MAPS^; r & Rö ^ 4 MI CHn J ^il-; r O'^' r aA/1 , 1 S vN 4 f£ r './ä. ZEUGNISSE FÜR DIE STELLUNG DES MENSCHEN IN DER NATUR — — cd ■r. = *- a; & X "03 w ■/. — CS c - ^ * 3 - - X — ~ — ; ^ :, a 4-3 M — > — - ^* /. ~ ^ ■_ co — _* fco — ~ 1 s-, o — er — ■- = i- •j: c S M s; o> -Z- 7 ZEUGNISSE °^ FUB DIE STELLUNG DES MENSCHEN J N DER NATUR Drei A b h a n d 1 u n g e n : über die Naturgeschichte der menschenähnlichen Affen. über die Beziehungen des Menschen zu den nächstniederen Thieren. Über einige fossile menschliche Überreste^ - * ■*»>. n voiiiööi.y THOMAS ENRY JXLEY. AUS DKM E N G L ISCH K N V B E R S E T Z T V 1 1 N J. VI (TOR CARUS. MIT IN DEN TEXT EINGEDRUCKTEN HOLZSTICHEN. Allein berechtigte deutsche Ausgabe. BE A UNS CK WEM;. DRUCK UND VERLAG V*ON FRIEDRICH VIEWEG UND SOHN 1 8 6 3. VORWORT DES ÜBERSETZERS. xiis gereicht mir zur grossen Freude , das vorliegende Ruch meines vortrefflichen Freundes bei den deutschen Lesern einführen zu können , da es nicht nur eine Frage behandelt, deren wissenschaftlich begründete Beantwortuno; einen umgestaltenden Einfluss auf die Lebensanschauung jedes Gebildeten ausüben muss, sondern dies auch in einer sehr vorurteilsfreien, ruhi- gen Weise thut, welche wohlthätig von der leider nur zu häufig vortretenden Gereiztheit, und, der Verbreitung gesunder Ansichten sehr hinderlichen Einseitigkeit bei Besprechung ähnlicher oder verwandter Fragen absticht. So wenig es mir anstehen würde, das Werk be- sonders zu empfehlen, so kann ich doch nicht umhin, ausser auf die äusserst vollständige Mittheilung des r> Thatbestandes vorzüglich auf die Einleitung zur zweiten Abhandlung aufmerksam zu machen. Es ist wohl selten nicht bloss die Continuität der menschlichen Be- VI Vorwort des L ebe rsetzers. . strebungen über gewisse Fragen zur Klarheit zu ge- langen, sondern auch die genetische Abhängigkeit der einzelnen Beantwortungsversuche so bündig dargestellt worden , wie hier. Auch sei mir erlaubt darauf auf- merksam zu machen, wie der Verfasser, ein erklärter Anhänger Darwin's, ausdrücklich darauf hinweist, welch' srosse Aufgaben wir in Folge der Darwinschen Theorie noch zu lösen haben. Es wird damit besonders denen ein wissenschaftlicher Dienst erwiesen, welche zu glauben scheinen, dass sich die Naturforscher nun leichten Kaufs über alle Schwierigkeiten hinwegsetzen zu können meinten. Dass sich der Verfasser in Bezug auf den Inhalt der dritten Abhandlung lediglich an die ana- tomischen Thatsachen gehalten hat, ohne, auf das geologische Detail einzugehen (über welches sich leider neuerdings ein unerquicklicher persönlicher Streit in England erhoben hat), ist durch das gleichzeitige Er- scheinen des Buches von Sir Charles Lyell hinreichend gerechtfertigt. Gerade die hier geäusserten Ansichten dürften besonders den Anthropologen und Ethnogra- phen zur Beherzigung zu empfehlen sein. Leipzig, im Juni L863. J. Victor Carus. INHALTSVERZEICHNIS. I Seite. Ueber die Naturgeschichte der menschenähnlichen Affen .... 1 II Ueber die rJeziehungen des Menschen zu den nächstniederen Thieren . . . .* 64 III Leber einige fossile menschliche Ueberreste 135 I. Ueber die Naturgeschichte der men- schenähnlichen Affen. it)vTJ Werden alte Ueberlieferungen an der Hand der strenge- ren Untersuchungen unserer Zeit geprüft, so erbleichen sie gewöhnlich genug zu blossen Träumen. Es ist indess eigen- thümlich, wie oft ein solcher Traum sich als ein halbwacher herausstellt, der etwas real ihm zu Grunde Liegendes voraus- sagt. Ovid deutete die Entdeckungen der Geologen vorher an; die Atlantis war ein Erzeugniss der Einbildungskraft, aber Columbus entdeckte dann die westliche Welt; und obschon die seltsamen Formen der Centauren und Satyrn nur im Bereiche der Kunst existiren, so kennt man doch jetzt nicht bloss im Allgemeinen, sondern ganz sicher und notorisch Geschöpfe, die dem Menschen in ihrem wesentli- chen Bau noch näher stehen als jene, und doch durchaus so thierisch sind, wie die Bock- und Pferdehälfte jener mythi- schen Zusammensetzungen. Ich habe keine Notiz über einen der menschenähnlichen Affen von früherem Datum gefunden, als die in Pigafetta's ., Beschreibung des Königreichs Congo" *) enthaltene, welche *) Regnum Congo: hoc est Vera Descriptio Regni Afri- cani quod tarn ab incolis quam Lusitanis Congus ap- pellatur, per Thilippum Pigafettam, olim ex Edoardo Lopez acro- amatis lingua Italica excerpta, nunc Latio sermone donata ab August. Cassiod. Reinio. Iconibus et imaginibus rerum memorabilium quasi vi- vis, opera et industria Joan. Theodori et Joan. Israelis de Ery, fra- trum exoruata. Francofurti, MDXCVIII. Huxley, Stellung des Menschen. 1 Ueber die Naturgeschichte Beschreibung nach den Bemerkungen eines Portugiesischen Matrosen, Eduardo Lopez, angefertigt und 1598 veröffent- licht wurde. Das zehnte Kapitel dieses Werkes trägt den Titel: „De Animalihus quae in hac provincia reperiuntur" und enthält eine kurze Stelle des Inhalts, dass es „im Lande Songan, an den Ufern des Zaire, eine grosse Menge Affen giebt, welche durch das Nachahmen menschlicher Gesten den Vornehmen grosses Ergötzen gewähren." Da man dies fast auf jede Art Affen beziehen könnte, würde ich wenig auf die Stelle gegeben haben, hätten es nicht die Brüder De Bry, deren Stiche das Werk illustriren, für passend er- achtet, in ihrem elften „Argumentum" zwei dieser „Simiae magnatum deliciae" abzubilden. Der die Affen enthaltende Theil dieser Tafel ist in dem Holzschnitt, Fig. 1, getreu co- pirt worden; man wird bemerken, dass die Affen schwanzlos, Fig. 1. langarmig und grossohrig, und un- gefähr von der Grösse des Chim- panze sind. Es könnte nun sein, dass diese Affen ebenso Gebilde der Einbildungskraft der genialen Brü- der seien, wie der geflügelte, zweibei- : — nige, krokodilkö- pfige Drache, der Simiae lmigimtiuii deliciae. ■- De Ury, 159«. lio-olKo Tafol schmückt; andererseits könnten aber die Künstler ihre Zeich- nungen nach irgend einer im Wesentlichen treuen Beschrei- bung eines Gorilla oderChimpanze angefertigt haben. Wenn nun auch in beiden Fällen diese Figuren einer kurzen Er- wähnung werth waren, so datiren doch die ältesten glaub- würdigen und bestimmten Berichte über irgend ein Thier die- der menschenähnlichen. Affen. 3 ser Art aus dem 17. Jahrhundert. Sie rühren von einem Engländer her. Die erste Ausgabe jenes äusserst unterhaltenden alten Buches, „Purchas' Wanderschaft" (Purchas hisPilgrimage), erschien 1613, und hier finden sich viele Hinweise auf die Angaben eines Mannes, den Purchas bezeichnet als „Andreas Battell (mein naher Nachbar, zu Leigh in Essex wohnhaft), welcher unter Manuel Silvera Perera, Gouverneur unter dem Könige von Spanien, in seiner Stadt St. Paul diente und mit ihm weit in das Land Angola hineingieng" ; und weiter „mein Freund Andreas Battle, welcher viele Jahre im Königreiche Congo lebte", und welcher „nach irgend einem Streite zwi- schen den Portugiesen (unter denen er Sergeant einer Ab- theilung war) und ihm selbst acht oder neun Monate in den Wäldern lebte". Von diesem wettergebräunten alten Sol- daten hörte Purchas mit Staunen „von einer Art grosser Affen, wenn man sie so nennen kann, von der Grösse eines Mannes, aber zweimal so dick in der Gestalt ihrer Glied- maassen, mit. verhältnissmässiger Kraft, über den ganzen Körper behaart, im Uebrigen durchaus wie Männer und Weiber in ihrer ganzen körperlichen Gestalt.*) Sie leben von solchen wilden Früchten, wie sie die Bäume und Wälder darbieten und wohnen zur Nachtzeit auf den Bäumen". Dieser Auszug ist indess weniger ausführlich und klar in seinen Angaben als eine Stelle im dritten Kapitel des zweiten Theils eines andern Werkes — „Purchas' Wande- rungen- (Purchas his Pilgrimes), 1625 erschienen, von dem- selben Verfasser — , welches oft schon, aber kaum jemals völlig richtig citirt worden ist. Das Kapitel führt den Titel : „Die wunderbaren Abenteuer des Andreas Battell aus Leigh in Essex, von den Portugiesen als Gefangener nach Angola geschickt, welcher dort und in den angrenzenden Gegenden *) „Ausgenommen dass ihre Beine keine Waden hatten." — (Ed. 1626.) Und in einer Randnote: „Diese grossen Affen werden Pongo's genannt." 1* 4 lieber die Naturgeschichte nahezu achtzehn Jahre lehte." Der sechste Abschnitt dieses Kapitels ist überschrieben: „Von den Provinzen Bongo, Ca- longo, Mayombe, Manikesocke, Motimbas: von den Affen- ungeheuern Pongo, ihrer Jagd: Götzendienereien ; und ver- schiedene andere Beobachtungen." „Diese Provinz (Calongo) gränzt nach Osten an Bongo und nach Norden an Mayombe, welches der Küste entlang neunzehn (franz.) Meilen von Longo entfernt ist. „Diese Provinz Mayombe ist ganz Wald und Ilain, so überwachsen, dass man zwanzig Tage im Schatten ohne Sonne oder Hitze reisen kann. Hier giebt es keine Art Getreide oder Korn, so dass die Leute nur von Pisang und Wurzeln verschiedener sehr guter Art und von Nüssen leben; auch giebt es weder irgend eine Art zahmen Viehs noch Hühner. „Sie haben aber grosse Mengen von Elephantenfleisch, welches sie hoch schätzen, und viele Arten wilder Thiere; und grosse Mengen von Fischen. Hier ist eine grosse sandige Bucht, zwei Meilen nördlich vom Cap Negro,*) welche der Hafen von Mayombe ist. Die Portugiesen laden zuweilen Farbholz in dieser Bucht. Hier ist ein grosser Fluss, Banna genannt; im Winter hat er keine Barre, weil die Winde eine hohe See verursachen. Wenn aber die Sonne ihre südliche Declination hat, dann kann ein Boot einfahren ; denn dann ist er des Regens wegen glatt. Dieser Fluss ist sehr gross und hat viele Inseln, und Leute, die auf diesen leben. Die Bäume sind so bedeckt mit Pavianen, Meerkatzen und grossen Affen, dass sich wohl Jedermann fürchtet, in den Wäldern allein zu reisen. Hier giebt es auch zwei Arten von Unge- heuern, die in den Wäldern gemein und sehr gefährlich sind. ..I>as grössere der beiden Ungeheuer wird in ihrer Sprache Pongo genannt, das kleinere heisst Engeco. Dieser Pongo ist in der ganzen Gestalt wie ein Mensch, nur dass er der Grösse nach mehr einem Riesen als einem Mannt1 ) Purchai ' Anmerkung. — Cap Negro ist IG Grad südlifch von der Linie der menschenähnlichen Affen ähnlich ist; denn er ist sehr gross, hat eines Menschen Antlitz, hohläugig, mit langen Haaren in den Augenbrauen. Sein Gesicht und seine Ohren sind ohne Haare, ebenso seine Hände. Sein Körper ist voller Haare, aber nicht sehr dicht; das Haar ist von schwarzbrauner Farbe. „Er ist vom Menschen nur in seinen Beinen verschieden, denn er hat keine Waden. Er geht immer auf seinen I »einen und hält die Hände im Genick übereinandergeschlagen, wenn er auf der Erde geht. ■ Sie schlafen auf den Bäumen und bauen sich Schutzdächer gegen den Regen. Sie nähren sich von Früchten, die sie in den Wäldern finden, und von Nüssen ; denn sie essen keine Art von Fleisch. Sie können nicht sprechen und haben nicht mehr Verstand als ein Thier. Wenn die Leute im Lande in den Wäldern arbeiten, so zünden sie Feuer an, wo sie in der Nacht schlafen; und wenn sie Morgens fortgegangen sind, kommen die Pongos und setzen sich um das Feuer, bis es ausgegangen ist; denn sie verstehen nicht, Holz zusammenzulegen. Es gehen ihrer immer viele zusammen und tödten viele Neger, die in den Wäldern arbeiten. Oftmals fallen sie über die Elephanten her, die zum Fressen dahin kommen, wo sie sind, und schlagen sie so mit ihren geballten Fäusten und Holzstücken, dass jene brüllend ausreissen. Diese Pongos werden niemals lebendig gefangen, weil sie so stark sind, dass zehn Männer nicht einen halten können; sie fangen aber viele von ihren Jungen mit vergifteten Pfeilen. „Der junge Pongo hängt am Bauche seiner Mutter mit seinen Händen fest um sie herumgeschlagen , so dass die Kingebornen, wenn sie eius von den Weibchen tödten, das Junge fangen, welches fest an seiner Mutter hängt. „Wenn einer unter ihnen stirbt, so bedecken sie den Tödten mit grossen Haufen von Zweigen und Holz, wie es gewöhnlich im Walde gefunden wird."*) *) Purchas' Randbemerkung, p. 982: —„Der Pongo, ein riesiger Affe. Er erzählte mir bei einer Besprechung, dass einer dieser Pongos 6 Ueber die Naturgeschichte Es scheint nicht schwer zu sein, die Gegend genau zu bestimmen, von welcher Battell spricht. Longo ist ohne Zweifel der Name des auf unsern Karten gewöhnlich Loango geschriebenen Platzes. Mayombe liegt noch ungefähr neun- zehn Lieues nördlich von Loango, der Küste entlang; und Cilongo oder Kilonga, Manikesocke und Motimbas werden noch von den Geographen verzeichnet. Das Cap Negro ßattell's aber kann nicht das heutige Cap Negro in 16° südlicher Breite sein, da Loango selbst unter 4° südlicher Breite liegt. Andererseits entspricht der ,.grosse Fluss ge- nannt Banna" sehr gut dem „Camma" und „Fernand Vas" der neueren Geographen, die an diesem Theile der Afrikani- schen Küste ein grosses Delta bilden. Dies „Camma"-Land nun liegt ungefähr anderthalb Grad südlich vom Aequator, während wenige Meilen nördlich von der Linie der Gaboon und einen Grad oder ungefähr so nördlich von diesem der Money River liegt — beide neueren Naturforschern sehr wohl als Oertlichkeiten bekannt, wo die grössten menschenähnlichen Affen gefunden worden sind. Uebrigens wird noch heutzutage das Wort Engeco oder N'schego von den Eingebornen dieser Gegenden zur Be- zeichnung des kleineren der zwei grossen Affen, die dort leben, gebraucht. Es kann daher kaum ein vernünftiger Zweifel darüber aufkommen , dass Andreas Battell das be- richtet, was er aus eigner Anschauung kannte, oder jeden- falls wenigstens was er aus unmittelbaren Berichten der Eingebornen des westlichen Afrika erfahren hatte. Der „Engeco" indess ist jenes „andere Ungeheuer", dessen Natur einen seiner Negerknaben wegnahm, der einen Monat mit ihnen lebte. Denn sie verletzen die nicht, die 6ie unvermuthet überraschen, aus- genommen sie sehen sie an, was jener vermied. Er sagte, ihre Grösse wäre die eines Mannes, ihre Dicke wäre zweimal so gross. Den Negerknaben habe ich gesehen. Was das andere Ungeheuer wäre, hat er zu schildern vergessen; auch kamen diese Papiere erst nach seinem Tode in meine Hände, sonst würde ich es bei unsern häu- figen Besprechungen erfahren haben. Vielleicht meint er die er- wähnten Pigmy Pongo-tödter." der menschenähnlichen Affen. 7 Batteil „zu schildern vergass", während der Name „Pongo" — der für das Thier gebraucht wurde, dessen Charaktere und Gewohnheiten so umständlich und sorgfältig beschrieben werden — ausgestorben zu sein scheint, wenigstens in seiner ursprünglichen Form und Bedeutung. Es giebt in der That Beweise dafür, dass er nicht bloss in Battell's Zeit, sondern noch bis zu einem viel neueren Datum herab in einem Sinne gebraucht wurde, der gänzlich von dem verschieden war, in dem Batteil ihn anwendet. Es enthält z. B. das zweite Kapitel von Purchas' Werke, das ich vorhin citirt habe, „Eine Beschreibung und geschichtliche Erklärung des Goldnen Königreichs Guinea etc. etc., aus dem Holländischen übersetzt und mit dem Lateinischen verglichen," worin es heisst (S. 986): „Der Fluss Gaboon liegt ungefähr fünfzehn Meilen nörd- lich von Rio de Angra und acht Meilen nördlich vom Cap de Lope Gonsalvez (Cap Lopez) und ist gerade unter der Linie, ungefähr fünfzehn Meilen von St. Thomas, und ist ein grosses Land, gut und leicht zu kennen. An der Mündung des Flusses liegt drei oder vier Faden tief eine Sandbank, auf welcher eine starke Brandung herrscht wegen der aus dem Flusse in das Meer ausgehenden Strömung. Dieser Fluss ist an seiner Mündung wenigstens vier Meilen breit; aber in der Nähe der Pongo genannten Insel ist er nicht über zwei Meilen breit . . . Auf beiden Seiten des Flusses stehen viele Bäume . . . Die Pongo genannte Insel, die einen ungeheuer hohen Berg hat." Die französischen Flottenoffiziere, deren Briefe der aus- gezeichneten Abhandlung des verstorbenen Isidore Geoffroy Saint Hilaire über den Gorilla*) beigegeben sind, geben die Breite des Gaboon in ähnlicher Weise an, ebenso die Bäume, welche seine Ufer bis zum Wasserspiegel herab bekleiden, ebenso die starke von ihm in das Meer ausgehende Strömung. *) Archives du Museum, Tome X. 8 ('eher die Naturgeschichte Sie beschreiben zwei Inseln in seiner Mündung, — eine niedrige, genannt Perroquet; die andere ist hoch mit drei conischen Bergen, Coniquet genannt; und einer von ihnen, M. Franquet, führt ausdrücklich an, dass früher der Häupt- ling von Coniquet Meni-Pongo genannt worden wäre, was so viel heisst als Herr von Pongo, und dass die N'Pongues (wie er in Uebereinstimmung mit Dr. Savage versichert, dass sich die Eingebornen nennen) die Mündung des Gaboon selbst N'Pongo nennen. Im Verkehr mit Wilden ist es so leicht, ihre Anwendun- gen von Worten auf Dinge misszuverstehen, dass man zu- nächst zu vermuthen geneigt ist, Battell habe den Namen der Gegend, wo sein „grösseres Ungeheuer" noch reichlich vorkömmt, mit dem Namen des Thieres selbst verwechselt. In Bezug auf andere Gegenstände (mitEinschluss des Namens für das „kleinere Ungeheuer") hat er aber so völlig Recht, dass man den alten Reisenden nur ungern im Irrthum ver- muthet; und auf der andern Seite werden wir sehen, dass hundert Jahre später ein anderer Reisender den Namen „Boggoe" erwähnt als von den Einwohnern eines ganz andern Theils von Afrika — Sierra Leone — auf einen grossen Affen bezogen. Ich muss indessen diese Frage den Philologen und Reisenden zur Entscheidung überlassen; auch würde ich mich kaum so lange dabei aufgehalten haben, wäre es nicht wegen der merkwürdigen Rolle, welche dies Wort „Pongo" in der spätem Geschichte der menschenähnlichen Affen ge- spielt hat. Die nächste Generation nach Batteil sah den ersten menschenähnlichen Affen, der je nach Europa gebracht wurde, oder wenigstens, dessen Besuch einen Geschichtschreibcr fand. Im dritten Buch der „Observationes medicae" des Tul- pius, 1641 erschienen, ist das 56. Kapitel (oder der 56. Abschnitt) dem von ihm sogenannten Satyrus Indiens gewidmet, „von den Indiern Orang-outang genannt, von den Afrikanern der menschenähnlichen Affen. 0 Quoias Morrou". Er gicbt, augenscheinlich nach dem Leben, eine sehr gute Abbildung des Exemplars dieses Thieres, Fig. 2. Ifane Sylveftns. Orang Outang. - V-irif/i: nostra memoria ex Angola dclatum, ein Geschenk für den Prinzen Friedrich Hein- rich von Oranien. Tulpius sagt, es sei so gross wie ein Kind von drei Jahren, und so dick wie ein sechs- jähriges; und dass sein Kücken mit schwarzemHaar bedeckt war. Es ist offen- bar ein junger Chimpanze Unterdessen wurde die Existenz anderer Asiati- scher menschenähnlicher ja Affen bekannt, anfangs je- i 1P doch in sehr mythischer Der Orang des Tulpius, 1641. Weise. So giebt BontillS (1658) eine durchaus fabelhafte und lächerliche Beschreibung und Abbildung eines Thieres, das er „Orang-outang" nennt ; und obgleich er sagt „vidi Ego cujus effigiem hie exhibeo", so ist doch die erwähnte Abbildung (vergleiche Fig. 6 nach Hoppius' Copie) nichts als eine sehr behaarte Frau von im Allgemeinen anständigem Ansehen, in ihren Proportionen und Füssen völlig menschlich. Der besonnene englische Anatom Tyson war berechtigt, von dieser Beschreibung desBontius zu sagen: „Ich gestehe, ich traue der ganzen Darstellung nicht.'- Dem letztgenannten Schriftsteller und seinem Mitar- beiter Cowper verdanken wir den ersten Bericht über einen menschenähnlichen Affen, der irgend welche Ansprüche auf wissenschaftliche Genauigkeit und Vollständigkeit machen kann. Die Abhandlung mit dem Titel „ürang-outang sive Homo sylvestris ; or the Anatomy of a Pygmie compared with that ofaMonkey, an Ape and a Manu, von der Royal Society im Jahre 1699 herausgegeben, ist in der That ein Werk von 10 Ueber die Naturgeschichte merkwürdigem Verdienst und hat in gewissen Beziehungen spätem Untersuchern als Vorbild gedient. Tyson erzählt uns: „Dieser Pygmie wurde von Angola in Afrika gebracht, war aber erst ein grosses Stück weiter hinauf im Lande ge- fangen worden"; sein Haar „war kohlschwarz von Farbe und schlicht-', und „wrenn er wie ein Vierfüssler auf allen Vieren ging, so war es ungeschickt ; er setzte nicht die Hand- fläche platt auf den Boden, sondern ging auf den Knöcheln, wie ich es ihn habe thun sehen, wenn er schwach und nicht kräftig genug war, den Körper zu tragen''. — „Von der Höhe des Kopfes bis zur Ferse des Fusses maass er in einer ge- raden Linie sechs und zwanzig Zoll." Fig. 3. Fig. 4. Der „Pygmie1, nach Tyson's Figuren 1 und 2 verkleinert, 1699. Diese Charaktere würden selbst ohne Tyson's gute Fi- guren (Fig. 3 und 4) zu dem Beweise genügt haben, dass sein „Pygmie" ein junger Chimpanze war. Da sich mir in- dessen höchst unerwartet die Gelegenheit dargeboten hat, der menschenähnlichen Affen. 11 das Skelet des nämlichen Exemplars zu untersuchen, das Tyson anatomirt hatte, so bin ich im Stande, ein ganz un- abhängiges Zeugniss dafür abzulegen, dass er ein wirklicher, wenngleich noch sehr junger Troglodytcs niger*) war. Ob- gleich Tyson die Aehnlichkeiten zwischen seinem Pygmie und dem Menschen völlig anerkannte, so übersah er doch keineswegs die Verschiedenheiten zwischen den bei- den, und er schliesst seine Abhandlung damit, dass er zuerst die Punkte zusammenstellt, in denen „der Orang-outang oder Pygmie dem Menschen ähnlicher ist, als Affen und Meer- katzen", und zwar in sieben und vierzig besondern Abschnitten, und dann in vier und dreissig gleicherweise kurzen Para- graphen die Beziehungen, „in denen der Orang-outang oder Pygmie vom Menschen abweicht und mehr dem Affen- und Meerkatzengeschlecht gleicht". Nach einer sorgfältigen Uebersicht der zu seiner Zeit über den Gegenstand vorhandenen Literatur kömmt unser Verfasser zu dem Schlüsse, dass sein „Pygmie" weder mit den Orangs des Tulpius- und Bontius identisch ist, noch mit dem Quoias Morrou des Dapper (oder vielmehr des Tulpius), dem Barris des D'Arcos, noch mit dem Pongo Battell's, dass es vielmehr eine Affenart ist, die wahrscheinlich mit den Pygmäen der Alten identisch ist; und obgleich er, sagt Tyson, „einem Menschen in vielen seiner Theile so sehr ähnlich ist, mehr als irgend ein Affe oder irgend ein anderes Thier in der Welt, das ich kenne, so betrachte ich ihn doch durchaus nicht als das Product einer Kreuzung, — es ist ein Thier sui generis und eine besondere Species von Affen." Der Name „Chimpanze", unter dem einer der Afrikani- *) Ich danke es dem Dr. Wright von Cheltenham, dessen palae- ontologische Arbeiten so wohl bekannt sind, dass er diese interessante Reliquie zu meiner Kenntniss brachte. Tyson's Enkelin, wie es scheint, heirathete Dr. Allardyce, einen genannten Arzt in Cheltenham, und brachte ihm als Theil ihrer Mitgift das Skelet des „Pygmie" zu. Dr. Allardyce schenkte es dem Cheltenham Museum, und durch die freund- lichen Bemühungen meines Freundes Dr. Wright liehen mir die Vor- stände des Museums seine vielleicht merkwürdigste Zierde. 12 lieber tue Naturgeschichte seilen Affen jetzt so wohl bekannt ist, scheint in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts in Gebrauch gekommen zu soin; aber die einzige wichtige Erweiterung unserer Kenntniss der menschenähnlichen Affen Afrika's aus jener Zeit ist in der Neuen Reise nach Guinea von William Smith enthalten, die das Datum 1744 trägt. Bei der Beschreibung der Thierc von Sierra Leone, p. 51, sagt der Verfasser : „Ich will zunächst eine cigenthümliche Art von Thieren Fig. 5. Facsimile der Figur des „Maudrill" vou William Smith, 1741. beschreiben, welches die "Weissen hier zu Lande Mandrill*) *) „Mandrill" scheint „ein menschenähnlicher Affe" zu heissen, da das Wort „Drill" oder „Dril" vor Zeiten in England gebraucht wurde, um einen Allen oder Pavian zu bezeichnen. So finde ich in Blount's „Glossographia, or a Dictionary interpreting the hard words of whatsoever languagc now used in our relined English tongue . . . very useful for all such as desire to understand what they read", 1681 erschienen: „Dril: Werkzeug eines Steinarbeiters, womit er kleine Löcher in Marmor bohrt etc. Auch ein grosser ausgewachsener Alle oder Pavian wird so genannt." In demselben Sinne wird „Drill" in Charleton's „Onomastieon Zoicon", 1688, gebraucht. Die eigentüm- liche Etymologie, die Buflbn von dem Worte giebt, scheint kaum wahrscheinlich. der menschenähnlichen Affen. 13 nennen; warum sie es so nennen, weiss ich aber nicht, noch hörte ich je den Namen zuvor; auch können die, die es so nennen, mir es nicht angeben, es müsste denn wegen der grossen Aehnlichkeit mit einem menschlichen Geschöpf sein, da es durchaus keinem Affen gleicht. Erwachsen ist sein Körper im Umfang so dick wie der eines mittelgrossen Mannes, — seine Beine viel kürzer, seine Füsse aber grösser, Arme und Hände im Verhältniss. Der Kopf ist ungeheuer gross und das Gesicht breit und platt, ohne irgend welche Haare ausser an den Augenbrauen; die Nase ist sehr klein, der Mund breit, die Lippen dünn. Das von einer weissen Haut bedeckte Gesicht ist ungeheuer hässlich, ganz über und über faltig wie bei alten Leuten; die Zähne sind breit und gelb; die Hände haben ebensowenig Haare wie das Ge- sicht, aber dieselbe weisse Haut, während der ganze übrige Körper mit langem schwarzem Haar, wie ein Bär, bedeckt ist. Sie gehen niemals auf allen Vieren, wie Affen; wenn sie geärgert oder geneckt werden, schreien sie ganz wie Kinder . . . „Als ich in Sherbro war, machte mir ein gewisser Mr. Cummerbus, den ich hernach noch zu erwähnen Veranlassung haben werde, mit einem dieser merkwürdigen Thiere ein Geschenk; die Eingebornen nennen sie Boggoe: es war ein junges, sechs Monate altes Weibchen, aber schon damals grösser als ein Pavian. Ich übergab es der Sorge eines der Sklaven, welcher wusste, wie es zu füttern und zu pflegen war, da es ein sehr zartes Thier war; sobald ich aber das Verdeck verliess, fingen die Matrosen an, es zu necken — die einen sahen seine Thränen gern und hörten es gern weinen; andere hassten seine Schmutznase; als einer, der es schlug, vom Neger, der es besorgte, angefahren wurde, sagte er dem Sklaven, er habe seine Landsmännin sehr gern und fragte ihn, ob er sie nicht gern zur Frau nehmen möchte? Darauf antwortete der Sklave sehr schlagfertig: „Nein, das ist nicht meine Frau; das ist eine weisse Frau, das ist eine passende Frau für Dich." Ich glaube, dieser unglückliche Witz 14 lieber die Naturgeschic] ite des Negers beschleunigte seinen Tod, denn am nächsten Morgen fand man es todt unter der Winde." William Smith's „Mandrill" oder „Boggoe" war ohne Zweifel ein Chimpanze, wie seine Beschreibung und Ab- bildung bezeugen. Linne kannte aus eigner Beobachtung nichts von den menschenähnlichen Affen, weder Afrika's noch Asiens; in- dessen kann man annehmen, dass eine Dissertation seines r Schülers Hopp ius in den „AmoenitatesAcademicaeu(VI. ,An- thropomorpha') seine Ansichten über diese Thiere enthalte. Die Dissertation wird durch eine Tafel erläutert, von welcher der beistehende Holzschnitt, Fig. 6, eine ver- kleinerte Copie ist. Die Figuren sind (von links nach rechts) bezeichnet als: 1. Troglodyta Bontii; 2. Lucifer Äldrovandi; 'S. Satyrus Tulpii ; 4. Pygmaeas Edwardi. Das erste ist eine Fig. 6. «*• ri ) Vu Die Anthropomorplia Linnens. schlechte Copie von Bontius1 imaginärem „Orang-outangu, an dessen Existenz indess Linne vollständig geglaubt zu haben scheint; wenigstens wird er in der Originalausgabe des „Systema naturae" als eine zweite Species Homo ange- führt, „H. nocturnus". Lucifer Äldrovandi ist eine Copie einer Figur in Äldrovandi „De Quadrupedibus digitatis vivi- paris-\ Lib. 2. p. 249 (1645) bezeichnet: „Cercopithecusformae der menschenähnlichen Affen. 15 rarae Barbüius \ oeatus et originem a china ducebat." Hop- pius ist der Ansicht . dass dies möglicherweise einer jener katzenschwänzigen Menschen sei, von denen Nicolaus Köping versichert, dass sie eine Bootsmannschaft, den „gubernator naws"und alle miteinander auffrässen ! Im ,,Systema naturae" nennt ihn Linne in einer Anmerkung Homo caudatus und scheint geneigt zu sein, ihn als dritte Species Mensch zu be- trachten. Der Satyrus Tulpii ist nach Temminck eine Copie der Figur eines Chimpanze. die Scotin 1738 publicirte, die ich nicht gesehen habe. Es ist der Satyrus indicus des „Systema naturae" und wird von Linne für eine möglicherweise vom Satyrus sylvestris \erschiedene Art gehalten. Das letzte, der Pygmaeus Edwardi ist nach der Abbildung eines jungen ., Waldmenschen1' oder wirklichen Orang-Utan copirt, die in Edwards' ,,Gleanings of Natural History" (1758) gegeben ist. Buffon war glücklicher als sein grosser Nebenbuhler. Er hatte nicht bloss die seltene Gelegenheit, einen jungen Chim- panze lebendig beobachten zu können, sondern er gelangte auch in den Besitz eines erwachsenen Asiatischen menschen- ähnlichen Affen — des ersten und letzten erwachsenen Exemplars irgend eines dieser Thiere, die für viele Jahre nach Europa gebracht wurden. Unter der werthvollen Un- terstützung Daubenton's gab Buffon eine ausgezeichnete Beschreibung dieses Geschöpfes, das er nach seinen eigen- thümlichen Körperverhältnissen den langarmigen Affen oder Gibbon nannte. Es ist der heutige Hylobates lar. Als daher Buffon im Jahre 1766 den vierzehnten Band seines grossen Werkes schrieb, kannte er aus persönlicher Anschauung das Junge von einer Art Afrikanischer menschen- ähnlicher Affen und das Erwachsene einer Asiatischen Art, während er den Orang-Utan und den Smith'schen Mandrill aus Beschreibungen kannte. Ausserdem hatte der Abbe Prevost einen grossen Theil von Purchas1 Wanderungen in seiner „Histoire generale des Voyages" ins Französische übersetzt (1748), und hier fand Buffon eine Uebersetzung von Andreas Battell's Beschreibung des Pongo und des En- 16 Ueber die Naturgeschichte geco. Alle diese Angaben versucht Buffon in dem „Les Orang-outangs ou le Pongo et le Jocko" überschriebenen Kapitel mit einander in Uebereinstimmung zu bringen. Dieser Ueberschrift ist die folgende Anmerkung beigefügt: „Orang-outang, nom de cet animal aux Indes orientales: Pongo, nom de cet animal a Lowando Province de Congo. „Jocko, Enjocko, nom de cet animal ä Congo que nous avons adopte. En est l'article que nous avons retranche." Andreas Battell's „Engeco" wurde auf diese Weise in ,,Jocko" verwandelt und in dieser letzteren Form über alle Welt verbreitet, in Folge der ausgedehnten Popularität von Buffon's Werken. Der Abbe Prevost und Buffon thaten aber noch mehr als Battell's nüchternen Bericht durch „Weglassen eines Artikels" zu entstellen. So gab Buffon Battell's Angabe, dass die Pongos „nicht sprechen können und nicht mehr Verstand haben als ein Thier" in der Art wieder, „qu'il ne peut parier, quoiqu'il ait plus d'entendement que les autres cmimaux" ; ferner steht die Versicherung Purchas', „bei einer Unterredung mit ihm sagte er mir, dass einer dieser Pongos einen Negerknaben nahm, der einen Monat unter ihnen lebte," in der französischen Uebersetzung so, „un pongo lui enleva un petit negre qui passa un an entier dans la societe de ces animaux." Nach Mittheilung der Beschreibung des grossen Pongo bemerkt Buffon mit Recht, dass alle „Jockos" und „Orangs", die bis dahin nach Europa gebracht wären, jung gewesen seien; und er stellt die Vermuthung auf, dass sie im erwach- senen Zustande so gross wie der Pongo oder der „grosse Orang" sein möchten, so dass er vorläufig die Jockos, Orangs und Pongos ah? alle zu einer Art gehörig betrachtet. Und vielleicht war dies gerade soviel als der Zustand der Kennt- niss zu jener Zeit erlaubte. Wie es aber kam, dass Buffon die Aehnlichkeit des Smith'schen Mandrill mit seinem eigenen Jocko übersah und den ersteren mit einem so gänzlich ver- schiedenen Geschöpf verwechselte, wie der Pavian mit blauem Gesicht ist, ist nicht leicht einzusehen. der menschenähnlichen Affen. 17 Zwanzig Jahre später änderte Buffon seine Ansicht *) und äusserte die Meinung, dass die Orangs eine Gattung mit zwei Arten bildeten. — eine grössere, der Pongo Battell's, und eine kleinere, der Jocko; dass die kleinere (Jocko) der ostindische Orang sei ; und dass die jungen Thiere von Afrika, die er selbst und Tulpius beobachtet hätten, nur junge Pongos wären. In der Zwischenzeit gab der holländische Naturforscher Yosmaer eine sehr gute Beschreibung und Abbildung eines jungen, lebendig nach Holland gebrachten Orangs (1778), und sein Landsmann, der berühmte Anatom Peter Camper, veröffentlichte (1779) eine Abhandlung über den Orang-Utan von ähnlichem Werthe wie die Tyson' s über den Chimpanze. Er anatomirte mehrere Weibchen und ein Männchen, welche alle er nach der Beschaffenheit ihrer Skelete und ihrer Be- zahnung mit Recht für junge Thiere hielt. Nach Analogie vom Menschen aus urtheilend, schliesst er indessen, dass sie im erwachsenen Zustande vier Fuss Höhe nicht überschritten haben könnten. Uebrigens ist er sich völlig klar über die specifische Verschiedenheit des wahren ostindischen Orang. „Der Orang", sagt er, „weicht nicht bloss vom Pigmy des Tyson und vom Orang des Tulpius durch seine besondere Farbe und seine langen Zehen, sondern auch durch seine ganze äussere Form ab. Seine Arme, seine Hände und seine Füsse sind länger, während die Daumen im Gegentheil viel kürzer und die grossen Zehen im Yerhältniss viel kleiner sind" **). Und ferner : „Der wahre Orang, das ist der asiatische von Borneo , ist also nicht der Pithecus oder der unge- schwänzte, von. den Griechen und vornehmlich von Galen beschriebene Affe. Er ist weder der Pongo, noch der Jocko, noch der Orang des Tulpius, noch der Pigmy des Tyson, sondern ist ein Tliier einer besonderen Art, wie ich aus dem *) Histoire naturelle, Suppl. Tome 7. 1789. **) Camper, Oeuvres, I, p. 56. Huxley, Stellung des Menschen. 18 Ueber die Naturgeschichte Sprachorgane und dem Knochenbau auf das Klarste nach- weisen werde" *). Wenige Jahre später publicirte Radermacher, welcher eine hohe Stellung in der Regierung der holländischen Be- sitzungen in Indien einnahm und ein thätiges Mitglied der Batavischen Gesellschaft der Künste und Wissenschaften war, im zweiten Bande der Verhandlungen dieser Gesell- schaft**) eine Beschreibung der Insel Borneo, die zwischen 1779 und 1781 geschrieben ist und unter vielen anderen interessanten Dingen auch einige Bemerkungen über den Orang enthält. Er meint, die kleinere Art des Orang-Utan, nämlich die von Vosmaer und Edwards, werde nur auf Borneo und vorzüglich um Banjermassing, Mampauwa und Landak gefunden. Von dieser Art hatte er während seines Aufenthaltes in Indien einige fünfzig gesehen ; keiner aber war länger als höchstens 2V2FUSS. Radermacher fährt fort: die grössere, oft für Chimäre gehaltene Art würde vielleicht noch lange dafür gehalten worden sein ohne die Anstren- gungen des Residenten in Rembang, Mr. Palm, welcher auf der Rückreise von Landak nach Pontiana einen schoss und ihn, zur Uebersendung nach Europa, in Spiritus aufbewahrt nach Batavia schickte. Palm's Brief, der die Beschreibung des Fanges enthält, lautet so: „Eurer Excellenz sende ich hierbei einen Orang, von dem ich diesen Morgen ungefähr um die achte Stunde hörte; es übertrifft dies alle Erwartung, da ich schon vor langer Zeit den Eingebornen für einen Orang-Utan von vier oder fünf Fuss Höhe hundert Ducaten geboten hatte. Lange Zeit versuchten wir das Mögliche, um das schreckliehe Thier lebendig in dem dichten Walde, ungefähr halbwegs nach Landak, zu fangen. Wir vergassen selbst zu essen, so ängst- lich waren wir, ihn nicht entwischen zu lassen; wirmussten uns aber in Acht nehmen, dass er sich nicht rächte, da er *) Camper, Oeuvres, I, p. G4. **) Verhandelingen van het Bataviaascb Genootschap. Tweede Deel. Derde Druk. 1826. der menschenähnlichen Affen. 19 fortwährend schwere Stücken Holz und grüne Zweige nach uns warf. Dies Spiel dauerte bis Nachmittag 4 Uhr, wo wir uns entschlossen, ihn zu schiessen. Dies glückte mir auch sehr gut. und besser, als ich je vorher von einem Boote aus ge- schossen hatte. Die Kugel drang gerade in die Seite des Brustkastens ein, so dass er nicht sehr beschädigt wurde. Wir brachten ihn noch lebendig auf das Vordertheil des Schilfes und banden ihn fest; am andern Morgen starb er an seinen Wunden. Nach unserer Ankunft kam ganz Pontiana an Bord, um ihn zu sehen." Palm giebt seine Grösse vom Kopfe bis zur Ferse zu 49 Zoll an. Ein äusserst intelligenter deutscher Beamte, Baron von Wurmb, der zu jener Zeit eine Stellung im holländisch-ost- indischen Dienste hatte und Secretair der Batavischen Ge- sellschaft war, untersuchte dies Thier, und seine sorgfältige Beschreibung desselben erschien unter dem Titel : „Be- schrijving van der Groote Borneosche Orang-outang of de Oost-IndischePongo" in demselben Bande der Abhandlungen der Batavischen Gesellschaft. Nachdem von Wurmb seine Beschreibung aufgesetzt hatte, giebt er in einem, Batavia Febr. 18, 1781*) datirten Briefe noch an, dass das Exemplar in Weingeist verwahrt nach Europa gesandt worden sei, um in die Sammlung der Prinzen von Oranien aufgenommen zu werden ; „unglücklicherweise", erzählt er weiter, „hören wir, dass das Schiff Schiffbruch gelitten hat". Von Wurmb starb im Laufe des Jahres 1781, der Brief, in dem diese Stelle vorkommt, war der letzte, den er schrieb; in seinen nach- gelassenen, im vierten Theile der Verhandlungen der Batavi- schen Gesellschaft publicirten Arbeiten findet sich eine kurze Beschreibung eines weiblichen Pongo von vier Fuss Höhe mit Maassangaben. Erreichte nun eines dieser Originalexemplare, nach denen von Wurmb's Beschreibung entworfen wurde, jemals Europa? Es wird gewöhnlich angenommen, dass sie herübergekommen *) Briefe des Herrn v. Wurmb und des Herrn Baron v. Wollzogen- Gotha 1794. ^ 20 Ucber die Naturgeschichte sind; aber ich bezweifle die Thatsfche. Denn in der gesam- melten Ausgabe von Camper's Werken ist der Abhandlung „De l'Orang-outang", Tom. I, pag. 64—66, von Camper selbst eine sich auf die Arbeiten von Wurmb's beziehende Anmer- kung beigefügt, in der es heisst: „Bis jetzt ist diese Affenart in Kuropa noch nie bekannt geworden. Radermacher hat die Güte gehabt, mir den Schädel eines dieser Thiere zu Fig. 7. Per von Radermacher au Camper gesandte l'ongo-Scuädel, nach Camper's Originalskizzen in der Lucae'schen Copie. schicken, welches drei und fünfzig Zoll oder vier Fuss fünf Zoll in der Länge maass. Ich habe an Soemmerring in Mainz ein paar Skizzen geschickt, welche indessen mehr darauf be- rechnet sind, eine Idee von der Form als von der wirklichen Grösse der Theile zu geben." Diese Skizzen sind von Fischer und von Lucae repro- ducirt worden und tragen das Datum 1783; Soemmerring er- hielt sie im Jahre 1784. Wäre eines der von Wurmb'schen Exemplare nach Holland gekommen, so würde es gewiss um diese Zeit Camper nicht mehr unbekannt geblieben sein, der nun aber fortfährt: „Es scheint, dass seitdem noch einige mehr von diesen Ungeheuern gefangen worden sind; denn ein ganzes, sehr schlecht aufgestelltes Skelet, das an das Museum des Prinzen von Oranien geschickt war und welches der menschenähnlichen Affen. 21 ich erst am 27. Juni 1784 sah, war höher als vier Fuss. Ich habe dies Skelet noch einmal am 19. December 1785 untersucht, nachdem es von dem geistvollen Onymus vorzüglich zurecht gemacht worden war." Es scheint daher evident zu sein, dass dieses Skelet, welches zweifelsohne das ist, was immer unter dem Namen von Wurmb's Pongo ging, nicht von dem Thiere herrührt, welches er beschrieben hat, obschon es ihm ohne Frage in allen wesentlichen Punkten ähnlich war. Camper fährt dann fort, einige der wichtigsten Züge dieses Skelets zu erwähnen, verspricht es gelegentlich im Detail zu beschreiben, und ist augenscheinlich im Zweifel über die Beziehung dieses grossen „Pongo" zu seinem „klei- nen Orang". Die versprochenen weiteren Untersuchungen wurden niemals ausgeführt, und so kam es, dass der Pongo von "W'urmb's seinen Platz neben dem Chimpanze, Gibbon und Orang erhielt als eine vierte und colossale Art menschen- ähnlicher Affen. Es konnte auch den damals bekannten Chimpanzes oder Orangs nichts weniger ähnlich sein als der Pongo; denn alle zur Beobachtung gekommenen Exemplare vom Chimpanze und Orang waren von kleiner Statur, von eigenthümlich menschlichem Ansehen, sanft und gelehrig; während Wurmb's Pongo ein Ungeheuer von beinahe doppelter Grösse, von grosser Stärke und Wildheit und sehr thierischem Ausdruck war; seine grosse vorstehende, mit starken Zähnen bewaffnete Schnauze war ferner noch durch das Auswachsen der Wangen in fleischige Lappen entstellt, Gelegentlich wurde dann, in Uebereinstimmung mit den üblichen marodirenden Gewohnheiten der Revolutionsarmee, das Pongo-Skelet von Holland fort nach Frankreich ge- schafft, und 1798 gaben Geoffroy St. Hilaire und Cuvier Be- merkungen über dasselbe mit der ausdrücklichen Absicht, seine völlige Verschiedenheit vom Orang und seine Verwandt- schaft mit den Pavianen zu beweisen. Selbst in Cuvier's „Tableau Elementaire- und in der 22 Ueber die Naturgeschichte ersten Ausgabe seines grossen Werkes, des „Regne animal", wird der Pongo als eine Species Pavian aufgeführt, Es scheint indessen, dass Cuvier schon zeitig, im Jahre 1818, veranlasst wurde, seine Ansicht zu ändern und der Meinung beizutreten, die mehrere Jahre früher Blumenbach *) und nach ihm Ti- lesius ausgesprochen hatte, dass der Pongo von Borneo ein- fach ein erwachsener Orang sei. Im Jahre 1824 wies Rudolphi aus dem Zustande der Bezahnung ausführlicher und vollständiger, als es von seinen Vorgängern geschehen war, nach, dass die bis zu jener Zeit beschriebenen Orangs sämmtlich junge Thiere wären und dass der Schädel und die Zähne des Erwachsenen wahrscheinlich so sein würden, wie sie der Wurmb'sche Pongo darböte. In der zweiten Ausgabe des „Regne animal" (1829) zieht Cuvier aus „den Verhältnissen aller Theileu und „den Anordnungen der Löcher und Nähte des Schädels" den Schluss, dass der Pongo der erwachsene Orang-Utan sei, „wenigstens eine sehr nahe verwandte Art", und dieser Schluss wurde dann später ausser allen Zweifel gestellt durch die Abhandlung Professor Owen's, in den „Zoological Transactions" für 1835, und von Temminck in seinen „Monographies de Mammologie". Temminck's Abhandlung ist ausgezeichnet durch die Voll- ständigkeit des beigebrachten Nachweises über die Modi- ficationen, denen die Form des Orang nach Alter und Ge- schlecht unterliegt. Tiedemann veröffentlichte zuerst einen Bericht über das Gehirn des jungen Orang, während Sandi- fort, Müller und Schlegel die Muskeln und Eingeweide des erwachsenen beschrieben und den ersten detaillirten und glaubwürdigen Bericht über die Lebensart des grossen indi- schen Affen im Naturzustande gaben ; da dann noch von spätem Beobachtern wichtige Zusätze gegeben worden sind so sind wir in diesem Augenblicke besser mit dem erwachse- *) Vergl. Blumenbach, Abbildungen naturhistorischer Gegenstände, Nr. 12. 1810; und Tilesius, naturhistorische Früchte der ersten kaiser lieh russischen Erdumsegelung, S. 115. 1813. der menschenähnlichen Affen. 23 nen Zustand des Orang-Utan bekannt, als mit dem irgend eines der andern grösseren menschenähnlichen Affen. Er ist sicher der Pongo von Wurmb's *) ; und er ist ebenso gewiss nicht der Pongo BattelFs, da wir jetzt sehen, dass der Orang-Utan gänzlich auf die grossen asiatischen Inseln Borneo und Sumatra beschränkt ist. Und während die aufeinander folgenden Entdeckungen so die Geschichte des Orang aufklärten, wurde noch nachge- wiesen, dass die einzigen andern menschenähnlichen Affen in der östlichen Welt die verschiedenen Arten von Gibbon seien — Affen von kleinerer Statur, und daher die Aufmerk- samkeit weniger fesselnd als die Orangs, obgleich sie eine viel weitere Verbreitung haben und deshalb der Beobachtung viel zugänglicher sind. Obgleich der geographische Bezirk, der von dem „Pongo'- und „Engeco" Battell's bewohnt wird, Europa so viel näher ist, als der, in dem der Orang und Gibbon sich findet, so hat doch unsere Bekanntschaft mit den afrikanischen Affen lang- samer zugenommen; und in der That ist die wahrheits- getreue Erzählung des alten englischen Abenteurers erst in den letzten paar Jahren völlig verständlich gemacht worden. Erst 1835 wurde das Skelet des erwachsenen Chimpanze bekannt durch die Publication von Professor Owen's oben erwähnter ausgezeichneter Abhandlung „On the osteology of the Chimpanzee and Orang1' in den Abhandlungen der Zoologischen Gesellschaft, — eine Abhandlung, welche durch die Genauigkeit der Beschreibung, die Sorgfalt in der Ver- gleichung und die Vortrefflichkeit der Abbildungen epoche- machend war in der Geschichte unserer Kenntniss des knöchernen Baues nicht bloss des Chimpanzes, sondern aller menschenähnlichen Affen. Durch die hier mitgetheilten detaillirten Untersuchungen wurde erwiesen, dass der alte Chimpanze in Bezug auf Grösse und Ansehen von den Tyson, Buffon und Traill be- *) In der weiteren Bedeutung des Wortes Orang und ohne die Frage vorher zu entscheiden, ob es mehr als eine Art Orang gebe. 24 Ueber die Naturgeschichte kannten jungen Formen so weit abweicht, wie der alte Orang vom jungen Orang; und die spätem äusserst wichtigen Un- tersuchungen der Herren Savage und Wyman, eines ameri- kanischen Missionars und eines Anatomen, haben nicht bloss diesen Schluss bestätigt, sondern viele neue Einzelheiten beigebracht*) . Eine der interessantesten unter den vielen werthvollen Entdeckungen, die Dr. Thomas Savage gemacht hat, ist die Thatsache, dass heutigen Tages die Eingebornen des Gaboon- landes den Chimpanze mit einem Namen bezeichnen — „Enche-eko" — der offenbar identisch ist mit dem „Engeko" Battell's, eine Entdeckung, die von allen späteren Forschern bestätigt worden ist. War hierdurch aber bewiesen, dass Battell's „kleineres Ungeheuer" wirklich existirte, so lag natürlich die Vermuthung sehr nahe, dass sein „grösseres Un- geheuer", der „Pongo", früher oder später auch entdeckt werden würde. Und in der That hatte ein neuerer Reisen- der, Bowdich, unter den Eingebornen starke Beweise für die Existenz eines zweiten grossen Affen gefunden, der „In- gena-' genannt wird, „fünf Fuss hoch und vier über die Schultern breit" ist, ein rohes Haus baut, ausserhalb dessen er schläft, Dr. Savage war 1847 so glücklich, einen weiteren und äusserst wichtigen Beitrag zu unserer Kenntniss der men- schenähnlichen Affen liefern zu können; denn als er wider Erwarten am Gaboonfluss zurückgehalten wurde, sah er im Hause des dort residirenden Missionars, Mr. Wilson, „einen Schädel, der von den Eingebornen als der eines affenähn- lichen Thieres bezeichnet wurde, das durch seine Grösse, Bösartigkeit und Gewohnheiten merkwürdig wäre". Durch die Umrisse des Schädels und die Berichte mehrerer intelli- *) Vergl. „Observation on the external characters and habits oi the Troglodytes niger" von Thom. N. Savage, „and on its Organization" von Jeffries Wyman, in: Boston Journal of Natural History, Vol. IV. 1643—4; und „External characters, habits and osteology of Troglody- tes Gorilla", von denselben ebenda. Vol. V. 1847. der menschenähnlichen Affen. 25 genter Eingebornen „wurde ich zu dem Glauben veranlasst1', sagt Dr. Savage. „dass er einer neuen Art von Orang ange- höre", wobei er den Ausdruck Orang in seinem älteren all- gemeineren Sinne brauchte. .,Ich drückte diese Meinung gegen Mr. Wilson aus mit dem Wunsche weiterer Untersuchung und mit der Bitte, wenn möglich die Frage durch Inspection eines lebendigen oder todten Exemplars zu entscheiden." Das Resultat der vereinten Bemühungen der Herren Savage und Wilson war nicht bloss ein sehr vollständiger Bericht über die Lebensweise des neuen Geschöpfes, sondern sie leisteten der Wissenschaft noch einen wichtigeren Dienst dadurch, dass sie den bereits erwähnten ausgezeichneten amerikanischen Anatomen, Professor Wyman, in den Stand setzten, nach einem reichen Material die unterscheidenden osteologischen Charaktere der neuen Form zu beschreiben. Das Thier wurde von den Eingebornen des Gaboon „Enge- ena" genannt, ein offenbar mit dem „Ingena" Bowdich's identischer Name. Dr. Savage kam zu der Ueberzeugung, dass dieser letztentdeckte aller grossen Affen der lange ge- suchte „Pongo" Battell's sei. Die Richtigkeit der Folgerung ist in der That ausser allem Zweifel; denn es stimmt der „Enge-ena" mit Battell's „grösserem' Ungeheuer" nicht bloss in den hohlen Augen, der grösseren Statur, der schwärzlichen oder grauen Färbung überein, sondern der einzige andere menschenähnliche Affe, der jene Breiten bewohnt, der Chimpanze, ist sofort durch seine geringere Grösse mit dem „kleineren Ungeheuer" zu identificiren, und selbst die Möglichkeit, dass er der „Pongo" sei, wird ausgeschlossen durch die Thatsache, dass er schwarz und nicht schwarzgrau ist, wobei kaum auf den wichtigen bereits erwähnten Umstand aufmerksam gemacht zu werden braucht, dass er noch jetzt den Namen „Engeko" oder „Enche-eko" führt, unter dem ihn Batteil kannte. Bei dem Aufsuchen eines specifischen Namens für den „Enge-ena" vermied Dr. Savage wohlweislich den vielfach missbrauchten Namen „Pongo"; da er vielmehr in dem alten 26 Ueber die Naturgeschichte Periplus des Hanno das Wort „Gorilla" fand als Bezeichnung für ein gewisses behaartes wildes Volk, welches der cartha- gische Reisende auf einer Insel an der afrikanischen Küste entdeckt hatte, gab er seinem neuen Affen den specifischen Namen „Gorilla", woher denn seine bekannte Benennung rührt. Vorsichtiger indessen als einige seiner Nachfolger identificirt Dr. Savage seinen Affen keineswegs mit Hanno's „Wilden". Er sagt nur, dass die letzteren wahrscheinlich „eine der Arten Orang seien"; und ich stimme mit Brülle überein, dass kein Grund vorhanden ist, den heutigen „Go- rilla" mit dem des carthagischen Admirals zu identificiren. Seit dem Erscheinen der Abhandlung von Savage und Wyman ist das Skelet des Gorilla von Professor Owen und dem verstorbenen Professor Duvernoy vom Jardin des Plan- tes untersucht worden; der Letztere hat ferner eine werth- volle Beschreibung des Muskelsystems und vieler anderen Weichtheile geliefert. Auch haben afrikanische Missionare und Reisende den ursprünglich von der Lebensweise dieses grossen menschenähnlichen Affen gegebenen Bericht bestätigt und erweitert, eines Affen, der das eigenthümliche Geschick hatte, zuerst der Welt im Allgemeinen bekannt und zuletzt wissenschaftlich untersucht zu werden. Zwei und ein halbes Jahrhundert sind verflossen, seit- dem Batteil seine Geschichten vom „grösseren und kleineren Ungeheuer" dem Purchas erzählte, und beinahe so viel Zeit hat es bedurft, um zu dem klaren Resultate zu kommen, dass es vier bestimmte Arten menschenähnlicher Affen gebe — in Ost- Asien die Gibbons und Orangs, in West-Afrika den Chim- panze und den Gorilla. Die menschenähnlichen Affen, deren Entdeckungs- geschichte im Vorstehenden erzählt wurde, haben gewisse Merkmale der Structur und Verbreitungseigenthümlichkeiteu gemeinsam. So haben sie alle dieselbe Zahl von Zähnen wie der Mensch — sie besitzen vier Schneidezähne, zwei Eck- zähne, vier falsche und sechs wahre Backzähne in jeder der menschenähnlichen Affen. 27 Kinnlade, oder 32 Zähne in allem, im erwachsenen Zustande. Sie gehören zu den Affen, die man Catarrhini nennt — das heisst, ihre Nasenlöcher hahen eine schmale Scheidewand und sehen nach abwärts ; ausserdem sind ihre Arme stets länger als ihre Beine, zuweilen ist der Unterschied grösser, zuweilen kleiner; ordnet man die vier Affen nach der Länge ihrer Arme im Verhältniss zu der der Beine, so erhalten wir folgende Reihe: Orang (l4/g — 1), Gibbon (lx/-t — 1), Gorilla (iy5 — 1), Chimpanze(l1/lü — 1). Bei allen enden die Vorder- gliedmaassen in Hände, die mit längeren oder kürzeren Daumen versehen sind; auch die grosse Zehe der Füsse, die stets kleiner als beim Menschen ist, ist weit beweglicher als bei diesem und kann wie ein Daumen dem übrigen Fusse gegenübergestellt werden. Keiner dieser Affen hat einen Schwanz und keiner besitzt die den niedrigeren Affen eigenen Backentaschen. Endlich sind sie alle Bewohner der alten Welt. Die Gibbons sind die kleinsten, schlankesten und mit den längsten Gliedmaassen versehenen menschenähnlichen Affen: ihre Arme sind länger im Verhältniss zu ihrem Körper als die irgend eines anderen menschenähnlichen Affen, so dass sie den Boden erreichen, selbst wenn sie aufrecht stehen. Ihre Hände sind länger als die Füsse, und sie sind die ein- zigen Anthropoiden, welche Schwielen haben wie die niedrige- ren Affen. Sie sind verschieden gefärbt. Die Orangs haben Arme, welche bei aufrechter Stellung des Thieres bis zu den Knöcheln reichen; ihre Daumen und grossen Zehen sind sehr kurz, ihre Füsse länger als die Hände. Der Körper ist von rothbraunem Haar bedeckt und die Seiten des Ge- sichts sind bei erwachsenen Männchen in zwei halbmondför- mige biegsame Auswüchse, wie fettige Geschwülste, verlän- gert. Die Chimpanzes haben Arme, welche bis unter die Knie reichen; sie haben grosse Daumen und grosse Zehen, ihre Hände sind länger als ihre Füsse, und ihr Haar ist schwarz, während die Haut des Gesichts bleich ist. Der Gorilla endlich hat Arme, welche bis zur Mitte des Beins 28 1'eber die Naturgeschichte reichen, grosse Daumen und grosse -Zehen, Füsse länger als die Hände, ein schwarzes Gesicht und dunkelgraues Haar. Für meinen mir vorgesteckten Zweck ist es unnöthig, in irgend weitere Details in Betreff der unterscheidenden Charaktere der Gattungen und Arten einzugehen, in welche diese menschenähnlichen Affen von Naturforschern getheilt worden sind. Fs mag die Bemerkung genügen, dass die Orangs und Gibhons die besondere Genera Simia und Hy- lobaies bilden; während die Chimpanzes und Gorillas von Einigen einfach als besondere Arten einer Gattung, Troglodytes betrachtet werden, von Andern als besondere Gattungen, wobei der Name Troglodytes für den Chimpanze, Gorilla für den Enge-ena oder Pongo angewandt wird. Eine genaue Kenntniss der Gewohnheiten und Lebens- weise der menschenähnlichen Affen zu erhalten, ist selbst noch schwieriger gewesen, als eine richtige Darstellung ihres Körperbaues. Nur einmal in jeder Generation wird man einen Wallace finden, der körperlich, geistig und gemüthlich geeignet ist, ohne Schaden durch die tropischen Wildnisse Amerikas und Asiens zu wandern, prachtvolle Sammlungen auf seinen Wanderungen zu machen und bei alledem noch scharfsinnig die sich aus seinen Sammlungen ergebenden Schlussfolgerun- gen zu ziehen. Dem gewöhnlichen Erforscher oder Sammler bieten die dichten W'älder des aequatorialen Asiens und Afrikas, welche die Lieblingsaufenthaltsorte des Orang, Chimpanze und Gorilla bilden, Schwierigkeiten von nicht gewöhnlicher Grösse dar ; und ein Mann, welcher sein Leben wagt selbst bei einem kurzen Besuch an den Fieberküsten dieser Gegenden, ist wohl zu entschuldigen, wenn er vor den Gefahren des Innern zurückschreckt, wenn er sich damit be- gnügt, den Fleiss der besser acclimatisirten Eingebornen zu reizen, und die mehr oder weniger mythischen Berichte und Ueberlieferungen zu sammeln und neben einander zu stellen, mit denen jene ihn nur zu gern versehen. der menschenähnücheü Affen. 29 Auf eine solche Weise entstanden die meisten der früheren Beschreibungen der Lebensweise der menschenähn- lichen Affen; und selbst jetzt noch muss ein guter Theil von dem, was darüber cursirt, als nicht sicher begründet zuge- geben werden. Die besten Nachrichten, die wir besitzen, sind die fast gänzlich auf europäischen Zeugnissen beruhenden über die Gibbons ; die nächst besten Zeugnisse betreffen die Orangs, während unsere Kenntniss von den Gewohnheiten des Chimpanze und Gorilla weitere Beweise von unterrichteten europäischen Augenzeugen dringend bedürfen. Wenn wir daher versuchen, uns von dem einen Begriff zu machen, was wir über diese Thiere zu glauben berechtigt sind, so wird es zweckmässig sein, mit den bestgekannten menschenähnlichen Affen, den Gibbons und Orangs, zu be- ginnen und die vollständig zuverlässigen Nachrichten über diese als eine Art Criterium für die Wahrheit oder Falschheit der über die andern verbreiteten Erzählungen zu benutzen. Von den Gibbons findet sich ein halbes Dutzend Arten zerstreut über die asiatischen Inseln, Java, Sumatra, Borneoi und über Malacca. Siam, Arracan und einen nicht scharf be- stimmten Theil von Hindostan auf dem asiatischen Festlande * Die grössten erreichen eine Höhe von einigen Zollen über drei Fuss von dem Scheitel zur Ferse, so dass sie kleiner als die andern menschenähnlichen Affen sind, während die Schlankheit ihres Körpers ihre ganze Körpermasse, selbst im Verhältnisse zu dieser geringeren Grösse, noch viel unbedeu- tender erscheinen lässt. Dr. Salomon Müller, ein ausgezeichneter holländischer Naturforscher, welcher viele Jahre lang im ostindischen Archipel lebte und auf dessen persönliche Erfahrungen ich mich häufig zu beziehen Veranlassung haben werde, giebt an, dass die Gibbons ächte Bergbewohner sind, dass sie die Ab- hänge und Kämme der Berge lieben, obschon sie selten über die Grenze der Feigbäume hinaufgehen. Den ganzen Tag lang treiben sie sich in den Wipfeln der hohen Bäume um- her; und obgleich sie gegen Abend in kleinen Trupps auf :•,<> ICber die Naturgeschichte ö das offene Land herabsteigen, so schiessen sie doch die Bergabhänge hinauf und verschwinden in den dunkleren Thälern. sobald sie einen Menschen wittern. Fig. 8. r . „ \ Ein Gibbon (H. pileatus) nach Wolf. der menschenähnlichen Affen. 31 Alle Beobachter bezeugen den fabelhaften Umfang der Stimme dieser Thiere. Dem Schriftsteller zufolge, den ich eben angeführt habe, ist bei einem derselben, dem Siamang, „die Stimme voll und durchdringend, den Lauten göek, göek, göek, göek, göek ha ha ha ha haaäää entsprechend und kann sehr gut aus einer Entfernung von einer halben (französ.) Meile gehört werden." Während der Schrei ausgestossen wird, wird der grosse häutige Sack unter der Kehle, der mit dem Stimmorgane communicirt, der sogenannte Kehlsack, stark ausgedehnt und sinkt wieder zusammen , wenn das Thier zu schreien aufhört. Mr. Duvaucel versichert gleicherweise, dass der Schrei des Siamang meilenweit gehört werden kann, dass er die Wälder wiederhallen macht. So beschreibt Mr. Martin*) den Schrei des Hylobates agilis (des Ungko) als „überwältigend und taubmachend" in einem Zimmer, und „durch seine Stärke" wohl berechnet, durch die ungeheuren Wälder zu dröhnen. Mr. Waterhouse, ein ebenso vorzüglicher Musiker als Zoolog, sagt : „des Gibbons Stimme ist bestimmt viel kräftiger als die irgend eines Sängers, den ich je gehört habe." Und doch muss man sich erinnern, dass das Thier nicht halb so hoch und viel weniger massig im Verhältniss ist, als ein Mensch. Wir haben sichere Zeugnisse, dass verschiedene Arten vom Gibbon sehr leicht die aufrechte Stellung annehmen. Mr. George Bennett**), ein ganz vorzüglicher Beobachter, sagt bei der Beschreibung der Gewohnheiten eines männ- lichen Siamang (H. syndaetylus), der einige Zeit in seinem Besitz war: „Auf einer ebenen Fläche geht er unverändert in aufrechter Stellung; dann hängen die Arme entweder herab und gestatten ihm, sich mit den Knöcheln zu unter- stützen, oder, und dies ist das Gewöhnlichere, er hält die Arme in einer fast aufrechten Stellung erhoben mit herab- hängenden Händen, bereit ein Seil zu ergreifen, um bei dem *) „Man and monkies", pag. 423. **) Wanderings in New South Wales. Vol. II. chap. VIII. 1834. 32 Ueber die Naturgeschichte o Herannahen einer Gefahr oder dem Andrängen von Fremden hinaufzuklettern. In aufrechter Stellung geht er ziemlich geschwind, aber mit einem wackligen Gange und stürzt leicht hin, wenn er, verfolgt, keine Gelegenheit hat, durch Klettern zu entfliehen . . . Wenn er aufrecht geht, dreht er das Bein und den Fuss nach aussen, was seinen Gang wacklig macht und ihn krummbeinig scheinen lässt." Dr. Burrough giebt von einem andern Gibbon, dem Horlack oder Hooluk an: „Sie gehen aufrecht und wenn sie auf ebene Erde oder auf offenes Feld gebracht werden, balanciren sie sich sehr gut dadurch, dass sie ihre Hände über den Kopf erheben und den Arm im Ellhogen und Handgelenk leicht biegen, und laufen dann ziemlich schnell, von einer Seite zur andern wankend: werden sie zu grösserer Eile getrieben, dann las- sen sie ihre Hände auf den Boden fallen und unterstützen sich damit, mehr springend als laufend, aber immer den Körper nahezu aufrecht haltend." Etwas verschiedene Angaben macht indessen Dr. Winslow Lewis *) : „Ihre einzige Art zu gehen war auf ihren hinteren oder unteren Gliedmaassen, wobei die anderen nach oben gehoben wurden, um das Gleichgewicht zu erhalten, wie Seiltänzer auf Jahrmärkten durch lange Stangen sich unterstützen. Beim Gehen setzten sie aber nicht einen Fuss vor den andern, sondern brauchten beide gleichzeitig wie beim Springen." Auch Dr. Salomon Müller giebt an, dass die Gibbons sich auf der Erde in kurzen Reihen wackelnder Sprünge fortbe- wegen, die nur von den Hinterbeinen ausgeführt werden und wobei der Körper vollständig aufrecht erhalten wird. Mr. Martin aber, der auch aus directer Erfahrung spricht, sagt von den Gibbons im Allgemeinen (a. a. Ü. S. 418) : „Obgleich die Gibbons ganz besonders für Leben auf den Bäumen geeignet sind und in den Zweigen eine staunen- *) Boston Journal of Natural Ilistory, Vol. I. 1834. der menschenähnlichen Affen. 33 erregende Lebendigkeit entfalten, so sind sie doch nicht so ungeschickt oder verloren, wenn sie auf ebener Erde sind, als man glauben möchte. Sie gehen aufrecht, mit einem wackligen vodcr unsichern Gang, aber mit schnellem Schritt. Müssen sie das Gleichgewicht des Körpers herstellen, so be- rühren sie den Boden erst mit den Knöcheln der einen, dann mit denen der andern Seite, ober sie heben die Arme zum Balanciren. Wie beim Chimpanze wird die ganze schmale lange Sohle des Fusses auf einmal auf den Boden gesetzt und auf einmal abgehoben ohne irgend welche Elasticität des Schrittes." Nach dieser Masse übereinstimmender und unabhängi- ger Zeugnisse kann man vernünftigerweise nicht zweifeln, dass die Gibbons gewöhnlich und natürlich die aufrechte Stellung annehmen. Ebener Boden ist aber nicht der Ort, wo diese Thiere ihre höchst merkwürdigen und eigenthümlichen bewegenden Kräfte und jene fabelhafte Lebendigkeit entfalten können, welche uns fast versuchen könnte, sie eher unter fliegende als unter gewöhnliche kletternde Säugethiere zu versetzen. Mr. Martin hat eine so ausgezeichnete und malerische Beschreibung der Bewegungen eines Hißobates agil/s, der im Jahre 1840 im zoologischen Garten lebte, gegeben (a. a. 0. S. 430), dass ich dieselbe ausführlich mittheilen will: „Es ist fast unmöglich, in Worten eine Idee von der Schnelligkeit und der Grazie seiner Bewegungen zu geben: sie können fast luftig genannt werden , da er bei dem Fort- bewegen die Zweige, auf denen er seine Evolutionen ausführt, nur zu berühren scheint. Bei diesen Kunstleistungen sind seine Arme und Hände die einzigen Bewegungsorgane; hängt der Körper wie an einem Seil befestigt an einer Hand (ich will sagen, der rechten), so schwingt er sich durch eine energische Bewegung nach einem entfernten Zweig, den er mit der linken Hand fasst ; das Festhalten ist aber kürzer als augenblicklich : der Anstoss für den nächsten Schwung ist gegeben; der jetzt erzielte Zweig wird wieder mit der rechten Hand ge- Huxloy, Stellung des Menschen. 3 34 Ueber die Naturgeschichte fasst und augenblicklich wieder losgelassen und so fort in abwechselnder Folge. Auf diese Weise werden Zwischen- räume von zwölf bis achtzehn Fuss mit der grössten Leich- tigkeit und ohne Unterbrechung durchflogen, und zwar stun- denlang ohne die geringsten Zeichen einer Ermüdung; und es ist klar, dass, wenn ihm mehr Platz eingeräumt werden könnte, Entfernungen von weit über achtzehn Fuss ebenso leicht überwunden würden, so dass Duvaucels Behauptung, dass er gesehen habe, wie sich diese Thiere von einem Zweig auf einen andern, vierzig Fuss davon entfernten, geschwun- gen hätten, so wunderbar es klingt, wohl Glauben verdient. Ergreift er in seinen Bewegungen einen Zweig, so wirft er sich zuweilen nur mit der Kraft eines einzigen Armes voll- ständig rings um ihn herum, macht dabei einen solchen Umschwung, dass er das Auge völlig täuscht, und setzt dann seine Bewegungen mit unverminderter Schnelligkeit fort. Es ist ganz eigentümlich zu sehen, wie plötzlich dieser Gibbon anhalten kann, während doch die Geschwindigkeit und die Entfernung seiner schwingenden Sprünge einen sol- chen Stoss verursacht, dass ein allmäliges Abnehmen der Bewegungen nothwendig zu sein scheint. Mitten in seinem Fluge wird ein Zweig ergriffen, der Körper gehoben und nun sieht man ihn wie durch Zauber ruhig auf ihm sitzen und ihn mit den Füssen festhalten. Ebenso plötzlich wirft er sich wieder in Thätigkeit. „Folgende Thatsachen werden einen Begriff von seiner Geschicklichkeit und Schnelligkeit geben. Ein lebender Vogel wurde in seiner Behausung losgelassen; er beobachtete dessen Flug, schwang sich an einen entfernten Zweig, fing unter- wegs den Vogel mit der einen Hand und ergriff den Zweig mit der andern; sein Ziel, sowohl der Vogel als der Zweig, war so sicher erreicht, als ob nur ein einziger Gegenstand seine Aufmerksamkeit gefesselt hätte. Hinzufügen will ich, dass er sofort dem Vogel den Kopf abbiss, die Federn aus- rupfte und ihn dann hinwarf, ohne einen Versuch zu machen, ihn zu essen. der menschenähnlichen Affen. 35 „Bei einer andern Gelegenheit schwang sich dies Thier von einer Stange üher einem Gang, der mindestens zwölf Fuss hreit war, gegen ein Fenster, welches, wie man dachte, augenblicklich müsste zerbrochen werden; aber dem war nicht so : zu Aller Verwunderung erfasste es das schmale Holzgerüst zwischen den Scheiben mit der Hand, gab sich im Moment den geeigneten Stoss und sprang zurück zu dem Käfig, den es verlassen hatte — eine Leistung, die nicht bloss grosser Kraft, sondern besonders grosser Präcision bedurfte." Die Gibbons scheinen von Natur sehr sanft zu sein ; es giebt aber sichere Beweise dafür, dass sie gereizt gefährlich beissen können, — ein weiblicher Hylöbates agüis hatte einen Mann so gefährlich mit seinen langen Eckzähnen verletzt, dass er starb. Da er noch Andere bedeutend verletzt hatte, wurden Vorsichts halber diese fürchterlichen Zähne abge- feilt; wurde ihm aber gedroht, fiel er doch noch über seinen Wärter her. Die Gibbons fressen Insecten, scheinen aber im Allgemeinen thierische Nahrung zu vermeiden. Mr. Bennett hat indessen gesehen, wie ein Siamang eine lebendige Eidechse ergriff und gierig verzehrte. Sie trinken gewöhn- lich so, dass sie ihre Finger in die Flüssigkeit eintauchen und diese dann ablecken. Es wird angegeben, dass sie sitzend schlafen. Duvaucel versichert gesehen zu haben, dass Weibchen ihre Jungen an das Wasser trugen und ihnen dort das Gesicht wuschen trotz Widerstand und Geschrei. In Gefan- genschaft sind sie sanft und zuthulich, voller Laune und empfindlich, wie verzogene Kinder, und doch nicht ohne ein gewisses Bewusstsein oder eine Art Gewissen, wie eine von Mr. Bennett (a. a. 0. S. 156) erzählte Anecdote zeigen wird. Es möchte fast scheinen, als hätte sein Gibbon eine eigen- thümliche Neigung gehabt, die Sachen in seiner Cajüte in Unordnung zu bringen. Unter diesen Gegenständen fesselte ein Stückchen Seife ganz besonders seine Aufmerksamkeit, und ein- oder zweimal schon ist er wegen Entfernens der- 3* 36 Ueber die Naturgeschichte selben gescholten worden. „Eines Morgens schrieb ich," sagt Mr. Bennett, ..der Affe war in der Cajüte, und als ich die Fig. 9. Ein erwachsener männliche! Orang-Utan, nach Müller u. Sclilogel. Augen erhebend nach ihm hinsah, bemerkte ich, wie der kleine Kerl wieder die Seife nahm. Ich beobachtete ihn. ohne dass er merkte, dass ich es that: gelegentlich warf der menscheuähnlichea Affen. 37 er einen verstohlenen Blick nach der Stelle hin, wo ich sass. Ich that, als ob ich schriebe, und da er mich emsig beschäftigt sah, nahm er die Seile und entfernte sich, sie in seiner Pfote haltend. Als er die halbe Länge der Cajüte gegangen war, sprach ich ruhig, ohne ihn zu erschrecken. In dem Augen- blick, wo er merkte, dass ich ihn sähe, ging er zurück und legte die Seife fast auf dieselbe Stelle, von der er sie ge- nommen hatte. In dieser Handlungsweise lag doch gewiss mehr als blosser Instinct: er offenbarte entschieden das Be- wusstsein, sowohl bei der ersten als bei den letzten Hand- lungen unrecht gethan zu haben — und was ist Vernunft, wenn dies nicht ein Zeichen von ihr ist?-' Der ausführlichste Bericht über die Naturgeschichte des Orang-Utan ist der von Dr. Salomon Müller und Dr. Schlegel in den „Verhandelingen over de NatuurlijkeGeschiedenis der Nederlandsche overzeesche Bezittingen (1839 — 45);', und was ich über den Gegenstand zu sagen habe, werde ich fast aus- schliesslich auf ihre Angaben basiren, hier und da interes- sante Züge aus den Schriften von Brooke, Wallace und An- deren hinzufügend. Es scheint, als ob der Orang-Utan nur selten höher würde als vier Fuss, der Körper ist aber sehr dick, er misst zwei Drittel der Höhe im Umfang *). *) Der grösste von Temminck erwähnte Orang-Utan maass im auf- rechten Stehen vier Fuss; er erwähnt aber, so eben die Nachricht von dem Fange eines Orang erhalten zu haben, der fünf Fuss drei Zoll hoch war. Schlegel und Müller sagen, dass ihr grösstes altes Männ- chen aufrecht 1,25 niederländische Elle mässe, vom Scheitel bis zur Zehenspitze l,s Elle, der Umfang des Körpers ungefähr 1 Elle. Das grösste alte Weibchen war im Stehen 1,00 Elle hoch. Das erwachsene Skelet im Museum des College of Surgeons würde, wenn es aufrecht stände, drei Fuss sechs bis acht Zoll vom Scheitel bis zur Sohle messen. Dr. Humphry giebt drei Fuss acht Zoll an als mittlere Höhe von zwei Orangs. Von siebzehn von Wallace untersuchten Orangs war der grösste vier Fuss zwei Zoll hoch von der Ferse bis zum Scheitel Mr. Spencer St. John erzählt iudess in seinem „Life in the Forests 38 Ueber die Naturgeschichte ö Der Orang-Utan findet sieh nur auf Sumatra undBorneo und ist auf keiner dieser Inseln gemein; auf beiden trifft man ihn immer nur auf niedrigen flachen Ebenen, niemals in Ber- gen. Er liebt die dichtesten und schattigsten Wälder, die sich von der Küste landeinwärts erstrecken, und wird daher nur in der östlichen Hälfte von Sumatra angetroffen, wo sich allein solche Wälder finden, obgleich er gelegentlich auch auf die westliche Seite hinübergeräth. Dagegen ist er allgemein über Borneo verbreitet, mit Ausnahme der Berge oder wo die Bevölkerung dicht ist. Hat ein Jäger Glück, so kann er an günstigen Stellen drei oder vier an einem Tage sehen. Mit Ausnahme der Paarungszeit leben die alten Männ- chen gewöhnlich allein. Die alten Weibchen und jungen Männchen dagegen sieht man oft zu zweien oder dreien; die ersteren haben gewöhnlich Junge bei sich, obgleich sich die trächtigen Weibchen gewöhnlich von den anderen trennen und auch noch nach der Geburt ihrer Jungen allein bleiben. Die jungen Orangs scheinen ungewöhnlich lange unter der Protection ihrer Mütter zu bleiben, wahrscheinlich in Folge ihres langsamen Wachsthums. Beim Klettern trägt die Mut- ter das Junge stets an ihrem Busen, wobei sich das Junge am Haare der Mutter festhält*). In welchem Alter der Orang-Utan fortpflanzungsfähig wird und wie lange die Weibchen die Jungen tragen, ist unbekannt; es ist indess wahrscheinlich, dass sie nicht vor dem zehnten bis fünfzehn- ten Lebensjahre erwachsen werden. Ein Weibchen, das fünf of the Far East" von einem Orang, der fünf Fuss zwei Zoll vom Kopfe zur Ferse, 15 Zoll Gesichtsbreite und 12 Zoll um das Handge- lenk gemessen habe. Es scheint indess nicht, dass Mr. St. John diesen Orang selbst gemessen hat. *) Vergl. Wallace's Beschreibung eines Orangsäuglings in den „Annais of nat. Ilist. für 1856". Mr. Wallace gab seinem interessanten Pflegling eine künstliche Mutter von Büffelhaut, die Täuschung war aber zu gelungen. Die Erfahrung des Kindes lehrte es Haare mit Zitzen zu associiren, und da es die ersteren fühlte, verbrachte es sein Leben im vergeblichen Bemühen, die letzeren zu entdecken. der menschenähnlichen Affen. 39 Jahre lang in Batavia gelebt hatte , war noch nicht ein Drittel so gross als die wilden Weibchen. Es ist wahrschein- lich, dass sie nach Erreichung ihres erwachsenen Alters noch fortwachsen, wenn auch langsam, und dass sie vierzig bis fünfzig Jahre alt werden. Die Dyaks erzählen von alten Orangs, die nicht bloss alle Zähne verloren hatten, sondern denen selbst das Klettern so beschwerlich wurde, dass sie von gefallenem Obste und saftigen Kräutern lebten. Der Orang ist langsam und zeigt durchaus nicht jene wunderbare Behendigkeit, die so charakteristisch für die Gibbons ist. Hunger allein scheint ihn zu Bewegungen zu veranlassen, und ist dieser gestillt, so verfällt er wieder in Ruhe. Wenn das Thier sitzt, so beugt es den Rücken und senkt den Kopf so, dass es gerade nach unten auf den Bo- den sieht; manchmal hält es sich mit den Händen an höhe- ren Zweigen fest, manchmal lässt es dieselben phlegmatisch an den Seiten herabhängen — und in solchen Stellungen bleibt der Orang stundenlang auf demselben Fleck, fast ohne jede Bewegung und nur dann und wann einen Ton seiner tiefen brummenden Stimme von sich gebend. Bei Tage klettert er gewöhnlich von einem Baumwipfel zum andern und steigt nur des Nachts auf die Erde herunter; schreckt ihn dann Gefahr, so sucht er im Unterholze Schutz. Wird er nicht gejagt, so bleibt er lange an demselben Orte und bleibt sogar viele Tage auf demselben Baume, wobei ihm ein fester Platz unter den Zweigen als Bett dient. Nur selten verbringt der Orang die Nacht auf dem Gipfel eines hohen Baumes, wahrscheinlich weil es dort zu kalt und windig für ihn ist; sobald die Nacht anbricht, steigt er viel- mehr aus der Höhe herab und sucht sich ein passendes Bett im niedrigem und dunklern Theile oder im blatt- reichen Gipfel eines kleinen Baumes, unter denen er Ni- bong Palmen, Pandanen oder einer jener parasitischen Orchideen den Vorzug giebt, welche den Urwäldern von Borneo ein so charakteristisches, auffallendes Ansehen geben. Wo immer er aber zu schlafen sich entschliesst, da macht 40 Ueber die Naturgeschichte er sich eine Art Nest : kleine Zweige und Blätter werden um den auserwählten Ort zusammengezogen und kreuzweise über einander gebogen, und um das Bett weich zu machen, werden dann grosse Blätter von Farnen, Orchideen, Pandamis fas- cicularis, Nipa fruticans etc. darüber gelegt. Die Nester, welche Müller sah, und viele waren ganz frisch, waren in einer Höhe von zehn bis fünf und zwanzig Fuss über der Erde angebracht und hatten im Mittel einen Umfang von zwei oder drei Fuss. Einige waren viele Zoll dick mit Pan- danusblättern bepackt ; andere waren nur durch die zusammen- gebogenen Zweige merkwürdig, die in einem gemeinschaft- lichen Mittelpunkt verbunden eine regelmässige Fläche bildeten. „Die rohe Hütte," sagt Sir James Brooke, „welche sie nach der gewöhnlichen Angabe auf Bäumen bauen, könnte man zutreffender einen Sitz oder ein Nest nennen, denn sie hat kein Dach noch irgend eine Bedeckung. Die Leichtig- keit, mit der sie dieses Nest bauen, ist merkwürdig; ich hatte die Gelegenheit, ein verwundetes Weibchen die Zweige in einer Minute zusammenweben und sich setzen zu sehen." Nach den Angaben der Dyaks verlässt der Orang selten sein Bett, bevor die Sonne über den Horizont herauf ist und die Nebel zerstreut hat. Er steht ungefähr um neun Uhr auf und geht ungefähr um fünf Uhr wieder zu Bett, manchmal indess erst spät in der Dämmerung. Er liegt zuweilen auf dem Kücken, oder der Veränderung halber dreht er sich auf die eine oder die andere Seite, wobei er die Beine an den Körper heranzieht und den Kopf mit der Hand stützt. Ist die Nacht kalt und windig oder regnerisch, so bedeckt er den Körper gewöhnlich mit einem Haufen von Pandamis-, Nipa- oder Farnblättern, wie die, aus denen das Bett ge- macht ist, und trägt besondere Sorge, seinen Kopf in solche einzuhüllen. Wahrscheinlich hat diese Gewohnheit, sich zuzudecken, zu der Fabel veranlasst, dass der Orang Hütten auf Bäume baue. Obgleich der Orang den Tag über auf den Zweigen grosser Bäume sich aufhält, so sieht man ihn doch selten der menschenähnlichen Affen. 41 auf einem dicken Aste kauern, wie es andere Affen und besonders die Gibbons thun. Im Gegentheil beschränkt sich der Orang auf die dünneren blätterigen Zweige, so dass man ihn im wirklichen Wipfel des Baumes sieht, eine Lebens- weise, welche in enger Beziehung zur Bildung seiner Hinter- gliedmaassen und besonders seines Gesässes steht. Dies hat nämlich keine Schwielen, wie es viele niedere Affen und selbst die Gibbons haben; auch sind die Knochen des Beckens, die man Ischia oder Sitzbeine nennt und welche das feste Gerüst der Fläche bilden, auf welcher der Körper in der sitzenden Stel- lung ruht, nicht verbreitert wie bei den Affen, die Schwielen besitzen, sondern sind denen des Menschen ähnlicher. Der Orang klettert so langsam und vorsichtig *), dass er dabei mehr einem Menschen als einem Affen ähnelt; er ist sehr besorgt um seine Füsse, so dass eine Verletzung derselben ihn bei weitem mehr zu afficiren scheint, als andere Affen. Ungleich den Gibbons, deren Vordergliedmaassen den grössten Theil der Arbeit besorgen, wenn sie sich von Zweig zu Zweig schwingen, macht der Orang niemals auch nur den kleinsten Sprung. Beim Klettern bewegt er ab- wechselnd eine Hand und einen Fuss, oder zieht, nachdem er sich mit den Händen ordentlich fest gehalten hat, beide Füsse zusammen nach. Beim Uebergang von einem Baume zum andern sucht er sich stets eine Stelle aus, wo beider Zweige dicht zusammenkommen oder in einander reichen. Selbst wenn er dicht verfolgt wird, ist seine Umsicht stau- nenerregend; er schüttelt die Zweige, um zu sehen, ob sie ihn tragen, und indem er dann einen überhängenden Zweig niederbeugt, dadurch, dass er mit seinem Gewicht allmälig auf ihn drückt, bildet er sich eine Brücke von dem Baume, den er verlassen will, zum nächsten**). *) „Sie sind die langsamsten und wenigst beweglichen Von dem ganzen Affengeschlecht, und ihre Bewegungen sind überraschend un- geschickt und plump." Sir James Brooke in dem „Proceedings of the Zoological Society", 1841. **) Mr. Wallace's Beschreibung der Bewegungen des Orang stimmt fast genau hiermit überein. 42 lieber die Naturgeschichte Auf ebener Erde geht der Orang immer mühsam und wackelnd auf allen Vieren. Beim Anlauf rennt er ge- schwinder als ein Mensch, wird aber bald überholt. Die sehr langen Arme, die beim Rennen nur wenig gebogen sind, heben den Körper des Orang merkwürdig, so dass er fast die Stellung eines ganz alten Mannes, der vom Alter gebeugt ist und sich mit Hülfe eines Stockes forthilft, annimmt. Beim Gehen ist der Körper gewöhnlich gerade nach vorwärts gerichtet, ungleich den anderen Affen, die mehr oder weniger schräg laufen, mit Ausnahme indessen der Gibbons, die in dieser wie so mancher andern Beziehung merkwürdig von ihren Genossen abweichen. Der Orang kann seine Füsse nicht platt auf den Boden setzen, sondern stützt sich auf deren äussere Kante, wrobei die Ferse mehr auf dem Boden ruht, während die gekrümmten Zehen zum Theil mit der obern Seite ihrer ersten Knöchel den Boden berühren und die zwei äussersten Zehen jeden Fusses dies gänzlich mit dieser Fläche thun. Die Hände werden in der entgegengesetzten Weise gehalten, so dass ihre inneren Ränder als Hauptstützpunkte dienen. Die Finger sind dabei so gebogen, dass ihre obersten Gelenke, besonders die der beiden innersten Finger, mit ihrer obern Seite auf dem Boden ruhen, während die Spitze des freien und geraden Daumens als weiterer Stützpunkt dient. Der Orang steht niemals auf seinen Hinterbeinen, und alle Abbildungen, die ihn so darstellen, sind ebenso falsch wie die Behauptung, dass er sich mit Stöcken vertheidige und Aehnliches. Die langen Arme sind von besonderem Nutzen nicht bloss beim Klettern, sondern auch um Nahrung von Zweigen zu pflücken, denen das Thier nicht sein Körpergewicht an- vertrauen kann. Feigen, Blüthen und junge Blätter ver- schiedener Art machen die Hauptnahrung des Orangs aus ; es wurden aber auch zwei oder drei Fuss lange Streifen vom Bambus im Magen eines Männchens gefunden. Man weiss nicht, dass sie lebendige Thiere verzehrten. der menschenähnlichen Affen. 43 Obgleich der Orang bald gezähmt wird, wenn er jung gefangen ist, und in der That menschliche Gesellschaft vor- zuziehen scheint, so ist er doch im Naturzustand ein sehr wildes und scheues Thier, obgleich scheinbar träge und melancholisch. Die Dyaks versichern, dass wenn alte Männ- chen mit Pfeilen nur verwundet sind, sie gelegentlich die Bäume verlassen und wüthend auf ihre Feinde losgehen, deren einzige Rettung in augenblicklicher Flucht liegt, da sie sicher sind getödtet zu werden, wenn sie sich einholen lassen*). *) Sir James Brooke sagt in einem in den Proceedings of the Zoological Society für 1841 abgedruckten Briefe an Mr. Waterhouse: „So weit ich zu beobachten im Stande gewesen bin, kann ich über die Gewohnheiten der Orangs so viel bemerken, dass sie so langsam und träge sind, wie man sich nur vorstellen kann, und bei keiner Ge- legenheit bewegten sie sich, als ich sie verfolgte, so schnell, dass ich nicht hätte in einem einigermaassen lichten Walde mit ihnen Schritt halten können; und selbst wenn Hindernisse von unten (wie das Waten halstief) sie eine Strecke vorausliessen, so hielten sie sicher an und Hessen uns wieder herankommen. Ich habe nie den geringsten Versuch zur Verteidigung gesehen, und das Holz, was um unsere Ohren raschelte, war durch ihr Gewicht abgebrochen, aber nicht ge- worfen, wie es von Manchen dargestellt wird. Wird der Pappan in- dessen zum Aeussersten getrieben, so muss er fürchterlich sein, und ein unglücklicher Mensch, der mit mehreren anderen einen grossen lebendig zu fangen versuchte, verlor zwei Finger, wurde auch ausser- dem bedeutend ins Gesicht gebissen, während das Thier schliesslich seine Verfolger abschlug und entfloh." Auf der andern Seite behauptet Mr. Wallace, dass er mehreremale beobachtet habe, wie sie verfolgt Zweige herabgeworfen hätten. „Es ist wahr, dass er sie nicht nach einer Person wirft, sondern senkrecht herab; denn es leuchtet ein, dass ein Zweig nicht weit vom Gipfel eines hohen Baumes geworfen werden kann. In einem Falle unter- hielt ein weiblicher Mias auf einem Durianenbaum für wenigstens zehn Minuten einen continuirlichen Schauer von Zweigen und den schweren dornigen Früchten, so gross wie ein 32-Pfünder, der uns äusserst wirksam von dem Baume entfernt hielt. Man konnte ihn dieselben abbrechen und herabwerfen sehen in scheinbar voller Wuth, in Zwischenräumen einen lauten grunzenden Ton ausstossend und augenscheinlich Ernst machend." „On the habits of the Orang-Utan," Annais of nat. bist. 1856. Diese Angabe wird man in völliger Ueber- einstimmung mit dem oben citirten Briefe des Residenten Palm finden (s. S. 18.) 44 Ueber die Naturgeschichte Wenngleich aber der Orang unendliche Kraft besitzt, so ist es doch selten, dass er sich zu vertheidigen versucht, besonders wenn er mit Schusswaffen angegriffen wird. Bei solchen Gelegenheiten versucht er sich zu verbergen oder den äussersten Gipfelzweigen der Bäume entlang zu ent- fliehen, wobei er die Zweige abbricht und herunterwirft. Ist er verwundet, so zieht er sich auf den erreichbar höchsten Punkt eines Baumes zurück und stösst ein eigenthümliches Geschrei aus, das zuerst aus hohen Tönen besteht, sich aber allmälich zu einem leisen Brummen vertieft, nicht unähnlich dem eines Panthers. Während er die hohen Töne ausstösst, stösst er die Lippen trichterförmig vor, beim Hervorbringen der tiefen Töne hält er dagegen den Mund weit offen, und gleichzeitig wird auch der grosse Kehlsack ausgedehnt. Nach den Erzählungen der Dyaks ist das einzige Thier, mit dessen Stärke der Orang die seinige misst, das Krokodil, das ihn gelegentlich bei seinen Besuchen am Ufer angreift. Sie sagen aber, dass der Orang seinem Feinde mehr als gleich sei, und ihn zu Tode schlägt oder ihm durch Ausein- anderziehen der Kinnladen die Kehle aufreisst! Viel von dem, was hier mitgetheilt worden ist, hat Dr. Müller wahrscheinlich aus den Erzählungen seiner Dyak- Jäger geschöpft. Ein grosses Männchen indessen von vier Fuss Höhe lebte unter seiner Aufsicht einen Monat lang in Gefangenschaft und erhielt eine sehr schlechte Censur. „Er war ein sehr wildes Thier," sagt Müller, „von fabel- hafter Stärke und falsch und schlecht im höchsten Grade. Näherte sich irgend Jemand, so erhob er sich langsam mit einem tiefen Brummen, fixirte die Augen in der Richtung, in der er seinen Angriff zu machen gedachte, steckte die Hand langsam zwischen die Stangen seines Käfigs und machte dann, indem er seinen langen Arm ausstreckte, einen plötzlichen Griff — gewöhnlich nach dem Gesicht." Er ver- suchte niemals zu beissen (obgleich die Orangs sich unter- einander beissen), seine grossen Angriffs- und Vertheidigungs- waffen sind seine Hände. der menschenähnlichen Affen. 45 S.ino Intelligenz war sehr gross; und Müller bemerkt, obgleich die geistigen Fähigkeiten des Orang zu hoch ge- schätzt worden seien, so würde doch Cuvier, wenn er dies Exemplar gesehen hätte, seine Intelligenz nicht bloss für wenig höher als die des Hundes betrachtet haben. Sein Gehör war äusserst scharf, der Gesichtssinn da- gegen schien weniger vollkommen zu sein. Die Unterlippe war das Hauptgefühlsorgan und spielte beim Trinken eine grosse Rolle; zuerst wurde sie wie ein Trog vorgestreckt, um entweder den herabfallenden Regen aufzufangen oder den Inhalt der mit Wasser gefüllten halben Cocosnussschale aufzunehmen, womit der Orang versehen wurde und welchen er beim Trinken in den so gebildeten Trog ausgoss. Der Orang-Utan der Malayen geht unter den Dyaks in Borneo unter dem Namen „il/Vas", und sie unterscheiden mehrere Arten, als Mias Pappan oder Zimo, Mias Kassu und Mias Bambi. Ob dies aber verschiedene Species oder blosse Rassen sind, und w7ie weit irgend einer derselben mit dem sumatranischen Orang identisch sei, wie Wallace von dem Mias Pappan glaubt, sind bis jetzt noch unentschiedene Probleme; auch ist die Variabilität dieser grossen Affen so gross, dass die Entscheidung dieser Frage ein äusserst schwieriger Gegenstand ist. Von der „Mias Pappan" ge- nannten Form bemerkt Mr. Wallace *) : „Er ist bekannt durch seine bedeutende Grösse und die seitliche Ausdehnung des Gesichts in fettige Vorsprünge oder Leisten über den Schläfen- muskeln, die fälschlich als Schwielen bezeichnet worden sind, während sie völlig wreich, glatt und biegsam sind. Fünf Exemplare dieser Form, die ich gemessen habe, schwankten nur von 4 Fuss 1 Zoll bis 4 Fuss 2 Zoll in Höhe von der Ferse bis zur Scheitelspitze, der Umfang des Körpers von 3 Fuss bis zu 3 Fuss 71/-.» Zoll, und die Länge der ausge- streckten Arme von 7 Fuss 2 Zoll bis zu 7 Fuss 6 Zoll, die *) On the Orang-Utan, or Mias of Borneo. Annais of natural hißtory, 1856. 46 Ueber die Naturgeschichte Breite des Gesichts von 10 bis zu 13x/4 Zoll. Die Farbe und Länge des Haars variirte bei verschiedenen Individuen und an verschiedenen Theilen desselben Individuums ; einige hatten einen rudimentären Nagel an der grossen Zehe, andere durchaus keinen; im Uebrigen boten sie aber keine äusseren Verschiedenheiten dar, auf die man selbst Varietäten einer Art hätte gründen können." „Untersucht man indessen die Schädel dieser Individuen, so rindet man merkwürdige Verschiedenheiten der Form, Verhältnisse und Grösse, und nicht zwei sind einander völlig gleich. Die Neigung des Profils, das Vorspringen der Schnauze, zusammen mit der Grösse der Schädelkapsel bieten ebenso entschiedene Differenzen dar, wie die ausgeprägtesten Formen der kaukasischen und afrikanischen Schädel bei der Menschenart. Die Augenhöhlen variiren in Höhe und Breite, die Schädelleiste ist entweder einfach oder doppelt, entweder viel oder wenig entwickelt und die Oeffuung des Jochbogens schwankt beträchtlich in ihrer Grösse. Dieses Schwanken in den Verhältnissen der Schädel setzt uns in den Stand, die so ausgeprägte Verschiedenheit der Schädel mit einem Muskelkamm und mit zweien, die für die Existenz zweier grossen Arten von Ürang als beweisend angesehen werden, genügend zu erklären. Die äussere Oberfläche des Schädels nämlich variirt beträchtlich in Grösse, ebenso wie die Jochbeinöffnung und die Schläfenmuskel es thun; sie stehen aber in keiner notwendigen Beziehung zu einander, ein kleiner Muskel findet sich oft bei einer grossen Schädel- oberfläche und umgekehrt. Diejenigen Schädel nun, welche die grössten und stärksten Kinnladen und die weitesten Jochbogen besitzen, haben so grosse Muskeln, dass sie auf dem Scheitel zusammenstossen und die knöcherne Leiste ab- setzen, die sie von einander trennt und welche bei denen am höchsten ist. die die kleinste Schädeloberfläche haben. Bei denen, welche mit einer grossen Oberfläche schwache Kinn- laden und kleine Jochbogen besitzen, reichen die Muskeln von beiden Seiten nicht bis zur Schädelhöhe, zwischen beiden der menschenähnlichen Affen. 47 bleibt ein Raum von 1 bis 2 Zoll, und hier werden ihrem Rande entlang kleine Muskelleisten gebildet. Man findet auch zwischenliegende Formen, bei denen die Leisten sich nur am hintern Theile des Schädels treffen. Die Form und Grösse dieser Leisten sind daher unabhängig vom Alter, sind viel- mehr zuweilen bei jüngeren Thieren stärker entwickelt. Professor Temminck bestätigt, dass die Reihe von Schädeln im Leydner Museum dasselbe Resultat ergiebt." Mr. Wallace konnte indessen zwei erwachsene männliche Ürangs (Mias Kassu der Dyaks) untersuchen, die so verschie- den von all den übrigen waren, dass er sie für speeifisch verschieden hält; sie waren beziehentlich 3 Fuss 8^2 Zoll und 3 Fuss (d1/2 Zoll hoch und hatten keine Spur der Backen- auswüchse, glichen aber im Uebrigen den grösseren Formen. Der Schädel hat keinen knöchernen Kamm, sondern zwei knöcherne Leisten, l3/4 bis 2 Zoll von einander entfernt, wie beim Simia morio Professor Owen's. Die Zähne sind aber ungeheuer, denen der andern Art gleichkommend, oder sie noch übertreffend. Die Weibchen dieser beiden Formen haben nach Mr. Wallace keine Auswüchse und gleichen den kleineren Männchen, sind aber um V/2 bis 3 Zoll kleiner; ihre Eckzähne sind im Verhältniss klein, abgestutzt und an der Basis verbreitert, wie bei dem sogenannten Simia morio, der, aüer Wahrscheinlichkeit nach, der Schädel einesWeibchens derselben Art ist, wie die kleineren Männchen. Beide, Männ- chen und Weibchen dieser kleineren Art sind nach Mr. Wal- lace durch die verhältnissmässig bedeutende Grösse der mittleren Schneidezähne des Oberkiefers zu unterscheiden. So viel ich weiss, hat Niemand die Richtigkeit der oben angeführten Angaben über die Lebensweise der beiden asia- tischen menschenähnlichen Affen bestritten; und wenn sie wahr sind, so muss als evident zugegeben werden, dass ein solcher Affe 1. sich auf ebener Erde leicht in der aufrechten oder halbaufr echten Stellung fortbewegen kann, ohne sich direct auf die Arme zu stützen; 48 Ueber die Naturgeschichte 2. dass er eine sehr laute Stimme haben kann, so laut, dass sie leicht eine bis zwei Meilen weit gehört werden kann ; 3. dass er gereizt sehr bösartig und heftig werden kann, was vorzüglich für erwachsene Männchen gilt; 4. dass er ein Nest bauen kann, in dem er schläft. Sind dies nun in Bezug auf die asiatischen Anthropoiden sichergestellte Thatsachen, so wären wir schon nach Ana- logie berechtigt zu erwarten, dass die afrikanischen Arten ähnliche Eigentümlichkeiten zeigen werden, einzeln oder in gleicher Verbindung; jedenfalls würden jene Thatsachen die Beweiskraft irgend welcher a priori aufzustellender Gründe gegen die Sicherheit von Zeugnissen schwächen, die zu Gunsten des Vorhandenseins jener Eigenthümlichkeiten vorgebracht worden sind. Und wenn gezeigt werden könnte, dass der Bau irgend eines afrikanischen Affen ihn noch besser als seine asiatischen Verwandten zur aufrechten Stel- lung und zu einem wirksamen Angriff befähigt, so wäre noch weniger Grund vorhanden zu zweifeln, dass er gelegentlich die aufrechte Haltung annimmt und aggressiv verfährt. Von der Zeit Tyson's und Tulpius' an ist die Lebens- weise des jungen Chimpanze ausführlich beschrieben und mit erläuternden Bemerkungen dargestellt worden. Glaub- würdige Zeugnisse über die Manieren und Gewohnheiten erwachsener Anthropoiden dieser Art in ihren heimathlichen Wäldern haben aber bis zur Zeit des Erscheinens von Dr. Savage's Abhandlung, auf welche ich mich vorhin bezogen habe, fast ganz gefehlt; dieselbe enthält Schilderungen der von ihm gemachten Beobachtungen und Mittheilungen der Nachrichten aus von ihm für glaubwürdig gehaltenen Quellen während der Zeit eines Aufenthaltes am Cap Palmas, an der Nordwestgrenze des Bezirks von Benin. Die von Dr. Savage gemessenen Chimpanzes überschritten niemals fünf Fuss in Höhe, die Männchen waren fast genau so hoch. In der Ruhe nehmen sie gewöhnlich eine sitzende Hal- tung an. Man sieht sie gewöhnlich stehen und gehen ; wer- der menschenähnlichen Affen. 49 den sie aber dabei entdeckt, so nehmen sie unmittelbar alle vier und fliehen aus der Gegenwart der Beobachter. Ihr Bau ist der Art. dass sie nicht ganz aufrecht stehen können, sondern nach vorn neigen. Wenn sie stehen, sieht man sie daher die Hände über dem Hinterhaupte zusam- menschlagen oder über der Lendengegend, was nothwendig zu sein scheint, um die Haltung zu balanciren oder zu er- leichtern. ..Die Zehen sind beim Erwachsenen stark gebogen und nach innen gewendet, und können nicht vollständig ausge- streckt werden. Beim Versuch hierzu erhebt sich die Haut des Rückens in dicken Falten, woraus hervorgeht, dass die völlige Streckung des Fusses, wie es beim Gehen nothwendig wird, unnatürlich ist. Die natürliche Stellung ist die auf allen Vieren, wobei der Körper vorn auf den Knöcheln ruht. Diese sind bedeutend verbreitert, mit vorspringender und verdickter Haut wie an der Fusssohle. „Sie sind geschickte Kletterer, wie man schon aus ihrem Baue vermuthen kann. In ihren Spielen schwingen sie sich auf grosse Entfernungen von einem Beine zum andern und springen mit staunenerregender Behendigkeit. Man sieht nicht ungewöhnlich die ,alten Leute' (in der Sprache eines Beobachters) unter einem Baume sitzen, sich mit Früchten und freundschaftlichem Geschwätz unterhalten, während ihre .Kinder' um sie herum springen und sich von Baum zu Baum mit ausgelassener Freude schwingen. ..Wie man sie hier sieht, können sie nicht gesellig oder in Heerden lebend genannt werden, da man selten mehr als fünf, höchstens zehn zusammen findet. Auf gute Gewähr sich stützend, hat man erzählt, dass sie sich gelegentlich bei Spielen in grosser Zahl versammeln. Mein Berichterstatter versichert, bei einer solchen Gelegenheit einmal nicht weni- ger als fünfzig gesehen zu haben, jubelnd, schreiend und mit Stöcken auf alten Stämmen trommelnd, welches letztere mit gleicher Leichtigkeit mit allen vier Extremitäten gethan wird. Sie scheinen nie offensiv zu verfahren und selten, Huxley, Stellung des Menschen. 4 50 lieber die Naturgeschichte wenn überhaupt, defensiv. Sind sie nahe daran gefangen zu werden, so leisten sie dadurch Widerstand, dass sie ihre Arme um ihren Gegner werfen, und ihn in Berührung mit ihren Zähnen zu bringen suchen" (Savage, a. a. 0. p. 384). In Bezug auf diesen letztern Tunkt ist Dr. Savage an einer andern Stelle sehr ausführlich : „Ihre vorzügliche Vertheidigungsweise ist das Beissen. Ich habe einen Mann gesehen, der auf diese Weise bedeu- tend an den Füssen verwundet war. „Die starke Entwickelung der Eckzähne beim Erwachse- nen möchte eine Neigung zu Fleischnahrung anzudeuten scheinen; aber in keinem Falle, mit Ausnahme der Zähmung, zeigen sie dieselbe. Anfänglich weisen sie Fleisch zurück, erlangen aber leicht eine Vorliebe für dasselbe. Die Eck- zähne werden zeitig entwickelt und sind augenscheinlich da- zu bestimmt, die bedeutende Rolle der Vertheidigungswaffe zu übernehmen. Kommt das Thier mit Menschen in Berüh- rung, so ist beinahe das Erste, was das Thier thun will, beissen. „Sie vermeiden die Aufenthaltsorte der Menschen und bauen sich ihre Wohnungen auf Bäumen. Der Bau dersel- ben ist mehr der von Nestern, als von Hütten, wie sie irrthümlich von manchen Naturforschern genannt worden sind. Sie bauen im Allgemeinen nicht hoch über der Erde. Grössere oder kleinere Zweige werden gebogen oder ange- knickt, gekreuzt und das Ganze durch einen Ast oder einen Gabelzweig gestützt. Manchmal findet man ein Nest nahe dem Ende eines dicken blattreichen Astes zwanzig oder dreis- sig Fuss über der Erde. Kürzlich erst habe ich eins ge- sehen, das nicht niedriger als vierzig Fuss sein konnte, wahr- scheinlicher aber fünfzig hoch war. Dies ist aber eine un- gewöhnliche Höhe. „Sie haben keinen festen Wohnort, sondern wechseln ihn beim Aufsuchen von Nahrung und aus Bedürfniss nach Un- gestörtheit, je nach der Stärke der Umstände. Wir sahen sie öfter in hoch gelegenen Stellen; dies rührt aber von der der menschenähnlichen Affen. 51 Thatsachc her, dass die dem Reisbau der Eingebornen gün- stigeren Niederungen öfter gelichtet werden und daher fast stets Mangel an passenden Bäumen für ihre Nester eintritt. Es ist selten, dass mehr als ein oder zwei Nester auf einem und demselben Baume gefunden werden, oder selbst in der- selben Umgebung: einmal hat man fünf gefunden, dies war aber ein ungewöhnlicher Umstand. •■ ..Sie sind sehr schmutzig in ihrer Lebensweise. — Unter den Eingebornen hier geht eine Ueberlieferung, dass sie einstmals Mitglieder ihres eigenen Stammes waren, dass sie aber wegen ihrer entarteten Gewohnheiten von aller mensch- lichen Gesellschaft Verstössen und in Folge ihres hartnä- ckigen Beharrens bei ihren gemeinen Neigungen allmählich auf ihren gegenwärtigen Zustand und zu ihrer jetzigen Or- ganisation herabgesunken wären. Sie werden indessen von jenen gegessen, und, mit dem Oel und dem Marke der Pal- mennuss gekocht, für ein äusserst schmackhaftes Gericht gehalten. „Sie zeigen einen merkwürdigen Grad von Intelligenz in ihren Gewohnheiten, und von Seiten der Mutter viel Liebe zu ihren «Tungen. Das zweite der beschriebenen Weibchen war, als es zuerst entdeckt wurde, auf einem Baume mit sei- nem Manne und zwei Jungen (einem Männchen und Weib- chen). Sein erster Impuls war, mit grosser Schnelligkeit herunterzusteigen und mit seinem Manne und dem jungen Weibchen ins Dickicht zu entfliehen. Bald kehrte es aber zur Rettung seines zurückgebliebenen jungen Männchen zu- rück. Es stieg hinauf und nahm es in seine Arme und in diesem Augenblick wurde es geschossen, die Kugel drang auf dem Wege zum Herzen der Mutter durch den Vorderarm des Jungen. „In einem neueren Falle blieb die Mutter, nachdem sie entdeckt war, mit ihrem Jungen auf dem Baume und folgte aufmerksam den Bewegungen des Jägers. Als er zielte, machte sie eine Bewegung mit ihrer Hand , genau in der Weise, wie es ein Mensch thun würde, um den Jäger zum 4* 52 Ueber die Naturgeschichte Abstehen und Fortgehen zu bewegen. War die Verwundung nicht augenblicklich tüdtlich, so hat man die Beobachtung ge- macht, dass sie das Blut durch Aufdrücken der Hand auf die Wunde stillen, und wenn dies nicht ausreichte, durch Auf- legen von Blättern und Gras. — Sind sie geschossen, so stossen sie einen plötzlichen Schrei aus, nicht ungleich dem eines Menschen, der plötzlich in grosse Noth kommt." Man versichert indess, dass gewöhnlich die Stimme des Chimpanze nicht sehr laut, rauh, guttural sei, ungefähr wie ,.\\huu-whuuu (a. a. 0. p. 365). Die Analogie zwischen Chimpanze und Orang in Be- zug auf die Sitte und die Art und Weise, ein Nest zu bauen, ist äusserst interessant, während andererseits die Beweg- lichkeit dieses Affen und seine Neigung zu beissen Eigen- thümlichkeiten sind, in denen er den Gibbons eher ähnlich ist. Die Ausdehnung der geographischen Verbreitung der Chimpanzes — die sich von Sierra Leone bis Congo finden — erinnern mehr an die Gibbons als an irgend einen an- dern menschenähnlichen Affen ; und es scheint nicht un- wahrscheinlich, dass, ebenso wie es mit den Gibbons der Fall ist, auf diesem geographischen Gebiete mehrere Arten dieser Gattung verbreitet sind. Derselbe ausgezeichnete Beobachter, dem ich den vorstehenden Bericht über die Gewohnheiten des erwachse- nen Chimpanze entlehnt habe, hat vor fünfzehn Jahren*) eine Beschreibung des Gorilla veröffentlicht, die in ihren wesentlichsten Punkten von späteren Beobachtern bestätigt worden ist, und der so wenig hat Thatsächliches zugesetzt werden können, dass ich, um Dr. Savage gerecht zu sein, sie beinahe in ihrer ganzen Ausdehnung gebe. „Man muss im Auge behalten, dass mein Bericht auf die Angaben der Eingebornen jener Gegend (des Gaboon) sich gründet. Bei dieser Gelegenheit darf ich auch wohl bemer- *) Notice of the extertnal characters and habits of Troglodytes Gorilla. Boston Journal of Natural Ilistory, 1847. der menschenähnlichen Affen. 53 ken, dass ich mich nach mehrjährigem Aufenthalt als Mis- sionär und einem durch fortwährenden Verkehr ermöglichten Studium des afrikanischen Geistes und Charakters für fähig halten darf, die Angaben der Eingehornen zu prüfen und über ihre Wahrscheinlichkeit zu entscheiden. Da ich ausserdem mit der Naturgeschichte und der Lebensart seines interessanten Verwandten (Troylodi/ics niger, Geoff.) vertraut war, war ich auch im Stande, die Berichte über die beiden Thiere aus einander zu halten, die, weil sie in derselben Gegend leben und ähnliche Gewohnheiten haben, im Geiste der Masse verwechselt werden, besonders da nur wenige — wie Leute, die mit dem Innern handeln und Jä- ger — das fragliche Thier je gesehen haben. Der Volksstaram, dem wir dieKenntniss desThieres ver- danken und dessen Gebiet ihm zum Wohnort dient, ist der der Mjpongwe, die beide Ufer des Gaboonflusses von seiner Mündung einige fünfzig oder sechszig Meilen aufwärts inne haben. Wenn das Wort „Pongo" afrikanischen Ursprungs ist, dann ist es wahrscheinlich eine Corruption des Wortes Mpon- gire, des Namens des Volksstammes an den Ufern des Ga- boon, und von diesem auf die von ihm bewohnte Gegend übertragen. Ihr localerName für den Chimpanze ist Enche- eko, so gut er sich wiedergeben lässt, von dem wahrschein- lich der gewöhnliche Ausdruck „Jocko" herrührt. Die Mpongwe-Bezeichnung für seinen neuen Verwandten ist Enge- ena, mit Verlängerung des Klangs des ersten Vocals und nur leise den zweiten anklingend. Der Wohnort des Enge-ena ist das Innere von Nieder- Guinea, während der Enche-eko näher der Küste lebt. Seine Höhe ist ungefähr fünfFuss; er ist unverhältniss- mässig breit über den Schultern, dick bedeckt mit krausem schwarzen Haar, welches in seiner Anordnung dem des Enche-eko ähnlich sein soll; im Alter wird es grau, welche Thatsache zu dem Bericht Veranlassung gegeben hat, dass man beide Thiere in verschiedenen Färbungen finde. 54 Ueber die Naturgeschichte Kopf. Die vorstechenden Eigenthümlichkeiten des Ko- pfes bestehen in der grossen Breite und Verlängerung des Gesichts, der Ilühc der Mackzahngegend (die Aeste des Un- Fig. 10. ■ÖSS»|§§*<5»3J>. Der Gorilla, nach Wolf. terkiefers sind sehr hoch und reichen weit zurück) und in der verhältnissmässigen Kleinheit des eigentlichen Schädel- theils. Die Augen sind sehr gross und, wie man sagt, gleich denen desEnche-eko hellbraun; die Nase ist breit und flach, der menschenähnlichen Affen. 55 nach der Wurzel hin leicht erhoben; die Schnauze breit, Lippen und Kinn vorstehend, mit zerstreut stehenden grauen Haaren; die Unterlippe ist äusserst beweglich und, wenn das Thier gereizt wird, einer grossen Verlängerung fähig, wubei sie über das Kinn herabhängt; die Haut des Gesichts und der Ohren ist nackt, dunkelbraun, dem Schwarzen sich nähernd. Der merkwürdigste Zug am Kopfe ist ein hoher Kamm von Haaren im Verlaufe der Pfeilnaht, welcher vorn mit einem queren Haarkamme zusammentrifft. Der letztere ragt weniger vor und läuft von einem Ohre ringsum zum andern. Das Thier hat die Fähigkeit, die Kopfhaut nach hinten und vorn frei bewegen zu können; wenn es in Wuth geräth, soll es dieselbe stark über die Stirn zusammenzie- hen und auf diese Weise den Haarkamm nach unten und vorn rücken, wobei die Haare nach vorn gerichtet sind, so dass das Thier einen unbeschreiblich wilden Anblick dar- bietet. Der Hals ist kurz, dick, haarig; die Brust und Schul- tern sind sehr breit, wie man sagt, noch einmal so breit wie die des Enche-eko ; die Arme sehr lang, etwas über das Knie reichend, der Vorderarm ist bei weitem am kürzesten; Hände sehr lang, der Daumen viel stärker als die anderen Finger. Der Gang ist wackelnd; die Bewegung des Körpers, der niemals aufrecht steht wie beim Menschen, sondern nach vorn gebeugt ist, ist gewissermaassen rollend, von einer Seite zur andern. Da die Arme länger sind als beim Chim- panze, so staucht das Thier beim Gehen nicht so sehr; wie jener wirft es beim Gehen die Arme nach vorn, setzt die li, :uide auf den Boden und giebt dann dem Körper eine halb springende, halb schwingende Bewegung zwischen ihnen. Bei dieser Handlung soll es nicht die Finger beugen und sich auf die Knöchel stützen, wie der Chimpanze, sondern sie ausstrecken und die Hand als Hebel brauchen. Wenn es die Stellung zum Gehen annimmt, soll der Körper sehr 56 Ueber die Naturgeschichte Gorilla gehend (nach Wolf). geneigt sein; es balancirt dann den grossen Körper dadurch, dass es die Arme nach oben einbiegt. i-'ij. 11. Sie leben in Grup- pen, sind aber nicht so zahlreich wie die Chimpanzes : die Weibchen sind in der Regel in der Mehrzahl. Meine Berichterstatter stimmen alle in der Angabe überein, class bei jeder Gruppe nur ein erwachsenes Männ- chen ist; dass beim Heranwachsen der jungen Mannchen ein Kampf um die Herr- schaft beginnt und das stärkste nach Tödtung oder Fort- treiben der anderen sich als Oberhaupt der Gemeinde aufthut." Dr. Savage weist die Geschichten zurück, nach denen die Gorillas Weiber entführen und Elephanten besiegen sol- len, und fährt dann fort: „Ihre Wohnungen, wenn man sie so nennen kann, sind denen der Chimpanzes ähnlich, sie bestehen nur aus wenig Stäben und blätterigen Zweigen, die durch Aeste und Ga- belzweige derselben gestützt werden; sie bieten keinen Schutz dar und werden nur eine Nacht benutzt. „Sie sind äusserst wild und stets offensiv in ihrem Ver- halten, sie fliehen nie vor dem Menschen, wie es der Chim- panze thut. Sie sind Gegenstände des Schreckens für die Kingebornen und werden von ihnen nie angegriffen, ausser zur Yertheidigung. Die wenigen, die gefangen wurden, wur- den von Elephantenjägern und eingebornen Handelsleuten getödtet, als sie plötzlich auf ihrem Wege durch die Wälder über sie kamen. „Es wird erzählt, dass das Männchen, sobald es gesehen wird, einen sehreckenerregenden Schrei ausstösst, der weit und breit durch den Wald klingt, ungefähr wie kh — eh! der menschenähnlichen Affen. r>7 kh — eh! schrillend und gedehnt. Seine enormen Kinnla- den öffnen sich bei jeder Expiration, die Unterlippe hängt über das Kinn herab, und der Haarkamm und die Kopfhaut sind über die Augenbrauen zusammengezogen, einen Anblick unbeschreiblicher Wildheit darbietend. „Die Weibchen und Jungen verschwinden schnell beim ersten Schrei. Das Männchen geht dann in grosser Wuth auf seinen Feind los, wobei es seine schrecklichen Schreie in schneller Aufeinanderfolge ausstösst. Der Jäger erwartet seine Annäherung mit angelegter Flinte ; wenn er nicht sicher zielen kann, so lässt er das Thier den Lauf erfassen und feuert ab, wenn es denselben zum Munde führt (was es gewöhnlich thut). Sollte das Gewehr nicht losgehen, so wird der Lauf (einer gewöhnlichen Jagdflinte, welcher nicht stark ist) zwischen den Zähnen zermalmt, und der Zweikampf endet bald für den Jäger tödtlich. „Im wilden Zustande ist ihr Verhalten im Allgemeinen wie das des Troglodytes niger; sie bauen ihre Nester lose auf Bäumen, leben von ähnlichen Früchten und ändern ihren Aufenthaltsort, durch die Umstände gezwungen." Dr. Savage's Beobachtungen werden durch die des Mr. Ford bestätigt und erweitert, welcher eine interessante Abhandlung über den Gorilla im Jahre 1852 der Akademie der Naturwissenschaften in Philadelphia mittheilte. In Be- zug auf die geographische Verbreitung dieses grössten von allen menschenähnlichen Affen bemerkt Mr. Ford: „Das Thier bewohnt den Gebirgszug, welcher das In- nere von Guinea durchsetzt, von Cameroon im Norden bis nach Angola im Süden und ungefähr 100 Meilen landein- wärts, und der von den Geographen die Krystallberge ge- nannt wird. Die Grenze, bis zu welcher im Süden und Norden das Thier vorkommt, bin ich nicht im Stande zu bestimmen. Doch liegt diese Grenze ohne Zweifel eine ziemliche Strecke weit nördlich von diesem Flusse (Gaboon). Ich konnte mich selbst auf einer neulichen Excursiun in das Quellgebiet des Morney- Flusses (des .,gefährlichenu), der 58 lieber die Naturgeschichte einige sechzig Meilen von hier in das Meer mündet, von die- ser Thatsache üherzeugen. Mir -wurde berichtet (und ich denke, glaubwürdig), dass sie auf den Bergen, von denen dieser Fluss entspringt, und weit nördlich davon zahlreich seien. „Nach Süden breitet sich diese Art bis zum Congoflusse aus, wie mir eingeborne Kaufleute erzählt haben, welche die Küste zwischen dem Gaboon und jenem Flusse besucht haben. Jenseits desselben fehlen mir Nachrichten. In den meisten Fällen findet sich das Thier nur in einiger Entfer- nung vom Meere, und kommt ihm nach meinen besten Nachrichten nirgends so nahe, als an der Südseite dieses Flusses, wo sie zehn Meilen vom Meere gefunden worden sind. Dies ist indessen erst neuerdings vorgekommen. Ei- nige der ältesten Mpongwe-Männer theilten mir mit, dass es früher nur an den Quellen dieses Flusses gefunden worden sei, dass man es aber jetzt schon einen halben Tagemarsch von seiner Mündung finden könne. Früher bewohnte es nur den gebirgigen Kamm, den nur Buschmänner bewohnten, jetzt nähert es sich aber dreist den Mpongwe- Pflanzungen. Dies ist ohne Zweifel der Grund für die dürftigen Nachrich- ten aus früheren Zeiten, da die Gelegenheiten, Kenntniss von dem Thiere zu erlangen, nicht gefehlt haben; Kaufieute haben seit hundert Jahren diesen Fluss besucht, und Exem- plare, wie sie innerhalb eines Jahres hierher gebracht wur- den, würden nicht können gezeigt worden sein, ohne die Aufmerksamkeit selbst der Einfältigsten zu fesseln." Ein Exemplar, das Mr. Ford untersuchte, wog ohne die Brust- und Bäucheingeweide 170 Pfund und maass vier Fuss vier Zoll um die Brust. Dieser Schriftsteller beschreibt den Angriff des Gorilla so minutiös und malerisch — ob- gleich er nicht einen Augenblick vorgiebt, Zeuge der Scene gewesen zu sein — , dass ich versucht werde, diesen Theil seiner Abhandlung zur Vergleichung mit anderen Erzäh- lungen ausführlich zu geben: „Er stellt sich stets auf seine Füsse. wenn er einen An- der menschenähnlichen Affen. 59 griff macht, obgleich er seinem Gegner in gebückter Stel- lung sich nähert. „Obgleich er nie auf der Lauer liegt, so stösst er doch unmittelbar, wenn er einen Menschen hört, sieht oder spürt, seinen charakteristischen Schrei aus, bereitet sich zu einem Angriff vor und verfährt stets offensiv. Der Schrei, den er ausstösst, gleicht mehr einem Grunzen als einem Brummen und ist dem Schrei des Chimpanze ähnlich, wenn dieser ge- reizt wird, nur unendlich viel lauter. Er soll auf grosse Entfernungen hörbar sein. Seine Vorbereitung besteht dar- in, dass er die Weibchen und Jungen, von denen er gewöhn- lich begleitet wird , in eine geringe Entfernung wegbringt. Er selbst kehrt indessen schnell zurück mit aufgerichtetem und vorstehendem Kamme, erweiterten Nasenlöchern und nach unten geworfener Unterlippe; zu gleicher Zeit stösst er seinen charakteristischen Schrei aus, gewissermaassen um seinen Gegner zu erschrecken. Wenn er nicht durch einen gutgezielten Schuss unfähig gemacht wird, so macht er sofort einen Anlauf und streckt den Gegner durch einen Schlag mit der flachen Hand, oder nachdem er ihn erst mit einem Griff gefasst hat, von dem kein Entkommen ist, zu Boden und zerreisst ihn mit seinen Zähnen. ..Man sagt, er ergreift eine Flinte und zermalmt augen- blicklich den Lauf zwischen seinen Zähnen. — Die wilde Natur dieses Thieres zeigt sich sehr gut in der nicht zu be- sänftigenden Verzweiflung eines hierhergebrachten Jungen. Es wurde sehr jung gefangen und vier Monate lang gehal- ten, auch viele Mittel angewendet, es zu zähmen; es war aber unverbesserlich, so dass es mich noch eine Stunde vor s einem Tode biss.-- Mr. Ford bezweifelt die Geschichten von dem Häuser- 1 auen und dem Elephantenverjagen und sagt, dass kein gut unterrichteter Eingeborner sie glaubt. Es sind Geschich- ten, die man Kindern erzählt. Ich könnte noch andere Zeugnisse beibringen, die auf Velinliches hinauskommen, aber, wie mir scheint, weniger 60 lTeber die Naturgeschichte sorgfältig abgewogen und gesichtet sind ; solche finden sich in den Briefen der Herren Franquet und Gautier La- boullay, die der bereits erwähnten Abhandlung J. G. St. Hilaire's angehängt sind. Erinnert man sich dessen, was mit Bezug auf denürang und den Gibbon bekannt ist, so scheinen mir die Angaben des Dr. Savage und Mr. Ford gerechter Weise keiner Kritik nach a priori Gründen ausgesetzt zu sein. Wir sahen, dass die Gibbons gern die aufrechte Stellung annehmen, der Gorilla ist aber viel besser zu dieser Stellung durch seine Organisation geschickt als die Gibbons; wenn die Kehlsäcke der Gibbons, wie es wahrscheinlich ist, von Bedeutung für den Umfang ihrer Stimme sind, die man eine halbe franzö- sische Meile weit hört, so kann der Gorilla, welcher ähnliche Säcke, nur stärker entwickelt besitzt und dessen Körper- masse das Fünffache eines Gibbons beträgt, wohl auf eine doppelt so grosse Entfernung gehört werden. Wenn der Orang mit seinen Händen kämpft, die Gibbons und Chim- panzes mit ihren Zähnen, so kann der Gorilla wahrschein- lich genug eins von beiden oder beides thun; auch ist nichts dagegen zu sagen, dass der Chimpanze oder Gorilla ein Nest baue, wenn bewiesen ist, dass der Orang-Utan diese Lei- stung beständig ausführt. Bei all diesen, nun zehn bis fünfzehn Jahre alten, in aller Welt Besitz befindlichen Zeugnissen ist es nicht wenig zu verwundern, dass die Behauptungen eines neuern Reisen- den, der, soweit sie den Gorilla betreffen, in der That wenig mehr thut, als auf seine Autorität die Angaben Savage's und Ford's zu wiederholen, so viel und so heftigen Wider- spruch gefunden haben. Wenn man das abzieht, was schon vorher bekannt war, so ist die Summe und der Inhalt dessen, was DuChaillu als einen Gegenstand seiner eigenen Beob- achtung über den Gorilla behauptet, das, dass beim Vor- gehen zum Angriff das grosse Thier seine Brust mit den Fäusten schlägt. Ich gestehe, ich sehe nichts sehr Unwahr- scheinliches, oder eines Streites Werthes in dieser Angabe. der menschenähnlichen Alten. 61 In Bezug auf die anderen menschenähnlichen Affen Afrikas sagt uns Du Chaillu ahsolut nichts vom Chim igen er Beobachtung panze nach eigener Beobachtung; er berichtet aber von einer kahlköpfigen Art oder Varietät, dem Nschieyo mbouve, welche sich ein Obdach baut, und von einer anderen seltenen Form mit einem verhältnissmässig kleinen Gesicht, grossem Gesichtswinkel und einem eigentümlichen, wie „Kuuluu" klingenden Tone. Da sich der Orang durch eine rohe Decke von Blättern schützt und der gewöhnliche Chimpanze nach der Angabe des so äusserst glaubwürdigen Beobachters, Dr. S avage. einen Laut von sich giebt wie „Whuu -whuu", so ist der Grund für die summarische Zurückweisung, die Du Chail- lu's Angaben über diesen Gegenstand gefunden haben, nicht einzusehen. Wenn ich trotzdem davon abgesehen habe, Du Chaillu 's Werk zu citiren, so ist es nicht, weil ich in seinen Angaben bezüglich der menschenähnlichen Affen irgend welche innere Unwahrscheinlichkeit gefunden hätte, noch weil ich irgend welchen Verdacht .auf seine Wahrhaftigkeit zu werfen wünschte, sondern weil meiner Meinung nach seine Erzäh- lung, so lange sie in ihrem gegenwärtigen Zustande uner- klärter und scheinbar unerklärlicher Confusion sich befin- det, keinen Anspruch auf originale Autorität betreffs irgend welchen Gegenstandes machen kann. Es mag Alles wahr sein, es ist aber kein Beweis. 62 Ueber die Naturgeschichte Afrikanischer Cannibalismus im sechszelmten Jahrhundert. Fisr. 12. Fleischerladen der Anziquen, Anno 1-398. Beim Durchblättern von Pigafetta's Uebersetzung der Erzählung des Lopez, die icli oben citirt habe, traf ich auf eine so merkwürdige und unerwartete, um zwei und ein halbes Jahrhundert voraus gemachteBestätigung eines der wunderbarsten Theile von Du Chaillu's Er- zählung, dass ich nicht umhin kann , in einer An- merkungdieAufmerksamkeit darauf zu lenken , obgleich ich bekennen muss, dass der Gegenstand streng ge- nommen mit den behandel- ten Fragen in keiner Be- ziehung steht. Im fünften Capitel des ersten Buches der „Descrip- tio", „über den nördlichen Theil des Königreichs Congo und seine Grenzen" wird ein Volk erwähnt, dessen König „Maniloango" heisst, und das unter dem Aequator, •westlich bis zum Cap Lopez lebt. Dies scheint das Land zu sein, was nach Du Chaillu jetzt von den Ogobai und Bakalai bewohnt wird. — „Jenseits desselben wohnt ein anderes Volk, die „An- ziquen" genannt, von un- glaublicher Wildheit; denn sie essen einander und schonen weder Freunde noch Verwandte." Diese Menschen sind mit kleinen, dicht mit Schlangenhaut um- wickelten Bogen bewaffnet, die mit Schilf oder Binsen bespannt sind. der menschenähnlichen Affen. 63 Ihre Pfeile, aus hartem Holz, kurz und dünn, werden mit grosser Schnelligkeit geschossen. Sie hahen eiserne Aexte, deren Griffe mit Schlangenhaut umwunden sind, und Schwerter mit Scheiden aus dem- selhen Stoff; zu A'orthcidigungsschildern gebrauchen sie Elophanten- haut. In der Jugend schneiden sie ihre Haut ein, so dass Narben entstehen. „Ihre Fleischerläden sind mit Menschenfleisch gefüllt, statt mit Ochsen- oder Schaffleisch; denn sie essen die Feinde, die sie im Kampfe gefangen nehmen. Sie mästen, schlachten und verzehren auch ihre Sklaven, wenn sie nicht glauben, einen guten Preis für sie zu erhalten ; überdies noch bieten sie sich zuweilen aus Lebensmüdig- keit oder Ruhmsucht (denn sie halten es für etwas Grosses und für • las Zeichen einer edlen Seele, das Leben zu verachten) selbst als Speise an. „Es giebt allerdings viele Cannibalen, wie in Ostindien, in Bra- silien und anderswo, aber keine solche wie diese; denn die anderen essen nur ihre Feinde, diese aber ihre eigenen Blutsverwandten." Die sorgfältigen Zeichner der Illustrationen zu Pigafetta haben ihr Möglichstes gethan, den Leser in den Stand zu setzen, sich nach diesem Bericht von den „Anziquen" ein lebhaftes Bild zu machen, und der beispiellose Fleischerladen in Fig. 12 ist das Facsimile eines Theils von ihrer Plate XIL Du Chaillu's Bericht über die Fans stimmt eigenthümlich mit dem überein, was Lopez hier von den Anziquen erzählt. Er spricht von ihren kleinen Bogen und Pfeilen, von ihren Aexten und Messern, „sinnreich mit Scheiden aus Schlangenhaut versehen." „Sie tättowiren sich mehr als irgend ein anderer Stamm, den ich nördlich vom Ae- quator angetroffen habe." Und alle Welt weiss, was Du Chaillu von ihrem Cannibalismus sagt: — „Unmittelbar darauf begegnete uns eine Frau, die alle Zweifel löste. Sie trug ein Stück eines menschlichen Schenkels, genau so wie wir zu Markte gehen und von dort einen Braten oder Beefsteak mitbringen würden." Du Chaillu's Zeichner kann im Allgemeinen nicht des Mangels an Muth bei der Verkörperung der Angaben seines Verfassers angeklagt werden, und es ist zu be- dauern, dass er bei so gutem Vorwande uns nicht mit einem passen- den Gegenstück zu der Skizze der Gebrüder De Bry versehen hat. II. Ueber die Beziehungen des Menschen zu den nächstniederen Thieren. Multis vielen poterit, majorem esse differentiam Simiae et Hominis, quam diei et noctis; verum tarnen hi, comparatione instituta inter summos Europae Heroes et Hottentottos ad Caput bonae spei degentes, difticillime sibi persuadebunt, haa eosdem Labere natales; vel si vir- ginem nobilem aulicam, maxime comtam et bumanissimam, conferre vellent cum bomine sylvestri et sibi relicto, vix augurari possent, bunc et illam ejusdem esse speciei. — Livnaei Amoenitates Acad. „Anthropomorpha." Die Frage aller Fragen für die Menschheit — das Pro- blem, welches allen übrigen zu Grunde liegt und welches tiefer interessirt als irgend ein anderes — , ist die Bestim- mung der Stellung, welche der Mensch in der Natur ein- nimmt, und seiner Beziehungen zu der Gesammtheit der Dinge. Woher unser Stamm gekommen ist, welches die Grenzen unserer Gewalt über die Natur und der Natur Gewalt über uns sind, auf welches Ziel wir hinstreben: das sind die Probleme, welche sich von Neuem und mit unver- mindertem Interesse jedem zur Welt geborenen Menschen darbieten. Die meisten von uns schrecken vor den Schwie- rigkeiten und Gefahren, welche den bedrohen, der selbst- ständig nach Antworten auf diese Räthsel sucht, zurück und begnügen sich damit, sie vollständig zu ignoriren oder den forschenden Geist unter dem Pfühl respectirter und respectabler Ueberlieferungcn zu ersticken. In jedem Zeit- alter hat es aber einen oder zwei ruhelose Geister gegeben, die mit jenem construetiven Talent gesegnet, das nur auf sicherer Grundlage bauen kann, oder vom blossen Geist der Zweifelsucht besessen, nicht im Stande sind, dem ausge- Ueber die Naturgescliichto des Menschen etc. 65 getretenen und bequemen Pfad ihrer Vorgänger und Zeit- genossen zu folgen, und uneingedenk der Dornen und Steine ihre eigenen Wege gehen. Die Zweifler kommen zum Un- glanben, welcher das Problem für ein unlösbares erklärt, oder zum Atheismus, welcher die Existenz irgend einer ge- ordneten Fortschreitnng und Leitung der Dinge leugnet: die Leute von Genie bringen Lösungen vor, welche in theo- logische oder philosophische Systeme auswachsen oder", in eine klangreiche Sprache gekleidet, die mehr verspricht als hält, die Gestalt der Dichtung des Zeitalters annehmen. Jede solche Antwort auf die grosse Frage wird un- wandelbar von den Nachfolgern dessen, der sie giebt, wenn nicht von ihm selbst, als vollständig und endgültig hingestellt; sie bleibt, sei es für ein Jahrhundert oder für zwei oder zwanzig, in grosser Autorität und Achtung; aber ebenso un- wandelbar weist die Zeit nach, dass eine jede Antwort eine blosse Annäherung zur Wahrheit gewesen ist, die hauptsäch- lich in Folge der Unkenntniss derer, die sie empfingen, tolerirt wurde, aber völlig unerträglich wird, wenn sie an der Hand der erweiterten Kenntnisse ihrer Nachfolger ge- prüft wird. In einem oft gebrauchten Gleichnisse wird eine Parallele zwischen dem Leben eines Menschen und der Metamorphose einer Raupe in den Schmetterling gezogen; die Vergleichung dürfte aber noch passender und auch neuer sein, wenn man im Gleichniss an die Stelle des Lebens des Einzelnen den gei- stigen Fortschritt des Geschlechts setzt. Die Geschichte zeigt, dass der durch beständige Zufuhr von Kenntnissen genährte menschliche Geist periodisch für seine theoretischen Hüllen zu gross wird und sie durchbricht, um in neuen Be- kleidungen zu erscheinen, wie die sich nährende und wachsende Larve von Zeit zu Zeit ihre zu enge Haut abstreift und eine andere, selbst wieder zeitweilige annimmt. Wahrlich, der entwickelte Zustand des Menschen scheint noch schreck- bar fern zu liegen; jede Häutung ist aber ein gewonnener Schritt und deren sind schon viele gethan. Huxley, Stellung des .Menschen. 5 G6 Ueber die Beziehungen des Menschen Seit dem Wiedererwachen der Gelehrsamkeit, womit die westeuropäischen Rassen in jenen Entwickelungsgang nach wahrer "Wissenschaft eintraten, der von den griechischen Philosophen begonnen, in späteren Zeiten langer geistiger- Stagnation oder höchstens Schwankung fast ganz zum Still- stand gekommen war, hat sich die menschliche Larve kräftig genährt und im Verhältniss hierzu gehäutet. Eine solche Larvenhaut von ziemlichem Umfang wurde im 16. Jahrhundert, eine andere gegen das Ende des 18. abgeworfen; und inner- halb der letzten fünfzig Jahre hat die ausserordentliche Zunahme jedes einzelnen Theiles der physikalischen Wissen- schaften geistige Nahrung von so nahrhafter und reizender Art unter uns verbreitet, dass eine neue Häutung bevorzu- stehen scheint. Es ist dies aber ein Vorgang, der nicht un- gewöhnlich von vielen Wehen und einiger Krankheit und Schwäche, oder wohl auch von grösseren Störungen begleitet wird; so dass sich jedes gutgesinnte Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft für verbunden erachten muss, den Vorgang zu erleichtern, und, sollte es nichts weiter zur Hand haben als ein anatomisches Messer, die berstende Hülle nach seinem besten Vermögen lüften zu helfen. In dieser Pflicht liegt für mich die Entschuldigung, diese Abhandlungen zu veröffentlichen. Denn es wird zugegeben werden müssen, dass einige Kenntniss von der Stellung des Menschen in der belebten Natur eine unentbehrliche Vor- bereitung für das richtige Verständniss seiner Beziehungen zur Gesammtheit der Dinge ist; — und diese selbst wiederum löst sich schliesslich in eine Untersuchung über die Natur und Enge der Beziehungen auf, welche ihn mit jenen sonder- baren Geschöpfen verbindet, deren Geschichte *) auf den vor- stehenden Seiten skizzirt wurde. *) Es versteht sich, dass ich in der vorhergehenden Abhandlung aus der ungeheuren Menge von Abhandlungen, die über die menschen- ähnlichen Affen geschrieben worden sind, nur die zur Erwähnung ausgewählt habe, die mir .von besonderer Bedeutung schienen. zu den nächstniederen Thieren. 67 Die Bedeutung einer solchen Untersuchung ist durch sich selbst offenbar. A.ber von Angesicht zu Angesicht jenen verzerrten Abbildern seiner selbst gegenübergebracht, ist sich selbst der gedankenloseste Mensch eines gewissen Schreckens bewusst, der vielleicht nicht sowohl Folge des Abscheus beim Anblick einer scheinbar beleidigenden Cari- catur stincr selbst, sondern dem Erwachen eines plötzlichen und tiefen Misstrauens zuzuschreiben ist; eines Misstrauens gegen altehrwürdige Theorien und festgewurzelte Vorurtheile in Bezug auf seine eigene Stellung in der Natur und seine Beziehungen zu den unteren Schichten des Lebens; und während dies für den nicht weiter Nachdenkenden eine dunkle Ahnung bleibt, wird es für alle die, welche mit den neueren Fortschritten der anatomischen und physiologischen Wissen- schaften bekannt sind, ein weiter, mit den tiefsten Conse- quenzen beschwerter Beweisgrund. Ich beabsichtige nun, diesen Beweis anzutreten und in einer auch für die, welche keine specielle Bekanntschaft mit anatomischer "Wissenschaft besitzen, verständlichen Form die hauptsächlichsten Thatsachen vorzuführen, auf welche alle Schlussfolgerungen über die Natur und den Umfang der Beziehungen, welche den Menschen mit der Thierwelt ver- binden, basirt sein müssen; ich werde dann den einen un- mittelbar sich daraus ergebenden Schluss andeuten, der meinem Urtheile nach durch jene Thatsachen gerechtfertigt wird, und werde zum Schlüsse die Tragweite dieser Folgerung in Bezug auf die Hypothesen erörtern, die bis jetzt betreffs des Ursprungs des Menschen aufgestellt worden sind. Obgleich die Thatsachen, auf die ich zunächst die Auf- merksamkeit des Lesers lenken möchte, von vielen aner- kannten Lehrern des Volkes ignorirt werden, so sind sie doch leicht nachzuweisen und mit Uebereinstimmung von allen Männern der Wissenschaft angenommen; während andererseits ihre Bedeutung so gross ist, dass diejenigen, welche sie gehörig erwogen haben, meiner Meinung nach wenig andere biologische Offenbarungen finden werden, die 5* G8 Ueber die Beziehungen des Menschen - sie überraschen können. Ich beziehe mich hier auf die Thatsachen, welche durch das Studium der Entwickelungs- geschichte bekannt geworden sind. Es ist eine Wahrheit von sehr weiter, wenn nicht allge- meiner Gültigkeit, dass jedes lebende Geschöpf sein Leben in einer Form beginnt, welche einfacher und von der, die es später annimmt, verschieden ist. Die Eiche ist ein zusammengesetzteres Ding als die kleine rudimentäre in der Eichel enthaltene Pflanze ; die Raupe ist zusammengesetzter als das Ei, der Schmetterling zusam- mengesetzter als die Raupe; und jedes dieser Geschöpfe durchläuft beim Uebergang von seinem rudimentären zum vollkommenen Zustand eine Reihe von Veränderungen, deren Summe seine Entwickelung genannt wird. Bei den höheren Thieren sind diese Veränderungen äusserst complicirt; im Verlaufe des letzten halben Jahrhunderts haben aber die Arbeiten von Männern, wie von Baer, Rathke, Reichert, Bischoff und Remak dieselben fast vollständig aufgeklärt, so dass die aufeinanderfolgenden Entwickelungszustände, eines Hundes z. B., jetzt dem Embryologen so bekannt sind, wie es die Verwandlungszustände des Seidenwurmes jedem Schulknaben sind. Es wird von Nutzen sein, aufmerksam die Natur und Reihenfolge der Entwickelungszustände des Hundes zu betrachten, als ein Beispiel dieses Vorganges bei höheren Thieren im Allgemeinen. Der Hund beginnt, wie alle Thiere, mit Ausnahme der niedersten (und fernere Untersuchungen werden wahrschein- lich diese scheinbare Ausnahme noch beseitigen), sein Leben als ein Ei, als ein Körper, der in jeder Bedeutung ebenso gut ein Ei ist, als das der Henne, aber jene Anhäufung von nährender Substanz entbehrt, die dem Vogelei seine aus- nahmsweise Grösse und häusliche Brauchbarkeit verleiht; ebenso fehlt ihm die Schale, die nicht bloss für ein Thier nutzlos wäre, das innerhalb des Körpers seiner Mutter aus- gebrütet wird, sondern demselben auch die Erlangung der Nahrung unmöglich machen würde, die das junge Ge- zu doii nächstniederen Thieren. 69 schöpf bedarf, die aber das kleine Säugetliier nicht in sich besitzt. Dasllundeei ist ein kleines kugliges Bläschen (Fig. 13) aus einer zarten durchsichtigen Haut, der sogenannten Dotterhaut, gebildet und ungefähr »/,»0 bis V120 Zoll im Durch- messer. Es enthält eine Masse zähflüssiger nährender Sub- stanz, den „Dotter?, innerhalb dessen ein zweites noch viel zarteres kugliges Bläschen, das sogenannte „Keimbläschen" (a), eingeschlossen liegt. In diesem letzteren endlich liegt ein mehr solider rundlicher Körper, der sogenannte „Keimfleck" (&). Fier. 13. A. Ein Htmdeei. mit geborstener Dotterhaut, so dass der Dotter, das Keimbläschen («) und der von diesem eingeschlossene Keimfleck (b) ausgetreten ist. B. C. D. E. F. Aufeinanderfolgende Veränderungen des Dotters, wie im Text beschrieben wurde (nach Bischoff i. Das Ei oder „Ovum" wird ursprünglich in einer Drüse gebildet, aus der es sich zur passenden Zeit loslöst und in den lebendigen Behälter eintritt, der zu seinem Schutze und zu seiner Erhaltung während des längern Processes der Trächtigkeit eingerichtet ist. Unterliegt es den erforder- lichen Bedingungen, so wird hier dieses äusserst kleine und scheinbar unbedeutende Theilchen lebender Substanz von einer neuen und geheimnissvollen Thätigkeit belebt. Das Keimbläschen und der Keimfleck hören auf erkennbar zu 70 Ueber die Beziehungen des Menschen sein (ihr definitives Schicksal ist noch eins der ungelösten Probleme der Embryologie), der Dotter aher wird am Um- fange eingeschnitten, als oh ein unsichtbares Messer rings um ihn gezogen worden wäre, und er erscheint nun in zwei Halbkugeln getheilt (Fig. 13, C). Durch Wiederholung dieses Vorganges in verschiedenen Ebenen werden diese Halbkugeln weiter getheilt, so dass vier Segmente entstehen (D); diese theilen sich weiter und weiter, bis endlich der ganze Dotter in eine Menge von Körnchen umgewandelt ist, von denen jedes aus einem kleinen Kügelcben von Dottersubstanz besteht, das ein in der Mitte ge- legenes Körperchen, den sogenannten „Kern", einschliesst (F). Die Natur hat durch diesen Vorgang dasselbe Resultat er- reicht, wie ein menschlicher Handwerker beim Anfertigen von Ziegeln. Sie nimmt das rohe plastische Material des Dotters und theilt es in passend geformte, ziemlich gleich- grosse Massen, fertig in den Aufbau irgend eines Theils des lebendigen Gebäudes einzutreten. Zunächst erhält nun diese Masse organischer Bausteine oder „Zellen", wie sie technisch genannt werden, eine be- stimmte Anordnung; sie wird in ein kugliges Hohlbläschen mit doppelter Wandung verwandelt. Dann tritt auf einer Seite dieser Kugel eine Verdickung auf, und allmählich be- zeichnet in der Mitte des verdickten Feldes eine gerade, seichte Rinne (Fig. 14, A) die Mittellinie des zu errichtenden Ge- bäudes, sie bezeichnet mit anderen Worten die Lage der Mittellinie des Körpers des künftigen Hundes. Die diese Rinne zu beiden Seiten einfassende Substanz erhebt sich dann zunächst in eine Falte, die Andeutung der Seitenwand jener langen Höhlung, welche später das Rückenmark und das Gehirn enthält; am Boden dieses Behälters erscheint ein solider zelliger Strang, die sogenannte „Rückensaite". Das eine Ende der eingeschlossenen Höhlung erweitert sich zur Bildung des Kopfes (Fig. 14, B), das andere bleibt eng und wird später der Schwanz ; die Seitenwände des Körpers bilden sich aus den nach abwärts gerichteten Verlängerungen zu den nächstniederen Thieren. 71 der Wandungen jener Rinne; und von diesen ans wachsen kleine Knospen hervor, welche allmählich die Form von Glied- maassen annehmen. Verfolgt man diesen Bildungsvorgang Schritt für Schritt, so wird man stark an einen Bildner in Thon erinnert. Jeder Theil, jedes Organ wird zuerst ge- wisserinaasseD roh angelegt und nur aus dem Rohen skizzirt, dann sorgfältiger geformt, und erst zuletzt erhält es die Züge, die seinen definitiven Charakter ausmachen. Auf diese Weise erhält mit der Zeit das junge Hündchen eine solche Gestalt, wie die in Fig. 14, C dargestellte. Auf diesem Zustande hat es einen unverhältnissmässig grossen Kopf, der dem Kopfe eines Hundes so ungleich ist, wie die knospenartigen Gliedmaassen den Beinen des Hundes un- gleich sind. Fig. 14. A. Früheste Anlage des Hundes. B. Anlage weiter vorgeschritten, die Grundlage des Kopfes. Schwanzes und der Wirbelsäule zeigend. C Das ganz junge Hündchen, mit den befestigten Enden des Dottersacks und der Allantois, und vom Amnios umhüllt. Die Ueberbleibsel des Dotters, die nicht auf die Nahrung und das Wachsthum des jungen Thieres verwandt wurden, sind in einen Sack eingeschlossen, der am rudimentären 72 Ueber die Beziehungen des Menschen Darm befestigt ist und Dottersack oder „Nahrlhl dachen" ge- nannt wird. Zwei häutige Blasen, beziehentlich zum Schutze und zur Ernährung des jungen Geschöpfes bestimmt, haben sich von der Haut und von der untern und hintern Fläche des Körpers aus entwickelt; die erstere, das sogenannte .,A)>nu<>s". ist ein mit Flüssigkeit gefüllter Sack, der den ganzen Körper des Embryo umhüllt und die Rolle einer Art von Wasserbad für ihn spielt; die andere, „AUcmtois" ge- nannt, wächst, Blutgefässe tragend, von der Bauchgegend aus und legt sich später an die Wandung des Hohlraumes, in dem der sich entwickelnde Organismus enthalten ist, hier- durch jene Blutgefässe zu den Canälen machend, durch welche der Nahrungsstrom, der die Bedürfnisse des Jungen zu decken bestimmt ist, ihm von der Mutter geliefert wird. Das Gebilde, welches sich durch die Verschlingungen der Blutgefässe des Jungen mit denen der Mutter bildet und mittelst dessen das ersterein den Stand gesetzt wird, Nahrung zu erhalten und verbrauchte Stoffe zu entfernen, wird „Pla- centa" oder Mutterkuchen genannt. Es wäre langweilig und für meinen gegenwärtigen Zweck unnöthig, den Fortschritt der Entwickelung weiter zu ver- folgen; es genüge zu sagen, dass das hier beschriebene und abgebildete Rudiment durch eine lange und allmähliche Reihe von Veränderungen ein Hündchen wird, geboren wird und dann durch noch langsamere und weniger auffall ende Schritte in einen erwachsenen Hund sich verwandelt. Es besteht keine auffallende Aehnlichkeit zwischen einem Haushuhn und dem Hunde, der den Meierhof beschützt. Nichtsdestoweniger findet der, welcher die Entwickelung studirt, nicht bloss, dass das Hühnchen sein Leben als Ei beginnt, das ursprünglich in allen wesentlichen Beziehungen mit dem des Hundes identisch ist, sondern dass der Dotter einer Theilung unterliegt, dass sich die primitive Rinne bildet und dass die hieran stossenden Theile des Keimes, in genau ähnlicher Weise, in ein Hühnchen umgebildet werden, welches auf einem Zustande seiner Existenz dem werdenden Hunde zu den nächstniederen Thieren. 73 so gleich ist, dass eine gewöhnliche Betrachtung die beiden kaum unterscheiden kann. Die Entwickelungsweise irgend eines andern Wirbel- thieres, einer Eidechse, Schlange, eines Frosches oder Fisches erzählt uns dieselbe Geschichte. Ueberall findet sich als Ausgangspunkt ein Ei mit derselben wesentlichen Structur wie das des Hundes: der Dotter dieses Eies erleidet überall eine Theilung. oder Segmentation, Furchung, wie es auch oft genannt wird; die letzten Producte dieser Theilung bilden die Baumaterialien für den Körper des jungen Thieres; und dieser wird um eine primitive Rinne angelegt, in deren Grunde sich eine Rückensaite entwickelt. Ferner giebt es eine Periode, auf welcher sich die Jungen aller dieser Thiere einander ähnlich sind, nicht bloss in äusserer Form, sondern in allen wesentlichen Stücken ihres Baues, und zwar so sehr, dass die Verschiedenheiten nur unbeträchtlich sind, während sie sich in ihrem weitern Verlaufe immer weiter und weiter von einander entfernen. Und es ist ein allgemeines Gesetz, dass, je mehr sich irgend welche Thiere in ihrem erwachsenen Bau einander ähnlich sind, desto länger und eingehender sich ihre Embryonen gleichen, so dass z. B. die Embryonen einer Schlange und einer Eidechse länger einander ähnlich bleiben, als die einer Schlange und eines Vogels; und die Em- bryonen eines Hundes und einer Katze bleiben einander eine längere Zeit ähnlich, als die eines Hundes und eines Vogels, oder die eines Hundes und einer Beutelratte, oder selbst als die eines Hundes und eines Affen. Auf diese Weise bietet das Studium der Eutwickelung einen deutlichen Beweis von der Nähe der Verwandtschaft im Bau dar, und wir wenden uns mit Ungeduld zu der Unter- suchung, was für Resultate das Studium der Entwicklung des Menschen aufweist. Ist er etwas Besonderes? Entsteht er in einer ganz andern Weise als ein Hund, Vogel, Frosch und Fisch, giebt er damit denen Recht, wrelche behaupten, er habe keine Stelle in der Xatur und keine wirkliche Ver- wandtschaft mit der niedern Welt thierischen Lebens V Oder 74 Tel »er die Beziehungen des Mensehen o entsteht er in einem ähnlichen Keim, durchläuft er dieselben langsamen und allmählichen progressiven Modificationen, hängt er von denselben Einrichtungen zum Schutz und zur Ernährung ab und tritt er endlich in die Welt mit Hülfe desselben Mechanismus ? Die Antwort ist nicht einen Augen- blick zweifelhaft, und ist für die letzten dreissig Jahre nicht zweifelhaft gewesen. Ohne Zweifel ist die Entstehungsweise, sind die früheren Entwickelungszustände des Menschen identisch mit denen der unmittelbar unter ihm in der Stufen- leiter stehenden Thiere : — ohne allen Zweifel steht er in diesen Beziehungen den Affen viel näher, als die Affen den Hunden. Das menschliche Ei ist ungefähr 1/125 Zoll im Durch- messer und kann mit denselben Worten beschrieben werden wie das des Hundes, so dass ich nur auf die zur Erläuterung seines Baues gegebene Figur (15, A) zu verweisen habe. Es verlässt das Organ, in dem es gebildet wurde , in einer ähn- lichen Weise und tritt in die zu seiner Aufnahme vorberei- tete Kammer in derselben Weise ein, da eben die Bedin- gungen zu seiner Entwickelung in jeder Hinsicht dieselben sind. Es ist bis jetzt nicht möglich gewesen (und es kann nur durch einen seltenen Zufall je möglich werden), das menschliche Ei auf einem so frühen Entwickelungszustand wie dem der Dottertheilung zu untersuchen, es ist aber Grund zu dem Schluss vorhanden, dass die Veränderungen, die es erleidet, mit denen identisch sind, die die Eier ande- rer Wirbelthiere darbieten; denn das Bildungsmaterial, aus dem der rudimentäre menschliche Körper zusammengesetzt wird, ist auf den frühesten Zuständen, die bis jetzt zur Beob- achtung kamen , dasselbe wie das anderer Thiere. Einige dieser frühesten Zustände sind in Fig. 15 abgebildet, und sie sind, wie zu sehen ist, den sehr frühen Zuständen des Hun- des genau vergleichbar ; die merkwürdige Uebereinstimmung zwischen den beiden, welche mit dem Fortschritt, der Ent- wickelung selbst noch eine Zeit lang aufrecht erhalten wird, springt sofort in die Augen bei einer einfachen Vergleichung der Figuren mit denen auf Seite 71. zu den nächstniederen Thieren. 7.") Es dauert in der That lange, ehe der Körper des jungen menschlichen Wesens von dem des jungen Hündchens leicht unterschieden werden kann; schon in einer ziemlich frühen Fig. 15. c A. Menschliches Ei (nach Kölliker). a. Keimbläschen, b. Keimfleck. B. Sehr früher Entwickelmigszustand des Menschen mit Dottersack, Allantois und Amnios (Original). C. Ein späterer Zustand (nach Kölliker), vergl. Fig. 14. C. Periode aber werden sie beide durch die verschiedene Form ihrer Anhänge unterscheidbar, des Dottersacksund der Allantois. Der erstere wird beim Hunde lang und spindel- förmig, während er beim Menschen kugelig bleibt; die letztere erreicht beim Hunde eine ausserordentlich bedeutende Grösse, und die Gefässfortsätze, welche sich von ihr aus ent- wickeln und später die Grundlage zur Bildung der Placenta geben (gewissermaassen im mütterlichen Organismus Wurzel fassend, um aus ihm Nahrung aufzunehmen, wie die Wurzeln eines Baumes aus dem Boden Nahrung aufnehmen), werden in einer ringförmigen Zone angeordnet, während beim Men- schen die Allantois verhältnissmässig klein bleibt und seine Gefässwürzelchen später auf einen scheibenförmigen Fleck beschränkt bleiben. Während daher die Placenta eines Hundes wie ein Gürtel ist, hat die des Menschen eine kuchen- förmige Gestalt, woher auch ihr Name rührt. Aber genau in diesen Beziehungen, in denen der sich entwickelnde Mensch vom Hunde verschieden ist, gleicht er 7li Ueber die Beziehungen des Menschen dem Affen, der wie der Mensch einen kugeligen Dottersack und eine scheibenförmige, zuweilen theilweis gelappte Pla- centa besitzt. K> ist daher erst in den späteren Entwickelungszustän- den, dass das junge menschliche Geschöpf ausgeprägte Ver- schiedenheiten vom jungen Affen darbietet, während der letztere genau so weit in seiner Entwicklung vom Hunde abweicht, als es der Mensch thut. So verwunderlich die letzte Behauptung auch klingen mag, so ist sie doch nachweisbar wahr; und dieser Umstand allein scheint mir hinreichend, die Einheit im Bau zwischen Menschen und der übrigen thierischen Welt, aber besonders die nahe Verwandtschaft mit den Affen ausser allen Zwei- fel zu setzen. Wie der Mensch so mit den Thieren, die in der Stufen- leiter unmittelbar unter ihm stehen, identisch ist in den physikalischen Vorgängen, durch welche er entsteht, identisch in den ersten Zuständen seiner Bildung, identisch in der Weise seiner Ernährung vor und nach der Geburt, — so zeigt er auch, in seinem erwachsenen Zustande mit jenen verglichen, wie zu erwarten war, eine merkwürdige Aehnlich- keit der Organisation. Er ist ihnen ähnlich in derselben Weise, wie sie einander ähnlich sind, er unterscheidet sich von ihnen, wie sie sich unter einander unterscheiden. Und ob- gleich diese Aehnlichkeiten und Verschiedenheiten nicht ge- wogen und gemessen werden können, so ist doch ihr Werth leicht zu schätzen; der Maassstab der Beurtheilung mit Be- zug auf diesen Werth wird durch das classificatorische Sy- stem dargeboten und ausgedrückt, welches jetzt unter den Zoologen geläufig ist. Ein sorgfältiges Studium der von den Thieren dargebo- tenen Aehnlichkeiten und Verschiedenheiten hat in der That die Naturforscher dahin geführt, die Thiere in Gruppen an- zuordnen oder in gewissen Kreisen zu vereinigen, wobei alle Glieder einer jeden Gruppe einen gewissen Betrag leicht be- stimmbarer Aehnlichkeit darbieten, und wobei die Zahl der zu den nächstniederen Thieren. 77 übereinstimmenden Punkte kleiner wird, je grösser die Gruppe wird und umgekehrt. So bilden alle Geschöpfe, welche nur in den wenig unterscheidenden Zeichen der Animalität über- einstimmen, das ..Reich" Thiere, Animalia. Die zahlreichen Thiere, welche nur in dem Besitz der speciellen Charaktere der Wirbelthiere übereinstimmen, bilden ein „Unterreich" dieses Reiches. Dann wird weiter das Unterreich „Wirbel- thiere" in fünf „Classen" eingetheilt, Fische, Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugethiere, diese wieder in kleinere Gruppen, „Ordnungen" genannt, diese in „Familien" und „Gattungen-, während die letzteren in die kleinsten Ver- einigungen aufgelöst werden, die durch den Besitz constanter, nicht geschlechtlicher Merkmale unterschieden werden. Diese letzten Gruppen sind die Arten, Species. Jedes Jahr bringt eine grössere Gleichmässigkeit der Ansichten durch die ganze zoologische Welt in Bezug auf die Grenzen und Merkmale dieser grösseren und kleineren Gruppen mit sich. Gegenwärtig hat z. B. Niemand den geringsten Zweifel in Bezug auf die Merkmale der Classen: Säugethiere, Vögel oder Reptilien; noch ent- steht die Frage, ob irgend ein durch und durch wohlge- kanntes Thier in die eine oder in die andere Classe gestellt werden sollte. Ferner herrscht in Bezug auf die Charaktere und Grenzen der Ordnungen der Säugethiere eine allge- meine Uebereinstimmung, ebenso in Bezug, auf die Thiere, welche von ihnen ihrem Baue nach in die eine Ordnung ein- gereiht werden müssen, und welche in eine andere. Niemand zweifelt z. B„ dass das Faulthier und der Ameisenfresser, das Känguruh und die Beutelratte, der Tiger und der Dachs, der Tapir und das Rhinoceros beziehentlich Glieder derselben Ordnungen sind. Diese einzelnen Paare können, und einige werden wirklich unendlich unter einan- der verschieden sein, und zwar in solchen Punkten, wie die Verhältnisse und der Bau ihrer Gliedmaassen, die Zahl der Rücken- und Lendenwirbel, die Anpassung ihres Baues an die Fähigkeit zu klettern, springen oder laufen, die Zahl 78 Ueber die Beziehungen des Menschen und Form ihrer Zähne, und die Charaktere ihrer Schädel und des in diesen eingeschlossenen Gehirns. Aher bei all diesen Verschiedenheiten sind sie in allen bedeutenderen und fundamentalen Charakteren ihrer Organisation so nahe verwandt, und durch dieselben Merkmale von anderen Thieren so deutlich unterschieden, dass die Zoologen es eben für nothwendig halten, sie als Glieder einer Ordnung zusammen- zustellen. Und wenn irgend ein neues Thier entdeckt würde, das keine grössere Verschiedenheiten vom Känguruh und der Beutelratte darböte, als diese unter einander haben, so würde der Zoolog nicht bloss logisch verbunden sein, es mit diesen in dieselbe Ordnung zu bringen, sondern er würde überhaupt gar nicht daran denken, etwas anderes zu thun. Wir wollen einmal, diesen klaren Gang eines zoologi- schen Raisonnements vor Augen, versuchen, unsere Gedanken für einen Augenblick von unserer Stellung als Menschen loszumachen; wir wollen uns einmal in die Stelle wissen- schaftlich gebildeter Bewohner des Saturn versetzen, die hinreichend mit solchen Thieren, wie sie jetzt die Erde be- wohnen, bekannt sind. "Wir wären bei einer Discussion über die Beziehungen dieser Thierwelt zu einem neuen und eigen- thümlichen „aufrechten und federlosen Zweifüssler", den irgend ein unternehmender Reisender, der die Schwierigkeiten des Raumes und der Schwerkraft überwunden hätte, von jenem entfernten Planeten wohl verwahrt, vielleicht in einem Fasse Rum zu unserer Betrachtung mitgebracht hätte. Wir würden alle sofort darin übereinkommen, ihn unter die Wirbelthiere und unter die Säugethiere zu stellen; und sein Unterkiefer, seine Backzähne und sein Gehirn würden uns nicht zweifeln lassen, dass die neue Gattung ihre systemati- sche Stellung unter denjenigen Säugethieren finde, deren Junge während der Trächtigkeit mittelst einer Placenta er- nährt werden, die wir daher placentale Säugethiere nennen. Es würde uns ferner selbst die oberflächlichste Unter- suchung sofort überzeugen, dass unter den Ordnungen der placentalen Säugethiere weder die Wale, noch die Hufthiere, zu den nächstniederen Thieren. 79 noch die Faulthiere und Ameisenfresser, noch die fleisch- fressenden Katzen, Hunde und Düren, noch weniger die nagenden Ratten und Kaninchen oder die insectenfressen- den Maulwürfe und Igel oder die Fledermäuse unsere neue Form „Homo" als Glieder ihrer selbst beanspruchen können. Es würde daher nur eine einzige Ordnung zur Ver- gleichung übrig bleiben, die der Affen (das Wort im weite- sten Sinne gebraucht), und die zu erörternde Frage würde sich dahin eoncentriren : — ist der Mensch von irgend welchen dieser Affen so verschieden, dass er eine Ordnung für sich bilden muss? Oder weicht er weniger von ihnen ab, als sie unter einander abweichen, und muss er deshalb seine Stelle in derselben Ordnung mit ihnen einnehmen? Da wir glücklicherweise frei von jedem wirklichen oder eingebildeten persönlichen Interesse an den Resultaten der so veranstalteten Untersuchung wären, so würden wir daran gehen, die Gründe der einen wie der andern Ansicht gegeneinander abzuwägen, und zwar mit so viel Ruhe des Urtheils, als ob die Frage eine neue Beutelratte beträfe. Wir würden alle die Merkmale, durch welche unser neues Säugethier von den Affen abweicht, zu bestimmen versuchen, ohne sie vergrössern oder verkleinern zu wollen; und wenn wir fänden, dass diese unterscheidenden Merkmale von ge- ringerem Werthe in Bezug auf den ganzen Bau wären, als die, welche gewisse Formen der Affen von anderen, nach allge- meiner Uebereinstimmung zu derselben Ordnung gehörigen Formen unterschieden, so würden wir ohne Zweifel die neu entdeckte irdische Gattung in dieselbe Gruppe einordnen. Ich will nun daran gehen, die Thatsachen einzeln durch- zugehen, welche mir keine andere Wahl zu lassen scheinen, als der letzterwähnten Eventualität zu folgen. Es ist völlig sicher, dass die Affenform, welche dem Menschen in der Gesammtheit des ganzen Baues am näch- sten kommt, entweder der Chimpanze oder der Gorilla ist ; und da es für den Zweck meines gegenwärtigen Beweises 80 Ueber die Beziehungen des Menschen von keiner praktischen Verschiedenheit ist, welcher zur Vergleichung einerseits mit dem Menschen, andererseits mit den übrigen Primaten*) genommen wird, so wähle ich (so weit seine Organisation bekannt ist) den letzteren als ein jetzt in Prosa und Poesie so gefeiertes Thier, dass alle von ihm gehört haben und sich irgend ein Bild von seiner Erscheinung entworfen haben müssen. Ich werde so viele von den wichtig- sten Differenzpunkten zwischen dem Menschen und diesem merkwürdigen Geschöpf aufnehmen, als der mir zur Dispo- sition stehende Raum zu erörtern gestattet und die Beweis, bedürfnisse erfordern; ich werde ferner den Werth und die Grösse dieser Differenzen untersuchen und mit denen ver- gleichen, welche den Gorilla von anderen Thieren der- selben Ordnung trennen. In den allgemeinen Verhältnissen des Körpers und der Gliedmaassen besteht ein merkwürdigerUnterschied zwischen dem Gorilla und dem Menschen, der sofort in die Augen springt. Die Schädelkapsel des Gorilla ist kleiner, der Rumpf grösser, die unteren Extremitäten kürzer, die oberen länger im Verhältniss als beim Menschen. Ich finde, dass die Wirbelsäule eines völlig erwachsenen Gorilla, in dem Museum des königl. Collegiums der Wund- ärzte, der vorderen Krümmung entlang 27 Zoll misst, vom obern Rand des Atlas oder ersten Halswirbels bis zum un- tern Ende des Kreuzbeins, dass der Arm ohne die Hand 317-2 Zoll, das Bein ohne den Fuss 26y2, die Hand 93/4 Zoll, der Fuss 11 y4 lang ist. Nehmen wir mit anderen Worten die Länge der Wirbel- säule zu 100 an, so sind die Arme gleich 115, die Beine 96, die Hände 3G, die Füsse 41. Am Skelet eines männlichen Buschmann in derselben Sammlung sind die Verhältnisse zur Wirbelsäule, diese auf gleiche Weise gemessen und wieder zu 100 genommen, wie *) Wir sind bis jetzt noch nicht hinreichend mit dem Gehirn des Gorilla bekannt; bei Besprechung der Ilirnmerkmale werde ich daher den Chimpanze als die höchste Form unter den Affen annehmen. ~ zu den nhchstniederen Thieren. 81 folgt: Arm 78, Bein 110, Hand 26, Fuss 32. Bei einer Frau derselben Rasse ist der Arm 83, das Bein 120, Hand und Fuss wie vorhin. Am Skelet eines Europäers fand ich den Arm 80, das Bein 117, die Hand 26, den Fuss 35. Das Bein ist daher in seinem Verhältniss zur Wirbel- säule beim Gorilla nicht so verschieden von dem des Men- schen, wie es auf den ersten Blick scheint, es ist beim erstem unbedeutend kürzer als die Wirbelsäule und zwischen Vio und Vs länger als die Wirbelsäule beim letztern. Der Fuss ist länger und die Hand viel länger beim Gorilla; die grosse Verschiedenheit beruht aber in den Armen, welche beim Gorilla sehr viel länger als die Wirbelsäule sind, beim Men- schen sehr viel kürzer als die Wirbelsäule. Es entsteht nun die Frage, wie verhalten sich die anderen Aßen in dieser Beziehung zum Gorilla, wenn wir die Länge der auf gleiche Weise gemessenen Wirbelsäule gleich 100 setzen. Bei einem erwachsenen Chimpanze ist der Arm nur 96, das Bein 90, die Hand 43, der Fuss 39, — es ent- fernen sich also Hand und Bein mehr von den menschlichen Verhältnissen, der Arm weniger, während der Fuss ungefähr dem des Gorilla gleichkommt. Beim Orang sind die Arme sehr viel länger als beim Gorilla (122), während die Beine kürzer sind (89); der Fuss ist länger als die Hand (52 und 48) und beide sind viel länger im Verhältniss zur Wirbelsäule. Bei den anderen menschenähnlichen Affen, den Gibbons, sind diese Verhältnisse noch weiter verändert; die Länge der Arme verhält sich zu der der Wirbelsäule wie 19 zu 11 ; auch sind die Beine um ein Drittel länger als die Wirbel- säule, so dass sie länger als beim Menschen sind, anstatt kür- zer zu sein. Die Hand ist halb so lang als die Wirbelsäule ; der Fuss, kürzer als die Hand, misst ungefähr 5/M der Wir- bel säulenlänge. Es ist daher Hylobates um so viel länger in den Armen als der Gorilla, als der Gorilla in den Armen länger als der Mensch ist ; während er auf der andern Seite um so viel in Huxlev. Stellung des Menschen. (j 82 i eber die Beziehungen des Menschen den Beinen länger als der Mensch ist, als der Mensch in den Beinen länger als der Gorilla ist, so dass er an sich selbst die extremsten Abweichungen von der mittleren Länge bei- der Gliedinaassenpaare vereinigt (s. Titelbild). Der Mandrill bietet einen mittleren Zustand dar, die Arme und Beine sind ungefähr in Länge gleich, und beide sind kürzer als die Wirbelsäule, während Hand und Fuss nahebei dasselbe Verhältniss zu einander und zur Wirbel- säule haben, als beim Menschen. Beim Klammeraffen (Ateles) ist das Bein länger als die Wirbelsäule, der Arm länger als das Bein; und endlich ist bei jener merkwürdigen lemurinen Form, deü Indri (IAchano- tus), das Bein ungefähr so lang als die Wirbelsäule, während der Arm nicht mehr als "/18 ihrer Länge beträgt; die Hand ist etwas weniger, der Fuss etwas mehr als ein Drittel der Länge der Wirbelsäule lang. Diese Beispiele können sehr vervielfältigt werden ; die mitgetheilten reichen für den Nachweis hin, dass, in welchen Verhältnissen der Gliedmaassen auch der Gorilla vom Men- schen abweichen mag, die anderen Affen noch weiter vom Gorilla abweichen, und dass folglich solche Verschiedenhei- ten der Proportionen keinen Ordnungswerth haben können. Wrir wollen zunächst die vom Rumpfe dargebotenen Ver- schiedenheiten betrachten, welche aus der Wirbelsäule oder dem Rückgrat und den Rippen und dem Becken, die mit jenem verbunden sind, bestehen, und zwar beziehentlich beim Menschen und beim Gorilla. Beim Menschen hat die Wirbelsäule, zum Theil in Folge der Anordnung der Gelenkflächen der einzelnen Wirbel, zum grossen Theil in Folge der elastischen Spannung einiger der , faserigen Bänder oder Ligamente, welche diese Wirbel unter- einander verbinden, als ein Ganzes eine elegante S-förmige Krümmung, sie ist am Halse nach vorn convex, am Rücken concav, an den Lendenwirbeln convex und endlich wieder concav in der Kreuzbeingegend, eine Anordnung, die dem ganzen Rückgrat eine grosse Elasticität giebt und den bei zu den nächstniederen Thieren. 8-:> der Bewegung in aufrechter Stellung der Wirheisäule und durch diese dem Kopfe mitgeth eilten Stoss vermindert. Unter gewöhnlichen I mständen hat ferner der Mensch sieben Wirbel in seinem Halse; darauf folgen zwölf, welche Rippen tragen und den obern Theil des Rückens bilden, weshalb man sie Rückenwirbel (Dorsalwirbel) nennt; fünf liegen in der Lendengegend und tragen keine freien oder besonderen Rippen, dies sind die Lendenwirbel (Lunibar- wirbel); diesen folgen fünf zu einem grossen vorn ausge- höhlten, fest zwischen die Hüftbeine eingekeilten Knochen vereinigte Wirbel, die den Rückentheil des Beckens bilden und als Kreuz- oder Heiligenbein (sacrum) bekannt sind; und endlich bilden drei oder vier kleine mehr oder weniger bewegliche Knochen, ihrer Kleinheit wegen unbedeutend, den Coccyx oder rudimentären Schwanz. Reim Gorilla ist die Wirbelsäule ähnlich in Hals-, Rücken-, Lendenwirbel, Kreuzbein- und Schwanzwirbel ein- getheilt, und die Gesammtzahl der Hals- und Rückenwirbel zusammengenommen ist dieselbe wie beim Menschen; aber die Entwickelung eines freien Rippenpaares am ersten Len- denwirbel, die ein ausnahmsweises Vorkommen beim Men- schen bildet, ist beim Gorilla die Regel, und da die Rücken- von den Lendenwirbeln durch die Anwesenheit oder das fehlen von freien Rippen unterschieden werden, werden die siebzehn Dorsolumbarwirbel des Gorilla in dreizehn Rücken- und vier Lendenwirbel getheilt, während beim Menschen zwölf Rücken- und fünf Lendenwirbel vorhanden sind. Es besitzt indessen nicht bloss der Mensch gelegentlich reizehn Rippenpaare"), sondern der Gorilla hat auch zu- *) „Mehr als einmal," sagt Peter Camper, „habe ich mehr als sech^ Lendenwirbel beim Menschen angetroffen . . . Einmal fand ich drei- zehn Rippen und vier Lendenwirbel." Fallopius erwähnt dreizehn Rippenpaare und nur vier Lendenwirbel; und Eustachius fand einmal elf Rückenwirbel und sechs Lendenwirbel. — „Oeuvres de P. Camper", T. 1. p. 42. Wie Tyson angiebt, hatte sein „Pygmie" dreizehn liippen- paare und find' Lendenwirbel. Die Frage von der Krümmung der Wirbelsäule hei Alien erforderl noch weitere bntersuchungen. 6* 84 Ueber die Beziehungen des Menschen weilen vierzehn Paar, während andererseits ein Ürang-Utan- skelet im Museum des königl. Collegiums der Wundärzte wie der Mensch zwülf Dorsal- und fünf Lumbarwirbel hat. Cuvier giebt dieselbe Zahl bei einem Hylobates an. Auf der andern Seite besitzen viele der niederen Affen zwölf Rücken- und sechs oder sieben Lendenwirbel; der Douroucouli (Nyc- t/])/thc(Hs lri/-/rs Menschen. 8 114 Ueber die Beziehungen des Menschen Fig. 22. ' - Chimpnnzee. Die Hemisphären des grossen Gehirns vom Menschen und Chlmpanze, in derselben Länge gezeichnet, um die relativen Verhältnisse der Theile zu zeigen; das obere nach einem Präparat, das Mr. Flower, Conservator am Museum des Eoyal College oi Burgeons, für mich zu fertigen die Güte hatte, das untere nach der Photographie eines in ähn- licher Wei ■ | ■ ■: i ix1 r> Chimpanzegehirns , die der obeu erwähnten Abhandlung Mar ähaU's beigegeben war. n hinterer Lappen, h Seitenventrikel, c hinteres Born, x tüppocampus minor. zu den nächstniederer] Thieren. 1 L5 theil gerade diejenigen Gebilde sind, welche die aus- geprägtesten Hirn Charaktere darstellen, die der Mensch mit den Allen gemeinsam hat. Sie gehören zu den deut- lichsten Affeneigenthümlichkeiten, die der menschliche Or- ganismus darbietet. In Bezug auf die Windungen bieten die Affengehirne alle lebergänge von dem beinahe glatten Gehirn des Sahui bis zumOrang undChimpanze dar. die nur wenig unter dem Menschen stehen. Und es ist äusserst merkwürdig, dass, sobald alle Hauptfurchen auftreten, die Art ihrer Anordnung mit der der entsprechenden Furchen beim Menschen identisch ist. Die Oberfläche eines Affengehirns stellt eine Art von rjmrisszeichnung des menschlichen dar; bei den menschen- ähnlichen Affen werden immer mehr und mehr Details ein- getragen, bis endlich das Gehirn des Chimpanze und Orang dem Baue nach nur in untergeordneten Merkmalen von dem des Menschen unterschieden werden kann; hierher gehört die grössere Aushöhlung der vorderen Lappen, die constante Anwesenheit von Furchen, die dem Menschen gewöhnlich fehlen, und die verschiedene Lage und relative Grösse einiger Windungen. Was also den Bau des Gehirns anlangt, so ist klar, dass der Mensch weniger vom Chimpanze und Orang verschieden ist, als diese selbst von den Affen, und dass der Unterschied zwischen den Gehirnen des Chimpanze und des Menschen fast bedeutungslos ist, wenn man ihn mit dem zwischen dem Gehirn des Chimpanze und eines Lemurs vergleicht. Es darf indessen nicht übersehen werden, dass eine sehr auffallende Verschiedenheit in Bezug auf absolute Masse und Gewicht zwischen dem niedrigsten Menschengehirn und dem Gehirn des höchsten Affen vorhanden ist, — eine Ver- schiedenheit, die um so auffallender wird, wenn wir uns daran erinnern, dass ein erwachsener Gorilla wahrscheinlich bei- nahe zweimal so schwer ist als ein Buschmann, oder als manche Europäerin. Es darf bezweifelt werden, ob ein ge- sundes Gehirn eines erwachsenen Menschen je weniger als 8* L 16 [Jeber die Beziehungen des Menschen ein- oder zweiunddreissig Unzen gewogen hat, oder ob das schwerste Gorillagehirn schwerer als zwanzig Unzen ge- wesen ist. Dies ist ein sehr bemerkenswerther Umstand, der uns einst wohl hellen wird, den grossen A.bstand, welcher in Bezug auf intellectuelle Fähigkeit zwischen dem niedersten Menschen und dem höchsten Affen besteht, zu erklären*); *) Ich Bage „zu erklären helfen"; denn ich glaube durchaus nicht, dass irgend ein ursprünglicher Unterschied in der Qualität oder Quan- tität der Ilirnsubstanz jenes Auseinandergehen des Menschen- und Affenstammes verursacht hat, das zu dein gegenwärtigen enormen Abstand zwischen ihnen geführt hat. Es ist in einem gewissen Sinne ohne Zweifel völlig wahr, dass Unterschied in der Function das Re- sultat eines Unterschieds in der Structur ist, oder, mit anderen Worten, eines Unterschieds in der Combination der primären Molecularkräfte lebender Substanz; und von diesem unleugbaren Axiom ausgehend argumentiren die Gegner gelegentlich und scheinbar sehr plausibel, dass die grosse intellectuelle Kluft zwischen dem Menschen und dem Affen eine entsprechende anatomische Kluft in den Organen der in- tellectuellen Function voraussetzt; so dass der Umstand, dass man so grosse Differenzen nicht auffinde, kein Beweis dafür sei, dass sie nicht vorhanden seien, sondern dass die Wissenschaft nicht im Stande sei, sie nachzuweisen. Nur wenig Ueberlegung indessen wird, denke ich, das Irrige dieses Schlusses zeigen. Seine Gültigkeit ruht auf der Annahme, dass die intellectuelle Fähigkeit ganz und gar vom Gehirn abhänge, während doch das Gehirn nur eine jener vielen Bedingungen ist, von denen die geistigen Manifestationen abhängen ; die anderen sind hauptsächlich die Sinnesorgane und die motorischen Apparate, besonders die, welche beim Greifen und bei der Bildung der artiou- lirten Sprache betheiligt sind. Ein Stummgeborener würde trotz seiner grossen Gehirnmasse und der Krerbung starker intellectueller Instincte nur wenige höhere geistige Manifestationen zu äussern im Stande sein als ein Orang oder Chimpanze, wenn er auf die Gesellschaft stummer Genossen be- schränkt wäre. Und doch könnte nicht der geringste erkennbare Unterschied zwischen seinem Gehirn und dem einer ausseist intelli- genten und gebildeten Person vorhanden sein. Die Stummheit könnte die Folge einer mangelhaften Bildung des Mundes oder der Zunge, oder einer bloss fehlerhaften Innervation dieser Theile sein; oder die Folge angeborener Taubheit, die wiederum durch einen minutiösen. nur von einem sorgfältigen Anatomen nachzuweisenden Fehler des inneren Ohres verursacht wäre. Der Schluss: weil eine grosse Differenz zwischen der Intelligenz zu den nächstniederen Thieren. 117 er hat aber wenig systematischen Werth, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil (wie schon aus dem über den Schädel- inhalt Ges.-igten zu schliessen ist) der Gewichtsunterschied des Gehirns zwischen dem höchst entwickelten und niedersten Menschen sowohl relativ als absolut viel grösser ist, als der zwischen dem niedersten Menschen und dem höchsten Affen. Der letzterwähnte Unterschied wird, wie wir gesehen haben, durch zwölf Unzen Hirnsubstanz absolut, oder durch 32:20 relativ ausgedrückt; da aber das grösste bekannte mensch- liche Gehirn /.wischen 65 und 66 Unzen wog, so ist der erst- genannte Unterschied durch mehr als 33 Unzen absolut, oder durch 65 : 32 relativ zu bezeichnen. Systematisch betrachtet sind die Differenzen im Gehirn bei Menschen und Affen nur von generischem Werthe, — seine Familienmerkmale liegen hauptsächlich in seinem Gebiss, seinem Becken und seinen unteren Extremitäten. Wir mögen daher ein System von Organen vornehmen, welches wir wollen, die Vergleichung ihrer Modificationen in der Affenreihe führt uns zu einem und demselben Resul- tate: dass die anatomischen Verschiedenheiten, welche den Menschen vom Gorilla und Chimpanze scheiden, nicht so gross sind als die, welche den Gorilla von den niedrigeren Affen trennen. eines Menschen und eines Affen besteht, deshalb muss auch ein gleich grosser Unterschied zwischen ihren Gehirnen bestehen, scheint mir ungefähr ebenso begründet, als wenn man beweisen wollte, dass, weil „ein grosser Abstand" zwischen einer gutgehenden und einer gar nicht gehenden Uhr besteht, deshalb auch ein grosser Abstand zwischen der Structur der beiden bestehen müsse. Ein Haar am Balancier, ein bischen Eost an einem Stifte, ein Bug in einem Zähn- chen, irgend etwas so Kleines, dass nur das geübte Auge des Uhrmachers es nachweisen kann, könnte die Ursache des ganzen Unterschieds sein. Und da ich mit Cuvier glaube, dass der Besitz der articulirten Sprache das grosse Unterscheidungsmerkmal des Menschen ist (mag es ihm absolut eigentümlich sein oder nicht), so halte ich es für sehr leicht verständlich, dass eine in gleicher Weise wenig auffallende anatomische Verschiedenheit die primäre Ursache des unermesslichen und praktisch unendlichen Auseinanderweichcns des menschlichen und Affenstamms gewesen sein mag. 118 Ueber die Beziehungen des Menschen Indem ich aber diese bedeutungsvolle Wahrheit ausspreche, muss ich mich gegen ein sohl- verbreitetes Missverständniss verwahren. Ich finde in der That, dass sich der, wer nur einfach zu lehren sucht, was uns die Natur in diesen Dingen so klar zeigt, dem aussetzt, seine Meinung falsch dargestellt und an seiner Ausdrucksweise so lange herumgedeutelt zu sehen, bis er zu behaupten scheint, dass die anatomischen Unterschiede zwischen dem "Menschen und selbst den höchsten Affen gering und unbedeutend sind. Ich benutze daher diese Gelegenheit, im Gegentheil ausdrücklich zu versichern, dass sie gross und bedeutend sind, dass jeder einzelne Knochen des Gorilla Zeichen an sich trägt, durch welche er leicht von dem entsprechenden Knochen des Menschen unterschieden werden kann; und dass jedenfalls wenigstens in der jetzigen Schöpfung kein Zwischenglied den Abstand zwischen Homo und Troglodytes ausfüllt. Es würde nicht weniger unrecht als absurd sein, die Existenz dieser Kluft zu leugnen; es ist aber wenigstens ebenso unrecht als absurd, ihre Grösse zu übertreiben und, sich mit der zugegebenen Thatsache ihrer Existenz beruhigend, jede Untersuchung über die Weite oder Enge derselben zu- rückzuweisen. Man mag sich, wenn man will, immer daran erinnern, dass kein verbindendes Glied zwischen dem Menschen und Gorilla existirt, man soll aber nicht vergessen, dass zwischen dem Gorilla und dem Orang, oder dem Orang und dem Gibbon eine nicht weniger scharfe Trennungslinie be- steht und hier ebenso vollständig irgend welche Uebergangs- form fehlt. Ich sage: nicht weniger scharf, wenn sie auch etwas enger ist. Die anatomischen Verschiedenheiten zwischen dem Menschen und den menschenähnlichen Affen berechtigen uns sicher zu der Ansicht, dass er eine besondere, von jenen getrennte Familie bildet; da er aber weniger von ihnen ab- weicht, als sie von anderen Familien derselben Ordnung ver- schieden sind, so haben wir kein Recht, ihn zu einer besondern Ordnung zu erheben. Und so kömmt denn der vorausblickende Scharfsinn des zu den nächstniederen Thieren. 11t) grossen Gesetzgebers der systematischen Zoologie, Linne, zu seinem Rechte; ein Jahrhundert anatomischer Unter- suchung bringt uns zu seiner Folgerung zurück, dass der Menseb ein Glied derselben Ordnung ist (für welche der Linneische Käme Primates beibehalten werden sollte) wie die Affen und Lemuren. Diese Ordnung kann jetzt in sieben Familien von ungefähr gleichem systematischen Werthe ein- geteilt werden: die eiste, Anthropini, enthält nur den Menschen, die zweite, die Catarlihti. umfasst die Affen der .dten Welt . die dritte, die Platyrfiini, alle Affen der neuen Welt, mit Ausnahme der Sahui's; die vierte, die Arctopithe- cini. enthält die Sahui's, die fünfte, die Lemuvuii, die Le- muren, von denen Cheiromys wahrscheinlich auszuschliessen ist, um eine sechste besondere Familie, die Cheiromyini, zu bilden; die siebente, die Galeopiihechii. enthält nur den fliegenden Lemur, Gdleopithecus , eine merkwürdige Form, welche fast an die Fledermäuse grenzt, wie Cheiromys die Erscheinung eines Nagers darbietet, und die Lemuren die von Insectenfressern. Es bietet wohl kaum eine Säugethier Ordnung eine so ausserordentliche Reihe von Abstufungen dar, wie diese ; sie führt uns unmerklich von der Krone und Spitze der thieri- schen Schöpfung zu Geschöpfen herab, von denen scheinbar nur ein Schritt zu den niedrigsten, kleinsten und wenigst intelligenten Formen der placentalen Säugethiere ist. Es ist, als ob die Natur die Anmaassung des Menschen selbst vorausgesehen hätte, als wenn sie mit altrömischer Strenge dafür gesorgt hätte, dass sein Verstand durch seine eigenen Triumphe die Sklaven in den Vordergrund stelle, den Er- oberer daran mahnend, dass er nur Staub ist. Dies sind die hauptsächlichsten Thatsachen und die unmittelbare Folgerung aus ihnen, aufweiche ich im Anfang dieser Abhandlung hinwies. Die Thatsachen können, glaube ich, nicht bestritten werden ; und wenn dem so ist, so scheint mir auch der Schluss unvermeidlich. Wird aber der Mensch durch keine grössere ana- 120 l eber die Beziehungen des Menschen tomische Scheidewand von den Thieren getrennt, als diese von einander, dann seheint mir auch zu folgen, dass, wenn irgend ein natürlicher Causalvorgang nachgewiesen werden kann, durch welchen die Gattungen und Familien van Thieren entstanden sind, dieser Causalvorgang auch völlig hinreicht, die Entstehung des Menschen zu erklären. Mit anderen Worten, wenn gezeigt werden könnte, dass die Sahui's z. B. durch allmähliche Modifikation aus gewöhnliehen Platyrhinen entstanden sind, oder dass beide, Sahui's und Platyrhini, mo- dificirte Verzweigungen eines ursprünglichen Stammes sind — dann würde auch kein vernünftiger Grund vorhanden sein, daran zu zweifeln, dass der Mensch in dem einen Falle durch allmähliche Modifikation eines menschenähnlichen Affen, oder im andern Falle ebenso als eine Abzweigung desselben ursprünglichen Stammes wie jene Affen entstanden sei. Gegenwärtig hat nur ein solcher natürlicher Causalvor- gang irgendwelches Zeugniss zu seinen Gunsten aufzuweisen, oder mit anderen Worten: es giebt nur eine Hypothese in Betreff der Entstehung der Arten derThiere im Allgemeinen, welche eine wissenschaftliche Existenz hat — die von Darwin aufgestellte. Denn so scharfsinnig auch viele von Lamarck's Ansichten waren, so brachte er doch so viel Unreifes und selbst Absurdes hinzu, dass der Nutzen, den seine Originalität, wäre er ein nüchterner und vorsichtiger Denker gewesen, gehabt hätte, wieder neutralisirt wurde; und obgleich ich von der Ankündigung einer Formel über „das vorbedachte allmähliche Werden organischer Formen" gehört habe, so ist doch klar, dass die erste Pflicht einer Hypothese die ist, verständlich zu sein, und dass ein vollklingender Satz dieser Art, den man von vorn und von hinten und von der Seite her lesen kann, ohne seine Bedeutung zu beeinträchtigen, in Wirklichkeit gar nicht existirt, wenn er auch zu existiren scheint. Gegenwärtig löst sieh daher die Frage nach den Be- ziehungen des Menschen zu den Thieren schliesslich in die umfassendere Frage von der Haltbarkeit oder Unhaltbarkeit zu den nächstnjederen Thieren. 121 der Darwin'scheD Ansichten auf. Hier wird aber das Terrain schwierig und es gehört sich, unsere genaue Stellung zur Frage mit grosser Sorgfalt zu bestimmen. Ich glaube, es kann nicht bezweifelt werden, dass Dar- win hinreichend bewiesen hat, dass das, was er Wahl oder Modifikation in Folge einer Auswahl nennt, in der Natur vorkommen muss und wirklich vorkommt; er hat ferner bis zum leberfluss bewiesen, dass solche Wahl Formen erzeugen kann, die ihrem Baue nach so verschieden selbst wie Gat- tungen sein können. Böte uns die Thierwelt nur anatomische Verschiedenheiten dar, so würde ich nicht einen Augenblick zu erklären anstehen, dass Darwin die Existenz einer wirk- liehen physikalischen Ursache nachgewiesen habe, völlig hinreichend, den Ursprung lebender Arten, und des Menschen unter diesen, zu erklären. Ausser ihren anatomischen Verschiedenheiten bieten aber Pflanzen- und Thierarten, wenigstens eine grosse Zahl unter ihnen, physiologische Merkmale dar : Formen, die man anatomisch als besondere Arten kennt, sind meist entweder durchaus unfähig, sich unter einander zu vermehren, oder wenn sie es thun, ist der resultirende Bastard unfähig, seine Rasse mit einem andern Bastard derselben Art zu erhalten. Eine wirklich physikalische Ursache wird indessen nur unter einer Bedingung als eine solche angenommen: dass sie alle Erscheinungen, die in den Bereich ihrer Wirksamkeit fallen, erklären kann. Ist sie mit irgend einer Erscheinung unverträglich, so ist sie zu verwerfen ; ist sie nicht im Stande, eine einzelne Erscheinung zu erklären, so ist sie in diesem Punkte schwach oder verdächtig, obgleich sie vollständiges Recht haben mag, eine provisorische Annahme zu bean- spruchen. So viel mir bekannt ist, ist Darwin's Hypothese mit keiner bekannten biologischen Thatsache unvereinbar; im Gegentheil erhalten durch ilrre Annahme die Thatsachen der Entwickelung, vergleichenden Anatomie, geographischen Verbreitung und Paläontologie eine gegenseitige Verbindung 122 Ueber die Beziehungen des Menschen und eine Bedeutung, die sie zuvor nie besassen. Was mich betrifft, so bin ich völlig überzeugt, dass diese Hypothese, wenn sie nicht streng wahr, doch eine solche Annäherung an die Wahrheit ist, wie die Copernikanische Theorie für die Planetenbewegungen war. Trotz alledem muss unsere Annahme der Darwinschen Hypothese so lange nur provisorisch sein, als ein Glied in der Beweiskette noch fehlt; und so lange alle Thiere und Pflanzen, die sicher durch Zuchtwahl von einem gemein- samen Stamme entstanden sind, fruchtbar sind, und ihre Nachkommen unter einander, so lange fehlt jenes Glied. Denn für so lange kann nicht bewiesen werden, dass die Zuchtwahl alles das leistet, was zur Erzeugung natürlicher Arten nöthig ist. Ich habe den letzten Satz so stark als möglich dem Leser vorgelegt; denn die allerletzte Stellung, die ich ein- nehmen möchte, ist die eines Advocaten für Darwin's oder irgend welche andere Ansichten, wenn unter einem Advoca- ten der verstanden wird, dessen Aufgabe es ist, wirkliche Schwierigkeiten zu ebnen, und zu überreden, wo er nicht überzeugen kann. Um indessen Darwin gerecht zu sein, muss zugegeben werden, dass die Zustünde der Fruchtbarkeit und Unfrucht- barkeit sehr falsch verstanden werden, und dass der täg- liche Fortschritt der Erkenntniss dieser Lücke in dem Be- weis eine immer geringere Bedeutung beilegt, besonders verglichen mit der Menge von Thatsachen, welche mit seinen Lehren harmoniren oder von ihnen aus Erklärung erhalten. Ich nehme daher Darwin's Hypothese an als eine, die zur Beibringung des Beweises verpflichtet ist, dass physio- logische Arten durch Zuchtwahl entstehen, ebenso wie ein Physiker die liidulationstheorie des Lichts annimmt als ver- pflichtet, die Existenz des hypothetischen Aethers, oder ein Chemiker die atomistische Theorie als verpflichtet, die Existenz der Atome nachzuweisen ; und zwar genau aus denselben zu den nächstniedereo Thieren. L23 Gründen: sie hat unendlich viel Wahrscheinliches auf den ersten Blick für sich, sie ist gegenwärtig «las einzig erreich- bare Mittel, das Chaos beobachteter Thatsachen in eine be- stimmte Ordnung zu bringen; und endlich ist sie das wirk- samste Forschungsmittel, was die Naturforscher seit der Erfindung des natürlichen Classificationssystems und dem Beginn des systematischen Studiums der Embryologie er- halten haben. Wenn wir aber selbst Darwin's Ansichten bei Seite lassen, die ganze Analogie natürlicher Vorgänge liefert uns einen so vollständigen und vernichtenden Beweis gegen das Dazwischentreten anderer als sogenannter secundärer Ur- sachen bei der Erzeugung aller Erscheinungen im Universum, dass ich, die innigen Beziehungen zwischen dem Menschen und der übrigen lebenden Welt, und zwischen den in letzterer wirksamen Kräften und allen übrigen vor Augen, keinen Grund sehe, daran zu zweifeln, dass alle nur coordinirte Ausdrücke für den grossen Fortschritt der Natur sind, vom Formlosen zum Geformten, vom Unorganischen zum Orga- nischen, von blinder Naturkraft zu bewusstem Verstand und Willen. Die Wissenschaft hat ihre Pflicht erfüllt, wenn sie die Wahrheit ermittelt und ausgesprochen hat ; und wenn diese Zeilen nur für Männer der Wissenschaft bestimmt wären, so würde ich jetzt diese Abhandlung schliessen, wohl wissend, dass meine Fachgenossen nur Beweise anzuerkennen und es für ihre höchste Pflicht zu halten gelernt haben, diesem sich zu fügen, wie sehr es auch gegen ihre Neigungen Verstösse. Da ich aber den weitern Kreis des intelligenten Publi- cums zu erreichen wünsche, so wäre es eine unwürdige Feigheit, das Widerstreben zu ignoriren, mit dem die Mehr- zahl meiner Leser die Schlüsse aufzunehmen geneigt sein dürfte, zu welchen mich das sorgfältigste und gewissen- hafteste Studium, das ich dem Gegenstand nur zu widmen im Stande war, geführt hat. L24 Ueber die Beziehungen des Menschen Von allen Seiten höre ich ausrufen: „Wir sind Männer und Frauen, und nicht bloss eine bessere Art Affen, mit etwas längeren Beinen, etwas compacterem Fusse und grösserem Gehirn als eure thierisehen Chimpanzes und Gorillas. Die Kraft der Erkenntniss — das Bewusstsein von Gut und Böse — die mitleidsvolle Zartheit menschlicher Gemüthsstimmungen erheben uns weit über alle Genossen- schaft mit den Thieren, wie nahe sie auch an uns heran- zutreten scheinen.'" Hierauf kann ich nur entgegnen, dass dieser Ausruf äusserst gerecht wäre und meine ganze Sympathie besässe, wenn er nur irgend erheblich wäre. Ich bin es gewiss nicht, der die Würde des Menschen auf seine grosse Zehe zu gründen sucht, oder der zu verstehen giebt, dass wir ver- loren wären, wenn ein Affe einen Hippocampus minor hat. Ich habe im Gegentheil diese eitlen Fragen zu beseitigen mich bemüht. Ich habe zu zeigen versucht, dass zwischen uns und der Thierwelt keine absolute Linie anatomischer Abgrenzung gezogen werden kann, die breiter wäre, als die zwischen den unmittelbar auf uns folgenden Thieren; und ich will nocli mein Glaubensbekenntniss hinzufügen, dass der Versuch, eine psychische Trennungslinie zu ziehen, gleich vergebens ist und dass selbst die höchsten Vermögen des Gefühls und Verstandes in niederen Lebensformen zu keimen beginnen*). Gleichzeitig ist Niemand davon so stark *) Es ist für mich ein so seltnes Vergnügen, die Ansichten Pro- fessor Owen's in völliger Uebereinstirnmung mit meinen eignen zu finden, dass ich nicht umhin kann, eine Stelle aus seiner Abhandlung „Ueber die Charaktere etc. der ('lasse Mammalia" im Journal of the Proceedings of the Linnean Society of London für 1857 zu citiren, die aber unerklärlicher Weise in der zwei Jahre später vor der Universität Cambridge gehaltenen „Reade Lecture", die im Uebrigen fast nur ein Abdruck jener Abhandlung ist, weggelassen worden ist. Prof. Owen schreibt: „Da ich nicht im Stande bin, den Unterschied zwischen den psychischen Erscheinungen eines Chimpanze und eines Buschmanns, oder eines Azteken mit gehemmter 11 Unbildung, weder für so wesent- licher Natur anzuerkennen oder aufzufassen, dass ein Vergleich zwi- zu den nächstniederen Thieren. 125 überzeugt, wie ich, dass der Abstand zwischen civilisirten Menschen und den Thieren ein ungeheurer ist, oder so sicher dessen, dass. mag der Mensch von den Thieren stammen oder nicht, er zuverlässig nicht eins derselben ist. Niemand ist weniger geneigt, die gegenwärtige Würde des einzigen be- wussten intelligenten Bewohners dieser Welt gering zn halten, oder an seinen Hoffnungen auf das Künftige zu verzweifeln. Es wird uns allerdings von Leuten, die in diesen Sachen Autorität beanspruchen, gesagt, dass die beiden Ansichten nicht zu vereinigen wären, und dass der Glaube an die Ein- heit des Ursprungs des Menschen und der Thiere die Ver- thierung und Erniedrigung des erstem mit sich führe. Ist dem alier wirklich so V Könnte nicht ein einigermaassen verständiges Kind mit nahe liegenden Beweisen die seichten Redner zurückweisen, die uns diessen Schluss aufnöthigen wollen? Ist es wirklich wahr, dass der Poet, Philosoph oder Künstler, dessen Genius der Ruhm seiner Zeit ist, von seiner hohen Stellung erniedrigt wird durch die unbezweifelte histo- rische Wahrscheinlichkeit, um nicht zu sagen Gewissheit, dass er der directe Abkömmling irgend eines nackten und halbthierischen Wilden ist, dessen Intelligenz gerade hin- reichte, ihn etwas verschlagener als den Fuchs, dadurch aber um so mehr gefährlicher als den Tiger zu machen? Oder ist er verbunden zu heulen und auf allen Vieren zu kriechen wegen der ausser aller Frage stehenden Thatsache, dass er früher ein Ei war, das keine gewöhnliche Unterscheidungs- kraft von dem eines Hundes unterscheiden konnte? Oder sehen ihnen ausgeschlossen wäre, noch für einen andern als bloss g rad weisen zu halten, so kann ich meine Augen der Bedeutung jener Alles durchdringenden Gleichheit des Baues nicht versehliessen ; jeder Zahn, jeder Knochen ist streng homolog; und diese Gleichheit macht die Bestimmung des Unterschieds zwischen Jlomo und Pithecus zu einer schwierigen Aulgabe für den Anatomen." Es ist gewiss etwas sonderbar, dass der „Anatom", der es für „schwierig" hält, „den Unterschied zu bestimmen" zwischen Homo und Pithecus, beide doch auf anatomische Gründe gestützt in ver- schiedene Unterclassen bringt!" 12fi lieber die Beziehungen des Menschen muss der Menschenfreund und Heilige deu Versuch, ein edles Leben zu führen, aufgeben, weil das einfachste Studium der menschlichen Natur auf ihrem Grunde alle die selbstsüchti- gen Leidenschaften und die heftigen Begehrungen der ge- wöhnliehen Vierfüssler offenbart? Ist Mutterliebe gemein, weil eine Henne sie zeigt, oder Treue niedrig, weil ein Hund sie besitzt? Der gesunde Menschenverstand der grossen Masse der Menschheit wird diese Kragen, ohne sich einen Augenblick zu besinnen, beantworten. Eine gesunde Menschlichkeit, die sich hart bedrängt fühlt, wirklicher Sünde und Erniedrigung zu entfliehen, wird das Brüten über eine speculative Be- fleckung den Cynikern und den „Allzugerechten" überlassen. die, in allem Uebrigen verschiedener Meinung, in der blinden Unempfindlichkeit für den Adel der sichtbaren Welt und in der Unfähigkeit, die Grossartigkeit der Stellung des Menschen darin zu erfassen, sich vereinigen. Ja noch mehr: haben sich denkende Leute einmal den blindmachenden Einflüssen traditioneller Vorurtheile ent- wunden, dann werden sie in dem niedern Stamm, dem der Mensch entsprungen ist, den besten Beweis für den Glanz seiner Fähigkeiten finden und werden in seinem langen Fortschritt durch die Vergangenheit einen vernünftigen Grund finden, an die Erreichung einer noch edleren Zukunft zu glauben. Sie werden sich erinnern, dass wir, vergleichen wir den civilisirten Menschen mit der thierischen Welt, wie Alpen- reisende sind, die die Berge in den Himmel ragen sehen und kaum unterscheiden können, wo die tief beschatteten Klüfte und die ewig glänzenden Gipfel aufhören und die Wolken des Himmels anfangen. Gewiss ist der von tiefem Staunen ergriffene Reisende zu entschuldigen, wenn er sich weigert, dem Geologen zu glauben, der ihm erzählt, dass diese herrlichen Massen doch schliesslich nichts anderes sind, als erhärteter Schlamm vorweltlicher Meere oder ab- gekühlte Schlacken unterirdischer Hohöfen, von gleichem zu ei der Versammlung der British Association in Oxford, 1860, wiederholte Professor Owen jene Behauptungen in meiner Gegenwart; natürlich widersprach ich ihnen sofort direct und ohne Einschränkung mit dem Versprechen, dies sonst ungewöhnliche Verfahren an einem andern Orte zu rechtfertigen. Dieses Versprechen löste ich durch die Veröffentlichung eines Artikels in der Januar-Nummer der Natural Ilistory Beview, worin ich die Wahrheit der drei folgenden Sätze vollständig- nachwies (a. a. 0. S. 71) : „1. Dass der dritte Lappen dem Menschen weder eigenthümlich noch charakteristisch ist, da er bei allen höheren Quadrumanen existirt;" „2. dass das hintere Ilorn des Seitenventrikels dem Menschen weder eigenthümlich noch charakteristisch ist, da auch er bei den höheren Quadrumanen vorhanden ist;" „3. dass der Hippocampus minor dem Menschen weder eigen- thümlich noch charakteristisch ist, da er sich bei gewissen höheren Affen findet." Ferner enthält der Aufsatz folgende Stelle (S. 7ß): „Obgleich endlich Schroeder van der Kolk und Vrolik (a. a. 0. S. 271) ausdrücklich bemerken, dass ,der Seitenventrikel von dem des Menschen durch sehr mangelhafte Entwickelung des hii.tern Horns unterschieden ist, in welchem nur ein Streifen als Andeutung des Hippocampus minor sichtbar ist', so zeigt doch ihre Fig. 4 der zweiten Tafel, dass dies hintere Hörn ein völlig deutliches und unverkennbares Gebilde ist, völlig so gross, als es oft beim Menschen ist. Es ist um so merkwürdiger, dass Professor Owen die ausdrücklichen Angaben und Figuren dieser Verfasser übersehen haben sollte, als bei Ver- gleichung der Figuren augenscheinlich wird, dass sein Holzschnitt des Cliimpanzegehirns (a a. 0. S. 19) eine verkleinerte Copie der zweiten Figur auf der ersten Tafel Schroeder van der Kolk's und Vrolik's ist. „Gratiolct bemerkt indess ganz richtig (a a. 0. S. IS): ,unglück- licherwreise war das von ihnen als Modell genommene Gehirn bedeutend verändert (profondement affaissö), weshalb die allgemeine Form des Gehirns auf diesen Tafeln in einer völlig incorrecten Weise wieder- gegeben ist.' Es wird allerdings bei einer Vergleichung eines Durch- schnitts de= Chimpanzeschädels völlig klar, dass dies der Fall ist; zu den nächstniederen Thieren. 131 und es ist sehr zu bedauern, dass eine so in correcte Figur als typische Darstellung des Chimpanzegehirns genommen wurde." Von dieser Zeit an hatte woh] dem Professor Owen die Unnah- barkeit seiner Stellung so klar sein müssen, wie jedem Andern; weit davon entfernt aber, die grossen Irrthümer, in welche er gerathen war, zurückzunehmen, bestand er auf ihnen und wiederholte sie: zuerst in einer vor der Royal Institution am 19. März 1861 gehaltenen Vor- lesung, welche in der Nummer des Athenaeum vom 23. desselben Monats genau wiedergegeben war, wie Prof. Owen in einem Briefe an dies Journal vom 30. März zugiebt. Der Bericht des Athenaeum war von einer Zeichnung begleitet, die ein Gorillagehirn darstellen sollte, die aber in der That eine so ausserordentlich falsche Darstellung war, dass sie Prof. Owen in dem erwähnten Briefe thatsächlich, wenn auch nicht ausdrücklich zurücknimmt. Beim Verbessern dieses Fehlers fiel aber Prof. Owen in einen andern Irrthum von viel tieferer Bedeutung. Seine Mittheilung schliesst nämlich mit dem folgenden Satze: „In Bezug auf das wahre Verhältniss, in welchem das grosse Gehirn das kleine bei den höchsten Affen bedeckt, verweise ich auf die Abbil- dung des nicht präparirten Chimpanzegehirns in meiner ,Reade's' Vorlesung über die Classification etc. der Säugethiere, S. 25, Fig. 7. 8°. 1859." Es würde nun nicht zu glauben sein, wäre es nicht unglücklicher- weise wahr, dass diese Figur, auf welche das vertrauende Publicum ohne ein Wort der Erklärung „in Bezug auf das wahre Verhältniss, in dem das grosse Gehirn das kleine bei den höchsten Affen bedeckt", verwiesen wird, genau jene unanerkannte Copie der Figur Schroeder van der Kolk's und Vrolik's ist, auf deren gänzliche Ungenauigkeit vor Jahren Gratiolet hingewiesen hatte, dessen Ausspruch durch mich in jener Stelle meines oben citirten Aufsatzes in der Natural History Review zu Prof. Owen's Kenntniss gebracht worden war. Ich lenkte von Neuem die öffentliche Aufmerksamkeit auf diesen Umstand in meiner Erwiderung an Prof. Owen, Athenaeum, 13. April 1861 ; die verworfene Figur wurde aber noch einmal und ohne die leiseste Andeutung ihrer Ungenauigkeit von Prof. Owen in den Annais of Natural History, June 1861, reproducirt. Dies war denn doch den ursprünglichen Verfassern der Figur, Schroeder van der Kolk und Vrolik, zu viel. In einem an die Akademie zu Amsterdam, deren Mitglieder sie sind, gerichteten Briefe erklären sie, obgleich entschiedene Gegner jeder Form von Theorie 9* 132 Heber die Beziehungen des Menschen einer progressiven Entwickelung, vor Allem die Wahrheit zu lieben, and dass sie es daher für ihre Pflicht halten, auf die Gefahr hin, einer ihnen missliebigen Theorie eine Stütze darzubieten, bei erster Gelegenheit öffentlich Prof. Owen's Missbrauch ihrer Autorität zu- rückzuweisen. In diesem Briefe räumen sie freimüthig die Richtigkeit der oben erwähnten Gratiolet'schen Kritik ein und stellen in neuen und sorg- fältigen Figuren den hintern Lappen, das hintere Hörn und den Ilippocampus minor des Orang dar. Nachdem sie diese Theile in einer Sitzung der Akademie demonstrirt hatten, fügen sie ferner hin- zu: „lapresence des parties contestees y a ete universellement reconnue par les anatomistes presents ä la seance. Le seul doute qui soit reste se rapporte au pes Hippocampi minoris ... A l'etat frais l'in- dice du petit pied d'Hippocampe etaitplus prononce que maintenant". Prof. Owen wiederholte seine irrigen Behauptungen bei der Ver- sammlung der British Association 1 SGI, und erneuerte ohne besondere Nöthigung den Streit bei der Versammlung in Cambridge 1SG2, wobei er nicht eine einzige neue Thatsache oder einen neuen Beweis bei- brachte, auch nicht im Stande war, dem übereinstimmenden, schla- genden Zeugnisse zu begegnen, das die mittlerweile vorgenommenen Zergliederungen zahlreicher Affengehirne (von Prof. Rolleston*), Mr. Marshall**), Mr. Flower***), Mr. Turner f) und mir selbst ff) zu Tage gefördert hatten. Nicht zufrieden mit der ziemlich kräfti- gen Zurückweisung dieses beispiellosen Verfahrens in Section D der Versammlung hiess Prof. Owen die Veröffentlichung eines Berichtes über seine Angaben für gut, in den „Medical Times" vom 11. Oct. 18G2, der eine seltsame Entstellung der meinigen enthielt (wie aus einem Vergleich mit dem Bericht der „Times" über die Discussion zu er- sehen ist). Ich füge den Schluss meiner Entgegnung in derselben Zeitschrift vom 25. October bei: *) On the Affinities of the Brain of the Orang. Nat. Ilist. Review, April, 1861. **) On the Brain of a young Chimpanzee. Ibid. July, 1861. ***) On the Posterior lobes of the Cerebrum of the Quadrumana. Philosophical Transactions, 18G2. f) On the anatomical Relations of the Surfaces of the Tentorium to the Cerebrum and Cerebellum in Man and the lower Mammals. Procecdings ol the Royal Society of Edinburgh, March, 18G2. ff) On the Brain of Ateles. Proceedings of Zoological Society, 1861. zu den nächstniederen Thieren. 133 „Wäre dies eine Sache der Ansicht oder eine Sache der Erklä- rung von Tlieilen oder von Bezeichnungen, wäre es selbst eine Sache der Beobachtung, wobei das Zeugniss meiner Sinne gegen das einer andern Person stände, so würde ich beim Erörtern dieses Gegen- standes einen andern Ton annehmen. Ich würde in aller Bescheiden- heit die Wahrscheinlichkeit zugeben, dass ich im Urtheilen geirrt, im Erkennen gefehlt, oder von Vorurtheilen geblendet wiire. „Niemand behauptet aber, dass dies ein Streit um Ausdrücke oder Ansichten sei. So neu und aller Autorität bar manche von Prof. Owen's aufgestellten Definitionen gewesen sein mögen, man kann sie annehmen, ohne dadurch die Hauptzüge der Frage zu alteriren. Ob- gleich daher specielle auf diesen Gegenstand gerichtete Untersuchun- gen während der letzten zwei Jahre von Dr. Allen Thomson, Dr.Rol- leston, Mr. Marshall und Mr. Flower, lauter Anatomen von Ruf in England, und von Schroeder van der Kolk und Yrolik (die Prof. Owen unvorsichtig genug auf seine Seite zu ziehen versuchte) auf dem Continent angestellt worden sind, so haben doch alle diese geschick- ten und gewissenhaften Beobachter einstimmig die Genauigkeit meiner Angaben bestätigt und die völlige Grundlosigkeit der Be- hauptungen Prof. Owen's bezeugt. Selbst der ehrwürdige Rudolph Wagner, den Niemand progressionistischer Neigungen anklagen wird, hat seine Stimme für meine Angaben erhoben, während nicht ein einziger Anatom, gross oder klein, Prof. Owen unterstützt hat. „Ich will nun nicht etwa den Vorschlag machen, wissenschaft- liche Differenzen durch allgemeine Abstimmung zu entscheiden, ich glaube aber, dass soliden Beweisen etwas Anderes als leere und grund- lose Behauptungen entgegengestellt werden muss. In den zwei Jah- ren nun, durch welche sich dieser Streit hinschleppt, hat Prof. Owen nicht gewagt, ein einziges Präparat zur Begründung seiner oft wieder- holten Behauptungen vorzubringen. „Die Sache steht daher so: Meine Angaben sind nicht bloss in Uebereinstimmung mit denen der besten älteren Autoritäten und aller neueren Untersucher, sondern ich bin auch völlig bereit, sie an dem ersten besten zur Hand kommenden Affen zu demonstriren ; Prof. Owen's Behauptungen dagegen stehen nicht bloss in directem Wider- spruch mit alten und neuen Autoritäten, sondern er hat auch kein einziges Präparat beigebracht und kann keines beibringen, wie ich hinzusetzen will, was sie rechtfertigt." Ich verlasse nun den Gegenstand für jetzt. Im Interesse meines 134 Ueber die Beziehungen des Menschen etc. Berufes würde ich mich freuen, für immer schweigen zu können. Unglücklicherweise ist es aber ein Gegenstand, bei dem nach Allem, was vorgefallen ist, keine Verwechselung oder Confusion von Aus- drücken möglich ist; und wenn ich behaupte, dass der hintere Lappen, das hintere Ilorn und der Ilippocampus minor bei gewissen Affen existirt, so behaupte ich entweder etwas, das wahr ist, oder von dem icli wissen niuss, dass es falsch ist. Die Frage ist hierdurch eine Frage persönlicher Wahrhaftigkeit geworden. Ich für meinen Theil will keinen andern Ausgang des gegenwärtigen Streits annehmen, so traurig er auch ist. III. Ueber einige fossile menschliche Ueberreste. Ich habe in der vorhergehenden Abhandlung zu zeigen mich bemüht, dass die Anthropini, oder Familie des Menschen, eine wohl umschriebene Gruppe der Primaten bilden. Zwischen ihr und der unmittelbar folgenden Familie der Catarhini fehlt in der jetzigen Schöpfung irgend eine Uebergangsform oder ein Verbindungsglied ebenso vollständig, wie zwischen den Catarhini und Platyrhini. Es ist nun aber eine allgemein angenommene Lehre, dass die anatomischen Abstände zwischen den verschiedenen jetzt existirenden Formen der organischen Geschöpfe ver- kleinert oder selbst zum Verschwinden gebracht werden, wenn wir die lange und vielgestaltige Reihe von Pflanzen und Thieren mit in Betracht ziehen, welche den jetzt leben- den vorausgegangen sind und die wir nur in ihren fossilen Ptesten kennen. In wie weit diese Ansicht gegründet ist, in wie weit sie andererseits nach dem gegenwärtigen Zu- stande unserer Kenntniss die wirklichen Thatsachen über- schätzt und eine Uebertreibung der sicher aus diesen zu ziehenden Schlüsse enthält, dies sind Punkte von grosser Bedeutung, auf deren Discussion ich mich aber für jetzt nicht einlassen will. Dass überhaupt eine solche Ansicht von den 13G Ueber einige fossile menschliche Ueberreste. Beziehungen ausgestorbener zu lebenden Wesen ausgesprochen worden ist, reicht hin, uns zu der scrupulösen Untersuchung zu führen, in wie weit die neueren Entdeckungen menschlicher Ueberreste im fossilen Zustande jene Ansicht unterstützen oder ihr widersprechen. Ich werde mich bei Erörterung dieser Frage auf jene fragmentären menschlichen Schädel aus den Höhlen von Engis im Meusethal in Belgien und des Neanderthals bei Düsseldorf beschränken, deren geologische Verhältnisse Sir Charles Lyell mit so viel Sorgfalt untersucht hat*). Ge- Fis-. 23. Der Schädel der Höhle von Engis, von der rechten Seite gesehen. Halbe natürliche Grösse. — a glabella, 6 Hiaterhauptshöcker (et nach & Hinterhaupt-Stirnlinie), cOefinung des knöchernen Gehörgangs. *) s. Sir Charles Lyell, The geological evidences of the Antiquity of Man with remarks on theories of the origin ol' species by Varia- tion. London 1863. 8. lieber einige fossile menschliche Ueberreste. 137 stützt auf seiue Autorität, nehme ich als ausgemacht an, dass der Schädel von Engis einem Zeitgenossen des Mamniuth (Elephas primigenius) und des wolligen Rhinoceros (Rhino- ceros tichorhinus) angehörte, mit deren Knochen zusammen im- gefunden wurde, dass ferner der Neanderthalscliädel von grossem, wennschon unbestimmtem Alter ist. Was auch das geologische Alter des letzteren Schädels sein mag, so halte ich es (nach den gewöhnlichen Grundsätzen paläonto- logischer Folgerungen) für völlig sicher, anzunehmen, dass nur der erstere bis jenseits der unbestimmten biologischen Grenze hinüberführt, welche die gegenwärtige geologische Epoche von der ihr unmittelbar vorausgehenden trennt. Und es kann auch darüber kein Zweifel bestehen, dass sich die physikalisch geographischen Verhältnisse Europas seit der Zeit wunderbar geändert haben, in welcher Knochen von Menschen, Mammuths, Hyänen und Rhinocerossen bunt durch einander in die Höhle von Engis geschwemmt wurden. Der Schädel der Höhle von Engis wurde von Professor Schmerling entdeckt und mit anderen gleichzeitig ausge- grabenen menschlichen Ueberresten in seinem werthvollen Werke beschrieben: „Recherches sur les ossemens fossiles decouverts dans les cavernes de la province de Liege," 1833 (S. 59 und folgende), aus welchem die folgenden Stellen, unter möglichster Wahrung der genauen Ausdrucksweise des Verfassers, ausgezogen wurden: „An erster Stelle muss ich bemerken, dass diese mensch- lichen Ueberreste in meinem Besitz, ganz wie die Tausende von Knochen, die ich neuerdings ausgegraben habe, durch den Grad der Zersetzung charakterisirt sind, dem sie unter- legen sind und der genau derselbe ist wie bei Knochen aus- gestorbener Arten. Alle, mit wenig Ausnahmen, sind zer- brochen ; einige sind abgerundet, wie es häutig hei den Resten anderer Arten gefunden wird. Die Brüche sind senkrecht oder schräg; keiner ist erodirt; ihre Farbe weicht nicht von der anderer lossiler Knochen ab und schwankt vom weisslich gelben bis zum schwärzlichen. Alle sind leichter als frische 138 Ueber einige fossile menschliche Ueberreste. Knochen, mit Ausnahme derer, die kalkig incrustirt sind und deren Höhlungen mit Kalk erfüllt sind. Der Schädel , den ich auf Taf. I, Fig. 1 und 2 habe ab- bilden lassen, ist der einer alten Person. Die Nähte be- ginnen zu verschwinden; alle Gesichtsknochen fehlen und von den Schläfenbeinen ist nur ein Fragment des rechten vorhanden. Das Gesicht und die Basis des Schädels war schon vor der Ablagerung des Schädels in der Höhle getrennt; denn wir waren nicht im Stande, diese Theile zu finden, obgleich die Höhle planmässig durchsucht wurde. Der Schädel fand sich in einer Tiefe von anderthalb Metern (beinahe 5 Fuss) unter einer aus Ueberbleibseln kleiner Thiere bestehenden Knochenbreccia verborgen, die einen Rhinoceroszahn und mehrere Zähne von Pferden und Wiederkäuern enthielt. Diese oben besprochene Breccia (S. 31) war einen Meter breit (3'/4 Fuss ungefähr), und erhob sich zur Höhe von anderthalb Meter über den Boden der Höhle, deren Wänden sie innig anhing. Die diesen menschlichen Schädel enthaltende Erde zeigte keine Spur einer Störung; Zähne vom Rhinoceros, Pferd, Hyäne und Bär umgaben ihn von allen Seiten. Der berühmte Blumenbach*) hat die Aufmerksamkeit auf die Verschiedenheiten gelenkt, die die Schädel verschie- dener Rassen in Bezug auf Form und Grösse zeigen. Dies wichtige Werk würde uns wesentlich geholfen haben, wenn nicht das Gesicht, ein zur Bestimmung der Rasse mit grösserer oder geringerer Genauigkeit wesentlicher Theil, an unserem fossilen Schädel gefehlt hätte. Aber selbst wenn der Schädel vollständig gewesen wäre, sind wir doch überzeugt, dass sich darüber mit Gewissheit etwas nach einem einzigen Exemplar nicht hätte sagen lassen. Denn in ein und derselben Rasse sind individuelle Ab- *) Decas Collectionis suae craniorum diversarum gentium illustrata. Gottingae 17'JO— 1820. Ueber einige fossile menschliche Ueberrestc. 139 weichungcn bei Schädeln so zahlreich, dass man, ohne sich groben Irrthümern auszusetzen, von einem einzelnen Fragment eines Schädels keinen Schluss auf die allgemeine Form des zugehörigen Kopfes ziehen kann. Im indess keinen Punkt bezüglich der Form dieses Schädels zu vernachlässigen, wollen wir bemerken, dass von Anfang an die lange und schmale Form der Stirn unsere Aufmerksamkeit auf sich zog. In der That nähern die geringe Erhebung der Stirnbeine, ihre geringe Breite und die Form der Augenhöhle den Schädel mehr dem eines Negers als dem eines Europäers. Auch sind, wie wir glauben, die in der verlängerten Form und dem vorstehenden Hinterhaupte liegenden Merkmale in unserem fossilen Schädel nachzuweisen. Um aber allen Zweifel hierüber zu entfernen, habe ich die Contouren eines Europäer- und eines Negerschädels zeichnen und die Stirnen darstellen lassen. Taf. II, Fig. 1 und 2 und die Fig. 3 und 4 derselben Tafel werden die Verschiedenheiten leicht erkenn- bar machen; und ein einfacher Blick auf die Figuren wird instruetiver sein als eine lange und ermüdende Beschreibung. Zu welchem Schlüsse wir auch über den Ursprung des Menschen, dem dieser Schädel angehörte, kommen mögen, eine Ansicht können wir wenigstens aussprechen, ohne uns einer fruchtlosen Controverse auszusetzen. Ein Jeder mag die ihm am wahrscheinlichsten scheinende Hypothese an- nehmen. Ich für meinen Theil halte es für bewiesen, dass dieser Schädel einer Person von beschränkten geistigen Fähigkeiten angehörte, und hieraus schliessen wir, dass er einem Menschen von niederer Civilisation angehörte < ein Schluss, der durch einen Vergleich der Stirngegend mit der Hinterhauptsgegend gerechtfertigt wird. Ein anderer Schädel eines jungen Individuums wurde am Boden der Höhle neben einem Elephantenzahn entdeckt ; der Schädel war bei seiner Auffindung ganz ; im Augenblick aber, wo er emporgehoben wurde, fiel er in Stücke, die ich bis jetzt nicht wieder zusammenzusetzen im Stande war. 140 Ueber einige fossile menschliche Ueberreste. Auf Taf. I, Fig. 5 habe ich aber die Knochen des Oberkiefers abbilden lassen. Der Zustand der Alveolen und der Zähne zeigt, dass die wahren Backzähne das Zahnfleisch noch nicht durchbrochen hatten. Einzelne Milchbackzähne und einige Fragmente eines menschlichen Schädels rühren von derselben Stelle her. Fig. 3 stellt einen menschlichen obern Schneide- zahn dar, dessen Grösse in der That merkwürdig ist"). Fig. 4 stellt einen Oberkieferknochen dar, dessen Back- zähne bis auf die Wurzeln abgerieben waren. Ich besitze zwei Wirbelbeine, einen ersten und letzten Rückenwirbel. Ein linkes Schlüsselbein (s. Taf. III, Fig. 1); obgleich einem jungen Individuum angehörig, zeigt der Knochen doch, dass es von grosser Gestalt gewesen sein muss**). Zwei Fragmente des Radius, schlecht erhalten, deuten an, dass die Grösse des Menschen, dem sie gehörten, nicht über fünf und einen halben Fuss betrug. In Bezug auf die Reste der Oberextremitäten bestehen die in meinem Besitz befindlichen nur aus einem Fragment einer Ulna und eines Radius (Taf. III, Fig. 5 und G). Taf. IV, Fig. 2 stellt einen in der erwähnten Knochen- breccia enthaltenen Mittelhandknochen dar; er fand sich im untern Theil oberhalb des Schädels; hierzu kommen noch in verschiedenen Abständen gefundene Mittelhandknochen, ein halbes Dutzend Mittelfussknochen, drei Fingelphalangen und eine von den Zehen. Dies ist eine kurze Aufzählung der in der Höhle von Engis gefundenen Reste menschlicher Knochen; sie gehören drei Individuen an, die von Resten von Flcphanten, Rhino- *) An einer folgenden Stelle erwähnt Schmerling das Vorkommen eines Schneidezahns von „enormer Grösse" aus den Höhlen vonEngi- houl. Der hier abgebildete Zahn ist etwas lang, seine Dimensionen scheinen mir aber sonst nicht merkwürdig zu sein. **) Die Abbildung dieses Schlüsselbeins misst von einem Ende zum andern in einer geraden Linie 5 Zoll, so dass der Knochen eher klein als gross zu nennen ist. Ueber einige fossile menschliche Ueberreste. 141 ccros und Fleischfressern in, der jetzigen Schöpfung unbe- kannten Arten umgehen waren." Aus der Höhle von Kngihoul, der von Engis gegenüber, auf dem rechten Ufer der Meuse, erhielt Schmerling Reste von drei anderen menschlichen Individuen, unter denen sich nur zwei Fragmente von Scheitelbeinen, aber viele Extremi- tätenknochen fanden. In einem Falle war ein zerbrochenes Fragment einer Ulna mit einem gleichen Fragment eines Radius durch Stalagmiten verbunden, ein häufig bei den in den belgischen Höhlen gefundenen Knochen des Höhlen- bären (Ursus spelaeus) beobachteter Zustand. In der Höhle von Engis fand Professor Schmerling, mit Stalagmiten incrustirt und einem Steine verbunden, das spitze knöcherne Werkzeug, das er in Fig. 7 seiner Tafel XXXVI. abgebildet hat. Bearbeitete Feuersteine wurden von ihm in all den belgischen Höhlen gefunden, die zahlreiche fossile Knochen enthielten. Ein kurzer Brief Geoffroy St. Hilaire's in den Comptes rendus der Academie d. Sc. in Paris vom 2. Juli 1838 spricht von einem (wie es scheint sehr flüchtigen) Besuche in der Sammlung des Professor „Schermidt" (muthmaasslich ein Druckfehler für Schmerling) in Lüttich. Der Schreiber kri- tisirt kurz die Schmerling's Werk illustrirenden Zeichnungen und giebt an, dass „der menschliche Schädel etwas länger als in der Abbildung" sei. Die einzige weitere erwähnens- werthe Bemerkung ist folgende : „Das Aussehen der mensch- lichen Knochen weicht nur wenig von dem uns bekannten der Ilöhlenknochen ab, von denen an demselben Orte eine beträchtliche Sammlung vorhanden ist. In Bezug auf ihre speciellen Formen können im Vergleich mit den Varietäten recenter Menschenschädel nur wTenig sichere Schlüsse aufge- stellt werden; denn zwischen verschiedenen Exemplaren gut charakterisirter Varietäten bestehen viel grössere Ver- schiedenheiten, als zwischen dem fossilen Schädel von Lüttich und irgend einer dieser, zum Ausgangspunkt der Vergleichung gewählten Varietäten." 142 Ueber einige fossile menschliche Ueberreste. Geoffroy St. Hilaire's Bemerkungen sind, wie man sieht, wenig mehr als eine Wiedergabe der philosophischen Zweifel des Entdeckers und Beschreiben dieser Reste. Was die Kritik über Schmerling's Figuren betrifft, so finde ich aller- dings, dass die von ihm gegebene Seitenansicht ungefähr s/10 Zoll kürzer als das Original ist, und dass die Ansicht von vorn ungefähr in demselben Betrag verkleinert ist. Im Uebrigen ist die Darstellung in keiner Weise inaecurat, son- dern stimmt sehr wohl mit dem Abgüsse überein, den ich besitze. Ein Stück des Hinterhaupts, welches Schmerling ent- gangen zu sein scheint, ist seitdem dem übrigen Schädel von dem ausgezeichneten Naturforscher Dr. Spring in Lüttich angepasst worden, unter dessen Leitung ein vorzüglicher Gypsabguss für Sir Charles Lyell gemacht wurde. An einer Doublette dieses Abgusses habe ich meine Beobachtungen angestellt und nach ihr hat mein Freund Busk die beifolgen- den Figuren gezeichnet, deren Contouren nach sorgfältigen Camera lucida Zeichnungen auf halbe natürliche Grösse reducirt wurden. Wie Schmerling bemerkt, ist die Schädelbasis zerstört und die Gesichtsknochen fehlen völlig; die Schädeldecke aber, Stirnbeine, Scheitelbeine und der grössere Theil der Hinterhauptsknochen bis zur Mitte des Ilinterhauptsloches sind beinahe vollständig. Das linke Schläfenbein fehlt. Vom rechten Schläfenbein sind die Theile in der unmittelbaren Umgebung des äussern Gehörgangs, der Zitzenfortsatz und ein ansehnlicher Theil der Schuppe wohl erhalten (Fig. 23). Die Bruchlinien zwischen den an einander gefügten Stücken des Schädels, die in Schmerling's Figur treu wieder- gegeben sind, sind am Abguss leicht nachzuweisen. Auch die Nähte sind erkennbar, die complicirte Form ihrer Zähne- lung, die die Figur wiedergiebt, ist aber im Abguss nicht klar. Obschon die den Muskeln als Ansatzstellen dienenden Leisten nicht gerade ausserordentlich vorspringen, so sind sie doch gut ausgeprägt, und hält man sie mit den scheinbar Ueber einige fossile menschliche Ueberreste. 143 Fig. 24. m i Der Schädel von Engis, von oben Cl) und vorn (/;) geselier. 144 lieber einige fossile menschliche Ueberreste. gut entwickelten Stirnhöhlen und dem Znstande der Nähte zusammen, so hinterlassen sie bei mir keinen Zweifel, dass der Schädel der eines Erwachsenen, wenn nicht eines Mannes im mittlem Alter ist. Die grösste Länge des Schädels ist 7,7 Zoll. Seine grösste Breite, die dem Abstand der Parietalhöcker sehr nahe liegt, beträgt nicht mehr als 5,4 Zoll. Das Verhältniss der Liingc zur Breite ist also nahebei 100:70. Wird eine Linie von dem Punkte aus, wo die Augenbraue nach der Nase hin sich einbiegt, von der sogenannten Glabella (« in Fig. 23) nach dem Hinterhauptshöcker (6, Fig. 23) gezogen und der höchste Punkt des Schädelbogens senkrecht von dieser Linie gemessen, so ergeben sich 4,75 Zoll. Von oben gesehen (Fig. 24, A) zeigt die Stirn eine gleichmässig abge- rundete Curve, die in die Contouren der Seiten und des hintern Thcils des Schädels zur Bildung einer ziemlich regel- mässigen elliptischen Curve übergeht. Die Ansicht von vorn (Fig. 24, B) zeigt, dass die Schädel- decke regelmässig und elegant in querer Richtung gebogen war, und dass der Querdurchmesser eher etwas unter als über den Parietalh Ockern lag. Die Stirn kann im Verhält- niss zum übrigen Schädel nicht schmal genannt werden, ebenso wenig zurücktretend; im Gegentheil ist der Umriss des Schädels von vorn nach hinten gut gewölbt, so dass der Abstand entlang der Krümmung von der Einbucht an der Nasenwurzel bis zum Hinterhauptshöcker 13,75 Zoll misst. Der cjuere Bogen des Schädels von einem Gehörgang zum andern quer über die Pfeilnaht ist ungefähr 13 Zoll. Die Pfeilnaht selbst ist 5,5 Zoll lang. Die Augenbrauenhöcker (zu beiden Seiten von a in Fig. 23) sind gut, wenn auch nicht excessiv entwickelt und durch eine mittlere Vertiefung getrennt. Ihre grösste Er- hebung liegt so schräg, dass ich sie für abhängig von grossen Stirnhöhlen halte. Wird die, die Glabella mit dem Hinterhauptshöcker ver- bindende Linie (ab, Fig. 23) horizontal gelegt, so springt Ueber einige fossile menschliehe Ueberreste. 145 kein Theil der Hinterhauptsgegend mehr als J/io Zoll über das hintere Ende der Linie vor, und der obere Rand des Gehörgangs (c, Fig. 23) berührt beinahe eine auf der äussern Oberfläche des Schädels mit jener parallel gezogene Linie. Eine quer von einem Gehörgang zum andern gezogene Linie durchsetzt wie gewöhnlich den vordem Theil des Hinter- hauptsloches. Der Rauminhalt des Innern dieses fragmen- täreu Schädels ist nicht bestimmt worden. Die Geschichte der menschlichen Ueberreste aus der Höhle im Neanderthal wird am besten mit den Worten ihres ursprünglichen Beschreibers, Dr. Schaaffhausen *), gegeben. „Als zu Anfang des Jahres 1857 der Fund eines mensch- lichen Skelets in einer Kalkhöhle des Neanderthals bei Hochdal zwischen Düsseldorf und Elberfeld bekannt wurde, gelang es mir nur, einen in Elberfeld gefertigten Gypsabguss der Hirnschale zu erhalten, über deren auflallende Bildung ich zuerst in der Sitzung der niederrh. Gesellsch. für Natur- und Heilkunde in Bonn am 4. Februar 1857 berichtet habe**). Hierauf brachte Herr Dr. Fuhlrott aus Elberfeld, dem es zu danken ist, dass diese Anfangs für Thierknochen gehalteneu Gebeine in Sicherheit gebracht und der Wissenschaft er- halten worden sind, und dem es später gelang, die Knochen in seinen Besitz zu bringen, dieselben nach Bonn und über- liess sie mir zur genaueren anatomischen Untersuchung. Bei Gelegenheit der Generalversammlung des naturhist. Vereins der preussisch. Rheinlande und Westphalens in Bonn am 2. Juni 1857***) gab Herr Dr. Fuhlrott eine ausführliche Darstellung des Fundortes und eine Beschreibung der Auf- findung selbst; er glaubte diese menschlichen Gebeine als *) Zur Kenntniss der ältesten Rassenschädel. Müller's Archiv, 1858. S. 453. Mit Anmerkungen und Originalzeichnungen nach Gypsab- güssen übersetzt von G. Busk, in Nat. Hist. Review, April 1861. **) Verhandl. des naturhist. Vereins der preuss. Rheinlande und Westphalens, XIV. Bonn, 1857. ***) Ebendaselbst, Correspondenzblatt, Nr. 2. Husley, Stellung des Menschen. 10 146 Ueber einige fossile menschliche Ueberreste. fossile bezeichnen zu dürfen und legte in dieser Beziehung besondern Werth auf die vom Herrn Geheimrath Professor Dr. Mayer zuerst beobachteten Dendriten, welche diese Knochen überall bedecken. Dieser Mittheilung liess ich einen kurzen Bericht über die von mir angestellte anatomi- sche Untersuchung der Knochen folgen, als deren Ergebniss ich die Behauptung aufstellte, dass die auffallende Form dieses Schädels für eine natürliche Bildung zu halten sei, welche bisher nicht bekannt geworden sei, auch bei den rohesten Rassen sich nicht finde, dass diese merkwürdigen menschlichen Ueberreste einem höhern Alterthuine als der Zeit der Celten und Germanen angehörten, vielleicht von einem jener wilden Stämme herrührten, von denen römische Schriftsteller Nachricht geben und welche die indogermani- sche Einwanderung als Autochthonen vorfand, und dass die Möglichkeit, diese menschlichen Gebeine stammten aus einer Zeit, in der die zuletzt verschwundenen Thiere des Diluvium auch noch lebten, nicht bestritten werden könne, ein Beweis für diese Annahme, also für die sogenannte Fossilität der Knochen in den Umständen der Auffindung aber nicht vorliege. Da Herr Dr. Fuhlrott eine Beschreibung derselben noch nicht veröffentlicht hat, so entlehne ich einer brieflichen Mittheilung desselben die folgenden Angaben: „Eine kleine, etwa 15 Fuss tiefe, an der Mündung 7 bis 8 Fuss breite mannshohe Höhle oder Grotte liegt in der südlichen Wand der sogenannten Neanderthaler Schlucht, etwa 100 Fuss von der Dussel entfernt und etwa 60 Fuss über der Thalsohle des Baches. In ihrem frühern unversehrten Zustande mün- dete dieselbe auf ein schmales ihr vorliegendes Plateau, von welchem dann die Felswand fast senkrecht in die Tiefe ab- schoss, und war von oben herab, wenn auch mit Schwierig- keit, zugänglich. Ihre unebene Bodenfläche war mit einer 4 bis 5 Fuss mächtigen mit rundlichen Hornstein-Fragmenten sparsam gemengten Lehmablagerung bedeckt, bei deren Wegräumung die fraglichen Gebeine, und zwar von der Mihi- Ueber einige fossile menschliche Ueberreste. 147 düng der Grotte aus zuerst der Schädel, dann weiter nach innen in gleicher horizontaler Lage mit jenem die übrigen Gebeine aufgefunden wurden. So haben zwei Arbeiter, welche die Ausräumung der Grotte besorgten und die von mir an Ort und Stelle darüber vernommen wurden, auf das Bestimmteste versichert. Die Knochen wurden anfänglich gar nicht für menschliche gehalten, und erst mehrere Wochen nach ihrer Auffindung von mir dafür erkannt und in Sicher- heit gebracht. Weil man aber die Wichtigkeit des Fundes nicht achtete, so verfuhren die Arbeiter beim Einsammeln der Knochen sehr nachlässig und sammelten vorzugsweise die grösseren, welchem Umstände es zuzuschreiben, dass das wahrscheinlich vollständig vorhandene Skelet nur sehr frag- mentarisch in meine Hände gekommen ist." Das Ergebniss der von mir vorgenommenen anatomi- schen Untersuchung dieser Gebeine ist das folgende: Die Hirnschale ist von ungewöhnlicher Grösse und von lang elliptischer Form. Am meisten fällt sogleich als be- sondere Eigesthümlichkeit die ausserordentlich starke Entwickelung der Stirnhöhlen auf, wodurch die Augenbrauen- bogen, welche in der Mitte ganz mit einander verschmolzen sind, so vorspringend werden, dass über oder vielmehr hinter ihnen das Stirnbein eine beträchtliche Einsenkung zeigt und ebenso in der Gegend der Nasenwurzel ein tiefer Ein- schnitt gebildet wird. Die Stirn ist schmal und flach, die mittleren und hinteren Theile des Schädelgewölbes sind in- dessen gut entwickelt. Leider ist die Hirnschale nur bis zur Höhe der obern Augenhöhlenwand des Stirnbeins und der sehr stark ausgebildeten und fast zu einem horizontalen Wulste vereinigten oberen halbkreisförmigen Linien der Hinterhauptsschuppe erhalten; sie besteht aus dem fast voll- ständigen Stirnbeine, beiden Scheitelbeinen, einem kleinen Stücke der einen Schläfenschuppe und dem obern Drittheil des Hinterhauptbeins. Frische Bruchflächen an den Schä- delknochen beweisen, dass der Schädel beim Auffinden zer- schlagen worden ist. Die Hirnschale fasste 16876 Gran 10 * 148 üeber einige fossile menschliche Ueberreste. Wasser, woraus sich ein Inhalt von 57,64 Cuhikz. = 1033,24 Cubikcentimeter berechnet. Hierbei stand der Wasserspiegel gleich mit der ohern Orbitalwand des Stirnbeins, mit dem höchsten Querschnitt des Schuppenrandes der Scheitelbeine und mit den oberenhalbkreisförmigenLinien des Hinterhaupts. Mit Hirse gemessen, war der Inhalt gleich 31 Unzen preuss. Medicinalgewicht. Die halbkreisförmigeLinie, welche den obern Ansatz des Schläfenmuskels bezeichnet, ist zwar nicht stark entwickelt, reicht aber bis über die Hälfte der Scheitelbeine hinauf. Auf dem rechten Orbitalrande befindet sich eine schräge Furche, die auf eine Verletzung während des Le- bens deutet*); auf dem rechten Scheitelbein eine erbsen- grosse Vertiefung. Die Kronennaht und die Pfeilnaht sind aussen beinahe, auf der Innenfläche des Schädels sjmrlos verwachsen; die lambdaförmige Naht indessen gar nicht. Die Gruben für die pachionischen Drüsen sind tief und zahl- reich; ungewöhnlich ist eine tiefe Gefässrinne, die gerade hinter der Kronennaht liegt und in einem Loche endigt, also den Verlauf einer Vena emissaria bezeichnet. Die Stirn- naht ist äusserlich als eine leise Erhebung bemerklich; da wo sie auf die Kronennaht stösst, zeigt auch diese sich wulstig erhoben, die Pfeilnaht ist vertieft, und über der Spitze der Hinterhauptsschuppe sind die Scheitelbeine ein- gedrückt. Die Länge des Schädels, von dem Nasenfortsatz über den Scheitel bis zu den oberen halbkreisförmigen Linien des Hinterhaupts gemessen, beträgt 303mm (300) **) = 12,0". Der Umfang der Hirnschale, über die Augenbrauenbogen und die oberen halbkreisförmigen Linien des Hinterhaupts so gemessen, dass das Band überall anlag . 590 (590) = 23,37" od. 23". *) Mr. Busk hat darauf hingewiesen, dass dies wahrscheinlich der Einschnitt für den Frontalnerven war. **) Die Nummern in Klammern beziehen sich aul die verschie- denen Messungen nach dem Abgüsse. (G. Busk.) Ueber einige fossile menschliche Ueberreste. 149 Breite des Stirnbeins von der Mitte des Schläfengrubenrandes einer Seite zur andern 104(114)= 4, 1" — 4,5'. Länge der Stirnbeine vom Nasen- fortsatz bis zur Kroneimaht . . 133(125)=. 5,25" — 5". Grösste Brette der Stirnbemhöhlen 25 (23)= 1,0" —0,9". Scheitelhöhe über der Linie, welche den höchsten Ausschnitt der Schläfenränder beider Scheitel- beine verbindet 70 = 2,75". Breite des Hinterhaupts von einem Scheitelhöcker zum andern . . 138(150)= 5,4" — 5,9". Die Spitze der Schuppe ist von der obern halbkreisförmigen Linie des Hinterhaupts entfernt. . . 51 (60)= 1,9" —2,4". Dicke des Schädels in der Gegend der Scheitelhöcker 8 Dicke des Schädels an der Spitze der Hinterhauptsschuppe ... 9 Dicke des Schädels in der Gegend der oberen halbkreisförmigen Linien des Hinterhaupts ... 10 = 0,3". Ausser der Hirnschale sind folgende Knochen vor- handen : 1) Die zwei ganz erhaltenen Überschenkelbeine; sie zeichnen sich wie die Hirnschale und alle übrigen Knochen durch ungewöhnliche Dicke und durch die starke Ausbil- dung aller Höcker, Gräten und Leisten, die dem Ansätze der Muskeln dienen, aus. In dem anatomischen Museum von Bonn befinden sich als sogenannte Riesenknochen zwei Überschenkelbeine aus neuerer Zeit, mit denen die vorlie- genden an Dicke ziemlich genau übereinstimmen, wiewohl sie an Länge von jenen übertroffen werden. 150 Ueber einige fossile menschliche leberreste. Riesenknochen Länge 542nun = 21,4" Durchmesser des Ober- schenkelkopfes .... Durchmesser des untern Gelenkendes von einem Cond}lus zum andern . Durchmesser des Ober- schenkelknochens in der Mitte Fossile Knochen 438rara=l7,4". 54mm= 2,14"... 53mm= 2,0". 891 3,5" 871 3,4". 30mm= l}1»m 33mra = 1,2" 2) Ein ganz erhaltener Oberarmknochen, dessen Grösse ihn als zu den Oberschenkelknochen gehörig erkennen lässt. Länge des Oberarmbeins 312mm = 12,3". Dicke in der Mitte desselben 26mm = 1,0". Durchmesser des Ge- lenkkopfes 49mm = 1,9". Ferner eine vollständige rechte Speiche von entsprechen- der Grösse und das obere Drittheil eines rechten Ellenbogen- beins, welches zum Oberarmbein und zur Speiche passt. 3) Ein linkes Oberarmbein, an dem das obere Drittheil fehlt, und welches so viel dünner ist, dass es von einem an- dern Menschen herzurühren scheint; ein linkes Ellenbogen- bein, das ■zwar vollständig aber krankhaft verbildet ist, indem der Proc. coronoideus durch Exostose so vergrössert ist, dass die Beugung gegen den Oberarmknochen, dessen zur Auf- nahme jenes Fortsatzes bestimmte Fossa ant. major auch durch Knochenwucherung geschwunden ist, nur bis zum rechten Winkel möglich war. Dabei ist der Proc. anconaeus stark nach unten gekrümmt. Da der Knochen keine Spuren rhachitischer Erkrankung zeigt, so ist anzunehmen, dass eine Verletzung während des Lebens Ursache der Ankylose war. Diese linke Ulna mit dem rechten Radius verglichen hisst auf den ersten Blick vermuthen, dass beide Knochen verschiedenen Individuen angehört haben, denn die Ulna ist für die Verbindung mit einem solchen Radius um mehr als einen halben Zoll zu kurz. Aber es ist klar, dass diese Ueber einige fossile menschliche Ueberreste. 151 Verkürzung, sowie die Schwäche des linken Oberarmheins Folgen der angeführten krankhaften Bildung sind. 4) Ein linkes Darmbein, fast vollständig und zu dem Oberschenkelknochen gehörig, ein Bruchstück des rechten Schulterblattes, ein fast vollständiges rechtes Schlüsselbein, das vordere Ende einer Kippe rechter Seite und dasselbe einer Rippe linker Seite, endlich zwei kurze hintere und ein mittleres Rippenstück , die ihrer ungewöhnlichen abgerun- deten Form und starken Krümmung wegen fast mehr Aehn- lichkeit mit den Rippen eines Fleischfressers als mit denen desMenschen haben. Doch wagte auch Herr H. v. Meyer, um dessen Urtheil ich gebeten, nicht, sie für Thierrippen zu erklären, und es bleibt nur anzunehmen übrig, dass eine ungewöhnlich stark entwickelte Muskulatur des Thorax diese Abweichung der Form bedingt hat. Die Knochen kleben sehr stark an der Zunge, der Knochenknorpel ist indessen, wie die chemische Behandlung desselben mit Salzsäure lehrt, zum grössten Theil erhalten, nur scheint derselbe jene Umwandlung in Leim erfahren zu haben, welche v. Bibra an fossilen Knochen beobachtet hat. Die Oberfläche aller Knochen ist an vielen Stellen mit kleinen schwarzen Flecken bedeckt, die, namentlich mit der Loupe betrachtet, sich als sehr zierliche Dendriten er- kennen lassen und zuerst vom Herrn Geheimrath Professor Dr. Mayer hierselbst an denselben beobachtet worden sind. Auf der innern Seite der Schädelknochen sind sie am deut- lichsten. Sie bestehen aus einer Eisenverbindung und ihre schwarze Farbe lässt Mangan als Bestandtheil verrnuthen. Derartige dendritische Bildungen finden sich nicht selten auch auf Gesteinschichten und kommen 'meist auf kleinen Rissen und Spalten hervor. Mayer theilte in der Sitzung der niederrheinischen Gesellschaft in Bonn am 1. April 1857 mit, dass er im Museum zu Poppeisdorf an mehreren fossilen Thierknochen, namentlich von Ursus spelaeus, solche dendri- tische Krystallisationen gefunden habe, am zahlreichsten und schönsten aber an den fossilen Knochen und Zähnen von 152 Ueber einige fossile menschliche Ueberreste. Eguus adamiticus, EJcphas primiyeniiis etc. aus den Höhlen von Iiitlvc und Sundwig; eine schwache Andeutung solcher Dendriten zeigte sich an einem Römerschädel aus Siegburg, während andere alte Schädel, die Jahrhunderte lang in der Erde gelegen, keine Spur derselben zeigten*). Herrn H. v. Meyer verdanke ich darüber folgende briefliche Bemer- kung: „Interessant ist die bereits begonnene Dendritenbildung, die ehedem als ein Zeichen wirklich fossilen Zustandes an- gesehen wurde. Man glaubte namentlich bei Diluvialab- lagerungen sich der Dendriten bedienen zu können, um etwa später dem Diluvium beigemengte Knochen von den wirklich diluvialen mit Sicherheit zu unterscheiden, indem man die Dendriten ersteren absprach. Doch habe ich mich längst überzeugt, dass weder der Mangel an Dendriten für die Jugend noch deren Gegenwart für höheres Alter einen sicheren Beweis abgiebt. Ich habe selbst auf Papier, das kaum über ein Jahr alt sein konnte, Dendriten wahrgenommen, die von denen auf fossilen Knochen nicht zu unterscheiden waren. So besitze ich auch einen Hundeschädel aus der römischen Niederlassung des benachbarten Heddersheim, Castrum Ha- drianum, der von den fossilen Knochen aus den fränkischen Höhlen sich in nichts unterscheidet; er zeigt dieselbe Farbe und haftet an der Zunge wie diese, so dass auch dieses Kenn- zeichen, welches auf der frühern Versammlung der deutschen Naturforscher in Bonn zu ergötzlichen Scenen zwischen Bück- landund Schmerling führte, seinen Werth verloren hat. Es lässt sich sonach in streitigen Fällen kaum durch die Be- schaffenheit des Knochens mit Sicherheit entscheiden, ob er fossil, eigentlich ob ihm ein geologisches Alter zustehe oder ob er aus historischer Zeit stamme." Da wir die Vorwelt nicht mehr wie einen ganz andern Zustand der Dinge betrachten können, aus dem kein Ueber- gang in das organische Leben der Gegenwart stattfand, so hat die Bezeichnung der Fossilität eines Knochens nicht *) Vcrhandl. d. Naturhist. Vereins in Bonn, XIV. 1857. Lieber einige fossile menschliche CJeberreste. 153 mehr den Sinn wie zu Cuvier's Zeit. Es sind der Gründe genug vorbinden für die Annahme, dass der Mensch schon mit den Thicren des Diluviums gelebt hat, und mancher rohe Stamm mag vor aller geschichtlichen Zeit mit den Thieren des Urwaldes verschwunden sein, während die durch Bildung veredelten Rassen das Geschlecht erhalten haben. Die vorliegenden Knochen besitzen Eigenschaften, die, wie- wohl sie nicht entscheidend für ein geologisches Alter sind, doch jedenfalls für ein sehr hohes Alter derselben sprechen. Es sei noch bemerkt, dass, so gewöhnlich auch das Vorkommen diluvialer Thierknochen in den Lehmablagerungen der Kalk- höhlen ist, solche bis jetzt in den Höhlen des Neanderthäls nicht gefunden worden sind, und dass die Knochen unter einem nur 4 bis 5 Fuss mächtigen Lehmlager ohne eine schützende Stalagmitendecke den grössten Theil ihrer or- ganischen Substanz behalten haben. Diese Umstände können gegen die Wahrscheinlichkeit eines geologischen Alters angeführt werden. Auch würde es nicht zu rechtfertigen sein, in dem Schädelbau etwa den rohesten Urtypus des Menschengeschlechts erkennen zu wollen, denn es giebt von den lebenden Wilden Schädel, die, wenn sie auch eine so auffallende Stirnbildung, die in der That an das Gesicht der grossen Affen erinnert, nicht auf- weisen, doch in anderer Beziehung, z. B. in der grössern Tiefe der Schädelgruben und den grätenartig vorspringenden Schläfenlinien und einer im Ganzen kleinern Schädelhöhle, auf einer ebenso tiefen Stufe der Entwickelung stehen. Die stark eingedrückte Stirn für eine künstliche Abflachung zu halten, wie sie bei rohen Völkern der neuen und alten Welt vielfach geübt wurde, dazu fehlt jeder Anlass, der Schädel ist ganz symmetrisch gebildet, während nach Morton an den Flachköpfen des Columbia Stirn- und Scheitelbeine immer unsymmetrisch sind, und zeigt keine Spur eines Gegen- druckes in der Hinterhauptsgegend. Seine Bildung zeigt jene geringe Entwickelung des Vorderkopfes, die so häufig schon an sehr alten Schädeln gefunden wurde und einer der 154 Ueber einige fossile menschliche Ueberreste. sprechendsten Beweise für den Einfluss der Cultur und Ci- vilisation auf die Gestalt des menschlichen Schädels ist.'1 An einer spätem Stelle bemerkt Dr. Schaaffhausen : „Die ungewöhnliche Entwicklung der Stirnhöhlen an dem so merkwürdigen Schädel aus dem Neanderthale nur für eine individuelle oder pathologische Abweichung zu halten, dazu fehlt ebenfalls jeder Grund; sie ist unverkennbar ein Rassentypus und steht mit der auffallenden Stärke der ührigen Knochen des Skelets, welche das gewöhnliche Maass um etwa 1/3 übertrifft, in einem physiologischen Zusammenhange. Diese Ausdehnung der Stirnhöhlen, welche Anhänge der Athemwege sind, deutet ebenso auf eine ungewöhnliche Kraft und Ausdauer der Körperbewegungen, wie die Stärke aller Gräten und Leisten, welche dem Ansätze der Muskeln dienen, an diesen Knochen darauf schliessen lässt. Dass grosse Stirnhöhlen und eine dadurch veranlasste stärkere Wölbung der untern Stirngegend diese Bedeutung haben, wird durch andere Beobachtungen vielfach bestätigt. Dadurch unter- scheidet sich nach Pallas das verwilderte Pferd vom zahmen, nach Cuvier der fossile Höhlenbär von jeder jetzt lebenden Bärenart, nach Roulin das in Amerika verwilderte und dem Eber wieder ähnlich gewordene Schwein von dem zahmen, die Gemse von der Ziege, endlich die durch den starken Knochen- und Muskelbau ausgezeichnete Bulldogge von allen anderen Hunden. An dem vorliegenden Schädel den Ge- sichtswinkel zu bestimmen, der nach R. Owen auch bei den grossen Affen wegen der stark vorstehenden obern Augen- höhlengräte schwer anzugeben ist, wird noch dadurch er- schwert, weil sowohl die Ohröffnimg als der Nasenstachel fehlt; benutzt man die zum Theil erhaltene obere Augen- höhlenwand zur richtigen Stellung des Schädels gegen die Horizontalebene und legt man die aufsteigende Linie an die Stirnfläche hinter dem Wulste der Augenbrauenbogen, so beträgt der Gesichtswinkel nicht mehr als 56°*). Leider ist *) Schätze icli den Gesichtswinkel in der angegebenen Weise, am Abguss, so würde ich ihn zu G4 bis 67° angeben. (G. Busk.) Ueber einige fossile menschliche Ueberreste. 155 nichts von den Gesichtsknochen erhalten, deren Bildung für die Gestalt und den Ausdruck des Kopfes so bestimmend ist. Die Sofeädelhöhle lässt mit Rücksicht auf die ungemeine Kraft des Körperbaues auf eine geringe Hirnentwickelung schliessen. Die Hirnschale fasst 31 Unzen Hirse; da für die ganze Hirnhöhle nach Verhältniss der fehlenden Knochen des Schädelgrundes etwa 6 Unzen hinzuzurechnen wären, so würde sich ein Schädelinhalt von 37 Unzen Hirse ergeben. Tiedemann giebt für den Schädelinhalt von Negern 40, 38 und 35 Unzen Hirse an. Wasser fasst die Hirnschale etwas mehr als 36 Unzen, welche einem Inhalt von 1033,24 Cubikcentim. entsprechen. H u s chke führt den Schädelinhalt einer Negerin mit 1127 Cubikcentim., den eines alten Negers mit 1146 Cubikcentim. an. Der Inhalt von Malaienschädeln mit Wasser gemessen ergab 30 bis 33 Unzen, der der klein gebauten Hindus vermindert sich sogar bis zu 27 Unzen." Nach Vergleichung des Neanderthal-Schädels mit vielen anderen alten und neuen kommt Professor Schaaffhausen zu dem Schlüsse: „Die menschlichen Gebeine und der Schädel aus dem Neanderthale übertreffen aber alle die anderen an jenen Eigenthümlichkeiten der Bildung, die auf ein rohes und wildes Volk schliessen lassen; sie dürfen, sei nun die Kalk- höhle, in der sie ohne jede Spur menschlicher Cultur ge- funden worden sind, der Ort ihrer Bestattung, oder seien sie, wie anderwärts die Knochen erloschener Thiergeschlechter, in dieselbe hineingeschwemmt worden, für das älteste Denk- mal der früheren Bewohner Europas gehalten werden." Mr. Busk, der Uebersetzer der Schaaffhausen'schen Ab- handlung, hat uns in den Stand gesetzt, uns eine lebhafte Vorstellung von dem niedern Charakter des Neanderthal- Schädels zu machen, dadurch, dass er neben die Umrisse desselben die eines Chimpanze in derselben absoluten Grösse gestellt hat. Einige Zeit nach Veröffentlichung der Uebersetzung von Schaaffhausen's Abhandlung wurde ich auf ein noch aufmerk- Fig. 25. Dei Schädel aus der Neanderthalhöhle. .1 Ansicht von der Seite, II von vorn, C von oben. Halbe natürliche Grösse. I'io Umrisse nach Camera Lucida -Zeichnungen von Mr. Bush in halber natürlicher Grösse, die Details nach dem Abgüsse und Dr. Fuhlrott's Photographien, a Glabella, b Hinterhauptshöcker, d Lambdanaht. lieber einige fossile menschliche Ueberreste. 157 sameres Studium des Neanderthal- Schädels geführt, als ich ihm vorher gewidmet hatte, da ich Sir Charles Lyell mit einer Zeichnung zu versehen wünschte, welche die Eigen- thümlichkeiten dieses Schädels im Vergleich mit anderen menschlichen Schädeln darböte*). Um dies zu thun , war es nothwendig, diejenigen Punkte an den Schädeln präcis zu bestimmen, die sich anatomisch entsprachen. Von diesen Punkten war die Glabella deutlich genug; als ich aber einen zweiten durch den Hinterhauptshücker und die obere halb- kreisförmige Linie bestimmt und den Umriss des Neander- thal-Schädels so auf den des Schädels von Engis gelegt hatte, dass Glabella und Hinterhauptshöcker beider von derselben geraden Linie durchschnitten wurden, war der Unterschied so enorm und die Abplattung des Neanderthal-Sckädels so ungeheuer (vergl. Fig. 23 und Fig. 25 A), dass ich zuerst glaubte, irgend einen Fehler begangen zu haben. Und ich war um so mehr geneigt, dies zu vermuthen, als bei gewöhn- lichen menschlichen Schädeln der Hinterhauptshöcker und die obere halbkreisförmig gebogene Linie auf der äussern Oberfläche des Hinterhaupts ziemlich genau den seitlichen Sinus und der Ansatzlinie des Tentorium innen entsprechen. Auf dem Tentorium ruht aber, wie ich in der zweiten Ab- handlung gezeigt habe, der hintere Lappen des Gehirns; und daher geben annähernd der Hinterhauptshöcker und die fragliche gebogene Linie die untere Grenze dieses Lappens an. War es möglich, dass ein menschliches Wesen ein so abgeplattetes und deprimirtes Gehirn hatte; oder hatten die Muskelleisten ihre Lage verändert? Um diese Zweifel zu lösen und die Frage zu entscheiden, ob die starken Augen- brauenvorsprünge von der Entwicklung der Stirnhöhle ab- hingen oder nicht, bat ich Sir Charles Lyell, mir von Dr. Fuhlrott, dem Besitzer des Schädels, Antworten auf gewisse Fragen und wo möglich einen Abguss oder jedenfalls Zeich- nungen oder Photographien des Schädelinnern zu verschaffen. *) S. die Anmerkung- Huxley's zu dem oben citirten Buche Sir Charles Lyell's, S. 80 bis 89. 158 Ueber einige fossile menschliche Ueberreste. Dr. Fuhlrott antwortete mit einer Bereitwilligkeit und Freundlichkeit, für die ich ihm unendlich verbunden bin, auf meine Fragen und schickte ausserdem drei ausgezeichnete Photographien. Eine derselben stellt den Schädel von der Seite dar und nach ihr ist Fig. 25 A schattirt worden. Die zweite (Fig. 26 Ä) zeigt die weiten Mündungen der Stirn- höhlen auf der untern Fläche des Stimtheiles des Schädels, A \\ - Nrx _S «>■ - vSt", . I f^XB a a Zeichnungen nach Dr. Fuhlrott's Photographien von inneren Theilen des Neanderthal- Sehädels. A Ansicht der untern und innern Oberfläche der Stirngegend mit den unteren Mündungen der Stirnhöhle (ä). B Entsprechende Ansicht der Hinterhauptsgegend des Schädels mit den Eindrücken der seitlichen Sinus (aa). in welche, wie Dr. Fuhlrott schreibt, „eine Sonde einen Zoll tief eingebracht werden kann," und erläutert die grosse Ausdehnung der Augenbrauenhöcker über die Schädelhöhle hinaus. Endlich die dritte (Fig. 26 B) stellt den Rand und das Innere des hintern oder Occipitaltheiles des Schädels dar und zeigt sehr deutlich die beiden Eindrücke für die seitlichen Sinus, die sich nach innen gegen die Mittellinie Ueber einige fossile menschliche Ueberreste. 159 des Schädeldaches wenden, um den longitudinalen Sinus zu bilden. Es war daher klar, dass ich mich in meiner Er- klärung nicht geirrt hatte und dass der hintere Lappen des Gehirns beimNeanderthal-Menschen so abgeplattet gewesen sein muss, wie ich es vermuthete. In der That hat der Neanderthal-Schädel ganz ausser- ordentliche Charaktere. Seine grösste Länge beträgt 8 Zoll, die Breite dagegen nur 5,75 Zoll; oder mit anderen Worten, die Länge verhält sich zur Breite wie 100:72. Er ist aus- nehmend flach, von der Glabello-Occipitallinie ist er bis zum Scheitel nur 3,4 Zoll hoch. Der Längenbogen beträgt, in derselben Weise wie beim Schädel von Engis gemessen, 12 Zoll; der quere Bogen kann wegen des Fehlens der Schläfen- beine nicht genau gemessen werden, betrug aber wohl unge- fähr dasselbe, und sicher mehr als 10 y4 Zoll. Der Horizon- talumfang ist 23 Zoll. Dieser grosse Umfang rührt zu einem bedeutenden Theile von den Augenbrauenhöckern her, obgleich der Umfang der Gehirnkapsel selbst nicht klein ist. Die grossen Augenbrauenhöcker geben der Stirn einen viel mehr zurücktretenden Anschein, als sein innerer Umriss zeigen würde. Für ein anatomisches Auge ist der hintere Schädeltheil selbst noch auffallender als der vordere. Der Hinterhaupts- höcker nimmt das äusserste hintere Ende des Schädels ein, wenn die Glabello-Occipitallinie horizontal gestellt wird. Und anstatt dass irgend ein Theil der Hinterhauptsgegend über ihn hinausreichte, steigt diese Gegend schräg nach vorn und oben, so dass die Lambdanaht ganz auf der obern Fläche des Schädels liegt. Gleichzeitig ist trotz der grossen Länge des Schädels die Pfeilnaht merkwürdig kurz (41/,, Zoll) und die Schuppennaht sehr gerade. In Beantwortung meiner Fragen schreibt Dr. Fuhlrott, dass „das Hinterhauptsbein bis zur obern halbkreisförmigen Linie in einem Zustande vollkommener Erhaltung ist. Diese Linie ist eine sehr starke Leiste, linear an ihren Enden, aber nach der Mitte breit werdend und hier zwei Leisten bildend, 160 Ueber einige fossile menschliche Ueberreste. welche durch eine lineare, in der Mitte eingedrückte Ver- längerung verbunden werden." „Unter der linken Leiste zeigt der Knochen eine schräg geneigte Fläche, sechs (Pariser) Linien lang und zwölf breit." Dies muss die Fläche sein, deren Contour in Fig. 25 A, unterhalb b, angegeben ist. Sie ist besonders interessant, als sie uns trotz der flachen Beschaffenheit des Hinterhaupts vermuthen lässt, dass die hinteren Lappen des grossen Ge- hirns beträchtlich über das kleine Gehirn hinausgeragt haben müssen, und als sie einen unter mehreren Punkten darbietet, in denen eine Aehnlichkeit zwischen demNeanderthal-Schädel und gewissen australischen Schädeln besteht. Dergestalt sind die beiden bestgekannten Formen von Menschenschädeln, welche in einem ganz gut fossil zu nen- nenden Zustande gefunden worden sind. Lässt sich nun zeigen, dass einer von ihnen den anatomischen Abstand zwischen Menschen und menschenähnlichen Affen ausfüllt oder in einer merkbaren Weise verkleinert? Oder weicht dagegen keiner weiter von der mittleren Bildung des mensch- lichen Schädels ab, als man von normal gebauten menschlichen Schädeln der Jetztzeit weiss? Man kann sich unmöglich über diese Frage irgend eine Meinung bilden, ohne vorher sich ungefähr mit dem Umfange der vom menschlichen Bau im Allgemeinen dargebotenen Variationen bekannt gemacht zu haben. Dies ist aber ein nur unvollständig untersuchter Gegenstand; und die mir hier gesteckten Grenzen erlauben mir selbst von dem, was bekannt ist, nur eine sehr unvollkommene Skizze zu geben. Wer sich mit Anatomie beschäftigt, weiss sehr wohl, dass es nicht ein einziges Organ des menschlichen Körpers giebt, dessen Bau nicht bei verschiedenen Individuen be- deutender oder geringer variire. Das Skelet variirt in den Proportionen, und in einer gewissen Ausdehnung selbst in den Verbindungen seiner Knochentheile. Die Muskeln, welche die Knochen bewegen, variiren bedeutend in ihren Ansätzen. Ueber einige fossile menschliehe Ueberreste. 161 Die Varietäten in der Verbreitungsweise der Arterien sind, wegeil der praktischen Bedeutung der Kenntniss ihrer Veränderungen für den Wundarzt, sorgfältig classificirt worden. Die Charaktere des Gehirns variiren unendlich; nichts ist \penige* constant als die Form und Grösse der Grosshirn- hemisphären und der Reichthum der Windungen an ihrer Oberfläche. Die veränderlichsten Gebilde aber von allen am menschlichen Gehirn sind gerade diejenigen, welche man unkluger WTeise als die unterscheidenden Merkmale des Menschen anzusehn versucht hat, nämlich das hintere Hörn des Seitenventrikels, der Hippocampus minor und der Grad des Vorspringens der hinteren Lappen über das kleine Ge- hirn. Endlich weiss alle Welt, dass die Haut und das Haar bei Menschen die ausserordentlichsten Verschiedenheiten in Farbe und Textur darbieten können. So weit unsere jetzige Kenntniss reicht, ist die Mehrzahl der hier angedeuteten anatomischen Varietäten individuell. Die affenähnliche Anordnung gewisser Muskeln, die man ge- legentlich bei den weissen Menschenrassen findet*), ist, so viel wir wissen, unter Negern und Australiern nicht gewöhn- licher. Ebenso wenig sind wir berechtigt, — weil man fand, dass das Gehirn der Hottentotten- Venus glätter war, symmetrischer angeordnete Windungen hatte und insoweit affenähnlicher war als das gewöhnliche europäische , — nun hieraus zu schliessen, dass eine ähnliche Bildung des Ge- hirns unter den niederen Menschenrassen allgemein vor- herrsche, wie wahrscheinlich auch ein solcher Schluss sein mag. In Bezug auf die Kenntniss von der Anordnung und Form der weichen und zerstörbaren Theile bei allen Men- schenrassen ausser unserer eigenen sind wir allerdings traurig bestellt. In Bezug selbst auf das Skelet sind unsere Museen beklagenswerther Weise lückenhaft, mit Ausnahme des Schädels. Schädel giebt es genug; und seit Blumenbach *) S. die ausgezeichnete Abhandlung von Mr. Church über die Myologie des Orang in der Nat. Hist. Review, 1861. Huxley, Stellung des Menschen. 11 162 Ueber einige fossile menschliche Ueberreste. und Camper zuerst die Aufmerksamkeit auf die ausgeprägten und sonderbaren Verschiedenheiten, die die Schädel dar- bieten, hinlenkten, ist Schädelsammeln und Schädelmessen Fig. 27. Ansicht von der Seite und von vorn des runden und orthognathen Schädels eines Kal- mucken, nach von Baer, Vi» uat- Gr. Ueber einige fossile menschliche Ueberreste. 163 ein eifrig betriebener Zweig der Naturgeschichte geworden. Seine Resultate sind von verschiedenen Schriftstellern zu- sammengestellt und classificirt worden, unter denen der ver- storbene Retzius stets zuerst genannt werden muss. Man hat gefunden, dass die menschlichen Schädel nicht bloss in ihrer absoluten Grösse und in dem absoluten Inhalte ihrer Schädelkapsel von einander abweichen, sondern auch in den Verhältnissen, welche die Durchmesser der letzteren zu einander zeigen, in der relativen Grösse der Gesichts- knochen (besonders der Kiefer und Zähne) im Vergleich mit denen des Schädels, in dem Grade, in welchem der Ober- kiefer (dem natürlich der untere folgt) unter den vordem Theil der Schädelkapsel nach hinten und unten, oder vor dieselbe nach vorn und oben rückt. Sie weichen ferner von einander ab in den Verhältnissen des queren Durchmessers des Gesichts, durch die Wangenbeine gemessen, zum queren Durchmesser des Schädels, in der mehr abgerundeten oder mehr giebelförmigen Gestalt des Schädeldaches und in dem Grade, bis zu welchem der hintere Theil des Schädels abge- flacht ist oder über die Leiste vorspringt, an und unter welcher sich die Nackenmuskeln ansetzen. Bei manchen Schädeln kann man die eigentliche Schädel- kapsel rund nennen, die grösste Länge verhält sich zur grössten Breite wie 100:80, zuweilen ist sogar der Unter- schied noch geringer*). Menschen mit solchen Schädeln nennt Retzius „brachycejoihalisch"; der Schädel eines Kai- mucken, von dem eine seitliche und vordere Ansicht in Von Baer's „Crania selecta" gegeben ist (hiernach die ver- kleinerten Umrissfiguren in Fig. 27), bietet ein ausgezeich- netes Beispiel dieser Schädelform dar. Andere Schädel, wie der in Fig. 28 nach Busk's „Crania typica" copirte Neger- schädel, haben eine hiervon sehr verschiedene, bedeutend verlängerte Form und können oblong genannt werden. Bei diesem Schädel verhält sich die grösste Breite zur grössten *) An keinem menschlichen Schädel übertrifft die Breite der Schädelkapsel ihre Länge. 11* 164 Ueber einige fossile menschliche Ueberreste. Länge wie 67 : 100, und der Querdurchmesser kann selbst noch unter dies Verhältniss sinken. Leute mit solchen Schädeln nennt Retzius „dolicJiOcepJialisch". Selbst der flüchtigste Blick auf die Seitenansicht dieser Fig. 28. Oblonger und prognatlur Schädel eines Negers; seitliche und vordere Ansicht. Vi nat. Gr. Ueber einige fossile menschliche Ueberreste. 165 beiden Schädel genügt zu dem Nachweis, dass sie noch in einer andern Hinsicht sehr auflallend differiren. Das Profil des Kaimuckengesichts ist fast senkrecht, die Gesichtsknochen treten abwärts unter den vordem Theil des Schädels. Das Profil des Negers dagegen ist merkwürdig geneigt, der vor- dere Theil der Kinnladen springt weit über das Niveau des vordem Theils des Schädels nach vom vor. Im erstem Fall sagt man, der Schädel ist „orthognath" oder geradkiefrig; im letztern wird er ..prognath" genannt, eine Bezeichnung, die mit mehr Kraft als Eleganz durch „schnauzig" wiedergegeben werden könnte. Es sind verschiedene Methoden angegeben worden, um mit Genauigkeit den Grad des Prognathismus oder Ortho- gnathismus eines gegebenen Schädels zu bestimmen; die meisten dieser Methoden sind wesentlich Modificationen der von Camper zur Bestimmung des sogenannten „Gesichts- winkels" angegebenen. Eine kurze Betrachtung zeigt aber, dass alle angegebenen Gesichtswinkel nur in einer rohen und allgemeinen Weise die anatomischen Modificationen ausdrücken können, die beim Prognathismus und Orthognathismus auftreten. Denn die Linien, deren Durchschneidung der Gesichtswinkel bildet, sind durch Punkte am Schädel gezogen, deren Lage durch eine Anzahl von Umständen modificirt wird. Der so erhaltene Winkel ist daher das complicirte Resultat aller dieser Um- stände und nicht der Ausdruck irgend einer organischen Beziehung der Schädeltheile zu einander. Ich bin zu der Ueberzeugung gekommen, dass keine Ver- gleichung von Schädeln viel werth ist, welche nicht auf die Bestimmung einer verhältnissmässig fixirten Grundlinie zu- rückgeführt wird, auf welche in allen Fällen die Messungen bezogen werden müssen. Ich halte es auch für nicht sehr schwierig zu bestimmen, welches diese Grundlinie sein sollte. Die Theile des Schädels sind wie die übrigen Theile des thierischen Körpers nach einander entwickelt: die Schädel- basis wird eher gebildet als die Seiten und das Dach des 166 lieber einige fossile menschliche Ueberreste. Schädels; eher und vollständiger als die letzten wird sie in Knorpel verwandelt ; und diese knorplige Basis ossificirt und verschmilzt in ein Stück lange vor dem Dache des Schädels. Ich bin daher der Ansicht, dass die Schädelbasis aus ihrer Entwicklung als der relativ fixirte Theil des Schädels nach- zuweisen ist, während die Seiten und die Decke relativ be- weglich sind. Dasselbe zeigt sich als richtig bei einem Studium der Modificationen, welche der Schädel, von den niederen Thieren zu den höheren aufsteigend, erleidet. Bei einem Säugethier wie dem Biber (Fig. 29) ist eine durch die ßasioccipital, hinteres und vorderes Keilbein ge- nannten Knochen gezogene Linie (ab) sehr lang im Ver- hältniss zur grössten Länge der die Grosshirnhemisphären enthaltenden Höhle (gh). Die Ebene des Hinterhauptsloches (bc) bildet einen wenig spitzen Winkel mit dieser Schädel- basisaxe, während die Ebene des Tentorium (iT) gegen die Schädelbasisaxe um etwas mehr als 90° geneigt ist; ebenso die Sicbplatte (ad), durch welche die Riechnervenfäden den Schädel verlassen. Ferner bildet eine durch die Ge- sichtsaxe, zwischen den Ethmoid und Pflugschar genannten Knochen gezogene Linie, die „Gesichtsbasisaxe" (fe), einen äusserst stumpfen Winkel mit der Schädelbasisaxe, wenn sie bis zum Durchschneiden dieser verlängert wird. Wird der von den Linien b c und a b gebildete AVinkel der „Hinterhauptswinkel", der von den Linien ad mit ab gebildete der „Siebbeinwinkel", und der von iT mit ab gebildete der „Hirnzeltwinkel" genannt, dann bilden alle diese bei dem in Rede stehenden Säugethiere nahezu rechte Winkel, sie schwanken zwischen 80 und 110°. Der Winkel efb oder der von der Schädelbasis mit der Gesichtsaxe gebildete, Schädelgesichtswinkel zu nennende, ist äusserst stumpf und beträgt beim Biber wenigstens 150°. Wird nun aber eine Reihe von Durchschnitten von Säugethierschädeln, in der Mitte zwischen einem Nager und Ueber einige fossile menschliche Ueberreste. 167 dem Menschen stehend, untersucht (Fig. 29), so stellt sich heraus, dass hei den höheren Schädeln die Schädelbasisaxe Fig. 29. Biber. Längen- und senkrechte Schnitte der Schädel eines Bibers (Castor canadensis), eines Lemur (L. catta) und eines Pavian (Cynocephalus Papio); ab Schädelbasisaxe; 6c Hin- terhauptsebene; iT Ebene des Tentorium; ad Siebbeinebene; fe Gesichtsbasisaxe; cba Hinterhauptswinkel; Tia Hirnzeltwinkel; dab Siebbeinwinkel; efb Schädelgesichts- winkel; g h grösste Länge der die Grosshirnhemisphären aufnehmenden Höhle oder „Grosshirnlänge". Die Länge der Schädelbasisaxe zu dieser Länge, oder mit anderen Worten die relative Länge der Linie g h zu der Linie a b, diese gleich 100, ist in den drei Schädeln, wie folgt: Biber 70: 100, Lemur 119: 100, Pavian 144 :100; bei einem er- wachsenen Gorilla wie 170:100, beim Neger (Fig. 30) wie 236-100, bei dem Constantino- politaner Schädel (Fig. 30) wie 266 : 100. Der Schädelunterschied zwischen den höchsten Affen und den niedrigsten Menschen springt daher durch diese Messungen sehr in die Augen. — In der Zeichnung des Pavianschädels geben die punktirten Linien dl di etc. die Winkel des Biber- und Lemurschädels auf die Schädelbasisaxe des Pavian über- tragen an. Die Linie o ö ist in allen drei Zeichnungen gleich lang. 1G8 Ueber einige fossile menschliche Ueberreste. im Verhältniss zur Grosshirnlänge kürzer wird, dass der Siebbeinwinkel und Hinterhauptswinkel stumpfer werden, und dass der Schädelgesichtswinkel gewissermaassen durch das Zurückbeugen der Gesichtsaxe auf die Schädelaxe spitzer wird. Gleichzeitig wird das Schädeldach mehr und mehr gewölbt, um das Zunehmen der Grosshirnhemisphären an Höhe zu gestatten, was vorzüglich charakteristisch für den Menschen ist, ebenso wie die Ausdehnung nach hinten über das kleine Gehirn hinaus, welche ihr Maximum in den süd- amerikanischen Affen erreicht. Beim menschlichen Schädel (Fig. 30) ist daher endlich die Grosshirnlänge zwischen zwei- und dreimal so gross als die der Schädelbasisaxe; der Siebbeinwinkel 20 oder 30° nach der untern Seite letzterer Axe, der Hinterhauptswinkel statt kleiner als 90° zu sein, ist bis 150° oder 160° gross. Der Schädelgesichtswinkel kann 90° oder weniger sein und die verticale Höhe des Schädels kann verhältnissmässig zu seiner Länge gross sein. Aus einer Betrachtung dieser Zeichnungen wird klar, dass die Schädelbasisaxe in der aufsteigenden Reihe der Säugethiere eine relativ fixirte Linie ist, um welche, wie man sich ausdrücken kann, die Knochen des Gesichts und der Seiten und Decke der Schädelhöhle sich nach unten und nach vorn oder hinten, je nach ihrer Lage, drehen. Der von einem Knochen oder einer Ebene beschriebene Bogen steht indess durchaus nicht immer im Verhältniss zu dem von einem andern beschriebenen Bogen. Wir kommen nun zu der wichtigen Frage: können wir zwischen den niedrigsten und höchsten Formen menschlicher Schädel irgend etwas ausfindig machen, das, in was für einem geringen Grade auch immer, dieser Drehung der Seiten- und Deckenknochen des Schädels um die Schädelbasisaxe ent- spricht, die in so bedeutendem Maasse in der Säugethier- reihe zu beobachten ist? Zahlreiche Beobachtungen führen mich zu der Ansicht, dass wir diese Frage bejahend beant- worten müssen. Die Zeichnungen in Fig. 30 sind verkleinert nach sehr Ueber einige fossile menschliche Ueberreste. 16!) sorgfältig gemachten Durchschnittszeichnungen von vier Schädeln, zwei runden und orthognathen und zwei langen und prognathen, im mittleren senkrechten Längsschnitte. Fig. 30. Durchschnitte von orthognathen (dünne Contour) und prpgnathen (dunkle Contour) Schädeln, y3 nat. Gr. ab Schädelbasisaxe, b c, b' c'. Ebene des Hinterhauptsloches, d ä" hinteres Ende der (iaumenknochen, e e' Vorderende des Oberkiefers, TT' Insertion des Tentorium. Die Durchschnittszeichnungen sind aufeinander gelegt worden, so, dass die Basalaxen der Schädel mit ihren vorderen Enden und in ihrer Richtung und Lage zusammenfallen. Die Ab- weichungen der übrigen Contouren (die nur das Innere des 170 lieber einige fossile menschliche Ueberreste. Schädels darstellen) zeigen die Verschiedenheiten der Schädel von einander, wenn jene Axen als relativ fixirte Linien be- trachtet werden. Die dunklen Contourcn sind die eines Australiers und eines Negers, die dünneren die eines Tatarenschädels, im Museum des Königl. Collegiums der Wundärzte, und eines gut entwickelten runden Schädels, von einem Begräbnissplatze in Constantinopel, unbestimmter Rasse, der in meinem Be- sitze sich befindet. Es wird hieraus sofort klar, dass die prognathen Schädel, was ihre Kinnladen betrifft, von den orthognathen wirklich in derselben Weise abweichen, wenn auch in einem viel ge- ringern Grade, in welcher die Schädel niederer Säugethiere von dem des Menschen verschieden sind. Es bildet ferner die Ebene des Hinterhauptsloches (b c) mit derAxe in diesen besonders prognathen Schädeln einen etwas kleinern Winkel als in den orthognathen. Dasselbe wird auch ziemlich von der durchbohrten Siebbeinplatte gelten, obschon dies nicht so deutlich ist. Es ist aber sonderbar, dass in einer andern Beziehung die prognathen Schädel weniger affenähnlich sind als die orthognathen, da in den prognathen Schädeln die Gehirnhöhle entschieden weiter nach vorn vor das vordere Ende der Axe vorspringt, als in den orthognathen. Man sieht, dass diese Zeichnungen nachweisen, wie ausserordentlich gross der Umfang ist, in dem der Raum- inhalt der verschiedenen Gegenden der das Gehirn enthalten- den Höhle und ihr relatives Verhältniss zur Schädelaxe bei verschiedenen Schädeln variirt. Ebenso merkwürdig ist die Verschiedenheit der Ausdehnung, in welcher die Gross- hirnhöhle die Höhle für das kleine Gehirn überragt. Ein runder Schädel (Fig. 30, Const.) kann ein stärker nach hinten vorspringendes grosses Gehirn haben, als ein langer (Fig. 30, Neger). So lange bis nicht menschliche Schädel in ausgedehnter Weise nach einer der hier vorgeschlagenen ähnlichen Weise bearbeitet worden sind, so lange bis es nicht für eine eth- Ueber einige fossile menschliche leberreste. 171 nologische Sammlung eine Schande ist, einen einzigen nicht senkrecht und längsweise aufgeschnittenen Schädel zu be- sitzen, so lange bis die hier erwähnten Winkel und Maasse, mit anderen hier nicht berührten, bestimmt und für eine grosse Zahl von Schädeln verschiedener Rassen von Menschen mit Rücksicht auf dieSchädelbasisaxe als Einheit tabellarisch zusammengestellt sind, — so lange glaube ich nicht, dass wir irgend eine sichere Grundlage für jene ethnologische Craniologie besitzen, welche danach strebt, die anatomischen Charaktere der Schädel der verschiedenen Menschenrassen zu geben. Für jetzt glaube ich, dass die allgemeinen Umrisse dessen, was mit Sicherheit über diesen Gegenstand angegeben werden kann, in wenig Worte zusammenzufassen sind. Man ziehe auf einem Globus eine Linie von der Goldküste in WTestafrika zu den Steppen der Tatarei. Am südlichen und westlichen Ende dieser Linie leben die meisten dolichocephalen, pro- gnathen, kraushaarigen, dunkelhäutigen Menschen, die wahren Neger. Am nördlichen und östlichen Ende derselben Linie leben die meisten brachycephalen , orthognathen, schlicht- haarigen, gelbhäutigen Menschen, die Tataren und Kaimucken. Die beiden Enden dieser Linie sind in der That, so zu sagen, ethnologische Antipoden. Eine unter rechtem oder beinahe rechtem Winkel auf diese polare Linie durch Europa und Südasien bis Indien gezogene Linie würde uns eine Art Ae- quator geben, um welchen rundköpfige, oval- und oblong- köpfige, prognathe und orthognathe, helle und dunkle Rassen sich gruppiren, aber keine mit den so ausserordentlich aus- geprägten Charakteren des Kaimucken oder Negers. Es ist bemerkenswerth, dass die Gegenden der antipoden Rassen auch dem Klima nach antipod sind. Der grösste Contrast, den die Erde darbietet, findet sich zwischen den feuchten, heissen, dampfenden alluvialen Küstenebenen der Westküste von Afrika und den trockenen hochliegenden Steppen und Plateaus Central- Asiens , die im Winter bitter 172 lieber einige fossile menschliche Ueberreste. kalt und so weit vom Meere entfernt sind, als es nur ein Theil der Erde sein kann. Von Central-Asien aus nach Osten, einerseits bis zu den Inseln und Subcontinenten der Südsee andererseits bis nach Amerika, nimmt die ßrachycephalie und efer Orthognathismus allmählich ab, um von Dolichocephalie und Prognathismus ersetzt zu werden. Dies findet jedoch weniger auf dem amerikanischen Festlande statt (durch dessen ganze Länge ein runder Schädeltypus bedeutend, aber nicht ausschliesslich vorherrscht*), als in den Südseegegenden, wo zuletzt auf dem australischen Festlande und den umliegenden Inseln der lange Schädel, die vorstehenden Kinnladen und die dunkle Haut wiedererscheint, aber mit so grossen Abweichungen in anderer Hinsicht vom Negertypus, dass die Ethnologen diesem Volke den besondern Namen der „Negritos" geben. Der australische Schädel ist merkwürdig wegen seiner Schmalheit und der Dicke seiner Wandungen, besonders in der Gegend der Augenbrauenbogen, welche häutig, aber durch- aus nicht constant, durchweg solid, die Stirnhöhlen dagegen unentwickelt bleiben. Die Nasaldepression ist ferner sehr plötzlich, so dass die Brauen überhängen und dem Gesicht einen besonders finstern, schreckenden Ausdruck geben. Auch wird dieHinterhauptsgegendnicht selten weniger vorspringend, so dass sie nicht nur nicht über eine senkrechte Linie hin- ausreicht, die man auf dem hintern Ende der Glabello-Occipi- tal-Linie errichtet, sondern in manchen Fällen selbst von ihr aus beinahe unmittelbar nach vorn sich abzuflachen beginnt. In Folffe dieses Umstandes machen die Theile ober- und unterhalb des Hinterhaupthöckers einen viel spitzeren Winkel mit einander als gewöhnlich, wodurch der hintere Theil des Schädels schräg abgestutzt erscheint. Viele australische Schädel haben eine beträchtliche Höhe, völlig der mittlem *) S. die werthvolle Abhandlung von Dr. D. Wilson „on the sup- posed prevalence of one Cranial type throughout the American aborigines." Canadian Journal, Vol. IL 1857. Ueber einige fossile menschliche Ueberreste. 173 Höhe bei anderen Rassen gleich; es gieht aber andere, hei denen die Schädeldecke merkwürdig deprimirt wird, wobei sich der Schädel gleichzeitig so verlängert, dass sein Raum- inhalt wahrscheinlich nicht vermindert ist. Die Mehrzahl der Schädel, welche diese Eigentümlichkeiten aufwiesen, und die ich gesehen habe, waren aus der Umgebung von Port Adelaide in Südaustralien und wurden von den Einge- bomen als Wassergefässe benutzt. Zu diesem Ende war das Gesicht weggebrochen und ein Faden durch diese Höhlung und das Hinterhauptsloch gezogen, so dass der Schädel am grössern Theile seiner Basis aufgehängt war. Fiff. 31. Ein australischer Schädel von "Western Port im Museum des Koyal College of Surgeons mit den Umrissen des Neanderthal-Schädels. Beides auf V3 nat. Gr. verkleinert. Fig. 31 giebt den Umriss eines Schädels dieser Art von Western Port mit anhängenden Kiefern und die Contouren des Neanderthal-Schädels, beides auf ein Drittheil der na- türlichen Grösse reducirt. Eine geringe Zunahme in der Abfiachung und Verlängerung mit einer entsprechenden Verdickung des Augenbrauenhöckers würde die australische 174 Ueber einige fossile menschliche Ueberreste. Gehirnkapsel in eine mit dem aberranten Fossil identische Form verwandeln. Kehren wir nun zu den fossilen Schädeln und zu der Stelle zurück, die sie unter den existirenden Varietäten der Schädelbildung oder jenseits derselben einnehmen. An erster Stelle muss ich bemerken, dass wir, wie Schmerling bei Be- trachtung des Schädels von Engis richtig hervorhebt, bei der Bildung eines Urtheils durch' die Abwesenheit der Kinn- laden von beiden Schädeln sehr gehindert werden, so dass wir kein Mittel haben zu entscheiden, ob sie mehr oder weniger prognath waren, als die niedrigeren jetzt existiren- den Menschenrassen. Und doch haben wir gesehen, dass die menschlichen Schädel, in dieser Hinsicht mehr als in irgend einer andern, in ihrer Annäherung an eine thierische Form oder Entfernung von einer solchen schwanken; die Schädelkapsel eines mittlem dolichocephalen Europäers weicht viel weniger von der eines Negers z. B. ab, als es die Kinnladen thun. Bei dem Fehlen der Kinnladen muss daher jedes Urtheil über die Beziehungen der fossilen Schädel zu jetzt existirenden Rassen mit einem gewissen Rückhalt angenommen werden. Nehmen wir aber denThatbestand, wie er ist, und wen- den wir uns zuerst zu dem Schädel von Engis, so muss ich bekennen, dass ich kein Merkmal finden kann an den Ueber- resten jenes Schädels, welches einen zuverlässigen Schlüssel darböte zur Ermittelung der Rasse, zu der er gehören könnte. Seine Umrisse und Maasse stimmen ganz gut mit denen mehrerer australischen Schädel überein, die ich untersucht habe, und besonders hat er eine Neigung zu jener Abflachung des Hinterhaupts, auf deren grosse Ausdehnung ich bei manchen australischen Schädeln hingewiesen habe. Aber nicht alle australischen Schädel zeigen diese Abplattung und der Augenbrauenhöcker ist dem der typischen Australier völlig unähnlich. Auf der andern Seite stimmen seine Maasse gleich gut mit denen mancher europäischen Schädel. Und sicherlich lieber einige fossile menschliche Ueberreste. 157 ist an keinem Theil seines Baues ein Zeichen von Degra- dation bemerkbar. Er ist in der That ein guter mittlerer menschlicher Schädel, der einem Philosophen angehört oder das Gehirn eines gedankenlosen Wilden enthalten haben kann. Der Fall mit demNeanderthal-Schädel ist sehr verschie- den. Von welcher Seite wir auch diesen Schädel betrachten, mögen wir seine verticale Abplattung, die enorme Dicke seiner Augenbrauenhöcker, sein schräges Hinterhaupt oder seine lange und gerade Schuppennaht berücksichtigen, wir stossen auf affenähnliche Charaktere, wodurch er zu dem affenähnlichsten menschlichen Schädel wird, der bis jetzt ent- deckt ist. Professor Schaaffhausen giebt aber an (s. oben S. 148), dass der Schädel in seinem jetzigen Zustand 1033,24 Cubikceiitim. Wasser oder ungefähr 63 Cubikzoll enthalte, und da der vollständige kaum weniger als 12 Cubikzoll mehr enthalten haben kann, so kann sein Rauminhalt auf ungefähr 75 Cubikzoll geschätzt werden, was die von Morton fürPoly- nesische und Hottentotten-Schädel gegebene mittlere Capa- cität ist. Eine so grosse Gehirnmasse, wie diese, würde schon allein die Vermuthung veranlassen, dass die affenähnlichen Beziehungen, die dieser Schädel andeutet, nicht tief in die Organisation eingedrungen sind. Diese Folgerung wird durch die Maasse der übrigen von Professor Schaaffhausen gemes- senen Skelettheile gerechtfertigt, welche nachweisen, dass die absolute Höhe und relativen Verhältnisse der Glied- maassen durchaus die eines mittelgrossen Europäers waren. Die Knochen sind allerdings dicker, dies ist aber, ebenso wie die starke Entwicklung von Muskelleisten, bei Wilden zu erwarten. Die Patagonier, die ohne Schutz und Obdach einem Klima ausgesetzt sind, das möglicherweise nicht sehr von dem abweicht, was zur Zeit, wo der Neanderthal-Mann lebte, in Europa herrschte, sind ausgezeichnet durch die Dicke ihrer Extremitätenknochen. In keiner Weise können daher die Neanderthal-Knochen als die Ueberreste eines zwischen Affe und Mensch in der 176 Ueber einige fossile menschliche Ueberreste. Mitte stehenden menschlichen Wesens angesehen werden. Höchstens beweisen sie die Existenz eines Menschen, dessen Schädel in etwas nach dem Affentypus zurückgeht, — ebenso wie eine Brieftaube, Pfauentaube oder Purzeltaube zuweilen das Gefieder des ursprünglichen Stammes der Cölumba livia anlegt. Und wenn auch der Neanderthal-Schädel der affen- ähnlichste aller bekannten menschlichen Schädel ist, so ist Fig. 32. Alter dänischer Schädel aus einem Grabhügel bei Borreby; Vs nat. Gr. Nach einer Camera lucida-Zeichnung von G. Busk. Ueber einige fossile menschliche Ueberreste. 177 er doch keineswegs so isolirt, wie es anfänglich scheint, sondern bildet nur den äussersten Ausdruck einer allmählich von ihm ans zum höchsten und best entwickelten menschli- chen Schädel führenden Reihe. Auf der einen Seite nähert er sich bedeutend den platten australischen Schädeln, von denen ich gesprochen habe, und von denen andere australi- sche Formen allmählich zu Schädeln führen, die vielmehr den Typus des Schädels von Engis haben. Auf der andern Seite ist er selbst noch näher den Schädeln gewisser alter Stämme verwandt, welche Dänemark während der „Stein- periode" bewohnten und entweder Zeitgenossen oder Nach- folger der Leute waren, denen die Abraumhaufen oder „Kjökkenmöddings" jenes Landes ihre Entstehung verdanken. Der LängenumrissdesNeanderthal-Schädels und einiger Schädel aus den Grabhügeln von Borreby, von denen Mr. Busk sehr genaue Zeichnungen gemacht hat, entsprechen sich sehr nahe. Das Hinterhaupt tritt ebenso zurück, die Augenbrauenhöcker sind beinahe ebenso vorstehend und der Schädel ebenso niedrig. Der Borreby-Schädel gleicht ferner dem Neanderthal-Schädel, noch mehr als irgend ein australi- scher Schädel es thut, in dem viel rapideren Zurücktreten der Stirn. Auf der andern Seite sind die Borreby-Schädel etwas breiter im Verhältniss zu ihrer Länge, als die Neander- thal-Schädel, während manche jenes Verhältniss der Breite zur Länge erreichen (80:100), was die Brachycephalie cha- rakterisirt. Zum Schluss kann ich wohl sagen, dass die bis jetzt entdeckten fossilen Ueberreste von Menschen uns, wie mir scheint, jener pitheeoiden Form nicht merkbar näher führen, durch deren Modification der Mensch vermuthlich das, was er ist, geworden ist. Ueb erblicken wir das, was wir bis jetzt über die ältesten Menschenrassen wissen; sehen wir, dass sie Flintäxte und Flintmesser und knöcherne Spiesse fast von derselben Form fabricirten, wie die niedrigsten Wilden der Jetztzeit, und dass wir allen Grund zu glauben haben, dass die Gewohnheiten und die Lebensweise solcher Völker Tluxley, Stellung des Menschen, 12 178 Ueber einige fossile menschliche Ueberreste. von der Zeit des Mammuth und des tichorhinen Rhinoceros an bis heute dieselben geblieben sind, so könnte ich nicht sagen, dass dies Resultat anders sei, als zu erwarten ge- wesen war. Wo müssen wir denn nun aber nach dem „Urmenschen" suchen? War der älteste Homo sapiens pliocen oder miocen oder noch älter? Warten in noch älteren Schichten die fos- silisirten Knochen eines Affen, mehr menschenähnlich, oder eines Menschen, mehr affenähnlich, als alle jetzt bekannten, auf die Untersuchungen noch nicht geborener Palaeonto- logen? Die Zeit wird es lehren. Wenn aber eine Theorie der progressiven Entwicklung in irgend welcher Form richtig ist, dann müssen wir inzwischen die in Bezug auf das Alter der Menschheit gemachte reichlichste Schätzung um lange Zeiträume noch verlängern. nn rf^n iS * ^ r\ ^ -0K c i & ffft hi r\/*v Xt. % w^ mn »\ IV [ > > ^ ^ , "; y*M