubuer 1908. VIII, 139 S. k. 1,10 Mk.

7) Gertrud Meyer, Volkstänze. Leipzig, Teubner U)09. IV, 50 S. k. 1,20 Mk.

410 Bolte, Polivka:

deutsche Volkslied' (Wien, Holder), das Organ des Wiener Volksgesangvereins, sei genannt. Pommer^) hat ferner zwei weitere Hefte ausgewählter Volkslieder in einfachem vierstimmigem Satze herausgegeben, die manchen Vereinen will- kommen sein werden. Gleich ihm legt der Münchner Peslmüller^) in seinem geschmackvoll ausgestatteten Hefte 'Aus entschwundenen Tagen' Nachdruck auf die Echtheit der dargebotenen deutschen und niederländischen Volkslieder älteren und neueren Datums, während die von Cornelius Schmitt besorgte Klavier- begleitung bei den Melodien des 16. Jahrh. keine moderne, sondern eine stil- gerechte Harmonisierung erstrebt. Nur für geniessende Liebhaber bestimmt ist die von Hesse, Lang und Strauss^) besorgte, feinsinnige und zierliche Lese von Texten, die ungleich dem Wunderhorn sogar Quellenangaben meidet. Ohne gelehrte Ansprüche, ja mit einem gewissen Gegensatze gegen die von den Literar- historikern gerühmten 'alten' Volkslieder stellt ein Wiener Anonymus^) 220 Volks- und volkstümliche Lieder des 18. bis 19. Jahrh. mit einstimmigen Weisen für gesellige Kreise zusammen, wobei er natürlich die in Österreich entstandenen bevorzugt. Die im Vorworte abgewiesene 'Akribie der Forscher' lässt sich aller- dings bisweilen in den Notizen über die Herkunft der Texte und Weisen ver- missen. — Zu den keineswegs gering zu schätzenden Bemühungen, die Arbeit gelehrter Forscher für grössere Kreise auszumünzen und zugänglich zu machen, rechnen wir ein schmuckes Händchen von Bonus^), welches von den durch Weinhold, Hartmann, Pailler veröffentlichten Weihnachtsspielen, Hirtenszenen und -liedern eine gute Auswahl (14 Nr.) gibt und dazu 26 ältere Weihnachtslieder fügt. Die Einleitung beschäftigt sich etwas zu ausschliesslich mit der Recht- fertigung des kecken Humors, mit dem die heiligen Gestalten darin vorgeführt werden. Noch weiter in der Nutzbarmachung geht der praktische Versuch des badischen Pfarrers Degen*^), aus den Volksschauspielen ein neues, durch Kinder in der Kirche aufzuführendes Weihnachtsdrama herzustellen, dessen zehn Szenen durch Chorgesänge eingerahmt sind.

Den musikalischen Problemen des Volksliedes ward, wenn man von ver- einzelten Bemerkungen in den erwähnten Sammlungen absieht, nicht allzuviel Auf- merksamkeit geschenkt. Durch eine Untersuchung des Auftaktes und seiner tonalen Beziehungen zu seinen Nachbartönen in älteren und neueren Volksweisen

1) J. Pommer, 27 deutsche Volkslieder im Satze für gemischten Chor ausgewählt und mit Anmerkungen versehen. Wien 1907. G9 S. 0,60 Mk. (Flugschriften hsg. von dem Deutschen Volksgesaug -Vereine in Wien 13). Lustige deutsche Volkslieder älterer und neuerer Zeit ausgewählt und eingerichtet. Wien 1\W. 83 S. 0,80 Mk. (Flug- schriften 14.)

2) J. Pe simulier, Aus entschwundenen Tagen, 50 echte Volkslieder in Wort und Weise 15. bis 19. Jahrh. ausgewählt im Auftrage des Vereins für Volkskunst und Volks- kunde. Musiksatz von C. Schmitt. München, Seyfried u. Co. 1909, III, 90 ö. Querfol. 4,80 Mk.

3) H. Hesse, M. Lang und E. Strauss, Der Lindcubaum, Deutsche Volkslieder. Berlin, S. Fischer 1910. 268 S. kart. 2 Mk.

4) Neues Wiener Volksliederbuch für alle geselligen Kreise, gesammelt von Freunden des Volksgesanges. Wien, A. Hartleben o. J. XV, 304 S. 3,60 Mk.

5) A. Bonus, Deutsche Weihnacht, Spiel und Lied aus alter Zeit, mit einer Ein- führung und i:\ Bildern. München, R. Piper cl- Co. [1909]. XXVII, 266 S. 1,80 Mk. (= Die Fruchtschale 18 )

6) E. Degen, Ein deutsches Weihnachtskrippenspiel aus Liedern und Spieleu des Volkes zusammengestellt und bearbeitet (.Partitur). Karlsruhe, J. J. Reift" 1909. 46 S. 4». 3Mk.

Berichte und Bücheranzeigen. 411

gelangt Brandsch^) zu der Erkenntnis, dass hier seit 1600 deutlich der zu- nehmende Einfluss der modernen polyphonen Musik mit ihrer vorwiegenden Dur- harmonik wahrzunehmen ist, während die älteren Volksmelodien durchweg ein- stimmig empfunden sind und sich gegen eine Akkordbegleitung sträuben. Xef^) schildert eine wenig beachtete, aber als Vorläuferin des heutigen schweizerischen Volksgesanges wichtige Periode der Musikgeschichte, nämlich die Einführung des begleiteten volkstümlichen weltlichen Liedes durch die von J. Schmidlin 1769 komponierten Schweizerlieder Lavaters und seine Entwicklung bis zum Auftreten Nägelis. Während man vorher in der reformierten Schweiz nur mehrstimmige Goudiraelsche Psalmen und begleiteten geistlichen Sologesang kannte, ward nun der Einfluss der Berliner Schule mächtig, welche Einfachheit und Natürlichkeit forderte; charakteristisch aber blieb die Betonung des Nationalgefühls. Wenig später fällt das gleichfalls für die Richtung des Gesellschaftsliedes bedeutsame Auftreten von Schulz, der 1782 'Lieder im Volkston' herausgab; zu seiner Charakteristik liefert Klunger^) Beiträge. Die Wanderungen einer französischen Tanzweise des 16. Jahrh. nach den Niederlanden und nach Deutschland, wo sie in einem Glockenspiel, in Soldatenraärschen und Liedern erscheint, verfolgte Brandsch (oben 19, 418—421), der auch die siebenbürgischen Melodien zur Ballade von der Nonne zusammenstellte (oben 19, 194—197), Die Herkunft der Singweise des Liedes vom Reservemann aus Berats französischem Liede 'Ma Normandie' erwies J. Lewalter (oben S. 207 209).

Berlin. Johannes Bolte.

Neuere Arbeiten zur slawischen Volkskunde.

(Vgl. oben S. 213-225.)

2. Südslawisch.

Einen wertvollen Beitrag zur slowenischen Volkskunde gab Matko Potornik in seinem Buche 'Das Herzogtum Kärnten', 1. Bd. (Laibach 1909. 8 und 184 S.). Es werden hier die nationalen und sprachlichen Verhältnisse des Landes ge- schildert und die Zahl der slowenischen Bevölkerung gegenüber der offiziellen Statistik richtiggestellt; im ganzen beträgt die Zahl der Slowenen etwas über 120 000 gegenüber rund 239 000 Deutschen. In dem der Volkskunde gewidmeten Kapitel werden gedrängt beschrieben Tracht, Gebräuche, Hochzeit, Aberglauben, Volksmedizin, Sagen vom König Matthias und verschiedene Ortssagen. Die bei- gelegte Karte stellt die deutsch-slowenische Sprachgrenze in Kärnten sehr detailliert dar. Von der Sammlung slowenischer Volkslieder des Prof. K. Strekelj (vgl. oben 18, 317) erschien das 13. Heft. Es enthält (S. 81—192) die weitere Fort- setzung der Soldatenlieder nr. 6897—7174; es sind das vielfach wenig ver- schiedene Varianten eines und desselben Liedes, wie. z. B. nr. (3908— (■.915, 6950—6982, 7063—7088, 7108—7120; manche sind ganz kurze Liedchen. Stark

1) G. Brandsch, Die Tonalität des Auftaktes in den deutschen Volksweisen (Archiv des V. f. siebenbürg. Landeskunde n. F. 36, 399—426).

2) A. Nef, üas Lied in der deutschen Schweiz Ende des IS. und Anfang des 19. Jahrh. Zürich, Hug & Co. 190; i. VII, 167 S. 2 Mk.

3) C. Klunger, J. A. P. Schulz in seinen volkstümlichen Liedern. Diss. Leipzig 1909. 63 S.

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sind sie mit tiefer Religiosität, wenn nicht Bigotterie erfüllt. Von dem Zwecke und der Richtung ihrer Kriegszüge haben diese armen Soldaten recht dunkle Vor- stellungen, einer meint z. B., er werde auf des Kaisers Ruf sein Blut für den Glauben Jesu vergiessen (nr. 715.')) u. a. Auch sei hier der Aufsatz des J. Kostitil 'Erotik in slowenischen Volksliedern' (Anthropophyteia 5, 157f.) notiert, Excerpte aus bekannten Liedersammlungen.

Sehr wichtig ist für alle, die sich mit der Kunde der Balkanhalbinsel und ihrer Völker beschäftigen, die von J. Cvijic redigierte 'Übersicht (Pregled) der geographischen Literatur der Balkanhalbinsel'. Der letzte 5. Bd. derselben (Belgrad 1908, 217 S. 4«) umfasst die Jahre 1901—1905. Das 3. umfangreichste Kap. ent- hält die Arbeiten zur Anthropologie und Ethnographie (S. 98 193) und bringt mitunter sehr ausführliche Rezensionen über hierher gehörige, in allen Sprachen selbständig oder in Zeitschriften erschienenen Arbeiten, so z. B. über R. Meringer, Die Stellung des bosnischen Hauses und Etymologien zum Hausrat (S. 124 129), Karl Dieterich, Die Volksdichtung der Balkanländer in ihren gemeinsamen Ele- menten (S. 137 139) u. a. Es wäre nur sehr erwünscht, dass diese Rezensionen systematisch aneinander gereiht würden. Der Gebrauch des Buches wird einiger- massen durch die beigegebenen Register erleichtert; neben einem Autorenregister sind die Titel der besprochenen Arbeiten nach den Ländern zusammengestellt; doch hätten wir in diesem speziellen Register eine systematische Aneinanderreihung gewünscht, und zwar nach sachlichen Gesichtspunkten, nicht so pele-mele wie z. B. Smirnov, Eine Skizze der Kulturgeschichte der Südslawen, Vasil. Gjeric, Über den sorbischen Namen in den w^estlichen Gegenden unseres Volkes, Tih. R. Gjorjevir, Das serbische Folklore, VI. Titelbach, Die serbische Stickerei, AI. S. Jovanovic, Beiträge zur Geschichte des alten serbischen Rechtes, Dr. S. Vatev, Anleitung zur Sammlung der Materialien zur Volksmedizin usw. Noch erwünschter wäre ein im Detail durchgearbeitetes Sachregister. Ausserdem wären wenigstens die wichtigeren Rezensionen zu registrieren, wie es sonst in Bibliographien üblich ist.

Sehr schwierige und komplizierte Fragen nach der physischen Beschaffenheit der ältesten Völkerschaften der Balkanländer und den Ursachen der anthropo- logischen Merkmale ihrer jetzigen Bevölkerung sucht Niko Zupanic in seinem Buche 'Ein System der historischen Anthropologie der Balkanvölker' (Belgrad 1909, 92 S. 4", S.-A. aus dem 2. u. 3. Jg. der Zs. „Starinar") zu lösen, und verteidigt energisch seine Thesen gegen seine Kritiker (Starinar 4, 101 ff., vgl. Letopis Mat. Srpske 259,72); er schreibt den alten Illyriern die Schädel von Glasinac in Serbien zu, und auf Grund des Berichtes des römischen Arztes Galenus behauptet er, dass die alten lllyrier noch im 2. Jh. n. Chr. Xanthodolichokephalen waren, wie auch, dass die alten Thraker, gleichfalls die alten Griechen nach dem Zeugnis der Ho- merischen Gedichte und ebenso die um das Jahr (iOO n. Chr. eingewanderten sla- wischen Stämme denselben physischen Habitus hatten. Heute freilich gehören die letzteren grösstenteils zu den Melanobrachykephalen. Betreffs der Griechen meint er, dass schon unter den römischen Kaisern sich ihr Habitus stark modifizierte und verdunkelte, und unterscheidet die griechische Bevölkerung der Inseln von der des Festlandes; bei der letzteren sind noch 9,58 pCt. blauäugig, überhaupt tritt das helle Auge desto häufiger auf, je mehr man sich ihrem Zentrum, den slawischen Gegen- den nähert, und dies erklärt er durch Mischung mit slawischen Volksstämmen. Er betont weiter den grossen physisch-anthropologischen Kontrast zwischen den heutigen Albanesen und den alten Illyriern, und meint diese ungemein starke Ver- änderung der einstigen Xanthodolichokephalen in die heutigen Melanobrachy-

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kephiilen habe sich mit der Zeit vollzogen, ebenso wie die Veränderung des ganzen Habitus bei den Griechen. Auch betreffs der Serben und Kroaten greift Zupanir auf Konstantin Porphyrogenetos zurück und meint, es wären das zwei anthro- pologisch verschiedene Völker. Alle diese und ähnliche Probleme entziehen sich eigentlich dem Programme dieser Zeitschrift, aber dennoch wollten wir diese Schrift nicht mit Schweigen übergehen, und konnten das um so weniger, da auch die Volkskunde näher tangierende Fragen in dieser Schrift behandelt werden; so will Z. die Reichhaltigkeit und Schönheit der Volksmelodien in dem Kosover Vi- lajet als ein Erbe der älteren illyrischen Bevölkerung des Landes erklären, wo- gegen in anderen Ländern in Montenegro, in der Herzegowina, in Dalmatien und in der Lika das musikalische Talent sehr schwach entwickelt ist. Zupanic ver- öffentlichte noch in der Zs. „Prosvetni Glasnik" 1909 einen Aufsatz 'Gedanken über die Physio-Ethnologie", wo die Wichtigkeit tieferer Erforschung der Balkan- völker von diesem Gesichtspunkt aus betont wird. Eine gedrängte allg-emeine Schilderung des serbischen Volkes lieferte Dr. Sima Trojanovic (Bosanska Vila Bd. 23), dessen physisch-psychischen Eigenschaften, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen, Glauben, Festtage, Rechtsgebräuche, Arbeit und Gewerbe, Spiel und Tanz, endlich Heldentum. Dieser Aufsatz wurde in das Buch 'Servia by the Ser- vians' by Alfred Stead (London 1909, S. 169 198) aufgenommen. Dieses Werk enthält ausserdem einen viel zu kurzen Aufsatz von Tihomir Gjorgjevir über Aberglauben und Volksüberlieferungen (158—168). Die anderen Kapitel des eng- lischen Buches berühren nicht die Volkskunde. Die Beschreibung der 'Ansiedelungen der serbischen Länder' schreitet unter der Redaktion Jovan Cvijics rüstig vorwärts. Nach dem in unseren Berichten geschilderten Plan (vgl. oben 13, 240) beschrieben Pop Stjepo und Vladimir Trifkovir die Ansiedelungen des westlichen Teiles der Serajewoer Ebene (Srpski etnograf. Zbornik 11, 1 309). Nach einer knappen Schilderung der physischen Eigenschaften des Landes folgt eine Be- schreibung der Siedelungen, der Lage des Dorfes, der ökonomischen Verhältnisse, des Dorf-Typus, hierauf des Hauses, wobei natürlich das mohammedanische Haus selbständig beschrieben wird. Es folgen dann 'Reste älterer und Entstehung der jetzigen Dörfer'. Die Dörfer selbst sind bis auf eine geringe Anzahl alten Ur- sprungs, doch deren Bevölkerung ist bis auf die mohammedanischen Dörfer jüngeren Ursprungs, wurde vor erst 100 150 Jahren angesiedelt. Der Bewegung und dem Ursprung der Bevölkerung ist ein besonderes Kapitel gewidmet, worin die Verfasser übersichtlich darzustellen suchen, aus welchen Gegenden diese jetzige Bevölkerung herrührt. Ziemlich wenig werden die ethnischen Eigentümlichkeiten berührt, wie Sprache, Tracht, sehr wenig der Brauch (76 83); vielmehr die Be- schäftigung der Bevölkerung, Ackerbau, Viehzucht, ausserdem Fuhrwesen, Müllerei, Wirtshäuser, Schmiederei u. a. In dem bei weitem grösseren 'speziellen Teil' (S. 94 ff.) wird jedes einzelne Dorf in derselben Weise beschrieben. Noch aus- führlicher und gründlicher beschrieb nach demselben Plan Dr. Jevto Dedijer die Herzegowina (ebd. Bd. 12, S. 1 448). Der Verfasser arbeitete an diesem Werke fast 10 Jahre; er sammelte das Material grösstenteils selbst, teilweise vervoll- ständigte er bereits vom anderen gesammelten und publizierten Stoff. Die ein- zelnen Kapitel sind viel gründlicher und tiefer, als es sonst in diesen Studien ge- schieht, ausgearbeitet. Neu eingeführt ist ein Kapitel über die anthropogeographisch wichtigeren historischen Momente (S. 24 36), wie die Reste des prähistorischen Lebens, besonders der klassischen Zeit, den Typus und die Lage der herzego- winischen Ansiedlungen in der römischen Zeit u. a., wo der Verfasser auf Grund der Forschungen des Dr. K. Patsch vorgeht. Sehr eingehend werden die ökono-

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mischen Verhältnisse besprochen, u. a. die wichtigeren Agrikultur-Pflanzen, das Hirtenleben (S. 37 71). Wie hier, so werden auch bei der Untersuchung der Lage und des Typus der Städte, Städtchen, Dörfer die physischen Verhältnisse des Landes stets berücksichtigt. Besondere Aufmerksamkeit ist der Etymologie der Ortsnamen zugewendet (S. 1>Ö 106), da vielfach diese, auch die echt sla- wischen, sich von den Ortsnamen anderer serbischer Länder unterscheiden; her- vorgehoben wird noch, dass oft die herzegowinischen Ortsnamen fremden (alba- nesischen und romanischen) Ursprungs sind, und hieraus auf einen engeren Zu- sammenhang der alten roraanisierten illyrischen Bevölkerung mit der späteren serbischen geschlossen. Sehr genau werden die alten und neueren Schichten der Bevölkerung untersucht, die alten Brüderschaften und die später in verschiedenen Zeiten eingewanderten Familien, wie auch deren Urheimat festgesetzt, und so wird eine Geschichte der Wanderungen gegeben. Ausser der Einwanderung ins Land und der Wanderung in diesem, gab es auch eine starke Emigration; ihr widmet der Vf. ebenfalls besondres Augenmerk, da eben Herzegowina eines der aktivsten serbischen Länder ist und seit früher Zeit (die Nachrichten reichen bis in die Hälfte des 14. Jh. hinauf) die Nachbarländer nach allen Seiten bevölkerte (S. 162 bis 168). Das Schlusskapitel des ersten allgemeinen Teiles dieser Studie behandelt die soziale Psychologie der herzegowinischen Bevölkerung (S. 171 184). Der Ver- fasser konstatiert drei Gruppen der sozial-psychologischen Erscheinungen, drei ver- schiedene ethnische Seelen: die alten Bewohner, die neueren Ansiedler aus der östlichen Herzegowina und Montenegro und die neueren Ansiedler aus der west- lichen Herzegowina und Dalmatien. Die alten Bewohner kommen in grösseren Massen nur in der östlichen Herzegowina vor; soweit sie orthodox sind, haben sie sich mit neueren Ansiedlern so vermischt, dass unter ihnen keine bedeutendere psychische Unterschiede erblickt werden können. Nur die mohammedanischen 'Balijer' scheiden sich durch ihr Nomadenleben ab; in ihren Sitzen im Hochgebirge haben sie sich nicht in Bruderschaften, Stämme, organisiert wie die jüngeren An- siedler, noch haben sie alle Vorschriften der mohammedanischen Religion ange- nommen. Leider können wir da nicht alle wertvollen und interessanten Aus- führungen des Vf. wiedergeben. In dem speziellen Teil werden die einzelnen Dörfer beschrieben. Weiter beschreibt Kosta Jovanovic das obere Dragacevo in Serbien (ebd. 11, 311 426) und Jovan Erdeljanovic den montenegrinischen Stamm Bratonozici (ebd. 12, 449—538), dessen Geschichte bis in die Hälfte des 15. Jh. hinaufreicht. Nach den Darlegungen des Vf. war es ursprünglich ein ro- manisierter illyrischer Stamm, wie unzweifelhaft die Namen einiger Brüderschaften beweisen. Eine gedrängte Charakteristik der Bevölkerung des Sandzak Novi Pazar gibt E. J. Cvetic in einer kleinen Broschüre 'Novopazarski Sandzak' (Jagodina s. a.). Endlich gab Dr. Jovan Chadzi-Vasiljevir den 1. Bd. eines grösser angelegten Werkes über das südliche Alt-Serbien heraus. 'Das Land von Kumanovo' (hsg. von der Stiftung des J. M. Kolarac Bd. 140. Belgrad 1909, 558 S.) mit einer ethno- graphischen Karte. Der grössere Teil des AVerkes ist ethnographisch und vielfach ähnlich ausgearbeitet, wie die unter der Redaktion Jov. Cvijirs erschienenen; ent- hält demnach auch eine genaue Beschreibung von 35 Dörfern dieses Landes. Wir erfahren Lage, Anlage, Grösse usw. der Ansiedelungen, Namen, Haus und wirt- schaftliche Gebäude, ökonomische Verhältnisse, Beschäftigung der Bevölkerung, Verhältnisse zu den Grossgrundbesitzern (133—161) u. ä.; über die Bevölkerung nach ihrer Nationalität (171), hauptsächlich Serben und Albanesen (177), deren Vordringen: gegen bulgarische Schriftsteller versucht er zu beweisen, dass die slawische Bevölkerunjj des Landes ethnisch mit den Serben enge zusammenhängt

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(290); beschreibt die Tracht, Lebensweise (314), Nahrung (324), Hausgemeinschaft (327) und ihren raschen Verfall, Verwandtschaft und deren Bezeichnungen. Nun erst geht der Vf. zu einer flüchtigen Charakteristik des Dialektes und seiner ver- schiedenen Nuancen über (333) und führt als dessen Beispiel einige Sagen, Märchen und Lieder an. Eingehend werden die Gebräuche beschrieben samt Aberglauben bei Geburt, Hochzeit; es herrscht noch Brautkauf; wenn der Hochzeitszug vor das Haus der Braut ankommt, muss der Bräutigam eine Art Turnierspiel aufführen (37Ö) u. a., Tod und Begräbnis; bei den Jahresfesten, Tanz (393) und Spiele (398). Der neue Band von P. Rovinskij 'Montenegro in seiner Vergangenheit und Gegenwart' (Bd. 2, Abt. 4, St. Petersburg, Akademie 19u9, 23U S.) bringt die Be- schreibung der Denkmäler aus der vorhistorischen, römischen und serbischen Zeit. Tich. R. G Jorge vi c beschreibt die sog. weissen Zigeuner im westlichen Serbien (Srpski kniz. glasnik 22,202 0".), die Mohammedaner, jetzt teilweise Christen, aus Bosnien eingewandert sind und jetzt ausschliesslich serbisch sprechen; deren Hoch- zeits-, Begräbnisgebräuche u. a.

Dr. Sima Trojanovic behandelt recht ausführlich das serbische Fuhrwesen, welches das sich immer mehr verdichtende Eisenbahnnetz Serbiens nun auch aus seinen letzten Sitzen in üzice und Carak bald verdrängen wird (Srpski etnograf. Zbornik 13, 1 153). Er beschränkt sich nicht bloss auf Serbien, sondern stellt seine diesbezüglichen Beobachtungen aus allen serbischen Ländern zusammen über das Leben und Treiben der Fuhrleute, ihre Tracht, die von ihnen beförderten Waren, ihre Reise, Wege u. a., wobei er auch Nachrichten aus früheren Zeiten heranzieht; das Hauptaugenmerk jedoch wendet er dem südwestlichen Serbien zu und teilt dann gründliche statistische Daten mit. Eingehend werden die Strassen und Einkehrhäuser, Jahrmärkte (S. 88), Postbeförderung (S. 197), verschiedene Waren und Artikel, Tausch statt Kauf (S. 25) u.a. besprochen. Wir finden ausser- dem verschiedene kulturhistorisch interessante Exkurse, über die Verbreitung der Kartoffel (S. 68), über den illyrisch-romanischen Ursprung mancher Artikel und Produkte, besonders der Viehzucht (S. 8G) u. a. Andrija Jo vice vir beschreibt den Fischfang am See von Scutari (ebd. S. 155—257), dabei auch das Trocknen und die Zubereitung der Fische, Schiffe u. a. Einen Beitrag zur serbischen Töpferei im Bez. von Uzice in Serbien liefert Zivko J. Joksimovic (ebd. 13, 483 497). Vid Vuletic-Vukasovic beschreibt das Weben auf der Insel Lopud (ebd. S. 599—511).

Eine gedrängte Skizze der serbischen 'Volksliteratur' gibt Pavle Popovic in seiner 'Übersicht der serbischen Literatur' (Belgrad 1909. 486 S.); sie umfasst daselbst S. 76—176 und behandelt eigentlich nur Volkslied und Märchen, an Sprichwort und Rätsel vorübergehend. Auf eine kurze Erwähnung älterer Be- richte über die Volkstraditionen, besonders Lieder, folgt eine knappe Schilderung der lyrischen und epischen Lieder, wie auch der verschiedenen Arten der prosaischen Überlieferungen, dann die verschiedenen Theorien über Alter und Ursprung der epischen Poesie, der langsilbigen und zehnzeiligen, wie auch über die Entstehung des Märchens. Bei dem bisherigen Stand der Wissenschaft konnte das Verhältnis der serbischen Märchen zu dem orientalischen und zu dem mittel- und westeuropäischen Märchengut nicht näher erörtert werden. Mit des Vf. Gruppierung der prosaischen Überlieferungen können wir uns nicht recht be- freunden. Sehr willkommen ist die angehängte Bibliographie der einschlägigen Werke und Abhandlungen, Sammlungen von Volksliedern und Märchen. Der wichtigste Beitrag zur Erforschung der serbokroatischen Volkspoesie ist unter den Erscheinungen des vergangenen Jahres das Buch von Prof. T. Maretie 'Unsere

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Volks-Epik' (Agram, Akademie 1909. 8 + 263 S.)- Es fasst die Ergebnisse der bisherigen Forschung zusammen und weist ihr zugleich neue Bahnen. Der Ver- fasser, der selbst früher sehr eifrig auf diesem Felde gearbeitet hat, hält sich nun sehr zurück fast in allen Fragen nach dem Alter der serbokroatischen Epik und dem Alter und Ursprung ihrer einzelnen Formen: „Die ersten bestimmt sicheren Beweise für unsere Volksepik finden wir erst im 16, Jh.; wie lange vor dem Anfange des 16. Jh. Kroaten und Serben epische Volkslieder hatten, wissen wir nicht und können es nicht wissen; es ist nicht notwendig, die Anfänge unserer Epik schon in das 13. oder 14. Jh. zu setzen, sie können auch später angesetzt werden" (S. S 10). Über die Entstehung der Volksepik belehren uns die 'epischen Frauenlieder' (zensko-junacke pjesme), d. i. solche Frauenlieder, die sich auch der Form nach vielfach gar nicht von den Heldenliedern unterscheiden, und auch vielfach unter die echten Heldenlieder gerechnet werden, je nachdem sie (von Frauen) rezitiert oder unter Begleitung der Gusle (von Männern) vor- getragen wurden. An dem hohen Alter dieser Frauenlieder zweifelt auch Maretir nicht. In dem einleitenden Kap. berührt er den geschichtlichen 'Wert' der in den epischen Liedern bearbeiteten Traditionen, den internationalen Charakter vieler Stoffe und einzelner Motive, wie z. ß. der über den Gräbern der Liebenden zusammenwachsenden Bäume, der von Helden hochgeworfenen Schwerter, des von Marko Kraljevic aus trockenem Hartriegel gepressten Wassers (S. 25); der Held wählt nur das Pferd, welches sich unter seiner Hand nicht rührt, nicht einmal, wenn es am Schweife gezogen wird (S. 26); der aus dem Macbeth be- kannte wandelnde Wald (S. 27) u. a. Mit Recht betont Maretir, dass die Lieder nach ihrem Inhalte, ihren Motiven zusammenzustellen sind, nicht nach den in ihnen genannten historischen oder halbhistorischen Namen. Sehr ausführlich be- spricht er die formale Seite der Volksepik (S. 36 108). Er berührt die Frage nach dem Verhältnis des Zehnsilblers zur sog. 'bugarstica', will aber trotz der ausführlichen Untersuchungen dieser Frage sich nicht bestimmt aussprechen: „Über ihr Alter lässt sich nichts Sicheres sagen; es ist nicht unmöglich, dass der Zehnsilbler älter ist als die bugarstica der alten Lieder", sicher ist höchstens, dass der Zehnsilbler den östlicheren Stämmen eigen ist (S. 36 41). Hier sei noch eine lesenswerte Kritik älterer Aufsätze T. Maretios über die Metrik der serbokroatischen Volkslieder von Vlad. Corovic notiert (Nastavnik 19, 290ff., 367 ff.). Weiter behandelt Maretic die ständigen Epitheta, weist auf deren Primitivität hin, Allegorien, stereotype Einleitungen und Schlüsse, Beschreibungen, ständige Zahlen (S. 91), Hyperbeln, Humor und Ironie u. a. Überall werden zum Vergleich russische Heldenlieder und die homerischen Epen herangezogen. Die 'historischen Persönlichkeiten', welche in der serbokroatischen Epik auftreten, sind Gegenstand des 3. Kap. (S. 109 190); sie erscheinen in alphabetischer Reihen- folge, weil nur wenige von ihnen sich chronologisch fest bestimmen lassen. Am wichtigsten und interessantesten ist für uns das 4. Kap. (S. 191 236), welches einzelne internationale Motive der serbokroatischen Volksepik bespricht. Leider begnügt sich der Vf. mit einer blossen Inhaltsangabe und einer flüchtigen Charakteristik, und übergeht mit Schweigen wichtige Studien eines Dragomanov und Wesselofsky über einzelne Motive und Stoffe, wie über die dualistische Legende von der Erschaffung der Welt, die Legende vom hl. Georg (vgl. Kirpirnikovs Buch); bei der Legende vom toten Bruder hätte auf den gründlichen Aufsatz Siismanovs hingewiesen werden sollen, bei den Legenden vom Incest (Nahod Siraeun) auf Dragomanovs Studie, bei dem Liede vom Mädchen ohne Hände auf Pavlc Popovic's Buch, bei der Sage von der Gründung Konstantinopels (S. 223)

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auf die Studie Dragomanovs und Köhler. Kl. Schriften 2, 356. Dieser Mangel ist um so fühlbarer, da das Buch in erster Reihe wohl als Einleitung in das Studium der Volksepik und Einführung in das tiefere Studium derselben dienen soll. Im letzten Kap. (S. 237 263) werden verschiedene gesellschaftliche Formen, soziale Institutionen, Vorstellungen von übernatürlichen Wesen (Feen, Wilen S. 251) be- sprochen, so das Handküssen (S. 237), Bruderschaft und Schwesterschaft (S. 240), Gevatterschaft (S. 244), Grausamkeit und Wildheit u. ä. (S. 245), wobei der Unterschied der mohammedanischen Lieder wie auch der sog. 'bugarstice' beachtet wird (S. 248). Jovan N. Tomic beginnt eine grössere Reihe von Studien 'Die Geschichte in den epischen Volksliedern vom Prinzen Marko' und unterzieht im ersten Bande die Lieder von Markos Gegnern Musa Kesedzija (dem 'Strassenräuber') und Gjemo Brdjanin einer Untersuchung (Belgrad, Akademie 1909, 208 S.). An der Anschauung über die Volksepik, die er bereits I0o7 darlegte (vgl. oben is, 217), hält er auch in dieser Arbeit fest. Gegenüber den älteren Forschern über die epischen Gedichte vom Prinzen Marko konnte er neues handschriftliches Material benutzen und teilt im Anhange seines Buches acht neue Lieder mit. Er scheidet die in diesen Kreis gehörigen Lieder in drei Gruppen nach den Orten ihrer Aufzeichnung und den mit ihrer verschiedenen territorialen Abkunft zusammenhängenden Unterschieden. Die erste Gruppe, in der Markos Widersacher auch unter anderen oder ganz allgemeinen Namen auftreten, haben einen recht allgemeinen Inhalt und hängen zusammen mit den unter der türkischen Herrschaft Jahrhunderte hindurch dauernden Raubzügen, bei denen Männer, Frauen und Kinder in die Sklaverei oder in den Soldatendienst fortgeschleppt wurden. Diese historischen Tatsachen machen es begreiflich, dass der Nationalheld Prinz Marko zum Befreier der geraubten Volks- und Glaubensangehörigen wurde, ohne dass auch der Ursprung dieser Lieder deshalb in eine bestimmte Zeit und an einen bestimmten Ort versetzt werden kann. Dennoch versucht der Verfasser dies zu bestimmen. In diese Gruppe rechnet der Vf. noch andere Lieder, die einen bestimmteren, Markos Person betreffenden Inhalt haben; doch kann von einem 'historischen" Ereignis hier noch weniger die Rede sein. Der Vf. verraisst in den Liedern der ersten Gruppe, besonders in den Liedern von Gjemo, Gjino, die Lokalfärbung, die Kennzeichnung des Terrains, wo sie aufgezeichnet wurden. Viel interessanter sind in dieser Hinsicht die Lieder der zweiten Gruppe, die aus den zentralen und westlichen serbischen Gegenden herrühren. Musa Kesedzija ist eine viel bestimmtere Figur, er ist Abtrünniger, Rebell und Feind des Sultans; als die gegen ihn gesandten Scharen keine Erfolge erringen, wird Prinz Marko aus dem Kerker geholt; er vernichtet Musa durch List und mit Hilfe seiner Fee. Gjemo Brdjanin will an Marko den Tod seines Freundes (Bruders) Musa rächen. Diese Lieder macht T. wegen ihrer historischen und topographischen Elemente zur Grundlage seiner Untersuchungen, Das geringste Interesse bieten in dieser Hinsicht die Lieder der dritten Gruppe aus den nördlichen und nordwestlichen serbischen und kroatischen Gegenden. Wertvoll sind sie nur deswegen, weil sie klar zeigen, wie das epische Volkslied sich verändert, sobald es von seinem Ursprungsort in eine Gegend getragen wird, wo kein Verständnis für den ge- schichtlichen Inhalt und die topographischen Verhältnisse waltet. So treten an Musas Stelle andere lokale Helden, berühmte Hajduken ohne Rücksicht auf den Haupthelden Prinz Marko. Bei der Untersuchung der historischen Grundlage dieser Lieder stellt der Vf. mit Recht den Prinzen Marko und seine Zeit ganz beiseite und geht von den historischen Ereignissen der Gegend aus, wo sich Lieder mit vielen historischen Elementen erhalten haben, und schreitet erst dann

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zur Bestimmung der Identität dieser Gestalten mit historischen Persönlichkeiten. Er macht es höchstwahrscheinlich, dass der Gjemo des Volksliedes mit dem im vorletzten Jahrzehnt des 18. Jh. berüchtigten Jegen-Pascha identisch ist. Den Musa Kesedzija sucht er gegen ältere Meinungen unter den Helfershelfern Jegens. Theoretisch angesehen, läge die Annahme nahe, dass die Lieder der ersten Gruppe, da sie doch dem 'Wirkungskreise' des Jegen-Pascha am nächsten waren, die historischen Tatsachen und die lokale Färbung am meisten und treuesten erhalten haben. Allein gerade hierin zeichnen sich die Lieder der zweiten Gruppe aus. Den Grund dafür könnte man nach der Meinung des Vf. darin erblicken, dass diese Gegenden, die den Schauplatz der Raubzüge Jegen-Paschas bildeten, bald darauf durch starke Auswanderungen entvölkert wurden; doch neigt er mehr der Ansicht zu, dass auch die Lieder der ersten Gruppe im Terrain der zweiten Gruppe entstanden und „von der 'Kaja' geschaffen und erhalten wurden''. Die Bevölkerung dieser Gegend litt gleichfalls unter den Räubereien der albanesischen Bergstämme, die V^erhältnisse waren die gleichen und auch ziemlich gleichzeitig. So erklären sich auch die Beinamen des Musa 'Arbanas' (Albanese) und des Gjemo 'Brdjanin' (Gebirgsbewohner) am leichtesten. Zum Schlüsse seiner Studie (S. U)6) versucht der Vf. darzustellen, wie die Lieder von den Raubzügen aus dem Ende des 17. Jh. auf dem Terrain der zweiten Gruppe mit den Lifedern vom Prinzen Marko kontaminiert wurden, mit diesen in neue Lieder zusammen- flössen, dann auf das Terrain der ersten Gruppe übertragen wurden und nach und nach verallgemeinert, ihre ursprünglichen speziellen Züge verloren. Der Vf. schreitet streng methodisch vor. reiht systematisch eine Folgerung an die andere, so dass es methodologisch recht interessant und anregend ist, seinen Ausführungen trotz ihrer grossen Wortschw^eifigkeit zu folgen. Andra Gavrilovic versucht in einer kleinen Abhandlung 'Das Lied von der Schlacht auf der Kunovica, ein Beitrag zur geschichtlichen Erforschung der serbischen Volkspoesie' ('Glas' der serb. Akad. 76, 63 68) nachzuweisen, dass Gundulir, als er im achten Gesänge seines 'Osman' vier Volkslieder vier Bauern in den Mund legte, wirkliche Volks- lieder im Auge hatte, dass das dritte Lied den Kampf der christlichen Heer- scharen an der Kunovica behandelte, und dass sich ein Rest des alten Liedes von diesem Kampfe bis heute in Dobric, wo der grösste Teil des serbischen Heeres nach jenem Siege blieb, erhalten hat. Derselbe versuchte in 'Kleineren Bei- trägen zur Erforschung der serbischen Volkslieder' (Godisnica Nik. Cupica 29, 15Ü— 162) die Historizität einiger Helden der serbischen Volksepik darzulegen. Camilla Lucerna schrieb einige ästhetische Bemerkungen 'Zur Asanagica' (Zagreb 1909. 18 S.), worin einige neuere Varianten dieses Stoffes verglichen werden und auch eine neue kroatische Dramatisierung des durch Goethe berühmt ge- wordenen Liedes gewürdigt wird (vgl. Letopis Mat. Srpske 259, 77). Dieselbe Dame gab Skizzen von den alten dalmatinischen Dichtern Barakovir, Mavro Vetranic und P. Hektorovir heraus (Studienblättchen zur Literaturgeschichte des südslawischen Küstenlandes. 31 S. 16^ Aus dem Agramer Tagblatt). Das Buch von K. P. Misirkov 'Die südslawischen epischen Sagen von der Heirat des Königs Vukasin in Verbindung mit der Frage nach den Ursachen der Popularität des Königs Marko bei den Südslawen' (russisch. Odessa 19ll9) ist mir nicht zu- gänglich. Nach einer ausführlichen Kritik in der Zs. 'Periodicesko Spisanije' 70, 725 ff. bringt es kaum etwas Wesentliches zur Lösung dieses Problems, gibt nur eine Kritik des bekannten Werkes von M. Chalanskij und läuft ohne solide wissenschaftliche Ausrüstung auf eine ganz paradoxe Trennung der bulgarischen von der serbischen Volksepik, auf phantastische Hypothesen von der ursprünglich

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vermeintlich grundverschiedenen Stellung des Prinzen Marko im bulgarischen und serbischen Epos hinaus. Einige serbische Varianten des Märchens von den Urteilen Schemjäkas stellte Dr. Vlad. Coro vi c zusammen (Glasnik des Landes- Museum für Bosnien-Herzeg. 21, 555 ff.). Derselbe beschliesst seinen Aufsatz 'Prinz Marko in den serbischen Volksmärchen' (Srpski kniz. Glasnik 22, 43 f. 111» f., vgl. oben 19, 324) und zeigt darin, dass Marko im Volksmärchen gar nichts Individuelles, gar nichts von dem historischen Marko besitzt. Zuletzt freilich be- merkt er, dass die alten Volkslieder in Erzählungen übergehen, und stellt die Traditionen von Markos Todesschlaf zusammen, die sich den zahlreichen Sagen von schlafenden Helden und Rittern anschliessen. Derselbe schrieb einige Worte über das Märchen von der Zeichensprache; er findet soviel Ähnlichkeit der bosnischen Fassung mit dem durch deutsche Lesebücher auf den bosnischen Mittelschulen verbreiteten Märchen, da&s er deren engeren Zusammenhang an- nimmt (Bos. Vila 1908, S. 122). Dr. Sima Trojanovic teilt eine Fassung des Märchens vom dankbaren Toten mit (ebd. 1909, S. l()8f.), die ziemlich mit den südosteuropäischen Versionen desselben übereinstimmt: eigentümlich ist nur der Schluss: der junge Mann besucht den Toten und findet in dessen Stube einen unbekannten Mann, dessen zehn Finger wie Kerzen brennen: der hatte den (dank- baren) Toten erschlagen und musste ihm daher leuchten ; je länger sie sprechen, desto mehr beginnen die 'Leuchter auszulöschen; der Tote verflucht seine Brüder, dass sie ihn gerächt haben und er deswegen fortan in der Finsternis verbleiben muss. Die beigefügten Anmerkungen gehen wenig in die Tiefe.

Den wertvollsten Beitrag zur serbokroatischen Volkspoesie lieferte Dr. Nikola Andri(' mit seiner Ausgabe der 'Frauen -Lied er', welche den -i. Bd. der von dem Vereine 'Hrvatska Matica' in Agram herausgegebenen 'Kroatischen Volkslieder' (Hrvatske Narodne Pjesme, Knjiga peta. Drugi oddio: Zenske pjesme, 1909. 19 + 640S.) bilden. Der vorliegende I.Teil kennzeichnet mit dem Xebentitel 'Romanzen und Balladen' deren Inhalt, wobei freilich der Herausgeber bemerkt, dass nicht alle Lieder dieses Bandes unter diese Bezeichnung einzureihen sind, aber doch 7io derselben. Es werden noch zwei weitere Bände folgen. H. Andric sucht vorerst im Anschluss an den Altmeister Vuk St. Karadzic- zu bestimmen, was 'Frauenlieder" eigentlich seien. Manche unter diesen Liedern stehen den Heldenliedern nahe, werden aber ihrer Länge wegen kaum mit Begleitung der Gusle gesungen, sondern rezitiert: das längste der in diesem Bande gedruckten Lieder (Sr. 21!») zählt 34G Verse, Nr. 205 hat 243 Verse, Xr. 216 222 Verse, andere weniger, die grosse Mehrzahl etwa 50 Verse. Diese 'halbmännlichen' Lieder haben sich am besten in rein kroatischen Ländern, besonders in Dalmatien und auf den Inseln des Adriatischen Meeres erhalten. Soweit die Sänger der Lieder angegeben sind, rühren sie von Frauen, und zwar älteren Frauen her. Andric zitiert einen Bericht aus dem Jahre 1846, nach welchem die Mädchen kürzere Liebeslieder sangen und ältere Frauen längere Lieder rezitierten, und meint, dass die Weiber die Reste der alten Lieder erhalten und den Männern zu weiterer Bearbeitung und Ver- jüngung übergeben haben; so seien aus den weiblichen Balladen die männlichen Lieder mit den Namen neuerer und bekannterer Helden entstanden. Diese bei- läufige Bemerkung erfordert indes eine gründliche Untersuchung, wie ja überhaupt die Frage nach der Rolle der B>au in der Erhaltung der Volkstraditionen keines- wegs gelöst ist. Wie gesagt, ist es vielfach schwierig, diese 'Frauenlieder' von den 'Männerliedern', den epischen Heldenliedern scharf zu unterscheiden, und der Herausgeber verweist in seinem Kommentar nicht selten auf Varianten, die in dem 1. und 2. Bd. der 'Kroatischen Volkslieder, welche eben die Heldenlieder ent-

^•)Q Polivka:

halten, gedruckt worden sind; vgl. zu Nr. 76, 90—92, 112—113, 115, 148, SOG, 208, 209, 211, 217. Sogar bei Yuk St. Karadzic finden wir unter dessen 'ältesten Heldenliedern", was hier unter die 'Frauenlieder' eingereiht ist: Nr. 76 unter II Nr. 5, Nr. 90— 92 unter 11 Nr. 26 (Der Bau von Scutaril), Nr. 2(>6 unter II Nr. 10—11, Nr. 209 unter JI Nr. 25, Nr. 211 nnter II Nr. 6. Hr. Andrir be- tont ausdrücklich, dass alle Lieder dieser Sammlung rein kroatisch sind, rezitiert in kroatischen Gegenden von kroatischen Frauen. Hierzu bemerke ich, ohne an dieser Stelle auf die ethnographische Bedeutung des Wortes 'kroatisch' einzugehen, dass verschiedene Lieder aus Serajevo, Mostar, Bilar u. a. zweifellos moham- medanischen Ursprunges sind, bei denen gar nicht erwähnt wird, ob sie von Frauen gesungen oder rezitiert wurden; mehrfach wie bei Nr. 83, 105, 161 heisst es aus- drücklich, dass die Sängerin sie von 'Buhlen' des Ali-Pascha-Rizvan-Begovir in Stolac, also von mohammedanischen F'rauen erlernt habe. Es wäre jedenfalls empfehlenswert gewesen, das Religionsbekenntnis der Sängerinnen anzugeben oder doch zu ermitteln, in welchen Kreisen die Sammlung, aus welcher geschöpft wurde, angestellt wurde. Das Archiv des Vereines 'Hrvatska Matica" ist nämlich un- gemein reich an hsl. "Volksliedersammlungen; in der Einleitung des I.Bandes S. 12 bis 19 wurde ein Bericht über diese 122 Sammelbände gegeben, und der Leser des Materialienvcrzeichnisses, welches Andrir seiner Publikation beigefügt hat (S. 625 bis 629), muss dort nähere Belehrung über Ort und Zeit ihres Ursprunges suchen. Mittlerweile sind aber die Sammlungen der 'Hrvatska Matica' bedeutend ange- wachsen, und in Andrics Veizeichnis finden wir neue Namen (Banic Filip, Banovir Stjepan, Dobrilo Mladineo, Gjurkovecki Mirko, Hangi Antun, Kusmis Autei Juraj, Namatak Fehrai Hasan u. a), deren nähere Erklärung wir schmerzlich vermissen. Abgesehen von diesen wahrscheinlich neueren Aufzeichnungen stammt das Quellen- material zumeist aus dem letzten Alertel des 19. Jh.; doch nicht weniges reicht bis in das erste V^iertel des 19. Jh. hinauf. Bei der kritischen Beurteilung der Lieder wird dieses chronologische Moment sicher in Betrachtung gezogen werden müssen, dessen Berücksichtigung der Herausgeber leider nicht erleichtert hat. AVie im 1. 2. Bd. wählte Andri(- aus den überaus zahlreichen Varianten jedes Liedes die besten und gediegensten aus, und diese 219 Lieder veröffentlichte er auf S. 3 bis 407. Mit den auf S. 411 623 folgenden Varianten (Inhalt und Textproben) leistete er eine Arbeit, für die ihm der Erforscher der südslawischen Volkspoesie nicht genug Dank sagen kann. Verdienstlich sind auch die kurzen bibliographischen Hinweise auf verwandte Bearbeitungen desselben Stoffes in 30 gedruckten serbischen und kroatischen Liedersammlungen. Interessant sind die S. 451 in Nr. 74 ange- führten Veränderungen, Verschlechterungen, die dasselbe Lied im Gedächtnis einer Sängerin im Laufe von 20 Jahren erlitt. Inhalt und Form der von Andric veröffentlichten Lieder verdienen das höchste Interesse auch des Forschers auf dem Gebiete der vergleichenden Volkskunde. Ich verzeichne kurz den Inhalt einiger Lieder. Nr. 2: Die Sonne ruht in Gottes Schoss und lässt sich von ihm wecken. ^: Die Heirat der Sonne. 6: Die Mutter wird in die Hölle gestossen, weil sie Knaben und Mädchen veruneinigte. 7; Das Mädchen macht sich selbst einen Bruder aus Seide, und Christus schickt zwei Engel, ihn zu beleben. 12: Die böse Schwieger verwandelt sich am Wege zur Quelle in eine Schlange, als die junge Frau Wasser holt; der Sohn tötet die Schlange. 17: Einem Mädchen, das vor Sonne, Mond und Sternen mit seiner Schönheit prahlte, wird von der Sonne das Antlitz schvvarzgebrannt. Vom Liebeszauber und der Macht des Fluches handeln 56, 57, 63. Eine Flöte aus einem Strauche, in welchem das Mädchen verwandelt wurde, in 62. Nr. 76 behandelt den Mürchenstoff der von ihrer Schwägerin ver-

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schiedener Freveltaten bezichtigten Schwester. 90 92: Sagen vom Bauopfer. 109 eine Variante zu Fortis berühmtem Klagegesang der Frau des Hasan-Aga, S. 471f. Varianten dazu. Des Palken Augen sind ein Symbol der Augen des Helden: 125, 126. Nr. 139 eine Legende vom Incest; die Mutter bestratt die Sünde ihrer Kinder mit dem Tode. 140: Der Vater nimmt mit Gewalt seine Tochter zur Frau, sie ertränkt sich. 141: Das Mädchen vergiftet den Bruder und wird deswegen vom Bräutigam verworfen. Die Form besteht grösstenteils in den gewöhnlichen Zehnsilblern der serbischen epischen Poesie; daneben kommt der achtsilbige Vers vor in Liedern von dalmatinischen Inseln (Nr. 12, 14, 74) und dem dalmatinischen Festlande (18, 33, 73), selten aus Bosnien (20, 51), Slavonien (29, 35, 39, 142), Kroatien (128), Südwest-Ungarn (134); vereinzelt in 2 Liedern (Nr. 136, 137) aus Kroatien, einem kajkaviscben und einem cakavischen der sechs- silbigeVers und der sechzehnsilbige Vers in einem mohammedanischen Liede (101) aus Sarajewo. Ein wahres Unikum in der serbokroatischen Volkspoesie ist das Lied 218 aus Cerzula, das zwar im regelmässigen Zehnsilbler, aber in Reimpaaren (I) abgefasst ist.

Die Sammlung mohammedanischer epischer Lieder von Esad Hadziomers- pahic wurde zu Ende gebracht (Banjaluka 1909, 440 S. vgl. oben 19, 324). Sie enthält 12 mitunter recht lang- und weitläufige Lieder, Nr. 4 hat 1 850 Verse, Nr. 5 hat 1627 Verse, 6 1386 Verse, das kürzeste Lied Nr. 8 noch 781 Verse. Die grosse Sammlung von Luka Marjanovii- dagegen hat nur ein einziges etwas längeres Lied, Nr. 40 des 2. Bd. zählt 1862 Verse, zwei andere sind etwas kürzer, Nr. 49 1784 Verse, Nr. 29 1765 Verse; im 1. Bd. hat Nr. 23 1812 Verse. Leider beobachtet der Herausgeber vollständiges Stillschweigen über Heimat, Ursprung und Sänger seiner Sammlung, die er ohne jedes einleitende Wort in die Welt sendet. Ohne besonderen Wert ist eine Sammlung serbischer Volkslieder aus Bosnien von Ljubomir Vasilijevic (D. Tuzla, bei Jos. Schnürmacher. Vgl. Bos. Vila 1909, S. 62). Schulzwecken dient eine von Dr. Branko Drechsler gut getroffene Auswahl serbokroatischer Heldenlieder (Agram 19(i8, 254 S. Rez. in der Zs. Nastavnik 19, 380). L. Kuba setzt seine Sammlung von Liedern und Melodien fort (Glasnik zem. muz. Bos.-Herzeg. 2(J, '6():\f. 5811". Nr. 628—898, vgl. oben 19, 324). Eine ziemliche Anzahl lyrischer und epischer Volkslieder aus Bosnien, der Herzegowina und Serbien bringt die in Serajewo erscheinende Zs. 'Bosanska Vila' auch in ihrem letzten 24. Jahrgange. Teilweise interessant sind die daselbst abgedruckten Märchen; z. B. wird dem einzigen Sohne eines reichen Mannes pro- phezeit, dass ihn eine Schlange an einem bestimmten Orte töten werde; er rettet sich nur dadurch, dass er ihren Namen ausspricht, den er gehört hatte, als er die Prophezeiung von der Schlangenkaiserin belauschte. Da verwandelt sich die Schlange in ein Mädchen, und er heiratet sie. Nach einiger Zeit schlägt sie ihr Schwiegervater mit einem Pferdehalfter, und sie wird wieder zur Schlange, dann aber erlöst, als sie der Schwiegersohn (Schwestermann y 'zet') ebenfalls mit einem Pferdehalfter schlägt (S. 131".). Ferner eine Fassung des Märchens von dem treu- losen Weibe, welches ihren Mann aus Liebe zu einem Helden töten will (S. 189), von der im Jenseits rasch schwindenden Zeit (S. 61), vom Mädchen im Mäusefell, dessen Kinder ihr Vater umbringt, um es als Mörderin erscheinen zu lassen (S. 76f. 89f.); die Schlange als Mann; die Frau findet ihn, als ihre eisernen Schuhe zerrissen sind (S. 124), von den AVunschdingen: Tischlein-deck-dich, d. i. ein von der Prinzessin mit Perlen gesticktes Tuch, 2. Esel, aus dem Soldaten heraus- kommen, o. Kanonendonner aus dem gedrehten Hut, 4. ein Stock, aus dem eine feste Burg entsteht (S. 214f.); Doktor Allwissend (S. 365); der Vater wird gesund.

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wenn er die glückliche Uhr bekommt; der jüngste Sohn gewinnt sie, findet die entführte Prinzessin und bekommt Antwort auf andere Fragen, aber nicht beim Sonnengott, sondern bei dem Drachen, der jene Prinzessin entführt hatte (S. 254 fl'.).

Sagen von verschiedenen Burgen und Schlössern Kroatiens stellt Mile Mag- dic zusammen (Zbornik za nar. ziv. 14, 1-24— 133), etymologische Sagen, Schatz- sagen u. a. So wird vom Mrsii'igrad erzählt (S. 127), dass der König seine Tochter verfluchte, weil sie nicht mit ihm die Burg verlassen wollte: sie wird in eine Schlange verwandelt, welche die vergrabenen Schätze hütet, bis sie ein mensch- liches Wesen durch einen Kuss befreit. Mit dem Starigrad ist die Midassage ver- knüpft (S. 12!»): König Attila, der einen Hundskopf hat, lässt sich jeden Tag durch einen Soldaten rasieren, der darauf geköpft wird, damit er nicht sein Gesicht ver- rate. Von den 'Nemri', welche vor den Griechen und Türken lebten und die Burg Belaj erbauten, wird die Sage von der Tötung der Greise erzählt (S. 124): Als sie in den Krieg mit Russland ziehen, rät ein greiser Vater seinem Sohne, die Stute mitzunehmen, das Fohlen aber zu Hause zu lassen. Die Russen führen sie in ein finsteres Land, aber die Stute eilt zu ihrem Fohlen, und so befreit der Jüngling mit ihrer Hilfe das ganze Heer. Eine kleine Sammlung serbischer Volksmärchen aus Mostar veröffentlicht Vladimir Coro vir (Novi Sad = Neusatz, Mat. Srpska iyu9, S. 23): die Mutter soll nicht ihr totes Kind beweinen (S. 9), der Tod wird von einem Greise trunken gemacht und aufgehängt, vom Teufel befreit; beide führen dann den Greis zum Himmel (S. 14 Nr. 5); der Sohn kehrt zurück, wenn er noch dümmere Leute findet als Mutter und Vater (S. 17 Nr. 7); der reuige Räuber (S. 19 Nr. 8) hier der hl. Ignaz; einige Legenden u. a. Die 4. Fortsetzung der von Fr. S. Kr au SS gesammelten 'Südslawischen Volksüberlieferungen, die sich auf den Geschlechtsverkehr beziehen' (Anthropophyteia 5, 276 3.32) bietet im ganzen nichts, was für die vergleichende Stoffwissenschaft von Belang wäre, bis auf einige wenige Nummern, wäe Nr. 717 S. 312, wo der Vater reiche Belohnung dem verspricht, welcher errät, was für ein Mal seine Tochter habe, aber den, der es nicht trifft, köpfen lässt. Nr. 72ü S. 32.') Grossmütterchen und Grossväterchen auf einem Baum, unter welchem Räuber lagern. Nr. 721 S. 327 Fleisch an Kunden verkauft, Gold produzierender Esel. Nr. 722 S. 330 Meisterdieb. Die ange- fügten 'Parallelen zu den südslawischen Erzählungen in den Anthropophyteia Bd. V (ebd. 5, 353 357) bieten herzlich wenig.

Die Geschichte der Volkskunde betreffen zwei bisher unbekannte italienische Übersetzungen serbischer Volkslieder von Albert Fortis, die V. M. Jovanovii- (Archiv f. slav. Phil. 30, 586 ff.) mitteilt. Jovan Skerlic überarbeitete und ver- vollständigte seine ältere Studie 'Die französischen Romantiker und die serbische Volkspoesie', welche dem Aufs^atze von T. Matic zugrunde lag (vgl. oben 18, 217), in Buchform (Mostar 1908. SOS. 16"). Jovan Erdeljanovic' gab eine sehr willkommene bibliographische Übersicht und kritische Analyse der ethnographischen Arbeiten Mili(-evi(-s (Zs. 'Delo' Bd. 49, S. 292— 321). Fr. .■>. Kuhac beendigte seine Arbeit über die 'Eigentümlichkeit der A'olksmusik, besonders der kroatischen' (Rad jugoslav. Akad. 176, 1 82; vgl. oben 19, 325); er behandelt die Figuren der Anaphora, Epiphora, Circulus, Anadiplosis, Regressio, Epizeuxis, Antimetabole, Assonanz, Alliteration, leoninische Verse, Schallnachahmung, Strophenbau, vergleicht die kroatische, deutsche und magyarische Volksmusik und stellt zugleich Forderungen an die kroatischen Komponisten. Dr. Sima Trojanovic beschreibt 'Die musikalischen Instrumente des serbischen ethnographischen Museums in Belgrad' (Zs. 'Svetlost , S.-A. 26 S.), handelt über ihre Geschichte und sucht zu beweisen, dass die 'gusle' serbischen Ursprunges sind und von den Serben auf verschiedenen Wegen zu den

Berichte und Bücheranzeigen. 428

Ambern drangen. Einen Beitrag- zur Sprichwörterkunde liefert P. V.J. Skarpa in seinen 'Kroatischen Volkssprichwörtern" (Sebenico 19U9. 16 und i)"20 S.). Er benutzt ausser den älteren Saramlungeu und Zeitschriften eine hsl. und eigene Auf- zeichnungen; leider ist die Herkunft der einzelnen Sprichwörter teils unpraktisch, teils überhaupt nicht bezeichnet. Er hat auch das bisher veröffentlichte Material nicht erschöpft, nicht einmal die akademischen Publikationen, und zeigt sich trotz unverkennbaren Fleisses als ein Dilettant, der von der wissenschaftlichen Sprich- wörterkunde keine Ahnung hat. Darauf weist seine noch ganz romantische Vor- stellung von den Sprichwörtern, seine Neigung zu mythologischen Erklärungen, zur Ableitung aus der heidnischen Vorzeit. Auch die ganz veraltete Gruppierung, die einst "philosophisch" genannt wurde. Eine Anführung von fremdsprachlichen Parallelen wäre wohl zu viel verlangt. Die Anmerkungen zu einzelnen Sprich- wörtern sind moralistischen oder nationalpolitischen Charakters, oder vom priester- lichen Standpunkt des Herausgebers diktiert. So ist trotz der grossen Arbeit der wissenschaftliche Wert des Buches gering. Ljubomir Mitrovic stellte aus verschiedenen Sammlungen serbischer Sprichwörter 180 Nummern religiösen Charakters zusammen und meinte so 'Die Religion in den serbischen Volkssprich- wörtern' darzustellen (Duchovna Straza 1909, S. 233 ff.). Alexander Mitrovic sammelte 'Erotische und skatologische Sprichwörter und Redensarten dalmatinischer Serben' (Anthropophvteia 5, 161 ff.); Th. R. Gj (orgjevir) schöpfte dergleichen aus der 2. Auflage der alten Sammlung Muskatirovi('s vom Jahre 1807 (ebd. 5, 176 ff.).

Die serbische Akademie hat nun auch eine systematische Sammlung der Ge- bräuche und Gewohnheiten unter der Leitung des Dr. Tichomir R. Gjorgjevic begonnen; unter seiner Redaktion erschien der 14. ausschliesslich diesem Zweige der Volkskunde gewidmete Band des 'Srpski Etnografski Zbornik' (468 S.). In der Einleitung setzt der Redakteur kurz seine Ziele und Grundsätze auseinander und fügt eine Bibliographie und Charakteristik der bisherigen Arbeiten und eine knappe Anleitung für Sammler hinzu. Darauf folgen eine sehr ausführliche Studie 'Serbische Volksgebräuche aus dem Bezirk Boljevac' von Savatije M. Grbic (S. 1 38*2), welche unter der Leitung von Gjorgjevir geschrieben ist und als Muster für spätere Sammler gelten soll. Wir erhalten hier wirklich ein aus- führliches, das geringste Detail erschöpfendes Bild des Lebens und Webens in dem genannten Kreise, im Gebiete der oberen Schwarzen Timok, wo das serbische Volkstum an das rumänische Element stösst und zugleich ein ziemlich fest ab- gegrenztes Gebiet bildet Die Arbeit zerfällt in zwei ungleiche Teile, a) die festen Gebräuche des Jahres, d. h. die an bestimmte Tage, besonders Festtage, gebundenen Gebräuche (Volkskalender) und b) die beweglichen Gebräuche, d. i. in der Familie und im gesellschaftlichen Leben. Gebräuche und Aberglauben werden nach den Stufen des Menschenalters aneinandergereiht, bei der Schilderung der Kinderzeit zugleich abergläubische Gebräuche, Zaubermittel, Beschwörungsformeln gegen Krankheiten angeführt. Bei der Jünglings- und Mädchenzeit wird auch das Liebes- leben geschildert, doch betont, dass die Mädcheii peinlich darauf achten, ihre Ehre nicht zu verlieren. Geschieht dies aber, besonders im A'erkehr mit ver- heirateten Männern, so nehmen sie Zuflucht zu Weibern, die sich auf das Ab- treiben der Leibesfrucht verstehen. Letztere Unsitte nimmt auch bei Frauen, die keine Kinder mehr gebären wollen, überhand. Ausführlich wird die Hochzeit be- schrieben (148 19öff.), die Feier des Haus- oder Familienpatrons, die sog. 'Slava" (195—212), das Kirchweihfest. Hieran schliesst sich ein ausführliches Kapitel über Volksmedizin (217 241), Tod und Begräbnis, wobei eine Anzahl Klagelieder

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mitgeteilt wird (241— 258). Nun geht der Verfasser zu den Bräuchen beim Acker- bau über, wobei wieder mehrere bei der Ernte, bei der Weinlese u. a. gesungene Lieder angeführt werden. Es folgen 'technologische Gebräuche', beim Kalk- brennen (277), Bereitung des Branntweines, des Traubenweines; hierauf die einzelnen weiblichen Arbeiten, besonders Spinnen (281—291). Nun wendet sich der Vf. zur Schilderung der sozialen Verhältnisse, schildert die künstlichen Ver- wandtschaften als Gevatterschaft (39:5), Bruderschaft (294—301) u. a., die Stellung des Weibes in der Familie, Leben und Pflichten des Mannes (302 ff.) u. a. Schimpfworte und Flüche (S. 310); die Hausgemeinschaft (zadruga), Hausbau, dabei Bauopfer (322), religiöses Leben (324 ff.), Unterhaltungen (328 fl'.), Gebräuche bei ungewöhnlichen Naturerscheinungen, wie Erdbeben: die Erde steht auf einer Säule, an welcher der Teufel angebunden ist; der nagt an der Säule, und wenn von der wenig überbleibt, schüttelt er mit ihr; aber sogleich wächst die durch- gebissene Stelle zu; Donner, Hagel, Sonnen- und Mondfinsternis, Dürre und Regen, Bittprozession der sog. Dodolkas um Regen (33.3), Viehzucht (337 f.), besonders Schafzucht, Krankheiten des Viehes (346), Bienenzucht (352), warum die Biene schwarz geworden ist, Geflügelzucht (356). Einen Beitrag zur Geschichte der serbischen Bräuche gibt Tich. R. Gjorgjevir, indem er Material aus Akten der Jahre 1815—1839 zusammenstellt (S. 383—466); wir finden da z.B. noch in den zwanziger Jahren des 19. Jh. Hexenverfolgung (393—396), Vampirglauben (431—434), Hochzeitsgebräuche (435), Brautraub (441), Weglaufen des Mädchens vom aufgedrungenen Bräutigam in das Haus des Geliebten (448), Verkaufen der Mädchen (452), Hochzeitsgeschenke (456) u. a. Spinnabende (458), Teilung der Hausgemeinschaft (400). Einige Nachrichten über 'schwiegerväterlich^r Zeit- ehe'') und deren Einfluss auf die Zerstörung der Hausgemeinschaft bei den Serben stellte Dr. Trgji<- aus gerichtlichen Akten aus den dreissiger Jahren des 19. Jh. zusammen (Anthropophyteia 5, 32; vgl. oben 19, 318). Verschiedene Materialien 'Zur Urgeschichte der menschlichen Ehe' bringt (ebd. 5, 204) Fr. S. Krauss aus Slavonien und Serbien; weiter über den Geruchssinn in der Vita sexualis (ebd. 5, 210), von absonderlichen geschlechtlichen Gelüsten und Lüst- lingen (ebd. 252 fl".), Masturbation (258 f.). Die Frage, wie weit Bigamie und Polygamie bei den Serben verbreitet war, untersucht von neuem Radoslav M. Grujir (LetopisMat. Srpske 256. 30—43. 257, 49—66) und sucht gegen Vlad. Corovic und T. R. Gjorgjevic (vgl. oben 18, 317) nachzuweisen, dass wirkliche Bigamie oder Polygamie keinesfalls bei dem serbischen Volke verbreitet war, sondern dass nur von einzelnen Fällen aus sozialer Notwendigkeit die Rede sein kann, dass seit jeher freiwillige und willkürliche Ehescheidungen üblich waren und dass die geschiedenen Gatten dann neue Ehebündnisse eingingen: der Grund lag vielfach nicht bloss in der Unbeständigkeit der Gatten, sondern in Unfrucht- barkeit, Unfähigkeit u. ä. Die Bigamie in älteren Berichten ist vom Standpunkte der römisch-katholischen Kirche aufzufassen, die neue Ehebündnisse geschiedener Ehegatten für Bigamie erklärte und seit dem Ende des 17. Jh. bei den serbischen Untertanen der südungarischen Komitate streng ahndete, während die serbische orthodoxe Kirche sich hierin viel liberaler verhielt; die österreichische Regierung vertrat energisch den rigoroseren Standpunkt der römischen Kirche. Wirkliche Bigamie kam bisweilen vor, wenn die unfruchtbare Frau selber ihren Mann dazu

1) Diese schildert als gang und gäbe unter der bäuerlichen Bevölkerung ein neuerer serbischer Schriftsteller, Borisav Stankovir, in einer aus dem Leben der Bevölkerung des südlichen Serbiens geschöpften Erzählung 'Unreines Bhif (Belgrad 11110).

Berichte und Bücheranzeigen. 425

drängte, eine zweite Frau zu heiraten, worauf sie als "Schwester' ihres Mannes im Hause verblieb. Auf eine Anfrage von Tih. li. Gjorgjcvirs über Existenz der Cou vade bei den Serben bestätigten diese Dr. Alex. Mitro vir (Bos. Vila 23, 121) für das nördliche Dalmatien, Jelica Belovii- und Pet. Ivanrevii- für Bosnien (ebd. 23, 202). Die Feier des Haus- und Familienpatrons im westlichen Teile der 'Krajina' Bosniens, des sog. Türkisch-Kroatien, wird beschrieben im Glasnik des Landesmus. f. Bos.-Herzeg. 21, 577 ff. Ein weites Ziel steckte sich Paul Sofri(- in seinem Buche 'Drei Beiträge zur Kenntnis der serbischen Volksseele' (Nisch 1909, 84 S.), doch ohne es zu erreichen. Er versucht auf Grund alter Schriftdenkmäler, des Volksglaubens und der Volksüberlieferungen 'die Seele des serbischen Volkes' zur Zeit des Stefen Nemanja und des hl. Sawa, wie auch während dessen Knechtschaft unter den Türken aufzudecken und eine Geschichte des serbischen Teufels zu liefern, wie auch die serbischen Hexen zu schildern (vgl. Srpski kiiiz. Glasnik 23, 238; Letopis Mat. Srpske 258, 82).

Einen wichtigen Beitrag zur Volksmedizin liefert Dr. Fran S. Gundrum- Oriovcanin, der ein Arzneibuch, welches der Paulinermönch Imbro Lui(- im Jahre 1746 in Kroatien niederschrieb, veröffentlicht (Zbornik za nar. ziv. 14, 55 bis 123). Vier andere Arzneibücher aus dem 18. bis 19. Jh. druckt (ebd. 14, 1G8 bis 284) Mojo Medii- ab; das zweite enthält auch ein Brontologion und Prognostica. Der Herausgeber zieht neben bekannten älteren Arzneibüchern und neueren aus dem Volke geschöpften Arzneimitteln auch einige ältere deutsche Kräuterbücher zum Vergleiche heran. Neues selbst gesammeltes Material zur Volksmedizin bringt Toma Dragiccvii- (Glasnik d. Landesmuseum f. Bos.-Herzeg. 21, 461 bis 478). Verschiedene Mittel gegen geschlechtliche Krankheiten sammelten Friedr. S. Krauss und Dr. A. Mitrovi(' (Anthropophyteia 5, 219—227, wie auch Zauber- und Bannsprüche ebd. 5, 228 ff.) und Liebeszauber (ebd. 5, 237 249). Stauoje M. Mijatovi(- berichtet von der Volksmedizin der serbischen Bauernbevölkerung in Levac und Temnii' (Srpski etnograf. Zbornik 13, 259 4>s2). Es ist das die gründlichste Arbeit auf diesem Felde aus der letzten Zeit. Zuerst werden hygienische Verhältnisse bei dem Hausbau besprochen, die Schlafstätte, Pflege des Körpers, Nahrung, Regeln beim Speisen u. a., dann Zauberraittel gegen ver- schiedene Missstände bei dem Gebären, mit den Kindern, Liebeszauber u. a., wobei natürlich auch Zaubersprüche vorkommen (281 297), Beschwörungsformeln (298 319), bei welchem vielfach die neunte Feder aus dem rechten Flügel des neunten am neunten Dienstag nach Weihnachten ausgebrüteten Huhnes gebraucht wird: Ärzte und Arzneimittel (320 381), 'Was sich schickt' und "was sich nicht schickt', d. i. Aberglaube im Leben der Braut, der jungen Mutter, bei der Erziehung der Kinder u. a., z. B. wenn viele Kinder sterben, bekommt das Neugeborene den Namen Vuk (Wolf) oder hiervon abgeleitete Namen, oder Zivojin, Zivan. Zivka u. ä. (Ziv = lebend); wenn viel Kinder geboren werden oder sterben, bekommen sie den Namen Stojan, Stanoje, Stanislav u. ä. (stojati = stehen): Zauber, Beschwörungs- formeln, Arzneimittel für das Vieh (424 435): verschiedenes wie Begrüssungs- formeln (436), warum laufen nicht die Kinder gleich nach der Geburt (437), vom Adamsapfel (438), verschiedener Aberglauben, Prognostica auf die Zukunft der Kinder, z.B. in welchem Mondviertel es geboren wurde, Sprichwörter (440 f.), Träume und ihre Bedeutung (442 f.); Feen (Vile 444), Hexen (445) als Schmetter- linge u.a.: Vampir (44()f.), Pestglauben: wenn die Pest in der Nähe erscheint, müssen Zwillingsbrüder zwei schwarze Ochsen (ebenfalls Zwillinge) um das Dorf herumführen (vom Ackern ist nicht die Rede) u.a. (447f.): ein anderes böses Wesen wird als ein dickes altes Weib mit eisernen Zähnen und vielfach Hörnern

j.2(; Polivka:

vorgestellt (448), Drache (zmaj), vorgestellt als eine geflügelte Schlange mit einem Menschenkopf, wird aber nicht als besonders gefährlich vorgestellt (449), andere ähnliche \V^esen sind die 'Ala', welche Hagel tragende Wölken und Stürme anführt und die 'Azdaja', ein gefrässiges im "Wasser hausendes Wesen, welches unserem Drachen entspricht (449), Teufelsglauben (449), Vorstellungen von der Welt (450). Ursprünglich hat Gott für Mann und Weib nur einmal im Jahr geschlechtlichen Verkehr bestimmt. Als sie von Gott zurückkehrten, behauptete das Weib, dass er zweimal im Jahr stattfinden sollte, und als der Mann ihr gehorchte, verlangte sie dreimal. Als beide Gott baten, den Streit zu schlichten, verfluchte dieser das Weib, es möge geschlechtlichen Umgang pflegen, so oft es wolle, aber ihr Kind werde nicht vor einem Jahre laufen (452). Der Verfasser führt weitere Beispiele vom geschlechtlichen Umgang mit Stuten, Kühen, Ziegen auf (45K), vom Verkehr des Hausvaters mit der Schwiegertochter (40.3); endlich Sprichwörter von Gesund- heit, Krankheit und Tod (401).

Zur Kenntnis des Rechtes lieferte Beiträge Dr. Iv. Strohal. In dem Auf- satz 'Die Bestimmung des Rechtes, welches im Volke lebt' (Zbornik zanar. ziv. 14^ 1 ö4) übt er scharfe Kritik an der Arbeit von V. Bogisir über die Erforschung des Gewohnheitsrechtes der Südslawen und auch an dem Quästionar des Dr. Ant. Radi('. Danach war der Grundfehler des ersteren, dass er an der Theorie vom Gewohnheitsrechte festhielt, obwohl es ihm nur als Ausgangspunkt zur Erforschung der Rechtsgebräuche des Volkes überhaupt dienen sollte. Strohal kritisiert die Fragebogen Bogisics, und noch mehr die von nicht juristisch gebildeten Leuten eingelaufenen Antworten. Bogisic hat selbst manche seiner Irrtümer erkannt, dass das Volk die Unterschiede zwischen den Rechtsprinzipien für die weitere Familie und denen für die engere Familie, zwischen Hausgemeinschaft (zadruga) und dem Einzelhaus (inokostina) nicht kenne, dass die Zadruga seit jeher geteilt wurde u. a., und hat neue Fragebogen aufgestellt, die aber nicht gedruckt wurden. Der Autor des späteren Quästionars, A. Radii-, hatte überhaupt keine juristische Vorbildung und glaubte an eine unüberbrückbare Kluft zwischen den 'Herren" und dem Bauern- volke; trotzdem räumt ihm der Vf. einige Vorzüge vor Bogisic ein. Zugleich hat Dr. Iv. Strohal einen neuen Fragebogen zusammengestellt (ebd. 14, 134 160. 28.") 326), worin er die Sammler darauf hinweist, was im Leben des Volkes den Juristen und die Rechtswissenschaft interessiert oder interessieren könnte. Ob- gleich er weiss, dass das Material grösstenteils im Bauernvolk gesammelt werden wird, so betont er, dass seine Fragebogen alle Klassen und Stände der Bevölkerung des slawischen Südens im Auge haben. Endlich fordert derselbe noch zu einer Sammlung der im Munde des Volkes umlaufenden juristischen Namen, der Be- zeichnungen der Rechtsbegriffe, wie auch ihres Gebrauches auf. Derselbe Gelehrte untersuchte von neuem die Frage der 'Hausgemeinschaft bei den Südslawen' (Glas- nik des Landesmuseum f. Bos.-Herzeg. 21, 215—296); er übt scharfe Kritik an den Berichten von der Hausgemeinschaft, der südslawischen 'Zadruga' und bestreitet energisch, dass sie in der ältesten Zeit bestanden habe; ursprünglich existierte die unbegrenzte Herrschaft des Familienvaters bei den Südslawen wie bei allen anderen Völkern, an seine Person war das Eigentumsrecht gebunden; bei den primitiven Rechtsgewohnheiten kann der Mann nur Herr oder Sklave sein. Die alten Denk- mäler berichten nicht nur nichts von der 'Zadruga'. sondern sie beweisen, dass eine Gütergemeinschaft in der alten Zeit überhaupt nicht bestehen konnte. Sie entstand erst verhältnismässig spät im Zusammenhang mit den sozial-wirtschaft- lichen Verbältnissen, und zwar nur in der Bauernbevölkerung. Weiter wird eine Reihe von Gesetzen, die die Verhältnisse der Hausgemeinschaft regeln wollten.

iJericlite uiul Büclieranziiiijen. 4'27

kritisiert. An dieser Stelle sei noch der ausführliche Nekrolog Dr. Valtazar Bo- gisi('s aus derselben Feder verzeichnet (Letopis Jugoslav. Akad. 2.3, 80 140), eine sehr eingehende kritisch-bibliographische Übersicht seiner gesamten wissenschaft- lichen Tätigkeit, die auch den auf Bogüics Publikationen beruhenden fremden Arbeiten, z. B. Fr. S. Krauss 'Sitte und Brauch der Südslawen' (S. 09) den gebührenden Platz in der Wissenschaft anweist. Einen 'Beitrag zur ethnologisch-juristischen Symbolik" lieferte Dr. Sima Trojanovir in seinem Aufsatze 'Die Wahl der serbischen Häuptlinge' (Srpski kuiz-Glasnik 23, 45f. 114f.; S.-A. 16 S.). Es sind da verschiedene Gebräuche: bei den Serben Südungarns wird noch jetzt der neugeweihte Priester in die Höhe gehoben, so war es auch Brauch bei der grie- chischen Geistlichkeit in Süd-Mazedonien und im Epirus; der Verfasser bringt diesen Brauch in Verbindung mit der altgermanischen Schilderhebung. In Monte- negro wird nach dem Tode des Häuptlings dessen Sohn als Nachfolger eingesetzt, indem ihn der älteste Häuptling im Kreise der anderen dreimal um sich herum- dreht. Darin erblickt der Vf. die römische 'manumissio', die er noch in dem Hochzeitszeremoniell von Risano in denBocche di Cattaro findet. Bei dem monte- negrinischen Stamme der Kuci beantragte der freiwillig abtretende Herzog die ^Vahl eines Nachfolgers und behielt sich nur das Recht vor, den Erwählten zu be- stätigen; als Zeichen davon nahm er seine eigene Kappe ab und setzte sie dem Erwählten mit Blumen geschmückt auf den Kopf. Auch die Sage A^on dem alten serbischen Kloster Zica, wo der neugekrönte König immer durch ein neues Tor hinausging und dieses sogleich zugemauert wurde, sucht der Verfasser ethno- logisch zu erklären. Einige Rechtsgebräuche hat Stanoje M. Mijatovii- im Belgrader Archiv für Rechts- und Sozialwissenschaft 8, 4;-{ff. mitgeteilt.

Zur bulgarischen Volkskunde lieferte das vergangene Jahr ungemein wenig Beiträge. Der wichtigste ist N. P. Kondakovs Buch 'Mazedonien, eine archäo- logische Reise" (russisch. St, Petersburg, Akademie 1!>U9, 308 S. mit 12 photo- typischen Beilagen und zahlreichen Textillustrationen). Das Werk, welches die Ergebnisse einer im Jahre 1900 nach Mazedonien unternommenen wissenschaft- lichen Expedition verarbeitet, ist eigentlich der Untersuchung und Schilderung der ai'chäologischen, besonders Kunstdenkmäler des Landes gewidmet. Doch verbreitet t?s sich recht ausführlich über die historische Ethnographie Mazedoniens, über dessen Besiedelung durch slawische Volksstämme, deren A'erhältnis zu den älteren Völkern des Landes, zu den späteren nomadischen Kriegsvölkern, welche die ackerbautreibenden Slawen vorschoben, über das Verhältnis der einzelnen sla- wischen Stämme und die Entwicklung der zwei slawischen Volkstypen auf der Balkanhalbinsel. K. versucht darzulegen, dass die Besiedelung der ackerbau- treibenden slawischen Stämme durch allmähliches Vorschieben der Siedelungen bis vor die Tore Salonikis und Ochrid, während oder öfter nach den Einfällen der nomadischen Kriegshorden vor sich ging; die Besiedelung der östlichen Hälfte der Halbinsel war gegen den Schluss des 7. Jh. fast beendet; im Anfange des 8. Jh. war auch Mazedonien fast ganz mit Slawen besiedelt. Dass diese Besiedelung durch ackerbautreibende Völkerstämme in verhältnismässig kurzer Zeit vor sich gehen konnte, erweist der Vf. durch ein Beispiel aus neuerer Zeit, wo in weniger als loO Jahren die sog. neurussischen Steppen mit einer ackerbautreibenden Be- völkerung besetzt wurden. Über die Frage nach einer genaueren Unterscheidung der slawischen Stämme Mazedoniens scheint Kondakov nicht ganz im klaren zu sein, er hält sie auch in erster Reihe für eine philologische, linguistische. Im Anfange seines Buches sagt er (S. 7), dass die erste Besiedelungsmasse Mazedoniens „ohne Zweifel vorzüglich, wenn nicht ausnahmslos serbisch" war. Später (S. 23

428 Polivka, V. d. Leyen:

bis 52) ist er überzeugt vom ^östlich-bulgarischen Ursprung des mazedonischen Slawentums" (vgl. noch S. 2S7). Besondere Aufmerksamkeit wendet K. der Volks- tracht, namentlich dem weiblichen Kostüme zu und vergleicht einzelne Teile des- selben, Kopftuch und -schmuck, Gürtel, Schuhwerk, Ornamente mit der Tracht anderer Völker und mit den alten byzantinischen Trachten. Hier gibt der Vf. sehr wertvolle Bemerkungen und Winke für künftige Forscher der Volkstrachten der Balkan-Slawen. Sehr interessant sind seine Darlegungen des Zusammenhanges der Kultur des russischen und balkanslawischen Süden mit der griechisch-orienta- lischen Kultur, welche er von der byzantinischen trennt, bei der Besprechung der Ornamentik der ältesten slawo-bulgarischen Handschriften, Fragen, welche auch die Volkskunde angehen. Im Verlaufe seiner Reisebeschreibung berührt K. die Volks- trachten anderer Örtlichkeiten Mazedoniens und hebt die Gleichheit des serbischen und bulgarischen Kostüms hervor, besonders in der Umgebung von Üsküb-Skopije (S. I.s7fl'.), womit die Frage von dem Verhältnis beider slawischen Völker ver- bunden wird. Die Volkskunde pflegt nur die Zs. 'Rodopski Napredi.k'. Ihr Redakteur, St. N. Siskov, bringt Notizen über Volkstracht und Gebräuche im Dorfe Golemi-Dervent. Bz. Sofuli (<i, 113ff.), handelt vom Kulte des Wassers (6, IGlff.) und von Resten des Sonnenkultes in Rhodope (7, Iff); er führt sehr interessante Beispiele an, wie dem Wassergeiste Opfer, sogar Geldopfer darge- bracht werden; wenn ein Mensch oder Vieh ertrinkt, glaubt man, dass der erboste oder beleidigte Wassergeist sich selbst das Opfer geholt habe; der Wassergeist hat unter sich eigene Hüter, besonders in Schlangengestalt; das Wasser in Gebräuchen, seine Bedeutung in Träumen u. a. Die Sonne wird als ein einäugiges Wesen vor- gestellt; als sie einmal aus einem Flusse trinken wollte, packte eine Schlange das eine Auge; hätte sie beide'Augen, so würde die Erde verbrennen; von der Sonnen- mutter. Derselbe bringt noch einen Beitrag zu den Geheimsprachen (6, I20ff.) bei den Rhodoper Handwerkern (Maurer, Zimmerleute, Steinmetze, Dachdecker u. a.); bei den Kindern und der Jugend überhaupt ist die sog. Vogelsprache ver- breitet, jeder Silbe wird fa oder re oder pci nachgesetzt. Jedes Heft der Zs. bringt endlich Volkslieder aus den Rhodope, der Gegend von Adrianopel, Philip- popel (<:, 142—157. 183—190. 265—271; 7, 28—32. (;()-64. 103 110), balladen- artige Lieder; Legenden (6, Ulf.): die Mutter Gottes wollte Jesus nicht als ihr Kind nehmen, obwohl alle Tiere sie baten; erst die grosse Liebe der Fröschin zu ihren Jungen bewegte sie; die Spinne ist gesegnet, weil sie den Herrn durch ihr Spinngewebe vor den Juden verbarg; auf den erschaffenen Menschen spuckte der Teufel, und aus dem weggenommenen Speichel wurde der Hund erschaffen. Endlich beschreibt St. N. Siskov die Volksgebräuche im Dorfe Isman-Koj, Bez. Malgar von Weihnachten angefangen (ebd. 7, 171 190) und teilt die dabei ge- sungenen Lieder mit.

Prag. Georg Polivka.

Kichard M. Meyer, Altgermanische Religionsgeschichte. Leipzig, Quelle und Meyer 1910. VII u. 645 8. 16 Mk., geb. 17 Mk.

Das Buch von Richard M. Meyer über die Geschichte der altgermanischen Religion ist, wie nicht anders zu erwarten war, überreich an Stoff und Gesichts- punkten. Die Religionsgeschichte als Wissenschaft ist in letzter Zeit überall in einer mächtigen und fortreissenden Bewegung: einen erfrischenden und belebenden Hauch davon spürt man in dem Werke Meyers auf jeder Seite, man merkt ihm

Berichte und Bücheranzeioren. 429

auch die Freude wohl an. die es dem Vf. machte. Meyer unterbricht oder bestätigt seine Ausführungen ausserdem fortwährend durch Hinweise auf die griechische und römische, semitische und indische Religion.

Solche Ausblicke sind natürlich eine Gefahr. Sie tragen in den Stoff leicht eine nervöse Unruhe und verwirren dann, anstatt zu klären. Mir wenigstens scheint, als bedürfe gerade die Mythologie als Wissenschaft dringend der Ruhe, des langsamen, ungestörten Einfühlens. Auch verleiten den Vf. seine Hinweise manchmal zu allerhand Mitteilungen und Meinungsäusserungen, die mit dt-m Thema in gar keinem oder nur sehr losem Zusammenhang stehen. Was soll «twa auf S. 120 die Bemerkung, dass Tirschenreut der Geburtsort des trefflichen Germanisten Schmeller sei, oder die auf S. 23t'), dass Goethe und Mozart beide Wolf- gang hiessen, und dass in Wolfram von Eschenbachs Namen sich Wolf und Rabe, die Tiere Odhins, vereinigten, oder die auf S. 237, dass der grosse Chemiker Kerthelot mit der Idee gespielt hätte, die Zukunft werde nur noch chemische Destillate als Nahrung kennen, oder die Parenthese auf S. 480: Ich liebe die Dummheit, wenn sie nur heroisch ist, rief Gustav Roethe den Berliner Studenten zul Hier wäre wohl auch der Ort, einer Unart des Vf. zu gedenken, gegen die man, w'ie mir scheint, gar nicht unduldsam genug sein kann, der Unart nämlich, mythische Auffassungen, Personen und Symbole durch Zustände und Benennungen aus unserer Kultur und Antikultur zu charakterisiere Man nennt das 'Näher- bringen, im Grunde ist es, nicht nur für mein En pii . .., eine abscheuliche Fälschung. S. 38: Die Dämonen werden in ihren Ressorts unbeschränkte Vor- steher ... die Götter sind kosmische Beamte (!), die dem Krieg usw. vorstehen, wie ein moderner Minister. Ein Dämon, der sich zum Gott entwickelt, schlägt alle Konkurrenten um die Kundschaft aus dem Feld. S. 41: Die Dämonen er- scheinen bereits avant la lettre als Verfechter des gi.ten Prinzips. S. 12Ö: Hymir, ein Holofernes, halb von Hebbel, halb von Nestroy gezeichnet. S. 156 spricht von einem Schicksalsbureau, das die christliche Theologie eingerichtet habe; S. 174 redet von incognito und offiziell erscheinenden Göttern: S. 211 sagt, die Riesin Skadi habe sich bei der Kotillontour vergriffen; S. 231 findet einen Gott mit einer ins Gesicht geklemmten Sonne seltsam; S. 2;)7 spricht von der flüssigen Diät Odhins und nun höre ich damit lieber auf.

Meine Grundanschauungen in mythischen Fragen weichen von denen Richard Meyers recht oft recht weit ab. Dadurch wurde sein Buch für mich doppelt an- regend. M. steht MüUenhoff und der vergleichenden Mythologie viel näher als ich; der allgemeinen Mythologie oder, wie er es nennt, der folkloristischen Richtung steht er viel ablehnender gegenüber. Freilich habe auch ich (Deutsches Sagenbuch 1, 3G) meine Bedenken gegen diese Richtung entschieden betont, stehe auch nicht, wie Richard Meyer (S. 606) sagt, auf dem Standpunkt, dass die Edda bloss alt ist und die Volksmärchen altertümlich; ich sage nur, dass ein Märchen altertümlich sein und uralte Motive treuer wiedergeben kann, als die Edda.

Für Richard Meyer ist beispielsweise Hermann Usener der grosse Erneuerer der Mythologie. Mir scheint, dass die Bedeutung üseners viel weniger in seinen mythologischen, als in seinen religionsgeschichtlichen und Legenden forschungen liegt. Die Bedeutung der mythenbildenden Kraft und der Gesetze der Umbildung des Mythus hat z. B. W. Mannhardt energischer gesehen und umfassender gezeigt, als Usener. Die Entdeckung der Sondergötter ist für die Mythologie von recht be- schränktem Wert, und der von Usener so gescholtene Animismus, dem doch AVerke wie die von E. Rohde und H. Oldenberg ihre Entstehung zum Teil vordanken, war in seinen Folsren und Erkenntnissen viel segensreicher, t'brigens hat Meyer

430 '^'- ^^- Leyeu, Meyer:

die Bedeutung der Sondergöttinnen für das Germanische (S. 402, vgl. mein Sagen- buch 1, '2oO) übersehen. Vergleicht man etwa Useners Aufsatz Dreiheit (Rheinisches Museum 58) mit Axel Olriks Epischen Gesetzen, seine Sintflutsagen mit Olriku Ragnarök, so muss jedem die tastende Unsicherheit, der Mangel an mythologischen Kenntnissen und mythologischem Sinn bei dem klassischen Philologen auf- fallen. — Mit diesen Anschauungen von Richard Meyer hängt es zusammen, dass die Abschnitte über niedere Mythologie am wenigsten befriedigen, er ist hier über seine Vorgänger nirgends hinausgekommen, ja, wenn man bedenkt, dass er reichere, eindringendere Sagensammlungen hätte benutzen können, als jene, so ist er hinter ihnen zurückgeblieben. Hier wäre eine tiefe Kenntnis unserer deutschen Sagensammlungen wichtiger gewesen als eine Kenntnis unserer mythologischen Handbücher.

Aus diesem Grunde hat mir das auch wenig eingeleuchtet, was Meyer über die Ursprünge der germanischen Götter sagt. Zu diesen gelangt doch nur der Forscher, der in die ältesten und untersten Schichten der Mythologie eindringt und sich dort heimisch fühlt. Dass die Grundanschauung von Odhin die mächtige Bewegung ist (S. 228) oder dass Hönir das unterirdisch fliessende Wasser sei, das nur stellenweise sichtbar ist (S. 371): zu solchen Abstraktionen reicht das Denkvermögen der Zeiten nicht aus, in denen Götter entstehen. Odhins Ursprung ist deshalb so schwer zu finden, weil die verschiedenen germanischen Stämme verschiedene Seiten seines Wesens verehrten, und Hötiirs Wesen deutet viel eher auf einen Wolkengott als auf einen Wassergott.

Meyer ist, wie gesagt, in der mythologischen Forschung besser zu Hause als in den mythologischen Überlieferungen. Wenn er sich den geistigsten Göttern zuwendet oder wenn er der Forschung neue Probleme stellt, gibt er sein Bestes. Die Darstellung von Odhins Wesen bringt Ausgezeichnetes, und der Gedanke, Odhin als den Gott des Speeres dem Tyr als Gott des Schwertes gegenüber- zustellen, und die Überlegenheit Odhins aus der Überlegenheit seiner Waff'e ab- zuleiten, hat etwas Bestechendes, wenngleich ich in der nordischen Überlieferung nirgends Anhaltspunkte dafür sehe. Der Versuch, den Mythus von Thiazi zu rekonstruieren, ist beachtenswert, und noch nie wurde die Bedeutung des Un- sterblichkeitsglaubens für die Entwicklung der germanischen Religion so klar und glücklich gesehen, wie von Meyer. Das Unternehmen, eine Geschichte der alt- germanischen Religion zu zeichnen, und das andere, die Entwicklung und die Grund- sätze der religiösen Namengebung aufzudecken, verdienen unbedingte Anerkennung; sie konnten noch nicht gelingen, aber der Forschung werden hier Gebiete gezeigt, auf denen noch viele Erkenntnisse wachsen müssen und die bisher über Gebühr vernachlässigt blieben. Auch die literarische Charakteristik solcher Lieder wie der Grimnismal und Wafthrudnismal geben viel zu denken, und die von Snorri und Saxo sind sehr anregend. Mir ist allerdings, da der Vf. ein so scharfes Auge für das Literarische und Künstlerische in den Liedern der Edda hat, nicht ganz verständlich, dass er die exklusive Art vieler von diesen Liedern, besonders der Odhin-Lieder, nicht zugeben will, und dass er das Spiel mit Thors Schwäche harmlos gemütlich findet: wo ist denn in diesen immer sehr bewusst und kunstreich gebauten Dichtungen jemals harmlose Gemütlichkeit? Den tragischen Ernst in der Edda und die Schwere des germanischen Pflichtbewusstseins hebt Meyer in schönen Worten hervor.

Es baut sich in dem Werk Richard Meyers die altgermanische Religion nicht organisch auf. Namentlich in den ersten grundlegenden Kapiteln ziehen Primitives und Spätes, alte und neue mythologische Auffassungen, nicht streng geschieden,

Berichte uud Rücheranzcigen. 431

sondern im Durcheinander an uns vorüber. Dafür werden in fast endloser Reihe Anregungen, Einfälle, Gedanken, neue Auffassungen, neues Material, neue Zusammenhänge, neue Gesichtspunkte, neue Kombinationen vor uns aus- c^ebreitet ein ungeheurer, natürlich nicht gleichwertiger Haufen von inter- essanten und geistreichen Dingen. Ich kann hier dann müsste ich ein ebenso dickes Buch schreiben den Einzelheiten nicht zustimmend oder ablehnend folgen; ich kann nur versichern, dass es der Mühe wert ist, diesen Haufen ein- gehend zu betrachten: es können sich viele Forseher Hinweise und Anregungen daraus holen.

München. Friedrich v. der Leyen.

Salomon Reinach, Orpheus. Allgememe Geschichte der EeligioneD. Deutsche, vom Verf. durchgesehene Ausgabe v. A. Mahl er. ^yien und Leipzig, Eisenstein & Co. 1910. XII + 463 S. 7,50 Mk.

Dies mit Recht auf schlechtem Papier in grauen Lettern gedruckte Buch wirkt auf den deutschen Leser wie ein verblüffender Anachronismus. Gewiss, Reinach ist in der mythologischen Literatur erstaunlich bewandert, wenn er auch die deutschen Forschungen der neueren Zeit bedauerlich vernachlässigt: bei der unglaublich oberflächlichen Darstellung der Azteken etwa (S. 147) wird man Namen wie Seier und Preuss vergeblich suchen, woneben die Vernachlässigung eines Oldenberg, Pischel, Hillebrandt beim Buddhismus (S. 73) noch verzeihlich erscheint. Die glänzenden Darstellungen in der 'Kultur der Gegenwart' sind für R. so wenig vorhanden wie (S. 104) für Römer und Hellenen Wissowa, Rohde, Wilamowitz; nur gerade Useners Name ist noch bis zu ihm gedrungen. Bei der Gleichstellung von babylonisch shabbatum und hebr. sabbat ist (S. 39) von Meinholds Kritik so wenig die Rede, wie etwa bei der Lehre vom Opfer (S. 91) auch nur mit einem Wort Robertsons gedacht wird! Aber immerbin es gibt für die meisten Gebiete hier auch vortreffliche französische Schriften, und der Verf. hat sich ja selbst produktiv in der Mythologie bewährt, wenn auch nicht jedermann etwa seine Er- klärung vom Ted des Grossen Pan (S. 42) für so sicher halten wird wie er.

Auch diese unbefangene Sicherheit ist leider noch nicht schlechtweg anachronistisch. R. sieht überall Totem, wie andere überall Naturgötter. Dass der Totemismus etwa bei den Hebräern von Sachkennern lebhaft angezweifelt worden ist, kümmert ihn nicht; ihm ist schon Bileams Eselin (S. 171) beweisend. Ebenso rasch findet sich (S. 127) ein germanischer Pferdegott. Warum auch nicht? Da ja an Odins Hof (S. 131) auch der Mondgott und die Sonnengöttin wohnen ebenfalls eine Entdeckung Reinachs! Die Beweise für den hellenischen Totemismus (S. 79) beruhen auf einer groben Gleichsetzung von Fetischismus und Animismus, für die etwa Edvard Lehmanns Unterscheidungen nicht existieren.

Aber auch so würden wir nur sagen: Der Verf. ist um eine Reihe von Jahren zurückgeblieben. Was seinen Verf. um mehr als ein Jahrhundert zurück- datieren lässt, das ist der Geist des Buches: flachster, dürftigster Rationalismus. Die negative Definition: „Religion ist eine Summe von Bedenken, welche den freien Besitz unserer Fähigkeiten behindern", verspricht viel; das Buch hält es. Wenn der Verf. meint, sieben Achtel des Rigveda seien 'blanker Unsinn" (S. 53: „die Indologen wissen das auch ganz gut und machen untereinander kein Hehl daraus" . . .), so hören wir den seligen Less; und wenn er den Mystizismus

^3'J Meyer, Schullerus, Petsch:

(z. B. S. 276 vgl. 3G0) einfach als 'dunkel und langwierig' beseitigt, so sind wir über die Aera dieses modernen Religionsforschers wohl vollends im klaren.

Die Vorrede, deren unendliche Geschmackslosigkeit noch von den späteren Witzeleien über Kaiser Wilhelm (S. ob) und La Valette (S. 349) übertroffen wird, vcrheisst häufigen Anschluss an Voltaire, und wirklich hat R. (S. 257. 28^' f. vgl. 375 u. ö.) die trivialsten Stellen des grossen Spötters anzuziehen gewusst. (Viel berechtiger ist S. 14 der Hinweis auf Fontenelie, der wohl von Nietzsche her- stammt). Aber Voltaire war in einem grossen Kampf; R. will positive Wissen- schaft geben. Was sollen da die an den Haaren herbeigezerrten Anspielungen auf moderne katholische Reaktion (S. 25)'? Wie viel vornehmer hat etwa der jüngst verstorbene Völlers in seinen 'Weltreligionen' einen ähnlichen Standpunkt durchgeführt!

Was sich nun ergibt, wenn von dem Boden nicht eines starken Positivismus, sondern eines feuilletonistischen Antiklerikalismus nun gar (S. 200 ff.) die Geschichte des Christentums gegeben wird, das kann man sich vorstellen. Eine vorurteils- lose wissenschaftliche Eingliederung des christlichen in die allgemeine Religions- o-eschichte wäre eine verdienstliche Tat: aber wer nicht einmal weiss, was ein 'revival' ist (S. 338), der soll davon bleiben. Aus dieser Reihe von Leitartikeln, die von den treibenden Kräften des religiösen Lebens auch keine Ahnung haben, kann man nur lernen, dass auch die antiklerikale Religionsforschung im üblen Sinne 'theologisch' getrieben werden kann; d. h. nicht von einem Priester, sondern von einem Küster; nicht von einem Voltaire, sondern von einem Homais!

Berlin. Richard M. Meyer.

Elisabet R6na*Sklarek, Ungarische Volksmärcheu, ausgewählt und über- setzt, Xeue Folge. Leipzig, Dieterichsche Yerlagshandlung. Theodor Weicher 1909. A^II, 313 8. S«. 5 Mk.

Durch den Erfolg der ersten Veröffentlichung ungarischer Volksmärchen (1901) ermuntert, bietet Frau Röna-Sklarek mit Unterstützung der ungarischen Akademie der Wissenschaften hier eine zweite Auswahl, die um so berechtigter erscheint, als seither die Sammlung magyarischer Volksdichtungen in den Publikationen der Kisfaludy-Gesellschaft rüstig fortgeschritten ist und gerade den Märchenschatz ungeahnt bereichert hat. Aus diesen zuverlässigen Quellen schöpft auch die neue Auswahl. Die Übersetzung ist gewandt und kernig, wenn auch selbstverständlich der eigenartige mundartliche Ausdruck in der deutschen Übersetzung nicht immer ganz zu seinem Recht kommen kann. Doch ist der Erzählton trefflich wieder- gegeben, t' hersetzt sind 32 meist längere Märchen, die ein recht anschauliches Bild des magyarischen Märchenstils bieten, dessen Hauptkennzeichen die Aus- malung der Einzelsituation mit Mitteln der eigenen täglichen Erfahrung ausmacht. Da ein grösserer Teil der aufgenommenen Märchen aus Siebenbürgen stammt, finden sich naturgemäss zahlreiche Parallelen zu verwandten rumänischen und siebenbürgisch-deutschen Märchen, auf die in den Anmerkungen verwiesen wird. (Zu Nr. 10 wäre insbesondere Haltrich Nr. 1<> 'Das Zauberross' nachzutragen, wo die Situation der Flucht vor dem Gewittersturm als Stutenherde unvergleichlich klarer und ursprünglicher erscheint als in der angezogenen rumänischen Variante). Beigegeben ist ein dankenswertes Sachregister.

Her mann Stadt. Adolf Schullerus.

Berichte und Bücheranzeigen. 433

Heinrich Günter, Die christliche Legende des Abendlandes. (Religions- wissenschaftliche Bibliothek, hsg. v. W. Streitberg und R. Wünsch, 2. Band.) Heidelberg, Carl Winter 1910. YIII, 246 S. 8".

Prof. Günter gehört neben dem gelehrten Jesuiten Delehaye (oben 19, 240) zu den besten Kennern, zu den verständnisvollsten und vorurteilsfreiesten Beurteilern der christlichen Legenden des Mittelalters; wir verdanken ihm bereits eine sehr förderliche Untersuchung über den Gegenstand, die 'Legenden-Studien' (oben 17, 236), welche vor allem die Identität der Legendenmotive innerhalb des christ- lichen Mittelalters nachzuweisen versuchen. Diesmal legt der Verfasser den Xach- druck auf die Legenden quellen; aber sein Gegenstand bringt es mit sich, dass «ine Reihe andrer Probleme angeschnitten und zum Teil ausführlich diskutiert wird. Es handelt sich zunächst um den Begriff der 'Legende' überhaupt, um seine Abgrenzung gegen andre Erzeugnisse der theologischen und vor allem der volkstümlichen Literatur. Denn wie die antike Göttersage, so entspringt die christ- liche Legende der 'Volkstheologie'; bei der Legende i.A. handelt es sich um die Übertragung geeigneter Motive auf einzelne Persönlichkeiten, die durch irgend- welche hervorragenden Eigenschaften die Teilnahme der Menge erregt haben; wenigstens möchte ich diese Abgrenzung des Begriffs vorschlagen, den wir doch alle gegenüber 'Mythus, Sage, Märchen, Roman, Novelle' usw. als etwas Be- sonderes empfinden; ich möchte also nicht mit "Wundt den erbaulichen Charakter der Legende zu ihrer Unterscheidung von der Sage verwenden, da wir doch heute ohne weiteres von Goethelegenden, von der Lessinglegende usw. reden; da erscheint die Legende, die nicht notwendig erbaulich sein muss, als eine besondere Art der Sage, die sich um eine historische oder für historisch gehaltene Persönlichkeit be- wegt; natürlich wird der Begriff dann vielfach mit dem der Heldensage sich schneiden, ja vielleicht zusammenfallen; nur eine besondre Gruppe wäre es aber, die sich auf Helden der Religion bezieht; jedenfalls arbeitet die Heldensage im engern Sinne, z. B. die Dietrichsage, so gut wie die christliche Heiligenlegende mit der Verbindung historischer und mythischer Motive, und eine ähnliche Stimmung wird beiderseits für Komposition und äussere Form der Erzählung massgebend (vgl. die Neigung zu Hyperbeln usw.). Wohl dreht sich auch das Märchen um das Schicksal eines einzelnen, aber hier fungiert der Held doch mehr als Träger des Motivs, gegen das er schliesslich zurücktritt. Es wird daher auch viel weniger Kraft und Zeit darauf verwandt, seine Persönlichkeit über alle Staub- geborenen herauszuheben, er wird nicht als historische Erscheinung erfasst, deren empirische Eigenschaften erst ins Mythische gesteigert werden müssten; die Schilderung bleibt ruhiger, gemessener, aber auch typischer und unbestimmter, als in der Heldensage oder der Legende. Ich kann also hier weder Welcker zu- stimmen („Zwischen der Legende und ihrem Gegenstand findet gar kein innerer Zusammenhang statt"), noch Erwin Rohde, der die Legende einfach dem erklären- den Mythus gegenüberstellt „als die durch die Anschauung des täglichen Lebens, des Heimatbodens, alter Gebräuche veranlasste Volkssage"; beide werden dem, was jeder Legendenleser mit der Zeit instinktiv als den eigentlichen Kernpunkt und höchsten Reiz der Gattung auffasst, nicht gerecht. Vielmehr stimme ich A. Harnack (Reden und Aufsätze 1, 10. 1904) zu: Die Legende will charakteri- sieren, das Wesen ihres Helden zeichnen, sie „ist Beurteilung der Geschichte in der Form der (unwahren) Geschichtserzählung"; dazu stimmt auch die Auffassung von Bernheim (Historische Methode); auf dieser Grundlage beruht auch die weit-

Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1910. Heft 4. 2.S

434 Petsch :

herzige Definition der christlichen Heiligenlegende durch Günter selbst: ^Ich ver- stehe unter Legende die mit einer historischen oder erdichteten Heiligengestalt oder religiösen Sache in der Form der Geschichtserzählung verknüpfte verchrist- lichte Völkervorstellung von dem Verhältnis des Menschen zum Übersinnlichen" (S. 201). Etwas weiter als dies erste Kapitel, das übrigens einen lehrreichen Überblick über den bisherigen Betrieb der Legendenforschung einschliesst, führen uns die Erwägungen Günters über den 'Legendenbestand'. Toldo hat in seinen bekannten Aufsätzen in Kochs 'Studien zur vergleichenden Literaturgeschichte' seit 1901 'Leben und Wunder der Heiligen im Mittelalter' nach ihren einzelnen Mo- tiven zergliedert und damit eine äusserst brauchbare Übersicht gegeben; und doch hat der Leser dieser Aufsätze noch keine rechte Vorstellung von dem eigentlichen Charakter der Heiligenlegende, eben weil sich bei dieser Zergliederung das per- sönliche Element ganz verflüchtigt und damit das Kompositionsprinzip des Ganzen verloren geht; Günter analysiert uns zwei ältere, typische Heiligenlegenden: die des Nikolaus von Trani und die des Keivin von Glendalough. Beidemale steht die Figur eines Heiligen im Mittelpunkte; beidemal wird der Lebenslauf einer Persönlichkeit geschildert, wenn auch, wie wir sehen werden, von eigentlicher Ent- wicklung kaum die Rede ist.

Im Gegensatz dazu ist die mit dem 13. Jahrhundert einsetzende Marien- legende nach Günter überindividualistisch: es handelt sich einfach um Samm- lungen von einzelnen, wunderlichen Erzählungen (die übrigens aus sehr ver- schiedenen Motiven entstanden sind; vgl. Benrath, Geschichte der Marienverehrung, Theol. Studien u. Kritiken 5i). 18S6); in allen spielt Maria die Hauptrolle, aber sie tritt im ganzen doch immer als bestimmte, ein für allemal bekannte Persönlich- keit auf, über deren Werdegang nichts Besonderes gesagt zu werden braucht. Der Inhalt ist unpersönlich, international. Günter macht uns klar, dass diese Wandlung im Legendenstil auf die Geschichtsdarstellung hinübergewirkt habe (falls es sich nicht etwa überhaupt um eine Wandlung des mittelalterlichen Menschen in seiner Stellung zum Geschichtlichen handelt); auch die ältere geschichtliche Arbeit ist wesentlich biographischer Art, während mit dem Ende des 12. Jahrhunderts die grossen Anekdotensammlungen einsetzen. Er zeigt bei einem Durchblick durch diese Marienlegenden, wie immer die gleichen religiösen Grundvorstellungen sich in reale Motive umsetzen: Maria belohnt ihre treuen Verehrer, straft ihre Verächter, lehrt neue Formen ihres Kultus; jedes neue Mirakel ist eine weitere Bestätigung eines solchen Grundmotivs; untereinander stehen die Geschichten in keinem andern Zusammenhang als diesem; man kann ihre Reihe beliebig unterbrechen oder ver- ändern, ohne der Legende wesentlichen Abbruch zu tun. Nun finden wir freilich ganz Ähnliches auch bei der erwähnten Nikolauslegende; der Held ruft bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit Kyrie eleison; er wird als lästig empfunden, für einen Toren gehalten, wird beschimpft, geschlagen und auf alle Weise misshandelt, aber die göttliche Gnade lässt ihn seine Leiden entweder gar nicht empfinden oder doch schnell über alles Ungemach hinwegkommen, ohne dass jemals sein Überzeugungs- eifer nachliesse. Da wird ein Grundmotiv in unzähligen Variationen abge- handelt, und wir könnten auch hier beliebig Glieder auslassen oder hinzufügen, ohne das Ganze wesentlich zu verändern. Aber diese Erzählung hat einen Anfang und ein Ende; wir hören, wo und wie Nikolaus herangewachsen ist, und wir hören von seiner Verklärung im Tode. Damit wird ein Rahmen um das Ganze herum- gelegt. Man könnte hierin einen wesentlichen Gegensatz zur Marienlegende er- blicken, wenn nicht bei deren Erzählung doch die ganze Gruppe biographischer Motive von der Verkündigung bis zur Himmelfahrt der Jungfrau, wenn nicht vor

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allem der Inhalt des apokryphen Buches De transitu b. Mariae V. dem mittel- alterlichen Hörer fotwährend vor Augen stünde. Kai also die Marienlegende keinen epischen Rahmen, so hat sie doch einen ganz bestimmten Hintergrund, der dem Ganzen seine Einheit gibt; aber beide Male steht die Persönlichkeit in ihrer charak- teristischen Wirkungsweise im Mittelpunkt der Erzählung, während das eigentlich biographische Element nur ganz dürftig ausfällt und die Auffädelung der Ereignisse so gut wie gar keine Entwicklung verrät. Eine solche ist schon in viel höherem Grade vorhanden bei der Legende des Keivinus oder Coemgenus von Glenda- lough. Hier wechselt mehrfach der Schauplatz der Erzählung, und mit der neuen Umgebung erscheinen jew^eils neue Motive, Beziehungen zu historischen Persönlich- keiten usw. Da liegt nach meinem Gefühl etwas wesentlich anderes vor, als in den soeben behandelten Fällen. Vielleicht wird das, was ich meine, noch deut- licher, w^enn wir aus dem religiösen ins weltliche Gebiet der Personalsage hinüber- greifen; von Till Eulenspiegel wird wohl berichtet, wo er zu Hause gewesen und wo er gestorben sei, den Hauptinhalt des alten Volksbuchs aber bilden die Schwanke, die in überwiegender Zahl auf die eine Pointe hinauslaufen: jemand führt alles wörtlich aus, was ihm gesagt wird. Das ist genau der Typus der Nikolauslegende. Ähnlich dann wie die Marienmirakel lassen sich die Anekdoten etwa von Friedrich dem Grossen aufeinanderhäufen, die immer wieder die Schlagfertigkeit, den blendenden Witz, auch wohl die durchgreifende Gerechtig- keitsliebe, die Vorurteilslosigkeit des grossen Königs schildern und gern auf Grund von Assoziationen aneinandergereiht werden, ohne dass der biographische Rahmen auch nur erwähnt würde, der eben jedem Zuhörer vor der Seele steht. Anders z. B. die Faustlegende, wie sie im alten Volksbuch verkörpert worden ist; auch da eine grosse Reihe von Schwänken, die aber nicht auf ein einheitliches Motiv bezogen werden können, auch da eine Reihe von Disputationsszenen, in dem allen aber doch eine wirkliche menschliche Entwicklung, die durch Konflikte hindurch- führt, der Prozess der Degeneration einer von Hause aus gross angelegten Seele. Von der gleichen Art aber sind altkirchliche Legenden wie die Cyprianus- und Justina- oder die Theophiluslegende. Ob diese stilistischen Differenzen auf chronolo- gisch zu sondernde Schichten des Legendenmaterials hinweisen, muss unsern grossen Legendenkennern zu untersuchen überlassen bleiben. Wohl aber können jene Gruppen für die Einteilung des Bestandes sich brauchbar erweisen. Ich möchte in einem Falle von Häufungslegenden reden, im andern von biographischen Legenden. In jedem Falle liegt eine einheitliche Grundvorstellung, hier natürlich religiöser Art vor; aber das eine Mal lautet das Urteil: „Ein Mann von der und der Beschaffen- heit wirkt das und das," das andre Mal: „Ein solcher Mann hat solches Schicksal. - Der dritte und wichtigste Abschnitt des Buches mustert die „Legenden- quellen" und gipfelt in dem erdrückenden Beweise, dass die Vorstellungswelt der christlichen Legenden des Mittelalters weder spezillsch mittelalterlich, noch spezifisch christlich ist. Eine Musterung des Pausanias, der zunächst um der Kuriosität willen antike Legenden mitnahm, dann aber sie um ihres tieferen Ge- halts willen sammelte, zeigt die verblüffende Übereinstimmung der wichtigsten Motive, die denn auch bei den Mythographen und Geographen wiederkehren und im Neuplatonismus wie im Pythagoreismus im echten l.egendenstil gepflegt werden; und an der Hand einer kurzen Musterung der legendarischen Motive des Talmuds kann Günter nach allen Seiten Verbindungsfädon ziehen: Wasser-, Regen- und Milchwunder, Verlöbnis und Teufelspakt, Jenseitsglaube aller Art, Geburts- und Jugendlegenden, Elementarwunder, Vermehrungs- und Verwandlungswunder, er- staunliche Verrichtungen der Heiligen, Dämonenglaube usw usw., alles kehrt in

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Altertum und Mittelalter, im Orient und im Occident immer wieder. Also lassen sich die Urquellen der Legende so wenig fassen, wie die des Märchens; nur in einzelnen Fällen können wir, wie bei bestimmten Sagengruppen, die Entstehungs- ursachen nachweisen oder doch vermuten. Es handelt sich um die Erklärung von Naturereignissen, um Volksetymologie und um die Verkörperung von Sentenzen: ein Vers z. B. wie Ps. 14G, 7: „Jehova gibt den Hungrigen Brot und macht die Gefangenen los" fordert geradezu heraus zur Bildung von Speisungslegenden, in denen denn auch der Talmud schwelgt, um nachher nur noch von der christlichen Heiligenlegende übertroffen zu werden. Aus der Volkspsychologie möchte ich weniger mit Günter die Entstehung, als die Ausgestaltung der Legende erklären. Schon Pausanias weiss damit Bescheid (VHI, 2): „Wer Heroenerzählungen gern hört, macht gern noch mehr dazu." Vielleicht darf ich zu diesem Paragraphen auf meinen Aufsatz über 'Volksdichtung und volkstümliches Denken' verweisen (Hessische Blätter für Volkskunde '2, 192—211).

Das vierte Kapitel schildert die Entwicklung und Wandlungen der Legende im christlichen Abendlande. Günter zeigt, wie lange es gedauert hat, bis der Occident sich der apokryphen Märtyrerliteratur des Ostens erschloss. Erst im 7. Jahrhundert, unter dem Einfluss eines allgemeinen internationalen Gedankenaus- tausches beginnt man im Frankenreiche die eigne, ziemlich ärmliche Heiligenvita im Sinne der bunten W^undergeschichten aus der Fremde umzugestalten. Übrigens hat die ausländische Richtung hier nur solange geherrscht, als die wilden Partei- kämpfe des 7. und 8. Jahrhunderts den Sinn der Bevölkerung für Torturszenen lebendig erhielten. Dann aber beginnt das religiöse Interesse mit den italienischen Heerfahrten Pipins und Karls sich mehr auf Rom zu konzentrieren, und zudem erzeugt das Jahrhundert seine eignen grossen Heiligen; zur Zeit Pipins wird in St. Viktor bei Mainz die hervorragende Vita S. Bonifatii geschrieben. „Das war erlebt und sah völlig anders aus. Die Wirkung sehen wir an dem, was nun- mehr neu geschrieben wird. Und eine w-eitere Wirkung war eine grössere Zu- rückhaltung und Vorsicht gegenüber dem Volksgerede, der Legendenbildung." An Stelle des blutigen Märtyrertypus dringt das neue Bekennerideal durch. An der Hand der gallischen Verhältnisse legt Günter diesen Entstehungsprozess der mittel- alterlichen Legende ausführlich dar. Neue Erlebnisse zeugen auch neue Legenden- gruppen: die Kreuzzugsstimmung, die Mystik, die Christianisierung der Massen ver- mehren das legendarische Material und neben die Marienlegenden treten unmittelbar die Hostienwunder. Cäsarius von Heisterbach ist charakteristisch für den Geschmack des 12. und 1.3. Jahrhunderts. Die grosse Frage bleibt, ob mit der erhöhten Empfäng- lichkeit der Christenheit auch Wesen und Charakter der Legende sich geändert haben. Günter untersucht diese Frage im Schlusskapitel 'Legende und Mittelalter'; er sucht die Schreiber selber 'auszuhorchen', zunächst über ihr persönliches Verhältnis zu ihrer Aufgabe. Ein tiefer Ernst ist für sie charakteristisch. Strenge katholische Gesinnung und subjektives Wahrhaftigkeitsstreben kennzeichnen den mittelalter- lichen Legendenstil. Damit ist das Verhalten der Schreiber gegenüber dem Stoif gegeben. Der Erzählungsgehalt ist als Heiligenlegende wahr, auch wenn die be- hauptete Augenzeugenschaft nicht im eigentlichen Sinne besteht; der Verf. glaubte an die Autopsie des Quellenschriftstellers oder doch der ältesten Gewährsmänner. Und der Zuhörer war von der Wahrheit des Vorgetragenen um so mehr überzeugt, als ja der Schreiber sich, wenn auch unbewusst, zum Sprachrohr der V'olks- stimmung machte und nach Stoff und Stil von seiner Umgebung beeinflusst wurde. Der im Mittelalter so mächtige „Zwang des Typus hat die Legende gemacht, nicht die Willkür der Autoren"; das Jch verschwindet bei der Erzählung oder geht ganz in seinem

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Gegenstande auf. Mit feinem Verständnis für die Eigenart volkstümlicher Erzählungs- kunst sagt Günter (S. I77f.): „Nach der formalen Seite ist die Pseudoaugenzeugen- schaft psychisch bedingt und so alt als die mündliche Erzählung überhaupt. Ein lebhaftes Temperament ist durch das, was es zu schildern hat, immer persönlichst in Anspruch genommen; am lebhaftesten und wärmsten wird die Schilderung, wenn der Erzähler mit Leib und Seele dabei ist, als Ichbericht. In dieser Form hat die Pseudoautopsie auch in die religiösen Erzählungen eindringen können." Der Autor steht mit seiner ernsten, reifen Persönlichkeit für die Wahrheit des Vorge- tragenen ein. Denn ganz mit Recht sträubt sich Günter dagegen, aus den Be- scheidenheitsphrasen der Verfasser auf wirkliche Schülerübungen zu schliessen. „Man hat reiferen Klerikern, etwa den Subdiakonen für das Cubiculariat. die Auf- sicht über die Heiligengräber und die Reliquien, und in den Klöstern altern neu Eintretenden hagiographische Themata als Probestücke gestellt; stets aber nahm eine derartige Arbeit, wenn sie weiterging, die Approbation der Obern mit, die ihr den individuellen Charakter nahm" (S. 183 f.). Freilich bezieht sich die Kritik der Oberen eben vor allem auf die Rechtgläubigkeit und, sozusagen, auf die kirch- liche Wahrscheinlichkeit des Vorgetragenen. Von historischer Kritik im modernen Sinne kann gar keine Rede sein, denn das Mittelalter hat die Be- deutung der Legende als solcher nicht erkannt; dafür stand sie zu stark in dem Banne des Autoritätsglaubens und unter dem Druck typischer Anschauungs- und Ausdrucksformen: „Über den Wunderstandpunkt der gemeinen menschlichen Populärtheologie war das Mittelalter doch nicht hinausgekommen." Wie sich dann im Zeitalter der Reformation bei Katholiken und Protestanten die Anschauungen über den Wert der Legende allmählich oder auch plötzlich ge- wandelt haben, wie unter der Einwirkung des modernen Individualismus der scheinbar unerschütterliche Typus erweicht und schliesslich gar aufgelöst wird, das zu zeigen wäre eine reizvolle Aufgabe, die über Günters Arbeitsgebiet hinaus- weist, für die er aber an verschiedenen Punkten seines Buches wertvolle An- regungen und Fingerzeige gegeben hat.

In gedrängtester Form, mit einer Beschränkung, die den Meister verrät, hat Günter zusammengefasst, was die bisherige Legendenforschung an sicheren Er- gebnissen gezeitigt hatte, und seine eigne, tiefe Sachkenntnis bringt auf allen Seiten Neues und Wertvolles hinzu; ein reichhaltiges, nur leider noch immer nicht ge- nügend vollständiges Namen-, Sacb- und Motivregister sucht diese Fülle zu er- schliessen und macht damit das Kompendium zugleich zu einem nützlichen Nach- schlagewerke.

Heidelberg. Robert Petsch.

Marcus Landau, Hölle und Fegfeuer in Volksglaube, Dichtung und Kircheulehre. Heidelberg, Carl Winter 1909. XIX, 2[H) S. 8". 4 Mk.

Der grosse Wert dieses Werkes liegt in dem geradezu überwältigend reich- haltigen und recht geschickt gruppierten Material, über das der Verf. verfügt; von den babylonischen Urkunden an bis zu den famosen Darstellungen von Hölle und Fegefeuer 'im Anschluss an die Scholastik' durch den Münsterer Theologen Bautz, von den primitiven Anschauungen der Naturvölker bis zu den subtilen Erwägungen Lessings über die Ewigkeit der Höllenstrafen werden wir geleitet; überraschende Parallelen werden allenthalben gezogen und elementare Formen des 'Völkerge- dankens' treten mit greifbarer Deutlichkeit heraus. Reiche, wenn auch nicht immer

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ganz genaue und vollständige Literaturangaben führen den Benutzer weiter und dienen wiederum als Vorarbeit für denjenigen, der nach Landau des gleichen Weges ziehen wird. Denn für eine abschliessende Behandlung des ungeheuren Themas kann man das vorliegende Buch nicht ansehen; eine solche war von einem ersten Wurf auch kaum zu verlangen, selbst wenn der Verfasser mehr kritische Begabung für eine so umfassende, religionsgeschichtliche Aufgabe mitgebracht hätte, selbst wenn er ernstlich bemüht gewesen wäre, den einzelnen, noch so wunderlichen Ausgeburten des Jenseitsglaubens und des dogmatischen Grübelns gegenüber sich ein historisches Verständnis zu erkämpfen, während uns nun oft genug ein gequälter und manchmal zynischer Witz unangenehm berührt. Mancher möchte das Buch vielleicht breiter angelegt sehen, Avie denn z. B. gleich das Ka- pitel über die Wege zur Unterwelt nicht streng beim Thema bleiben kann, sondern entsprechend den Jenseitsvorstellungen der einzelnen Völker vielfach die Wege zur andern Welt überhaupt oder gar zum Himmel, und nicht die Bahn zur Hölle im besondern darstellen muss; freilich hätte eine Arbeit über die Beziehungen des Menschen zur jenseitigen Welt überhaupt noch einen viel grösseren Umfang an- nehmen müssen, und Landau selbst weiss ganz wohl, dass die Vorstellungen der Völker über die Gefilde der Seligen viel verblasener, viel weniger eindrucksvoll zu sein pflegen als die düstern Ausgeburten eines verängsteten Gewissens; so wäre denn eher zu wünschen gewesen, Landau hätte sein Thema noch enger begrenzt, um auf einem kleineren Gebiete die jeweiligen Erscheinungsformen des Volks- und Kirchenglaubens auf Ererbtes, Erlerntes und Erlebtes hin genauer anzuschauen. Bringt doch Landau für eine sorgfältige, historische Detailuntersuchung mit, was sich die meisten Forscher nur mit der grössten Mühe aneignen könnten: eine er- staunliche Kenntnis der jüdischen Überlieferung, mit deren Hilfe sich manche neue Verbindungslinie zwischen Hellenismus und Mittelalter ziehen Hesse.

Landau mustert nicht die Höllenvorstellungen der Völker in ihrer kulturge- schichtlichen Gesamtentwicklung, sondern er greift die einzelnen Motive heraus und verfolgt sie durch die Weltliteratur; er erörtert in einem einleitenden Kapitel 'die Quellen unsres Wissens vom Jenseits', die visionären Ausgeburten von Traum und Rausch: der Vorgeschichte und der historischen Entwicklung einzelner Formen des Jenseitsberichts, vor allem der Apokalypse und der Translation (der Reise des Lebenden ins Jenseits an der Hand eines überweltlichen Führers) wäre genauer nachzugehen, immer im Hinblick auf die orientalischen Mysterienreligionen, die den Hellenismus und auch das Christentum so nachdrücklich beeinüusst haben. In dem Mysterium der Isis^), das uns Apuleius Metam. XI, .3 beschreibt, nimmt der von der Göttin erwählte Myste, an den der Ruf ergangen ist, von der Ge- meinde Abschied und „steigt an der Hand des Oberpriesters in das Adyton herab zu der eigentlichen Weihe, von der er nur verrät, bis auf die Schwelle der Toten- welt sei er gekommen und durch alle Elemente getragen (oder gewandert) zum Licht zurückgekehrt. Aus mitternächtlichem Dunkel habe ihm leuchtende Sonne gestrahlt, die Götter der Totenwelt und des Himmels habe er geschaut und letztere aus unmittelbarer Nähe angebetet" usw. Mit der Sehnsucht nach Erlösung der Seele aus der körperlichen Hülle, mit dem metaphysisch-ethischen Dualismus u. a. überliefert der Orient dem Abendlande auch das Motiv der Entrückung ins Jen-

1) Vgl. R. Reitzenstein, Die hellenistischen Mysterienreligionen 1910 S. 2.S. Die breiten J'.xkurse, die R. seinem gohultvolleu Vortrage beifügt, verbreiten eine Fülle von Licht über primitive Formen des religiösen Lebens und dürfen auch in unserm Leserkreis nicht übersehen werden.

Berichte und Bücheranzeigen. 439

seits. II. Die Entstehung von Hölle und Paradies. Die einzelnen Stufen, in denen der Yolksgedanke vom Jenseits sich entwickelte, hat Landau behutsam ge- sondert und mit ethnologischem Material belegt. Das früheste Differenzierungs- motiv des Schicksals der Seele im Jenseits ist jedenfalls sozialer Art; mit der Ausbildung und W''andlung der ethischen AVerte verändern sich auch die An- schauungen über die andre Welt. Sicherlich trägt zur Ausbildung des Glaubens an einen 'Ausgleich' sehr viel das unbefriedigte Gerechtigkeitsbedürfnis des Menschen bei: solange noch die alten festen Pamilienverbände bestehen, begnügt man sich, wenn Lohn und Strafe auf die Nachkommen vererbt erscheinen und die Götter an den Kindern rächen, was der Vater gesündigt hat; wenn sich das Individuum erst emanzipiert, so soll es auch selbst die Folgen seines Tuns tragen; je weniger nun Handlung und Schicksal nach den geltenden Rechtsbegriffen einander zu ent- sprechen scheinen, um so sehnsuchtsvoller greift die Erwartung des Menschen über diese Erde hinaus, bis ihm dann zuletzt die Idee aufgeht, dass jede Handlung ihren Lohn in sich selbst trägt und der Mensch gerade soviel wert ist, als er aus sich macht. Landau hat recht mit seiner Bemerkung, „dass diese Stufen des Glaubens an Lohn und Strafe nicht immer zeitlich voneinander geschieden waren, eher wohl räumlich, nach den Volksklassen;" nur möchten wir noch hinzufügen, dass sie sogar in einer und derselben Persönlichkeit hart beieinander wohnen können, dass sich auch der reife Geist, der sich zur letzten Stufe durchgerungen hat, immer wieder auf Gedanken ertappt, die einer überwundenen Kulturstufe an- gehören sollten. Das alles erschwert die Beurteilung der historischen Urkunden, will aber auch bei der Beurteilung einzelner Persönlichkeiten, auch dichterischer Schöpfungen wohl beachtet sein.

III. Wege und Führer zur Unterwelt. S. 41 bezieht sich Landau auf jüdische Legenden (Mose, der sich dem Ruf des Todesengels widersetzt); dabei hätten die mancherlei Schnurren von der Überlistung des Todesboten erwähnt werden sollen, die Andree und Hartmann in dieser Zeitschrift zusammengestellt haben (oben 19, 203 und 432). lY. Die Urteilsbrücke. V. Unterweltstore und Pförtner. VL Topographie und Regierung: „Die Frage, welchen Ein- fluss altpersische Vorstellungen vom Jenseits auf die jüdischen hatten und ob nicht letztere wieder den jüngeren persischen Schriften als Vorbild dienten, kann hier nicht behandelt werden und liegt auch nicht in meiner Kompetenz. Pentateuch und andre ältere Teile der Bibel sind wohl von persischem Einfluss unberührt ge- blieben" (S. 84). Ist es Landau unbekannt, dass uns auch der Pentateuch nur in einer Redaktion vorliegt, die nach der intimen Berührung Israels mit persischer Kultur zustande kam? Er spricht sich an andern Stellen über Fragen wie diese doch entschiedener aus, wo es z. B. die Zurückweisung F. Delitzsch' gilt. Hier, wie anderwärts vermissen wir die genügende Heranziehung der reichen dä- monologischen Literatur des 16. Jahrhunderts, die u. a. auf das Volksbuch vom Doktor Faust und seine Hüllenbeschreibungen sicher mit eingewirkt hat. VII. Ge- richt und Buchführung im Jenseits. VIII. Die Verdammten und ihre Strafen. IX. Die Ewigkeit der Höllenpein. X. Ferien und Unterbrechung der Qualen in der Hölle. XI. Die Verdammten und die Seligen; in der Freude der Seligen über die Qualen der Verw^orfenen einen Rest alter Blutrache zu sehen, geht doch wohl nicht an; von hier führt jedenfalls keine Brücke zu dem uns ab- stossenden Hohn Tertullians, mit dem er (De speciaculis c. 30) auf das künftige Schauspiel des Gerichts hinweist. XII. Feg f euer und Limbus. Hier vor allem wären die Zusammenhänge mit den orientalischen Läuterungsmysterien darzulegen gewesen. XIII. Der Verkehr zwischen Toten und Lebenden. Zu S. 217 f. (Von

440 Petsch, Meyer:

Mitgaben an Tote) war auf Hans Sachsens Fastnachtsspiel vom fahrenden Schüler im Paradies und die ihm zugrunde liegende Schwankerzählung zu verweisen; ebenso zu der ganzen Unterabteilung: 'Die Toten als Feinde und Schädlinge' auf die Sage von der Geisterkirche (vgl. oben 6, 441 f.). Gelegentlich der Höllenfahrt Christi wird auch die altslawische Übersetzung eines griechischen Briefes der Jung- frau Maria über ihre Höllenfahrt erwähnt; näher lag die Höllenfahrt der Jung- frau im deutschen Theophilusdrama. XIV. Gewerbsmässige Erlösung und Ver- sicherung gegen üntervveltspein (so!).

Landau beschliesst seine Vorrede mit dem Bekenntnis: „Eine bestimmte Ten- denz habe ich mir beim Beginn meiner Arbeit nicht vorgesetzt, ich bin aber im Laufe derselben zu der Ansicht gelangt und hoffe auch, der Leser werde sie sich aneignen, dass alle Religionen und Glaubensformen bei aller Verschiedenheit von Rasse, Kulturzuständen und Dogma, doch wieder in einzelnen Vorstellungen und Bräuchen so viel Ähnlichkeit haben, dass sie mit Entlehnung oder gemeinsamer Abstammung nicht erklärt werden kann. Da scheint doch eine dem Menschen an- geborene gleiche Geistesanlage zugrunde zu liegen." Sicherlich wirkt auch hier die besondre Struktur des Menschengeistes mit der Tradition zusammen, um immer wieder überraschend ähnliche Vorstellungen vom Jenseits zu erzeugen; wir wünschten dem psychologischen Problem einen Bearbeiter von der Schärfe und Tiefe des Denkens, wie E. Spranger, der in seinem klassischen Buch über W. von Humboldt (Berlin 1909) die Grundlagen des Humanitätsbegrilfs einer so überaus fruchtbaren, für jede begriffsgeschichtliche Arbeit vorbildlichen Analyse unterzogen hat. Ihm würde das Buch von Landau wertvolles Material in Fülle liefern. Ein ausführ- liches Register erschliesst uns die Reichtümer des Werkes, das auch von der Verlagsbuchhandlung in würdiger Weise ausgestattet worden ist.

Heidelberg. Robert Petsch.

J. Fran^'ais, L'Eglise et la sorcellerie. Precis historique; suivi des do- cuments officiels, des textes principaux et d'iin proces inedit. (Bibliotheque de critique religieuse). Paris, Emile Nourry. 1910. 272 s. 8**.

Die Sammlung, worin die kleine Schrift erschien, ist auch bestimmend für ihre Tendenz, die sich zwar in der Darstellung nicht störend breit macht, aber doch gelegentlich durchblickt; der Verfasser selbst lässt z. B. das Hexendogma der Kirche aus dem Hexenaberglauben des Volkes entstehen; nachdem aber das Dogma vom Teufelspakt und Hexensabbat einmal akzeptiert ist, scheint nach seiner Darstellung die Kirche allein für seine scheusslichen Konsequenzen verantwortlich; ich meine, gelegentlichen Aufwallungen des Unwillens beim Volke, wie der Revolte im Ogliotale 1517 dürfen wir nicht allzuviel Bedeutung beimessen: im allgemeinen haben die abergläubische Angst des Volkes und der Fanatismus der Kirche ein- ander gesteigert. Auch andre Faktoren kamen hinzu; so hat in Spanien das Königtum die Inquisition für seine politischen Zwecke ausgenutzt und mit ihrer Hilfe die Selbständigkeit des teilweise mit semitischen Elementen durchsetzten Adels wirklich gebrochen. Davon liest man freilich nichts bei Franqais, dessen Arbeit über ihre Vorlagen, über die Geschichte der Inquisition von Lea und über I. Baissac, Les grands jours de la sorcellerie (1 «!)()) nicht wesentlich hinaus- kommt. Die ausgezeichnete Darstellung von J. Hansen (Zauberbann, Inquisition und Hexenprozess im Mittelalter und die Entstehung der grossen Hexenverfolgung. 1900) scheint ihm fremd geblieben zu sein. Im übrigen gibt er eine recht ge- schickte, durch gut gewählte Proben und Beispiele belebte Darstellung der Vor- geschichte und der eigentlichen Ausbildung des Hexendogmas; dabei kommen

Berichte und Bücheranzeigen. 441

freilich die Überlieferungen aus dem Altertum zu kurz, aber den ethnologischen, mythologischen und psychologischen Grundlagen des Zauberwahns im Mittelalter wird Francais im ganzen durchaus gerecht. Das Hauptgewicht liegt auf einer knappen, aber wirkungsvollen Geschichte der Hexenprozesse in den einzelnen Ländern, wobei nur Spanien zu kurz kommt; auch die Gegenströmungen werden charakterisiert, aber neben Agrippa, Wier und Spee fehlt der ausgezeichnete Augustin Lercheimer (d. h. der Heidelberger Professor H. Wittekind), dessen 'Christlich Bedenken von Zauberei' neuerdings (188.S) Binz bequem zugänglich gemacht hat. Wertvoll sind die dokumentarischen Anhänge, die u. a. die ver- hängnisvolle Bulle 'Summis desiderantes' (1484) in französischer Übersetzung vorführen.

Heidelberg. Robert Petsch.

Robert Eisler, Weltenmantel und Himmelszelt. Religionsgeschichtliche Untersuchungen zur Urgeschichte des antiken Weltbildes. 2 Baude. München, Beck 1910. XXXII -f- 811 S. 40 Mk.; geb. 48 Mk.

Seit sich unter dem starken Einfluss einerseits der englischen Polkloristen (Tylor, Lang, Frazer), anderseits der deutschen Philologen (üsener, Diels, Wilamowitz) eine zweite vergleichende Mythologie neuen Stils herausgebildet hat, stehen im Mittelpunkt der allgemeinen Religionsgeschichte zwei Probleme: die Wanderungsfrage und die nach dem gegenseitigen Verhältnis von Ritus und Mythus. Zwar die zweite Frage wird kaum als Problem behandelt: dass der Ritus allemal primär sei, ist seit Robertson Smith Dogma auch für unsern Verfasser (S. 752). In diese Bewegung tritt Eisler mit einem gross angelegten Werk, über das ich die Worte von Kampers (Internat. Wochenschrift 4, 1183; wiederholen möchte: „Die Fülle des hier aufeinandergetürmten gelehrten Materials benimmt dem Laien den orientierenden ümblick." Und darin muss ich jenem Kritiker zustimmen, dass „solche weitausgreifende Untersuchungen auf keinen recht wohlwollenden gelehrten Leserkreis rechnen dürfen." Dass der Verf. freimütig in den Nachträgen einige Sätze zurücknimmt (S. 765. 769), sollte man ihm nicht zum Vorwurf machen dürfen; bedenklicher schon ist es, dass in den anfangs so hochbewerteten 'Isopsephien' sich so vielfache Rechenfehler einstellen (S. 334 f. vgl. S. 340 und bes. S. 767). Doch ist dies Verfahren, rätselhafte Termini durch Gleichsetzung mit andern von gleichem Buchstabenwert zu deuten, über- haupt in seiner Anwendung noch so jung, dass man diese in bestimmten Fällen sicher berechtigte Kabbala gern an die Aussenwerke der umTänglichen Arbeit versetzt sieht. Wird z. B. das 'Anziehen Jesu' (S. 761 zu S. 1.S8) durch Deiss- manns Erklärung der Formel 'in Christo Jesu' nicht besser gedeutet als durch die Gleichung IH^OY^ = XITÜN?

Das Hauptziel der Arbeit aber ist ein eigentlich volkskundliches. Zur "Ur- geschichte des antiken Weltbildes' bringt Eisler wichtiges Material; und wenn er in der Einleitung die bekannten Schriften von Troels-Lund anführt, so hat doch sein eigenes Werk viel tiefer in die Fundamente der volkstümlichen Welt- anschauung hinabzublicken. Sein wissenschaftlicher Gegensatz gegen die Mythologen und Philosophiehistoriker besteht vor allem darin, dass es eine deutliche Be- wahrung volkstümlichen Glaubens da sieht, wo Zeller (S. 635) und Diels (vgl. S. 580) nur Metaphern oder Sinnbilder des einzelnen Philosophen erblicken (vgl. bes. S. 322f.). Die Untersuchungen über Pherekydes, die das ganze Buch durch- ziehen, geben eigentlich nur ein Hauptbeispiel für diesen Gegensatz der Auf-

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fassungen. E. polemisiert (S. 458 Anm.) gegen die 'Puritaner der Exaktheit'; er wendet sich (S. 121) gegen die 'herköramliche Betrachtungsweise', die immer Miterargeschichtlich fassbare Übertragung' erreichen will, wobei es sich also um dieselbe Differenz der Grundanschauungen handelt, wie etwa in der Forschung über die Heldensage zwischen Bedier, Becker, Voretzsch und andern Verfechtern rein literarischer Portpflanzung und Vertretern der älteren Lehre von der breiteren volkstümlichen Unterlage wie Panzer oder Olrik. Die methodische Bedeutung des Buches ist daher eine sehr grosse. Ich bin nicht imstande, die zahlreichen Etymologien zu beurteilen, bei denen der Verf. hebräische oder babylonische Wurzeln u. dgl. heranzieht; wie ihm denn eine phänomenale, von Gilgamesch bis zu Tegethotf (S. 175, 1) reichende Belesenheit gestattet, etwas zu herablassend von Gruppes 'nicht unbedeutendem Aufwand an Gelehrsamkeit' (S. 640) zu sprechen. Ehensoweaig habe ich über seine Beschaffung und Benutzung von Quellen ein Urteil; doch habe ich durchaus den Eindruck einer staunenswerten Gelehrsamkeit und einer scharfsinnig durchdachten Arbeitsweise, die wohl der Konsequenz- macherei nicht entgeht (der heilige Rock? S. 188f., Josefs Gewand? S. 284, der Garten des Paradieses? übrigens sehr interessant, S. 480), auch vielleicht etwas rasch Hilfskonstruktionen anwendet (der Gott 'Sticker'? S. 227) und bis zu so haltlosen Analogiespielereien gelangen kann, wie bei dem Vergleich fürstlicher Handwerksdilettantismen mit alten Königshandwerken (S. 238) die aber doch ihr eigentliches Thema mit staunenswerter Gründlichkeit und Vielseitigkeit, wie mir scheint, erschöpfend darstellt.

Dies eigentliche Thema lässt sich kurz in die Sätze fassen: ein uralter Ritus, der Priester oder Könige mit dem 'Himraelsmantel' bekleidet, um sie göttlicher Funktionen fähig zu machen, und ein uralter Mythus von dem Gott, der das Himmelszelt aufgerichtet und auf den Weltenbaum gestützt hat, halten sich gegen- seitig lebendig. Ihre Wechselwirkung lässt noch die römischen Kaiser und die deutschen Könige so gut wie den Mithra mit dem symbolischen Mantel voller Sterne, an dem 3G5 Tagestroddeln hängen, in feierlichsten Augenblicken sich schmücken. Der hellenische Peplos (S. 116, 3) und das Kosmoskleid des Erlösers (S. 185 f.), die Herstellung der Weltwebe und die Benennung des Hymen (S. 129 f.) sowie die Göttin Penelope (S. 121), die Amazonensage (S. 15i)) und Aschenputtels Pantoffel (S. Kiö Anm.) werden mit diesem Zentraldogma in überraschender Weise verbunden, und Wendungen wie die, dass Gott „das Meer einwickelt wie in Windeln" (S. 224), erhalten eine merkwürdige Beleuchtung. Soweit freilich braucht man nicht zu gehen, auch noch in dem Zerreissen des Vorhanges beim Tode Christi (S. 252) eine Portwirkung des Mythus zu sehen, der Kleid und Herrschaft gleichsetzt. Das Himmelszelt nun erfährt seine Abspiegelung in dej Götterburg (S. 5r)0f.), sein rituelles Gegenbild im Bau der Tempel (S. 606) und Gräber (S. 607). Mythisch aber wird das Dogma weiter geführt in der Erzählung von der Hochzeit des El mit der Sonne {S. 602) oder andern ähnlichen Mythen, die wieder in heiligen Handlungen wie der Hierogamie (S. 599), dem Sonnenzauber am Wetterbaum (S. 585 f.), der Überzeitung des Heiligtums vermittels der Laub- hütte (S. 598) ihr rituelles Gegenstück finden. Über dieser Grundlage errichtet nun aber der Verf. selbst sein Himmelszelt. Er entwirft, fast als erster, eine Weltreligionsgeschichte vom Boden der vergleichenden Mythologie aus. Er ver- folgt die wichtigsten Momente, wie (S. 245) das Selbständigwerden der ursprünglich gebundenen Götter; er statuiert den Kampf einer aufkommenden hellenistischen Weltroligion (S. 572) gegen mehr 'heidnische' Vorstellungen. Vor allem aber macht er, im Anschluss an Cumont, den Begriff der Ewigkeit des Gottes (S. 372) zu einem Angelpunkt in der Religionsgeschichte der Menschheit (vgl. S. 467 Anm.).

Berichte und Bücheranzeigen. Ts'otizen. 443

Aus einer gemeinsamen persischen Quelle stamme (S. Ö08) die Religion des Zrvanismus, der 'Zeitkult' (ein interessantes spätes Zeugnis S. 748 Anm.). Semitische Kultureinflüsse bringen (S. 737f.) eine wirkliche Festigung der Anschauungen vom Wesen der Zeit zustande, die an den Gestirnen erfasst wird. Bei den Hellenen aber erlangten schon Thaies und Pherekydes (S. 746) die Vorstellung der 'ewigen Gottheit', und die Entwicklungsgeschichte der modernen Weltanschauung ist (S. (331) 'rein hellenistisch'.

Die Bedeutung der Konzeption ist wohl aus diesem kleinen Modell schon er- sichtlich. Beobachtungen wie die, dass die Babylonier den Begriff des 'Verhäng- nisses' nicht erfassten (S. 743 vgl. 094), beweisen, dass hier ein grosser Instinkt für religionsgeschichtliche Probleme neben grosser Sachkenntnis wirkt. Ich ge- stehe gern, dass die Ausführungen über den Weltenbaum mich in der Ablehnung der Weltesche Yggdrasill, die ich soeben in meiner Altgermanischen Religions- geschichte vorgetragen habe, wankend machen; wie denn auch sonst für die (im ganzen stiefmütterlich behandelte) germanische Mythologie beachtenswerte An- regungen sich finden (Odins blauer Mantel, Sceafs Garbe S. 281, der Weltwinter S. 452f., AVetterwart des Himmels S. 750). Gegen die Ausführungen über das Weltsperma (S. 461), Onan (S. 389) und den Sonnenstrom (S. 471) möchte ich mich freilich noch skeptisch verhalten; auch bedauern, dass der Österreicher, dem Kaiser Josef (S. 272) noch eine lebendige Mythenflgur ist, nicht nur den Namen eines neuerdings wieder in Aufnahme kommenden mythologischen Monisten Dupuys schreibt (S. 517, 637), sondern sogar den Heinzeis mit tz (S. 759) , was soll da aus den Isopsephien werden? Und dass er (S. 148) nun gar John Burns, den englischen Arbeiterminister, zum Dichter von 'John Barleycorn' macht, eine höchst unerwartete Hypostase des schottischen Nationalheros Robert Burns I Der Verf. widerspricht (S. 120) einer „im selbstgeschaffenen Regelzwang ersticken- den Hyperkritik." Mir scheint zwar auf mythologischem Boden diese jetzt seltener als die Phantastik, doch freilich macht auch diese, lunarisch bei Siecke, totemistisch bei Reinach sich selbst bald ihren Regelzwang zurecht. Eisler hat eins vor den meisten konstruierenden Mythologen unserer Zeit voraus; er ist nicht 'Monist', nicht von der fixen Idee beseelt, überall dasselbe finden zu müssen wenn er es auch schon reichlich oft findet. Aber wie die Mythologie und die Religion der Gottheit lebendiges Kleid weben, das wird aus seinen kühnen Konstruktionen lebendig und anschaulich; und hierin seh ich das letzte und nicht das geringste Verdienst des Werkes.

Berlin. Richard M. Meyer.

Notizen.

E. F. Arnold, Allgemeine Büclierkuude zur neueren deutschen Literaturgeschichte, Strassburg, Trübner 1910. XIX, 354 S. 8 Mk. Das aus der zwiefachen Praxis eines Bibliotliekars und Universitätslehrers erwachsene Buch will zunächst die studierenden 'Neugermanisten' zum rechten Gebrauch der zahlreichen literarischen Hilfsmittel anleiten. Der Vf. zieht daher nicht etwa die wichtigsten Arbeiten über die Literatur dos 18. und 19, Jahrh. aus Goedekes Grundriss und ähnlichen Werken aus, sondern orientiert genau über diese Hilfsbücher, indem er den Umfang des darin abgehandelten Stoffes angibt. kurze Urteile über den wissenschaftlichen Wert und Parteistandpunkt beifügt und methodische Winke, die dem Suchenden manches fruchtlose Nachschlagen ersparen, ein- schaltet, Zeitschriftenartikel sind nicht aufgenommen. Da er zugleich auf die früheren. oft mit Unrecht vergessenen Vorgänger seit dem 17. Jahrh. eingeht, so bietet er auch älteren Forschern vielfach Neues. Noch mehr ist das in der zweiten Hälfte des Werkes

444 Notizen.

der Fall, die den Hilfswissenschafteu gewidmet ist: Biographie, Bibliographie, Sprach ■Wissenschaft, Eeligiou, Philosophie, exakte Wissenschaften, Geographie und Volkskunde, Eechtswissenschaft, Politische und Kulturgeschichte, Kunst, Musik, Theater. Auch hier erhebt sich der vielseitige Vf, über eine trockne Aufzählung stets zu einer Hervorhebung des Wertvollen und Bleibenden. Die schwierige Aufgabe einer zuverlässigen Wegweisung durch so viele Wissensgebiete scheint durch diese Avahrhaft kritische Bibliographie mit Glück gelöst. Auch die Volkskunde, der es für verschiedene Zweige an bibliographischen Hilfsmitteln noch durchaus gebricht, kann hier Anregung und Muster finden.

P. Behrend, AVestpreussischer Sagenschatz, eine Auswahl der schönsten Heimatsagen für die Jugend bearbeitet und zusammengestellt, 2. bis 5. Bändchen. Danzig, Kafemann 1906-1909. VIII, 80. XVI, 80. VII, 83. VIII, 72 S. geb. je 1,50 Mk. Unter den neuer- dings erschienenen populären Sagensammlungen, die sich die Förderung der Heimatliebe einzelner Landschaften zur Aufgabe machen, nimmt die vorliegende westpreussische Lese einen Ehrenplatz ein. Jedes Bändchen enthält 50 60 schlicht erzählte Sagen nach Tettau- Terame, Treichel und andern, auch ungedruckten Quellen, in historischer Folge; so be- gegnet 2, 79 die von Schnippel oben 16, 177 behandelte Erzählung vom versteinerten Gottesfrevler. Besonders anziehend wirken die vielen vortrefflichen Alibildungen von Land- schaften, Schlössern, Städten, Einzelgebäuden und merkw-ürdigen Denkmälern. Das erste Bändchen ist bereits vergriffen.

Elisabeth Bernhöft, Das Lied vom hörnenen Sigfrid, Vorgeschichte der Druck- redaktion des 16. Jahrh. Diss. Rostock 1910. 128 S. Das 1889 von Golther edierte Lied vom hürnen Seyfrid hat wegen des verwickelten Verhältnisses der Drucke und des vom Nibelungenliede abweichenden Sageninhaltes schon öfter die Forscher beschäftigt. Fräulein B. ermittelt auf dem Wege einer scharfsinnigen Ausscheidung der inneren Widersprüche und einer Vergleichung der andern Sagenformen als Urform eine nd. Ballade des 12. Jahrh., nach der Sigfrid bei einem Schmied aufwächst, einen Drachen erschlägt, sich mit seinem Blute bestreicht und eine von einem Riesen Kuperan gefangene Jungfrau befreit. Diese in der Thidreksaga und im Seifrid de Ardemont Albrechts von Scharfenberg benutzte Ballade, zu der noch das Schatzmotiv und die Zwergenepisode hinzutrat, ward die Quelle für eine (gleichfalls verlorene) Spielmannsdichtung, die neue Züge aus der Georgslegende (zweiter Drachenkampf) und dem Rosengarten und im 15. Jahrh. ungeschickte Inter- polationen aus dem Nibelungenliede erhielt. Ihre letzte, um 1520, wenn nicht früher, ge- druckte Fassung liegt der Tragödie des Hans Sachs (1557) und dem um 1680 entstandenen prosaischen Volksbuche zugrunde. Es hängt mit der Natur der behandelten Fragen zu- sammen, dass die Rekonstruktion dieses Entwicklungsganges mit den älteren Perioden an Sicherheit etwas abnimmt; trotzdem wird man die Besonnenheit der Arbeit und namentlich das Geschick in der Polemik anerkennen. Die S. 101 erwähnte Episode von Jorciis und Zivelles ist wohl Sidneys Arcadia 3, 7 nachgebildet; s. Archiv f. n. Sprachen 121, 287.

H. Di eis. Orientalische Fabeln in griechischem Gewände (Internationale Wochen- schrift für Wissenschaft 1910, 993 1002). In einem ägyptischen Papyrus (Oxyrhynclius Papyri 7, 15 ed. by Hunt 1910) haben sich kürzlich Bruchstücke der 'lamben' des alexandrinischen Dichters Kallimachos gefunden, und darin ein an Jothams Fabel (Richter 9, 6) erinnernder Wettstreit des Lorbeerbaumes mit dem Ölbaume, der zugleich persönliche Beziehungen auf Kallimachos und einen Nebenbuhler, vermutlich Alexander Aitolos, enthält. Auf Assyrien als die Heimat der Fabel weist nicht bloss eine Bemerkung des Babrios, sondern auch ein Pflanzenwettstreit in dem ueuentdeckten aramäischen Achikarromane.

H. F. Feilberg, Dansk Bondeliv saaledes som dit i Mands Minde fortes navnlig i Vestjylland, 1, Del. 3. forogede Oplag med 75 Billcder. Kobenhavn, G. E. C. Gad 1910. XIV, A4o S. Der hohe Wert des Buches, das der im 80. Lebensjahre stehende Verf. zum dritten Male in die Welt sendet, braucht hier nicht von neuem dargelegt zu werden. Bekannt ist die musterhafte Sorgfalt, mit der er das westjütische Bauernleben in neun Kapiteln darstellt; Land, Hausbau, Arbeiten, Leben im Hause, Handel, Gemeindeleben, Schmuggler und Hausierer, Feste, Familienleben, und noch jüngst wurden unsre Leser bei Gelegenheit des Wettermachens und des Klingelstockes (oben S. 57 und 818) auf mehrere

Notizen. 445

dort zum ersten ]\Iale behandelte Bräuche aufmerksam gemacht. Die neue Auflage unter- scheidet sich von der des Jahres 188'J durch verschiedene Zusätze zu Text, Anmerkungen und Illustrationen; für das Brauen, die Spinnstube, die Wochenstube, die Erntebräuche hat F. neues Material verwertet, die Dorfanlage (S. 11)G) nach Lauridsens Untersuchungen geschildert, mehrere Geräte (S. 46. 56. 337) in Abbildung vorgeführt und in den An- merkungen auch auf ausländische Forschungen verwiesen. Lehrreich sind endlich die von Christiansen entworfenen Bilder des Flachsbrechens, Brauntweinbrennens, Lichterziehens, der Strickstube, der Jütentopffabrikation und andrer bäuerlicher Verrichtungen. Marius Kristensen hat eine kurze Biograjjhie des verehrten Autors beigesteuert.

M. Piebelkorn, Kopfziegel als Giebelschmuck (Tonindustrie-Zeitung 34, 94Gf. Berlin 1910). Zu den oben 18, 277 mitgeteilten Beispielen werden noch weitere aus A. Walcher (Die deutsche Keramik in der Sammlung Figdor, Wien 1909) gefügt.

Derselbe, Feierabend- oder Sonnenziegel (ebd. 34, 1036 f.). Nachtrag zu W. Eatigs Artikel über verzierte Dachziegel und die bei ihrer Überreichung üblichen Reime (ebd. 34, 527).

J. Folkers, Zur Stilkritik der deutschen Volkssage. Diss. Kiel 1910. 99 S. Eine Beschreibung des Stils der Volkssagen stösst auf Schwierigkeiten, da unsre Sammlungen selten die lebendige Erzählung zuverlässig wiedergeben. F., der sein Material aus Grimm, Dähnhardt und sechs norddeutschen Sammlungen entnimmt und die mundartlichen Fassungen bevorzugt, findet, dass hier im Gegensatz zum Märchen und zur Heldensage die Episoden, die stehenden Formeln, das Interesse am glücklichen Abschluss, das erotische Moment bei der Erlösung zurücktreten, auch die Zeitangaben ziemlich unbestimmt bleiben, um so mehr aber der Zauberglaube und die Anknüpfung an den Ort Bedeutung gewinnen. Das hauptsächlichste Merkmal der Sage sieht er in ihrer explikativen Tendenz, der Er- klärung von Ortsnamen, Bräuchen, Grabmälern, Bauwerken, Merkmalen von Tieren und Pflanzen, von Spuk u. a., wogegen der Zweck, ein Dogma diu'ch ein konkretes Beispiel zu erläutern, minder häufig auftritt. Wenngleich manche Partie geschickter angeordnet und beleuchtet werden konnte, so erkennen wir doch gern die Solidität der Arbeit an, die in der Kritik der verschiedenen Ansichten (z. B. Wuudts S. 95) oft glücklich ist,

M, Grunwald, Das Josefspiel, eine Umfrage. S. Weissenberg, Josef und seine Brüder (Mitteilungen f. jüdische Volkskunde 13, 93—117). Das interessante hier ab- gedruckte jüdisch -deutsche Josefdrama stammt aus Südrussland; es fehlt die Szene zwischen Joseph und Potiphars Weib, die ismaelitischen Kaufleute heissen Türken. Über den Zusammenhang dieser Purimspiele mit älteren deutschen Dramen war E. M. Werner (Anzeiger f. deutsches Altertum 15, 53-67. 1889) zu vergleichen.

A. Hilka, Das Leben und die Sentenzen des Philosophen Secuudus des Schweig- samen in der altfranzösischen Literatur nebst kritischer Ausgabe der lateinischen Über- setzung des Willelmus Medicus, Abtes von Saint -Denis (aus dem 88. Jahresbericht der Schlesischen Gesellschaft für vaterl. Cultur). Breslau, Aderholz 1910. 42 S, Die griechische, vermutlich auf indische Grundlage zurückgehende Novelle von dem Philosophen Secundus, der von der Unbeständigkeit der Weiber hört und ein tragisch verlaufendes Experiment an seiner eignen Mutter macht, ist um 1170 samt der angehängten, angeblich durch den Kaiser Hadrian veranlassten Sentenzensammlung des Philosophen von Guillaume de Gap ins Lateinische übertragen und dann in vielen Sprachen bearbeitet worden. H. gibt den lat, Text nach der ältesten Pariser Hs. (12. Jahrh.) heraus und fügt mehrere altfranzösische Übersetzungen in Prosa und Versen hinzu, die bisher unbekannt oder noch ungedruckt waren.

E. Hoffmann- Kr ay er. Der Küfertanz in Basel (Schweizer. Archiv f. Volkskunde 14, 97 107). Der bis 1792 in Basel übliche Keifentanz der Küfer gehört zu den Musterungsumzügen der Zünfte, an die sich aucli anderwärts oft Tänze (besonders Schwort- tänze) anschlössen. Zu den Nachweisen aus andern Städten vgl. auch Bolte, Das Dauziger Theater 1895 S. XIII.

Chr. Jensen, Bestrebungen zur Erhaltung des nordfriesischeu Volkstums im 19. Jahrhundert, ein Beitrag zur Geschichte der Nordfriesen. Schleswig, Selbstverlag 190!). 24 S. 0,50 Mk. Der seit 188;'» für die nordfriesische Heimatskunde tätige Ver-

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fasser gibt einen schlichten Bericht über die "Wirksamkeit, die von Dichtern wie dem Sylter J. P. Hansen (1SU9), von Sprachforschern wie B. Bendsen, C. P. Hansen, C. Johansen und den Universitätslehrern Bremer, Siebs. Kauffmann, Künstlern und Museumsleuten zur Festhaltung der nordfriesischen Sitten, Volkskunst und Sprache entfaltet worden ist.

0. Lauffer, Zur Hamburgischen Volkskunde (aus den Tageblättern der Deutscheu Landwirtschafts-Gesellschaft 1910, Stück 2—4). 20 S. fol. Drei wertvolle, mit guten Abbildungen versehene Aufsätze über das Bauernhaus im Hamburgischen Landgebiete und in dessen näherer Umgebung, über die Bauerntrachten um Hamburg fVierlande, Blankenese, Alteland) in ihrer Entwicklung seit dem 17. Jahrhundert und über die Bauernkunst in Hamburgs ländlicher Umgebung.

0. Lauffer, Der volkstümliche Wohnbau in Frankfurt a. M. Frankfurt a. M., Völcker 1910. 105 S. 2,80 Mk. (aus dem Archiv f. Frankfurts Geschichte 3. Folge, 10. Bd.).

H. Messikommer, Aus alter Zeit. Volksleben (im Dialekt), Gesang und Humor im zürcherischen Oberlaude, ein Beitrag zur Volkskunde, 2. Teil. Zürich, Orell Füssii 1910. 247 S. 4,80 Fr. Die Fortsetzung des oben S. 122 augezeigten hübschen Buches gilt der Sprache und Dichtung des Volkes im Zürcher Oberlande. Um seine Sammlung volkstümlicher Redensarten auch einem grösseren Publikum mundgerecht zu machen, führt der Verf. sie mittels einer Keihe von mundartlichen Skizzen der Kinderzeit, der ländlichen Arbeiten und der Dorfgespräche im lebendigen Gebrauche vor; beispielsweise verweise ich auf die Lockrufe, Schimpfworte, die Namen der Küchengeräte, die allerdings anfechtbare und bei Weigand-Hirt nicht verzeichnete Ableitung von Schubjak aus dem italienischen Viehmarkt in Giubiasco (S. 86). Auf S. 194 folgen hochdeutsche Gitarren- lieder (seit etwa 1850; meist auch sonst bekannt), Tanzlieder, Bonbonverse (Füürstein- sprüchli genannt), gereimte Liebesbriefe, Gratulationskarten und Buchzeichen aus dem 18. und 19, .Tahrh., endlich Listen von mundartlichen Pflanzen- und Tiernamen.

J. W. Nagl, ()sterreichische Grussformeln (Wiener Zeitung 1910, 19. April, Beilage 'Wiener Abendpost' nr. 88). Zu diesem oben 15, IGG berührten Thema vgl. auch ISiedersachsen 15, nr. 4 und 7: 'Wie grüsst der Bauer?' (K. Wehrhan und L. Stüve), Revue des trad. pop. 5, 119—121, Feilberg, Dansk Boudeliv ' 1, o78, Globus 89, 30-34 (G. Friederici, Der Tränengruss der Indianer).

Text des Oberammergauer Passions-Spiels. Historisch-kritische Ausgabe, um- fassend den Urtext von P. Ottmar Weiss mit Proben der gesamten älteren Textentwicklung und vollem Variantenapparat für die Umformung durch J. A. Daisenberger. Erstdruck der Ottmar Weißschen Fassung, Jubiläumsausgabe von Dr. Otto Mausser. Diessen vor München, J. C. Huber 1910. XX, 313 S. 1 Mk. Als Fortsetzung von Aug. llartmauns 1880 erschienener Ausgabe der ältesten Gestalt des Oberammergauer Passionsspiels über- nahm es M., auch die späteren Bearbeitungen der Ettaler Patres Rosner (seit 1750) und Weiss (seit 1811) zu veröffentlichen, die oben S. 347 bereits im allgemeinen charakterisiert wurden. Er bietet uns zunächst einen getreuen Abdruck der einzigen, zu Andechs auf- bewahrten Hs. von Weiss ens Fassung (v. J. 1829) und verzeichnet darunter sämtliche Abweichungen des heute geltenden Daisenbergerschen Textes. Die Vergleichung beider Versionen ergibt, dass Daisenbergers Leistung gcmeinhiu viel zu hoch angeschlagen wird. SöpCt. seines Textes stehen schon bei Weiss, der die Allegorien, Teufelszcneu und legendarischen Züge (Veronika, Longinus) des 18. Jahrb. strich und statt der pomphaften Alexandriner und vierhebigen Reimpaare die nüchterne, oft allzu wohlgesetzte Prosaform für den Dialog einführte, aber zugleich im Aufbau der Handlung ein gewisses Geschick bewährte. Die Änderungen Daisenbergers sind meist redselige Verwässerungen der dramatischen Charakteristik, und auch seine Besserungen von Weissens oft unbeholfenen Gesängen und die antiken Strophen des Prologsprechers verdienen nicht immer Lob. Wir sind dem Herausgeber für seine mühevolle Arbeit dankbar und hoffen, bald in seiner Ausgabe von Rosners metrischer und prosaischer Fassung nicht bloss neues Material zu der interessanten Textgeschichte des Oberammergauer Spieles zu erhalten, sondern auch eine kritische Übersicht derselben und ihrer umfänglichen Literatur. Hätte nur nicht der Verleger den unglücklichen Einfall gehabt, mitten in den Passionstext Inserate von Münchener Bier, Malzkaü'ee, Damenkonfektion, Pedicure usw. einzufügen I Das stört doch

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noch mehr als die leider auch in Oberammergau bisweilen zu spürende Verquickung von Andacht und Geschäftsbetrieb.

Das Passionsspiel in Oberammergau, mit Benutzung der alten Texte verfasst von J. A. Daisenberger, oilizieller Gesamttext für das Jahr 1910 überarbeitet und neu hsg. von der Gemeinde Oberammergau. München, C. A. Seyfried & Co. 176 S. 1 Mk.

G. Pitre, Proverbi, motti e scongiuri del popolo siciliano raccolti ed illustrati. Torino, C Clausen 1910. 441 S. 7 Lire (Biblioteca delle tradizioui popolari siciliane 23). Vor 30 Jahren erschien Pitres grosse vierbändige Sammlung sizilianischer Sprich- wörter; zu jenen 13 000 Nummern fügt der greise, hochverdiente Gelehrte jetzt eine dem Andenken seiner beim Erdbeben von Messina umgekommenen Tochter gewidmete Nach- lese von über 1000 weiteren Sprichwörtern in ähnlicher sachlicher Gruppierung hinzu, unter den 38 Abschnitten bringt besonders der über die Ortsneckereien (S. 118-184) Neues. Daran schliessen sich die geschichtlich begründeten Palermitaner Redensarten (S. 252), die scherzhaften Antworten auf ernsthafte Fragen (S. 298), die volkstümlichen Vergleichungen (S. 320), die überraschend mannigfaltigen Bettlerrufe (S. 355), die Flüche (S. 362) und Drohungen (S. 366), allerhand Volksetymologien (.8.372) und eine recht wertvolle Zusammenstellung von Segen und Zauberformeln (S. 389). In dieser Gruppe treffen wir sowohl die epische Form an, zufolge der Jesus, Maria oder Joseph einst die Krankheit siegreich bekämpft hi.ben, als auch direkte Gebete an den h. Antonius, Georg, die Seelen der hingerichteten Verbrecher (vgl. Hartland, The cult of executed criminals. Folk-lore 21, 168 179) u.a., auch eine am ersten Montage des Monats zu sprechende An- rufung des Glückes (Sorte), St. Juliaus Paternoster usw.

K. Reiterer, Waldbauernblut, Volksbilder aus Steiermark (mit besonderer Berück- sichtigung des Ennstales). Leoben, J. H. Prosl, 1910. VII, 175 S. Durch eine 25jährige Lehrertätigkeit mit dem steirischen Volksleben wohlvertraut und durch Roseggers Vor- bild angeregt, entwirft R. hier eine Reihe ungeschminkter Schilderungen aus dem Kreis- laufe des Jahres, aus dem Alm- und Gebirgsleben, über Volksmedizin, Wilderer- aberglauben, Volkslieder, Komödianten u. a.; munter plaudernde, bunte Skizzen, die eine Fülle eigener Beobachtungen, auch auf dem Gebiete der Redensarten und Vierzeiler, zu raschem Überblicke vereinigen. Zu dem angeblich von Simon Schaffer gedichteten Räuberliede 'Ist kein schöneres Leben auf Erden' (S. 158) vgl. Erk-Böhme, Liederhort 3, 415 und Köhler-Meier, Volkslieder von der Mosel 1896 m-. 335. Die zahlreichen Illustrationen sind nach Photographien angefertigt, hängen jedoch nicht immer mit dem Texte zusammen.

K. Reuschel, Allgemeine und französische Volkskunde 1897—1909, ein Bericht,

1. Teil. Erlangen 1910. 45 S. (Krit. Jahresbericht über die Fortschritte der rom_anischen Philologie, Bd. Kl). Diese Fortsetzung der von Fr. S. Krauss begounenen Übersicht bespricht 1. die Theorie der Volkskunde, der in Deutschland von Hauffen, Hoffmauu- Krajer, Strack, Dieterich, Kaindl, Mogk u. a. eingehende Erörterungen gewidmet wurden.

2. Bibliographien, Zeitschriften und Sammelwerke, 3. Gesamtdarstellungen der deutschen und französischen Volkskunde, d. h. Bücher, die möglichst alle Volksüberlieferungen eine.< Landes oder Stammes (wie Sachsen, Baden, Braunschweig, Ostfriesland) behandeln: dabei wird Sebillots treffliches Werk 'Le folk-lore de France' genau analysiert. Der Verf, dem wir für seinen sorgfältigen und anziehenden Bericht aufrichtigen Dank sagen, will ihn auf die andern Länder Europas ausdehnen und die Einzelliteratur nach Sachgruppen geordnet behandeln.

Wolfgang Schultz, Gesetze der Zahlenverschiebung im Mythos und in mytlien- haltiger Überlieferung (Mitt. der anthropologischen Gesellsciiaft in Wien 40, 101 150). Dass bei Griechen, Germanen und ludern die heilige Neun als Konkurrentin der heiligen Sieben auftritt, bemerkte sclion 1903 Röscher, dessen Studien über die Viorzigzahl oben S. 123 Erwähnung fanden. Hüsing behauptete 1909, dass die typischen Zahlen 3 und 12 in einem ähnlichen Zusammengehörigkeitsverhältnis ständen, und dass 7 und 12 in der Regel an die Stelle der alten 9 und 3 getreten seien. Schultz unternimmt es, für- Hüsings Behauptung den Beweis zu führen und durch zahlreiche Beispiele eine der grammatischen Lautverschiebung entsprechende 'Zahlenverschiebung' der 'arischen' Zahlen 3 und '.• zu den astronomischen Zahlen der Babylonier 7 und 12 zu belegen. Die Frage ist der

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Untersuchung wert, scheint mir aber durch den Vf. nicht entschieden, der selbst eine Reihe von Ausnahmen zugeben muss. Ein der Lautverschiebung vergleichbarer Wechsel der genannten Zahlen müsste in einer bestimmten Periode vor sich gegangen sein; tat- sächlich finden wir aber ein Schwanken zwischen jenen Zahlen in den verschiedensten Zeiten.

Cl. Servettaz, Chants et chansons de la Savoie, recueillis, uotes et coramentes. Paris, E. Leroux 1910. XXXII, 256 S. gr. 8". Von dem Reichtum des französischen Alpengebietes an Volksliedern, den schon Tiersot 1903 in einer trefflichen Sammlung vor- führte, erhalten wir ein weiteres, gewichtiges Zeugnis in dem vorliegenden Bande, der als Beginn einer gegen 500 Nr. umfassenden Lese aus Savoyen 197 Lieder und Weisen bringt. Die Einteilung in Ernte-, Schäferinnen- und Liebeslieder ist vielleicht anfechtbar, da die erste Abteilung keine Beziehung auf die Feldarbeit enthält; aber der Hsg., Professor an der höheren Schule zu Thonon, zeigt sich in der Behandlung der Texte und Varianten ausserordentlich gewissenhaft und unterrichtet in den ausführlichen Einleitungen der einzelnen Gruppen sorgsam und klar über Entstehungszeit, Umwandlung der zahlreichen Kunstdichtungen im Volksmunde (Dialektlieder sind nicht eben häufig), die Veränderungen der Melodietaktart (S. 120 eine Komposition von Orlando Lasso; bisweilen MoUtonarf), die Verbreitung durch Soldaten, Hausierer, Schäfer und hsl. Liederbücher und andre Fragen. Die zur Verwendung kommenden Motive sind weit über Frankreichs Grenzen verbreitet; ich nenne die Anrufung der Nachtigall, Wenn ich ein Vöglein war, Verwandlungskampf des Liebespaares, Dialog der Heiratslustigen mit der Mutter oder des Stadtherren mit der Schäferin, Liebhaber als Mädchen verkleidet, Ehestandsklagen, Kasten samt dem ver- steckten Buhler vom Ehemann verkauft, das Lied verfasst von drei Gesellen beim Wein. Zu näherer Vergleichung mit deutschen Liedern laden etwa ein S. 28 das Wiedersehen unter der Ulme (Erk-ßöhme nr. G7), 29 Versuchung durch den Bruder (oben 15, 2(53), 103 drei Fräulein (Erk-B. 418), U9 der plauderhafte Liebhaber (Erk-B. 1303).

K. V. Spies, Prähistorie und Mythos. Gymn.-Programm. Wiener -Neustadt 1910. 29 S. Ein überzeugter Anhänger von Sieckes Mondmythologie findet in den aus der jüngeren Steinzeit, Bronzezeit und frühen Eisenzeit erhaltenen menschlichen Idolen, den Bildern von Vogel, Rind, Pferd, Schlange, dem Rad, Hakenkreuz usw. völlige Über- einstimmung mit jener seltsamen, zur Erklärung der heterogensten Erscheinungen so ge- eigneten Theorie und erblickt auch in den Mysterien der Isis- und des Mithraskultes nur eine Weiterbildung des Mondmythos.

K. Wehrhan, Die Kapelle St. Amorsbrunn bei Amorbach im Odenwalde, ein Beitrag zur Quellenverehrung und Votivforschung (Globus 97, 282—285).

J. L. Weston, The legend of Sir Perceval, Studies upon its origin, developinent and Position in the Arthurian cycle, vol. 2: The prose Perceval according to the Modena ms. London, D. Nutt 1909. XVI, 335 S. 15 sh. (Grimm library 19). Schon lange beschäftigt sich Miss Weston mit den dichterisch nicht immer wertvollen, aber gerade durch ihre Dunkelheit den Forscher anziehenden Gralsdichtungen. Der vorliegende Band, dem 190G €in andrer über Chretien von Troyes voraufgiug, enthält erstens willkommenes neues ^laterial, den Text einer französischen Prosaauflösung von Robert de Borrons verlorener Percevaldichtung, welcher der 1874 von Hucher publizierten Pariser Hs. überlegen ist (S. 9— 112), sodann Untersuchungen über das Verhältnis dieser Modenaer Fassung zu andern Überlieferungen und endlich (S. 249-31G) eine gedrängte Übersicht über die Ent- wicklung der Gralssage. In dieser ebenso interessanten wie schwierigen Frage, die bereits <lie verschiedensten Beantwortungen gefunden hat, steht die Vf. auf der Seite derjenigen, die wie Nutt, Martin u. a. den Ursprung der Sage in einem keltischen Märchen aus heidnischer Zeit suchen. In der bei Wauchier de Deuain erscheinenden Leiche mit den weinenden Frauen erblickt sie eine Art Adoniskultus und im Suclien nach dem Gral somit ein Aufsuchen der Quelle des Lebens, wobei die blutende Lanze und die Schale als Zeugungssymbole aufzufassen sind. Dies im 12. Jahrhundert von Bleheris (*Bledri) in Wales bearbeitete Alärclien ward, wie die Vf. glaubt, im normannischen Kloster Fescamp, wo die Verehrung des Blutes Christi bestand, verchristlicht und mit den Legenden von Longinus und Joseph von Arimathia verbunden, die andern Forschern (so auch Burdach, Arcliiv 108, 31. DLitztg. 1903, 2821. 3051) als der eigentliche Kern der Sage erscheinen; an die Stelle des früheren Helden Gawain trat jetzt Perceval, der im englischen Syr

Rhamm: Erwiderung. 4.4.9

Percyvelle noch nicht mit dem Gralmotiv verbunden ist. Aus dieser von Miss W. rekonstruierten Sagenfassung sind sowohl Borrons (1190—1200) und Wauchiers Dichtungen wie der neue Perceval hervorgegangen, der für Chretien und Kiot (und somit auch für Wolfram und Gerbert a) die Anregung gab. Natürlich bleibt bei so diffizilen Unter- suchungen über das Abhängigkeitsverhältnis der einzelnen, zum Teil längst verschwundenen Graldichtungen, das ein Stammbaum auf S. iSo veranschaulicht, manches fraglich: namentlich aber für die vorausgesetzte keltische Mysterienfeier, bei der ein Vegetations- dämon in menschlicher Gestalt auftrat und philosophische Geheimlehren sich anschlössen, werden viele Leser schlagendere Gründe verlangen.

Erwiderung (zu S. 332).

Auf die Besprechung meines Buches von 0. Sehr ad er, die sich an gewisse Etymologien klammert, ohne den von mir dargelegten Übereinstimmungen der beiderseitigen Ein- richtungen Rechnung zu tragen (oben S. 332—336) erwidere ich folgendes:

1. Wenn die Slawen die istüba = Wohnstube aus der Badstube entwickelt hätten, so müssten wir erwarten, in ihr statt des Lehmofens den Steinofen der Badstube zu finden wie in der finnischen pirtti, auf die sich ja Schrader beruft. Ebenso unglücklich ist seine Berufung darauf, dass man hie und da in der izba 'badet', indem man iu den Lehmofen kriecht: das ist kein Dampfbad. Wenn jemand bei uns zu gleichem Zwecke in den Back- ofen kröche, würde es doch niemand einfallen, daraus zu schliessen, dass die Backstube früher eine Badestube gewesen sei.

2. Wenn noch im 9. Jahrhundert die istüba die Badestube gewesen wäre, so hätten die einzelnen slawischen Stämme getrennt die Entwicklung zur Wohnstube vorgenommen. Wie reimt sich damit, dass diese Entwicklung überall auf den pec, den Backofen aus Lehmschlag, hinausläuft? Nein, nur dadurch, dass die Slawen bei ihrer Zerstreuung den Backofen in der istüba mitbrachten, sind die verschiedenartigen Übergänge zwischen der deutschen Herdfeuerung mit Kessel und der slawischen Ofenfeuerung mit Topf und Ofen- gabel zu erklären (S. 95 f.).

3. Da Schrader ja annehmen muss, dass die Stufenbühne seiner Ur-istüba aus der skandinavischen Badstube stammt, wozu denn ohne jede Not die Wörter pall-r und pol(-ok) auseinanderreissen? Wenn aber einmal pol von pallr stammt, so liegt es doch näher, den pol der Wohn -istüba in seinen verschiedenen Erscheinungen direkt auf den pallr der Wohn-stofa hinzuführen als anzunehmen, dass der pol hier, der pallr dort parallel aus den beiderseitigen Badestuben in die Wohnstube übertragen ist.

4. Der golbec ist für Schrader ein Stein des Anstosses, weil er nur aus der stofa stammen kann, weshalb er ihn der Warägerperiode zuweist, unter Verweisung auf jarus. Aber die russische izba kennt weder jarus noch die warägische gridnica, wogegen der golbec untrennbar mit den polati und dem podpolje verknüpft ist (S. 119 f. 375 f.).

5. Wenn die Slawen die Bad-istuba zur Wohn -istüba entwickelten, mussten sie auf einen neuen Namen für erstere bedacht sein, und siehe, da kommt nach Schrader wie ein Dens ex machina das balneum zugeflogen. Ja, wenn balneum sich schon etwa als eine verfeinerte Badstube bei den Vornehmen gefunden hätte, aber unglücklicherweise haben wir dafür zu Ende des Mittelalters myl'nja, während banja stets die gemeine bäuerliche Badstube ist.

G. Wenn Schrader sich für einen finnischen Ursprung von solnus auf Kors, für einen tatarischen von culan anf Miklosich beruft, so muss der lieser doch deuken, dass dort gewisse Anhaltspunkte zu finden sind. Aber nichts davon! Kors selbst schreibt mir nach- träglich, dass er meine Ableitung des solnus, sovnus von altnord. svefnhüs annimmt, ja „für so sicher hält, wie nur eine Etymologie unter ähnlichen Bedingungen sicher sein kann." Was öulan anlangt, so weiss Miklosich nur anzuführen, dass er sich unter den Tataren von Kasan findet, die das Wort ebenso von den Russen, unter denen sie wohnen, entlehnt haben werden wie die finnischen Mordwinen und Tscheremissen im gleichen Falle,

Graz. Karl Rhamm.

Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1910. Heft 4. 29

450 Schrader: Antwort des Eezensenten. L. Katona f.

Antwort des Rezensenten.

üer Herr Yerf. verschiebt den Schwerpunkt meiner Anzeige. Er hatte sich für seine Annahme, dass die rassische izba mit allem, „was in ihr niet- und nagelfest" sei, aus dem Germanischen entlehnt sei, auf eine lange Reihe russischer Ausdrücke berufen, die nach seiner Meinung aus dem Germanischen entlehnt wären. Ich hielt es unter diesen Umständen für angezeigt, darauf hinzuweisen, dass die sämtlichen von Herrn Rhamm genannten Wörter für seine Ansicht nicht beweiskräftig seien, weil sie, wie die meisten, entweder gar nicht aus dem Germanischen entlehnt sind oder, wenn entlehnt, anders ge- deutet werden müssen. Hierbei habe ich mich wiederholt auf die Ansichten hervor- ragender Sprachforscher wie F. Miklosich und E. Bemeker berufen. Wenn nun der Herr Verf. derartigen Gelehrten nicht die geringste Beachtung schenkt es ist für ihn „gelehrte Slawistik" (S. 361) , sondern ohne irgendwelches eigenes "Verständnis für slawische oder germanische Lautgesetze darauf los etymologisiert, so ist ihm in dieser Beziehung leider nicht zu helfen. So wusste er, um noch einen weitem Punkt zu nennen, dass schon Miklosich (a. a. 0.) die lautlich ganz unmögliche Entlehnung von russ. ovinü 'Getreidedarre' aus deutsch 'Ofen' verwirft. Gleichwohl hält er an ihr fest, während der einheimische Ursprung des Wortes ovinü (aus *jevinü, lit. jawaT 'Getreide' längst feststeht (vgl. jetzt auch Berneker, Slaw. etym. Wb. S. 455, der die Ableitung aus 'Ofen' überhaupt nicht erwähnt). Damit fällt auch diese Stütze für den behaupteten ger- manischen Einfluss. Hinsichtlich der wirklichen Entlehnungen versieht es der Verf. vor allem darin, dass er sie zeitlich alle in einen Topf wirft. So ist das allen slawischen Sprachen gemeinsame chlebü 'Brot', aus got. hlaifs, eines der allerältesten, das nur im Russischen vorkommende golbecü ein junges Lehnwort. Was öulanu betrifft, so hat Miklosich vielleicht nicht recht, es aus dem Türkischen zu erklären. Ganz sicher aber ist, dass es nicht aus altnord. kylua stammen kann, das entweder auf *kulina (lat. culina) oder auf ein *kiluna, nicht aber auf ein 'kylana (Rhamm S. ;)12) zurück- führt. Vielleicht ist russ. culanu, worauf mich Herr Kollege Berneker aufmerksam macht, mit pers. kulxän, türk. k'ülxan, k'ülhan 'Feuerstelle, Ofen, Schmiedeofen, Bad- stubenofen' zu verbinden.

Wie ich mir selbst auf Grund der sprachlichen und geschichtlichen Tatsachen (über itba 'Badestube' bei Ibrahim ihn Jakub kommen wir schwerlich hinweg) die Entwicklung des slawischen Wohnhauses vorstelle, habe ich nur in äusserster Kürze angedeutet und auf eine ausführlichere Behandlung des Gegenstandes (nämlich in der in Vorbeitung be- lindlichen 2. Auflage meines Reallexikons) verwiesen. Bis dahin muss sich der Herr Verf. gedulden, da ich hier nicht eine ganze Abhandlung schreiben kann. Dabei werde ich den sachlichen Ausführungen des Herrn Verfassers nach wie vor die grösste Beachtung schenken.

Breslau. Otto Schrader.

L. Katona }'.

Anfang August 11)10 starb Ludwig Katona, Professor der älteren magyarischen Literaturgeschichte an der Universität in Budapest, im Alter von 48 Jaliren. Mit ihm ist der bedeutendste Kenner der magyarischen Volksüberlieferungen dahingeschieden. In Grazer Universitätsjahren durch E. A, Schönbach in das Studium der mittelalterlichen Literatur eingeführt, widmete er seine eindringende Arbeitskraft namentlich der Erforschung der älteren (magyarischen und lateinischen) Legenden- und lat. Codex-Literatur. Seine reichen Sammlungen und Studien zur magyarischen I\Iärchenkunde haben nun leider nicht den erwarteten Abschluss finden können. A. Schullerus.

Da Hen- Prof. Dr. A. Hauffen gegenwärtig verhindert ist, die Geschichte der deutschen Volkskunde zu Ende zu führen, so wird der Schluss seiner Darstellung im nächsten Jahrgange erscheinen.

Ee^ister.

451

Hegister*.

(Die Namen der Mitarbeiter sind kursiv gedruckt.)

Aachen 363. Aarne, A. 92. Abeling, Th. 336. Aberglaube 126. 127. 232.

382—387. 425. Adamantios, A. 346. Adolf und Eniilie 373 f. Adoption 144. 147. Aducht: s. Eichmod. Adventskurrende 826. Afrikanische Märchen 9!». Ägvptische Medizin 123. Albers, J. H. 118. Alexius 121. Ali Baba 72. Allwissend, Doktor 323. Altenburg 363. Tracht 243. Altersstufen 310. Anialarius 252. Amalti, G. 118. Amor u. Psyche 93. Amsterdam: Sagen 72 f. Amulette 231. V. Andel, M. A. 343. Andersson, 0. 118. Andrer. E. 238 f. Eatschen,

Klappern u. das Verstummen

der Karfreitagsglocken 25<)

bis 264. Andree-Eysn, M. 231. Andric, N. 419. Antonius 315. Apollonius von Tjrus 354. Apuleius 93. Arbeitslieder 232. Argentinische Märchen 100. Armenische Märchen 49. 74

bis 78. 323-326. V. Arnim, A. 134. Arnold, R. F. 344. 443. Zum

Liede auf den Eeservemann

327 f. Arnstein, 0. 100. Asbjörnsen, P. C. 98. Atlasstatue 73. Axon, E. A. 356.

Badecki, K. 216.

Baden 398 f. Lied 407. Tracht

247. Balder 347. Balkanhalbinsel 412. ßaltus, F. K. 96. Balz er, 0. 217. Bandello, M. 370. Barbara 121. Barlow, T. L. 99. Baiiels, M. Europäische und

malaiische Verbotszeichen 202—207. Deutsche Volks- trachten 241—249.

Bcu-tels. P. 126. Eec. 111. 112. 343.

Bartsch, K. 305.

V. Batocki, E. T. 409.

Baskische Sage 213 f.

Basset, E. 98.

Bauerntöpferei 265—289.

Bäume u. Waldgott 389 f.

Bechstein, L. 298.

Beck, E. 225.

Behrend, F. Das Hss.-Archiv der Akademie zu Berlin 321—323.

Behrend, P. 96. 444.

Beieru 255.

Belovic, J. 425.

Benfey, Th. 297.

Berat, F. 208.

Berger, F. 121.

Berlin : Archiv der Akademie 321 f. Museum f. dtsch. Volkstrachten 241. 265.

Bernhöft, E. 444.

Bertha-Sage 215.

Berthold v.Eegensburg 3. 252.

Betonie 4.

Betzingen 246 f.

Bevcke, K. Eec. 225 f.

Bienen ausräuchern 26(i.

Bilderbogen 182-202. 319. 342. 352. Verleger 195.

Binna, A. 121.

Birk, S. 218.

Birkenfeld 121.

Birlinger, A. 305.

Blattl, C. 407.

Blau, J. 95.

Blick, böser 111. 142f.

Blümml, E. K. 406.

Blutbrüderschaft 148. -schrift 72. -tropfen Vorzeichen 70.

Boccaccio, G. 205. 367 f.

Böckel. 0. 329.

Bode, K. 405.

Boekenoogen, G. J. 93. 97. .■542.

Bohäc 222.

Bohemus, J. 8. 34!i.

Böhmen: Geschirr 275. Volks- 218-225.

Bolkenhain 363.

Bolte.J. 92. 125 f. 128. 238 f. 332. 351 f. 407. Das Eing- lein sprang entzwei 66—71. Eine Eätselsammlung von 1644 81—83. Bilderbogen

des 16. bis 17. Jhs. ril— 16) 182—202. Das poln. Ori- ginal des Liedes 'An der Weichsel gegen Osten' und das schwed. Lied 'Spinn, ! spinn, Tochter mein' 2]<i bis 213. Zu dem christ- lichen Warnungsbriefe 319 bis 321. Die Sage von der erweckten Scheintoten 35."'« bis 381. Neuere Märchen- literatur 91 100. Neuere Sagenliteratur 329—332. Neuere Arbeiten über das d. Volkslied 404—411. Eec. I 342 f. :Sotizen 118-125. 281-235. 344-350. 44:5 I bis 449.

Bonus, A. 410.

Bordeaux 364.

Botanik 18-35. 131.

Bourgeois, H. 118. Eine bas- kische Eolandsage 213.

Bourhill, E. J. 99.

Brage 118.

Brandsck, G. 411. Eec. 340.

Brant, S. 188. 193.

Bräuche 295. 344. 348. 423. ßreisgau 120. Hessen 124. I Zürich 122. s. Feste, Geburt, 1 Handwerk, Hochzeit, Martin, Schimmelreiter, Tote, Wet- termachen.

Braunschweig: Geschin- 276. Hochzeitsspiel 79. Lied 4( »7.

ßrautbaum 125.

Brentano, C. 182. 134.

Bressan, D. 98.

Brieftauben 142.

Brockelmann, K. 100.

Brückner, A. Poln. u. böhm. Volkskunde 213-225.

Brunk, A. 344.

ßrunncr, K. 125. 350f. 352. Bauemtöpferei und volks- tümliche Favencen 26-5 bis 289. Eec. ";U6. Sitzunss- protokoUe 125—128. 237 bis 240. 350-352.

Bücher, K. 232. 404.

Buhle. E. 406.

Bulgarische Volkskunde 427.

Buuzlau 270.

Burdach, K. 321.

Bürgel 270. 284.

Bürger, G. A. 114.

Buschenschank 203.

Bussenmacher, J. 358 f.

Ol)*

452

Kegister.

Carstens, H. Volksglauben u, Volksmeinungeu ausSchles- wig-Holsteiu 382—387.

Cäsarius v. Heisterbach o. 331.

Cats, J. 371. 373.

Celtes, K. 7.

Cercamons 98.

Chabiaras, M. D. 121.

Chadzi-Vasiljevic, J. 414.

Chamberlain, A. F. 99.

Chariton v. Aphrodisias 355.

Cliilli, Sh. 99.

Chinesische Novelle 379 f.

nhunielecki, K. 216.

(laquette 262.^

de Cock, A. 3.30. 331.

Consentius, E. 114.

Corovic, V. 416. 419. 422.

Cossar b. Kressen 125.

Couvade 425.

Cratepoleus, P. 358.

Crepitacula 262.

CuxJiaven 276.

Cvetic, E. J. 414.

Cvijic, J. 412.

Cysat, E. 9.

Czaruowski, S. J. 27.

Czyi'iski, E. 218.

Dabkowski, P. 217.

Dähnhardt, 0. 93. 118._

Daisenberger, J. A. 436.

Daniel, C. Armenische Mär- chen 74 7S. 323 326.

Dänische Ballade 365 f. Brauch 57. Volkskunde 444.

Danzig 363.

Uaur, A. 4(J4.

Deckengehänge 231.

Dedijer, J. 413.

Degen, E. 410.

Delen, A. 348.

Delft 282.

Dibelius, M. 110.

Dieb strafen 385.

Diels, H. 126. 444.

Dillmann, J. 408.

Dofle 398.

Dorf 229.

Darier, Ä. 95. Volkslieder aus Tirol 36—44. 306-317.

Dousek, V. J. 223.

Dragiöevic, T. 425.

Drake, J. B. 99.

Drechsler, B. 421.

Dreschflegel 349.

Dresden 362.

Drude, 0. 225.

Dublin 3()4.

Duda, F. 216.

Dünkirchen 362.

Durclikriechen, -schreiten, -ziehen 147-159. 167—181.

Edicta ludicra 191. Ehe 424.

Ehemänner: schlemmende be- straft 185 f. V. Eicheudorff, J. 66.

Eisler, R. 441.

Elisabeth v. Thüringen 69.

Elsass: Geschirr 285. Tracht 245.

Elwert, A. 133.

Euglische Ballade 69. Mär- chen 98. Pflanzennamen 22 f. Sage 364.

Erbschlüssel 386.

Evdeljanovic, J. 414. 422.

Ennenrikes dot 337.

Erntereigen 90.

Essgeräte 239.

Estnische Lieder 345.

Estreicher, S. 217.

Ewich, J. 357 f. 365.

Fabeln 434.

Fabo, B. 340.

Fabri, F. 7.

Fabricius, W. 359.

Fagerström, K. J. 118.

Fayence 277.

Februar 58. Fegfeuer 437.

Feilberg, H. F. 57. 444.

Feste 118. 295. 304 f.

Feuer reinigt 181. 406. -probe 168. 172. 174.

Fiebelkorn, M. 237. 352. 445.

Fischart, J. 10.

Fischer, A. 215.

Flajshans, V. 220. 222.

Fliegen verraten Mord 73.

Folkers, J. 445.

Folk-lore 301.

Formeln 404.

Fran(;ais, J. 440.

Franck, S. 8.

Frankfurt a. M. 437.

Fränkische Pflanzennamen29f.

Französisches Lied 68. 448. Magie 119. Sage ;)64. Tier- welt 348. Volkskunde 43.

Frauenlieder 419.

Freiburg i. B. 363.

Freimaurer 387.

Freybe, A. 118. 232. 344.

Friedel, E. 237. 239.

Friedrich, E. 119.

Fürst, P. 195-202.

Gaidoz, H. 92. 156 f. 348.

Gans 406.

Garos 348.

Gattentreue: Prüfmittel 49.

Gavrilovic, A. 419.

Gebhardt, A. 119.

Geburt: Bräuche 126. Durch- kriechen erleichtert G. 176. G. nachgeahmt 144 f. 153 f.

Geheinisprache 428.

van Gennep, A. 116.

Gerhard, der gute 91.

Germauen 2. Haus 332 f. Tem- pel 350. Urzeit 349. s. ^Ij- thologie.

Gerould, G. H. 91.

Gesta Romanorum 49.

Gjorgjevic, T. 413. 415. 423 f.

Glasur 268.

Glock, J. P. 120. 407.

Glocken verstummen am Kar- freitag, reisen nach Rom 251 f. 398 f.

Glück u. Unglück 382 f.

Glückstadt 363.

Gmunden 288.

Görres, J. 135.

Goethe, J. W. 14. 16 f.

Golther, W. 112.

Gordon, E. M. 99.

Gottesurteil 168. gefälschtl73.

Götze, A. 120.

Grabowski, A. 217.

V. d. Graft, C. C. 344.

Gralsage 448.

Grässe, J. E. 306.

Gräter, F. D. 15.

Grbic, M. 423.

Gregoriuslegende 45 56.

Gressmann, H. 110.

Griechische Schallbretter 264. Volkskunde 121. 346.

Grierson, G. A. 98.

Grimm, Brüder 137 141.

V. Grimmeishausen, H. J. C. 11.

Grindkopf 76.

Grisanti, C. 98.

Griseldis 93.

Grolimund, S. 408.

Grönbech, V. 226.

Grujic, M. 424.

Grunwald, M. 445.

Gruss 446.

Gulgowski, W. 215.

Gundrum-OriovöaniD,F.S.425.

Günter, H. 433.

Günther, J. C. 69.

Gurlitt, C. 225.

Haas, A. 120. Hadziomerspahic, E. 421. Hahn, E. 239. 240. 352.

J. 240. Hamburg 363. 446. Handschiiftenarchiv ,321. Handwerksbrauch 350. Hannov. Münden 282. Hanus, J. 225. V. Harten, .1. 97. Hartland, E. S. 99. Hartmann, Aug. 406. Has, Konr. 220. Hassebrauk, G. 407. Haubenkopf 275. Hauffen, A. Gesch. der d.

Volkskunde 1—17. 129 bis

141. 290-306. 450. Hausforschung 100—107. 125.

332—336. 446. -gemeiu-

schaft (Zadruga) 426.

-Industrie 351 f. -Inschriften

85—90. -sagen 72 f. -sitteu

344. -zeichen 72. Heeger, G. 408. Heidrich, E. 119. Heilritus 167. Heimatschutz 22öf.

Register.

453

Heiuemann, F. 331.

Helgoland 124.

Hellwig, A. 120.

Hemd: durchs H. durchziehen 14.j.

Hennig, K. 404.

Henuiger, K. i*7.

Henry, V. 107.

Herder, J. G. 13.

Herrmann, M. 345.

Hertel, J. 92.

Herz essen 143.

Herzegovina 413.

Hesse. H. 410.

Hessische Bräuche 124. Lied 408. Tracht 245 f.

Hessus, E. 7.

Heup, H. Westfäl. Haus- inschriften 85—90.

V. Heurck, E. H. 342.

Heusler, A. 331. Rec. 226f.

Heuvel, H. W. 119.

Hexenwahn 12. 120. 440.

Heyl, J. A. 305.

Hilka, A. 445.

Hillebille 2(>3.

Himmelsbrief 61.

Hirauvagarbha-Ritusl59— 167.

Hirschleben 365.

Hirtenstock 317 f.

Hochzeitsbaum 125. -brauche 126. -spiel 79.

Hoernes, M. 112.

Hoffart personifiziert 321.

Hoffmann, A. 93. A. H. V. Fallersleben 292. H. -Krayer, E. 445.

Höfler, AI. 345.

Hofstaetter, W. 115.

Holas, C. 222.

Hölle 316. 4.37.

HoUis, A. C. 99.

Holstein : Lied 90. Märchen 96.

Holzgeräte mit Wachsein- lagen 125.

Holzinger, F. 121.

Horger, A, 338.

Humor 122.

Hund 34(i.

Hundham 274. 288.

Hurt, J. 345.

Huss, K. 233.

Ikonische Mythen 363.

Hg, B. 98.

ludiculus superstitionum 3.

Indische Märchen 98 f. 348.

Innviertel 83. 120.

Inschriften 85—90. 121.

Insekten 233.

Inventare 350.

Irenicus, F. 8.

Irminsäule 348.

Island: Brauch 58. Sage 367.

Tempel 350. Italien: Aberglaube 127. Lied

121. 123. Märchen 98.

Sprichwörter 447. Volks-

kimde 118.

Itchikawa, D. 340. Ivanöevic, P. 425.

Jablonowski, A. 218.

Jacobi, A. 225.

Jäger 385.

Jahn, U. 305.

Janko 223.

Januar 58.

Japan 2.30. 340.

Jegerlehner, J. 94.

Jelinek, J. 220.

Jensen, Chr. 445.

Joch: durchs J. gehn 176—180.

John, A. 232. E. 409.

Joksimovic, J. 415.

Jon Halldorsson 367.

Jones, W. 100.

Josephspiel 445.

Jovanovic, K. 414. V. M.

422. Jovicevic, A. 415. Juan: Don J.-Sage 331. Judas-Lieder 253. Julian, der h. 121. Jungfrauengeburt 229. Junguirth, E. Volksrätsel aus

Ostermiething 83—85. Jürgensen, W. 405. Jütentöpfe 265. Jutrznia 327.

Kallenbach, J. 216.

Kallimachos 444.

Karfreitagsglocken 250. 398.

Karl d. Gr. 2.

Kärnten 411.

Karren 398.

Kasik, A. 223.

Kassubentöpfe 266.

Katharina 121. 401.

Kaukasus 45.

Kehrer, H. 232 f.

Kellinghusen 281.

Kessler, J. 123.

Keuschlieitsprobe 172 f. 346.

Kind aufheben 142. dem Teu- fel versprochen 76.

Kindbetterin scheintot 465 f.

Kinderleben 345. -reime 311 f. 409.

Kirchner, V. 121. Ein christl. Warnungsbrief 61 66.

Kirgisen: Epos 379.

Klageweiber 143.

Klappbild 320 f.

Klapper, J. 92.

Klappern 252—262. 398.

Klebern 258.

Klein, J. 121.

Kleinpaul, R. 117.

Klima, S. 222,

Klimperkeule 317.

Klingelstock der Hirten 317.

Klinger, W. 215.

Klocker. S. 388.

Klöpfellieder 31 2 f.

Klunger, C. 411.

Knoop, 0. 95.

Knortz, K. 233.

Köhler, R. 303.

Köln: Sage 356-362.

Kondakov, N. P. 427.

Könige, die h. drei 232 f.

Konrad, H. 96.

Kontrafaktur, geistl. 404.

Kopera, F. 218.

Koryllos, C. P. 121.

Koskenjaakko, A. 346.

Kostiäl, J. 412.

Krankheitsübertragung 1.56 f.

Kraus, A. 221.

Krauss, F. S. 422. 424 f.

Kroatische Lieder 419.

Krofta, K. 225.

Kuba, L. 421.

Kuben, J. 221.

Kück, E. 125. 126. 305.

Küfertanz 445.

Kuhaö, F. S. 422.

Kuhn, A. 295.

Kühn, E. 225.

Kühnau, R. .330.

Kujot, S. 215.

Kukule, Ph. 121.

Kurilas, E. 346.

Kussmotiv 366.

Kutrzeba, S. 217.

Kvacala, J. 224.

Laibach 362.

Laistner, L. 304,

Land, Das 346.

Landau, M. 437.

Landtman, G. 118.

Lang, M. 410.

Lange, E. Rec. 341.

Langnau 271.

Laographia 121. 346.

Lappische Lieder 347.

Latein. LiederinSchwedenl22.

Latzenhofer, J. 95,

Lauffer, M. 351.

Läufer, 0. 446. Neue For- schungen über Hausbau, und Gerät, Tracht und Bauernkunst inO— 107.

Launis, A. 347.

Laval, R. A. lOO.

Lawrence, A. E. 99.

Legenden 228. 433, italienisch 121. s. Elisabeth, Gregorius, Katharina, Könige.

Lehmann, A. 107.

Lehmann-Nitsche, R. 100.

Leichenbrett 396. -wasser394f.

Lemke, E. 127, 240, 351.

Leraminkäinen 347.

Leroy, J. 97.

Leiralter, J. Es lebe der Reservemann 2o7— 209.

V. d. Lci/en, F. Rec. 428—431.

Liebhaber und tote Geliebte 3(56 f.

Liebrecht, F. 154 f. 356.

Lieder: böhmisch 221. bul- garisch 428. dänisch 365. deutsch 14 f. 133 f. 290 f.

454

Register.

404—411. Breispau 120. l Tirol oG— 44. 306-317. Adolf u. Emilie 3731. Alters- stufen 310. Ai-beit 232. Besenbinder 44. Bettler 307 f. Ernte 90. Färber 373. Historisch 344. 40G. Judas 253. Katharina 401. Kinder 311. 400. 409. Krämer 44. , Liebe 39. G7. Martin 405. | Eeservemann 207. 327. Scheintote 3G5. Arme Seele 403. Soldaten 41. 407. Spinnerin 211. Studenten 40G. Weihnachten 312. 400. estnisch 345. französisch 68. italienisch 121. 123. kroatisch 419. lappisch 347. lateinisch 122. polnisch 210. portugiesisch 371. 379. russisch 6S. schwedisch 118. 122. 210. serbisch 415 f. slowenisch 411. spanisch 371. 379. ungarisch 340.

Liesenfeld 407.

Linke Hand 142.

Lippert, J. 305.

Lohmei/er, K. 92. 121. Pfingst- quack 399-401.

Lohre, H. Rec. 112. 114. 115. 228.

Lope de Vega 372.

Lorentz, F. 215.

Loskot, F. 224.

Löwenmilch 76.

V. Löwis, A. Gregoriuslegende im Kaukasus 45-56.

Lübeck 240. 348. 363.

Lucerna, C. 418.

Lucia 121. 240.

Ludwig, H. 240. 352.

Lukas, H. 126.

Luther, M. 10. 120.

Lützow, F. 220.

Mächal, H. 218.

Macler, F. 98.

Mc Kuir, J. A. A. 99.

Mädchen, wählerische 309.

Maeterlinck, L. 233.

Magdeburg 282. 362.

Magdic, M. 422.

Magie 107. 110. 119.

Magnanelli, R. 121.

Mähren 238.

Majer, ß. 217.

Majkowski, A. 215.

MalayischeVerbotszeichen205.

Mammen, F. 225.

Mankoirski, II. Advents- kurrende u. Jutrznia 3261.

Mannhardt, W. 300.

Mansikka, V. J. 347.

Mantelkinder 148,

Manucci, N. 164.

Marburg: Geschirr 270.

Märchenforschung 90-10*^). 130. 132. 139. 297. All- wissend 323. 421. Esel, Vater, Sohn 2:)4. Rumpel-

stilzchen 92. Toter dankbar 91.419. Zeichensprache419. afrikanisch 99. argentinisch lOO, armenisch 49. 54. 74 bis 78. 323-326. 379. böhmisch 221. deutsch 93 bis 97. holländisch 72. 97. indisch 98. 348. 378. ital. 98. norwegisch 98. polnisch 378. serbisch 419. 421. un- garisch 338. 432. Maretic, T. 415. Marko, Prinz 417. Markolf 218. Martin v. Cochem 348. Martinslieder 405. Marzell, H. 121. Matakau 205. Matic, T. 422. Matraca 253. 262. Matusiak, S. 215. Maurer, H. 239. 352. Mausser, 0. 4.36. Mayer, H. 121. W. 121. Mazedonien 427. Mecklenburg 57. 276. Mediö, M. 425. Medizin 123. 126. 322. 343. 425. Meiche, A. 330. Meier, E. 296. J. 407. Meinck 122. Meineid 385. Meinert, J. G. 290. Meitzen, A. 235 - 237. Melodien 207. 210. 327. 347.

4 10 f. ]Memmingen 362. Mende, R. 122. Mpitqhin, 0. Weihnachtszelten- spiel aus Tirol 387—394. Meran 203.

Messer 239. im Baum, Vor- zeichen 70. Messikommer, H. 122. 446. Meyer, E. H. 303. G. 409.

Rud. 127. Mei/er, R. M. 428. Rec. 116 f.

431 f. 441. Michel, H. Rec. 117. 122. 123.

124. 336. 349. 350. Mielke, R. 128. 229. 237. 351. Mijatovic, S. M. 425. 427. Millien, A. 98. Minden, G. 126 f. 237. Miserikordien 233. Misirkov, K. P. 418. Misson, M. 3(50. Mitrotic, A. 423. 425. L.

423. Monate begrüsst 58. Möuchgut 120. Mondfinsternis 142. Montenegro 415. Morrison, S. 98. Moser, J. 15 f. Mösskirch 362. Mühlbach 363. Mühlrad zerbrochen 71. Mul-apen 266. :\lüllenh()ff, K. 296. 304.

Müller, Fr. 16. M. 229.

W. ;506. Münster a. S. 276. Musäus, J. K. A. 130. Mythologie 431. 441.448. ger-

man. 112f. 140f. 298f. 428f.

Nachtigall wahrsagt 70.

Nachtlampe 270.

Nacktheit 176.

Nägel beschneiden 386.

Nagl, J. W. 436.

Narrenschiff 193 f.

Naturgefühl 349.

Naubert, B. 130.

Nef, A. 411.

Neidkopf 72.

Nemo, Niemand, Nevim 219.

Neubauer, A. 225.

Neujahrslied 315. -mond 57.

-nacht 385. 398. Neuruppiuer Bilderbogen 319.

352. Nibelungenlied 3.3Gf. Niederländische Märchen 97.

Sagen 72 f. Volksglaube

119. -medizin 343. Niederle, L. 223._ Nordfriesland 43*. Nördlingen 235. Nork, F. 295. Norlind, T. 122. j Norwegische Märchen 98.

Volksleben 127. Novak, J. B. 225. Nürnberg 119. 195. 363. Nyrop, K. 92. 331 f.

Oberammergau 347. 446.

Oeke, W. 97. ' Offenheim 271.

Ohnesorge, W. 348.

Olfil; A. 348. Wettermachen u. Neujahrsmond 57—61.

Olsen, M. 122.

Opferkopf 267. -tier zerteilt, hindurchgegangen 150f.

Orlamünder, P. 122.

Orleans ;>64.

Orsier, J. 234.

Ostereier 350.

Österreich: Lieder 407. Mär- chen 95.

Ostpreussen 382. 394. 409.

Paartopf 276. Padua 365. Pagaczewski, J. 218. Palmsonntagszweige 344. Panzer, F. 296. Papadopulos-Kerameus, A.

346. Papajoannides, K. D. 346. Passionsspiel 347. 446. Patenbrief 62. Peabody, Ch. 235. Perchten 231. Percy, Th. 13. Personennamen 117. Peslmüller, J. 410.

Register.

455

Pessler, W. 100—107.

Pestalozzi, R. 123.

Pest-Amulett 231.

Petsch, B. Rec. 107—110.433. 437. 440.

Pfaffenjasrd ISG.

Pfalz 408.

Pfannenschmid, H. .'>04.

Pferd 385. Kopf am Giebel 360.

Pfingstquack 399 f.

Pflanzennamen 18—35. 121. englisch 22 f.

Ptleiderer, 0. 116.

Piccolomini, Aeneas Silvius 6.

Pitre, G. 447.

Playfair, A. 348.

Podlaha, A. 224. _

Popzbowicz, E. 215.

Poitiers 364.

Polaczek, H. 216.

Polites, N. G. 121. 347.

Polh-ka, G. 221. Neuere Ar- beiten zur südslaw. Volks- kunde 411—428.

Polnisch: Lied 210. Volks- kunde 215-218.

Polsterer, J. 97.

Pommer, J. 407. 409 f.

Popovic, P. 415.

Posener Märchen 95 f.

Potocnik, M. 411.

Prdsek 220.

Prätorius, J. 11. 125.

Y. Preen, H. 121.

Prochaska, A. 218.

Pröhle, H. 306.

Psichari, M. 123.

Pulaski, F. 216.

Pulcinella 348.

Puppenspiel 348.

(Juempas 327. Qiieri, G. 347.

Rabe, J. E. 348. Raccuglia, S. 123. Radczwill, M. 409. Rauke, F. 329. Rasengang 148f. 177. Ratschen 252 - 263. 399. Verse

254 f. 399. Rätsel 81—85. 328. 344. Rattray, R. S. 99. Raupen 386. Recht 426. Redensarten 348. Regensburg 363. Reimann, F. A. 295. Reinach, S. 431. V. Reinsberg-Düringsfeld, 0.

305. Reinigungszeremonie 171 f. Reiser, K. 305. Reisiger, H. 123. Reiterer, K. 447. Reuschel, K. 447. Bhamm, K. 332. Erwiderung

449. Richraod v. d. Aducht 356 bis

362.

Richter, A. 348. E. 292.

P. 123. 126. Riehl, W. H. 1. 301. Ring im Schädel 330. springt

entzwei 66. zerbrochen 69.

Diebstahl 35C)f. Rochholz, E. L. 299. Roediqer, M. 126f. 238f.

350 f. Meitzenf 235—237.

Rec. 229 f. Roethe, G. 321. Rogge, C. 299. Rolandsage 213. Rolevinck, W. 6. Rolfs 305. Rolland, E. 348. Rombitten 276. Romeo u. Julia 356. Rona-Sklarek, E. 98. 432.

Rec. 3:'i8. Röscher, W.H. 123. Rosen, niederfallende 70.

-kränz 250. Rote Farbe 143 f. Roudenko, S. 99. Rovinskij, P. 415. Rowalski 220. Rübezahl 12. 125. Rumpeln 259. R. mette 259. ;

R. stilzchen 92. !

Runeninschriften 122. Rüppurr 121. Russisches Lied 68.

Saargegend 399 f.

Sachs, H. 10. 186. 187—190.

216. 372. Sachsen: Lieder 409 Sagen 330. Saeen 329—332. deutsch 68. 92 f. 130. 139. 305 f. 353 f. 44r4f. englisch 364. französ. 364. 447. holländisch 72. kroatisch 422. Sainean, L. 123. Saintyves, P. 228. Salmuth, Ph. 362. Saltnerhand 204. Salzburg. 289. Samter, E. 126. 351. Sartori, P. 348. Säuern der Lebensmittel 240. Savoyen 134. 352. 448. ! Sawicki, L. 216. j Schädelkultus 231. i Schäfergruss 328. ! Schallbretter 252. 257. 263 f. ' Schambach, G. 306. Schau, G. 219

Schauspiel: böhmisch 218. 220. s. Joseph-, Passions-, Puppenspiel, Schimmel- j reiter, Weihuachtsspiel. I Scheingeburt 141—181. Scheintote erweckt 352. ;i53 j bis 381. heuchelt 355 f. Schell, 0. Klingelstock der

Hirten 317 f. Schetelig, H. 122. Schiller, A. 95. I Simäk, J. V. 224 f.

Schimmelreiter 79. Si.skov, S. N. 428. Schlaraffenland 187—193. Schlegel, A. W. 129 f. 133. Schlemm, J. 241. Schlesien : Geschirr 289. Mär- chen 95. Sagen 330. Schleswig-Holstein 276. 280.

382—387. Schliersee 244.

Schlüssel, alter wiedergefun- den 368. Schmidt, E. L. 349. G. 345.

U. 406. Schmitt, C. 410. Schnecke 345.

Schnippel, E. Leichenwasser u. Geisterglaube 394—898. Schön. F. 409. Schönbach, A. E. 331. Schönhärl, J. 99. Schoßsetzung 148. Schottische Ballade 69. Schottky, J. M. 292. Schrader, 0. Rec. 332. Ant- wort 450. Strekelj, K. 411. Schuchardt, H. 349. Schullenis,A. 234. L.Katonaf

450. Rec. 432. 1 Schulte, 0. 409. : Schultz, W. 447. Schuster, R. 93. i Schüüe, 0. Der Schimmel- reiter 79—81. Schäfergruss 328 f. Schwalm 246. Schwartz, W. 295. 299. Schwedischer Brauch 59. Hir tenstock 318. Lied 118. 122 210f. Stickerei 240. Schweinfurt 363. Schweiz: Lieder 408. 411. Mär- chen 94 f. Tracht 248. Volks- kunde 331. Schwerttanz 239. 852. Sebillot, P. 98. Y. 98. Secundus 445. Sedlacek, A. 224. Segenformeln 4. 327. 385 f. Seligmann, S. 111. Semkowicz, W. 217. Sepp, J. N. 305. Serbien 413f. Servettaz, Gl. 448. Sieb 269.

Siebenbürgen 234. Siebenschein. H. 238. Siebs, Th. 124 Sigfridsage 434. Simieiiski. J. 217. Simrock, K. 294f. 298. Sitte: s. Brauch. Skarpa, P. V. J. 428. Skerlic, J. 422. Slaski, B. 216.

Slawische Hausforschuns 332. Volkskunde 215-225. 411 bis 428. Slowenen 411.

456

Register.

Smetanka, E. 222. Smith, R. G. 99. Sofric, P. 425. Sobnrey, H. 305. 346. Sökeland, H. 237 f. 351. Sommarström, H. 118. Sommer, E. 296. Sonnenverehrung 122. Souöek, A. 223. S. 221. Sperontes 406. V. Speybrouck, A. 97. Spiegel, K. 329. Spiele 123. 409. V. Spies, K. 448. Spina, F. 220. Spinnstuben 219. Spreewald: Geschirr 282. Sprichwörter 122. böhmisch

222. finnisch 346. ital. 447.

serbisch 423. Sprüche: s. Hausinschriften. Srdinko 222. Stab, blühender 215. Stahl, H. 349. Stamatulis, J. P. 121. Stead, A. 413. Steiermark 447. Steinhauseu, G. 349. Stiefel, A. L. 93. Stjepo, P. 413. Stöber, A. 306. Stockmayer, G. 349. Strackerjan, L. 97. Straparola, G. F. 94. Straub, K. 2:55. Strauss, E. 410. Strehel, H. Erntereigen 90. Strohal. J. 426. Strohwisch 20)5. Struyf, J. 99. Svoboda, M. 223. V. Sydow, C. W. 92. Syntax 123. Szelegowski, A. 217.

T als Amulett 2:',1.

Tacitus 2.

Tafeln, täfern 257.

Talmud 91.

Tannhäuser 331 f.

Tanz 239. -spiele 409.

Tatarische Verbotszeichen 205.

Taufbräuche 142.

Tegemsee 274.

Teirlinck, J. 330.

Teller 277 f.

Tempel 350.

Tenggren, J. 118.

Tessarakontaden 123.

Tetmajer, W. 218.

Teufelliteratur 10.

Teza, E. 220.

Thomas v. Chantimpre 6, 366 f.

Tliomas, W. J. 301.

Thorn 363.

Thümmel, A. 350.

Tieck, L. 129 f.

Tierwelt 348.

Tille, A. 305. W. 221.

Tirol: Geschirr 274. Lieder 36—44. 306—317. Schau- spiel 387 f.

Tod 118. austreiben 12. Vor- zeichen 69 f.

Tokarz, W. 218.

Tomic, J. N. 417.

Töpferei 2<i5— 289. 415.

Totenbräuche 394 f. -mahl 397. -stroh 397. Toter dankbar 91 f. 419. kehrt wieder 397 f.

Toulouse 364.

Trachten 241—249. 428.

Traub, Th. 127.

Traulantonis, A. 121.

Traum des Knaben 74. Deu- tungen 384 f.

Treichel, F. 127. 2.37. 239. 351.

Trgjic 424.

Trifkovic, V. 413.

Trinker 219 f.

Trocola 261 f.

Troianovic, S. 413. 415. 419. 422. 427.

Tuläpurusa 166.

Türschwelle 143.

Tykac, J. 222.

Uhland, L. 293 f.

Ungarn: Lied 340. Märchen

338 f. 432. Sage 364. Unterwerfungsritus 177. Upmark, G. 350. Usbeck, K. 93.

Valle, P. della 141. Vasilijevic, L. 421. Velletti, A. 369 f. Verbotszeichen 202—207. Versbriefe 231. Verwandtschaft, künstliche

145. 424. Vierländerin 244. Vierzig 123. Vlämische Bilderbogen 342.

Sagen 330. Vo«elsberg 363. Volksbücher 130f. 294. 349. Volkskunde, Geschichte der

deutschen 1—17. 129-141.

290-306. Französisch 447. Volkskunst 351. Volkslied 14, 133. 404. s. Lied. Vorbedeutungen 3S5. Vorzeichen, s. Tod, Wetter. Voss, J. H. 16. Vuletic-Vukasovic, V. 415.

Wagner, K. 344.

Wahl des Häuptlings 427.

Waldgott ;'.88f.

Wallis 94.

Warnungsbrief, christl. 61 bis

(;6. 319-321. Wasser im Totenbrauch 394f. Waxman, S. M. 93. Weben 415.

Weber, H. 408.

Weeks, J. H. 99.

Wehrhan, K. 448.

Weiber: Privilegien 218. Re- zept für böse W. 182—185.

Weihnachtsfeier 326 f. -lieder 312 f. 410. -spiel 387. 410. zelten 387 f.

Weise, 0. 124. 348.

Weiss, 0. 446.

Weissenberg, S. 445.

Welt, Frau 63.

Wendland, P. 110.

Werner, L. F. 124.

Wesselski, A. 94.

Westfalen: Brauch 57. In- schriften 85- 90.

Weston, J. L. 448.

Wettermachen 57—61. 128. -Orakel 60.

Wiedergeburt 155. 165. 174.

Wiederkehr, G. 408.

Williams, C. A. 406.

Wisser, W. 96.

Wochentage 128.

Woeste, J. F. L. 296.

Wolf, J. W. 298.

Wolfganff 231.

Worm, F. 120.

Wunder 229.

Wunderhorn 134. 405.

Württemberg 246 f.

Wüst, W. 408.

Wuttke, A. 298. R. 225.

de Wyl, K. 125.

Xenophon von Ephesus 355.

Zachar, 0. 219.

Zachariae, Th. 93. Schein- geburt 141-181.

Zahlen 123. -Verschiebung 447.

Zahn 386 f.

Zarnack, A. 292.

Zauberei 385. -kraut 354. -schlaf 354.

Zauberer u. Lehrling 74.

Zaun 231.

Zibrt, C. 218-220.

Zieh, 0. 220.

Ziegel 445.

Z/cgler, H. Volksnamen der Pflanzen u. Vermischung der deutschen Volksstämme 18-35.

Zimmersche Chronik 9. 362.

Zindel-Kressig, A. 95.

V. Zingerle, J. V. 296. 306. 0. 350.

Ziska, F. 292.

Zuckungen gedeutet 385 f.

Zuidcina, W. Amsterdamer Sagen 72 f.

Zunftaltertümer 352.

^upanic, N. 412.

Zürich 122. 365.

Zylinderhut 247 f.

Inhaltsverzeichnis zu Bd. 1—20. Aarne— Andree.

457

Iialialtsverzeiclmis

zu Band 1—20 (1891—1910) der Zeitschrift des Vereins

für Volkskunde,

nach den Mitarbeitern geordnet.

A.

Aarne, Antti (Rektor Dr. in Sortavala, Finn- land). Zum Märchen von der Tiersprache 19, 298-303.

Abebiu^, Marie (Frau Sanitätsrat in Char- lottenburf^). Volkstänze in Baixo-Alemtejo 12, 349—351. Symbolische Wurfgeschosse in der portugiesischen Volksdichtung 13, 317 320. Stern- und Wetterkunde des portugiesischen Volkes 14, 224 f. Ein Aberglaube der portugiesischen Seeleute 17, 314.

Adler, Max (Gymnasialdirektor Dr. in Salz- wedel). Zwei Volkslieder aus dem Geisel- tal bei Merseburg 11, 459—461. Zu den ätiologischen Sagen 14, 117 f. Allerlei Brauch und Glauben aus dem Geiseltal 14, 427-430.

Adrian, Karl (Fachlehrer in Salzburg). Zwei Frauenlieder aus Rauris 13, 430f. Klap- pergeräte in Tirol 13, 43Gf. Volksbräuche aus dem Chiemgau (1—4) IG, 322 f. 17, 321-325.

Amalfl, Gaetano (Procuratore del Re, Dr. jur. in Fotenza, Basilicata). Eine türkische Er- zählung in einem italienischen Schwanke 4, 428 430. Zwei orientalische Episoden in Voltaires Zadig 5, 71—80. Eine No- vellette des Vottiero in literarischen und volkstümlichen Fassungen 5, 289 293. Die Kraniche des Ibykus in der Sage 6, 115—129. Wer hat dieFacetien des Pio- vano Arlotto kompiliert 7, 2G1 270. 37G bis 382. Quellen und Parallelen zum Novellino des Salernitaners Masuccio 9, 33-41. 13G-153.

Ammann, Johann Joseph (Gymn.-Professor a. D. in Krumau). Volkssegen aus dem Böhmerwald 1, 197—214. 307-314. 2, 165 bis 176. Das Leben Jesu von P. Marti- nus von Cochem als Quelle geistlicher Volks- schauspiele 3, 208—223. 301 »-329.

Audrae, August (Oberlehrer Dr. in Wilhelms- haven). Hausinschriften aus Goslar 15, 428-438.

Andree-Eysn, Marie (Frau Professor in München). Aus der Rauris 8, 91—93. Totenbretter um Salzburg 8, 205-209. Botanisches zur Volkskunde 8, 226 f. Mittel gegen Zahnweh 8, 228 f. Das Antlass-Ei im Salzburgischen 8, 339 f. Reisichthäufung in Niederösten^eich 8, 4.55 f. Das Frautragen im Salzburgischen 9, 154 157. Gestickte Liebestüchlein 9, 436—438. Pranger- oder Reifstangen im Herzogtum Salzburg 10, 90 f. Über einige Votivgaben im Salzburger Flachgau 11, 181 186. Erlöschen der Altarkerzen 15, 438. Kirchenstaub heilt Wunden IG, 320-322.

Andree, Richard (Professor Dr. in München). Die Hillcbille 5, 103-106. Volkskund- liches aus dem Boldecker und Knesebecker Lande (i, 354—373. 7, 130 loG. Harzer Köhlerlied 7, 208 f. Niedersächsische Zauberpuppen 9, 333—335. W'ie im Lüneburgischon Pferdekolik geheilt wird

9, 335 f. Pferdeschädel wendet Unheil ab

10, 226. Zur Frage der hannoverschen Wenden 10, 439 f. Trudensteine 13, 295 bis 298. 15, 92 f. ABC-Kuchen 15, 94 bis 96. Erlöschen der Altarkerzen 15.

458

Inhaltsverzeichnis zu Bd. 1—20.

438, 18, 311. Der grüne Wirtshauskranz 17, 195— 'JOO. Das neue vlämische Mu- seum für Volkskunde in Antwerpen 17, 457 bis 460. Westfälische Hochzeitsladung in Missouri 18, 99—101. Tiere über- nehmen menschliche Krankheiten 18, 311.

Den Tod betrügen 19, ^203f. —Ratschen, Klappern und das Verstummen der Kar- freitagsglocken 20, 250-264. Rec. De Cock-Teirlinck 15, 463 f. 16, 356 f. Fata- buren 17, 239-241.

Anonym'). Das Weihnachtspiel in Wien 1893 4, 9:5 f. Aberglaube und Be- sprechungen aus Zöllmersdorf in der Nie- derlausitz 10, 229-231.

Arendt, Carl (Professor am Orientalischen Seminar in Berlin; f 1902). Moderne chinesische Tierfabeln und Schwanke 1, 325—334. Ein Kapitel aus dem Aber- und Geisterglauben der Chinesen 2,258—271. 374—381.

Arnold, Robert Franz (Univ.-Professor Dr. in Wien). Die Natur verrät heimliche Liebe 12, 155-167. 291-295. Zum Liede auf den Reservemann 20, 327 f. Rec. v. Reinhardstöttner 12, 122 f.

B.

ß, (Reykjavik) s. Olsen, Björn.

Bacher, Josef (Kurat in Unterfennberg, Süd- tirol). Von dem dänischen Grenzposten Lusern im wälschen Südtirol 10, 151 162. 306-319. 407—417. 11, 28-37. 169-180. 290—296. 443-452. 12, 172-179. Die Prozession, Gedicht aus dem Vintschgau 10, 328-330. Wie die Wälschen fluchen 10, 338. Rec. Lusern 10, 455.

Back, Friedrich (Museumsdirektor Prof, Dr. in Darmstadt). Literatur des Jahres 1890 1, 113-127. 234-240.

Bahlmann, Paul (Oberbibliothekar Prof. Dr. in Münster i. W.). Die Lambertusfeier zu Münster i. W. 5, 174-180.

Bartels, Max (Geh. Sanitätsrat Dr. in Berlin, tl904; s. 15, 106). Über Krankheitsbe- schwörungen 5, 1—40. Ein paar merk- Avürdige Kreaturen 9, 171 179. 245—255.

Was können die Toten 10, 117—142.— Märkische Si)iiinstuben-Erinnerungen 12, 73 bis SO. 180-1.S7. 316-319. 415—418. Zur Wünschelrute 13, 286f. VolksAn- thropometric 13, 353 368. Übe: euro-

päische und malayische Verbotszeichen 20, 202—207. Deutsche Volkstrachten 20, 241—249. Rec. Zichy 8, 110 f. Hoernes 8, 348 f. Anthropologie Braunschweigs 8, 460f. Temesvary 10,239f. Rumpe ll,108f. Stieda 11, 227-229. Tiffaud 11, 467f. Burghold 12, 121 f. Bartels, Paul (Privatdozent Dr. med. in Berlin). Fortpflanzung, Wochenbett und Taufe in Brauch und Glauben der weiss- russischen Landbevölkerung 17, 160 171. Rec. Martin 17, 237—239. Hovorka-Kron- feld 18, 233. 19, 339 f. Höfler 18,341—343.

19, 340 f. Aigremont 19, 341. Hoernes 19, 355. 20, 112. Seligmann 20, 111. Richter

20, 123. V. Andel 20, 343. Bartolomäus, Richard (Amtsgerichtsrat in

Krotoschin). Das polnische Original des Volksliedes 'An der Weichsel gegen Osten' 19, 314-316.

Baumgart, August (Pastor in Fürstenau, Kr. Neumarkt, f 1882). Aus dem mittelschle- sischen Dorfleben 3, 144—155. Ver- schiedenes vom Aberglauben, von Sitten und Gebräuchen in Mittelschlesien 4, 80—86.

Beck, Henry (Pastor Dr. in Braunschweig). Aus dem bäuerlichen Leben in Nordsteimke, Braunschweig 8, 213—217. Nieder- deutsche Spruchweisheit aus Nordsteimke 8, 301—304. Aus dem bäuerlichen Leben in Nordsteimke 8, 428—439. Nieder- deutsche Sprüche und Redensarten aus Nordsteimke 9, 81—83. Notizen zum Geldwerte im 18.— 19. Jahrh. im Braun- schweigischen 9, 93 f.

Beck, Paul (Amtsrichter a. D. in Ravensburg). Die Bibliothek eines Hexenmeisters 15, 112 bis 420. Volksliedvarianten aus Missver- ständnis 16, 190. Volkslieder aus Schwa- ben 16, 432 436. Ein Wettersegen aus dem 16. Jahrh. 17, 313 f. Alte Studenten- lieder 17, 443—447. Nochmals die Sage vom unbewusst überschrittenen See 18, 305 f. Volksgericht im Montavon 19, 95. Zwei Satiren in Gebetsform auf Tököly und Ludwig XIV. 19, 186 f. Zwei deutsch- französische Flugblätter aus dem spanischen Erbfolgekriege 19, 188-190.

Becker, Marie Luise (jetzt Frau Dr. Kirch- bach in Gross-Lichterfelde). Ungarische Volkskunst 13,39—49. Das Kunstgewerbe in Bosnien und der Herzegowina 14, 192— 198.

1) Die anonymen Notizen und Bücheranzeigen, die sicli mit einiger Wahrscheinlichkeit W einhold zuweisen Hessen, sind unter seinem Namen verzeichnet.

Anonym Bolte.

459

Behrend, Fritz (Archivar der Deutschen Kommission der Berliner Akademie der Wiss. Dr. in Gross-Lichterfelde). Ein Oberstdorfer Fastnachtspiel vom Schinder- hanues l'J, 326— 333. Das Handschriften- archiv der Deutschen Kommission derKgl. preussischen Akademie der Wissenschaften •20, 321 f.

Benes, Julius (Direktor des Lehrerseminars in Wiener-Neustadt). Das städtische Mu- seum in Krems a. d. Donau 8, 309 313.

Bemeker, Erich (Univ.-Professor Dr. in Breslau). Das russische Volk in seinen Sprichwörtern 14, 75-87. 179-191.

Bernheim, Ernst (Geh. Reg.-Rat Univ.-Pro- fessor Dr. in Greifswald). Zum Ver- wunderungsliede 6, 209 f.

Bethany, M. (in Elberfeld). Die Geistermesse zu Köln G, 441 f.

Bencke, Karl (Eealgymnasialdirektor Prof. Dr. in Zehlendorf). Eec. Friedel-Mielke 19, 462 f. Beck-Drade-Gurlitt-Jacobi-Kühn- Mammen-Wuttke 20, 22.') f.

Biegeleisen, Heinrich (Dr. in Lemberg). Jüdisch-deutsche Erzählungen aus Lemberg 4, 209 f.

Biel, Anna Maria (Fräulein, in München). Volksreime von der Insel Rügen 16, 87 f.

Blümml, Emil Karl (Dr. phil. in Wien). Vom öffentlichen Baden in Niederösterreich 10, 97. Notizen über niederösterreichische Sonnwendfeuer im 17. und 18. Jahrhundert

10, 97—99. Zum niederösterreichischen Bienenrechte 10, 225 f. Aus der Ver- gangenheit des Safranbaues 10, 340 f. Kinderspiele aus Niederösterreich 10, 440 bis 442. Die Verwendung der Pflanzen durch die Kinder in Deutschböhmen und Niederösterreich 11, 49—64. Beiträge zur Flora der Friedhöfe in Niederösterreich

11, 210—213. Volkstümliche Vogelnamen aus Westböhmen 12, 457— 462. Rekruten- lieder aus Niederösterreich 13,311—316. Notizen zum steirischen Volksliede 16, 324 bis 328. 436—440. Drei Primizlieder aus Tirol 18, 88—90. Zum Montavoner Krautschneiderlied 18, 90. Zur Ballade vom Ritter Ewald 18, 431-433.

Bock, Alfred (Schriftsteller in Giessen). Hoch- zeitsbräuche in Hessen und Nassau 13, 287 bis 294. 376-383.

Böckel, Otto (Schriftsteller Dr. in Michen- dorf, Mark). Luiska 18, 441.

Bolle, Carl (Dr. phil. in Scharfeuberg b.

Tegel, 1 1909). Die Eichenfrucht als mensch- liches Nahrungsmittel 1, 138—148. Bolte, Johannes (Gymn.-Professor Dr. in Berlin'. Der Schwank von den drei lispeln- den Schwestern 3, 58 61. 7, 320f. Zu dem Märchen von den sieben Grafen 3, 61 bis 67. 462f. Das Märchen vom Gevatter Tod 4, 34—41. Das Kinderlied vom Herrn von Ninive 4, 180-184. 6, 98. Zwei Flugblätter von den sieben Schwaben 4, 430—437. Zu den von Laura Gonzen- bach gesammelten sicilianischen Märchen, Nachträge R. Köhlers 6, 58-78. 161 175.

Setz deinen Fuss auf meinen I 6, 204 bis 208. Der Schwank vom Esel als Bürger- meister bei Th. Murner 7, 93—96. Schäfergruss 7, 97—100. 210. Die di'ei Alten 6, 205—207. Kranzwerbung, ein Gesellschaftsspiel des 17. Jahrh. 7, 382 bis 392. 12, 456. Zum Märchen vom Bauer und Teufel 8, 21—25. Staufes Sammlung rumänischer Märchen aus der Bukowina 9, 84—88. 179-181. Volkstümliche Zahl- zeichen und Jahreszahlrätsel 10, 186 194.

Ein dänisches Märchen von Petrus und dem Ursprünge der bösen Weiber 11, 252 bis 262. 19, 314. Eine geistliche Aus- legung des Kartenspiels 11, 376—406. Italienische Volkslieder aus der Sammlung Hermann Kestners 12,57 65. 167 172. W. Hertz 1 12, 98.— Zum deutschen Volks- liede (1-35) 12, 101-105. 215-219. 343 bis 348. 13, 219-226. 14, 217-224. 16, 181 bis 190. 18, 76—88. Eine Predigtparodie 12, 224f. Doktor Siemann und Doktor Kolbmann, zwei Bilderbogen des 16. Jahrh. 12, 296—307. - Zu den Karten- und Zahlen- deutungen 13, 84—88. Der Mann mit der Ziege, dem Wolf und dem Kohle 13, 95 f. 311. Abweichungen der Wiesbadener Hs. 13, 149 f. Zur Geschichte des Weih- nachtsbaumes 13, 227. Die 72 Namen Gottes 13, 444-450. Zur Sage von der freiwillig kinderlosen Frau 14,114—117. Deutsche Segen des 16. Jahrh. 14, 4;)5— 438.

A. M. Cohnf 14, 471. Neidhart, eine volkstümliche Personifikation des Neides 15,14-27. Bildergedichte des 17. Jahrb., gesammelt von C. Wendeler 15, 27—45. 150—165. Zu den zwölf goldenen Frei- tagen 15, 98 f. Joli Tambour 15, 100. 337 f. Zur Sakristanin 15, 186 f. Das Kutschkelied 15, 173—176. Zur Biblio- thek eines Hexenmeisters 15, 420—424. Kristensens neuere Saiumlungon dänischer

460

Inhaltsverzeichnis zu Bd. 1—20.

Volksüberlieferungen 15, 448—457. Zur Gaunersprache 15, 467. Die erste Tagung des Verbandes deutscher Vereine für Volkskunde 15,468-470. Das Sprich- wort 'den Hund vor dem Löwen schlagen' 16, 77 81. Die Legende von Augustinus und dem Kuäblein am Meere 16, 90—9."). 426. Hin geht die Zeit, her kommt der Tod 16, 194 f. Die Varusschlacht im Volksmunde 16, 197. A. ötrack f 16, 365.

Die sieben Lebensalter werden auf den Tod vorbereitet 17, 41 f. Zum Fang- steinchenspiele 17, 85—89. Bilderbogen des 16.— 17. Jahrh. (1—16) 17, 425-441. 19, 51-82. 20, 182-202. (Jh. Perrault über französischen Aberglauben 17,452—454.

Spielmannsbusse 17, 461. Der Schwank von der faulen Frau und der Katze 18, 53—60. Die Sage von dem unbewusst überschrittenen See 18, 91. 306. Ein Weihnachtspiel aus dem Salzkammergute

18, 129—150. Ein Lobspruch auf die deutschen Städte aus dem 15. Jahrh. 18, 300-304. 19, 206 f. Aberglaube aus Württemberg 18, 499. Weitere Predigt- parodien 19, 182—185. Ein Reimgespräch zwischen Prinz Eugen und Villeroi (1702)

19, 190—194. Zur Sage vom Traum vom Schatz auf der Brücke 19,289—298.— Der Nussbaum zu Benevent 19, 312—314. Zeugnisse zur Geschichte unsrer Kinder- spiele 19, 381-414. Die Herkunft einer deutschen Volksweise 19, 420 f. Die 2. und 3. Tagung des Verbandes deutscher Vereine für Volkskunde 19, 128. 472. Das Ringlein sprang entzwei 20, 66—71. Eine Rätselsammlung a. d. J. 1644 20, 81 bis 83. Das polnische Original des Liedes 'An der Weichsel gegen Osten' 20, 210 bis 213. Zu dem christlichen Warnungsbriefe

20, 319-321. Die Sage von der er- Aveckten Scheintoten 20, 353-381. Neuere Märchenliteratur 14, 244-248. 15, 226-230. 16, 444-460. 17, 329—342. 18, 450-46L 19, 458-462. 20, 91—100. Neuere Arbeiten über das deutsche Volks- lied 15, 350-356. 17, 203-210. 19, 219 bis 234. 20, 404-411. Neuere Sagen- literatur 20, 329—332. Sitzungsprotokolle 11, 469 f. 12, 128. 247 f. 472 f. 13, 126 f. 351. 17, 128. Nachrichten 14, 256. Rec. Stiefel 5, 464f. Böhme 6, 104-106. De Mont & De Cock 6, 22:J-225. Arfert 7, 215 f. Bols 7, 331f. Ludwig Salvator; Alcover 7, 451 bis 453. 8, 351. Liizar 8, 232 f. Pedersen 8,

352f. De Mont-de Cock 8,463-466. Gri- santi 10, 106f. Vogt 11, 96f. Kallas 11, 98-100. Prahl 11, 102—104. Kippenberg 12, 117 f. Grigorovitza 12, 118 f. Grüner 12, 127. Njrop 12, 127. Dähnhardt 12, 244. Andree 12, 244. Ulrich 12, 246. Le- derbogen 12, 246. Schaer 12, 369 f. Sainean

12, 371. Orain 12, 372. v. Duyse 12,373f.

15, 464 f. De Cock-Teirlinck 12, 374 f. 14, 254. 15, 237. 18, 231. 19, 121. Cosquin

13, 107 f. Heinemann 13, llOf. Reiser 13, 111. Ulrich 13, 117. Boesch: Hampe 13, 119 f. Becker 13, 120 f. Pitre 1.3, 123. Lampert 13, 123 f. 14, 125. Finnisch-ugrische Forschungen 13, 125 f. Knortz 13, 126. Archiv f. Religionswissenschaft 13, 454 f. Festschrift Breslau 13, 4.37 f. Hwof 13,458. Haas 13, 467. Wiepen 13, 468. Le Braz 13, 469 f. Giannini 14, 125. Wisser 14, 125. Storck 14, 125 f. Frazer 14, 254 f. Lo-Giudice 14, 255. Doncieux; Fink 14, 356 f. Bezemer 14, 357 f. Vasconcellos 14, 358. Kurz 14, 470. Nyrop 14, 470 f. Kehrein 15, 127. Andree 15, 233 f. van Moerkerken 15, 238. Pitre 15, 238 f. Mitzschke 15, 240. Sebillot 15, 362 f. 16, 118.

17, 121 f. 18, 118 f. Yermoloff 15, 458 f. Hackman 15, 460 f. Bacher 15, 465. Kück 16, 116f. Schumann 16, 117. Ghes- quiere 16,117. Portugalia 16, 118f. Zeitler

16, 119. Tommaseo 16, 119. John 16, 125 f. Schvindt 16, 126. De Cock 16, 238 f. Lam- bert 16, 245. Feilberg 16, 358f. Grimm; Beneke 16, 364. J.Meier 16, 364f. v. Lip- perheide 16, 365. 17, 245. Jakobsen 16, 460f. V. Andrian 16,465. Bricteux 16,471. Fontane; Günther-Schneider; Heilborn; Heilig; Hellwig; Höfler; Hubert; Isäger: Knoop; Lessmann: Loose; Mätzke; Mauss; Mogk: Rieh]; Schattenberg; E. Schmidt; G. Schmidt; Strackerjan; Szulczewski; Egerland; Zacher; v. Zahn 16, 472 f. Feilberg 17, 115 f. d'Ancona 17, 242 f. Kronfeld 17, 243 f. Pf äff 17, 244. Arnstein; Brandstetter; v. Gennep; Gerhardt; Heine- mann; Hoffmann-Krayer; Kaindl; Kropa- tschek; Rabben; Scliullerus; Spiess; Vascon- cellos 17, 245 f. Jacob 17, 354f. Maeter- linck 17, 355 f. Andree; Basset; Bournc; Dingelstedt; Forke; Gaidoz; v. de Graft: Gurdon; Heinemann; Hellwig; Hikmet; Ho- witt; Höfler; Löhr; Paris; Reuschel 17,356 bis 358. Dames 17, 465—467. Diederichs

18, 119f. 46Sf. Baragiola; Brunk; Bunker: Dachler; Diels; Dietrich; Frazer: Hahn:

Bolte Brunner.

461

Hartmann: Knopf: v. Künssberg; Lazzeri; Kristensen-Olrik; Olsen; Reuschel 18, I23f. Dähnhardt 18, 224f. Bernstein: Bronner: Colson; Diels; Ehrenzweig: Faitlovitch: Fehse; Fischer; Freybe: Giese: Heiueinann; Hertz : Madelaine: Müller-Fraureuth ; Sauer: Schii'macher: v. Schröder: Sohns; v. Sydow: Tille; Weise; Wistrand 18,231—234. Lüp- kes 18, 344. Ive 18, 344 f. Adrian; Brand- stetter; Bngge; Cleraenz: Dingelstedt; Grothe; Hilka; Jacob; Knoop; Kück; v. d. Leyen; Liliental; Löwinger; R. Meyer; Xyrop; Olsen; Otto 18, 347—349. Kluge 18, 4G7f. Scbillot 18, 469f. Pradel 18, 470. Bek; Berliner Kalender; Heinemann; Jaisle; Keller; Lemcke: Meisinger; Ohle; Ploss- Bartels; Schulz; Steinmetz; v. Sydow: Vas- concellos 18, 471—473. Brandenburgia: Brummer; de Cock: Förster; Freytag; v. Gennep; Heidrich; Hodson; Höfler; John; Kahle: Kafuzniacki; Kinderspelen: Krohn; Kück: Schwartz: Walliser Sagen 19, 121 bis 123. Uhl 19, 236 f. Kück-Sohnrey 19, 238. Blümml 19, 238f. Basset; Delehaye; Diels; Dingelstedt: Falk; Gaidoz; Galle; Gloede; Heldmann: Hellwig; Hirschfeld: Hofmann; Lohmeyer; Neumann; Olrik; Prätorius: Reichardt; Reinach; Reuschel; Salzberger; E. Schmidt: Söffe; Spence; Stack: Tevfiq; Tiedt: Vollmer 19,240-244. Amalfi; Berendes; Brandstetter; Buchanan; Corso; Goldmann: Heeger-Wüst; Ilg- Stumme; Kirchner; Knortz: Perot: Rahn: Schullerus 19, 354—357. Brechenmacher; Endt; Hewelcke; Hoffmann-Krayer; Höfler; V. Hörmann; Künstle; Laographia; Maal og minne: Mansikka; Mogk; Nyrop; Ohne- sorge; Ploss-Bartels: Societe Ramond; Sohnrey; Strackerjan: Stuhl; Toldo: de Wolf: Wossidlo 19, 4G5-471. Albers; Amalfi; Bourgeois: Brage: Dähnhardt; Freybe; Friedrich; Gebhardt; Heidrich; Heuvel: Glock: Götze; Haas-Worm; Hell- wig; Innviertler Heimatkaleuder; Kirchner; Klein: Laographia; Lohmeyer: Magnanelli: Marzell; Meinck; Mende;Messikommer: Nor- lind: Olsen-Schetelig: Orlamünder; Psichari; Raccuglia: Reisiger; Röscher; Siebs; Wer- ner; de Wyl 20, 118—125. Andree-Eysn; Bücher; Freybe; Huss; Kehrer; Knortz; Maeterlinck; Orsier; Peabody; Schullerus; Straub 20, 231—235. v. Heurck-Boekenoogen 20, 342f. Arnold- Wagner; Brunk: Freybe; van de Graft; Herrmann: Höfler; Hurt; Koskenjaakko; Laographia; Launis; Man-

sikka; Oberammergauer Passionsspiel; Ol- rik; Ohnesorge; Playfair; Rabe: Richter; Rolland: Sartori; Schmidt; Schuchardt; Stahl; Steinhausen; Upmark; v. Zingerle 20, 344-350. Arnold: Behrend; Bernhöft; Diels; Feilberg; Fiebelkorn: Folkers; Grun- wald u. Weissenberg; Hilka; Hoffmann- Krayer: Jensen; Lauffer; Messikoramer; Nagl; Oberammergauer Passionsspiel; Pitre ; Reiterer; Reuschel; W. Schultz; Servettaz; V. Spies; Wehrhan; Weston 20, 443—449.

Boerschel, Ernst (Schriftsteller in Gross- Lichterfelde). Abzählreime aus dem Po- senschen 6, 19G— 199.

Bonrgeois, Henri (Prof. Dr. in Brüsselj. Eine baskische Rolandsage 20, 213.

Braudl, Alois (Geh. Reg.-Rat Univ.-Professor Dr. in Berlin). Rec. Gutch 12, 114 f. Spencer-Gillen 14, 469 f.

Brandsch, Gottlieb (Pfarrer in Treppen, Post Mettersdorf, Siebenb.). Die siebenbürgischen Melodien zur Ballade von der Nonne 19, 194—197. Die Herkunft einer deutschen Volksweise 19, 418—420. Rec. Fabö 20, 340.

Branky, Franz (Professor, k. Rat in Wien). Mein Mädchen ist nicht adelich 15, 101. Ein Patenbrief aus dem J. 1839 16, 427 bis 429.

Brnchuiann, Karl (Gymn.-Professor Dr. in Berlin). Zur Mythendeutung 3, 55—58. Rec. Drosihn 8, 107 f.

Brückner, Alexander (Univ.-Professor Dr. in Berlin). Sitzungsprotokolle 2, 96 f. 214 f. 448 f. 3, 116. 237 f. 469. Slavische Volks- kunde 9, 213—219. 10, 241—348. Neuere Arbeiten zur slavischen Volkskunde (Pol- nisch u.Böhmisch) 12,228-237. 13, 229-238. 14, 328-339. 15, 204—215. 16, 198—209. 17, 210-222. 18, 203—214. 19, 208—219. 20, 213—225. Rec. Zibrt 1, 456 f. Zivaja Starina 2, 91f. 3, 112f. Wisla 2, 93f. 3, 115. 5, 236. Cesky Lid 3, 113 f. 468. 4, 224. 5, 234. 6, 109. 229 f. Cerny 3, 34i5. 8, 461. Franko 4, 225. Mencik 5, 114 f. Zibrt 5, 115 f. Adalberg 5, 116 f. Zibrt 5, 234 f. Mencik 6, l08f. Lud 6, 109 f. 230 Bern- stein 11, 347 f.

Brunk, August (Gymn.-Professor Dr. in Osnabrück). Der wilde Jäger im Glauben des pommerschen Volkes 13, 179—192. Volksrätsel aus Osnabrück und Umgegend 17, 298-307.

Brnnner, Karl (Direktorialassistent am Museum für Völkerkunde, Dr. in Berlin). Bericht über

462

Inhaltsverzeichnis zu Bd. 1 20.

die Neuaufstellung der Kgl. Sammlung für deutsche Volkskunde in Berlin 18, 241 bis 26o. Ein Holzkalender aus Pfranten 19, 249— 2G1. Die Kgl. Sammlung für <lcutsche Volkskunde auf der internationalen Ausstellung für Volkskunst, Berlin 1909 19, 281 286. Bauerutöpfcrei und volks- tümliche Fayencen 20, 2G5— 289. Sitzungs- protokolle 17, 240—248. 358-3G0. 18, 124 bis 128. 237-240. 349—352. 19, 124-128. 245-248. 357-360. 20, 125—128. 237 bis 240. 350-352. ßec. Schwantes 19, 118. Das Land 20, 346. Bunker, Johann Reinhard (Lehrer in Öden- burg, Ungarn). Herde und ()fen in den Bauernhäusern des ethnographischen Dorfes der Milleniumsausstellung in Budapest 7, 11 31. Heanzische Schwanke, Sagen und Märchen 7, 307-315. 396-403. 8, 82 bis 90. 188-196. 291-300. 415-428. Eine heanzische Bauernhochzeit 10, 288 bis 306. 365-382. Das Szekler-Haus 14, 105-114.

C.

Carstens, Heinrich (Lehrer in Dahrenwurth b. Lunden, f 1910). Graf Wolfen und seine Schwester Christina 1, 444—446. Die sieben Grafen 2, 201-206. Das Märchen von der Königstochter, die nicht lachen konnte 3, 456—459. Volksrätsel, be- sonders aus Schleswig-Holstein 6, 412 423. Topographischer Volkshumor aus Schles- wig-Holstein 16, 302-310. 396-402. Volksglauben und Volksmeinungen aus Schleswig-Holstein (1—4) 20, 382-387.

Chalatianz, Bagrat (Dr. phil. in München). Die armenische Heldensage 12, 138—144. 264—271. 391—402. Die iranische Helden- sage bei den Armeniern 14, 35 - 47. 290 bis 301. 385-395. 17, 414-424. 18, 61-66. 19, 149—157. Kurdische Sagen (1-15) 15, 322-330. 16, 35-46. 402-414. 17, 76 bis 80. Armenisclic Heiligenlegenden 19, 361—369.

Chauvin, Victor (Univ. -Professor Dr. in Lüttich). Felix Liebrecht 12, 249—264. Wunderbare Versetzungen unbeweglicher Dinge 14, 816—320. Die rechtliche Stellung der wiedererwachten Toten 15, 439—442. Rec. Stumme 15, 461—463. Künos 16, 239-243. Macler 16, 243 f. Christaller, J. G. (Missionar, Scliorndorf in Württemberg). Negermärchen von der Goldküste 4, 61—71.

Cobn, Alexander Meyer (Bankier in Berlin, t 1904; s. 14, 471). Jamund bei Göslin 1, 77 bis 100. 335-343.

Croon, Robert (in Smolensk, Russland). Grussformeln russischer Bauern im Gouver- nement Smolensk 15, 166—171.

Crusias, Otto (Geh. Hofrat Univ. - Professor Dr. in München). Zu Zs. 6, Heft 2. 6, 346.

1>.

Dahl, M. C. (auf Rom). Die Volkstracht der Insel Rom 16, 167—170.

Dähnbardt, Oskar (Gymn. -Rektor Dr. in Leipzig). Beiträge zur vergleichenden Sagenforschung I : Sintflutsagen 16, 369 bis 396. II: Naturdeutung und Sagen- entwicklung 17, 1—16. 129-143.

Damliöhler, Eduard (Gymn. -Professor in Blankenburg a. H.). Der Wolf mit dem Wockenbriefe, Märchen 3, 189—195.

Daniel, Clara (Fräulein, in München). Ar- menische Märchen (1—5) 20, 74 78. 323 bis 326.

Davidsson, Olafur (Cand. phil. in Island, t 1903; s. 14, 119). Zwei Erinnerungen au den Handel der Hamburger mit Island 4, 408 412. Isländische Zauberzeichen und Zauberbücher 13, 150—167. 267—279.

Denk, Joseph (Pfarrer in München). Zu Reinhold Köhlers Kleineren Schriften 12, 351—353.

Diels, Hermann (Geh. Reg.-RatUniv.-Professor Dr. in Berlin). Das Lied vom Pater Guardian 4, 332-334. Rec. Allen 3, 98.

Dieter, Ferdinand (Realschulprofessor Dr. in Berlin, f 1908). Es ist die höchste Eiseu- bahn 12, 348 f.

Dietericli, Karl (Privatdozent Dr. in Leipzig). Die Volksdichtung der Balkanländer in ihren gemeinsamen Elementen 12, 145 bis 155. 272—291. 403—415. Neugriechische Rätseldichtung 14, 87 104. Aus neu- griechischen Sagen 15, 380—398. Rec. Politis 11, 105—108. 13, 245-248. 15, 123 bis 126. The shade of the Balkans 15, 239f. Pachtikos 15, 465-467.

Dirksen, Karl (Lehrer in IMeiderich, f nach 1900). Sitten und Gebräuche bei Sterbe- fällen in Meiderich 1, 219 f. Püngstlied 2, 82 f. 446. Kinderlied 2, 83. Sprich- wörter aus Meidericli 2, 84. Lügenreime 2, 324f. Kindergeschichte vom armen Jan 2, 325 f. Aus Ostfriesland 3, 90 bis 93. Asar und Gemir, ostfriesisches Märchen 3, 336 f. Ostfriesische Laut-

Bunker— Fränkel .

463

spiele und Sprechübungen 4, 91 f. Aus Meiderich 4, 1)23—327. - Bemerkungen zu einem ostfriesischen Martiniliede 5, 451 f.

Meidericher Rechtssprichwörter 6, 211 bis 213. Der Schneider im Himmel 7, 207 f. Ostfriesischer Schneckeuspruch 7, 209. Ostfriesisches Rammerlied 8, 9G. Marienkind 8, 222 f. Personennamen auf kamp 8, 457 f. Rec. Krüger 4, 344.

Dörler, Adolf F. (Gymn.-Professor Dr. in Saaz, t 1902). Die Tierwelt in der sym- pathetischen Tiroler Volksmedizin 8, 38 bis 48. 168—180. Tiroler Teufelsglaube 9, 256-273. 361—376. Märchen und Schwanke aus Nordtirol und Vorarlberg 16, 278—302. Volkslieder aus Vorarl- berg 17, 307—311. Volkslieder aus Tirol 20, 36—44. 306-317.

Drechsler, Paul (Gymnasialdirektor Dr. in Zabrze). '0 lass mich doch hinein, Schatz!' Vergleichuug eines schottischen und eines schlesischen Volksliedes 9, 41—45. Schlesische Pfingstgebräuche 10, 245—254.

Der Wassermann im schlesischen Volks- glauben 11, 201—207. Schlesische Ernte- gebräuche 12, 337-341. Kec. Beyschlag 10, 231—233.

Drexler, W. (Dr. phil. in Greifswald). Noch einmal Sancta Kakukakilla-Cutubilla 8, 341 f.

Dübi, Heinrich (Gymnasiallehrer Dr. in Bern). Drei spätmittelalterliche Legenden in ihrer Wanderung aus Italien dm-ch die Schweiz nach Deutschland 17, 42—65. 143—160. 249—264.

£beling, Georg (Privatdozent Dr. in Berlin). Rec. Schwarzfeld 12, 375f.

Ebermann, Oskar (Oberlehrer Dr. in Haien- see bei Berlin). Segen gegen den Schlucken 13, 64—69. Württembergisches Soldaten- lied 13, 429. Joli Tambour 15, 99 f. Sitzungsprotokolle 13, 127 f. 256. 351 f. 14, 126—128. 358-360. 15, 127 f. 242-244. 364. 16, 127 f. 247 f. 366-368. 17, 127. - Deutsche Volkskunde im J. 1904 15, 442 bis 448. Rec. Friedli 15, 359 f. 18, 334. L'Houet 17, 462 f.

Englert, Anton (Reallehrer a. D. in München), Zu dem Beitrag von K. Voretzsch 3, 337 f. Wiegenlieder aus dem Spessart 4, 54 bis 60. 88 f. Zu dem Liede 'Die Sonne steht am Himmel' 4, 90. Der Brand der Stadt Weiden 1536 in der Sage 4, 329 bis 331. Das Lied vom Pater Guardian 4,

437—441. Zu Goethes Schweizerlied 5, 160— 1()7. Zum Volkslied, Spruch und Kinderreim (i, 296—303. Die mensch- lichen Altersstufen in Wort und Bild 15, 399-412. 16, 16—42.

EnHng, Karl (Gymn.-Professor Dr. in Königs- berg). Zu Heinrich Kaufringer 11, 4641".

Eysn, Marie s. Andree-Eysn.

F.

Feilberg, Henning Frederik (Pastor emer. Dr. in Askov bei Vejen, Jütland). Die Zahlen im dänischen Brauch und Volks- glauben 4, 243—256. 374-387. Das Kinderlied vom Herrn von Ninive 5, 1<>6. Zu dem Liede vom Pater Guardian 5, 10(jf. Die Sage von dem Begräbnis König Erik Ejegods von Dänemark auf Cypern 5, 239 bis 246. Zwieselbäume nebst verwandtem Aberglauben in Skandinavien 7, 42 53. Der Kobold in nordischer Überlieferung 8, 1—20. 130—146. 264—277. Pater Guardian 8, 96f. Zu den niedersächsischen Zauber- puppen 10, 417—420. Der böse Blick in nordischer Überlieferung 11, 304—330. 420-430. A. Hazelius f 12, 99—101. Stellvertreter vornehmer Zuchthäusler 16, 195_197. _ Rec. Pineau 8, 103. 12, 240. 16, 357 f. Bilfinger 12, 368 f. Feist, Sigmund (Waisenhausdirektor Dr. in

Berlin). Rec. Gebhardt 18, 335 f. Finck, Franz Nikolaus (Univ.-Professor Dr. in Berlin, f 1910). Vier neuirische Zauber- sprüche 6, 88—92. Flaischlen, Cäsar (Schriftsteller Dr. in Berlin). Zur Volksdichtung: Uhlands 'Der gute Kamerad' 3, 79 85. Förster (Oberstleutnant a. 1). in München). Liedein aus dem Wipptal in Tirol 7, 210. Franck, Johannes (Geh. Reg. -Rat Univ.- Professor Dr. in Bonn). Rec. Kisch 16, 352—354. Fränkel, Ludwig (Reallehrer Dr. in München). Zum Märcheumotiv von den drei tindigeu Brüdern ."., 96. Anfrage 4, 218. Nord- thüringcr Volkssagen 4, ;527— 329. Altes und Neues zur Melusinensage 4, 387—392. Das Volksschauspiel zu Englmar 4, 443 bis 445. Bräuche portugiesischen Volks- glaubens 5, 212 f. Heutiger Volksglauben 5, 213. Feen- und Nixenfang nebst Polyphems (bcrlistung 5, 264—274. Bräuche von der l'irolor Grenze : die Käth 5, 453 —456. Das Sommortags- oder Stabaus- fest in der Pfalz 9, 207 f. Volkskund-

464

Inhaltsverzeichnis zu Bd. 1—20.

liches aus J. W. Wolfs Jugenderinnerungen 9, 351—361. Rec. Spiller 4, 221—223. Schröder 5, 463. Hertens 5, 467 f. 13, Ulf. Renz 12, 120f. Langer 13, 467.

Fraenkel, Siegmund (Univ.-Professor Dr. in Breslau, f 1909). Miscellen (Wochentags- uainen als Personennamen; das Zeichen des ausfahrenden bösen Geistes) 3, 87 f. Zum Zauber mit Menschenbildern 13, 440f.

Franko, Iwan (Dr. phiJ. in Lemberg). Kirchenslawische Apokrypha von den 72 Namen Gottes 14, 408-413.

Friedel, Ernst (Geh. Regierungs- und Stadt- rat in Berlin). Vom Glückstopf oder Glücks- hafen 1, 446—449. Der Zwieselbaum im Elisenhain bei Greifswald 2, 81 f. An- fänge der Webekunst 5, 134—147. 326 f. Rec. V. Benesch 16, 120—123.

Frischauf, Eugen (Notar Dr. iur. in Wien). 'Die falsche Braut' in Niederösterreich 3, 451 f. Schwerttanz und Wettlauf 4, 88. Ein alter niederösterreichischer Hochzeit- brauch 4, 215 f.

Fuchs, Max (Realschulprofessor Dr. in Friedenau). Gaston Paris f 13, 227-229.

e.

Oaidoz, Henri (Professor in Paris). Die drei Alten 7, 327.

Gebhardt, August (Univ.-Professor Dr. in Erlangen). Zum Namen höfdaletur 12, 113 f.

Crerbing, Luise (Frau, in Schnepfenthal- Rödichen bei Gotha). Die Thüringer Volks- trachten 18, 412—425. Eine Volkskunst- ausstellung in Dermbach 1!), 436—438.

Gerhardt, Marie (Fräulein, in Joachimsthal, Mark). Uckermärkische Kinderreime 8, 407-415. 9, 273-284. 389-395.

Gittee, August (Lycealprofessor a. D. in Verviers f 1909). Scherzhaft gebildete und angewendete Eigennamen im Nieder- ländischen 3, 415—438. Dienstrecht und Dienstbotengewohnheiten in Flandern 5, 298-302. Rec. De Cock 1, 229.

Godden, Gertrude M. (Miss, in Ridgefield, Wimbledon, England). Grozdanka und Daidalea3,88f. Gefesselte Götter 3, 89 f. Bekleidet^. Götterbilder 5, lOOf.

Goldziher, Ignaz (Univ.-Professor Dr. in Budapest). Die verweigerte Kmebeugung 7, 441-443.

Greussing, Paul Rudolf (Schriftsteller in Telfs im Stubai, Tirol). Sagen und Ge- bräuche im Stubaital in Tirol 3, 169—176.

Die alte Jungfer, Lebensbild aus dem Stubai 5, 171-174. Der Kirchtag in Stubai 6, 83—87. Gunkel, Hermann (Univ.-Professor D. Dr. in Giessen). Rec. Küchler 16, 244.

H.

Haase, K. Eduard (Gyran. -Professor a. D. in Neuruppin). Sprichwörter und Redens- arten aus der Grafschaft Ruppin und Umgegend 2, 437—440. Volksrätsel aus der Grafschaft Ruppin und Umgegend

3, 71 79. 5, 396 407. Bastlösereime

4, 74—76. 6, 99—101. Volksrätsel aus Thüi-ingen 5, 180—183. Volksmedizin in der Grafschaft Ruppin und Umgegend

7, 53-74. 162—172. 287-292. 405—412.

8, 56-62. 197—205. 304—309. 389-394. Häberlin, Karl (Arzt Dr. med. in Wyk auf

Föhr). Trauertrachten und Trauerbräuche auf der Insel Föhr 19, 261-281. Rec. Portius 19, 469.

Hahn, Eduard (Privatdozent Dr. in Berlin). Übertragung von Krankheiten auf Bäume 19, 174 f. Rec. Sahler 18, 120 f.

Hahn, Ida (Fräulein, in Berlin). Eierlesete im schweizerischen Rheintal 12, 210 bis 214.

Hammershaimb, V. U. (emer. Propst in Kopenhagen, f 1909). Vgl. Jiriczek.

Hanauer, G. (Heidelberg). Abzählreime aus dem Kurpfälzischen 5, 450f.

Härder, Ernst (Dr. phil. in Charlottenburg). Meschreb der weise Narr und fromme Ketzer 13, 472-476.

Hartmann, Albert (Lehramtskandidat in München). Weiteres über 'Den Tod be- trügen' 19, 432 f. Rec. Randolph 18, 343 f.

Hartmann, Felix (Prof. Dr. am Kadetten- hause in Gross-Lichterfelde). Rec. Schrader 15, 122 f. Schrader 16, 468 f. 18, 338 bis 340.

Hartmann, Martin (Prof. Dr. am Orien- talischen Seminar in Berlin). Zum Stein- kultus in Syrien 1, 101 f. Zahlen- und Monatsnamen als Personennamen 2, 320 bis 322. Schwanke und Schnurren im isla- mischen Orient 5, 40—67. Aus dem Volkstum der Berber 6, '265—276. Blut ist dicker als Wasser 6, 442 f. Die Frau im Islam 11, 237—252. Rec. Büttner 3, 236 f. Stumme 6, 460 f. Lidzbarski 7, 105—107. Euting 8, 236. Harpf 16, 360 bis 364.

Fraenkel— Heusler.

465

Hartan?, Oskar (Gymn.-Professor in Dessau, t 1902). Zur Volkskunde aus Anhalt 6, •215-217. 429—438. 7, 74-93. 147-155.

10, 85—90. Bastlösereime aus Anhalt

11, (54-67.

Haaffen, Adolf (üniv.-Professor Dr. in Prag). Das deutsche Volkslied in Österreich- Ungarn 4, 1—33. Aufführung des j Passionsspiels in Höritz 4, 211—213. j Passionsspiele in Krain 4, 443. Kleine | Beiträge zur Sagengeschichte 10, 432-438. Die Ausstellung für deutsch-böhmische Hausindustrie und Volkskunst in Bodenbach 10, 450 f. Nachtrag zum Traum vom Schatz auf der Brücke 11, 226 f. Das deutsche Spottlied auf die Flucht des Königs Heinrich von Polen 1574 11, 286 bis 289. Geschichte der deutschen Volks- kunde 20, 1-17. 129-141. 290-306. ! Rec. Tille 4, 98 f.

Haupt, Hermann (Geh. Hofrat Bibliotheks- direktor Prof. Dr. in Giessen). F. A. Reuss' | Sammlungen zur fränkischen Volkskunde { 5, 413-416. :

Haupt, Richard (Prov.-Konservator Prof. Dr. j in Preetz). Eine Zauberfigur aus Mecklen- j bürg 12, 106 f. I

Hauser, Christian (Gjmn.-Professor in Inns- bruck). Rätsel aus Paznaun 7, 197 199. Sprüche und sprichwörtliche Redensarten , aus Paznaun 7, 199 202. Der heilige Abend in einem Dorfe Paznauns 7, 348 bis 358.

Heerwagen, Heinrich fDr. in Nürnberg). Totenbretter im oberfränkischen Amte Forchheim 8, 346 f.

HeiHg, Otto (Gymn.-Professor in Rastatt). Segen aus Handschuhsheim 5, 293—298. Zwei Sagen aus dem nördlichen Breisgau 7, 328. Pfingst- und Johannisfeier im nördlichen Breisgau 7, 328 f. Sagen aus dem Simonswäldertal, Breisgau 8, 227 f. Scheibenschlagen im nördlichen Breisgau 9, 350. Sage über die St. Barbarakirche in Langensteinbach 13, 436. Zur Kennt- nis des Hexenwesens am Kaiserstuhl, aus Prozessakten des 16. bis 17. Jahrh. 14, 416 bis 418. Badische Volksbräuche des 17. Jahrh. 17, 96 f. Zum Spiel von der goldenen Brücke 19, 414—416. Kar- freitagsglocken und damit Zusammen- hängendes 20, 398 f.

Hein, Wilhelm (Kustos- Adjunkt am Hof- museum Dr. in Wien, f 19(13). Das Huttier- laufen 9, 109 123. Eiserne Weihefiguren Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1910. Heft 4.

9, 324—328. Mährische Marterln und rumänische Erinnerungskreuze 9, 899—401.

Die Opfer-Bärmutter als Stachelkugel

10, 420—42(3. Rec. Poramer-Fraungruber 9, 340 f. Kohl 10, 109 f. Kiessling 10, 233 f. Unser Egerland 10, 349 f.

HeH, Thomas (Dr. med. in Welsberg, Tirol, t 1884). Auf einem Bauernhofe im (jsiess- tal in Tirol 4, 77-80.

HeUwig, Albert (Assessor Dr. in Frie- denau bei Berlin). Himmelsbriefe in einem modernen Betrugsprozesse 16, 422 bis 426.

Hermann, Eduard (Oberlehrer Dr. in Berge- dorfj. Gebräuche bei Verlobung und Hoch- zeit im Herzogtum Koburg 14, 279 289. 377 384. Der Siebensprung 15, 282 bis 311. 17, 81 85. Bedeutungsvolle Zahlen im litauischen Volksliede 19, 107 110.

Herrmann, Anton (Prof. Dr. in Budapest). Zu Glückshafen und Wettlauf 3, 459 f. Der volkstümliche Kalenderglaube in Ungarn 4, 305-323. 392-407.

Hertel, Gustav (Gymn.-Professor Dr. in Magdeburg, f 1903). Abergläubische Ge- bräuche aus dem Mittelalter 11, 272 bis 279.

Hertel, Johannes (Oberlehrer Dr. in Döbeln). Eine alte Paficatantra-Erzählung bei Ba- brius 16, 149 156. Meghavijayas Auszug aus dem Paficatantra 1(5, 249—278. Die das Meer austrinkenden Vögel 16, 426 f.

Der kluge Vezier, ein kaschmirischer Volksroman 18, 66-76. 160-177. 379 bis 393. Zu den Erzählungen von der Muttermilch und der schwimmenden Lade 19, 83-92. 128. Zur Fabel von den Hasen und den Fröschen 19, 426 429.

Uenft, Hans (Kassengehilfe in Oelde i. W.). Hausinschriften aus Detmold 17, 447 f. Volkslieder aus der Eifel 18, 184-188. Westfälische Hausinschriften (1—100) 19, 101—107. 20, 85-90.

Heusler, Andreas (Univ. -Professor Dr. iu Berlin). Die altnordischen Rätsel 11, 117 bis 149. Die Geschichte vom Völsi, eine altnordische Bekehruugsanekdote 12, 25 bis 39. Rec. Jiriczek 8, 101—103. Steffen 8, 349 f. Bücher 9, 455 f. Faraday 12, 238 bis 240. 13, 251 f. Heilig 13, H2-117. Norvegia 13. 124 f. Bang 14, 252. Hymmcn 14, 253. Thalbitzer 15, 235 f. Crome 17, 11:5-115. Bjerge 17, 241 f. Bonus 17,465. 19, 116. Ohrt 18, 345f. Olrik 19, 335f. Grönbech 20, 226 f.

30

466

Inhaltsverzeichnis zu Bd. 1—20.

Hoflfmaun-Krayer, Eduard (Uuiv.-Professor Dr. in Basel). Blaue Kleidung der Hexen 7, 327. Geheimsjirachen 8, 458. Hexen- salbe 10, 102. F. S. Krauss über die Schweizerische Gesellschaft für Volkskunde

10, 450. Abricias 13, 102. Holfmann, Johannes (Oberlehrer Dr. in

Berlin). Eec. Zache IG, 351 f. Uöfler, Max (Hofrat Dr. med. et phil. in Tölz). Die Kalenderheiligen als Krankheits- patrone beim bayerischen Volk 1, 292 bis ;506. Der Geruch vom Standpunkte der Volkskunde 3, 438—448. Die Jungfer im Bade 5, 101—103. Der Wechselbalg, Beitrag aus der Volksmedizin H, 52—57. Die Quelle von Nonza auf Korsika 8, 91.

Gebildbrote und Gebäckformen 9, 444 f,

Salz- oder Bergweihe 10, 93. Er- innerungstafel an eine Sennerin 10, 93 f. St. Notburga auf Ziegelplatten 10, 219 bis 221 Der Klausenbaum 10, 319-324. Was das Schatzkästlein einer oberbayrischen Bäurin enthält 10, 448 f. Die Opfer-Bär- mutter als Stachelkugel 11, 82. Sankt Michaelsbrot 11, 193—201. - St. Hubertus- ; Schlüssel 11, 207—210. Kröte als Ge- j bäckmodel 11, 340f. Die Hedwig-Sohlen [

11, 4.55 458. St. Nikolaus-Gebäck in ^ Deutschland 12, 80-89. 198-203. Das | Ungenannt 12, 225 f. Knaufgebäcke 12, ] 430-442. Schneckengebäcke 13, 391 bis 398. Zwei Votivbleche aus Korfu 13, 441 f. Die Gebäcke des Dreikönigstages 14, 257—278. Das Faiminger St. Blasien- brot 14, 431 f. Lichtmessgebäcke 15, 312 321. Das Hausbauopfer im Isar- | Winkel 16, 165—167. Der Krapfen 17, 65—76. Ein Johannisbaum in den Pyre- näen 17, 94f. Zum St. Coronagebet 17, 95 f. Zum Sagenschatze des Isarwinkels

18, 182-184. Angebliche Urahnen unsrer Festgebäcke 19, 173 f. Unter- haltung mit Toten 19, 202. Rec. Herr- mann 3, 345 f. Jühling 10, 458 f. Mader

19, 242. Uöni?, Berthold (Prof. Dr. in Prag). Ein

Sommer- und Winterspiel aus Schlesien 3,

226-228. Hoops, Johannes (Univ.-Professor Dr. in

Heidelberg). Zur Etymologie der Hillebille

5, 328 f.

I. Ilg, Bertha (Fräulein in La Valette, Malta).

Maltesische Legenden und Schwanke 19,

3(),s-312.

nie, Eduard (Professor, Maler in München, tl900). Tiroler Trachten nach Beob- achtungen aus den Jahren 1852—53 8, 94 bis 96. Büschelzuig aus Tirol, gesammelt 1847—56 8, 323-330.

Ilwof, Franz (Reg. -Rat Dr. iu Graz). Allerlei Inschriften aus den Alpenländern, gesammelt und mitgeteilt 3, 278—285. Haus- und Hofmarken 4, 279—282, Abzählreime aus Steiermark 6, 101 f. Jägermesse 7, 101. Das Lösen des Zuugenbandes 7, 101. Hexenwesen und Aberglaube in Steiermark 7, 184-196. 244-254. Volkstümliches aus Jonathan Swift 11, 463 f.

Ivauoff, S. (Gutsbesitzer in Hasan-Tersie bei Razgrad, Bulgarien). Die Sitten der Türken in Bulgarien 4, 202—208. 269-279.

J.

Jahn, Ulrich (Gymnasialoberlehrer Dr.in Berlin, t 1900: s. 10, 216). Jamund bei Cöslin 1, 77 bis 100. 335 348. Segen aus Preussisch- Litauen 11, 84. Sagen vom Rübezahl 11, 336 f. Sitzungsprotokolle 1, 230—233. 347-352. 458—460. Rec. Krauss 1, 227. Ullrich 1, 227 f. Handtmann 2, 89 f. Jaköbiec, Jan (in Wien). Nachtrag zu Napoleons -Gebeten und Spottliedern 10, 449 f. Jarnik, Johann Urban (Univ.-Professor Dr. in Prag). Rec. Weigand 5, 331 f. Säinean 5^ 459-462. Weigand 6, 457 f. Jaworskij, Juljan (Gymn.- Lehrer Dr. in Kiew). Sanct Stölprian, russische Parallelen zum 69. Fastnachtspiele des Hans Sachs 8, I 217—222. Südrussische Vampyre 8, 331 I bis 336. ' JelHnek, Arthur L. (Schriftsteller in Wien,

1 1907). Zur Vampyrsage 14, 322—327. ; Jenseu, Christian (Lehrer in Schleswig). Zwergsagen aus Nordfriesland 2, 407 ! ßis 418.

Jiriczek, Otto Luitpold (Univ.-Professor Dr. 1 in Würzburg). F;eröische Märchen und Sagen 2, 1—24. 142-165. Bilder aus dem fteröischen Volksleben (nach Hammers- haimb) 3,155—169. 285-293. Hamlet iu Iran 10, 353—364. Rec. Golther 6, 218 bis 223. Bugge 9, 452-455. John, Alois (Schriftsteller in Eger). Zur Volkskunde des Egerlandes 2, 313—320. Alte Sitten und Bräuche im Egerland 7, 303—306. 392-396. Das Fahnenschwingen der Fleischer in Eger 17, 201—203. Rec. Hruschka-Toischer 1, 155 f. v. Wlis-

HofiFmann-Krayer Kopp.

46(

locki 3, 465 f. Hauffen 7, 107 f. Wuttke

10, 103 f. Jönsson, Brynjulfr (Schriftsteller und Ar-

chäolog in Miuni-Nupar, Island). Über

HöfiTaletur 9, 181—189. Jungwirth, Ernst (Stud. phil, in Innsbruck).

Volksrätsel aus Ostermiethiug im oberen

Innviertel 20, 83—85.

K.

Eahle, Bernhard (Univ.-Professor Ur.- in Heidelberg). Krankheitsbeschwörungen des Nordens ö, 194—199. Aus schwedischem Volksglauben 10, 194—202. Der Ort der Hochzeit auf Island zur Sagazeit 11, 40— 48. Von de la Martinieres Eeise nach dem Norden 11, 431—443. Über Steinhaufen, insbesondere auf Island 12, 89—96. 203 bis 210. 319—325. Noch einiges vom bösen Blick 13, 213—216. Zu den uieder- sächsischen Zauberpuppen 13, 298—300. Das Verpflöcken von Krankheiten 13, 438 bis 440. Volkskundliche Nachträge (1 bis 13) 15, 347—350. 16, 311—320. 414 bis 418. Ein russischer Hochzeitsbrauch 15, 438 f. Eec. Steinmetz 18, 113—115. Kaindl 18, 115-117. Heilig 18, 222f.

Eaiudl, Raimund Friedrich (Univ.-Professor Dr. in Czernowitz). Lieder, Neckreime, Abzählverse, Spiele, Geheimsprachen und allerlei Kunterbunt aus der Kinderwelt, in der Bukowina und Galizien gesammelt 7, 136—147. 296—302. 422-427. 8, 67-73. 182—188. 314—322. Eutheuische Märchen und Mythen aus der Bukowina 9, 401—419. Napoleons-Gebete und Spottlieder 10, 280 bis 284. Euthenische Hochzeitsgebräuche in der Bukowina 11, 158-169. 280-286. Sprichwörter und Redensarten, in der Bu- kowina und in Galizien gesammelt 12, 443 bis 448. 13, 75—81. Deutsche Lieder aus Rosch, Bukowina 15, 260—274. Fried- hofsreime aus Hallstatt 16, 190—193. Beiträge zur Volkskunde des Ostkarpathen- gebietes (1-6) 17,315-321. 18, 92-98.— Rec. Schurtz; Günther 14, 466—469.

Kauffmaun, Friedrich (Univ.-Professor Dr. in Kiel). Der Matronenkultus in Germanien 2, 24-46.

Kelemina, Jakob (Dr. phil. in Wien). Hand- werksburscheugeographie, ein uiederüster- reichisches Lied des 18. Jahrh. 18,296 300.

Kirchuer, Victor (Pastor Lic. Dr. in Bens- hausen, Thüringen). Ein christlicher War- nungsbrief 20, 61 66.

Kleckmayer, Alois (Fachlehrer in Stockerau bei Wien). Rekrutenlieder aus Nieder- österreich 13, 311—316.

Klemm, Kurt {Dr. phil. in Gross-Lichterfelde). Sunäbai Dschai, ein Aschenbrödelmärchen 5, 390-396. Tod und Bestattung des armen Sperlingsweibchens, ein Märchen aus dem Panjab 7, 155—159. Über doppelte deutsche Vornamen 7, 370—375.

Knaack, Georg (Oberlehrer Dr. in Stettin, t 1905). Eine antike Parallele zu einem rügenschen Märchen 14, 118 f.

Enoop, Otto (Gymn.-Professor in Rogasen). Schmied Eisenhart 8, 225. Sagen aus Kujawien (1-8) 15, 102-105. 16, 96— KXJ.

Eobligk, Anna (Fräulein, in Herzberg am Harz). Traumdeutungen aus Hessen: Be- obachtung der Zugvögel 18, 312.

Kohl, Franz Friedrich (Custos am Hof- museum in Wien). Zwei Tiroler Volks- lieder 10, 94-96.

Köhler, Carl (Lehrer in Mülheim a. d. Ruhr). Lied auf die Besetzung Saarbrückens und auf die Schlacht bei Spichem 1870 8, 223 bis 225.

Köhler, .Joseph (Lehrer in Mühlessen bei Eger). Von dem Hochzeitbitter im Eger- lande 10, 443 f. Das Hutzahaus imEger- land 11, 223 f. Egerländer Volksglaube 12, 463 f.

Köhler, Reinhold (Oberbibliothekar Dr. in Weimar, f 1892. 2, 418). Ein anscheinend deutsches Märchen von der Nachtigall und der Blindschleiche und sein französisches Original 1, .53 56. Zu den von Laura Gonzenbach gesammelten siciUanischen Märchen G, .')8-78. 161 175.

Kollmanu, Paul (Geh. Ober-Reg.-Rat Dr. in Dresden). Der Umfang des friesischen Sprachgebietes im Grossherzogtum Olden- burg 1, 377—403.

Königsberger, ß. (Rabbiner Dr. inPasewalk). Aus dem Reiche der altjüdischen Fabel 6, 140-161.

Kopp, Arthur (Oberbildiothekar Prof. Dr. in Marburg). Alter Kernsprüchlein und Volks- reime für liebende Herzen ein Dutzend 12. 38 58. Zu den Testamentsliedern i:'>, 429 f. Das Fuchsrittlied und seine Ver- zweigungen 14, 61 71 Die Grabschrift vom schiefbeinigen Bock in Lübeck 16, 431 f. - Rec. Bücher 12, 372f. Bender 13, 462 bis 466. Ernst 14, 123-125. Marriage 14. 847—358. Reling-Bohnhorst: Sohns 16, 354—356.

30*

468

Inhaltsverzeichnis zu Bd. 1 20.

Eosch, Marie (Frau, Ebreichsdorf in Nieder- österreich). Die adelichen Bauern von Turopol 6, 199—204.

Kossinna, Gustav (Univ.-Professor Dr. in Berlin). Die vorgeschichtliche Ausbreitung der Germanen in Deutschland 6, 1—14. Folklore 6, 188-192. Rec. Stolz 3, 98 bis 100. Loewe 6, 449-451.

Krammer, Mario (Dr. phil. in Berlin). Rec. Eccardus 18, 332 f.

Kranss, Friedrich S. (Dr. phil. in Wien). Der Tod in Sitte, Brauch und Glauben der Süd- slawen 1, 148-163. 2, 177—189. An- merkungen zu Zs. II. 2, 444— 44G. Die Fußspur 4, 216 f. Ein montenegrinisches Tagelied 5, 210—212. Rec. Fränkel4, 97. Radic 5, 220f.

Krejöi, Johann (Privatdozent und Gymn.- Professor Dr. in Prag). Zu den deutschen, böhmischen und mährischen Volksliedern 1, 414-421.

Kretschuier, Paul (Univ.-Professor Dr. in Wien). Albert Kretschmer f 1, 450f.

Krüger, Karl (Gymn.-Professor a. D. in Bromberg). Pferdeköpfe als Giebelschmuck 7, 104. Wie man giftige Schlangen an- fasst 9, 211 f. - Die Ballade vom Ritter Ewald 15, 335-837.

Kück, Eduard (Gymn.-Professor Dr. in Frie- denau). Die Bauernhochzeiten in der Lüne- burger Heide 7,31-42.

Kuhn, Ernst (Geh. Rat Univ.-Professor Dr. in München). Ein Brief W. Mannhardts an Ernst Kuhn 10, 214-216. Rec. Pischel 5, 218 f.

Kunze, Friedrich (Lehrer in Suhl). Der Ge- brauch des Kerbholzes auf dem Thüringer Walde 2, 50—56. Volkskundliches vom Thüringer Walde, aus der Wiedersbacher Chronik des Pfarrers Möbius 6, 14—24. 175-183.

li.

Landau, A. (Dr. in Wien). Holekreisch 9, 72 77,

Lange, Rudolf (Geh. Reg. -Rat Prof. am Orientalischen Seminar Dr. in Berlin). Bitten um Regen in Japan 3, 334 336. Rec. Ehmann 8, 234 f. Itchikawa 20, 341 f.

Laski, Alice (Fräulein, Hamburg). Rammer- lied 7, 437.

Laue, Max (Oberbibliothekar Dr. in Berlin). Literatur des Jahres 1890 1, 352—368. 4(51 bis 477. Literatur des Jahres 1891 2,98 bis 116. 216—244. 331-366. 450—467.

Lauffer, Otto (Museumsdirektor Prof. Dr. in Hamburg). Neue Forschungen über Hausbau und Tracht in Deutschland 12, 360-368. 13, 330-340. 14, 226-244. 15, 107—122, 182-204. 16,100-116. 223-235.329-351. 18, 104—113. 196-203. 237. 20, 100-107.

Rec. V. Amira 13, 117.

Lehmann, Karl (Univ.-Professor Dr. in Rostock). Zum Bahrgericht 6, 208 f. Rec. Chri- stensen 10, 2341".

Lehmann-Filhes, Margarete (Fräulein, in Berlin). Einige Beispiele von Hexen- und Aberglauben aus Thüringen 5, 93—98. Kulturgeschichtliches aus Island 6, 235 bis 251. 373—395. 438 f. Volkskundliches aus Island 8, 154—162. 285—291. Ein eigen- tümlicher Keller 8, 342 f. Isländischer Aberglaube 8, 448—452. Über Brettchen- weberei 9, 24—33. Über Höfdaletur (Brynjulfr Jonsson) 9, 181—189. Islän- dische Zauberzeichen und Zauberbücher (Olafur Davidsson) 13, 150—167. 267—279.

Olafur Davidsson f 14, 119 f. Ein islän- disches Pfarrhaus vor hundert Jahren 18, 429 431. Die letzten Isländer in Grön- land 19, 170—173. Isländische Be- zeichnungen für die Himmelsgegenden 19, 207. Vielseitige Verwendung der Schaf- knochen in Island 19, 433—435. Rec. Thoroddsen 8, 353 355. Gudmundsson 1."), 122 f. Gudmundsson 15, 126. Herrmann 18, 219—221.

Lehmann-Nitsche, Robert (Museumsdirektor Dr. in La Plata). Märchen der argentini- schen Indianer 16, 156-164.

Lemke, Elisabeth (Fräulein, in Berlin). Ur- altes Kinderspielzeug 5, 183 187. Citronen auf den Altar gelegt 10, 336. A. Treichel f 11, 465 f. - Die Eibe in der Volkskunde 12, 25—38. 187-198. Ad- ventsmütterchen und Adventsweiblein 12, 335-337. J. Preuschoff 13, 102f. Zwei fürstliche Tegtamentslieder 13, 316 f.

Das Gnocchifest in Verona 14, 320—322.

Märchen aus Ostpreussen 15, 344 f. Das Fangsteinchenspiel 16, 46 66. 17, 85 bis 88. Drei russische Wurfspiele mit Knöcheln 17, 89-91. Berichtigung 19, 248. Rec. Zweck 13, 255. Hildebrandt 15, 236f. Passarge 16,471. DieKarpathen 18, 225.

Lewalter, Johann (Musiklehrer in Kassel). Drum, Brüder, stosst die Gläser an: Es lebe der Reservemann I 20, 207 209.

Lewy, Heinrich (Gymn.-Professor Dr. in Mül-

Kosch ^reitzen.

469

hausen i. E.) Morgenländischer Aberglaube in der römischen Kaiserzeit 3, 23—40. ISO bis 143. '238. Das Vogelnest im Aber- glauben 11, 462 f. Zu den ABC-Kuchen 15, 181 f.

T. (1. Leyen, Friedrich (Univ.-Professor Dr. in München). Eec. Meyer 20, 428-431.

Lohineyer, Edward L. VV. (Direktor der Lan- desbibliothek, Dr. in Kassel). Wirtschafts- verse 6, 446. Zum Siebensprunge 17,447.

Lohmeyer, Karl (Privatgelehrter in Saar- brücken). Der Traum vom Schatz auf der Coblenzer Brücke 19,286-289. DerPfingst- quak in der Saargegend 20, 399—401.

Lobre, Heinrich (Oberlehrer Dr. in Berlin). Rec. Günter: Lucius 17, 236 f. Keller 17, 463f. Boer 19, 113—115. 333—335. Holz 19, 355. V. Kralik 19, 356. Golther 20, 112f. Consentius 20, 114. Hofstaetter 20, 115. Saintyves 20, 2281'.

Loose, F. (Pastor in Grossraühlingen, Kr. ßernburg). Die Eiserkuchen der Zerbster Gegend 11, 75—78.

Lovariui, Emilio (Lyceal-Professor Dr. in Bologna). Die Frauenwettrennen in Padua 2, 56—67.

Loeyre, Richard (Dr. phil. in Hamburg). Die Ausnahraslosigkeit sämtlicher Sprachneue- rungen 1, 55 66. Rübezahls Wagen- spuren 15, 176—179. Rübezahl im heu- tigen Volksglauben 18, 1—24. 151—160.— Rec. V. Negelein 14, 121 f.

T. Löwis of Menar, August (Cand. phil. in Berlin). Eine Umformung der Gregorius- legende im Kaukasus 20, 4") 56.

Lübeck, H. L. (Gymn. -Lehrer in Gabrovo. Bulgarien). Die Krankheitsdämonen der Baikauvölker 8, 241-249. 379-389. 9,58 bis 68. 194-204. 295-304.

Lucas, Hans (Oberlehrer Dr. in Charlotten- burg). Rec. Reitzenstein 17, 122—126. Friedländer 19, 120 f.

Lnkas, Franz (Gymn.-Professor Dr. in Wien). Das Ei als kosmogonische Vorstellung 4, 227—243.

JH.

Mackel, Emil (Schulrat Prof. Dr. in Stettin). Rec. Gössgen 14, 455 f. Jäschke 19, 341 bis 343. V. ünwerth 19, 343—345. Gerbet ili, 340-347.

ManacorUa, Guido (Bibliothekar Dr. in Ca- tauia). Zu dem volkstümlichen Motiv von den weiblichen Schönheiten 18, 436—441.

Mau gier, Lina (Stud. phil. in München). Zwei

geistliche Lieder aus dem Odenwalde 20, 401—403.

Mankoivski, Herrmann (Schriftsteller in Dan- zig). Das polnische Herodesspiel in West- preussen 19, 204—206. Eine unterge- gangene Frauentraclit des Ermlandes 19, 438 f. Die Adventskurrende und die Jutrznia in Masuren 20, 326 f.

Mannhardt, Wilhelm (Stadtbibliothekar Dr. in Danzig, f 1880). Vier Briefe an W. Schwartz 10, 27—36. Ein Brief an Ernst Kuhn 10, 214-216.

Marelle, Charles (Professor in Berlin, f 1903). Rec. Thuriet 2, 212. 3, 234. Beauquier 5, 113. Maury 6, 459. Trebury 6, 459. Beau- quier 7, 215.

Marriage, M. Elizabeth (jetzt Frau Mineoff in Sofia). Bons dies, Bock 12, 219-221.

Mason, Otis T. (Univ.-Lecturer in Washing- ton). Zu den Anfängen der Webekunst 5, 325 f.

T. Maurer, Konrad (Geheimrat üniv.-Pro- fessor Dr. in München, f 1902). Zur Volks- kunde Islands 1, 36—53. Das Schnee- schuhlaufen in Norwegen 2, 301 313. Zum Aberglauben auf Island 3, 225. Die HöUe auf Island 4, 256—269. S, 452-454.

Zahlbezeichnungen und Rechtsleben 4, 442. Zur Volkskunde Islands 5, 98—100.

Die Königslösung 6, 92—94. Die be- stimmten Familien zugeschriebene besondere Heilkraft 6, 443 f. 7, 100. Zum Wettkampf des Zauberers mit seinem Lehrling 6, 444.

Zur Namengebung 7, 318 320. Das Eibenkreuz 8, 454 f. Rec. Nyrop 1, 109 bis 112. F. Jonsson, V. Gudmundsson, B. Meisted 3, 1(X)-107. Davidsson 6, 453.

Mayer, Joseph (Buchhändler in Lutzerath, Rheinland). Kinderspiele aus der Eifel 19, 416 f.

T. Medem, J. (Frau Baronin, in Florenz). Ostpreussische Volksgebräuche 7,315 318.

3Iehriag, Gebhard (Ai-chivrat Dr. in Stutt- gart). Das Vaterunser als politisches Kampfmittel 19, 129-142.

Meier, John (Univ.-Professor Dr. in Basel). Zu den beiden Volksliedern aus dem Gei- seltal 12, 221—224.

Meiuhold, Eberhard (Hauptmann a. D. in Dresden-TrachauX Eine pommersche Hoch- zeit in Rio Grande do Sul 13, 192— 2».)2.

Meitzen, August (Geheimrat Univ.-Professor Dr. in Berlin, f 1910: vgl. 20. 235). Land und Leute der Saalegegenden 1, 129 13S.

Rec. Kotier 2, 90 f. ^

470

Inhaltsverzeichnis zu Bd. 1—20.

Mencik, Ferdinand (Reg.-Rat, Kustos an der Hofbibliothek in Wien). Ein erprobter Feuersegen 8, 345.

Meugbin, Oswald (Dr, phil. in Wien). Ein Weihnachtszeltenspiel aus Tirol 20, 387 bis 394.

Meughiui, Mario (Univ.-Sekretär in Rom). Kritische Übersicht über die italienische Volksliteratur während des Jahres 1890 1, 403-413.

Meyer, Elard Hugo (üniv.-Professor Dr. in Freiburg i. B., f 1908; s. 18, 234). Indo- germanische Pflügebräuche 14, 1—18. 129 bis löl.

Meyer, Richard M. (Univ.-Proiessor Dr. in Berlin). Neue Zeugnisse von altgerma- nischen Sitten 7, 341—348. Eine Ge- samtdarstellung des deutschen Volkstums 9, 18—24. Goethe und die deutsche Volkskunde 10, 1— IG. Ein Volkslied im Kindermunde 10, 325 f. Moritz Lazarus f 13, 820-324. Rec. Macdonald 3, 340 f. Schläger 5, 225. Mason 5, 458 f. Bremer; Wenker-Wrede G, 226 f. Grosse 6, 448. Bower 7, 334f. E. H.Meyer 8, 98 f. Bruch- mann 8, 349. Herrmann 9, 99 f. Wigand 9, 460f. Herrmann 11, 97 f. Lang; Atkin- son 13, 45Gf. Reclus 14, 120f. Bader 14, 253. Hei-tz 15, 459. Delehaye IG, 123 f. Dulaure 16, 235 f. Dieterich 16, 236. E. Meyer 18, 226 f. 19, 328-330. Schmidt

18, 227 f. Leithäuser 18, 33G. Stucken 18, 337. Troels-Lund 18, 465. Arrhenius 18, 465. Riegler 19, 117 f. 353. v. Gennep

19, 463 f. Pfleiderer 20, 116. y. Gennep

20, 116f. Reinach 20, 431 f. Eisler 20, 441 f. ])[ichel, Hermann (Dr. phil. in Berlin). Rec.

Deren 13, 468 f. Meumann 14, 122 f. Gün- ther 14, 456 f. E. Schmidt 15, 360—362. Euling 16, 236-238. Erler 16, 359 f. Kluge 17, 234f. Klemm 17, 235 f. Abeling 18, 117f. 20, 336-338. Wiener 18, 118. Consentius 18, 340 f. Böckenhoff 18, 470 f. Pieper 18, 472 f. Scbiepek 19, 239 f. v. Gennep 19, 241. Haendcke; Kassner: Pohle 19, 354-357. Hahn 19, 469. Wein- stein 19, 471. Kleinpaul 20, 117. Mayer 20, 121 f. Pestalozzi 20, 123. Weise 20, 124. Stockmayer; Thümrael 20, :'.49f. 3Iielke, Robert (Schriftsteller in Wilmersdorf). Zur Giebelentwickelung des sächsischen Bauernhauses 2, 134 142. Volkstümliche Kirchendarstellungen :'), 225f. Verschwin- dende Erntegebräuche 10, 272—280. Ein Brauch in der Krossener Gegend 11, 87 f.

Weiteres zu den Zauberpuppen 11, 217 f.

Volksaltertümer aus dem Schwarzwalde 12, 108 f. Karridela in Treuenbrietzen

12, 470f. Klappergeräte in Südrussland

13, 437. Alte Bauübeilieferungen (1—4)

14, 151-168. 16, 66- 76. Rec. Zell 9, 344f. Hager 11, 468 f. Lehmann-Filhes 13, 121 f. John 19, 119.

Minden, Georg (Direktor des Pfandbriefamts Dr. in Berlin). Die Thorah -Wimpel oder Mappe, ein Beitrag zur jüdischen Volkskunde 3, 205 208. Das Vernageln der Zahn- schmerzen 10, 449. Sitzungsprotokolle G, 233 f. 7, 338-340. 8,4G7f. 10,352. 14, 235 f.

15, 127 f. 17, 127 f. Rec. Mitt. f. jüd. Volkskunde 8, lOOf. 9, 341 f.

Mitzsclike, Paul (Dr. pliil. in Weimar). Sagen von Tautenburg 17, 98— KM). Kinderreim und Aberglauben aus Weimar und Ettersburg 17, 448 f.

Mogk, Eugen (Üniv.-Professor Dr. in Leipzig). Rec. Olrik 5, 112. Olrik 14, 250-252.

MüUenhoflf, Karl (Realschuldirektor Prof. Dr. in Berlin). Zur Geschichte der Bienen- zucht in Deutschland 10, 16—26.

MüllenLoff, Karl (Univ. -Professor Dr. in Berlin, f 1884). Zwei Briefe an W. Schwartz 10, 36 f.

Müller, ('Urt (Oberlehrer Dr. in Leipzig). Kinderreime aus I^eipzig und Umgegend 5, 199 204. Der Schlag mit der Lebens- rute 10, 332 f. Parodistische Volksreime aus der Oberlausitz 15, 274 282. Predigt- parodien und andre Scherzreden aus der Oberlausitz 19, 175 181. Rec. Tetzner 12, 243 f.

Müller, Gustav Ad. (Dr. phil. in München). Zur Sage von den drei Jungfrauen 3, 93 bis 96.

Müller, Matthäus (Diakonus in Spremberg, t 1878). Über das wendische Sprachgebiet 3, 460-462.

Marko, Matthias (Üniv.-Professor Dr. iu Graz). Die Volksepik der bosnischen Mo- hammedaner 19, 13—30.

K.

T. Negelein, Julius (Privatdozent Dr. in Königsberg). Die Reise der Seele ins Jenseits 11, 16-28. 149-158. 263—271. Das Pferd im Seelenglauben und Totenkult I 11, 406-420. 12. 14-25. 377-390. Der ! Tod als Jäger und sein Hund 13, 257 bis 267. 368-376. Macedonischer Seelen- glaube und Totenkultus 11, 19 35.

Menöik Polivka.

471

Xehriug, Wladislaw (Geheimrat Univ. -Pro- fessor Dr. in Breslau, f 19ui)). Die ethno- graphischen Arbeiten der Slaven, vor- nehnilich Oskar Kolbergs 1, 250—279. 431 bis 44o.

Xeubaner, Richard (Gymn. -Professor a. D. Dr, in Berlin). Woher stammt das Wort 'ausmerzen'? 13, KX)— 102. Viel Geschrei und wenig Wolle 13, 432—434. Er ist zur grossen Armee abgegangen 14, 313 bis 316. Einem die Hölle heiss machen 17, 325-328.

Xoll, Karl vP^rrer in Rappenau, Baden). Fragstücke beim Ruggericht iu Rappenau vor 300 Jahren 19, 304-308.

Xyrop, Kristoffer (.Univ.- Professor Dr. in Kopenhagen). Zwei Bienensegen 2, 80.

O.

Olrik, Axel (Univ. -Dozent Dr. in Kopen- hagen). Märchen in Saxo Grammaticus 2, 117—123. 252—2.38. 367-374. Der Sonnenwagen von Trundholm 14, 210 bis 215. Wettermachen und Neujahrsmond 20, 57— Gl.

Olsen, Björn (Rektor emer. in Reykjavik, Island). Rec. Huld 1, 112.

Otto, Eduard (Schuldirektor Dr. in Offen- bach a. M.). Die Hüttenberger Volkstracht

8, 3G1— 379.

Otto, Paul (Lehrer in Fröhden, Kr. Jüter- bogk). Die Spinten in Gross-Krausnigk, Kr. Luckau 9, 441. Gebräuche und Spiele, sowie Aberglauben aus Fröhden

9, 441-444.

P.

Pappeulieim, Max (Geh. Justizrat Univ.- Professor Dr. in Kiel), Rec. v. Amira 2, 213 f.

Pappusch, Otto (Stockholm). Inschriften an Kruzifixen und Bildstücken in West- falen 18, 433-43G.

Paris, Gaston (Professor Dr. in Paris, f 1903 ; 13, 227). Die undankbare Gattin 13, 1 bis 24. 129-150.

Passler, P. (Gymn.-Professor in Hörn, ISiieder- österreich). Ein Hochzeitbrauch aus dem Wipptale in Tirol 10, 202-205.

Pavolini, Paolo Emilio (Univ.-Professor Dr. in Florenz). Zu Arnolds Aufsatz 'Die Natur verrät heimliche Liebe" 13, 42G bis 429.

Pedersen, Holger (Univ.-Professor Dr. in Kopenhagen). Zu den neuirischen Zauber- sprüchen G, 192— 19G.

Petak, Arthur (Gymn.-Professor Dr. in Wien). Alte deutsche Weihnachtslicder aus dem Lungau 9, 420-436.

Peter, Johann (Lehrer in Grossmeiseldorf bei Ziersdorf, Wien). Dorfkurzweil im Böhmerwalde 5, 187 194.

Petsch, Robert (Univ.-Professor Dr. in Heidel- berg). Uckermärkische Kinderreime 8, 407-415. 9, 273-284. 389-395. Ein Kunstlied im Volksmunde 10, 66—71. Ein uckermärkischer Brauch bei der Braut- wäsche 11, 341. Bindesprüche der Roggen- schnitter in Mecklenburg 12, 341 f. Das fränkische Puppenspiel von Doktor Faust 15, 245-260. Rec. Küffner 9, 220 bis 222. Euling 9, 456 f. Flachs 9, 4G0. Mielke 9, 460. Schumann 10, 233. E. H. Meyer 10, 452 f. Züricher 12, 119. Amers- bach 12, 370 f. Riehl 13, 350. Deissmann

18, 461—464. Krauss 19, 234-236. Abt

19, 336-339. Lehmann: Henry 20, 107 bis 110. Günter 20, 433-437. Landau 20, 437 bis 440. Francais 20, 440 f.

Petzold, Albert (Amtsgerichtsrat Dr. in Berlin). Pfingstquaas 10, 142—150.

Pfeifer, E. (Lehrer in Altenburg). Von einem Unheimlichen, Beitrag zum Aberglauben im Altenburgischen 9, 209-211.

Pfleiderer, Otto (Univ.-Professor Dr. theol. in Berlin, f 1908). Rec. Smith 9, 98 f. 450-452.

Pichler von Rautenkar, Adolf (Univ.- Professor Dr. Hofrat in Innsbruck, t 1900). Tirolische Volksdichtung 4, 197—201. Dialektpoesie in Tirol 4, 3;>lf.

Pichler, Fritz (Univ.-Professor Dr. in Graz). Von Glan- imd Furt-Orten, im besondern von Klagenfurt 7, 412—422.

Pig-er, Franz Paul (Gymn.-Professor in Iglau). Handwerksbrauch in der Iglauer Sprachinsel in Mähren 2, 272—285. 382 bis 392. Geburt, Hochzeit und Tod in der Iglauer Sprachinsel G, 251 264. 407 bis 412. Eine Priiniz in Tirol 9, 396 bis 399. Faschingsgebräuche in Prutz im Oberinntal 10, 80— S5. Rec. NY. Müller 3, 342-344.

Pisehel, Richard (Univ.-Professor Dr. iu Berlin, f 1^08). Rec. Wlislocki 2, 209 f. Schmidt 4, 94 - '^^ii.

Polek, Johann (Univ. -Bibliothekar Dr. in l'zernowitz). Regenzauber in Osteuropa 3, 85—87.

Polivka, Georg (Univ.-Professor Dr. in Prag). Seit welcher Zeit werden die Greise

472

Inhaltsverzeichnis zu Bd. 1—20.

nicht mehr getötet? Slavische Parallelen 8, 25-29. Tom Tit Tot, ein Beitrag zur vergleichenden Märchenkunde 10, 254 bis 272. 325. 382- 39G. Zu der Erzählung von der undankbaren Gattin 13, 3!)9— 412. Mittel wider die Tollwut 13, 440. Neuere Arbeiten zur slavischen Volkskunde (Süd- slavisch, Russisch) 13, 238-244. 14, 339 bis 347. 15, 215-226. 16, 209—223. 17, 223—234. 343-354. 18, 214-219. 313—331. 19, 317-328. 441—457. 20, 411-428. Rec. Sklarek 12, 124—126. Preindlsberger- Mrazovic 15, 2.30—232. Lorentz IG, 461—464.

Pommer, Joseph (Regierungsrat Prof. Dr. in Wien). Der Binder 15, 172 f. Ein Lied auf den Feldzug in Ungarn 16, 88 f.

Prahn, Hermann (Rektor in Berlin). Glaube und Braucii in der Mark Brandenburg 1, 178 197. Der Hausgeist in der Neu- mark, in Barnim und im Sternberger Lande 2, 78-80.

Prato, Stanislao (Lyceal- Professor in Correggio). Zwei Episoden aus zwei tibe- tanischen Novellen in der orientalischen und occidentalen Überlieferung 4, 347—373. Sonne, Mond und Sterne als Schönheits- symbole in Volksmärchen und -liedern 5, 363—383. 6, 24-52. Vergleichende Mit- teilungen zu Hans Sachs Fastnachtsspiel 'Der Teufel mit dem alten Weib' 9, 189 bis 194. 311-321.

V. Preen, Hugo (Kunstmaler in Osternberg b. Braunau). Drischlegspiele aus dem oberen Inuviertel 14, 361—376. 471. Kopfziegel, ein Giebelschmuck aus Ober- baden 18, 277—279. Spatzenhafen aus Müllheim in Baden 18, 280.

Prem, Simon M. (Gymn.-Professor Dr. in Grazj. Mittelalterliche Wunder- und Schatz- sagen aus Tirol 2, 326-328.

B.

Rademacher, Carl (Rektor in Köln). Das Sprengeltuch, ein Totenbrauch aus der Eitel 4, 86-88.

Raff, Helene (Fräulein in München). Ge- schichten aus Bayern 6, 439—441. Hexen- geschichten aus Bayern 7, 292—296. Spukgeschichten aus dem bayrischen Kreise Schwaben 8, 180-182. Aberglauben in Bayern 8, 394-402. Geschicliten aus dem Etschland und aus dem Stubai 9, 77 bis 81. Münchner Stadtsagen und Sprüche 10, 181-185. Bayerische Ge- schichten 10, 284-287. Geschichten aus

Bamberg 11, 37—39. Alt- Münchener Festgebäck 11, 84 87. Volksmeinuugen von der bayerisch- österreichischen Grenze 11, 219—221. Geschichten aus Franken 13, 434—436. Rec. Lawrence 8, 467.

Ramsaner, Wilhelm (Pastor in Rodenkirchen, Oldenburg). Dat geit mit'n Snellert 10, 228 f.

Ranisch, Wilhelm (Gymn.-Professor Dr. in Osnabrück). Rec. Olrik 14, 457—463.

Rehsener, Marie (Fräulein, in Müuchen). Wind, Wetter, Regen, Schnee und Sonnen- schein in Vorstellung und Rede des Tiroler Volks 1, 67 77. Die Gebirgsnatur in Vorstellung und Sage der Gossensasser 1, 421—431. Weiteres über Wind, Wetter, Regen, Schnee und Sonnenschein und die Gebirgsnatur 2, 189 197. Aus Gossen- sass: Arbeit und Brauch in Haus, Feld, Wald I-II: 3, 40-55. 4, 107—133. Seitenfüllung 4, 346. Die Weber-Zenze, eine Tii-oler Dorftigur 5, 80—93. Das Leben in der Auffassung der Gossensasser 6, 304—319. 395—407. Gossensasser Jugend 6, 117—129. 249—263. Von den Tieren und ihrem Nutzen nach Gossensasser Meinung 10, 48-62. Der Tod von Basel, Spinnstubenlied 10, 326 f. Aus dem Leben der Gossensasser 1: Das Heiraten 10, 397-406. Wirtschaftliches 15, 46 bis 60. Das Jahr 1809, Erinnerungen alter Gossensasser 18, 191 194. Tiroler Volksmeinungen über Erdbeben 19, 198 f.

Reichardt, Rudolf (Pfarrer in Rotta bei Kemberg). Die Drostin von Haferuugen, eine Sagengestalt aus der Grafschaft Hohen- stein 6, 78—82. Bastlösereime aus der Provinz Sachsen 8, 62 66. Abzählreime aus der Grafschaft Hohenstein 8, 402 bis 407. Volksastronomie und Volksmeteoro- logie in Nordthüringen 9, 229—235. Volksanschauungen über Tiere und Pflanzen in Nordthüringen 10, 208—214. Sagen aus Nordthüriugen 9, 68 73. 12, 66—72. Das Margaretenfest in Schmiedeberg, Prov. Sachsen 12, 333 335. Volksbräuche aus Nordthüringen 13, 384—390. Thüringer Pfingstvolksfeste 14, 418-423.

Reissenberger, Karl (Reg.-Rat Oberreal- schuldirektor a. D. Dr. in Graz). Zu dem Volksliede von der Tochter des Komman- danten zu Grosswardein 11, 298— .')04.

Reiterer, Karl (Schulleiter in Donnersbach- wald, Steiermark). Hexen- und Wilderer- glaubeu in Steiermark 5, 407 413.

Pommer Schell.

47:

Yolkssprüche aus dem Ennstal G, 129—139.

Zwölf goldene Freitage 1.3, 96—98. 17,

449 f. Beschwörung der hl. Corona 15,

424 427. Segensprüche aus den Alpen

17, 450. Kcnk. Anton (Schriftsteller in Innsbruck,

t 190G). Volksrätsel aus Tirol 5, 147

bis li'.n. Reuschel, Karl (Professor Dr. in Dresden).

Rec. Ebermann 14, 353-356. Böckel 17,

116-121. Rhaiuni, Karl (Privatgelehrter Dr. in Graz).

Erwiderung 20, 449. Richter, Elise (Privatdozentin Dr. in Wien).

Die schönste der Feen, rumänisches Märchen

17, 105—109.

Riegler, Pächard (Gymn.- Professor Dr. in Pola). Entgegnung 19, 353.

Risop, Alfred (Realschul -Professor Dr. in Berlin). Rec. Pfeffer 13, 248—251.

Roediger, Else (jetzt Frau Oberleutnant Pretzsch in Berlin). Segen aus Rollsdorf, Mansfelder Seekreis 12, 105 f. Allerlei aus Bärwalde, Kr. Xeustettin 13, 98 f. Allerlei aus Rollsdorf bei Höhnstedt 19, 439 f.

Roediger, Max (Geh. Reg.-Rat üniv.-Professor Dr. in Berlin). Die Sage von Ermenrich und Schwanhüd 1, 241—250. Karl Weinhold, Gedächtnisrede 11, 353 364. Chronologisches Verzeichnis der Schriften Weinholds 11, 364-376. Die Flutsagen 12, 226. Japanische Frauennamen 12, 226 f. M. Bartels f 15, 106 f. A. Bastian f 15, 241. Anna Weinhold f 15, 242. Moriz Heyne f 16, 245-247. A. Voss t 17, 113. E. H. Meyer f 18, 234-2.36. - A. Meitzen f 20, 235—237. Sitzungsprotokolle 4, 105 f 225 f. 345. 5, 118f. 237 f. 353 f. 6, 111—114. 230—233. 343-345. 7, 110-112. 219-224. 337 f. 455 bis 4.58. 8, 113—116. 238-240. 358-360. ; 9, 106-108. 225-228. 349. 4(52-464. 10, ; 114—116. 241—244. 460f. 11, 109-116. 235f. 349-352. Rec. Lukas 3, 464. Wolfskehl 4, 220. Zschiesche 6, 225f. Elton-Powell 6, 452. Schönbach 11, 229 bis 231. Hoffmann-Krayer 12, 237. Hessische Blätter f. Vk. 12, 241. Meitzen 12, 241 f. ' E. Schmidt 12, 376. Herrmann 13, 106f. [ Andree 13, 252 f. Brandenburgia 13, 253 ' bis 255. Reuschel 13, 458 - 460. Detter- Heinzel 13, 460-462. 47(5. Kaindl 14, 248 bis 250. Wuttke 15, 356—35!». Wehrhan

18, 466f. Mielke 20, 229-231. Rona-Sklarek, Elisabet (Frau Dr. in Berlin).

Ungarische Volksmärchen (1 6) 13, 70 bis 75. 17, 109-112. 19, 92-95. Reo. Vikar; Mailand 16, 470f. Sebestyen 17, 467 f. Berze Xagy 18, 228-230. 471. Borger 20, 338 f. Rott, A, .J. (Lehrer in Pilsen). Die Ver- wendung der Pflanzen durch die Kinder in Deutschböhmen und Niederösterreich 11, 49 64. Volkstümliche Vogelnamen aus Westböhmen 12, 4.57—462.

S.

Sajaktzis, Georg (in Wien). Gräkowalachische Sitten und Gebräuche 4, 134—148.

Samter, Ernst (Gymn.-Prof. Dr. in Berlin). Rec. Kern 13, 105 f. Dieterich 16, 4fö bis 468. Politis 18, 121-123. Usener 19, 110 bis 114.

Sartori, Paul (Gymn. -Professor in Dort- mund). Der Schuh im Volksglauben 4, 41 bis 54. 14S-1S0. 282-. 'Xö. 412—427. Glockensagen und Glockenaberglaube 7. 113-129. 270-286. 358-369. 8, 29-38. Vogelweide 15, 1—13. Feuer und Licht im Totengebrauche 17, 361 386. Das Wasser im Totengebrauche 18, 353 378.

Sass, Johannes (Bibliothekar Dr. in Berlin). Rec. Kunze 12, 242 f.

Schaar, Heinrich (Gymn.-Professor Dr. in Berlin). Plattdeutsche Rätsel, ein Beitrag zur märkischen Volkskunde 14, 168 179.

Schäfer, Dietrich (Geheimrat Univ.-Professor Dr. in Berlin). Entgegnung 18, 236f.

Scharringhauseii,D. (Postsekretär in Bremen). Das erste uiedersächsische Volkstrachten- fest 14, 439-444.

Schatzuiayr, E. (Gymn.-Professor Dr. in Mautua f). Villatte friulane (friaulische Dorflieder) 3, 329—334. 411—415. Kärntner Liedein 6, 96—98.

Scheel, Willy (Realgymnasialdirektor Dr. in Nowawes). Rec. Fischer 19, 117.

Schell, Otto (Bibliothekar in Elberfeld\ Anton Birlinger t 1, 449 f. Volksrätsel aus dem Bergischen 3, 293—299. Der Bergische Blocksberg 4, 213 f. Sich drehende und blutende Steine 4, 214. Abzählreime aus dem Bergischen 5, 67 bis 71. Die Gezelinquelle bei Schlebusch unweit Köln 8, 343 f. Dreikönigslieder vom Niederrhein 9, 90 f. Einige Fast- nachtslieder vom Niederrhein 9, 91 f. Bergische Hochzeitsgebräuche 10, 37— 4S. 162—180. 428—432. Zwei alte Gerichts- stätten in den Rheinlanden 11, 47 49.

474

Inhaltsverzeichnis zu Bd. 1 20.

296 298. Zwei Hubertusschlüssel 11, l 342. Über den Gebrauch des Rummels- potts 18, 226 f. Das Salz im Volks- glauben 15, 137—149. Bergische Zauber- formeln 16, 171-176. Die Entwicklung des bergischen Hauses 19, 1—12. Der Donnerbesen in Natur, Kunst und Volks- glauben 19, 429-432. Der Klingelstock der Hirten 20, 317 f.

Scheppig. Richard (Museumsdirektor Prof. Dr. in Kiel, f 19(i3). Rec. Vasconcellos 9, 345-349.

Schläger, Georg (Oberlehrer Dr. in Esch- wege). Nachlese zu den Sammlungen deutscher Kinderlieder 17, 264-298. 387 bis 414. 18, 24-53.

Schlossar, Anton (Oberbibliothekar Dr. in Graz). Kinderreime aus Steiermark 5, 275 bis 288.

Schmidt, Erich (Geh. Reg.-Rat Univ.-Professor Dr. in Berlin). Reinhold Köhler 2, 418 bis 437. Lesefrüchte zum Volkslied 5, 355 bis 363. Jakob Grimm über Volkskunde 12, 96-98. Rec. Kluge 5, 225-233. 334—352. Fabricius 6, 107 f.

Schmidt, Richard (Univ.-Professor Dr. in Halle). Rec. Natesa Sastri 11, 101 f. J. J. Meyer 13, 471 f. Winternitz 15, 363. 18, 230 f.

Schnippe], Emil (Prof. Dr. in Osterode, Ostpr.). Eine moderne Sage von einem Gottes- frevler 16, 177 181. Das ostpreussische Hölzchen- oder Klötzchenspiel 17, 91—94. Volkskundliches aus dem Danziger Werder 19, 158-170. Leichenwasser und Geisterglaube in Ostpreussen 20, 394 bis 398.

Schön, Friedrich (Cand. theol. in Mettmann). Eine vollständige Fassung des Kinder- liedes von den Nornen 19, 417 f.

Schönbach, Anton E. (Hofrat Univ.-Professor Dr. in Graz). Zeugnisse zur deutschen Volkskunde des Mittelalters 12, 1—14. Die Bereitung der Osterkerze im Mittel- alter 18, 426-428. Rec. H. Meyer 14, 450—454. Weise 14, 455.

Schönhoff, Hermann (Dr. in Münster i. W.). Zwei Volksballaden aus dem Münsterlande 16, 440f.

Schrader, Otto (Univ.-Professor Dr. in Breslau). Rec. Rhamm 19, 330-333. 20, 332—336. Antwort 20, 450. Schröder, Edward (Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. in Göttingen). Die Gerichtslinde von Bas- dorf in der Herrschaft Itter 6, 347—354.

Schröer, KarlJulius (Hochschul-Professor Dr. in Wien, 1 1900; 11. 213). Rätselfragen, Wett- und Wunschlieder 3, 67 71. Rec. V. Wlislocki 3, 346—348.

Schukowitz, Hans (Bibliotheksbeamter Dr. in Graz). Kiuderreime aus dem Marchfelde 6, 290—296. Über volkstümliche Namen- gebung 7, 10« I f. Patenscheine 7, 210 bis 212. Geschichten aus dem March- felde 7, 321—326. Hausgerätinschriften aus Nieder-Österreich 8, 48—56. 147 153.

Kriegs- und Schlachtensagen aus dem Marchfelde 9, 377-389.— Das KelleiTecht 11, 452-455.

V. Schulenburg, Wilibald (Schriftsteller in Zehlendorf). Trudensteine 15, 91 f. Zur Sage vom Gottesfrevler 16, 429. Alte Türriegel 17, 314.

SchuUerus, Adolf (Stadtpfarrer Dr. in Her- mannstadt). Die deutsche Volkskunde im Jahre 1901—1903 12, 354—359. 13, 324 bis 330. 14, 445—450. Neuere Arbeiten zur ungarischen Volkskunde 13, 340-349.

Germanische Mythologie in den Jahren 1901 und 1902 13, 451-454. L. Katonaf 20, 450. Rec. Rona-Sklarek 20, 432.

Schütte, Otto (Gymn.-Professor in Braun- schweig). Eine braunschweigische Fast- nachtfeier vor fünfzig Jahren 9, 338-340.

Aus dem Herzogtum Brauuschweig 9, 438—441. Braunschweigische Segen 10, 62—65. Deutung der Tierstimmen im Braunschweigischen 10, 221—223. 13, 91 bis 95. 17, 311-313. Heilung der Pferde- kolik 10, 223. Braunschweigische Tauf- und Hochzeitsgebräuche 10, 223 f. Die Bräutigamsmagd 10, 224. Braun- schweigische Dorfueckereien 10, 330 332.

Braunschweigische Sprechübungen 10, 336 f. Die Hornsprache im Volksmunde 10, 337. Vernageln der Zahnschmerzen 10, 338. Braunschweiger Volksreime 10. 426—428. 11, 73—75. Das Notfeuer im Braunschweigischen 11, 216 f. Das Hän- seln im Braunschweigischen 11, 332 334.

Braunschweigische Sagen 11, 338 340.

Braunschweigische Abzählverse 11, 461.

Drohung und Verspottung beim Ver- sagen einer Bitte 11, 462. Erziehung zur Aufmerksamkeit 11, 162. Das Lerchen- fegen 12, 342. Ein Heilsegen aus dem J. 1697 13, 440. Das Nestelknüpfen 14, 119. Ein Liebesbrief in Herzform 14, 438f. Zimmermannsverse beim Rammen 15, 101 f.— Zaubersegen des 16. Jahrh. 15,

Scheppig Stiefel.

475

180f. Glockenspraclie uud Geräterufe 15, 342—344. Die Hornsprache im Volks- munde 16, 81—86. Braunschweigischer Hochzeitbitterspruch 16, 444—446. Braun- schweigische Segensprüche 17, 451. Vier Liebesbriefe einer Braunschweigerin v. .1. 1642 und 1643 19, 423-426. Der Schim- melreiter, ein braunschweigisches Hoch- zeitsspiel 20, 79—81. Der Schäfergruss 20, 328. Schwartz, Wilhelm (Geheimrat Prof. Dr. Gymuasialdirektor in Berlin, tl899: vgl.' 9, 828). Volkstümliche Schlaglichter I— IV 1, 17-36. 220. 279—292. 2, 245 bis 251. 3, 117—130. Die Wünschelrute als Quellen- und Schatzsucher 2, 67—78. Gegen Bücherdiebe 2,85. Die gefesselten Götter bei den Indogermaneu 2, 197 199. 3, 448—451. Ein paar volkstümliche Miscellen 2, 440 f. Ein paar Miscellen aus den Havellandschaften 5, 167 171. Die volkstümlichen Namen für Kröte, Frosch und Regenwurm in Norddeutsch- land 5, 246-264. Vom Spuken 6, 9i-96.

Det möt wol s6n ollet Herkomu sin 6, 328 f. Miscellen 6, 444 f. Eine Gewitter- anschauung Jean Pauls mit allerhand my- thischen Analogien 7, 1 11. Der Schim- melreiter und die weisse Frau 7, 225—244.

Heidnische Überreste in den Volksüber- lieferungen der norddeutschen Tiefebene 9, 1-18. 123-135. 305-310. Brief an W. Mannhardt 10,30-33.— Rec. Zingerle 2, 89.

Seclmaun, Wilhelm (Oberbibliothekar Prof. Dr. in Berlin). Rec. Gloth 13, 108-110. Driemaandelijksche Bladen 13, 124.

Seier, Cäcilie (Frau Professor in Steglitz). Mexikanische Küche 19, 369—381.

Seier, Eduard (Univ.-Professor Dr. in Steg- litz bei Berlin). Rec. Starr 10, 237 bis 239.

Seybold, Christian F. (Univ.-Professor Dr. in Tübingen). Zur Zeitschrift X, 100. 11, 82 f.

Siebs, Theodor (Univ.-Professor Dr. in Bres- lau). Das Saterland, ein Beitrag zur deutschen Volkskunde 3, 239-278. 37:'. - 410.

Ostfriesisch-plattdentisches Ranimerlied 7, 437—440.

Sieger, Robert (Univ.-Professor Dr. in Graz).

Xichtdeutsche Marterln 9, 236—245. Sikora, Adalbert (Schriftsteller in Innsbruck).

Ein Innsbrucker Hausinventar aus dem J.

1626 17, 454-456.

Simon, Alicja (Fräulein in Berlin), Nochmals das polnische Original des Volksliedes 'An der Weichsel gegen Osten' 19, 421—423.

Siuger, Samuel (Univ.-Professor Dr. in Bern). Sagengeschichtliche Parallelen aus dem babylonischen Talmud 2, 293-301. —Bud- dhistische weibliche Heilige 4, 71 73. Segen und Gebräuche des 17. Jahrb. aus der Schweiz 4, 447—451. Deutsche Kinderspiele 13, 49-64. 167-179. Ein französischer Indiculus superstitionum aus der Mitte des 17. Jahrh. 14, 413-416. Rec. Bundi 12, 245 f.

Sklarek, Elisabet s. Roua.

Söhus, Franz (Oberlehrer in Hannover). Rec. Strack 5, 223-225.

Sökelaud, Hermann (Stadtverordneter in Ber- lin). Die Wünschelrute 13, 202-222. 280 bis 287. 16, 418-422. Dunkelfarbige Marienbilder 18, 281—295. Rec. Da- rapsky 13, 350. Weber 16, 124 f.

Sommerfeldt, Gustav (Prof. Dr. in Königs- berg). Märchen aus Ostpreussen 15, 345 bis 347.

Spiegelhalder, Oskar (Fabrikdirektor in Lenz- kirch i. B.). Die Glasindustrie auf dem Schwavzwald 18, 267—277.

Steck, Johann (Pfarrer in Margreid, Südfirol'. Rec. Bass 11, 346.

Steig, Reinhold (Gymn.-Professor Dr. in Berlin). J. Grimms Plan zu einem Alt- deutschen Sammler 12, 129—138. Hoch- zeitslieder und Hochzeitssitten 12,464—470. Märkische Sitten und Sagen 13, 96 f. Der Liebenbach 13, 301. Volksgebräuche. Volksglauben und Volkssagen im Ländchen Bärwalde 14, 423-427. Rec. Karsten 13, 350 f.

V. d. Steinen, Karl (Prof. Dr. med. et phil. in Berlin). Rec. Grosse 4, 103.

Steinttaal, Chajim (Univ.-Professor Dr. in Berlin, 1 1S99; vgl. 9, 208). Au den Leser 1, 10—17. Zusatz 3, 84 f. Rec. Me- hemed Emin 7, 330 f. Archiv f. Religions- wissenschaft 8, 459.

Stewart, Caroline T. (Assistant-Professor in Columbia, Missouri). Die Entstehung des Werwolfglaubens 19. 30-51. Stiefel, Abraham Ludwig (Real-Professor Dr. in München). Ein Eulenspiegelstreich aus Franken 5, 208—210. Die stärksten Dinge 5, 448—450. Zur Schwankdichtung des Hans Sachs 8, 73—82. 162—168. 278 bis 284. Zu Hans Sachsens 'Der plint

I Mesner" 10, 71 80. Der Schwank von

476

Inhaltsverzeichnis zu Bd. 1—20.

den drei Mönchen, die sich den Mund ver- brannten 13, 88 90. Sprichwörter-Anek- doten aus Franken 18, 446 449. Rec. Amalfi 13, 470 f.

Stolz, Friedrich (Univ.-Professor Dr. in Inns- bruck). Rec. Schneller 1, 22l>- 224. 3, 4(;4f. 5, lU9f. Schwitzer 1, 34Gf.

Storck, Karl (Schriftsteller Dr. in Berlin). Spruchgedichte und Volksbräuche aus der Vorderschweiz 5, 384—390.

Stratil, Domitius (Bürgerschuldirektor in Fulnek). Volkslegeuden aus dem Böhmer- wald und dem Kuhland 17, 100—105.

Strebel, Hermann (Dr. phil. in Hamburg). Das Altouaer Museum 13, 103—105. Erntereigen 20, 90. Rec. Salin 14, 464 bis 466.

V. Strele, Richard (Vorstand der Studien- bibliothek in Salzburg). Aus einer Polizei- verordnung von 178(5 9, 94f. Passions- komödien in Böhmen 10, 333 f. Weih- nachtsfeier in der ehemaligen Deutsch- banater Militärgrenze 15, 179 f.

Struck, Bernhard (Dr. phil. in Heidelberg). Eine Geschichte der Wanyaruanda 18, 188 bis 191.

Stumme, Hans (Univ.-Professor Dr. in Leipzig), Rec. Biarnaj: Boulifa 19, 347 bis 351.

T.

Tbimme, Adolf (Gymn.-Professor Dr. in Er- furt). Rec. Wesselski 19, 351 f.

Thomas, Emil (Privatdozent Prof. Dr. in Berlin). Rec. Samter 12, 123 f.

Thomas, N. W. (Bibliothekar in London). Zweideutige Fabeltiere, eine Umfrage 9, 337 f.

Thorkelsson, Jon (Dr. phil. in Reykjavik). Ein isländischer Blutsegen 1, 102 f. Die .Annalen des Bischof Gisli Odsson in Skal- holt von 1637 1, 164—171.

Thumb, Albert (Univ.-Professor Dr. in Strass- burg). Zur neugriechischen Volkskunde 2, 123-134. 285-293. 392-406.

Tienken, A. (Dr. phil. in Steinkirchen bei Stade). Kulturgeschichtliches aus den Marschen am rechten Ufer der Unterweser 9, 45-55. 157-171. 288-291.

Tille, Alexander (Syndikus der Handels- kammer, Dr. phil. in Saarbrücken). Der Sonnenochse 1, 443.

Toblcr, Adolf (Univ.-Professor Dr. in Berlin, tl910). Rec. Farsetti 11, 2.".lf.

Tobler, Ludwig (Univ.-Professor Dr. in

Zürich, 1 1895. 5, 456). Mythologie und

Religion 1, 369-377. Toldo, Pietro (Univ.-Professor Dr. in Turin).

Aus alten Novellen und Legenden (1 12)

13, 412-426. 14, 47—61. 15, 60-74. 129

bis 137. 365-373. 16, 24—35. Treichel, Alexander (Rittergutsbesitzer auf

Hoch-Paleschken in Westpreussen, f 1901 :

s. 11, 465). Anmerkungen zu Zs. II. 2, 443f.

Schmackostpru, Kleiderfortnahme und

Torverleguug nach dem Deutschordens-

Tresslerbuche 10, 444—447. Tschiedel, Johannes (Dr. phil. in Rom).

Italienische Volksrätsel 6, 276 283.

U.

Ullrich, Hermann (Prof. Dr. in Brandenburg).

Des Schneiderleins Glück 3, 452—456.

6, 102. Unger, Theodor (Adjunkt am Archiv in Graz tj.

Aus dem deutschen Volks- und Rechtsleben

in Alt-Steiermark 6, 184-188. 284-289.

424-428.

V.

Vogt, Friedrich (Univ.-Professor Dr. in Mar- burg). Beiträge zur deutschen Volkskunde aus älteren Quellen (1. Scheibentreiben und Frühlingsfeuer. 2. Seb. Franck und Joh. Bohemus. 3. Neujahrsorakel. 4. Hahnjörs)

3, 349—372. (5. Zum Scheibentreiben)

4, 195-197.

Vetter, August (in Augsburg). Schwäbische Beiträge zu Blümml und Rott, Verwen- dung der Pflanzen 11, 224—226.

Voretzsch, Karl (Univ.-Professor Dr. in Tübingen). Zu den deutschen Volksliedern aus Böhmen und aus Niederhessen 3, 176 bis 189. 337.

Weber, Albrecht (Univ.-Professor Dr. in Berlin, f 1901). Rec. Jacobs 3, 108 f.

Weber, Franz (Oberamtsrichter a. D. Dr. in München). Eiserne Votivfiguren aus Ober- bayern 14, 215 f.

Webinger, Alfred (Stud. phil. in Graz). Tracht und Speise in oberösterreichischen Volks- liedern 19, 96—101.

Wehrhan, Karl (Mittelschullehrer in Frank- furt a. M.). Wachsvotive aus Kiedrich im Rheingau 19, 199-201.

Weinhold, Karl (Geh. Reg.-Rat Univ.-Professor Dr. in Berlin, t 1901; s. 11, 353). Zur Ein- leitung 1, 1—10. Volksüberlieferungen

Stolz— Weinhold.

477

aus Eisenerz in Obersteiermark 1, '215 bis 21il, Über Bielensteins neues Werk: Die Grenzen des lettischen Volksstammes und der lettischen Sprache 1, 344. Die Regen- katze 1, 444. Sancta Kakukabilla-Cutu- billa 1, 444. F. Liebrecht f 1, 103. Joseph Zingerle f 1, 344. Zu Goethes Parialegende "2, 46 50. Eine mytho- logische Anfrage 2, 84 f. Zwei Bienen- segen 2, 86. Vülksüberlieferuugen in Mecklenburg 2, 86. Lettische Samm- lungen 2, 86. H. Frischbier f 2, 87. Zu den sieben Grafen 2, 206 f. 244. Er- löschen der Altarkerzen 2, 208. M. V. Lexer f 2, 208. Ignaz Zingerle von Summersberg f 2, 442f. E. L. Rochholz f

2, 446 f. Aus dem Utztal 2, 447 f. Aus Oberinntal 2, 448. Der AYettlauf im deutschen Volksleben 3, 1—23. Schlesische Sagen vom Nachtjäger 3, 96f. Eine Avestpreussische Spukgeschichte von 1333 1

3, 97 f. Aus dem mittelschlesischen Dorf- leben 3, 144 f. Der Wolf mit dem Wockenbriefe 3, 195—205. Schwur unter dem Rasen 3, 224f. 4, 214f. Der Sommersonntag in Heidelberg 1893 3, 228. [

Volksreime auf Bettlerhochzeiten 3, 228 230. Aus Bekehrungsgeschichten I der Jesuiten 4, 91. Sammlungen der volkstümlichen Überlieferungen in Deutsch- land 4, 217 f. Das Lied vom Pater Guardian 4, 334. Steyermarckischer Raufjodl 4, 3351". Nachrichten aus dem Bereiche der Volkskunde 4, 336 f. 459 f. 5, 107 f. 217. Teufelssagen aus Oberkärnten

4, 445—447. Aus der Gegend von Sausal in üntersteiermark 4, 451. Aus der windischen Steiermark 4, 452. Schlesische Sagen 4, 452—458. Lösung des Zungen- bandes 4, 458 f. Zur süddeutschen Namens- kunde 5, 119 f. Beitrag zur Nixenkunde auf Grund schlesischer Sagen 5, 121 133. Die Widderprozession von Virgen und Prägratten nach Lavaiit im Pustertal 5, -205—208. Über ein schlesisches Wiegen- lied 5. 214—217. Zur Hillebille 5, 327 f.

Heinrich Piöhle t 5, 329 f. Stan. Prato 5, 330 f. - Vom heiligen Ulrich 5, 416—424. Das Notfeuer 5, 452 f. Untersuchungen über das deutsche Bauern- haus 5, 456. Ludwig Tobler f 5, 456 bis 458. Plan einer Ethnographical Survey über Britannien 6, 101. Der Tod der ist ein grober Mann 6, 211. Beschwörung des Alps 6, 213—215. Märchen vom

Hahnreiter 6, 320-322. Steirische Sagen vom Schratel 6, 322-324. Kleine Ijiedeln aus dem oberen Kainachtal in Steiermark 6, 325. Die Schweizerische Gesellschaft für Volkskunde 6, 329.. Zum sog. Verwunderungsliede und dem Liede von den drei Jungfern 6, 345 f. Die Geistermesse 6, 442. Gegen Bücherdiebe 6, 446. Klosterinschrift 6, 44(5. Fritz Staub t 6, 447. Jüdische Volkskunde 7, 105. Zu dem Märchen von Tod und Begräbnis des armen Sperlingsweibchens 7, 159—162. Weiteres zu der Heilkraft ge- wisser Familien 7, 212. Von verwandten Vereinen 7, 212 f. Grüners Werk über die Sitten und Gebräuche des Egerländer Volkes 7, 329. Verein für sächsische Volkskunde 7, 329 f. Zwei alte Gerichts- stätten 7, 404 f. Der Wildemännlestanz von Oberstdorf 7, 427 437. Ostfriesisch- plattdeutsches Eammerlied 7, 437 f. Fruchtbarkeit im hohen Alter 7, 447. Professuren für Volkskunde 8, 97. Nach- trag 8, 116. Frau Harke in Dithmarschen 8, 210—213. Saint Sesne, der Schutz- patron der kranken Hunde 8, 225 f. Hühnersegen 8, 229. Hirtensprüche 8, 336—339. Ein Diebsegen 8, 346. Zui- Hillebille 8, 347. Vom Verein für Eger- länder Volkskunde 8, 347. Aus Steier- mark, Volkstümliches in alphabetischer Reihe 8, 439—448. Das tausendjährige Jubiläum der Wurst 8, 456 f. Die Aus- stellung niederländischer Trachten in Amsterdam 1898 8, 458. 9, 204 f. Die alte Gerichtsstätte zu Cavalese im Fleimser Tal in Südtirol 9, 68—71. Das englische Kinderspiel Sally Water 9, 89 f. F. M. Böhme f 9, 95f. Die Spelte und die Drihe, zur Geschichte der Weberei 9, 205 bis 207. Fledermaus und Maulwurf 9, 207. Chajira Steinthal f 9, 208 f. Sanct Kummernuss 9, 322-324. Wilhelm Schwartz f 9, 328—330. Kinderpuppen- gräber (Gredlgräber) in Niederösteireich 9, 333. Internationaler Kougress für Volks- kunde, Paris 1900 9, 447 f. Sammlung volkstümlicher Überlieferungen in Württem- berg 9, 448. Zu den niedersächsischen Zauberpuppeu 10, 99 f. Laura Weinhold f 10, 102. Zum Hochzeitcharivari 10, ■_)06f. ririch Jahn f 10, 216-219. Ein oberbayrisclier Palm 10, 227. Das Halmmessen 10, 227 f. Sonnwendfeuer in Tirol 10, 335 f. Anfrage über Ge-

478

Inhaltsverzeichnis zu Bd. 1 20.

brauche und Aberglaube, die sich an den Anbau des Hirses knüpfen 10, 339 f. Über die Bedeutung des Haselstrauchs im altgermanischen Kultus und Zauberwesen 11, 1 16. Ein hochdeutscher Augen- segen in einer Cambridger Hs. des 12. Jahrh. 11, 79—82. 22(5. Blau als Trauerfarbe 11, 83. K. J. Schröer f H, 213f. Der Palmbusch in den Niederlanden 11, 215 f.

Sterbende werden auf die Erde gelegt 11, 221. Über das echte Tirolerlied {nach Zangerle) 11, 222. Wochenzettel für den kärntischen Bauerntisch 11, 222 f.

Sagen vom Rübezahl 11, 33Gf. Rec. Bucher 1, 106-109. Dania 1, 112. Schweizerisches Idiotikon 1, 221 f. 3, 107 f. 4, 338. 6, 226. 9, 105. 11, 466. Schlossar 1, 225 f. Philo vom Walde 1, 229. Bayerns Mundarten 1, 345. 2, 210. 3, 342. 4, 464. (i, 106. Hartland 1, 345. Andree 1, 346. E. H. Meyer 1, 451—454. Monseur 1, 454. Pineau 1, 454f. Grimm 1, 455. Wilhelm 1, 458. Martiny 1, 458. Widmann 1, 458. Ploss-ßartels 2, 87 f. Glock 2, 88. E. H. Meyer 2, 88. List 2, 90. Jacobs 2, 95. Hyde 2, 95. Leeb 2, 211. Franziszi 2, 211. Monseur 2, 211 f. Ammann 2, 212. Kollmann 2, 21:). Kotelmann 2, 214. Stöber- Mündel 2, 328. Monseur 2, 329. Folk- lorist 2, 329 f. Freund 2, 330. Treichel 2, 330. Günther 3, 109 f. Pineau 3, 110 f. Harou 3, 111. 467. Hofer 3, Ulf. Branky 3, 112. Symons 3, 230f. Sander 3, 231. Jevons 3, 232. Graf 3, 232. Gaidoz 3, 232 f. Cox 3, 233f. Bielenstein 3, 234 bis 236. Folklore -Congress 338 f. Bugge: Maurer 3, 839 f. Heim 3, 341. Macritchie

3, 341 f. Merkens 3, 344. Neubaur 3, 344. Krauss 3, 348. Stern 3, 463. Jacobs 3, 466. Martinengo-Cesaresco 3, 467. Le- walter 3, 467 f. Büttner 4, 96. Schröer

4, 96 f. Köhler 4, 98. Tille 4, 100 f. John 4, 101 f. Bartels 4, 102. v. d. Steinen 4. 104 f. Hörn 4, 105. Pitre 4, 218f. Rand 4, 219. Gomme 4, 223. Eckart 4, 224. Sebillot 4, 337. Erk-Böhme 4, 338f. 5, 112 f. Joyce 4, 339 f. Chatelain 4, 340 bis 343. Sebillot 4, 343. Beyer 4, 344. Schwartz

4, 460. Beiträge zur Anthropologie von Tirol 4, 461. Georgeakis-Pineau 4, 461 f. Wardrop 4, 463. Hein 4, 463 f. Doebler 4, 464. Nabert 4, 4(i5. Voss 4, 465. Ratzel

5, lOSf. 217 f. Hartland 5, llOf. 6, 103. 451 f. Jacobs .5, 111. Hansjakob 5, 114. Krohn 5, 117. Hauffen 5, 220. Tyson 5,

221 f. Gander 5, 222 f. Kock 5, 233. Cur- tin 5, 332 f. Le Braz 5, 333. Voges 5, 334. Treichel 5, 352 f. Krauss 5, 353. Denham 5, 462 f. Kohler 5, 463 f. Reiser

5, 465 f. 6, 331. 7, 333. 9, 102 f. 10, 106. 11, 2; '.2 f. Dirksen 5, 466. Fortier 5, 466. Sebillot 5, 467. Hellmann 5, 468. Cox

6, 103. K. Meyer 6, 104. Lübke 6, 106. Drechsler 6, 106 f. Larsen 6, 107. Wein- hold 6, llOf. Jacobs 6, 223. Pfaff 6, 227. Cutrera 6, 228. Hellmann 6, 228. Lang 6, 329 f. Faulisi 6, 330. Laube 6, 331. Lincke 6, -332. Bergen 6, 332 f. Edwards

6, 341. Mielke 6, 341 f. Bunker 6, 342. V. Lipperheide 6, 343. 7, 217 f. v. Hell- wald 6, 343. 462. 7, 219. 455. Andree 6, 453 f. Haas 6, 454. Schröder 6, 455 f. Bielenstein 6, 456 f. Kaindl 6, 457. Trom- batore 6, 459 f. Nagl 6, 461 f. 7, 454. 9, 461. 11, 345. Köhler-Meier 7, 108 f. Zibrt 7, 109. Mark 7, 109. Semon 7, 110. Wossidlo 7, 213 f. Knoop-Haas 7, 214. Eskuche 7, 214. Schumann 7, 216. Wand- bilder 7, 216 f. 8, 109. 358. Heierli 7, 217. 454f. 8, 109 f. 358. Lutsch 7, 218. Kaindl

7, 218 f. Böhme 7, 332 f. Pitre 7, 333 f. Sapper 7, 335 f. Matthews 7, 336 f. Tobler 7, 447 f. Olrik 7, 448. Renk 7, 448 f. Courthion 7, 449 f. Sebillot 7, 450f. Becker

7, 454. Mitt. f. deutsche Volkstrachten

8, 99 f. Schell 8, 105 f. Asmus-Knoop 8, 106. Haas 8, 106. Dähnhardt 8, 106 f. Löwenstimm 8, lOSf. Nyrop 8, 111. Esser 8, 112. Hansjakob 8, 112. Archiv f. Re- ligionswissenschaft 8, 229 f. 10, 103. 348 f. 11, 94. L'annee sociologique 8, 2.30. Wein- hold 8, 230f. Weineck 8, 231. Hesseling 8, 232. Bahlmann 8, 233. Ammann 8, 233 f. 9, 220. 10, 456 f. Sächsische Volks- trachten 8, 236 f. Kroll 8, 237. Kaindl 8, 237. Jaworskij 8, 238. Maurmann 8, 350 f. Politis 8, .351. MüUenhoff 8, 355 f. Dähn- hardt 8, 356. 462. Haass; Glock 8, 356. Strauss 8, 357. Bunker 8, 357. John- Czerny 8, 462 f. Dreselly 8, 466. Zahler

8, 4667. Die Donauländer 9, 96 f. Zibrt

9, 97. Zweck 9, 97. Dennett 9, 100. Köhler 9, 102. 11, 95f. Pestschrift für Lemke 9, 103. Gomme 9, 103-105. Frömmel 9, 105. Dachler 9, 105 f. Kaindl 9, 106. Petsch 9, 222 f. Sebillot 9, 223. Teit 9, 224 f. Höiler 9, ,342. Haas 9, 342 f. Si'billot 9, 343 f. Scherman- Krauss 9, 448 f. M. Müller 9, 452. Pichler 9, 457. Feilberg 9, 457 f. Chauvet 9, 158 f. Gittee 9, 459 f.

Weinhold— Zingerle.

479

Bächtold 9, 4lilf. Wossidlo 10, lOif. Lemke 10, 105 f. Sobillot 10, 100. Pitre 10, 107. Olrik 10, 108 f. Gusinde 10, 110. •Politis 10, UOf. Schiepek 10, 111. Justi 10, Ulf. 11, 23-2-235. Troels-Lund 10, 112 f. Lerond 10, 233. Pitre 10, 235 bis 237. Einlaufe 10, 240. Skeat 10, 350. Petsch 10, 350 f. Weise 10, 351. Lechner 10, 351. Wuttke 10, 452. Röscher 10, 453 f. Kunze 10, 454. Renk 10, 454. V. Jan 10, 455. Agnetheln 10, 456. Lange

10, 457 f. Euling 10, 458. Den danske Hejskole 10, 460. Geyer 11, 100. SebiUot

11, 100 f. Dähnhardt 11, 104. Drechsler 11, 233. Unser Egerlaud 11, 344 f. H. Meyer 11, 345 f. Brunk 11, 346 f. Wichmaun 11, 348f. Sobillot 11, 467.

IVeinliold, Laura (Fräulein, Reichenbach in Schlesien, f I9t»0: s. 10, 102). Das Lösen des Zungenbandes 5, 107. Schlesische Sagen 7, 101-104. 443-447.

Welcker, Rudolf (Direktorialassistent Dr. in Frankfurt a. M.). Rec. Naue 16, 119 f.

y. Wendheim, Marie (Fräulein, in Salzburg). Grabinschrift in Gosseusass 4, 92. Spruch des Nachtwächters in Hindelang, Algäu 9, 212. Die Stecknadel im Volksaberglauben 9, 330—333. Silberne Votivgaben der Cubaner 10, 334 f.

TVieth, Franz (in Breslau). Aus der Graf- schaft Glatz 9, 446 f.

Wilhelm, Friedrich (Privatdozent Dr. in München). Hausspriiche aus dem Stubai- tal in Tirol 9, 284-287.

Winter, A. (Libau, Kurland). 'Mein Bruder freit um mich', mythologischer Versuch über ein lettisches Volkslied und ein Lied des Rig-Veda 7, 172—184.

T. Wiuterfeld, Paul (Univ.-Professor Dr. in Berlin, j 1905). Ein lateinischer Segen mit den Namen Christi 13, 442—444.

Wisser, Wilhelm (Gymn.-Professor a. D. Dr. iu Oldenburg i. Gr.). Das Märchen vom Meisterdieb in Ostholstein 13, 301 310. Das Märchen vom Schweinehirten und der Königstochter, zwei holsteinische Fassungen 14, 432—435. Vier Volksballaden aus dem östlichen Holstein 15, 331—335. 470.

WolCf, Theodor (Pfarrer iu Niederbrombach, ßirkenfeld, f 1904). Volksleben an der oberen Nahe 12, 308-31(5. 418-429.

Wolters, Paul (Univ.-Professor Dr. in Würz- burg). Zu M. Schneckenburgers 'Wacht am Rhein' 16, 441 f.

Wossidlo, Richard (Gymn.-Professor Dr. in Waren). Der Tod im Munde des mecklen- burgischen Volkes 4, 184—195. Sage vom Nibelungenland 4, 441 f. Die grüne Wiese 5, 214. Das Naturleben im Munde des Mecklenburger Volkes 5, 302—325. 424 bis 448. Ein Viehsegen aus Mecklen- burg gegen die neunerley Elven 11, 83 f. Über die Technik des Sammeins volks- tümlicher Überlieferungen 16, 1—24.

Z.

Zachariae, Theodor (Univ.-Professor Dr. in Halle). Zur 15. Erzählung des Siddhi-Kür 9, 336 f. 10, 100-102. 13, 216-218. - Zu Goethes Parialegende 11, 186—192. Und wenn der Himmel war Papier 11, 331. Durchkriechen als Mittel zur Erleichterung der Geburt 12, 110—113. Die Paria- legende bei Bartholomäus Ziegenbalg 12, 449-456. 13, 218 f. Zur indischen Witwenverbrennung 14, 198-210. 302 bis 313. 395—407. 15, 74-90. Zum Doktor Allwissend 15, 373-379. Indische Märchen aus den Lettres edifiantes et curieuses 16, 129—149. Zur Geschichte vom weisen Haikar 17, 172—195. Die Aufgabe Stricke aus Sand zu winden 17. 4G1. _ Ein merkwürdiger Fall von Durch- ziehen 17, 315. Die weissagende in- dische Witwe 18, 177—181. Das Dach über einem Sterbenden abdecken 18, 442 bis 447. Das Vogelnest im Aberglauben 19, 142—149. Scheingeburt 20, 141 bis 181. Rec. Schrader 14, 232 f. Caland 17, 468-472.

Zaretzky, Otto (Stadtbibliothekar Dr. in Köln). Zur Hillebille 15, 93f. 16, 430.

Zeller, Gustav (Altbürgermeister in Salzburg, t 1902). Bäuerliche Krafts[)iele am Aber- see 11, 218 f. Der Nikolausabend am Abersee im Salzburgischen 11, 3;>4f. Maibaumsetzen am Abersee 12, 109f. Die Klebern 12, 214f.

Ziegler, Hans (Cand. phil. in Erlangen). Die deutschen Volksnamon der Pflanzen und die Verwandtschaft uud Vermischung der deutschen Volksstämme 20, 18—35.

Zillner, Anna (Fräulein, Lehrerin in Salz- biu-g). Vom Walser Birnbaum 10, 91 f.

Zingerle v. Sunimersberg, Ignaz (Univ.- Professor Dr. in Innsbruck, f 1892; s. 2, 442). Ochseuhaut als Landmass 2, 80. Zur Sancta Kakukabilla-Cutubilla 2. 199-201. Die drei h. Jungfrauen zu Meranseu 2.

480

Inhaltsverzeichnis zu Bd. 1—20. Zingerle— Zupitza.

32Bf. Sagen vom Sinichkopfe in Mais bei Meran 2, 441 f. Rec. Hörmann 1, 104 f. Greinz-Kapferer 1, 105 f. M. Meyer, 2, 328 f.

Zingerle v. Summersberg, Oswald (Univ.- Frofessor Dr. in Czernowitz). Segen und Heilmittel aus einer Wolfsthurner Hand- schrift des 15. Jahrh. 1, 172—177. 315 bis 324. Zum altdeutschen Bauwesen 7, 202—205. Brantreite 8, 93f. Über alte Beleuchtungsmittel 9, 55-58. Der Kuhschwanz an der Türe 9, 92 f.

Ziskal, Johann (Museumsdiener in Wien). Mährische Marteln 10, 335.

Zoder, Raimund (Lehrer in Wien). Wiener Lieder beim Pilotenschlagen 15, 338 342.

Scheibensprüche aus Oberösterreich 17, 441 f. Eine Methode zur lexikalischen Anordnung von Ländlern 18, 307—311. Die Melodien zu der Ballade von der Nonne 18, 394—411.

Zuidema, Willem (Dr. phil. in Amsterdam). Abermals Le joli tambour IG, 86 f. Zu den Mailehen 18, 101 f. St. Raspinus und Ponus 18, 102 f. Zum Märchen vom fliegenden Pfannkuchen 18, 195. Zu Kerkerings Grabschrift 18, 449. Amster- damer Häusersagen 20, 72 f.

Zupitza, Ernst (Univ.- Professor Dr. in Greifswald). Rec. Nutt 8, 104 f. Hüll 9, 101 f. Schrader 11, 89-94. 342-344. Maclagan 11, 347. Thurneysen 12, 115f.

Druck von Gebr. Unger iii Berlin, Bernburger Str. 30.

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