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Zeitscluiffc

für

französische Sprache und Litteratur

unter besonderer Mitwirkung ihrer Begründer

Dr. G. Kcerting und Dr. E. Koschwitz

Professor a. d. Akademie sn Mfinster i. W. Professor a. d. ünWersitfct in Oreifiiwald

herausgegeben

von

Dr. D. Behrens ^nd Dr. H, Kcerting^

Privatdosent a. d. UniTorsität su Greifs wald. Professor a. d. UniTersitfct sn Leipsig.

Band XL

Oppeln nnd Leipzig.

Eugen Franck's Buchhandlung (Georg Maske).

1889.

INHALT.

Abhandlungen.

Seite

G. Bornhack. Zola als Dramatiker 29 40

J. ten Brink. Moderne französische Romanschriftsteller . 41 64 E. Dannheisser. Zur Geschichte des Schäferspiels in

Frankreich . 65—89

J. Frank. La Satyre des Satyres et la Critiqae desint^ressäe 1 22 E. Guglia. Antoine RivaroFs Plan einer Theorie du corps

politique 266—264

A. Haase. Ergänzende Bemerkungen zur Syntax des

XVII. Jahrhunderts 203—237

W. Knörich. Zur Kritik des Preziösentums 167—176

R. Mahrenholtz. Bemerkungen über die Correspondance

philosophique, litt^raire et critique (1747 93) . . . 90 104

. Thörese Levasseur 177—187

Ph. Plattner. Personal- und Gentilderivate im Neufran- zösischen 106—166

W. Ricken. Grundzüge der Entwickelung des e sourd. Ein Beitrag zur Beantwortung der Frage: Wie sind

die französischen Verse zu lesen? 238 255

E. Ritter. Le programme du prix proposä par l'Acadämie

de Dijon et remportä par Jean-Jacques Rousseau . . 23 28

-■ . La Correspondance de Sainte-Beuve 188 202

MiSZELLEN.

J. Aymeric. Evolutions de la langue fran^aise .... 267 269

Lohmann. Ein Roman Victor Cherbuliez* 270—272

R. Mahrenholtz. Die Bildnisse Moliäre*s 266-266

* » ^ >

Druck von Erdmaim Baabe in Oppeln.

La Satyre des Satyres et la Critique dösintöressee. ^)

So lauten bekanntlich die Titel zweier Satiren, die Boileau und Moli^re in schärfster Weise angreifen, nicht nur in ihrer Eigenschaft als Dichter, sondern auch in ihrem Privatcharakter. Sie werden in der Regel dem Abb6 Cotin zugeschrieben; doch gilt seine Autorschaft (wie man sehen wird) durchaus nicht als unbestritten, und wir werden uns mit dem Beweismateriale für und wider noch eingehend zu befassen haben, um schliesslich (so hoffen wir) Cotin als Verfasser der beiden Satiren sicher zu stellen. Bevor wir aber auf die Erörterung dieser Streitfrage näher eingehen, müssen wir uns mit den gegenseitigen Beziehungen der drei genannten Schriftsteller und mit dem Inhalte der beiden in Rede stehenden Schriften etwas näher vertraut machen.

Moli^re und Boileau waren bekanntlich intime Freunde. Innere Wahlverwandtschaft hatte sie zusammengeführt, in erfreu- licher Übereinstimmung hatten sie den Kampf gegen das Preziösen- tum gewagt und im schönen Gleichtakte ausgeführt, ebenso wie die Talentlosigkeit Gotin's als Dichter und seine niedrige Denkungs-

^) Die Hauptanregung und das wichtigste Hilfsmittel zu diesem Aufsatze bot der als XII. Bändchen der Nouveüe Coüeciion Molieresque erschienene Neudruck : La Satyre des Satyres ei la Critique desinidressee sur les satyres du iemps par Tabbö Cotin avec une notice par le bibliophile Jacob. Paris, 1883. Librairie des bibliophiles, rne Saint- Honor^, 338. Die Vorrede Jacob's (bekanntlich Pseudonym für Paul La er o ix) gibt eine gedrängte Zusammenstellung der im Molieriste durchgefochtenen Streitfrage, die aber, wie uns scheint, einer weiteren Kontroverse noch immer Baum lässt. Wenn dieser unser Aufsatz ein Verdienst für sich in Anspruch nehmen darf, so ist es das, auf den Text der beiden Satiren gewissenhafter eingegangen zu sein und aus demselben für die Frage der Autorschaft weitere Aufschlüsse gesucht zu haben. Wir bemerken gleich hier, dass wir uns im Verlaufe dieser Arbeit für Satyi'e des Satyres der Abbreviatur „S. d. S." und für la Critique desinteressee „l. Cr. des.^ bedienen werden.

Zscbr. f. fT& Spr. u. Litt. XIi. i

2 /. Frank,

art zwischen ihm und den Genannten frühzeitig eine hohe Scheide- mauer errichtete. Cotin war ein Habituö des Hotel Rambouillet, in dem die Unnatur und der forcierte Geistesreichtum, das stiss- liche Wesen und die falsche Sentimentalität hypertrophischer Herzen einen zweideutigen Verkehr mit den Musen pflegten. Boileau hatte zwar ebenfalls eine Zeit lang in diese hureaux d^esprit seinen Fuss gesetzt,^) aber bald wiederum die richtige Fährte aus denselben gefunden, er hatte diese poetische Ver- irrung bald überwunden und wie eine abgestreifte Schlangenhaut hinter sich liegen lassen, ja sogar seiner tiefen Abneigung gegen diese Richtung^) in seinen Satiren rücksichtslosen Ausdruck verliehen. Auch die SteUung Moli^re's gegenüber dieser poetischen Bewegung war vermöge seiner geistigen Eigenart genau vor- geschrieben und man weiss, wie tötlich er dieselbe getroffen hat. Diese prinzipiellen Gegensätze verschärften sich immer mehr und spitzten sich zu persönlichen zu, da Gotin von jener zänkischen Eitelkeit erfüllt war, die das verräterische Brandmal aller Schrift- steller ist, denen die Geltendmachung der lieben Persönlichkeit höchster Zweck ist. Cotin war seinen Gegnern an Schärfe nicht gewachsen, und so scheute er sich nicht, obzwar er sich als felsenfester Streiter des Herrn und Bewahrer des Heiligtums der Gesinnung gebärdet, in den beiden Satiren zu den ehrlichen Geistes Waffen erbärmliche Angebereien und Verleumdungen hinzuzufügen, von denen wir noch ausführlich zu sprechen haben werden. Begreiflicherweise stieg dadurch auch die Erbitterung der beiden Angegriffenen; besonders Boileau nahm Gotin auch weiter scharf aufs Korn und machte ihn in seinen Satiren zum ewigen Stichblatt seines Spottes. Mit der ihn auszeichnenden Feinfilhligkeit und dem starken Unterscheidungsvermögen zwischen der wahrhaften Poesie und der affektierten, koketten Empfindelei, zwischen den Schöpfungen von dauerndem und denen von nur ephemerem Werte, mit dem frohen Mute des Reformators hatte er neben anderen litterarischen Gecken und Götzen auch Gotin von seiner hohen Stellung herabgerissen, jenen Cotin, der wie * alle Schriftsteller, die ganz und ausschliesslich nur ihrer Zeit angehören, mit den oberflächlichen Salondamen ein zwar in- brünstiges, aber nur kurz anhaltendes Liebesverhältnis einge-

1) Er achreibt selbst an Le Verrier: J^ai une espece de confusion davoir emphyä quelques hewres ä faire des vers damouretle ei d^itre iombe moi-mime dans le ridicule doni faccuse les autres,

^) Ceite disposiüon Wesprit ei ceiie humeur semblaieni faire de Boileau Vennemi naiurel de ces riens galanis, de ce grand fin, de ce fin des choses, de ce fin du fin eic. (Nisard, Hisi, de la litt, fr,, II. Bd. S. 290.)

La Satyre des Satyres et la CriHque ddsinieressäe. 3

gangen war. Man muss es Boilean's damaliger Jagend zu Oute halten, wenn er im Eifer des Gefechtes zuweilen über den Strang schlägt und nicht nur den Bannerträger des Preziösentnms and Dichter, sondern auch den Kanzelredner Cotin hart mitnimmt, der den immer mehr gelichteten Reihen seiner andächtigen Zu- hörer in seinen Predigten ein wahres Pastoralopium verabreichte.^) Den vernichtenden Schlag gegen Gotin aber hatte Moli^re geführt, indem er mit einem Kernhiebe Cotin's Reputation vollkommen totschlug. Er stellte ihn nämlich in seinen Femmes savantes als Trissotin auf die Bühne, eine Figur, in der jedermann das Original wiedererkennen musste und in der Cotin's Gelehrten- dünkel und Rechthaberei, seine Selbstgefälligkeit und Scheelsucht, seine Pedanterle und Schalheit als Dichter einem unauslöschlichen Gelächter preisgegeben waren. Dieser Hieb sass so fest, dass sich der Betroffene seit dieser Zeit kaum mehr öffentlich zeigte und auch litterarisch mundtot gemacht war.^) Selbst der Um- stand, dass er 1655 in die Akademie aufgenommen worden war, konnte ihn bei der Nachwelt vor dem Fluche der Lächerlichkeit nicht bewahren. Übrigens machte ihm selbst der Abb6 de Dangeau, der ihm in der Akademie nachfolgte, kaum einige Elogen.

1) Si Von rCest plus au large assis en un fesiin,

Qu'aux Sermons de Cassagne, ou de tarne Cotm. (Sat III.)

Dieselben Verse wiederholt Boileau auch anführend in der IX. Bat. in der er auch ironisch sagt, er wolle, am niemanden zu verstimmen, von nun an schreiben:

Cotin ä ses sej'mons iratnant toute la terre Fend les flots d'audiieurs pour aller ä sa chaire.

2) Man hat sogar behauptet, dass der Kummer, den Cotin über diese Behandlung empfunden, ihn zum Grabe geführt habe, und sogar Voltaire hat sich dazu hergegeben, dies Gerücht zu wiederholen. Cotin starb jedoch erst 1682, erst 10 Jahre nach der Aufführung des Stückes, im Alter von 78 Jahren. L*on voit, que si c*est au chagrin qu'il faut aitrihuer sa mort, ü fut pour Im comme le caf4 pour Fonteneile, un poisonlent (Tascherau, S. 44.) (Lion, Les Femmes Sav. S. 74, A. 721.) Übrigens fand diese Aufführung nicht wie es bei Lacroix (La SaU d. S. et la Crii. des. S. VII) heisst, am 12. M'ärz, sondern am 11. d. J. 1672 statt. Wir fügen hier noch die vortreffliche Schilderung hinzu, die Moliere {Femmes sav. I, Sz. 8) von Trissotin gibt,

La consianie hauteur de sa pre'somption Cetle intre'pidite de bonne opinion Cet indolent etat de confiance extrSme Qui le rend en tout temps si content de soi-mSme, Qui faitf qu*ä son esprit incessamment il rit, Qu'ü se sait si hon gre de tout ce qü'il ecrit^ Et qu'il ne voudrait pas changer sa renomniäe Contre tous les honneurs d'un g^ne'ral d^armee.

4 J* Frank,

Betrachten wir nun den Hauptinhalt der beiden in Rede stehenden Satiren, in denen Cotin (wir nehmen vorgreifend seine Autorschaft als erwiesen an) seine vergifteten Pfeile gegen seine beiden Gegner abschnellt, etwas näher. Nicht, als ob diese beiden an und für sich ziemlich wertlosen Machwerke der Mühe eines näheren Eingehens lohnten, auch nicht, weil Cotin, diese noch nicht einmal durch ihr Alter ehrwürdig gewordene litterarische Ruine, an und für sich ein wichtiges Objekt des litteraturgeschicht- liehen Studiums bilden kann, sondern weil sie auf zwei so be- deutende Männer wie Moli^re und Boileau starke Streiflichter werfen und eine Lösung der Autorfrage ohne die Kenntnis des Inhaltes nicht gut möglich ist. Es sind nun zunächst Aus- stellungen mehr ästhetischer Natur, die in der 8. d. S, und in der Crit dis, gegen Boileau ^und Moli^re erhoben werden, und der erstere ist es besonders, der nach dieser Seite hin angegriffen wird. Er wird als Plagiator schlimmster Sorte hingestellt, der bei den alten grossen Satirikern die unverschämtesten Anlehen mache, der in willkürlicher Weise wie ein Beherrscher des Parnasses seinen Freunden den poetischen Lorbeer reiche, und einen Moli^re zu einer litterarischen Grösse aufblähe, obzwar er doch nur ein gewöhnlicher Possenreisser sei; Boileau könnte keine Zeile schreiben,^) wenn er nur seine eigenen Gedanken nieder- schreiben sollte, und doch wage er es, bewährte Dichter zu ver- spotten. Es wird uns da besonders in der Crit. dis. neben mancher wohl richtigen, aber stark an den Gemeinplatz erinnernden theoretischen Ansicht Cotin's über die Satire vieles Schiefe vor- geführt, das dem Satiriker sein bestes Recht arg verkümmern möchte. In die Kategorie des letzteren gehört, wenn Cotin fordert, der Satiriker müsse sich einer besonders hoben Geburt und eines besonderen makellosen Lebenswandels berühmen können, um seines Amtes walten zu dürfen; er dürfe nur die angreifen, die ihm persönlich etwas zu Leide gethan; der Satiriker dürfe nur die Spitzen der Gesellschaft treffen, nicht aber in die Niederungen der mittleren und unteren Klassen hinabsteigen. Wenn Cotin die These aufstellt, der echte Satiriker werde zu stolz sein, um sich über seine Armut und sein Elend zu beklagen und die Welt unter dem Gesichtswinkel seines persönlichen Ge- schickes zu betrachten, so wird man wenigstens die Motivierung vUgnorant pas quon n*a point veu encore la Science mendier son pain sehr brüchig finden dürfen und zugeben, dass ohne den Be-

*) Si le bon Juvenal estoU mori sans ecrire

Le malin Desprdaux n'eusi poini faii de satyre,

Et, s'ü ne disait rien que ce que vieni de luy,

ß ne pourroii jamais rien dire conire autrut/. (S. d. S.)

La Satyre des Saiyres ei la Criiigue desinieress^e, 5

sitz gewisser Mittel selbst der Beste ein gefesselter Mensch ist; wenn er meint, die Satire dürfe nie dem Neide nnd der persön- lichen Feindschaft entspringen, so wird sich dagegen nichts ein- wenden lassen, ohne dass darum die Plattheit dieses Gedankens geringer wird. Er wirft Boilean vor, die Vernunft verspottet zu haben und sie absetzen zu wollen, weil dieser den Gedanken aussprach, dass der alles kritisch prüfende und analysierende Verstand zuweilen in die höchste Freude und Verzückung einen Wermutstropfen träufle und dass der am meisten Denkende nicht immer der Glücklichste sei. Boileau (so meint Cotin)^) müsse wie ein rasendes Tier behandelt werden, da er der Vernunft entsagt habe! Die wahre Satire kämpfe gegen das Laster und die Narrheit an, um der gesunden Vernunft zum Siege zu ver- helfen, bei Boileau aber sei das Umgekehrte der Fall! Während Martial die von ihm gegeisselten Individuen nur mit fingierten Namen benenne, habe Boileau niemanden geschont und sogar die Regierung und die üeligion angegriffen, wobei die Verhüllung, unter der er seine Geschosse abgesendet habe, niemanden irre führen werde. Man müsse, nach dem Vorbilde des Horaz, nicht bloss das Beste, sondern auch das Mittelmässige loben und die Anerkennung müsse den Tadel überwiegen. Auch, dass sich Boileau einmal mit Ludwig XIV. verglichen habe, sei litterarisch unzulässig und es wird in sophistischer Weise eine haarspalterische Distinktion ausfindig gemacht, dass es etwas ganz anderes sei, wenn Ähnliches Virgil öfter gethan habe. Wie in der ganzen Crit dSs,, herrscht besonders in diesem Teile eine pedantisch schwerfällige Manier vor und ein serviler Sinn, der die Livree für das einzig richtige Staatskleid der Menschheit ansieht und an gewisse Dichter erinnert, die wie die Hunde sich stets krumm legen und nicht ohne einen Herrn leben können.

Wenn sich die bisherigen Vorwürfe Cotin's besonders dahin erstreckten, Boileau habe ganz das Objekt der Satire verfehlt, so folgt weiter die Anschuldigung, er habe sich in der Art, den Stoff zu behandeln, arg vergriffen. Er habe (so peroriert Cotin weiter) anstatt der für die Satire allein geeigneten Sprache

1) Meitez-lm le frein en boitche de peur qu'ü n'approche de vous ruft in rohester Weise der honnite ecclesietstique in der Crit das. (bei Lacroix S. 19), hinter den sich Cotin steckt, wenn er für seine Beden nicht die Verantwortung übernehmen will. Diese ganze Philippika gegen Boileau basiert Cotin auf des ersteren IV. Satire, aus der er die Stelle:

Souveni de ious nos maux la raison est le pire

aus dem Zusammenhange reisst, um Boileau als einen Verächter der Vernunft auszurufen. Wer diese Satire gelesen hat, weiss, wie ent- stellt bei Cotin ihr wahrer Sinn wiedergegeben wird.

6 /. Frank,

nüchterner mhiger Sachlichkeit den klassischen Hahnentritt des falschen Pathos gewählt und schlürfe, blühenden Unsinn sprechend, auf dem Kothurn einher.^) Boileau's Verse seien von Wulst und Schwulst überwuchert; dass sie den Regeln des Reimes Hohn sprechen, komme (meint er ironisch) bei so genialen Feuergeistem nicht weiter in Anschlag, und auch Grammatik und Orthoepie dürfe man von so einem grossen Dichter, der über den Regeln der Kunst stehe, nicht verlangen; trotzdem aber sticht Cotin in echt klein- und schulmeisterlicher Manier die geringfügigsten Kleinigkeiten auf, um sich geistig überlegen zu zeigen. Der Satiriker müsse mit feinem Hohne, aber nicht mit burleskem derbem Spotte arbeiten, er dürfe nur sticheln, aber nicht stechen und (so meint Cotin in einer bei ihm seltsamen Anwandlung von Kühnheit und im Widerspruche zu seiner früher geäusserten unterduckenden Gesinnung) dürfe selbst „vor den Göttern der Erde^ vor „Tiaren und Diademen^ nicht Halt machen.^) Es folgt schliesslich eine Standrede gegen das Schauspiel und die Schauspieler, die mit dem vorigen nur lose zusammenhängt und besonders (wie es scheint) ein Sträusschen für Moli^re enthalten soll, während die bisherigen Ausstellungen sich besonders auf Boileau bezogen. Es wird da in der bekannten Weise gegen den schnellen häufigen Szenenwechsel auf der Bühne und die Störungen in der poetischen Illusion durch die groben Ver-

^) Cela firise U Gaiimathias; mais cela est beau pourtant, sagt er einmal spöttisch über ihn (Grit des., S. 46 bei Lacroix) und an einer anderen Stelle (ibid. S. 45) . . . . des meiaphores gvindees dhm poSte qui monte sur des e'chasses pour se faire voir.

*) Je dy conire les premieres iesies du monde, conire les plus vains et les plus süperbes espriis, conire les faux phüosophes et contre les JHeux de la terre, suivant la pensee des Soges, que Tadmiration des t Mar es et des diadSmes est quelque/bis une marque de nostre foxblesse plütost que de leur grandeur, La Satyre Mönipp^e, le Catholicon d'Espagne en fait foy, et cet autre raiUeur qui joüe de son temps tous les potentats de VEurope etc. (Grit, des., S. 58 bei Lacroix.) Und doch hat derselbe Cotin es an einer anderen Stelle als ein crimen kesce majestatis hingestellt, dass Boileau im Discours au Roy geschrieben hat :

Quand ton öras, o Louis, des peuples 7*edouid, Va la foudre ä la main restdblir Üequite', Et retient les me'chants par la peur des suppüces, Moy, la plume ä la main, je gourmande les vices

und ruft emphatisch aus:

Tant cet audacieux mesle mal-ä-provos Les loüanges d!un fat ä celle d'un neros,

und: Triomphant ä souhait dans une autre satyre,

II se fait ä son prince egal comme de cire.

Es ist doch eine schöne Sache um die Konsequenz 1

La Saiyre des Saiyres ei la Critique de'sinteressee. 7

sündigungen gegen die Wahrscheinliehkeit und materielle Möglich- keit zu Felde gezogen und daraus der Unwert der Bühnen- darstellungen überhaupt gefolgert.

Doch ist diese ganze ästhetische Eannegiesserei, die sich besonders in der Crit dis, breit macht, wie man leicht sehen kann, für Cotin die Nebensache, und die Hauptsache sind ihm die persönlichen Ausfälle gegen Boileau und Moli^re. Man hat schon in unserer gedrängten Inhaltsangabe der mehr auf die Theorie bezüglichen Bemängelungen Cotin's solche persönliche Invektiven wahrnehmen können, doch verschwinden sie gegen die folgenden, und Cotin eröffnet gegen seine Widersacher ein wahres Rottenfeuer von Injurien. Er stellt sie als vom Spiel- dämon besessene Schlemmer und Prasser hin, als schmarotzende Lustigmacher, die den Reichen für die Tafelabfölle ihre Kapriolen vormachen.^) Ihre Angriffe gegen die Grossen entspringen bloss dem Neide und dem Ärger darüber, dass sie die Machthaber nicht favorisieren. Ein andermal gibt sich Cotin den Anschein souveräner Verachtung, ja des Mitleids für seine Oegner, um sie als arme Narren, als eine verlumpte, aber gute Haut und deren Werke als blosse Jugendeseleien hinzustellen, mit denen man nicht all zu strenge ins Gericht gehen dürfe.^) Dann sind sie ihm wieder die Cyniker, die weit entfernt von dem edlen Eifer, die aus den Fugen gekommene sittliche Welt ins Rechte zu bringen, am Schmähen Wohlgefallen finden und sich an das Heiligste heran- wagen. Am empörendsten sind aber die handgreiflichen Ver- leumdungen und Angebereien Cotin's. Es treibt dem Leser die Zomesröte ins Gesicht, wenn Cotin mit der Miene heuchlerischen Wohlwollens für Boileau recht besorgt thut und fürchtet, der König könnte diesen für seine vermessene Sprache züchtigen,

*) Wir wollen hier nur eine Stelle aus der CHt. des. (S. 46 bei Lacroix) anführen: Ce joüeur desespere, gu*ü faui (bei Lacroix heisst es irrtümlich fait) mettre ä la chaisne, de peur que, comme un autre Capanee ou comme un auire Typhon, ü n^aiiaque Jupiter mesme,

Qu*on le lie, ou je crains, ä son air furieux, Que ce nouveau Titan n'esccdade les cieux,

Ce geant iiisensä de la jouante Academie und so geht das Geschimpfe weiter. Damit man die ganze Niedertracht dieser Schmähungen kennen lerne, zitieren wir dazu aus Nisard, a. a. 0. S. 294: Au milieu de ces cupides, de ces avares, il (Boileau) eut lesmcBurs des solitaires de Port- Roy al und {ib, o. 317): La säverite de moßurs de Boileau, ses scrupules de religion, sa probite peut-itre tres-exiyeante etc.

^ Cest au moins un honneste voluptueux ei un faceOeux debauchä. 11 ^empörte peut-esire un peu trop, mais ü faut excuser sa tendre Jeunesse, il n*a encore que trenie ans. (Crit. des., S. 24 bei Lacroix.).

8 /. Frank,

dabei aber indirekt den König dazu auffordert.^) Wenn Boileau*B Verse (das kann auch Cotin nicht leugnen^) von grosser Wirkung und bestechend seien, so sollte man ihm erst recht das Handwerk legen. Auch der Hof werde doch an diesen himmelstttrmenden Worten nicht etwa Gefallen finden und doch nicht vergessen, wie Übel Boileau ihm in seinen Satiren mitgespielt und welche Bilder er von ihm entworfen habe ; er mUsste denn von einer ganz ausserordentlichen Langmut und christlichen Nächstenliebe er- füllt sein,^) wenn er diese Backenstreiche ruhig hinnehmen könnte. Überhaupt scheint es Cotin angethan und seine Eitelkeit tief verwundet zu haben, wenn er daran denkt, Boileau könnte in den höheren Kreisen Schützer finden, und Cotin will einen solchen Gedanken gar nicht aufkommen lassen; Boileau möge nur auf den Rang eines Dichters Verzicht leisten, denn nach Horaz sei der Satiriker gar kein Dichter.*) Wenn der König einmal Boileau poetische Begabung zugesprochen und ihm nur eine unglückliche Hand in der Wahl seiner Stoffe vorgeworfen habe, so habe ein Höfling dem Herrscher richtig geantwortet, Boileau könne nur alles besudeln und begeifern und er werde schliesslich, wie Leute seines Gelichters, mit der Reitpeitsche behandelt werden.

Dies sind im allgemeinen und in gedrängtester Kürze die in den beiden Satiren niedergelegten Gehässigkeiten gegen Boileau und Meliere. Während in der 8. d, S. die prinzipiellen Be- trachtungen ganz hinter den persönlichen Beschimpfungen zurück-

1) En ceiie ridicttle comparaison que le moderne Satyrique fmt de ses vers avec la justice du Roy, combien de fois ay-je craini pour luy, iant je luy veux peu de mal, que la massuH de cet Hercule ne vint ä escraser ce pigme'e. (CriL dds. S. 40 bei Lacroix.)

2) IJne seconde raison pourquoy le criiique du Censeur n'a pas tort d'avoir aüeaue les vers sonn ans et magnifiques de son ennemy etc, (Grit, des., S. 42 bei Lacroix) und (üf. S. 53): .... que le Censeur se flatte des applaudissements qü'ont donne ä ses pompeuses Satyres les raffinez de la Cour. Ces loüanges de heaux et de grands vers etc. etc. und qu'il a affecte de mauvaises rimes dans ses vers si riches ei si magnifiques a'ailleurs (ib. S. 50.)

^) si elk loüe les vers du Censeur favoüe que la Cour

est treS'Chrestienne, qiCeüefait le bien contre le mal etc. (Crit des. bei Lacroix S. 56.)

*) Bien hin d^estre le premier des poetes, vous n^estes pas poeie seulenient etc. (Crit. des. bei Lacroix S. 70); und doch hat Boileau diesen Eigendünkel nie gehegt und er sagt z. B. in der VII. Sat.:

Je sais coudre une rime au bout de quelques mots

Souvent fhabiUe en vers une maligne prose

Cest par la que je vaux, si je vaux quelque chose

und gerade Cotin hat als Ideal eines Satirikers aufgestellt: ü parle en vers comme nous parlerions en prose (Crit des. S. 44). ^ -

La Saiyre des Saiyres ei la Critique desinteresse'e, 9

treten, werden in der Grit dh. Untersuchungen über das Wesen der Satire angestellt, um aber nicht aus dem Eontexte zu kommen, stets wieder der Weg in das Fahrwasser der Angeberei und Verschwärzung gesucht und gefunden. Während die Ä d, S. auch gegen Moli^re mehrere ganz offene und einige kaum ver- hüllte Ausfälle enthält, beschäftigt sich die Crit des. fast nur mit Boileau.

Nun zur Autorfrage! Es hat nicht an wissenschaftlichen Stimmen gefehlt, die die Autorschaft Cotin's für keine der beiden Satiren anerkannten^) und ihn selbst als den unschuldig Verfolgten hinstellten, während Boileau und Moli^re (man verzeihe den trivialen Ausdruck) das Karnickel gewesen sein sollen, das angefangen hat. Besonders ein Moli^reforscher hat unter der Devise Le Provincial (auch wir wollen ihn ferner so nennen) diese Ansicht mit merkwürdiger Zähigkeit verfochten. Es hat ihm an der verdienten Abfertigung nicht gefehlt und wir werden die Hauptargumente, die er vorgebracht und die Widerlegung, die er erfahren hat, zu würdigen und unsere eigenen Wahr- nehmungen in dieser Streitfrage darzulegen versuchen.

Wenn (wie wir gesehen haben) die beiden Satiren ihre Spitze fast ausschliesslich gegen Boileau und Moli^re richten, so wird selbst der oberflächliche Leser den ersten Verdacht der

*) Wenigstens sagt Lacroix in den Pre'face zu seinem Neudrucke der beiden Satiren (S. IV): Le Provincial ne $e rendaii pas et persisiaii ä se faire le champion de Colin, quUl declarait innoceni des deux Saures anonymes, qui avaieni motive les repressaiUes de la comedie des Femmes savantes. Den Wortlaut der Auseinandersetzungen des „Provincial", die im Molierisie niedergelegt sind, konnten wir leider nicht einsehen, da uns diese Zeitschrift nicht zugänglich war, doch glauben wir uns über seine Meinung durch die Auszüge Lacroix und durch ein R^sumö im Moliere- Museum (V. Heft, 1883, S. 161) genügend informiert zu. haben. Zur bibliographischen Orientierung zitieren wir Lacroix (der in seiner Pre/ace sagt) : Nous ne croyons pas que la Satyre des Satyres existe dans aacune autre biblioiheque publique que Celle de V Arsenal, Ceiie piece imprimee secretemeni ä Paris en 1666, comme le prouveni Vexamen des car acter es italiques de Vimpression et le ßeuron qui figure en tHe de la page 3, forme 12 pages peiii in- 8^ sans nom de Heu ni de libraire. Öest une rdponse fr es violente, en vers, ä la sortie assez dddaigneuse que Boileau avaii faxte, dans sa iroisieme Satire, contre Tabhe Colin et ses sermons» On sait que le pätissier Mignot, ayant ä se venger de Boileau, qui V avaii iraite d^empoisonneur, fit imprimer ä ses frais la Satire de Colin, quHl distribuaii au public, en se servani de Vimprime pour envelopper ses biscuits. On ne s^explique pas comment ceiie Satire est aussi rare et aussi inconnue, puisqu^elle fui re'pandue de la sorte ä grand nonibre d^exemplaires. Nach Nisard (aist, de la Hit, fr.^ Bd. H S. 320) hatte Mignot seine Waren in die Crii, des. einwickeln lassen, wie man überhaupt eine Verwechselung der beiden Satiren auch anderwärts findet.

10 J. Frank,

Autorschaft dieser beiden Schmähschriften nach dem bekannten: Cui prodestf gegen eine Persönlichkeit richten, die von den genannten Schriftstellern bestgehasst werde und annehmen, dass dieselben eine Art Wiedervergeltung für erlittene Unbilden sein mögen. Nun ist aber thatsächlich Cotin so recht der Prügel- junge Boileau's in seinen Satiren und das ganze Wesen des Verspotteten musste in gewaltige Gährung kommen, wenn er solche Urteile über sich las. Es war also ebensowohl ein prinzipieller wie persönlicher Antagonismus, der die beiden zu den schärfsten Gegnern machte. Bei Moli^re liegen die äusseren Momente und Anlässe seiner Feindschaft mit Cotin allerdings nicht so klar zu Tage; desto unleugbarer ist, dass sie in ihren litterarischen Tendenzen geradezu Antipoden waren: während der eine die leere Ziererei und die raffinierte Empfindelei als den Gipfel der Poesie ansah, war der andere ein Feind jedes un- wahren hohlen Wortes und jeder unnatürlichen Wendung in der Dichtung; aber auch Spuren äusserer Friktionen zwischen Cotin und Meliere fehlen nicht so ganz, wie der Provincial glauben machen möchte, wenn auch die betreffenden Meldungen, wie so vieles bei den Biographen Moli^re's, nicht mit der wünschens- werten Sicherheit verbürgt sind. So ist doch schon das so in- time Freundschaftsverhältnis zwischen Boileau und Moliöre Grund genug für Cotin gewesen, den Freund seines Totfeindes nicht zu lieben und es wird sogar die Vermutung nicht allzu kühn sein, dass Cotin, der von der Kanzel herab für sein Schriftstellertum Propaganda machte, in seinen Predigten gegen seine beiden be- deutendsten Gegner ankämpfte^) und seine Zuhörer von seinen litterarischen Herzensangelegenheiten unterhielt. Cotin war es auch, der den Herzog von Montausier gegen Moli^re aufhetzte,^)

^) Auch de Vis^ weiss zu erzählen, dass Meliere acht Jahre vor der Aufführung der Femmes savantes (das wäre also schon 1664!) mit Cotin Streit gehabt habe! (Mercure galant I, S. 64.)

^ So heisst es in den Analyses ou Remaraues historicrues et criiiques Voltaire's zu Moliäre's Werken (abgedructt im MoL-museum Schweitzer*8, März 1884, VI. Heft) in der Anmerkung zum Misantrope: On sait que les ennemis de Moliere voulurent persuader au duc de Montanster fameuoc par sa vertu sauvage, que c'etoit lui que Moliere jouoit dans Misantrope. Le duc de Montausier alla voir la Pibce, et dit en sortant, qu*il auroit inen votdu ressembler au Misantrope de Moliere, Noch charakteristischer aber ist Voltaire's Notiz zu den Femmes sav. fa. a. ö. S. 42): . . . . Tous ceux qui sont au fait de rhistoire litteraire de ce tems-lä savent que Menage y est jouS sous le fwm de Vadius et que Trissotin est le fameux abbe Cotin, si connu par les satires de Vespreaux. Ces deux hommes e'toient pour leur malheur ennemis de Molihre; ils avoient voulu persuader au duc de Montausier, que le Misantrope dtoit fait contre lui, quelque tems apres

La Satyr e des Satyres ei la Critiqve desinteressee. 11

indem er dem ersteren die Meinung beibrachte, der AlceBte- Misanthrope sei nach seinem Modell gearbeitet und der Umstand, dass der Herzog, nachdem er das Stück gesehen hatte, den Wunsch aussprach, dem Misanthrop ähnlich zu sein, ändert nichts an Cotin's böser Absicht. Wenn der Provincial zwischen Cotin und Moli^re sogar eine Art Bundesgenossenschaft und Einigung zum Kampfe gegen das PreziÖsentum und gegen Manage er- blicken will, so ist das eine durch die thatsächlichen Verhältnisse geradezu widersprochene Annahme, denn der Wechsel im Verhalten Cotin's gegen die Preziösen,^) die mit ihm früher Abgötterei ge- trieben hatten, bedeutet bei ihm keine Umkehr der Geschmacks- richtung, sondern ist lediglich eine Seite seines niedrigen Cha- rakters. Denn Cotin wurzelte mit seinen Dichtungen immer im Lager der Preziösen, eher als M6nage, der dem jüngeren PreziÖsentum wirklich abhold war. Die Annahme Lacroix', dass in einer Stelle der Mdnagerie Cotin ebenfalls gegen Moli^re Partei nehme und dass sogar die Vermutung nahe liege, das bekannte Madrigal Mascarille's in den PrScieuses ridicides sei von Cotin, konnten wir auf ihre Bichtigkeit hin nicht kontrollieren.^) So viel aber geht aus dem Gesagten hervor, dass schon vor dem Erscheinen der 8. d. S. und der Grit. dSs,, also vor dem

ils ai^oieni eu chez Mademoiselle, fille de Gasion de France, la scene si hien rendue dans les Femmes Savantes. Le malheureux Cotin e'crivoii egalement contf*e Menage, contre MoHere ei contre Despre'avx; les Satires de Despre'aux Vavoient de ja couvert de honte, mais Mpliere Vaccabla, Trissoiin e'toit appeüe aux pr emier es Representations Tricotin. LActeur qui le representoit avoii affecte, autani qu'il avoit pu^ de ressembler ä V Original par la voix et par le geste. Es folgt nun noch eine Beurteilung, ob Moliöre zu einer solchen moralischen Justifikation Cotin's berechtigt war, bei der man, wenn man sich erinnert, dass sie von Voltaire ausgeht, an das Gracchi de seditibne qucerentes denken muss, die aber doch ernst gemeint zu sein scheint.

*) So spottet er in der Grit. des. (auch hier wieder durch eines seiner Echos, un des plus galands ei des plus polis seigneurs de la Cour): Au nom des muses, Monsieur, ou si vous taimez mieux, au nom de iS/*** la marquise de Rambouillet et de M^ Desloges, rendez-mcy, s'il vous plaisi etc, elc, fCrit dds, bei Lacroix 8. 74.)

2) Weil wir weder die Menagerie noch den Moli^riste uns ver- schaflfen konnten! Wenn aber Cotm im Jahre 1666 in der Grit, des, (bei Lacroix S. 74) einen Höfling zu sich sagen lässt: Je ne sgay comment je pourray vous sauver des comediens, ils menacent de vous joüer ä la farce etc., so möchte man, da gebrannt Kind das Feuer fürchtet, daran glauben, Cotin sei schon vor den Femmes sav. von Moliöre mit einem Streifschusse bedacht worden. Da er eine dramatische Züchtigung in seiner Grit des. sich mit solcher Bestimmtheit voraussagen l&sst (und alles spricht dafür, dass er sie von Möliöre erwartete!) SQ muss er Letzterem gegenüber ein schlechtes Gewissen haben!

12 J. Frank,

Jahre 1666 nicht nur zwischen Ootin und Boileau, sondern auch zwischen Cotin und Moli^re eine sehr gereizte Stimmung bestand und dass schon dieser Umstand, die beiden Satiren als eine Revanche Cotin's anzunehmen, nahe legen wird.

Dass diese Gegnerschaften sich in der Folgezeit immer yergrösserten, weiss man mit Sicherheit. Nicht nur kam Boileau immer wieder auf Cotin zurück, sondern Moli^re hat an ihm, wie wir oben schon kurz erwähnt haben, in seinen Femmes sav. eine wahre Exekution vorgenommen, er hat ihn moralisch und poetisch hingerichtet. Wenn nun der Provindal einmal die Bitte stellt, ihm doch eine einzige Beschwerde zu nennen, die Cotin gegen Moli^re hätte erheben können, und in der Annahme, dies werde nicht gelingen, weiter deduziert, Cotin stehe der Urheberschaft der beiden Satiren ferne, so kann man ihm diese (wie wir übrigens schon gezeigt haben) haltlose Einwendung auch durch die Gegenfrage zurückgeben: was hätte wo Hl Moli^re veranlasst, Cotin derartig dramatisch anzu- nageln und in der Figur des Trissotin zu stigmati- sieren, was hätte ihn veranlasst, Cotin's ganze Rach- sucht zu entfesseln und herauszufordern, wenn er nicht von Cotin provoziert worden wäre? Also schon diese Er- wägung wird uns nach einer Streitschrift suchen lassen, in der Moli^re mit argen Schmähungen überhäuft wird^) und wenn wir

*) Wir finden in der S, d. S. folgende Artigkeiten gegen Moliäre :

J*ai veu de mauvais vers sans blämer le poSte;

Tai leu ceux de Mo Her e ei ne Tay point siffiä ....

Iha's donnant ä ses vers une digne maiihre,

Comme un des ses heros il (Boileau) encense Mo Her e . . .

Je ne puis (Tun farceur me faire un demy-dieu ....

Despreaux sans argent, crotie jusq%Cä Veschine,

Sen va chercher son pain de cuisine en ciiisine

San Turlupin fassiste, et joüant de son nez

Chez le sot campagnard gagne de hons disnez:

Despreaux ä ce jeu repona par sa grimace.

Et faÜ, en basieleur, ceni tours de passe-passe'^

P^iis ensuite, enyvrez et du öruii et du vin,

L' un sur Vautre iombant, renversent le festin.

On le promet tous deux quand on faxt chere entiere,

Ainsi que Von promet Tartuffe et Molihre etc

// faui comme ä Vunique en piete sur terre,

Inviter votre muse au grand , Festin de pierre* ....

A ces vers empruniez la Bejar applaudit 11 regne sur Parnasse, et Mo Her e V a dit.

Selbst jene Stellen, wo Molihre nicht ausdrücklich genannt ist, lassen die Anspielung auf ihn schon durch den Zusammenhang aus-

La Satyre des Satyres ei la CrUique dSsinieressee. 13

eine solche thatsächlich finden sollten, so wird uns eine sehr leichte Kombination auf Cotin als Verfasser raten lassen. Ein solches Pasquill ist aber besonders die S, d. S. und einen Kritiker, der wie der Provincial in derselben nichts gegen Moliöre hat entdeken können, sollte man wegen seiner ganz unglaub- lichen Flüchtigkeit gar nicht mehr ernst nehmen. Allerdings hat sich der Provincial dann hinter der Ausrede verschanzt, die S, d. S. sei ja gar nicht von Cotin! Hat er doch sogar die Autor- schaft Cotin's für die Crtt dSs. geleugnet! Doch werden wir hoffentlich nachweisen können, dass diese seine Behauptung ebenso hinfallig ist, wie seine meisten anderen.

Bevor wir aber diesem Beweise nachgehen, müssen wir noch erwähnen, dass es (seltsam genug) noch Moli^risten gibt, die es in Zweifel ziehen, dass Moli^re in Trissotin habe Cotin abkonterfeien wollen. Man bedenke dagegen nur: die Femmes sav, hiessen früher Trissotin oder eigentlich ursprünglich Tricotin,^) worin also der Name Cotin ganz ausgeprägt ist; die Szene mit dem Sonnette: A la princesse Uranie beruht auf Wahrheit, Cotin hatte nämlich ein Sonnett für Madame de Nemours gemacht und da er es eben Madame de Montpensier vorgelesen hatte, kam Manage und fand es elend, da er den Autor nicht kannte; die beiden von Trissotin vorgelesenen Gedichte sind thatsächlich ein Produkt Cotin's und seinen (Euvres galantes ent- nommen; die Minagiana sagen genau, Trissotin könne nur Cotin sein und berichten, Moliöre habe dem Darsteller der Rolle ein Gewand Cotin's gekauft, um ja keinen Irrtum aufkommen zu lassen; femer berichtet de Vise, Cotin habe sich von einer Audienz, die die Vertreter der Akademie im März 1672 (in dem-

gemacht erscheinen. Zum Überflusse sei bemerkt, dass sich das Schimpfwort /ar{7£?wr für Moliöre, auch bei Saumaize (der auch zuerst das Stichwort „Plagiator" für Meliere ausgegeben , das später ein Embatterion aller Moli^refeinde wurde) und dem Jansenisten Rochemond wiederfindet (vgl. Schweitzer's MoHh-e- Museum IV. Heft, 1882, S. 2). Auf den Turlupin kommen wir noch zurück. Wie man aber nach obigen Sottisen Cotin's gegen Moliöre es noch nötig erachtet, es zu entschuldigen, dass Moli^re im Trissotin Revanche genommen hat, ist uns unbegreiflich.

1) La comedie des Femmes savantes ftit d!ahord iniiiuUe Trissotin ; ce qui donnerait ä penser que ce personnage y avaii un role plus developpd que celui que MoUere lui a laisse, M^^ de Sevignd dit, dans une lettre datee de Livry, 9 mars 1672. Nous tächons ^amuser noire carditial (de Retz). Corneille lui a lu une comedie, qui sera joue'e dans quelque temps et qui fait souvenir des anciennes. moliere lui iira samedi Trissotin qui est une fort plaisante Piece! Cette piece representde le 12 du mime mois (wir finden sonst überall den 11.!) est mentionnee aussi sous le titre de Trissotin dans le registre de Lagrange, (Lacroix, Pref, S. XII, Anm.)

14 /. Frank,

selben Monate und Jahre wurden die Femmes sav. das erste Mal aufgeführt) bei Ludwig XIV. nahmen, ferngehalten, damit man nicht sage, er komme, um Moli^re für den ihm jüngst gespielten Streich zu verklagen; Perrault erzählt,^) dass Cotin nach sehr langer Unterbrechung im März 1672 wieder auf die Kanzel stieg, so dass es wahrscheinlich ist, er habe sich für den ihm von Moli^re angethanen Tort rächen wollen. Hält man nun alle diese Umstände zusammen, so kann man nicht begreifen, wie man über die von Meliere beabsichtigte Identität von Trissotin und Cotin noch irgendwie im unklaren sein kann^) und die zwei Tage vor der AufifÜhrung gethane Versicherung Moli^re's, er habe in Trissotin und Vadius keine Porträts zeichnen wollen, wiegt so federleicht, wie wenn er beteuert, er habe in seinen Fricieuses ridicules nur die Entartung des Preziösentums angreifen wollen! Beides glaubt man ihm nicht. Mit Vadius verhält sich die Sache indes etwas anders. Es unterliegt zwar auch keinem Zweifel, dass Meliere bei der Schöpfung dieser Figur an M6nage gedacht habe ; es fehlte auch in diesem Falle nicht an inneren Gründen, die Moli6re so handeln Hessen. Da aber diese Opposition eine weniger persönliche als grundsätzliche war, so hat Moli6re nicht so mit dem Finger auf ihn gewiesen und seinen Charakter nicht so bösartig gezeichnet. Es ist also erwiesen, dass Möllere gegen Cotin einen besonders tiefen Groll hegen musste und als Ursache derselben ergibt sich uns am ungezwungensten dessen Autorschaft der beiden Satiren, deren eine besonders Moli6re förmlich mit Kot bewirft.

Suchen wir nun nach direkten Beweisen, die über die Autorschaft der beiden Satiren Aufschluss geben können. Der Provincial führt zu seinen Gunsten an, dass weder beim Abb6 d'Olivet in der Geschichte der Acadimie frangaise^ noch bei Mor^ri ein anderes als die Crit, dis. unter den Werken Cotin's ange-

1) Wir entnehmen dies der Pref. Lacroix', S. VII.

2) Vgl. auch Taschereau S. 43 und 44. Wenn Mahrenholtz in seiner sonst so trefflichen Biographie Molifere's (Heilbronn, 1881, S. 275) sagt, dass für die Porträtierung Cotin's durch Meliere „die Motive um so weniger zu Tage liegen, als Cotin ein Bundesgenosse des Dichters im Kampfe gegen das Preziösentum war und als auch die Anspielung auf Möllere in der Satire des satires nichts weniger als unzweideutig ist,** so ist es erstens mit dieser Bundesgenossenschaft nicht weit her, noch weniger aber wird irgend Jemand, der die S. d, S. gelesen hat, die zahlreichen (oben zitierten) Schmähungen gegen Moli^re zweideutig finden können und daher nach den Motiven Moli^re's erst suchen müssen. Es ist also ganz überflüssig, mit Mahrenholtz anzunehmen, dass hierzu „Boileau habe den Aufhetzer spielen** müssen, (a, a, 0, S. 277.) Vgl. auch unsere obige Anmerkung mit dem Zitat aus den Remarques Voltaire 's zu den Femmes sav.

La Saiyre des Satyres et la CriUque desmieressee. 15

führt sei und folgert daraus siegestrunken, dass die 8> d. 8. also nicht von Cotin herstammen könne. Nun hat aber der Pro- vincial ja (wie man oben gesehen hat) auch die Crit d4s. als nicht von Cotin geschrieben ausgegeben, während an die Ver- fasserschaft Cotin's für dieses Werk ausser ihm niemand zweifelt und wir werden bald in der Lage sein, zu beweisen, dass, wer das Eine zugibt, das Andere nicht in Abrede stellen kann. Da ist zunächst auf eine Notiz von Boileau's eigener Hand hinzu- weisen, der da schreibt:^) II avoit icrit contre moi et contre Möllere,' ce qui donna ocassion ä Moliere de faire les Femmes savantes et d'y toumer Cotin en ridicule. Auch diese Stelle schon scheint sich mehr auf die S. d. S. zu beziehen, da die Crit dis. nur ganz beiläufig von Moliere spricht, während die erstere von Insulten gegen Moliere strotzt. Um aber ja keinen Zweifel darüber zu lassen, wie Boileau's Worte gemeint sind, sagt sein berufener, in seine Privatverhältnisse eingeweihter und von ihm inspirierter Interpret Brossette:^) Fier et pr^somptueux, comme il itoity Cotin ne put souffrir que son talent pour la chazre lui fUt contestS. Pour s'en venger, il fit une mauvaise 8atyre contre M, DesprSaux dans laquelle ü lui reprochoit, comme un grand crime, d'avoir imiti Horax^ et JuvSnal,^) Cotin ne s^en tint pas lä: il publia un libelle en prose, intituU: La Critique d6s- int6ress6e sur les Satyres du temps, dans lequel ü chargeoit notre auteur des injures les plus grossih'es, et lui imputoit des crimes imaginaires, II s'atnsa encore, maUieureusement pour lui, de faire entrer Moliere dans cette dispute, et ne tipargna pas plus que M, Despriaux. Celui-d ne s'en vengea que par de nou- velles raillerieSf comme on le verra dans les 8atyres suivantes; mais Molih'e acheva de le ruiner de reputation en Vimmolant, sur le tkedtre, ä la risSe publique, dans la comSdie des Femmes savantes, sous le nom de Tricotin quü changea dans la suite

1) Hier ist auch eine Notiz des Libraire au lecieur zur IX. Sat. Boileau's zu erwähnen (S. 65 der Ausgabe Sainte-Beuve's): .... Quel- ques libelle 8 diffamatoires, que Vabb^ Kautain ei plusieurs autres eussent faxt imprimer contre lui, ü s'en tenoit assez vengä par le me'pris que taut le monde a fait de leurs ouvrages, qui rCont M lus de personne, ei que Vimpression mtme n^a pu rendre publics. Dies würde auch erklären, warum die S. d, S. trotz der krampfhaften Anstrengungen des pätissier Mignot keine rechte Publizität gewinnen konnte und auch heute so selten geworden ist.

2) Wir entnehmen diese Stelle Lacroix iV^/*. S. XII, wo es auch heist: Brossette caracierise et de'signe bien la Satyre des Satyres en disani que ce fut Boursauli qui la fit impnmer sur une copie manuscrile que Tanteur avait fait mottrir. (Oben hiess es, der pätissier Mignot habe aas Geld dazu hergegeben.)

8) Vgl. oben S. 4, Anm. 1.

16 /. Frank,

en celui de Trissotin. Wen alles das noch nicht überzeugen sollte, der kann durch eine Vergleichung der beiden Satiren (vorausgesetzt, dass er sich überhaupt überzeugen lassen will) überführt werden. Denn die Critique disintiressie ist thatsäch- lieh nichts anderes, als eine prosaische Paraphrase-^) der S, d. S.: in beiden ist der Tenor derselbe; in beiden konunen dieselben Beschimpfungen und die läppischen Rekriminationen vor, Boileau habe die Vernunft; entthronen^) und die Leidenschaften für souverän erklären wollen, er habe das Majestäts verbrechen be- gangen, sich mit dem Könige zu vergleichen, in beiden werden Boileau und Moli^re als zwei verkommene tellerleckende Spass- macher und Weinschwelger hingestellt.®) Zwar wird in der Orit. dis. anscheinend gegen die S. d. S. polemisiert, aber der Tadel ist so zahm und gelinde, die Aussetzungen sind meist so täppisch und schwächlich, und dagegen wird das Lob mit so vollen Händen gespendet, dass man nicht in die Falle gehen kann und leicht merkt, dass es selbst bei jenen Bemänglungen, die wirk- lich von Belang sein könnten, mehr auf eine verschämte ver- hüllende Form der Nachkorrektur, als auf eine wirkliche Kritik abgesehen ist. Ja man kommt beinahe auf den Gedanken, der Autor habe nachträglich die Schwächen dieses seines ersten Libells herausgefühlt und habe in dem zweiten hauptsächlich nur der Eventualität, dass er vielleicht doch als dessen Verfasser bekannt werden könnte, vorbeugen und zeigen wollen, dass er dessen Fehler gekannt und so selbst über seinem eigenen Werke gestanden habe. So verteidigt er z. B. den Autor der Sai. d, 8at. auch gegen den Vorwurf zu zahlreicher Zitate aus Boileau's Satiren damit, dass er ihm nachrühmt, er habe die bezeichnendsten charakteristischsten Stellen herausgehoben und also gut zitiert! Nun ist dieser Vorwurf um so berechtigter, als der Autor der Bat d. S. nicht nur Boileau da brandschatzt und plündert, wo

*) Sehr richtig sagt Lacroix in der Preface zu seinem Neudrucke der beiden Satiren: mais encore dans la Critique de'sinie'ressee, qui n'est que le corollaire en prose de la Satire en vers,

^) Sehr bezeichnend für Cotin's Selbstgefälligkeit und Hochmut ist es, wenn er als Beweis dafür, Boileau „entthrone die Vernunft" den umstand anführt: Vous (so spricht nämlich der honnSte ecclesiastique zu Cotin) Monsieur qui sgavez les loix, quelle antinomie! Vous qti'il traitte de predicateur d'aujovrd'hui, ^uoy que vous ayez cesse de prescher avani qu'il commengast d'ecfHre, die, Quintiliane, colorem (Crit. des. bei Lacroix S. 20.)

8) Wir verweisen hier auf unsere obigen Zitate aus der S. d. S. und fügen nur noch aus der Crit. d^s. die Stelle hinzu, wo mit deut- lichem Hinweise auf Boileau (S. 20 bei Lacroix) von demselben gesagt wird: .... qui se creve tous les jours de vin et de bonne chere n' est qu^un pourceau etc.

La Satyre des Satyres et la Criiique ddsinteresse'e. 17

er dies mit dem Scheine einiger Berechtigung thut (da er die Zitate als solche anfuhrt) um gegen sie zu polemisieren,^) sondern auch da mit Boileau^s Kalbe pflügt, oder auf das von ihm ge- pflügte Land säet, wo dies für den unkundigen Leser nicht er- kennbar ist.^) Wo er etwas Kräftiges in der 8atyre des Satyres

^) Die ganze Heachelei Cotin's und die unehrlichen Waffen, deren er sich in seiner Polemik bedient, kann man nur verstehen, wenn man seine Crit. d^s, liest. Einmal entschlüpft ihm ein für seine Moral sehr bezeichnendes Wort und er sagt mit naiver Unverschämtheit in hof- meisterlichem Tone gegen den Autor der S, d. S. (also gewissermassen sich selbst darüber einen Verweis erteilend, dass er einmal ehrlich ge- wesen!): // se faui hien garder d'exciier Vadmiration pour un ouvrage conire qui l on veut- exciter ou Vhorreur ou le me'pris; aber, meint er weiter, den Autor der S. d. S, (also sich selbst) für seine zu grosse Noblesse rechtfertigend, er habe eigentlich dabei doch eine dolose Absicht gehabt, da in der Satire die wohlklingenden Verse nicht die besten seien u. s. w. (La Crit. des,, bei Lacroix S. 43.) Ein andermal (S. 61, iöid.J sagt er vom Autor der S, d, S. sehr aner- kennend : II fait ailleurs galantiser son komme dans une estrange posture, le toiirnant en ridictUe ä un point qu*il fait pitie. La ftgure du damoiseau y est tout ä fait hurlesque et Von a quelque plaisir ä voir un nouveau Censeur qui ne peui plus avoir que Vesprit et non Peffet de la dehauche, .... Le style satyrique doit aonc estre clair et' inteüigible par tout. Lautheur de la Satyi-e des Satyres nous en pourroit donner quelques exemples. 11 s^ait assez comment on sHnsinüe dans les esprits et dit assez nettement ce qu*il veut dire. fibid., S. 64.) . ... La description quHl a faite de la maniere d^agir du Censeur, de sa vie austere et regle'e n'cst pas mal plaisante (ibid., S. 68). Wir wollen diese Zitate nicht noch vermehren und müssen den Leser auf die Lektüre der Crit. des. selbst verweisen.

2) Solche wenigstens in dem Neudrucke bei Lacroix in der S. d. 8, nicht mit dem Zeichen der Anführung versehene Boileau wörtlich entnommene oder ganz gering veränderte Stellen sind:

bei Boileau: Je ne puis rien nommer, si ce vÜest par son nom;

Tappeüe un ckat un chat et Holet un fripon

(Sat. L)

in der S. d. S,: Je dis mon sentiment, je ne suis point menteur

J'appelle Horace Horace et Boileau traducteur;

bei Boileau: Et mile, en se ventant sop-mSme ä tout propos

Les louanges d*un fat a Celles d'un he'ros

(J)isc.auRoi.J

in der S. d. S. : Tant cet audacieux mesle mal ä propos

Les louanges d*un fat ä ceUes d'un ndros;

bei Boileau : Tandis que CoUetet, crotte jusqu'ä Teschine,

S'en va chercher son pain de cuisifie en cuisine ....

(Sat. L)

in der S, d, S. : Bespreaux sans argent, crotte jusqu'ä Ce'schine,

S*en va chercher son pain de cuisine en cuisine.

Wenn man nun weiter sieht, dass der grösste Teil der S. d. S. aus als solchen angeführten Zitaten aus Boileau besteht und dass Gotin

Zschr. f. frz. Spr. n. Litt. Xl^. o

18 - J. Frank,

sagt, hat er sicherlich Boileau in Kontribution gesetzt! Für die Lösung ' unserer Frage ist sehr bezeichnend, dass in der Crit dis. überhaupt der 8, d, S. eine so sorgfältige Beachtung geschenkt, dass die erstere nur der letzteren wegen geschrieben zu sein scheint. Nicht nur nimmt die Grit dds, an der S. d. 8, Nach- besserungen vor, die als solche ersichtlich gemacht sind und die oft wirklich lächerliche Subtilitäten betreffen,^) sondern sie weist auch in den Zitaten aus der 8. d, 8, kleine Eskamotagen

aus Eigenem so wenig bestreitet, so ergibt sich daraus am besten desselben poetische Sterilität. Boileau scheint auch darauf anzuspielen, wenn wir bei ihm folgendes Epigramm finden (Sainte-Beuve's Ausgabe S. 281): Sur une satire tres-mauvaise que Cabhe Coiin avoii faiie, ei qu'il faisoii courir sous mon nom (1670).

£n vain par miUe ei milie ouirages Mes ennemis dans leurs ouvrages Coiin pour decrier mon siyle. Oni crv me rendre affreiix atix yeux de Tunivers. A pris un chemin plus facile: C*esi de m'aiiribtier ses vers.

Obzwar uns die Beziehung des Titels des Epigramms nicht be- kannt ist, scheint uns doch die oben gegebene Auslegung der letzten Verse desselben richtig zu sein, und doch rühmt sich Cotin in der S. d. S.:

Je n'ay pas comme luy (Boileau) pour faire satyi^e, JPUlä dans les auiheurs ce que favois ä direl

Auch in der Crii. des» arbeitet Cotin fort mit Zitaten aus Boileau, wie man sich leicht überzeugen kann.

1) So heisst es in der Crii, des. (S. 61 bei Lacroix): Ceiie faqon de parier rC est pas fran^aise chez Vauiheur de la Satyre des Satyres:

Luy que Con ne connoisi qu'ä cause de son frere Luy comme ü dii luy-mesme accable de misere, Luy qu'on ne connoisi poini dans le sacre valon, Veni trancher du Phebus ei faire CAppollön.

car ce luy veut iient un peu de Vallemand, parce qu'ü esi si eloignd. Ce veut trancher du Phebus et faire TAppoUon dit deux fois la mesme chose. 11 falloii meiire:

Ce jeune komme, inconnu dans le sacre vallon, En ddpii des neuf soeurs, iranche de rApoUon,

Vauieur de la Saiyre continüe ce luy en siyle de declamaieur, ce qui esi une auire faute. Weiter heisst es (bei Lacroix S. 62): Ces deux vers de la contre-saiyre ne sont pas encore irop bien iournez:

Theophile jamais n'a dii ce mechani moi, Ei s*il paya ses vers de deux ans de cachoi.

11 falloii meiire, ei si il paya ses vers, ou bien ainsi:

Quand il paya ses v>ers de deux ans de cachoi.

La Saiyre des Saiyres ei la Criiique däsinieressäe, 19

des ursprünglichen Textes auf, die selbst ein Gotin sich nur gegen sein eigenes Geistesprodukt gestattet haben dürfte. So heisst es im Texte der Crit des. (S. 5 bei Lacroix):

Le censeur sans argeni, crotte ßtsqu'ä Feschine,

S*en va chercher son pam de cuisine en cuisine:

Le FrarUaupin Vassiste, ei, joüoni de son nez,

Chez le soi campagnard gagne de bons disnez

Le censeur ä ce Jeu repond par sa grimace

Ei faisi en hasieletar ceni iours de passe passe;

Puis ensemble enyvrez ei du bruii ei du vin

Uun sur Vautre iombani, renverseni le fesiin:

On les donne ä Paris quand on fait chere eniüre,

Comtne on donne ä la Cour et Tariuffe ei Moliere u. s. w.

Vergleicht man nun diesen Wortlaut mit den (oben S. 12 Anm. 1) zitierten aus der 8. d. S.y so bemerkt man zahlreiche

Wir ersehen zunächst, dass auch hier Cotin sich die Freiheit des falschen Zitierens und des Nachbesserns unter der Hand herausnimmt, denn in der S, d, S. lautet die erstere Stelle:

Luy qu^on ne voidjamais dans le sacr^ vallon Veui irancher du Phebus ei faire TApollon; Luy, que Von ne connoisi qu'ä cause de son frere, Luy, comme il dii luy-mesme accäble de misere etc.

Silbenstecherei üben und dabei den Text des Rezensionsobjekts falsch zitieren, das wagt (wie bemerkt) selbst ein Cotin nur unter den von uns angenommenen Umständen. Und wenn es wahr wäre (wie Cotin glauben machen will), dass er nur aus dem Gedächtnisse zitiert, so spräche das erst recht dafür, dass er der Autor der S. d, S, sei^ denn ein fremdes Gedicht würde er doch nicht ohne Notwendigkeit auswendig gelernt haben. In dasselbe Kapitel gehört folgende Nachkorrektur. Das Oracle am Schlüsse der S. d. S. lautet:

Le desiin de ces freneiiques

Que Von appeüe Saiyriques,

Cesi de monrir le cou cass4

Ei vivre le coude percd.

Haec a te non multum abludit imago. (Hör.)

Darauf heisst es in der Crii. des.: Quelques delicais, pensant rafftner ei ne s^chani ny la reparlie de M. D. G, ny U proverbe, ont esie choquez de ce que V Oracle de la Satyre des Satyres avoii mis „mourir'' devani „vivre"; mais ^u^ils s'en prenneni ä nos majeurs, lesquels Voni voulu ainsi, ei qu*üs Vtnterpretent benigemeni, comme nous Vavons iniet*- preie\ Ce neanmoins, pour le salis faire, fay d'office iourne le proverbe ainsi:

Cesi le sori de ces phreneiiques

Que Von appeUe saiyriques.

De vivre le coude peixe

Ei de mourir le cou casse. (Bei Lacroix S. 60.)

Nun, diese von uns hervorgehoben und gesperrten Worte scheinen uns allein schon vollkommen zu beweisen, dass Cotin (der sich mit diesen Worten verraten hat) in der S. d. S. sein eigenes Opus verteidigt!

20 /. Fi'ank,

Verändernngen: Zunächst ist anstatt des oben genannten Boilean hier nur von Le censeur die Rede; aus dem Turlupin wird ein Frantawpin'^ der sot campagnard ist zu einem bon campagnard gemildert; aus ensuite wurde ensemble; aus promet wurde donne. Weiter heisst es in der 8. d. 8.:

Et ne m'as jamais veu m'entreiemr (Cauiruy Qu*ä dessein dapprouver le bien qu'on dxt de luy;

On ne nCa jamais veu d*un esprit incommode: Je permeis que chacun se gouverne ä sa mode; Dans ce quun auire fait je prens peu dHnterest, Et laisse volontiers ie monde comme ü est;

in der Crit. dis. hingegen (S. 65 bei Lacroix) zitiert er:

On ne m'a jamais veu m^entreienir d'autrug Q'ä dessein d^approuver le bien qu^on dit de luy; Je rCay jamais este d'un esprit incommode; Je permets que chacun se gouverne ä sa mode: Aux affaires d'auiruv je prend peu dinierest. Et laisse vohnliers le monde comme il est

Allerdings thut Cotin, als zitiere er aus dem Gedächtnisse commence ainsi, ce me semble) und als wolle er für die Ge- nauigkeit nicht einstehen; wenn man aber bedenkt, dass er andererseits gegen die 8. d. 8, eine Zärtlichkeit und Aufmerksam- keit beweist, die man für fremde überdies als verfehlt hinge- stellte Schöpfungen nicht zu haben pflegt, wenn man überdies seine Unaufrichtigkeit und Heimlichkeit erwägt, so wird man zur Überzeugung kommen, die 8. d. 8. müsse sein eigenes miss- rathenes Kind sein, das er aus mehrfachen Gründen nicht aner- kennen will, das er aber doch vor gänzlicher Verdammnis retten möchte, indem er dessen Vorzüge herausstreicht und dessen Schwächen liebevoll zu verhüllen sucht. Der von ihm selbst erhobene Tadel soll in uns nur die Entdeckung hintanhalten, Cotin, der doch im starken Verdachte stehen musste, sei dessen Vater, eipe Entdeckung, die er aus Eitelkeit ja nicht auf- kommen lassen möchte.^) Dass er sich dagegen mit allen

1) So verteidifirt er (mit Eutrüstung) die Akademiker (und er selbst war ja ein solcher) gegen die Möglichkeit, einer von ihnen könnte dieses Büchlein geschrieben haben, comme s^ils ignoroient le beau tour du vers et le genie de letir langue (bei Lacroix 8. 63). Ferner thut er, als habe er keine Ahnung, wer die S. d. S. geschrieben habe: J la v&ite, Vautheur de la Satjre des Satyres quel qu'il puisse estre ne däcrie ny le Parlement, ny le siede, ny la Religion, ny TEstat etc. (bei Lacroix S. 31.)

La Saiyre des Saiyres ei la Critigue desinieress^e, 21

Ejräften währt, kann unsere Überzeugung nur bestärken. Es wird keinen Kundigen irre fahren, wenn Gotin, der ehrsüchtige Mann, der auf den leisesten Atemzug und den schwächsten Pulsschlag der öffentlichen Meinung lauscht, in der Grit, dis, so thut, als sei ihm der Sinn für Lob und Tadel erstorben und als lebe er nur in stiller Beschaulichkeit an dem Werke der Selbst- erziehung rastlos arbeitend, wie ein Heiliger von antikem Zu- schnitte;^) es wird ihm niemand glauben, dass er mit der Aussen- welt nur durch einige wenige Personen verkehre und Jedermann erkennt in diesen mit ästhetischer Kleie ausgestopften Leder- puppen, die er als wahre Tugendrepositorien mit allen nur mög- lichen Vorzügen angefüllt hat, seine Fiktionen.^) Nach alledem, glauben wir behaupten zu dürfen, ist kein Zweifel mehr gestattety Gotin sei der Autor der beiden Satiren.

^) Auch diese Komödie, wie die fingierten Mittelspersonen, die ihm als Sprachrohr dienen, hat Gotin wie die ganze Geheimthuerei der Saiyre MMppäe entlehnt, die er nach einer (oben zitierten) Stelle aus der Crit. des. gekannt haben muss. Danach beurteile man, was davon zu halten ist, wenn er sich als „Eremiten*' hinstellt (die Crit, des. endet mit den Worten:

Chez rBermiie de Baris, Ä la CorrecHon fraterneUe,)

3) Diese seine Kreaturen lässt er auch ohne Angabe der Quellen aus der S, d S. zitieren, abermals ein Beweis, dass er sich mit dem Verfasser derselben identisch fühlt. Ein solches Zitat findet sich z. B. bei Lacroix S. 22:

Le Marais en convieni, et dit sans passion Qu^un tel effori d'esprit etc.

Josef Frank.

Le Programme du prix propose par TAcadömie de Dijon et remporte par Jean-Jacques Rousseau.

Diderot ayant pabli6 la Lettre sur les Äveugles, ä Vusage de ceux qui voient^ il fut arr§t6, et conduit au chäteau de Vin- cennes, ä la fin du mois de juillet 1749. Apr^s @tre demeurö pendant vingt-huit jours enfermö dans le donjon, il vit son em- prisonnement s'adoucir, et il eut la libert6 de se promener dans le parc. Dans le courant de novembre, il fut 61argi et revint ä Paris.

Pendant que Diderot ötait ainsi k Vincennes, Jean-Jacques Rousseau, jeune encore, inconnu, et qui 6tait son ami, alla le voir maintes fois pour le consoler et le distraire.

Cette ann^e 1749, dit Rousseau, V4t4 fut d'une chaleur ex- cessive. On compte deux Heues de Paris ä. Vincennes. Peu en ^tat de payer des fiacres, ä deux heures apres midi j'allais ä pied quand j'ltais seul, et j'allais vite pour arriver plus t5t. Les arbres de la route, toujours ^laguäs, ä la mode du pays, ne donnaient presque aucuue ombre ; et souvent, rendu de chaleur et de fatigue, je mätendais par terre, n'en pouvant plus. Je m'avisai, pour mo- dörer mon pas, de prendre quelque livre. Je pris un jour le Mer- eure de Fi'ance, et tout en marchant et le parcourant, je tombai sur cette question proposöe par l'Acadömie de Dijon pour le prix de rannte suivante: Si le progres des sciences et des aris a con- inbue ä corrompre ou ä epurer les mceurs.

Si jamais quelque cnose a ressemblä ä une inspiration subite, c'est le mouvement qui se fit en moi ä cette lecture : tont ä coup je me sens Tesprit äbloui de mille lumiäres; des foules d'id^es vives s'y präsentent ä la fois avec une force et une confusion qui me jeta dans un trouble inexprimable ; je sens ma tSte prise par un ätourdissement semblable ä, Tivresse. Une violente palpitation m'oppresse, soulöve ma poitrine; ne pouvant plus respirer en marchant, je me laisse tomber sous un des arbres de Tavenue, et j'y passe une demi-heure dans une teile agitation, qu'en me rele- vant j'aper9U8 tout le devant de ma veste moaill^ de mes larmes, sans avoir senti que j'en r^pandais.

24 E, Ritter,

Arrivant ä. VincenneB, j'ätais dans nne agitation qui tenait du dälire. Diderot raper9ut; je lui en dis la causOf et lui lus la prosopop^e de Fabricius, ^cnte au crayon sons un ch^ne. II m'exhorta de donner l'essor ä. mes idäes et de concourir au prix.

J'ai combin6 dans ces citations las deux r6cits que Rousseau a faits de cette anecdote, dans une lettre k Malesherbes du 12 janvier 1762, et dans le Livre VIII des ConfessionSy qui fut 6crit quelques ann6es plus tard.

On Salt que Marmontel, et son oncle par alliance, Tabb^ Morellet, ont donn6 dans leurs Mimoires, de la conversation de Diderot et de Bousseau snr le programme de TAcad^mie de Dijon, un r^cit tout autre que celui de Jean -Jacques. Ils le tenaient de Diderot, et sans doute ils Favaient plus d'une fois entendu raconter au merveilleux causeur.

Le r6cit du neveu et celui de l'oncle concordent en g6- neral, comme on va le voir. Tous deux ont 6te Berits plus de quarante ans aprös T^vönement.

MSmoires de Marmontel, livre VIL J'ätais (c'est Diderot qui parle) j'^tais prisonnier ä. Yincennes; Rousseau venait m'y voir. II avait fait de moi son Aristarque, eomme il Ta dit lui-mSme. üu jour, nous promenant ensemble, il me dit que TAcad^mie de Dijon venait de proposer une question interessante, et qu*il avait envie de la traiter. Cette question ätait: Le re'iablissement des sciences et des arts a-t-ü cofttribue ä epurer les nuBurs? Quel parti prendrez-vous? lui demandai-je. II me räpondit : Le parti de ^affir- mative. — C'est le pont aux ä.nes, lui dis -je; tous les talents mö- diocres prendront ce cbemin-lä, et vous n'y trouverez que des iddes communes, au lieu que le parti contraire präsente k la pbilosophie et a IMloquence un champ nouveau, riebe et fäcond. Vous avez raison, me dit-il aprös y avoir röflöchi un moment, et je suivrai votre conseil.

Memoires de Mor eilet, chapitre V. Voici ce que j'ai appris de Diderot lui-m^me, et ce qui passait alors pour constant dans toute la sociäte du baron d'Holbach, Rousseau n*avait en- core que des amis, Arrivä ä Vincennes, il avait confiö ä Diderot son projet de concourir pour le prix, et avait commencä m§me k lui dävelopper les avantages qu'avaient apportäs ä la sociätä hu- maine les arts et les sciences. Je Tinterrompis , ajoutait Diderot, et je lui dis särieusement : Ce n'est pas \k ce qu^il faut faire: rien de nouveau, rien de piquant, c'est le pont aux änes. Prenez la tb^se contraire, et voyez quel vaste champ s'ouvre devant vous: tous les abus de la sociätä ä. signaler; tous les maux qui la däsolent, suite des erreurs de Tesprit; les sciences, les arts, employäs au commerce, ä la navigation, ä la guerre, etc., autant de sources de destruction et de misäre pour la plus grande partie des hommes. L'imprimerie , la boussole, la poudre ä canon, l'exploitation des mines, autant de progr^s des connaissances humaines, et autant de causes de calamitäs, etc. Ne voyez -vous pas tout l'avantage que vous aurez k prendre ainsi votre snjet? Rousseau en convint, et travailla d'apräs ce plan.

Le frogramme du prix propos^ par VAcademie de Dijon etc.

25

Quant i Diderot, apr&s qn'il ent 6t6 gravement offeii»6

par Rousseau (1758), il s'^pancha sur son compte en termes

amers; k plus d'une reprise, dans ses lettres et dans ses öcrits,

notamment dans les paragraphes LXI k LXVII du livre premier

de V Essai sur les rlgnes de Claude et de Niron: c'est \k seule-

ment qu'il a dit quelques mots de cette fameüse conversation

qu'il eut un jour avec Rousseau, k Vincennes:

Lorsque le programme de VAcaddmie de Dijon parut, il vint me consalter sur le parti qn'il prendrait. Le parti que vous pren- drez, lui dis-je, c'est celui que personne ne prendra. Vous avez raison, me ripliqua-t-il.

Les deux interlocuteurs paraissent avoir ^t6 seuls, et nous ne savons que par eux-m^mes ce qu'ils ont pu se dire. On a souvent opposö leurs t6moignages Tun k l'autre; je vais dire comment j'estime qu'il les faut combiner.

On sait que Diderot et Rousseau avaient des moments

d'^motion chaleureuse, de sensibilit6 expansive; mais ils ne

s'6chauffaient pas toujours en m^me temps, et Diderot quelque-

fois restait calme pendant que Jean-Jacques ötait tout transportö.

On le voit, par exemple, lors de la premi^re visite que fit le

philosophe de Oen^ve au prisonnier de Vincennes:

Je Yolai, disent les Coftfessions, dans les bras de mon ami. II n'^tait pas seul: d'Alembert et le tr^sorier de la Sainte-ChapeUe dtaient avec lui. En entrant je ne vis que lui; je ne fis qu'un saut, un cri; je coUai mon visage sur le sien, je le serrai ätroite- ment sans lui parier autrement que par mes pleurs et mes sanglots; j'^touffais de tendresse et de joie. Son premier mouvement, sorti de mes bras, fut de se tourner vers l'eccläsiastique et de lui dire: Vous voyez, monsieur, comment m'aiment mes amis. Tout entier ä mon Emotion, je ne r^flächis pas alors ä cette maniäre d'en tirer avantage.

Reprenons nos deux groupes de röcits, et essayons de re- Gonstruire la sc^ne en les ajustant beut k beut. Rappelons-nous seulement ce que Marmontel a tr6s bien dit, ä la fin du m@me Livre VII de ses Mimoires: „L'un des beaux moments de Di- derot, c'6tait lorsqu'un autre le consultait sur son ouvrage. n fallait le voir s'en saisir, s*en p6n^trer, et d*un coup d'ceil d6- couvrir de quelles richesses et de qnelles beaut6s il 6tait sus- ceptible."

Apr^s r^blouissement que Rousseau raconte, et qu'il n'a pas Sans doute invent^, on le voit arriver k Vincennes tout ^chauff^. Quand Diderot se fut fait expliquer de quoi il s'a- gissait: „Eh! sans doute, a-t-il dd s'^crier, le parti de Taffirma- tive, c'est le pont aux änes. Avec la thfese contraire, voyez quel vaste champ s'ouvre devant vous!^' Et dans la suite de rentretien, Diderot^ s'animant k son tour^ et s'appliquant k coii-

26 E. Bitter,

vaincre Jean-Jacques, comme si celoi-ci n'6tait pas da m^me avis, aura plaid6 devant Ini, pour le persnader qu'il fallait montrer combien le r^tablissement des sciences et des arts avait cor- rompn les moeurs. Qui sait si dös le soir meme, en repensant k son entretien avec Rousseaa, Diderot ne s'est pas dit, en sou- riant avec satisfaction: ^Je lui ai donn6 an bon conseil! Sans moi, il allait prendre le mauvais parti.'^ Qu'il ait dans la suite parlö en ce sens k ses amis, cela est tout simple.

Sans doate 11 faat soUiciter les textes pour les äccorder ainsi; mais ces textes ne sont pas paroles d'l^yangile: la trace de Tart s'y laisse sentir; et dans cet ^tat de choses, nous n'a- vons k chercher qne le vraisemblable. Or il n'est pas vraisem- blable qne Tun des deux philosophes ait menti da tout au tont.

Quoiqu'il en seit, 11 y a quelque int6r^t k lire le texte m^me de ce Programme acadömique, qui frappa Rousseau si fort, et lui donna tant d' Emotion:

Programme de FAcademie des Sciences et Beiles Lettres de Dijon

pour le Prix de Morale de 1750.

L'Academie, fond^e par M. Hector Bernard FousBier, Doyen du Parlement de Bourgogne, annonce k tous les Sfavans qoe le Prix de Morale pour Tannäe 1750 coneistant en une Medaille d'or, de la valenr de trente pistoles, sera adjugä ä celui qui aura le mieux r^solu le Probleme suivant:

Si le retahlissement des Scienees ei des Arts a contribue' ä epurer les nuBurs.

II sera libre k tous ceux qui voudront concourir d'äcrire en Fran^ois ou en Latin, observant qne leurs Ouvrages soient lisibles, et que la lecture de chaque Memoire remplisse et n'excäde point une demie heure.

Les Mämoires francs de port (sans quoi ils ne seront pas re- tir^s) seront adressäs k M. Petit, secretaire de rAcadämie, rue du vieux Marchä k Dijon qui n'en re^evra aucun aprös le premier Avril.

Comme on ne scauroit prendre trop de pr^cautions, tant pour rendre aux S9avans la justice qu'ils m^ritent, que pour ^Carter autant qu'il est possible les brigues, et cet esprit de partialit^ qui n'entrainent que trop souvent les suffirages vers les objets connus, ou qui les en d^tournent par d'autres motifs ^galement irreguiiers, l'Academie d^clare que tous ceux qui ayant travaillä sur le sujet donnä seront convaincus de s'^tre fait connaitre directement ou indirectement pour Auteurs des Mämoires, avant qu'elle ait däcidä sur la distribution du Prix, seront exclus du concours. - Pour obvier k cet incony^nient, chaque Auteur sera tenu de mettre au bas de son Memoire une Sentence ou Devise, et d'y joindre une feuille de papier cachetäe, sous le dos de laquelle sera la m^me sentence, et sur le cachet son nom, ses qualit^s et sa de- meure, pour j avoir recours k la distribution du Prix. Les dites Feuilles, ainsi cachetäes de fa9on qu'on ne puisse y rien lire k tra- vers , ne seront point ouyertes avant ce temps lä, et le secretaire

Le yrogramme du prix proposä par VAcad4rme de Dijon eic, 27

en tiendra un R^gistre exact. Ceux qui exigeront un Räc^pissä de lears ouvrages le feront expedier sous un autre nom que le leur et dans le cas ou celui qui auroit us^ de cette pr^caution auroit obtenu le Prix, 11 sera obligä, en chargeant une personne domicili^e k Dijon de sa Procuration pardevant un Notaire et l^galisäe par le Juge, d'y joindre aussi le Rdcdpissä.

Si celui k qui le Prix sera adjugä n'est pas de Dijon, il enverra pareillement sa Procuration en la forme susdite: et s'il est de cette ville, il viendra le recevoir en personne le jour de la distribution du Prix qui se fera dans une Assembläe publique de l'Acadämie, le Dimanche 23 Aoüt 1750.

(Le Mercure parle ensuiie du prix adjugd par CAcademie de Dijon, dans, sa seatice du 24 aoüi 1749, ä M. IHnot, medecin, sur le sujei de FElectricite,)

C'est k l'aimable obligeance d'une dame anglaise, madame Friderika Macdonald, que je dois la copie du texte qu'on vient de lire. Je suis heureux d'^tre le premier sur le Continent k annoncer au public Fouvrage que madame Macdonald prepare, sur la vie de Jean-Jacques Rousseau. On aura sans doute beau- coup k j apprendre. On sait combien de recherches appellent encore les probl^mes qui se posent sur tant de points obscurs de la carri^re du philosophe genevois.

Le Programme du concours ouvert par TAcad^mie de Dijon parut dans le Mercure de France^ num6ro d'octobre 1749. En supposant m^me que ce num6ro alt paru dans les demiers jours du mois de septembre, on voit que ce n'est pas au gros de r6t6 (comme on le croirait d'aprös le röcit des Confessions) mais k la fin de la belle saison, que se place ce moment d6- cisif de la vie de Rousseau, 11 vit, dit-il, un autre univers, et devint un autre homme.

EüGÄNE Ritter.

Zola als Dramatiker.

Zola hat bereits vor Jahren den Versuch gemacht, auch die franz($sische Bühne als Ästhetiker und Dramatiker umzugestalten und auf eine naturalistische Grundlage zu stellen. Er hasst, wie er in dem Artikel Provdkon et Courbet (s. Mes Haines. Causeries littiraires et artistiques etc. 2me ed. Paris, 1880) sagt, die Mittel- massigen, die sich auf eine Idee steifen, um ihrem Götzen die grosse menschliche Wahrheit zu opfern. Er hasst die Spötter und die Fröhlichen, welche keine Thräne haben, die Thörichten, welche behaupten, dass unsere Kunst und Litteratur stirbt, die Schulfüchse, welche uns belehren, die Langweiligen und Pedanten, weil sie alle aus der Wahrheit von gestern die Wahrheit von heute machen wollen. Daher bewundert er in einem Kunstwerk nur den Künstler und behauptet, dass z. B. ein grosser Maler einen anderen nicht geradezu nachahmen werde. Denn er sucht in demselben nur die Naturwahrheit und den schöpferischen Künstler. Als Quellen der Kunst gelten ihm das Studium des Menschen und die Achtung vor der Wirklichkeit (Le Naturalisme au tMdtrej S. 40). Es ist eine notwendige Folge dieser An- schauungen, wenn er geschichtliche Stoffe aus der Dichtung ver- bannt wissen will. Die Geschichte der Vergangenheit ist ihm ein Rätsel, er kann die Jungfrau von Orleans nicht verstehen, noch die Geschichte Ägyptens (s. den Artikel ü£gypte ü y a trois müle ans). Er verwirft deshalb antike und mittelalterliche Stoffe und verlangt zeitgemässe, welche sich jeden Tag vor unseren Augen abspielen (Le Naturalisme au tMdtrey S. 194). Die Dramatiker der romantischen Schule missfallen ihm nicht bloss ihrer mittelalterlichen Stoffe wegen. Denn sie setzen der einen Rhetorik eine andere entgegen^ das Mittelalter dem Altertum, die Erregung der Leidenschaft der Erregung der Pflicht, die Personen

30 G. Bomhak,

bleiben Marionetten, nnr anders gekleidet; nichts ward verändert als der äussere Anblick und die Sprache {das. S. 13). Darum soll an die Stelle des Dramas der Klassizisten und Romantiker das naturalistische treten, welches eine Handlung enthält, die sich in ihrer Lebenswahrheit entwickelt und bei den Personen der Leidenschaften und Gefühle anhebt, deren genaue Zer- gliederung das einzige Interesse des Stückes sein würde.

Die Forderung, dass das Drama Lebenswahrheit enthalten soll, ist nicht neu, aber nicht jede Lebenswahrheit eignet sich zur dramatischen Darstellung und es ist deshalb eine passende Wahl zu treffen. So werden z. B. unbedeutende Lebens- erscheinungen der Gegenwart kein dramatisches Interesse ge- währen können. Daher geht der dramatische Dichter bei seiner Arbeit von einer bestimmten Idee aus, nach welcher er seinen Stoff gestaltet. Zola verwirft zwar die Idee, weil sie die Lebens- wahrheit trübe, geht aber, ohne es sich selbst zu gestehen, bei allen seinen dichterischen Arbeiten von einer solchen aus, näm- lich das Leben in seinen schwärzesten Zügen zu malen. Und wenn er in einem Kunstwerke die Lebenswahrheit und den Künstler bewundert, was kann das anders heissen, als dass er die naturwahre Durchführung der künstlerischen Idee anerkennt? Denn ohne die Idee würden die einzelnen Teile des Werkes ohne Einheit, ohne Zusammenhang sein. Zola lebt ferner nur in der Gegenwart, die Erfahrungen der Vergangenheit gelten ihm nichts, und doch sind dies ebenfalls Lebenswahrheiten, die man nicht ungestraft missachtet. Nicht alle Sitten und Lebenswahrheiten der Vergangenheit finden sich in der Gegenwart durch andere ersetzt, viele haben sich als lebenskräftig erhalten und es wird dem einzelnen nicht gelingen, sie ohne weiteres über Bord zu werfen und somit gegen den Strom seiner Zeit zu schwimmen. Nicht eine Theorie, sondern die politischen und sozialen Zu- stände, unter denen ein Volk lebt, bestimmen seine Sitten und Gewohnheiten, und mit ihnen muss der dramatische Dichter rechnen, wenn die von ihm vorgeführte Handlung vom Publikum als wahrscheinlich anerkannt werden soll. Endlich will Zola die geschichtlichen Stoffe aus dem Drama verbannt wissen, weil sie der Gegenwart unverständlich seien. Wenn dies in Wahr- heit sich so verhielte, so wäre auch das Studium der Geschichte überflüssig. Es ist aber eine Hauptaufgabe echt menschlicher Bildung, die Geschichte der Vergangenheit zu studieren, um aus ihr die Gegenwart zu begreifen. Wenn es nun auch nicht die Aufgabe des dramatischen Dichters ist, Geschichte zu lehren, so hat er doch das Recht und die Pflicht, die grossen Thaten der Vergangenheit zu feiern und in der trüben Gegenwart zu

Zola als Dramatiker, 31

ähnlichen anzuspornen. Unmöglich kann man hierbei an den dramatischen Dichter die Forderung stellen, er solle das Leben der Vergangenheit gerade so schildern, wie es gewesen. Das kann selbst der Geschichtsschreiber nicht, da die Überlieferung nie ein vollständiges Bild gewährt. Vielmehr werden beide, der Dichter wie der Forscher, aus dem ihnen vorliegenden Stoffe eine Idee gewinnen, nach der sie denselben gestalten, wozu sich unwillkürlich moderne Anschauungen und Urteile gesellen. Auch das ist naturgemäss, denn der Mensch der Gegenwart kann sich wohl die Handlungen historischer Personen aus den Anschauungen der Vergangenheit erklären, sich dieselben aber, sofern sie mit seiner Zeit nicht übereinstimmen, nicht zu eigen machen, ohne mit dem Geiste seiner Zeit in Widerspruch zu geraten.

Zola bestreitet eine besondere dramatische Begabung des Dichters, obwohl er im allgemeinen ein Talent voraussetzt Wenn man eine solche dramatische Begabung annähme, so würde dies zwei Folgen nach sich ziehen, denn es würde erstens in der dramatischen Kunst ein Absolutes geben und zweitens würde der damit Begabte unfehlbar sein. Mittelmässige Stücke hätten oft Erfolg unH vortreffliche, wie Racine's PhMre wurden ausgepfiffen. (Le Naturalisme S. 28.)

Diese Theorie ist gewissermassen eine oratio pro domo. Denn, wenn auch verschiedene französische Dichter mit Erfolg auf dem Gebiete des Romans und des Dramas gearbeitet haben, so ist Zola nicht das gleiche Glück zu teil geworden; seine Dramen sind, wie er selbst bekennt, ausgepfiffen worden. Daher nimmt er für sich ein allgemeines dichterisches Talent in An- spruch und bestreitet die besondere dramatische Begabung. Das Urteil der anerkannten Dramatiker ist ihm unangenehm. Die Geschichte der Litteratur beweist, dass nicht jedes dichterische Talent zugleich eine dramatische Begabung besessen habe. Lafontaine war gewiss ein dichterisches Talent, für das Drama aber hatte er keinen Beruf, obwohl er sich in demselben ver- suchte. Wenn Zola sich in seinem Geschick mit der Thatsache tröstet, dass auch dem grossen Dramatiker Racine ein Stück ausgepfiffen wurde, so weiss jeder, der die Sache kennt, dass dies Urteil ein gefälschtes war und auf einer Intrigue beruhte. Er erkennt nur die Thatsachen an, die ihm passen, die anderen aber nicht.

Er erkennt auch die Überlieferung in der theatralischen Technik nicht an, da sie die Lebenswahrheit vernichte. Gegen- wärtig sei das Leben eine andere Sache als das Theater. Wenn man jetzt ein Schauspiel machen wolle, müsse man das Leben vergessen und seine Personen nach einer besonderen Taktik in

32 G, Bornhak,

Bewegung setzen, deren Regeln man zu lernen habe. Daher gebe es keine originalen Stücke. Er hält deshalb einen jungen Mann, der niemals seinen Fuss in ein Theater gesetzt, für viel fähiger, ein Hauptwerk zu schaffen, als einen anderen, der den Eindruck von hundert Vorstellungen empfangen hat (das. S. 37). Er überschätzt damit geradezu die Kräfte des Talents.

Das Theater kann nicht das Leben selbst darstellen, son- dern nur ein Bild desselben gewähren. Die Bretter der Bühne bedeuten zwar die Welt, sind aber nicht die Welt selbst. Der Dramatiker hat die Aufgabe, in uns die Täuschung hervorzurufen, dass wir Zeugen einer sich vor uns abspielenden Handlung sind, wie sie sich in Wirklichkeit zuträgt, und dazu bedarf er be- stimmter Mittel, welche die Erfahrung gelehrt Der Baum und die Zeit des Theaters sind in enge Grenzen gebannt und ent- sprechen den räumlichen und zeitlichen Verhältnissen der Wirk- lichkeit durchaus nicht. Wie kann also der dramatische Dichter oder Schauspieler der anerkannten Technik entbehren, um uns über diese Unwahrscheinlichkeiten hinweg zu helfen, wenn die vorgeführte Handlung den Eindruck der Lebenswahrheit in uns hervorrufen soll? Wie Zola ein besonderes dramatisches Talent nicht anerkennt, so begreift er auch nicht die Notwendigkeit von Regeln in der dramatischen Kunst, welche sich auf die Erfah- rung stützen. Denn alle Überlieferung ist ihm widerwärtig.

Ebenso missfällt ihm die Kritik, welche von einer Theorie ausgeht. Die Wissenschaft des Schönen ist für ihn eine Narr- heit, die von den Philosophen zum grössten Vergnügen der Künstler erfunden worden ist. Den Kritikern ruft er zu: „Wir verlangen eure Eindrücke nicht zu wissen; jeder von uns hat die seinigen, welche ebenso viel gelten als die eurigen und welche nichts mehr beweisen als die eurigen. Ihr habt die Aufgabe, in einem Werke einen bestimmten Zustand des menschlichen Geistes zu studieren; ihr müsst alle künstlerischen Äusserungen mit einer gleichen Liebe aufnehmen, wie der Arzt alle Krankheiten aufnimmt, denn in jeder dieser Äusse- rungen werdet ihr einen Gegenstand für die Analyse und das Studium in physiologischer und psychologischer Beziehung finden." Und von sich selbst sagt er als Kritiker: „Ich stelle mir nicht die Aufgabe, zu loben oder zu tadeln; ich begnüge mich, das Werk und den Schrift- steller zu analysieren, zu zergliedern, und ferner zu sagen, was ich gesehen habe.^ (S. den Artikel Les Chansons des rues et des hois.) Dagegen verlangt er bei der feilen, abhängigen Kritik in der Beurteilung der Dramen eine bestimmte

Zola als Dramatiker. 33

Methode und erklärt deshalb die Theorie von der Souveränetät des Pablikams, das durch sein Urteil den Kritiker beeinflusse, für eine der grössten Thorheiten. In der Litteratur könne keine andere Souveränetät bestehen als die des Genies. Dies allein treibe vorwärts und bilde wie ein weiches Wachs die Erkenntnis der Bevölkerung um. (Le Naturalisme, S. 55 flf.)

Es sind dies dieselben Grundsätze, wie sie V. Hugo bei abfälligen Beurteilungen seiner Werke geäussert. Die Werke des Genies sind nur zu bewundern, nicht zu beurteilen, und weil das Publikum oft anderer Ansicht sein kann als der dramatische Dichter, so hat sich der Kritiker gar nicht nach jenem zu richten, sondern das Drama mit einer gewissen Ehrfarcht zu studieren und zu zergliedern. Das Genie ist unfehlbar, die Menge hat sich vor demselben zu beugen und wie weiches Wachs umbilden zu lassen. Eine solche Knechtung der Geister hat selbst Napoleon I. in seinen berüchtigten Zensuredikten nicht versucht.

Betrachten wir hiernach den Inhalt der drei Zola'schen Dramen: Thir^se Raquin, Drama in 4 Akten, zuerst aufgeführt am 11. Juli 1873 im Thedtre de la Renaissance; Les Hiritiers Rabourdin, zuerst aufgeführt am 3. November 1874 im Theater Cluny; und Le Bouton de Rose, zuerst aufgeführt am 6. Mai 1878 im Theater des Palais Royal»

Das erste Stück beginnt mit einem höchst langweiligen Ge- spräch über das Essen und die Wohnung zwischen Camille und Laurent, der den ersteren abkonterfeit. Ein solches kommt wohl auch im gemeinen Leben vor und mag demselben abgelauscht sein, aber für die Bühne sind solche naturalistische Beobachtungen nicht brauchbar. Dasselbe dient durchaus nicht zur Entwickelung der Handlung, denn nur das Gemälde soll später eine Rolle spielen, und dazu der Aufwand. Während Laurent malt und sich weiter mit Camille über seine Malerei unterhält, sitzt Therese, die Frau Camille Raquin's, und dessen Mutter fast teilnahmlos daneben. Man fragt sich unwillkürlich: Wozu sind sie auf der Bühne? Endlich ist das Bild fertig und Laurent soll dafür nach der Bestimmung Camille's und seiner Mutter durch eine Flasche Champagner und Kuchen belohnt werden. In der 5. Szene er- fährt man plötzlich, dass Therese und Laurent, die allein sind, sich heimlich lieben, aber Camille steht ihnen im Wege, „Wenn Du doch Witwe wärest!" sagt Laurent. Mit diesen Worten ist der Gang der nun beginnenden Handlung vorgeschrieben. Es fehlt die dramatische Entwickelung der Leidenschaft, welche wenigstens diesen Wunsch psychologisch erklärt haben würde. Als Laurent gegangen, erscheint Camille mit seiner Mutter. Er

Zschr. f. firz. Spr. a. Litt. XV, q

34 C. Bomhak,

hat eben seine Frau ganz weiss wie ein Phantom gesehen und glaubt, dass diese Nacht eine weisse Frau um sein Bett herum- gehen wird, um ihn zu erdrosseln. Wie kommt er plötzlich zu einem solchen Gedanken? Eine Vermittelung gibt es nicht; auch würde diese Art von Ahnung in jedem anderen Drama weniger auffallen als in einem naturalistischen. Hier dient es dem Dichter, der in seiner Theorie vom Dramatiker nur die Darstellung der Naturwahrheit verlangt, dazu, um das Publikum an dem dünnen Faden festzuhalten, an welchem er seine Handlung anreihen will. Auf den nächsten Sonntag wird eine Wasserfahrt beschlossen, an welcher Laurent, Camille und Therese teilnehmen sollen, so sehr sich auch die Mutter dagegen sträubt; denn Camille ist schwach und kränklich. Laurent wirft Therese einen verständnis- vollen Blick zu; man weiss jetzt, die Beseitigung Camille's ist zwischen beiden beschlossene Sache. Die Unterhaltungen mit den Hausfreunden Grivet, Michaud und dessen Nichte Susanne, welche alle' Freitage zu erscheinen pflegen, um ein Spiel Domino zu machen, ist ohne alles dramatische Interesse. Nur einmal wird eine Anknüpfung mit der begonnenen Handlung gesucht, als Michaud, der früher Polizeikommissar gewesen, von einem Morde erzählt, dessen Urheber man nicht entdecken konnte, was Laurent zu der Frage veranlasst: „Ihr meint also, dass viele Ver- brechen ungestraft bleiben?'' und Therese ist der Ansicht: „Was man nicht weiss, ist nicht vorhanden."

Im zweiten Akt, der gerade ein Jahr nach dem ersten spielt, sind wieder alle Personen des ersten Aktes zu einem Spiele vereinigt, nur Camille fehlt, denn Laurent hat ihn bei jener Wasserfahrt in die Seine geworfen und ertrinken lassen. Darum ist Mutter Raquin noch voller Betrübnis, denn sie kann sich über den Verlust ihres Sohnes nicht trösten. Laurent und Therese spielen die teilnehmenden Kinder. Sie bittet Laurent, ihr aus ihrer Schlafstube einen Korb zu holen, in dem sich ihre Wolle befindet. Als er zurückkommt, schwankt er wie ein Trunkener und hat ein verstörtes Gesicht. Er glaubt den toten Camille gesehen zu haben, den Korb aber hat er nicht gefunden. Therese, welche ebenfalls von Gewissensbissen gequält wird und dabei Trauer über den Verlust ihres Mannes heuchelt, erregt die Teilnahme der Gesellschaft. Um sie von ihrem Trübsinn zu heilen, rät Michaud, sie mit Laurent zu verheiraten. Der Vor- schlag wird angenommen. Therese spielt dabei die trauernde Witwe, die endlich scheinbar wider ihren Wijlen in diese Ver- bindung willigt, da sie den toten Gatten nicht vergessen könne. Auch Laurent gibt sich das Ansehen, als ob er mit seinem Ent- schlüsse zu kämpfen habe.

Zola als Dramatiker. 35

Der dritte Akt beginnt mit dem Hochzeitabend. Therese wird von Susanne entkleidet, wobei jene, von einem Schauder ergriffen, zittert und über Fieber klagt. Endlich ziehen sich die Frauen zurück, lassen Therese allein und Laurent erscheint. Therese stösst ihn kalt zurück ; die blosse Erwähnung ihrer Hoch- zeit ist ihr eine Marter, sie flieht die Erinnerung und, um die bösen Gedanken zu verscheuchen, plaudert sie über das Wetter, über die Kirche, wo ihre Trauung stattgefunden und auch eine Leiche eingesegnet wurde, die aus dem Wasser gezogen worden ist. Sofort sind die Erinnerungen an den Gemordeten wieder wach. Als Laurent sich auf kurze Zeit entfernt, hört sie ein Klopfen an der Thür; von Furcht gequält, wähnt sie, der tote Gatte erscheine, um seine Rechte geltend zu machen. Der Ein- tritt Laurents beruhigt sie etwas, aber nun beginnt dasselbe Spiel wie vorher. Plötzlich richten sich Laurents Blicke auf das Bild Camille's, das an der Wand hängt, und ein furchtbares Entsetzen ergreift ihn und Therese. Er hält es für dessen Geist, denn er behauptet zu sehen, wie sich seine Augen bewegen, obgleich ihn Therese darauf aufmerksam macht, dass es nur das Bild sei. Endlich reisst er es in einem Anfall von Wut herab, indem er sagt: „Es ist abscheulich. Er steht gerade so da, wie wir ihn ins Wasser geworfen." In diesem Augenblicke er- scheint Frau Raquin und hört diese Worte. „Gerechter Gott, sie haben mein Kind getötet! Mörder, Mörder!" ist alles, was sie vorzubringen vermag. Damit ist der Übergang zur fallenden Handlung und zur Katastrophe geschaffen.

Der vierte Akt beginnt mit einem Gespräch zwischen Therese und Susanne über einen „blauen Prinzen", der zur Handlung in gar keiner Beziehung steht, über die Frau Raquin, die seit jener fürchterlichen Hochzeitsnacht die Sprache verloren, über Laurent, der ausserhalb seiner Wohnung ein Atelier aufgeschlagen, wo er verschiedene Bilder malt. Aber alle, Greise, Weiber, Kinder haben eine Ähnlichkeit mit dem toten Camille, wie Susanne der darüber entsetzten Therese berichtet, die mit ihrem Manne im beständigen Streite lebt und von seinem Treiben ausserhalb des Hauses nichts erfährt. Schrecklich ist die Erscheinung der Frau Raquin. Sie ist stumm und gelähmt, nur ihre Augen sind voller Leben, mit denen sie beständig die bleichen Mörder verfolgt und quält. Die beiden Hausfreunde, Grivet und Michaud, stellen darüber ihre besonderen Betrachtungen an. Endlich schreibt sie mit dem Finger Buchstaben auf den Tisch. Michaud liest:

„Therese und Laurent haben" und fragt: „Was

haben denn die teuren Kinder?" Aber die unglückliche Mutter begnügt sich, sich an dem Entsetzen der beiden Mörder

3*

36 G. Bornhak,

zu weiden. Dieselben werfen sich, als Grivet und Michaud ge- gangen, in Gegenwart der Frau Raquin den Mord vor und wollen davon dem Gerichte Anzeige machen, aber die Kraft zur Aus- führung fehlt ihnen. Laurent sieht beständig den toten Oamille vor sich und nirgends findet er Ruhe vor ihm. Zuletzt hält er sich selbst in wahnsinniger Wut für Camille und will Therese töten. Dieselbe ergreift ein Messer, um sich seiner zu ent- ledigen, und dieser ein Flaschen mit Gift, um es in Theresen's Glas zu schütten. Keiner will mit dem anderen mehr leben. Und dieser ganzen Szene wohnte die unglückliche Mutter bei, die, als sich Laurent auf sie stürzt, die Sprache wieder gewinnt und ihm zuruft: „Mörder meines Kindes, versuch' es doch, auch die Mutter zu töten!" Im höchsten Schrecken ruft Therese: „Gnade, überliefert uns nicht dem Ge- richt!" „Nein," erwidert sie ihr, „ich werde euch gegen- seitig von Gewissensbissen zerfleischen lassen wie wütende Tiere. Ihr seid mein und ich bewache euch." „Solche Straflosigkeit ist zu schwer; wir richten und verurteilen uns selbst," sagt Therese, ergreift das Gift, trinkt, und fällt tot zu den Füssen der Frau Raquin. Hierauf ergreift Laurent das Gift, trinkt und sinkt leblos zusammen. „Sie sind beide sehr schnell gestorben", meint Frau Raquin und setzt sich ruhig nieder. Damit schliesst das Stück.

Dasselbe wurde, wie der Dichter in seiner Vorrede sagt, gleich den anderen ausgezischt, weil das Theaterpublikum es nicht liebe, in seinen drapaatischen Gewohnheiten gestört zu werden. Denn in seinem Stücke herrsche Mangel an Intrigue, Detailmalerei wiege vor, und ärmliche Personen niederen Standes treten auf, woran sich das Publikum erst gewöhnen müsse. Der Hauptgrund der üblen Aufnahme ist aber unstreitig der, dass die Leidenschaft gar nicht gezeichnet ist, welche die ganze Handlung bestimmt und schliesslich zum Verbrechen führt. Ferner begreift man unter französischen Verhältnissen nicht recht, wie Camille, der als körperlich schwach und geistig beschränkt geschildert wird, ein Hindernis für die beiden Liebenden sein kann. Das Ver- brechen ist durchaus nicht psychologisch erklärt. Dazu kommt der Gegensatz: die grossartige und tief ergreifende Schilderung von der Wirkung desselben. Dieser Mangel naturgemässen Zusammenhanges erzeugt notwendigerweise in dem Zuschauer eine Missstimmung, die ihn selbst beim Ausgang des Stückes nicht verlässt. Denn Therese und Laurent töten sich nicht etwa, um ihr Verbrechen zu sühnen, sondern weil sie das Leben unerträglich finden. Nicht ohne Bedeutung ist femer, dass es im ganzen Stücke fast gar keine tragische Verwickelung, keinen

Zola als Dramatiker. 37

Kampf um das erstrebte Ziel gibt; die Gelegenheit zur Be- seitigung Camille's bietet sich von selbst dar. Dergleichen mag der naturalistische Dichter wohl Öfter im Leben beobachtet haben^ aber nicht alle Lebenserfahrungen eignen sich zur dramatischen Bearbeitung. Der Zuschauer erwartet die Darstellung der Regel, und Regel ist im Leben der Kampf um ein erstrebtes Ziel. Darum muss der dramatische Dichter eine wohl erwogene Auswahl aus den Lebenserscheinungen treffen und ausserdem alles vermeiden, was zur dramatischen Handlung in keiner Be- ziehung steht. In einem Roman kann eine langweilige Schil- derung oder Unterhaltung mit unterlaufen; der Leser quält sich damit nicht und überschlägt sie; im Drama dagegen muss er sie mit anhören. Hier geht alles vom Mittelpunkte eines Kreises aus, über dessen Peripherie sich nichts entfernen darf. Das alles sind Regeln, die auch ein naturalistischer Dramatiker nicht unberücksichtigt lassen darf, da sie mit gewissen Lebens- wahrheiten zusammenhängen, welche das Drama nicht ent- behren kann.

Die beiden anderen Stücke erscheinen schon wegen der vielfachen Übertreibungen und Intriguen unbedeutender als das erste. In Les Heritiers Rdbourdin wird geschildert, wie der ehemals reiche Rabourdin sich schon bei Lebzeiten den grössten Teil seines Geldes von seinen dereinstigen Erben, Neffen und Nichten, hat aufzehren lassen. Dennoch erwartet jeder von denselben noch für sich eine reiche Erbschaft, eine ünwahr- scheinlichkeit, die sofort in die Augen fallen muss. Rabourdin hat in seiner Kasse kein Geld mehr, hat sogar das ihm an- vertraute Vermögen seines Mündels Charlotte verbraucht und entblödet sich nicht, indem er noch immer den reichen Mann spielt, von dem Verlobten derselben, Dominique, 300 Francs anzunehmen, obgleich ihm alle Aussicht zur Wiedererstattung fehlt. Trotzdem überbieten sich die Erben in Schmeicheleien und Geschenken, da jeder die ganze Erbschaft für sich zu ge- winnen hofft. Daher Intriguen und Überraschungen, die Charlotte wohl zu benutzen weiss, um ihr Geld und das ihres Verlobten in der Form von Geschenken, die für Rabourdin bestimmt sind, wieder zu gewinnen. Die Haupthandlung geht von dem Be- streben der Erben aus, sich gegenseitig auszustechen, um Rabourdin, der sich totkrank stellt und alle betrügen will, allein zu beerben. Diese Schilderung zieht sich durch das ganze Stück hindurch und muss für den Zuschauer bei den beständigen Wiederholungen ungemein ermüdend sein. Nachdem Rabourdin seinen Tot hat verkünden lassen, wird von seinen Nichten sein Testament ver- lesen, in denen er ihnen nur seine Schulden hinterlässt. Bald

38 G. Bornhak,

darauf erscheint er wieder und wird von den Betrogenen' mit Vorwürfen überhäuft. Voller Ingrimm nehmen sie ihre früheren Oeschenke mit sich und verlassen ihn. Jetzt klagt er, dass er keine Erben mehr hat, die ihm Geschenke bringen. Bald darauf erscheinen dieselben wieder und bringen die Geschenke zurück, um sich von neuem um den anscheinend kranken Oheim zu be- mühen und seine Gunst zu erlangen, da sie alles Vertrauen bei ihren Gläubigern verlieren würden, wenn sie nicht mehr für die £rben des reichen Rabourdin angesehen würden. Charlotte aber be- hält ihren Raub und bereitet sich zur Hochzeit mit Dominique vor.

Das Stück leidet ausser an den bereits erwähnten Mängeln unter dem Eindrucke einer geteilten Handlung. In der Mitte der einen steht Rabourdin, in der der anderen Charlotte, und zwischen beiden Personen teilt sich das Interesse bis zum Schluss.

Das dritte Stück: Le Bouton de Rose, spielt im Gasthause zum roten Hirsch, dessen Eigentümer der unverheiratete Ribalier und der sich eben mit Valentine verheiratende Brochard sind, von deren Hochzeit sich Ribalier gerade ermüdet weggestohlen hat, um sich zur Ruhe zu begeben. Einer seiner Gäste, Chamorin, erscheint, um sich über seine Frau Hortense zu beklagen, die ein geheimes Liebesverhältnis mit Ribalier unterhält. Er möchte sie gern bei einer Untreue überführen und dazu soll ihm Ribalier behilflich sein. Denn während er selbst beständig auf Abwegen geht und dabei stets von seiner Frau ertappt wird, ist es ihm bisher niemals gelungen, dieselbe zu überraschen. Nachdem Chamorin gegangen, erscheint Hortense, um sich Ribalier anzu- bieten und von ihm zurückgewiesen zu werden. Eine widerliche Szene ohne alle Begründung. Raum ist er eingeschlafen, so kommt Brochard, um ihm anzuzeigen, dass er in seiner Hochzeitsnacht nach Le Maus reisen will, um Kapaunen für die gemeinsame Wirtschaft einzukaufen. Seine neuvermählte Frau überlässt er zur Überwachung seinem Freunde Ribalier. Valentine, die alles gehört, erscheint; Brochard verabschiedet sich von ihr und über- reicht ihr zum Andenken eine Rosenknospe, die sie bis zu seiner Rückkehr bewahren soll. Hierauf kommt Chamorin noch- mals, um sich über die Untreue seiner Gattin zu beklagen, wes- halb er von Brochard hart angelassen wird, dann Jules, der Neffe Ribalier's, eine alte Liebschaft Valentinens, mit dem die- selbe einen Plan entwirft, um sich an ihrem Mann und Ribalier für die Überwachung zu rächen. Nun beginnt das Intriguenspiel. Valentine schweift trotz aller Überwachung im Gasthause umher, näht einem alten Bekannten, einem Kapitän, einen Knopf an und lässt sich zum Dank dafür von demselben umarmen. Selbst bei Ribalier versucht sie die Künste ihrer Verführung, aber er wider-

Zola cUs Dramatiker, 39

steht, wenn auch nicht ohne Schwanken. Eine Gesellschaft von Offizieren hat sich zum Gelage niedergelassen, die Valentine be- kannt sind. In ihrem Auftrage hat Jules einen Kapitän, einen Lieutenant und einen Sergeanten bestimmt, ihr nach einander den Hof zu machen und sich der von ihr empfangenen Gunstbezeu- gungen zu rühmen, wenn Ribalier zugegen ist. Dies geschieht zu dessen grösstem Erstaunen. Alle Offiziere umringen sie; sie singt ihnen ein Trinklied und alle singen den Refrain dazu, in den auch Ribalier einstimmt, nachdem man ihn trunken gemacht hat. Als er endlich mit Valentine allein ist, bedeckt er sie mit Küssen und wird dabei von Jules überrascht. Ehe sie sich in ihr Schlafzimmer zurückzieht, verspricht sie, Ribalier in demselben zu erwarten, da sie sich bei Nacht fürchte. Jules bestimmt Hortense, sich an die Stelle Valentinens zu begeben und so die lange erwartete Genugthuung zu erhalten. Ribalier geht in die Falle. Bei der nächtlichen Zusammenkunft glaubt er keine andere Dame vor sich zu haben, als Valentine, da sie nicht spricht. Als er aber stark an der Thür klopfen hört, meint er, Brochard sei zurückgekehrt und entflieht durch eine Nebenpforte, wobei er seinen Fingerring verliert. Darüber gerät er in die grösste Bestüreung. Er erwägt die Folgen seines Handelns und bittet Jules, ihn aus dieser Verlegenheit zu befreien. De)rselbe lässt jedoch das von ihm und Valentine angezettelte Komplott sich weiter entwickeln. Brochard erscheint in Wut, denn seine Reise ist vergeblich gewesen. Sein Geschäftsfreund in Le Maus hat ihn betrogen und er lässt nicht undeutlich durchblicken, dass er auch von Ribalier betrogen worden sei, da er die Rosenknospe, die er seiner Frau vor seiner Abreise zur Aufbewahrung über- geben, an Ribaliers Hut bemerkt, wohin sie Jules gesteckt hat. Der von Gewissensqualen gepeinigte Ribalier gesteht endlich, dass er in der vergangenen Nacht in Valentinens Schlafzimmer ge- wesen, und erklärt sich bereit, dem beleidigten Gatten mit den Waffen in der Hand Genugthuung zu geben. So weit lassen die Verschworenen die Sache kommen. Dann tritt Hortense mit ihrem Gemahl ein, um sich zu verabschieden. Sie trägt den Ring Ribaliers an ihrem Finger und sagt: „Ich werde ihn zu Eurem Andenken tragen." Brochard begreift sofort den ganzen Zusammenhang, über welchen ihn ausserdem noch Chamorin belehrt, und sagt lachend: „Man hat sich also über mich lustig gemacht?" und Valentine entgegnet ihm: „Ja, mein Freund, man lässt die Frauen nicht bewachen. Die Frauen bewachen sich alle allein." Auch die von Brochard beklagten Kapaunen kommen plötzlich an; die Freundestreue ist also gewahrt und alles andere vergessen. Ehre und Segen

40 (7. 'Bornhak, Zola als Dramatiker,

dem Gasthans zum roten Hirsch. Damit schliesst das Stück.

Wenn es ein Vorrecht der Posse ist, die Wirklichkeit zu übertreiben, zu karikieren, so hat dasselbe doch auch seine be- stimmten Grenzen. Denn jedes Eunstmittel, und das ist die Karikatur, verfolgt einen bestimmten Zweck. Wenn Ribalier und Brochard karikiert werden, so hat das den bestimmten Zweck, sie in ihrem Unternehmen, eine Frau zu überwachen, lächerlich zn machen. Was soll man aber zur Karikatur Yalentinen's sagen? Sie ist erstens für die Tendenz des Dichters zwecklos und zweitens widerlich. Man denke sich eine eben verheiratete Frau, die sich von allen Männern, die ihr in den Weg treten, den Hof machen und abküssen lässt und hinterher die treue, tugend- hafte Gattin spielt, weil sie einer anderen Dame ihre Stelle bei einem verabredeten Rendezvous überlassen hat. Ihre Behauptung: „Die Frauen überwachen sich alle allein!*^ ist damit nicht bewiesen. Sie musste im Gegenteil, wenn der Dichter seinen Zweck erreichen wollte, als treue, tugendhafte Gattin ge- zeichnet werden, die durch ihre Haltung alle Bestrebungen der Überwachung lächerlich machte. So ist sie ein Zerrbild, das gerade das Gegenteil von dem beweist, was der Dichter be- weisen wollte.

G. BOBNHAE.

Moderne französische Romanschriftsteller.

Jori8 Karl Hnysmans. I.

Di

y^Je fais ce que je 4)o%s, ce que je vis, ce que je sens, en Vecrivani le moins mal que je puis. Si c*est le naturalisme, tant mieux.^

'ie Familie HuysmanB stammt aus Holland. Der Vater des Romanschriftstellers J. K. Huysmans, Godfried Huysmans, war Maler und stammte aus Breda. In Paris, wo er Rue Suger 11 wohnte, wurde ihm von seiner Frau, der Tochter eines Ministerialbeamten Görard, ein Knabe geboren, der die Namen Joris Karl erhielt. Durch Abstam- mung und Geburtsort ist Hiiysmans somit ein französischer Nieder- länder oder ebensogut ein niederländischer Franzose. Beide Nationali- täten spiegeln sich in seinen Eunstprodukten wider, die stets die Neigung verraten, mit Worten zu malen und über Maler zu sprechen. Mehrere seiner Vorfahren waren Maler. Ein Oheim gab Unterricht im Zeichnen und Malen in Breda und Tilburg. Unter seinen Ahnen steht auch Cornelis Huysmans, von dem das Louvre Gemälde aufzuweisen hat.

Huysmans' Romane und Novellen selbst erzählen uns, welch alt- modische klassische Bildung er in seiner Jugend erhalten hat. Er be- suchte eine jener Schulen, in denen man jahrelang nichts als Lateinisch lernt, und wo die spes patriae in grosser Anzahl sich zusammenfindet, um sich an den armen pions (den Aufsehern über die Schularbeiten der Knaben) für die Langeweile der endlosen Schulstunden zu lachen. Huysmans, der in jedem seiner Romane, in allen seinen Novellen etwas aus seinem eigenen Leben, aus seinen Träumen und Leiden erzählt, hat uns den Aufenthalt in der Schule in seinem Roman En manage geschildert.

Sehr anschaulich beschreibt er da, wie er in seinem achten Lebensjahre weinend in .die Schule eintritt; wie ihn seine Eltern Sonntags von dort abholen, während andere, die keine Angehörigen haben, in den einsamen Schullokalen unter Aufsicht des mürrischen pion zurückbleiben, der sie nicht einmal aus dem Zimmer gehen lässt, wenn sie den Finger in die Höhe streckten um zu fräsen: „Esi-il per- mis de soriir?^ Er erzählt uns, wie der Gedanke, abends wieder in die Schule zurückkehren zu müssen, ihm stets seinen freien Sonntag verdorben habe. Schon bei Tische sah man nach der Uhr. „Tummle Dich", sagte die Mutter, „es wird bald Zeit!" Die Mahlzeit war erst

42 Jan ten Brmk,

halb za Ende, da steckte man ihm sein Dessert in die Tasche, ein eiliger Abschied dann bi*achte ihn das Dienstmädchen in die Schule zurück. Wie unangenehm berührten ihn die belebten Strassen. Voll Neid sah er die Kinder der Armen sich frei herumtreiben. Er schielte nach den grossen Anschlagzetteln der Theater, und ärgerte sich, dass er zurück in die Schule musste. Er wäre gern langsam gegangen, aber die Magd trieb zur Eile, sie hatte Ausgangstag.

In der Schulstube war alles dunkel. Man glaubte in einen Keller zu kommen. Als das Dienstmädchen fort ging, wäre er beinahe in Thränen ausgebrochen. Sein Weg ging in den Schlafsaal. Der pion drohte mit Strafe, wenn man beim Treppensteigen zu hart aufbrat.

Der Eindruck, den das Schulleben in Huysmans zurückgelassen hat, ist ein bleibender. Es bildet sich geradezu Hass gegen die pions in ihm aus, obgleich er einsieht, dass das Leben dieser Unglücklichen keineswegs beneidenswert sei. Dann beklagt er sich über die schlechte Kost, die in steter Regelmässigkeit abwechselnd, immer dieselbe bleibt: fettes Hammelfleisch und Möhren mit warmem Wasser Montags ; Kalbfleisch und schlechter Käse Dienstags; Rüben mit brauner Sauce und Sauerampfer Donnerstags, lauter Speisen, die ihn krank machten; Makkaroni ohne Käse, ungeniessbare Erbsensuppe und in verbranntem Fett gebackene Kartoffeln.

Er äussert sich sehr bitter über die kalten Schlafzimmer, deren Fenster par raison dhygiene beständig offen blieben; dessenungeachtet herrschte im Sommer eine dumpfe ekelerregende Atmosphäre. Früh um sechs rief der Stiefelputzer die armen Jungen wach. Freilich klagt er auch in echter Knabenungerechtigkeit, wie er sich Jahr aus, Jahr ein an den „plumpen Witzen des Horaz und den dummen Auf- schneidereien des Homer ^ hätte erlustigen müssen. Diese Worte zeigen, dass Huysmans schon als Knabe die krankhaft unzufriedene Stimmung kannte, die im Anfang des 19. Jahrhunderts die Welt beherrschte, und die man in Deutschland „Weltschmerz^, in England „Spleen^ zu nennen pflegt, eine Stimmung, die den späteren Philosophen höchst wichtige Bausteine für ihre Theorien über den Pessimismus geliefert hat; em Zug der Zeit, der sich unter dem einförmigen russischen Himmel und unter dem Zusammenwirken von traurigen, historischen Ereignissen zu dem trostlosen Prinzip des Nihilismus entwickelt hat.

Der arme Junge klagt ferner, dass er Racine und Virgil, Cicero und Boileau auswendig lernen muss, dass er dagegen nichts Nützliches lernt; dass er Montags voll Verzweiflung die lange Woche begann, dass erst Donnerstag ein Hoffnungsschimmer m ihm erwachte, endlich werde doch wieder Sonntag kommen. Seine einzige Freude war die grosse Ferienzeit im Juli, und die Vorfreude darauf, wenn die Jungen mit ganz ausserordentlicher Ungeduld sich anstrengten, wie sie über die unglückseligen pions ein Strafgericht ergehen lassen konnten.

Was auch in diesen Klagen übertriebenes sein möge, sicher ist es doch, dass Huysmans keine glückliche Jugend hatte. Er erfuhr nur allzufrüh, dass die Leiden der Armut die Kinder unbemittelter Eltern schwer niederdrücken. Seinen Vater scheint er früh verloren zu haben. Nachdem er die vorgeschriebenen Examen abgelegt hatte , gab er Unter- richt an Kinder begüterter Familien. Eine Erbschaft, die ihm ein Bruder seiner Mutter hinterliess, rettete ihn aus der tiefsten Bedrängnis.^)

1) Man lese darüber seinen Roman En mdnage^ Paris, 1881. Charpentier. S. 42 54.

Moderne französische Romanschrifisieller. 43

Der junge Huysmans war beim Beginn des deutsch-französischen Krieges zweiundzwanzig Jahre alt. Er trat als Freiwilliger in die französische Armee ein, wie er dies uns selbst in der Novellensamm- lung Les Soire'es de Medan in der Erzählung Sac au dos schildert.

Sie fängt so an: „Als ich meine Schulzeit absolviert hatte, suchte ich auf den Wunsch meiner Familie den gefürchteten grünen Tisch auf, um den mehrere alte Herren sassen, die voll Eifer untersuchten, ob ich genug von den toten Sprachen wisse, um zu dem Rang eines bachelier zugelassen zu werden.

„Ich legte ein gutes Examen ab. Ein gemeinschaftliches Mahl versammelte die ganze Familie um mich her; man sprach über meine Zukunft, und entschied sich dahin, dass ich Jurisprudenz studieren sollte.

„Bald stand ich vor meinem ersten akademischen Examen. Ich verkehrte viel im Quartier laiin, woselbst ich die Bekanntschaft von Studenten machte, die alle Abende bei einem Glas Bier ihre politischen Meinungen austauschten. In dieser Zeit las ich die Werke von Georges Sand und Heine, von Edgar Quinet und Henri Murger.

„So verlief ein Jahr. Die allgemeinen Wahlen vor dem Zu- sammenbruch des zweiten Kaiserreichs (Mai 1869) Hessen mich kalt. Da ich weder einen Senator, noch einen Ausgewiesenen Vater nannte, musste ich mich ja unter jeder Regierung dem Zustande von Dürftig- keit und Entbehrung, in dem meine Familie schon lange lebte, unter- werfen.

„Meine juristischen Studien machten mir wenig Freude. Mir war, als hätte man die Gesetzentwürfe absichtlich so schlecht geschrieben, um gewissen Leuten genügende Gelegenheit zu kleinlichem Streite über dies oder jenes Wort zu geben, und noch heute steht es bei mir fest, dass ein deutlich formulierter Satz niemals Gelegenheit zu vielerlei Deutungen geben kann.

„Ich dachte über diesen oder jenen Beruf nach , den ich ohne inneren Widerstreit hätte ausüben können, als mir plötzlich der Kaiser selbst einen verschaffte: die Ungeschicklichkeit seiner Politik machte mich zum Soldaten."

Der Exkaiser Napoleon III. starb am 9. Januar 1873 zu Chisle- hurst. Huysmans' Novelle, oder besser gesagt, Lebensgeschichte aus den Jahren 1870 und 1871 erschien gegen 1880. Die düstere, nieder- geschlagene Stimmung aus der Armut und Entbehrung seiner Knaben- und Jünglingsjahre erzeugt spricht deutlich aus dem Anfang des Sac au dos.

Huysmans wurde Soldat, obgleich er sich für den Krieg durchaus nicht begeistern konnte. Er wurde der garde mobile de la Seine zu- geteilt, ging fortan in dunkelblauer Jacke und hellblauer Hose mit breitem, roten Streifen, und zog an einem gewitterschwülen Jaliabend mit einem schweren Ranzen auf der Schulter an die bedrohten Grenzen. Vorläufig musste er in Chälons bleiben, woselbst die jungen Soldaten an allem Mangel litten, wo nichts geordnet war; keine Kantine, kein Stroh, keine Mäntel, keine Waffen; nichts war da.

Schon nach Verlauf einiger Tage machte ihn die Feuchtigkeit seines Zeltes krank. Man bringt ihn in eine überfüllte Ambulance, gibt ihm einen grauen Mantel mit Kapuze, eine rote Hose und eine weisse Schlafmütze. Der Lazarettarzt zeigt sich gegen seine Patienten als unerträglichen Tyrannen. Noch nicht vollständig wieder her- gestellt, muss Huysmans die Uniform wieder anziehen: die Preussen nähern sich Chälons. Noch sehr schwach, litt er ganz ausserordentlich bei der Eisenbahnfahrt. Wenn er es nicht selbst erzählte, würde man

44 Jan ten Brink,

kaum glauben, dass französisclie Soldaten unterwegs die Büffets fran- zösischer Bahnhöfe plünderten. Immer noch leidend kam er, ohne sich daselbst aufhalten zu können, in Paris an; weiter ging es nach Arras, wo er Aufnahme im städtischen Hospital fand, nicht im Hotel des Erzbischofs, der seine Gastlichkeit nur Verwundeten, nicht aber Kranken angedeihen Hess.

Die ganze Kriegszeit hat Huysmans in Hospitälern und Ambu- lancen zugebracht ; am längsten war er in Evreux. Nachdem der Krieg und das Leid der Kommune vorüber waren, widmete er sich endlich der litterarischen Thätigkeit.

"Von seinem weiteren Leben bleibt nur wenig zu berichten. Huysmans verstand die Kunst nicht, Kapital aus seinen Arbeiten zu schlagen, arbeitete auch mit wenig Leichtigkeit ; so stellte es sich bald heraus, dass er von seiner Feder nicht leben konnte. Glücklicherweise fand er eine Stellung im Ministerium des Innern; heute hat er es bis zum sotis-chef-de bureau gebracht.

Von 1874—1887 veröffentlichte er: 1874. Le Drageovr aux epices. Paris. Dentu, (Erste Auflage ver- griffen, zweite Auflage, Paris, Maillet, 1875, ebenfalls.) 1876. Marthe. Brüssel. Jean Gay. (Vergriffen.) Zweite Auflage unter dem Titel: Marthe, histoire d*une fille. Avec une eau- forte impressioniste de J.-L. Forain. Paris. Derveaux. 1879.

1879. Les sceurs Vatard. Paris. G. Charpentier. (Fünf Auflagen.)

1880. Croquis Parisiens, (Eaux-fortes de Forain et Rafa^Ui.) Paris. Henri Vaton, (Prachtausgabe auf Büttenpapier mit roten An- fangs- und Schlussvignetten, sowie Initialen.) Vergriffen. Zweite Auflage : Imprime dans le format presque perdu de quel- ques eucohges, Nouveüe Edition, augmentee aun certain nomhre de püces et (Tun portrait, Paris. Läon Vanier, fiditeur des Modernes, 1886.

1881. En Menage, Paris. G. Charpentier. (Vier Auflagen.)

1882. A veau feau. Brüssel. Kistemaeckers. Vergriffen.

1883. L*Art moderne. Paris. G. Charpentier.

1884. A Rehotvrs, Paris. G. Charpentier & C*^

1886. En Rade. Roman, erschienen in der Revtte indäpendante 1886—1887.

Femer schrieb Huysmans:

1880. Sac au dos, in Les soirees de Me'dan. Paris, Charpentier, 1880. Zehn Auflagen.

1881. Pierrot sceptique, avec dessins en couleur de Cheret. Mit Läon Hennique. Paris. Rouveyre. (Vergriffen.)

1887. Vn dilemme. Paris, Tresse & Stpck.

IL

Alle Werke Joris Karl Huysmans' einer sorgfältigen Analyse und gründlichen Kritik * zu unterwerfen , liegt nicht im Kahmen der Zeitschrift.

Die seine Eigenart am meisten charakterisierenden sind Marthe, die Croquis Parisiens, En Manage und zumal A Rebours.

Als Huysmans 1874 das Gebiet der Litteratur betrat, hatte eben ^mile Zola durch seine fünf ersten Romane aus dem Zyklus der Rougon- Macquart die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Im

Moderne französische Romanschrifisteüer, 45

Jahre 1874 war gerade einer seiner besten Romane: La Faute defabbe Mouret erschienen. Zola hatte seiner Kunstrichtung den Namen Natu- ralismus gegeben; es war dieselbe Richtung, die bereits Henri Beyle, Honor^ de Balzac , Gustave Flaubert eingeschlagen und zur Anerkennung gebracht hatten.

Huysmans hat den Kampf zwischen den als Naturalisten neu- erstandenen Realisten und der alten Garde der Romantik, welch letztere oft durch die Sauvegarde des Klassizismus verstärkt wurde, redlich mitgekämpft. Die Wechselfälle des Pariser Lebens brachten ihn in Zola's Kreis und in Verbindung mit dem Pariser Verleger George Char- pentier. Das ist der Grund, warum man ihn, was er auch geschrieben hat, als Naturalisten beurteilt. Das wäre noch kein Anlass, ihm voll Antipathie entgegenzutreten; im Gegenteil, Huysmans hat das Recht zu verlangen, dass man ihm ausserhalb des Zola'schen Ejreises und der Neunaturalisten als ursprünglichen Künstler betrachte.

Die Dichtung ist eine göttliche Kunst, deren Aufgabe es ist, das Leben der Menschen zu adeln und sie im täglichen Daseinskampfe zu stützen. Mögen andere Musen und deren Priester und Priesterinnen ebenfalls Schönes schaffen, man wird es gern anerkennen; aber be- geistert sollte man immer hinzufügen, dass trotz des immer mehr zu- nehmenden Niederganges unter Schriftstellern, Dichtern und Kritikern, die Dichtung doch immer und vorzugsweise ein Herzens- trost ist.

Als man Huysmans einst fragte, ob er zu Zola's Schule und zu den Bekennern der naturalistischen Lehre gehöre, antwortete er:

„Je iwus rdponds iout simplement que je fais ce qiie je vois, ce que je vis, ce que je sens, en fecrivant le moins mal que je puis. Si c'esi le naturalisme, iani mievx. Au fond, U y a des e'crivains, qtU ont du talent et d'autres qm h*en oni pas, qu*ils soient naturalistes , ro- maniiqites, decadents, ioui ce que vous voudrez, fa fn*esl egal! 11 s^agii pour moi d*avoir du talent, et voilä tout})

Man glaube durchaus nicht, dass dieses Wort so einfach sei, wie der praktische Beweis des Columbus, dass ein Ei auf der Spitze stehen könne. Talent zu haben ist ja das Alpha und Omega der litterarischen Kunst. Manche glauben zwar, dass kein Schriftsteller Ruhm erwerben könne, wenn er nicht eine bestimmte philosophisch-ästhetische Richtung vertrete ; dass man von einem Romanschriftsteller absolut sagen müsse, ob er eine klassische, romantische, realistische, naturalistische, mystische, impressionistische oder nihilistische Überzeugung habe. Besser als all dies ist sicher die Göttergabe des Talentes, die Fähigkeit, es zu zeigen. Es gibt Leute, die von dem sehr gefährlichen Grundsatz ausgehen, dass Schriftsteller reiferen Alters stets von jüngeren übertroffen werden müdsten, dass die jüngeren gewöhnlich die neuen Zukunftsbahnen frei fegen. Besser als jung sein, und solchen Hirn^espinnsten nachzuhängen ist die Göttergabe des Talentes, die Fähigkeit, es zu zeigen.

Huysmans, der Mann mit grossem Talente, beweist dies durch sein Beispiel.

Wir übergehen seine ersten kurzen Skizzen, wie zum Beispiel Le Drageoir aux äpices, und erwähnen sein merkwürdiges Buch : Marthe, histoire d^une füle, mit dem er darthat, dass er einst ein bedeutender Schriftsteller sein würde. Über den Inhalt des Buches haben wohl manche

^) Les hommes d'aujourd^hui, von A. Meunier, 6. Band, No. 263, Paris, Vanier, Quai Saint Michel, 19.

46 Jan ien Brink,

den Kopf geschüttelt. Huysmans war jedoch durchaus nicht der erste, der ihn in die französische Litteratur einführte. Schon im Jahre 1622 hat Charles Sorel mit seiner Bistoire comique de Fraficion nach dem Vorbild eines Aleman und Quevedo eine Art Schelmenroman ge- schrieben, worin Gaudiebe und abenteuerliche Frauen vorkommen, die ihre Zuchtlosigkeiten mit beispielloser Unverschämtheit verkündigen. Scarron schlug 1650 in seinem Roman Comique keinen anderen Ton an; seine herumziehenden Komödianten sprechen und bewegen sich ganz im Geist der spanischen Picaros. Dasselbe gilt von zahlreichen untergeordneten Schriftstellern, wie du Lannel (Roman Saiyrique, 1624), Mareschal (ChrysoUte, 1627), Fran^ois Tristan l'Hermite (Le paae dis- gracid^ 164S) und Antoine Furetiäre (Le Roman botirgeois, 1666).^

Im achtzehnten Jahrhundert ist Le Sage zu nennen, und es gab der Abbä Pr^vost eine hiMoire de fiUe, als er 1732 die Histoire de Manon Lescaut et du Chevalier des Orieux vollendete.

Mit diesem Buche fängt der psychologisch -erotische Roman an, den Restif de la Bretonne weiter püegt in Le pied de Fanchette ou Corfeline fran^ise, histoire interessante et morale, 1769, und ihn auf Henri Beyle (Le Rouge et le Noir, 1831) verpflanzt; der in unseren Tagen vom jüngeren Dumas (La Dame aux cametiasj, von Georges Sand, von Flaubert (Education sentimentale), von den Gebrüdern de Goncourt und einem ganzen Heer mittelmassiger Nachfolger weiter bebaut wird.

marthe von Huysmans hat am meisten Verwandtschaft mit Ed- mund de Goncourt's La fille ,Elisa. Vhisioire d'une fiüe erschien am 12. September 1876, La ßle Elisa am 20. März 1877. Das geistige Band, das Huysmans und de Goncourt verknüpft, ist leicht nachzu- weisen. Beide sind durch und durch Künstler, beide sind begeistert von Malerei, Bildhauerkunst, Kupferstechkunst.

Huysmans vergleicht Marthe mit Saskia, Rembrandt's erster Frau; er lässt seine Marthe eine Kopie von Jordaens Dreikönigs- fest bewundern, und sie gedankenvoll vor einem Stich nach Hogarth (das dritte Blatt von The Rakes I^ogress^ still stehen. Marthe, die Tochter aus der unglücklichen Ehe zweier elender Abenteurer, zeigt dabei so viel Geschmack, dass sie ihn nicht von ihren Eltern geerbt haben kann. Ähnliches kommt bei fast allen Personen des Buches vor.

Weder Marthe, noch Elisa, noch Nana sind die ersten unter den weissen Sklavinnen, die einem Romanschreiber zum Modell gedient haben.9) Der jüngere Dumas hat seiner Marguerite Gauthier eine ge- wisse Berühmtheit zu verschaffen gewusst, <Se nach Verdi's D'aviata noch zunahm. Schon Manon Lescaut gehört der Kaste an, die der Niederländer Bredero „die grosse Gilde" nannte.

Man darf Huysmans nicht wegen seines Stoffes über die Achseln ansehen. Ein spanischer Dominikanermönch, Andreas Perez, genannt Ubeda, schrieb 1605 einen Roman: La Picara Justina, der, wie La Tia fingada von Cervantes, die spanischen weissen Sklavinnen mit viel

^) Man vergleiche H. Koerting: Geschichte des französischen Romans im XVIL Jahrhundert, Bd. II: Der Realistische Roman,

2) Marthe, zweite Auflage, S. 68—70.

8) Ary Prins, der einen sehr guten Artikel über Huysmans schrieb (Nietiwe Gids, 1. Juni 1886) ist daher im Unrecht, wenn er sagt: In der Marthe hat Huysmans zuerst unter allen modernen Roman- schreibern die gefallene Frau ohne alle Sentimentalität, in ihrem vollen Elend mit all mren guten und schlechten Eigenschaften gezeichnet.

Moderne französische Romanschriftsteller. 47

weniger Vorsicht und Decenz vorführt, als der Abb^ Er^vost, DumaR, Huysmans, de Goucourt oder Zola es thun.

Von mehr Gewicht ist der Vorwurf, dass HuyRmans seinen Gegenstand in einer gewählten, künstlerischen Sprache behandelt, von der die Wirklichkeit, das schmutziggraue Kolorit seines Stoffes, sehr auffällig absticht. Warum er in schillernder Künstlerlaune das gefähr- liche Wagstück unternahm, beschreibt er selbst, wenn er die Grübeleien Leo's schildert, des Schreibers bei einem Journalisten, der Marthe im Ihe'ätre de Boimo hat singen hören, nnd ihr nun mit gutgemeinten, schlechten Sonetten huldigt.

Da Huysmans jedem seiner jungen Helden einen Teil seiner eigenen Individualität verleiht, findet man ihn auch an Leo (in Marthe) teilweise wieder. Leo ist sehr früh selbständig geworden, hat seine Freiheit missbraucht und ist das Opfer seiner Leidenschaften geworden. Sein schriftstellerisches Talent, das die Künstler zwar sehr hoch stellen, das aber alle ehrbaren Philister mit Entsetzen erfüllt, hatte ihn ver- leitet, von seiner Feder, d. h. in Hunger und Entbehrung zu leben. Es gab AugenblickOi in denen er seine Künstlerträume in geniale Prosa zu kleiden verstand, in eine Form verwandt mit den fremdartigen Schemen, die das wilde Talent Goya's ins Leben gerufen hatte. Auf die Tage des Schaffens folgten dann Tage tiefster Niedergeschlagenheit, in denen er keine vier Zeilen schreiben konnte.

Seit einem halben Jahrhundert beherrscht die französischen Kunstkreise eine ganz wunderbar erscheinende Verehrung für den Spanier Goya. Wie der Maler Goya, wie der Romanschreiber Hoffmann, so hiess es schon zu Zeiten Thdophile Gautier's und G^rard de KervaPs. Und einmal in die Mode gekommen, verschwanden beide Ausländer nicht wieder von der litterarischen Bühne. Später kommen noch Shelley, Edgar Allan Poe und de S^nancourt dazu, nnd was die all- gemeine Meinung einmal als genial gestempelt hatte, das blieb lange, ja bis zum heutigen Tage ein Geffenstand tiefster Verehrung.

Wir kehren zu Huysmans Helden Leo zurück. Um den Ge- mütszustand des Verfassers noch deutlicher hervortreten zu lassen, berichten wir noch, dass dieser in seinen Träumereien, die aus einer zu starken Überreizung seiner Nerven geboren sind, beständig das Bild einer idealen Geliebten vor sich schweben sieht, einer von Rembrandt gemalten Frau, einer Frau von wunderbarer Pracht der Schönheit, deren Augen in der unbeschreiblichen Glut, in der melan- cholischen Lebenslust du chefd^cßuvre du Van Rhm, la femme du saion caj-re au Louvre leuchten.

Die letzten Worte, die wir hier unübersetzt wiedergeben, zeigen mit ihrem dreimaligen du^ mit dem wunderlichen Namen Van Rhin allein schon das Unfertige, Unreife in diesem ersten Buch, und der Verfasser war selbst der erste, der die Mängel seiner Arbeit einsah. Marthe erschien 1876 in Brüssel und wurde von der französischen Regierung in den Index aufgenommen. Es ging damit, wie mit dem Prozess über Flaubert's Madame Bovary, es ist die alte Geschichte vom Splitter und Balken. Das Verbot stellte sich übrigens als ganz überflüssig heraus. Erst im Jahre 1879 erschien eine zweite Auflage der Marthe in Paris bei Derveaux mit einer impressionistischen Radirung von Forain, die ich, mit Erlaubnis gesagt, abscheulich finde.

Huysmans gesteht es in einem Avant-propos zur zweiten Auf- lage selbst ein, dass seine Marthe ein roman naturaliste und sein Stil tourmente ist. Er gibt das Buch jedoch auch zum zweiten Male, wie es eben ist, avec ses defauts et ses audaces de jeunesse.

48 Jan ien BHnk,

Wir bleiben nicht länger bei diesem Erstling seiner Muse stehen. Huysmans hat uns noch andere Proben seines Talentes gegeben. Das zeigt schon sein zweites Buch Les soeurs Vatard.

Ein kurzes Wort über den Inhalt vorweg. Huysmans erzählt die Geschichte der Schwestern Vatard, die in einer Pariser Fabrik, in den aieliers de satinage et de brochure de la maison De'bonnaire ^ C beschäftig sind. C^une und D^sir^e sind die Töchter eines Arbeiters, der in seinen alten Tagen von einem sehr ärmlichen Jahrgehalt lebt. Die älteste ist ein verlorenes Geschöpf, die jüngste führt sich tadellos auf. Ein junger ouvrier macht ihr den Hof, aber der alte Vatard will seine Tochter nicht hergeben, er hat sie im Haushalt nötig. Sie spart ihm die Kosten einer Putzfrau. D^sir^e kann ihren Geliebten nur sehr selten sprechen. Die Liebe wird schwächer und schwächer. D^sir^e wird krank. Schliesslich heiratet sie einen braven Arbeiter, der zu seinem Schwiegervater ins Haus zieht. Der Hauptschauplatz der Erzählung ist die Fabrik von Döbonnaire & C**. Ein wüstes Durcheinander von hässlichen Menschen und hässlichen Dingen ist da zusammengebracht. Die ouvrieres, arme Frauen in schmutzigen Lumpen, leben in einer ungesunden Atmosphäre, die der Geruch von nassem Papier, Stärke und wer weiss was noch verdirbt.

Die meisten Pariser Blätter fielen den Roman mit grosser Er- bitterung an. Nur zuweilen sprach ein Freund oder Geistesverwandter zu seinen Gunsten. Huysmans' Meister, Zola, beurteilte die Dichtung im Voltaire sehr günstig. Er preist die Wahrheit in der Zeichnung der armseligen Arbeitsleute und deren dürftigen Wohnungen im fünften oder sechsten Stock. Dass der Roman keine Verwicklung hat, nicht einmal fesselnd erzählt ist, wird charakteristisch genannt. Toni Cari moderne est lä.^) Die gewissenhaft gezeichnete alte Vatard und seine beiden Töchter gereichen dem Verfasser zur Ehre. Schlechte und brave Arbeiter- kinder wie Coline und D^siräe kommen im Pariser Leben täglich vor. Die lang genährte und endlich getäuschte Hoffnung D^sirde's, ihre melan- cholischen Spaziergänge und Unterhaltungen mit dem braven Arbeits- mann, verdienen unbedingt das ZoWsche Lob. Eine solche Liebe auf der Strasse rührt um so mehr, je mehr sie mit der Wirklichkeit über- einstimmt, je öfter sie auf dem Boulevard oder Faubourg beobachtet werden kann.

Huysmans konnte sich kein liebenswürdigeres Urteil wünschen als das Zola's. Ich selbst stelle mich auf einen vollständig neutralen Standpunkt, ohne jedes Für noch Wider inbezug auf den ästhetischen Grundsatz der beiden Schriftsteller ; mein Urteil über Les sceurs Vatard lautet abweichend von dem Zola's. Als Studie, als Beitrag zur Kenntnis der Arbeiterfamilien ist das Buch vortrefflich. Das von Zola selbst in seinem L Assommoir gegebene Beispiel hat den jungen Romanschrift- steller begeistert. Aber er hat übersehen, dass ein Sujet, wie das im Assommoir gewählte, einen erschütternden Eindruck machen muss, und dadurch manchen Einwand entkräftet. Trunksucht, die Totsünde des armen Arbeiters auch anderer Menschen zum Thema für einen Roman aus dem Volksleben gewählt^ das ist ein Gegenstand, der Tausende von Lesern, litterarisch gebildete und unlitterarische fesselt. Dazu kam noch, dass Zola mit einer ausserge wohnlichen plastischen Kraft jede einzelne Gestalt seines Buches sich vor der Phantasie seiner Leser

^) ämile Zola, Le Roman expermental (Paris 1886 bei Charpentier), S. 242.

Moderne französische Romanschriftsteller. 49

handelnd bewegen Hess. Dieses plastische Talent ist einem Roman- schriftsteller, der den Beifall eines grossen Leserkreises erringen will, unumgänglich notwendig. Huysmans aber ist kein Plastiker; er ist nur Maler, vielleicht sogar weniger als das. Er skizziert mit Kohle, und übertrifft in zierlichen Kunsteffekten manchmal selbst Zola, aber seine Gestalten überwinden niemals das Skizzenhafte und Unbestimmte von Kohlenzeichnungen.

III.

Von diesen Holzkohle -Skizzen kenne ich keine vollendeteren als die Croguis Parisiens, kurze Gedichte in Prosa, zweimal aufgelegt, mit Einschaltung einiger Skizzen aus der ersten Sammlung Drageoir aux Epices. Dies Buch zeigt deutlicher als irgend ein anderes, dass Huysmans durch und durch ein Künstler ist. Diese kleinen Gedichte sind voll überraschender Züge, und schon die Titel der Skizzen sprechen es aus, dass Huysmans Gedichte in Prosa schreibt, wie weiland Aloysius Bertrand und der nun wieder hochgepriesene Charles Baudelaire, der Verfasser der Petits poemes en pi'ose. Huysmans überschreibt nämlich eine seiner bizarrsten Skizzen Ballade en prose de la chandelle des six; eine andere: Le poeme en prose des viandes cuites au four. Das Gedicht von den „Kerzen, sechs aufs Pfund", umfasst sechs Strophen, die alle auf denselben Refrain enden:

0 chandelle des six^ gräsiUante chandelle.

Die hübscheste Strophe dieses Prosagedichts ist die vorletzte, sie lautet:

„Wenn du, vom Petroleum und anderem Kunstlichte vertrieben, nicht einmal mehr von den Armen gebraucht wirst, so bist du doch gefeiert, mehr als eine Königin je gefeiert worden ist, du qualmende Kerze! Rembrandt, Gerard Dou, Schalken haben dich in unsterblichen Werken gefeiert; sie haben dich den rosigen Schnee der Wangen und Busen verklären lassen und die flatternden Locken der schönen vlämischen Frau, die mit der Hand deine Flamme vor dem Luftzug schützt, 0 chandelle des six, gresiUante chandelle. "^

Ich lasse ein anderes folgen, das der Dichter Ritournelle nennt:

„Ihr verstorbener Mann, der Vater ihrer drei Kinder, schlug sie, 80 lange er lebte, und starb elend, an übermässigem Absinthgenusse."

„Seitdem watet sie durch den Schlamm der Strassen ihrem Hand- wagen nach und kreischt mit gellender Stimme: Schöne Waare! Kauft!"

„Sie ist unbeschreiblich hässlich. Sie ist ein Scheusal, mit einem feuerroten Kopf auf dem Halse eines Athleten; ihre Augen sind blut- unterlaufen, ihre mit Schnupftabak gefällte Nase ist eine wahre Habichtsnase."

„Ihre drei Kinder hungern; für sie durchwatet sie den Schlamm der Strassen, für sie schiebt sie den schweren Handkarren und schreit : Schöne Waare! Kauft!"

„Ihre Nachbarin ist gestorben."

„Der verstorbene Mann der letzteren, der Vater ihrer drei Kinder, schlug sie, so lange er lebte und starb elend, an übermässigem Ab- sinthgenusse.

Zschr. f. frz. Spr. n. Litt. XH. 4

50 Jan ien Brink,

„Das hässliche Scheusal hat die drei verwaisten Kinder zu sich genommen!^

„Die sechs Kinder hungern ! Sie muss doppelt so viel arbeiten ! Ohne Rast und Ruhe durchwatet sie den Schlamm der Strassen, schiebt ihren Handkarren und kreischt mit gellender Stimme: Schöne Waare! Kauft!«

Der Vorzug dieser Prosaidyllen ist, dass Huysmans hier häufig feiner und akkurater zeichnet, dass er die Holzkohle auf die Seite legt und zur Radiernadel greift.

Die zwei grössten Stücke aus Croquis Parisiens sind in der That wie mit dem Grabstichel entworfen ; es sind Les Folie s- Berger e und Le Bai de la Brasserie europe'enne. Man erinnere sich der sorgfältig aus- geführten Aquarellen in Zola's üne Page d^amour. Es sind Ansichten von Paris; Paris im wechselnden Tageslicht, bei Sonnenschein, bei Sturm und Regen. Huysmans malt in gleicher Weise das Innere der Häuser. Er radiert den früher allgemein besuchten Vergnügungsort Les Folies- Bergere, und als Seitenstück dazu einen Soldatenball in Grenelle, einem der abgelegensten Viertel von Paris.

Die Seiltänzerkünste zweier Akrobaten, eines Engländers mit seiner Frau, die an Trapezen hängen und sich hoch an der Decke des Darstellungsraumes hin und her schwingen, während das opalfarbige elektrische Licht sie mit einem silbernen Nimbus umgibt, diese Künstler, von denen einer am Schluss unter plötzlichem Verstummen der Musik, nach einem heftigen Knall das Trapez loslässt , um von dem anderen aufgefangen zu werden und in ein grosses Netz zu fallen, diese in unserem Jahrhundert so hoch bewunderte Muskel Virtuosität, diesen kindischen Genuss eines Haufens von Müssiggängem und Tagedieben beschreibt Huysmans meisterhaft in dem glänzendsten Französisch, das man sich nur denken kann. Der Jubel des Publikums, wenn das halsbrecherische Stück gelungen ist, das Erscheinen der Luftspringer nach dem Hervorruf, die Verbeugungen des Mannes, die Kusshände der Frau, und der kurze, kindische Trab, in dem sie die Bühne ver- lassen , nichts ist vergessen.

Noch ausführlicher und nicht weniger genial ist der Soldaten- ball in der Brasserie europeenne geschildert. Huysmans sitzt unweit zweier Bürgerfrauen, Madame Haumont und Madame Tampois. Man tanzt auf Asphalt unter einem Glasdach, das eiserne Pfeiler stützen. Unteroffiziere und Soldaten aller Waffengattungen treten auf dem Tanzplatz auf. Die Tänzerinnen sind zum grösstenteil sehr ruhig. Sie sind meistens in Gesellschaft von Verwandten, die eben so ruhig auf rings an der Wand hinlaufenden Bänken sitzen und dem Ball be- wundernd zusehen.

Zahlreiche Personen in strenggezeichneten Typen, zwei oder drei freche Tänzerinnen, lärmende Schlächter aus dem Abattoir von Grenelle, Kürassiere und Artilleristen, wogen durcheinander. Dichte Staubwolken steigen vom Boden auf; das schmetternde Dröhnen der Musik übertönt jeden anderen Laut. Eine stickende Atmosphäre erfüllt den Saal, gar mancher möchte dem Gedränge entrinnen. Unter dem Tanzsaal ist eine Kaffeeschänke , die überfüllt ist von Soldaten. A,n den Wänden hängen allerlei Waffen und neben Helmen mit schwarzen oder roten Pferdeschweifen Schakos und rote Käppis. Der Lärm ver- mehrt sich. Es wird tapfer getrunken, es wird sehr reichlich soupe ä roignon bestellt. Schon wirft man drohende Blicke um sich her. Bald beginnen Schlägereien.

Moderne französische RomanschrifisteUer, 51

„(7a devient ignohle, allons!** sagt M™" Lampois, und verlässt den Bai de la Brasserie europeenne; ein gleiches thut der Künstler selbst.

Die Fra^e nach der Wichtigkeit einer so geschilderten Szene gehört nicht hierher. Die litterarische Arbeit Huysmans' kann neben die Arbeit jedes genialen Badirers gelegt werden. Wir haben die ge- treue Zeichnung eines ganz speziellen Ortes und eines ganz speziellen Publikums vor uns. Es kommt hier nur auf die Zeichnung, nicht auf das Modell an. Das kann man jedoch nicht von allen anderen Skizzen sagen. Huysmans' Types de Paris, sein Conducieur d'omniöus, Bein Marchand de marrons, sein Coiffeur, sind mittelmässige Stücke ohne höheren Kunstwert. Hier und da ist ihm eine Landschaft aus der Umgebung von Paris besser geglückt; uuter seinen Faniaisies et peiits coins sind je- doch einzelne, die beim Lesen mehr Verwunderung als Bewunderung erwecken. So verraten seine Studien über Le gousset und Vetiage ent- schieden Mangel an gutem Geschmack. Was hat eine Beschreibung von des odeurs suspecies, (qne) certains quartiei's de Paris laborietix de- gagent, lorsonion sapprocJie, Nie, d'un aroupe, mit der Litteratur zu schaffen? Und welcher sonderbare Einrall brachte Huysmans zur Ver- gleichung der hustes de femme sans Utes et sans jambes, wie sie in manchen Läden zum Ausstellen von Kleidungsstücken gebraucht werden, mit Göttinnenbildern des Altertums? Der Vorteil dieser bustes ist, dass sie ce charme subsidiaire de la femme^ la gorae, besser zur Anschauung bringen, als Marmorbilder. Der Verfasser scheint an einer augenblick- lichen ümdüsterung der Sinne zu leiden, wenn er ausruft: Combien superieurs aux momes statues des Venus, ces manneguins si vivants des couturiers!

Der 1881 erschienene Roman En Menage bietet ein talentvoll zusammengesetztes Ensemble. Wir brauchen nicht zu wiederholen, dass die grossen Bomanschreiber früherer Perioden zumal Georges Sand zu wiederholten Malen den Versuch gewagt haben, den Ehe- bruch zu idealisieren. Französische kirchliche und gesellschaftliche Zustände, einige romantische Kühnheiten, ein gewandtes Propaganda- machen für die Wiedereinführung der Ehescheidung, das alles erklärte ehemals, obgleich es auch damals keine Entschuldigung dafür gab, diese fortwährenden Schläge auf ein und denselben Ambos, den Ehebruch.

Huysmans betritt den entgegengesetzten Weg. Er materialisiert den Ehebruch und lässt den betrogenen Ehemann mit bewunderns- werter Buhe in einer Szene auftreten, die trotz des Scheines voll- kommener Bichtigkeit, doch die Unwahrscheinlichkeit selbst ist. Der Held des Romans, Andrä Jayant, Litterat und Künstler, ein Mann mit sehr reizbaren Nerven, ist so höflich, den Dieb seines Eheglücks sehr ruhig zur Thüre hinaus zu führen, und ihm die Treppe hinunter zu leuchten. Darauf verlässt der Betrogene ebenfalls seine Wohnung und lebt nun wieder als Junggesell.

Dass eine solche Handlungsweise ebenso cynisch ist, wie der Ehebruch selbst, hat noch kein französischer Kritiker zu sagen gewagt. Eine solche philosophische Ruhe beweist eine unsittliche Gleichgiltig- keit, die niemand zur Ehre gereicht. Das in der fi'anzösischen Nation so äusserst fein entwickelte Gefühl persönlicher Würde und persön- licher Ehre kann eine solche Darstellung nicht billigen.

Dass sich der Held nach der Trennung einsam fühlt, vergebens anderswo Trost sucht, und sich schliesslich mit seiner Frau wieder versöhnt, war nach einem solchen Anfang nicht anders zu erwarten. Und doch wäre es unbillig, nicht einzugestehen, dass Huysmans gerade

4*

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in der feinen Analyse kleiner Leiden, kleiner Schmerzen, kleiner Qualen Vorzügliches leistet. Das Leben des betrogenen Gatten, eine Kette unbedeutender Leiden und erschlaffender Täuschungen ist der Hauptinhalt des Buches; diesem alle Kräfte seines Geistes zu opfern, Zug für Zug mit peinlicher Sorgfalt und ganz ungewöhnlicher Auf- merksamkeit auf Stil und Schreibweise zu behandeln, das ist der Triumph des Verfassers.

Als der Meister der naturalistischen Schule im Jahre 1881 seine Kritik über En Menage im Figaro schrieb, zog er folgendes Resum^, das wir mit seinen eigenen Worten wiedergeben:

Liiterature morbide, dira-i-on. Oui^ peut-Sire. 11 y a une recherche du cas paihologiqud, un goüt pour les p/aies humaines. Mais ce que personne ne veut voir, c*esi que, si le romancier va a la bSie dans V komme, rartiste est un sensiiif des plus delicais et un merveilleux ouvrier de la languey)

IV.

Im Jahre 1884 überraschte Huysmans die litterarische Welt mit seinem bedeutendsten Werke, A Bebours,

Eine litterarische Revolution ist im Geiste des Verfassers vor sich gegangen. Das Auge immer auf das Sonderbare und Ausser- gewöhnliche gewandt, voll Hass gegen das Alltägliche und Platte, hatte er bei seinen realistischen Untersuchungen durch Übermass von Studium, durch Auftröseln der unbedeutendsten kleinen Leiden des menschlichen Lebens, gegen die anständige klassische Lehre gesündigt : ne ^uid nimis. Er hatte immer nach dem Unbekannten, dem Fremd- artigen und Wunderbaren gesucht; hatte immer leidenschaftlich nach dem Raffinement gestrebt. In seinem Buch über die lebenden Meister (L*art moderne^ 1883), einer Saemmlung von Kritiken über die Pariser Salons (1879 82), lässt er deutlich erkennen, wie sehr seine über- müdeten und gefolterten Sinne nach dem Anblick von etwas Ausser- gewöhnlichem streben. Diejenigen Künstler, die nach dem Urteil der Menge sich eines unbestrittenen Talentes erfreuen, finden vor seinen Augen keine Gnade, weil sie malen, wie man eben gewöhnlich malt. Um Huysmans zu gefallen, muss man Ungewöhnliches leisten, die wirren Träume eines Opiumrausches mit breiten, zusammenhanglosen Zügen das erscheint ihm als der Gipfelpunkt aller Kunst. Französische Meister wie Carolus Düran, Lefebvre, Landelle, Harpignies, Bonnat (zumal dessen Porträt von Victor Hugo), belgische Meister wie Verhas und de Jonghe, werden mit der äussersten Geringschätzung beiseite geschoben, wäh- rend er Herkomer und Mesiflag hoch erhebt was diese Beiden frei- lich auch verdienen; ebenso Bastian Lepage, Raffaelli, den wunderlichen Maler der Lumpensammler und Landstreicher, Degas, der Tänzerinnen und Clowns malt ; Forain, der sich das Publikum der Folies- Berger e zur Darstellung erkoren hat, Zandomeneghi und endlich Odilon Reden, der Gespenster- und Geistererscheinungen auf die Lein- wand bringt.2)

1) fimile Zola, üne Campaane, 1880—81, Paris 1882, S. 256.

^ Wie Odilon Reden malt, schildert Huysmans selbst in seinem Art moderne, S. 276. Man vergleiche seine Beschreibung einer Zeich- nung Redon's: Un osil Uanc roule dans un pan de te'nebres, tandis

Moderne französische Romanschriftsteüer. 53

Diesen Eigentümlichkeiten seines Geschmacks in einem litterarischen Kunstwerk eine greifbare Gestalt zu geben, scheint ihm Anleitung zum Schaffen des A Hebours gegeben zu haben. Auf dem Titelblatt schreibt er: 11 faut que je me rejouisse au-desstts du lemps . . . ., quoique le monde aii korreur de ma Joie, et que sctgrossihrete ne sacke pas ce que je veux dire. Er entnimmt diese Worte Ruysbroeck, radmircwle.

Man fühlt sogleich, dass sich der Verfasser in eine für ihn be- stimmte, vollständig abgesonderte Welt zurückziehen wird, wo ihn die brutalen Dummheiten der gewöhnlichen Menschen nicht hindern. Es liegt meiner Meinung nach etwas Ungesundes darin, wenn der Künstler aus zu grossem Eingenommensein mit sich selbst sich so hoch über seine Zeitgenossen erhebt. Es sprach nicht eben für die Billigkeit und Bescheidenheit des niederländischen Dichters Bilderdjk, wenn dieser an seinen Freund Tydeman schreibt: „Ich kann in dieser ver- fluchten Welt nicht leben; wenn ich weiterexistieren soll, muss ich eine Welt ä pari haben."

Und solch eine Welt will Huysmans in A Rehours uns vorführen.

Es tritt nur eine Person in diesem Buche auf, der Herzog Jean des Floressas des Esseintes. Er ist dreissig Jahre alt, schwach, nervös, blutarm; er ist der letzte kränkliche Spross eines alten Geschlechtes; sehr bewandert im Lateinischen, weil er in einer Jesuitenschule seine Erziehung genossen hatte; er ärgert sich über die Welt und ihre Freuden, da er sich nach seiner Mündigkeitserklärung durch un- mässigen Gebrauch den Magen daran verdorben hat. Des Esseintes hat vergebens danach gestrebt, eine Erholung in litterarischen Kreisen zu finden er findet in denselben nur Scheinheilige und Dummköpfe. Da fasst er den Plan, sich in die Einsamkeit zurückzuziehen und dort den Rest seines Vermögens zu verzehren. Er kauft sich nicht weit von Fontenay-aux Roses ein Haus, ein ganz abgelegenes Landhans, in welchem ihn niemand stören wird. Dieser neue Wohnort wird nun in einem ganz exquisiten Geschmack eingerichtet. Der Einsiedler, der die Welt aus Überm ass von Sinnengenuss verlässt, will den ganzen Luxus der Welt in seiner einsamen Klause um sich haben.

Der Beschreibung dieses Luxus, dem in eigenartig schönem Stil geschriebenen Protokoll über des Esseintes Beobachtungen in der Ein- samkeit, ist das ganze Buch gewidmet. Ehe ich mich über die wirk- lich arme Erfindung ausspreche, muss ich bekennen, dass A Rehours die Arbeit eines wirklichen, ernstdenkenden Künstlers ist. Blatt für Blatt spricht von einer Feinheit, sowohl der Analyse des psychologischen Zustandes, als auch der Beschreibung des ausgesuchten Luxus Des Esseintes* die stets den tüchtig gebildeten, wissenschaftlichen Schrift- steller verrät.

Es ist sehr schwer, die kunstvoll stilisierten französischen Sätze entsprechend zu übersetzen, dennoch wage 'ich den Versuch, um mein Urteil über Huysmans durch einige Stellen seines wunderlichen, aber ausgezeichnet geschriebenen Buches zu begründen. In dem ersten Kapitel erzählt uns Huysmans ausführlich , wie Des Esseintes seine Klausnerhütte einrichtete. In den besten Tagen der Romantik

qu^emerge Wune eau souterraine ei glaciale, un Stre bizarre, un amour vieüü de Prud^hon, un fcßtus du Correge, macere dans un bain d*alcool, lequel nous regarde, en levant le doigi, ei plisse sa bauche en un mysierieux et enfantin sourire.

54 Jan ten Blink,

hat Th^ophile Gautier's reiche Phantasie uns orientalische Pracht und orientalischen Glanz in seiner bekannten Novelle Fortunio ge- schildert. Huysmans versucht es, all das Gold und Silber, all das funkelnde Krystall, all die glänzenden Kronleuchter der romantischen Soupers, wie sie le öon Theo beschreibt, mit den verborgenen Schätzen zu überstrahlen, die Des Esseintes um sich her ausbreitet.

Vor allen Dingen lebt Des Esseintes nur in der Nacht. Er frühstückt Nachmittags um fünf Uhr, speist Nachts elf Uhr zu Mittag und nimmt früh fünf Uhr ein leichtes Abendbrot ein.

Ferner hat er sich eine Art kleiner Kajüte bauen lassen, in der ihm seine beiden Bedienten die Tafel herrichten. Sehr merkwürdig ist seine Studierstube und die ausgewählte Bibliothek, die er dann zusammengebracht hat. Alle seine Bücher sind Muster der Buch- binderkunst und alle kostbaren Ausgaben gehören zu ein und der- selben Art es sind lauter lateinische Bücher und zwar aus der spät- lateinischen Periode. Seine Vorliebe fürs Lateinische, das er einst in der Schule der Jesuiten gepflegt, hatte ihn zu dieser Wahl bestimmt.

Dem klassischen Latein aus dem grossen Zeitalter eines Cicero und Horaz konnte er keinen Geschmack abgewinnen, da ihm das feierliche Geklapper gleichklingender Adjektiva und Substantiva zu sehr an die Gemessenheit der französischen Schriftsteller aus Ludwig's XIV. Zeit- alter erinnert. Er hat Widerwillen vor Virgil, weil ihn die Schul- meister den „Schwan von Mantua" nannten, und weil er aufge- putzte Schäfer nicht leiden mag, weil es ihn verstimmte, dass er Orpheus mit einer klagenden Nachtigall verglich, weil er Aristaeus über tote Bienen weinen, und Aeneas wie ein chinesisches Schattenbild vom Anfang bis zum Ende des Epos herumlaufen sah. Aber selbst die würdevollen Dummheiten dieser Marionetten hätte er mit Geduld er- tragen; er würde übersehen haben, dass Vergil Homer bestiehlt, und nicht diesen allein, sondern auch Theokrit, Ennius und Lucrez; er würde es entschuldigt haben, dass der Dichter im zweiten Buche der JEneis, wie Macrobius nachgewiesen hat, aus einem Gedichte des Peisandros^) borgt; aber er kann die Hexameter mit ihrem Geklapper wie von Blechtrommeln, wie von leeren Kochtöpfen nicht ertragen; er kann die immer gleichmässig wiederkehrende Zäsur nicht leiden, er kann es nicht ausstehen, dass jeder Vers mit der langweiligen Auf- einanderfolge eines Daktylus und eines Spondeus schliesst.

Es stört ihn überdiess, dass dies monotone Metrum so viele nichtssagende Flickworte zulässt, dass die homerischen Epitheta so oft der Kraft, der Plastik, der Farbe entbehren.

War daher seine Bewunderung für Virgil mehr als geteilt, seine Achtung vor den naiven Ausdrücken des Ovid nur sehr massig, so war sein Widerwille gegen Horaz geradezu ohne Grenzen.

Er verglich die verzweifelten Anstrengungen dieses Dichters, anmutig zu scheinen, mit den Bemühungen eines Elephanten, Polka zu tanzen; er wollte das unverständige Geschwätz dieses Stümpers nicht

^) Ambrosins Theodosius Macrobius hat (etwa 450 nach Christi) in seinen Saiurnalium conviviorvm Hört Septem (1868 von Eyssenhardt herausgegeben) auf die Autorität des Servius, des bekannten Kommen- tators von Virgil hin bewiesen, dass der Stoff zum zweiten Buche der ^neis einer epischen Dichtung des Peisandros entlehnt ist; dieser Dichter stammt aus Rameiros auf Rhodus, und lebte um 648 vor Christi oder etwas später.

Moderne französische Romanschriftsteller. 55

anhören, er sah geringschätzig auf diesen weiss angestrichenen Clown herab.

Inbezug auf die Prosa hatte des Esseintes ebenso wenig Wohl- gefallen an der bilderreichen Sprache, den unnötigen Metaphern und den wirren Auseinandersetzungen des Cicero. £r war durchaus unzufrieden mit des Mannes geschraubten Sätzen, mit dem Überfluss seiner patriotischen Überschwenglichkeit, mit dem Bombast seiner Reden, mit der SchwerföUigkeit seines Stils, in dem er weder Mark noch Bein fand ; mit der unerträglich langen Reihe ebenso langer Beiwörter am An- fang der Sätze; mit dem stets wiederkehrenden Formmotiv seiner ge- reckten Perioden, das eine Reihe verbindender Worte nur sehr gebrech- lich unter sich in Verbindung bringt. Der durch seine Kürze bekannte Cäsar flösste ihm gerade um des Gegenteils willen keine grössere Be- geisterung ein; seine Sparsamkeit im Ausdruck, seine Trockenheit ver- letzen ihn.

Mit einem Wort, weder die genannten, noch alle übrigen Schrift- steller, die die Wonne der sogenannten Gelehrten sind, waren nach seinem Geschmack. Sallust, der vielleicht weniger farblos war als die anderen, gefiel ihm nicht; ebenso wenig der sentimentale und feier- liche Livius; der bleiche, aufgedunsene Seneca; der wässerige und kränkliche Sueton ; auch nicht Tacitus, der in seiner Kürze kräftigste, schärfste, energischste von allen. Auch die Dichter liessen ihn kalt; so Juvenal trotz einzelner vortrefflicher Verse, und Persius trotz seiner mysteriösen Anspielungen. Tibull und Properz, Quintilian und die beiden Plinius, Statius und Martialis von Bilbilis schob er bei Seite, und konnte sich selbst nicht mit Terenz und Plautus einverstanden erklären, trotz des netten Jargons voll Archaismen bei dem letzteren. Die lateinische Litteratur wurde für Des Esseintes erst bedeutend mit Lucan.

Lucan, der gewöhnlich wegen des übertriebenen Pathos seiner rharsalia willen nicht besonders hoch angeschrieben steht, gefiel ihm. Der Aufputz der Lucanischen Verse und das Schillernde seiner Epitheta füllten für ihn die Leere des Inhalts aus und liessen ihn die Gedanken- armut des Dichters übersehen; aber den meisten Vorzug gab er doch Petronius. Seine feine Beobachtungsgabe, seine gewissenhafte Analyse, seine wunderbar schönen Schilderungen, ganz ohne jede Parteilichkeit, des täglichen Lebens in Rom, liessen ihn immer wieder mit neuem Genuss das Satyricon zur Hand nehmen.

Des Esseintes sah in diesem realistischen Roman etwas, woran er ebensoviel fand, wie an den wenigen französischen Romanen, die ihm zusagten. Er fand hier wie dort Schilderungen nach dem Leben ohne jede weitere Nebenabsicht, und, wie sehr man dem auch wider- sprechen möge, auch ohne Satire. Er fand eine Geschichte ohne Hand- lung, die Schilderung von den Abenteuern einiger Galgenstricke, ohne eigentlichen Schluss und ohne Moral. Er fand vollkommene Neutralität des Schriftstellers, der niemals seine Meinung äussert, ob er nun die Thaten oder Ansichten seiner Personen gutheisst oder tadelt, der uns alle Verkehrtheiten einer verjährten Civilisation, eines sich auflösenden Staates vorführt.

Er betrauerte es tief, dass Eustion und Attnitia, die beiden Werke des Petronius, von denen Planciades Fulgentius spricht, verloren ge- gangen sind.i) Aber er tröstete sich als Liebhaber seltener Bücher

^) Es ist vollkommen richtig, dass der afrikanische Grammatiker Fabius Planciades Fulgentius, in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts

56 Jan ien Btink,

durch den Beltenen Druck des Satyricon aus dem Jahre 1585 von Janas Dousa in Leyden herausgegeben, den er besitzt.*)

Ausser Petronius enthielt die Bibliothek Des Esseintes* noch ver- schiedene Werke aus dem ^weiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Fronto, dessen trockener Stil voll Archaismen ihn verletzte, und Anlas Gellius, dessen Attische Nächte ihn langweilten, waren aus seiner Samm- lung verbannt ; den Ehrenplatz nahm Apulejus ein ; Des Esseintes besass eine editio princeps in Folio, gedruckt 1469 in Rom, von dessen Werken.

Dieser Afrikaner gefiel ihm. Das Latein seiner Metamorphosen hatte für ihn etwas Neues, Anziehendes. Seine Neologismen, die für die Umgangssprache in einem römischen Winkel Afrika's erfunden zu sein schienen, entzückten ihn. Der joviale Apulejus bildete einen er- götzlichen Gegensatz zu dem christlichen Apologeten desselben Jahr- hunderts, zu dem ermüdenden Minutius Felix, zu Tertullianus u. a., die er alle nur wegen der schönen Drucke seiner Exemplare behielt.

Obgleich Des Esseintes sich ziemlich viel um Theologie bekümmert hatte, Hess ihn doch der Kampf der Montanisten gegen die christliche Kirche, und der Widerstand der letzteren gegen die Gnostiker ziemlich kalt, so dass er Tertullianus' Apologeticus und Abhandlung über die Ge- duld, trotz ihres höchst eigenartigen Stils, der sich durch Kürze und Doppelsinnigkeit der Ausdrücke auszeichnet, beinahe nie zur Hand nahm, sondern nur zuweilen ein paar Seiten aus seiner Abhandlung De cultu feminarum las, worin TertuUian die Frauen dringend beschwört, sich doch nicht mit edlen Steinen und kostbaren Stoffen zu überladen, sich doch nicht mit Schminke zu bedecken, in der Absicht, dadurch die Natur verbessern und verschönern zu wollen.

Da diese Ideen den seinen gerade entgegengesetzt, machten sie ihm Vergnügen ; er fand auch, dass Tertullian als Bischof von Karthago manche Absonderlichkeiten hatte. Er stellte also den Menschen über den Schriftsteller.

Tertullianus lebte in einer sehr stürmischen Zeit, unter Caracalla, unter Macrinus, unter dem wunderlichen Hohenpriester von Emesa, Heliogabalus. Dabei fuhr er ruhig fort, seine Predigten auszuarbeiten, während das römische Reich in seinen Grundvesten erzitterte und die aus Asien Einzug haltende Sittenverderbnis mit Jubel begrüsst wurde. Mit der grössten Gemütsruhe predigte er Keuschheit, Massigkeit, Ein- fachheit der Kleider, während Heliogabalus auf Silberstaub und Gold- sand wandelte, sich das Haupt mit den priesterlichen Tiaren deckte, ein geistliches Gewand mit Edelsteinen ganz übersät trug, umgeben von seinen Eunuchen Frauenhandarbeiten ausführte und sich Kaiserin nennen Hess

Des Esseintes sah mit Befriedigung diesen Widerspruch ; er hatte auch seine Freude daran, wahrzunehmen, wie das bei Petronius auf der

nach Christi, über zwei verloren gegangene Werke des Petronius ge- sprochen hat. Aber schon Lipsius hegte, um manches Rätselhaften der Sache willen, Zweifel. Bernhardy, in seiner bekannten Geschichte der lateinischen Litteratur, will nichts von Petronius wissen; er hält das Satyricon für ein Volksbuch, ohne bekannten Verfasser. Mit Sicherheit lässt sich nicht darüber entscheiden. Man sehe den Aufsatz von A. Wellauer in Jahn's Archiv, X. Band, 1844, S. 194--229.

^) Der thätige Leydener Dousa ist der erste niederländische Herausgeber des Petronius; 1743 gab Petrus Burman eine sehr voll- ständige Aussähe seiner Werke; die am meisten gebrauchte Ausgabe unserer Zeit ist die von F. Bücheier aus dem Jahre 1862.

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Höhe seiner Entwickelung stehende Latein sich langsam veränderte. Die christliche Litteratur verdrängte die altrömische und brachte mit ihrem neuen Gedankenkreis auch neue Worte, neue Wendungen, die vorher im Lateinischen fast ganz unbekannt gewesen waren, da sie abstrackte Begriffe auszudrücken hatten. TertuUianus war einer der ersten, der das Beispiel dazu gab.

Dieser Übergang von dem klassischen ins christliche Latein hatte nicht viel Erfreuliches, als nach Tertullian*s Tode seine Schüler, St. Cyprianus, Arnobius und der weichliche Lactanz sein Werk fort- setzten. Es war eine teilweise Auflösung der Sprache ; zuweilen traten noch ciceronische Wendungen ohne den eigenartigen Duft des vierten Jahrhunderts und der folgenden auf, des Duftes, den das Christen- tum der heidnischen Sprache gegeben hat, des Duftes, wie von edlem Wild, das erliegt, gleich der Civilisation der alten Welt und der beiden Kaiserreiche, die der Gewalt der andringenden barbarischen Völker erlagen.

Nur ein einziger christlicher Dichter, Commodianus von Gaza, repräsentiert das dritte Jahrhundert in der Bibliothek Des Esseintes'. Das Carmen apohgeticum aus dem Jahre 259 ist eine Blumenlese von Ermahnungen, die in Acrosticha künstlich zusammengefügt, und in Hexametern ohne jegliche Sorge um die Quantität der Sprache und mit reichlichen Hiaten, ja oft selbst in Reimen geschrieben sind, wie wir unter den Dichtungen der christlichen Kirche später noch so viele finden werden.

Aber diese wilden, ungeglätteten Verse mit den rohen Strassen- ausdrücken flössten ihm grösseres Interesse ein, als der vermoderte Stil eines Ammianus Marcellinus und Aurelius Victor, eines Symmachus oder Macrobius; er zog Commedianus selbst dem Claudianus, Rutilius und Ausonius vor, die noch regelmässige, klassische Verse schrieben.

Diese Dreizahl stand damals an der Spitze der lateinischen Dichter; sie erfüllten das zusammenstürzende Kaiserreich mit ihren Namen ; so der christliche Ausonius mit seinen Hymnen auf Born, seinen Strafreden gegen die Juden und die Mönche ; seiner Beschreibung einer Reise von Rom nach Gallien, worin er sein grosses Talent zu Schilderung und Beschreibung an den Tag legt, und mit freier Beobachtungsgabe der Natur ein liebevolles Auge schenkt. So schildert er die Spiegelung der Landschaft im Wasser, den Zug der Nebel um die Spitzen der Berge.

Claudianus, ein wiedererstandener Lucanus, beherrscht das ganze vierte Jahrhundert mit dem Metallklang seiner Verse; seine Hexameter sind grossartig, sie ziehen mit stolzem Pompe daher, während das westliche Kaiserreich untergeht und die Barbaren schon vor den Thoren stehen. Claudianus lässt zum letztenmale das klassische Altertum wieder aufleben ; er besingt den Raub der Proserpina und wir erstaunen über die glänzenden Farben seiner Zeichnung.

Claudianus ist der letzte grosse Dichter der altklassischen Schule ; auf ihn folgen nur geistliche Schriftsteller: der spanische Priester Pau- linus, Ausonius' Schüler; Juvencus, der eine Versparaphrase der Evan- gelien gibt; St. Burdigalensis, der dem Vergil nachzustreben versucht, und noch eine ganze Reihe von Kirchenvätern und Kirchenheiligen: Hilarius von Poitiers, der Athanasius des Occidents; Ambrosius, der langweilige christliche Cicero; Hieronymus, der Verfasser jeuer Bibel- übersetzung, die zur Grundlage der Vulgata gedient hat, und endlich im fünften Jahrhundert Augustinus, der Bischof von Hippo.

Des Esseintes kannte Augustinus, den Begründer der christlichen

58 Jan ten Brink,

Orthodoxie, aus Beinen Schuljahren her ; er las deshalb nur selten seine Bekenntnisse und De Civitate Lei. Dagegen durchblätterte er zuweilen die Psychomachia des Prudentius, des Schöpfers des allegorischen Genres in der Poesie, oder die Werke des Bischofs Sidonius Appolinaris, der den heidnischen Olymp mit geistreicher Wehmut bekämpft.

V.

Wir gaben einen möglichst getreuen Bericht von den Aussprüchen Huysmans* über Des Esseintes' Bibliothek. Dass dieser wunderliche Ner venleider ein gründlicher Kenner der lateinischen Litterat nr ist, kann ohne parteilich erscheinen zu wollen, durchaus nicht geleugnet werden. Nun tritt plötzlich Hujsmans auch als ein Mann der klassischen Bildung auf, und zeigt eine Belesenheit in der lateinischen Litteratur von sechs Jahrhunderten, wie wir sie nur selten bei den Vorkämpfern der neuesten litterarischen Helden finden.

Das Kapitel über die Des Esseintes'sche Bibliothek bietet eine so merkwürdige Probe von Gelehrtheit, wie wir sie bei dem Verfasser von Marthe, von Croquis Parisiens, von En Menage gewiss nicht erwartet hätten. Aber in einer Hinsicht überrascht uns Huysmans* Urteil über die lateinische Litteratur durchaus nicht. Nach seiner Meinung müssen alle Schriftsteller, die bis jetzt allgemein für Meister gehalten wurden, als böse Buben aus dem Vorhof des Tempels gejagt werden.

Vergil wird als Plagiator an den Pranger gestellt, Horaz wird ein Stümper genannt, Cicero als aufgeblasener Grosssprecher beiseite geschoben. Huysmans denn Huysmans und des Esseintes sind hierin ganz identisch findet Geschmack an Lucanus, weil dieser Dichter durch die wunderlichste Wahl seiner Ausdrücke sein Publikum kitzelt; vor allen liebt er Petronius und Apulejus, weil sie die einzigen Roman- schreiber des Altertums sind, weil ihr Realismus vor nichts zurück- schreckt.

Es geht damit, wie mit seinem Urteil über die Malerei. Was allgemeine Anerkennung findet, weist er weit von sich ab. Was die verflossenen Jahrhunderte unter Zustimmung aller Autoritäten für schön hielten, nennt Huysmans hässlich. Es muss nach seiner Mei- nung ein Ende gemacht werden mit der Herrschaft früher beweih- räucherter Schriftsteller ; die Götter müssen von dem Altare gestürzt und die Halbgötter darauf erhoben werden. Der unter den Malern be- gonnene Bildersturm muss mit den lateinischen Dichtern und Prosa- schreibern fortgesetzt werden.

Was für ein wunderliches Buch A Rehours ist, zeigt deutlich dies geistreich geschriebene Kapitel über die Geschichte der lateinischen Litteratur, das nur geschrieben ist, um den eigenartigen Seelenzustand Des Esseintes' zu schildern. Mit solchen ausführlichen Einschiebseln ist der Roman ganz und gar überladen. So kauft zum Beispiel jener moderne Einsiedler bei Chevet im Palais -Royal eine Schildkröte, und lässt die Schale des Tieres vergolden und mit kostbaren Steinen ver- zieren. Bei der Auswahl dieser Steine fügt er eine ausführliche Stelle über Edelsteine ein, die wiederum eine ungewöhnliche Kenntnis und ein ganz besonderes Interesse an fabelhaffcer Pracht ä la Tausend und eine Nacht oder ä la Fortunio verrät. Diese Vorliebe für orientalisch- romantische Pracht begleitet Des Esseintes in allen Augenblicken seines einsamen Lebens. Der Thee, den er trinkt, wird durch besondere

Moderne französische Romanschriftsieller. 59

Karawanen aus China nach Bussland gebracht, und hat die allerselt- samsten Namen : Si-a-Fayoune, Mo-you-taun und Ehansky; diese gelben Theesorten sind für jeden gewöhnlichen Sterblichen unerreichbar.

Ebenso geht es mit seinen Likören. Er geht dabei von der Idee aus, jeder Likör erinnere an den Ton eines Musikinstrumentes. Des Esseintes buvaii une goutie ici, lä, . , (ei) arrivaii ä se procurer, dans le

fosier, des sensations analogues ä ceües que la musique verse ä VoreiUe, )er CuraQao erinnert seiner Meinung nach an die Klarinette, der Kümmel an die Hoboe, der Anisette an die Flöte, Eirschbranntwein an die Trompete, Whisky an die Trombone, Cognac an die Tuba, Rum an die Altviole, reiner und alter Bitterer an den Kontrabass. . . .

Solche beinahe kindische Wunderlichkeiten sind durch das ganze Buch verbreitet; besonders bemerkenswert unter denselben ist eine Abhandlung über den Geruch und allerlei Riech werk. Die Einsamkeit und seine wunderliche Lebensweise hat ihn überreizt, dies ruffc allerlei Halluzinationen der Sinneswerkzeuge hervor. Zuerst tritt die Hallu- zination des Geruchs auf. Der Geruch einer gewissen Mischung wohl- riechender Spezereien quält ihn ; nun sucht er durch andere Riechwasser diesen Duft zu vertreiben, da er in der science du ßair sehr bewandert war; da er die Produkte aller berühmten Odeurfabrikanten eifrig untersucht hatte, konnte er selbst eine Geschichte der Parfümerien zusammenstellen. Er besass eine Sammlung aller möglichen und unmöglichen Odeurs, selbst /^ veriiable haume de la Mecque aus Arabia petrsea, dessen Monopol der Sultan hat.

Die schönsten Seiten in A Rehours sind der Beschreibung der Kunstwerke gewidmet, mit denen sich Des Esseintes zum Schmuck seiner Einsamkeit umgeben hat. Dies verschaffte dem Verfasser die Gelegenheit, ein vorzügliches Kapitel über den Maler Gustave Moreau zu schreiben. Seine Beschreibung von Moreau's Saiome ist ein sti- listisches Meisterwerk. Das Gemälde tritt durch jedes Wort deutlicher, greifbarer, lichter hervor. Man höre:

Der Yierfurst Herodes sitzt auf hohem Throne, der den ehr- furchtgebietenden Formen des Hauptaltars einer Kathedralkirche gleicht; an den Seiten stützen ihn Pfeiler, ihn ziert bunter Schmuck von Lapis lazuli und rotem Sardonix. Ober seinem Haupte schwebt eine Priesterkrone, die Hände legt er breit ausgestreckt auf die Kniee. Sein Antlitz ist gelb, pergamentfarbig, runzlig; sein weisser Bart schwebt wie eine weisse Wolke über den kostbaren Steinen seines Gewandes von Goldbrokat. Wie um die bewegungslosen Götter der Hindus, wird um ihn Rauchwerk verbrannt, von dem feine blaue Wolken emporsteigen.

Saiome erscheint, und ihr Bild ist von so glänzender Farbe, dass wir hier Huysmans selbst das Wort geben müssen.

„Elle commence la danse qui doit re'veiller les sens assoupis du vieil Herode; ses seins onduleni et, au froitement de ses coüiers qui tour- billonnent, leurs houis se dressent; sur la moiteur de sa peau les dia- manis attache's sciniiUent; ses braceleis, ses ceintures^ ses bagues, cracheni des itincelles; sur sa rohe iriomphale, couturSe de perles, ramage'e d'ar- geni, lame'e d'or, la cuirasse des orßvreries dont chaqtte maille est une pierre, entre en conUmstion, croise des serpenieaux de feu, grouüle sur la chair mate^ sur la peau rose the, ainsi que des insectes splendides aux elyires e'blouissanis, marbräs de carmin, ponciues de jaune aurore, diapre's de bleu d^acier, tigres de verl paon.**

Man muss gestehen, dass diese seltene Farbenpracht mit glän- zendem Stift gemalt ist. Huysmans steht hier als Stilist unmittelbar neben FlaubeiH;, de Goncourt und Zola, während einzelne Züge auch

60 Jan ten Brmk,

an Th^ophile Gautier erinnern. Noch höher steigt sein stilistischer Schwung, wenn er ein Aquarell Gustave Moreau's beschreibt ; gleichsam eine Fortsetzung des Gemäldes.

Wieder wird uns der Palast des Uerodes vorgeführt, diesmal aber als maurische Alhambra, von goldenen und silbernen Säulen ge- tragen, deren Fussboden schimmernde Perlmutter ist. Das abge- schlagene Haupt des Täufers ruht auf einer Schüssel. Salome sieht es sich erheben in lichtem Glänze, den ihre Edelsteine leuchtend wider- spiegeln. Wieder lassen wir die Schilderung von Salome's Bild mit den Worten des Prosadichters folgen:

„Eäe estpresque nue; dans Vardeur de la danse, les volles se sont defaits, les brocarts oni crotäe; eile rCesi plus vetue qiie de matieres or- fevries et de mmäraux lucides; un gorgerin lui serre de mime qu'un corselet la iaille, et, ainsi qti*une agrafe superhe, un merveiUetiX joyau dar de des dckdrs dans la rainure de sesdeux seins; plus has, aux hanches, une ceiniure Ventoure, cache le haut de ses cuisses que hat une gigantes- que pendeloque coule une riviere d'escarbouiles et d'äm&audes ; enfin, sur le Corps reste' nu entre le gorgeinn et la ceinture, le venire bombe, creuse d*un nombril dont le trou semble un cachet grave d'onyx, aux tons laiteux, aux teintes de rose Wongle,^

VI.

Huysmans hat in A Rebours sein Meisterstück geliefert. Sein Werk bietet eine eigenartige Erscheinung. Huysmans, der zu der kleinen Schar der jüngeren Naturalisten zu gehören schien, lehnt sich mit diesem Werke gegen die Schule auf, zu der er gehört. Für seine Soeurs Vatard hatte er all die dunklen Farben und die unangenehme Atmosphäre des armen Fabrikpersonals von Paris mit erstaunlichem Fleisse studiert, in A Rebours macht er sich mit dem in Düften und Likören und Kunstwerken schwelgenden Des Esseintes vertraut.

Die Erklärung für diesen eigentümlichen Entwickelungsgang ist leichter, als es scheinen möchte. Huysmans zeigt in allem, was er vor A Rebours geschrieben hat, eine eigenartige Gemütsstimmung. Seine Wültbetrachtung führt ihn zur Entzauberung.

4)er Roman En Menage ist vom Anfang bis zum Ende nur fort- laufende Entnüchterung. Er sagt von sich selbst, er sei ecceure par Pignominieuse mufflerie du present siede, Unzufriedenheit und Gering- schätzung für die Kreise, für die Gesellschaft, in der er lebt, sprechen aus jedem Worte. In A Rebours will Des Esseintes einen zufällig am Wege aufgelesenen sechszehnjährigen Knaben sittlich zugrunde richten. Er gibt ihm reichlich Geld und treibt ihn zur Ausschweifung an, will ihn absichtlich ins Verderben stosseu. Und er tröstet sich mit den Worten : faurai conttibue' dans la mesure de mes ressources, ä cräer un gredin, un ennemi de plus pour cetie hideuse socie'te qui nous rangonne.

Es klingt aus diesen Worten ein bis zum Hass herangewachsener tiefer Missmut. Die Welt entspricht nicht den Erwartungen des jungen Künstlers. Talente zweiten Ranges, Octave Feuillet, Andrä Theuriet, Georges Ohnet u. a. werden vom Publikum auf den Händen getragen. Von Ohnet's Maitre de Forge sind 234 Auflagen erschienen, seine Com- tesse Sarah erlebte 152. Selbst Zola konnte mit fAssommoir und Nana nicht eine solche Popularität erringen. Huysmans hat im kleinen

Moderne französische Romanschriftsteller, 61

Finger mehr Talent, als Ohnet in der ganzen Hand, aber HuysmanB bleiot unbekannt, wird wenigstens nicht gelesen.

Darin liegt der Grund zu Unruhe und Entrüstung. Wie seine Helden Andr^, Cyprien und Des Esseintes sieht auch er voll Ekel herab

^ auf alle geistigen und materiellen Genüsse, die ihm das Leben bieten

kann. Alles Bestehende ist wert, dass es zugrunde geht. Die Litteratur der Gegenwart und Vergangenheit, die Malerei ebenfalls, bieten nur sehr ausnahmsweise ein wirkliches Kunstwerk dar. Diese Meinung

' kann durch eine Menge Stellen in Huysmans Werken bewiesen werden.

In diesen Zustand der Verbitterung tritt bei Huysmans' noch die

eigentümliche Erscheinung auf, dass er sich trotz seines wundervollen

- französischen Stils nicht als Franzose fühlt, sich *nur schwer in fran-

zösische Zustände schickt. Seine Antwort auf die an ihm gerichtete Frage, ob er ein guter Patriot sei, lautete:

r^Tout ce que je puis votts dire, c^est ceci: je hais par dessiis tout

'* les gens exuberants. ör ious les Meridionaux auetUent, ont un accent

f qui m'horripüe, et par-dessus le marchä, ils fönt des g est es, Non,

entre les gens qui ont de Vasiracan houcle sur le cräne . . . et de grands flegniatiques et silencieux AÜemands, mon choix n^est pas doutetuc. Je me sentirai toujours plus d'affinite's pour im homme de Leipzig que pour un homme de Marseille, Tout, du reste, tout, excepie le Mtdi de la France, car je ne connais pas de race qui me soit plus particuäerement odieuse.^^)

In dieser Antwort steckt etwas HollUndisches. Huysmans kann die lautsprechenden Franzosen mit ihren leb- haften Gebärden nicht ausstehen; er hat auch holländische Landsleute, die mit ihm gleicher Meinung sind. Fassen wir alle seine Meinungen über Land, Kunst, Litteratur etc. zusammen, so sehen wir, dass er in beständiger Feindschaft mit den herrschenden Zustanden lebt, und das macht seine philosophische Weltanschauung natürlich pessimistisch. Und gerade in diesem Punkte liegt der grosse Unterschied zwischen

!, Huysmans und Zola. Zola hat als Schriftsteller einen ernsten Krieg

gegen einige der herrschenden, litterarischen Anschauungen geführt, aber er hat doch Ehrfurcht vor dem neunzehnten Jahrhundert und seine mächtigen Errungenschaften auf wissenschaftlichem Gebiet. Seine Rougon- Macquart werden mit ihren zwanzig Teilen ein Gedenkbuch der

r bürgerlichen Gesellschaft in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahr-

fi hunderts sein.

Es fallt sogleich auf, dass sich Huysmans in A Rebours von den eigentlichen Naturalisten loslöst, da er in der Geschichte Des Es-

ii seintes wieder eine jener histoires ä dormir debout geschrieben hat, vor

denen ihr Meister sie so oft gewarnt hatte. Durch den wunderbaren

r Zirkellauf des litterariscben Lebens kehrt er zur Wertherstimmung

und zu der verzweifelten Weltanschauung des R6n6 zurück.

Es ist natürlich, dass jemand, der von der ignominieuse mufflerie du pre'sent siede und von der hideuse societe qui nous ran^onne spricht, keinen Gefallen an dem gründlichen Studium dieser selben Gesellschaft

) finden kann. Er schleudert die Feder weg, mit der er seine Croquis

, Pafisiens geschrieben hat und entwirft A Rebours. Er geht jetzt einen

ganz anderen Weg. Er stellt sich an die Seite derer, die sich jetzt gegen ihre Zeit aufgelehnt haben, wie Charles Baudelaire, dessen

1) Meunier , Les hommes d'aujourd^hui. /. - K, Huysmans, Vol. 6, No. 263,

62 Jan ten Brink,

Fkurs du mal (1857) trotz des genialen Flages des Verfassers, ein ent- ehrendes Urteil traf. Und da Baudelaire die Contes extraordinaires und die (Jonies grotesques des berühmten Amerikaners Edgar Allan Poe übersetzt hat, wurden Baudelaire und Poe seine litterarischen Hausgötter, neben die mit der Zeit noch andere ältere oder jüngere gestellt wurden: Louise Ackermann, Barbey d'Aurävilly, Paul Verlaine, Ernest Hello und Villiers de dlsle-Adam.

Der Verfasser von A Rehours lebt in der Stimmung, wie sie die Vorläufer der Romantik empfanden; er steht nicht weit entfernt von Henri Beyle, wenn es sich um die dauerndsarkastische Stimmung seiner Seele handelt, und nähert sich der Romantik Th^ophile Gautier's und G^rard de Nervales,' was seine Vorliebe für fremdländische Pracht und raffinierten Luxus betrifft. In der Bewunderung für das überirdisch- geheimnisvoll Spukhafte, wie es der Maler Odilen Redon und der Dichter Edgar Allan Poe zum Ausdruck bringt, steht er auf einem Niveau mit der französischen Romantik von 1830. Ein Deutscher, der gerade damals in Paris ein gewisses Aufsehen erregte, war unver- schämt genug, Hoffinann zu bestehlen und unter seinem noch ganz unbekannten Namen, Loewe-Veimars, Le Violon de Cremone heraus- zugeben. Als dieser litterarische Betrug herauskam, zeigte Loewe- Veimars durchaus keine Verlegenheit, sondern gab bald darauf seine Contes d^ Hoffmann heraus, die dieselbe Bedeutung für G^rard de Nerval und Thöophile Gautier haben, wie Edgar Allan Poe für Baudelaire und Huysmans.^)

Es herrscht in diesem Punkte zwischen Huysmans und den eifrigsten Vorkämpfern der jungen Romantik von 1880 1850 eine auf- fällige Übereinstimmung. Die Jugend von 1830 freilich war voll Lebens- lust und Hoffnung. Die Jugend von 1880 dagegen scheint durch Un- lust und Langeweile von einem Extrem ins andere getrieben worden zu sein. Die politischen Zustände von 1815 1830, die damit verbundenen gesellschaftlichen Leiden, enttäuschten manchen jungen Schwärmer, da man doch von der neuen Ordnung der Dinge nach der grossen Revo- lution die herrlichsten Folgen erwartet hatte.

Schon das Kaiserreich zeigt ein solches Beispiel von Enttäuschung in fitienne Pivert de Sönancour; geboren zu Paris 1770, von allen Leiden einer schwächlichen Jugend verfolgt, nach der Schweiz ausgewandert, schrieb er nach anderen Vorläufern seines Talentes sein Hauptwerk, den psychologischen Roman Obermann (1804), in welchem er ein ähn- liches Einsiedlerleben beschreibt, wie Huysmans in A Rehours. Diese äusserliche Übereinstimmung ist bemerkenswert. De Sänancour gehört dem achtzehnten Jahrhundert an und steht unter den verzweifelten Franzosen seiner Zeit obenan, die als Emigrierte den Lauf der Be- gebenheiten in der Fremde mit heftigster Entrüstung abwartend ver- folgen. Man hat ihn mit recht den Schöpfer des französischen Werther genannt. Aber in einem Punkte weicht Obermann ent- schieden von Werther ab ; das Buch de Sänancour's erzählt keine Liebes- geschichte, dagegen gibt es wie Werthei* gefährliche Anleitung zum Selbstmord. Wie A Rehours für Überreizte und Übersättigte, so war

^) Über Lcewe-Veimars gibt Maxime du Camp in seinen Souve- nirs litt&aires (1882), Tome I, p. 397 401, wichtige Mitteilungen. Es thut mir leid, Herrn Ary Prins (Nieuwe Gids I, 220, 1886) widersprechen zu müssen, wenn er sagt, Huysmans stehe ganz und gar nicht unter dem Einflüsse der Romantik.

Moderne französische Romanschriftsteller, 63

Obermann für Unglückliche geschrieben.^) Der Held Obermann führt ein Eremitenleben wie Des Esseintes, die Phasen seines Seins sind aber von den Lebenszuständen der Goethe'schen Gestalt gänzlich verschieden. Obermann scheut sich davor, einen festen Wirkun^^skreis anzunehmen, weil er dadurch seine Freiheit verliert ; des Esseintes hat zuviel ge- nossen von den Freuden dieser Welt, als dass für ihn noch etwas anderes bliebe, als die ausgesuchteste Pracht für ihn allein in der Einsamkeit. Die Einsamkeit Obermann's ist weniger kompliziert als die Des Esseintes"; er schweift hoch in den Spitzen der Alpenriesen herum, dort begegnet ihm kein anderes lebendes Wesen, als der furchtbare Geier der Berge, der mit unheimlichem Schrei in die Tiefe taucht.

Denkt man an die Persönlichkeit beider Schriftsteller, so wird der Unterschied zwischen beiden noch augen^lliger. De S^nancour war aus politischen und persönlichen Gründen sein Vater hatte ihn in ein Seminar stecken wollen nach der Schweiz geflüchtet; dort ver- heiratete sich der gebrechliche Jüngling, verlor aber früh seine Frau. Sein Lebenlanff bewahrte er Jean -Jacques Rousseau warme Bewun- derung. Er selbst war ein tief melancholisches, unglückliches Wesen. Die romantische Zeit schwärmte für seinen Obermann, dessen feine, psychologische Züge man verstand und würdigte. Bei seinem Er- scheinen, 1804, hatte das Buch kein besonderes Aufsehen gemacht, nach 1880 ist es für die ausgewählten Geister der Romantik ein Lieb- lingsbuch geworden.

Uuysmans wird seinen Des Esseintes schwerer verteidigen können, als S^nancour seinen Obermann. Die Misanthropie in A Rebom*s ist nur durch den tiefen Missmut zu erklären, der, wie in den Werken Baudelaire's, in einem chronischen Nervenleiden wurzelt.

Kein litterarischer Pessimismus, kein Verlassen seiner Meister Flaubert, de Goncourt, Zola führt ihn zu seiner neuesten Vorliebe für Baudelaire und Edgar Allan Poe. Vielleicht ist es ihm ein Dorn im Auge, dass die jungen Naturalisten nur gar zu schnell mit ihren eigenen Arbeiten zufrieden sind und ihren Vorbildern ohne Selbst- prüfang nachfolgen. Da er einen Widerwillen vor allem hat, was nicht sorgfältig und gründlich durchgearbeitet ist; da er zu seiner Entrüstung vielen modernen Schriftstellern ohne Farbe und Charakter eine grosse Popularität zuteil werden sieht, strebt er nach etwas ganz Eigenartig -Besonderem und kommt zur Bewunderung des Fremden, des Ungeheuerlichen, wenn dieses nur von dem allgemein Anerkannten und Gepriesenen abweicht.

In dieser Gemütsstimmung kehrt er sich selbst unbewusst zu der pessimistischen Richtung zurück, und stellt neben Werther, Rena und Obermann seinen Des Esseintes als nächsten Geistesverwandten. Er teilt mit den beiden krankhaft angelegten Naturen, G^rard de Nerval und Charles Baudelaire, deren Melancholie zuweilen an Wahn- sinn grenzt, die Sucht nach dem Ungewöhnlichen, den Hass für das alltägliche. Gärard de Nerval schwärmte für Hoffmann, der, wie schon gesagt, in Frankreich durch Loewe-Veimars' Übersetzung bekannt ge- worden war; Charles Baudelaire's Held war der Amerikaner Edgar Allan Poe, den er selbst ins Französische übersetzte.

Es ist ein tief beklagenswerter Umstand, dass diese vier grossen

^) Mau vergleiche Georg Brandes, Die Litteratur des XIX. Jahr- hunderts in ihren Hauptströmungen, I. Band, Emigrantenlitteratur, S. 59—75.

64 Jan ien Brink, Moderne französische Romanschriftsteller,

Künstlernaturen, de Nerval, Baudelaire, Hoffmann und Poe verhältnis- mäseig so früh ihrem Wirken entrissen worden; ausser Hoffmann gingen sie alle in der Umnachtung des Wahnsinns aus der Welt. Das Dämonische ist allen eigenstes Element. In ihrem Leben ist ein Zug, der an wandernde Zigeuner mahnt. G^rard de Nerval verschleuderte ein kleines Vermögen in Blumen seltener Art, die er alle Abende einer Künstlerin, Jenny Colon, darbrachte, in Opernguckern und Stöcken, wie wunderlich dies erscheinen möge. Mit diesen Stöcken brachte er ihr klopfend allabendlich seine Huldigung dar. Baudelaire lebte in beständiger Feindschaft mit seinem Stiefvater, dem Oberst Aupick, den er einst bei einem Diner zu erwürgen gestrebt hatte, so dass ihn dieser nach Mauritius sandte. Dort lernte er Englisch. Als er später die Erbschaft seiner Mutter durchgebracht hatte, ruinierte er seine Gesundheit durch steten Opiumgenuss. HoömanUf der anl^nglich in Posen und in Warschau ein ungeregeltes Leben führte, wurde später Kapellmeister eines kleinen Orchesters, und verlor nun vollends alles Mass in seinem Leben. Er schrieb um zu trinken, und trank um zu schreiben, sagt Eichendorff. Edgar Allan Poe, der Sohn •armer unglücklicher Schauspieler, die bei ihrem frühen Tode ihn im tiefen Elend zurückliessen, wurde durch die Grossmut eines reichen Kaufmanns, John Allan, aus dem Staube emporgehoben und erzogen, aber auch durch masslose Zärtlichkeit verdorben. Seine Unmässigkeit und seine Spielsucht verschlossen ihm alle amerikanischen Universi- täten, kein Mittel, ihn zu bessern, half; so verlor er endlich die Gunst seines Wohlthäters und zweiten Vaters und war genötigt, seinen Unter- halt mit litterarischer Arbeit zu -verdienen. Er führte, was die Eng- länder a hand-to-mouth life nennen, bis er schliesslich in einem Hospital zu Baltimore im Wahnsinn starb.

Viele grosse Künstler sind früh gestorben; aber in dem Leben dieser vier liegt eine ganz besondere Tragik. Grosses Talent, ausser- gewöhnliche Begabung, vortreffliche geistige Schöpfungen, verlorene Illusionen, und zum Schluss der Tod in der Blüte des Lebens das war ihr Los. Das Krankhafte und Singulare ihrer Persönlichkeit in Verbindung mit der Flamme des Genies, die ihre Seele entzündete, erzeugte jenes eigentümliche Aroma, das Des Esseintes so gerne ein- atmete. Huysmans ist ruhiger als seine gegenwärtigen Vorbilder, Baudelaire und Poe. Das holländische Blut in ihm spricht oft noch recht vernehmlich, wenn auch die Pariser Erziehung, die er genossen, eine gewisse Unruhe und Verzagtheit hineingebracht hat, die ihn ver- hindert, mit echt holländischer Ruhe zu handeln und zu denken.

Er hat mit A Rebours seine künstlerische Charakteristik am klarsten dargelegt. Da wir noch viel von seiner Feder .zu erwarten haben, steht uns noch kein Endurteil über ihn zu. En Rade, sein in der Revue independante erschienener Roman, ist bereits A Rebours gefolgt.

(Antorisierte Übersetzung Ton ^ ^

Lina Schneider-Köln.) JAN TEN DRINK.

Zur Geschichte des Schäferspiels in Frankreich.

§ 1. Tasso und Guarini.

Wir haben eine Geschichte der französischen Pastorale,^) ein Werk; das, wenngleich nicht ganz zaiänglich,^) doch von dem liebevollsten Eingehen auf ein Gebiet der Litteraturge schichte zengt, bei dem sich andere Gelehrte nur so lange aufhielten, als es unbedingt notwendig war. Es ist auch ein eigenes Ding um jene Salonschäfer, wie sie Tasso, Guarini und Bonarelli in die Welt geschickt, als beglaubigte Sendboten jener ächten arkadischen Schäferliebe, für welche das dahingeschwundene Zeitalter der ungesuchten und ungezügelten Leidenschaft das goldene bedeutete. Warum aber sollten wir nicht untersuchen, ob in der „Verrücktheit" der Schäferpoesie nicht auch etwas „Methode" war? Die Hirtenflöte hat von jeher eine besondere Anziehungskraft ausgeübt, auch auf die Leute von der Stadt aber jeder belebte bei ihrem Klange das Thal mit den Bildern seiner eigenen Phantasie. Warum wirft man gerade der Pastorale am meisten Mangel an Lokalfarbe vor? War es im 16. und 17. Jahrhundert mit der Tragödie in dieser Beziehung besser bestellt? War das nur ein Fehler der Pastoraldichtung oder der ganzen poetischen Produktion jener Zeit? Nur auf diesem Wege konnte Weinberg zu dem Schlussergebnis seines Buches kommen, die Pastorale sei eine „notwendige Verirrung" gewesen. Hätte das Weinberg von den italienischen Pastoralen auch be- haupten mögen, von Aminta und dem Pastor fidof Und doch sucht Weinberg nachzuweisen, wie besonders diese Dichter die französische Litteratur an den Schäferstab gebracht hatten.

*) Weinberg, Das französische SchäferspieL Frankfurt a. M., 1884. 2) Vgl. LittU. f. germ, w. rom, Phil, 1885, Sp. 248.

Zsclir. 1 frz. Spr. u. Litt. XIi. 5

66 E. Dannheisser,

Zuerst, von unbedeutenderen Vorgängern zu schweigen, er- zählte Tasso sein Hirtenmärchen, eine Idylle in Dialogform. Die spröde Jägerin Sylvia, der liebeskranke Schäfer Aminta, der wollüstige Satyr, die altkluge Dafne mit ihrem Geistesverwandten Tirsi das sind die Charaktere, an denen die Pastorale ihre Kräfte prüfte. Der Überfall des Satyrs und der Selbstmord- versuch Aminta's, die einzigen dramatischen Vorgänge, werden nur erzählt, wie die Entstehung von Aminta's Leidenschaft auch erst einer langen, aber reizvollen Erzählung bedarf. Da- zwischen sorgt an geeigneten Stellen der Chor für lyrische Er- bauung.

Die Entstehung des Pastor fido ist weltbekannt. Guarini hatte mehr dramatisches Verständnis als Tasso. Dass er sich auch theoretisch mit der Pastorale beschäftigt hatte, beweist der VerratOf^) worin er die Entstehung der Pastorale aus der antiken Ekloge bespricht. Das Werk Tasso's reizte ihn zur Nach- ahmung, zur Negation, zur Erweiterung, Vertiefung und Ver- menscblichung der darin enthaltenen Motive. Im Gegensatze zu TaBso begrenzte er die Handlung durch Zeit und Ort, indem er ihr das antike Arkadien zum Schauplatze gab. Der Konflikt bekommt einen religiös -politischen Ausgangspunkt; denn die Heirat der Amaryllis mit Silvio, den sie nicht liebt, wird ve^n dem StaatBwohl gebieterisch gefordert. Schade nur, daas dieser echt tragische Konflikt nur auf der Oberfläche bleibt und bei Amaryllis nicht zum Seelenkonflikte werden kann. Ein hoher sittlicher Ernst geht durch das ganze Stück im Gegensatze zu der Moral Tasso's. Daher die vielen Sentenzen bei Guarini. AI» dramatische Motive und Charaktere sind von Guarini dem Äminta entlehnt worden: die spröde Geliebte, der liebes- bedttrftige Schäfer, der weltkluge Vertraute, die Entstehungs* geachichte der Liebe, der erste Kuss und die sehlieasliche Ver- einigung der Liebeapaare. Und doch ist auch hier die dramatische Auffassung grundverschieden. Sylvia ist spröde aus Tempera^ ment, denn ihrer ehelichen Verbindung mit Aminta steht nichts im Wege. Die Sprödigkeit der Amaryllis indes&en hat in der klagen Berechnung ihren Grund. Sie weiss, dass sie niobt Myrtiirs Weib werden kann, zu seiner Geliebten aber wiU sie sich nicht bekennen. Unkeuschheit und Untreue worden in Arkadien mit Tod bestraft, und die Schäferinnen wussten, dats das Geständnis ihrer Liebe notwendig dazu führen musste. Woher sonst das Lob des goldenen Zeitalters, wo der Begriff onore noch nicht bekannt war? Allerdings hatte Amaryllis viel

1) // Ferrato, S. 285.

Zur Geschickie des Schäferspiels in Frankreich. 67

weniger zu befttrchten als Sylvia; denn Myrtili ist nicht so sinn- lieh wie Silvio, dessen grösster Kammer es ist, dass Sylvia ihm das nicht freiwillig aus Dankbarkeit gewährt hatte, was sich ohne ihn der Satyr ertrotzt hätte. Bei Tasso läuft die ganze Handlang darauf hinaus, Sylvia zum Geständnis ihrer Liebe zu bringen. Als einziges Mittel dazu dient das Mitleid. Bei Guärini kommt es noch darauf an, die Möglichkeit einer ehelichen Verbindung herbeizufahren. Schon aus diesem Grande musste von Guarini ein grösserer dramatischer Apparat in Bewegung gesetzt werden* Es galt, eine Intrigue zu schaffen, neue Personen einzuführen. Hier musste sich das dramatische Naturgesetz geltend machen, die einzelnen Charaktere dureh ihre Gegensätze grell zu be- leuchten. Der liebesbedtlrftige Myrtili hat sein Widerspiel in dem brutalen Silvio, die spröde Amaryllis tritt in Gegensatz zu der feurigen, aufdringlichen Dorinda; Gorisca, deren Herz ein perpetuum mobile zu sein scheint, lenkt die naiven Naturen der Schäfer und Schäferinnen wie Marionnetten. Fühlte Guarini die Überfeinerung in den von Tasso seinen Personen geg^beüen Empfindungen heraus, so schuf er seinerseits die beiden Natur- kinder Dorinda und Silvio, welche für die Entwickelung der Haupthandlang nicht notwendig sind. Eine Liebesver Wickelung, wie sie in der VI. Idylle des Moschus angedeutet und mehrfach von andern Pastoraldichtem nachgeahmt worden ist, findet sieh bei Guarini nicht. Eine Anlehnung Guarini's an das Altertum braucht also für die Gestaltung der obigen zwei Charaktere nicht angenommen zu werden. Anders verhält es sich mit der Lösung des Knotens. Das im Altertum so beliebte Wiedererkennen (ital. Ricognizione) ist auch von Guarini benützt worden, obwohl er ausdrücklich darauf hinweist,^) dass nach Aristoteles das Wiedererkennen im Drama nicht unbedingt notwendig sei. Diese Behauptung ist insofern interessant, als man sieht, welche Be- deutung man dem Wiedererkennen doch noch beilegte. Woher es eigentlich in die Pastorale kam, hat schon Sorel eingesehen, und diese vermeintliche Unsitte fatid denn auch von seiner Seite die gebührende Abfertigung*^)

1) 11 Verrato, S. 187.

^ Cesie kisioire merite hien d^estre accompagnee de Celle des amours de Daphnis ei Cloe. Lautheur fait ces ietines gens si sois ei si advisez ioui ensemhle gv'il n*y a rien de vray semblaöle mais ee q%d me mei en colere principalemeni, c'esi gue ie eroy qite ce Uwe a donne suiet ä plttsieurs d*en vatUotr aussi faire aauires de bergeries et ie vöus asseure gü'ils Font si hien imiitf qn*ils foni ious qne leurs hergers ne connoissoieni ny leur pere ny leur mere ainsi que Daphnis ei Che el qu*eslans peiiis enfans, ils avoieni esie emporiez avec leur berceau par quelqud des^

5*

68 E, Dannheisser,

Dadurch, dass Guarini seine Personen mit ihren Eltern, Freunden etc. in Verbindung brachte, gab er der Pastorale neue, mehr äussere Eonfliktsmomente, stellte er sie auf einen realeren Untergrund, gestaltete er sie mit einem Worte ungleich dra- matischer als Tasso. Der Chor, welcher bei Tasso im allge- meinen die nämliche Rolle wie im antiken Drama spielt, wird von Guarini an den Schluss der einzelnen Akte yerwiesen und dient eigentlich nur noch dazu, einen Stimmungsbericht zu geben. Eingeführt wurde auch von Guarini nach dem Vorgange des Poliziano das Echo und das Motiv der Eifersucht. Nehmen wir dazu die Sprache Guarini's, die noch nicht bis zur Sättigung mit Pointen durchsetzt ist, so wird uns der beispiellose Erfolg des Pastor fido begreiflich. Guarini's Werk musste mehr zur Nach- ahmung reizen als das Tasso's. Auch die in jeder Beziehung rätselhafte Fiüi di Sciro von Guidobaldo Bonarelli vermochte nicht gegen den Pastor fido aufzukommen. Dieser blieb haupt- sächlich der Typus des Pastoraldramas. Diese Erkenntnis ist für die Geschichte der Schäferspiele in gewissem Sinne ver- hängnisvoll geworden. Noch Weinberg scheint, wenigstens ihrem Inhalte nach, die italienische und die französische Pastorale in einen Topf zu werfen und stellt so (S. 29) das Schema eines regelrechten Schäferspiels auf, das mit gleichem Rechte in einer italienischen Litteraturgeschichte stehen könnte. Er setzt gleich- sam das Programm des Schäferspiels a priori fest, ohne im Ver- lauf seines Buches darnach zu fragen, wie es durchgeführt wurde. Dass dabei jede innere, durch individuelle und nationale Eigen- tümlichkeit bedingte selbständige Entwickelung des französischen Schäferspiels ausgeschlossen ist, versteht sich von selbst. Es ist das eine fühlbare Lücke in dem sonst reichhaltigen Buche. Einige Andeutungen werden genügen, um diese Thatsache fest- zustellen.

§ 2. Hardy.

Es ist nicht zu verwundern, wenn schon im 16. Jahrhundert die italienische Pastorale wie jede italienische Litteraturgattung sich der Beachtung und Nachahmung der Franzosen aufdrängte. Ein Spiel des Zufalls ist es sicher auch nicht, dass gerade die- jenigen dramatischen Dichter, welche an der Schwelle und im

hordement de riviere ieüement qu'Hs avoieni este trotwez par quelque komme gut les avoit faict eslever, Regardez si Bapiiste Guarini dans sofi Berger fideüe rCest pas si soi guM use de la mesme inveniion ei si une infinite dautres ne, le sont pas encore comme si cela estoit de Pessence de la Bergetie d'avoir este perdu en enfance, (Sorel, Berger extravagant, Rouen, 1646, t. II, Livre XVIII, S. 80.)

Zur Geschichte des Schäferspiels in Frankreich, 69

Anfange des 17. Jahrhunderts als die allerdings schon bedenklich wankenden Säulen des Gamier'schen Klassizismus betrachtet wurden ich meine Montreux und Montchrestien , sich des Schäferspiels bemächtigten. Es muss mindestens zu Montchrestien's Zeiten das Schäferspiel bei der kleinen Gemeinde der litterarisch Gebildeten schon in grossem Ansehen gestanden sein; denn für die breite Masse des Volkes schrieben diese Dichter ja nicht. Was Montchrestien betrifft, so scheint er das Schäferspiel für eine Abart der Komödie gehalten zu haben , sonst hätte er das seinige wahrscheinlich nicht in Prosa geschrieben. Montreux führt uns ein Märchen im Gewände eines Schäferspiels vor. Die Zauberei steht im Vordergrunde, sonst trägt das Stück (AthlUe) schon den ausgeprägten Typus der italienischen Pastorale trotz der gegenteiligen Behauptung Weinberges (S. 18). Die Zauberei ist den bedeutendsten italienischen Pastoralen fremd. Nur im Aminta wird einmal vorübergehend erwähnt, der verliebte Schäfer habe sich an den weisen Mopso wenden wollen. Hier haben wir gleich einen grossen Unterschied zwischen der italienischen und französischen Pastorale, schon auf der ersten Stufe ihrer Entwickelung. Die Anregung zur Verwendung der Zauberei mag vom Amadisroman oder vom klassischen Alter- tum ausgegangen sein sicher ist, dass künftig die meisten französischen Schäferspieldichter sich ihrer bedienen, selbst die, welche sich, wie Montchrestien, eng an die Italiener anschliessen. Schon bei Montchrestien wird die italienische Intrigantin durch den Intriganten ersetzt, und die besten französischen Pastoral- dichter haben hier Montchrestien nachgeahmt eine zweite Abweichung vom Tjrpus der italienischen Pastorale. Die durch den Pastoralroman geförderte Tendenz, die weiblichen Charaktere zu idealisieren, hat hier vielleicht bestimmend mitgewirkt. Über die Aufführung von Montreax's und Montchrestien's Pastorale ist nichts bekannt.

Hardy hat auf das Schäferspiel den nämlichen Einfluss ausgeübt wie auf alle dramatischen Dichtungsarten er machte sie auf seinem Theater der grösseren Masse eines ziemlich un- kritischen Publikums zugänglich. Er zog alles in den Bereich seiner dramatischen Thätigkeit warum hätte er der Pastorale fernbleiben sollen? Sicherlich legte er Wert auf seine Schäfer- spiele, sonst hätte er sie nicht durch den Druck veröffentlicht. Ob nun auch die vornehme Welt Hardy's Pastoralen sehen mochte? Warum nicht? Musste ja selbst Ebert zugeben, dass Hardy's Publikum manchmal doch etwas gewählter war, als man bis jetzt noch allgemein geneigt ist, anzunehmen. Im zweiten Dezennium des 17. Jahrhunderts pflegten auch die jungen

70 E. Damiheisser,

EdeUeute in Hardy's liieater zu geben. Das wissen wir be- stimmt, sowohl von Racan^), als auch vom Abbö de MaroUes.^) Ob indes überhaupt, und dann inwieweit dieser Teil des Publi* kuma mit der Aufführung und dem Erfolge von Hardy's Pastoraiea im Zusammenhange steht, ist eine Frage, die noch nicht beant- wortet werden kann. Doch dtirfte gerade die teilweise Umbildung, welche das Schäferspiel durch Hardy's Hand erfuhr, darauf hin- deuten, dass, wie alle seine Stücke, so auch seine Pastorale« dem Geschmacke seines Alltagspublikums angepasst waren.

Der Dichter bezeichnet zwar selbst (Weinberg S. 52) das italienische Schäferspiel, als sein Vorbild, was übrigens jeder auf den ersten Blick sieht, aber er hatte den Geschmack seiner Landsleute studiert und schuf dem entsprechend neue Charaktere« Die übertriebene, unnatürliche Sprödigkeit der Hauptheldinnen ist in den besten Pastoralen Hardy's kein Hindernis für die Ver- bindung des Liebespaares mehr. Die Schäferinnen lieben, ent- gegen dem italienischen Pastoraltypus, auch als Hauptheldinnea des Stüokes gerade so offen und warm, wie die Schäfer, und Hardy hat sogar, wie man bei Weinberg (S. 34 u. 35) nachlesen kann, überraschend glückliche Ausdrücke für die Darstellung der reinen, uneigennützigen Mädchenliebe. Dass durch diesen einzigen ZfUg die Pastorale dem Nebel eines falsch verstandenen Idealis- mus entrückt und wieder dem Sonnenblicke des warmen realen Lebens zugekehrt wurde, ist klar. Auch in technisch-dramatischer Beziehung wurde dadurch viel gewonnen. Der Charakter der Hauptheldin ist nicht mehr scheu in sich selbst zurückgezogen, sondern tritt keck an das Tageslicht und reizt dadurch die ihm widerstrebenden Kräfte zur Reaktion das Gegenspiel der Leidenschaften kann beginnen.

Wir möchten damit nicht behaupten, dass es Hardy ge- lungen wäre, die beinahe krankhafte Sprödigkeit der Schäferinnen vom Schlage einer Sylvia oder Amaryllis von der Bühne zu ver- drängen — hat er sich doch selbst nicht davon zu befreien ver- mocht — sondern nur, dass er in diesem Punkte den Dichtem der gesund sinnlichen Arthinice und Sylvie ein nachahmenswertes Beispiel giüb. Geradezu bahnbrechend wirkte Hardy in anderer

*) 11 (sc. Eaean) dit que les comedies de Hardy qxi'il voyoit repre- senter ä VRdUl de Bourgogne ü enirait sans payer, Fexcitoieni fori, (Tallemant des Bäanx, üisiorieties, £dit Monmerque, t. II, S. 129.)

3) Je ne sais pas öü il (sc. Du Lion) prenoit le fond de toute la depense qu'ü faisoÜ, mais il en avoU toujours de reste pour de neiits fesiins qu^ü aimoit extrSmement, pour le paume ei pour la Cornea^ ü noHS menoii quelque fois, hrsmie ceiie fameuse Come'dienne appetäe La Porte monioii encore sur le T&eatre, (MaroUes, Memoires, Amster- dam, 1755 { t. I, S. 58, Jahr 161^.)

Zur Geschichte des Sehaferspiels in Frankreich. 71

Richtung. Wir haben gesehen, wie bei Gnarini die Verwickelung einen religiös -politischen Hintergrund hat: der, wenn auch nur verhaltene Wille der Amaryllis stösst weniger auf prinzipiellen Widerstand von Seite ihres Vaters dieser beruft sich auf die gebieterischen Forderungen des Gemeinwohls. Nichts von alle* dem bei Hardy. Die Väter in seinen Pastoralen lassen sich von durchaus persönlichen Rücksichten leiten, die meistens auf einer sehr materiellen Grundlage beruhen der Geldsaok spielt hier eine grössere Rolle als die Politik. Der Konflikt hat bei ihm kein öffentliches, sondern nur ein privates Interesse im Auge, er spielt sich nicht, zwischen Individuum und ^taat, sondern zwischen Individuum und Familie ab. Die Figur des habsüchtigen, eigensinnigen, derben, aber im Grunde gut- mütigen Vaters ist oft sehr wirksam der nur ihrer Leidenschaft lebenden Tochter gegenübergestellt Das ewige Lied von Reich- tum und Liebe, den beiden feindlichen Mächten, ist von Hardy in zwei seiner Pastoralen (Alcie und La Triomphe Samour) variiert worden, während die Figur des polternden Alten sich auch in Alph^e findet. Bei Guarini sind die Väter ganz andere Gestalten schattenhafte Wesen, ohne Fleisch und Blut. In Hardy's Pastoralen wirken jene urwüchsigen Alten um so er- frischender, als sie auch nicht die gezierte Sprache der Schäfer reden. Kurz, es sind bereits die komischen Alten Moli^re*s, die Vertreter der Komödie in der Pastorale. Schon im Pastor fido wird einmal der Ton der Komödie angeschlagen; ihrer eigen- tümlichen Begabung gemäss mussten die Franzosen das Komödien- hafte in der Pastorale mehr hervortreten lassen als die Italiener. Hardy zuerst ging hier so weit, dass er sogar den Ausgangs- punkt des Konflikts, den Gegensatz zwischen reich und arm, der Komödie entnahm und dadurch der italienischen Pastorale in Frankreich erst das Bürgerrecht verschaffte. Hüten wir uns in- dessen, mit Weinberg (S. 142) das Schäferspiel als einen Vor- läufer der bürgerlichen Komödie des 18. Jahrhunderts insofern zu betrachten, als darin die sozialen Gegensätze auf dramatischem Wege ausgeglichen werden. Das ist nur in der Sylvie der Fall. Bis dahin und auch noch nachher musste die Ricognizione zur Lösung des Knotens herhalten. Der Zauberei räumt auch Hardy einen grossen Platz ein, getreu den Traditionen Montreut' und Montchrestien^s. Auch der Verleumder findet sich bei Hardy, öfter freilich noch die Verleumderin. Sonst entfernt sich Hardy in nichts von dem Tjrpus der italienischen Pastorale, ausser durch die Derbheit, auch wohl Gemeinheit seiner Sprache. Merkwürdig ist, dass gerade Hardy's letzte Pastoralen, d. h. diejenigen, welche er zuletzt drucken Hess denn die Zeit

72 E. Dannheisser,

ihrer Aoffübning ist ja unbekannt seine schwächsten sind. Gering war die Zahl derer, weiche mit Hardy in der Pastorale wetteiferten es sind Des Croix^ Gallardon und Coign6e de Bourron. Auch bei ihnen erscheint die italienische Pastorale im Sinne Uardy's modifiziert: die Schäferinnen sind nicht spröde, die Verleumderin wird oft zum Verleumder. Auch die Komik Hardy's fehlt nicht, wohl aber dessen Heldenvater.

Die Pastoralen Hardy's beherrschen durchweg die Zeit bis zum Auftreten Racan's, wie ja Hardy auch die anderen Arten der dramatischen Litteratur beherrschte. Er hatte sich ein Publikum herahgebildet, das in gewissem Sinne Tout Paris war. Die vor- nehme Welt hatte nicht mehr genug an dem Getänzel der mytho- logischen Hofballette, und Hardy verstand es auf irgend eine Weise, sich bei ihr in Achtung zu setzen. Es war allerdings noch nicht die Zeit gekommen, wo man die trefflichste Ode fttr ein gutes Theaterstück leichten Herzens hingab: die Theater- dichter verbargen ihre Namen; denn diese hatten in der vor- nehmen Welt keinen Klang, und das Volk fragt nie darnach. Ballettdichtungen erschöpften die Phantasie der höfischen Dichter, und höfisch waren sie alle. Der gute Ton erlaubte es wohl, Hardy^s Schöpfungen zu sehen und zu beklatschen, nicht aber, mit ihm zu wetteifern. Doch in aller Stille bereitete sich die Wandlung vor. Drei Bände der AsMe waren 1620 bereits er- schienen. Sie legen beredtes Zeugnis davon ab -- und das ist hier für uns von besonderer Wichtigkeit dass D'TTrf6 die Schäferspiele der Italiener für seine Aatrie gründlich studiert hatte. Auch fttr die Schule Malherbe's ist die Vorliebe fttr das italienische Schäferspiel charakteristisch; ist ja doch bekannt, dass Malherbe selbst fttr Tasso's Aminba schwärmte. Marie de'Medici war, wie wir aus der interessanten, aber für Deutsche leider noch nicht zugänglichen Vorrede D'ürf^'s zu seiner ein- zigen Pastorale: Süvanire ou la Morte Vive ersehen können, be- strebt, diese der italienischen Pastorale günstige Strömung zu fördern, und die Astree selbst war ja in hervorragender Weise dazu geeignet, die Phantasie der Franzosen zur Erzeugung und Aufnahme der Pastorale in die richtige Stimmung zu versetzen. Die Kriegsjahre 1620 23 waren zu wenig aufregender Natur, um die französische vornehme Damenwelt aus dem Halbschlaf der „Schäferei'^ aufschrecken zu können. Im Jahre 1622 schien die Thätigkeit Hardy's erlahmen zu wollen, und 1623 soll er gar schon ganz von der Bühne zurückgetreten sein. Über die Gründe seines Rücktritts ist nichts bekannt. Um dieselbe Zeit ungefähr^)

i) Das Druckprivileg für D'ürfö's Schäferspiel ist vom 2. April 1625.

Zur Geschichte des Schäferspiels in Frankreich, 73

studierte D'Urf6 die Gesetze der italienischen Pastorale genauer, auf allerhöchsten Befehl hin war er gezwungen, sie nachzuahmen, wie er selbst in der Vorrede zu seiner Süvanire sagt Er, der Dichter der Astr^e, schien jedenfalls der Berufenste za sein, die Pastorale in einer Weise zum Drama zu gestalten, dass auch die französische vornehme Welt sich und ihren Geschmack in höherem Grade darin wiederfand, als es in den Pastoralen Hardy's der Fall war. Wir werden sehen, wie D'ürfö seine Aufgabe löste. Vorerst müssen wir der dramatischen Wirksam- keit Th^ophile de Viau's gedenken, unter dem Vorbehalte a^er- dings, dass für dessen einziges Theaterstück, Pyrame et Tkishi^ eine Tragödie, die Abfassungszeit noch nicht genau bestimmt werden kann. Warum entzog gerade er sich dem Zuge der Zeit nach der Pastorale? Die näheren Umstände, unter denen Pyrame et Thishe in die Litteratur eintrat, sind unbekannt. Thöophile, der Dichter der vornehmen Welt, schreibt eine Tragödie, viel- leicht gar zu einer Zeit, als Hardy noch nicht seine letzte Szene geschrieben hatte. Wenn wir nur wttssten, wo das Stück zuerst aufgeführt wurde! Einem Manne, wie Th^ophile, können wir wohl die Kühnheit zutrauen, dass er mit Verachtung aller gesell- schaftlichen Rücksichten als dramatischer Dichter im Wettkampf mit dem von ihm so aufrichtig bewunderten Hardy aufzutreten wagte. Ton und Stil des Pyrame sind zwar offenbar auf das vornehme Publikum berechnet, aber dieses nämliche Publikum konnte auch Hardy noch Geschmack abgewinnen, als Jean de Mairet's Pastorale Sylvie zum erstenmale aufgeführt wurde (1626). Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass, was schon Ebert (Entwickelungageschichte, S. 194) behauptete, Thöophile auf Anregung Hard/s für dessen Bühne schrieb. Als Pyrame im Jahre 1625 oder 1626 bei Hofe aufgeführt wurde, traf er, wenigstens dem Inhalte nach, nicht den Geschmack des Hof- publikums, das damals im Theater nur angeregt, nicht aufgeregt oder gar bis zu Thränen gerührt sein wollte.^) Als Thöophile das Stück aber schrieb, war die vornehme Welt vielleicht noch mehr an die kräftigere dramatische Kost Hardy's gewöhnt. Wir können also daraus nicht schliessen, dass Th^ophile mit Absicht dem Geschmacke seines Publikums an der Pastorale keine Rech- nung getragen habe; denn wir wissen nicht, ob die Pastorale überhaupt schon Modeschauspiel war, als er seine Tragödie schrieb, die vielleicht immer eine crvac für den Geschichtschreiber des französischen Theaters bleiben wird.

^) Vgl. den Brief Thdophile's an Vall^e in AUeaume, (Euvres de Theophile, t. II, p. 422.

74 E. Dannheisser,

§ 3. Racan. (Gegen 1624.)

Auf den ersten Blick mnss es nns befremdlich erscheinen, dass aus der Schale Malherbe's ein so bedeutender Dramatiker wie Racan hervorging. Denn weder Malherbe noch sein Schüler Maynard hatte irgend welches Verständnis flir die Erfordernisse eines Dramas. Noch in späten Jahren hat Racan erzählt, welche vortrefflichen Ratschläge ihm Malherbe nnd Maynard gegeben hätten.^) Zum Glück fiel es ihm nicht ein, dieselben zu befolgen. Deip Zuge der Zeit nach der Pastorale hat sich indessen Mal- herbe nicht verschlossen. Bezeichnender Weise wählte er die Form der Ekloge, um seine platonische Liebe zn Madame de Rambouillet zum Ausdruck zu bringen.^) Er liebte nicht bloss die paetorale Lyrik, sondern auch das pastorale Drama, den Aminia. Racan brauchte nur seinem Meister zu folgen, um dahin zu gelangen, wohin ihn auch seine individuelle Begabung wies, zur Schäferpoesie. Die Gesellschaft, die ihn umgab, war von Idyllensucht angekränkelt, dagegen erhob selbst ein Balzac ver- gebens seine warnende Stimme.^) Es war wieder Friede im Lande. Zudem wusste Racan eine hübsche Hofgeschichte ,^) es galt, bekannte Persönlichkeiten poetisch zu verherrlichen. Dazu wählte er aber nicht mehr, wie D'ürf6 und Gombaud, die Form des Romans, sondern die des Dramas. Da die Komödie da- mals aber noch nicht ihre Auferstehung gefeiert hatte, bot sich die Pastorale als einzig mögliche dramatische Form dar. Znm zweitenmale hatte sich, nach Th^ophile's Vorgange, ein durch seine sonstigen poetischen Werke berühmter Mann der drama- tischen Muse angenommen. Wann aber drangen die Bergeries

^) Malherbe et Maynard estoieni cPavis de couper le sens des vers de suiie de quatre vers en quatre vers; mais moy, qui me suis toujours öppose iant que fay pu aux gesnes Ton votuoit meiire noire poe'sie, je rCy ay jamais su consenUr et me sembloit que ce seroÜ faire des stances et non des vers de suite» (Brief Racan's an Chapeiain vom 25. Oktober 1654. Tenant de Latour, (Euvres rftf Racan, t. L, p. 352) und: Vous proposätes aussy ä M, Chapeiain si Fon estoit oblige, aux vers de tkeätre eomme aux €tutres vers de suite, de fermer le sens avec la ryme, M. de Matherbe m*ordonnoit de le fermer de quartre en quatre, mime en ma pastareUe, Cette grande justesse me sembloit ridicule quand festois ohUge de de'crire des passions violentes et desordonne'es. (Brief nacan^s an Manage vom 17. Oktober 1654. Latour I, p. 856.)

^ Vgl. meine Studien zu Jean de Mairefs Leben und Wirken, Münchener Dissertation, 1888. S. 74 ff.

8) Brief Balzac's an Bacan, 8. September 1628 (?), Folio-Ausgabe der Werke Balzac's, t. I, p. 108,

^) Üeber Zeitbestimmung und Entstehung der Bergeries vgl. meine Mairei-Studien, S. 67 ff.

Zur Geschichte des Sehafisrspiels in Frankreich. 75

Racan's zum ersten Male vom H<tfe, für den das Stüok ^esohrieben wurde, in die Stadt? Das» an dem Tage, wo die Bvrgeiries oder Th^ophile's Tragl5die zum erstenmale auf einer öffentliehen Pa- riser Bühne aufgeführt wurde, der Name des Dichters aneh auf dem Theaterzettel stand, ist nattirlieh; denn er zog. 8orel, der die hier angedeutete Thatsaohe erwähnt, sagt, das sei g^en 1625 gewesen. Diese Stelle ist bis jetzt von fast allen Litterar* historikem angeführt worden,^) ohne dass man hervorgehoben hätte, inwieweit die von Sorel gegebene Jahreszahl 1625 von den bisher für die in Rede stehenden Werke angenommenen Daten (1617, 1618, 1621 ete.) abweicht Kann aneh die An- gabe Sorel's keinen Anspruch auf absolute Genauigkeit machen, so ist deren annähernde Richtigkeit eine schwerlich mehr zu be* streitende Thatsache. Mit den Bergeries (1623 oder 1624) beginn eine neue Epoche für das französische Theater. Ob der Rück- tritt Hardy's zu dieser Wendung der Dinge in irgend einer Be- ziehung, dann in welcher, der von Ursache oder Wirkung, steht, wird schwerlich festgestellt werden können. Ebensowenig iässt sich die Behauptung Ebert's erweisen, dass Raoan das „Reich Hardy's erschüttert habe^. Denn die Prodnktionskraft Hardy's war schon gelähmt, als Raoan die Bühne betrat (1628 oder 1624), und nach der jetzt üblichen Zeitbestimmung der Bergeries (1618) hätte ja Hardy noch fUnf Jahre nach Racan's Auftreten die Btthne beherrscht Zweifellos wurden noch einige Jahre nach der ersten Aufführung der Bergeries Hardy's Stücke auf der nämlichen Bühne gern gesehen, wo Racan's Bergeries gespielt wurden. Das bestätigt nicht bloss Jean de Mairet, ^) sondern auch Georges de Scudery in der Com^die des OomSdiens. Wir haben gesehen^ welche Form die Pastorale unter Hardy's Hand angenommen hatte. Kann es uns auch nicht einfallen, die Bergeries , ihrer künstlerischen Gestaltung nach, mit den Pastoriüen Hardy's zu vergleichen, so müssen wir doch andererseits darauf hinweisen, dass die Bergeries ihrem Inhalte nach den Einfluss Hardy's nicht verleugnen können. Racan nennt in seinem Briefe an Mal- herbe,^) dem einzigen seiner Art, die Italiener seine Meister, die er nicht erreichen könne, und die Nachahmung Guarini's bemerkt auch der allerflüchtigste Blick: der Hymnus auf das goldene Zeit- alter, die Jeremiade über die strengen Gesetze der Ehre, die aufdringliche Liebhaberin, der Satyr, das Wiedererkennen des durch eine Überschwemmung verlorenen Sohnes Racan hätte

^) Ebert, Entwickelungsgeschichte, S. 187, führt sie wörtlich an. ^ Epistre famüiere sur le Cid. Parfaict, Eüsi. du iheätre franc., t. IV, 288.

*•) (Euvres, ed. Latour I, p. 16.

76 E. Dannkeisser,

wahrlich nicht erst zu sagen brauchen, dass er die Italiener ge- lesen. Aber Arth^nice ist nichts weniger als eine spröde Ama- ryllis, sie lässt sich nur zu sehr den Hof machen. Die erheuchelte oder wirkliche Sprödigkeit der Schäferinnen hat Racan, ebenso wie Hardy, aus seiner Pastorale verwiesen. Entgegen dem Ge- brauch der hervorragendsten Italiener dient auch bei Racan die Zauberei dazu, die Verwickelung herbeizuführen, wobei der Sinnen- kitzel nicht vermieden wird. Die Verleumderrolle spielt auch bei Racan ein Mann, denn auch Racan versucht, alle Frauen- gestalten möglichst sympathisch erscheinen zu lassen. Das Motiv des Konflikts ist bei Racan eigentttmlicherweise ein doppeltes. Zuerst bildet die Habsucht des Vaters, später ein religiöses Be- denken das Hindernis, welches sich der ehelichen Verbindung der liiebenden entgegenstellt. Die Eigenart Guarini's ist hier mit derjenigen Hardy's so verquickt, dass die Schärfe der Gha- rakterzeichnung unbedingt Not leiden musste. Der Vater der Arthönice ist bald der habsüchtige Komödienvater Hardy's, bald wieder, besonders am Schlüsse der Bergeries, sympathisch, wie Titiro oder Montane im Pastor fido. Der von Sil6ne hie und da angeschlagene derbe Ton erinnert an Hardy's ürwttchsigkeit, während in der Art der GefOhlsschilderung Racan entschieden den Italienern näher kommt als Hardy. Bezeichnend ist, dass Racan sein Stück gar nicht drucken lassen wollte, er fürchtete die Kritik des pays latin (Brief an Malherbe), und es war ja nur für die Aufführung geschrieben, vorerst nur für den Hof und die dortige Gesellschaft geschrieben (Brief an Malherbe) ein modernisiertes Odi profanum vtdgus. Können wir auch nicht zugeben besonders mit Hinblick auf Hardy's Pastoralen dass, wie es jetzt Mode zu sein scheint, anzunehmen, die Pastorale das Privileg der vornehmen Klassen der Gesellschaft gewesen sei, finden sich sogar bei Racan Ausdrücke, welche nicht auf diese Klasse des Volkes berechnet zu sein scheinen Racan hat nach eigenem Geständnis seine Pastorale nur für. die vor- nehmen Klassen geschrieben. Für den Inhalt seines Werkes war Racan durch die litterarische Tradition gebunden, der Ton, den er wählte, war der aller anderen Litteraturgattungen die Gesellschaft verstand und liebte ihn. Für den Gelehrten vom Schlage eines Balzac war die Pastorale ein Unding sein Ideal war die antike Tragödie. Racan sei der rechte Mann für eine Reform des Theaters, schreibt Balzac^), obwohl er kein Latein kenne, wenn er sich nur entschliessen würde, die ganze Schäferei an den Nagel zu hängen. Auf diese Weise wollte Balzac den

1) Brief an Racan, Folioausgabe I, S. 108.

Zur Geschichte des Schäferspiels in Frankreich. 77

Erfolg Racan's, den er yoraussab, aasnützen. Aber Balzac's Beformgedanken fielen auf unfrucbtbaren Boden. Bis gegen 1627 blieb die Pastorale der Qualität nach die Beherrscherin der Bühnen. Quantitativ konnte sie es allerdings nie werden, was die flüchtigste Statistik der in dieser Zeit erschienenen Theater- stücke beweisen könnte. Racan's Beispiel konnte nicht be- sonders anregend wirken. Neue Stoffe bot die Pastorale wenig und, was die Art der Behandlung betrifft, so werden sich wenige berufen gefühlt haben, mit dem gefeierten Schriftsteller in die Schranken zu treten. Daher wohl die Unfruchtbarkeit auf dem Gebiete der Pastorale in dieser Zeit (1623—27). Dass sowohl Oombauld als auch D'Urf6, die beide in inniger Beziehung zum Hofe gestanden, sich auch auf dem Gebiete des Pastoraldramas versuchten, ist ein Beweis für die Beliebtheit desselben in jenen Kreisen. Das pastorale Element hatte nun alle Zweige der Lit- teratur durchsetzt von der Astrie war man zu den Bergeries gekommen, d. h. in den Schriftstellerkreisen, welche die Poesie nicht wie Hardy als Handwerk betrieben. Aber welcher Unter- schied zwischen der Astrie und den BergerieSy ein grösserer Unterschied noch als die Eigentümlichkeit der beiden Dichtungs- arten bedingt: schon D'Urfi6 sah ein, dass auch, dem Inhalte nach, ein Pastoraldrama anders beschaffen sein müsse als ein Pastoralroman. Hardy's Schäferspiele sagten ihm das noch ein- dringlicher als die der Italiener. D'Urfö's Süvanire ist teilweise nach Hardy's Rezept gearbeitet. Es sind echte Bauern, die hier vorgeführt werden, keine verkappten Königssöhne und Aristo- kraten, wie in der Astrie. Die Sprödigkeit der Astrie findet sich in den besten französischen Pastoralen nicht, und nach der Gestalt des Hylas sucht man bis 1627 auch vergebens. Die unbedingte Herrschaft des Weibes über den Mann konmit wohl in der Haupthandlung der Astrie zum Ausdrucke, nicht aber in dieser Ausdehnung im Pastoraldrama, wobei ich nur an den Typus der aufdringlichen Liebhaberin zu erinnern brauche. Dem Bestreben, eigene Erlebnisse oder wenigstens Ereignisse der eigenen Zeit darzustellen, begegnen wir, wie in der AsMe^ auch im Pastoraldrama (z. B. der ersten Redaktion der Bergeries), aber auch schon vor Erscheinen der Astrie, schon bei Montchrestien (Weinberg S. 22) und Guarini. Damach sind die von Weinberg S. 17 und 59 gemachten Angaben über den Einfluss der Astr^ einzuschränken. Sodann kamen die in der Astrie enthaltenen Stoffe eigentlich viel mehr der Tragikomödie als der Pastorale zu statten; denn rein pastoralen Charakter tragen in der Astrie besonders die Haupthandlung, ausserdem aber nur noch die Ge- schichte von Cilion et Bilinde und die in jeder Beziehung ver-

78 E, Dannheisser,

dltohtige Oesehichte der SilvanirOi Die beinahe in jeder Litte - rattufgeschiehte angefahrte Äa&serung von Segrais^) enthält eine arge Über^eibung und verleitet zn der Ansieht, alle aus der Astr^e genommenen Stoffe seien zu Pastoralen verarbeitet worden. Auch die dort angegebene Art der Nachahmnng ist eine Ver- keiBnoitg der Sachlage. Trotzdem kann der Einfluss der Astree auf das französisebe Sehäferspiel nieht hooh genug angeschlagen w^den, nur ist er nicht in Äusserlichkeiten zu suchen« Die Veredelung des Tones in der Pastorale ist sicherlich nicht allein auf Racan's poetische Individualität zurückzuführen , und erst durch die Astrie wurde das französische vornehme Publikum für das Sehäferspiel empfänglich gemacht. Wenn Bacan den Schau- platz der Handlung nicht mehr nach Arkadien, sondern nach Frankreich verlegt, entgegen dem sonstigen Gebrauch der Pasto- raldichter, so mag vielleicht hier die AsMe auch bestimmend eingewirkt haben. Aber das französische Schäferspiel im ersten Stadium seiner Entwickelung, auch noch bei Hardy muss schon aus ohronologischen Gründen als unabhängig von der Astree bezeichnet werden. Racan hat, wie die italienischen Schäfer- spieldichter, in richtiger Selbsterkenntnis nur eine einzige Pasto- rale geschrieben, ebenso wie Gombaud, der gefeierte Dichter des Endpmion. Mit der Amarardhe Gombaud's (1625?) hält erat der raffinierte Guitorismus seinen Einzug in das Schäferspiel, während Racan^s Sprache noch verhältnismässig natürlich ist. Was vom Inhalt der Amaranthe bekannt ist, lässt vermuten, dass das Stück den T3rpU8 der französischen Pastorale nicht verleugnen kann. Hatte Racan vermittelst des Schäferspiels einmal dem aus der vornehmen Welt hervorgegangenen oder in ihr aufgegangenen Dichterkreise die Pforten der Bühne geöffnet, so mussten diese Dichter bald das Bestreben verspüren, auch die übrigen drama- tischen Dichtungsarten in den Bereich ihrer Thätigkeit zu ziehen. Aber hier zeigte sich so recht die dramatische Iitipotenz der Racan'schen Dicfatergeneration. Nach 1625 bleibt alles wieder stumm wie zuvor^ selbst Hardy hatte die Bühne verlassen.

§ 4* Mairet.

Da kam Jean de Mairet, als rettender Geist, wie Malherbe, jung, ohne Dichterruf, ehrgeizig, voll Scharfsinn für die Bedürf- nisse seiner Zeit er hatte einen Hauch von Th6ophile's Geist

1) Pendant pres de 40 ans an a iird presque ious les sujeU des pieces de Thääire de /'Asträe et les Föetes se contentoient ordinairement de meitre en vers ce gue M, D^TJrfe y fait dire en prose aux person- nages de son Roman, Ces pieces-& s*appeloient des Pastorales aux- queües les Cptn^ies suecäderent, (Segraisiana, Paris, 1721. S. 145.)

Zur Geschichte des Schäferspiels in Frankreich. 79

yerspQrt. Mit richtigem Blick oder Gefühle erkannte er, dass nunmehr. Dank Racan nnd Th6ophiie, der junge Dichter seine ersten Lorheeren auf der Bühne holen konnte, das» Oden 2U diesem Zwecke nicht mehr so nötig waren wie früher« Er wagte es, sich gleich anfangs dem Publikum als Theaterdichter voran- stellen. Da er im Dienste eines so hoch angesehenen Eldelmanns stand, wie es der Herzog von Montmorencj war, brauchte er nicht zu fürchten, in sozialer Beziehung mit dem alten Hardy verwechselt zu werden. Die Vorliebe des Herzogs für das Theater widmete ihm doch Hardy den ersten Band seiner Werke mag vielleicht anch nicht ohne Einfluss gewesen sein« Kurz, Mairet war, nach Hardy, wieder der erste Dichter, der gleich von vornherein seinen Ruhm einzig und allein dem Theater verdankt. Diese Thatsache ist bis jetzt noch nicht genügend hervorgehoben worden. Dass Mairet sich nicht mit einer Pastorale, sondern mit einer Tragikomödie (Chrisüde et Arimant) einführte, ist bezeichnend für seine hervorragende dramatische Begabung, vielleicht auch für seine kluge Berechnung. Nach dem grossen Erfolg der Bergeries konnte Mairet als An- fänger nicht hoffen, mit einer Pastorale gleich durchzudringen. Er versuchte, das vornehme Publikum nun auch für eine Tragi- komödie zu gewinnen, indem er, wie alle seine Zeitgenossen, den Ton des Marinismus anschlug. Der Erfolg scheint hinter den Erwartungen zurückgeblieben zu sein; denn Mairet Hess die GhrisSide erst spät selbst drucken. Aber einmal von der Hoff- nung auf Theatererfolge berauscht, versnobte Mairet zum zweiien Male das Glück der Bretter mit einer tragi-comSdie-pastoralef der Sylvie (1626). Den ungeheueren Erfolg dieses Stückes be- zeugt noch Rotrou^)« Die Bedeutung der Sylvü für die Ge- schichte des Schäferspiels liegt schon in diesem Erfolge; wir haben nach den Gründen desselben zu forschen. Der geistreiche Saint- Marc -Girardin sagt, die Mischung von amnntigen nnd er- habenen Szenen sei das Neue an dem Stücke gewesen.^) Schon sein Titel musste etwas Neues bedeuten, denn die Bezeichnoftg tragt -comidie-pastorale, finden wir vor der Splvie in keinem französischen Drama von irgend welcher Bedeutung. Dass von Mairet eher als von Racan der Ausspruch Balzac's gilt, er sei zu pathetisch für die Pastorale, ersehen wir aus seiner ChrisSide, War des Dichters erstes Werk keine Pastorale, so ist es interessant, zu beobachten, wie er sich in seinem

*) Je faisois Amaranthe ou Chris ou Sylvie, Et de mes aciions la cour esioit ravie.

(Rotrou, Naufrctge Heureux, A. III, Sz. 8.J 3) Cows de lectures dramatiffses, t. III S. 237 ff.

80 E. Dannheisser,

zweiten Werke mit dem dramatischen Oenre der Pastorale ab- findet. Inwieweit er die Italiener studiert hat, lässt sich für die Sylvie nicht erweisen, wohl aber, dass dieses Werk sich in vieler Beziehung an Racan und Th^ophile's Drama anlehnt. Der Typus der von Hardy geschaffenen, und von Racan weiter entwickelten und zu grösseren Ehren gebrachten französischen Pastorale ist auch von Mairet beibehalten worden; denn der Verleumder und der urwüchsige Vater finden sich auch in der Sylvie, und die Hauptheldin hat trotz aller Naivität einen Anflug von welt- männischer Klugheit wie Arth^nice. Keine der auftretenden Personen, selbst der diplomatische Kanzler nicht, wagt es, die echte, wahre Liebe auf die falsche Wage der Vernunft zu legen. Die Sprache des Stückes bedeutet den Bergeries gegenüber sogar einen Rückschritt, denn die Zahl der Pointen ist bei Mairet viel grösser. Und doch, trotz teilweisen Festhaltens an der litterarischen Tradition, welch gewaltiger Fortschritt vom dramatischen Standpunkte aus! Das vernichtende Urteil Par- faict^s über die Sylvie kann nur der gutheissen, welcher die Litteraturgeschichte zum Paradefelde ästhetisierender Gemein- plätze macht. Mairet hat, bewusst oder unbewusst, darnach ge> strebt, die Pastorale durch Zuführung von neuen stofflichen Elementen wieder mit frischer Lebenskraft zu erfüllen. Ein Prinz liebt eine echte Schäferin, nicht eine verkleidete oder später als Aristokratin wiedererkannte Schäferin. Der Gegen- satz zwischen Hof- und Landleben dient in der Sylvie nicht mehr, wie bei den vorhergehenden Pastoraldichtern, bloss zur Koloratur, sondern er bildet den Grundton und das Leitmotiv des Stückes, den Ausgangspunkt der Verwickelung. Th61ame will von den Damen seines Hofes nichts wissen und liebt ein echtes Bauernkind. Den Gegensatz von Th6lame's Schicksal zu dem Florestan's hebt das Grundmotiv in recht dramatischer Weise hervor. Florestan hat das Glück, dass seine Geliebte eine Königstochter ist und gibt seiner Freude darüber

Ausdruck:

Pmsqu*eüe est comme moy, dCune royaie iige, Uhonneur ä la servir davantage nCoUige. (I, 1.)

Und doch kann er erst dadurch zum Ziele seiner Wünsche ge- langen, dass er den auf Th^lame lastenden Bann des Schicksals löst, ein Zug echter poetischer Gerechtigkeit. Das Wiederer- kennen, wie es bei Guarini, Hardy und Racan zur gewaltsamen Lösung des Knotens verwandt wird, hat Mairet in rühmenswerter Weise in der Süvie sowohl als in der Sävanire verschmäht auch ohne dasselbe kommt die Liebe zu ihrem Ziele. Selbst die Wahl der teilweise ländlichen Szenerie entspringt aus dem

Zur Geschichte des Schäferspiels in Frankreich. 81

Grundmotiv des Stückes der Fürstensohn mnss seine Liebe verbergen und seine Schäferin in den abgelegensten Ecken ihres Thaies aufsuchen. Wie in allen französischen Pastoralen spielt auch in der Sylvie die Zauberei eine grosse Rolle, nur mit dem Unterschiede, dass sie bei Mairet dem bisherigen Ge- brauche entgegen, nicht dazu dient, um die Verwickelung, sondern die Versöhnung der widerstrebenden Interessen herbei- zuführen. Die Verwickelung andererseits geht in einer Weise vor sich, wie sie anmutiger, poetischer und dramatischer nicht gedacht werden kann. Zugleich ist diese Szene die einzige in in der Sylvie, welche echt pastoralen Charakter trägt, ohne aber nach der herkömmlichen Schablone ausgearbeitet zu sein (III, 2). Natürlich hat auch Mairet wie Hardy und Racan darauf verzichtet, die Sprödigkeit der Hauptheldin den Italienern nach- zumachen. Sylvie sagt Thi61ame, dass sie ihn liebt, sie weiss auch, dass er ein Fürstensohn ist. Niemals hat vor Mairet ein Pastoraldichter versucht, das Glück zweier einander angehörenden Seelen zu schildern, geschweige denn so zu schildern, wie Mairet es gethan. Selbst bei Racan wird nur von Liebesleid, nie aber von Liebesglück gesprochen. Arth6nice tri£ft mit ihrem Geliebten Alcidor überhaupt nicht zusammen, bevor die List des Lucidas den Bruch herbeigeführt hatte. Ebenso ist es bei den Italienern; denn der Schmerz ist leichter darzustellen, als die Freude. Die Empfindungen und Gedanken, welche auf die ihres Geliebten harrende Sylvie einstürmen, sind der Ausdruck des reinsten Ge- ftthlsoptimismus, ein Stimmungsbild von vorher im Pastoraldrama nie gekannter Wahrheit. Diese Szene gehört zum besten, was Mairet je geschrieben (Sz. I, 2). Woher Th61ame's Liebe zu Sylvie kommt, brauchen wir nicht zu wissen, die einfache That- sache genügt. Während uns in den bedeutendsten italienischen Pastoralen und auch noch bei Racan mit unbarmherziger Aus führlichkeit die Entstehung der Liebe erzählt, ja gewissermassen motiviert wird, geht Mairet von dem Standpunkte aus, dass die Leidenschaft keinerlei Legitimation oder Heimatsscheins bedarf. Ebensowenig braucht sich Th^lame durch eine besonders ver- dienstvolle That seine Sylvie erst zu Dank zu verpflichten, um ihrer Liebe sicher zu sein Notzucht und Satyr haben deshalb in der Sylvie keinen Sinn. Schon die Verbannung des Satyrs aus der Pastorale auch in der Süvanire kommt er nicht vor wäre eine verdienstvolle That Mairefs gewesen, die ihm allein einen Platz in der Geschichte dieser Dichtungsart sichern würde. Auch in der Charakterzeichnung macht sich gegen Racan ein Fortschritt bemerkbar. Sylvie ist naiv und optimistisch, aber die kluge, durch fremden Schaden gewitzigte Hüterin ihrer Jung-

Zschr. f. firz. Spr. u. Litt. Jlh t^

82 E, Dannheisser,

fräulichkeit, obwohl sie weiss, dass Th^lame mehr möchte, als Worte der Liebe. Auch mag die List Phil^ne's ein Stachel des Misstrauens in ihr zurückgelassen haben. Mit ihrem Geliebten verkehrt sie, wie wenn er ihres Standes wäre die Liebe macht die Menschen einander gleich. Erst nach der List Philöne's redet sie Th^lame mit voua an, aber nicht lange. Gegen ihre Eltern ist sie voll Achtung, ohne die Rechte ihres Herzens des- wegen aufzugeben. Sobald sie sich in ihrer Liebe betrogen sieht, kennt sie keine Zurückhaltung oder Verstellung mehr, wie Arth6nice sie nennt ihre vermeintliche Nebenbuhlerin j^cour- tisane.^ Später jedoch stellt sie sich gegenüber Th^lame, als ob ihre Eifersucht nur erheuchelt gewesen sei, ein Zug, welcher das Charakterbild entstellt. Auch Dorise gegenüber, auf die sie doch eifersüchtig sein muss, weiss sie sich klug zu verstellen. Überhaupt ist hier anzumerken, dass sich die Eifersucht in der Pastorale beinahe immer nur derjenigen Person gegenüber Luft macht, wegen der, nicht aber derjenigen gegenüber, auf die man eifersüchtig ist. Höchst liebenswürdig und anziehend ist der Charakter der Mac6e, Sylvie's Mutter, gezeichnet. Kein Pastoraldichter vor Mairet hat uns die Gestalt einer älteren Frau so sympathisch zu machen gewusst, wie er. Meistens gut ge- lungen ist Mairet auch der Ton der Ironie, der in dieser Weise in der Pastorale zum ersten Male auftritt. Selbst der alte, ur- wüchsige Dämon wird ironisch, und Sylvie straft den heim- tückischen Phil^ne nur durch ironische Bemerkungen. Wir könnten uns fast in die Charakterkomödie versetzt glauben, wie ich überhaupt der Ansicht bin, dass in einer Geschichte der Komödie die Sylvie auch ein Plätzchen verdient, denn der pastorale Teil der Sylvie ist mit ebensoviel Recht als komödien- haft zu bezeichnen, wie Corneille's Melite, die Ebert eine zur Komödie geratene Pastorale nennt. Der Fortschritt, den die Sylvie für die Charakterzeichnung bedeutete, führte die Pastorale mehr gegen die Richtung der Komödie als gegen die der Tragödie. Hat auch Mairet noch alle Unarten des Mariuismus beibehalten, ist es ihm auch nicht gelungen, alle Glieder seiner Pastorale zu einem harmonischen Ganzen zu vereinigen, so ver- dankt doch die Pastorale der Sylvie zum allermindesten die Befreiung von dem Satyr und dem Chor, den Racan noch als unvermeidliches Anhängsel mit sich schleppen musste. Die Em- pfindungen werden bei Mairet auch nicht mehr in Liedern, wie bei Racan, sondern in Monologen ausgedrückt. Die einzig lyrische Partie in der Sylvie ist das Zwiegespräch zwischen Phil^ne und Sylvie, dessen kreuzweise gereimte Verspaare und widerlich ge- spreizte Sprache es sofort als Ekloge erkennen lassen, was weder

Zur Geschichte des Schäferspiels in Frankreich, 83

von BizoB Doch von Weinberg bemerkt worden ist. Diese Ekloge mnss bei ihrem Erscheinen Aufsehen gemacht haben. Man hielt^) Mairet nicht für fähige etwas so Ausserordentliches zu schreiben, und Fontenelle gedenkt später noch lobend dieses Gedichts.

War die Sylvie das Werk eines wenigstens nach stoff- licher Selbstständigkeit ringenden Geistes, so mnsste, da sich erfahrungsgemäss der litterarische Nachahmungstrieb mit Vorliebe der stofflichen Seite der Produktion bemächtigt, gerade die Sylvie von grösstem Einflüsse auf die Gestaltung der Pastorale werden. Die Annäherung an das stoffliche Element der Tragikomödie seitens der Pastorale bedeutet das Aufgeben ihrer litterarischen Selbstständigkeit, den Beginn des Auflösungsprozesses, den die Sylvie angebahnt. Wir brauchen nicht mit Fonmel (La LätSra- iure inddpendante S. 227) anzunehmen, dass gerade der Berger extravagant von Sorel die Pastorale zu Fall gebracht habe.

Zuerst äussert sich der Einfluss der Sylvie in der Beliebt* heit, deren sich die Bezeichnung Tragi- coToedie-pastor ah erfreut zu haben scheint. Vor der Sylvie war diese Bezeichnung wenig gebräuchlich, nach 1626 wenden sie De la Croix und Pichou ohne Bedenken an, auch da, wo sie gar nicht entsprechend ist, wie bei Pichou's Filii de Scire. Auch das unzüchtige Werk Veron- neau's (Weinb., S. 129) nennt sich tragi-comidie-pastorale, wäh- rend Du Rocher (ih,) sich in der Bezeichnung pastorale comiqtie gefällt. Selbst Tasso's Aminta muss sich in der Bearbeitung Rayssiguier's tragi-comedie-pastorale nennen lassen. Die unmittel- bare, organische Verbindung der Schäferwelt mit dem Hofe, das Charakteristikum der Sylvie, tritt zuerst in der bedeutendsten der auf Sylvie folgenden Pastoralen, der Climhie von De la Croix hervor. Dieses Stück erscheint, wie schon Weinb. S. 117 her- vorgehoben, auf den etsten Blick als Nachahmung der Sylvie, Dass wir es hier, ebenso wie in der nachher zu erwähnenden Cleonice nicht mit geborenen Schäfern und Schäferinnen zu thun haben, beweist, dass, Mairef's. Thüame ein kühner GriflF war, den man nicht ganz genau nachahmen konnte oder wollte. Aber die Hauptwirkung der Sylvie bleibt ungeschwächt die Pasto- rale segelt im Fahrwasser der Tragikomödie fort. Der Satyr kehrt nach der Sylvie in den besten Pastoralen nicht mehr wieder D'ürfö's Silvanire ist ja vor Sylvie verfasst. Auch der Chor ist überflüssig geworden Climhie sowohl als auch OlSoniee gaben, wie Sylvie, einen Teil des Pastoralt jpus auf. Diese Er- scheinung hat auch Parfaict, wenngleich nicht ganz klar, hervor-

*) Re'ponse de *** ä ***. Vgl. Corneille, CEuvres, p. p. Marty- Laveaux t. III, S. 72.

84 E, Dannheisser,

gehoben, ohne aber einen Erklärungsversuch za wagen (IV, 401). Weinberg registriert nur das Urteil seines Gewährsmannes. Er nimmt auch an, Climhne sei eine Nachahmung von Mairet's Silvanire. Ist aber die von Parfaict für Climhie angegebene Jahres- zahl richtig, was allerdings noch zu erweisen ist, so werden wir in Climhie eine Nachahmung der D'Urf6'schen Pastorale zu suchen . haben, worauf auch die Oestalt des verrückten Schäfers Lindas hinweist, der mit dem tollen Adraste DXM6'8 manches gemeinsam zu haben scheint. Gegen Ende der zwanziger Jahre hatte die Pastorale ihre bühnenbeherrschende Stellung eingebüsst. Als rein litterarisches Produkt (im Gegensatz zu den Schäferspielen Hardy's) hatte sie demnach, von 162 3, dem frühesten Zeitpunkte des Erscheinens der Betgeries, an gerechnet, nur ein halbes Dezennium im Mittelpunkte der Theatergeschichte gestanden. Rotrou, Corneille, Scudery und Du Ryer schrieben keine Pastoralen mehr, wenngleich sich hie und da noch der Einfluss des Schäferspiels in ihren Werken nach- weisen lässt. Aus Weinberg's Arbeit könnte man den Eindruck gewinnen, als ob das Schäferspiel ungefähr dreissig Jahre lang auf der Bühne allmächtig gewesen sei; aber Weinberg hat es leider unterlassen, die Machtstellung der Pastorale den anderen Abarten der dramatischen Poesie gegenüber zu beleuchten, es fehlt seinem historischen Bilde also der Untergrund. Dabei dürfen wir uns aber nicht der Täuschung hingeben, als ob die Pastorale nach der Climhie y deren Aufführungszeit wir überdies nicht genau wissen, ohne Sang und Klang von der Bühne verschwunden sei. Das gewiss nicht.

§ 5. Die Silvanire Mairet's und die italianisierende

Pastorale.

1627 erschien endlich D'ürfö's Silvanire im Drucke. Das Stück hat gedruckt jedenfalls grösseres Aufsehen gemacht als auf der Bühne, auf die es vielleicht nie gekommen war. Es hatte den klar ausgesprochenen Zweck, den Franzosen das Muster einer getreu nach italienischen Vorbildern gearbeiteten Pastorale zu bieten; es war ein theoretisches Experiment, das, vom ästhetischen Standpunkte aus betrachtet, wohl die Gering- schätzung verdient, die es gefunden Weinberg z. B. gönnt dem Stücke nur eine Anmerkung. Um so interessanter ist das Stück für die Entwickelungsgeschichte des Schäferspiels. Gegen die Mitte der zwanziger Jahre scheint man in Hofkreisen und diese waren damals schon wie auch später, massgebend die Empfindung gehabt zu haben, als sei eine französische Pastorale

Zur Geschichte des Schäfej'spiels in Frankreich. 85

ein ganz anderes Ding wie eine italienische. Vielleicht hatten gerade Racan's Bergeries, welche, trotz ihrer beinahe ostentativen Annäherung an den Pastor fido, doch den Charakter des national- französischen Schäferspiels nicht verleugnen konnten, diese That- sache erst recht zu vollem Bewusstsein gebracht. Zwischen der Abfassung und Veröflfentlichung von D'ürf6's Süvanire liegt der Erfolg der Sylvie, welcher die Klufk zwischen der französischen und italienischen Pastorale als nicht ttberbrttckbar erscheinen lassen musste. Die Veröffentlichung von D'Urf6*8 Süvanire war die erste Wirkung oder die Ursache zur Reaktion gegen die Strömung, welche die Pastorale der Tragikomödie und Komödie unwiderstehlich zutrieb. Es kam dabei nicht in Betracht, dass D'Urf^'s Nachahmung der Italiener sich zumeist an Äusserlichkeiten (z. B. den Vers) klammerte, und sein Werk dem Inhalte nach in einigen Punkten unwillkürlich der franzö- sischen Pastorale entsprach. Von 1627 ab war und blieb das Lager der Pastoraldichter gespalten. Reichtum und Neuheit der Handlung, wie in der Tragikomödie einerseits, Ab- schwenkung nach der Richtung der reinen italienischen, in stoff- licher Beziehung wenig mannigfaltigen Pastorale andererseits, bildete das Charakteristikum der beiden Parteien, welche sich in Bezug auf die Form ihrer Werke wohl auch wieder nahe kamen. Der italianisierenden Richtung gehörten Rayssigaier, Mar^chal, Du Cros und Baro an, zu der französischen Richtung schlugen sich nach dem Vorgange Mairet's: De la Croix, der anonyme Verfasser der CUonice, du Rocher und De Veronneau, während Pichou sich nach beiden Seiten hin neigt. Es ist übrigens vorauszusehen, dass die Nachtreter DTrf6*s, wie dieser selbst, schon um des Erfolges willen, der französischen Schule auch mit Rücksicht auf den Stoff einige Zugeständnisse machen mussten. Dahin rechnen wir zunächst ihre Vorliebe für die Filii di Sciro, welche der französischen Anschauungsweise viel mehr entsprach als der Pastor fido oder Amintay und zweitens das jetzt erst auftretende direkte Zurückgehen auf die Haupt- charaktere der AstrScj die, wenn auch nicht immer nach fran- zösischen Mustern entworfen, doch wieder echt französische Züge aufweisen. Besonders bezeichnend ist die Vorliebe für den Charakter des Hylas, die wohl auf die unmittelbare Einwirkung D'Urf6's zurückzuführen sein dürfte. Am deutlichsten zeigt VAminte du Tasse von Rayssiguier, wie wenig genau man es mit der Nachahmung der Italiener nahm. Es sollte eine Über- setzung von Tasso's Meisterwerke sein, zugleich aber auch ein Stück für die französische Bühne. Die Veränderungen, welche an der Pastorale Tasso's von Rayssiguier vorgenommen ¥nirden,

86 E. Danhheisser,

sind geradezu charakteristisch fUr die zentrifagale Wirkung^ welche das italienische Schäferspiel auf das französische ausühte.^) So musste das italienische Schäferspiel in ästhetischer Be- ziehung erst herabgewürdigt werden, ehe es die französische Btthne betreten konnte. In diesem neuen Oe wände musste es aber die Sympathie der Gebildeten verlieren. Da nun auch die gegen und in sie dringende Tragikomödie und Komödie die ganze Gattung des Schäferspiels zu einem blossen, leicht ent- behrlichen Beiwerk erniedrigte, konnte die Pastorale von keiner der beiden Parteien dem Untergange entrissen werden. Das Interesse an den einfachen Stoffen der Pastorale war ein für allemal verloren die Wirkung dieser Thatsache hätte auch die reinste Wiedergabe, die getreueste Nachahmung des italienischen Schäferspiels nicht abwenden können. Das einfache Kleid der Pastorale erschien nunmehr dem Franzosen langweilig, im reichen Faltenwurf der Tragikomödie konnte sie sich aber nicht mit An- mut bewegen. Deshalb verschwand sie aus der Sphäre des künstlerischen Interesses. Und Mairet nach dem Erfolge seiner Sylvie (1626)? Er mag eingesehen haben, dass auf dem mit der Sylvie betretenen Wege keine Lorbeeren mehr zu holen seien. Es vergingen zwei Jahre, bis er wieder für die Btthne zu arbeiten begann. Vielleicht auch wusste Mairet bei der Zerfahrenheit der damaligen Theaterverhältnisse nicht, welchem dramatischen Genre er sich zuwenden sollte. Auf einmal erscheint auch er von dem Strome der Reaktion gegen die von ihm selbst hervorgerufene Strömung in der Pastorale ergriffen mit seiner Sävanire (1630) hatte er sich dem italianisierenden Schäferspiel in die Arme ge-

1) Tasso Akt I = Rayssiguier Akt I. Prolog und Chor fallea weg. Die Worte des Chors bei Tasso legt Rayssiguier verschiedenen Personen in den Mund.

Tasso II, 1, 2, 3 = Rayssiguier II, 3, 4, 5. Hinzugedichtet ist von Rayssiguier in diesem Akte: 1) Szene 1: Dialog zwischen Ergaste und Elpin. 2) Die Liebe Elpin's zu Närine, die ihn wegen seiner Armut verachtet. Elpin's Schicksal ist die Darstellung eines Er- eignisses aus des Dichters eigenem Leben. Also fügte Rayssiguier drei Szenen hinzu.

III. Akt. Das Baden der Sylvie und der Oberfall des Satyrs werden nicht, wie bei Tasso bloss erzählt, sondern in Szene gesetzt.

IV. Akt Rayssiguier'«. Entspricht im ganzen der Vorlage.

V. Akt Rayssiguier's. Die Erzählung des Nunzio bei Tasso wird in Szene gesetzt und liefert den Stoff zu drei Auftritten. Hinzu kommt die Klage der Sylvie über den Tod Aminta's. Es entsprechen sich also :

Tasso III, 1 = Rayssiguier's ganzer dritter Akt. « III, 2 = IV, 1, 2.

« IV, 1 = IV, 3.

IV, 2 = V, 1 und 2.

n V, 1 = « V, 3, 4, 5, 6.

Zur Geschichte des Schäferspiels in Frankreich. 87

worfen. Der innere Widerspruch löst sich leicht. Mairet war (162J7) mit den vornehmen Kreisen in gesellschaftliche Verbindung getreten. In diesen Kreisen wird man es besonders schmerzlich empfunden haben ^ dass die Pastorale aus der Art geschlagen war und nach Form und Inhalt ihre Abstammung verleugnete. Der Graf von Carmail und der Kardinal de La Vallette hielten den Dichter der Sylvie für den geeigneten Mann, dem Verfalle der Pastorale zu steuern. Wahrscheinlich selbst durch D'Urfe's Süvanire angeregt, bestimmten sie Mairet, eine Pastorale nach den Regeln der Italiener zu schreiben.^) Dabei wurde wahr- scheinlich nicht ausgesprochen, dass die erwünschte Pastorale auch inhaltlich den italienischen Vorlagen entsprechen solle vorerst sollte nur die Form dieselbe sein und dadurch sollten die litterarischen Feinschmecker wieder fUr das Schäferspiel ge- wonnen werden. Äusserliche Mittel wurden also vorerst und vornehmlich zur Regeneration in Aussicht genommen. Um so besser, wenn es Mairet zugleich auch verstand, durch den Stoff des Stückes die Wirkung desselben zu erhöhen. Dass Mairet dem an ihn gestellten Ansinnen Folge leistete, ist kein Beweis für seine künstlerische Abhängigkeit seine Muse war eben zu lange für ihn unfruchtbar geblieben. Ich möchte aber fast be- zweifeln, ob er mit Lust und Liebe an die Arbeit ging. Wohl muss ihn die gehobene Stimmung eines Reformators ergriffen haben; denn vor ihm hatte kein Pastoraldichter der italiani- sierenden Richtung es versucht, den Schwerpunkt des Interesses in die Form zu legen. Mairet that aber des Outen zu viel. Er kam dem ihm zu teil gewordenen Auftrag pünktlich, aber auch wörtlich nach, wie einer, der eben nur seine Pflicht und nicht mehr thun will. Das Irrlicht der dramatischen Theorien tanzte vor ihm her, und so verlor er den Weg zum Herzen seiner Zuhörer. Dass es ihm gar nichts galt, auch stoffliches Interesse zu erwecken, wird schon durch die Wahl des Stoffes bewiesen, der ja seinen Zuhörern, sei es aus der ÄstrSe, sei es aus D'ürf6's Pastorale bekannt sein musste. Allerdings erlaubte sich Mairet einige Abstriche. Der Satyr wurde von Mairet ebensowenig auf die Bühne gebracht, wie der verrückte Adrast. Die Nachahmung der Italiener wird auch durch die Bezeichnung tragi- comedie- pastorale angedeutet, die sich bei D'Urf6 nicht findet und die, besonders wenn man die Sylvie betrachtet, ebensowenig Berechti- gung für Süvanire wie für den Pastor fido hat, denn beide haben mit der Tragikomödie nichts gemein.* Was half es Mairet, dass er D'ürf6*8 versi sciolti durch den Alexandriner ersetzte, dass

^) Vorrede zur Süvanire Mairet's.

88 E. Dannheisser,

er, wie D'ürf6, die von Hardy und seinen Vorgängern einge- führten echt französischen Zuthaten zur Pastorale beibel^ielt? Kaum halten wir es für möglich, dass der Dichter der Sylvie so verschwommene Gestalten schaffen konnte, wie sie sich in der Silvanire finden. Da fehlt jede energische Charakteristik. Alt- klugheit tritt an die Stelle der Leidenschaft, unnatürliche Sprödig- keit an die Stelle warmer Hingebung. Zum ersten Male hat hier Mairet den Chor angewandt und zwar in der allerödesten, mattesten Weise. Das ganze Stück ist langweilig, selbst der Charakter des liebenswürdigen Hylas verschwindet in einem Meer von Gemeinplätzen. Für welches Publikum die Silvanire be- rechnet war, erhellt aus der einen Thatsache, dass sie ohne die Kenntnis der Astrie nicht zu verstehen ist. Dieses Publikum begnügte sich aber nicht mit einem Stücke, dessen einziges Ver- dienst auf dem Gebiete der Kunsttheorie zu suchen war die Silvanire hatte keinen Erfolg, und Mairet entsagte der Pastorale für immer. Nichtsdestoweniger ist das Stück von hoher Be- deutung für die Entwickelungsgeschichte Mairef s. In dem Be- streben, auch in ihrer Ausdrucksweise den Italienern möglichst nahe zu kommen, reinigt sich Mairet von der Pointensucht, welche noch für die Sylvie charakteristisch ist. Weinberges Be- hauptung (S. 115), Mairet habe sein in der Vorrede zu Silvanire gegebenes Versprechen, die Pointe zu meiden, nicht gehalten, ist nur bedingungsweise richtig. Welchen Abstand in dieser Be- ziehung zwischen Sylvie und Silvanire! Die Geschichte von Mairet' s Silvanire wirft ein hübsches Streiflicht auf die damaligen Theaterverhältnisse. Da die Pastorale auch in der Form der Silvanire nicht mehr zog, war es kein Wunder, wenn die mit Rotrou^) beginnende, heranwachsende Dichtergeneration sich nicht mehr um sie kümmerte. Freilich finden sich in der Tragikomödie, ebensowohl wie in der Komödie Züge der Schäferspieldichtung, die zu sammeln eine dankbare Aufgabe wäre. Fassen wir zu- sammen: Nachdem Mairet durch seine Sylvie der Pastorale einen neuen Inhalt gegeben, gab er ihr durch seine Silvanire eine wenigstens neu erscheinende Form. Der von der Tragikomödie erborgte Reichtum der Handlung in Sylvie sowohl, als die durch die dramatische Form bedingte Armut der Handlung in Silvanire beides musste zum Verfall der Pastorale, als selbständige Gattung des Dramas beitragen, ihn kennzeichnen. Aber die scheidende Pastorale hinterliess ein Danaergeschenk die

*) Die in der Comedie des Comediens von Scud^ry enthaltene kleine Pastorale : VAmour dache par VAmour ist wohl kein von Scudäry ernst gemeintes Werk.

E. Dannheisser, Zur Geschichte des Schäferspiels in Frankreich, 89

Theorie der dramatischen Einheiten. Von Silvanire bis zu Sophanisbe scheint der Weg weit zu sein an der Hand der Regeln ist er bald zurückgelegt. Die Tragödie brauchte sich nur in das zurückgelassene Gewand der Pastorale zu kleiden. Wer möchte also letztere mit Weinberg eine ^notwendige Ver- irrung" nennen?

E. Dannheisser.

Bemerkungen über die Correspondanee philo- sophique, litUraire et critique (1747—1793).

INachdem uns der Text der von dem Historiker Raynal begonnenen, von Grimm fortgeführten, von dessen Sekretär, dem Schweizer Litteraten Meister, beendeten Korrespondenz von M. Toumeux vollständig bis Mai 1793 gegeben ist, und manche Arbeiten, wie namentlich E. Scherer's Biographie Grimmas, das Verhältnis der Redakteure zu jenem Unternehmen in der Haupt- sache festgestellt haben, möge uns eine Art Nachlese des früher Gesammelten gestattet sein.

Handschriftliche Korrespondenzen für einen Kreis vertrauter Abonnenten, unter der Voraussetzung der Verschwiegenheit, waren in einer Zeit, wo die Zensur, auch wenn sie mit der liebens- würdigen Rücksicht des Philosophenfreundes Malherbe's gehand- habt wurde, oft das beste streichen musste, wo die Verfolgungen der Geistlichkeit und Polizei den Autor wegen jedes freien Wortes für seine persönliche Freiheit zittern Hessen, dringend geboten. Besonders waren sie für diejenigen vornehmen und feingebildeten Kreise, welche durch die von schwer durchdring- lichem Geheimnis umgebene Form der Francma9onnerie sich sowohl gegen die blindgläubige Menge, wie gegen die noch am alten Herkommen hängende geistliche und weltliche Aristokratie ab- schlössen, ein sehr geeignetes Mittel des Gedankenaustausches. Die wenig entwickelte und von Rücksichten mannigfacher Art beeinflusste Presse, die erschwerte Zirkulation der Bücher, Broschüren und Zeitschriften hätten die neuesten Nachrichten über Litteratur, Gesellschaft und Staatsleben ohnehin unvoll- kommen und langsam in die Hände der auf alles, was in Paris geschah, emsig lauschenden Geistesaristokratie der ausserfranzö- sisehen Hauptstädte gelangen lassen, auch der eifrig gepflegten brieflichen Korrespondenz durfte man aus Rücksicht auf das

R, MahrenhoUz, Bemerkungen über die Correspond, philosophique eic, 91

schwarze Kabinet der Post nicht zu viel anvertrauen. Hier trat ergänzend die handschriftliche Korrespondenz ein, welche in be^ stimmten Zwischenräumen (etwa von vierzehn zu vierzehn Tagen) versandt wurde, bei grösserem Umfange weniger eine peinliche Kontrolle gestattete, als Briefe und Zeitungsannoncen, aber auch grosse Vorsicht, namentlich in der Anführung persönlicher Ver- hältnisse und in der Besprechung politischer Dinge, beobachten musste.^) Die letzteren Rücksichtnahmen treten uns in der Korrespondenz, deren Besprechung Gegenstand dieser Abhandlung ist, von Anfang an entgegen. Namen werden häufig nur durch Anfangsbuchstaben angedeutet, persönliche Anspielungen so be- hutsam gegeben, dass selbst der Scharfsinn eines Tourneux sie nicht immer ermitteln konnte, das wenige, was von Tagespolitik überhaupt verraten wird, ist so korrekt und zaghaft, dass es dem eifrigsten Zensor keine Gelegenheit zu LFnterdrückungen gegeben hätte. In dieser Hinsicht ist zwischen den Berichten des rück- sichtsloser schildernden Raynal, des feinen Hofmannes Grimm und des mehr ungeniert naturwüchsigen Meister, kein wesentlicher Unterschied. So ist die ganze Korrespondenz, vom Jahr« 1747, wo sie von Raynal begonnen wurde, bis zum Jahre 1789, wo die grosse Revolution die Grundlagen des ancien regime zerstörte, zwar ein treues Abbild der Litteratur und Gesellschaft, doch ein sehr undeutliches und gefärbtes der Politik und der kirchlichen Richtungen. Als dann mit dem Jahre 1789 ein weit schlimmerer Despotismus, als der des ancien regime, jede politische, kirch- liche, soziale und selbst rein litterarische Äusserung hemmt, die nicht in das Schema der liherti und egaliti sich fügte, wird die politische Seite der Korrespondenz noch weit dürftiger und zurückhaltender. Von den Ereignissen der bewegungsvollen Jahre 1789—1793 schildert uns Meister zwar die Eröffnung der Nationalversammlung und das Jahresfest des Bastillen sturmes in sehr eingehender, lebendiger Weise, aber den Bastillensturm selbst) die Beschlüsse der Augustnacht, den Zug nach Versailles, das Märtyrertum des Königs, die Septembergräuel (1792), über- haupt die politischen, kirchlichen und sozialen Wirren erwähnt er nur gelegentlich bei Besprechung von Schriften der Tages- litteratur, den Prozess und die Hinrichtung des Königs übergeht er ganz. Nur sehr indirekt kann somit die Korrespondenz der

1) Wurde auch die Korrespondenz auf amtlichem Wege durch die Gesandten vermittelt, so fehlte es doch an IndiskretioD nicht. M"® GeofFrin schärft dem Polenkönige Stanislas Poniatowski deshalb die Geheimhaltuug sehr nachdrücklich ein, als sie um seinen Beitritt wirbt, und die unrechtmässige Publikation vom Jahre 1812 zeigt, wie wenig geheim die handschriftlichen Berichte blieben.

92 R. Mahrenfioltz,

Jahre 1789 1793 als ein Abbild der politischen Umwälzung angesehen werden, and wären nicht fast alle in ihr besprochenen Schriften und Theaterstücke von dem Geiste jener Tage durch- lebt, so würden wir über das wichtigste und bedeutendste kaum etwas erfahren. Anders steht es mit den Berichten über die vorhergehenden zweiundvierzig Jahre (1747 1789). Damals war die Litteratur, vor Allem die Philosopliie, die tonangebende Macht, die Gesellschaft stand mehr im Vordergrunde, als das Staats- leben, und da die Schilderung beider nicht so grosse Vorsicht erheischte, als die politische Diskussion, so konnten hier die drei Redakteure, Raynai, Grimm und Meister, sich mit behaglicher Breite über wichtiges und unwichtiges ergehen.

Wir haben die Korrespondenz zunächst als ein Ganzes auf- gefasst und dies um so mehr thun können, als die Anschauung und Darstellungsweise Grimmas und seines Redaktionsnachfolger Meister sehr viele Berührungspunkte haben und selbst Raynai, der eigentliche Begründer der Korrespondenz, manches mit den beiden Nachfolgern gemeinsame zeigt. Aber es ist doch wichtig, zunächst das Verhältnis der drei Männer räumlich und zeitlich abzugrenzen und die Verschiedenheiten in der Chefredaktion, welche jeder Wechsel mit sich bringt, hervorzuheben.

Die Korrespondenz, welche Raynai mit dem 29. Juli 1747 begann, war zunächst nur für die freisinnige und feingebildete Fürstin Louise Dorothea von Sachsen - Gotha bestimmt, und für sie allein scheint sie auch bis zum Juli 1755 fortgeführt worden zu sein, allerdings vom Mai 1753 ab nicht ohne Lücken und Unterbrechungen. Mit dem Jahre 1753 erweitert sich der Kreis der Abonnenten und dehnt sich allmählich auf alle diejenigen Fürsten und Fürstinnen aus, welche ausserhalb Frankreichs die Zwecke der Aufklärung förderten und zum Teil wenigstens durch das Band der Francma9onnerie von der kirchlich - gläubigen, wie von der profanen Welt sich abschlössen.^) Es fragt sich nun, war dieses von Grimm 1753 begonnene Werk ein Konkurrenz- unternehmen zu dem Raynal's oder nur eine Fortführung und Erweiterung mit Zustimmung des ersten Redakteurs. Für die eine Annahme spricht ebenso vieles, wie für die andere. Auffallend ist es freilich, dass neben Grimmas für einen weiteren Kreis

1) Abonnenten waren ausser der Herzogin von Gotha: der Herzog von Zweibrücken, die Erbprinzessin von Darmstadt, Prinz Georg von Darmstadt, die Prinzessin von Nassau-Saarbrück ; später erst (nach 1763) traten Friedrich d. Gr., Katharina IL, der Polenkönig, Ulrike von Schweden, Friedrich's II. Schwester, und noch andere bei. Wahrschein- lich ist es auch, dass man höhergestellte Adlige zuliess, wennschon nicht ganz sicher bezeugt.

Bemerkungen über die Correspondance philosophigw etc. 93

bestimmten Berichten die von Raynal fttr die Gothaer Fürstin geschriebenen noch etwa zwei Jahre hergehen, aber die freund- liche Art und Weise, in welcher der sonst persönlichen Regungen sehr zugängliche Grimm von seinem Vorgänger und Mitbewerber spricht, lässt nicht auf eine litterarische Konkurrenz schliessen.^) Es scheint mir nicht unwahrscheinlich, dass Kaynal, von der Last einer umfangreichen vierzehntägigen Korrespondenz überwältigt und in den Vorstudien für seine späteren historisch-philosophischen Arbeiten in unerwünschter Weise gestört, die schwere Arbeit auf die Schultern eines andern zu wälzen suchte, gerade wie Grimm im Jahre 1773 die zu drückend werdende Last auf die Schultern des jüngeren, durch andere Mühen und Arbeiten weniger abge- zogenen Meister legte. Um den Verpflichtungen gegen seine edelmütige Gönnerin nachzukommen, hat dann Raynal das über- nommene Werk noch ungenügend und widerwillig eine Zeit lang fortgeführt, bis auch die Gothaer Fürstin in den Kreis der Abonnenten der Grimm'schen Korrespondenz eintrat. Die Kosten, welche ein solches Unternehmen auch bei grösster Uneigen- nützigkeit der Redakteure und Mitarbeiter forderte, wurden auf die Dauer für einen Abonnenten zu hoch, hat doch späterhin (1774 1775), als die Zahl der Abonnenten sich erweitert hatte, die Zarin Katharina IL 720 Rubel für zwei Jahresbeiträge zahlen müssen.^) Soweit wir sehen können, ist Raynal nicht nur Redakteur, sondern auch im Wesentlichen der Verfasser jener auf so viele Einzelheiten sich erstreckenden Korrespondenz gewesen, mögen auch befreundete Autoren ihm Material und Notizen geliefert haben. Da er nun weder ein schnell und gewandt arbeitender Schriftsteller war, wie das seine grösseren Geschichtswerke be- weisen, noch auch, nach der Korrespondenz selbst urteilen, die redaktionelle Mache nicht sonderlich verstand, so sind die Mängel seiner Redaktion und Berichterstattung erklärlich genug. Es ist ein kleinlich mäkelnder Ton, eine einseitige, der höheren, zu- sammenfassenden Gesichtspunkte entbehrende Auffassung, welche seine Korrespondenz tief unter die Grimm's und des geistesver- wandten Meister stellt. Die einzelnen Werke und Persönlich- keiten, welche er schildert, sind daher aus dem Zusammenhange der allgemeinen Ideen gerissen, oft nach vorübergehenden Tages- stimmnngen, nach Sympathie und Antipathie beurteilt, und der gesellschaftliche Klatsch, den Raynal gern einstreut, wirkt auf die Dauer ermüdend.

1) Raynal war übrigens Grimm persönlich befreundet.

2) Andere zahlten allerdings weniger, z. B. der Polenkönig Stanislas.

d4 R MahrenhoUz,

Raynal war damals ein noch wenig bekannter und namhafter Litterat, denn die Werke, welchen er seine litterarhistorische Stellung verdankt, gehören einer späteren Zeit an; auch stand er der religiösen und politischen Aufklärung, deren Yerkttnder und Märtyrer er geworden ist, noch ferner. Rücksichten auf die politischen und kirchlichen Machthaber und auf seine geist- liche Stellung als dbhi mussten sein Urteil beeinflussen und es ist daher kein Wunder, dass Voltaire nicht nur als Charakter, sondern auch als Schriftsteller von ihm ziemlich ungünstig, stellen- weis gehässig beurteilt wird. Montesquieu dagegen, der die Jugendschärfe seiner Persischen Briefe mit einer massvollen, sachlichen Kritik vertauscht hatte, ist für Raynal der bahn- brechende Vertreter der neuen Zeit, an dessen Schriften nur einzelne stilistische Mängel tadelnd hervorgehoben werden.

Was für uns die Ko'n'espondenz RaynaFs, nicht minder aber auch die Grimmas und Meister's, ermüdend macht, ist die aus- führliche Besprechung und Schilderung so vieler Schriften und Schriftsteller, die, schnell vergessen, heute nur noch für den Spezialforscher existieren. Aber gerade in dieser Hinsicht ist sie charakteristisch für eine Zeit, welche einen Piron neben und sogar über Voltaire stellte, in welcher die Talente zweiten und dritten Ranges selbst in der Auffassung der Höhergebildeten und Freidenkenden neben bahnbrechende Geister, wie Montesquieu, Voltaire und Rousseau, traten, und ihr Einfluss in tiefere Schichten der litterarischen Gesellschaft drang. Die eigentliche Blütezeit der Aufklärung, die Zeit, in welcher Voltaire und sein Antipode Rousseau sich um die Führerschaft der aufgeklärten und halb- aufgeklärten Welt stritten, beginnt erst nach den Jahren, welche Raynal's Korrespondenz schildert. Für diese gab Montesquieu den Ton an, Voltaire stand noch in zweiter Linie, hatte sich seit 1750 überdies der Pariser Gesellschaft durch den Aufenthalt im Auslande entfremdet und die Tage d'Alembert's, Diderot^s, der Enzyklopädisten und des seinen eigenen Weg gehenden Rousseau dämmerten erst am litterarischen Horizonte. Darum fehlt den Schilderungen Raynal's die höhere Bedeutung und das vielseitigere Interesse der Grimm'schen Korrespondenz ^ es fehlt ihr auch der einheitliche Mittelpunkt, den die Philosophie als Beherrscherin der Religion, Politik, Gesellschaft, Dichtung und Kritik in der eigentlichen Aufklärungsperiode bildete. Der Hof und die in seinen Strahlen sich sonnende höfische Gesellschaft mit ihren schöngeistigen, oberflächlichen Interessen, ihrem litte- rarischen Dilettantismus, ihrer Neuigkeitskrämerei und Klatschsucht treten daher selbst für die ernste Auffassung eines gründlichen Forschers und tieferen Denkers, wie Raynal, in den Vorder-

Benwknngen über die Correspondance philosophique eic, 95

grnnd. Eins aber zeichnet seine Korrespondenz vor der Grimmas und Meister's aus: er fühlte ganz als Franzose, während der Deutsche und der Deutsch-Schweizer in den beiden andern stets unter der französischen Hülle hervorlugen. Völlig in dem Be- wusstsein nationaler Grösse lebend, zu den Schöpfungen des siede de Louis XIV wie zu unerreichten Idealen emporblickend, mag er Voltaire die wohlberechtigte Auflehnung gegen die klassische Tradition, die freilich sehr , äusserliche und flüchtige Anglomanie und Shakespeare -Würdigung, die scharfe Verspottung der Schwächen des französischen Volkscharakters nicht verzeihen. Wie seinem grossen Ideale, Montesquieu, ist ihm selbst der letzte, schwache Abglanz des alten Klassizismus, der in die misslungenen Dichtungen des Corneille - Nachahmers Cr^billon hineinschimmert, angenehmer, als das neue, grelle Licht, welches Voltaire als Dichter und Philosoph ausstrahlte.

Ein anders angelegter, vielseitiger und ganz in den Auf- klärungsideen lebender Mann war sein Nachfolger Friedrich Melchior Grimm. Im väterlichen Pfarrhause zu ßegensburg er- zogen und auf der Leipziger Universität gebildet, hatte er sich mit den Vorstellungen jener künstlichen Nachblüte des Humanis- mus erfüllt, welche damals unser deutsches Vaterland in einen wohlgepflegten Ziergarten voll exotischer, schön blühender Blumen verwandelte, der nur den obersten Zehntausend geöffnet war, ohne doch dem hungernden Magen des von kleinen Tyrannen vielgeplagten, in geringfügigen Sonderinteressen aufgehenden Volkes mit sättigenden P>üchten zu füllen. In langem Schlafe hatten die klassischen Studien seit dem sechszehnten Jahrhundert hier, wie in dem westlichen Nachbarreiche, Frankreich, gelegen, weder die pedantischen, schlecht bezahlten Grammatiker hier, noch die feiner gebildeten, aber nur für Kirchenzwecke arbeiten- den jesuitischen Dressierer dort konnten und wollten ihre Zög- linge mit Liebe zu dem griechisch-römischen Altertum erfüllen, sie in den Geist jener ewig jugendfrischen Vergangenheit ein- führen. So zeitigte die Menge der Lehrstunden, welche man den lateinischen Autoren vorzugsweise zuwandte, ohne in deren Urquell, die hellenischen, tiefer einzudringen, nur Treibhaus- blüten und tote Früchte, die sächsischen Fürstenschulen allein verstanden es, das Knochengerüste der Grammatik mit dem warmen Leben der Kunst und Litteratur zu erfüllen. Wer daher mit seinem Bildungsgange in die ältere Zeit hineinreichte, oder auf Schulen gebildet war, die im alten Geleise verharrten, wusste die römischen Litteraturschätze nur wenig, die griechischen fast gar nicht zu heben und half sich oft mit französischen Ver- dolmetschungen und Nachbildungen. Herder und Schiller kämpften

96 R. MahrenhoUz,

noch in späteren Lebensjahren mit den Anfängen der griechischen Grammatik, der letztere konnte seinen Lieblingsautor , Virgii, nar in französischer Übersetzung lesen. In Frankreich fehlten den bedeutendsten Antoren oft die nötigen Vorkenntnisse zum Studium der antiken Litteratur. Qninault, obwohl Mitglied der französischen Akademie , und deren Sekretär, der vielbelesene Conrart, verstanden kaum Latein und Griechisch, der berühmte Dichter Regnard, bekannte seine Unwissenheit in beiden Sprachen offen und ehrlich, Voltaire gesteht, dass er vom Latein nur den Eirchenjargon und ein bischen Horaz wisse und mit dem Griechischen war er so wenig vertraut, dass er den Plural von ßaffdeb^ in ßcunXdl wandelte. Die Dichtung Griechenlands war ihm daher, wie seinem grossen Zeitgenossen Friedrich IL, in dessen Studienplan die alten Autoren keine Aufnahme gefunden, weil sie nach seines Vaters Dafürhalten „gar nichts taugten^, ^ur aus französischen Übertragungen mangelhaft bekannt. In Deutschland hat gegen die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts Emesti den Grund zu jener klassischen Gymnasialbildung und znm tieferen philologischen Studium gelegt, an deren Zersetzung unsere Zeit wieder nach Kräften arbeitet und aus seiner Schule ist ausser Lessing, dem gediegenen Kenner des Altertums, auch unser Melchior Grimm hervorgegangen. Neben Latein und Griechisch herrschte aber das Französische bis über das Ende des vorigen Jahrhunderts hinaus in unveränderter Macht, die klassische Dichtung des Zeitalters Ludwigs XIV. wurde neben der französischen Sprache und Konversation noch eifrig geschätzt und gepflegt, als bereits Lessing sein kritisches Richterschwert geschwungen hatte. Ausser dem griechisch-römischen Altertum blieb daher das such de Louis XIV. der Bildungsquell, aus dem auch'Grimm schöpfte und neben Emesti's philologischer Forschung auch Gottsched^s halb französische Poetik und Dramaturgik für seine Lebensanschauung massgebend. In Gottsched's Formalis- mus ist sein erster dramatischer Versuch, die Banise, gehalten, gerade wie Lessing's Erstlingsdichtungen neben dem Vorbilde Moli6re's und seiner Epigonen auch die Lehren Gottsched's deutlich erkennen lassen. An diesen Jugendeindrücken hielt Grimm noch fest, als er von dem Einflüsse der französischen Aufklärung, die zugleich mit dem alten Herkommen in Staat und Kirche die griechisch-römische und die französisch-klassische Tradition über den Haufen warf, schon ganz erfüllt war. Neben den Dichtem des Hellenentums waren die grossen Meister aus Ludwig's XIV. Zeit, namentlich Racine und Moli^re, für ihn hohe, der skeptischen Kritik entrückte Vorbilder, nur dem altmodischen Corneille und mehr noch dessen unglücklichen Nachahmer, dem

Bemef^kungen über die Correspondance phüosophique etc. 97

Siteren Cr6billon, mochte er nicht den Lorbeer des Dichterruhms reichen. Auch Boileau bedentete, trotz Voltaire's absprechender Kritik, für ihn fast dasselbe, wie für das siebzehnte Jahrhundert, und Montesquieu, der tiefe Erforscher und beredte Dolmetscher römischer Grösse, galt ihm im ganzen als unumstössliche Autorität, gerade wie seinem Vorgänger in der Redaktion der KorrespondenZy dem Abb6 Raynal. Aber zu diesen anerzogenen Anschauungen traten für ihn eine Fülle neuer Eindrücke, als er Paris 1749 betrat und in die litterarischen Kreise eingeführt wurde, in welchen d'Alembert, Diderot und Rousseau den Ton angaben. Am wenigsten Einfluss gewann auf ihn der erstere, dessen mathe- matische Schulung und doktrinäre Schärfe, wie moralische Ehr- barkeit den vielseitig aus- und abschweifenden, allem Abstrakten und rein Theoretischen abgeneigten, den Freuden des Lebens wie der Liebe huldigenden Grimm zurückstiessen. Bedeutungs- voller ward Diderot für ihn. Den religiösen Skeptizismus neben politischem Indifferentismus, die naturwissenschaftliche Grund- richtung alles Philosophierens, das Verständnis für die Um- wandlung der überlebten klassischen Tragödie und Komödie Frankreichs in die Tragisches mit Komischem vermischende „bürgerliche Tragödie", deren Hauptschöpfer Diderot selbst war, die gerechte Würdigung der englischen Litteratur des XVIIL Jahr- hunderts, die schon Gottsched, der Nachahmer Addison's, an- gebahnt hatte, diese und manche andere Eigenheiten, welche für die Korrespondenz massgebend wurden, verdankt Grimm den Einwirkungen seines intimen Freundes. Auch Rousseau's Genius riss den empfänglichen Sinn des Deutschen fort. Mochte auch Grimm schon in Deutschland sich mit einer Vorliebe für die italienische Musik, die damals im deutschen Süden auf der Opernbühne herrschte, erfüllt haben und nur, um in Paris nicht Anstoss zu erregen, noch einem Rameau Bewunderung zollen, erst des Genfers Musiktheorien und Musikkritik haben jene lebendige Abneigung gegen die französische Oper in ihm ent- wickelt, die seine Satire, der Prophet von Bö'hmischbroda, offen kundgibt. Aber der Gegensatz beider Naturen, des höfischen, lebensklugen Strebers, der selbst unwürdige Schmeicheleien und unlautere Mittel nicht verschmähte, um aus der niederen Stellung eines Informators und Vorlesers zu Ehren, Titeln und Vermögen zu gelangen, und des über alle Rücksichten und Schranken hin- wegstürmenden Schwärmers für den Naturzustand und die heiligen Volksrechte, rief, durch persönliche Zwistigkeiten verstärkt, bald eine Entfremdung, dann offene Feindschaft hervor.

Seitdem Rousseau mit Diderot gebrochen hatte, konnte er auch Grimm's Freund nicht bleiben, und sein tödlicher Zwist mit

Zschr. f. frz. Spr. a. Litt. XI^. 7

98 Ä. MahrenMiz,

Grimm's Maitresse, der Marquise von Epinay, bei dem die Schuld keineswegs allein auf des Genfers Seite gewesen zu sein scheint, machte selbst eine äusserliche Freundschaft beider Männer un- möglich. Voltaire, der sich bald nach Grimm's Ankunft in Paris seinem Vaterlande entzog und später in dem Exil von Ferney vergrub, hat auf Grimm nie den nachhaltigen Ernfluss Diderot's geübt, trotzdem Grimm mit ihm in Korrespondenz stand, eifrig jede kleine Broschüre aus der „Manufaktur von Ferney" las und den Patriarchen in seiner Jura-Einsamkeit aufsuchte. Der Charakter Voltaire's, so verwandt er auch dem des höfischen Grimm war, stiess ihn ab, wie denn Gleichartiges sich so oft abstösst. Für ihn galt Voltaire, den wir als den eigentlichen Propheten der Aufklärung betrachten, als ein auf halbem Wege stehen gebliebener, weil er in der Philosophie sich dem Materialismus Diderot's ent- gegenstellte, Kunst und Dichtung für unvergänglichere Güter hielt, als die exakte Naturwissenschaft, und vor allem, weil er, in seinen für die Öffentlichkeit bestimmten Schriften wenigstens, sich zum Deismus bekannte. Er rede über Gott und das Jen- seits wie ein liebenswürdiges Kind, so lautete Grimm's Urteil. Hätte er, wie wir, die etwa 11000 Briefe gekannt, in denen Voltaire so oft vertrauten Freunden sein wahres Ich enthüllt, er würde den sehr unbestimmten Deismus des Philosophen und seine erbaulichen Deklamationen gegen Atheismus und Materialismus wohl auf ihren richtigen Wert zurückgeführt und auch die vielen Rücksichten, welche der Schlaue, Vielgewandte auf die Macht- haber des Staates und der Kirche nehmen musste, besser ver- standen haben.

Mit der aufrichtigen Freundschaft für Diderot war eine volle Hingebung för das von jenem begonnene Riesenwerk der Enzyklopädie von selbst geboten und Grimm's teilweise Abneigung gegen d'Alembert und Voltaire erklärt sich auch daraus, dass ersterer, der ewigen Verfolgungen und Belästigungen müde, sich bald von jenem Unternehmen zurückzog, der letztere sich über- haupt in kühlerer Feme hielt und später ein Konkurrenzwerk, das Dictionnaire phüosophtque, jenem grösseren Lexikon an die Seite stellte. Diderot's Einfluss machte ihn den extremen An- sichten eines Helv6tius und Holbach geneigt, die doch ihr Bestes den Anregungen und der direkten Mitwirkung des uneigennützigen Diderot verdankten. Wo Diderot nicht liebte, da glaubte Grimm hassen zu müssen. Der französischen Akademie hat er es nie verziehen, dass sie sich dem kühnen Freigeiste verschloss, auch der Comedie frangaise es nicht vergeben mögen, dass sie sich der neuen Dichtungsweise seines Freundes, trotz des glänzenden Erfolges des Ph*e de famüley nie recht hingeben konnte.

Bemerkungen über die Correspondance phüosophique eic.

99

In dem Verkehr mit Diderot und den gleichgestimmten Freunden ist Grimm fast völlig zum Franzosen geworden, war ihm doch diese Metamorphose eine leichte, da in seiner süd- deutschen Heimat der französische Einfluss noch ganz anders wirkte, als im Norden Deutschlands. Hätte er diese Zweiheit der Nationalität und Sprache, wie später Heinrich Heine, ausgenutzt, um ein Dolmetscher des deutschen Geistes in Frankreich zu werden, so würden wir ihm hohen Dank schulden, aber das hat er doch nur in sehr geringem Maasse gethan. Anfangs zwar schrieb er für den Mercure Briefe über deutsche Litteratur, die auf die Dauer sehr klärend und befruchtend hätten wirken können, begann auch die Redaktion des im Dienste der deutschen Litteratur arbeitenden Journal itranger, aber diese Arbeiten traten schnell hinter jener französisch angehauchten Korrespondenz zurück. In dieser hat die deutsche Litteratur, obwohl sie da- mals in Frankreich durch Übersetzungen und Besprechungen heimischer wurde, eine verschwindend geringe Stellung, lächerlich wenig weiss er über Lessing's bahnbrechenden Einfluss zu sagen, auch Klopstock und Gessner, die sogar den Franzosen durch Verdolmetschung zugänglich waren, berührt er ganz nebenbei. Die englische Litteratur der Zeit tritt weit mehr in den Vorder- grund, aber sein Urteil über Shakespeare, den Ducis und Letour- neur nach Voltaire's Vorgange in Paris einzubürgern suchten, leidet an allen Vorurteilen und Einseitigkeiten der Voltaire'schen Kritik. Wenn Grimm vieles an der französischen Sprache und Litteratur und namentlich an der französischen Tonkunst auszu- setzen weiss, wesswegen sein Biograph Scherer ihm das Fran- zosentum abspricht, so begeht er keine schlimmere Versündigung, als sie vor und neben ihm bereits Voltaire, d'Älembert und Rousseau gewagt hatten. An einem Erbteil des väterlichen Hauses hat der Pfarrersohn aber sein Lebenlang festgehalten: an der warmen Liebe zum deutschen Protestantismus. Während d'Alembert, so weit bei ihm von einer Sympathie für Kon- fessionsunterschiede die Rede sein kann, nie von der Ein- wirkung der katholischen Erziehung sich ganz freimachte und auch Voltaire den Protestantismus noch feindseliger beurteilte, als den Katholizismus, fällt für Grimm das Luthertum mit der Volksaufklärung und selbst mit der Toleranz ziemlich zusammen, die katholische Volksbildung ist ihm ein Mittel der Verdummung. Mit dieser protestantischen Grundanschauung hängt auch die Begeisterung für Preussen und für Friedrich den Grossen zu- sammen, mit dem er seit 1759 etwa in Korrespondenz trat. Hätte Grimm freilich gewusst, wie der preussische Herrscher in einem vertrauten Privatbrief über sein aufdringliches Strebertum

7*

100 Ä Mahrenkohz,

urteilte, so würde der Ton seiner Huldigung vielleicht ein kühlerer geworden sein. Friedrich dem Grossen zu Liebe geht auch Orimm in seiner sonst der Politik vorsichtig abgewandten Korrespondenz näher auf die Ereignisse des siebenjährigen Krieges ein und tadelt mit rückhaltloser Schärfe die unnatür- liche Allianz des Versailler Hofes mit dem habsburgischen Erb- feinde. Der Stamm seiner Abonnenten gehörte ohnehin der preussischen Partei in Deutschland an, schon die Klugheit gebot es also, seine Vorliebe für Preussen und Friedrich stark hervor- treten zu lassen. Diese allgemeinen Gesichtspunkte geben uns einen Wegweiser durch die vielverschlungenen Pfade der Grimm- schen Korrespondenz, welche über die Jahre 1753 bis 1773 sich ausdehnt und in Toumeux' Ausgabe etwa acht stattliche Bände füllt. Wir staunen über die nie ermüdende Arbeitskraft und Schreibfertigkeit des vielunterrichteten Litteraten, umsomehr, als er, ähnlich wie Raynal, fast der einzige Mitarbeiter war. Aller- dings darf Diderofs indirekte und direkte Mitwirkung nicht unter- schätzt werden. Nicht nur die vielgerühmten Kunstkritiken der Salons und einige andere längere Artikel sind dessen Werk, auch in der Besprechung mancher naturwissenschaftlicher und philosophischer Arbeiten, die dem Dilettantismus Grimm's ferner lagen, wird man die Beisteuer des stets hilfsbereiten Freundes erkennen. Vorübergehend hat er, namentlich im Jahre 1769, als Grimm einige Zeit in Deutschland weilte, sogar die Redaktion übernommen, aber allzusehr dürfen wir die Mitarbeit des viel- beschäftigten Herausgebers der Enzyklopädie und Verfassers so vieler anderer Schriften nicht zur Entlastung des Grimmschen Kontos heranziehen. Nun standen Grimm neben Diderot noch mancherlei indirekte Förderer und Hilfsarbeiter zu Gebote. Viele noch ungedruckte Briefe und poetische Kleinigkeiten flössen ihm zu, die oft langen Exzerpte minderwertiger Schriften haben ihm wohl seine Sekretäre, welche auch das Original - Manuskript für die einzelnen Abonnenten kopieren mussten, geliefert, auch sonst mag ihm neben den eingesandten Schriften zuweilen gleich die fertige Besprechung zugegangen sein, ohne dass wir deren Ur- heber immer kennen. Völlig aber als Grimm' s eigenstes Werk sind die eingehenden, sorgfältigen litterarhistorischen Übersichten und Zeitschilderungen anzusehen, welche er den Jahresanfängen namentlich vorausgehen lässt, und sie allein würden uns von seiner Belesenheit, Schreibgewandtheit und Auffassungsgabe eine hohe Meinung geben. Zudem konnte Grimm nicht seine ganze Arbeitskraft dem Unternehmen widmen. Waren auch seine eigenen (von Tourneux Bd. XVI gesammelten) Arbeiten nach dem Jahre 1753 von geringerem Umfange, mag auch sein

Bemerkungen über die CotTespondance philosophique etc. 101

nur lückenhaft erhaltener Briefwechsel grossenteils der Zeit an- gehören,^) wo er die Redaktion an Meister abgegeben hatte und als litterarischer Reporter besonders fiir Katharina IL wirkte, immerhin war seine Aufmerksamkeit eine geteilte. Mag er auch, wie Scherer hervorhebt, in der Weise vielbeschäftigter Redak- teure manche nur flüchtig besprochene Schrift ebenso flüchtig oder garnicht gelesen haben, schon die Zusammenstellung und Ordnung des über alle Gebiete der Litteratur zerstreuten Materials und die Hindernisse einer Sprache, die nicht seine Muttersprache war, machten einen grossen Aufwand an Zeit und Kraft nötig. Und wenn auch Grimm die redaktionelle und journalistische Mache besser als sein Vorgänger Raynal verstand, so sind seine grösseren Artikel doch tiefdurchdacht, gründlich erwogen und sorgsam stilisiert.

Gern glauben wir ihm daher, dass er schon lange vor deflnitiver Aufgabe seiner Redaktion an Arbeitsüberdruss litt, und entschuldigen aucü die üngleichmässigkeit und die Lücken mancher Jahresberichte.

Bei diesen Vorzügen, welche seine mehr als neunzehn- jährige Korrespondenz in quantitativer und qualitativer Hinsicht hat, dürfen wir deren Schwächen, Einseitigkeiten und selbst Un- billigkeiten nicht übersehen. Die ungerechte Beurteilung d'Alembert's, die sich auch in Meister's Korrespondenz forterbte, erwähnten wir schon, allzugrell sticht dagegen das den geist- vollen, zündenden, aber oft mit blitzartiger Schnelle hingeworfenen Arbeiten Diderot' s gespendete Lob ab. Von Rousseau werden mehr die einseitigen Übertreibungen, als die grossen für die Zeit bahnbrechenden Ideen hervorgehoben. Voltaire's Beurteilung ist oft eine kleinlich- mäkelnde und der tiefergehenden Gesichts- punkte entbehrende, wenngleich sie vieles Richtige trifft und da auch von unverkennbarer Sympathie zeugt, wo Grimm und Voltaire zusammen gegen Kirchenglauben und die überlebte Philosophie eines Descartes Front machen konnten. Die zahlreichen Gegner und Neider des grossen Mannes kommen daher ziemlich schlecht fort, wennschon Grimm die langweiligen Publikationen eines Guyon, Larcher, Nonnotte u. A. schwerlich eines genaueren Studiums gewürdigt hat.

Als Dichter und namentlich als Schöpfer unvergleichlich

1) Aus der Zeit vor 1773 teilt Tourneux nur vierundzwanzig Briefe an die Herzogin von Gotha und ihren Sohn Ernst, 'sechs an den berühmten Schauspieler Garrik, einen an Friedrich IL und sieben Briefe an verschiedene Adressaten (die Gräfin Houdetot, Rousseau's Freundin, den Grafen Schomberg, seinen Gönner, zwei an Voltaire u. s. w.) mit, Natürlich ist die Sammlung nicht entfernt vollständig.

102 R. Mahrenholiz,

witziger und feBselnder Romane und Novellen hätte Voltaire viel wärmere Anerkennung verdient, das über den Historiker und Philosophen gefällte Urteil mag im Lob und Tadel der Wahrheit nahe kommen. Von den Geistern zweiten Ranges ist Marmontel der Verfasser des epochemachenden Büisaire zu wenig, La Harpe vielleicht über Verdienst gewürdigt, dagegen sind zahlreiche, heutzutage vergessene, aber für damalige Zeit bedeutungsvolle Dichter und Schriftsteller schwerlich mit voller Objektivität be- urteilt. Beaumarchais' geniale Bedeutung trat erst nach 1772 ganz hervor, konnte also von Grimm nur wenig gewürdigt werden. Das öfter ausgesprochene Urteil Grimmas, dass die Zeit Ludwigs XV. in Dichtung und Kunst nur eine künstliche Nach- blüte des Sude de Louis XIV sei, ist zwar dem Bewnsst- sein der Zeit entsprechend, wird aber auf Männer wie Voltaire angewandt, ein entschieden unbilliges. Auch die oft apodiktische Kritik Über die Comidie frangaise und über Künstlerinnen, wie die Clairon lässt die sehr einseitige Antipathie Grimmas ebenso durchblicken wie seine Parteinahme für die italienische Buffooper und für Gr6try eine zu parteiische Sjrmpathie verrät Die Philosophie des Aufklärungszeitalters konnte der ganz in ihren Ideen lebende Mann nur in ihrer Lichtseite, nicht in ihrem dunklen Reflexe schildern, aber sein eigener Standpunkt kommt über den flachen Epikuräismus des Weltmannes und den wohl- feilen Skeptizismus des nicht gründlicher geschulten Schöngeistes kaum hinaus. So sehr auch Grimm mit Diderot die natur- wissenschaftlich-experimentelle Forschung betont und Voltaire (im vollen Gegensatz zu unserem Dubois-Reymond) die Kenntnisse des Naturforschers ganz abspricht, ist es doch ein gewaltiger Unterschied, wie er oder wie Diderot und d'Alembert diese Grund- aufl^assung zu vertreten wissen. Seine Abneigung gegen alle Theorien, denen die unmittelbare praktische Bedeutung und An- wendbarkeit fehlt, macht ihn ungerecht gegen die volksbeglückenden Ideen eines Vauban, d'Argenson und des älteren Mirabeau.

Aber auch in diesen Einseitigkeiten und Vorurteilen ist seine Auffassung nur der treue Wiederschein der Zeit und Tages- meinung und seine Korrespondenz daher ein historisches Doku- ment von unbestreitbarem historischem Werte.

Mit dem März 1773 tritt nun Meister,^) ein frühzeitig ge- reifter Litterat, der bereits seit einem Dezennium die Feder ge- führt, schon mit 14 Jahren Joumalartikel geschrieben, und soeben

1) Über seine perBönlicben Verhältnisse vergleiche H. Breitinger's Mitteilungen in der Zeitschrift, Supplementbeft 1885, und Meister's eigene Angabe bei Tourneux XVI, 213 A. 4.

Bemerkungen über die Correspondance phüosophique elc. 103

darch eine ketzerische Schrift religiösen Inhaltes den Zorn der Behörde seiner Vaterstadt Zürich und den Beifall Friedrich's des Grossen erregt hatte, an Grimmas Steile als Redakteur ein. Zog aber damit Grimm sich völlig von der Leitung zurück? Wir möchten das kaum annehmen. In den nächsten Jahren zwar Hess ihn sein zweimaliger Aufenthalt in St. Petersburg (1773 und 1776) und eine längere Reise nach Italien (1775 1776) wenig zu thätiger Mitwirkung kommen, aber als er nachher das rauhe Klima Russlands und die gefährliche Gunst Eatharina's mit dem ruhigen Wohlleben von Paris vertauscht hatte, fehlte es ihm trotz der Korrespondenz mit der Zarin über französische und ausserfranzösische Angelegenheiten der Litteratur, Gesellschaft, und seit 1789 auch über Politik, keineswegs an Zeit und Ruhe. Und das ganze Gepräge der folgenden zwanzig Jahre, während welcher die Korrespondenz ungestört fortging, zeigt allzusehr Grimm's Einfluss. Dichtung und Kunst, Philosophie und soziale Fragen, alles wird im Ganzen so aufgefasst und geschildert, wie es Grimm selbst gethan, fast dieselben Sympathien und Antipathien, Vorzüge und Einseitigkeiten kommen zum Vorschein. Nur der Schweizer Lokalpatriotismus Meister's macht sich geltend, wenn z. B. Gessner's Tod zu einem längeren Nekrolog Anlass gibt, Friedrich' 8 IL Hinscheiden dagegen ganz kurz berührt wird, aber sollte es ganz zufällig sein, dass der Streit der Gluckisten und Piccinisten mit sichtlicher, wennschon verhüllter Parteinahme für den mit Racine verglichenen Italiener beurteilt wird? Sollte die fortgesetzte ungünstige Auffassung d^Alembert's, die unverminderte Wärme für Diderot, die wenig veränderte Beurteilung Voltaire*s nicht eine direkte Ein- und Mitwirkung Grimm's voraussetzen lassen? Der empfindungsvolle Nachruf an Diderot und der ebenso kalte Abschied von d'Alembert und Rousseau verrät doch Grimm's Feder, und wenn Diderot nach wie vor die Kunstkritiken schrieb, was zu bezweifeln kein hinreichender Grund vorliegt, so dürfen wir in Grimm wohl den unausgesetzt thätigen Musik- referenten suchen.

Der Abstand in der Redaktion war freilich ein bemerkens- werter. Die allgemeinen Einleitungen und Übersichten, das Lesenswerteste an der Korrespondenz, schrumpfen immer mehr zusammen, die Berichte werden zuweilen kürzer und oberfläch- licher, schon am 20. September 1775 klagt Katharina, dass Meister kein Grimm sei. Und entschuldbar genug ist diese Un- ebenbürtigkeit des Nachfolgers, der mehr noch, als der Vor- gänger, sein einziger Mitarbeiter gewesen zu sein scheint. Denn ihm strömten kaum so viele Einsendungen von Büchern und Notizen zu, wie Grimm, und die Zeit war überdies den groggou

104 JR. Mahrenholiz, Bemerkungen über die Cotrespondance phiios. etc.

Interessen der früheren Dezennien entfremdet, die bedeutendsten Geisteshelden tot oder an der Schwelle des Lebens, Oper, Schauspiel, Gesellschaftstand und Salonklatsch herrschten neben der an Überraschungen und Vorbereitungen der kommenden Um- wälzung reichen Tagespolitik, welcher aber Meister nicht sorg- fältiger nachgehen konnte oder wollte. Darum schwindet das Interesse für uns, sobald Grimm die Chefredaktion abgibt und es erwacht nur vorübergehend mit dem grossen Jahre 1789, da Meister den Wandlungen der Revolution nicht tiefer nachforscht das damals so gefährliche eigene Urteil möglichst vermeidet und Andere gern statt seiner reden lässt. Zudem ist die Bericht- erstattung über die Jahre 1789 1792 dürftiger und lückenhafter als die bedeutungsvolle Zeit es verdient hätte, wie denn die Jahre 1791 und 1792 zum Teil fehlen und das Vorhandene knapp genug ist. Die Septembergräuel 1792 und die immer mehr zunehmende Unsicherheit in Paris haben Meister zu einer Flucht nach England bestimmt, wo er schon Anfang 1792 mehrere Monate geweilt hatte, die Nachrichten vom November dieses Jahres^) bis Mai 1793 sind daher von befreundeter Hand ihm zugesandt worden. Mit dem Jahre 1794 nahm er von der Schweiz aus mit Hilfe seiner Pariser Korrespondenten das Unternehmen wieder auf und weilte auch nach dem Ende des Terrorismus kurze Zeit (September 1795) in der frauzösischen Hauptstadt. Bis zum Januar 1813 schwebte dann die Korrespondenz noch zwischen Leben und Tod, aus ihr sind uns von Tourneux nur einzelne Bruchstücke mitgeteilt worden. Die unbefugte Publi- kation eines Teiles jener Geheimschrift, die Sorge wegen der Unannehmlichkeiten, welche die Enthüllung so mancher persön- licher und vertrauter Dinge zur Folge haben musste, der Tod der alten Abonnenten und die immer mehr zusammenschwindende Zahl und abnehmende Teilnahme der neuen haben dem Werke den Todesstoss gegeben. R. Mahbenholtz.

1) Am 30. September 1792 war er noch in Paris, wie die Be- sprechung einer an diesem Tage stattgefandenen Opernaufführung zeigt.

Personal- und Gentilderivate im Neufranzösischen.

Die nachfolgende Sammlung von Adjektiven und Adjektiv- Substantiven, welche von Personen- oder Ortsnamen abgeleitet sind, erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit; vor allem ent- hält sie nur solche Wörter, welche in dem grösseren Wörterbuch von Sachs sich nicht finden. Vollständigkeit ist hier überhaupt nicht zu erreichen, weil solche Namen zu wenig häufig sich finden (was hier gegeben wird, ist das Ergebnis mehr als fünfzehn- jährigen Sammeins) und weil Neubildungen fortwährend auftauchen. Das ist besonders bei den Derivaten von Personennamen der Fall, und der Laune des Schriftstellers ist hier der weiteste Spiel- raum gelassen. Schon weil sich bei diesen Namenadjektiven so viel individuelles Belieben einmischt, sind sie von geringer Wichtigkeit; eine sehr umfängliche Berücksichtigung derselben in einem Wörterbuch würde nur zu einer lexikalischen Super- fötation führen, etwa wie die Aufnahme sämtlicher Romposita, die persönliche Liebhaberei mit Hilfe der Präfixe ex, hyper, ultra u. a. zustande bringen kann. Dass sie trotzdem nicht un- wichtig sind, mag folgende mir zufällig neu aufstossende Stelle aus einem Roman von Jules Claretie beweisen. Der Sinn des Personaladjektivs wird vielen, die nicht in der Kunstgeschichte etwas bewandert sind, unklar bleiben: Le pettt Japonais , , , de- mandait ä une jeune Anglaise preraphailite pourquoi die ne dansaU pas, Parce que je dighre! repondait la podtique miss d^une voix mourante.

Von weit höherem Interesse sind die Gentilien im weiteren Sinne, d. h. die von Länder- oder Landschafts-, Städte-, Berg- oder Flussnamen abgeleiteten Wörter. Bei ihnen lassen sich synonymische unterschiede auffinden; die Zahl der zur Verwen- dung gelangenden Ableitungsendungen ist eine grössere; die Bil- dung der Wörter reicht in ältere Zeit zurück; vielfach ist eine

106 Ph. PiaUner,

Form an die Stelle einer anderen, jetzt veralteten oder alternden getreten; oft ist der Kampf zwischen zwei Formen noch nicht entschieden, so dauert der beim Verb längst abgeschlossene Widerstreit von oi und ai vielfach noch fort; femer sind diese Wörter nicht Erzeugnisse der Laune eines Schriftstellers, sondern Gemeingut, wenn auch vielleicht nur der Einwohner eines be- stimmten Ortes und seiner Umgebung; endlich ist es für die Lautlehre nicht uninteressant nachzuforschen, ob bei diesen Bil- dungen nicht gewisse Gesetze massgebend gewesen sind, warum bei einzelnen Namen eine volkstümliche Bildung unmöglich war, so dass sie entweder ganz unterbleiben oder durch eine aus dem lateinischen Etymon hergeholte hybride Bildung ersetzt werden musste und wie von Ortsnamen, besonders nichtfranzösischen, ein zugehöriges, aber nicht nachweisbares Adjektiv auf dem Wege der Analogie zu bilden wäre. Mit aufgenommen wurde eine Zahl von Landschaftsnamen. Die französische Geschichte und Geo- graphie sind überreich an solchen Namen, die zum grossen Teil immer noch trotz aller Verschiebungen in der administrativen Einteilung des Landes wachgehalten werden als notwendige Zu- sätze bei den zahlreichen Orten gleichen Namens, besonders den von Heiligennamen gebildeten Benennungen. Diese Landschafts- bezeichnungen verdienten eine eingehendere Untersuchung. In den angeknüpften Bemerkungen endlich sind ausser den auf- geführten Namenadjektiven auch die bei Sachs verzeichneten mit- berücksichtigt.

In dem Wörterbuch der Akademie sind diese Bildungen so gut wie nicht berücksichtigt; auch Littr^ bietet äusserst wenig und nur für Adjektive von Länder- und VÖlkemamen; einzelnes ist in den Addenda und später vermehrt im Supplement^) hinzu- gekommen. Sehr verdienstlich war es daher, dass Sachs diese Wörter eingebend berücksichtigt hat, doch ist es auffallend, dass das CompUment du Dictionnaire de V Acadimie FrariQaise^) von Barre und Landois sich unter seinen Quellen nicht befunden zu haben scheint. Die Sammlung von Sachs und mehr noch die des CompUment leidet hauptsächlich deshalb an Unvollständigkeit, weil eigentlich nur historisch bekannte Namen berücksichtigt wurden. Der Courrier de Vaugelas^) hat an zwei verschiedenen

*) Im Nachfolgenden ist diese Quelle mit Z. S. bezeichnet.

2) Mit C. bezeichnet. Es ist hier das 1839 in Brüssel erschienene Werk gemeint; Sachs führt das drei Jahre später in Paris veröffent- lichte Complemeni von Barr^ auf.

8) Mit CdV. bezeichnet. Ausserdem sind öfter zitiert: Aroux, E., les Mysteres de la chevaierie. Paris, 1858. Gautier, Th^ophile, ffisi, de Cari dramatiqtte en France. 6 vol. Leipzig, äd. Hetzel, 1858 1859.

Personal- und GentäderivaU im Nnufranzöstschen. 107

Stellen Gentilienlisten gegeben, auf welche häufig verwäesen werden muaste. Leider gibt er weder Quelle noch Beispiele; besonders das Fehlen der letzteren ist sclir störend, da es von vornherein durchaus nicht feststeht, ob dieselbe Form sowohl als Adjektiv wie als Substantiv und sowohl fUr die Bezeichnung des Gebiets wie flir die Bezeichnung der Bewohner gebraucht werden kann oder sebräuchlicb iBt.

Abrahamien (0.) gleiche Bed. wie Abrakamite (Sekte). Abrahamiqne (L, S.}. Lex »omieniVs ahTahamiques (Lacordaire.)

Antonin auch als Adj. üblich: Les seulplures myst^rü

(sc. portf) decorent sont, ä ■mon avis, (fime tout aut!re ipoque qut l'6poqve ontnnine (Lamartine, V. en Or. 153).

Ariostin (L. 9.)

1. AriBtophanesque. Cette revue, qui, dang les mains d'un poefe Ott d\n philosophe, pnurrait prendre des proportiona aristophanesques et devenir la vraie com^dh de l'epugue, eonsiste dans un ramassis de hanalües et de plaisanteries vieilles de onze moia et demi (Th. Gautier IV, 380 f.). Meme dans lex Flaideurs, revaitche aristophanesqut des ennuia d'un proeis, la piaisatiterie n'est pos enjouie (Geruzez II, 255 f.) Sauf erreur ou Omission, on connatt mainienant tous les octeurs, figuraitts et comparaes de ce drame menippien, dans lequel une verve qui ne se lasse pas prodiyue ä fotson un sei tout aristophanesque (Aroux 199).

2. Anstophanique. Ou bien ne faul-il voir qu'une fantaisie

aristnphanique oit serait personnifii un ierivain rCune ciUbritS incontestabh et me'rite'ef (Th. Gautier V, 52). Voiei un vaude- ville qui a la pretention d'etre ariatophanique, et qui lajustiJU, au moins sous le rapport de la personnaliti (Ib. VI, 22), Ijes revuea, avec leura prüentions aristopkaniquea , ont-ellea agiti la HOciHe juaque dana ses fondemenf-sf (Ib. VI, 45.)

I. bezeichnet eine Manier, eine Darstellungsweise, 2. eine litterarische Gattung, wobei 2. in die Bed. von 1, übergreifen kann, aber nicht umgekehrt.

Geruzez, Eugene, Hist. de la litt, frani;. t vol. Paris, 1874. Guizot, Htst. de la cimUsatioH ea France, i vol. PariB, 1859. Guizot, fUsl. äe la civiHtation in Europe. Puris, I8T6. Jaubert, comte de, Glossare du Venire de la France. 2 vol. Paris, s, a. Martin, Henri, äistoire de France. 17 vol, Paria, 1861 62. Vermesee, Louie, Dicttonnaire du patoU de la Flandre frangaise ou watlonne. Douai, 1867. Die Zitate aus Zeitungen sind hinlänglich bezeichnet, die den Figaro entnom- menen haben die Abkürzung Fig.

108 /%. Platiner,

Armenti^re. V Armentiere beaute faxt la guerre ä ses beaux cheveux et se dechire le sein, ä ce quon dit (M™® de S6vign6 II, 100; 18 mai 1671). Näheres hierüber konnte ich nicht finden; das Wort hat mit der Stadt Armenti^res (Nord) wohl nichts gemein und scheint eher adjektivischer Gebrauch eines Familiennamens, vielleicht mit der volkstümlichen Motion solcher Namen zusammen. Vgl. Murinette,

Arnalesque^ in der Manier Arnal's, eines um die Mitte dieses Jahrhunderts sehr bekannten Pariser Komikers, welcher Tölpelrollen als Spezialfach hatte: La Situation exploitie par les deux auteurs arnalesques est de Celles oil Von peut se trouver soi-meme (Th. Gautier IV, 156).

Arthurien^ der Artussage angehörig: Le Chevalier ä la charrette met en schie plusieurs des personnages des legendes arthuriennes et leur conserve la physionomie que nous leur connaissons (Geruzez, I, 75).

Averrholste^ dem Averrhoes angehörig: Ceci n'est plus du con- ceptualisme y mais du realisme, et du pire, du realisme aver- rhotste (H. Martin IV, 274).

Balzacien. Les Balzaciens, c^est-ä-dire les admirateurs de Balzac (Paix, 22 mai 1887).

B^rengaxien (C), Anhänger von B^renger.

Berninesque^ in der Manier Bernini's: Ses (sc. de Paget) dis- ciples fusserd promptement tomhis dans le style beminesque (H. Martin XIII, 230).

Bismaxckien^ Bismarck angehörig: La feuille bismarckiennsj (sc. la Gazette de VAllemagne du Nord, France, 25 f6vr. 1878.)

Boulangiste^ dem General Boulanger angehörig: Letat d'esprit boulangiste (Paix, 10 juillet 1887). Les manifestations bau- langistes ce mot le boulangisme ^ fait desormais partie de notre langue politique ... (Ib. 12 mars 1888).

Catilinaire^ katilinarisch , kann nur von Reden gesagt werden, was bei Sachs (s. v. I) angegeben sein könnte.

Charlemanesque (L. 8.) in der Weise Karl's d. Gr.

Chateaubrianesque (L. S.) in der Manier Chateaubriand's.

Clairvillien^ dem Vaudevilledichter Clairville angehörig: Le c6te comique se compose d'un panier d^ceufs, qui a le don de ria- liser les souhaits ä rebours. Vous disirez un bouquet de vio- lettes; aussitdtj avec un bruit de ferraiüe, apparatt une voiture de vendange- poste: ä ce fumetf vous reconnaissez rattieisme clairvillien. (Th. Gautier VI, 30).

Cl^menciste, Anhänger von C16menceau; nach der Gazette de France im Courier de Vaugelas (X, 11) angeführt und ver- worfen, dafür cUmenceliste vorgeschlagen.

Personal- und Gentüderivate im Neufranzösischen, 109

Goburgien, dem Prinzen Ferdinand von Coburg angehörig: Le parti Cohurgien (Paix, 14 sept. 1887).

Gonstantilly zu Konstantin d. Gr. gehörig: De plus, en ordonnant quil se tienne tous les ans une assemhlee dans la dte Con- stantine (sc. Ärles), nous croyons faire une chose non seule- ment avantageuse au bien public, mais encore propre ä multi- plier les relaüons sociales (Guizot, Civilis, en Eur. 47).

Dauphin 9 zum Dauphin gehörig. Bei Sachs (1. V. IV) fehlt la port£ Dauphine (von Paris nach dem Bois de Boulogne führend). Die frühere avenue Dauphine (von der avenue d^Eylau ausgehend und in den Endpunkt der avenue du Bois de Boulogne einmündend) heisst jetzt avenue Bugeaud,

DÖdal^n (z. B. le riseau dedalien des rues de Paris) heisst nur labyrinthisch (nicht auch, wie Sachs angibt, dädalisch); es ist von dem Appellativ le dSdale, nicht von dem Personen- namen gebildet.

Diomödien (C.) dem Diomedes angehörig.

Don-juanesque^ den Don Juan spielend: Quant ä RibalUery il est celihataire et don-juanesque malgri ses cinquante ans (France, 8 mai 1878). Tous les hommes qui menent quelque peu la vie don-juanesque aiment ä s^aventurer vers les femmes fatales (A. Houssaye, France, 25 juin 1879). Ce qui paraitra Sans doute singulier, cest qu'avec ces beaux projets machia- viliques et don-juanesques, j^etais, au fond, le gargon le plus tiwide du monde et le plus facile ä decontenancer (Sarcey, Le piano de Jeanne 248). Don-juanesque verdrängt das gleich- bedeutende don-juanique.

Don-quichottesque, den Unternehmungen Don Quixote's ähn- lich: Le choix du nouveau ministre des affaires itrangeres peut etre considere comme une preuve incontestable qu^il (sc. Gambetta) n^est nullement engage, en ce moment, en des entre- prises don-quichottesques au dehors{XlX^ Si^cle, 26 sept. 1880).

Eudoxien (C.) Eudoxianer, nach Eudoxius genannte Sekte.

Fabien heisst auch: nach Art des Fabius (Cunctator). Vannie 1536 futy apres celle de Marignan, la plus glorieuse de la vie de Frangois I^: ä cette guerre toute fabienne, on ne re- connaissait plus les tSmiraires aventuriers de Pavie (H. Martin VIII. 244).

Figaresque» der Zeitung Le Figaro angehörig, ftir dieselbe be- stimmt: Les bureaux du ministhre de Vintirieur ont eti plus loin: ils ont grossi, ils ont exagire Vinconvenance et le danger des deux telegrammes figaresque^ (France, 15 janvier 1878).

Figariste auch als Adj. M. Zola, en effet, sest enröle dans le le bataillon figariste (XIX® Siöcle, 23 sept. 1880).

HO Ph. Plattner,

Qondowaldien, Anhänger des fränkischen Gegenkönigs Gondo- wald: Les principaux chefs des Gondowaldiens obtmrent leur pardon par V Intervention de Gregoire de Tours et de quelques autres prelats (H. Martin II, 85).

H6racl^n (C); l) dem Herakles, 2) der Stadt Heraklea angehörig.

Hermipnite (C.) Nebenform zu hermien,

Hippocratien» dem Hippocrates angehörig (fehlt auch im G.): üne circonstance pinihle vient de m^offrir Voccasion d'observer les changements materiels qiia subis la gent hippocratienne pendant ma longue absence (Jouy, Ilermite de la Guiane I, 46). Hippocratique ist, wie schon die Endung an die Hand gibt, mehr auf den gelehrten Gebranch beschränkt.

Hofi&nanique heisst auch: Hofifmann angehörig, bei Hofifmann vorkommend. Über die von Sachs durchaus gleichgestellten Formen hoffmanique und hoffmanesque vergleiche das bei aristophanique Gesagte. Les Kreissler farouches, les musiciens hoffmaniqu^s qui se croient savants parce quHls soni ennuyeux, affectent de mipriser beaucoup la musique la rnModie pari ä tire-cPaüe et s*elhve en chantant sans tours de force et sans casse-cou (Th. Gautier H, 179).

niyricain (0.), Sekte, Anhänger von lUyricus.

Ingresque^ dem Vorbild des Malers Ingres folgend: TJecole glacee de V Empire est remplacee par cette ardente gener atton de jeunes peintres dont Eugene Delacroix est le chef. Cette ecole pro- voque ä son tour la riaction ingresque (Th. Gautier IV, 389).

J^romiste vgl. bei Ludovicien.

Juvönalique, dem Juvenal angehörig: Venez peindre nos ridiades, nos sottiseSy nos viceSj avec cette ironie amere, avec cette In- dignation juvinalique qui vous ont si bien inspiri dans votre jeunesse (Jouy, Hermite de la Guiane, I, 9). Über das Ver- hältnis zu dem bei Sachs allein angeführten juvenalesque vgl. bei aristophanique.

Laomödontien (C.), von Laomedon abstammend.

Lodoicien (C.), von Louis abgeleitet.

Loisellien (C.), dem Rechtsgelehrten Loisel angehörig.

Ludovicien^ Anhänger des Prinzen Louis (Bohaparte, Sohn von Plön -Plön). Quant aua^ Jeromistes et aux Ludoviciens, ces autres fractions du bonapartisme, on devine aisiinent quel accueü üs riservent au manifeste de leurs ennemis (Paix, 12 juin 1885). Vgl. auch C.

Mac-mahonien, Anhänger Mac-Mahon's: Nous apprenons igale- mevd que M, Bartholoni se prisentera dans le VII^ arrondisse- ment de Paris comme conservateur et mac-mdhonien (Figaro, 22 aoüt 1877). Als Adj. (Mac-Mahon angehörig, von ihm

Personal- und Ge>

ausgehend): 7>a Tisisti

mentaire, la risistem

makoniens, n'est phts Mansfeldois (C), Sekte,

Übertragung der zu d(

auf daa von dem gleict Marächalesque (dem Ma

inae-mahonesque) : De

elections gitiirales, oii

combat Sans budget vc

{France, 12 d6c. 187' Mazarin, Anhänger Mazai

nuit les principaux of_

Saint sacrement qu'on

soupQonnait ttBtre Mai

de plat £ipie (Voltair

C. und ebenda (s. v.

retirer ä la hdte. Molißresque (L. 8.}, Mo

Endung ist nicht vorh Hurinette. Aus dem

Murinette beattti est avi

1671). La Murinette

n'est pait de m&me poi

meint ist Anne -Marie

de Kernt an oder Cam Ozanamite, Anhänger 0:

jeune komme destin^ si

qu'ä s'inntrmre (Arcus Parnelliste, Anhänger P

leur groupe comptera d

au moins quatre-vingt BaphaSlesqne, jetzt Ubli StäTeniste (C), Sekte n Turcarien, nach Art Ti

turcarienne anstocratx

g^neraliti voit g'Svanoh

g'althre snn respect de c... ...» ^>,„. .^„........^ ,... ^.-^..^...^.,

Babel IV, 132). Victorien, Anhänger dea Prinzen Victor (Solin von Plon-PIon):

Ausgi eat-il prisumahle gue les Orlianiates, quelque envie qu'iU

en aient, feront froide mine au programme impirialiste et

qu'ils laisteront les Victoriens faire seuls leurs petäes manatuvres

ikctoToles (Paix, 12 juin 1885).

112 i%. Baitner,

Vitellien, dem Vitellius angehörig: Quelques cohortes vitelliennesj renforciea par la jeunesse aristocratique d!Autuny disperserent le ramas de paysans que le pretendu genie Celeste trainait apres lui (H. Martin 1, 234).

Weymarien (weimarlen), Bernhard von Weimar angehörig: Des ditackenients commandis par Ghiibriant et Ikirenne, gSndraux qui se formaient ä ticole su6doise, vinrent renforcer les Weymariens (Th. Lavallie, Hist. des Fran9ai8, III, 157). Le duc de Longueville fut reconnu pour chef de VarTnie wey- marienne (ib. III, 159).

Zoliste, in der Art von Zola: Nous repudions ces bonshommes de rhStorique zoliste, ces sükouettes enormes j surhumaines et hiscornues . . . (Paix, 20 aoüt 1887, Reproduktion aus dem Figaro).

B. Von Ortsnamen abgeleitet.

Abbevillois^ zu Abbeville gehörig: Une hander ole sur laquelle figure Vinscription: ^^8ur V initiative de V Abhevilloise^'' (Paix, 3 juillet 1885).

Abdöritain bedeutet bei La Fontaine (neben Abd^rite) den Be- wohner von Abdera: Democrite et les Ahdeintains (VIII, 26).

1. Abyssin. 2. Abyssinien. 3. Abyssinique.

Littr6 (S.) kennt nur die beiden ersten Wörter und zwar nur als Adj. (1. Qui appartient ä VAhyssinie: Tjidiome abyssin,

2. Qui est relatif ä VÄbyssinie: les poptdatians abyssiniennes). Für „die Abessinier" bietet er keinen Ausdruck. Das CompUment kennt 1. als Adj. und Subst., 2. nur als Subst. (d. h. substantiviertes Adj.) für die Sprache (das Abessinische),

3. nur als Adj. in dem Ausdruck les langues abyssiniques ; 2. und 3. würden sich zu einander verhalten wie römisch: romanisch, deutsch: germanisch. Ebenso Sachs, der jedoch bei 3. keine weitere Angabe macht.

Zunächst ist sicher, dass les Abyssins die Abessinier heisst; Beispiele sind unnötig, da man sie in jedem franzö- sischen Lehrbuch der Geographie und augenblicklich in jeder französischen Zeitung finden kann; zu bemerken ist, dass les Abyssiniens sich findet, z. B. gerade in dem CompUment (s. V. agadajy welches nur les Abyssins aufführt. Auch als Adj. ist jetzt 1. das weitaus üblichste, wenn nicht das einzig übliche Wort: Tigoulat qui fut autrefois le siege de tout Vempire Abyssin (Cortambert, Cours de g6ogr. 555). C'est un giniral abyssin^ Rassahda, qui est chargS de cette tdche (Paix, 20 aoüt 1885). Les mahdistes seraient en mar che contre la capäale abyssine (ib. 18 mars 1887). On assure

Personal- und Gentilderivale im Neuframösischen, 113

qvLune avant-garde de ti'oupes ahyssinnes (wohl Druckfehler) etait partie pour secourir Kassala (ib. 10 sept. 1885).

Accitanien (C), Bewohner von Acci oder Accitum in Spanien.

Acerrain (C), Bewohner von Acerra.

AgönaiSy das Gebiet von. Agen. Sachs gibt (wie C.) nur Agi- nois. H. Martin gebraucht nur die Form auf -ais (z. B. III 490, IV 108, 348, V 80, 227), daneben noch häufiger Ägenais (z. B. IV 104, 348, 559, 562, V 74). Auch für die Bewohner gibt der CdV. (V, 82) Ägenais ou Agenois. Mignet (z. B. Etudes bist. 174, 179, 212) gebraucht Agenois und Agenois neben einander. Vgl. hierzu Rockdois neben Rochellois. Die üblichste Form ist jedenfalls Agenais flir die Bewohner sowohl wie für das Gebiet; für das erste finden sich zahlreiche Beispiele aus französischen Zeitungen letzter Zeit gelegentlich des Aufenthalts des Präsidenten Carnot in Agen, für das letztere spricht der Ortsname Monclar-d'Agenais.

Aigues-Mortain (CdV. V, 82), Bewohner von Aigues-Mortes.

Aixois^ zu Aix (en Provence) gehörig: Ijes repvblicains aixois se preparent ä feter dignement V anniversaire de la proclamaiion de la premi^re Repuhllque (France, 20 sept. 1878). Le marcM aixois est trls viveinent impressionnS (Paix, 12 janv. 1886).

Ajaccien, Bewohner von Ajaccio: Le prince NapoUon (Jeröme) se prisente aux suffrages des Ajacciens (France, 25 juin 1879).

Aleman, alemanique^ Al(l)emanne, a(l)lemannisch schreibt Sachs (wie C). Üblicher ist die Schreibung mit II, nn: Soixante- quinze mille guerriers franks, allemanSy burgondes . . . (H. Martin II, 25). Deux frlres appeles Bukhelin et Leuther, qui etaient de sang alleman (ib.). Des bandes frankes et aüemanes (ib. I, 342). Theudebert eut pour sa pari les hautes vaüies du Rhone, du Rhin et de l'Inn habitees en partie par des popu- lations allemanniques (ib. II, 20). Uhydre allemannique (ib. I, 319). Guizot (Civilis, en Eur, 85) gebraucht sogar die Form Allemand (wie er Bourguignon für Burgonde u. s. w. setzt): On compte les lois des Bourguignons , des Francs- Sa- lienSj des Francs-Ripuaires, des Visigoths, des Lombards, des Saxons, des Frisons, des Bavarois, des AUemands, etc. Ijes Allemans (Cortambert 204).

Alezandrin^ Bewohner von Alexandrie (Egypte), vgl. bei Cairote.

Alr6en, Alrien, Bewohner von Auray (CdV. V, 82).

Alsatique^ Nebenform zu alsacien, die mehr auf gelehrten Brauch hinweist: Ce qui est particulierement lottable dans les ouvrages patriotiques et alsatiques de M. Leroy de Sainte-Croix, c'est la modiration, la prudence, la sagesse de langage et d'esprä qui les caracterise et les distingue (XIX® Si^cle, 14 nov. 1880).

Zschr. f. frs. Spr. n. Litt. XJi. g

114 i%. Piaitner,

Ambertois, Bewohner von Ambert (CdV. V, 82).

Amyclöen (C.)y zu Amycl^e gehörig oder da geboren.

AndaloUB. Sachs gibt an erster Stelle andalou mit dem f. an- dalouse und dem pl. m. andalous und andaloux. Die Schrei- bung des m. liegt ja sehr im Argen und für ^Andalusier^ (d. h. Pferd) findet man andalouy andalous und sogar andaloux im sg. Littr6 (im S.) gibt nur andalous, ebenso gebraucht Brächet (Gr. bist 51) nur V andalous (das Andalusische). Es ist daher offenbar am besten, das Wort in der Form andalous ausschliesslich anzusetzen, wodurch sich f. und pl. m. von selbst ergeben, zugleich auch das Wort von den exotischen hindou, 'oue, mandchou, -o^^e^ zoulouy zouloue losgetrennt wird.

Annonien^ Bewohner von Annonay (CdV. V, 82).

Aostain, Bewohner von Aoste (-a): Les Aostains ont grosses questions avec leur evSquCy ä cause des excommuniements quüs ne peuvent souffrir (Bonnet, R6cit8 du XVP si^cle, 50. Die Stelle stammt aus dem Jahre 1535).

Appenzellois^ Bewohner von Appenzell. Die Form Äppemelöis hat CoBckelberghe-Dutzele, Theorie compl. de la prononc. I 260.

Aptösien, zu Apt gehörig: Des voeux taut platomques pour les succis Slectoraux des deux gloires de la democratie aptesienne (Fig. 8 aoüt 1877).

Aquitain aquitanisch. Ausser diesem Adj. (das einzige von C. aufgeführte) gibt Sachs aquäanien und aquitainique, für welche ich keinerlei Belege beizubringen wUsste. Littre gibt auf- fallenderweise weder ein Subst. noch ein Adj. Sachs fuhrt das sehr übliche aquitanique nicht auf, und fast muss man vermuten, dass sein aquitainique nur ein Druckfehler ist, worauf schon die den Lautgesetzen Hohn sprechende Bildung verweist. Les villes aquitaniques (H. Martin VIII, 385). La cSte aquitanique (ib. 283). Le chef ou roi des Nitiobriges amena au camp un gros de cavalerie gaelique et aquitanique (ib. I, 171). La rebdlion aquitanique (ib. II, 215). Les milices aquitaniques (ib. II, 316). Uarmie aquitanique (ib. 200, 202). Ebenso anglo- aquitanique y franco- aquitanique: Varmee anglo - aquitanique (ib. V 260, 287). La suzeraineti franco' aquitanique (ib. II, 351). Varmie franco-aquitanique (ib. II, 330 f.). Für aquitain: Les seigneurs aquitain^ (ib. II, 248). VArvemiey le Limousine le Querci et quelques autres cantons aquitains (ib. II, 4). Die Beispiele für letzteres Wort sind nicht zahlreich genug, um einen Schluss zu er- lauben ; aber beim Überblick kommt man zur Vermutung, dass H. Martin der weiblichen Form aquitaine ausweicht und dafür aquitanique verwendet. Vgl. bei Aleman,

Persotial- und Geniüderivaie im Neufranzösischen. 115

Arabique. Die Angaben von Sachs stimmen im ganzen mit dem C, welches noch annee arabique und tables ardbiques zusetzt. Langue arabique , was Sachs aufführt, ist durchaus veraltet. La Touche (L'art de bien parier fran9ois, 6d. 1760, II, 363) sagt: Ort dit V Arabe pour la langue^ un mot Ärabe, des carac- tlres Arabes, Weiterhin wirft er dem Pfere Bouhours vor, dass er den Gebrauch von arabique für die Sprache nicht erwähnt habe. Jetzt sagt man nur V arabe ^ la langue arabe, aber les langues arabiques, wie das C. angibt und mit dem bei Abyasin bemerkten Unterschied.

Araucan nach Sachs (und C.) nur von der Sprache, für das Volk Araucanien, Vgl. Les Araucans de VAmirique occideniale (Paix, 9 sept. 1887).

Arbosien, Bewohner von Arbois (CdV. V, 82).

Ard^chois^ Bewohner des D6p* de l'Ard^che: Les Ard^chois habitant Paris sont insiamment pries de s'y rendre (France, 21 oct. 1878). Auch von über, Progr., Waidenburg, 1885, verzeichnet.

Ardennais^ Bewohner des D6p* des Ardennes (CdV. VIII 185, Cceckelberghe-Dutzele I, 260, über). Vgl. auch bei boulenois das Zitat aus Fig. 16. 8. 77. Nach einer bei Stapper's (Dictionn. synopt. d*6tymol. fr. 552) verzeichneten unhaltbaren Annahme käme ardoise (Schiefer) von ardois = ardenois,

Armagnacoty Bewohner des Armagnac (CdV. VIII, 185). Ein altes Armignagois (Anhänger der Armagnacs) ist im C. verzeichnet.

Armorique (C.) als Nebenform des Adj. armoricain,

Arnaute, Arnoute^ Arnaute, amautisch. So bei Sachs (im C. nur erstere Form). Vgl. les Arnaoutes (Paganel, Hist. de Scanderbeg, introd. 36), wobei zu bemerken ist, dass Paganel sich in fremdartig klingenden oder geschriebenen Namens- formen gefällt.

Aryaque» Nebenform von aryen. Brächet (Nouv. gramm. fr. pr6face 18) zitiert la Separation des peuples aryaques ou indo- europeens. Nach Littre (S.) wäre aryaque um eine Stufe älter als aryen und bedeutete die gemeinsame Ursprache der Aryer. Sachs thäte besser, die Schreibung arien (wie Littr6) auf die Bed. Arianer zu beschränken.

Aspois^ Bewohner der vall6e d'Aspe (CdV. VIII 185).

Astesan^ Bewohner von Asti, aus Asti gebürtige Person: En 1268, le roi chassa tous le banquiers et changeurs lombards et cahorsins, que n'avait pas arretes texemple des Astesans (H. Martin IV, 286). Zwölf Jahre früher waren nämlich 150 aus Asti gebürtige Bankiers mit G Utereinziehung aus Frank- reich vertrieben worden.

116 i%. Plaiiner,

Aubagnien. (Bewohner von Aubagne im D6p* des Bouches-dn- Rh6ne.) Hier, ä deux heures, left Meridionaux venus ä Paris pour preter leur concours aux Fefes du Soleil, donnies au proftt des inondes du Midi, les Aubagniens en particulier, sont allis donner unc aubade ä la Soeiete des Meridionavx, 6, boule- vard Poissonnilre (Paix, 8 janv. 1887).

Augeron. Bewohner der vall6e d'Auge (CdV. VIII, 185).

Aunisien. Bewohner der Provinz Aunis (ib.).

Aurillaquois. Bewohner von Aurillac (ib. V, 82).

Autun(n)ois. Bewohner von Autun. Nach CdV. (V, 82). AvtunoiSy Autunais, Les chistes bitumineux . . . s'exploitent surtout dans VAutunois (Cortambert 249).

Auverpin (= Auvergnat), Unter der Form auberpin: Elle a faxt Qaf Pardinej puisque le petit auberpin rna tout däl (Delacour et Thiboust, Paris qui dort, III, 4). Auverpin findet sich Übrigens in dem Stück Avait pris femme le Sire de Framboisy (I, 3) von denselben Verfassern.

Auzonnais, Bewohner von Auxonne (CdV. V, 82).

Avallonais^ nach CdV. (V, 82) Avalonnais,

Avejrronnais, Bewohner des D6p* de TAveyron (ib. VIII, 185).

Avignonais. Wenigstens sollte bei Sachs wie in andern Fällen ein zweites n eingeklammert stehen. Ich zähle in 8 Fällen avignonnais (bei H. Martin, Prosper Merim6e, Figaro, France, Petit XIX® Si^cle), in zwei avignonais (Augustin Thierry, Th. Lavallöe).

Avranchais, Bewohner von Avranches (CdV. V, 82).

Ayranchinais, Bewohner des Avranchin (CdV. VIII, 185) und daher

Ayranchin, Gebiet, Umgegend von Avranches.

Bagnerais, Bewohner von Bagnöres (CdV. V, 82).

Bagnolais (C), Sekte, welche in der Stadt Bagnols entstand.

Balkanien^ Balk(h)anique dem Balkan angehörig. Les princi- paiäes balkaniennes (Paix 22 sept. 1885). Les Etats baJ- kaniques (ib. 11 nov. 1885). Les provinces balkaniques (ib. 20 sept. 1885). La peninsule balkamque (Ind^pendance Beige, 14 janv. 1886).

Bar-sur-Aubois (!), Bewohner von Bar-sur-Aube (CdV. V, 82).

Barrisien, nach CdV. VIII, 185. Bewohner der Landschaft Barrois, Sachs dafür Barrois, So auch: La cavalerie barroise et lorraine (H. Martin, VI, 187).

Barrois, Bewohner von Bar-le-Duc (CdV. V, 82).

Bayeusin, Bewohner von Bayeux (ib.); dazu als Landschafts- name le Bessin (mit gleicher Etymologie wie. Bayeux: lat. Bajocasses) bei Sachs und C.

PersoncU- und Gentilderivale im Neu französischen, 117

Bazadois (Sachs -ais), Provinz mit der Stadt Bazas (lat. Vasates). Die Form mit -ois habe ich bei H. Martin viermal, die mit -ais nur einmal bei J. Vinson (Revue critique 1880, I 479) notiert.

Beaucairien, Beaucairois. Ersteres als Bewohner von Beancaire bei CdV. V, 82. La faire gut fut instituee^ ä ce qu^on pre- tendy par Raymond VI, comte de Toulouse, en reconnaissance du zele que les Beaucairois avaient montri pour ses interets pendant la guerre des Alhigeois (Quitard, Dictionn. des pro- verbes 23). Ebenso Us Beaucairois bei A. Daudet, Lettres de mon moulin 16.

Beauvaisis, Beauvoisis^ beide bei Sachs. Ersteres überwiegt stark. Wie die Endung andeutet, stehen beide für die Land- schaft, dafür alt auch Beauvoisin: PareiUement ä Reims . . . et en Beauvoisin (Beauvaisis) , les vilains se rebdloient (H. Martin V, 382), während die entsprechende neuere Form Beauvaisin nur für die Bewohner steht.

Bedarrez, Gebiet von B^ziers (lat. Biterrae). H. Martin IV, 43, 109. Vgl. bei Sachs Biterrois,

Belfortain^ B6fortin^ Bewohner von Beifort: La population bdfortaine (France, 19 avril 1878, ebenso Petit XIX« Si^cle, 18 aoüt 1883). Die zweite, der gewöhnlichen Aussprache entsprechende Form wird vom CdV. V, 82 gegeben.

Beige. Zu den alten bei Sachs verzeichneten Adj. belgeois und helgique kann noch belgicain gezählt werden, von dem Vermesse (Patois wallen 24) sagt: Ne se dif ä Lille qu*en mauvaise pari.

Bellevillois^ Bewohner von Belleville, zu B. gehörig: Le comite qui paironne, dans les deux circonscriptions beUevilloiseSy la candidature de M, Gambetta . . . (Petit XIX® Siecle, 13 aoüt 1881).

Bellilois, Bewohner von Belle-Isle-en-Mer. (CdV. VIII, 185).

Bengali als Subst. wird von Sachs nur auf die Sprache bezogen oder in der Zoologie (Bengalfink) gebraucht. Es tritt auch für Bengalais ein: Le Bengali ne fait rien qu^ä regret et avec une Sorte de langueur . . . Nous n'estimons pas qu'il y ait, dans toute Varmee indiglne de la compagnie, cent Bengalis de race pure (Macanlay, trad. d. MM. Joanne et Forgues, bei Raffy, Lectures d'hist. de France, 570).

Bergamois (C.) alt für Bergamasque.

Berrichon ist nach Jaubert (Patois du Centre I 135) im style noble durch Berruyer zu ersetzen. Berrichon (Vermesse 203 schreibt BSrichon) ist in der Litteratur trotzdem häufig (Augustin Thierry, George Sand u.a.); H. Martin (z.B. II 74, IV 31) schreibt nur les Berruyers,

118 Ph. Ptaiiner,

BdBSarabe, bessarabisch: LaRussie. . . dddommagerait pecuniaire- ment la Roumanie de la perte du terrüoire bessarabe (France, 17 mars 1878). Sachs hat nur bessarabien,

B6thunoiSy zu B^thnne gehörig: Le Petit Biihunois Titel einer dort erscheinenden Zeitung (Paix, 29 mars 1888).

Bigorrais neben Bigourdan, Bewohner der Landschaft Bigorre. Sachs hat Bigo(u)rdan, Formen, die sich leicht belegen lassen.

Binchois der Stadt Bindre in Belgien angehörig: Anteneurementy les confetti binchois se composaient d^ceufs frais (es ist vom Confettiwerfen beim Karneval die Rede. France, 11 mars 1878).

Biterrois, Bewohner von B^ziers. Der CdV. (V, 82) gibt da- neben Biterrais.

Blayais, Bewohner von Blaye (ib.).

Bocain, Bewohner der Landschaft le Bocage (ib. Vill, 185).

Bohäme für Zigeuner: 11 n'y a pas grand mirite^ voyez-vousy ä itre une femme de bien quand on a ete ilevee dans une fa- mille de braves gens . . . par une bonne mh'e . . . La mienne Statt bohhne^ mais une vraie bohhmey une igyptienney qui jouait la comidie dans Us granges de village (0. Feuillet, Seines et prov. 192 f.). Par instants, il me semblait voir un de ces campements fixes de Bohemes arrites dans les grandes clairieres de la Valachie et vivant, comme les aiseaux, de ce que leur donnent les bois (Souvestre im Musöe frang. 1851, 254).

Bönais, zu B5ne (Kreisstadt der Prov. Constantine) gehörig: Le Petit Bönais, dort erscheinende Zeitung (Paix, 3 aoüt 1886). Sachs nennt die Stadt Bone, das C. Bone, Bona. Nur die Form mit Zirkumflex ist jetzt üblich.

Bonois? (wohl ältere Schreibung für beaunois, wie sich auch baunois findet) : En 1718, ä Cologne, en Bourgogne et Bonois, aux tles Agares . . . des hommes et des bestiaux furent tues par la greü (Paix, 5 sept. 1886).

Bordelais. Zuzufügen (aus L. S.), dass bordelaise 1) ein in Bordeaux übliches Fass, 2) eine Bordeauxflasche bedeutet. Die ofifenbar hierhergehörigen bourdelai(s), bourdelas, bourdelat (Name einer Weintraube), welche Sachs gibt, fehlen bei Littre. Altere Form bourdelois: Les lois, coutumes et usances de Bourdeaux et Bourdelois, Bazas et Bazadois, Aqen et Agenois (H. Martin VI, 452).

Bouju, Bewohner des pays des Banges in Savoyen (CdV. VIII, 185).

Boulenois^ Boulon(n)ais^) werden von Sachs ganz gleichgestellt; das C. thut dasselbe, denn es kann keinen Unterschied

*) Die Form mit nn ist ungleich häufiger, aber nur falsche Analogie; n wird im Derivat zu einfachem n.

Personal' und Geniilderivate im Neufranzösischen. 119

machen, dass bei bottlenois kurzweg Boulogney bei boulonais (sie) Boulogne-sur-Mer als Stammwort genannt ist; es werden sich kaum Beispiele für ein anderes Boulogne finden. Ausser^ dem führt das C. Boulonais oder Boulenais (?) als Name der in der älteren französischen Geschichte so vielgenannten picardischen Landschaft an. Die Formen houlenois, boulenais (wenn letztere vorkommt) sind auf dieses Gebiet zu be- schränken: Puis il (sc. Cisar) revint sembarquer au port Itius (Wissant en Boulenots) (H. Martin I, 158). II (sc. Edouard III) marcha droit ä Calais ä travers le Boulenois (ib. V, 96). Jusqu'au traiti d*Arras, VAmienois^ le VermandoM, le Ponthieu, le Boulenois avaient reconnu nominalement VautoriU de Henri VI (ib. VI, 343). Des fortifications construites par les Anglais dans Boulogne et le Boulenois (ib. VllI, 348). Die neuere Form boulonnais ist das eigent- liche Adj. zu Boulogne: II rCy a que 6 % (sc. parmi ces chevaux) de provenance berrichonnej 1 % d^ardennaise, 1 % de boulonnaise (Fig. 16 aoüt 1877). Ck fut aussitSt dans la presse boulonnaise (B.-sur-Mer) . . . un concert de plaintes et de lamentations (Fr. Sarcey, XIX® Si^cle, 13 sept. 1880). Etienne . . . entra en campagne, en 1137^ avec ses mercenatres brabangons et ses vassaux boulonnais et normands (H. Martin III, 424). Vgl. endlich CdV. V, 82. Doch wird auch diese Form für das Gebiet gebraucht: Le premier (sc. corps), com- pos6 des gens d' armes du Boulonnais et du Ponthieu (H. Martin III, 118). II (sc. le duc de Gnise) parcourut toutes les places de frontitre frangavtCj depuis la Champagne jusque vers le Boulonnais (Mignet, Charles- Quint 325). Plus tard, . le Boulonnais forma un comte qui relevait du roi de France (Petit XIX« Si^cle, 19 mars 1881). Als Ergebnis: boulon(n)ais ist die heute einzig übliche Form, doch wird zur Bezeichnung des Gebiets in historischer Darstellung die alter- tümliche Form boulenois vielfach bevorzugt.

Bourbonnais. Aufifallend ist, dass H. Martin (VI, 88) das Wort mit nn, an einer anderen Stelle (XIII, 138) mit einfachem n schreibt. Für die Bewohner des Bourbonnais gibt CdV. VIII, 185) einzig:

Bourbonnichon. Jaubert (Glossaire du Centre, I 166) führt das Wort gleichfalls an, verlangt aber für den style noble: Bourbonnais,

Bourguignon wird von einzelnen Historikern, so stets von Guizot, auch für die alten Burgunder (Bourgondes) gebraucht. Das f. wurde früher häufig mit einfachem n geschrieben.

Bournaisien, Bewohner der Landschaft le Bonrnais (CdV, VIII^ 185).

120 Ph. Piaitner,

Bray, Name eines Landstrichs im D6p^ de la Seine -Införieure: Goumay-en-Bray, Ort nordöstlich von Harfleur. Ein Be- wohner dieses pays de Bray heisst

Brayon. (CdV. VIII, 185).

Brayau. Bewohner der Landschaft la Limagne (ib. 186).

Brenil, Name einer Landschaft: La Roche- en-Brenü (Paix, 9 janv. 1886).

Brasilien. Die Form brasUien findet sich bei Buffon ((Euvres compl. III 265, (Euvres choisies II, 251): II itaU plus aise d^en appeler un autre (sc. animal) renard amdricain^ que de Im conserver son nom hrasilien tamandua-guacu.

BrianQOnnais. Dafttr CdV. V 82 hriangonnois,

Brivadois, Bewohner von Brioude (CdV. V 82).

Brugeois, alt hmgelin (C).

Brüxellois im Patois Brussdaire (Vermesse 106).

Bugeysien^ zu Bngey gehörig: De Ms nombreuses et tres im- portantes commandes mennent cPetre adressSes ä notre fahrique hugeysienne d' Stoffes de sote (France, 11 juill. 1878). Die Wörterbücher kennen nur le Bugey, eine Landschaft westlich von dem an der Genfer Grenze gelegenen Pays de Gex im D6p* de l'Ain. Nach dem weiteren Wortlaut des angezogenen Artikels muss auch ein Ort Bugey existieren: Des ordres pressants ont iti donnis par les chefs de maisons de Lyon ä leurs reprisentants de Bugey ....

Bulgarien ist zugunsten von huLgare^ le Bulgare so gut wie auf- gegeben.

Burgonde^ Burgondion, Burgunder Burgundion (es ist kein

Grund vorhanden, diese Wörter nur im Plur. aufzuführen, wie Sachs thut); die erste Form kann als die jetzt vor- herrschende für die Bezeichnung dieses germanischen Volks- stammes gelten. Auch le hurgonde för die Sprache: II n'y avait point au cinquihne siecle de langue allemandeuniformSj mais autant de dialectes divers (le francique^ le hurgonde, le gothique, etc) que de trihus envahissantes (Brächet, Gramm, bist. 29).

Burgondien^ Adj. zu dem vorigen neben hurgonde: Ije chef hurgonde pouvait aspirer au röle de Rikimer (H. Martin I, 394). Seconde par Godeghisel et par un parti hurgondien et gallo-romain, ü (sc. Gondehald) vainquit Hilperic et Godomar (ib.). II (sc. Ecdidus) avait envoyS ses serviteurs, ses ckevaux et ses chariots parcourir les cites hurgondiennes voisines de VArvernie (ib. 395). Es mag bemerkt werden, dass das Land an den gleichen Stellen la Burgondie genannt wird.

Byzantin. Oft auch hysantin geschrieben (so z. B. von Prosper M6rim6e). Vgl. Sarrazin neben dem üblichen sarrasin.

Personal- und Gentüderivtüe im ^eufranzösischen. 121

Gaeil(ll)ais, caönois stellt Sachs, caennais, caennois stellt der CdV. (V, 82) neben einander; C. hat nur caenais. Ich habe nur caennais notiert (Le Drapeau, 26 sept. 1885).

Gadurcien^ cahors(a)in bei Sachs; cahorsin, cadura'en bei dem CdV. (V, 82). Cahorsin scheint das üblichste. Zuzufügen ist cahorsin (= hanquier, usurier): Ij exploüation de la banque et de Vusure passa des juifs ä une classe de banquiers appelis cahorsins, parce que les habitants de Cahors s'dtaient, les Premiers entre les chritiens, adonnis au commerce de banque pour le Service de la cour de Borne (H. Martin IV, 256). Vgl. auch bei Astesan. Im C. steht diese Bedeutung unter der Form caordn (= Geldwechsler italienischer Abkunft) verzeichnet.

Gairote^ Bewohner von le Caire: Les Alexandrins fuyani le cholera viennent id; et les Cairotes les y regoivent sans difficuUe (Petit XIX« Si^cle, 23 aoüt 1883).

Galabrais ist jetzt die üblichste Form; H. Martin (z. B. IV 119, 320) gebraucht caldbrois,

Galaisis^ das Gebiet von Calais: Le Calaisis ou comte d^Oie (H. Martin VIII,- 462). Des Conferences pour la paix s^etaient ouvertes ä Marcq^ dans le Calaisis (ib. 440). Dls lors (1558), le Calaisis j reuni au comte de Guines, prit le titre de pays reconquis (Petit XIX« Siecle. 6 fevrier 1881).

Galaisien^ Bewohner von Calais; CdV. V, 82 gibt auch caUsien,

Gamarguais, Bewohner des Landstriches La Camargue (CdV. VIII, 185).

Gambodgien^ zu Cambodge (-dje) gehörig: Dans tous les cas il ny a pas de sujets cambodgiens en cause (Petit XIX® Sifecle, 3 mars 1881). La mission cambodgienne (Paix, 10 nov. 1885). Les Cambodgiens (Cortambert, 510). Auch von über bemerkt.

Gambraisien. Sachs führt die Nebenform cambrisien (C: vieux langage), aber nicht cambrisien auf: Le cambrelot ou cam- bresien se parle dans le Cambresis {Verme^Be, intr. 16). Auch von CdV. V, 82 bemerkt. Cambrelot ist also eine populäre Nebenform, die vielleicht nur von der Sprache gebraucht wird.

Gambr^sis^ Gebiet vom Cambrai; daneben Cambraisis (H. Martin I, 410), Cambresis (ib. VIII, 429), vgl. auch cambraisien. Die Form cambresis fuhrt Sachs nur in Chdteau- Cambresis auf, welches in dieser Form jedenfalls ungewöhnlich ist. Der Ort heisst le Cdteau- Cambrisis oder le Cdteau (C), le Cateau- Cambresis (Cortambert, 267); la paix glorieuse de Cateau- Cambresis (Voltaire, ed. du centenaire 526); le congr^s se rouvrit, au Cateau - Cambresis (H. Martin VIII, 475); iraüi du Cateau- Cambresis (ib. XVII, 111). Die Qualität des e ist

122 Ph, PiaUne9\

also sehr schwankend; aber jedenfalls ist das pikardische c für ch beizubehalten und am besten behält man auch den Artikel bei, wogegen der Zirkumflex wegfällt. Vgl. auch catisi^en.

Gambridgien, Bewohner (Studenten) von Cambridge: Au con- traire, grdce ä leur famüiaritS intime avec Vantiquite, les Cambridgiens ont su mettre ce denouement de la tragedie dans un relief st saisissant . . . (XIX® Si^cle, 14 d6c. 1882).

Cantalien* Bewohner des D6p* du Cantal (CdV. VUI, 185).

GantonaiSy zu Canton gehörig. Dafür mir nur die Form mit nn bekannt: Cantonnais (Coeckelberghe - Dutzele, I, 259), U Can- tonnais (Name eines Schiffes. Paix, 25 avril 1886).

Garcassez, Gebiet von Carcassonne: le Carcassez (H. Martin IV, 43, III 230). Nach dem C. dafttr auch Carcassois.

Garch^onien, zu Carch^don gehörig (C).

Garladez, Gebiet von Oarlat im jetzigen D6p^ du Cantal. Vic-en-Carlades (nordöstlich von Aurillac), auch auf Karten Vic-en-CartaUz oder Vic-sur-Chre genannt. Carlat ist ein ganz unbedeutender Ort südöstlich von Aurillac.

Garrörois^ Garröriste. Bewohner von Carrieres, Dorf zwischen Paris und Saint-Germain-en-Laye : Je connais les Carrerois ou les Carriristes; ce sont des gens trop respectueux de la pro- priete d'autrui pour tremper leurs mains dans le vol (Fr. Sarcey, XIX« Sifecle, 26 mai 1880). Die zweite Form ist offenbar nur scherzhafte Bildung.

Gastrais, Bewohner von Castres (CdV. V, 82).

Gatesien^ zu le Cateau (vgl. camhrisis) gehörig: TJne grh)e vient de ce diclarer au Cateau^ dans le tisssage de la societe catesienne (France, 8 f6vr. 1879).

Gaucasien^ caucasique. Das zweite Wort bezeichnet Sachs als selten. Littrö gibt im Wörterbuch nur race caucasienne (= race blanche), im S. dagegen race caucasique (= race indo-europSenne). Das C. hat race caucasique ou caucasienne, Cortambert sagt: La race blanche s*appelle aussi caucasique (34). Ces cavaliers . . . dont Vaspect provoquait une question relative ä leur origine semitique^ caucasique ou ethiopienne (Temps, 30 dec. 1879). Le type caucasique (France, 9 sept. 1878). Les hommes du type caucasique ou mediterraneen (CaucasienSy Basques, SSmites, Indo - Germains) (ib.) Und ebenda sogar als Subst.: En outre, chez le caucasique ^ le visage est droit et deforme ovale, plus large vers le haut que vers le bas. Endlich sagt die Akademie (1878; 1835 fehlte das Wort): La race caucasique ... On dit aussi: La race caucasienne. Eigene Belege für letzteres fehlen mir.

Personal- und Geniüderivate im Neufranzösischen, 123.

Gauserans^ le, ein Teil der Gascogne (C. Gascogne).

Gerdanyol, Bewohner von la Cerdagne (CdV, VIII, 185).

Ges6nate, Adj. zu C6s6ne (C).

Gettois. Bewohner von Cette. (CdV. V, 82).

Ghabanais, von Coeckelberghe-Dutzele (I 260) ohne weitere Angabe als chef-Ueu de canton aufgeführt.

Ghälonnais wird meist (wie bei Sachs) sowohl als Adj. zu Chälons-sur-Marhe wie zu Chalon (-sur-Saöne) betrachtet. Für letzteres ist besser chalonnais (Cortambert 335), obwohl es auch für die erstere Stadt steht, so Petit Journal (10 avril 1884), offenbar fehlerhaft (in demselben Artikel steht auch Chalon-sur-Marne, was unter allen Umständen unrichtig ist). CdV. (V, 82) gibt Chalonnais oder Chdlonnois für Bewohner von Chälons, ohne zu bemerken, welchen Zusammenhang der Cirkumflex mit der Endung haben soll. Die Form auf -ois ist mir weiter nicht vorgekommen.

Ghalossin, Bewohner von le Chalosse (CdV. VIII, 185).

Ghampenois , Bewohner der Champagne, dagegen champagneux Bewohner der Champagne im Berry (Jaubert, Patois du Centre I, 224).

Ghanan^n wird von Sachs mit cananeen als Adj. zu Cana gleichgestellt. Nach dem C. gehört es zu Chanaan; dabei wird eine Warnung vor Verwechselung aus dem Dictionn. de Trevoux angeführt.

Ghäteauduneois, Bewohner von Chäteaudun (CdV. V, 82), Vgl. Dunois.

Ghäteaulinais^ zu Chäteaulin gehörig: Äu fond de Vhorizon . . . on apercevait Ja Ugne dicoupee des maigres vignöbles chäteau- linais (Jules Mary, XIX« Siecle, 16 oct. 1880).

Ghätillonnais, Bewohner von Chätillon (CdV. V, 82).

Cherbourgeois, Bewohner von Cherbourg (ib.).

Chiojote. Bewohner von Chioggia: Tels sonL d peu de chose pres que foublie peut-etre, les pecheurs venitiens; les Chiojotes sont beaucoup plus braves (A. de Musset, 682).

Cisgang^tique, diesseits des Ganges gelegen (Stappers, 557).

Clazom^nien^ zu Clazom^ne gehörig (C).

Clermontais^ Glermontois^ zu Clermont (Ferrand) gehörig (Sachs). Clermontais Bewohner von Clermont-Ferrand (CdV. V, 82). Ich kenne nur die Form auf -ois, La societe clermontoise (Fig. 5 avril 1877). Nous croyons hon toutefois de puhlier Vextraordi- naire proclamation adressee aux Clemwntout par les organisateurs dela manifestation (Paix, 24 mars 1888). Entscheidend ist wohl, dass in Clermont-Ferrand eine Zeitung mit dem Titel le Petit Clermontois erscheint (Paix, 5 juillet 1885, 25 juillet 1886).

124 Ph. JPtaUner,

Glissonnais, Bewohner von Glisson (CdV. V, 82).

Glunisien, zu Cluny gehörig (L. S.).

Golmarien. Bewohner von Colmar: Bonne nuit ä toits mes eher 8 Colmariens (J.D., Le Fran^ais alsacien, 132). Auch CdV. V,82.

Golonais^ Adj. zu Cologne (Coeckelberghe-Dutzele I, 259).

Golum^rien, Bewohner von Coulommiers (CdV. V, 82).

Gommingeois. Bewohner von Comminges (CdV. VIII, 185). Auch le Commingeois für das Gebiet (J. Vinson, Revue crit. 1880, I, 479).

Gomtadin, Bewohner des Comtat-Venaissin. Neben diesem Wort gibt CdV. VIII, 185 auch Venaissinois, Vgl. Sachs venaissin,

Gomtois für frane-comtois wird auch von H. Martin hänfig ge- braucht.

GongolaiSy dem Congo angehörig, scheint congois, congolan zu verdrängen: Les Conferences congolaises war 1886 in der Indipendance Beige eine stehende Rubrik (z. B. 24 janv., 27, 28 fevr., 13 mars).

Gordouan, Adj. zu Cordoue (Cordova in Spanien), dagegen Cordoves zu Cordova(8) in Argentinien: Uarrivee du con- ducteur de chariots semblait Stre pour la veuve et sa fiUe un evenement de grande importance; le jeune Cordoves en voulait ä cdui'ci de ce qu^on eüt fait tant de frais pour le recevoir (Th. Pavie in Mus6e fran9. 1851, 111 f.).

Gomouaillads^ Bewohner von la Comouaille (CdV. VllI, 185).

Gorr^zien, Bewohner des Departement de la Corr6ze (CdV. VIII, 185). Auch von über bemerkt.

Gorsique für corse noch in einer neueren Schrift: Ils (sc. les pirateB espagnols) allerent se jeter sur les plages corsiques (Haur^au, Charlemagne et sa cour, ed. 1877, p. 190).

Gorsican für corse: Tout ce que je sais c'est que le Souvenir de cette majeste corsicane (d. h. aus Korsika stammend) s'est perpitue en Corse, jusqu'ä nos jours, d Corhara notammenty les Franceschini sont encore designes aujourd'hui sous le nom de ^^amüle delle Turche^^. (Paix, 13 juillet 1885. Es handelt sich um eine imperatrice Davia du Maroc aus der korsischen Familie Franceschini.)

Gortinois, Bewohner von Corte auf Corsika: Les Cortinois, pre- nant fait et cause pour leur camaradSj se sont armes ä levr tour (Petit XIX« Siöcle, 24 juillet 1881).

Gosentin, zu Cosenza gehörig (C.)

Gotentinois^ Bewohner des Cotentin (CdV. VIII, 185). Da aber Cotentin Adj. zu Contances ist (Gebiet von Coutances), so mttsste Coientinois auch Bewohner von Coutances bedeuten können. Vgl. coutangais.

Personal- und GeniüderivaU im Neufranzösischen. 125

Courbevoisien, Bewohner von Courbevoie (C, CdV. V, 82). Sachs schreibt Courbevoye.

CoutaiLQais^ Bewohner von Coutances (CdV. V, 82),

Grimmen, zur Crim^e gehörig: La CrtmSenne (ein Miiitärmarsch. Paix, 26 d6c. 1885).

Croisicais^ Bewohner von Croisic (CdV. V, 82).

Gubanais neben cuhain (zu Cuba gehörig) findet sich wohl nur in Wörterbüchern.

Gum^n gehört (nach C.) zu Cumes en Italic, dagegen cuman zu Cumes en l^olide als Adj.

Gyngalais^ (nicht cingalais), ist Littr^'s Schreibart.^) Er ver- zeichnet daneben ceylanais,

Damasquin, Bewohner von Damas: Seuls parmi les Orientaux, les Damasquins nourrissent de plus en plus la haine religieuse et rhorreur du nom et du costume europiens (Lamartine, V, en Or. 161). Sachs hat nur Damaschie,

Dignois, Bewohner von Digne (CdV. V, 72).

Dinanais, auch dinannais zu Dinan gehörig: V Union mahuine et dinannaise (eine Zeitung von Saint-Malo oder Dinan. Paix, 7 mai 1885). Dinannais auch im CdV. V, 82. Sachs hat nur dinandois,

Dodon, Landschaft in der Nordwestecke des Departement de la Haute - Garonne. Le juge de paix de Lisle-en-Dodon se renditpr?.s de luipour recevoir sa declaration (Paix, 7janv. 1886).

Dolois, Bewohner von Dol (CdV. V, 82). Der Name dieser Stadt (Departement dllle-et-Vilaine) fehlt bei Sachs.

Dölois, Bewohner von D61e (CdV. V, 82).

Doi\jon bezeichnet zugleich das Gebiet der Stadt le Donjon (Departement de TAllier); Neuilly-en- Donjon (Paix, 6 d6- cembre 1885).

Dorien heisst auch Bewohner der vall^e de la Dore (CdV. VIII, 185).

Douisien im Patois für douaisien (Vermesse, 202).

Doublaud^ Bewohner der Landschaft la Double im Departement de la Dordogne (CdV. VIII, 186).

Draguignanais^ Bewohner von Draguignan (CdV. V, 82).

Dulcignote, Bewohner von Dulcigno (montenegrinische Küsten- stadt): Les Dulcignotes sont sortis de cette entrevue plus ohstines que jamais (XIX® Siöcle, 28 septembre 1880).

Dunois^ Bewohner von Chäteaudun: Le marickal de Mac-Mahon est assure de rceevoir un excellent accueü des Dunois (Figaro, 15 sept. 1877). Puis, venaient la fanfare du rigimeat et

^) Man findet auch cynghalais.

126 Ph. Ratiner,

V Union dunoise gut faisaient entendre une marche de circon- stance (XIX® Si^cle, 25 oct. 1880). Apr^s /.a retraite des vaillants dSfenseurs de la dti dunoise (Paix, 22 oct. 1886). Le duc austrasien Gonthramn-Bose armait les populations de la Touraine et du pays de Dunois contre Theodebert (H. Martin II, 54) , womit der geographischen Lage nach nur das Gebiet von Chäteaudun gemeint sein kann. Sicher aber ist dunois weit häufiger als chdteaudnnois (vgl. dieses).

Dunoison, Bewohner der Landschaft le Dunois (Departement d'Eure-et-Loir)i) nach CdV. VIII, 186. Wegen des Anklangs an oison kann das Wort unmöglich anders als scherzhaft ge- braucht werden, vgl. Seine- et- Oispn,

Dyonisien, zu Saint- Denis gehörig: Ijes Flohertistes dyonisiens (Paix, 11 juin 1886).

Eausan (auch Ausan), das Gebiet von Eauze (C).

Edessien^ Bewohner von Edesse (Michaud, V^ Croisade, edition Lamprecht 85).

Eg^en, zu mer Eg^e gehörig: Le littoral £geen (Paganel, Scanderbeg, introd. 40).

Embrunois, Bewohner von Embrun (CdV. V, 82). Sachs hat nur Emhrunaisj Gebiet von E.

Emporitain, zu Empories gehörig (C).

£pidaurien, zu ^pidaure gehörig (C.).

Erymanthien, zum Erymanthe gehörig: Le sanglier Srymanthien neben le sanglier d'Erymanfhe (C).

Eudois, zu Eu gehörig, Bewohner von Eu (CdV. V, 82). Le Messager Eudois eine dort erscheinende Zeitung (XIX® Si6cle, 9 janv. 1883). Sachs: eusiois, ebenso C.

Eugllbin(es). Das C. hat die Nebenform eugubin,

Euphrat^sien, zum Euphrate gehörig; das C. hat nur euphratense,

Euscare baskisch: La langue euscare (H. Martin II, 100, 272, 359). Vgl. Sachs: Veuskara.

Euske bei Sachs nur Subst. Vgl. la race euske (euskarische, baskische Rasse, H. Martin, II, 75).

Exddolien, Bewohner von Excideuil (CdV. V, 82).

Falaisien, Bewohner von Falaise (ib.).

Falisque^ zu Faleries gehörig (C).

Faudgneran. Bewohner von le Faucigny (CdV. VIII, 186).

F^ringeois. Bewohner der iles Feroe (Privat-Deschanel, Dictionn. g6n. des sciences, I, 850).

Ferrarais verdient vor ferrarois den Vorzug.

1) In welchem Chäteaudun liegt. Also zugleich Beweis fiir die vorausgehende Stelle.

Personal- und Gentüderivate im Neu französischen. 127

Fertois. Bewohner von la Fert6-Bernard (CdV. V, 82). Müsste auch zu den übrigen Orten gleichen Namens bezogen werden können.

Fezensac als Ortsname fehlt bei Sachs. Das 0. gibt le comte de FezensaCy aber le vicoTnti de Fezensague. Bei Mignet (Etudes hist. 249) ist le Fezensac, le Fezensaget gebraucht: 11 (sc. Louis XI) confisqua, en 147 3 ^ sur la maison des Armagnacs . . . VArmagnac, le PardiaCy VAstarac, le Fezensac, le Fezensaget, le Eouergue.

Fid^nate, zu Fidenes gehörig (C).

Fiunois, bei H. Martin (11, 425) Zc« Finnois,

Fiumorbais. Bewohner von le Fiumorbo (CdV. VIII, 186).

Floridien, zu la Floride gehörig: Des grues floridiennes (Chateau- briand bei Vinet, chrestom. 249).

Forez ist das Gebiet von Feurs (Cortambert, 291), die Endung -ez steht der im Norden üblichen -is und der modern- und gemeinfranzösischen Endung -ais für Gebietsnamen gleich. Forez ist also ein substantiviertes Adjektiv, nähert sich aber dem wirklichen Ländernamen (Substantiv), wie les montagnes de Forez (Sainte-Beuve, Nouv. galerie, 236) zeigt, denn bei Wörtern auf -is, -ais könnte der Artikel in diesem Falle nicht fehlen.

Forezien^ zum Forez gehörig. Ich kenne nur Formen mit* Accent (foreziev, foresien): Des bourgs lyonnais, foreziens, hrefisans (H. Martin III, 236). Der CdV. (I, 14, VIII, 186) und das C. schreiben foresien,

Forlivois, zu Forli gehtirig (Coeckelberghe-Dutzele, I, 261).

Franc fränkisch. Sachs führt noch (s. v. V) franque als allein- stehende Form auf. Franc, franque (l. fränkisch, 2. abend- ländisch, 3. levantiuisch) hätte doch niemals ein f. franche haben können. In der Bed. fränkisch setzt man jetzt meist frank, franke (H. Martin kennt nur diese Form): Les tribus frankes (Aug. Thierry, Conquete de TAnglet. I, 35). La conquete franke (Brächet, Gramm, hist. 22). Selten francique: R (sc. Posthumius) avait composi son armee en grande partie de troupes gauloises et franciques (Michelet, Pr^cis I, 57). Letzteres Wort bezeichnet nur noch „fränkische Sprache, fränkischen Dialekt.^

Francon, f. -onne gibt das C. neben franconien.

Fraaenbourgeois. Bewohner von Frauenburg (Petit XIX® Si^cle, 8 aoüt 1881).

Frioulain, le, das Gebiet von Frioul (Cahiers d'une 616ve de Saint-Denis XII, 233). Sachs: frioulien, forlan,

Gabinien (zu Gabies gehörig) gibt das C. neben gdbien.

128 Ph. Plaiiner,

Galicien gehört sowohl zu Galice (Spanien) wie zu Galicie (Öster- reich), in letzterer Verwendung auch gallicien (wie Gallicie).

Gallowien. Bewohner von Galloway (Marnier, Robert Bruce 93).

Gandin, zu Gand gehörig: Cette population brugeoise et gandine (Fig. 21 mars 1877).

GapenQais, nach dem CdV. V, 82 Gapengois (Gapencois ist Druckfehler), ebenso C. Ich kann nur -ais nachweisen, was Sachs auch nur bietet.

Garonniens, les, altes Volk an der Garonne (C).

Gfttinais, sonst nur Name einer Landschaft in den Provinzen Ile-de- France und Orl6anais, wird von CdV. VIII, 186 als Bewohner von la Gätine (Landstrich im Dep* des Deux-S6vres) gegeben.

Gastinaisan. Bewohner von Le Gätinais (CdV. VIII, 186).

G^rosien, zu Gedrosie gehörig (C).

G^ras^nien, zu G^rase gehörig (C).

Gergithien, zu Gergis gehörig (C).

Germain, germanique. Wie unterscheiden sich beide Wörter, ' von denen das erstere immer noch im Wörterbuch der Akademie fehlt? Littre erklärt: Germain^ qui appartient ä la Germanie; germanique j qui appartient aux Germains, Damit kommt man nicht weit. Sachs erklärt: Germain ne se dit que des anciens Allemands; germanique se dit de toute la famille des p&iiples appartenant ä cette branche des Indo- Europeens, Das ist richtig und stimmt zu der Unterscheidung von abyssin, abyssinique, arabe und arabique, Les langues germaniques und ähnliches sind also stehende Ausdrücke. Zufügen kann man, dass nur germanique von mittleren und neueren Zeiten gebraucht werden kann. Daher Vempire germanique^ la Constitution germanique, le corps germanique, le droit germanique und so noch für die neueste Zeit Varmee germanique: Visconti- Venosta avoit stipule une esplcc de traite secrety le mois de mai, par lequel Varmie italienne devait opirer une diver sion sur les flancs de Varmee germanique, du cSte de Dijon ou vers le lac de Constance (France, 18 janv. 1878). Ebenso: Je mentionnai la proposition faite par M, Gasparin dans les feuilles suisses pour la neutralisation de VAlsace et de la Lorraine Germanique (Fig. 31 oct. 1876). Endlich ist nur germain Adj. und Subst. zugleich, germanique dagegen lediglich Adj. (abgesehen von dem Ausdruck der alten Geo- graphie la Germanique^) premilre u. s. w. sowie dem Namen Louis le Germanique),

Wie verhalten sich germain und germanique also in

^) Wofür H. Martin ausschliesslich la Germanie gebraucht.

Personal' und GentÜderivaie im Neu französischen. 129

adjektivischer Verwendung zu einander? Da die weibliche Form des ersteren sehr häufig ist, kann von dem bei aquitain und vielleicht auch bei alleman vermuteten Unterschied nicht die Rede sein.

1. Wo es sich um Personen handelt, ist nur germain das richtige Wort: Les chritiens germains (H. Martin, II, 259). Les rehelles germains (ib. II, 219). Les seigneurs germains (ib. II, 542). Plusieurs chefs germains {ih. I, 319). Les Scabini germains (ib. I, 249). Les conquirants germains (ib. II, 63). Les courses des harbares germains (ib. II, 200). Les vassaux germains (ib. II, 270). Les leudes franco- germains (ib. II, 210). Les auxiliaires germains (ib. I, 312).

2. Bei Kollektivbegriffen, mögen dieselben auch nur Personen umfassen können, treten beide Wörter auf: Les peuples germains (Lavall6e I, 139). ün peuple germain (H. Martin I, 319). Tous les peuples germains (ib. 320). Les peuples germaniques (Guizot, Civ. en Fr. I, 210, ebenso Acad.). Les peuplades germaniques (Guizot, Civ. en Fr. I, 188). Ches les peuples germaniques, comme chez les peuples ceUiques (H. Martin II, 215). La race germanique (Lavall6e I, 49). USUment germanique (Guizot, Civ. en Fr. I, 180). Ijes tribus germaines (Brächet, Gramm, bist. 30; Lavall^e I, 319; Guizot, Civ. en Fr. I, 189, 183). La bände germaine (ib. 221). Les bandes germaniques (H. Martin, I, 306, II, 15, II, 21) Les ligions fr anco- germaniques (ib. II, 215). Les masses austro - germaniques (ib. II, 252). Varmde italo- germanique (ib. II, .326). La sociiti germaine (Guizot, Civ. en Fr. I, 218, 188). La sociiti germanique (ib. I. 182). V aristocratie germaine (Lavall^e I, 444).

3. Auch bei Abstrakten im weiteren Sinne finden sich beide Adjektiva: Les victoires germaines (Petit XIX® Si^cle, 17 f6vr. 1881). L'invasion germanique (Brächet, Granmi. bist. 30; Guizot, Civ. en Fr. I, 215). La domination ger- manique (H. Martin, I, 356). La civüisation germanique (ib. II, 315). Vesprit de la royauti germanique (ib. II, 57). Ije paganisme germanique (ib. II, 208). Les mdls germains (ib. II, 174.) Les concües gallo -germaniques (ib. II, 233). Les mcßurs germaines (Guizot, Civ. en Fr. I, 208, 294). Les mceurs germaniques (ib. I, 206). Les coutumes germaniques (ib. I, 207; H. Martin II, 167). Les lois germaines (ib. I, 183). Les lois germaniques (ib. I, 223). Les traditions ger- maniques (ib. I, 183). La minne germanique (H. Martin I, 484). Ce demier trait si profondiment germanique (ib. I, 417). 8es tendances anti-germaniques (ib. II, 250). Ijcur

Zschr. t tn. 8p. o. Litt. XIi. 9

130 Ph. Plaitner,

nom itait donc ^origine germanique (Guizot, Oiv. en Fr. I, 259). Üh prSjugS germanique (ib. 1, 294).

Die Form germanique überwiegt hier demnach; ganz besonders aber, wo es sich um Sprache handelt: La langue et les mcßurs germaniques (H. Martin, II, 187). Le titre ger- manique de cet officier (ib. 11, 59). Les dialectes germaniques (Akad.). Doch auch un nom germain (H. Martin, I, 321) und sogar les mots germains de la langue frangaise (Zitat, dessen Quelle ich nicht notiert habe. Gerusez?).

4. Nur germanique ist am Platz bei reinen 8achnamen: La vieille France germanique (H. Martin, I, 415, II , 317). Les deux Provinces Germaniques (ib. I, 400). Leur empire germanique (d. h. das rechtsrheinische Reich der Franken, ib. II, 169). Les Kordes des forits germanique (ib. II, 21), daher auch Vocian Germanique (jetzt mer du Nord). Com- ment assigner avee pricision ce qui Statt vraim^nt germanique et ce qui portait dijä une empreinte r omaine f (Guizot, Civ. en Fr. I, 185). Sehr auffallend (und wohl nur durch das dabeistehende romain herbeigeführt) ist daher: Totis les mo- numents qui nous restent sur titat des Barbares avant Vin- vasion, quelles que soient leur origine et leur nature, romains ou germains f traditions, chroniques ou lois, nous entretiennent de temps et de faits fort üoignis les uns des autres (ib. I, 184). Möge man diese Ausführlichkeit entschuldigen, denn vielleicht ist mir doch eine Scheidung entgangen, die ein anderer finden mag; möglicherweise ist auch ein Anhalt ge- geben für die Scheidungskriterien anderer Wörter (ceUe: cd- tiqu£, alleman: allemanniquey aquitain: aquitanique u. s. w.), zu welchen sich Beispiele nicht in solcher Zahl beibringen lassen.

Qerminois, Bewohner von Saint-Germain (CdV. V, 83).

G^rolsteinois, zu dem erdichteten Gerolstein gehörig: Le public Gdrolsieinois (Indöpendance Beige, d6c. 1885 p. 6 der illu- strierten Beilage).

Qerr(h)6eii, zu Gerra gehörig (C.)

G&te, Nebenform zu getique: La sensiblerie ä part^ ce deücut etre une belle chose que ces lüttes acharnies oil les monstres de VInde et de VAfrique se colletaient corps ä corps, les griffes de la paniMre rayaient les flancs lustres dChuile du hesUaire gUe ou sarmate dont les m^ins nerveuses lui dichi- raient la gueule (Th. Gautier, I, 295).

Gezois, Bewohner des pays de Gex (CdV. V, 82).

Qiennois, Bewohner von Gien (ib).

Girondin gleichbedeutend mit bordelais gebraucht (Name der Landschaft für den der Stadt): II va sans dire que Vaffaire

Persofuü' und Geniüderivaie im Neufranzösischen, 131

du Oirondin s^arrangea^ aprls le spectacU^ dans un souper; vorher geht le Borddais (France, 22 sept. 1878).

Qlaronais schreibt Sachs, ebenso Cceckelberghe-Dutzele (im C. fehlt das Wort); ich kann nur glaronnais belegen, was nach Analogie offenbar das richtige ist.

Qortynien, zu Gortyne gehörig (C).

Gk)thique. J^crOure gothique für „deutsche^ Schrift: J^criture gothique et latine (aus dem Plan d'^tudes pour T^cole nor- male catholique de Fnlda. £. Renda, L'^ducation popnlaire dans FAllemagne du Nord, 260).

Granyillads nach Sachs und CdV. V, 82; granviUots hat C.

Grassois, Bewohner von Grasse (CdV. V, 82).

Ghraylois, Bewohner von Gray (ib.).

Ghr^siyaudan, le (selten Oraisivaudan), Landschaft, die teils zum d^p^ des Hautes- Alpes, teils zu dem de Fls^re gehört. Fehlt bei Sachs.

Grison Graubündner, bei Sachs nur als Subst aufgeführt. Sollte kein Adj. existieren, da gris (wie Sachs s. v. angibt) nur in dem historischen les ligues grises vorkommt? In folgendem Beispiel (vgl. den Ausdruck tOberland hemois) ist jedenfalls grison ein Adj. und eher von dem Subst. zu trennen: La neige s^eat meme montrie dans les valUes de VOherlandgrisony comme on a pu le constater ä Ylanz (Petit XIX® Si^cle, 11 juin 1881).

Groyan^ Bewohner der Insel Groix (Morbihan. CdV. VIII, 186).

Ghriiy^rien, zu Gruyfere, Griers gehörig: Des soldats gruyiriens (H. Martin VIII, 295).

Guat^malais, guatemalien zu Guatemala gehörig : Les bruyantes lamentaUons des leaders de la sociMi guatimalaise crdhrent des difficidtSs au gouvemement (XIX® Siöcle, 1^ d6c. 1880). Les pertes des Gttatemaliens (Ouatemaliens^), ä la bataiüe de Chalchuapa, ont Hi de 1,800 hommes (Paix, 21 avril 1885). Die von Sachs bevorzugte Form Gruatimcda ist kaum zu finden.

Gu^randais, Bewohner von Gu6rande (CdV. V, 82).

Guingampois, Bewohner von Guingamp (ib.).

Guyana] S, Bewohner von Guyane: Les femmes sont parmi les Gruyanais une vraie propriiti (Zitat bei Guizot, Civilis, en France I, 200).

Guyennois, Bewohner der Guyenne (CdV. VIII, 186).

Haglienauien, zu Hagenau gehörig: fje politiden haguenauien (Union de TAlsace-Lorraine, 9 sept. 1881).

Haut-alpin, Bewohner der Hautes- Alpes (CdV. VIII, 186).

H^liopolitain, zu H61iopolis gehörig (C); das von Sachs dafür gegebene hüiopoliie hat nach derselben Quelle eine genau

133 i%. HaUner,

begrenzte historische Bedentang (9. und 10. ägyptische

Dynastie). Hellespontiaque^ zum Hellespont gehörig (C, vgl. auch ebenda

unter Sibylle). Hennuyer. Ausser der von Sachs aufgeführten Nebenform hai-

nuyer gibt das C. auch hannuyer. Der CdV. VIII, 186 gibt Hanonien, welches mir sonst fremd ist. H^raclfen, h^racl^te, beide nach dem C. auf H6raclee, ersteres

auch auf Hercule (Herakles) bezüglich. Les HiracUena fand

ich bei Poirson, Pr^cis de Thist. anc. 325). Hercynie in adjektivischem (appositiven) Gebrauch: La foret

Hercynie (Sachs d'H.) (H. Martin I, 268). Herz^govinien, zu Herz^govine gehörig: Les Herzigoviniens

(Fig. 15 nov. 1876). Les insurgis herzigoviniens (France,

11 mai 1878). Hesdinois^ zu Hesdin gehörig. Von Über verzeichnet. Hi^rapolitain, zu Hi6rapolis gehörig (C). Hi^rosolymitain, Nebenform von jirosolymüain (C). Wird mit

Recht als besser bezeichnet. Himalayen, zum Himalaya gehörig (L. S.). Honfleurais, zu Honfleur gehörig: La ddmocratie honfleuraise

(Petit XIX® Sifecle, 9 sept. 1881). La Honfleuraise (ein

Verein; Le Drapeau, 26 sept. 1885). Houatais^ Bewohner der Insel Houat bei Quiberon (A. Daudet

in Ind^pendance Beige, d6c. 1885, S. 3 der illustrierten

Beilage). Hurepois^ Bewohner des Hurepoix (C). Hyblöen, zu Hybla gehörig (C). Hydaspien^ zum Fluss Hydaspe gehörig (C). laccetain, zu lacca gehörig (C.) Iguvinien, zu Iguvinium gehörig (C). Indien, man vermisst bei Sachs Odan Indien, Indoustan als Adj. (Hindoustan ist bei Sachs nur Subst.): La

langue indoustane (France, 24 mars 1878). Irvillac? La ferme de KMsü en IrviUac (Paix, 31 oct. 1887). Isl^bien, nur in der Kirchengeschichte übliches Adj. zu Isl^be

oder Eisleben (C). Issorien, Bewohner von Issoire (CdV. V, 82). Issoldunois gibt CdV. V, 82 als Nebenform zu Issoudunois. Ithaden, zu Ithaque gehörig (C). Ithom^en, zu Ithome gehörig (C). Jalles (Jall^s?), Gebiet in der Gironde. Saint-Midardren-JaUes

(Paix, 11 aoüt 1887). Auf älteren Karten heisst der Ort

Saivt-Midard-en-JaUez; JaUez = Gebiet der Jalle (vgl. Forez

Personal- und Geniüderivate im Neufranzösischen. 133

u. a.); Jalle, Name eines FlÜBSchens, welches nördlich von Bordeaux links in die Garonne mündet.

Jamalquain. Die üblichere Schreibung ist jetzt jamatcain: Les Jamdicains (Paix, 8 mai 1885). Vgl. Schmager in dieser Zeitschrift II», 235.

Jarret, Landschaft im d6p* de la Loire. Saint-Julien-en-Jarret (C). Auf älteren Karten Scnnt-Julien-en-Jaresty in der Nähe Saint- Paid-en-Jarest, Sairvt- Romain- en-Jarrest, La Tour-en- Jaresty alle in der Nähe des Gier (Nebenfluss der Bhone).

Josas, Landschaft im d6p* de Seine-et-Oise. Jouy-en-Josas, be- kannter Ort.

Josselinais^ Bewohner von Josselin (CdV. V, 82),

Juanais, Anwohner des golfe Jouan (Alpes -Maritimes. CdV. VIII, 186).

E^fien, Bewohner von Le Kef: Les Kifiens (Petit XIX® Siöcle, 7 mai 1881).

Labradorien, zu le Labrador gehörig: Les rives labradoriennes (Paix, 20 oct. 1885).

Lamballais, Bewohner von Lamballe: üne Lamhallaise (Sou- vestre, Les dem. Bretons, II, 36).

Lam^, Gegend im d6p* dllle-et-Vilaine: Erc6-en-Lam6e (C).

Lanusquet, Nebenform von Landais: En giniral, le Landais ou Lanusquet habite une cdbane isolie ü couche ä terre sur les peaux de ses moutons noirs (Th. Barrau, La patrie 119).

Landavallois, Bewohner der Lande de Lanvaux (CdV. VIII, 186).

Landernien, Landerniste, Bewohner von Landerneau (CdV. V. 82). Das zweite Wort kann nur scherzhafte Bildung sein.

Langrois, Nebenform langoine^ langone (C).

Lannionnais, Bewohner von Lannion: üne Lannionnaise (Sou- vestre, Les dem. Bretons, II, 36).

Laodic^en, zu Laodic6e gehörig (C).

Laon(n)ais. Ausser bei Coeckelberghe-Dutzele (I, 259) fand ich nirgends einfaches n: Louis jura de maintenir la chatte laonnoise (H. Martin III, 252). CrSpi en Laonnais (ib. VIII, 305, 307). La foret de Samouci en Laonnois (ib. II, 255). Laonnois, Thierrache, Rithelois (ib. I, 263). La petite rivilre dAHette, qui sipare le Soissonnais du Laonnois (ib. I, 411). Bievre ou Berrieux dans le Laonnois (ib. I, 148). Mons-en- Laonnois (Paix, 8 nov. 1885). Dagegen La masse de la Population laonnaise (H. Martin III, 256). Für Bewohner gibt CdV. V, 82 laonnois und laonnais. Jedenfalls steht nur erstere Form, wo es sich um das Gebiet handelt (historischer Ausdruck).

Lariss^en, zu Larisse gehörig (C).

134 Ph. Ptattner,

Laiirag(u)ais, le, ist nach dem Ort Laurac le Grand (südlich von Castelnandary, d6p^ de l'Aude, genannt

Lav^dan, le, ein Gebiet im döp^ 4es Hantes-Pyr6n6e8 (C).

Lavödanais, Bewohner von le Lavedan (ohne Accent; CdV. VIII, 186).

Lectourois, Bewohner von Lectonre (CdV. V, 82).

LMonien, Bewohner von LonB-le-Saulnier (ib.).

L^nnais, l^nard, zu Saint -Pol- de -L6on (Bretagne) gehörig, Bewohner der Stadt oder Gegend. Qudque taiUeur du Lion- na%8 (Soavestre, Les dem. Bretons, II , 222). TrigorroiSj LSonnais (H. Martin I, 464, 389). Les vicomtes de Lionnais (ib. IV, 98). Le Lioncds (Gebiet. Sonvestre, Les dem. Bretons I, 15, 2, beidemal unrichtige Orthographie). Lionnois neben lionnais gibt das C. Lionais, Bewohner des L6onais nach CdV. Vni, 186. Dagegen: BiStd du Leonard (Souvestre, Les dem. Bretons, I, 8) und dasselbe als Adj. Les s6nes Uonards et trigorrois forment comme Utemds mSmoires (ib. I, 197).

L^pontieil, Nebenform von Upontin: Alpes Lipontiennes ocdden- taleSy Alpes Lipontiennes orientales (Cortambert, 215 f. mehr- fach). Im C. steht unter Alpes nur Alpes lipantines, dagegen findet man unter dem Buchstaben L nur lipantien mit dem Vermerk Alpes Upontiennes ou UponUnes,

Letidque, Nebenform von letton(ien) (L. S.).

Libanien, zum Libanon gehörig : La chatne libanienne (Lamartine, V. en Or. 148). Ist das bei Sachs allein stehende Itbanais zu belegen?

Libyque, libystique, Nebenformen zu lihyeuy ersteres bei L. S. und C. (auch unter Sibylle), letzteres nur bei 0.

Ligure, Ligurer. Les Ligures (H. Martin I, 10).

Limousin ist nach Sachs nur das Adj. zu U Limousin. Es ge- hört auch zu Limoges: La Patnote limousine Käme eines Turnvereins, les Courriers limousin^s Name eines Brieftauben- zuchtvereins, beide in Limoges (Paix 25. avril 1888). Doch scheint man les Limousins fttr Bewohner der Stadt zu meiden.

Livradois, le, Gebiet um Ambert im D^p^ du Puy de Dome.

Livonmais, Nebenform zu livournin: ün juif livoumaiSy con- fident de Mustaphay est arrivi ä Bdne aujourd%ui ä midi (Petit XIX« Siöcle, 8 mai 1881).

Loangeois, zu Loango gehörig (C).

Lod^vois, Bewohner von Lod^ve (Über).

Londonien, londonnais, londinien. Das letzte Wort fehlt bei Sachs und gehört nach C. zu Londinium, nicht zu JiOadres ; bei dem ersten gestattet Sachs doppeltes n, das zweite ftthrt

I

Personal- und Geniilderivate im Neufranzösischen, 135

er nur in der von Littr6 gegebenen Form londinais auf.

Eigentlich üblich ist nur londonien, Loretan, zu Lorette gehörig, nach LittrS und Sachs ohne Accent,

nach C. loritan und Nebenform laurStan, Lorientais, Bewohner von Lorient (CdV. V, 82), Losnois^ Bewohner von Saint- Jean-de-Losne (CdV, V, 83). Loud^acien, Bewohner von Loud6ac (ib. V, 82). Loudunois, zu Loudun gehörig, Bewohner von Loudun (C. CdV.

V, 82). In der Form le Lodunois (Gebiet von Loudun im

C. 8. V. Parageau). Nach Coeckelberghe - Dutzele I 260 lou-

dunais und so la citi loudunaise (Paix, 22 sept. 1886). Lourdais, Bewohner von Lourdes: Ijcs Lourdais (France 12 sept,

1879). Loz^rien, Bewohner des D6p* de la Lozfere (CdV, VIII, 186). Lub, Ittbisch, lübecker : marcs lubs Lübecker Mark (Ren6, Taschen- wörterbuch der kaufmänn. Ausdrücke etc. Mainz 1846. pag.

249.) Sonst nicht nachweisbar. Dem von Sachs gegebenen

und jetzt üblichen Ivbeckois zieht das C. luhiquoie vor. LuQonnois, zu Lugon gehörig (C). Lusitane (statt wie Sachs: Lusitain) gibt das C. als Nebenform

zu iMsitanien, Madril&ne ist jetzt allein üblich, gehört also vor madriUgne.

Das C. gibt noch letzteres allein. Majorcain, majorquin nach Sachs; majorqmn, mayorquin nach

C. und lautlich mit letzterem stimmend: Les Maiorquains

(France, 1" sept, 1879), wofür besser Maiorcains oder Mator-

quins stände. Malayen gibt L. S. als Nebenform zu malai, welches er der

Form malaisy -se vorzieht. Malaisien hat ausser Sachs auch

das C. Malbadien» Maubeugeois, Bewohner von Maubeuge (CdV.

V, 82). Malegache für das üblichere malgache: ün hSrotque aventurier

nommS LacasBi Q'^i avait pris un ascendant extraordinaire sur

les Mdkgaches (H. Martin XIII, 113). Malien, Malier (C), da maliaque nur für den Golf üblich ist:

Les Maliens (Poirson, Pr^cis de Thist. ancienne, 325). Maloin, Bewohner von Saint-Malo (CdV. I 92), vielleicht nur

Druckfehler, da ib. V, 83 das übliche Malouin steht. Mamersien, Mamertin, Bewohner von Mamers (CdV. V, 83). Manchdgue, zu la Mancha gehörig: Vdne espagnol a une tont

autre physionomiey Vdne mancMgue surtout (Th. Gautier III, 112). Maransin, Bewohner des Landstrichs le Maransin im D6p* des

Landes (CdV. VIII, 186).

136 /*. Platiner,

Haraquais, Bewohner der Landschaft le Marais im D6p^ de

rEure (ib.). Marchais, was Sachs neben marchois angibt, ist wohl kaum

üblich. Auch CdV. VIII, 186 hat nur letzteres. Hariannais, zu den iles Mariannes gehörig (C): Les Mariannais

(Cortambert, 731). Mamais, Bewohner des Dep* de la Marne oder de la Haute-

Marne (CdV. VIII, 186). Marseillez, Nebenform von marseüLais (C.) als Bezeichnung für

Münze von Marseille. Martegallais^ Bewohner von Martigues (CdV. V, 83). Dafür Martiguois, (C.) und

Martigao, (Baumgarten, Elementargramm, p. 229). Mauges, Landschaft im westl. Teil des Dep* de Maine-et-Loire :

Pin-en-Mauges (Paix, 25 oct. 1887). In der Gegend liegen

noch Saint-Quentin-en' Mauges f Saint-Phüibert-en- Mauges, M^docain^ andere und wohl übliche Schreibung für das von

Sachs, C. und CdV. VIII, 186 gegebene mSdoquin, Le Medo-

cain (Name einer dort in der Stadt Lesparre erscheinenden

Zeitung. France, 22 aoüt 1879); ebenso J. Vinson, Revue

crit. 1880, I, 479. M^garien, Nebenform von mSgar^en (C). M^lantois, Gebiet im d6p* du Nord: Sainghin- en- MSlantois

(Paix, 2 juill. 1885). Meldois, Meldien, Bewohner von Meaux (CdV. V, 83).

Meldeuxf Auf älteren Karten steht der Ortsname Isles-les-

Meldeuses nordöstl. von Meaux. Melunois, Bewohner von Melun (CdV. V, 82), Mendois (C), Mendais (CdV. V, 83), Bewohner von Mende. Mentonnais, Bewohner von Menton (Mentone): Les Mentonnais

(France, 23 mai 1879). Mess^nien. Die Sammlung C. Delavignes heisst Messiniennes;

die Lieder seines Vorbilds Tyrtäus werden auch Messeniques

genannt (Übersetzung derselben von F. Didot, Paris 1831).

Das C. gibt messinien flir beides und hat die Nebenform

messMaque (z. B. goJfe messiniaque), Messinois, Nebenform Messinais: Les Messinais (H. Martin IV,

374). Meusien, zu la Meuse gehörig: Vlndipendant meusien (in Verdun

erscheinende Zeitung. Gazette de Lorraine, 4 juin 1885).

Nach dem CdV. VIII, 186 auch Bewohner des D6p* de la

Meuse. M&sin, Bewohner der Landschaft le Müzine im D^p* de la Haute-

Loire (CdV, Vffl, 186).

Personal- und Gentüderivate im Neufranzösischen, 137

UQanez, ältere Nebenform von Müanais (nur für das Gebiet); Lacretelle, Eist, de la France I, 91. Ragon, Hist g6ii. du XVIIP siecle, 47.

Minervois, LandBcbaft im bas Languedoc: Le marquis Claude Ahrial de Pierrerue, en bas Languedoc, dans le pays minervois (Ferd. Fabre, in En petit comite, 179). Les gentüshommes du pays minervois (ib. 201). Quitter le Minervois (ib. 198). H. Martin (I, 464) führt eine in dortiger Gegend gelegene alte Stadt auf: Ath^nopoliB (la ville d'Ath8n^ ou de Minerve). Eine Stadt Minerve, die jetzt nicht mehr zu existieren scheint, führt er IV, 193 an.

Mod^nais (Sachs) ist die übliche Form; modSnois hat C. und les Modenois (ohne Accent): Est-ce que ton donnerait aux Modenois le droit de s'administrer eux-memes y avait la moindre apparence quils songeassent encore ä leur ancien duc? (France, 5 mars 1878).

Moissaguais, Bewohner von Moissac (CdV. V, 82). Dagegen moissaccais bei über.

Mon6casqiie als Nebenform zu Monegasque gibt OdV, V, 83.

Montalbanais, Bewohner von Montauban (CdV. V, 82 ; Coeckel- berghe-Dutzele I, 259): Le travaÜ et la vaniti se partagent la journie d^un Montalhanais (Jouy, THerm. en prov. I, 107).

MontbardoiSy Bewohner von Montbard (CdV. V, 83).

Montbrisonnais, Bewohner von Montbrison (ib.).

Mont^n^grin findet sich auch ohne Accente: Les troupes Mon- tenegrines (Fig. 13 avril 1877).

Montivillon, Bewohner von Montivilliers (CdV. V, 82).

Montpelli^rain, Nebenform monspessulan (CdV. V, 83), das dabeistehende montpeiliirain ist offenbar Druckfehler. Adrovts ä tous les jeux d^exercice, le hallon^ le hattoir^ les houles et le mail^ sont les jeux que priflrent les Montpdli^ains, (Jouy, THerm. en prov, VI, 14).

Montreuillais, Bewohner von Montreuil (CdV. V, 82).

Morbihanais (Sachs) ist die richtige Form, aber weniger üblich als dieselbe Form mit nn: Ce pauvre tnUage morbihannais (A. Daudet, Ind^pendance Beige, d6c. 1885, p. 3 der illu- strierten Beilage). Venchanteur Merlin^ lui-mime, n*itait-il pas breton et morbihannais? (C*® d'Amezeuil, Lögendes bre- tonnes, 246). Ebenso CdV. VIII, 186.

Morlaisien, Bewohner von Morlaix (CdV. V, 82 und über).

Morvandais^ zum Morvan gehörig: Cette petite ville morvandaise (H. Martin, III, 473). Statt der Nebenform morvandau gibt CdV. (VIII, 186) das offenbar richtigere morvandeau.

Moscovite (C. bezieht es zu Moscovie = Russie) heisst öfter russisch:

138 i%. EaUner,

ün ISger aecent moscmnte (Indöpendance Beige, d^c. 1885, f. 6 der illustr. Beilage).

Mnlcien, Landschaft in der Gegend von Meaox: Jean Vaillcmty prevöt de la monnaie, aUa se mettre ä la tete c^une bände de Jacques ä Silli en Mulden^ et se dirigea de sur Meaux (H. Martin V, 197).

Municliois, Nebenform municois: Eüe ne tarda pas ä gagner le ccßur de tous les Municois (Paix, 7 juill, 1886). Vgl. zuricois,

MuBsipontain, zu Pont-ä-Mousson gehörig: La popidation mussipontaine (France, 12 döc. 1877.) Ebenso CdV, V, 83.

Nantais, die Nebenform nantois kann als aufgegeben gelten.

Nassovien, Nebenform zu nassauvien: Les Nassaviens (XIX* Siöcle, 3 Nov. 1880).

Navarrais. Diese von Sachs gegebene Form finde ich bei Brächet {le navarrais die Sprache), J. Vinson (in der Revue crit.) für das Gebiet. Navarrois dagegen: les routiers navar- rois (H. Martin IV, 45). Les gamisons navarroises (ib. V, 134). Les Navarrois (ib. II, 884; lü, 510; VIII, 4). CdV, (Vm, 186) gibt nur diese Form.

NAouzan (N6bousan) le, Landschaft in dem westl. Teil des Dep* de la Haute -Garonne. Hauptort derselben war Saint- Gaudens.

N^-calMonien, zu la Nouvelle-Oal6donie gehörig: Les Nio- Calidoniens (France, 9 sept. 1878 und 30 sept. 1878).

N^-h Aridais, Bewohner der Nouvelles- Hybrides (mehrfach in der Illustration, z. B. 21 avril 1888).

Nicaraguais, zu Nicaragua gehörig: Le gouvernement nicaraguais mettait temhargo sur les caisses £ armes (XIX® Si^cle, 1®' aoüt 1880). La triation d'un canal nicaraguais (Ind6pen- dance Beige, 9 d6c. 1885).

Nicopolitain, zu Nicopolis gehörig (C).

Niniviste für Ninivite: II (Jonas) avaü pridit aux Ninivistes la faminey la peste, la ruine, les maux les plus effroyables, et cela sous quarante jours . . . Mal lui en prit, car au hout de quarante jours les Ninivistes se retrouv^rent sur leurs pieds, frais et gaittards (Fr. Sarcey, XIX® Siöcle, 24 f6vr. 1880).

Niolin, Bewohner der Landschaft Niolo in Corsika (CdV. VIII, 186).

Nivemais gehört als Adj. sowohl zu Nevers als zu le Nivemais (C), Sachs bezieht es nur zu ersterem. CdV. (VIII, 186) gibt nur Nivemichon als Bewohner des Nivemais; über dieses Wort sagt Jaubert (Glossaire du Centre II 105), dass man es vermeidet und fügt zur Erklärung bei: „La ripugnance ä se servir de la terminaison y^chon^^ ne peut s'expliquer que

Personal' und Geniüderivaie im Neufranzösischen, 139

pair ce faü qu'elle rappelle un fndt de la famiUe des cucur- hitacies que le vidgaire a pria pour emblhne de la scitise, Les Berrichans ont la mime susceptibüiti, mata ä un mamdre degre.^^

Nivillaccais, Bewohner des Fleckens Nivillac in der Bretagne: Les Nivillactais (C*® d'Amezeuil, L6g. bretonnes, 69).

Nogentais, Bewohner von Nogent-le-Rotrou (OdV. V, 83). Es bezieht sich natürlich ebenso gut zu den übrigen Orten gleichen Namens: La Nogentaise, Name einer Musikgesellschaft in Nogent-sur- Marne. Ebenso: Cet incident exaspira les Nogentais (Bewohner von Nogent-sur- Marne. Paix, 12 join 1886).^

Noirmoutin, Noirmoutrin, Bewohner der Insel Noirmoatier(8); ersteres CdV. V, 83, letzteres ib. VIII, 186. Die zweite Form scheint die richtige zu sein.

Nontronnais, zu Nontron (Dep* de la Dordogne) gehörig: Le Noräronnais (Titel einer dort erscheinenden Zeitung).

Norrain (f. -aine u. -6ne), nur von der Sprache üblich, Neben- form zu norvegien (L. S.).

Nuiton, Bewohner von Nuits (CdV. V, 83).

Oberlandais, zu Oberland (-Bernois) gehörig: Vesprü de Sahoua faxt la chasse aux d^couvertes, comme les braeonniers ober- landais fönt la chasse aux chamois (Souvestre, Les dem. ^ Bretons, ü, 147).

Oisans, Landschaft in der Südostecke des D6p* de Tlsöre, die sich noch in das D^p* des Hautes- Alpes erstreckt. Etwa ein Dutzend Ortsnamen haben den Zusatz en Otsans, die bekannteste ist Ällemont-en- Oisans (Dortambert 328).

Oranais, zu Oran gehörig: Le Sahara oranais (Petit XIX® Sifecle, 8 juin 1881).

Orth^zien, Bewohner von Orthez (CdV. V, 83).

Oscarois, Bewohner der Landschaft Ouche (OdV. VIII, 186).

Ossalais, Bewohner der vall6e d'Ossau (ib.).

Oaessantin, Bewohner der Insel Ouessant (ib.).

Pail, Landschaft im D6p* de la Mayenne. Pri-en-Paü (C).

Faillers, Landschaft im D6p^ de la Vend6e. Bazoges-en-Paü- lers (Paix, 14 aoüt 1885).

Falatin als Subst. heisst auch Einwohner des Palatinat (PfiUzer) : 8ix mUle Hessois, trois miüe PalaUns, , , . se joignirent aux troupes bavaroiseSj toujours soudoyies par la France (H^nault- Michaud, Abr^g^ chronol. de Thist. de Fr. 372).

Faraguain, Nebenform von paragueen, paraguayen: Un officier paraguain (Voltaire, 6d. du Centenaire, 73).

Farisis als Landschaftsname ist noch Zusatz bei Orten, z. B,

140 Ph. Plaitner,

CormeiUes'en'Parisis nord-westl. von Paris in der Oegend von Argenteuil (Paix, 11 jnill. 1886).

Patron, Bewohner von Patras: Les Patriens (Paganel, Scan- derbeg, 97). Das C. gibt nur patrensien,

Fergois alt für percheron (C).

F^rigordin für pMgourdm ist jetzt aufgegeben.

Ferpignanais, Bewohner von Perpignan (CdV. V, 83).

Fersan auch von der altpersischen Sprache: Lepersan moderne, le persan ancien (Littr^, Hist. de la langue fr. I, 263). In seinem Supplement und Addenda zum Wörterbuch erklärt er allerdings selbst le persan für neupersische, le perse für alt- persische Sprache.

Ferse als Adj. auch für neupersisch: Le geniral perse Taimur Khan avec 4,000 hommes est entrS ä Atrumiah (XIX® Si^cle, 3 nov. 1880).

Fersique auch in dem Ausdruck ä la persique: Comme la scSne se passe en Äste, il y a quelques pantdons, quelques manches ä la persique et un certain nombre de honnets phrygiens (Th. Gautier, II, 48).

FertuiBan, Fertuisien, zu Pertuis bei Avignon gehörig: La municipalitS pertuisane (France, 21 juin 1878). Ijes Pertuisiens (ib. 22 juin 1878).

Ficpucien» Mönch von Picpus: Notts ne croyons pas qtCun citoyen sur cent voulM ^) lever la main en faveur des maristes, oblats, bemardinSf picpucienSy cisterciens . . . (XIX® Si6cle, 7 sept. 1880).

Fignerol(l)ais, zu Pignerol gehörig: Les Pignerolais, exaspiris par les vexations des soldats ... (F. du Boisgobey, Paix, 2 oct. 1887). üne troupe de gamins pignerollais (ib. 23 oct. 1887).

Fiombinien, zu Piombino gehörig: Nica . . . marquis de Capra- nica . . . ancien major des armies lucquotses et piombiniennes (Dennery, Oiseaux de proie I, 8).

Fleubian, Landschaft: im d^p* des C5tes-du-Nord : Saint- Jean- en-Pleubian (Paix, 11 oct. 1885).

Floermelais, Bewohner von Ploermel (CdV. V, 83). Sonst Plo6rmel geschrieben.

Foblanais, zu Pnebla gehörig: Bientßt, ou m^apporta, dans de peixtes assiettes de fabrique poblanaise omies de fleurs vertes, des ceufs frits^ de la viande grüUe ... (L. Biart, Paix, 9 aoüt 1885). Je ne pouvais exercer la midecine dans la province

^) Ein EonditionalsatK geht vorher.

Persomü- und Gentüderivate im Neufranzösischen. 141

de Vera-Cruz sans un dipldme de midedne poblanads (ib. 14

juill. 1885). Foitevin, Pougeoise^ eine alte Münze , auch pite und poitevine

genannt (C.)* Folletais, zu le Pollet gehörig, in allgemeiner Anwendung

(nach 0.) wird von Sachs (nach Littr6) auf die Bezeichnung

eines Fischerfahrzeugs beschränkt. Polonais, mit der Nebenform pouirnuy z. B. des sotdiers ä la

poulaine, pouline (CdV. V, 109, 117), nach demselben (VII, 38)

von dem alten Poulogne (=^ Pologne) gebildet. Nach Liittr6

von Poullaine = Pologne, Poulanne = peau de Pologne, Fonhier, Fohier, Bewohner von Foix (CdV. V, 83). Font-audem^rois, Pont-audomar^n, Bewohner von Pont-

Audemer (Pontaudemer) (ib.). Pontissalien, Bewohner von Pontarlier (ib.). Pontiyien, Bewohner von Pontivy (ib.): Le Pontivien s'arrita

un instant pour reprendre haieine (Souvestre, Les dorn, Bre-

tons, I, 130). Forden, Landschaft im Norden von R^thel. Chäteau-Porcien.

Chaumont-en-Porcien. Fort -Boy allste, Angehörige von Port-Royal: Jai heaueoup

Studie les Port-Eoyalistes, ces Stoidens du Christianisme (Sainte-

Beuve, Notice sur M. Littre, 10). Privadois, Bewohner von Privas (CdV. V, 83). Provenisien (Sachs hat 6), zu Provins gehörig, ebenso C. CdV.

V, 83 hat Provinois, Provenisien, II (M, Ch, Lenient) parlcat

avec dignitd, avec tendresse, de la famüle d^artisans promnois

dont ü etait sorU (E. About. Petit XIX« Si^cle, 7 f6vr. 1882). Psariote. Nebenform Ipsariote (C). Fuysaye, le (nach Sachs; la nach C), Landschaft im d^p*

du eher. Quercy, le, Landschaft im d6p* du Lot, die Gegend von Cahors

(beide Wörter haben gemeinsame Etymologie). Quercinois, Bewohner von le Quercy (CdV. VIII, 186). Quiberonnais, Bewohner von Quiberon (CdV. V. 83). Quillebois, Bewohner von Quillebeuf (ib.). Quimperl^en, Bewohner von Quimperl6 (ib.). Quimperois, Bewohner von Quimper-Corentin (ib.). Les Quim-

pirois (mit Accent, was richtiger ist, F6val, Le bossu, I, 27). Quintinois, Saint -Quentinois, Bewohner von Saint-Quentin

(CdV. V, 83): Les Saint-Quentinois (H. Martin, V, 219). Bagusain, Nebenform Ragusais: Les Ragusais (Thiers, Voyage

dans les Pyr6n6es, 60). Bambolitain, zu Rambouillet gehörig: Le Rambolüain (Titel

142 i%. Üattner,

einer dort erscheinenden Zeitung. Petit XIX® Si^cle, 18 ayril 1882). Auch CdV. V, 83.

Rasez, le (0. Eashs), Landschaft im d6p* de TAude, Umgegend von Limoux (H. Martin, IV. 193, 196, Lavall6e, Eist, des Fran9ais, I, 432).

B^mois. Als Nebenform gebraucht H. Martin rhimois, wenn das Adj. sich auf die alten Remer (Rkemes bei H. Martin) be- zieht: La vüle rhimoise de Bibrax (I, 148). Für die Franken- zeit gebraucht er schon die Form ohne h: la Champagne rimmse (Campania remensis, II, 30).

Beimais, welches Sachs (mit Recht?) als weniger gut ansieht, hat offenbar über Reßnoü den Sieg davongetragen. CdV. V, 83 führt nur Rennais an; Le Petit Eennais ist der Name eines in Rennes erscheinenden Blattes (Paix, 3 sept 1885). Bei Historikern freilich wird man nur Rennois finden.

B^olais, Bewohner von La R6ole (CdV. V, 82).

BeyermontoiB Bewohner der Landschaft le Revermont (d6p* de rAin. CdV. VIU, 186).

Bhinsbourgeois, zu Rhinsbourg (Holland) gehörig (C).

Biomois, Bewohner von Riom (CdV. V, 83).

Boannais, Bewohner von Roanne (ib.).

Bochefortais, zu Rochefort gehörig: En terminant, il a remis la cattae de la citi Rochsfortaise entre les mains de M, le President de la Ripublique (Paix, 3 mai 1888). Sachs hat nur rochefortin.

Bochelois, Bochelais (beide auch mit Uy was Sachs nicht aufführt). Das Richtigere ist offenbar einfaches l, doch findet man bei demselben Schriftsteller beiderlei Orthographie (und Aussprache!), z. B. les Rochdois (H. Martin VI, 91) und les Rochellois) (ib. VIII, 283). Les Rodidais (Lavall6e, Hist. des Fran9ais II, 482, III, 109, 120) und les RocheUais (ib. II, 504). Am besten ist les Rochelais; nur diese Form gibt CdV. V, 82, ausserdem führt eine in la Rochelle erscheinende Zeitung den Titel ^JÖcäo Rochelais (XIX« Si^cle, 13 janv. 1883).

Bochois, Bewohner von la Roche (Haute -Savoie): Les Rochois (Temps, 16 oct. 1879).

Bomand, daneben ist roman üblich : En Savoie et dans la Suisse romane, on appeUe encore ^^nants'''' les torrenis des Alpes (H. Martin, I, 64).

Bonsdorfien, Sekte nach dem Städtchen Ronsdorf genannt (C).

Bouergois (nach Sachs auch Rouergeois), Nebenformen Rouergat (CdV. VIII, 186) und rouergais: M. de Nayrouse, gentilhomme rouergais (Ferd. Fahre, in En petit comit6, 103).

Bouin^ote, Bewohner der Roum61ie: Les Roumeliotes (Paix,

Personal- und Gentüderivaie im Neu französischen. 143

19 mai 1885, 26 sept. 1885). Le gouvemement raumeUote (Knj^ Si^cle, 3 d^c. 1880). Das C. hat la Romölie und dazu als Adj. romSIiste, ronUiote, romiote.

Boyans, Gebiet im d^p* de ris6re und dem de la Drdme findet sich nur als Zusatz bei Namen z. B. Pont-en-RoyanSy Auberives- en-Royans u. a. Die Landschaft selbst heisst le Royanez (Cortambert, 327) oder le Royannais (Pais, 24 nov. 1885.)

Biissien für russe ist nach Vermesse 452 Ausdruck des patois wallen. Dass durch Voltaire russe über russien gesiegt hat, bemerkt Littr6 (C. S.), doch findet man auch bei Voltaire (neben seinem häufigen moscomte) auch russien, so z. B. Vinfanterie russienne und Vinfanierie russe in der Beschreibung der Schlacht bei Poltava. Von älteren Zeiten sagt auch H. Martin (III, 100): Jaroslaw, tzar des Russtens. Ptir die Benennung von Provinzen (z. B. Kleinrussen) kann das Wort noch Anwendung finden: Cette populaUon, dans laqueUe un grand nomhre de Russes . . . sont milSs aux PetUs -Russtens cosaques, est divisie, au point de vue militatre, en trois cati- gories (Paix, l"juin 1887). Dagegen sagt Cortambert (179): les Russes Blancs ou Krimtsches et les Petits Russes,

Ruthöne, was nach Sachs nur Ruthene, Kleinrusse heisst, ist nach CdV. V, 83 auch Bewohner von R(h)odez.

Sablais, daneben gibt CdV. V, 82 auch das mir sonst un- bekannte olonnais.

SabWsien, Bewohner von Sabl6 (CdV. V, 83).

Sagien, Salen, Bewohner von S6ez (ib.).

Sa'lgonnais, zu Saigon gehörig: Le Satgonnats (dort erscheinende franz. Zeitung. Paix, 4 janv. 1886).

Saint-Flourien, Bewohner von Saint-Plour (CdV. V, 83).

Saint-galloiB, zu Saint-Oall (St. Gallen) gehörig: Le gouveme- ment fidiral vient de demander d la RipuhUque Argentine textradition äHun ex-employi saint-gallois (Ind6pendance Beige, 27 janv. 1886).

Saint-Lois, Bewohner von Saint-Lö^) (CdV. V, 83).

Saint-Mand^n, zu Saint -Mand^ gehörig: La Saint -MandSenne (eine dort bestehende Musikgesellschaft. Paix, 8 nov. 1887.

Saintongeois wie Sachs haben C, CdV. VIII, 186 und Coeckel- berghe-Dutzele I, 261. Ich fand die Form nur bei Lacre- telle und H. Martin. Dagegen Saintongeais : La Chronique Saintongeaise (Oautier, la Chanson de Roland, 369). L'avenir

^) Wenn, wie man annehmen kann, die Stadt nach samt Lo oder Laud, Bischof des in der Nähe liegenden Coutances genannt ist, so liegt ein weiterer Fall für das Suffix -ois bei Personennamen in der Übertragung auf Ortsnamen vor.

144 i%. Baitner,

est bien inquiitant pour U vignoble saintongeais y en prisence de la marche envdhissante du phylloxera (Fig. 24 oct. 1876). C*est en effet^ si notis en croyona une vieille ligende sainton- geaiaej au müieu du Xlir sihde, que furerU construits, pris de la Rochelle y Ua premiers j^bouchots^ ou clötures pour les moules (ib. 21 sept. 1877).

Saint-Quentinois, vergl. quintinois.

Saletin^ (nach Sachs), Bewohner von Sallee (Sal^) in Marocco; nach C. SaUtain,

San-Ränois, zu San-R^mo gehörig: Les San-Remois (France,

17 d6c. 1878.)

SantorinoiB, zur Insel Santorin gehörig (C).

Sarthois, Bewohner des d6p* de la Sarthe (CdV. VUI^ 186): Les republicains sarthois (Petit XIX® Siöcle, 16 juin 1883).

Saulnois, Znsatz von Ortsnamen, bei Chäteau-Salins z. B. Fresnes-en- Saulnois.

Saumurois, Bewohner von Saumur, Saumunerij Zögling der dortigen Offizierschule (Petit XIX« Siöcle, 27 et 28 oct. 1881).

Sauveterrien^ Bewohner von Sauveterre (Paix, 17 oct. 1886).

SaTOisien ist das üblichere Wort für Bewohner Savoyens, da savoyard eine Nebenbedeutung hat (vgl. boheme neben bo- himien): Oeci soit dit sans blesser la susceptibiliti des bans habitants de cette contrie^ qui tiennent ä etre nommes Savoisiens (Quitard, Dictionn. des proverbes, 36). Les Savoisiens re- poussent une aUiance que Vanarchie rend affreuse (M°^« Roland bei Raffy, Lectures d'hist. de Fr. 646). II y aura^ suivant Voccurrencey des dtalages parisienSf lyonnais, jurassiens, sa- voisiens et bressans (France, 7 nov. 1877). M. Suva, deputS de la Savoie, paraU ä la tribune. Cet honorable montagnard est indigni qu*on ait traite Victor Ummanicel d^usurpateur Sa- voyard. M, Silva ne connatt pas les Savoyards, ü ne connatt que les Savoisiens qui sont devenus JFVangais (Fig. 4 mai 1877). Ce prince savoisien (nämlich Victor Emmanuel. France,

18 janv. 1878). Ces qualitis tout^ savoisiennes (Sainte- Beuve, Nouv. Qalerie 88). Allerdings findet Savoyard sich noch vielfach dafür, ausser bei Voltaire z. B. bei Thiers, H. Martin, Th. Gautier u. a. Doch muss der Widerwille gegen Savoyard schon alt sein, denn Robert Estienne ge- braucht schon les Savoyens (nicht mehr üblich) für die Be- wohner Savoyens (CdV. II, 94). Das von Littr6 (savoisien Etym.) gegebene Savoyen ist offenbar Druckfehler für Savoyen.

Schwy(t)zoiS9 zu Schwy(t)z gehörig: Le peuple schwytzois (XIX* Si^cle, 8 oct. 1888). Vavant-garde marchait sans prS- voyance, de mime que les Schtvyzois, qui ne se doutaient pas

Personal' und Gentüderivaie im Neu französischen, 145

^6 U duc füt ddjä 8ur pied (Jean de Muller, trad. de Mon- nard, bei Raffy, Lect. d'hist. de Fr. 9).

Scutarien, zu Scutari gehörig: La cavalerie sctUarienne (Paganel, Scanderbeg, 83).

S^gestill» nach dem C. Sigestain,

Segr^ll; Bewohner von Segr6 (CdV. V, 83).

Seine (-et) -Oison, scherzhafte Bildung für Bewohner des D^p* de Seine - et - Oise : Vous raisonnezy comment dirai-jef en Seine- Oison, ainsi qvs le dit M, de Rochefort (Worte von M. de Lasteyrie im S^nat. France, 16 juin 1879). On m'envoie dans le dipartement de Seine -et- Oise, Espirons que la vue des Seine ' et 'Oisons me digourdira (E. About, Petit XIX® Siöcle, 7 aoüt 1881).

Semurien, Bewohner von Semur (CdV. V, 83).

Senan, Bewohner der tle de Seins (CdV. VIII, 186).

Septimanien, Septimanique, zu Septimanie gehörig: Les villes^J septimaniennes (H. Martin II 192, 210). Les seigneurs septi- maniens (ib. III, 468). Aber: Les plaines septimaniques (ib. II, 510). Vgl. germain, germanique.

Sfaxien, Bewohner von Sfax in Tunis: Les Sfaxiens (Petit XIX® Sifecle, 21 juin 1881).

Sind^tique, zu Sind gehörig (C).

Sindique, zu les Sindes gehörig (C).

Sinopien, zu Sinope gehörig (C).

Sittianien, zu Cirta gehörig, doch kommt das Adj. von einem Personennamen Sittius (C).

SlaTOn nach Sachs altslavisch bes. inbezug auf die Sprache. Des Slavonnes, Slavinnen, slavische Frauen (A. Daudet, Les rois en exil, 287).

Smyrniste (?) Bewohner von Smyme: Quand notre aviso est reiourni ä son mouiUagey les Smyrnistes se sont porUs sur les quais (Petit XIX® Si^cle, 9 mai 1881). Blosser Druck- fehler für Smyrniote (welches ib. 8 avril 1881 gebraucht ist)?

Solonais (Sachs: Solonois) Nebenform zu Sologneauy Solognot: ün Solonais (Fr. Wey, Remarques sur la langue fr. II, 450). Auch von L. Rollin, Neues Handb. der franz. Conversations- spräche (S. 182) gegeben.

Sorbonnien, Angehöriger (Student) der Sorbonne (A. Houssaye, France, 24 juill. 1879).

Soudanais, Nebenform zu Soudanien: Les Soudanais (Paix,

1) Es soll ausdrücklich hervorgehoben werden, dass ville hier beidemale als blosser Wohnort, nicht im Sinne von Bürgerschaft, Stadtbevölkerung genommen ist, was zu der bei germain gegebenen Regel nipht stimmt.

Zschr. f. firz. Spr. q. Litt. XP. j^q

146 Pk. Plattner,

20 aoüt 1885 und in den Zeitungen der letzten Jahre sehr häufig). Auch von Über bemerkt. In derselben Nummer aber L'insttrreetion soudanierme. Auch: Des diserts rien n'arrete la marche des Soudaniens (Petit XIX* Si^cle, 15 f6vr. 1884).

Souletin, Bewohner der Landschaft la Soule (CdV. YIH, 186).

Spetziote, Bewohner der Insel Spetzia (C). Man kann anneh- men, dass das Adj. zu la Spezzfa (Italien) spezziote lautet.

Sphakiote, Bewohner von Sphakie (C.)

Spinalien, zu Epinal gehörig: Un jeune komme d^origine spina- Henne (Paix, 24 sept. 1886).

Stoben, zu Stobös gehörig (C.)

Sueyique, Nebenform zu suhoe: Les trtbus suiviques (Michelet^ Pr6ci8, I, 62, H. Martin, I, 263).

Tahitien, Nebenform zu tattien (otahitien, otdvtien) : TJassetnhUe legislative tahitienne . . . La musique a joit4 Vair tahitien Titaua (France, 24 nov. 1877).

Tarasconnais, Bewohner von Tarascon: Les Tarasconnais (Paix, 14 d6c. 1886). Auch von Über bemerkt (unrichtige Form mit einem n).

Tarbais, Tarb^n, Bewohner von Tarbes (CdV. V, 83).

Tardenois, Landschaft im Dep^ de TAisne, zwischen Soissons und Chäteau-Thierry, doch östlicher: Fire-en- Tardenois. Ville-m- Tardenois (Petit XIX« Siöcle, 3 juin 1881.)

Tarentaise, Landschaft in Savoyen: MouUers-en-Tarentaise Paix, 14 aoüt 1885). Dans le siecle suivant, üs {les ducs de Savoie) ont ajout4 la Tarentaise h leur domination. (Hönault- Michaud, Abr6g6 chronol. de d'hist. de Fr. 436). Von Daren- tasia, dem alten Namen des oben genannten Moutiers-en- Tarentaise,

Tarin, Bewohner von la Tarentaise (CdV. VIII, 186).

Tarnais, Bewohner des D6p* du Tarn (ib.). T^g3^6ien, zu T6gyra gehörig (C). Tergesidn, zu Tergeste gehörig (C).

Terre-Nenvien, Bewohner von Terre-Neuve (Neufundland): Terre-Neuve et les Terre- Neuviens par Henri de la Chaume (Buchtitel. Paix, 25 mai 1886).

Tessinois, zum Kanton Tessin gehörig: Lidißjce (de Vhospice du Saint - Gothard) tombait alors presque en ruines, Vautorit4 tessinoise le fit restaurer (XIX® Siöcle, 20 octobre 1880). Les Tessinois voulaient un ivique pour eux seuls» (Ind^pen- dance Beige, 23 janv. 1886).

Thierrache^ selten Thürache (Sachs hat nur ThUrarche). Land-

Persorud' und Grentüderimte im Neu französischen. 147

Schaft im D6p* de FAisne. Nouvion-en-TJUh-ache (Paix, 16 juill.

1886). Thierachien, Bewohner von la Thieräche (sie) (CdV. VIII, 186). Thiernois, Bewohner von Thiers (CdV. V, 83). Thionvillois, zu Diedenhofen (Thionville) gehörig (CdV. V, 83).

Les Petibes Äffiches Thionviüoises (Zeitung. Paix, 1®' juin.

1886).' Thom^rien, Bewohner der Landschaft Thomi^res (Döp* de

rH6rault. CdV. Vffl, 186). Tigurin, zu Zürich gehörig: Le lac Tigurin (Mignet, jfetudes

hist. 41) ; in der Geographie lac de Zürich, Bei Sachs fehlt

auch les Tigurins, Stamm der Helvetier. Toggenbonrgeois, zu Toggenburg gehörig (C).

TonkinoiB, Bewohner von Tonkin: Les Tonkinais (Cortambert, 510). In den Zeitungen der letzten Jahre äusserst häufig. Sachs hat tunquinois.

Tortonais, zu Tortone gehörig: Le Tortoncds (Gebiet H^nault- Michaud, Abrög^ chronol. de Thist. de Fr. 435). Im C. tortonlsey tortonois,

Toulois, öfter Touttois^ (z. B. H. Martin, I, 463).

Tourangeau, &cherzhfiÜeB Fem. tourangeaude: C'est une prideuse de la province, mademoiseUe de Bened, „tourangeaude^^ qui la premiere, parla d'un „soupe rincuit^^ (Fr. Wey, Remarques sur la langue fr., I, 128).

Tournaisis, Nebenform von toumaisienj nur das Gebiet bedeu- tend: Le Toumaisis (H. Martin, I, 410, II, 55, IV, 442, V, 53, 215, VIII, 15; Mignet, JEtudes hist. 249).

Toiirquen(n)ois, zu Tourcoing gehörig: tourqitennois bei Ver- messe, Patois wallon, introd. 12. Tourqttenois (CdV. V, 83).

Trans -vaalien, zu Trans -vaal gehörig (Cortambert, 589).

Tr^gorrois, wie Sachs angibt, ist die üblichste Form und die einzige, die ich weiter belegen könnte. CdV. V, 83 gibt trScorois und trigorois.

Trentin, Nebenform zu trentaisy tridentin bedeutet wohl nur das Gebiet: On a eu de la peine ä empecher ce diplomate de soulever officiellement la question de la cession du Trentin (France, 14 juill. 1878).

Tr^vire kann nur von der vorfränkischen Zeit gebraucht werden, sonst TrSoirien, welches bei Sachs fehlt: La faim^ le froid, les miasmes exhales de tant de corps en putrifaction, deci maient chaque jour les Triviriens dchappes ä la rage des bar- hares (H. Martin, I, 360).

Triestill (Sachs: Triestain): J^ai faxt ressortir plusieurs fois

10*

148 /%. Plaitner,

de ja le mouvement de haine que la mort du jeune itvdiant triestin avait exciU (XIX® Sifecle, 7 janv. 1883.)

Trouvillais, zu Trouville gehörig: ^püogue de la saison trou- vülaise (France, 22 aoüt 1879).

Troyen, aach Bewohner von Troyes, von Sachs nicht aufgeführt, vom C. nicht als gute Form betrachtet, aber durchaus üblich: Pendant les guerres de Vempire, un Troyen, entendant annoncer que le gSniral BaviUe avait pris perruque demanda cette vüle etait situ^e, Un vieil dbhe lui repondit: Sur la nuque (Dictionn. des calemb. 199). Les Troyens conservhrent la liherte de commercer avec Paris (H. Martin VI, 185). Les mdmoires sur les Troyens cillhreSy de Grroshy, renferment des documents intiressants ä ce sujet (d. h. über Colbert's Familie, die aus Troyes stammte; ib. XIII, 21 f.) La Cham- pagne troyenne (Gegensatz zu Champagne rimoise^ ib. II, 117). Auch CdV. V, 83 gibt Troym.

Tsernagoste, Czernagorze: 8^il se trouve ici cachi un frlre Tsernagoste, qu'ü ne ms tue pas en Toe prenant pour un Türe, car je suis un enfant de la Tsernagore. (Philibert Br^ban, XIX® Siöcle, 20 aoüt 1880). La beautS incroyable des arm^ que portent les Tsemagostes est chose d*autant plus anormale qu'üs portent tres peu de linge blanc (ib.). Vgl. Czemagorsque in dieser Zeitschr. IV, 70.

Tunisois neben dem üblichen tunisien: II fut scientifiquement etabli que le domaine de M. Herby Hait vraiment sol tripoli- tunisois (Maurice Jokai, trad. Fig. 22 juill. 1877, Suppl^m. litt.).

YaleiiQais, Bewohner von Valence (Valencia) in Spanien: Les Valengais (Lavall6e, Hist. des Fran9ais, IV, 503).

Yalencian, Nebenform zu Valencien (C. und CdV. V, 83).

Yalentinois, andere Nebenform, bedeutet in der Regel nur das Gebiet von Valence, steht aber auch in weiterer Verwendung: ün bafeau freti par la commission valentinoise Vattendra sur le Rhone (es handelt sich um Gambetta's Anwesenheit in Valence; France, 17 sept. 1878.)

Vallouisais, Bewohner des Thals de la Vallouise im D6p* des Hautes- Alpes (CdV. VIII, 186).

Valoisien, Bewohner der Landschaft Valois (CdV. VIII, 186). Sonst heisst das Adj. vaUsien,

Yaticanesqiie, vatikanisch : Uesprit non seulement clericaly mai>s vaticanesque (France, 22 sept. 1878).

Yaillignonnais, Bewohner von Vaulignon : C^itait une Vaulignon- naise, scßur de lait de Marguerite (E. About, Petit XIX® Si6cle, 15 mars 1881).

Yelaisien, Bewohner der Landschaft le Velay (CdV. VIII, 186).

150 Pk, Ftaitner,

YiTarais, Landschi^t im D6p* de FArdöche, offenbar mit Viviers (Stadt ebenda) zusammenhängend.

Vorgien, Bewohner von Vorges (D6p* de l'Aisne. Paix, 29 juin 1885).

Washingtonien, zu Washington gehörig: Le New -York Times a puhlii ä ce sujet de longues expUcations de son correspondant wasMngtonien (Paix, 1®' oct. 1887).

Yorkais, Bewohner von York: Les Yorkais (Marmier, Robert Bruce, 233). Dagegen les YorkUtes (Anhänger des Hauses York, Gegensatz Us Lancastriens. Cortambert, 101).

Yyetotais, zu Yvetot gehörig: Le conseü commtmcd Yvetotals (Paix, 7 sept. 1886).

Zanzibarien, zu Zanzibar gehörig: De lä, des incursions friquentes des iroupes zanzibariennes sur le terrttoire allemand (Paix, 16 aoüt 1885). Zanzibarite von über bemerkt.

Zaretin nach Sachs, Zaritin nach C. zu Zara gehörig.

Zoulou, auch als Adj. mit Fem. zouloue: Les forces zoidoues (France, 2 mars 1879).

Znricois ist jedenfalls weit üblicher als zurichois. Für ersteres habe ich 4 Beispiele aus verschiedenen Zeitungen, für letz- teres nicht ein einziges.

Bemerkangen.

Ganz gelehrten Charakter haben die mit dem Suffix -qiie abgeleiteten Wörter, mögen ihnen Personen- oder Ortsnamen zu Grunde liegen. Die meisten sind direkt aus dem Lateinischen, sei es aus der klassischen, sei es aus der gelehrten^ Universal- sprache des Mittelalters entlehnt oder im Anschluss an die letz- tere gebildet.

Die von Personennamen abgeleiteten haben zudem ein sehr begrenztes Verwendungsgebiet. Nur in der Metrik sind üblich z. B. adoniquej alcaiquey saphique. Nur in der Litteraturgeschichte anacreontique, aristophanique, demostheniqitey esopique, hoffmanni- quey homirique, hugotique^ juvSnalique, ossianique. Nur in der Philosophie arlstotilique, platonique, pythagorique, socratiqucj zino- nique. Nur in der Medizin und den Naturwissenschaften fara- diqtiCf gal^nique, galvanique, hippocratiquey mesmiriquey plutoniquCy voUrnque. Nur in der Musik offenbachique. Nur in der Numis- matik darique. Von ausgedehnterem Gebrauche sind etwa dio- g&nique, hermetiqtie (i. d. Bed. „luftdicht^'), komerique, Tnachiaoüiquey miphistophÜique (m^phistophilStique), pantagruilique ^ sardanapa- lique, socratique, obschon einzelnen aus der Nebenform auf -eBqne eine starke Konkurrenz erwächst (vgl. aristophimesque,

Personal- und Gentüderivate im Neufranzösischen, 151

figaresqtte, juvMalesqtie, sardanapale^que). Ausser dem direkt übemonimenen darique (Darike, Dariusmünze) sind alle Wörter Adjektive, und zwar so sehr, dass sie nicht einmal eine Sab- stiütivierang zulassen.

Unter den geographischen Namen sind alle Kategorien ver- treten: Erdteile und Länder (asiatique, dcdmatiquey hispanique, lombardique y westphalique), Völker (dllemanniqibß^ cimhrique, ger- maniquey hunniquef normanniquey puniquey sarracSniqueJy Inseln und Städte (hcdiarique^ hritanniquey dleatique, javanique^ migarique^ nandque, saitique)^ Gebirge (alpique, aUaique, haOcaniqttey car- pathique, caucasiquey jurassiquey pyrenaique), Meeresteile, Seen und Flüsse (gangdtique, Umaniquey nüotiquey sdquaniquey syrtique). Zu bemerken ist, dass von einzelnen Bergen diese Bildungsform nicht existiert, sowie, dass die erwarteten indique und ülyrique nicht übernommen worden sind.

Die Verwendung ist auch hier vielfach eine begrenzte. So finden sich einzelne nur für die Sprache (abyssiniquey arabique^ cambriquey normannique)y andere nur in der Philosophie (iUatiquey migarique) oder in der Geologie (jurasnque) oder in der Chemie und zwar nur mit acide verbunden (japoniquey nandquey prussique) ; catalaunique endlich findet sich nur in les Champs catcdau- niques. Von ausgedehnterem oder allgemein üblichem Gebrauch sind etwa adriatiquey ßsiatiquey balkaniquey bdUiquey britannique^ caucasiquey germaniquey hdvetiquey laconiquey teutonique. Auch diese Wörter sind reine Adjektive und nur einzelne lassen Sub- stantivierung zu (adriatiquey baltiqu£, obwohl auch bei diesen der Zusatz von mer üblicher ist, sowie attique) und dienen dann sich aelbst wieder als Adjektive, so dass z. B. la BaUique die Ostsee und baltique zur Ostsee gehörig bedeutet; möglich, aber nicht sehr üblich ist es, für die Sprache das substantivierte Ad- jektiv zu gebrauchen (le cambrique); Gerpianique war Substantiv für die alte Einteilung Germaniens, wird aber hier durch Ger- manie verdrängt; zu erwähnen ist auch ä la persique nach per- sischer Art, Mode. Wirkliches Substantiv ist nur asiatique ge- worden (les Asiatiques die Asiaten); das von Mätzner noch aufgeführte les CeUiques ist durch les CkUes verdrängt.

In noch höherem Grade ist das Suffix -iaque gelehrten Ursprungs. Bei Personennamen wird es nicht verwandt, denn dionysiaque und üiaque sind dem Lat. entnommen und tropp- maniaque hat hoffentlich nur eine ephemere Existenz in der Sprache. Es findet sich bei den verschiedensten Ortsnamen, auch Flüssen (niliaque), doch nicht bei Bergnamen. Auch diese Perivate sind reine Adjektive und nur wenige lassen eine sub- stantivische Verwendung zu (z. B. les Bosniaques)\ igyptiaque bat

152 Ph. fHaiiner,

als Sabstantiv die NebeDform igyptiac (Name einer Salbe). Sehr gebräuchlich ist keines der Wörter, im Gegenteil sie sind teil- weise veraltet, andere gehen demselben Schicksal entgegen; doch bildet auch die Wissenschaft wieder neue Formen z. B. aryaque (neben aryen).

Rein adjektivisch sind auch die mit -esqiie (nach dem Ital.) gebildeten Derivate. Sie werden besonders von italienischen oder spanischen Personennamen gebildet, auch von Appellativen, die eine ähnliche Bedeutung erlangt haben (picaresque), z. B. heminesquey cervantesque, dantesque, don-juanesque, don-quichoUes- quCy figaresque, garibaldesque, manoSlesquej mazarinesque^ michel- ang(el)esqitej raphaSlesque; doch auch von französischen oder fremden, sogar von antiken Namen z. B. aristophanesquey amales- que, charlemanesque, chateaubrianesque, florianesque, ingresqtie (Ingres), hoffmanesqiiey juvincdesque, povssinesquey prudhommesqtie, sardanapalesquCy scarronesque. Nebenformen existieren teilweise auf -ique (aristophaniquey figarotique, hoffmaniquey juv4naliquey 8ardanapaUque)y teilweise auf -ien (garibaldieUy sardanapalien ; scarronien ist nicht nachweisbar, aber möglich). Über die Be- deutung der Formen auf esque vgl. aristophanique. Selbstverständ- lich tritt dieselbe bei ital.-span. Namen, die kaum anderes Suffix zuliessen, weniger hervor (z. B. dantesqiiej raphaüesque). Es finden sich auch ähnliche Bildungen von Appellativen (cardi- nalesquCj camavalesqu€y charlatanesqu€y marichalesquey paysanesquey romanesquey soldatesquey sultanesquey also hauptsächlich von Per- sonennamen, selten von Sachnamen): En tSte, un escadron des gar des du corps de Sa Majesti camavalesquey puis le bceuf gras et sa suite (Ind6pendance Beige, 31 mars 86). Une püce icrite en style paysanesque (Th. Gautier VI, 135. Die Rede ist von Frangois le Champi von George Sand). In dieser Verwendung hat das Suffix -esque etwas Spasshaftes (z. B. cardinalesqüey welches nur auf rote Nasen Anwendung findet) oder ist etwas depreziativ.

Von geographischen Namen werden kaum Derivate mit -esque gebildet: unter den neueren Wörtern steht vaticanesque allein, kann aber seiner Bedeutung nach als Bildung von einem personifizierten Ortsnamen gelten. Erhalten sind arabesque^ bar- bai'esque, moresqus, die zugleich als Substantive üblich sind, so sehr, dass z. B. bei barbaresque, welches in älterer Sprache auch „barbarisch, grausam'* hiess, die adjektivische Verwendung fast verschwunden ist, während die substantivische bei diesem Wort wie bei den ähnlichen sehr eng ist.

Bei italienischen Ortsnamen findet sich das SufQx -asque zur Bildung von Adjektiven und Substantiven (dem Ort angehörig,

ßersonal' und Geniüderivate im Neufranzösischen. 153

Gebiet oder Bewohner des Ortes), so bergamctsque, comasque^ cremasque, mxmegasque (monagaaquey

Das Suffix -ite leitet von Personennamen die Bezeichnmigen von Sekten oder religiösen Parteien ab (dbüonüe^ adamite, ihionite^ hussitej jacobite^ joackimite^ johannite, vieldfite neben videfistejy auch die von Mönchsorden (guillemäe, hiSronymite, jdsuite), niemals aber die von politischen Parteien, denn das einzige jacobite (Anhänger der Stuarts) ist offenbar aus dem Englischen übernommen. Diese Wörter haben adjektivischen und substan- torischen Gebrauch und letzterer überwiegt.

Von geographischen Namen werden Ableitungen mit -ite nicht gebildet. Vorhanden sind nur direkt übernommene: abdirite, ascaloniiey israilüe, madianitey moabite, satte, stagirite, sunamite, sybarite, ebenso annamite, moscovite. Memphite, raontmartrite und meist auch syinite sind nur Ausdrücke der Mineralogie.

Dagegen ist das Suffix -ote bei diesen Namen ziemlich üblich: candiote, chiojote, ehiote, corfiote, duldgnote, fanariotey hydriote, (ijpsariote, roumeliote, smyrniote, souLiote u. a. Alle sind übernommen.

Eigene Bildungen sind die Derivate auf -ot: gavot (zu Gap; la Gavotte ein Tanz), morvandioty solognot, alle mit Neben- formen (gapengaisy morvand(eau) , sologneau). Nachgebildet sind cypriot und chypriot, rhodiot.

Das Suffix -iste bildet von Personennamen die Bezeich- nungen für politische Parteien (bonapartiste, carliste, climenciste, dantoniste, fayettiste oder lafayettiste, guillaumiste , hSbertistey isa- belliste, jttariste (zu Juarez), m(zzariniste, pameiUiste, robespierriste, rolandiste, stuartiste, thiiriste (zu Thiers), turgotiste u. a.), für wissenschaftliche oder künstlerische Schulen (averrhoiste, babou- viste (zu Babeuf), bollandiste, darwinishe, fourUriste (zu Fourier), gaUniste, galliste, gassendiste, gavarniste (zu Gavami), hobbiste (zu Hobbes), jacotiste (zu Jacotot), kantiste, luUiste, malebranchiste, marotist£, picciniste u. a.), seltener für Mönchsorden (lazariste, mariste) oder Eirchengemeinschaften (calviniste, feneloniste = quietiste, gomariste, iscariotiste, jansSniste, jihoviste, viclifiste neben vid^fitejy so ist z. B. das alte luth^riste zugunsten von lubhirien verschwunden. Auch hier überwiegt der substantivische Gebrauch über den adjektivischen.

Von geographischen Namen werden Ableitungen mit -iste nur in scherzhafter Weise oder missbräuchlich gebildet. So ist z. B. unser „Girondist^ girondin; das von Sachs aufgeführte montmartriste ist daher eine verunglückte und auch nie besonders üblich gewordene Bildung. Scherzhafte Ableitungen von Orts- namen sind carririste (zu Carri^res), landerniste (zu Landerneau);

154 Pk, Piatiner,

missbräochlich sind eingedrungen ninivüte und nivemiste; lovaniste (Student von Löwen, Louvain), port-royaliste (s. o.) finden in ihrer begrenzten Verwendung eine Entschuldigung.

Wie -ote ist auch das Suffix -ate nur in übernommenen Wörtern zu finden: antiate, arddatey cisenaie, crotoniate, ßdinate^ hans^atey holsate, ravennate^ spartiate^ tSgdate, Croatey dalmate, sarmate gehören nattirlich nicht hierher.

Die eigenen Bildungen auf -at sind selten: auvergnai. Le Crenovisat (Gebiet von Genua) scheint Wörtern wie ayndaiy mar- quisai nachgebildet.

Das üblichste Suffix ftir Personennamen ist -ien mit den Nebenformen^) -in, -ain, -(6)en. Schon die Formen, zu welchen sich Belege geben lassen, überwiegen an Zahl die Ableitungen vermittelst anderer Suffixe. Dieses Übergewicht stellt sich aber noch als stärker heraus, wenn man in Anschlag bringt, dass -ien für neue Bildungen am bequemsten und üblichsten ist, dass es allen Bedeutungen zum Ausdruck verhelfen und, dank seinen Nebenformen, an fast alle Namen antreten kann.

Das Suffix -ien findet sich bei antiken wie bei modernen Namen (cSsarien^ ipicunen^ hercuUen, bismarckieny napoldonien, wagrUrien), mögen letztere französisch sein oder nicht; es dient zur Sektenbezeichnung (ahUien, anen^ eutychien, nestorien u. a.), findet sich in Namen von Eirchengemeinschaften (LuthSrien^ zwinglienjj von Dynastien (capiüen^ carlovingien, mSravingieriy auch hourbonien kann hierher zählen), von Schulmeinungen (aristoti- licien, augusÜnim, bacanien, cartSsien, copemicien, ipicurim, kantien, lancastSrien y leibnüzien, malthusieriy newtonteriy platonicien, saint- simonien und viele andere), im litterarhistorischen Gebrauch (ar- thurien, byronieriy eschyUeriy horatieny lamartinien, mütonieriy rabe- laisien, racinieriy shake^pearien, turcarien (zu Turcaret), voUairien und viele andere), für politische Parteien (cdsarien == impdrialütey garibaldieny gondowaldien, Ittdavideriy mazzinien)^ ferner zur Be- zeichnung der allgemeinsten Zugehörigkeit (appien, bismarckieny bulozicHy fabteriy jupiUrieny minervieriy roihschildien) y auch bei geeigneten Appellativen (czarieriy khSdivienJy endlich zur Bezeich- nung ganz bestimmter Gegenstände, daher öfter ohne nachweis- bare männliche Form (draisienne oder draisiney luctdlien nur bei Marmor, mtlonienne für die Miloniana Cicero's, vespasienne für öfifentliche Bedürfnisanstalt). Wie in dem letzt aufgeführten Wort kann von einem Suffix im Sinne der vorhergehenden Wörter nicht die Rede sein auch bei diocUtieny womit der Kürze halber die

1) Als solche gelten sie trotz der Etymologie für das volkstüm- liche Sprachbewusstsein.

Personal' und Gentüderioate im Neufranzösischen, 155

ähnlichen Fälle zusammengestellt s^ien: antonin, constantin, dau- phin, mazarin, montgolfier (montgolfitre) , trajan^ welche eine durchaus adjektivische Motion besitzen.

Bei den Ableitungen auf -in sind auszusondern die aus dem Lateinischen tibemommenen ((mtonin^ constantin) oder durch Ver- mittelung einer lateinischen Form eingedrungenen Wörter (albertin, alph<msin, clemeniin, emestm, escobartin zu Escobar, guiilemin und guülehnm, jacobin, phiUpptn, raymondin, rodolphin, vedantin zu V6da) sowie das fremde mazarin. Bei ihnen kann ja von einer Gleichstellung des Suffixes -in (-inus) mit -ien (-ianus) keine Rede sein. Diese Gleichstellung ist aber zwingend für echtfranzösische Ableitungen (ariosUn, baifin, draisine neben draisienne, faustin, turgcftin).

Die Nebenform -ain bei Personalderivaten geht ausnahmslos auf lat. -anus zurück, obwohl bei dominicain, franciscain, iUyri- cain der vorausgehende k-Laut sicher mitbestimmend gewesen ist; ausserdem genovefain. Ganz vereinzelt stehen hier -an in radhomitan, ulphilan (neben tüphUanien), Die Nebenform -6en {lat. -eanus) tritt für lat. -eus ein (cadmeen, hSraditSen, hiracUen, hercuUen neben herculien, phiMen, promÜheen, ptolimien), wird von anderen Namen nachgebildet (eutychSen neben eutyehien, ma- nichSen, mSdtiseen, priap^en, tyrteen u. a.). Bei echtf^anzösischen Ableitungen ist -(6)en nur eine Nebenform von -ien bei Namen auf ^, i, j (halleyen, linnien, midicien neben midicien, shandSen neben shandyen, wesleyen). Zu bemerken ist die verschieden- artige Behandlung in halleyen, wesleyen (Halley, Wesley), harUien (Harley) und faradique (Faraday).

Bei den Derivaten von geographischen Namen haben zwei grosse Gruppen das entschiedenste Übergewicht: die Gruppe mit dem Suffix -ien samt seinen Nebenformen und die Gruppe mit dem Suffix -ois oder -sds. Eine scharfe Scheidung derselben ist nicht möglich, doch lassen sich manche Gesichtspunkte für eine solche Scheidung ausfindig machen. Zunächst fallen der ersten Gruppe die antiken Namen zu; denn Derivate auf das -ais von antiken geographischen Namen sind sehr selten, -ois, wichtigste ist carthaginois neben dem wenig üblichen carche- dornen; vgl. auch mareiUen mit marseiUais, Unter etwas mehr als 400 verglichenen Derivaten auf -ten gehören etwa 160 der alteti Geographie an, wobei Wörter, die auch der neueren Geo- graphie noch geläufig sind (antiochien, (zssyrien, egypUen, indden, ionien u. a.), mitgezählt sind. Ihnen schliessen sich eine Zahl von neueren Derivaten an, die von dem lat. Etymon mit Hilfe von -ien gebildet sind (cadurcien zu Oahors, colnmerien zu Cou- lommiers, ibroiden zu Evreux, eoddolien zu Exideuil, Udomen zu

156 Ph. Piatiner,

LoDS-le-Saulnier, lexovien zu Lisieax, mdgorien zu Melgneil, monasUrien zu Münster, paunien zu Pau, provenisien zu Provins, siquanien zu Seine, sostomagien zu Gastelnandary, spamacien zu Epernay, velaunien zu Velay).

Ableitungen auf -ien werden gebildet von Ländernamen und zwar von allen auf -ie, ausser wo eine ältere Form sich erhielt oder eine andere Form eindrang, was verhältnismässig selten ist (arabe^ htdgare^ croate^ dalmate, serbe für alt servien u. a.)* Nicht wenige kommen aber auch von anders auslautenden Länder- namen (albionien^ aiUrichien, ceUbien, herzig ovinien, texten zu Albion, Antriebe, G61^bes, Herz^govine, Texas u. a.)* Von den zahl- reichen Städtenamen seien nur die aufifallenderen erwähnt (arbosien zu Arbois, buenos-ayrien zu Buenos- Ayres, cLunisien zu Cluny, courbevoisien zu Courbevoie, elbeuvien zu Elbeuf, haguenauien zu Haguenau, kefien zu le Kef, landemien zu Landerneau, nanci(i)en zu Nancy, oxonien zu Oxford, patrensien zu Patras, quichien zu Quito, sidenien zu la Seyne), die sich nur zum Teil aus etymo- logischen oder lautlichen Gründen erklären lassen. Von Gebirgs- und Bergnamen kommen vor z. B. aUeghanien, bcdkanien, jurassien, Itbanieriy Olympien^ our alten, visuvien, vosgien, von Flussnamen z. B. borysthSnien, danubien, euphratesmt, garonnienj mississippien, oxien, vistulien, ySnisien. Von Appellativen, die zu Namen erhoben sind, kommen vor: oasien, odionien, sowie die Bezeichnung nor- malten (Zögling der J^cole normale). Mit letzterem lässt sich zusammenstellen sulpiden (Zögling von Saint - Sulpice) und saint- Cyrim (Kadett, Zögling von Saint -Oyr) und dabei sei zugleich auf den früher erwähnten Unterschied von saumurien und Sau- murois verwiesen.

Die Derivate auf -ien sind Adjektive und Substantive und finden in beiden Gebrauchsweisen ausgedehnteste Verwendung. Durchaus aber ausgeschlossen ist die Verwendung für das Gebiet, die Landschaft oder die Umgebung; man vergleiche in dieser Beziehung einerseits les Beauvaisiens mit le Beauvaisis, les Ca- laisiens mit le Calaisis, les Cambraisiens mit le Cambresis, les Parisiens mit le Parisis, les Tournaisiens mit U Tournaisis, ander- seits die Bildungen mittelst -6sien, -isien für die Bezeichnung der Bewohner und ähnliches aus Formen auf -ois, -ez, welche aus- schliesslich oder vorzugsweise auf das Gebiet deuten, z. B. ar- tSsien aus Ärtois, barrisien aus Barrois, forizien ans Forez, valesien aus Valois, Man kann annehmen, dass auch Bildungen wie aptSsien zu Äpt und aridsten zu Arles erst durch Vermittelung von Formen wie Äptois, Arlois (Gebiet von Apt, Arles) entstanden sind.

Unter den Auslauten, welche den Antritt des Suffixes -ien begünstigen, nimmt s, z, (oder stummes x) nach lautem Vokal

Personal' und Gentüderivaie im Neufranzösischen* 157

die erste Stelle ein: Arbois: arbosien, Aunts: aunisien^ Beauvaia: beauvaunen^ Boumais: bournaisieuj Carpentras: carpentrasienf Chersanhse: chersanSsien, Corrlze: correzien, ^k^e: ephesterij Falaise: fatalsten, Frise: frisien, Mend^: mendSsien, Marlaix: morlaisten, Mulhouse: mrilhougien^ Orthez: orth^zien, Paris: parisien, Roubaix: roubaisierij Tunis : tunisien, Wallis (tles) : waüisieriy »owie die oben angeführten artisien, barrisien, forizien, valSsien,

Daran schliessen sich die vokalisch auslautenden, welche s einschieben, worunter besonders die auf -acum^) zurückgehen- den Namen auf -ai (alt -ay) und -y (jetzt oft schon -*) zu be- merken sind: Bugey: bugeysien^ Cambrat: cambraisien, Cluny: dunisieriy Coree: corisien (neben corien), Courbevoie: courbe- vois^ierij Douai: douaisien, Savenay: savenaisien, 8avoie: savoisieny Tournai: tournaisien. Dagegen hängen blosses -en an: Auray: alrien und alrienj Annonay, annonSen, Biscaye: biscaten, Bomou: bornouen, Chili: chilien, Clichy: clichien, Fidjl: fidjien, Nancy: nance(i)en, Paraguay: paraguden und paraguayen, Uruguay: uru- gu^en und utmguayen.

Die wenig zahlreichen Derivate der Wörter auf -terre (miss- bräuchlich -Üre) haben das Suffix -ien: finisthre : finisUrien, 8auve- terre : sauveterrien. Während die Wörter auf -bergj -bourg sonst -ois als Suffix nehmen, findet sich bambergien und coburgien, letzteres als Bezeichnung der koburgischen Partei in Bulgarien; koburgisch würde sonst voraussichtlich, wo es vom Länder-, nicht vom Familiennamen gebildet ist, cobourgeois lauten, wie von Bourbon das Adj. bourbonnais lautet, während bourbonien nur auf den Namen der Dynastie Bezug nimmt. Wenn wir zu den vorhergehenden Ableitungen noch sablesien (zu Sabl6) fügen, in welchem s so wenig wie in savoisien erklärbar ist und für welches sableen zu erwarten war, wenn wir weiter zufügen, dass / als Auslaut das Suffix -ien bedingt (elbeuvien, kifien) wie auch nach v^) nur dieses Suffix möglich ist (lexovien, khivien zu Khiva, pontivien, terre - neuvien) , so ist die Reihe der Auslaute, welche dieses Suffix verlangen oder bevorzugen, abgeschlossen und eine weitere Untersuchung, wie sich der Auslaut in der Entscheidung zwischen -ien und -ois (-ais) verhält, würde kein Ergebnis ver- sprechen. Das letztere Suffix ist bei weitem das überwiegende, soweit französische Wörter in Betracht kommen. Unter allen Ableitungen auf -ien sind Namen aus der Geographie Frankreichs

^) Also weder die ausländischen Namen noch die auf lat. -etum zurücksehenden.

^) Argovien, krakovien, thurgovien, varsovien haben -ien schon wegen der Endung -ie. Ausnahme ist forlivois zu Forli, lodevois.

158 Ph. JPiattner,

nur mit 7? vertreten. Rechnen wir davon noch ab die von ur- sprünglichen Appellativen kommenden (z. B. normalien, odeonien), die mit Nebenformen aaf -ois, -ais (beaucairien, saumurten, tararien), die von Bergnamen abgeleiteten, weil bei solchen Namen -ois (ais) unzulässig ist (cantalien, jurassien), ferner die von einem lateinischen Etymon gebildeten, welche lieber zu -ien greifen/) weil dieses das Suffix auch für antike Namen ist (ca- dnrcienf colum^rien, ebrotcieriy lexovieriy meldien neben meldois, mdgorienj provenisien, sedenien, soHomagien u. a.), endlich die von ursprünglichen Personennamen kommenden (saint-cloMdien, saint'Cyrien) y so verringert sich die Zahl der Ableitungen von Namen aus der französischen Geographie auf nicht ganz Yso der Gesamtzahl aller Bildungen mittelst -ien.

Unter den etwa 100 Wörtern auf -in geht die Mehrzahl auf lat -inus zurück^ z. B. alexandrin, alpin, ar gentin, byzantin, fescennin, ligerin (zu Loire), numantin, sagontin, tarentin, tib4rin u. a. Andere setzen eine lat. Form voraus, so mussi- pontin (zu Pont-4-Mou8son, vgl. bipontin), zaretin (zu Zara). Auffallend ist deshalb noirmout(r)in. Die Form bezeichnet in einzelnen Fällen nur das Gebiet, so avranchin, bessin (neben bayeusin), cotentin, venaissin, in anderen Gebiet und Bewohner^ so Umouain, maransin, mit Motion bei valteUn (zu la Valteline) ; in einer Reihe von Fällen nur den Bewohner, so angevin, an- goumoisin (vgl. artesien u. a,), comtadin (zu le Comtat), peri- gov/rdin, poitevin. Der Bildung nach fallen auf auverpin, gram- montin (-mont bildet sonst -rrumtois), mezin (zu Müzine). Frünzösische Namen sind in der Gesamtzahl etwa mit Ys vertreten.

Nur Y& französische Namen finden sich unter etwa 60 Ab- leitungen auf -ain, die grösstenteils auf lat. -anus zurückgehen und unter welchen die Stadtnamen auf -poiis (adrinopolitain u. s. w.) ein ansehnliches Kontingent stellen. Die auf -cain, -quain, soweit sie nicht auf lat. Form zurückgeben (af ricain, am4ricain, armoricain, dominicain, mexicain) sind blosse Nebenformen. Die Schreibung -cain ist die neuere, so ist jamm- cain, majorcain, medocain besser als jamatquin, majorquin (ma/jor quain), medoquin; maraeain ist stehende Form, wogegen maroquin nur die Bezeichnung für eine Sorte Leder ist; minor- quin ist bis jetzt ohne Nebenform geblieben.

Das Suffix -an hat ein durchaus fremdartiges Gepräge und ist in eigentlich französischen Wörtern selten (etwa ^^^ ^®" samtbestandes). Dabei haben einzelne noch Nebenformen z.B.

1) Das interessanteste Beispiel ist paunien (Pau), weil Epauuensis etymologisch zu paunois hätte führen müssen.

Personal- und Geniilderivaie im Neufranzösischen, 159

monspesstdan (mit montpeUi^rain), pertuisan (mit pertuisien). Dieses Suffix findet sich vorwiegend in übernommenen Adjektiven zu Flnssnamen (cisleithan, cispadan, rhenan), vereinzelt auch zu Bergnamen (cisjuran), besonders aber zu ital.-span. Orts- namen {andorran, astesan, hreaciany capouan, forlan zu Frioul, padouan, s^viUariy tol4dan n. s. w.), sowie zu französischen Orts- namen, die an ital. oder span. Sprachgebiet streifen {bigo(u)rdan, faucigneran, n4bouzan, pertuisan, valaisaUj und so bressan zu Bresse oder auch zu Brescia). Vereinzelt steht gastinaisan (wohl Nachbildung zu pavesan und ähnlichen, sowie chamboran (wohl eine Bildung, die in die Zeit italienischer Beeinflussung der französischen Kunst fällt). Nach dem bretonischen Sprach- gebiet zu tritt -an wieder häufiger auf, daher groyan.

Gering ist auch die Verwendung von -(^^en, welches das Suffix för Wörter auf 6, ^e, 6es ist (quimperleen, vend^en, py- reneen), manchmal aber auch nach i (y), ai (ay) eintritt: ajac- cien, biscayen, clichieriy alr^en (Auray), annonden.

Das Suffix •'Ois^ -als ist ausschliesslich f^r Derivate von geographischen Namen bestimmt. Der einzige Fall, wo es ein Personalderivat bildet, ist Mansfddois als Name einer nach dem Grafen von Mansfeld benannten Sekte ; die Verwechslung lag hier nahe, weil man Mansfeld nur als Ortsnamen kannte oder nach Analogie ähnlicher Namen dafür hielt. Zu verweisen ist femer auf raymondais (alte Toulouser Münze), auf Minervois (s. oben), welches aber auch nicht direkt von Personennamen gebildet ist, und auf mariannais zu iles Mariannes. Bei den von Heiligen- namen stammenden Ortsnamen bildet man zwar germinois zu Saint-Germain, saint-emilionnais, saint-martnois, saint-gtien- tinois, zieht aber bei anderen die Bildung aus dem Etymon vor wie audomarois zu Saint-Omer, quintinois neben saint-gfAen" tinois, 8t4phanois zu Saint -!^tienne und mit anderem Suffix dionysien zu Saint- Denis.

Auch unter den geographischen Namen treten die antiken, wie früher bemerkt, mit dem Suffix -ois, -ais nur äusserst selten in Verbindung. Das schliesst nicht aus, dass dieses Suffix an das Etymon neuerer Namen tritt: biterrois zu Böziers, mddois zu Meaux, montalbanais zu Montauban, oscarois zu Ouche u. a. Das Suffix tritt an Länder- und Städtenamen, wofür Beispiele unnötig sind. Hingewiesen sei nur darauf, dass es aus leicht ersichtlichen Gründen an den Namen keines der Kontinente tritt. In keinem Falle tritt es an Bergnamen, für welche dieses Suffix sich seiner Natur nach so wenig eignete wie -ien für Gebiets- bezeichnungen (vgl. oben bei libanais,) Auch für Flussnamen ist es nicht geeignet, es sei denn, dass zugleich ein Volk oder

160 Ph, Plattner,

ein Gebiet (z. B. Departement) existiert, welches nach dem Flusse genannt ist. Solche sind ardechois, ariegeois, aveyronnaisj cha- rentais, congolais^), garonnaisj marnais, sequanais, tamais. Wie verhält sich aber die neuere Form -ais zu der älteren -eis? In vielen Fällen stehen beide noch nebeneinander und, wenn auch anzunehmen ist, dass die neuere obsiegen wird, so ist oft der Kampf noch als unentschieden zu bezeichnen. Sehr unent- schieden ist er da, wo die neue Form widerrechtlich sich ein- gedrängt hat, weil nur die Vorbedingung für -ois gegeben war; doch wird sie auch in diesen Fällen wahrscheinlich siegen, weil das GefOhi flir jene Vorbedingung in der Sprache nicht mehr lebendig genug ist. Nebeneinander bestehen z. B. agenois, agenois : agenais, agenais, autunois : autunais, caenois : cdenais, calabrois: calabrais, clermontois : clermontais, dinandois: dina- nai8, embrunois: embrunais, ferrarois: ferrarais, gapengois: gapengais (zu Gap), loudunois: loudunais, mantois: mantaisy mendois: mendais, messinois: messinais, moddnois: modenais^ nantois: nantais, navarrois: navarrais, novarois: novarais, rennois: rennais, rochdois: rochdais, saintongeois : saintangeais, sedanois: sedanais, veronois: v^ronais.

Die ältere Form (-ois) bleibt stets erhalten in den zahl- reichen Ableitungen von -hourg und -berg: augsbourgeois, brande- bourgeois, cherbourgeois, fribourgeois, hambourgeoiSf limbour- geois, luxembov/rgeois, magdeburgeois, mecklembourgeois, nurem- bergeois, oldenbourgeois, phalsbourgeois, petersbourgeois, stras- bourgeoiSj vmrtembergeois u. a.

Überhaupt scheint nach stimmhaftem wie nach stimmlosem Zischlaut -ois die übliche Form: albigeois, ardechoisy ariegeois, arrageois (zu Arras), auchois, binchois (zu Bindre), brugeois, cauchois (zu Gaux), commingeois, firingeois (zu lies F^roe), grdgeois (feu gregeois), loangeois (zu Loango), Maubeugeois, Dagegen saintongeais neben saintongeois und das von Sachs gegebene (nachweisbare?) marchais neben marckois.

Ferner bleibt -ois nach Silben, welche geschlossenes oder offenes e enthalten: aixois, alenois (zu Orleans), ambertois^ amienois, anversois, appenzellois, ardechois, ariegeois, auxerroie, beaucairois, bemois, biterrois (zu B6ziers), blaisais oder blesois (zu Blois), brimois, brestois, bruocdlois, carrerois (zu Carriferes), cettois, clevois, cr^tois, dieppois, dunkerquois, emsois, fertois (zu la Fert6), gAiois, gerohteinois, gexois, giennoia, gr^geoisy

1) VgL oben unter diesem Stichwort. Dass diese Form erst möglich ist, seit es einen Kongo staat gibt, stimmt mit obiger Regel zusammen.

Personal' und GeniüdeiHvate im Neu französischen. 161

grayloisy giiddrois, guyennois, hessois, hihernois, lenois, liegeois, lodevois (zu Lodeve), lubeckois, lucemois, mecquoiSf mddois (zu Meaux), pont-audemerois, quimperois, r^mois, rutMnoiSf sancer- roisy san-remois, siennois, sleswig-holsteinois, suedois, thiernois (zu Thiers), tonnerrois, valenciennoisj vauverdois, viennois, vincen- noiSf viterbois. Dagegen ardennais, cayennais, rennais neben rennois als einzige Ausnahme aus neuerer Zeit und das historische Fem. Viennaise, während sonst viennois das Adjektiv zu Vienne in Südfrankreich und zu Vienne = Wien ist. Das deutet darauf hin, dass oi nach e-^-nn im Schwinden begriffen ist. Ausnahmen, und zwar gewichtige, weil historisch, sind ferner nivemais und rouergais neben rovsrgois.

Nach stummem e finden sich 'beide Formen : champenois, diemenois (zu ile de Diemen), genevois, neuffjchdtelois, reihelois, iourquenois (neben tourquefq^nois zu Tourcoing); diesen stehen gegenüber hagnerais (zu Bagneres), bordelais (zu Bordeaux), ploermelaiSf polletais, posenais (neben posnanien), vannetais (zu Vannes). Nach dieser Regel würden agenois, agenois, agenais ebenso modenois, modenais, sowie rochelois, rochellois, rochelais je unter einander gleichberechtigte Formen sein, unter welchen nur der Gebrauch sich mehr für eine als für eine andere ent- scheidet. Die Formen agenais, modenais, rochellais, welche sich vereinzelt finden, kann man unbedenklich als irrtümliche, der heutigen Regel ohne zureichenden Grund widersprechende be- zeichnen. Über marseillais, in welchem ai durch das geschlifi'ene l bedingt ist, vgl. später.

Auch nach i, u in vorhergehender Silbe bleibt -ois erhalten, albigeois, annigois (zu Annecy), autunois (neben autunais): bellilois (zu Belle-Isle-en-Mer) berlinois, bethunois, briois (neben briard), brugeois, brunswickois, carihaginois, chdteaudunois. chinois, cochinchinois, cortinois (zu Corte), cotentinois, dant- zic(k)oiSj dauphinois, dignois, diois (zu Die), donziois (zu Donzy), dunois (zu Chäteaudun), embrunois (neben embrunais\ fin(n)oiSj fuldois (zu Fulde), germinois (zu Saint-Germain), hesdinois, illinois (zu Illinois), issoudunois oder issoldunois, ivigois, liUois, lippois, loudunois (neben loudunais), lucquois, martiguois, melunois, messinois (neben messinais), molucquois, municoiSf namuroisj nigois, ntmois, pantinois, provinoisj quer- cinois, quintinois (zu Saint- Quentin), saint-marinoiSy saint- quentinois, salinois, santorinois, sarrebruckois , saumurois, schwytzoisj sedunois (zu Sion), sionois (ebenso), slesvicois, tes- sinoisy tonkinoiSf tunisois, valenginois, valentinois, venaissinois, verdunois, vervinois, vexinois, vouzinois (zu Vouziers), zugois, zuricois, Die Ausnahmen sind hier ziemlich zahlreich: avraa

Zschr. f. frz. Spr. u. Litt. XU. 11 *

162 Ph. Piaitner,

chinais, chdteaulinaisy croisicais, gdtinaiSy josselinaisy londinaisy neo-hebridais, portugais, ragusais, turinais, vallouisaisj d. h. -018 ist im Schwinden nach i(u) + ^; wofür auch die Doppel- formen autunois : autunais, embrunois: emhrunaiSy loudunois: loudunais, messinois: messinais sprechen. Schwankend sind ferner die Namen auf -ville; neben abbevülois, bellevillois, ihion- villois stehen granvillaisy trouvillais?) Nach dem aus ey ent- standenen i tritt -ais ein: guernesiais, jersiais, letzteres (da iai Diphthong ist) Ausnahme* zu der Regel, dass -ois, nach offenem e der vorhergehenden Silbe eintritt.

Nur die neuere Form (-ais) findet sich bei den zahlreichen Ableitungen von -land: courlandais, ßnlandais, groenlandaisy hoUandais, irlandais, islancthis, jutlandais, marylandais, neer- landaisj neO'z4landais, oberlandais, seelandais oder zelandais, shetlandaisj wozu sich landais ziehen Jässt. Überhaupt findet sich meist -ais nach nasalem a oder reinem a-^-n m vorhergehender Silbe: albanaisy avranchais, caenais (und caenois)^ catanaisy charentais, coutangais, dinanais^) draguignanaisy ecouenais, frangaiSy gapenqais (und gapengois zu Gap), guerandais, guyanaisj havanais, javanais, juanaisy laonnais, (und laonnois), lavedanais, lorentais^ mansais (und mansois, für beide meist manceau), mantais (und mantois), mayengais, mendais (und mendois), müanais, mirandais, montalbanais, morbihanaisy morvandais, nantais (und nantois), nogentais, oranais, orleanais, perpignanais, poblanais (zu Puebla), roannais, rouennais, roya- nais, sedanais (und sedanois), sequanais, soudanais, trentais, uranais (zu üri), valengais, ebenso cubanais, libanais, wenn sie sich nachweisen lassen. Entgegenstehen: danois, dinantois, gantois, guingampois, lausannois, lovanois (zu Louvain), osten- dois; dass vermandois und m^lantois bei der älteren Form bleiben, erklärt sich daraus, dass es lediglich Gebietsbezeich- nungen sind.

Das regelmässige Suffix ist ferner -ais bei den auf -on,

1) Es kann auffallen, dass bei diesen Namen kein konstanter Gebrauch herrscht; die Verwirrung wird noch gesteigert durch das litterarisch nicht nachweisbare, jedoch lokal übliche luneviUain. Wenn diese Bildung schon bedenklich ist, so könnte ein Bewohner von Gran- ville, Trouville gegen die Bezeichnung granvillain, trouvillain noch ge- rechteren Einspruch erheben. Von rein etymologischem Gesichtspunkt aus wären diese Formen allerdings berechtigt.

2) Für die Orthographie dieser vielfach unrichtig mit nn ge- schriebenen Wörter sei bemerkt, dass nach Analogie von castiüun, persan, casiülane, persane (alt -anne) nur ein n zu setzen ist. Roannais (zu Roanne) wird durch diese Regel nicht berührt, roicennais ist durch rouennerie u. a. gerechtfertigt.

PersoncU- und Gentüderivate im Neu französischen. 163

-0718, -one, 'Onne, -ona ausgehenden Namen: alengonnais^), altonais , aragonais , auxonnais, aveyronnais, avallonnais, avignonnais, barcelonais, bayonnais, hönais, briangonnais, can- tonnaiSf carcassonnais, chdlonnais, chdtillonnaisy clissonnais, craonnais^), cr4monaiSf dijonnaisy donjonnais, gabonais, garon- naiSf japonaiSf lannionnais, leonnais, londonnais, lugonnais, lyonnaisj mdconnais, mentonais, miquelonnais, montbrisonnais, narbonnais, nontronnais, noyonnais, quiberonnais, roussillon- nais, saigonnaisy saint-emilionnaiSf soissonnaisj tarasconnais, tarraconais und tarragonais, tortonais, toulonnais, vSronais (neben veronnais; veronois kann als aufgegeben gelten), vier- zonnais. Dazu kann man rechnen glaronnais (zu Glaris, Glarus) und senonais (zu Sens), ferner olonnais (zu les Sables d'Olonne), wenn es nachweisbar ist. Der Regel entzieht sich nur losnois (zu Saint- Jean -de Losne), welches losnais bilden könnte nach Analogie von bdnais; ferner Hanois zu L6on in Spanien.

Gleichfalls - ais haben die Namen, welche o -f~ Ä zeigen : bolonais (Bologne), boulonfnjais (alt boulenois zu Boulogne), colonais (Cologne), polonais (Pologne). Als veraltet kann man ansehen das entgegenstehende solonois (Sologne).

Nur -ais findet sich nach geschliflFenem h cornouaillais, marseillais, montreuillais, versaillais. Das vereinzelt stehende verceillois gehört kaum der neueren Sprache an.

Wie früher -anais, '0n(n)ais, so scheinen auch -alaisy 'olais lautlich bedingte Verbindungen: bagnolais (zu Bagnols), bengalaiSf brignolais (zu Brignoles), charoUais, cyngalaiSj con- golaisj guatemalaiSy lamballaiSj martegallaisy ossalais (zu Ossau), pignerollaisj reolais, senegalais. Diesen stehen gegenüber bdloiSf gallois (zu pays de Galles), saint-gallois (zu Saint-Gall), landa- vallois (zu Lanvaux), lavaUois, wozu man auch gaulois ziehen kann.

Im übrigen Hessen sich noch weitere Gesichtspunkte auf- stellen, da aber die Zahl der zugehörigen Beispiele eine be- schränkte ist, so begnüge ich mich die übrig bleibenden Wörter aufzuzählen.

Mit -ois: angoumois, artois, aspois, auxois, aurillaquois,

1) In diesen Wörtern steht nn nach Analogie von bon, honne^ hourguignon, hourguignonne (alt -one). Aasgenommen sind nicbtfranz. Namen, besonders ital.-span. Herkunft, sowie natürlich diejenigen, welche n im Derivat für n des Stammworts haben. In hönais hinderte der Zirkumflex die Gemination.

2) Nach der Aussprache des Namens Craon wie kra-S. Da manche (wie in Laon) o verstummen lassen, Hesse sich auch craonnois ^wie

laonnois neben laonnais entschuldigen.

11*

164 Ph. fhitner,

badois, bantamois, barroia, bavarois, bazadois (neben -ais), beaunois, brivadois, clermontois (neben - ais), comtois (nebst franc-comtois), condomois, congois, darmstadtois (in der Bed. Strassenkehrer) , dolois, döloisj eudois und eusioisj ferraroia (neben -ais), francfortoisy grenoblois, hongrois, hurepois (zu Hurepqix), iroquoiSf langrois, lectourois, livradois, montbardois, montoisy oscarois (zu Ouche), pragois, privadois (zu Privas), quiUebois (zu Quillebeuf), revermontois, riomois, rochois, sar- thois, saulnoiSf siamois, touloiSy toumois (zu Tours), tregorrois, vaudois, vendömois.

Mit -ais: anglais, basquais, beamais, bigorrais, blayaisy calabrais, camarguais, castraisj domingais (zu Saint-Domingue), drouais (zu Dreux), ecossais, ßumorbais, fontenais (zu Fontenay), havraisj honfleurais, houatais, laurag(u)ai8j livoumais, lour- dais, maltaisy maraquais (zu Marais), marnaiSf moisaaccais und moissaquaiSf navarrais (neben -ois), neracais und neraquais (zu N6rac), new-yorkais, nicaraguais, niortaiSf nivilaccaU, novarais (neben -ois), piemontaisy portugais, rochefortais, aablais, sarladais' (zu Sarlat), tararais, tarbais, tamais, vitreais (?), vivarais, yvetotais.

Unter den übrigen Suffixen für geographische Namen ist ziemlich häufig -on. Es tritt unter Vermittelung von r an Namen auf stummes e: augeron (zu Auge), beauceron (zu Beauce), percheron (zu Perche), wozu sich in vigneron, tdcheron^) Bei- spiele finden, die sich aus den Dialekten noch vermehren Hessen; so erinnere ich mich, dass gagneron mundartlich für Tagelöhner gebraucht wird. Über berrichon, bourbonnichon, nivemichon, vgl. bei nivemais. Alle diese Wörter werden mehr oder weniger gemieden ; percheron z. B. wird hauptsächlich von einem Schlag Pferde gebraucht, ohne dass jedoch die Verwendung in allge- meinerer Weise ganz ausgeschlossen wäre. So heisst ein dortiges Journal Le Bonhomme Percheron (Paix, 27 avrii 1888).

Vereinzelt steht nuiton (zu Nuits); da Nuits auch die ältere Form für deutsches Neuss ist, müsste auch ein Neusser un Nuiton heissen können. Über dunoison, seine- et -oison vgl. diese Wörter.

Das Suffix -eau mit dem Fem. -eile steht in manceau (manseau), morvandeau, sologneau, tourangeau. Das Suf&x -al ist erhalten in meridional (zu Midi), provengal, sowie in occidentalf orientaL Delphinal ist Adj. sowohl zu dem Personen- namen (dauphin), wie zu dem Ländernamen (Dauphine). Von

1) Litträ leitet iächeron direkt von iäche her, will aber für vigneron ein Verb vigner als vermittelndes Glied einschieben.

Piersonal' und Geniilderivaie im Neufranzösischen. 165

PersonenBamen kommt ausserdem cereal, martial, minerval u. a., nach Littr6 auch jovial.

Das Suffix -ard begegnet in briard, leonard, nigard, savoyardj wird aber auch mit wenig Vorliebe verwendet, was sich aus seiner sonstigen depreziativen Bedeutung erklärt (cor- nard, pillard, pleurard u. a.).

Unter den übrigbleibenden sind zu erwähnen berruyer, hainuyer mit seinen Nebenformen, ferner cerdanyol, cevenol, romagnol, alle nur für die Bewohner verwendbar. Endlich be- darrez, carcassez, carladez, forez, rasez, royannez, sowie beau- vaisisy calaisiSf cambresisj parisisj tournaisis, alle nur für das Gebiet zu verwenden. Parisis fand sich in früherer Zeit auch zur Bezeichnung eines Geldwertes, wobei zugleich SLuf marseillez im gleichen Gebrauch und auf das von Personennamen abge- leitete raymondis (un raymondis, un sol raymondis. C.) mit den Nebenformen raymondais, raymondin zu verweisen ist. Zusammenfassend lässt sich bemerken:

1) Gelehrten Ursprungs oder nur der Büchersprache angehörig sind die Suffixe -ique, -iaque, -esque, -asque, -ite, -ote, -ate, -iste. Eine Mittelstellung nimmt -ien mit seinen Nebenformen ein; es ist ursprünglich auch gelehrten Ur- sprungs und ist es bei Personalderivaten geblieben, wo- gegen es bei Gentilderivaten volkstümlich geworden ist und mit -ois, -ais in Neubildungen konkurriert.

2) Volkstümlich sind die Suffixe -ot, -at, -ois und -ais, -eau, -(uy)er, -ard, -ol, -ez, -is, -(erjon,

3) Nur für Personalderivate verwendbar sind -esque, -ite, -iste, obwohl sich (teilweise übernommene) Ausnahmen finden. Das Suffix -esque bedeutet eine Art oder Manier und ist öfter herabsetzend; -ite ist auf religiöse Parteien (Sekten, Orden u. dgl.) zu beschränken, -iste dagegen auf politische oder wissenschaftliche Parteien (Schulen).

4) Nur für Gentilderivate verwendbar sind -iaque, -ote, -ot, -ate, -at, -ois und -ais, -asque, -eau, .-(uy)er, -ard, -ol, -ez, -iz, -(er)on, Ausnahmen (teilweise übernommene) finden sich nur in geringer Zahl bei -iaque und -ois (ais). Nur für die Bewohner oder das den Bewohnern Zugehörige sind verwendbar -iaque, -ote, -ot, -ate, -eau, -(uy)er, -ard, -ol, -(er)ony) Nur auf das Gebiet bezüglich sind -ez, -is. Für beides verwendbar sind -at, -ois und -ais.

5) Sowohl für Personal- wie für Gentilderivate brauchbar sind -ique, -ien.

*) Sowie 'ien.

166 Ph. Plaitnet% Personal- und Geniiiderivaie im Neufranzösischen,

6) Adjektivisch sind in der Regel -ique, -iaqu^, -esque. Sub- stantiviert können sie nur bei Gentilderivaten werden. Lediglich substantivisch sind -ez, -is, weil sie nur Gebiets- namen bildeui

7) Die hauptsächlichen Suffixe für Gentilderivate sind -i&n einerseits, -ois oder -ais anderseits. Das Suffix -len steht nie bei Gebietsnamen; -ois (-ais) findet nie bei Bergnamen und nur unter gewissen Voraussetzungen bei Flussnamen Verwendung, ausserdem tritt es nur vereinzelt an Namen der antiken Geographie. Bei der Frage, ob im einzelnen Falle -ieffi oder -ois (-ais) zu verwenden ist und ob bei letzterem die ältere Form (-ois) oder die neuere (-ais) zu wählen ist, kommt der unmittelbar vor dem Suffix stehende Konsonant oder der diesem vorausgehende Vokal, vielfach aber auch beides in Betracht.

Ph. Plattner,

168 TF, KnöHcK

die Leitung der geistigen Entwickelung zu übernehmen. Für diese hörte dann die Beschäftigung mit Sprache, Litteratur und Wissenschaft auf, ein Mittel für die geistige und sittliche Hebung des Volkes zu sein, wurde vielmehr zum Selbstzweck: sie wid- meten sich schöngeistiger, litterarischer, sprachlicher Bethätigung nur um sich einen Schein von Bildung und Vornehmheit zu geben und ihre innere Rohheit zu verdecken. In ihrer völligen Verkennung der Ziele, welche erreicht werden sollten, und aus Ohnmacht an der Erreichung derselben mitzuarbeiten, mussten diese Kreise der Gesellschaft das Preziösentum schliesslich über- treiben und ins Gegenteil verzerren: sie wären für die nationale Bildung zu einer Gefahr geworden, wenn nicht Spott und Satire dem gesunden Sinne wieder zum Siege verhelfen hätten. Der Beginn der Nachäffung und Übertreibung wird gewöhnlich in die Zeit gesetzt, wo Madeleine de Scud^ry die Clelie schrieb und der staunenden Welt die Entdeckung des Royaume de Tendre verkündete, aber in der That ertönen die Klagen über das Un- wesen schon viel früher, und diese wollte ich, so weit sie mir bekannt geworden, in Kürze zusammenstellen.

Es ist nicht richtig anzunehmen, dass die Gesellschaft, welche die Marquise de Rambouillet um sich versammelte, der einzige im ersten Viertel des XVII. Jahrhunderts bestehende der- artige Zirkel war, aber er ward bald hervorragend und über- strahlte seit 1620 alle andern bei weitem; und schon in den dreissiger Jahren erheben sich Stimmen gegen Ziererei und Schöngeisterei.

Im Jahre 1635 (nach den Anecdotes dramatiques 1636) brachte Pierre du Ryer seine Komödie Les Vendanges de Suresnes auf die Bühne. Die Fabel ist einfach und unbedeutend, aber (pour parier ä la mode Scarron I, 248) die naiv-realistische Schilderung der herrschenden Sitten ist recht anziehend und hat auch wohl Dancourt bewogen noch 1695 einen Einakter mit Gesangseinlagen daraus zu machen. Die Komödie zeigt an mehreren Stellen, dass d'ürfö's Astree schon stark ins Volks- leben eingedrungen war, und sie tadelt es, dass in der Unter- haltung, in der Liebeswerbung, in dem Verkehr der beiden Ge- schlechter Versemachen und Schöngeisterei eine Rolle spielten. Tirsis liebt die Dorim^ne (auch die Namen sind bezeichnend!) ohne Gegenliebe; dessen Freund Polidor ist glücklicher, entdeckt dies aber erst im weiteren Verlauf. Zu Anfang (I, 1) klagt Tirsis einem anderen Freunde Philemon die Grausamkeit der Geliebten und dieser antwortet:

Escoute neantmoins des legons fort gentilles Afin de parvenir ä Vamiiie des fiUes.

170 TF. Knßrich,

Darauf verliest Polidor ein Liebesgedicht, welches mit Pointen geziert ist und schon an die spätere galante Dichtung erinnert. An die Vorlesung knüpft sich eine Auseinandersetzung über die Beurteilung von Komödien.

11 est de ces censeurs dont les langues hardies Soni souvent le seul mal qu'on trouve aux comedies.

Lun faisoii de Phäbile (et pour moy je nCen moqiie),

Vaulre disoit tout haut: cetie rime me choque,

Le moi rCesi pas franqoiSy et nCestonne comment

On luy vient de donner laut d'applaudissement,

Ainsi parlent ces gens dont Vesprit populaire

Ne sgattroit rien sonffrir comrne ü ne peut rien faire,

Herr von Saint -Amant, ein Gast des Hotel de Bambouillet, aber ein noch eifrigerer Besucher des cabaret, von Saumaize für die Preziösen unter dem Namen Salpurnius in Anspruch ge- nommen, eines der ersten Mitglieder der Akademie, schildert in seinem Poete crotte, der 1637 (vielleicht schon 1631) zum ersten- male gedruckt ist, eine preziöse rudle auf boshafte Weise:

Quel plaisir d!estre en vne chaise Chez vous' bien assis ä son aise, Dans vne ruelle de lit, Madame s'ensevelit, Loin du iour, de peur qu'on ne voye, Que son muffle est vne monnoye, Qui n'est plus de mise en ce temps, Et qu*elle a bien neuf fois sept ans. La Cvn lit, Vantre censtire, Donnant ä tout double tonsure, Lvn ne refrogne et ne dit mot, Lautre nigauae, et faii le Sot; Dvn raconte quelque nouuelle, Qui mei tout le monde en cerneUe, IJautre pette en esternuant. Et rautre vesse en bouc puant.

Jedenfalls meint der Dichter eine bestimmte radle, aber welche dies sein könnte, wird man wohl nie mehr entdecken.^) Im Jahre 1637 brachte auch Desmarets ein Satire, die auf Rat und mit Beihilfe Richelieu's verfasste Komödie Les Visiorinaires, auf die Bühne. Darin werden die schöngeistigen Liebhabereien und Überspanntheiten der Vornehmen auf ergötzliche Weise dar- gestellt, ja man will in einzelnen Figuren sogar bestimmte Per- sönlichkeiten erkannt haben. So wird die Schule Ronsard's ver- spottet in der Person des sich ronsardischer Ausdrucksweise befleissigenden Amidor, poete eoctravagant Mit der Melisse,

1) Tallemant des R^aux' Behauptung, M^*® de Gournay sei ge- meint, ist weder erwiesen noch wahrscheinlich, vgl. Hisioriettes II, 347 (^d. P. Paris).

172 W. Knörich,

Et se rafratchir et boire.

Arrivant au dovble Coupeau,

11 trouva le docte Troupeau,

Les neuf savantes DamoiseUes,

Assises dessus des bancelles,

Qui faisoient la dissection,

Avecque grande attention.

De Rondeaux, de Sonnets, de Stances,

Sur des chagrins, sur des ahsences.

Et sur des pkdsirs accordes.

Trois des plus habiles d^entr *elles,

Mais je n'ai pu savoi?' lesquelles,

Avpient fait ces beaux carmes-lä,

A Mercitre on les e'tala,

El le pria-t-on de les lire;

II vCy trouva rien ä redire,

Si ce n'est en quelques endroiis

Des mots qui n*etoient pas Frangois. etc.

Zweifellos will der Dichter mit dieser Schilderung der Mnsen die dem bd esprit huldigenden Damen treffen; welche er unter den drei geschicktesten meint, vermag ich nicht zu sagen. Femer in dem jedenfalls im Frühjahr 1652 geschriehenen Briefe an Sarazin sagt er: Mais man chien de destin rn'emm^ne ddns un mois av/x Indes Occidentales; on plutöt fy suis pousse par une Sorte de gens fdcheux, qui se sont depuis peu eleves dans Paris, et qui se fönt appeler Pousseurs de beaux sen- timens. QuantitS de personnes de bon-sens entreprendroient de les pousser; mais on leur a dit que les plus pointus d'entr^eux se vantent d^etre approuves d'une grande Princesse, dont Vesprit egale la qualite, et quHls sont assez vains pour s^autoriser de son nom ä chaque beau sentiment quHls poussent; ce qui em- peche Sans doute qu^il ne se forme un parti contre eux.

Mit der grande princesse ist wohl die Montpensier gemeint, doch könnte wohl auch an die Duchesse de Longueville, geb. Prinzessin von Bourbon-Cond6, gedacht werden. Auch nach seiner Verheiratung mit FrauQoise d'Aubignö Hess er sich dadurch nicht vom Kampfe gegen das Unwesen abhalten, dass seine Frau stark in preziösem Fahrwasser segelte. In der Widmungsepistel zum Ecolier de Salamanqae (aufgeführt 1654, gedruckt 1655) klagt er: On a hat ma Comedie avant de la connoitre. De belles Dames qui sont en possession de faire la destinee des paiwres hu- mains, ont voulu rendre malheureuse celle de ma pauvre Co- midie, Elles ont tenu rueUe pour V4touffer des sa naissance, Quelgues-unes des plus partiales ont porte contre dies des Fac- tums par les maisons . . . , et Pont compar4e d'une grace sans seconde ä de la moutarde melee avec de la crhne etc.

Femer enthält der Brief an Marigny (8. Mai 1659) eine

Zur Kritik des Preziöseniums, 173

bezeichnende Stelle. Scarron hatte die Absicht seinen Roman comique fortzusetzen und äussert sich darüber: II faut que je vous dise de quelle mani4re commence le [nouveau] volume de mon Roman Comique.

„II rCy avoit point encore eu de Pr^ciefoaea dans le monde, et ces Jansdniates d^Amour^) n/avoient point encore commenci ä mepriaer le genre-humain. On n^ avoit point encore oul parier du Trait des traits^ du demier Dovm, et du premier Desobligeantf quand le petit Ragotin, etc.^

Ah, ma chere! ä quoi avez-vous pass^ le jouri AK ma chSre! Bastonneau, tout pwr. (Test un terme de Pr^cieuse, pour dire acheter des etoffes.

Endlich in der epitre chagrine an den Mar^chal d' Albret (vom Jahre 1659) zählt Scarron alles auf^ was ihm unangenehm ist, und sagt:

0 qu'il en est de Genres, et de Sectes, ße ces Fächeux, pires que des insectes! 0 qu'il en est dans les murs de Paris, Sans excepter Messieurs les Beaux- Esprits, MSme de ceux qui de VAcademie

Forment Ui heüe et docte Compagnie,

Mais revenons aux Fächettx et Fächeuses, Au rang de qui je mets les Preciettses, Fausses s'entend, et de qui tout le hon Est seulemant U7i langage ou Jargon, ün parier gras, plusieurs sottes mani^res. Et qui ne sont enfin que faconnieres, Ei ne sont pas Precieuses de prix, Comme ü en est deux ou trois dans Paris, Que fon respecte autant que des Princesses; Mais eUes fönt quantite de Singesses, Et Von peut dire avecque vdrite' Que leur modele en a beaucoup gäte.

Beachtenswert ist, dass der Dichter hier, wie Moli6re im nächsten Jahre, einen Unterschied macht zwischen den fausses precieuses und precieuses de prix, und dass er nur zwei bis drei zu der letzteren Art zählt, ähnlich wie er im Typhon von den Musen drei als les plus habiles bezeichnete.

Um die Aufzählung der Stellen aus Scarron nicht zu nnter-

1) Paul Morillot in seiner trefflichen Monographie Scarron et le genre burlesque (Paris, Lec^ne & Oudin) will aus dieser Stelle folgern, dass nicht ^inon de Lenclos, sondern Scarron der Urheber dieses viel zitierten Ausdrucks sei. £r hat darin Unrecht, denn derselbe stammt aus dem Jahre 1656, wo Christine von Schweden zum erstenmale in Paris war, und Saint-^yremont gebraucht ihn schon in der prosaischen Nachschrift zu seinem 1656 verfassten Cercle: on dit un jour ä la reine de Suede, que les precieuses etaient des jansMstes de ratnow.

174 W. Enörich,

brechen, ist der 1656 verfasste Gerde von Saint-Evremont^) bis zuletzt gelassen. Das Gedicht ist zu lang, um es hier ganz mitzuteilen. In der rttelle findet der Dichter jedes Alter, jedes Geschlecht, Stadt- und Hofleute, die Hässliche und die Schöne u. s. w., welche zusammengekommen sind, prendre seance en Vecole dCamour, Dann beschreibt er die prade, orgueiUeuse, jeune coquette, intrigueuse, die prdcieuse occupee aux legons de morale amoureuse, aber auch die solide, opposee ä tous les vains dehors. Nachdem der Dichter dann noch allerlei Ergötz- liches über die Beschäftigung der Damen berichtet hat, fügt er in Prosa hinzu: Apres la lecture de mes vers, vous me deman- derez avec raison ce que c'est qv!une prdcieuse, et je vais tdcher, autant qa!il rn'est possible, de vous Vexpliquer, On dit un jour ä la reine de SuMe, que les precieuses etaient les jansenistes de Vamour; et la definition ne lui dSplut pas, Uamour est encore un Dieu pour les precieuses, 11 n^excite pas de passion dans leurs dmes; il y forme une espece de religion. Mais ä parier moins mysterieusement, le corps des precieuses n^est autre chose que Vunion d^un petit nombre de personnes, quelques-unes veritablement delicates, ont jete les autres dans une affectation de d4licatesse ridicule etc.

Die Aufzählung von Stimmen, die sich gegen das Preziösen- tum erhoben, ist in zweifacher Beziehung lehrreich. Erstens erkennen wir daraus, dass die hauptsächlich durch die Marquise de Rambouillet und ihren Kreis gepflegten Bestrebungen ver- hältnismässig früh thörichte Nachäfferinnen fanden, dass die veri- tables precieuses fast immer dem ausgesetzt gewesen sind, ä etre copiees par de mauvais singes qui meritent d'etre bem4s (Moliöre).

Ferner ist zu beachten, dass in allen diesen mitgeteilten Stellen das Wort precieuse in der spezifischen Bedeutung zuerst 1656 bei Saint-!^vremont sich findet und dann in den Stellen aus Scarron vom Jahre 1659. Der Zeitpunkt, an welchem prdcieuse als Bezeichnung einer schöngeistigen Dame aufkam, ist bisher noch nicht bestimmt worde:a und wird sich auch nur unter Be- nutzung einer grossen Menge sicher datierter Korrespondenzen, Gedichte etc. jener Zeit bestimmen lassen. Doch sei folgendes darüber bemerkt:

In den vier Büchern von Briefen Balzac's an Conrart (vom 2. Januar 1648 bis 19. Dezember 1653),^) sowie in dessen

1) Abgedruckt in den (Euvres choisies d^ Saint-Evremont 6d. Les- cure (Paris, Jouaust) und auch in der unter gleichem Titel erschienenen Auswahl von Gidel (Paris, Garnier fräres).

2) Wenn man nicht etwa folgende dafür halten will Conrart, livre II, lettre XXVIII, 24. Dez. 1661): Voüa, en verite, (Testrafiges effeis

176 fF, Kn&rich, Zur Kritik des Preziösentums,

rentres ä Paris et ä la Cour, (Test alors que Vahhe de Pure commenga ä ecrire son fameux roman qui put etre iraprimd et paraitre en 1656.

Versuchen wir diese beiden Ansichten in Einklang zu bringen! Wir nehmen mit Rath6ry an, dass die Benennung PrScieuse schon 1652 vorhanden war, zumal La Pure's Worte aux Premiers heaux jours que la paix etc, auch auf 1652 ge- deutet werden können. Allmählich wird nun diese Benennung immer mehr in Gebrauch gekommen sein, bis La Pure dieselbe bei seiner Übersiedelung nach Paris kennen lernte und in den Jahren 1655/56 ff. in seinen bekannten Werken gebrauchte. Im Jahre 1656 (vielleicht schon im Winter 1655 56) nahm das Pre- ziösentum nach Somaize (6d. Livet I, 187) einen ungeheuren Aufschwung und dehnte sich weithin aus. Sollte dies nicht der Zeitpunkt sein, wo man anfing Pr4cieuse in nachteiligem, tadelndem Sinne zu gebrauchen! Dazu würde es stimmen, dass Königin Christine 1656 sich die neue Anwendung des Wortes erklären lässt; dass Saint -^vremont es für nötig hält, eine Definition des Wortes zu geben; dass die Preziösen La Pure's Komödie für eine Satire hielten (also argwöhnisch waren); und dass La Pure (nach Somaize, I, 188) die Geister dadurch beruhigte, dass er erklärte, er habe nur die fausses precieuses angreifen wollen.

Derselbe La Pure lässt in seinem Roman (zitiert von Livet, Dict des Prec. II, 338) G6name (= Manage) sagen : la Pretieuse fut introduite ä peu pr^s en vogue la mesme annee qu^on eüt d4clar4 permis de prendre la macreu se pour poisson et en manger tout le caresme. Wann geschah das aber?

W. Knörich.

Therese Levasseur.

Rousseau-Studien II.i)

bo verschieden wie noch heute die urteile über Jean- Jacques Rousseau selbst lauten, ist auch die Zwiespältigkeit in der Beurteilung seiner Geliebten und späteren Gattin Th6r6se Levasseur auffallend genug. Aber der Versuch einer Apologie des hart angegriffenen Weibes stösst auf ganz andere Schwierig- keiten, als die Verteidigung des Genfer Philosophen gegen seine Ankläger und Anklägerinnen. Hier können wir Rousseau's Con- fessions und seine Briefe den von Grimm redigierten Memoiren der Marquise von Epinay, den Anklageschriften Hume's, Voltaire's, Diderot's und d'Alembert's, dem Klatsche der Correspondance litteraire, Bachaumont's , Dussaulx', Rulhi^re's u. a. gegenüber- stellen, auch wenn wir nicht auf die Apologeten, die nach seinem Tode sich mutig hervorwagten, auf M°^® Latour - Franqueville, Barere, M™® de Stael, du Peyrou, Eymar und andere Zeitgenossen uns berufen wollen. Schwieriger liegt die Sache bei seiner Gattin. Rousseau sucht zwar ihre Fehler und Schwächen in den Confessions zu entschuldigen und sie ebenso wie seine erste Geliebte, M°^® de Warens, in eine ideal angehauchte Sphäre zu versetzen, doch ist in beiden Charakterbildern so viel derber und unzarter Realismus erhalten geblieben, dass man dem Philosophen später den Vorwurf der Undankbarkeit gegen die Warens, der Rücksichtslosigkeit gegen Therese machen konnte. Die Briefe Rousseau's an Therese deuten nicht immer auf ein ungestörtes Verhältnis beider hin, namentlich lässt der vom 12. August 1769 ein Misstrauen gegen die Lebensgefährtin durchblicken, das bei dem umdttsterten Gemütszustände Rousseati's begreiflich genug ist. Dass nicht wahre Liebe ihn an sie fesselte, sondern nur das Gefühl eines mehr physischen als psychischen Bedürfnisses, deutet er

1) S. hier, Bd. IXi, S. 215—255.

Zschr. f. frz. Spr. u. Litt. XI^. 2^2

178 R. Mahrenholiz,

in den Confessions zur Geniige an, und wahre Achtung spricht ebensowenig aus der dort von ihr gegebenen Charakteristik. Die Briefe, welche hochstehende Gönner und Gönnerinnen an Rousseau richteten, gedenken zwar seiner Geliebten in wohlwollender, nobler Weise, aber die Rücksicht, welche sie gegen den reizbaren Mann zu nehmen hatten, musste sich auch auf die angebliche „Gouvernante" tibertragen. Dagegen sind alle Feinde Rousseau's auch Theresens gehässige Kritiker und die Freunde des Philo- sophen suchen ebenso meist das, was Rousseau gegen eine Epinay, Hume u. a. verschuldete, auf ihre Aufhetzerei zu schieben. Musset-Pathay, der noch direkte Mitteilungen von Zeitgenossen und Bekannten Theresens empfangen konnte, hat sie zum bösen Dämon des von ihm mit ebenso grosser Aufrichtigkeit wie mass- voller Einschränkung verteidigten Rousseau gemacht und ist zum Nachbeter all des Klatsches geworden, der seit Grimmas Correspon- dance ihr Andenken besudelte. Nur Morin, dessen Essai snr la vie et le caract^re de J,'J, Rousseau (Paris, 1851) nun einmal den verklärenden Märtyrer- und Heiligenschein, der in seinem Bilde Rousseau^s Haupt umschwebt, auf alle überträgt, die dem Philosophen treu bis zuletzt zur Seite standen, hat auch eine Rettung Theresens unternommen, der das Dichterwort „die Botschaft hör' ich wohl, allein es fehlt der Glaube" sich anpassen würde.

Bei solchem Stand der Dinge ist eine Apologie Theresens ebenso unberechtigt wie aussichtslos und wir würden sie auch dann nicht unternehmen, wenn sie mehr Bürgschaft des Erfolges in sich trüge. Getreu der Lehre des Altmeisters L. v. Ranke, dass der Historiker aus dem System der Anklage und Verteidigung zu dem der historischen Anschauung übergehen müsse, dass er nur sagen solle, wie die Dinge gewesen, wollen wir das ge- schichtliche Bild Theresens auf Grund des widersprechenden, aber doch zu einer Einheit unschwer zu gestaltenden Quellen- materials dem Zerrbilde ihrer Gegner und dem Lichtbilde ihres Advokaten Morin gegenüberstellen.

Die Jugend Theresens war völlig geeignet, die schlechten Eigenschaften, die ihr angeboren oder anerzogen sein mochten, zu entwickeln, die guten Oharakterzüge, die auch späterhin nicht ganz erloschen sind, thunlichst zu unterdrücken. Not und Sorge, der Einfluss einer eigennützigen, bösartigen Mutter und einer niedrig denkenden Verwandtschaft, das peinliche Verhältnis zu Rousseau und dessen vornehmen Beschützern und Beschützerinnen, das Bewusstsein gemeinsamen Verbrechens an den dem Findel- hause übergebenen Kindern, haben ihre gewöhnliche Lebens- auffassung und Bildung nie der Rousaeau's annähern oder ihren

Tkerbse Levasseur. 179

Charakter vor den Fehlern des kleinlichen Neides, des gehässigen Klatsches und böswilliger Verleumdungssucht bewähren können. 1721 zu Orleans geboren und ursprünglich einer achtbaren Beamtenfamilie angehörend, wurde sie durch das unverschuldete Missgeschick ihres Vaters, der seinen Posten als Mtinzbeamter einbttsste, in die Bahnen eines zweifelhaften Lebensganges ge- rissen und von ihrer berechnenden Mutter zur Leichtfertigkeit angeleitet. Als sie (1745) den im Pariser Winkelpensionate St.-Quentin wohnenden Rousseau kennen lernte, war sie schon ein verdorbenes Mädchen. Die Stellung, welche sie dort einnahm, war keine unehrenhafte, sie war mehr Hausgenossin als Dienerin, ass mit den Pensionären am Tische. Nach Rousseau's Angabe war sie dort pour travailler en linge angestellt, d. h. sie war als Näherin in dem Pensionate beschäftigt gegen Entgelt freier Pension. Wunderbar, wie für manche deutsche Biographen Rousseau' s jenes travailler en linge zum schweren Stein des Anstosses geworden ist. BrockerhofF, der uns mit einer fleissigen, dreibändigen Lebensschilderung Rousseau's beschenkt hat, macht Therese zur „Vorsteherin eines Leinwanddepot", dass doch in dem kleinen Pensionate recht tiberflüssig gewesen wäre; Hettner, dessen Darstellung Rousseau' s in seiner Gesch. der Litter atur des XVIIL Jahrhunderts sehr einer Neubearbeitung bedürfte, zu einem „Schenkmädchen" aus Orl6ans. Ob hier Hettner einer 1825 in der Biographie universelle erschienenen Notiz des Herrn von Sevelinges arglos folgte, oder aus welchen anderen abgeleiteten Kanälen diese Kunde zu ihm gedrungen ist, vermag ich nicht zu ermitteln. Rousseau war damals noch von den schmerzlichen Eindrücken, die ihm sein Frohndienst in Venedig als Sekretär des brutalen Montaigu bereitet hatte, erfüllt, zu denen das Missbehagen über die Pariser Gesellschaft kam, er suchte einen Ersatz für die Warens und eine Art Häuslichkeit, welche dem, der die Freuden der Halbwelt aus innerer Abneigung und zwingendem Geldmangel verschmähte, besonders notwendig war. So schloss er mit ihr eine wilde Ehe und liess sich durch die offenen Geständnisse, welche sie ihm in der Brautnacht machte, nicht warnen. Die ersten Jahre hat er gleichwohl sein GarQonleben fortgesetzt, dabei der habgierigen Bedürftigkeit der alten Levasseur und ihres Pariser Anhanges einen Teil der väter- lichen Erbschaft geopfert und, selbst in Geldnot, das Wenige, was er besass oder durch seine Dienstleistungen bei M°*® Dupin und M. Francueil, sowie durch Notenkopieren gewann, mit ihr und ihrer Familie geteilt. Erst im Jahre 1768 gab er ihr den Namen einer Gattin, ohne dass er eine kirchliche Trauung, die bei den strengen Gesetzen über die Ehe eines Protestanten

12*

180 Ä. Mahrenholtz,

grosse Bedenken hatte, vollzog. Im Beisein von zwei Zeugen, ohne bürgerliche oder kirchliche Formen, unter dem falschen Namen Renou, der ihm durch die Besorgnis seines Gönners Conti aufgenötigt war, fand dieser Bund statt, der seinem edlen Bestreben, Theresens Zukunft in materieller und sozialer Hinsicht sicher zu stellen, eine Art Weihe geben sollte (s. die Quellen- angaben bei Musset-Pathay, Hist. de la vie et des ouvrages de J,'J, Rousseau I, S. 169—170).

Über Theresens niedrigen Bildungsstand haben wir in Rousseau's Confessions eine eingehende Schilderung, die aber in Anbetracht des damaligen Volksschulunterrichtes nicht besonders Erstaunliches bietet. Danach habe sie mit der Münzkunde und Zeitrechnung auf sehr gespanntem Fusse gestanden, weder die Ziffern an der Uhr noch den Wert der Geldsorten begriffen, die Monatsnamen nie sich eingeprägt und durch ihre Sucht, gewählt zu sprechen, erheiternde Verwechslungen angerichtet. Doch sei sie im Schreiben nicht ungewandt gewesen und habe mehr prak- tische Lebenserfahrung als er selbst besessen. Diese Mängel ihrer Bildung sind bei einer kleinbürgerlichen Provinzialin da- maliger Zeit, die in einer von der grösstenteils selbst unwissenden Geistlichkeit geleiteten Volksschule ihren Unterricht empfangen hatte, so besonders auffallend nicht, noch heute würden wie sie bei einzelnen ihrer Lands- und Standesgenossinnen in geringerem Masse entdecken können. Das ihr erteilte Lob der Schreib- gewandtheit erleidet allerdings eine starke Einschränkung nach der orthographischen Seite hin, wenn wir den von Streckeisen- Moultou (Rousseau, ses amis et ses ennemis II, S. 450—452) mitgeteilten Brief Theresens an ihren Geliebten in Betracht ziehen. Sie schrieb darnach, in getreuer Umkehrung des Heyse'schen Satzes, wie sie nicht richtig sprach, und Streckeisen-Moultou hat sehr wohl gethan, jenem orthographischen Musterbriefe eine fran- zösische Umschreibung nachfolgen zu lassen, da dieser sonst selbst dem erprobtesten Entzifferungstalente unübersteigliche Schwierig- keiten bereitet hätte. Aber ihr praktisches Geschick wird mit Recht von Rousseau hervorgehoben, sie ist eine verständige, sparsame Hausfrau gewesen, die auch späterhin, als der Gatte dem Erwerbsschriftstellertum entsagt und in Notenkopieren seine Haupteinnahmequelle hatte, mit den 1200 1400 fr. jährlichen Einkommens sich wohl einrichtete. Wäre sie nur eine ebenso gute Mutter gewesen! Aber, wenn wir auch der bestimmten Versicherung Rousseau's, dass ihn allein die Schuld für die Kinderaussetzung treffe, dass Therese der herzlosen Preisgebung des Erstgeborenen Widerstand entgegengestellt habe, nicht die 3ehr verspätete und zweifelhafte Angabe der Gräfin Houdetot, die

Therese Levassevr, 181

das schlimmste Vergehen in Rousseau's Leben auf dessen Geliebte abzuwälzen sucht (s. Musset- Pathay, a. a. 0. I, 211) gegenttber- setzen dürfen, so geht doch auch aus den Confessions hervor, dass Therese sich an den schrecklichen Gedanken schnell ge- wöhnte und der noch leichtfertigeren Aussetzung der anderen Kinder nicht widerstrebte. Die Gründe, welche Rousseau in seinem Briefe an M°^® Francueil vom 20. April 1751 und a, 0. für seine Handlungsweise anführt, lassen überdies Therese von moralischer Schuld nicht frei, denn sie laufen in dem Haupt- punkte zusammen, dass eine Erziehung im Findelhause noch besser gewesen sei, als die der Mutter.

Die öfter auftauchende Angabe, Rousseau habe die Kinder preisgegeben, weil er über seine Vaterschaft unsicher oder über seine Nicht- Vaterschaft allzu sicher gewesen sei, ist als that- sächliche Wahrheit nicht aufrecht zu erhalten, denn sie beruht nur auf dem einseitigen und nicht unbedingt glaubwürdigen Zeugnis seines Biographen Barruel, höchstens als Vermutung können wir sie zur Verstärkung der von ihm selbst vorgeführten Entschuldigungen gelten lassen. Denn wir glauben aus manchem schliessen zu dürfen, dass Therese ihrem Geliebten nicht un- bedingte Treue bewahrte. Der Vorfall auf der Reise nach Genf (Sommer 1754) ist doch auffallend genug. Rousseau reiste mit seinem Landsmanne Gauffecourt und mit Therese nach der Vater- stadt. Auf der Fahrt soll nun der schon ältliche Gauffecourt seine VerfUhrungskünste an der Levasseur versucht haben. Es gibt freilich auch Sünder in grauen Haaren, aber gewöhnlich haben sie dann mehr Schlauheit, als jener Schweizer, der fast vor Rousseau^s Augen dessen Geliebte zu entehren suchte. Dass Rousseau der Anklage und den Unschuldsversicherungen Theresens glaubte, mag bei dem sinnlichen Zauber, den jenes Weib aus- geübt zu haben scheint, begreiflich sein, aber unklarer bleibt es, warum der schon damals zu Argwohn und Misstrauen Neigende jenem verräterischen Freunde verzieh und ihn später (Jan. 1757) sogar während seiner Krankheit in Paris besuchte! Ein be- stimmter Beweis für Theresens Untreue bei Lebzeiten Rousseau's lässt sich nicht erbringen, aus jenem Briefe vom 12. Aug. 1769, in welchem er der eben erst zur Gattin Gemachten Trennung vorschlägt, lässt sich ein sittlicher Verdacht gegen die Lebens- gefährtin wohl folgern, aber man kann jenen Vorschlag auch mit der verzweifelnden Stimmung des unglücklichen Mannes zusammen- bringen, die sich schon ein Jahr früher aufs schärfste in dem Juni 1768 an sie gerichteten Schreiben ausspricht. Weder die relative Schönheit noch das zunehmende Alter Theresens darf man gegen diesen Verdachtgrund als Entlastung hervorheben, denn über ihre

i

182 -ß. Mahrenholiz,

äusseren Eigenschaften sind die Meinungen derer, die sie kannten, geteilt, die Jahre aber sind beim Weibe so wenig ein unbedingter Schutz der Tugend, wie beim Manne. Über die Vermutung, dass Theresens Untreue noch Rousseau's letzte Monate in Ermenonville verbittert habe, sprechen wir später, hier wollen wir nur kon- statieren, dass ihre Untreue und Undankbarkeit gegen den Ge- liebten keine zweifellose, aber auch keine nicht anzuzweifelnde gewesen ist.

Ebenso lässt sich ihr Eigennutz sehr verschieden beurteilen. Rousseau selbst ist der Ansicht gewesen, dass alle habgierigen Absichten sowohl ihm selbst, wie seinen Gönnern und Gönnerinnen gegenüber, von der alten Levasseur und mehr noch von deren Pariser Anhange ausgingen. Darum suchte er den letzteren zu isolieren, Hess die Mutter Theresens den Winter 1756/57 trotz Diderot's Abmahnung in der kalten, rauhen Ermitage zubringen und war erzürnt, als sie schliesslich durch Grimm' s materielle Fürsorge in Paris festgehalten wurde. Wenigstens bestrebte er sich dann, die Tochter von der Mutter zu trennen, Hess Therese auf allen seinen unfreiwilligen Irrfahrten nachkommen, drängte sie den englischen Gastgebern und vorher der Gesellschaft von Mortmorency und den Bauern von Motiers auf und trennte sich bis zum letzten Augenblicke nicht von ihr. Von ihrer Selbst- losigkeit war er überzeugt und in der That, seit der Rückkehr aus England hätte Therese nicht mehr viel gewinnen können. Wohl mochten hier und da Trinkgelder reicher Damen ab- fallen, die ihre Noten von Rousseau kopieren Hessen, um den weltberühmten Sonderling sich einmal genau anzusehen, aber auch diese Gaben überwachte der in Geldsachen besonders empfindliche Argwohn Rousseau's. Aber sollte die Tochter einer so habsüchtigen, berechnenden Mutter ganz aus deren Fusstapfen getreten sein? Manches deutet darauf hin, dass beide gleichsehr auf die Ausnutzung der vornehmen Gönnerinnen Rousseau's be- dacht gewesen seien. Wenn die Marquise von Epinay plötzlich jene Lebensmittel- und Unterkleidssendung für die FamiHe Levasseur von Paris nach der Ermitage abgehen Hess, die dann Rousseau's Missstimmung erregte, so können wir annehmen, dass auch hinter dem Rücken des letzteren manche weniger gering- fügige Gaben den beiden Frauen zugeflossen seien. Je mehr Rousseau selbst sich auch über zarte Aufmerksamkeiten be- unruhigte, wenn sie von materiellem Werte waren, desto mehr mussten die Epinay und nicht minder seine Gönnerinnen in Montmorency sie den Levasseur's zuzustecken suchen. Es wäre die Annahme derselben nichts Unrechtes gewesen, denn was kam Familien wie den Luxembourg's es auf solche Kleinigkeiten an?

Therese LevcLsseur, 183

Dass Theresens unzertrennliche Gegenwart Rousseau in der Ermitage sowohl wie in Montmorency und in England ge- schadet hat, ist kaum zu bezweifeln , aber der Plan Theresens, ihn immer mehr von seinen Freunden zu trennen und ganz in ihre Netze zu ziehen, ist weder nachweisbar noch wahrscheinlich. Wie hätte es ihrem Interesse entsprochen, dem Geliebten jeden Aufenthalt zu verleiden, ihn von Asyl zu Asyl zu treiben und auf all diesen Irrfahrten zu begleiten? Vielmehr musste ihr ein sorgenfreier, behaglicher Aufenthalt wie der in Mont-Louis und Wootton mehr zusagen, als das ewige Mitwandern von Ort zu Ort. Aber das Peinliche des Verhältnisses zu einer seiner un- würdigen Person fiel auf Rousseau's gastliche Freunde zurück, so viel sie sich auch bemühten, in Therese nur ein „Fräulein Levasseur" und eine „Gouvernante" zu sehen. Nicht gerade an der Unsittlichkeit des illegitimen Bundes, sondern an Theresens Unbildung nahmen sie Anstoss! In England hatte selbst ein vor- nehmer, einflussreicher Mann wie Hume Mühe genug, ehe er in dem gutmütigen Davenport einen Mann fand, der der Konkubine die Ehre der Hausfrau erweisen wollte. Direkt geschadet hat Therese ihrem Geliebten nur während der etwa IY2 Jahre, die er in der Ermitage zubrachte und hier war Eifersucht gegen die Epinay und die Cousine, die Houdetot, die treibende Ursache. Das Misstrauen gegen die edelmütige Gastgeberin hat sie durch Verdächtigungen, wie die, dass die Epinay Rousseau's intime Briefe ihr habe ablisten, ihn zum Ehren Wächter auf der Reise zu Tronchin in Genf habe machen wollen, durch das aus der Bedientenstube weitergetragene Gerede von der angeblichen Schwangerschaft der Marquise immer von Neuem wachgerufen. Mag auch jener hinterlistige Brief, der den Auserkorenen der Houdetot, den in Deutschland als Offizier weilenden St.-Lambert von Rousseau's Liebeleien mit dieser Dame unterrichtete, ein Werk Grimm's gewesen sein, er war doch nur das getreue Echo der Klatschereien und Übertreibungen von Theresens eifersüchtiger Rache. Aber die Missgeschicke in Montmorency, Motiers und Wootton sind scheinbar ohne Theresens Schuld herbeigeführt worden. Von Montmorency vertrieb ihn des Pariser Parlaments Vorgehen und seiner Gönner Kleinmut, von Motiers der Haes der Pfaffen und Bauern gegen den Freigeist und Sonderling, von Wootton seine schwarzsehende Phantasie. Es ist ein spät auf- tauchender Weiberklatsch, dass Therese die Urheberin jenes Stein-Bombardements in Motiers gewesen sei, das Rousseau für seine persönliche Sicherheit besorgt machte, und nur zu bewundern ist es, wie ein Gaberei (Rousseau et les Genevois, S. 51) und ein Levallois (s. Streckeisen-Moultou, a. a. 0. I, S. XXXI) der-

184 R. Malirenholiz,

artiges als historische Thatsache ausgeben, ein Hettner es gläubig wiederholen konnte. Auch an den Irrfahrten durch Frankreich von Fleury bis Monquin, an der Abgeschiedenheit des Pariser Aufenthaltes und an dem Missbehagen, das Rousseau sogar in der Einsamkeit von Ermenonville empfunden haben soll, ist sie schwerlich schuld gewesen. Teils die Bosheit anderer, teils Rousseau's zunehmende Gemütsumdüsterung machte ihm Welt und Menschen verhasst.

Es sind dies teils beglaubigte Thatsachen, teils begründete Vermutungen, die eines Aufwandes von Quellenangaben nicht bedürfen, eine nähere Erörterung muss aber der Frage gegeben werden, ob Therese noch Rousseau's letzte Augenblicke durch Untreue getrübt habe. Sie von der Schuld an Rousseau's an- geblichem Selbstmord zu befreien, halten wir für überflüssig, da wir nach Morin's und Jansen's eingehenden Beweisführungen diesen Selbstmord in das Reich leichtfertigen Klatsches und boshafter Lüge verweisen müssen. Bekanntlich hat man der 57jährigen Therese den Vorwurf aufgebürdet, sie habe in Erme- nonville ein Liebesverhältnis mit einem gewissen Nicolas Montr6- tont, Reitknecht, dann Kammerdiener des Marquis von Girardin, begonnen, was zu Rousseau's Kenntnis gelangt sei, ihm den Aufenthalt in seinem letzten Asyl verleidet und den Selbstmord- gedanken eingegeben habe. Nun sieht es mit den Zeugnissen für diese Liebschaft wie für die spätere angebliche Ehe mit jenem Domestiken dürftig genug aus. Einem Brief des jüngeren Girardin zufolge, der an Musset- Pathay gerichtet ist, hat jene Liebelei erst einige Zeit nach Rousseau's Tode begonnen, nach einer anderen Angabe, die der M™® de Sta61 von der Tochter des Marquis de Girardin gemacht wurde, erst ein Jahr später. Der ganze Klatsch von Theresens Untreue taucht zuerst in der für solche Dinge sehr ergiebigen Correspondance litteraire Grimmas auf ßd, Tourneux IX, 91, Juli 1770), dieselbe hand- schriftliche Chronik spricht mehr als zehn Jahre später, im Ok- tober 1780 (a. a, 0., XII, 443), von der bevorstehenden Ehe Theresens mit Montr^tont, eine Sensationsnachricht, welche die Memoires secretes de Bachaumont, die Hauptkloake des Pariser Gesellschaftsklatsches, schon am 27. November 1779 ihren Lesern mitzuteilen wussten (s. Morin, a. a. 0., S. 435).

Die zweite Ehe lässt sich auf solche Nachrichten hin nicht als eingetretene Thatsache ansehen, freilich beweist das, was Musset-Pathay (II, S. 198) und Morin (a. a, 0., S. 436; gegen diese Beschuldigung sagen, auch nichts. Denn des ersteren Einwand, jener Bediente hätte keinen Anlass zu einer Ehe mit der armen (?) Wittwe gehabt, die nur auf den Namen ihres ersten

Th&bse Levdissewr. 185

Gatten hin sich Geld zusammenbetteln konnte, ist ebenso hin- fällig wie Morin's Argumentation, Mirabeau würde dem Weibe eines ehemaligen Reitknechtes keine Antwort auf ihren 1790 an ihn gerichteten Bettelbrief erteilt, die Nationalversammlung ihr nicht eine Pension bewilligt haben. Es bleibt dabei eben unklar, ob man die zweite Ehe, ihre Wirklichkeit vorausgesetzt, gekannt, ob man nicht auch in der Frau des Bedienten die Lebens- gefährtin des Propheten der grossen Revolution geehrt hat, ob Mirabeau und die Nationalversammlung sich durch sittliche Be- denken von einem Beschluss hätten abschrecken lassen, der mehr politische als humane Motive hatte. Besser bezeugt als die Ehe ist das Konkubinat Theresens, das selbst Morin in sehr dehn- baren Worten (a. a. 0., S. 441) zuzugeben scheint. Wie wenig auch auf die Zeugnisse eines Meister, Bachaumont, des jüngeren Girardin und seiner Schwester, die in Therese wahrscheinlich die Verläumderin ihres Vaters zu hassen Grund hatten und anderer, die mehr nachsprechen als mit eigenen Augen wahrnehmen konnfen, zu geben ist, das alte Sprichwort: „Wo Rauch ist, da ist auch Feuer" dürfte wohl hier zutreffen. Die siebenundfünfzig Jahre Theresens sind für den Geschmack eines Reitknechtes kaum ein Hindernis gewesen und ihre Sittenstrenge oder die Rücksicht auf Rousseau's Andenken noch weniger. In dem oben erwähnten Briefe des jüngeren Girardin an Musset-Pathay vermag ich nicht mit Morin (a. a. 0., S. 432) einen Widerspruch zu entdecken. Der Briefschreiber bestreitet nur, dass die Liebelei Theresens Ursache zu Rousseau's Selbstmord hätte sein können, da sie nach dem Tode des grossen Dulders stattgefunden habe, die Liebelei gibt er zu, und wenn er auch die siebenundfünfzig Jahre Theresens hier hervorhebt, so geschieht das nur, um der durch M™® de Stagl (in ihrer Schrift: Lettres sur le caractere et les ouvrages de Rousseau, 1788) weiter verbreiteten Legende eines Selbstmordes des betrogenen Gatten im Hause seines Vaters aus naheliegenden Familienrücksichten entgegenzutreten.

Es ist allerdings nicht ausgemacht, ob jenes skandalöse Verhältnis Theresens dem Marquis von Girardin Anlass gegeben hat, die Gattin seines Schützlings aus dem Hause zu weisen, wahrscheinlich ist es sogar, dass die weiter unten zu erwähnenden Streitigkeiten über Rousseau's Vermögen und Nachlass und Theresens Verläumdungen gegen ihn, der Grund seines energischen Vorgehens gewesen sind, aber sicher ist es, dass man von Seiten der Girardin's an die Liebschaft mit dem ehemaligen Reitknechte glaubte.

Wie wir in Theresens Brief an Rousseau's Freund Coranc^z im Jahre 1798, der hauptsächlich ihren Gatten von dem Ver-

186 B. MahrenhoUz,

dachte des Selbstmordes entlasten sollte, lesen, habe der Marquis von Girardin sich gleich nach seines Gastes Tode mit der Zu- stimmung Theresens des vorhandenen Baarvermögens, der Manu- skripte und sonstiger Gegenstände bemächtigt, diese in Genf verkauft und die Witwe mit entwerteten Assignaten und einer schwer einzuziehenden Leibrente abgefunden. Aber dieser Brief ist ein Bettelbrief schlimmster Art, er sucht in unwürdigster Weise das Mitleid und den Wohlthätigkeitssinn der Freunde und Verehrer Rousseau's für die „fast 80jährige Witwe, die in einer Baracke wohne und fast an allem Mangel leide ^ anzuflehen, ob- wohl diese nach ihrem eigenen Zugeständnis doch jährlich 1500 fr. Pension von der französischen Nation und eine „massige Leibrente^ bezog. ^) Wenn nun auch beide sehr unregelmässig und unvollständig gezahlt sein mögen, wie denn die fünfte Jahres- rente der Nationalsubvention damals noch ausgestanden haben soll, so ist die Schilderung Theresens von ihrer materiellen Not doch eine absichtlich übertreibende. Auch die Anklagen gegen den Wohlthäter ihres Gatten können wir schwerlich als glaub- würdig ansehen. Was sollte den nobeldenkenden, reichen Edel- mann zu einer so unehrlichen Handlungsweise bestimmt haben, auch wenn er die Zuneigung für Rousseau, wie sehr begreiflich, nicht auf Therese übertrug? Warum hätte diese sich nicht über ihn in ihrem Briefe an Mirabeau beklagt, bei dem sie doch nicht nur sichere Abhilfe, sondern auch Rache gegen den verhassten Edelmann gefunden hätte? Und aus Mirabeau's Antwort geht ziemlich klar hervor, dass sie das nicht gethan hat!

Wenn also Therese sich dem Beschützer ihres Gatten gegenüber als Verleumderin zeigt und wahrscheinlich die Ver- treibung aus Ermenonville durch ihre Habgier und Anschuldigungs- Bucht selbst herbeigeführt hat, so brauchen wir auch den un- günstigen Nachrichten, die wir über ihr Verhalten nach Roiisseau's Tode haben, kein so entschiedenes Nein entgegenzusetzen, wie das ihr Apologet Morin thut.

Was uns Musset-Pathay nach dem Berichte von Augenzeugen über ihre Trunksucht und Bettelei und ihr hässliches Benehmen gegen eine alte Dienerin Rousseau's mitteilt (a. a. 0., II, S. 199) wird schwerlich auf Erfindung beruhen. Die schlimmen Züge ihres Charakters haben sich naturgemäss immer mehr entwickelt, als der höherdenkende Sinn Rousseau's sie nicht mehr überwachen konnte und als sie von jedem Verkehr mit der feineren Bildung

*) Ausserdem hatte sie durch den Ertrag der von du Peyrou und Moultou veranstalteten Ausgabe der Werke Rousseau's 24 000 fr. gewonnen.

Therese Levfisseur.

187

ausgeschloBsen war. In einem moralisch gesunkenen Zustande gewiss ist sie am 17. Juli 1801 zu Plessis-Belleville, einem Dorfe bei Paris, gestorben, ob auch in so grosser Dürftigkeit, wie sie glauben Hess, das müssen wir bezweifeln.

Von dem Vorwurfe, Rousseau's letzte Tage getrübt und ihm den Aufenthalt in Ermenonville verbittert zu haben, können wir sie grösstenteils entlasten. Wenn auch die selbstgeschmiedeten Fesseln, die der Gatte einer Levasseur trug, ihm die Welt noch mehr zum Kerker machten, als seine schwarzsehende Phantasie es ohnehin that, so ist doch der in Theresens Brief an Coranc^z erwähnte Wunsch Rousseau's, Ermenonville zu verlassen, kaum durch ihre Untreue oder direkte Schuld veranlasst worden. Viel- leicht ist er nur eine Erfindung Theresens, um Girardin noch mehr zu verdächtigen und Coranc^z schenkte ihm allzuviel Glauben, weil das seiner Antipathie gegen den Gastgeber Rous- seau's und seiner Annahme eines Selbstmordes des unglücklichen Freundes zu Statten kam.

Vielfach erinnert der Bund Rousseau's mit Therese an die mehr als zehnjährige Leidenszeit, die Moli^re in den Fesseln Armande's durchzukosten hatte. Beider Lebensglttck hat ein übereilter Schritt schlimm getrübt, die Gattin des grossen Dichters aber erscheint noch schuldiger, als die des Philosophen. Die gefeierte Komödiantin hat jedoch eifrige Verteidiger gefunden, auch als sie einen rohen Menschen zum Nachfolger ihres ersten Gemahls erkor, für Therese, deren Schuld durch ihre Unbildung und durch Rousseau's schwer erträgliche Eigentümlichkeiten ge- mildert wird, ist nur ein Ritter, der edle, aber unbedachte Morin, in die Schranken getreten.

R. Mahrenholtz.

La Correspondance de Saiiite-Beuve.

i.

Apr^s la mort de Sainte-Beuve (13 octobre 1869), son secrötaire, M. Jules Troubat, a publik toute une s^rie de volumes, qui renferment beaucoup de pages excellentea, 6crites par le mattre; elles m^ritaient bien d'^tre recueillies et mises au jour; et touB ceux qui en lisant les onvrages de l'^mment eritique, avaient appris k raimer, doivent ^tre reconnaissants k T^diteiir. J'6num6re ces publications dans leur ordre chronologique :

Souvenirs et indiscriUons , le dtner du Vendredi- Saint y par Sainte-Beuve, publi^s par son dernier secretaire. Paris, lib. Levy, 1872. 354 pages.

Lettres ä la princesse [Mathilde] par Sainte - Beuve. Paris, lib. L6vy, 1873. 367 pages. Ces lettres et billets sont au nombre de 263.

Premiers lundis. Paris, lib. L6vy. Tome premier, 1874. VII et 425 pages. Tome second, 1874. 427 pages. Tome troisifeme, 1875. 416 pages.

lues cahiers de Sainte -Beuve, suivis de quelques pages de litter ature antique, Paris, lib. Lemerre, 1876. 211 pages.

Chroniques parisiennes, par Sainte-Beuve. Paris, lib. Levy, 1876. 348 pages. ^

Correspondance de Sainte-Beuve, Paris, lib. Calmann L6vy. Premier volume, 1877. 378 pages. Second volume, 1878, 404 pages.

NouveUe correspondance de Sainte-Beuve. Paris, lib. Cal- mann L6vy, 1880. 442 pages.

Le Clou cCor, la Pendule, avec une pr6face de M. Jules Troubat. Paris, lib. Calmann L6vy, 1880. VIII et 90 pages.

£. Ritter, La Correspondance de Sainte-Beuve. 189

Ces quatre derniers volumes me paraissent leg plus re- marquables de cette petite collection.^) Parmi les lettres que Saiote-Beuve a 6crites, il y en a un certain nombre qui sont tr^s interessantes, Ton retrouve son esprit judicienx et net, le tour naturel et familier d'une agr6able causerie. L'ensemble des petits billets qui les aecompagnent, et qui ont paru insigni- fiants k quelques critiques, cet ensemble donne aux hommes qui ne sont pas m^i^s k la grande actiyit6 litt6raire, aux lecteurs Bolitaires et aux jeunes 6tudiant8 de la province et de T^tranger, une id6e juste et pr^cise du mouvement quotidien, du tous-les- jours du cabinet de travail d'un ecrivain parisien. Ceux qui sont eux-m^mes au centre de ce mouvement n'ont pas besoin qu'on le leur d^crive on qu'on le remette sous leurs yeux. Mais partout ailleurs q\x*k Paris, on appr6ciera, j'en suis assur6, le tableau anim6 et vivant que pr^sentent ces volumes, vient se peindre regard un des coins de Tatelier intellectuel de la France.

Le Premier volume de la Correspondance contient 288 lettres, ^chelonnees du 6 mal 1822 an 13 avril 1865. Le second lui fait suite, et contient 333 lettres, qui vont du 4 mai 1865 au 11 octobre 1869. Le troisi^me volume est un Supplement publik plus tard, et contient 350 lettres, dat^es de 1818 k septembre 1869. Les Lettres ä la pnncesse [Mathilde] avaient 6t6 publikes les premi^res; si elles ^taient faites pour piquer en 1873, au lendemain de la chüte de FEmpire, la curiositä du jour, elles le cfedent k toutes les autres- en intör^t durable. Enfin le Clou d'or contient nne douzaine de lettres d'amour et notes intimes, que Sainte-Beuve 6crivit dans sa quaranti^me annee. Elles prennent place parmi les t6moignages les plus p6n6trant6 et sinc^res, et qui ouvrent le plus de jour sur la vie de Sainte-Beuve. Ailleurs il parait etre un pur esprit; son ccBur d'homme parle ici, comme il a fait encore en d'autres occasions de sa vie.

On n'a pas de lettres de lui, datant de T^poque il ^tait, dit-il, arr^t6 dans le monde de Hugo par Teffet d'un charme; on n'a pas non plus de ces lettres de chaque jour dont parle Amaury dans le roman de VoluptS: „D6s mon lever, j'^crivais pour madame R. une lettre k la Saint -Preux, que moi-m^me je lui remettais plus tard; et quoiqu'il n'y eüt aucune difficult6 de nous voir ni de causer, j'avais plaisir k ne lui rien laisser perdre

1) La Beule lacune que je voie k relever est un article de la Revue des deiix mondes du 1*' octobre 1834, qui relate un des ^pisodes de la qnerelle k laquelle doona lieu Tarticle de Sainte-Beuve sur Ballancfae; il y faut joindre la lettre* de M. Coessin, publice dans la Revue des deux mondes du 30 juin 1835.

190 E, Bitter,

du frais butin que j^amassais dans la courte absence, et de toutes ees perles foUes que secoae, en le voulant, une imagination amoureuse.^ Gp. Ze« Lettres brüUes, dans les PoSsies de Sainte-Beuve (I, 223, Edition de 1861).

On n'a qae deux lettres de lui, qui se rejoignent aux po^sies qn'il a group^es sous le titre de: ün dernier reoe, k la fin du volume qui contient les Consolations et les Pensees d!aoüt, et qui fut publik en 1863 k la librairie Michel L6vy.

II fut court, dit Sainte-Beuve de ce dernier rßve: il a com- inenc^ sur le plus vague et le plus tendre nuage de la po^sie: 11 a fini au plus aride et au plus d^sol^ du d^sert ä Jamals lUimltä du cceur.

Au dedans tout, rien au dehors. Voici les seuls vestiges: on les a r^unis,' m^me les moindres, comme on enfermerait quelques feuilles, quelques fleurs brisdes, dans une urne.

Dichtung und Wahrheit! tout est vrai et tout est po6tique dans ce petit roman, qui eut une si prompte fin. II faut lire dans la Correspondance (I, 110) la lettre d'octobre 1840, adress6e au g^n^ral *** [Pelletier], et en rapprocher un fragment de lettre, cit6 par M. Rambert dans sa notice sur Juste Olivier:^)

Sainte-Beuve avait voulu se marier, dit M. Rambert; il

arait aim6, il avait esp6r6, il avait brigu^ et obtenu la place de

biblioth^caire k la Mazarine^) afin d'avoir une position et de

pouvoir faire sa demande en mariage ; et il avait vu son reve

empörte.

La douleur que j'en al ^prouväe, ^erit Sainte-Beuve ä Oll vier (1*' septembre 1840) et que j'en ^prouve est inexprimable ; Imaglnez que j'y suis retourn^ malgr^ moi des le surlendemain du refus; jy retournerai, qui sait? ce solr meme . . . Ainsi, eher ami, au moment vous 6tes Inquiet ou heureux (les Olivier attendaient une augmentation de famille) je ne suis plus nl Tun nl l'autre, mais abattu net. J'ai err^ ces trois jours durant, comme un chien sous le solell : haeret lateri letkalis arundo,

Le Clou ^or eommence par quelques pages que Sainte- Beuve paratt avoir jet6es sur le papier un jour l'id^e lui 6tait venue d'6crire une nouvelle. (On en a deux de lui: Madame de Pontivy et Christel; on sait que ces deux morceaux ont et^ plac6s k la suite des Portraits de femmes). Sainte - Benve ne fit qu'esquisser le commencement de sa nouvelle, et cette ^bauche inachev^e 6tait rest^e dans ses papiers. M. Troubat l'y a prise,

1) Bibliotheque universelle, 1877 (LIX, 101). Cette notice a €t€ r^imprim^e en t^te des (Euvres chmsies de Juste Olivler, Lausanne, Hb. Bridel, 1879.

^ G'est le 8 aoüt 1840 que par ordonnance royale, M. Sainte- Beuve fut nomm^ conservateur k la Bibliotheque Mazarine, en rem- placement de M. Naudet, promu ä d'autres fonctions.

La Correspondance de Sainie-Beuve, 191

pöur la placer comme en avant-propos k la t^te de douze lettres

et notes intimes, 6crites de juiilet k octobre 1844: lettres que

Sainte-Beuve n'avait pas envoyees, ou dont il avait gard6 la

minute; notes intimes ecrites par lui vers le meme temps.

La correspondante k laquelle Sainte-Beuve ^crivait^ n'est

pas nomm6e; mais il me semble que e'est eile qu'il a en vue

daus une lettre du 21 mai 1856:

Lyon est une ville je suis all^ souvent: les deuz derniäres fois qiie j*y suis all^, ä peu de mois de distance, c'^tait pour y voir madame * * *, malade de la maladie dont eile devait mourir, et ma nieilleure amie alors, mais une amie qui n'a pas su Tßtre, h^las ! comme il le faut au coeur pour qu'il soit entierement rempli et satisfait, heureux d'un plein bonheur, puie uniquement d^sold. J'avais d^jä pass^ l'äge de ces bonheurs qu*on ne mdrite jamais, mais qu'on obtient sous le rayon de la jeunesse. Que sera-ce depuis? (Correspondance I, 215.)

Les douze lettres ou notes intimes du Clou d'or ont 6t^

6crites, je Tai dit, en 1844. La derniöre lettre en effet est

datee du samedi 26 octobre. Or dans les annöes ces lettres

peuvent 8tre plac6es, le 26 octobre n'a 6t6 un samedi qu'en

1839, 1844 et 1850. En 1850, Sainte-Beuve, abso;:b6 par son

travail hebdomadaire des Causeries du lundi, ne pouvait plus etre

rhomme de loisir que nous montrent ces lettres; 11 ne s'appar-

tenait plus, il 6tait tout k sa täche. En 1839, Sainte-Beuve, qui

n'^tait pas encore acad^micien ni biblioth^caire k la Mazarine,

n'aurait pas pu 6crire:

Chöre madame, je viens vous demander vos ordres pour jeudi; je dois etre ce jour ä l'Acad^mie, depuis deux heures et demie jusqu'ä quatre heures et demie. Le reste des heures sera trop honor^ d'une minute passive ä vous voir.

En octobre 1844, Sainte-Beuve avait d6jä, ^t6 nomm6

(14 mars 1844) membre de TAcad^mie fran9aise, mais n'avait

pas encore pris seance et prononc6 son discours de r^ceptiou,

ce qui n'eut lieu que le 27 f^vrier 1845; mais il est naturel de

le voir remplir un devoir professionnel en se trouvant k son

poste de biblioth^caire pendant la seance acad6mique: c'est un

moment que les membres de Flnstitut utilisent volontiers pour

leurs recherches dans la belle biblioth^que Mazarine. Voir par

exemple ce que dit Sainte-Beuve lui-m^me dans le demier

paragraphe de ses articles snr M. Biot; il y semble parier d'apr^s

ses propres Souvenirs de biblioth6caire :

M. Biot ^tait et demeura jusqu'ä la fin un liseur infatigable; on ne se fait pas id^e de la quantit^ de livres de toutes sortes qu'il essayait, et que quelquefois il d^vorait d'un bout ä Tautre. La Biblioth^que de Tlnstitut avait peine ä suffire ä. sa consom- mation de chaque semaine. II n'avait gudres de patience dans ses prompts d^sirs de lecture, et aurait voulu Stre servi aussitdt.

192 E, Ritter,

Cette date stabile de 1844 permet de classer les lettres et notes du Clou äor dans an ordre diff^rent de celui que M. Troubat a adopt^.

1. Note confidentielle, dat6e: Ce 2 juillet (VIII, page 49).

2. Autre note confidentielle, dat^e: Ce 9 juillet (X, page 57).

3. Lettre, dat6e: Ce 12 juillet (XI, page 61).

4. Note, fragment de Journal intime (III, page 21).

5. Lettre sans date (IX, page 55).

6. Lettre dat6e: Ce dimanche 25 [aoüt 1844] (IV, page 23):

Je suis revenu hier de C***, dit Sainte-Beuve, j'ai pasB^ huit jours en tßte ä tßte de madame de B ... et du chancelier, et fort agräablement ; j'ai beaucoup caus^ du temps pass^, et il n'a tenu qu'ä eux de me prendre pour un de leurs contemporains.^)

7. Lettre dat^e: Ce 3 [septembre 1844]. Cette lettre (I, page 11) est postörieure au söjour de Sainte-Beuve k Chätenay.

8. Lettre sans date (V, page 31).

9. Lettre dat6e: Ce vendredi 20 [septembre 1844] (VIII, page 41).

10. Lettre dat6e: Ce samedi (II, page 15).

11. Lettre dans date (VI, page 37).

12. Lettre dat^e: samedi 26 oetobre (XII, page 65).

Le manuscrit se composait de feuilles volantes; le classe- ment que je soumets aux lecteurs de ce joli petit volume, me paratt tr^s assur^ pour la plupart de ces notes et lettres; j'ai pu me tromper pour quelques-unes. Le lettres qui datent de ces memes mois, dans la Correspondance g6n6rale, offrent k quelques endroits comme un reflet de la crise que traversait Sainte-Beuve :

(A madame Vertel, 10 juillet 1844.) Je suis fort abattu depuis bien des jours, et en proie ä une anxi^tö qui m'öte tout ressort.

(A M. Charles Eynard, 2 aoüt 1844.) Plus la vie avance, plus on se disperse, chacun s'asseyant sur quelque borne de la route par fatigue, et le chemin est ainsi sem^. Vous ßtes ^chouä bas sur un bien beau et doux rivage; je ne Tai qu'entrevu; mais il me semble que ce s^jour doit apaiser Täme quand eile ne porte pas en eile de ces blessures incurables. Vous avez d'ailleurs le grand remede, eher monsieur: le soleil de ces beaux lieux doit vous en §tre plus bienfaisant. Je suis aussi, de mon cötä, vieillis- sant et laborieux . . .

*) Le chancelier Pasquier avait 77 ans, et madame de Boigne, qui poss^dait une villa ä Chätenay pres de Sceaux, en avait 64. La comtesse de Boigne, fille du marquis d'Osmond, avait ^pous^ en .1798 le comte de Boigne. „Un nuage, dit Sainte-Beuve, a toujours d^robä les causes qui amenerent (en 1804) la Separation des äpoiix. Jeune, jolie, irr^prochable, la comtesse de Boigne tint avec distinction le salon de son päre. Elle eut le sien sous la Restauration, Louis-Philippe et Napoleon III.*^

La Correspondance de Sainie-Beuve. 193

n.

Dans la correspondance de Sainte-Beuve comme dans toutes Celles des hommes c61^bres, les lettres augmentent en nombre quand on approche de la fin. II faut ^tre Tami d'un jeune 6crivain pour garder soigneusement ses lettres; mals qaand le talent d'un autenr lui assure de longs succ^s, sa renommäe s'affermit et s'^tend par le senl effet de la dar6e, et le moment vient chacun sait dans le public qne ses lettres sont des autographes: on les garde, on en fait collection; et teile personne tient dejä, sa Hasse prete pour le moment l'edlteur de la cor- respondance la lui demandera.

Les lettres et billets de Sainte-Beuve, que M. Troubat a publi^s, sont au nombre de plus de douze cents. Depuis la premifere lettre conservee, qui fut 6crite par Sainte-Beuve peu de jours apr^s son arriv6e k Paris, k la fin de sa quatorzi^me ann6e, jusqu'4 sa reception k TAcadömie frangaise, on n'a que 145 lettres en 26 ans ; pour les huit derni6res ann6es de sa vie, depuis que M. Troubat est devenu son secretaire (octobre 1861) on a plus de six Cents lettres. II ne faut pas sc plaindre de cette abon- dance; il faut au contraire en remercier M. Jules Troubat. On sait en quels termes le mattre a parl6 de lui, dans une note sur ses secrätaires, apres avoir esquiss6 en quelques traits de plume le portrait de tons ceox qui se sont succ6d6 aupr^s de lui: MM. Dourdain, Oger, Lacaussade, Octave Lacroix, Pens, il termine en disant:

II ne me reste plus qu*ä parier, en le remerciant, de mon secretaire actuel, M. Jules Troubat, de Montpellier, qui est si prös de moi en ce moment que la modestie m'empSche presque de le louer comme il conviendrait et en toute libertä. Plein de feu, d'ardeur, d'une äme affectueuse et amicale, unissant ä un fonds d*instruction solide les goüts les plus divers, ceux de Vart, de la curiosite et de la r^alit^, 11 semble ne vouloir faire usage de toutes ces facultas que pour en mieux servir ses amis; il se trans- forme et se confond, pour ainsi dire, en eux; et ce sont eux les Premiers qui, de leur cötö, sont obligds de lui rappeler qu*il y a aussi une propri^tö intellectuelle qu'il faut savoir s'assurer ä temps par quelque travail personnel; il est naturellem ent si liberal et prodigue de lui-m^me envers les autres, qu'on peut sans incon- vänient lui conseiller de commencer un peu ä songer ä lui, de penser k se r^server une part qui lui soit propre, et, en concen- trant ses ^tudes sur un point, de se faire la place qu'il m^rite d*obtenir un jour. J'espöre toutefois et nonobstant ce conseil, le garder encore longtemps (27 mars 1865).

M. Troubat a publik quelques recueils de po6sies et d'articles de critique: Plume et pinceauy 6tudes de litt^ratnre et d'art, Paris, lib. Liseux, 1878. Le Blasen de la Eivolutiony PariS;

ZBOhr. t fin. Spr. u. Litt. Xli. ^q

194 E. Ritter,

libr. Lemerre, 1883. Notes et penfSes, Paris, libr. Sauvaitre, 1888. Petits itSs de la cinquantainej Paris, lib. Lemerre, 1885. Seconde Edition, 1886. Je citerai de ce dernier livre un sonnet: La montre de Samte -Beuve. Les dames de Lausanne avaient fait präsent d'une montre k l'iilustre professeur, k la cloture du cours sur Port-Royal qu'il avait fait k rAcadömie de Lausanne (1837 1838). Le sonnet est dat6 du* 13 octobre 1884, quinzi^me anniversaire de la mort de Sainte - Beuve. II faut rappeler qu'apres cette mort qui 6tait une catastrophe pour M. Troubat, puisqu'elle supprimait le poste agröable il avait pass6 d'heureuses ann^es, et avant de trouver k Compi6gne une place de biblioth6caire qu'il appelait „un canonieat litt6raire^ et qu'il vient d'6changer contre un poste du mSme genre k Paris, M. Jules Troubat a travail]6 longtemps dans les bureaux des grandes librairies L6vy et Dentu:

Voici däjä quinze ans que Sainte-Beuve est mort! Certes, la France a vu, depuis, plus grand naufrage; Mais, l'oeil toajours fix^ sur la derni^re page, Je fus apres huit ans arrachä de mon port.

De L^vy chez Dentu pasaant au gr^ du sort, A des maitres nouveauz faisant nouveau visage, Me sentant chaque fois un peu plus hors d'usage,

Tout präs de moi, quelqu^un a gard^ son ressort:

ün Souvenir vivant que Geneve a vu naltre, Sur qui plus de trente ans se porta Tceil du maitre, Dont rien n'a ralenti la marche ni Tessor.

La montre je regarde Theure fut la sienne!

Et le jour, qui me frappe ä travers la persienne, Fait au cadran d'argent briller Paiguille d*or.

La correspondance de Sainte-Beuve ne pouvait pas trouver un ^diteur plus comp^tent que M. Troubat, plus au courant de toutes choses; il avait recueilli la tradition k sa source; il avait 6crit lui-meme, sous la dict6e de Sainte-Beuve, beaucoup des lettres que les destinataires lui ont remises plus tard, ou dont il avait eu soin de prendre copie avant de les envoyer. Sur quelques points cependant, son attention a 6t6 en d6faut, comme on le verra par les notes qui suivent.

Correspondance de Sainte-Beuve. Premier volnme. 1877.

Page 19. Lettre VIII, k Alexandre Dumas. 11 d6cembre

[1830?J. II faut effacer le point d'interrogation. Le drame de

Dumas, NapoUon Bonaparte ^ que Sainte-Beuve tenait k voir

avant son depart, eut sa premiöre repr^sentation , k l'Od^on, le 10 Jan vier 1831.

La Correspondance de Sainie-Beuve. 1)05

Page 20. Lettre X, ä la R^daction du Semeur^ pour M. Alexandre Vinet. Cette lettre, que i'^diteur a dat^e de 1832^ se rapporte aax articles que Vinet a publi^s dans le 8emeur des 13 et 20 aoüt 1834, sur le roman de Volupte.

Pages 31 et '33: Les Lettres XVI, k madame la comtesse Christine de Fontanes, et XVII, k M. Auguste Sauvage, sont interverties. Sainte - Beuve, dans T^tö de 1837, avait fait un B^jour k Aigle, dans la valli6e du haut Rhdne, chez M. Juste Olivier;^) k son retour, il passa k Genöve, d'oii il ^crivit k M. Sauvage le 15 aoüt 1837; k Lyon ensuite; et la date de sa lettre k madame de Fontanes: Lyon, le 26, doit ^tre compl6t6e ainsi: [aoüt 1837]. II revint ensuite k Paris, d^oü il 6criyit k madame de Fontanes une seconde lettre, le 7 septembre 1837.

Page 114. Un billet date: Ce 3 aoüt, lundi est donn^ dan^ une note. Pendant les annees Sainte-Beuve a ^t6 eonser- vateur de la Mazarine, le 3 aoüt n^est tomb6 sur un lundi qu'en 1846: cela 6tablit la date du billet.^) M. T., dont il y est parl6, doit §tre M. Ars6ne Thi6baut de Berneaud, biblioth^caire.

Page 126. Lettre LXXXVU, k M. de Montlaur. Elle est dat^e simplement: ce 15, et doit §tre du 15 septembre 1844. L'annonce des Esmis litteraires de M. de Montlaur a paru dans le Journal de la lihrairie du 3 aoüt 1844; et Tarticle de Sainte- Beuve sur Leopard!, se trouve cit6 un vers de M. de Montlaur, a paru justement le 15 septembre 1844.

Page 132. Lettre XCII, k M. Edouard Turquety. La date que Sainte-Beuve avait mise k cette lettre, 6tait simplement : Ce 18; et l'^diteur y a ajoutö: [1845 ou 1846]. Mais la lettre est de 1846, puisqu'elle doit etre post^rieure k i'article Sainte- Beuve, dans la Revue des deux mondes du 1®' mai 1846, a rendu „les devoirs litteraires supremes^ k son ami Charles Labitte, mort le 19 septembre 1845.

Page 171. Lettre CXXI, k M. Tb. Lacordaire, La date que Sainte-Beuve avait mise k cette lettre, 6tait simplement:

^) Juste Olivier a parl^ de ce säjoar dans un article de la Biblioiheque Universelle de Lausanne, qui a €i€ reproduit dans le premier volume de ses Giluvres, Lausanne, 1879.

2) Pour ces döterminations de dates, un opuscule träs utile est le Kiüendarium zur Auffindung der Wochentage aller historischen Daten der christliclwn Zeitrechnung, von Carl August Kesselmeyer aus Man- chester. Preis: 10 Neugroschen, Im Selbstverlag des Verfassers. Zu beziehen durch alle deutschen Buchhandlungen. En six pages bien remplies, Tauteur a donn^ trös clairement toutes les explications n6- cessaires. En un instant, au moyen des chiffres du tableau qui figure a la page 3, on trouve le jour de la semaine qui correspond ä une date quelconque de T^re chr^tienne (ancien et nouveau style).

18*

196 E. Ritter,

Paris, le 28 f^vrier; et Föditeur a ajout^ le millösime: [1851], Mais la lettre doit 5tre du 28 f6vrier 1850, quelques mois aprös le commencement des Causeries du Lundi (1®' octobre 1849) et deux mois apr^s Tarticle sur le p^re Lacordaire (31 d^cembre 1849).

Page 314. Lettre CCXLV, k M. Paul Chiron. Elle est dat6e simplemeut: Ce dimanche 8; et eile se rapporte k des articles qui ont paru en mars 1863. Le 8 mars 1863 6tait uu dimanche : la lettre est donc du mois de mars ; et eile aurait du §tre plac6e quelques pages plus haut, avant les lettres dat6es du mois d'avril.

Page 338. Lettre CCLXV, k M. Camille Doucet. Cette lettre, qui est dat6e simplemeut: Ce 24 mai, ne devait pas ^tre class6e parmi celies de 1864. Sainte-Beuve y parle de la Belle Hiltne^ dont la premi6re repr^sentation n'eut Heu que le 17 d6- cembre 1864; d'un rapport k faire au S6nat, et il ne fut nomm6 sänateur que le 28 avril 1865. Le rapport en question (Premiers LundiSy III, tout k la fin) est du 21 juin 1865 ; et la lettre, par cons6quent, du 24 mai 1865.

Page 361. Lettre CCLXXXVU, k M. de Riancey. Sainte- Beuve Ty remercie d'un article il avait parl6 avec 61oges de son Discours sur les prix de vertu, qui fut prononc6 k rAcad6mie franQaise le 3 aoüt 1865. Le mot aoüt, qui 6tait dans la date de la lettre, a 6t6 lu avril: c'est une confusion qui se produit quelquefois.^)

Honvelle Correspondanoe de Sainte-Benve. 1880.

Page 24. Lettre XII, k madame P61egrin. Elle est dat6e: Ce jeudi, 16 (1834). Lisez: Ce jeudi, 16 [octobre 1834].

Page 59. Lettre XXXII, k M. de Chaudesaigues. Cette lettre est sans date, et T^diteur Ta dat^e de 1839. Elle com- mence ainsi: „Mon eher Chaudesaigues, j'avais k vous remercier d^s Lausanne, de Tarticle que j'y ai lu, et dans lequel, etc.^ Cet article a paru dans la Eevue de Paris de mai 1838; et Sainte- Beuve, qui rentra ä Paris k la fin du printemps, n'attendit pas sans doute Tann^e suivante, 1839, pour 6crire cette lettre de remerciement.

Page 125. Lettre LXXIX, k M. Jules Janin. Elle est dat6e: ce lundi 29 (1850 ou 1851). Elle doit gtre du lundi 29 avril 1850; eile annonce Tarticle que Sainte-Beuve fit parattre le lundi 13 mai 1850 sur la Religieuse de Toulouse, par M. Jules Janin.

1) Je n*ai pas trouvö de remarques ä. faire sur le second 'volume de la Correspondance, qui comprend les lettres ^crites pendant les derni^res annäes du secrätariat de M. Troubat. L'^diteur dtait sur Qon terrain, et il a travaillä avec plus de süret^.

La Correspondance de Sainte-Beuve. 197

Page 142. Lettre XCV, k M. Poulet- Malassis. Elle est dat6e du 23 fövrier 1857; mais Sainte-Beuve y cite son article sur Fanny, lequel a paru le 14 juin 1858. Cette lettre est Sans doute du 23 fövrier 1859, du m^ine jour que la lettre k Charles Baudelaire (meme volume, page 153) il est question de deux articles de M. Babou. Dans le premier (Äthenaeum du 9 juin 1855) il est parl6 d'une notice de M. de Barante sur madame d'Arbouville, qui figure en tete des (Euvres de celle-ci; et Sainte-Beuve 6crit k ce propos k Baudelaire:

II [Mt Babou] m'a ddjä attaquä une fois dans VMh^naeum, ä propos de la meüleure amie que j'eusse, madame d'Arbouyille ;^) et parlant d'un portrait de cette charmante et re^rettable femme qu^avait fait M. de Barante, et qui est la nullit^ mdme, il a d^clard ce portrait bien sup^rieur k celui que j'eusse fait, que j'aurais pu faire, si j'en eusse fait un.

II est piquant de rapprocher ce jugement s6v6re de Sainte- Beuve sur le Portrait de madame d'Arbouville par M. de Barante, des 61oges que M. de R^musat a cru devoir donner k ce m§me morceau, dans un article de la Revue des deux mondes, du V^ f^vrier 1856:

Dans une courte notice, M. de Barante a dit, avec une justesse exquise et une simplicit^ touchante, tout ce qu'il ^tait n^cessaire d'apprendre au public sur celle dont on rdunissait les Oeuvres pour lui. 11 serait impossible de faire aussi bien, tdmdraire peut-Stre de faire autrement.

Page 266. On lit dans une lettre de Sainte-Beuve au r6dacteur de YEvSnement, k propos de quelque personne de sa maison qui 6tait fiöre de voir son nom dans le Journal:

,,Et mon valet de chambre est mis dans la gazette! a dit le po6te de la Märomanie.^ Mais pardon: c'est Alceste qui le dit, dans la demiöre sc6ne du troisi^me acte du Misanthrope.

*) Madame d*Arbouville est morte k Lyon, le 22 mars 1850^ M. Othenin d'Haussonville, dans son interessante biographie de Sainte Beuvo, a parl^ avec beaucoup de röserve de Tattachement que Täminent ^crivain eut pour eile. On peut se demander si ce n'est pas k eile qu'^taient adress^es les lettres du Clou d^or. Dans l'^t^ de 1844, madame d'Arbouville avait trente-trois ans. Elle ötait Tarriöre petite- fille de madame de Houdetot. L'amie de Jean-Jacques Rousseau avait eu un fils, n^ le 12 juillet 1749, qui eut deux femmes, la seconde des- quelles, Josäphine - Constance Cdrö, qu'il öpousa ä Tlle- de - France, le 14 f^vrier 1784, lui donna douze enfants: entre autres une fille, marine en 1809 au baron de Bazancourt, g^ndral de brigade. Avant son mariage, mademoiselle de Bazancourt avait v^cu dix ans aupr^s de sa grand'm^re, la comtesse de Houdetot, qui l'avait comme adopt^e, Ba fille Sophie de Bazancourt ^pousa en 1892 Mi d'Arbpuville,

198 E, Ritter,

in.

Dans les lettres des derni^res ann^es de Sainte-Benve, on recneille avec int6r8t et avec qnelque surprise le timoignage de sentiments favorables k rAllemagne. La science allemande 6tait ^trang^re k Sainte-Beuve ; les critiques et les philologues alle- mands n'avaient pas 6t6 ses maitres; sa culture intellectnelle ^tait toute frangaise, tonte parisienne; et jusqu'ä an moment tr^s avanc^ de sa carri^re, on ne rencontre chez lui que de T^loigne- ment pour tont ce qui 6tait germanique. On sonrit en lisant ce que Tancien collaborateur du Glohe, l'ami d'Ampöre et de Jules Mohl, et qui 6tait lui-m^me un des esprits les plus ouverts du brillant Paris d'alors, ^crivait dans la Eevue des deux mondes du 1«' janvier 1836:

L'Allemagne convenait peu ä M. Villemain; 11 n*a pas mal fait de l'ignorer, ou du moins de ne la savoir que par oui-dire: les questions, sur ce terrain mouvant, sout peu commodes a aborder; on se perd dans des restes de For§t-Noire. L'esprit net et concis du grand professeur j räpugnait et avec raison.^)

II faut suivre dans leur ordre chronologique les passages qui se rapportent k TAllemagne: je les ai glanes ^k et \k dans les (Buvres et la correspondance de T^minent eritique; k vrai dire, je ne crois pas les avoir tous röunis. Je commence par une note sans dato, qui a du 8tre 6crite aux environs de 1848:

II y a des langues et des litt^ratures ouvertes de toutes parts, et non circonscrites , auxquelles je ne me figure pas qu'on puisse appliquer ie mot de classique;^) je ne me figure pas qu'on dise les classiques allemands (Les cahiers de Sainte-Beuve, p. 108).

(Lettre ä M. Nicolas Martin, du 6 juillet 1856.) Mon eher

1) Les premiferes pages de l'article du 12 mars 1832 sur les Lettres ^crites de Paris de L. Boerne (article recneilli dans les Premiers Lundis, II) sont pires encore. Mais dans cet article .politique, Sainte- Beuve n'^tait que Töcho de ce qu'on pensait de TAllemagne dans le monde de la presse parisienne.

3) On peut rapprocher de cette pensöe une remarque analogue de M. Gournot dans ses Considdrations sur la marche des idäes dans les temps modernes, 1872: L'AUemagne n'a pas produit dans le siöcle de Leionitz une seule oeuvre litt^raire qui ait acquis ou conservö du renom. Les futurs historiens de la civilisation aurout k tenir grand compte de ces circonstances qui ont en quelque sorte suspendu la vie litt^raire chez une grande nation comme la nation allemande, qui l'ont privöe d'avoir aussi son dix-septieme siäcle en litt^rature, et de pos- B^der de ce chef les traditions, les modales que possfedent la France et TAngleterre. La fertility des temps postdrieurs n'empßche point de aentir cette lacune, k peu pres comme pour ces hommes de vieille race, mais dont la famille ^tait retomb^e pour un temps dans l'obscuritä, et qui, dans leur nouvelle fortune , ressemblent k certains ägards k des hommes nouveauK. (Toitie premier, page 345.)

La Correspondance de Samte-Beuve, 199

po6te de la Maison des Champs, vous avez port^ dans notre vie fran^aise, si a£Pair^e et si sujette au bruit et ä la poussiere, quelque chose de la fraicheur et de la calme f^licitä allem andes.

(Aatre lettre aa m^me, sans date.) Votre petite bistoire du sonnet est tres agr^able et me revient tout ä fait. Chez nous, les Gcetbe et les Byron M. M. de Lamartine et Hugo n'ont Jamals daignä condescendre au sonnet, et je crois bien qu'ils en pensent ce qu'en pensait le grand Olympien germanique. S'ils en fönt jamais, je täcberai de me souvenir de la conversion chantäe par ühland; mais je ne crois pas qu'ils s'y hasardent. Goetbe ^tait encore meilleur enfant qu'eux en po^sie: le plus calculä des AUemands a encore de la nafvetä , si on le compare a nos grands hommes. (Nouveüe Correspondance, page 280.)

(Dans un article sur les Reminiscences de M. Coulmann, 28 novembre 1864.) M. Coulmann a une nature morale assez riebe, et c'est assur^ment un homme d'esprit; mais son pinceau est mou; on Yoit bien qu'au College il se plaisait k lire en allemand les romans d^ Auguste Lafontaine, auxquels il avait coU^ un titre d'Histoire romaine pour mieux tromper le maitre d'ätudes. II avait gardä un premier accent alsacien dont ses camarades se moquaient, et qu'il perdit, nous dit-il, par la suite. En est-il bien sür? (Nouveanx Lundis, IX.)

(Lettre k M. Feuillet de Conches, du 2 septembre 1865, k propos de la pol^mique engag^e sur Vautbenticit^ des lettres de la reine Marie-Antoinette.) 11 ne 8*agitpas de querelle d 'Alle- mand: dans les trois quarts des questions de textes, ou de critique proprement dite, les Allemands ont raison contre nous. Cela est perpätuellement vrai pour tout ce qui est de litt^rature ancienne.

(Lettre ä M. Philibert-Soup^, du 12 fövrier 1867, a propos de deux articles sur Diderot, d'apr^s l'ouvrage de Charles Rosenkranz: Diderofs Lehen und Werke,) Cette connaissance d'Outre-Rhin et de tout ce qui s'y passe est de plus en plus indispensable, et c'est etre manchot dans les choses de l'esprit que d'en 6tre privö. Vous qui avez l'outil, vous avez un röle tout trouv^: c'est de nous traduire, et par je veux dire de mettre ä notre portöe et de nous präsenter ä notre mesure ce qui se fait d'important lä-bas, en littärature ou en pbilosophie.

(Lettre ä M. Dussieux, du 20 novembre 1867.) Ce qui se passe chez nous est inou'i. Le gouvernement prussien, par son historio- graphe Preuss, public une Edition monumentale des (Euvres du grand Fröd^ric, ses Histoires, sa correspondance, etc. Un autre tirage non monumental est en vente depuis plus de vingt ans k Berlin chez Decker. Lä-dessus, on public en France, comme si de rien n^ätait, les anciens M^moires trouqu^s de Fr^d^ric, en les donnant frauduleusement comme conformes au texte de l'^dition de Berlin, et nous gobons cela!

(Lettre k M. Goumy, directeur de la Revue de f Instruction publique, du 21 mars 1868.) Notre ami Lenient a fait lä. une lev^e de boucliers (contre l'esprit allemand) qui est bien dans l'esprit gaulois: mais je ne lui ferai qu'une question, la mSme que faisait, il y a cinquante ou soixante ans, M. Stapfer ä Fontanes, un jour qu'en plein salon le grand-maitre de l'üniversit^ däclamait k tue- tete contre Kant et les Allemands: „Savez-vous l'allemand, monsieur le comte ?'' Or Fontanes n'en savait pas un mot, et il n'en continua pas moins sa diatribe. Etttdione avant d0 nous prononcer.

200 E. Ritter,

(Lettre ä M. Ernest Legonv^, du 21 mal 1868.) Vous ^tes des hommes de la France moderne; mais . . . vous en ferez tant que le centre de la Suprematie intellectuelle sera transf^r^ ä. Bonn et ä Berlin. Nous Taurons bien märit^, nous aurons et nous serons une bavure de l'Espagne, jusqu'en de9ä de la Loire.

(Lettre ä un professeur d'allemand, ä Colmar, du 23 mai 1868.) Vous qui ^tes d'origine et de race allemandes, vous devez nous juger s^verement. Je crains bien que ce que j'ai dit ne serve ä rien, la je l'ai dit.^) Je ne convaincrai que ceux qui sont döjä convaincuB. Puissent les g^n^rations nouvelles qui surviendront, se rallier a une science forte et digne ! Vous y pouvez dans votre Sphäre, en leur ouvrant le passage du Bhin. On ne saurait assez multiplier ces ponts de Kehl pacifiques.

(Lettre ä M. Henry Liouville, du 24 mai 1868.) Quel röle a jou^ la science, mise sur la sellette pendant toute une semaine devant une Assemblöe incompötente , l'Eglise parlait haut, la Philosophie biaisait! Pauvre science fran^aise! Elle ne s'en est tir^e que moyennant excuses, en faisant son mea culpa, en disant et r^p^tant: Je ne le ferai plus; en un mot, en faisant acte de faiblesse et de repentance comme Galilde ä genoux. Et pourtant la science triomphera! mais je ne suis pas sür, en efFet, que ce soit a Paris qu'elle triomphe et qu'elle ait son siäge. Ce si^ge, de par les lois de Phistoire, sera peut-etre transf^rö ä jamais^) dans l'avenir ä Heidelberg, ä. Bonn, ä Berlin! Ce serait triste pour la France hispanisde.

ün dernier tömoignage doit se joindre ä ceux qui pr6c6dent: c'est une page que Sainte - Beuve n'a pas 6crite, mais son secrötaire a r6sum6 des id^es qui Tavaient frapp6 k juste titre, dans la conversation de Sainte-Benve, Tann^e de sa mort, en 1869:

Au lieu d'irriter Pun contre l'autre deux grands peuples voisins comme la France et la Prusse, les deux premiers en Europe ce moment-lä) pour la puissance militaire et le g^nie cr^ateur, on ferait mieux de songer ä les unir, ce serait la plus digne alliance qui nous conviendrait. Ces nations protestantes sont en avant sur nous : leur religion ne les endigue pas, comme les nations catholiques. C^est ce qui a vaincu PAutriche a Sadowa. Elle a äprouvö le besoin, imm^diatement apr^s, de se mettre au pas et ä Pheure des peuples avancäs, sous peine de se voir d^bord^e par le progres qui aurait suscitd chez eile une r^volution. Elle a fait des röformes, eile a cr^^ des institutions nouvelles, eile a voulu se rajeunir, eile s'est mise ä la hauteur du si^cle, pour n'etre pas

^) Dans ces lettres de mai 1868, il s'agit de la discussion qui avait eu lieu du Sänat, k propos des p^titions qui signalaient ä cette haute assembläe les tendances mat^rialistes de Penseignem ent des Facultas de mädecine. Sainte -Beuve avait pris la parole, et son dis- cours a 4!t6 recueilli dans le tome HI des Premiers Lundis.

^ Assuräment Sainte -Beuve se füt r^criä, si Pon eüt pris ces boutades au pied se la lettre. H faut se rappeler le dicton picard cite par le fabuliste:

Biaux chires leups, n'^coutez mie Märe tQochent chen fieux qui crie.

La CorresTpondance de Sainie-Beuve. 201

emport^e par les id^es modernes. Elle ^tait encore fort en retard avant Sadowa: la voilä qui devient liberale et progressiste.

Nou8 avons un redoutable voisin en M. de Bismarck: c'est un homme qui a fait son pays, qui a continu^ l'oeuvre de Fr^däric. En France, on in^connait la grandeur de ce dernier, et l'on se moque du grand ministre qui gouverne actuellement la Prusse. On se moque de tout en France, comme du temps de Marlborough qui nous battait ä plate couture.

Au lieu de songer ä se mesurer ä coups de canon avec la Prusse, on ferait mieux de cräer deux Ecoles, l'une de Berlin, l'autre de Paris.i) Leur jeunesse viendrait chez nous s'adoucir, s'assouplir a notre contact: eile n*y perdrait rien de sa force, et eile y gagnerait en gentillesse; tandis que nous, nous enverrions l'^lite de nos jeunes gens studier les sciences dans leurs laboratoires, plus riches que les nötres; ils se fortifieraient au contact de cette nation rüde, barbare, si Ton veut, comme les Mac^doniens: ce sont les Macädoniens modernes. (Le Blason de la Revolution, page 349.)

„ün critique est un homme dont la montre avance sur celle du public . . . J*ai toujours aim6 k donner le premier coup de cloche." C'est ce que disait Sainte-Beuve avec quelque fierte: les passages qu'on vient de lire m6ritaient d'etre cit^s k l'appui. A sa maniere, ä son point de vue 'littöraire, sans s'elever au- dessus de son horizon habituel, mais en vieux routier qui connatt les pr^sages du ciel et les signes des temps, 11 a vu grandir l'ascendant de FAllemagne.

Comment la connaissait-il? II avait connu personn eil ement, 11 avait vu k l'oeuvre quelques -uns des pionniers de la science allemande, M. Dtibner, par exemple;^) il avait, pour Tavertir et l'informer, ses amis MM. Nefftzer, Renan, Scherer; il avait eu enfin, de tout temps, une sympathique admiration pour le g^nie de Goethe, chez lequel il aimait k trouver la r^union si rare d'une p6n6tration critique ^gale k la sienne, avec une Imagination cr^atrice et des dons po6tiques incomparablement sup^rieurs. Goethe est le seul auteur allemand dont 11 alt aim6 ' k parier (car le grand Fr6d6ric 6tait pour lui un 6crivain frauQais). II le cite k mainted reprises, et il lui a consacr6 trois 6tudes excellentes, en 1850, k propos des lettres de Goethe et» de Bettina d^ Arnim; en 1855, k propos de la correspondance de

1) Dans une des Notes et reinarques qui ont ätö jointes au volume intitul^ : Causeries du Lundi, Portraits de femmes et Af'traits litteraires, par Sainte-Beuve, table generale et analytique, par Gh. Pierrot. Paris, lib. Garnier, 448 pages, Sainte-Beuve a racontö que la premi^re id^e de PEcole d' Äthanes, d'instituer une teile Ecole, ^tait de lui; qu^elle lui ^tait venue d^s 1841 en lisant du grec avec Pantasid^s, n^ en Epire.

2) A cet ögard, tout Tarticle sur Dübner (Nouveaux Lundis, XI) est ä lire, et surtout les deux derniäres pages.

202 E, Bitter, La Correspondance de Saihte-Beuve,

GcBthe et de Kestner; en 1862, ä propos des Cimversations de Goethe et d^Eckermann.

Sainte - Beuve , qui a peu voyag6, ne connaissait les pays allemands que par une courte excursion qu'il fit en octobre 1829 ä Cologne et Francfort- sur le Mein 5 il revint en France par Strasbourg. Dans quelques morceaux des Consolations ^ (^X> XXII, XXV) on trouve la trace de ses impressions de voyage.

Eugene Ritter.

Ergänzende Bemerkungen zur Syntax des

XVII. Jahrhunderts.

Vorliegende Notizen sind bei der Lektüre folgender Autoren ge- sammelt: Th^ophile (de) Viau(d), Rotrou, Racan (Bergeries, Dis- cours ä rAcade'mie, Ödes, Psaumes), Des märest de Sorlin (Les Vision- naires, Clovis, teilweise auch Ddlices de fespritj, Chapelain (La Pucelie), Scarron (nicht berücksichtigt sind vom VirgUe die nicht vom Autor herrührenden Bücher, doch ist der dritte Teil des Roman Comiq^ie, obwohl nicht von Scarron geschrieben, herangezogen und durch /// in den Zitaten bezeichnet), Scud^ry (Marie), M"® de Scudöry (Aria- tnene ou le Grand Cyrus, Band 1 IV). Die aus diesen Schriften ge- sammelten Stellen haben den Zweck, das vom Verfasser in seiner Syntax des XVII. Jahrhunderts gegebene Material zu vervollständigen, so dass entweder Erscheinungen, die überhaupt nicht berührt sind, und das sind nur sehr wenige, erwähnt werden, oder besondere Arten eines behandelten Falles hinzugefügt werden, oder endlich auch da, wo es wünschenswert schien, die Beispiele vermehrt werden. Dabei liat der Verfasser sich an die Paragraphen seiner Syntax angeschlossen. Nicht gegeben ist das, was bereits von Sölter, Grammatiscne und lexikologische Studien über Jean Rotrou, Altona, 1882, und Hellgrewe, Syntaktische Studien über Scarron* s Le Roman Comique, Jena, 1887, gebracht ist. Wo an diese Abhandlungen angeknüpft ist, wird dies besonders be- merkt. Eine kritische Berücksichtigung derselben hielt der Verfasser für überflüssig.

Das unbetonte persönliche Pronomen als Subjekt des Ver- bums, welches von den Dichtern, besonders von Scarron im Typhon und VirgUe, noch oft mitunter auch in der Prosa des Thöophile und des Racan vernachlässigt ist, fehlt in der Frage 8, e): Voudriez m*obliger d^aimer mon adversaire? Souffrirais-je en mon lit fassassin de ma mere? (Rotrou, Gosroäs III, 4). Dasselbe findet sich beim Imperativ sois le bienvemt 8 Anm. 2): Vous soyez le tres bienvenu, Lui dis-je (Scarr., Virg.). Et lors cria maitre Belenus: Vous soyez les tres bien- venus (Ibid.).

11 = ce als Subj. bei itre 2 Anm.): Je ne pense pas, Soit-il le roi gui me rappelle, Que je puisse m*eloigner d*elle (Thäoph.)

Prädikatives le, la, les bei c'est in Beziehung auf Personen 7 Anm. 1): Mais ne voyez-vous pas quelques gens amasses Qui dejä vers le bourg se sont fort avances? lie les serait-ce point? (Racan). Car c*est lui gut revit, et si ce ne Pest plvs (Desmar.). Chacun . . . criait: Voilä maitre Mneas"^, Et pourtant ce ne tetait pas (Scarr., Virg.). Vgl.

204 A, Eaase,

lux in Beziehung auf Sachnamen Est-ce une iUusion, ou ce vase en e/fei? Le voilä, c*esi Int -mime (Rotrou) =: le mime.

Zu den Wendungen, in welchen en fehlt 9, 2, a), vgl. Cor en comhattant pres, guand nous viendrons aux mains, Nous aurons etc. (Scud.) Les armees eiant donc en etat de veriir aux mains (M"® de Scud.).

Das partitive, auf ein vorhergehendes Subst. zurückweisende en ist heute niemals von einem von einer Präposition regierten Indefinitum abhängig, wie Apres je me mis ä ecrire des fahles . . . , et m^en ressotive- nant de quelques-unes, je les ai traitces en C ordre qiieües me sont venttes ä la memoire (Th^oph.), und ebensowenig von einem Subst. der Quantität, welches Subj. ist, wie Vn portrait de province en peu de temps se gäte, La plupart en sont faux (Scarr., Com.)

Zur Stellung der pers. Pron. unter einander 164, a) sind anzuführen: Cest dele voir dans Peau qni le nous montre mieux (Thäoph^. Je Vengage ä le vous accorder (Id.). Je le vous ai dejä dit (Scarr. R. C. IIL). Je le vous dis encore, fen sais les moyens (Ibid.). Son galant, qxCelle trouva en Cetat je viens de le vous representer (Ibid.). llsuffirade vous dire pour le vous faire comprendre qu'eUe voulut etc. (M"« de Scud. II, 446).

Zur Stellung des Pron. beim Infinitiv 154, c) vgl. Je faime mieux le coeur hors du sein arracher (Th^oph.). // les fera beau voir, mon valet est poltron, L'autre ne Fest pas moins (Scarr., Com.). 0 Dieu, qu'il la faisait beau voir! (Id., Virg.) (Jn dit qu'il me fmsait beau voir (Ibid ). En ne se faisant anfonds que rire de votre mal, (eile) votis laissera vieiüir sans recompense (Thöoph.). Quiltez donc la soutane, ou rachevez d'user (Scarr., Com.). Si vous etiez si faible, et votre sang si tendre, Qu^on Veiii impunement commence de re'p andre (Rotrou).

Zu den § 154 Anm. 2 erwähnten Fällen vgl. Alors vous lui ren- drez le service fidele Que vous lui fit vouer le seul hruit qu^on fait d^clle (Rotrou). (Vne chaine) Dont la me'chante, ä chaque fois Que quelque äme la dedans enire, Vous me la frotte dos et venire (Scarr., Virg.), wo zwei ethische Dative gesetzt sind.

Das betonte pers. Pron. als unbezeichneter Dativ ist zwar im XVII. Jahrhundert nicht mehr anzutreffen, doch scheint auf jenen Ge- brauch zurückzuführen zu sein S'ü peut par son amour se rendre sup- portable, 11 lui sera bien doux^ et moi bien supportahle (Rotrou).

Als ein früher vorkommender Latinismus ist die Verwendung von soi zu bezeichnen in dem § 14d zitierten Des merites ... qui n*ont rien de pareil ä soi (Malh.) und 11 ne peut ailleurs choisir Vobjet qu*il aime, JM d*un egal a soi faire un autre soi-meme (Rotrou).

Wie früher soi nach Präpositionen ohne Reflexivität für das Personalpronomen der dritten Person gebraucht wurde, scheint dasselbe auch noch zu stehen De quelque cote que je dresse mes pas, La solitude en soi ne se rencontre pas (Rotrou, La Cälim^ne I, 1), wo offenbar en soi auf quelque cote geht, also = y ist, denn im Munde eines na- türlich sprechenden Mädchens, das über eine Gegend sein Entzücken äusseirt, kann das en soi wohl keine andere Bedeutung haben.

Soi-mime in Beziehung auf einen plural. Personennamen § 13d: 3Iais re'iroite vertu messied aux je un es gens, Qui peuvent quelque fois, ä soi' mime indulgents, Suivre quelque desir leur äge les porte (Rotrou).

Das unbetonte Possessivum vertreten durch das betonte Personale mit de 14, a) habe ich nur in solchen Fällen gefunden, wo das Pronomen stark betont ist, wie bei De lui le silence, et de r autre la voix Te de'truiront assez (Rotrou). N'y suis-je pas alle par votre

Ergänzende Bemerkungen zur Syntax des XVIL Jahrhunderts. 205

Charge exfr esset Le moi? (Id.) D' eile ü n'implore plus ni la pitiä ni Vaide (Desmar.). Nicht als Beispiel des altfrz. Gebrauchs ist anzu- führen Lucrece avait irouvä, sans doute ä Vinsu d'elle, Dom Louis (Scarr. Com.)i da bei solchen präpositionalen Wendungen der Gebrauch schwankte, vgl. Le sage ^vique parait ä son coie (Desmar.).

Attributives Poss. statt des Dativs des Personale 1 5) ist durch zu wenige Beispiele belegt, vgl. noch Arrache tes cheveux, meurtris ton sein de coups (Rotrou.). Q^^ f arrache son cwur (Id.). Elle rompt ses cheveux, dechire son visage . . . meurtrit son sein de coups (Id.). Ette se mit ä arr acher ses cheveux (Scarr., R. C. III). Vainement ses yeux ü frotta (Scarr., Virg.) Mneas sa barbe arrachait (Ibid.). (Elle) s^aban- donne au depii qui dechire son cceur (Scud.).

Z^ur statt son in Beziehung ^wi chacun (§16 Anm. 1): Les deux rois ennemuf attendraient Cevenement du combat, chacun ä la tSte de leur armee (M^^® de Scud.). Ils tomberent d'accord de se rendre compte de ce qu'üs apprendraient, chacun de leur cöte (Ead.).

Das betonte Possessivum in attributivem Gebrauch 17) mit dem bestimmten Artikel ist bei Scarron oft zu finden, besonders im Virg. Fast immer ist das Pron. dem Subst. nachgestellt und steht im Reime, z. B. Voici lautre . . . Bailli dans le boura vötre Fait-on dvec trois os insulte au bien d'autrui? (Com.) Peut-etre que dans la peur notre Tai pris une chose pour lautre (Typh.). A d^autres, Si sur les sacrifices notres Tu fondes tes meilleurs repas (Virg.). Sans y mettre beaucoup du voti^e, Vous pouvez bien au peuple notre Bardonner (Ibid.). L*un vaut lautre, Mais reprenons le discours notre (Ibid.). So auch im Vokativ // dit: „0 camarades notres (reimt mit D^avoir crie' comme les autres) (Ibid.). Aber auch Ton gener e%ix, ton adorable maiti^e, Le mien ami se souviendra peut-Stre Du nouveau den que ton dernier bittet Fit esperer ä son humble valet (Po^s.). Mit dem adj. Demonstrat. ist das Poss. für Rotrou durch zwei Stellen von Sölter S. 43 belegt und scheint auch sonst nicht vorzukommen. Aus Scarron's Komödien ist hinzuzufügen: Cette mienne lame N'aura plus de foumeau que celui de votre äme. Mit Indefiniten verbunden ist das Pron. Je lai vu , . , Prendre un autre sien camarade (Scarr., Virg.). Que si les prix sont pour les autres, Vous aurez quelques presents notres (Ibid.). Quelque mien ami louvrira [Scarr., R. C. III).

Das demonstrative Neutrum ce 18) ist nur von Scarron in altfrz. Weise gebraucht, vgl. Que votre niece soit bien sage, et ce faisant, quelque somme d^argent pourra la satis faire (Com.). Ce conside're, Monseigneur, Tirez-moi d*un si g7'and malheur (Virg.). fCe neanmoins Quilles y vinrent (Typh.). Si la mer nous avalait tous, Et ce par notre ne'gligence? (Virg.) Et ce, tant incivilement, Que etc. (Ibid.)]

Ce als Subj. bei Stre ist vernachlässigt 19): A moi serait grande folie De rapporter exactement etc. (Scarr., Typh.). Et serait pure riverie De croire que etc, (Id., Virg.). Je ne lui pourrais parier d'amour qu*en tremblant, füt pour moi ou pour autrui (M"® de Scud.). Mais qu'aucun ne füt plus capable de vous plaire, Serait d'un mal honteux passer en un contraire (Rotrou.).

Cela statt il findet sich nicht nur bei itre als Subj. 20, b), sondern auch A quoi sert cela de le dissimuler? (Racan.)

Adjektivisches ce = dem bestimmten Artikel 21, a): Pareil ä ces enfants que la peur de mourir Touche moins que laspect de qui les veut gudrir , . ., Tel votre lache cceur tremble au simple conseil etc, (Rotrou.) Nest'Ce pas faire comme ces gens qui depensent taut ce qu'Us ont ä la cour pour essayer d!y faire lewr foriune? (Racan,)

206 A. Baase,

Dass die sabstantivischen ceitm-dt Beltener cetie-ci, icelui, iceüe 23) bei Thäophile und Scarron, auch in der Prosa, vorkommen, mag angemerkt werden.

Als Determinativum erscheint bei Scarron im Virg, noch der alte Nominativ eil, vgl. 0 ma soeur, faui-lui bien comprendre, Comme Ronsard äii ä Cassandre, Qu'ä moins gue Dolope soudard^ On eil donl rhomicide dard Mit Hecior dans la se'pulture, 11 devrait iire, le parjure, Pitts reconnaissant ä Didon (1. IV). Die Stelle ist nicht etwa wörtlich zitiert, sondern lautet bei Ronsard: Je ne suis point, ma gnerritie Cassandre, Ni Myrmidon, ni Dolope soudard, I>ii cet archer dont rhomicide dard Occit ton frere et mit ta viUe en cendre. Übrigens kommt eil auch bei Rägnier (Litträ) und selbst bei Diderot vor (Tobler V. B, S. 200.). Dass celui ohne Ortsadverbium durch das Prädikat vom Relativum ge- trennt ist 24 Anm. 1), wird von Sölter S. 45 für Rotrou durch zwei Stellen belegt; andere Beispiele des bei diesem Autor noch nicht seltenen Gebrauchs sind: Celui rCa point peche gut dans larepentance Temoigne la surprise. Celui dort sürement gui dort dans finnocence. Celui possede assez de gui le ciel a soin. Celui n'aime pas bien gui peut tot se venaer. Celui ne peche pas gui peche sans dessein. Celui se plaint gui orüle. Sonst habe ich dies nur noch beobachtet Celui seid voit cotder heureusement ses jours Qui dans tous ses besoins nHmplore le secours Que du Dieu gui crea etc. (Racan). Celui n'a rien ä redouler Dont les fautes sont pardonne'es (Id.). Celui certes, berger j est digne de mourir Qui voit sa guerison et ne vent pas guerir (Id.).

Die im Altfrz. beliebte Zusammenstellung von ceux und ceBes findet sich bei Scarron Enfin tous ceux et toutes Celles, Tant les mäles gue les femelles, Qui fönt les vivanis enrager (Virg.), ebenso im R. C. III. U etait atter{du avec impaiience, principiUement de ceux et Celles gui devaient se marier. Cette troupe avait si fort gagnd les bonnes gräces de toute la noblesse . . ,, gue ceux et Celles gui la composaient n*allaient point au the'ätre . . . gu^avec grand cortege. Ebenso chacun et chacune: Cor entr^eux chacun et chacune äiit son rang sehn sa fortune (Scarr., Typh.).

Der Bedeutung eines Indefinitums nähert sich celui 26) auch in Sätzen wie Fous me connaissez mal, ce nom ne nCest point d&. Et vous ites celui gue je n^ai jamais vu (Rotrou) und Je suis celui qui n'ai jamais rien fait d'agreäble aux yeux de Dieu (Scarr., Nouv.), wo man entschieden guelgu^un, un homme sagen müsste, das der Sinn der Sätze erfordert.

Zu dem Gebrauch des bestimmten Artikels ist es nicht nötig, weitere Beispiele beizubringen, da die Autoren nichts bieten, was besonders hervorzuheben wäre. Nur das ist zu bemerken, dass Scarron, welcher in seinen Gedichten und Komödien von den übrigen Autoren sich nicht uqterscheidet, im Typhon und Virg. den bestimmten Artikel sowie das partitive de mit dem Artikel und ohne denselben sehr oft vernachlässigt und hierin ebenso frei verfährt wie Lafontaine in seinen Gontes, welchen jene Dichtungen auch hinsichtlich der sehr freien Wortstellung an die Seite zu setzen sind. Auch die Fälle, in denen abweichend vom heutigen Gebrauch der bestimmte Artikel ver- wandt ist, Hessen sich nur durch einige Beispiele vermehren.

Von den Relativen wird attributives ^t^/ angetroffen : Mais ils craignaient sur toutes choses Qu'occire eüe ne les voulüt, Apres quel mal, point de salut (Scarr., Virg. 1. V, v. 14).

Substantivisches qui im Plural 40 Anm« 2) findet sich Vous verrez dans les chants qui stdvent Gemme mal meurent qui mal vivent

Ergänzende Bemerkungen zur Syntax des XVIL Jahrhunderts. 207

(Scarr., Typh., III der Schlussvers) Ebenso ist qui pluralisch La demeure, les Mens, . . . tout humain inte'rit Doivent Stre communs ä gut la couche Fest. Mais que, comme ta vie et comme la fortune, Leur creance toujours leur doive ^tre commune^ . . . Aucun droit n*etablit cette necessite (Rotrou, Saint Genest III, 4). Dass das subst. qui sehr oft bei Rotrou nach Präp. auftritt, wird von Sölter S. 47 bemerkt; in den Fällen, welche er berührt, kann man es auch heute sehr wohl sagen, dagegen kaum noch in Sätzen wie Cest de qui Je me veux plaindre aussi = de lui que.

Der ursprüngliche Nominativ des Neutrums (ce) que begegnet noch abweichend vom neufrz. Gebrauch Ce qu^ ayant ete su par Mariesie, eUe nCen avertit (M"« de Scud., IV, 19), wenn man nicht eine Nach- lässigkeit des Druckes annehmen will. Da im XVI. Jahrhundert das ae que noch so vorkam, die Ausgabe von 1654 sonst ziemlich korrekt ist, scheint das nicht gut angängig.

Zu § 35 Anm. 2 (Akkus, ce qf*e als Angabe des Masses zur Grund- bestimmung dienend) vgl. Des Honneurs qui me rendraient considerable parmi les miens au delä de ce que je le puis iire par ma ttaissance (Thäoph.). Es braucht kaum bemerkt zu werden, dass in Sätzen dieser Art die § 6, 2 besprochene Erscheinung der Wiederaufnahme eines Relativs durch ein Personalpron. für das prädikative ce que stattfindet. Vgl. noch I\t ne doutes donc plus que je ne faie aimd Tout ce que peut aimer un cceur bien enflamme? (Scarr., Com.) EUe alla retrouver son impatient amoureux et lui rendit compte de ce qu'eUe avait avancä (Id., Nouv.) = „wie weit". Mais je sais ce qu'au ciel deplmt la perfidie (Rotrou) = „wie sehr". Dieser Akkusativ ist dem § 51, b und hier weiter unten zu erwähnenden adverbial gebrauchten nV« und quelque chosc an die Seite zu stellen, in denen man ebenfalls Akkusative des Masses zu sehen hat.

Das auf einen Satz bezogene Neutrum qui ohne determinatives ce erscheint sehr oft nur dann, wenn das Prädikat ein mit itre ange- fügtes Subst. ist. Für den anderen Fall 85, b) lassen sich jedoch noch mehr Beispiele beibringen, so Vous eussiez etd bien aise d^epargner la peine de les controuver, car votre esprit de soi n'est pas trop inventif, qui me fait croire que vous ne m^avez impute que ceux que la pratique vous a appris (Th^oph.). Et mime Fon me fit porter trois ou quatre enfanis au baptime, avec des fiUes des meiUeures maisons de notre voisinage, qui est ordinairement par ou fon commence pottr reussir aux mariages (Scarr., R. C. III). Quand VerviUe aurait mis fin aux affaires qu'ü avait ä Rennes, qui serait dans une quinzaine de jours au plus tard (Ibid.).

Prädikatives que auf cehä bezogen 85 Anm. 4) findet sich auch sonst, so Toi qui vis le chaos enf anter la nature. De celui que tu fus vivante se'pulture, Ombre ä qui riend* humain ne reste que la voix (Rotrou"). Reprisentons celui que je suis devenu (Id.). Mon penser se confondt et celle que je fus En celle que je suis ne se retrouve plus (Id.) Cet Artamtne . . . rCest pas v&itablement celui que je veux qui le soit (M"" de Scud.). Si j*etais celui que V09is pensez que je sois^ croyez etc. (Ead.). Diese Fügung scheint mir durch eine Attraktion ver- anlasst, wie z. B. auch in Le sort n^est point celui qui fait les differences (Rotrou) offenbar eine solche vorliegt, resp. eine Konstruktion nach dem Sinne zu sein.

Als relativifiches Neutrum erscheint bei Scarron wiederholt qt4ani in der Wendung ^uant est de = quant ä, pour ce fui est de, eine Wendung, welone la der älteren Sprache vorKam (b. Littr^ s. y. ßistj,

208 A. Haase,

80 Quant est de tnoi, Je votis revere (Virg. 1. V). Eit quant est de notre destin, La grand^mere des dieux, Cybele, Me fall demeurer aupres d^eUe (Ibid., 1. II). Et quant est de lui, qu^ii e'tait digne dusceptrequü portait (Typh.). Quant est de moi, jestime Amadis gr andement (Com.).

Dont als Attribut eines von einer Präposition abhängigen Sub- stantivs (§ 37, b) bietet Heurtux ceux qni . , . Reverent PEternei . , . Et dont son setä amour imprime dans leurs cmurs Le respecl et la crainte (Racan). Freilich steht hier das Possessivum, doch wurde das- selbe auch sonst zu einem attrib. dont regierenden Subst. gesetzt, z. B. Aurele dont Cespoir allege ses soucis (Desmar.) (vgl. Deux personnes de qui fetat present de leur fortune paratt iire si dissemblable (M"* de Scud.) und § 37 Anm. 2), so aass man hier eine ähnliche pleonastische Ausdrucksweise sehen kann wie § 6, 2 und nicht anzunehmen braucht, in dem ersten Beispiel sei der Verfasser aus der Konstruktion gefallen.

Der § 37 Anm. 4 aus Lafontaine'« Contes belegte Gebrauch des auf einen Satz bezogenen dont ist bei Scarron im Virg. nicht selten, z. B. // respecta mes cheveux m*is, Se laissa toucher ä mes cris. Et de son vin il me fit boire, Dont tl acquit beaucoup de gloire. Les entraiUes (Qui) sentaient bien fort les tripailles, Dont le nez eile se boucha. Ainsi dame Pyrgo parla, Dont, depuis, tout fort mal alla. Quelques-uns par delä le cou (plongerent dans feau), Dont ils burent plus le soüL

, D'oü statt des possessiven dont 38 Anm. 2): 11 les mena droit ä fEcu, D*oü Chöte eiait un peu cocu; Sa femme e'tant un peu coquette, Qui certes fut bien satisfaiie De voir chez eile ces beaux dieux (Scarr., Typh.). Eine andere Auffassung des d^oü scheint mir durch den Zu- sammenhang ausgeschlossen.

Chi in Beziehung auf ein unmittelbar vorhergehendes ce 88 Anm. 2) ist bei Thäoph. öftets zu finden, z. B. Non seiilement le con- traire ne regoit point son conlraire, mais aussi quelque chose de contraire ä ce ü va. Je lui dis . , . que nous n^etions point des gens incapables de persuasion pour tout ce nous trouvions quelque apparence.

Zu vers 38 Anm. 3) vgl. (Elle) prit le chemin de Madrid, devers eüe fit aussi m^rcher son bagage (Scarr., R. C). Littrö s. gibt ein Beispiel aus M"® de Scud., ohne diesen Gebrauch zu beanstanden, doch wird man, glaube ich, schwerlich noch vers hinzu- fügen, wo allein schon völlig genügt, wie auch Vers Npaule gauche ä la gorge est conjointe, Le sacrÜege fer ... Se faitjour (Chapel.). Vers dans un marais, pres du bord de la Seine, La BastiUe commande et la viUe et la plaine . . . C<? heros ä grands pas jusqu^au fosse s'avance (Id.) u. ä. Auch wird man in Fällen wie // tourna la tite vers il croyait ouir du bruit (Scarr., Nouv.) gewöhnlich du cote que sagen. La vor oü, das sich auf ein Subst. bezieht, kommt wie früher noch vor 11 se rendit au camp de la Rochelle, la oü, comme vous avez pu savoir, le siege fut fort opiniätre (Scarr. R. C. III.).

Statt des auf einen ganzen Satz bezogenen = quand 38, g) tritt ici que auf: Et ce dernier assaut ne vous peut-il dompter Ici que la victoire est tant ä redouter, Ici qu' eile vous öte une offre siparfaite, Ici que la couronne honore la defaite? (Rotrou.)

Zu der § 39, f erwähnten Konstruktion sind als besonders zu beachtende Beispiele hinzuzufügen Pendant le discours de Sohn, Philoxippe qu'il y avait de ja longtemps qui avait bien de la peine ä ne finterrompre point, ne put plus s-en empicher (M"* de Scud.). 11 le laissa avec une joie qu*il y avait longtemps qui n* avait trouve place dans son coeur (Ead.). 11 y avait un komme . , qu'il y avait de ja assez longtemps qui e'tait ä Gmde (Ead.), Stellen, die sich nur

Ergänzende Bemerkungen zur Syniacc des AVIL JaJtrhunderis. 209

erklären lassen, wenn man annimmt, dass das gut in jener Konstruktion auf ursprünglichem qu*il beruhte und in der Folge auch in Beziehung auf Feminina unbedenklich verwandt wurde. In Divers petits amours qui semblent qui s^elancent (Scud., Alaric 1. III), Derriere ce heros qui semble qui soupire (Ibid.). Mais craignant de donner connaissance de ce qui eiait si necessaire qui füt cache, je crus etc. (M^^** de Scud. IV, 561) liegt ebenfalls jene Konstruktion verschmolzen mit persönlich gebrauchtem sembler und ü est necessaire vor, wie ja sembler vielfach früher persönlich vorkam, wo die neuere Sprache es unpersönlich ge- braucht, so dass das zweite qui = qü'il ist, vgl. dazu aus M^** de Scud. Quoiqu'elle eüt re'solu de ne se parer point et de parätire la plus ne'gligee qui lui seraii possible, eile ne put en venir ä bout (II, 371). 11 la Vit donc et lui repre'senta de teile sorte Finjustice de Cre'sus et Celle du roi de Pont, qui la fon^a d^avouer etc. (II, 190) (s. auch § 35 Anm. 1).

Das interrogative quel ist =: neutralem kquel in dem von Sölter S. 48 zitierten Je doute quel des deux est moins m^assassiner, Ou de la retenir ou de T abandonner (ßotrou) (s. § 41 Anm. 1.).

Substantivisches quel ist auch in der Prosa oft genug zu finden (§41, c), vgl. noch Taut cela (d. h. leide ich) par je ne sais quelle, Qui parce qu*on me trouve belle, Dit partout que je ne vaux rien (Scarr., Yirg.), was dem substantivischen quelle que im verallgemeinernden Konzessivsatze 45 Anm. 2) an die Seite zu stellen ist.

Man kann zweifelhaft sein über qui in Sätzen wie die § 42 Beispiel 10 u. Anm. 2 zitierten, denen sich noch andere hinzufügen lassen, z. B. QuHmporte qui me tue, ou sa bouche ou ses yeux? (Rotrou). JNHmporte qui Facquikre, ou la force, ou Cadresse (Id.). Belas, en cette peithe Qui le doit empörter, ou Camour, ou la haine, Je souhaite et je crains d'apprendre son trepas (Id.). Sicher ist, dass die neuere Sprache sich nicht so ausdrückt, sondern entweder ce qui oder leqnel anwendet, je nachdem sie das Fragepronomen in Beziehung auf die folgenden Substantiva, um deren Auswahl es sich handelt, setzt, oder nicht. So ist zwiefache Auffassung möglich, wie auch £t qui doit Pemporter, ou Camour, ou la haine? (Rotrou) ö'm« ebensowohl Neutrum sein als = lequel stehen könnte ; an Stelle des letzteren ist dasselbe verwandt En m^me temps je Faime et je la hais, Qui de ces passions f empörte je ne sais (Scarr., Com.).

Unendlich oft ist bei den Autoren des XVII. Jahrhunderts je ne pnis que faire scheinbar = neufrz. je ne sais que faire zu lesen, z. B. Je ne vous puis qu'offrir apr^s un diademe (Rotrou), Je ne puis que comprendre en tout cet artißce (Id.). EUe ne pourrait comment Vattacher (M"* de Scud.). 11 ne pouvait que penser de cette aventure (Ead.). Dass jedoch diese Wendung nicht ganz mit der neufrz. identisch ist, beweisen Stellen wie Ainsi sans savoir ni pouvoir que faire, ils regardaient ce chariot (M"« de Scud. IV, ll) 11 ne savait qu'en penser, et ne pouvait par ou Irouver les voies de remettre etc. (Ead.).

Als Nominat. des Subj. in der indirekten Frage habe ich quoi 42 Anm. 3) noch gefunden N*aveZ'VOUS point sur vous quelque bon cure-oreille? Je ne puis dire quoi me chätouüle dedans (Scarr., Com.).

De quoi im Sinne des neufrz. de ce que 42 Anm. 4) ist für Rotrou von Sölter S. 46 durch zwei Beispiele belegt. Andere Beispiele aus demselben Autor sind: On murmure lä-bas De quoi le del di/fere un si juste trepas (Le Filandre V, 8). Sois beni, juste del, de quoi cette province Dans le fils de son roi retrouve enjfin son prince (Don Lope de C. IV, 5). Dazu Je me trouve e'tonne de quoi je suis vivant (Th^oph,). Ferner findet sich de quoi auch für de ce que in den Ver-

Zacbr. t firi. Syr. u. Litt. ZI^. ^^

210 J. Baase,

wendnngen, in welchen dieses im XYII. Jahrhundert vorkam 108), BO Je crois que la poste'rite ne doii point irottver mauvais de quo i je ne rentreiiens que des folies de ma Jeunesse (Kacan). Ce Corps Charge de chames N*est reffet ni des lois m des raisons humaines, Mais de quoi des chre'iiens fai reconnu le Dieu (Rotrou, Saint Genest III, 4) und endlich aach rein kausal = parce que Aucune passion ne iraversaii mon bien, Et je m'aimais aiors, de quoi ß n'aimais rien (Rotrou, La Pelerine amoureuse, III, 5). Wenn man zu diesen Stellen vergleicht den indirekten Fragesatz nach Verben des Affekts 43 Anm. 8) M nCa pris une. mime defiance des persuasions de Socrate, et mkdbahis pourquoi je commence ä me dädxre de son opinion (Th^oph.). Admirez, seigneur, comme quoi la prudence humaine est homäe (M^^* de Send.), wenn man ferner das unendlich häufige de qvoi beim Infinitiv berück- sichtigt, z. B. Cherchant de quoi hmr ce ghrieux amant. Je voyais etc. (Rotrou), wenn man endlich interrogatives und relativisches de quoi in den § 109 zitierten Stellen hinzunimmt, denen sich noch viele andere hinzugesellen, z,B, De quoi pälissez-vous? (Rotrou). Elle sHmagina que ce changement dtait concertd, de quoi eile entra en des si furieux transports, qu*eUe dit etc. (Scarr., R. G. III). Eüe fit la moue et la ftgue; De quoi ce grafid chef de la ligue Garda de honte et de d^pit Durant quatre ou cinq jours le Ut (Scarr., Virg.), dann scheint quoi sicher pronominal und zwar interrogativ und sodann relativisch verwandt.

D*oü = de quoi (§48 Anm. 2) Ton amitiä . . . Qui ne saurait trouver . . . D^oü je suis aimaöle, Ne peut trouver ainsi de quoi nCaban- donner (Thöoph,).

Zu der § 43 Anm. 5 erwähnten Mischung direkter und indirekter Frage vgl. Je lui repondis que non et qu'est-ce qu'ü voukut dkre (Scarr., R. C. III). Das in Scarron's Virg. oft vorkommende ^mV,;/-«;^ findet sich so als erstarrte und nicht mehr ihrem Wesen nach empfundene Verbindung, z. B. Sans nCenquerir pourquoi, ni qu'est-ce.

Wie attributives quel in Sätzen wie Prenez quel livre ü vous plmt vorkam 44, 1.), so auch substantivisches lequel: Auquel vous plaira mieux cnoisissez votre genäre (Rotrou). Es-tu Ubre ou captif? Oui. Mais lequel des deux? Lequel des deux me platt, ou tous les deux ensemhle (Id.).

Im verallgemeinernden Konzessivsatze erscheint attributives qtiel 45, a) ausser in dem von Hellgrewe S. 18. zitierten Beispiel noch 11 faut que je lui parle ä quel prix que ce soit (Scarr., Com.) und mehrfach bei Th^oph. Rien ne faxt une ohose belle que la präsence ou la communion du beau, de quelque fa^on et pour quelle raison qu'il arrive. A quel point que Phumeur le force de changer. A quel prix que ce soit, U en faut donc sortvr.

Oviconque 45, c): Vartifice est subtil, quiconque en soit Tauteur (Rotrou), und nicht prädikativ Quiconque vous ait fait cette fausse peinture , . ., 11 mourra (Id.).

Das veraltete quoi qui ist von Sölter S. 48 erwähnt, ebenso Quoi qui en arrive, ü le faut attribuer ä la fortune (Malh.). Elle trouve ä redvre ä quoi qui se presente (Chapel.).

Der § 45 Anm. 5 erwähnte Fall pour si utile qu^ eüe füt ist bei Thäoph. und Rotrou ungemein häufig und tritt in verschiedenen Arten auf. Sölter S. 49 belegt attributives quelque vor einem durch si ver- allgemeinerten Adj. A quelque si haut point que ce bonheur m^honore. Auszugehen ist bei der Erklärung von den Fragesätzen, in welchen attributives quel vor einem durch ^t hervorgehobenen A^jektivum steht, 9, B. Quel si grand rot n^est point jaioux de votre eceur? (Th^oph.).

Ergänzende Bemerkungen zur Syntax des XVII. Jahrhunderts, 211

En quel si beau marhre de Pare Dois-je graver des monuments Qui soient fideles ä ia gloire? (Id.). Quels si rares exploHs la rendent admiraUe? (Rotrou). Quel si pressant b esoin vous tire de ce lieu? (Id.) und 80 unendlich oft bei diesen beiden Autoren. Wie hier nach einer besonderen Art des Subst. gefragt wird, welches die durch das Adj. bezeichnete Eigenschaft in so hohem Grade, wie dieselbe that- sächlich vorliegt, oder gedacht wird, besitzt, so wird die Art eines solchen Subst. verallgemeinert in Et de quelque si grand me'rite Dont Chonneur flalte nos exploiis, II rCest rien de tel etc. (Th^oph.) = von welcher Art auch immer das so grosse Verdienst sei, Quelque si grand malheur qui jamais nCen arrive (Id.). Dass von hier aus auch ad- verbiales quelque zu dem durch si ausgezeichneten prädikativen Ad- jektivum trat, ist nicht befremdlich, da das neufrz. quelque vor dem prädik. Adj. ja auch aus dem. quelque vor dem attributiven Adjektiv hervorgegangen ist, vgl. Quelque si clairvoyant que soit Vesprit des hommes, Nous ne reconnaissons etc. (Rotrou).

In Sätzen wie Pouvcz-vous ecouter ... Et, pour quelques raisons qui vous puissent armer. Verser le meilleur sang etc. (Rotrou, Don Lope de C. 111, 3). Des rivieres plittöt . . . rehrousseraient lenr course, Que pour quelque depit qui rebtite un amant, II cesse dHncliner et tendre ä son aimant (Id.). Et pour quoi qu'on en ait, on en a pour le jour (Id., Le Filandre I, 4). Et pour si peu de temps que je Tai vue, fai touie cette ide'e si bien imprimee dans le coeur etc. (Th^oph.), tritt pour in deutlich erkennbarer kausaler Bedeutung auf, wird jedoch in der neueren Sprache nicht angewandt, da das absolute Substantivum mit quelque resp. quoi que und si peu genügen. (Vgl. über dieses pour Zschr. f. r. Phil. XI, 445 ff.). Man kann in solchen Sätzen eine Ver- schmelzung der beiden Wendungen pour temps que faie und quelque temps que faie, der älteren und der jüngeren, sehen, eine Verschmelzung, die dann schliesslich der modernen Wendung hat weichen müssen.

Aussi in solcher^ Sätzen wie Quoi qu*il ariHve aussi, vous ne la qnittez pas (Rotrou).

Das veraltete comme que: Pour les hommes, ils se coucheraient comme que ce füt (Scarr., R. C. III).

Unter den Indefiniten ist tout zu erwähnen, welches vielfach in der älteren Sprache zur Verstärkung anderer Wörter diente. Dem § 46 Anm. 2 Gesagten ist hinzuzufügen, dass tout ainsi sehr offc vor- kommt, und tout aujourdlhui kann auch noch öfter nachgewiesen werden, z. B. Je saurais bienme tenir ici tout aujourd' hui (Th6oph.), Qui m*a tout aujourd^hui mis Täme ä la torture (Id.). Ma foi, tout aujourd^ hui ce cavalier et moi Nom vous avons cherche (Sc&rr.^ Com.). Be quoi tout aujourd^ hui II consentira donc? (Ibid.). Obstinez - vous tout aujourd'hui ä vouloir quHl vous rende votre portrait (M"® de Scud.). Ebenso findet sich tout vor attributivem les deux, wo es heut- zutage nicht mehr vorkommt, z. B. Et me faisant regner sur tout es les deux mers (Rotrou). Be tous les deux cot es les choses ne furent pas sitot en etat de pouvoir songer ä combattre (M"® de Scud.). Be toutes les deux fa(^ons dont fenvisage la chose^ je trahis le roi (Ead.). Ce qui fut accepte egalement de tous les deux partis (Ead.). Andererseits fehlt dieses tout vor ä coup, wie Be la, tombant ä coup en des frayeurs plus vives, II nCa semble d^errer aux infernales rives (Th^oph.), (wozu man vergleichen kann La lumiere qui feblouirait trop ä coup (Desmar.)), und in d^un temps, wie Et pour punir d^un temps Torgueü desordonne . . . Faiies etc. (Rotrou). 11 est aise de juger de ma peine Par l^effort qui d'un temps m' empörte et me ramene (Id.).

212 J. Baase,

Adjektivisches chacun 47, a) kommt auch vor: Cesi ce JHeu . . . Qui . . . Of'donne le manotr ä chacun elemeni (Desmar., Visionn.). TJn chacun 47, b) in indirekter Beziehung auf ein mit partitivem de folgendes Substantivum: Cesi que ma voix cherche des iraits Pour un chacun de vos atiraits (Id).

Aucun im positiven Satze findet sich nur substantivisch, selten bei Rotrou (Sölter S. 48 und ausserdem Et d*aucuns qui ployaient craignant notre ddroute^ Ce grand homme . . . change etc.) und Thöoph. (Selon le sens d*aucuns Je voulais discourir Si ce n'est pas le feu etc.), oft in den Dichtungen Scarron's, z. B. Je n^ai point su commeni eile en fit le chemin, Aucuns oni dit sur un roussin (Po^s.). 11 disait qu'aticuns d'eux (de ces heaux espriis) ne sont bons qu'ä moucher les chandelles . . . Qu^ aucuns ä ce heau corps poun^aient servir de memhres (Ibid.). Aucuns commencerent par hoire (Virg.). fen puis Stre d^ aucuns bläme Mais aussi serai-je esiime (Ibid). Noire ville . . . Sans regret d aucuns fut laissee (Ibid.) und so sehr oft. Dass es mit dem von Hellgrewe S. 18 zitierten 11 avaii assez d'esprit et faisait assez hien de me'chants vers; d*ailleurs homme d'honneur en aucune facon, maiicieux comme un vieil singe et envieux comme un singe eine andere Bewandtnis hat, fühlt der Verfasser der Abhandlung selbst, da er sagt: „hier scheint es mehr dem englischen any zu entsprechen als für quelque zu stehen." Offenbar liegt hier ein unvollständiger negativer Satz vor = il n^eiait . . . en aucune fagon, also = „in keiner Weise", wie ja auch heutzutage en aucune faqon in derselben Weise sehr gebräuchlich ist.

Aucune fois ist auch 50, b) bei Racan noch öfters zu lesen, z. B. B est vrai qu'au matin aucune fois les songes Me de'goivent les sens. 11 suit aucunefois un cerf par les fouUes . . . Aucunefois des cJiiens ü suit les voix confuses,

Adverbiales rien 51, b) liegt in den gegebenen Stellen mit ne rien preiendre ä qc. eigentlich nur für die neuere Sprache vor, da man früher sehr wohl sagte pre'tendre qc, ä q. (qc). Ebenso konnte damals der Akkusativ als solcher noch empfunden werden in Deferez quelque chose au sentiment commun (Rotrou) Bourvu qu'ü promit que . . ., il defererait quelque chose ä mes prieres (M"* de Scud.). Ähnlich sina Et pour ne rien ce'der aux plus fertiles champs, Les rochers les plus durs ... Se laissent cultiver (Racan). Ma 7'aison s'accommode quelque fois ä mes de'sirs . . ., et cede quelque chose ä ma volonte. II me serait peut-itre plus avantageux. Im dts-je froidement, que votre volonte ce'dät quelquefois ä votre raison (M"* de Scud.) Doch scheint hier schon der Akkus, des Masses vorzuliegen, wie ein solcher deutlich erkennbar ist in Au prix de la vertu je ne les prise rien (Thöoph.). Von solchen Sätzen aus wurde dann rien rein adverbial, so dass dasselbe nicht mehr als Akkus, empfunden wurde, wie ja auch pas und point in ähnlicher Weise zu Adverbien wurden, . nur dass die Sprache dann später wieder rien auf den rein substantivischen Ge- brauch beschränkte. Vgl. noch Ne de'sespere rien, car je plains ton supplice (Rotrou). llrepondit qu^il n^avait rien oubli^ ä metire tous les secrets de la maaie en pratique, mais sans aucun effet (Scarr., R. C. III).

Die im Altfrz. sehr beliebte Umschreibung durch corps (Tobler, V. B. S. 27 f.) erscheint noch bei Scarron, welcher corps d* homme -ne = personne -ne gebraucht, z. B. Corps d' homme n'etait avec moi (Virg. 1. II). Corps d' homme rCen re<;ut outrage (Ibid., 1. V). Ebenso findet sich bei Chapelain Sous le petit Rambert, le grand corps de Norgale, Parmi son sang fumeux, sa dure vie exhale.

fful ohne ne beim Verbum 52, a) habe ich nur noch gefaodea

Ergänzende Bemerkungen zur Syntax des XVI L Jahrhunderis, 213

Un voleur, dont Vaudace ä nulle autre est pareille (Uotrou)^ eine Stelle, die darum nicht recht beweisend ist, weil die Wendung ä md autre pareil ohne das Verbum unendlich häufig war, man also sehr leicht dazu kommen konnte, dt7'e ohne ne derselben hinzuzufügen. Nul= aucun habe ich durch zu wenige Beispiele belegt; dieser Gebrauch ist sehr oft zu beobachten, z. B. im Grand Cyrus fast auf jeder Seite. Vgl. A-t-on vu jusqu'ici qne du nom des Adomes D'une etroile vertu nul ait passe les bomes*^ (Rotrou). Pouviez-vous croire qu*un ccßur out vous avait adoree püt offrir des voeux ä nulle autre divinite? (M"' de Scud.). 11 sera difficüe que fen trouve en nulle pari (Ead.). II evita.,, de renconirer la princesse Istnne en nulle part (Ead.). Bien hin de songer ä vous faire nulle violence (Ead.). Car je ne pourrais pas sans cet ajustement Avec nul des mortels converser un moment (Desmar.). Sa marq^te, sans laquelle ü ne veut pas que nul s^en serve (Id.). Je ne vois pas qu*il ait eu nulle aveniure fächeuse en cette chasse (M"** de Scud.). 11 ne lui etait pas possible (Tesperer Jamais nulle satisfaction en la vie (Ead.). Ce n' est pas que Je sente nulle disposition en moi qui etc, (Ead.). II ne crut pas que Manaane eüt nulle part ä la chuse (Ead.). Aussi bien n*est-il pas ä propo» de vous donne?' nulle emotion (Ead.). II rCy avait pas moyen de tirer 7iulle conjecture de tous les signes (Ead.). Ni CAn- glais n^est tombe, par nul autre ma/heur, Dans un gouffre si bas (Chapel.). Ni vous qui le sauviez,., JVe nul autre ici bas ne pourrait rempicher (Scarr. , Com.). Je m'en retournai , . . sans songer ni au chemin que je tenais, ni ä nulle autre chose (M"® de Scud.). Du moins vCaurai-je rien dans Pespit qui me reproche nulle inftd^lite, ni nulle negligence (Ead.). II ne restait nulle place pot(r nul autre sentiment (Ead.).

Pas un = aucun, per sonne (52, b) ist ebenfalls unendlich oft bei M"* de Scud. und auch sonst häufig zu finden, doch brauchen die Bei- spiele nicht gerade vermehrt zu werden, nur der Fall verdient der Er- wähnung, in welchem pas un neben der Negation ne-pas (point) erscheint, wie Pas un n'aUa pas au contraire (Scarr., Virg. 1. VIII). Elle ne se priva pas un moment de la conversation de pas un de mes rivaux (M"® de Scud., III, 285). II n'y avait point de nom au-dessus de pas une lettre (Ead.).

Mimement (§53 Anm. 4). II a trop de passion pour Hre croyahle, mSmement en une cause qu*il a faite sienne (Thäoph.). La nef, ainsi de'patronnee. Et mimement detimonnäe (Scarr., Virg.).

Substantivisches maint 54 Anm. 3) ist auch bei Scarr. im Virg. zu finden, z. B. Tydee, Adraste et maint s aussi Qui ne sont pas nommes

ici G. II).

Von den Zahlwörtern ist das früher beliebte un cent de zu erwähnen, z. B. Teile en trahit un cent, et se fait aimer d^eux (Rotrou). Bier fen blessai trois d!un regard innocent, D'un autre plus cruel Jen fis mourir un cent (Desmar.). (Elk) seule en vaut plus d'un cent (Scarr., Com.).

Als Beispiele zu dem § 57 Anm. 3 erwähnten Falle, dass ein Subst. mit dem unbestimmten Artikel durch einen Superlativ be- stimmt ist, füge ich hinzu Je suis sans doute une des personnes du monde la plus sensible aux bienfaits (Th^oph.). B etait un des hommes du monde le mieux fait (Scarr., Nouv.). Cl^andre dtait assurement un des hommes du monde le mieux fait (M"* de Scud.), ein Fall, in welchem dieselbe Attraktion vorliegt wie die § 64, b erwähnte (wn des meilleurs hommes qui sott au monde).

Unpersönlich gebrauchte Verba statt der persönlichen 58, b): Je vous ai moins payS Qu'il ne vous »etait du (Rptrou). Je

214 A. Baase,

suis bien aise de vons pouvoir dire auparavani qu*il m'empire davon- tage, que si les dieux disposaieni de moi, je n'entends pas etc, (M"® de Scud.). Vous ne ia reconnattrez pas quand iwns la verrez, iani il lui est visiblement amende (Ead.). Les qu*il eut forme la resoluiion de retourner ä Clarie, il lui amenda, il dormit toute la mdt suivante (Ead.). Auch sind bei M"® de Scud. Konstruktionen nicht selten wie Jamais il ne s' est entendu parier d!une pareHle confusion ä celle de Bahylone, Jamais il ne s^est vu de gens de guerre pariir avec un plus violeni de'sir de vaincre.

Transitiv sind abweichend vom heutigen Gebrauch 59) noch: accroire: Alors, pour Texcuser, moi-mSme je Vaccrois {DeBmQ,r., Clovis). aspirer: Donne donc ä tes voeux quoi que ton cceur dspire (Rotrou,

B^lisaire, I, 6). butiner: (11) s'apprite ä butiner Les plus cheres faveurs qu'un esprit

peut donner (Id.). 11 butine les fruits d^une injusie victoire (Id.). clignoter: Vainemeni ses yeux il frotta, Les ouvrit et les clignota

(Scarr., Virg. 1. I). decroitre: Sa compagtiie Naugmente ni de'croit ma froideur infinie

(Rotrou). desesperer: Ses maitres, qui peidaient tous les leurs fenfants) des le

berceau, la firent nourrice d^un garqon desespere des mede-

eins (Scarr., Nouv.). discourir: Tout cela est tres bien discouru (Th^oph.). Quelque

chose d'approchant ä ce que je vous en ai discouru (Id.). Quoi

que Vaffection te fasse discourir (Id.). eclater: Tandis que de leur haine ils e'c latent des crimes Contre les

pouvoirs legitimes (Racan). guerroyer: Vous les menerez Guerroyer les peuples du Itbre

(Öcarr.). hucher: Elle siffle en paume les siens, Elle huche ses Tyriens (Id.). lutter: Et presque sans espoir il lutte en vain les flots (Uesmar.,

Clovis). De Vüettespont e'mn (ü) luttait les flots cruels (Ibid.).

(Beisp. aus dem 16. Jhd. bei Littr^ s. v. Hist.). Wie obeir auch desobeir: Elle se serait vue de'sobeir pär une per- sonne qui ne le ferait pas en toute autre chose (Scarr., Lettr.) opposer: Et partout du camp se peut tourner Veffort, Sous cent

aspects divers il oppose la mort (Chapel.). persuaaer: Je sens une chaleur d'esprit Qui vient persuader ma

plume De tracer etc, (Thdoph.). 11 me dit de plus qu'il avait

fait assez de progres aupres d'eüe pour Vavoir persuadee de

lui donner la nmt entre'e dans son jardin (Scarron, R. C). pirouetter: Le vent la pirouette (ma barque) sur sa proue (Racan)

Eure les pirouette et les tourne en furie (Scud.). rapprocher: Vesclave e'chappe rapproche la maison (Rotrou). Ne

me rapprochez point (Id,). re'pondre: Pourvu que son esprit son visage reponde, Je crois qu*il

vaut beaucoup (Rotrou). resister: Artameme desespere de se voir re'sister si longtemps (M"®

de Scud.). tiddir: Mais du vin que Von repandit, Qu^elle but et qui la tiedit.

Fit que etc. (Scarr., Virg.) voisiner: Une longue avenue Ü'arbres ä quaire rangs qui voisinent

la nue (Desmar., Visionn.). voyager: Voyageant Vunivers de Vun ä C autre bout, Nous ne saurions

fuir (Th^oph.).

Ergänzende Bemerkungen zur Syntax des XVIL Jährhunderts, 215

Zu den beireits gegebenen Yerben mögen noch da^ wo nnr ein Beispiel oder mehrere nur einem Autor entnommene angeführt sind, gestellt werden: Avec taut de bruit . . . , Que le coßur le plus ferme ä peine l^accoutume (Scud.). Ensuiie ä cet hymen vous le disposerez Par les plus doux moyens que vous aviserez (Scarr., Com.)* fordonnerai de consulter Vaf faire (Rotrou.). Mais les monstres denfer,,. Consul- tent les moyens den affaiblir le cours (Chapel.). 11 suffit que chacun dispute cetie question en lui-mSme (Desmar.). Je vous prendrais pour mon juge, Si favais quelque chose ä disputer comme euxQS}^^ de Scud.). Ei son coeur veut e'clore un espoir qu^ü reiient (Rotrou).

Souvent la Jalousie ». . Par noire propre fauie e'cldt de grands mal- heurs (Racan). Ainsi courent les brmis des propos murmuranis, Par gut la foule ecloi ceni pensers differents (Desmar.). Aimant mieux hasarder le destin des batailles (J*) Assemble ce qu*Ü a de plus fa- meux soldats (Rotrou). Renviant pour sa gloire.,, L^exploit si renomme du valeureux Boraöe (Desmar.).

Reflexiv gebraucht sind 60) noch: se comhaitre: Ce'tait des gantelets setnblables Que des athletes redou-

tables L*athlHe le plus redoute, Erix,,. Se combaitait ä ioute

outrance (Scarr., Virg.). se däbarquer: Ahrs tout se de bar que (Scud.). Tout s'approche ä la

fin, tout vient, tout se ddbarque (Id.). (U) ^tait arrive ä Madrid,

Sans donner avis de Sdvüle, ü s'e'tait de'barque (Scarr.,

Nouv.). se d^libdrer: Mon desespoir en moi encor se ddlihere (Th^oph.). Je

me de Hb erat de chercher mon salut en ma fnite (Id.)^ se donner de la tSte, contre q€. kommt öfter bei Scarr. vor, z. B.

Elle tomba donc sur lui.,, se donnant de la tite oontre ceüe

de sa fiüe si rudement etc. (R. C). JDom Marcos, qui se donnait

de la tSte contre les muraiües (Nouv.). Maisc^etaii,,, Se donner

du front contre un mur (Virg.). se feindre: Je veux contraindre ma öonscience de se feindre pour

se condamner (Th^oph.). se tempSter: Mais cet <bU niest plus dans sa tHe, Dont jour et nuit ü

se tempSte (Scarr., Virg.), se valoir: Ne tient-il qu*ä tromper, ne tient-ü qü'ä irahir, A cause qu'on

saura se valoir de ses feintes? (Scarr., Com.). se vieillir: Les oraanes dontilse sert se vieillisseni et s^usent (Desmar.).

Als Beispiele kann man hinzufügen A quoi F hotesse, sans se bouger de dessus le siege eile ätait, lui repartit (Scart., R. C. III). Et qui se prenant garde Que celui qui voit tout, en tous Ueux le re- garae, Se gouverne en tous lieux comme e'tant devant lui (Racan). II s*en va temps de penser ä la mort (Id.).

Ohne das Reflexivum 61) kommen noch Vor: abaisser: Mais Vesprii dun pauvre homme abaisse de moitie (Scan.,

Poös.). bouleverser: Enfin tout bouleverse, et Jamais le sokü N^dclaira dans

son cours un desordre pareil (Scud.). consumer: Bs brülent sans reläche, et jamais ne consument (Racan).

Les m^chants ... Brälent sans e*onsumer et sans pouvoir mourir

(Id.). Je brüle, je consume, et ma lanptie alter ee Se coUe ä

mon palftis (Id.). Ebenso consommer bei Rotrou, Sölter S. 55. eteindre: TJn feu qui n* steint point, luit et brüle dans ce gouffre

(Scud.). (1^ Jette dans ce navire un feu qu*ü n'^teint pas (lo.). user: Elle {la table) est encore entiere et nus^ra jamais (Rotrou).

^16 J, Haase,

Hinzufügen könnte man noch Beispiele zu tfvanouir, z. B. Le Corps,., ei pourrit et ävanouit bientot (Th^oph.). Elle embrassa.., Don Carlos, gut pensa en evanouir cncore (Scarr., R. C). Nos peurs seront e'vanouies ßar ces mir ade s apparents (Racan), und einige Stellen, wo (wie in diesem letzten Beispiel) das Reflexivum in einer zusammengesetzten Zeit vernachlässigt ist; so kommt sehr ofb bei M"« de Scud. vor: 11 nous demanda, quand ü fut reiire dans sa chambre, ce que nous pensions etc, (II) fut irouver le prince Cle'obule dans son caUnet, ü e'iait retire il y avait dejä longternps, ferner (fl) ne laissa pas de ^assurer, aussitot qu*ü fut un peu remis de son e'tonnemeni, qu'elle n' avait rien ä crainare. Harpage, e'tant refugie en Perse etc.

Die § 62, b erwähnte, heute nicht statthafte, Attraktion der PersondesVerbums nach celui qui kann noch durch mehr Beispiele belegt werden, vgl. Je suis celui qui n*ai jamais rien faii d'agreable aux yeux de Dieu (Scarr., Nouv.). Je pense Hre celui de tous qui Vai le plus rigoureusement e'prouve (M"* de Send, III, 65). Commefai ete celui qui ai eu Vhonneur de lui raconter iouie cetie histoire etc. (Ead. IV, 192). Jetais Celle qui leur apprenais les nouveUes de la ville (Ead.). Vgl. auch noch: Je suis ce traitre, Cet amant non aime qui me vantai de VHre (Rotrou).

Zu den § 63 Anm. 2 berührten vereinzelten Fällen des ab- weichenden Numerus lassen sich andere, ebenfalls nur vereinzelt zu beobachtende hinzugesellen: (Sitot) que le soleü fut leve, La plupart alla reconnattre Les flenves de ce lieu chämpStre (Scarr., Virg. 1. VII). Et que (== quoique) irop de raisons m'oblige ä m'en venger (Rotrou, Don Lope de C. IV, 5). Par quels humbles devoirs te puis-je satis- faire Qui ne me laisse encor la qualite dingrat? (Id., B^lisaire I, 6). // n^est ni monts, ni mers, ni campagnes, ni fleuves Qui de notre valeur doive empicher les preuves (Scud., Alaric 1. I). Wiederholt lässt sich noch folgender, von Tobler, V. B. S. 190 erwähnte Fall betreffen. Pas un des curieux qui vous ont observes. N*ont ä tant de me'pris cru mes jours r^serves (Rotrou, Don Lope de C. I, 2). Que quelqu^un de ces gens le saisissent au corps (Id., Les M^nechmes IV, 5). Pas un de ceux que je cheris. Et dont je fais mes favoris, Ne m'oni offert leur assistance (Racan). Nous lui demandämes s*il ne savait point si quel^ qu'une de ses amies Vetaieni venue prendre (M"' de Scud. IV, 323). Dazu kann man vergleichen Chacun de ses hotes lui presente une action qu^ils auroni faiie (Desmar.).

Auch ist singularisches Verbum mit folgendem pluralischen Sub- jekt (§ 64 Anm.) noch sonst zu lesen: Ei des rochers soriit de nou- veUes fontaxnes (Racan). Ei des rochers flambants dun feu qui iout consume Sortira des charbons de soufre ei de bitume (Id.). Jpres ceUes-lä en vini quatre autres, portant deux cygnes (M"" de Scud. II, 612). Vgl. ferner Cesi ainst, m*esi avis, que s'esi passS la chose (Scarr., Com., so oft). Quel mepris obstine des hommes ei des dieux Vous rend indifferent et la ierre et les cieux? (Rotrou, St. Gen. II, 6).

In Bezug auf die Tempora in hypothetischen Sätzen 66, a) ist zu bemerken, dass bei Rotrou noch oft je dusse =^ ja devrais zu finden ist; in den früheren Stücken erscheint dieser Konjunktiv sehr oft, in den späteren wird derselbe etwas seltener, z. B. Vous dussiez souhaiier de la voir dans mes bras. Je vous dusse epargner en Phumeur dont vous Sies, Vous dussiez estimer cei honneur glorieux. Tu dusses rejeter ces doutes superflus» Suivani un compliment de longiemps affecie. Je dusse demander V4tai de ia sani4. Je proteste Venfer, les eaux, le firmameni, Ei iout ce que je dusse avoir de venertMe u. a. Auch der

Ergänzende Bemerkungen zur Syntax des XV IL Jahrhutideris. 217

§ 67 Anm. 8 berührte Fall kommt oft genug bei Rotrou vor, z. B. yissez, depuis irois ans , . . ^ Je dusse avoir connu, comme enfin je connoi, Le peu de volonte que vous avez ponr moi. Moi, dont le nom iout seid vous düt avoir ioticke. Tu dusses, Cleonte, En son infame Sana avoir noye sa honte. Uhymen düt avoir Joint nos jours, Voilä ce bei auteur de mes tristes soucis, Que ma triste confession düt avoir adouci. Je dusse avoir dejä consulte sa sdence. Sonst findet sich je dusse = devrais nur selten noch bei den anderen Autoren, wie Je nCen vais vous apprendre ici Quel düt Hre votre souci (Th^oph.).

Je fusse = j'eusse ete 66, b) begegnet nur selten, vgl. Mon esprit des longtemps füt reduit en vapeur S*il eüt pu concevoir une vul- gaire peur Cfh^oph.)* Leur raae füt sans toi de mon sang assouvie. Et sans toi, dans leurs mains, j aurais perdu la vie (Rotrou).

Comme si mit dem Präsens 66 Anm. 4): 11 m^aUegue un dieu Jupiter, Qu*il a peur de mecontenter, Ei les oracles de Lycie, Comme si le ctel se soucie De cettui-lä, de cettui-ci, II serait bien oiseux ainsi (Scarr., Virg. l. IV).

Das Präs. Fut. nach guand mime 66 Anm. 5) ist nicht selten bei M"" de Scudöry, z. B. Cette sagesse dont vous parlez n*aura rien ä faire gu'ä vous louer, guand meme vous m^aurez appris vos plus se- crhtes pense'es. Pourvu gue je voie Mandane, je serai toujours consoUs, guand mime tue ne me dira rien d'obligeant. Je faimerai ätemellemeni, guand mime eile ne m'aimera jamais. C*est powtant lui gui vous a refuse la porte et gui a ete cause gue Me'gabise est entre\ guand mime la chose se sera passe'e comme il le dit, und sonst.

Unendlich häufig ist bei M"« de Scud. die § 67, c, d besprochene Angleichung der Tempora; Beispiele bietet fast jede Seite, es genügt, nur einige anzuführen, wie Quand il serait vrai gue je ne serais pas le plus haissable des hommes et gue j"* aurais renau un Service important au roi, s^il arrive gue . . . , toutes mes actions ne m^obtiendraient pas son affection. Ne paurrait-ilpas sHmaginer gue j^ aurais songe ä partager avec Cyrus la domination de taute FAsie? II saura gue Philidaspe, ce mime Ph, gu*il a tant hat, m*aura enleve'e, Si je ne vous croyais Väme extrimement ferme, je croirais gue la peur aurait un peu trouble votre raison en cet instant, II ne fit pas la mime depense gu'il eüt faite, s*ü eüt cru gu'effectivement Spitridate eüt ete Cyrus, Je pense gue si eile n'eüt eu peur gu* Antigene Veüt vue mal danser, eile n'eüt pas mime ete en caaence. Nous fümes bien etonnes, guand nous fümes Orrives iout au haut de cette tour, de trouver gue le roi . . . etait alle pour con- stdier cette femme, car ceriainemeni si la princesse eüt su gu^il y eüt ete, eile n'y füt pas aUe' ce jour-lä.

Zu § 67, e vgl. Lors tu seras honteux gu*en mon adver site' Je faie tant de fois en vain solliciie D* avoir abandonnd le irain d*une foriune QuHl te fallait avoir avec moi commune (Thöoph.). Enfin Amesiris n*a point du ?'ecevoir cette lettre depuis gu'eüe est ma femme et moins encore Vavoir conservee (M"*» de Scud.), und zu § 67 Anmerk. 4 vgl. N^es-tu pas son esclave? Et ne voudrais-iu pas fitre tirä des fers? worauf der Angeredete antwortet: Sehn les moyens gui rrCen se^^aient offerts, Car je ne voudrais pas acheter de ma fuiie ete, (Rotrou). A Va- voir en fr einte (la loi) il y va de ma tite (Id.), das Gesetz ist aber noch nicht übertreten. M'Ster la vie Serait bien moins gue me P avoir ravie (la beaute) (Id.).

Die Bildung der Tempora composita ist zwar vom Verf. in seiner Syntax absichtlich nicht behandelt worden, jedoch möchte er hier bemerken, dass in Scarron*s Yirg. zweimal reflexive Verba mit

218 J. Haase,

avoir das Perf. bilden, was im Altfrz, vorkam, vgl. EMe dwtiit eu cor- ronon Par la irop longtte friction. Et s'anrait faii mal ä la Croupe (1. V). EUe a vovlu, la male biie, Achever la flotte par feu. Et vraimeni s^en a fallu pen, Si son man,,. DPeüt fait etc. (Ibid ). Ausserdem ist es der M"" de Scud. eigen, die Perf. und Plusquamperf. intransitiver Verba wie venir^ partir u. ä. durch fai ete\ favais ete zu bilden, was in der früheren Sprache vorkam und genau dem fai eu donne entspricht, wie sie denn solche Perf. unendlich oft auch bietet, vgl. M e'tait mort un moment apres qu'ü avait ete sorti de cette cahane (I, 51). Cet komme avait laisse tomber des lahlettes quHl avait ramassees, apres gu^il avait ete parti {llf 1 04). Ce qu*eUe avait dit, qnand favais ete sort i de son cahinet (II, 116). Aussitot que Cyaxare avait ete arrive ä Sinope, ils etaient retoume's au camp. 11 rC avait pas ete pluiot parti d^aupres du roi, que ce prince e'tait entre (III, 35). Aussitot que la nuit avait ete venue, il e'tait monte sur un cheval (111, 397). II y en avait deux qui s^ etaient jetes dans la mei' pour V assister, et qui avaient ete' noye's sans le pouvoir faire (III, 394) und sonst. Infolge dieses Ge- brauchs befremdet auch nicht Je les sentais comme si elles fussent venues d^arriver (111, 181) = venaient d^arriver.

Viele gute Beispiele zu den § 69—71 erörterten Umschrei- bungen finden sich in den poetischen Texten, doch thut es nicht not, die angeführten zu vermehren; nur das ist zu bemerken, dass faire mit dem Infinitiv zur blossen Umschreibung und nichts mehr sagend als das im Infinitiv stehende Verbum doch noch wohl mitunter sich betreffen lässt. Wenn man zweifelhaft sein kann über De quels ruis- seaux de pleurs le rappaiserez-vous Pour faire de'tourner de vos cou- pables tStes Les traits de son courrottx (Racan), so ist ganz zutreffiend Qui (un serpent) siffle et fait grincer la dent envenime'e (Desmar.,

Der Konjunktiv der Einräumung ohne que 73, a) ist noch öfters notiert, doch nur in poetischen Stücken, z. B. Xa reine vienne ou non, que vous sert sa venue? (Rotrou). Mon pere lä-dessus fasse ce qt^ü pourra ... Si je yCai Dom Diegue . . . J^ veux bien n*epouser qWun vieil jalouoc (Scarr., Com.). Et qui (la mort) . . . Lindiscrete qu'eüe est, grippe, voulüt ou non, Pauvre, riche, poltron, vaillant et bon (Ibid.). Et la troupe qui m'environne, Soient amis ou soient ennemis, Ne ine peut servir, ni me nuire (Racan). Force gens disent que vous n^ites Autre chose que des somettes; Mais soyez sornettes ou non. Je vais commencer tout de bon (Scarr., Typh.). Si bien que voulussent ou non, Sur ies soldats d* Agamemnon Nous regagnämes la captive (Id., Virg.).

Ebenso ist bei Dichtern oft que vor dem Konj. des Wunsches auch in solchen Fällen zu finden, wo das Neufrz. den alten Gebrauch bewahrt hat 73, b), z. B. Que plüt aux dieux que le discotrrs des fahles Trouvät en moi ses effets veritables (Th^oph.). Que mau dit soii le nuatre avec son eloquence (Rotrou). Que beni sott des dieux le pouvoir adorable (Id.). Que puissent-ils m^öter aussi la vie (Id.). Que puissent nos neveux,.. Dans leur äme graver Pätemel souvenir (Racan). Que maudii soit le fou (Scarr., Com.). Que beni soyez- vous, Seigneur, Qui m'avez fait un mis&able (Ibid.).

Dass sacke noch als Konjunktiv empfunden wurde, zeigen die vielen Stellen, in welchen es sackes geschrieben ist, z. B. Sackes donc au besoin fournir de la me'moire (Rotrou). Sackes que tout ce que la crainie a de bon et d^ utile . . . devient etc. (Scarr., Nouv.). Car sack es qu'il y a de ja deux jours etc. (M"^« de Send. IV, 367).

Der Konjunkäv der Selbstanffordemng in der ersten Pers. Sing.

Ergänzende Bemerkungen zttr Syntax des XVII. Jahrhunderts, 219

nach einem Imperativ in der Alternative, wo Je veux mit dem Infinitiv oder das Präsens Indik. das Angemessenste wäre, findet sich oft bei Rotrou, z. B. Ou quittez-moi-la, ou que je vous la quitie. Sois pru- dente, Dorise, ou que je sois mueite.

Im indirekten Fragesatze steht der Konj, 74) Je me con- solerais de ne irouver de quoi Je ne pusse en mon mal me venger que de toi (Th^oph.). II ne se souciait pas par quelle voie il parvint ä la grandeur, pourvu qu'ü y arrivät (M"® de Send. II, 633).

Der Indikativ statt des Konj. der Einräumung im verall- gemeinernden Konzessivsatze 75, b) findet sich auch nach pour peu que, so Et je crois que pour peu que je vous entendrais, Ce serait un metier je me resoudrais (Rotrou). Pour peu que tes geiis rameront, Aisement ils surmonteront Le fil de mon ^^«/(Scarr., Virg.).

Wie früher die Verallgemeinerung nur durch den Konjunktiv be- wirkt werden konnte , ohne dass dem Subst. ein indefinites Interroga- tivum beigegeben wurde, zeigen noch Sätze wie Prite ä ne re'server crime que faxe fait (Rotrou). Quel espoir que j^aie eu n*a sujet de renattre? (Id.), welche den § 75 Anm. 3 am Schluss zitierten an -die Seite zu stellen sind.

Dass das emphatische Adjektiv im Sinne eines Superlativs noch nicht veraltet ist 75 Anm. 3), zeigt Tobler, Z. f. r. Ph. XI, 442 f. Dasselbe findet sich auch noch ohne einen Relativsatz mit dem Kon- junktiv Elajit certain que c'etait un des vaillants hommes du monde {M^^ de Scud.).

Der Indikativ im Satze mit que nach Ausdrücken des Wollens 76, a) kann noch belegt werden: II me tarde dejä que dessus ce heau sein Ma violente ardeur n'accomplit son dessein, Attendant cet hymen qui te rend souveraine etc. (Rotrou). Je me sens tout de flamme; Je meurs que je ne vois cet objet de ma flamme (Id.). Quel respect me retient que des poings et des dents Je ne te fais rentrer ces termes impudents? (Id.). Qui me tient qu*en ce lieu je n*ecris de ton sang Le merite de Laure? (Id.) Vereinzelt ist der Indik. nach accorder = eine Bitte gewähren, Que Votre Majeste m^accorde seulement Qt^en ce lieu Lysanor reviendra sürement (Rotrou, L'heureux naufrage, V, 4), wo die Bedeutung des Wunsches zurückgetreten ist.

Der Konj. nach Ausdrücken des Beschliessens 76, b): Amour a re'solu que je sois ta victime (Th^oph.). La justice .. . Res out que la guerriere . . , Souffre de sa valeur triompher les enfers (Chapel.). Vous avez donc resolu que je parte (M"® de Scud.).

Der Konjunktiv nach esper er 80) ist nicht selten bei Rotrou, z. B. J*ose encore esper er que dans cette aüSgresse Vous souffriez ä mon sexe un peu de f aMesse, Lorsque fesperais son retour et ma gräce. Et que le roi rendtt la paix ä cette place, J^eus avec Dorismond ce fatal accident.

Der Konj. nach si &est (§81 Anm. 1) Si c'est qu^absolument ma mo7't soit resolue eic, (Rotrou). Auch est-ce erscheint mit que und dem Konj., so dass auch dieses noch nicht zum blossen Zeichen der Frage erstarrt ist wie heutzutage (vgl. Tobler, Z. f, r. Ph, XI , 440) , sondern noch seiner Bedeutung nach empfunden wurde, so Est-ce par un for- fait que je doive regner? (Rotrou, Cosroes I, 3). Est-ce, me disait-il, qu'en ejfet eile ait eu soin de ma vie? (M"® de Scud. I, ßOl).

Der Konjunktiv nach au lieu que 82 Anm. 1) Etant plus equi- iable qu'au lieu quUl fasse mon panegyrique, je m^en aille faire son dloge (M"® de Scud.). Wie hier das dquitable keinen Einfluss auf den Modus haben kann, sondern dieser nur durch die Reflexion veranlasst

220 A. Baase,

ist, 80 ist der Konj. als Modus der Reflexion^ vielleicht als Latinismus aufzufassen in dem Konsekutivsätze, der eine Thatsache angibt, Tant de haine, ingrate, ä ma perte fenflamme, Que deux fois en un jour eile aii (Tun vain effori . . . solliciie ma mort (Rotrou).

Zu den Stellen mit si peu que und dem Indikativ 84. a) füge ich hinzu: Mais sipetit quHl est, c'est assez pour une personne etc. (Scarr., Lettr.). ^t si fou quHl etait, Ü flattait sa passion en croyant etc. (Id., Nouv.).

Den Konjunktiv im zweiten Gliede des Komparativsatzes der Un- gleichheit (§ 84 Anm. 2) habe ich noch gefunden Je vons hais dejä plus que vous n*aimiez Amestris et je ne serai jamais satisfaiie que je ne vous voie tous deux malheureux (M"® de Scud.). Hierher gehört auch das von HeUgrewe (S. 38) ganz falsch = ä moins que ne aufge- fasste Nous eümes plus tot gagne les montagnes les plus proches de Valence que le vice-roi rCen püt etre averti (Scarr., R. C.).

Der Infinitiv ist nur noch nach depuis abweichend vom heutigen Gebrauch betroflfen 85, c), so Tu sais . . . Que depuis nC ttre instruit ä la. romaine loi, Mon äme dignement a senti de la foi (Thäoph.). Tai sotige ä ce vers-lä depuis Vavoir oui citei' de votre part (Id.).

Der Infinitiv ohne Präposition 86, 87) findet sich noch: // convint ä la Dionee . , . Rendre fhonneur que me'ritait Dame qui tant nous assistait (Scarr., Virg.). Cepeiidani je te prie encore m*excuser (Th^oph.). Me priant de nouveau me souvenir de compier bien les jours qu^elle m'avait accorde's (M^^ de Scud, III, 249). S'ü promet avec affection, Nous sei vani, exercer notreprofessioniRotiou), Ausserdem in folgenden noch nicht erwähnten Fällen, zu denen Beispiele aus früherer Zeit in den betreffenden Spezialabhandlungen zu finden sind, Je ne ci^ains point faillir quoi que ma muse die (Th^oph.). // m^accuse notamment avoir ait que je croyais auire chose que etc. rid.). J^ ai peur Vavoir courue, et qu'un auire Vait prise (Scarr., Com.). 11 se souvint mime avoir su que le prince d^Assyrie n* etait point ä Babylone depuis un tres longiemps (M"® de Scud., II, 111), eine Stelle, die allerdings auch einen Druckfehler enthalten könnte. Z'y recevoir, vous feri^z mal (Scarr., Virg.).

Das Subjekt ist dem von einer Präposition abhängigen Infinitiv hinzugefügt 85 Anm. 2) Je sais bien le moyen d^Stre tous deux Contents (Rotrou). Apres avoir donc e'te tous deux quelques momenis Sans rien dire, Qu^avez-vous fait de votre ami, me dit-elle etc. (M"*» de Scud.).

Der Akkusativ mit dem Infinitiv 89) kommt noch vor: Et croyant la fortune Avoir trop fait pour nous pour leur itre importune, (elles) Vinrent etc. (Rotrou). Qtii n* eüt cru par cette retraite La cour Celeste itre defaite? (Scarr., Typh.). Viens voir ce coeur ingrat souffrir sans re'compense, Et qui fut tout espoir t'aimer sans espe'rance (Rotrou, Florimonde). Tous d*une voix il faut sans fin . . , Cnanter soir et matin Sa gloire sa arandeur et sa misericorde (Racan). üne chose laquelle il de'sire etre par eilte et tout ä fait une ä une autre (Thäoph.).

Der Akkusativ hei faire mit einem Infinitiv nebst einem akkusativischen Objekt 90): üne ardeur dere'glee Q^i ^<^^ f^^^ ^ souvent au perü du träpas Suivre la vanite de ses trompeurs appas (Rotrou). (Ton soin) les fait posseder ta vistble presence (Racan). Uerrt'ur ... Les fait pour les faux dieux tout le sang epancher Des garcons et des fiUes (Id.). Les autres en le faisant boire Un peu plus qu^ü ne faut de vin (Scarr., Virg.). (lls) Firent boire ce grand fou

Ergänzende Bemerkungen zur Syntax des XVIL Jahrhunderts. 221

Vn peu plus que son chien de soül (Ibid.). EUe avait remarque heaucowp d^esprit et de merite en sa personne, ce qui V avait longtemps fait soup^onner quelque chose (Scarr., R. C. III). (llsj se mirent ä chercher ceux qui les avaient fait quitter le haut du pave (Ibid.).

Das Partizipium des Präsens statt des Gerundiums in Be- ziehung auf pluralische Feminina 91, b, c) in der Form -ants ist auch sonst noch zu beobachten, vgl. Elles fönt de nouvettes vies, Et quittants les royaumes voisins, Revienneni dans des corps humains (Thdoph.). Ces choses seront- elles point des chose s qui, occupants quoi que ce soit, le rettdent tel etc. (Id.). Et de ja toutes les Furie s Renouvelants leurs barharies Rendaient le vice triomphant (Racan). Les eaux d'Oise et de Seine, Disputants ce hutin, Faisaient etc, (Id.). Les deux sceurs s'ecriants deplorent son mcUheur (Desmar.). LHmage de leur crime et celle de leur gloire Et ants les deux bourreaux de leur tnste mdmoire (Scud.). Toutes les troupes . , . s"* dt ants rangees en haie pour laisser passer le rot, il ne voulut pas (M"* de Scud.). Vamhition et la vengeance n^ et ants guere accoutume'es de s'enfermer dans les bornes etc. (Ead.). Ebenso bei intransitiven Verben Les deesses des poetes ... passants dans ma fantaisie, Firent un peu de poäsie (Th^oph.). (Il) renleva, toutes ses femmes er i ants desespe're'ment (M"* de Scud.). Kaum findet sich -antes; die Stelle, welche Sölter S. 66 zitiert, ist durch den Reim veranlasst, eine andere ist La grosse pluie avec la grile Tombantes du ciel pSle-mSle (Scarr., Virg. 1. I.).

Das Partizipium des Perfekts 92) wird des Reimes wegen noch oft von einigen Dichtern mit dem nachfolgenden Objekt übereingestimmt, z. B. (Je) pense que le dieu des vers Ife m'aura pas moins de'couverts Les sec7'ets de sa prognostique (Th4oyh.). Non sans avoir devant huee La chanson de voix enrouee (Scarr., Virg.). II avait bas mise Et sa jaquette et sa chemise (Ibid.). Für Rotrou gibt Sölter S. 67 f. Beispiele, unter welchen auch eines sich findet, wo ohne den Zwang des Reimes die Übereinstimmung mit dem folgenden Objekt sich zeigt (II m^a preferee une ab jede rivale). Diesem letzteren sind hinzuzufügen Tu nous auras vaincus les astres irrite's {Rotrou, Ciarice IV, 5) und Un songe . . . notis laisse imprimee ou peu ou point de crainte (Id., Venceslas IV, l). Auch zeigen Rotrou und Scarron oft Nichtübereinstimmung des Partiz. mit dem zwischen Hilfsverbnm und Partiz. gestellten Objekt, sofern der Reim dieselbe erforderlich macht. Aus Rotrou gibt Sölter S. 67 Stellen, unter denen üne teile manie a ses sens occupe, QtCü aura dans un an tous vos biens dissipe (Les Mänechmes III, 4) sehr auffallend ist, aus Scarron führe ich an: Alors Neptune ayant toussd, Et plusieurs crachats repoussd (Typh.). Dont il lava son osil perce, Non sans avoir les dents grincd (Virg.). (Moi) qui n'ai ma conrse gäte Que pour avoir trop vite ^V^'(Id.), und so sehr oft in den Dichtungen dieses Autors; auch Si je n*avais e'te si haut embalconne, Cent coups au Heu d^habits je leur eusse donnd (Scarr., Com.).

DasB in der früheren Sprache vielfach das Objekt des Infinitivs als Objekt des diesem vorausgehenden Verbum finitum gefasst wurde, ist § 92 Anm. 2 durch Beispiele belegt, denen man hinzufügen kann Et tu nous a voulus immole?' ä ta rage (Rotrou). Des rois se sont vus obliger ä ses rares exploits (Id.). Ce de'faut par lequel eile s*est laissde prendre {DeBm&T.), ün prince qui tient la vie de celui qui vous Va voulue oter (M^'« de Scud., II, 188). üusage des dames assyriennes QU ron ne f avait point encore voulue assujetttr (Ead. II, 425 ebensg

222 A. Baa^e,

II, 499 und sonst). Je ne me suis pas laissee tromper (Ead. IV, 485). Ceux gut se souviennent de les avoir eniendues raconter ä leurs peres (Ead., II, 484). Ceite admiräble Venus . . . gu'il avait toujours crue VkHre que Veffei d^une helle Imagination (Ead., II, 512). 11 paraissait sur son visage une emotion de joie, quHls ne lui avaient famais vue avoir pour personne (Ead. II, 207). La faiblesse que je vous ai tant entendue condamner (Ead., III, 117).

Ganz besonders ist dies für die Verba der Bewegung, speziell venir, hervorzuheben. Nicht nur werden dieselben, wenn sie in einer zusammengesetzten Zeit vor einem Infinitiv stehen, im Pajrtiz. mit dem Subjekt nicht übereinstimmend betroffen, 94, a), sondern das vor dieselben tretende Objektspronomen des Infinitivs veranlasst, dass das Partizipium sich nach ihm richtet, wie Le roi accompagne de phisieurs des siens Fe'tait venue prendre dans sa chambre (M"® de Send. II, 289). Le prince ArtOne . . . Vetant venue voir, la conversation fui etc. (Ead., III, 56). Nous lui demandämes s'ü ne savaii point si quelqu*nne de ses amies Fetaient venue prendre (Ead., IV, 323, auch LEI, 425. IV, 485 und sonst). So ist auch kein Druckfehler, wie Hellgrewe S. 29 meint, bei Scarr. im R. C. Enfin plusieurs demoiselles richement pare'es les ätant venus voir, chacune un flambeau ä la main, wie die Ausgabe von 1651 den Satz gibt, w'ährend die von 1657 venu liest.

Das Partizipium von ü y a richtet sich nach dem vorhergehenden Akkusativ (§92 Anm. 2, 4) auch Cette grande difference de moeurs et de faqon de vivre qu*il y a eue enire la cour de David et celle de nos rois (Racan, Vorrede zu den Psalmen). Nicht ganz sicher ist Von savait qu'il ne faisait plus bätir ä Clarie; que les peintres et les sculpteurs q\£ü y avait eus si longtemps, n*y e'taient pltis (M^® de Scud. II, 545), doch scheint es nicht gut angängig, das il in il y avait persönlich zu fassen, da dies nicht gut französisch wäre.

Es mögen noch erwähnt werden Et ce de'part ... Joint une autre raison . . . M'ohlige ä ce fächeux mais important dessein (Rotrou), sowie zu § 94 Anm. Et toujours parmi vous conserve cherement, Tes ans se passeront assez utHement (Rotrou). La meüleure partie de ma vie s'est passee eloigne de ce que j'aimms (M"* de Scud., III, 59).

Von den Adverbien der Zeit 96) ist souventes fois in den Dichtungen Scarron's wiederholt zu finden, z. B. Le sort . . . qui toujours, du moins souventes fois, Fait et de faxt, sans raison et sans choix (Po 6s.). Et moi buvant aussi souvente fois je songe . . . Que etc. (Com.). Votre main au hras potele M'a souvente fois r egale (Virg. 1. VI).

ja kommt auch noch in Scarron's Virg. vor : 11 avait ja mis hos un flegme (1. IV).

longuement kommt auch im ernsten Stil noch vor, z. B. Rodolphe . . . j^etenu longuement sur les bords du tombeau (Chapel). Auch sonst ist es häufig, z. B. 11 vous eüt mis au point de jeüner longuement (Rotrou). Tu me tiens longuement (Id.). Dejä trop longuement la paresse me flatie (Thäoph.).

ore, ores ist bei Th^oph. noch sehr gewöhnlich, z. B. Tu dis m^ai, ta raison me rend ores confus. La bite . . . Ayant eteint sa soif, ores s'en est aUee. Recherche en tes desirs, ores si refroidis, Si etc. Auch oft oreS'Ores, z. B. Ces fosses, en divers end^-oits, Sont ores larges, or^etroits, Ores faime la ville, ores la solitude, Tantot la promenade, et tantot mon e'tuae. Or* ensemble, ores disperses, lls brillent eic,

pendant findet sich adverbial Cela n*est pas sans doute , il faut iout ä loisir Y pens^r mürement, et pendant se saisir Du devin et de lui (Racan, Bergeries), (s. Litträ s. v. Eist.).

Ergänzende Bemerkungen zur Syntax des XVll. Jahrhunderts, 223

premierement „zuvor" kann noch durch mehrere Stellen belegt werden, z. B, 11 ne m'attaque point sans jeter premierement &s nuages au-devant de plus claire verite (Thdoph., und so oft bei diesem Autor). 11 fant que je te detache premierement des plaisirs du corps pour te porter aux plaisirs de fesprit (Desmar.). 11 essaya premierement de monter de front avec les deux comediennes, ce qui s*etant trouvd impossible, la Caverne se mit etc. (Scarr., B. C). Auch adverbiales Premier, das sonst nur in der Verbindung pr emier que erscheint 138), tritt auf: JJn esclave peut-il de'livrer des liens Son ami, si premier ü n*a brise lef siens? (Rotrou). fllj n'eüt pas rendu täme . . . Si Vamour n'eüt premier etouffe sa raison (Id.). Je ne veux point mourir, que premier Ü ne menre (Desmar.).

puis apres ist bei Scarr. unendlich häufig, im Virg. fast auf jeder Seite, auch sonst ist es noch in der Prosa zu finden, z. B. Je te ftfrai savoir puis apres camme je suis entre etc. (Desmar., Dölices).

Die Ortsadverbien illec und le'ans kommen noch bei Scarron vor, so Mais Maron dit qu*un grand gouffre Exhale illec un air de soufre (Virg. 1. VI). Un prevSt nous a pris, et nous a mis leans (Com.). On nous eüt fait mettre le'ans (Virg. 1. I).

Unter den Adverbien der Aussage 97) ist voirement noch. zu finden C^est un fat voirement, et Pascal en est deux (Scarr., D. Japhet d'Arm^nie IV, 3); Voire ist sonst = vraiment noch mitunter zu lesen, wie Combien de fois le plus homme de bien succombe-t-U en ces combats. voire qui jamais en ce monde en a ete pleinement victorieux que le ßs e'ternel de ßieu? (Th^oph.). Tenez bien quelque temps. Voire qui lepourrait (Scarr., Com.). Ein ganz analoges Beispiel bei Hellgrewe S. 30. Für voire = mime brauchen die Beispiele nicht gehäuft zu werden.

si beim Hilfsverbum oder verbum vicarium faire beobachtete ich noch: life le crois-tu point comme cela? Si fais (Th^oph.). N'y a-t-il point quelque chose contraire ä la vie? lyy a (Id.). Alars le conducteur repartit que . . . quand nous le saurions, nous n'y avions aucun interit. Jlors je m'avani^i ... et je lui dis: Si ai bien, moi fy en ai (Scarr., B. C. III). Ebenso in der indirekten Rede Ce qui affligea fort le petit homme qui fut un peu console quand Ange'liqne dit que si feroit bien eile (Ibid.).

Adverbiales si, auf einen ganzen Satz hinweisend, kommt noch bei sembler vor: 11 n'y a rien, si me semble, fui ne puisse legitimement eeder ä nos fantaisies et ä nos opinions (Th^&ph.). Ebenso .erscheint auch noch aussi bei itre und fau'e, wo es im Altfrz. unendlich häufig wie si vorkam (Tobler V. B. S. 87), Mes Chevaliers et mes pions sont vaiäants; aussi sont les vötres (Scarr., Virg. VIII). Le vieü Jphitus . . . Fut lors preserve de la touche, Aussi fut Pelias le bon (Ibid., L II). Aussi ferai-je en bonne foi (Ibid.).

Zu den Adverbien der Quantität ist das bei Scarron noch vorkommende prou 98, 5) zu notieren; Quand Fun mange tf'op fort, les cinq autres enlevent Ce qu'il a devant lui, le pillent et s'en cr^veni: S'entend alors qu^ils ont prou de quoi se crever, Car souvent ce n'esi pas conp sür que d'en trouver (Com.). Le sommeü . . . Qui fait quelque- fois prou de bien (Virg., 1. V).

§ 98, 8 Anm. 8 : (11) m'obligera . . . a continuer de Fappeler ainsi dans la plupart de ce räcit (M^^* de Scud.).

Guh'e im positiven Sinne ist § 98, 11 durch zwei Beispiele be- legt, von welchen das zweite nach Littr^ s. v. 1^ nicht zutreffen würde, unid in der That könnte dasselbe durch unzweifelhafte Stellea eraetzt

224 J. Haase,

werden, nämlich solche, in denen puere neben ne-pas und non auftritt, wie La necessite nous coniraignit ae represeniei* pour gagner notre vie, bien que notre iroupe ne füt pas guere bonne (Sc&tt.^ R. C. III, eh. 8). £i je ne Ven vois pas guere moins rejotUe (Scarr., D. Japhet d'Armönie III, 3). On otät dans la chambre haute des hurlements non guhre differents de ceux que faxt un pourcean qu'on egorge (Scarr., R. C., II, c. 7.) Ebenso in der indirekten Frage Dites-moi si cette histoire est encore guere longue (Scarr., R. C. III, c. 8). Auch nach sans scheint mir heute guere nicht mehr statthaft, vgl. Quelque secrete cause qui me faisait agir, sans y faire pourtant guere de reflexion (Ibict.), da beau- coup doch viel natürlicher ist. Statt // ne regardait avec guere moins de Jalousie tous ceux qui demeuraient aupres a^ sa personne (&"• de Scud. III, 646 und sonst offc genug) würde man heute ne regardait guere avec moins de etc. sagen.

Die Negation non vor dem verbum vicarium 99, a): llpensait Voir deux Thebes, et non faisait (Scarr., Virg. 1. IV). Non ferai pas moi, reprit Polycrate, en regardant Alcidamie, car Je stiis persuade etc. (M"* de Scud., III, 257), wo zwischen ferai und pas ein Komma zu setzen sein wird, so dass pas moi zusammengehörte, wie auch wir sagen: „Das thue ich nicht, ich nicht." Freilich findet sich gerade in diesem Falle früher' auch non- pas. z. B. im XVI. Jahrhundert noch non est pas, es könnte also auch hier pas zu non ferai gezogen werden und pas dem non zur Verstärkung beigegeben sein, wie man ja auch heute durch non pas ein einzelnes Wort negiert.

Pas und point in der indirekten Frage mit si 101, b) ist bei Rotrou noch unendlich oft zu finden, vgl. nur Voyez si fai pas lien de fattendre ce soir. Jttgez si Fassemblee Par cet etonnement doit pas itre trouble'e. N*app?'enez que de lui si Je suis pas la mime.

Point ohne ne 101, c) habe ich nur noch gefunden Vesperance me confond point, Mes maux ont trop de vehemence, Mes travaux sont au dernier point: llfaut que mon repos commence (Th^oph.).

Dass onc in Scarron's Virg. noch sehr oft vorkommt, mag zu Anm. 2 angemerkt werden. Ne du tont point = ne point du tout (Anm. 4) : A Fheure mime on nCaccommode . . . üne cuirasse ä mon pour point Qui ne paratira du tout point (Scarr. Com.). Eüe fie souhaitait du tout point sa mort (Id., R. C. III).

Pas, point sind noch in anderen Fällen als den § 102 erwähnten dem ne abweichend vom heutigen Gebrauch hinzugefügt, so nach empScher, eviter, il ne Hent pas a, prendre garde in dem mit que ein- geleiteten Nebensatze, wie Jl ne songea donc plus qtCä empicner que ses noces ne fussent point troubldes (Scarr., Nouv.). Ses parents eurent assez de credit pour emp icher qu*on tie lui ßt pas son proces (Ibid.). Je vous supplie de vouloir empicher que Fincomparable Amestris . . . ne re^oive pas ce de'plaisir-la (M^^* de Scud., III, 304). Je viens avec le dessein a empicher en effet qu*il ne la revoie pas (Ead.). II fallait le fah^e enterrer secretement, pour eviter que la Justice VLy mit pas la main (Scarr., R. C. III). 11 ne tiendrait qu'ä moi que Je ne fusse aussi heureuse que faurais ete en Espagne, comme il ne tiendrait pas ä toi que Je nfeusse point ä y regretter D. Carlos (Scarr., R. C). 11 n*a pas tenu ä moi... que Je ne me suis pas battu contre Megabise (M^^* de Scud.). // n'a pas tenu ä moi, seigneur, que ce malheur ne vous soit pas arrive (Ead., II, 407). (lls) nous quitterent, nous recommandant de bien prendre garde qu*on ne les surpnt point (Scarr., R. C). Ferner findet sich ne pas plus = ne plus: Cette derniere pensee acheva de lui faire prendre la re'solution de ne perdr^

Ergänzende Bemerkungen zur Syntax des XVII. Jahrhunderts. 225

pas plus un seul moment (M"* de Send.). Den § 102, e angeführten Stellen füge ich hinzu 11 y avait bien alors deux jours que nous n'avions point vu le prince Mazare (M^^* de Scud., II, 390).

Die Negiv^ion in dem abhängigen Satze mit que nach den § 108, c gegebenen Ausdrücken ist noch recht oft anzatreffen, doch brauchen zu fast allen Ausdrücken die Beispiele nicht vermehrt zu werden; es mag nur erwähnt werden, dass nach defendre auch bei dem von diesem abhängigen Infinitiv die Negation auftritt, wie La bonne deesse . . . s'apparaissait fort souvent ä eUe et lui defendait de n^en epouser point gut ne füt de son pays et de sa race (Racan), und angereiht werden Je petille que je ne fasse Sur queique beäe et large face Des balafres de ma fagon (Scarr., Virg.). Mais Wermond . . . Desespere en son cceur que Von n'y reme'die (Send., Alaric). Nur die Klasse der Aus- drücke, nach welchen die Negation analog dem Gebrauch nach ne pas douier (nier/ que erscheint, ist noch grösser. Hellgrewe S. 83 gibt zwei Stellen mit ne pas avoir la moindre de'fiance que ne und ne pas de'savouer que ne. Hinzuzufügen sind Je ne me puis öter de Vesprii que ce ne soit lui-mime (Scarr., R. C). Eile ne pouvait croire que je ne fusse le Bas-Breton qu'eüe avait vu, ni comprendre pourquoi j'avais plus d^esprit la nuit que le jour (Scarr., R. C. c. 15, er sollte für diesen gelten, aber sie wollte es nicht glauben). // apprehendait que Mandane ne s'imaginät qu'un sentiment d'inte'rii ne Veüt obligä de vCagir pas fortement en cette affaire (M"« de Scud.). Auch findet sich dieses ne nach verneintem croire , obgleich die Negation desselben durch eine andere aufgehoben ist, wie // n*y a personne qui ne croie que cet Arlane qui s'etait cache, voyant man mattre Messe en tant de lieux, ne düt se tever pour aider ä celui de son parti qui combattait encore . . . Cependant il iCen aUa pas ainsi (M^® de Scud.). Ce n'est pas que . . . fV ne crüt quelquefois que si cet illustre rival n*e'iait plus, il ne püt occuper sa place (Ead., III, 523). Zu § 103, d ist noch zu erwähnen, dass nach avoir soupgon nicht selten wie die Ausdrücke der Furcht behandelt ist, z. B. // avait pourtant queique leger soup^on que le roi d'Assyrie n'eüt fait la chose (M"* de Scud.). Dans les soup^ons qu^il avait qu'il ne füt amoureux de Mandane (Ead.).

Bei Scarr. im Virg. fehlt ne vor dem Verbum eines vollständigen mit ni eingeleiteten Satzes (vgl. § 104 Anm. 4), was in der früheren Zeit vorkam, vgl. Mais je sais bien pour le certain Que ni Cytheree est ta Mere, Ni feu Dardanus ton grandpere (1. IV). Car ni vin orouillait sa cervelle, M Bacchus etait avec eUe (1. "VU).

Die Präposition de in eigentlicher lokaler Bedeutung 105, a) ist noch öfter zu beobachten, vgl. Et le sang que säns fruit les legions romaines En tant d^occasions OfU puisä de ses veines (Rotrou). DUme mime source ils ont puise leur sang (Desmar.). Ce fleuve prend la spurce d'une montagne d'Armenie (M"® de Scud.). Übertragen auf die Bezeichnung des Masses = „wie weit" findet es sich lokal und temporal 106) = „wie lange", wo dem Neufrz. der Akkusativ angemessener wäre, z. B. Toi qui ne Cas jamais abandonne d^un pas (Racan). Que je p&rde le jour si je vous suis d'un pas (Rotrou). Je n^ai souffert que d^un jour seulement (Thöoph.). Je le vois en trop belle humeur d^e'crire pour me promettre de longtemps ma liberte (Id. ), Le pre'sent ne suivra vos voeux que d^un instant (Rotrou). So auch ohne Negation 11 etait retowme sur ses pas de deux grandes Heues (Scarr., R. C). ATheure quele soleil jaune De ja de la longueur d'une aune Dorait le ciel (Id., Virg.), und unendlich häufig temporal in Wen- dungen wie diffdrer d'un jour oder auch // ne fait que d'un peu son

Zschr. f. tn. Spr. n. Litt. XIi. ^^

226 A. Baase,

iriomphe arrSter (Ghapel), wo jedoch de aach heute als Ausdrack des MasBunterschiedes sich findet (wie lokal auch reculer (Tun pas u. ä.), obwohl dasselbe nicht so häufig sich zeigen wird, wie es früher vor- kam. Ebenso koinmt de lokal und temporal vor in Fällen, wo die neuere Sprache ä (resp. en, dans) auf die Frage „wo*' verwendet, z. B. Les demaiseües en faisaient de si arands e'clats, qu^on lex entendaii de Vautre baut de ta rue (Scarr., K. C. III). D*une distance egale ils ehignent la terre (Scud., Alaric). Du commencement eUe sot^raü setäement sa recherche . . ., mais efißn eUe s'y engagea (Racan). EUes crureni du commencement que leurs larmes fa^aieni passer Taffaxre par accommodemeni (Scarr., Nouv.). Ei nofts la pourrons e'iouffer, £^ du mSme iemps nous ehauffer (Scarr., Virg.). Chaque corps d'un temps m^me aitx murailles s'elance (Ghapel.). Tous monteni d^un iemps mime ei d'une mime ardewr (Id.). Qui saii, disaü-il, si de Vheure que je varle, eile ne prie paint pour man rival? (M"* de Scud.).

Von den 9 105, b angeführten Verben ist s*in former de q. de qc, (si) oft zu finden, öfters auch arriver de q,, z. B. Cle'ante, arriva toui effray^ du malheur qui venait d^ arriver d^un her g er, qui par desespoir s'etait precipiie dans la riviere (Racan). (II eiait) fort en peine de ce qui arriverait de lui (Scarr., R. C), auch noch das bereits seltene s^atiier de, vgl. Quand il s^ est allie de noire humanite, N^a-i-ü pas de son sang siane notre aUiance? (Racan), und se revolier de q., wie Ils s' ^taient ae ioi revoltäs (Racan). Hinzuzufügen sind se desoblige?* de qc, Il se desohlige de famiiie et du respect qu^on Im veut rendre (Th^oph.); eclipser qc. de q., N'eclipse poini de nous ies gräces ^er- nelles (Racan), sottffrir de q,, On souffre d'un jaUmcc, ü a droit de se plaindre (Rotrou), se salisfaire de q., Et de ton assassin et de ton subomeur Je saurai par mon bras si bien me satis faire Que etc. (Scarr., Com.), oublier de q., Vous devez ouhlier de moi jusqu^ä mon nom (Rotrou), remporter la victoire de q., La ghire D'avoir des enne- mis remporte' la victoire (Racan).

de = neufrz. que nach dem Komparativ 105, c) ist nur oft nach mSme beobachtet, dasselbe liegt auch vor En rang, comme en beaute, d* Argine la seconde (Desmar., Clovis). Anders zu fassen scheint dieses de beim Infinitiv De manquer ä ma foi faimerais mieux mourir (Racan), denn der Infinitiv kann mit de nach dem Gebrauch der damaligen Zeit absolut vorangestellt sein.

participer ä qc. statt de 105 Anm. 1) findet sich Ceci ou cela se fait par la parüdpation de tessence qui lui est propre ä laquelle il parlicipe (Th^oph.). Apres qu^il lui eureni acoorde' que chacune des especes est quelque chose, et que ce qui leur participe prend d^elles sa denomination, il se mit etc. (Id.).

Zu § 107 füge ich nur einige Beispiele hinzu, wie Le ät t^est de besoin (Rotrou). // nous est de b esoin (Id.). (11) la presenta au rot, quoigu^ü vüen füt nuUement de besoin (Scarr.). Et n'eussions point eu de besoin d^autres demeures que de celies etc. (Racan). Qu'est-ce qu'un amant doit trouver d'impossible? (Rotrou). Qui juge rien de ferme au monde, vHa point d^yeux (Id.). Lui qui fait tant du subtil (Thöoph.). J^ai faii du sou verain (Rotrou). Va chez les ennemis faire de la Celeste (Chapel.). Elle avait bien fait de la mere afßigee (Scarr., R. C). La Seine enfin ne fut jamais si fiere. Et ne fit tant de la grosse riviere (Id., Poäs.). Le prince de Salerne y aila faisani autant de l*empechd que s*il eüt e'ie question etc. (Id., Nouv., und so unendlich oft bei diesem Autor).

Auch de ce que 108) mag noch durch wenige Beispiele ver-

Ergänzende Bemerkungen zur Syntax des XVII. Jahrhunderts, 227

mehrt werden, wie C^est grand dommage de ce qu*eUe est plus sage que Salomon (Scarr., Lettres). Le senUmeni qui me iowniieniait le pms etait de ce qu* Alcionide etait posse'de'e par un komme que etc. (M"* de (Scud.). Ce qui est cause peui-itre de ce que je suis passable come'dien (Scarr., B. C.). Vbus n^y trouverez rien digne d'admiraiion que de ce qu*un travaü de si longue haieine a ele etUrepris par un homme de man meiier (Racan). Lagreahle Inezüle acheva de lire sa nouveUe ei fit regreiter ä ious se ,auditeurs de ce qu'eüe n^ etait pas plus longue (Scarr., B. C). Et la croyant cruelle, Par la seule raison de ce qu^eüe etait belle (Id., Com.).

Kausales de in der § 109 berührten Verwendung vgl. noch Je vais composer de ireve avec mes douleurs (Botrou). // a conjure les siens ß'une paix gen&raU avec les Porciens (Id). Lorsque Dieu nous Visite, il en est invite Par sa seule equite (Bacan). // conserve pour nous FaUianee ifnmortelle, Pont il s'est oblige par des voßux solennels (Id.). Et s'obstiner encore P'un amour qui le perdi (Thäoph.).

Zu § 111 vgl. Rien ne pouvait vous former une aversion de moi comme la qualite d^impie (Th^oph.). Je vous donnerais tant d'hor- reur de votre haine que etc. (Id.). Vous avez de la compassion de mes maux (M^^* de Scud.), und zur Anm. ibid. vgl. Et tout ä votre occasion, De vous qui renversez les lais de la nature (Botrou).

Beim Infinitiv erscheint rf^ 112, 1) nach parattre, wie Madame, un cavalie?; ou qui parait de titre (Scarr., Com.). Ils rattraperent cet homme qui ne repondit qu^en termes confus aux interrogations que la Rapinihre lui fit, mais qui ne parut point de tHre, au contraire, il se mit ä rire (Id., B. C, III), nach daigner und jurei* (eine Aussage be- schwören) bei Botrou (Sölter S. 55 u. 58). Die Beispiele sind nur zu avouer zu vermehren, vgl. J^avoürai donc inge'nument P*avoir oublie lourdement L*action la plus h&otque (Scarr., Po^s,). J'avouerai donc de ne les pas connattre (Id., Com.), und il fait bon, z. B. // ne faisait pas bon de se frotter avec nous (Scarr., B. C, III).

Statt des neufrz. ä findet sich ele noch 112, 2) Ce qui est ridicule de dire (Desmar., D^lices). Ce qui n'est pas ais^ d'entendre Sans quelque sentiment de colere (M"« de Scud., II, 588). Ce qui ne serait pas si aise d^obtenir d'elle (Ead., 111, 256), Sölter zitiert aus Botrou (S. 40) Ce genre d*e'C7Hiure, ä qui tu peux vanter La tienne assez conforme, est aisä d'imiter. Ferner Le ne suis pas d^humeur d^Stre tant maltraite (Botrou). // etait homme ä prendre son plaisir partout il le trouve, mSme de le chercher aux ddpens de sa reputation (Scarr., B.C.). Ausserdem nach den Verben: autoriser: (Ils) vous autorisaient d'en rompre le lien (Botrou). Si de te detrompe?^ je suis autorisee (Id.); s'essayer: Et je suis en fureur quand mon discours s^essaye Pe ruiner mon maJheur (Thäoph.); s'evertner: Ma pauvre äme . . . s*e' vertue De sauver un peu de vigueur (Th^oph.). Ah! quHnutilement mon esprit s'^e vertue P*excite7' la vertu (Botrou); se preparer: Je n*ai qu*ä me preparer de souffrir tous les supplices etc. (M"* de Scud., III, 576); mouvoir: Qui te meut de venir troubler notre amitie? (Th6oph.). Die Beispiele brauchen nur wenig vermehrt zu werden, so Se soumettant d'aller apprendre le commencement de cette histoire au rot de Phrygie (M"« de Scud.). 11 s'enhardit hier de m'en toucher un mot (Botrou). Un homme . . . s^aventura de me tendre les pieges (Thöoph.). If*osant pas songer de la mener ä la cour de la reine (M"® de Scud.). Pe = pou9\' Ravi . . . d'avoir ^te assez heureux de luirendre quelque peUt Service (Scarr., B. C, 111). Toutes les cendres dilion N'ont point donne

15

* »

228 ^' Haase,

tont de maiiere De faire des pkuntes aux cieux (Th^oph.). Plus eüe faii d*effart (Pen ^branler le fmte. Plus etc. (Racan).

Zu § 112, 4 vgl. noch Peuveni-üs approuver de se voir en ce point? (Rotrou). Ce n'est pas prouver a'avoir combaitu que de se vanier de rCHre pcis hlesse (M"« de Scud.). Ausserdem avouer q. de faire qc, wie Mais quel droit Vavoue De retenir au ciel les ehoses qu'on lui voue? (Rotrou). Ei quel dieu vous avoue d* abandonner les fers? (Id.). Sehr oft begegnet bei Rotrou douier de und Infinitiv = zweifeln ob, z. B. Je doute de vi vre en Täiat Je suis. Aimani bien, vous douiez de pouvoir cajoler! Je doute de me voir si pres de mon repos.

De zur Bezeichnung des Mittels 114) kann durch einige gute Beispiele vermehrt werden, vgL Cependant Childeric, d^un coursier diligent, Ayani passe la Marne . . . Touchait etc. (Desmar.). Ils viennent d'une arme'e assieger nos rctraites (Chapcl.). // s*etait sauve avec son habit ä la turque dont il pensaii representer le Soliman de Mairet (Scarr., R. C). Ferner // me chaut fort peu que CAllemagne se noie de sang (Thöoph.). S'ü V empörte sur moi, c*est d*un peu d^apparence (Rotrou). Reponds d*un peu d^amour ä Cardem^ qui m'enflamme (Id.). A-t-il rt'fw de vous quelque commandement Dont il ait murmure du penser seule- ment? (Id.). Mais de quoi peut-on reconnmtre Les biens qu'ü nouft fait chaque jour? (Racan). Tout le soin que fy prends ne profite de rien (Id.). lovt abonde en tout temps des mens que tu produts (Id.). Les yeux, voulant pleurer, sont de larmes steriles (Chapel.).

Zu einigen Fällen, in welchen das partitive ^^ auftritt, mögen auch noch Belege gegeben werden 116, c u. Anm.): Quand il y en a deux (femmes) dans une maison, il y en a une irop (Scarr., R. C. 111). ¥ ayani deux Cents hommes d^un cote, et un komme moins de taaire (M"* de Scud.). J'ai irop d*une nuii nourri son espe'rance (Rotrou). La peine je me trouve est d*avoir irop d*un gendre (Desmar.). Mandane ayani moins d^une couronne, ne paräiira plus etc. (M^** de Scud.). Vous demandez irop de la moiiie (Ead.).

Zahlreich sind die Beispiele zu § 118, vgl. J'etais aUe Chez un ami manger un vied de boeuf sale^ fai trouve d^un qui seni bien mieux que Vamore (Scarr., Com.). Comme Tomyris n'avait que d^une espece de sentiments dans tesprit, eile faisait tout servir ä son dessein (M^^® de Send.). II y a pourtant d'une espece de aens au monde dont pour fordinaire ious les plaisirs consistent etc. (Ead.). Celle qtti offrait le sacrifice . . ., 7nii dans ceite cassolette de Fambre, du thym (Ihimiane) ... et de plusieurs autres parfums (Ead.). Comme d'autre fois en- d4)rmi Confusement je Tavais vue (Scarr., Virg.). Ce serait abaisser sa valeur ä PextrSme De lui vouloir donner d^autre prix que soitmSme (Rotrou). Et si d'autre interii n'e'meutvoire colere, Craignez etc, (Id.). Jamals d'autre que moi n'en a porie le nom (Id.). Je ne saurais de ma conduite Me fier en d* untre qu*ä ioi (Racan). Elle pensait ne pouvoir jamais vivre heureuse avec d^auire qu*avec lui (Id.). Je devrais tout ä votre majesie si je ne devais aussi quelque chose ä moi-mtme que je ne puis devoir ä d'auire (Scarr., Nouv.). Jamais de plus diane prilresse Pour une plus digne deesse Plus dignement h*officia (Id., Poes.). Ei cet astre dem se füt mnni du monde Si pour cacher sa honte il avaii pu trouver D assez noire demeure aux atümes de Ponde (Racan). (Vgl. Zischr. Xi, 255.)

Übrigens ist der Gebrauch des partitiven de mit dem Artikel und ohne denselben hinlänglich durch Beispiele belegt, nur zu § 119, b und Anm. 1 vgl. noch Si mon bonheur n^ est f aux, que vous dois-je des

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Ergänzende Bemerkungen zur Syntax des XV 11. Jahrhunderts, 229

viBux! (Rotrou). A-t-ü jnäsä iani d*eau que jadis ton courraux T'a fait iirer du sang du sein de son dpoux? (Id.). 11 etait bien en peine de savair si la femme de Tope'rateur avait heaucoup de Vesprit (Scarr., R. C, zitiert von Hellgrewe S. S7). We renferma sans lui laisser de la lumiere (Ibid.). Vavare däsir . . . Lui fait perdre le jowr sans gagner des tresors (Send.). EUle connaissait sa heaute sans avoir de rorgueil (M"« de Scud.).

Die Präposition ä in lokaler Bedeutung 120) vgl. 11 dit u'une demoiselie de ses amies lui voulait dire un mot ä la rue (Scarr., L C. lÜ). Je vis ce mime prince ä un halcon (M"" de Scud.). (11) la voit tous les jours , , , ou aans les e'glises ou ä son balcon (Scarr., R. C). l\i ne te mettras pas ä la tite que faille heaucoup importuner etc. (Id., Nouv.). (11) criait comme un demoniaque . . . et croyant de pouvoir passer au cote droit etc. (Id., R. G. III). Nous trouvämes des chevaux ä Vauire cote du fleuve (M"* de Scud.). // porte ä ce cote le chätiment de tous (Pepee) (Rotrou). Je me remets aux yeux Les justes jugements des hommes et des dieux (Th^oph.). (II) fait paraitre ä ses yeux les deux indignes rois (Desmai-.). Votre sang qu*un rival r^pandü ä ses yeux (Scarr., Com.). (Ils) se montrent en tous Heux Pun ä Pautre voisins (Chapel.). Leur habitation en Vautre monde sera quelqtie chose d^approchant ä ce que je vous enai discouru {Th^o-ph.). Je jurerais bien qu'arrivant ä VAm^rique, mon chien de destin me mene, fentendrai parier (Scarr., Lettr.). Als besonders beachtenswert ist hervorzuheben EMe peut epouser celui de ses amants A qui de son amour eile a ces nuits pass^es (Rotrou).

In der Übertragung ist ä 121) auch noch in einigen Stellen notiert, welche der Aufzeichnung wert scheinen; so erscheint dasselbe = de zum Ausdruck des possessiven Verhältnisses (Anm. S) Mais quel ecrit trouve''je sous mes pas? D*une vieiäe suivante ä ce Lope de Lune, Dont la seule valeur egale Tinfortune (Rotrou, Don Bernard de Cabröre V, 8). La fille ä Jean Vincent, Le coUectettr du bourg, seule en vaut plus d^un cent (Scarr., D. Japhet d'Armänie II, l). 0 vous, qui paraissez en peine Du nom de la bSte ä Sildne (Id., Typh.). C etait Pile ä dame Circ^ (Id., Virg. 1. VII). Aux connaisseurs cela fit dire Qu'eUe aurait un fort grand empire, La fille au noble roi Latin (Ibid.). Femer La presomption qtCen pareiües enireprises on soupqonne ordinatrC' ment aux personnes de mon äge (Thäoph.). Est-il posstble que vous ayez dormi ä repos dans une affliction si re'cente? (id.). Ses troupes ä pleine licence Venaient fouler votre inttocence (Id.). ün proces qtti m'attaque ä Vhonneur et ä la vie (Id.), und so noch oft für dans, resp. en 121, a), ebenso für avec und pour 121, a, f), z. B. Vous lui feriez grand tort de Vamvser ä vous (Racan), [u. = de: A quoi se peut ton äme entretenir? (Theoph.)]. // brülait aux attraits dPune simple bergere (Rotrou). Votre zhle ä mon salut (Thöoph.). Elle n^eut point de rdpugnance ä ce que lui proposa Victoria (Scarr., R. C). Auch zu den Anm. 1 berührten Einzelheiten lassen sich noch anführen: Le phüosophe qui avait si bien Studie ä la sagesse tonte sa vie, se trouverait etc. (Theoph.). Tu n'auras plus ä qui te courroucer (Id.). Ebenso Ils se de'piteni ä moi ei me disent des injures (Id.). Das temporale ä 122) ist in den Wendungen ä ce matin, ä ce soir, ä ce Jour ungemein h&ufig, z. B. Mes juges veulent que je parte ä ce soir (Theoph.). J*ai fait ä ce matin ces vers tout dune haieine (Id.). De quelle humeur je me trouve ä ce jour! (Rotrou), und sogar Je veux des ä ce soir en commencer la fite (Racan). A ce coup ist sehr häufig, auch ä Pheure = sur Pheure ist nicht selten, z.B. A Theure les Helfreux

230 A. Baase,

rassurtreni lears craintes (Racan). Elle avaii des amis ä Ecbaiane, qtä J^en avertirent ä Vheure mime (M"® de Scud.). Je vous supplie tres humblement de lui ordonner donc de me le rendre ä r heure mime (Ead., und sehr oft im Grand Cyms). Ebenso mit vorangestelltem mime: Qu'ü ne falkui que le faire savoir ä la troupe ei en obtenir la faveur de Vassociation, ce quü de'sirait faire ä la mime heure (Scarr., R. C. III). A mime iemps ist auch nicht selten, z. B. Et fauire ä mime iemps dlev^ dans les cieux (Racan). Ils avisent donc ensemble que Lucidas . . . tächerait ä mime iemps de lui faire connatire la fauie etc, (Id.). Et qui arriva ä mime temps que la lettre de Leandre Im fut rendue (Scarr., Nouv.).

Zur Bezeichnung des Anlasses und des Grundes 12S) konkurriert ä mitunter geradezu mit de, z. B. ^ous fümes assez surpris ä cette ceremonie = „bei** (Thäoph.). // s^effraye ä ces fieres menaces (Rotron). Surpris ä ce rapport . . . Que dirai-je? (Id.). A ce honieux affront je demeure e'bahi (Id.). Le roi sans s^emouvoir ä cette aigre censure (Scud.). La forit retentit ä ce troxibU nouveau (Rotrou). Esi-ce qu'ä ce nom de ftls votre oreille s' offensei (Id.). Ferner ä = sur: Au Heu de prendre exemple ä ma fidelite {R3,cü.n), Ähnlich ist A la grandeur des dieux leur grandeur se fiaure (Th^oph.). Sehr oft begegnet ä quoi := pourquoi, z. B. A quoi donc tani de tours ä fentour de la porte? (Rotrou). A quoi cette froideur et pourquoi tani de suite? (Id.). Mais ä quoi tani de soins? A quoi tani repeier ce discours inutile? (Id.). Mais ä quoi differer mon tre'pas davantaae? (Scarr., Com.). Auch das konjunktionale ä ce que habe ich noch gefunden Je rCak jamais eu assez de vanite ni de diligence pour les impressions ä ce qu'on me doive imputer tout ce qui est imprime comme mien (Thäoph.). (EUe) donnera bon ordi-e ä ce que la couronne Nepese plus au front qui sitdt Pabandonne (Rotrou). Statt des modernen en faveur kommt auch ä la faveur vor, z. B. (Je) ne puis goüter le fruit Qu*ä la faveur de tous cette saison produit (Th^oph.). Redouble ä ma faveur le doux bruit de ton cours, Tani que tous les Sylvains en puissent itre sourds (Id.).

Das Werkzeug 123 Anm.) ist durch ä bezeichnet Le duc . . . bieniöt a tranche la tite ... Au fer d'une autre lance aussitot il Feleve (Desmar.), und das Mittel (ll) vit ä ses chansons ks Parques desarmees (Th^oph.). ThionvUle acquise ä sa prompte vaillance (Desmar.). II te ravit un tröne ä ta naissance acquis (Scarr., Com.). Et son impatience attend le nouveau jour comme un jour de triomphe acquis ä son amour (Scud.). (Vgl. § 125 Anm. 2) wo derselbe Gebrauch des ä beim Infinitiv erwähnt ist.)

A = en: Le vin comme le lait en distille ä ruisseaux (Racan). Quels peuples ne viendront ä ta foule offrir leur oraison? (Id.). Les biens m'arrivent ä foison (Desmar.). Un tas de faquins . . . se jeter ent ä la foule dans notre cabane (Scarr., R. C).

Hier mag auch tout ä bon = tout de bon erwähnt werden, vgl. Mais quand il faUut representer tout ä bon, ü le faUui pousser sur la seine par force (Scarr., R. C. III). Mais tout ä bon, ne vous deguisez- vous point (M"® de Scud.). Tout ä bon, lui dis-je, Cleonice, que voulez- vous qui soit dans cette lettre? (Ead.).

Beim Infinitiv 124, 1, b) sind Beispiele zu fuir vergessen worden, vgl. Ils fuient ä m*exammer (Thäoph.). Ne de'sire donc point, fuis mime ä regardei* Tout ce que sans pe'cäe tu ne peux posseder (Com.). Hinzuzufügen sind offrir, J'offre ä vous y mener (Racan), presser, (II) ne pressait pourtant pas sa ftlle ä Vepouser (Scarr., R. C), conseiüer q. ä f. qc. (vgl. § 59), Et rint&it ... Ne conseille jamais

Ergänzende Bemerkungen zur Syntax des XV IL Jahrhunderts. 231

ces ämes bienhetireuses A rompre le Uen qui Joint leurs volontes (RacanX craindre, Je ne craindrai point maintenant ä te dire sur guoi je doute etc. (Th^oph.), douter, Jones juge gu^il doute ä voir cette actum (Ohapel.).

Bei Verben der bewegang statfc pour 124 Anm.): It s'e'tait en- ferme dans tme chambre, je vins ä heurter assez fort avant qu*ü voulüt me r^ondre (Th^ph.). Le Pbre Voisin a ete chez plusieurs de mes juges ä leur demander ma mort (Id.).

Den § 125, a angegebenen Verben lassen sich noch hinzufügen ^i les discours . . . vous ont mieux persuade qu'aux Atheniens (Th^oph.). Ceüe de contrarier ä la vötre (volonte) en pareü com- mandement a ete tovjours la seule que je me suis re'servee (Id.). lls prichent aux gentils, Os prSc/ient a%tx sauvages (Bacan). Je m'etais engage pour un nomme savant, Depots sur quelque hruit faisant ici la rofide Je rCai pu refuser au plus vaillant du monae (Desmar.). Weitere Beispiele sind Ce page votis pourra . . ., mais croirai'je ä mes yeux? (E>otrou). 21 ne devait iamais me soup^onner mal apropos, ni croire ä ses propres yeux (M"® de Scud.). C*est ä moi que la chose touche (Scarr., Virg.). Zu § 125, c vgl. Cela est enc^ore phts e'trange d^avoir des imaginations emp-untees pour lui discourir (Th^oph.), und zu § 125, d La rigueur dont je leur use (Rotrou). Ne me continue point ces raisons dont tu m^uses (Id.). J^eus ä tous mes desseins la fortune ennemie (Scarr., Com.). Et tant s'en faut qu^ü füt consen* tant ä son enlevement, que etc. (Id., R. G. III). Zu § 125, e Au heu de raccourcir ä lafureur du sort Les plaisirs de nos Jours, Sommeü, tu les aüonges (Th^oph.). Au Ueu du fier tyran qut fusurpe la France (Gbapel.). Vous pillez aux particvMers ce que vous konnex au public (Th^oph.). Si j'avais la lächete de mendier ma paix ä mes ennemis, je pourrais etc. (Id.). Schliesslich sei das veraltete souffjir ä q, de f, qc, erwähnt Tandis que le ciel me souffrira de vivre (Thöoph.). VroiS'tu qu*il nous souffrit de vivre? (Id.), und trhve ä qe. = de, wie Treve, eher D., ä tout dessein de rire (Rotrou). Treve, Cle'andre, ä ces douleurs ameres (Id.). Treve ä ta dotdeur extrime (Id.).

Das alte es 127, 2, a) findet sich noch: C, de qui la foi ckan- ceüe ds choses les plus claires (Th^oph.). Le sceptre eternel qu'ils vous ont mis es mains (Racan). Remettez^moi plutöt es mains de ce Satyre (Id.). Cet homme . . . Etait des plus grands poHtiques, Ei savant es mathematiques (Scarr., Typh.). vor pluralischem Artikel habe ich en nur gefunden (ibid., b) Eüe le trouva homme du monde de la meHieure mine en les habits de noces (Scarr., R. G. I, c. 22). Vor Städtenamen (ibid., c) Lune en quite d'un pere, et Tautre d^un mari, Vinrent, pour nous trouver, s'embarquer en Bari (Rotrou). Je me laisse gagner, ß depiche en Argos (Id.). IJne personne aussi bien nee Qu*il en futjamais en Paris (Scarr., Virg.).

Sehr viele Fälle sind zu verzeichnen, in denen noch en statt des neueren ä 126, 2, d) gebraucht ist, vgl. ausser dem noch durch viele Beispiele zu belegenden penser und songer en ^., en qc, noch Dites-moi en quoi tendait Le discours etc. (Thloph.). J^ elever ai ton frere en un si digne rang (Rotrou). Je ne puis souffrir, en quelque rang qt^il monte, Lennemi de magloire (Ib.). iVow sans peine encorje reviens en moi-mime (Id.). Bar le mime attentat (ü) en veut en voire sang (Id.). Attendant Cheureux jour qui doit en nos de'sirs Permettre apres les faux les solides plaisirs (Id.). Ün cmur si releve repugne en cet emploi (Id.). Personne ne pouvait rien comprendre en cette devote serenade (Scarr., R. C.). Lavocat qui n'entendait rien en ce beau discours (Ibid., III). Je souffrirais qu'en moi quelqt^un osät pre-

232 A, Haase,

tendre? (Desmar.). Vou$ pre'tenäez encore en sa femme (Scarr., Com.). Toujonrs je rive en mon affliciion (Th^oph.). 11 y a apparence gu'il rivaii en ses amours (Scarr., Nouv.). // pousse en mon sujet (JCinutües sonpirs (Rotrou). Si gueique autre est plus sage en mon o pi nio n (Id,). Leandre n'est pas en voire connaissance (Id.). Mais commeni est la reine en voire sentimeni? Ses moindres omements surpassent Fexceüence (Id.). Et moi, . . . En tiie de mes compagnons . . . Je ioumai etc. ^Scarr., Virg.). Glaugue en t3te de son iroupeau (Id.). C^est ce grand ndros dont les soins Feronl porter du Rhin en Gange Sans port une lettre de change (Ibid., 1. YI). Zu den gegebenen Stellen füge ich hinzu Trouve ä redire ou non en ces propos con/us {Rotrou), II trouvait ä redire en tous ceux de sa profession (Scarr., R. C). Ma de'votion Confia votre vie en sa protection (ßacan). Etquiluipeut ravir un droit en la couronne? (Scarr., Com.). Le temps se rend si benin . . ., Qu*en faveur de cette saison, Et par arrit de la nature, II les fait sortir (les serpents) de prison (Thöojh.). J'e'coutais, en faveur d'une tapisserie, Tout ce que etc. (Rotrou). Clorimond, introduit en faveur de cette ombre, Äpprendra etc. (Id.).

Zu der § 126, 2, e besprochenen Verwendung des en vgl. Mon devoir souffre en cette violence (Rotrou). Je demeure confuse en cet honneur extrime (Id.). Et beaucoup sont en peine en ce cnangement (Id.). Je ne me piain s point en mon sort rigoureux (Id.). Ma colere en ton sang ne peut itre assouvie (Chapel.). Lunique espoir de mon salut se fonde En la croix de celui qui racheia le monde (Thöoph.). Et te repose en moi d^une ferme assurance (Racan). Je ne m^assure- rais pas encore en vot?*e affection (M"® de Scud.). Je n*ai point de pouvoir en ma propre feUcite'f et par cönsequent je vCen ai g^iere en Celle d^autrui (Ead.). Casque en tSte au lieu de bonnet (Scarr., Typh.). Je fis voile en Asie (Desmar.). Das veraltete en intention de f. qc. noch Vn fils que j^ai eleve avec beaucoup de soin, en intention de le re'ndre digne de nilusire sang etc. (M"« ae Scud.).

Das veraltete en quelque part begegnet noch oft, z. B. EUes ne sauraient revenir ä la vie si elles n^e'taieni en quelque part (Th^oph.). On me ferme la porte en quelque part que j^aille (Rotrou). Ils eclaireni ses pas, en quelque part qu'elle aille (Racan). Me voüä . . . tres resolu de vous suivre En quelque part que vous irez (Scarr., Virg.). Ebenso en nulle part, z. B. Errer de contree en contree, JN'avoir en nulle part entre'e (Ibid.). // sera difficile que fen trouve en nulle part (M"® de Scud.). // evita . . . de rencontrer ia princesse Istrine en nulle part (Ead.). J*äprouvai ce supplice tres longtemps, sans trouver consolation en nulle part (Ead.) Auch en autre part, vgl. Celle que Con sait aimer en autre part (Scarr., Com.).

Dans 126, 3) vgl. Je Vaimai dans V ex ces, et je la hais de mSme (Rotrou). (J'ai) Seule atme sans re'serve, el seuie dans Vexces (Id.). // me Ca depeint (Pa?nour) comme ü e.st dans ses yeux (Th^oph.). Je suis moi-mSme enc kante dans un lieu si plein de charmes (M"^ de Scud.). Et moi, pour te parier dans la m^me franchise, Je te hais beaucoup moins que je ne te meprise (Scarr., Com.).

Vers 127, c) findet sich auch rein lokal, z. B. Durant cinq ou six ans j*ai garde mes troupeaux Vers un lieu que Rosinde a pres de nos hameaux (Rotrou). Vers le prince irrite, la princesse affltgee . . . s'etait soudairi rangee (Chapel.). La flotte, ä ce qu'on dit, vers Baye est arrivee (Scud.). Bydaspe qui dlait poste vers le pied des montagnes le roi d'Arme'nie s^e'tait retird (M"® de Scud.). Auch sonst ist vers = ä resp. Dativ des Pron. pers. gebraucht 127, Anm.), z. B. Le vieiHard . ..

Ergänzende Bemerktingen zur Syntax des XV IL Jahrhunderts. 233

Adresse ainsi vers nous sa parole adordble (Desmarj^ Clovis). Sous une fenitre qui repond vers une maison brüle'e {W^^ de Scud.).

Sur 128 Anm. 3) vgl. Ce sceptre vons e'leve sur les autres humains (Botrou). Entre eux un jeune amant vons plaira dessus tous (Id.). Nul ne saurait plus haut porter Pambition Que d!oser enmer sur ma pre'somption (Desmar., Visionn.). Lucille qui possede un celebre renom, ün rang imp&ial ... Et sur toutes grandeurs une extrime sagesse (Id., Clovis). Sonst ist sur noch zu beachten in 11 est bien outeux . . . De trouver sur tout ä redire (Scarr., Virg.). 11 suivit d^abord une longue attee sur laquelle re'pondait la porte du jardin (Id., B. C.)- Te souvient'ü . . . D'avoir devant mes ye%ix pille sur les autels? (Rotrou).

Par sus laut (Ibid. Anm. 4) kommt noch vor Mais par sus tous, sages Le'vites, Servez ce sauvetir des humains (Racan).

Outre in lokaler Bedeutung 129, b) ^ous eussiöns fait enfler la Seine outre ses bords (Racan). Juparavant ist als Präposition in den gelesenen Texten gar nicht selten 130, b), z. B. // n''est point incompatible qu'eUes aient e'te auparavant la vie corporelle (Thäoph.). JppreneZ'tnoi le crime auparavant P arrit {Uotxo\i). Quand ils ont de concert auparavant ma mort . . . Jete ma robe au sort (Racan). Je la vis une heure auparavant cette funeste ceremnnie (M"« de Send.). Tous ceux qui auparavant nous e'taient alles aprbs le ravisseur etc. (Ead.).

Au- devant de = devant 130, Anm. 1) vgl. Ces legions en haie au- devant de mes portes (Racan). Voyant Finfidele Au-devant d'Albione, et combattant pour eile (Desmar.). Comme un mole construit au'devant d!un rivage Ihur servir de barriere aux assauts de Corage (Chapel.). Elles se placerent sur la muraille du cimetiere au-devant d^un ormeau (Scarr., R. C. III).

Zu § 130 Anm. 2 vgl. Peut-Hre esperez-vous qü* apres le sac de Troie On vous vienne au -devant recevoir avec joie (Rotiou). faurai force pour V aller au-devant Et la noirceur de Vombre etc. (Id.). Mais queües gens nous viennent au-devant? (Id.).

Adverbiales par avant, entsprechend dem § 132, c erwähnten par apres, kommt vor Je voudrais par avant avoir connu son äme (Thäoph.).

Präpositionales par devant = devant, z. B. Je passais mille fois par deiJant sa maison (Scud.) Je Pai vu cent fois . . . Passer et repasser par devant sa maison (Rotrou).

Parmi in rein lokalem Sinne = au milieu de, dans 131, a) ist nicht so selten, z. B. Parmi la cite vaste il entend des clameurs (Desmar.). On voit . . . Eciater parmi Tantre une vive lumiere (Chapel.). Mais en ayant fait plus de mille, Que fai semes parmi la ville, II faut etc. (Scarr., Com.). (Elle) Le promene parmi la ville (Id., Virg.). La blancheur de nos habits et de nos chevaux qui nous avait rendus invisibles parmi la plaine (M"® de Send.). Parmi = entre (Ibid. Anm. 1) Dans la famüiarite qu'ü y a parmi le sang et la chair, il est ä craindre que etc. (Th^oph.).

Noch heute dient entre mit pluralischem tout zum Ausdruck der Steigerung, wie Üne femme, Perdue, abandonne'e, entre toutes infame (Rotrou); von hier aus konnte man auch sagen, wobei die ursprüng- liche Bedeutung des entre zurücktrat, Ce nom qui, malheureux entre tout autre nom, . . . attire le bäton (Rotrou, Les Sosies.).

Aupres mit dem Akkusativ 132, b) habe ich noch gefunden Ainsi le juste aupres Vaulel du Tout- Puissant Semble se rajeunir des

234 Ä, Haase^

§räces qt^ii ressewt (Racan). Zu § 132, d vgl. noch Comme feiais apres ä votis empaqueier eic, (Scarr., Com.). Ei ßigez par apres de votre defiance i^otrov)^ und zu der Anm. Ecrivains toujours empiche's Apres des matteres indipnes etc. (Th^oph.). Tout un siecle les desimees Travailltrent apres ses yeux (Id., d. h. eie so schön als möglich zu machen). Les dieux, occupes apres toi setdement, Laissent Tetai du mande aller ä raventure (Id.). Bivant sur son rivage apres tes heaiuc e'crits . . . Je disais etc, (Id.). Je n'ajaute pas tant de foi ä tes paroles, gueje voulusse guiiter un hon repas qui m'attend pour m*amnser apres une teile esper ance (Desmar.). Je ne crois pas que defunt Phaeton aii ele plus em piche apres les quatre chevaux fougueux de son pere que Je fui alors notre petit avocat (Scarr., R. C). (Elle) ne manquait pas . . . de passer les jours apres des ouvrages qu'elle avait appris ä faire (Id., >iouv.).

Das alte fors 138. a) begegnet auch sonst noch, z. B. Les Muses ... Fors le Inen de ton amitie N*oni point felidte si grande etc. (Thöoph.). Que Venfer contre lui puisse tout fors la mort (Chapel.). Le surplus est francais, et fors le long des flots, On y jouit partout d'un glorieux repos (Id.). A tous, fors ä toi. Je suis inaccessible (Scarr., Com.). De ces galer es enflammees, Fors quatre dejä consomme'es (Id., Virg.). Ce ne fut quasi que tout un, Fors quelques preneurs de petun Qui etc. (Ibid.), und sonst. Der Stellung wegen ist zu beachten Uertes, le dang er hors, ce passe- temps est rare (Rotrou). Hormis de und Infinitiv Vous pouvez tout sur moi, Bormis de mHmposer ceite barbare loi (Id.).

Lokales par in par le chemin = en chemin, z. B. Faisons par le chemin ce conte ä Celiandre (Rotrou). Je Ten ouis vanter par le chemin (Scan*., R. C).

Sehr häufig ist bei Scarron, auch in den prosaischen Schriften, ne pas avoir pour une chose 134, 2, a), z. B. La ville de Paris n'en a pas pour un, eile en a dans chaque quartier (R. C). Cette dorne, belle comme eile etait, n' avait pour un amant (Nouv.). // avait ete des amants W Helene, car les publiques iCen ont pas pour «n seul (Ibid.).

Das von Hellgrewe S. 41 zitierte ttte pour tSte =: t. ä t. findet sich auch sonst bei Scarron, z. B. Le pauvre gentilhomme revenait de courir les hotelleries de la vtlle . . ., quand il trouva Marceüe tite pour tSte (Nouv.). (II) avait malheureusement rencontre tite pour tite les archers (Ibid.).

Pour zur Einführung des prädikativen Substantiv. Et la je fus nomme pour che f de ce grand corvs (Rotrou). Je fus nomme pour chef d'une puissante arme'e (Id.). Ebenso findet sicn sonner pour la retraite, z. B. Je fis sonner pour la retraite (Scarr., Virg.). (lls) avaient sonne pour la retraite (Ibid.). Statt de vor dem Infinitiv II est temps pour vaincre ton erreur (Rotrou).

Das prädikative Subst. ohne pour bei avoir 134, 2 Anm. 3) Leurs innocentes mains^ Qui n' avaient que les cieux complices (Th^oph.) A moins que d'en avoir mes propres yeux temoins (Rotrou). Qu*en cette heureuse nuit fai la fortune amie (Id.). Je n^avais point eu d'autres personnes confidentes de ma passion (M"* de Scud.).

Zur Verstärkung der Negation findet sich pour tout = du taut, z. B. ,,Joint que", vieiue liaison qui sent sa chicane; il n'enfaut point user pour tout (Malh..^ zitiert von Littr^ nnteT Joint que). Kien pour tout d'assure ni de facHe (Thäoph.). Aprhs que je serai mort, je ne comparmtrai plus pour tout (Id.). Tu n*as point pour tout d amitie (Id.). Lydias, qui n'y pensait plus pour tout, s'approche (Id.).

Ergänzende Bemerkungen zur Syntax des XVII. Jahrhunderts. 235

Zu den § 134, 3 Anm. 2 berührten Einzelheiten sind hinzuzu- fügen Les peupies sont heureux Que ce JHeu tout-putssant lUumine des en naissant De sa lumiere (Racan). Et des en V ahordant . . . je vais Que ce n'est pas ä tort etc. (Chapel.). Bis avant que le prince eüt fitä ce langage, on vit etc. (Id.). Mon espoir toutefois est de^ chaque iour, Du depuis que fai vu pre'tendre ä son amour (Rotrou, von Sölter S. 40 als Beispiel der YemachläRsigung des Subjekts- pronomens zitiert). Je ne resseniis point alors cette mort comme fai fait du depuis (Scarr., B. C. III). Taisez-vous, petite putine, Du depuis on a dit putain (Scan., Typh.). Pu sortir du depuis il n'a (Ibid.)

Das Bemerkenswerteste ist, daes auch noch ensemble als Präpo- sition fungierte, vgl. Ce que fappris par notre confidente, ensemble la resoluiian qu'eües avaient prise de me voir toujours et par quels moyens (Scarr., R. C. III, c. 18).

Wie ä travers de qc. vorkam, so auch mitunter au travers qc das sich präpositionalem auparavant an die Seite stellt, z. B. Certains cris . . . Au travers le süence et Phorreur des tenebres, M*onl transperce le ccßur (Thdoph.). II passe au travers la porte (Id.).

Über die Konjunktionen ist zu bemerken, dass quand bien 136 Anm. 2) bei 'älteren Autoren oft und besonders häufig auch bei Scarron begegnet, in dessen Dichtungen es fast auf jeder Seite sich findet, z. B. Et quand bien fen serais parfaitement savant, ma vie serait trop courle etc. (Th^oph.). Quand oien on faccarderait que . . ., si peut-on dire enfin etc. (Id.). Et quand bien le destin vous manquerait de foi, 11 vous reste etc. (Rotrou). Je retoumai dans la salle du Jardin, pour parier ä St, Far, quand bien il me devrait dire quelque chose de de'sobUgeant (SctLTr,^ R. C.). // s'en offenserait, Quand bien sa passion par se flatterait (Id., Com.). Quand bien Artamene serait en etat de combattre, il ne trouvaii pas etc. (M^® de Send.).

Von den § 137, 1 aufgeführten Konjunktionen bedürfen incontinent que, soudain que^ desormais que und tant que ^bis" mit dem Indikativ noch einiger Beispiele, soudain que und desormais que scheinen haupt- sächlich nur in poetischer Rede vorzukommen, vgl. Incontinent que mon voyage sera resolu, je ne manquerai pas etc. (Th^oph.). Soudain qu'us sont pa7'donnes Ils vont au rang des fortunes (Thäoph.). Soudain que Von verrait P heureux choix de mes yeux, Les autres . . . Feraient toul retentir de cris (Desmar.). Soudain que les Fran^ais ont quitte le saint Heu, Ils fönt etc. (Id.). Mais soudain que du jour la barriere est de'close, Roger court aux prelats (Chapel.). Desormais que le renouveau fond la glace etc. (Th^oph.). La gloire de ton nom plus loin ne peut s^etendre, Desormais que sous toi s^abaisse la fiertS (Chapel.). Je tombe, et hors de moi demeure sur la place, Tant qu'Üctave passant s'est donne le souci De bander ma blessure et de me rendre ici (Rotrou). Et fai sans m^arriter mon äge consommee, Tantot par le pays, tantot dans une arme'e, Tant que par le de'cret d^un invincibü sort Je suis enfin venu chercher ici la mort (Id.).

Kausales ä force que: Ce feu brüle si vite ä force qu'il me plait Que etc. (Thöoph.). Et ä force que fon Hnterrompait, il se fit donner audience (Scarr., R. C).

Ein gutes Beispiel für mais que 137, 4) ist Be'lasl ma fiUe, helas, qui me clorra les yeux, Mais que mon päle esprit soit monte dans les cieux? (Racan).

Konsekutives si que IS 7, 5) kommt auch oft in Scarron's Dichtungen vor, z. B. Sa personne . . . Est un peu rudement traiUSe, Si

236 A. Haase,

que tepine de son os Ä re^i dommage en ses os (Virg.). Joint oue ist, was beiläufig bemerkt werden mag, im Grand Cyrus fast auf jeder Seite mehrere Male zu finden. Malherbe verwirft es nach Littr^ in schärfster Weise 137, 5 Anm. 2). ffors que mit dem Konjunktiv, wofür die neuere Sprache lieber ä moins que sagt, ist oft zu finden, vgl. nur Ce n'est pas qt^üs ne /ussent tous aeux de la premiere condiiion, ei que hör s que la princesse e'pousät un rot e'tranger, ou Spilridate, üs ne pusseni lever les yeux jusqn'ä eile (M"" de Scud.). Ebenso sinon que, welches dem si ce n'est que § 81, b an die Seite zu stellen ist, in Sätzen wie Vous ne irouverez poini de quoi, Sinon que la faveur du roi Tienne Heu de honte et de crime (Thäoph.). Lui-mime semblera reiracter ses serments, Sans dessein toutefois, sinon que cette adresse Vous fasse suppleer au mal de sa matiresse (Botrou).

Mit ähnlicher Satz Verkürzung wie § 138 findet sich auch fors que, z. B. Dedans ce lamentable Heu, Fors que de soupirer ä Die^t, Je n^ai rien qui me divertisse (Th^oph.). Franc de tous les dangers du monde, Fors que de toi tant setäement (Id.).

Nicht als eine Konjunktion ist zu fassen ^aHleurs que in La justice se mit en devoir de faire quelques formaUt^s, mais n^ayant trouv^ personne, et personne ne se plaignant, d^atlleurs que ceux qui pouvaient etre soupgonnes äiaient des principaux gentüshommes de la ville, cela demeura dans le silence (Scarr., R. C. III). Mais je n*y voulus pas entendre; cor je n^avais plus de parents qui eussent droit de me Com- mander. D'ailleurs que mon cceur etait toujours dans ce parc, ou je me promenais ordinairement (Ibid.). So nahe auch diese Wendung dem outre que scheint, ist sie doch von diesem grundverschieden. In beiden Stellen liest adverbiales d'aiUeurs vor; in der ersten ist que kausal, wie es in der älteren Sprache und in der heutigen Volkssprache noch gewöhnlich ist, während in der neufrz. Schriftsprache nur gewisse Beste jenes Gebrauchs sich erhalten haben. In der zweiten Stelle ist dieses que ebenso gebraucht wie im Neufrz. nach peut-Hre, heureusement u. ä., sodass dasselbe überflüssig erscheint und von einem nicht aus- gesprochenen Yerbum des Denkens abhängig zu denken ist, wie ein solches que in der heutigen Volkssprache noch sehr gewöhnlich ist.

Auparavant que 138) ist auffallend häufig bei M"" de Send., doch brauchen Beispiele zu diesem und den anderen daselbst behandelten Konjunktionen nicht gegeben zu werden, nur mag zu Anm. 2 ange- merkt werden, dass man nicht mehr sinon sagt in Sätzen wie Tous les dieux ä Tenvi lui versaient du nectar Sinon Bellone et Mars qui poursuivaient encore etc. (Racan). Qtioi, Thäaste, tout rit, sinon vous seulement! (Rotrou). Tantot que vgl. Ce beau, seigneur, tant dt qu'on a dine, A mangä comme un diable (Scarr., Com.)-

Zu den § 139 Anm. 2 angeführten Sätzen vgl. Je me vis ä considSrer ces choses-lä si stupide que rien plus (Thäoph.). Elle se leva aussitot que le soleil (Scarr., B. C). Le jeune komme commis ä servir mon amour Se rendit en ma chamhre aussitot que le jour (Rotrou). Ferner Apres avoir, comme tres sage . . . Dit par trois fois etc. (Scarr., Virg.). jEneas lui dit, comme sage, Qu'ü commen^t par le jpotage (Ibid.).

§ 189, 2: Je crois m'^tre trop venge que de m'itre plaint (Thöoph.). EUe se pUnt aussi dans son ouvrage, croyant en avoir fait un de grand esprit, et digne d^une extrime louange, que d' avoir trouve du mal en cette pensee, et de s^etre attache ä la mauvaise interpre'tation (Desmar.). (Ils) rendaient encore la chose plus forte, pensant en faire une tires avantageuse pour Artamene que de bien exagerer quil faliait sans

Ergänzende Bemerkungen zur Syntax des XVIL Jahrhunderts, 237

doute etc, (M"* de Scud.). Vgl. noch Les jeunes esprits h'ont rien de dangereux Au prix que decouter un conseil amoureux (Th^oph.). C*est faxt que de ses jours ( Rotrou).

Ainsi que = comme 139, 3) ist häufig, z. B. TJn chacun les doit estimer Ainsi qu*un ange tute'laire (Thöoph.). De ces objets cheris . . . mon äme est possedee Ainsi que d'un mauvais demon (Eacan). // faut de notre sang retrancher ce prodige, Ainsi qu*un mauvais bois indigne de sa tige (Id.). Mes grands coups se fönt craindre ainsi que des tempitcs (Deeraar.). 11 traite la Navai-re ainsi que PAngleterre (Cbapel.). Et je vous traiterai ainsi que je la traite (Rotrou).

Das veraltete /M moins (9 140 Anm. 1) habe ich noch gefunden Cette contume . . . ne me laisse nulpre'texte qui puisse justifier taffection d^Arlamene pour moi, ni moins encore Celle de Mandane pour lui (M^^" de Scud.).

Zu dem § 140 Anm. 2 erörterten Gebrauch des ni vgl. Que vous puis-je celer, ni que vous puis-je dire? (Racan), Que me sert . . . Que les vins ä ruisseaux me coulent des monlagnes, Ni que me sert de voir les meiUeurs menagers Admirer mes jardins? (Id.). Et si Cesar pretend pqr force, par menace . , , Et toi ni par soupirs, ni par embrassements, Ebranler une fois si ferme et si constante, Tous deux vous vous flattez d^une inutHe attente (Rotrou).

Et donc 140 Anm. 5) Bessouviens-toi . . . Que ne vivre ici bas \rien que pour eüe seule (la gueule) Est itre pis que bite; et donc, o hdelet, Vous n*Stes qu'une bite habille'e en valet (Scarr., (]lom.). Das Ldverbiale, sodann zur Konjunktion gewordene si 141) begegnet licht nur sehr oft in adversativer Bedeutung, sondern tritt auch noch >hne dieselbe in et si auf, das vom Altfrz. bis ins XVI. Jahrhundert liuein oft als verstärkte koordinierende Konjunktion vorkam, z. B. ^n mangea Tout ce qui fut mis sur la table , Et si but-on au prealable karr., Virg.). Helas! j^entends du bruit, et si je vois un homme [Id., Com.).

Soit que ou soit qtie 143, Anm.) ist sehr oft zu finden, z. B.

nt qu*un triste penser represenle ä mes sens Les lieux ... Ou soit

[ue mon malheur ait mes mains approchdes Des choses etc, (Rotrou).

nt qu*au matin Castre de Cunivers . . . Ou soit qu*ü se retire (Racan).

nt que le jour renaisse au sommet, des rochers ... Ou soit que dans

eaux sa lumiere finisse (Id.). Aiais soit qu*il craigrät de fwcer . . .,

soit qu'il en füt empiche , . ., ii ne le fit pas (M"® de Scud.). Auch

soit que kam vor, z. B. Ou soit qu*ü me punisse, ou soit qu^ü

pardonne, On ne peut murmurer etc. (Racan). *

Das aus ursprünglichem Adverbium zur adversativen Konjunktion

wordene ains 143, Anm.), welches im XVI. Jahrhundert noch sehr

ifig vorkommt, im XVII. so gut wie verschwunden ist, findet sich

|h Fieille barbue, et qui comptait Cent ans, et point ne radotait, A in s

\t femme bien sensee (Scarr., Virg., 1. V.).

A. Haase.

Grundzüge der Entwickelung des e sourd.

Ein Beitrag zur Beantwortung der Frage : Wie sind die französischen

Verse zu lesen ?^)

Man erinnert sich der kläglich irrtümlichen Vorstellungen, welche bei uns vor nicht langer Zeit über den Versbau der Fran- zosen in einigen Köpfen herrschten und in naiver Harmlosigkeit hie und da ernsthaft durch den Druck verbreitet wurden. Man war, wie auch Humbert in einer Anmerkung S. 3 sagt, geneigt im allgemeinen alle Verse jambisch zu lesen. Der (zwölf-, bezw. dreizehnsilbige) Alexandriner bestand also aus sechs Jamben: und nun hackte man ungehöriger Weise das Metrum nach diesem Schema ab, gerade wie wir deutsche Verse von Deutschen (und nicht bloss von Kindern) in geschmackloser Weise abhacken hören. Bei diesem regelmässigen Wechsel unbetonter und be- tonter Silben wurden dann auch sämtliche e sourd, soweit sie als Silbe „zählten^, in derselben schwerfälligen Manier zu Gehör gebracht.

Solche Praxis und solche Theorie behaupteten sich nach dem Gesetze der Trägheit (der Geister), als man längst ohne grosse Mühe das Richtige oder das Richtigere sich aneignen konnte, wenn man wollte. Ja, ich bin überzeugt, sie sind auch heute nicht ausgestorben. Aber sie wuchern doch wohl nur im Verborgenen weiter, und dass noch einmal ein Schriftsetzer durch sie irre geleitet werden könnte, ist nicht gut denkbar.

Wenn nun ein deutscher Jünger der „neueren Philologie** mit solchen oder ähnlichen veralteten Anschauungen, vielleicht durch eigene Überlegung und das Aufbäumen seines Schönheits-

1) Zugleich Anzeige der Schrift C. Humbert's: Die Gesetze des französischen Verses. Ein Versuch sie aus dem Geiste des Volkes zu erklären, mit besonderer Rücksicht auf den Alexandriner und Moliere's Misanthrope. Leipzig, 1888. Seemann. 55 S. 8^.

W, Ricken, Grundzüge der ErUwkkehing des e sourd eic. 239

Sinnes wider hässliche Übung, oder durch irgend eine gelegent- lich gefundene Bemerkung skeptisch geworden, nach Paris reist und dort den Brauch der Bühne beobachtet, so wird er sich sofort des weiten Abstandes zwischen der natürlichen Betonung und Sprache der nationalen Schauspieler und jenem unnatürlichen ^ Geklapper^ des (nach seinem Wissen) heimischen Deklamations- stils deutlich bewusst werden. Aber je grösser dieser Abstand ist, je gröber also seine bisherigen Vorstellungen von der Sache, je kümmerlicher sein Sinn für geschichtliche Entwickelung, je geringer sein lautphysiologisches Wissen und Können, sowie seine Kenntnis der einschlägigen Litteratur waren, desto mehr ist er in Gefahr, in das entgegengesetzte Extrem hineinzugeraten, indem ihm über der Beobachtung der groben Unterschiede alle die feinen Nuancen del* Aussprache, welche für eine richtige Lösung der von ihm behandelten Frage von massgebender Be- deutung sein würden, entgehen.

So erklärt es sich ohne Zwang, dass in dem Prozesse der Reaktion gegen Verkehrtheit und Unnatur, des Sichbesinnens auf das Richtige und Natürliche, des allmählichen Durchringens zur Wahrheit, auch unerfreulichere Episoden vorkommen, welche von dem fast erreichten Ziele wieder abzulenken drohen. Wo immer wir die Entwickelungsgeschichte irgend einer Frage verfolgen, vollzieht sich ja vor unseren Blicken in mancherlei Variationen dasselbe Spiel: ein tüchtiger Kopf ahnt oder sieht das Wahre und gibt ihm einen vielleicht noch nicht ganz abgeklärten Aus- druck; weniger weitschauende Männer verstehen ihn nicht, ver- teidigen die liebe alte Gewohnheit oder wirken, dem miss ver- standenen Neueren folgend, doch wieder diesem entgegen. Hierhin und dorthin zerrt man den streitigen Gegenstand, bis zuletzt die Resultante aller wirkenden Kräfte ihn doch ungefähr dahin trägt, wohin er gehört.

Die Frage der Rhythmik französischer Verse, insbesondere soweit sie die Frage der Behandlung des „weiblichen e" bei dem Vortrage von Dichtwerken in sich schliesst, ist neuerdings von E. 0. Lu barsch in dem nachgelassenen Werke Über Deklamation und Rhythmus der französischen Verse. Zur Be- antwortung der Frage: Wie sind die französischen Verse zu lesen? (Oppeln, 1888, Maske) überzeugend behandelt worden. In diesem Buche hat der wahrheitsliebende feinsinnige Metriker, indem er sich mit einem Vertreter der extremen Reaktion gegen alte Theorie und Praxis (Sonnenburg: Wie sind die französischen Verse zu lesen f (Berlin 1885, Springer) auseinandersetzte, eine in allen wesentlichen Punkten befriedigende Lösung jenes den neu- apracbliohen Lehrer notwendig interessierenden Problems gegeben.

240 fV. Ricken,

Die Schrift Hnmbert's, welche veranlasst wurde durch den Umstand, dass in eine von dem Verfasser für die Renger'sche Sammlung besorgte Ausgabe des Misanthrope gegen seinen Willen ein dem Gropp 'sehen Äbriss der Verslehre entlehnter ^höchst bedenklicher Passus^, das ^völlige Verstummen des e muet^ betreffend, aufgenommen wurde, hat freilich bei weitem nicht 4ie Bedeutung der Arbeit des verstorbenen Lubarsch. Ohne sich um die vorhandene Litteratur über Metrik, Rhythmik, den Hiatus und andere Einzelfragen aus der französischen Vers- lehre zu kümmern, ohne etwaige phonetische Kenntnisse zu ver- werten, versucht indessen der unzweifelhaft mit einem feinen Geschmack für französische Poesie begabte Verfasser, das Kind eines französischen Vaters, die Gesetze des französischen Verses Schritt für Schritt aus der eigentümlichen Anlage der franzö- sischen Sprache, welch letztere er vorher in allzu geistreicher mich keineswegs überzeugender Weise aus dem Geiste des Volkes erklärt, selbständig zu entwickeln. Er zählt nicht, nach den in den meisten , Abrissen^ vorliegenden traurigen Mustern, die mechanischen äusserlichen Regeln und Gesetze, des in ihnen waltenden Geistes beraubt, auf, er will „auf das die Gesetze des französischen Verses beherrschende beseelende Band hin- weisen; ihren Geist in dem Leser wecken und jene Gesetze, die er vielleicht als tote Teile in der Hand hält, mit dem ursprüng- lichen Leben wieder erfüllen.'' Und trotzdem die Schrift wegen des Vei'fassers allzu geringer Vertrautheit mit mehreren nicht etwa unwichtigen Nebenfragen im einzelnen manche Irrtümer auf- weist und daher immerhin mit Vorsicht zu benutzen ist, ist es mir keinen Augenblick zweifelhaft, dass, wenn die Lehrer des Französischen, welche mit ihren Schülern einen Dichter zu lesen haben und doch auf dem Gebiete der Metrik und Rhythmik sich nicht genügend orientiert wissen, in dieses Büchlein und in das schöne Werkchen von Lubarsch einmal sich versenken wollten, die Lektüre und der Vortrag und die beiläufige metrische Er- klärung des Dichtwerkes ihre Schüler in weit erfreulicherer Weise bilden und belehren würde, als die Regeln und Definitionen der öden Leitfäden, die das Beste verschweigen, die den Lehrer nicht mehr sollten zu unterrichten vermögen und in den Händen der Schüler doch nur Unheil anrichten. Die Benutzung solcher Abrisse von selten unserer Zöglinge ist ebenso verwerflich wie der Gebrauch von Lehrbüchern der Synonymik, von Vokabulaires und anderen doktrinären Zusammenstellungen phraseologischen Materials.

Ich übergehe alle diejenigen Ausführungen Humbert's, welche zu der von ihm angegriffenen Gropp - Dickmann^schen

Grundzüge der EniwickeiHng des e sourd eic, 241

Regel ^ über die Aussprache des weiblichen e im Verse nicht unmittelbar in Beziehung stehen. Vielleicht gelingt es mir, die vorliegende Streitfrage von einigen eigentümlichen Qesichts- punkten aus so zu beleuchten, dass manchem die Stellungnahme erleichtert und eine Einigung der Parteien eher erzielt wird.

Bei Gropp, S. 8, lautet die ganze Regel folgendermassen: ,,Nach der Theorie müsste das als Vokal einer vollen Silbe den übrigen Vokalen gleichberechtigte sogenannte stumme e stets mit dem Laut des sogenannten dumpfen e (e sourd) ge- sprochen werden. In der Praxis jedoch unterscheidet sich heut- zutage die Aussprache dieses Lautes nicht wesentlich von der- jenigen in der guten Prosa. Sie hängt im allgemeinen von der Beschaffenheit der vorhergehenden und folgenden Konsonanten ab; häufig beruht sie auch auf der subjektiven Auffassung und Stimmung des Sprechenden oder auf der Gattung der Dichtung, welcher der betreffende Vers angehört. Im allgemeinen lässt sich folgendes Gesetz aufstellen: Wenn die Natur der voran- gehenden resp. folgenden Konsonanten in der Prosa ein völliges Verstummen des Lautes zulässt, so tritt dies gewöhnlich auch in der Poesie ein; höchstens macht sich das Vorhandensein des e durch ein längeres Austönen des vorhergehenden Konsonanten hörbar, wodurch zugleich eine Verlängerung der vorhergehenden Silbe eintritt, z. B.:

Tons resteni (lies: resf), les hras en haut (Brizeux) Voüä notre uniqtie (lies: noir^wiiqu) tre'sor (Lacbambeaudie) Comme (lies: comm') Rome (lies: RonC) Coclks vous avez Galgacus

(Hugo).

Das e ist mehr oder weniger mit dem dumpfen ö-Laute

hörbar in den einsilbigen Wörtern je, wc, te etc., femer nach

muta cum liquida und wenn die Natur des folgenden Konsonanten

eine deutliche Aussprache des e nötig macht, z. B.:

Eniraine le plus fori, trouhXQ le plus hardi (SuUy Prudhomme) Parl^Aui smis effroi: lui seid peui te comprendre (Lamartine) Plus prompts que raquÜon, /bndent de touies paris (Lamartine) MaitiQ lenard, par Codeur alleche (Lafontaine) ."

Vergleicht man diese Erklärungen mit den Resultaten der neuesten Fassung Lubarsch's, so lässt sich allerdings nicht leugnen, dass Gropp nicht ohne Glück versucht hat, dem Gesetze mit seinen Einschränkungen und Vorbehalten eine Fassung zu geben, die der Wahrheit nahe käme, wofern man den Gebrauch der Bühne als massgebend ansieht. Dass der Lautwert des e sourd der weiblichen Endungen (in der Prosa) beim Vortrag von Versen an sich nicht geändert werde, hatte Lubarsch ja bereits 1879 hervorgehoben. Er hatte aber auch damals schon den für eine richtige Auffassung der Sachlage wesentlichen Zu-

Zschr. f. frz. Spr. u. Litt. XIi. ^^

242 ^. Ricken,

satz gemacht, dass die. Silbe, der jenes e angehöre, dnrch deut- liche von der vorhergehenden Silbe mehr losgelöste Artikulation ihrcB konsonantischen Anlautes möglichst selbständig fUr das Ohr hervorgebracht werde. Diesen Punkt nun hat er in seiner letzten Schrift neuerdings klar und vorzüglich behandelt, so zwar, dass von hier aus sicher eine Versöhnung der streitenden Parteien wird erzielt werden können. Trotz seiner etwas gewundenen * Erklärungen und der reichlichen Verwendung der verschiedene Auswege offen lassenden beschränkenden Adverbien „im allge- meinen'', „gewöhnlich**, „häufig", „nicht wesentlich", darf man doch wohl behaupten, dass Gropp, da er seine Regel schrieb, mit derselben nicht in dem Sinne Lubarsch's die feststehende Silbenzahl des Verses zu wahren gedachte, sondern sich mehr dem Standpunkte Sonnenburg's näherte, der beispielsweise Alexandriner von (9) 10, 11 Silben annahm, (ja einen solchen Wechsel der Silbenzahl als notwendig ansah, da auf ihm zum grossen Teil der Wohlklang des Verses beruhe). Denn selbst wenn das längere Austönen des vorhergehenden Konsonanten " als ein ungeschickter Ausdruck für die „selbständige von der vorher- gehenden Silbe losgelöste Artikulation" desselben betrachtet werden dürfte, würde doch das hinzugesetzte „höchstens" einen dement- sprechenden Vortrag als einen wohl einmal festzustellenden doch keineswegs herrschenden und bindenden Gebrauch charakterisieren. Humbert dagegen steht einfach auf dem Standpunkte, den Legouvö einnimmt, der da sagt : Le lecteur qui ne prononce pas les e intermidiaires faxt un vers fauXy ein Standpunkt, den Banville und Leconte de Lisle nach Lubarsch, Deklamation und EhythmuSy S. 22 und 28 durchaus teilen. Der unterschied in dem Vor- trage des lecteur par excellence und Dichters Legouv6, und der Dichter Banville und Leconte de Lisle, der in einer beiläufigen (nach der Darstellung bei Lubarsch, S. 25 eigentlich recht un- motivierten) Äusserung Banville's zum Ausdruck kommt, scheint im Grunde nicht so bedeutend zu sein und sich nur auf die „Interpunktion '^ beim Lesen des modernen Verses zu beziehen (Lubarsch 38), und betrifi^ auf keinen Fall die Behandlung des weiblichen e im Innern der Verse. Es wäre demnach nicht zu billigen, wollte man den Versuch, die vorliegende Streitfrage mit einiger Sicherheit bei uns zu lösen, mit einem Hinweis auf die Meinungsverschiedenheiten französischer Autoritäten als gewagt und vergeblich hinstellen. Im Punkte des e sourd sind die drei Gewährsmänner Lubarsch's vollständig einig. ^)

^) Plattner im Gymtiasium VII, 2 (Sp. 52) und Heller in der Franco-Gallia VI, 2 (S, 57) scheinen diese Meinungsverschiedenheiten zw übertreiben und auch auf die Frage des e so^trd auszudehnen.

Grundzüge der Entruickelnng des e sourd etc. 243

Uumbert äussert sich so: „Die neue Regel von Gropp und Biekmann widerspricht der Konsonantenscheu, zerstört die Leichtig- keit des Rhythmus und der Bewegung"...... „Sie wider-

sfkricht dem Grundprinzip der französischen Rhythmik, der Silben- siählnng, auf welcher der Unterschied der Verse beruht. (?) Solche, die .zwötfsilbig sein sollen, werden neun-, zehn-, elf- ^Ibig;. und mitten zwischen wirklich zwölfsilbige hineingeworfen, inn die vom Ohr erwartete und gefprdette Gleichheit zu stören: ipQ^' z^efache Missgeburt, wie mitten in der Odyssee oder in dem Dialog eines griechischen Trauerspiels ein drei-, vier-, fUnf- ffissiger Hexameter oder jambischer Senar."

„Sie zerstört zugleich den Bau jedes einzelnen Verses selber, und im Alexandriner die so wichtige Gleichheit seiner zwei Teile."

„Nicht einmal in Gassenhauern und Bänkelsängereien lässt sich der Franzose das bieten. Selbst da wird das Silbenmass lunegehalten, die verschluckten e zählen nicht mit und werden auch nicht geschrieben; man ersetzt sie durch einen Apostroph, und wenn man sie schreibt, müssen sie selbst in Gassenhauern gesprochen werden."^) Letzteres belegt er mit klaren Bei- spielen aus der allerneuesten Zeit.

Abgesehen davon, dass ich die (für die heutige Sprache immer hypothetischer werdende) „Kosonantenscheu" des Fran- zosen nicht als einen zureichenden Grund für die Notwendigkeit

^) Es ist interessant und lehrreich zu beobachten, wie schon vor mehr als 200 Jahren Chiflet mit denselben Gründen gegen die Lehre eines Grammatikers, nach welcher das e feminin im Innern des Wortes und am Ende der einsilbigen Partikeln vollständig verschluckt werde, zu Felde zieht. Doch ist nicht zu vergessen, dass Chiflet damals die Richtigkeit obiger Lehre selbst in Ansehung der familiären Sprache bestreitet, Humbert heute die Richtigkeit einer ähnlichen Lehre in An- sehung der getragenen Sprache dichterischen Vortrags, ein Verhältnis, auf das wir weiter unten noch mehrmals zurückkommen werden. Die Worte Chiflet's (Essai d'une parfaüe grammaxre de la langue fran^oise, sixihnie ed,, Cologne 1680, S. 212) lauten: Sur cel e feminm ü iCy aque deux choses ä dire, contre une double erreur d'un Grammmrien. La jn- emier e est, en ce qu*il dii, que cei e se mange toui-ä-faii au milieu des mois, ei qu'il ne se prononce point du toui ä la fin des pariicules mo- nosyUahes; et par conse'quent quil faut dire, da pour que la, sla potir cela; ack(e)ter pour acneier, Ison pour le^on, eic. Je dis de cette pro- npnciation äffe et ee qu'elle est fausse, injurieuse ä nostre langue et ioialemeni pernicieuse ä la pocsie FranQoise. EÜe est fausse, parce qu'eUe aneantit des syUabes entieres qui ont droit d*estre distingue'es des autres, quoy que favou^ qu'eües sont fort courtes; et qu*il les faut pro- noncer brie'vement. Elle est injurieuse ä nostre langue : d^auiani qu^eüe la rendroii dure, scabrettse, et fremissanie ; ä cause du choc des consonnes, contre Fextreme inclifiation qu'elle a ä la douceur. Enfin eile ruineroit toute la poesie, estropianl les vers du nombre des syllabes, qui est requis ä^leuii me$ur4!*

' : 16*

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der Aussprache der weiblichen Endungen im Verse ansehen kann, stehe ich prinzipiell auf dem Boden dieser Humbert'schen Erwägungen. Es ist nur schade, dass der Verfasser lediglich vom Standpunkte des Ästhetikers räsonniert, lediglich seinem Geschmack, seinem Schönheitsgefühl, seinem musikalischen Sinn folgt und nicht für alle diejenigen, welche sich auf solche Eigen- schaften und Fähigkeiten nicht verlassen können und wollen, eine Reihe anderer Gründe, die sich aus einer sorgfältigen historischen Betrachtung ergeben, beizubringen versucht hat. Schade ferner, dass er es versäumte, auf die doch von vorn- herein anzunehmende Verschiedenartigkeit des weiblichen e im Sinne Lubarsch's hinzuweisen und durch eigentlich philologische Betrachtung seine Ansichten zu stützen; zu zeigen, unter welchen Voraussetzungen sie auch heute noch allein berechtigt sind, und den Punkt zu bestimmen, von dem aus abweichende Meinungen einige Körnchen Wahrheit erhalten. Die oben mitgeteilten Stellen aus der Regel Gropp*s waren sehr wohl geeignet ihn zu der- artigen Untersuchungen zu veranlassen.

Welche Beleuchtung nun empfängt unsere Frage von der sprachgeschichtlichen Forschung? Inwiefern müssen sich unsere Anschauungen von der Aussprache des weiblichen e beim Vor- trage von Versen klären, wenn wir dieses Problem auch einmal aus dem Gesichtspunkte stetiger immer fortschreitender Sprach- entwickelung und unter sorgföltiger Beachtung des allgemeinen Gesetzes von der Allmählichkeit des Lautwandels betrachten? Ob dabei nicht vielleicht einige Analogieschlüsse sich ergeben, denen eine grössere Überzeugungskraft innewohnt, als ästhetischen Erwägungen und Deduktionen?

Das „e muet ou obscur''\ wie Richelet sich ausdrückt, hat in den verschiedenen Stellungen, die es einnehmen kann, immer verschiedenen Wert gehabt, in der Sprache der Konversation wie in der Sprache des discours soutenu und der Poesie. Zunächst ist es in allen Fällen hörbar, hier weniger, dort mehr. Die Tendenz der Unterdrückung des c beginnt dann an einem be- stimmten Punkte sich deutlicher fühlbar zu machen. Von hier aus geht der Verstummungsprozess, verschiedene Stadien durch- laufend, allmählich und unaufhaltsam weiter. Fast immer ist es zunächst die familiäre Sprache, welche der Verlust trifft, natür- lich ohne dass sie denselben bedauerte. Die Sprache der ge- tragenen Rede, die Sprache des langsamen, gemessenen dichterischen Vortrags weigert sich lange genug, den neuen Manieren ihrer leichten Schwester zu folgen: aber ihr Widerstand ist auf die Dauer vergeblich. Täglich, stündlich erobert die junge Mode weitere Kreise, grössere Gebiete. Sie befestigt sich in ihrer

Grundzüge der Eniwickelung des e sourd eic. 245

Macht, und bald ist sie die unbestrittene Herrin. Wenn bei ihrem ersten Auftreten ihre Art als affektiert und geschmacklos galt, so ist sie jetzt die allein natürliche und feine. Wenn der neuen Aussprache zuvörderst der Vorwurf der Härte gemacht wurde, so übt sie nunmehr eine ausserordentlich angenehme Wirkung auf das Ohr aus, während die alte Aussprache allge- mein als schleppend und abstossend empfunden wird. Da unter- werfen sich dann auch Redner und Dichter dem allgemeinen Brauch.

Wenn nun dies der Lauf der Dinge ist was ich sogleich an einer Reihe von Beispielen darzuthun gedenke , so ist klar, dass eine Zeit kommen muss, in der die früheren weiblichen e aus der Volkssprache völlig werden verschwunden sein. Sodann ist auch der Tag verhältnismässig nicht mehr so fern immer- hin können mehrere Jahrhunderte darüber hingehen , wo auch der Deklamator und der Dichter sie nicht mehr zu sprechen, nicht mehr zu berücksichtigen wagen werden. Ob wir diesem Tage schon jetzt nahe gekommen sind?

Um das Verhältnis der Vortragssprache zur leichten Um- gangssprache und die stufenweise Entwickelung beider immer nach derselben Richtung hin darzulegen und zu zeigen, wie jene (beispielsweise die Sprache der Poesie) den von dieser diktierten Gesetzen schliesslich folgt, führe ich zunächst einiges aus der Entwickelungsgeschichte der Endkonsonanten und der inlautenden Vokalverbindungen vor.^)

In den älteren Zeiten der französischen Sprache wurden die heute stummen Endkonsonanten noch durchweg gesprochen. Allmählich verschwinden die meisten derselben aus der gewöhn- lichen Unterhaltungssprache. Verstumpfung und Schwund treten bei gewissen Konsonanten etwas früher ein als bei anderen und werden andererseits mitbestimmt durch die Natur der vorher- gehenden Laute. Besonders aber hat auf die Hörbarkeit des Endkonsonanten die Natur des etwa folgenden Lautes Einfluss. Seit dem 13. Jahrhundert gilt die Regel, dass die Endkonsonanten verstummen, sobald ihnen ein konsonantisch anlautendes Wort ohne Pause folgt: anderenfalls aber bleiben sie hörbar.

1) Die im Folgenden viber die Entwickelnngsgeschichte der aus- lautenden Konsonanten, der Vokalverbindungen im Innern französischer Wörter und des weiblichen e angegebenen Thatsachen finden sich meist schon in meinen Untersuchungen über die metrische Technik Corneiile's und ihr Verhältnis zu den Regeln der französischen Vers- kunst, Teil I: Silbenzahlung und Hiatus (zu beziehen durch Maske, Oppeln. l,öO Mk.) an verschiedenen Stellen belegt. Da indessen jenes Buch bedauerlicher Weise in weiteren Kreisen kaum bekannt geworden zu sein scheint, so kann ich, will ich verstanden werden, nicht einfach darauf verweisen.

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i.; Und noch :!m XVL' ttifd im all^emeiHen auch im Xyil. Jahrhundert herrseht flir den style gpuienu in seinen verschiedeQjeti Abstufungen weseqtlich da$selbe Gesetz. Aber um diese selbe Zeit ist der Endkonsonant in der Sprache des Volkes auoh.v^r einer Pause stumm und selbst in der etwas' gemesseneren -fa- miliären Sprache der Gebildeteu yerpiögen wenigstens klQipQr^ Pausen den Konsonanten nicht zu retten. Ztir Zeit der Corneille, Moliöre und Racine kannte die gebildete Unterhaltung die Aus- sprache gewisser Endkonsonanten nur noch vor folgendem Vokal und auch dann nicht ausnahmslos. Heutzutage gibt es in der schneller sich entwickelnden Unterhaltungssprache des grossen Haufens nur einen verhältnismässig kleinen Rest der alten .„Bindungen^, aber fUr den stple soutenu, fOr den Vortrag und dlQ Deklamation eines Stückes ernster Prosa oder gar ernster Poesie haben die. von Grammatikern des XVU. Jahrhunderts (z. B. Chiflet) nach dein Sprachgebrauch der Gebildeten und des Hofes aufgestellten Regeln noch heute ihre volle Gültigkeit. Ja, der gtyU soutenu hat sich im einzelnen manchmal einen noch älteren Lautstand bewahrt (vgl. W. Ricken, l. c, S. 57 und 58). Wie lunge werden sie Geltung behalten? Das vermag niemand zu sagen. Aber sie werden fallen, wenn auch langsam. Die Scheu vor dem Hiatus und die Schultradition schützen jene Kon- sonanten vielleicht ungewöhnlich lange, so dass Legouv6 sagen kiinn: II y a trls peu de Uaisons absolument tnutiles»

Um die Mitte des XVI. Jahrhunderts ist z. B. der End- konsonant von Wörtern wie forty aecordj porty renardy arty hctsardy Scart in der guten familiären Sprache verstummt. Wird man nun in der Poesie sofort or und forty char und Scart mit ein- ander reimen lassen? Gewiss nicht, da jener Konsonant in feierlich-langsamei;, getragener Rede laut bleibt. Doch die Sprache der Litteratnr muss der Volkssprache einmal unweigerlich folgen. Der Wendepunkt muss sich also irgendwo, zeigen. Wo wird er er sich zuerst zeigen? Es hängt dabei einiges von dem herrschenden Kunstgeschmack einer Zeit ab, von ihrem eigen- tümlichen gesellschaftlichen Lebep, von den Machtverhältnissen der einzelnen Stände, von dem Werte und dem Einfluss der schönen Litteratnr, welche frühere Perioden etwa hervorbrachten: das ist nicht zu leugnen. Aber doch wird jedes Zeitalter ver- schiedene litterarische Gattungen erzeugen, von denen jede die ihr naturgemäss zukommende Vortragsweise fordern wird. Und zwar wäre es verfehlt anzunehmen, dass die Prosa, welche es auch sei, dem Gebrauch der leichten UmgiiDgssprache früher folgen werde, als die Poesie, zu welcher Gattung sie immer ge- hören möge. Es kommt viel weniger auf die grössere oder

Grundzüge der Eniwickehing des e sourd etc. 247

geringere änssere Gebundenheit der Sprache an, als auf den inneren Geist und Kern und Charakter der Gedanken und Empfindungen, denen man Ausdruck verleihen, auf die Situation, der man durch kunstgemässen Gebrauch des feinen Werkzeuges der Stimme gerecht werden will. Eine Leichenrede Bossuet's wird man also weit ernster, feierlicher, gemessener zum Vortrag bringen, wie eine Komödie, die den natürlichen Volkston mög- lichst treffen muss. Wollte ein Schauspieler letztere mit ge- nauester pedantischer Beobachtung aller Regeln der Versifikation auf der Bühne zum Vortrag bringen, so würde man seine Sprache auch vor zwei Jahrhunderten schon gezwungen, affektiert und unerträglich gefunden haben.

Ronsard nun, der einer Zeit angehört, in welcher die frlanr zösische Muse weniger majestätisch einherschreitet wie in der nächstfolgenden Zeit, rät zuerst in seinem Art PoiUque zu or und char ^hardiment'''' forty ort, accord part^ renarty arty fard zu reimen. Gewiss hat er, als er diesen Rat erteilte, ei^e leichtere Dichtung im Auge gehabt, nicht die pathetische Ode eines Malherbe oder die würdevolle klassische Tragödie eines Jodelle und Corneille. Es bricht sich denn auch jene Lizenz längere Zeit hindurch keineswegs Bahn; bei Racine findet sich vereinzelt in der Komödie der Plaideurs III, . 3 der Reim ha^ard: cary und bei Möllere ebenso vereinzelt ä licart : DrScar in den Fdcheux II, 7. Aber in den recht volkstümlichen Dichtungep Llifontaine's treffen wir solcher Reime schon eine erkleckliche Zahl an. Heutzutage würde man sie viel weniger meiden, wenn nicht der ungeheure Einfluss der klassischen Dichtung de$ XVII. Jahrhunderts und der aus ihr abstrahierten Gebote wirk- sam gewesen wäre, ein Einfluss, dem auch die genialsten Dichter gerade inbezug ai^ manche Äusserlichkelten sich kaum zu ent- ziehen gewusst haben.

Auch an der Entwickelungsgeschichte gewisser Vokal- verbindungen im Wortinnern zeigt sich deutlich, wie die Sprache der gehobenen Rede, die Sprache der Poesie schliesslich der Umgangssprache nachkommen und sich lange gegoltenem. Ge- brauch früher oder später fügen muss. In meinen Untersuchuogen Über Cornelias metrische Techno cte., S. 23 bis 31, findet man auch dafür zahlreiche überzeugende Belege. Zur Veran- schaulichung wähle ich hier nur das Wort ancien^ weil der ver- änderte Silbenwert seines ie von Humbert S. 12 besprochen, und (wie mehreres andere in der Schrift) fal$ch begründiet. wird, Humbert sucht darzulegen, wie die Sprache der Foesie, durch vergrösserte Scheu vor Konsonanten und vor dem Hiatiis sich entschädigt für das, was sie durch den bedächtig-ruhi^ren Gang

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und das damit im Zusammeuhang stehende Wiederhervortreten des Worttones an Leichtigkeit einbilsst. Nach ungenügender kurzer Besprechung des Hiatus (man vergleiche mein oben zitiertes Buch 8. 32 bis 67, sowie meine Neuen Beiträge zur Hiatusfrage in der Zeitschrift VII ^) handelt er von der Kon- sonantenscheu in folgenden Worten: ,,Die Konsonantenscheu ist im Vers noch grösser als die vor dem Hiatus ; auch den leisesten Schatten von Härte sucht sie zu meiden. Im Innern der Wärter schafft sie gar manchen Hiatus, der in der Prosa nicht da war: bei der Aussprache sonst einsilbiger Diphthonge. Im Vers sind sie vorwiegend zweisilbig (?)

Dass hier überall die Scheu vor der Härte eine ent- scheidende Rolle spielt, zeigt eine Bemerkung Voltaire's über ancien, zu dem Verse Oorneille's:

Tai sti toui le detail (Tun ancien valet, ^Ancien de troi-s sylldbes rend le vers languissant; ancien d^ deux syllahes devient dur. On est reduit ä iviter ce moty quand on veut faire des vers rien ne rehute toreille,^

Anfangs gebrauchte man es dreisilbig. Die grossen Dichter des silcle de Louis XIV gingen dem Worte wirklich aus dem Wege; jetzt wird es zweisilbig gebraucht." Hierzu wird dann noch die Anmerkung gesetzt: „Darin zeigt sich der schon er- wähnte wechselnde Begriff von Wohllaut. Die einst zartere, aristokratische Sprache hat sich etwas demokratisiert.''

Humbert geht also von der Annahme aus, ancien sei eigent- lich in der Prosa oder in der Umgangssprache zweisilbig. Die Konsonantenscheu habe bewirkt, dass die Dichter es als drei- silbiges Wort gebrauchten. Indem sich aber schliesslich die Sprache der Poesie vergröberte, Hess sie ancien als zweisilbiges zu.

Der wahre Sachverhalt ist folgender: Ancien ist ursprüng- lich seiner Herkunft entsprechend in der Volkssprache dreisilbig. Aber die natürliche Tendenz geht hier wie fast überall dahin, die zweisilbige Vokalverbindung zur einsilbigen zu machen. Ancien ist schon im XVI. Jahrhundert mit diphthongischer Aus- sprache des ie bezeugt. Caucius bezeichnet ancien trisyUabe be- reits als licence poetique, Rambaud und Lanoue fordern ebenfalls die zweisilbige Aussprache.

Im vornehmen XVII. Jahrhundert scheint eine schwache Reaktion einzutreten, indem das Wort ziemlich allgemein (aber wohl für die Litteratur) als dreisilbig hingestellt wird. Corneille gebraucht es, gerade wie Jodelle, nur dreisilbig, und dass er dem Worte aus dem Wege gehe, ist nicht zu glauben. Ebenso spricht er mit Jod eile gardi\en. Das häufig gebrauchte chritien aber ist (ebenfalls naturgemäss) in seiner Entwickelung den anderen

Gnmdzüge der Eniwickelung des e sourd etc. 249

auf i\m vorangeeilt: und wie schon Jodelle es ausschliesslich zweisilbig verwendet, so kennt auch Corneille hier die zweisil- bige Aussprache des ie nicht mehr. Hatte doch schon Peletier

chretien als durchaus gebräuchlich hingestellt, indem er schrieb: II U tout commun de dire critiin dissüdbe pour critiin trissüldbe.

Dass nun auch noch nach Corneille ancien im style soutenu den Wert dreier Silben hat, ist ziemlich natürlich. In der Unterhaltung aber kennt man diese Aussprache bald nicht mehr.

Zuerst macht das neue ancien den Eindruck des Affektierten, Ge- schmacklosen, des Groben und Abstossenden: es beleidigt das „feine" Ohr. Doch der Spiess wendet sich. Man gewöhnt sich mehr und mehr an diese Lautform. Es kommt eine Zeit, in der man in seinem Urteil schwankt. Jede der beiden Aussprachen hat ihre Vorzüge, jede ihre Mängel. In dieser Zeit lebt Voltaire. Dort steht der Vers Corneille's. Er liest ihn. Das anci\en befriedigt ihn nicht, kann ihn nicht mehr befriedigen. Es

klingt zu weichlich und zu schleppend. Ancien aber befriedigt ihn auch nicht, kann ihn noch nicht befriedigen. Es klingt zu „hart". Für eine kurze Zeit mag also, wer will, das Wort meiden. Bald wird es überall wieder auftauchen, nur zweisilbig gesprochen werden und nur angenehm klingen. Die Poesie ist dem allgemeinen Brauche gefolgt. Jene „Demokratisierung^ ist also nichts weiter als die natürliche sprachliche Entwickelung.

Das weibliche e hat, wie man weiss, zu allen Zeiten an Gebiet verloren. Ich erinnere nur an die zu bestimmter Zeit aufkommenden Schreibungen larcin^ carfour^ courtiery chartier etc, die älteren dreisilbigen Formen (larrecin etc.) entsprachen, Wörter, in welchen die Volkssprache schon geraume Zeit den Vokallaut hat verschwinden lassen, als die Sprache der Poesie ihr folgt. Ich erinnere ferner an eaue^ an armeure, cm, reu, seoir^ eage etc, etc, des Altfranzösischen. Dass die Silbenzahl ganzer Gruppen von Wörtern durch Verstummen eines e verringert wird, ist fUr die neuere Sprache zuerst da zu beobachten, wo ein protonisches e hinter Vokalen (oder Diphthongen) steht. Dasselbe zeigt schon im XIV. Jahrhundert (in der Schriftsprache!) die Tendenz des Verstummens. Es wird bald (im XVI. Jahrhundert) gar nicht mehr gehört. iDer einflussreichste Grammatiker des XVII. Jahr- hunderts, Vaugelas, fordert denn auch 1647, dass es weder ge- schrieben noch gesprochen werde, und dass man auch im Verse lourat/y nicht lou&ray sagen solle. Nicht dieser Vorschrift, sondern nur lange gegoltenem Gebrauche und dem Sprachgefühle folgend spricht demgemäss Corneille das e niemals mehr. Wird er nun criera, attribtierez, envoierois, paiera, reniementy infiniement,

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ägriementy remuement etc» schreiben, das nicht gesprochene le aber trotzdem als Silbe zählen und so einen männlichen Alexandriner von elf oder einen weiblichen von zwölf Silben bauen? Das thut er nicht. Er schreibt mera und crtra, paiera und patra; doch wie er auch schreibe, ein e wird nicht gesprochen, das e wird nicht „gezählt". Ebensowenig bei Jodelle und Garnier, welche es höchstens einmal hinter Diphthongen (auch Meliere thut dies noch!) zu Gehör bringen. Wie nun aber, wenn man 'zu Jodelle's oder Corneille^s Zeit Dichtungen aus der Zeit des Marot deklamierte? Drei Möglichkeiten lagen da offenbar vor: entweder man liess dem Rhythmus zu Liebe das betreffende e ein wenig zur Geltung kommen, was um so eher anging, je näher man der Zeit stand, in welcher es in der normalen Sprache ver- stummt war (und diese Praxis ist ausdrücklich bezeugt: vgl. meine Anführung aus Dhuöz in einer Anmerkung S. 11 und 12 meiner oben angeführten Untersuchungen), oder man setzte ein einsilbiges Wörtchen hinzu oder traf sonst eine kleine Ver- änderung, was nicht zu viel Mühe machte, da die Wörter dieser Art in den Dichtungen nicht gerade gehäuft sind, öder endlich man veränderte nichts, that auch nichts hinzu, liess nichts von dem e vernehmlich werden und duldete einmal einen Neunsilbner unter Zehnsilbnern. Dieser drei Mittel bediente man sich gewiss promiscuey je nach den Umständen, je nach der Art der Dichtung, je nach der Stimmung, die ja an den verschiedenen Stellen des Kunstwerks sehr verschieden sein kann.

Das finale weibliche e hinter betontem Vokal oder Diphthong hat etwas später zu verstummen begonnen. Es bleibt deshalb auch in seiner Entwickelung hinter dem eben behandelten immer etwas zurück. Es verschwindet also auch etwas später aus der pronondation souienue. Ausgenommen sind besonders einige Verbalformen, in welchen das hinter der Tonsilbe stehende e mindestens gleichzeitig mit jenem protonischen fällt, nämlich das Imperfektum auf -oye (heute -ais), besonders in dßr 3. Pers. PI. 'Oyent oder -oient, dann soyent Im XVI. Jahrhundert ist das e aller solcher Formen entschieden stumm. In keinem Falle schleppt hier ein e sourd nach. Daher kennt schon Jodelle (wie oben!) in seinen Dichtungen nur den einsilbigen Gebrauch, ja die Reime dieser Wörter gelten ihm, wie Späteren, nur alß männliche.

Im übrigen besteht das weibliche e hinter Vokal und Diphthong noch einige Zeit fort. Es beginnt im nUgem^inen erst im XVI. Jahrhundert zu schwinden. In der gemessenen Sprache bleibt es immer noch hörbar. Im Anfang des XVII« Jahrhunderts ist es in der Sprache der Konversation entschieden stumm: in der Sprache der Deklamation (und im Gesang) noch

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ifiefat. Doch steht man ihm mit demselben GefUhle gegenüber, mit dem Voltaire dag dreisilbige ancien betrachtet: Cei y^efelnUnin est' dCun accent trop bas et Ictsche, dont Ü avient que le vet.H qui s*€n treuve chargd nest pas coulant^ dous et vigoureux'^ (Deimier •im Jahre 1610: vgl. auch Ronsard, (Euvres VII, 327 f). Und währepd für Jodelle und Garnier die zweisilbig, gesprochenen vie, vue eic, noch erträglich sind, fangen sie an Gomeille nner- träglich zu werden, so dass er die wenigen Stellen, in denen dieses e in seinen früheren Werken noch seinen vollen Silben- wert hut, in der Gesamtausgabe von ^660 zum grössten Teil entsprechend verändert. Auch hier also nicht einfache Ver- kürzung des Verses um eine Silbe, sondern Änderung desselben in der Art, dass trotz der stattgefundenen Verkürzung eines Wortes die gehörige Zahl der Silben wahrgenommen wird (vgl. hierzu meine ünternuchungen etc.y S. 9 bis 16).

Und doch der Prozess des Verstummens ist, wenigstens in den letzten Jahrhunderten der Bildung, der Gelehrsamkeit und des Unterrichts, in den letzten Jahrhunderten, da das Zeit- alter Ludwig's XIV. seinen gewaltigen Einfluss geltend gemacht hat, ein so allmählicher, ein so langsamer, und der Konservatis- mus der gehobenen Sprache/ein so ausgeprägter, auch der Unter- schied zwischen dem ruhigen Ausdruck eines einfachen Ge- dankens und dem kunstgemässen Ausdruck des erhabensten Ernstes und der höchsten Leidenschaft rein lautlich ein 6o be- deutender^ dass selbst dieses e hinter betonten Vokalen, das doch durch nichts gestützt wird, nicht unter allen Umständen unterdrückt wird: in besonders pathetischer Rede, bei starker oratorischer Dehnung des Tonvokals (also auch abgesehen vom Gesang) kann man es noch oft genug hören.

So kommen wir denn zu demjenigen weiblichen e, welches inbezug auf die Verstummung auf der letzten Stufe steht, zu demjenigen, welches durch die ihm beiderseits beigegebeneh Konsonanten geschützt und gestützt wird. Es würde indes irre- führen, wollte man jenes Bild allzu wörtlich fassen und nicht dessen eingedenk sein, dass eine solche Stufe etwa einem Theaterrang entspricht. Es sind da noch verschiedene Höhen- verhältnisse zu unterscheiden, je nachdem das weibliche e mehr oder weniger von seinen Begleitern geschützt wird. Und anderer- seits ist es wohl möglich, dass der Zahn des Volksmundes be- reits an dem höchststehenden dieser e nagt, wenn die gemessene Sprache feierlich-pathetischen Vortrags kaum das tiefststehende zu verschlucken gewagt hat.

Wie steht die Sache?

Es ist deutlich zu beobachten, wie schon im XVI. Jahr-

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hundert das noch heute zwischen zwei Konsonanten stehende weibliche e in der Konversationssprache in einer Anzahl von Wörtern und Wortgruppen verstummte. ' Ich habe oben in einer Anmerkung gezeigt, wie vor stark zweihundert Ja hren Chiflet gegen diese prononciation affedee, fausse^ injurieuse ä nostre langue^ et totalement perntcietise ä la poesie Frangoise vorgeht. Er be- hauptet, dass jenes e nicht völlig verschluckt werde, wenngleich er zugesteht, dass die Silbe, der es angehöre, sehr kurz sei. Er denkt dabei an die gebildete Unterhaltnngssprache. Der Ver- stnmmungsprozess geht ttuch hier stetig weiter und die voltkommen natürliche Umgangssprache des gewöhnlichen Volkes kennt gewiss nur noch in wenigen Fällen dieses e^ gerade wie sie nur in wenigen Fällen jenen oben behandelten Endkonsonanten vor vokalischem Anlaut bewahrt hat. Ist es doch so weit gekommen, dass vot, quatj maU statt vo-tre, qua-tre, mat-tre und ähnliche Bildungen ganz geläufig geworden sind. Die etwas weniger familiäre Umgangssprache gebildeter Kreise, die weniger fliessende Sprache der litterarischen oder der wissenschaftlichen Plauderei und Diskussion etc. steht naturgeniäss auf Standpunkten, welche die gewöhnliche Volkssprache seit ein bis zwei Jahr- hunderten verlassen hat. Die Sprache des Lesenden bewegt sich im allgemeinen auf den nächsthöheren Stufen, nur dass es doch einen bedeutenden Unterschied macht, ob dieses oder jenes, ob es vom lecteur par excellence oder von einem wenig gebildeten, des feinen Geschmacks ermangelnden Liebhaber gelesen wird. Der Schauspieler wird ja nach dem herrschenden Kunstgeschmack seiner Zuschauer (Zuschauer mehr vielleicht als Zuhörer: ein sehr wichtiger Gegensatz) ein und dieselbe Dichtung verschieden vortragen. Ein Lustspiel, das den Volkston treffen soll, in dem die handelnden Personen ungefähr so reden, wie sie in Wirklich- keit reden könnten, würde, selbst wenn es unnötiger Weise in Versen geschrieben wäre, vom Schauspieler doch annähernd im Tone und in der Art der flotten, leichten Unterhaltung zum Vor- trag gebracht werden. Das Theaterpublikum will schauen und hierdurch geniessen. Hörte es nichts, so wäre freilich der Genuss ein sehr zweifelhafter; aber wenn es die an das Ohr klingenden Worte inhaltlich erfasst, so ist es nach dieser Seite hin im allgemeinen befriedigt. Ist das Lustspiel ernsteren Charakters (vgl. Moli^re), sind die handelnden Personen würdevoller, so wird der schauspielerische Vortrag natürlich langsamer, ge- messener, feierlicher, würdevoller: da macht es sich dann ganz von selbst, dass jedes Wort, jeder Laut deutlicher zu Gehör gebracht, deutlicher artikuliert wird. Handelt es sich auf der Bühne um ein Trauerspiel der erhabensten Art, so verstärken

Grundzüge der Entwickelung des e sourd eic. 253

sich natargemäss die den gemessenen Vortrag kennzeichnenden Eigentümlichkeiten. Aber eine noch höhere Stufe nimmt der nicht -szenische Vortrag des Vorlesers oder Deklamators eines solchen Trauerspiels oder eines würdigen lyrischen oder epischen Gedichtes ein, eine Stufe, die um so weiter über jene hinaus- ragt, je mehr die Bühne gerade naturalistischen Tendenzen huldigt, je weniger Wert sie der Form im Vergleich zum In- halt, der kunstvollen Gliederung im Vergleich zur „Natürlichkeit^ der Darstellung beimisst. Der dem Scfaauspielerstande nicht angehörige Vorleser oder öffentliche Deklamator darf fast nur auf die Stimme als Ausdrucks- und Verständigangsmittel zählen: es muss daher auch alles, was er sagt, sorgfUltig abgewogen, scharf, klar, ausgemeisselt sein. Er schafft nicht, wie der Schauspieler, durch seine Interpretation und durch die über- wältigende Macht seines (schauspielerischen) Genies gleichsam ein neues Werk, er vertritt nur den Schriftsteller und soll das Kunstwerk möglichst so zum Vortrag bringen, wie es der Absicht des Dichters entsprochen haben würde. Ich brauche nicht zu zeigen, wie sehr durch diese besonderen Verhältnisse die Aus- sprache des weiblichen e beeinflusst werden muss.

Die so gefundene höchste Stufe des Vortrags von Versen verlangt nun nach den übereinstimmenden, unzweideutigen, ent- schiedenen, von tiefinnerster Überzeugung diktierten Lehren der französischen Metriker, auch eines der jüngsten, Quicherat's, sowie der ersten gebildetsten Kunstkenner und Dichter unserer Zeit (Legouve: IJArt de la Leciure; Banville, Leconte de Lisle vgl. Lubarsch S. 4—7, S. 22 ff., S. 28 ff.), dasö das (mit- zählende) weibliche e, wenn auch in sehr verschiedenen Graden der Deutlichkeit, gesprochen und wahrgenommen werde.

Aus diesen Zusammenstellungen, Vergleichen und Betrach- tungen ergiebt sich nun besonders folgendes:

1. Die Aussprache des „sogenannten stummen e^ beim Vor- trag von Versen unterscheidet sich allerdings „heutzutage^ nicht „wesentlich" von der der „guten Prosa". Ebensowenig aber hat sie sich zu irgend einer Zeit wesentlich" von der der „guten Prosa" unterschieden. Das Verhältnis ist zu allen Zeiten ziemlich dasselbe gewesen: und es hat immer nur ein Grad- unterschied, niemals ein wesentlicher Unterschied bestanden. Und drohte einmal an einem Punkte der Unterschied ein wesent- licher zu werden, so gab die würdevolle Sprache erhabener Poesie ihre altertümliche Eigenheit eben an diesem Punkte rechtzeitig auf.

2. Die Frage, ob wir (im Punkte des weiblichen e) in unserem Unterrichte alle Verse, insbesondere auch die lyrischen, so lesen und lesen sollen wie der Schauspieler seine dramatischen

354 W, Ricken,

Verse auf der Btthne zum Vortrag bringt, ist nicht mit Plattner (Gymnasium VII, 2, Sp. 52 und 53) unbedingt zu bejahen, sondern unbedingt zu verneinen. Wir haben sie so zu deklamieren, wie der französische öffentliche Vorleser ausserhalb des Theaters sie deklamiert, also in einer Weise, die einem früheren Lautstande entspricht. Und wenn Plattner seine Forde- rung damit begründet, dass wir doch nickt können französische Verse auf zweierlei Art lesen lehren, so erwidere ich: Können« wir das nicht, können wir in unseren Schülern, wenn wir sie mit dem dürren Inhalt der „Abrisse^ verschonen, nicht wenigstens das Gefühl für feinere Unterschiede des Vortrags wecken, wie sie den Unterschieden der Dichtungsgattungen und der Stimmungen entsprechen, so werden wir in anbetracht der Stufenfolge: schau- spielerischer dramatischer Vortrag öffentliche (nicht-szenische) Vorlesung oder Deklamation eines Dramas öffentliche Vor- lesung oder Deklamation eines epischen oder lyrischen würde- vollen Gedichtes die richtige Mitte dann gewählt haben, wenn wir die Art der öffentlichen Vorlesung oder Deklamation einer ernsteren dramatischen Dichtung unserem Unterricht zu Grunde legen. Und was lesen und deklamieren denn unsere Schüler zuerst? Doch nicht Moli6re's Komödien, auch nicht Comeille's oder Racine 's Tragödien. Wir führen ihnen vielmehr zunächst lyrische und epischfi Gedichte vor. Die diesen zukommende Vortrags- weise müsste also doch massgebend sein. Oder sollen wir sie wirklich so ganz falsch lesen lassen, damit wir in der Prima nach französischer Bühnen weise Komödie spielen können, die wir doch bloss hören und auch in ihrer musikalischen Schönheit im Sinne des Dichters würdigen lernen wollen?

3. Humbert's Lehre ist also für unsere Tage und für unsere Zwecke richtiger oder besser, als die Lehre Gropp's oder gar Sonnenburg's. Besonders aber hat Lubarsch, indem er sich auf Lehre und Beispiel seiner kompetenten französischen Gewährsmänner und auf seine im Thöatre Fran^ais bei Gelegen- heit der Aufführung einer Tragödie und eines neueren Lustspiels gemachten sorgfältigen Beobachtungen stützte, einen so glücklich vermittelnden Standpunkt gesucht und gefunden, dass wir, seinen Angaben folgend, unseren Unterricht jedenfalls auch in den nächsten Jahrzehnten so richtig wie möglich werden gestalten können.

4. Die Verstummung des weiblichen e wird weitere Fort- schritte machen. Bisher wurde das Existenzrecht des inlautenden e und des e der einsilbigen Wörter wie de^ me, que^ von denen, die die Praxis der Schauspieler genau festgelegt zu haben be- haupteten, noch nicht bestritten. Und doch scheidet auch dieses 0. aus der Volkssprache und den ^ Gasaenhaiiern und Bänkel%

Grundzüge der Eniwickelnng des e sourd etc. 255

sängereien^ seit langem in sehr bedenklichem Masse. Wenn wir nun, wie es allerdings den Anschein hat, in die Periode ein- getreten sind oder einzutreten im Begriff stehen, für welche das am wenigsten gestützte e hinter Konsonanten am Wortschluss auch im feierlichen Vortrage so schwach, so wenig vernehmbar, d'un accent si hos et lasche ist, dass die Überzeugung allgemein sich Bahn bricht, que U vers qui 8*en treuve chargS n'est pas coulant, dous et vigoureux, so wird man, Bchliesse ich aas der bisherigen historischen Entwickelung, nicht allmählich zu elf-, zehn-, neun-, acht-, siebensilbigen Alexandrinern sieh bekehren, sondern stufenweise nach dem Vorbilde eines Corneille und aller anderen Dichter früherer Zeiten das bisher zweisilbige Wort hardiment (wie die Bänkelsänger!) zu einem einsilbigen stempeln und doch dem Verse die regelmässige Silbenzahl geben. Da diese Entwickelung sich langsam und ganz allmählich vollzieht, da der Sensenmann einem Worte nach dem anderen jenes kleine Glied abmäht, so ist nicht zu fürchten, die Dichtungen, welche wir jetzt noch hochschätzen, würden so bald in einem Masse verstümmelt werden, dass wir sie nicht mehr geniessen könnten. Wenn die Amputationen in der gehobensten Vortragssprache eine Ausdehnung gewonnen haben werden, wie sie jetzt in der Volks- und ßänkelsängersprache kaum zu beobachten ist, so wird man wohl Corneille und Victor Hugo (um nur diese beiden zu nennen) nur noch in der Gelehrtenstube studieren oder den Inhalt einiger ihrer Werke in „neufranzösischer^^ Übersetzung und Um- bildung dem kunstliebenden Leser ^gänglich machen.

5. Daher kann ich nicht glauben, dass Passy Recht hat, wenn er nach einem Referate Lange's (vgl. Zeitschr. X, 4, S. 140) in seiner in den Phonetischen Studien, Heft 1, erschienenen Abhandlung Kurze Darstellung des französischen Lautsystems [dieser Arbeit bin ich selbst noch nicht habhaft geworden] nur die Regelmässigkeit des Nachdrucks als Prinzip der französischen Metrik gelten lassen will, indem er bemerkt: „Die französischen Verse bestehen heutzutage wesentlich aus einer regelmässigen Anzahl von Hebungen, verbunden mit einer unregelmässigen An- zahl von Senkungen.^ Da er nach demselben Referat auf die interessante Frage zurückzukommen verspricht, so werden wir hoffentlich seine Gründe bald hören. Vorläufig bin ich über- zeugt, dass, wenn er mit jener Bemerkung beispielsweise sagen will, der Alexandriner bestände aus vier Hebungen, zu denen drei bis acht Senkungen hinzutreten könnten, er einseitig vom Standpunkte des die Umgangssprache analysierenden Phonetikers und ohne Berücksichtigung der bisherigen Entwickelung urteilt

W. RioKVN.

Antoine Rivarol's Plan einer Theorie du corps poliüque.

Man darf wohl annehmen, dass Rivarol den Gedanken, ein Buch über den Staat oder wie er sich ausdrückt „über den politischen Körper" zu schreiben, schon in den Zeiten des Journal poliüque national gefasst hat, also 1789 oder 1790: einzelne Stücke des Journals wie Nr. 2*2 und 23 der ersten,^) Nr. 4 der zweiten Serie enthalten theoretische Erörterungen über Souveränetät, Begierung, Teilung der Gewalten, die gleichsam einen ersten Entwurf des geplanten Buches darstellen. Im Jahre 1791 war dann, wie Tilly erzählt, die Souveränetät des Volkes RivaroFs ewiges Gedanken- und Gesprächsthema,^) am 30. September dieses Jahres hat es, wie er an De la Porte schreibt, auch bereits seine Feder beschäftigt.^ Vier Jahre später konnte er auf einem Landsitz bei Hamburg dem Dichter Ch§nedollö die ersten vier Kapitel einer Theorie du corps poli- üque vorlesen und der enthusiastische Zuhörer fand, dass Rivarol darin mit PascaFs Gedanken über den Menschen wetteifere.*) In dem Discours pretimifiaire düun nouveau Diciionnaire de la langue franqoise, der 1797 erschien, gedenkt dann Rivarol selbst wieder des V^erkes einmal im Pro- spektns nur ganz flüchtig, ausführlicher aber in einer Note zum Text ge- legentlich der Verfassung von 1795: Une Constitution qui place le trone si pres des galer es, heisst es da, hi-ite et deg^ade le pouvoir executif, eile le rend ä tu fois indigne et ennemi de la nation frangaL^e: il faut q%Cil rampe on quil regne, quHl ne soit pas le greffier des de'ux conseils ou que ceux-ci deviennent sa chancelerie, il a trop ou trop peu. In ruhigen Zeiten, und wenn ein Souverän da sei, qui impose egalemetit aux deux conseils et au Directoire, möge eine solche Verfassung Dauer, versprechen, aber wenn man bedenke, dass dieser Souverän das Volk ist, habe man Ursache zu zittern. Beweise für diese Behauptungen könne er, so schliesst

^) Ich zitiere nach der 1. Ausgabe von 1789, die sich in der Nat.- Bibl. findet.

2) Tilly, Mem. in der Bibliolheque Barriere, XXV, S. 307: La conversation qui avait certainement commence par quelque dissertation sur la souverainete' du peuple , . . sujet eternel de ses pense'es et de ses discours

3) S. Poulet- Malassis Ecriis et Pamphlets de Ä. (1877), S. 83: En dcrivant dans ma sotilude sur un objet aussi important que celui de la souverainet<^ du peuple.

*) S. Ch§nedollä*8 genauen Bericht über seine erste Begegnung mit Rivarol am 15. September 1795 bei Sainte Beuve, Chateaubriand et son yroupe Utteraire, I, S. 75.

E. Gtiglia, Aniome Rivarots Plan einer Theorie du corps poiitiqtte. 257

er, hier nicht geben, doch verspricht er sie in seinem Buch Sur le Corps politique})

Ein paar Jahre später zählt Rivarol dieses noch zu den begonnenen Unternehmungen, die auszuführen seien, und die ihm grosse Arbeit machen: neben dem Wörterbuch, schreibt er an seinen Vater, habe er noch eine Geschichte der Revolution und einen grossen Traktat über die Natur der politischen Körper (un grand traiie sur la nature des corps poUiiques)' auf seinem Pulte.^

Endlich berichtete Dampmartin, nach dem Tode RivaroPs, unter dem 26. Oktober 1802 an die Eltern des Verstorbenen, sein Werk über die Politik gegen die Souveränetät des Volkes sei vollendet.®)

Dies sind alle Nachrichten, die wir über Entstehung und Fortgang des viel genannten Traktates aufgefunden haben. Was ist nun von dem- selben erhalten?

Es sind nur Fragmente davon zu Tage getreten und die beiden, welche authentisch sind, stammen aus derselben Quelle: aus den Auf- zeichnungen ChSnedoll^'s, der in Hamburg längere Zeit hindurch mit Rivarol verkehrte und dessen Äusserungen sorgfältig sammelte. Er trug sich schon damals mit dem Plane eines grossen Gedichtes Le Gänie & r komme, zu dessen Ausführung ihn Rivarol auch ermunterte*) und das 1802 bereits vollendet gewesen sein solL^) Im Druck erschien es aber erst 1807. Der vierte Gesang handelt von Gesellschaft und Staat, von ihrer Bildung, ihrem Blühen, Welken und Vergehen. Gleich am Beginn sagt uns eine Note, dass die Ideen dieses Gesanges Rivarol angehören, wie er sie seiner Theorie du corps politique entwickelt habe, wo sich eine Fülle grosser und neuer Ansichten fänden. Es wäre zu wünschen, sagt der Dichter, dass diejenigen, welche im Besitz des Manuskriptes sind, dasselbe endlich dem Publikum mitteilten.®)

Der vierte Gesang hebt denn auch wirklich mit dem, wie wir wissen, ganz RivaroVschen Gedanken an, dass die Natur sich in die Staatenbildung nicht gemischt habe : der Mensch allein, „dieses schwache Wesen", hat die Staaten geschaffen,'') „merkwürdige Gebilde", nennt sie Chenedolld, und „der Gesellschaft geheimnisvolle Bürgen". In dem Hunger, der zur Arbeit treibt, sieht er ihren Ursprung. Mensch und Erde schlössen den contrat social, auf welchem der politische Körper beruht. Was vor diesem lag, den Naturzustand, schildert der Dichter nicht mit lockenden Farben, es war ihm kein Blütenalter, keine goldene Zeit , er sieht da nur Kämpfe und Leiden: „Die Politik erbarmte sich",

^) Discours pre'lim. etc., Hambourg, 1797, S. 235. Rivarol setzt noch hinzu: J'eprouve de jour en jour que Us matieres politiques sont d'une tout auire difficulie que les abstractions methaphysiques ; U est plus mse d'analyser que de composer, et le corps politique ne vit que de com- positions ; Cesprit purement analytique lui est funeste,

2) Lescure, Rivarol, S. 432 N. Der Brief ist ohne Datum, vielleicht von 1800.

®) Dieser Bericht, sowie ein späterer Brief Dampmartin 's , der ihn bekräftigt, sind zuerst durch Lescure (Rivarol, S. 495) bekannt geworden. Obige Stelle s. S. 500.

*) Brief an Ch§nedollö von 1800 in den Pensees inddites de Rivarol (1836), S. 160.

^) S. die Notice Sainte-Beuve*s zu seiner Chenedoll^- Ausgabe (1864).

®) Chdnedollä, (Euvres, 6d. Sainte-Beuve, S. 193.

^ Journal pol. nat. Öd. von 1790. I. Serie Nr. XVI: Le corps politique est un Stre artificiel qui ne doit rien ä la nature.

Zschr. f. &z. Spr. u. Litt. XIi. ^

258 E, GugUa,

Bie trieb den Menschen zur Rodung der Wälder, zur Bebauung des Bodens an und führte ins patriarchalische Zeitalter, wo die Abraham, die Nestor und Evander walteten. Dann als diese einfachen Zustande allmählich entarteten, traten die grossen Gesetzgeber der Völker auf| die Moses, Ly- kurge und Solone. Überall knüpfen diese an die alten religiösen Über- lieferungai an:

Sur les naissants Mais ia main de Dieu tracee

Par Vhomme, en aucun iemps, rCen doit Hre effacee.

ün contrat eUrnel, une antique union

Joignent la Politiqne ei la Religion.

II faui donc qu*un Etat, vaisseau mysterie^ix Jette pour s'affermir ses anaes daiis les cieux.

Nicht nur RivaroVsche Gedanken werden hier ausgesprochen, es sind auch seine Worte: Qy>on ne s*etonne . . . pas, sagt er im Discours preliminaire von 1797, que les gouvemefnenis s'accordent facilemefU avec les reUgions, mais entr*eux ei nos phüosophes point de traiie la Philo- sophie divise ies hommes par les opinions, la religion les unit dans les mimes dogmes ei la poUtique dans les mim es principes; ü y a dmic un Contrat eternel entre la politique et la religion. iovt Etat, si Jose le dire, est un vaisseau mysie'rieu^ qui a ses ancres dans le ciel.^)

GhSnedollä wirft nun die alte Frage nach der besten Staatsform auf:

Quelle forme ä TEUat est la plus favorable?

Montesquieu wird angerufen und gerühmt, seinen Schritten will der Dichter folgen. Wir erinnern uns hier, wie Rivarol in seinen Ge- sprächen mit dem Dichter gerade Montesquieu als seinen yornehmsten Lehrer und sein grösstes Vorbild bezeichnet: 2) wiederum ein poetischer Nachhall längst gesprochener Worte! £s liegt aber gar nichts originelles in den Mazimen, die da nun folgen: dass grossen Staaten nur die mo- narchisbhe Form gemäss ist, Genfs Verfassung nicht für Frankreich passt, ein altes Königtum des königlichen Prunkes nicht entbehren kann, dass natürlicher Reichtum den Staaten nichts frommt, wenn Arbeit der Bürger fehlt und was dergleichen mehr ist Mehr Interesse erregt die folgende Apologie des Staates, der Leben und Eigentum sichert und nach den letzten Willen des Sterbenden Gesetzeskraft leiht:

son demier v(bu devient une puissance

Du fond de sa tombe il dicte encore des lois.

^) Disc. prelim,, S. 210 (in Lescure's (Euvres choisies de Rivarol I. S. 192).

^) S. Sainte-Beuve, a. a. 0. n S. 166: Tavoue, sagt Rivarol, que je ne fais plus cos que de celui^lä (ei de Pascal ioutefois!) depuis que fdcris sur la politique, Montesquieu habe wohl ^ieht alles sogeu können, da er diese Revolution nicht erlebte: qui a ouvert les entraUles de la societe et qui a toui edaire parce qu'elle a 0ut mis ä nu. U n'avait pas pour lui les resuliats de cette vaste et terrUde eicpärience qui a toui verifi^ ei toui resume, mais ce qu'ü a vu, il Va superieuremeni vu et vu sous une angle immense, 11 a admirablement saisi les grandes phases de Devolution sociale. Son regard d^aigle pe'netre ä fond les ohjeis et les iraverse en y jeiant la lumitre. Son gänie qui touche ä iout en mime Iemps ressemble ä Veclair . . . VoHä mon homme, c'est vraiment le seid que je puisse lire aujourdlhui. . . je tC ouvre jamais TEsprit des lois que je rCy puise ou des nouvelles ide'es ou de hautes ide'es de style.

Jnioine Bivarors Plan einer Theorie du corps poiiiiqve, 269

Aber indem wir weiter lesen, staunen wir: es sind wiedernm Stellen ans dem Discours preliminaire , nur gerade soweit verändert, dass Verse daraus werden konnten. Der Sinn ist: aus dem nackten, hilflosen Menschen der Urzeit hat der Staat ein gottähnliches Wesen gemacht, das Meere und Wüsten übersetzt, dem Himmel den Blitz raubt, in Sternen liest, seine Gedanken von einem Ende der Erde zur anderen sendet. Überflussig, die Stellen wörtlich neben einander aufzuführen, die Überein- stimmung ist zu gross und ganz unzweifelhaft.^)

Dem Zustand des Menschen in Staat und Gesellschaft wird dann nochmals in recht grellen Farben das Elend der staatlj^sen Wilden ent- gegengesetzt, wobei, wie man wohl erwarten muss, Rousseau's und seiner In^mer gedacht wird: auch hier wird man an eine Stelle des Discours pre'liminatre gemahnt, doch ist hier die Ähnlichkeit nicht gar so auffallend.^)

Der Dichter wendet sich nun den grossen Staaten des Altertums zu, er schildert ihr Aufkommen, ihre Grösse, ihren Verfall, und schliesst mit melancholischen Betrachtungen über die Vergänglichkeit irdischer Grösse:

Toui meuri: les Souvenirs, la puissahce et les arts.

In einer Note dazu sagt er, er erinnere sich, das Werk RivaroFs ' Sur le Corps poliiique endige mit Reflexionen über die Macht des Ver- gessens, diese hätten einen so tiefen Eindruck auf ihn gemacht, dass er sich getraue, sie wiederzugeben: Le temps pre'sent se d^gage du fardeau des temps passe's . . . Ainsi pour rtiomme, dans rhomme, autour de fhomme tout change, tout s*use, tout perit; les sentiments, les goüis, les opinions, les beaux arts, tout va du jjrintemps ä la decrepitude , . . Et cependant la Natur e, mere fßconde et constante de tant de fornits fugitives reste appuyee sur la Necessite, au sein des moiwements, des vicissitudes et des metamorphoses , immobile, invariable, immortelle: wie man sieht, nichts von überraschenden politischen Deduktionen, allgemeine Betrachtungen in stark rhetorischer Einkleidung, die wohl schön klingen, aber von dem Eindruck, den sie auf Chßnedolle machten, verspüren wir nichts.^)

Dass der Dichter das Christentum, dessen Wirkung auf die poli- tische Welt er zu schildern versucht, mit den vollsten Tönen seiner Lyra preist, wird man erwarten. Wollte er sich auch hier an Rivarol an- schliessen, so bedurfte er kaum der Reminiszenzen an den Traite sur le co?'ps politique, schon in dessen ersten Brief an Necker von 1788 konnte er eine Apologie des Christentums finden, der Discours preliminaire erinnert daran.*) Mit viel mehr Kraft und Wärme hat aber diesen Vor- wurf doch unstreitig Chateaubriand behandelt.

Was nun folgt: die Schilderung der mittleren Zeiten, der Renais- sance, der Epoche Ludwig XIV. entbehrt vollends jeder OriginaliiÄt : man könnte es allenfalls mit den flüchtigen Ausführungen vergleichen, die Rivarol über diese Dinge in seiner preisgekrönten Abhandlung über die Universalität der französischen Sprache schon im Jahre 1784 gegeben hat.^)

^) Man vgl. den Discours bei Lescure a, a. 0., I. S. 216 18 mit dem Genie de P komme in den (Euvres de Ch. S. 118 u. f.

^) Man vgl. Discours pre'l. bei Lescure I. S. 205 und Ch§nedollä, a. a. 0. S. 122 und die Note S. 198.

8) Ch§nedolld, a. a. 0. S. 198.

4) Discours pre'l. bei Lescure, a, a. 0„ S. 201 Note. Die Stelle in der Premiere Lettre ä M. Necker s. in den (Euvres compldtes de R, (1808) IL S. 122.

^) (Euvres (1808) II S. 1 u. f., auch bei Lescure, (Euvres chaisies I,

17*

260 ^. Guglia,

Eine lebhaftere Bewegung gewinnt das Gedicht mit der Erzählung der Revolution von 1789: sie wird als ein göttliches Strafgericht auf- gefasst, wie eine Pest habe sie die Länder ergriffen:

ce Dieu si formidäble Jelie de hin en loin, sur ce Glohe agite Des Revoluiions le monstre ensanglante.

In der pathetischen Schilderung der Schreckenszeit tritt wieder eine auffallende Ähnlichkeit mit dem berühmten Abschnitt des Discours pre- liminaire hervor^^ der das gleiche Thema behandelt.

Aus der Anarchie so spinnt Chönedolle den Faden weiter er- heben sich die Usurpatoren und Despoten. „Ich habe vorausgesehen, dass die Revolution durch den Säbel beendigt werden würde", schrieb Rivarol, wie wir wissen, im Jahre 1799 oder 1800, „und der erste Konsul weiss sich desselben sehr gut zu bedienen. Jetzt heisst es abwarten, wie weit ihn der Rausch des Machtgefühls treiben wird."^) Eine ähnliche Betrach- tung mochte er zur selben Zeit dem Entwurf seines Werkes eingefugt haben, ChlnedoU^ verrät 'es uns.

Der Schluss des Gesanges, der Napoleon's Macht und seinen Sturz, die Wiederherstellung der Bourbonen und die Charte (un pacte du irone inehranUible appui) behandelt, berührt uns nicht mehr: Rivarol hat sich über diese Dinge nicht mehr äussern können.

In den Noten bringt ChSnedoUe noch einige, wie er versichert, authentische Worte Rivarol 's aus dessen vielberufenem Werk: so eine Definition des Gesetzes als la reunion des lumieres et de la force; die Regierung (gouvernement) stelle die lumieres, das Volk die force dar. Puissance habe Rivarol definirt als force organisee. Von dem politischen Körper hätte er einmal gesagt, er sei wie ein Baum: ä mesure qu*il s'e'leve, il a auiani hesoin du ciel que de la terre.

Fassen wir zusammen, was in dem vierten Gesang des Genie de r komme aus dem Werke Rivarol's herrührt oder herrühren kann: Der Naturzustand ist ein Zustand der Tierheit und des Elends, Glück des Menschen hebt erst mit der Gesellschaft, mit dem Staate an; dieser ist nicht von der Natur gebildet, sondern von den Menschen, kein Organismus, sondern ein künstliches Gebilde. Religion ist seine Grundlage, unter allen Religionen das Christentum nicht nur die erhabenste, sondern auch in politischer Hinsicht die nützlichste. Es gibt keine absolut beste Staats- form, grossen Staaten ist die Monarchie gemäss. Die Staaten sind immerwährender Veränderung unterworfen, auf den Trümmern der einen erheben sich immer wieder andere. Revolutionen zerrütten den Staatsbau, sie nützen nichts, schaden unendlich, sie sind wie Strafgerichte Gottes für die Sünden und Irrtümer der Menschheit. Aus der Anarchie der Pöbelherrschaft erheben sich Tyrannen und Despoten.

Gestehen wir es nur: wir sind einigermassen enttäuscht. Denn nicht nur, dass ja beinah alles das sich schon in anderen Schriften Ri- varoVs findet, es ist auch gar nicht so neu und bedeutend, tiefe politische Weisheit wird niemand darin sehen. Schon damals, schon an der Wende des Jahrhunderts, waren dies geschichtsphilosophische Gemeinplätze. Zwar darüber werden wir nicht erstaunen, dass sie auf Ch^nedoUä eine so grosse Wirkung übten: was ihn bezauberte, war gewiss die elegante epigrammatische Fassung, die der grosse Sprachkünster denselben offenbar zu geben verstanden hat, hie und da auch das schillernde poetische

1) Lettre ä Vabbe de VtUefori in den Pensees ine'dites de Rivarol (1836) S. 157.

Anioine RivaroTs Plan einer Theorie du corps poliiique, 261

Kolorit. Wie hätte ein Dichter dem widerstehen können! Ein kritischer Kopf aber war Ch§nedoll^ nicht, yielmehr ein weicher Gefühlsmensch, an den glänzenden Reden RivaroFs berührte ihn nur dies antipatisch, dass dessen Ange kalt und tot blieb, an allem was er sagte nur Verstand, gar nicht, das Herz beteiligt schien.^)

Aber, wird man einwenden, Chdnedoll^ verarbeitete nur die ersten vier Kapitel eines grossen Werkes, das um 1800 nicht vollendet war: Zwischen diesem Datum und der Zeit, da der Dichter den politischen Erörterungen Rivarol's lauschte, liegen fünf Jahre: Wie vieles mag sich da nicht aus jenen ersten Anfängen entwickelt, wie reich mögen sich diese nicht umgestaltet haben.

Prüfen wir, was sonst noch, ausser der Ch§nedolM*schen Paraphrase, von der Theorie oder dem Traue sur le corps politique erhalten ist.

Im Jahre 1831 erschien ein Bruchstück davon, betitelt De la Sou- Veraineie du Peuple unter dem Namen RivaroFs. Kein Zweifel auch, dass es wirklich von ihm ist. Als Herausgeber vermutet Sainte-Beuve Ch§ne- doUä, in dessen Papieren er so manchen Restitutionsentwurf des Werkes gesehen haben will. Der Herausgeber des Pensees inedites von 1836 dagegen schreibt diese Edition dem Bruder RivaroFs zu: unter diesen ist das Stück wieder abgedruckt. Es trägt als Motto die Worte des Tacitus: Cuncias nationes ei urbes ei populos auf primäres aui singuli reguni, delecia ex his ei consiiiuia reipubticae forma laudari facilius quam evenire, vel, si evenit, haud diuiurna esse poiesi. Lesen wir aber weiter, so merken wir gleich: dies ist nur eine Vorrede, entweder zu dem ganzen Buch oder zu einem Abschnitt, nichts mehr. Allerdings eine bedeutende Vor- rede. Sie geht davon ans, dass die Theorie von der Volkssouverainetät von Frankreich aus gleichsam einen Siegeszug durch die Welt gemacht und, wie früher einmal das Ptolemäische System, alle Geister eingenommen habe. Sie sei aber falsch, sie zu bekämpfen setzt sich der Verfasser zur Aufgabe. Dazu ist nötig, dass er sich in die abstrakten Regionen poli- tischer Metaphysik begebe, traurig genug, dass der Friede der Welt, die Stabilität der Staaten, die Sicherheit des Eigentums zum Gegenstand philosophischer Spekulationen gemacht wird, aber die Gegner haben den Streit auf dieses Gebiet getragen, sie recht zu besiegen, müsse man ihnen . dahin folgen: couvrons nous de ce bouclier proiecieur des empires, ruft er mit schönem Pathos aus, gu*un grand poeie (Tasso) a place dans le Ciel et puisque les phUosopnes comme les genies des iempiies se sont eleväs jusque dans les plus hautes rdgiofis pottr de mieux fondroyer Vordre social ei les rdunions poliOques du genre humain, ü est näcessaire de les suivre. Staaten gab es freilich vor jeder politischen Theorie, demnach heisst es auch für den Realpolitiker mit dieser sich ab- finden. Die französische Revolution müsse auch in ihrer Idee zerstört werden, nicht bloss mit den Waffen, denn wenn Gewalt auch töten kann, bekehren kann sie nicht, sie unterjocht, aber sie klärt nicht auf. Earopa sei in der grössten Gefahr; wenn die von einem gemeinsamen Unheil bedrohten Mächte dieser nicht bewusst werden, wenn sie ihr nicht einig, mit tüchtigen Armeen und schlagenden Gründen zugleich entgegentreten, wenn sie nicht die wahre politische Aufklärung unter den Gebildeten, Religion wieder unter dem Landvolk, Hass gegen die Jakobiner überall verbreiten: dann wird freilich alles umsonst gesprochen sein, dann ist di Revolution bald die Herrin der Welt. Rivarol rechtfertigt sich, warum er ein einfacher Privatmann sich unterwinde von so grossen IXngen Könige und Völker zu lehren, er verweist auf eine Stelle des Esprit des

^ S. bei Sainte-Beuve, Chateaubriand a. a, 0,

26Q E. Guglia,

lots, wo Montesquieu von den Aufzeichnern der Gesetze Ludwig XI. spricht: sie waren blosse Privatleute, aber wie viel Gutes haben sie nicht gestiftet.*)

Das ist nun, man fühlt es gleich, echter Eivarol, wie ganz anders wirkt es als die Bearbeitung bei Chdnedollö, die doch eigentlich eine Verballhornung ist. Es sind kräftige überzeugende Worte' in edler Fassung. Sie stammen aus dem Jahre 1794,^) erinnern sie aber nicht ganz an jene, die unser Gentz erst sechs Jahre spater sprechen sollte?

Viel weiter gekommen sind wir freilich damit in unserer Unter- suchung keineswegs: zu den vier ersten Kapiteln haben wir nun die Vor- rede, wo bleibt aber der eigentliche Kern? Wo ist das fertige Manuskript, das doch Dampmartin gesehen zu haben scheint, hingeraten?

Es gibt eine Notiz, sie stammt wohl auch aus den handschriftlichen Aufzeichnungen Ch§nedolle's, die uns belehrt, ein grosser Teil des Manu- skriptes sei in die Hände des ehemaligen Eollaborators von Bivarol, des Abb^ Sabatier de Castros übergegangen, der es 1806 in einer entstellenden Bearbeitung u^ter dem Titel ie la souverainete veröffentlicht habe.^> Ein Brief Dampmartin's an RivaroPs Bruder deutet einen solchen litt€h rarischen Diebstahl allerdings an,^) ebenso eine Äusserung De la Platiere^s, des ältesten unter den Biographen von Eivarol^).

Wie nun Sabatier in den Besitz jenes kostbaren Manuskriptes ge- langt ist, wüssten wir nicht zu sagen, sind auch nicht in der Lage, an- zugeben, ob er zur Zeit von RivaroFs Tode in Berlin war. Wie so viele Emigranten hat er wohl alle europäischen Hauptstädte durchzogen; in Wiener Polizeiakten erscheint sein Name um 1794,^ er hat da dem Fürsten Eaunitz ein Gedicht gewidmet, auch ein Buch herausgegeben: der alte unermüdliche Skribent!

Indes jenes Buch De la SouveraineU existiert wirklich.'') Begierig schlagen wir es auf. In der Vorrede aber stutzen wir schon: es wird von den grossen Irrtümern Montesquieu's gesprochen, welcher der be- schränkten Monarchie den Vorzug gegeben habe. Denn nach der Mei- nung des Autors ist die beste Staatsform die absolute Monarchie. Dies war früher niemals die Meinung RivaroFs gewesen, sollte er sich in den .letzten Jahren seines Lebens so verwandelt haben? Allerdings, wie er nach Preussen kam im Herbst 1800 schrieb er an einen Freund in Frankreich wie anerkennend: »Das Volk (hier) kann nur gehorchen, zahlen und fürchten. Die Gesetze sind streng, aber gerecht; niemand wagt, ihnen zu trotzen.''^) Aber darf man hierin schon das Symptom einer Sinneswandlung in prinzipiellen politischen Fragen sehen?

1) S. JPlense'es, S. 225.

^) So vermutet der Herausgeber; es mag wohl sein.

^) Nach Sainte-Beuve, Chateaubriand a. a. 0.

*) Lescure, a. a. 0. S. 497: Je crois qtte votre frere ne prevoyait p€is qü'un jour on ajouierait ä ses ouvrages. Ceiie hardiesse penetre de surprise, Fous, possesseurs des fleches, &est ä vous de venger sa me- moire. Der Brief ist bei Lescure nicht datiert.

fi) Sulpice de la Platifere, Vie phiL, pol, et litt de Rivarol (1802) II S. 274: IJne main sacrüege fCosera sans doute pas toucher ä Pcßuvre du genie, Por triomphe toujours de tous les amalgames,

®) S. meine Nachrichten über Die ersten Emigranten in Wien in der Oest.' Ungar. Revue, 1888. Juli- August.

'^ De la souverainete on Connaissance des vrais principes du gouver- nement des peuples. Motto : Et nunc. Reges, inteUigite! Pariser Nat.-BibL

8) Platifere, a, a, 0., I. S. 88.

Anioine EivaroTs Plan einer Theorie du Corps poUiique. 263

Sabatier kommt dann auf die Theorie von der Volkssouveränetät zn sprechen, die er natürlich verdammt. Hier bemerkt er: „Damit man mich nicht etwa anklage, ich hätte mir einige metaphysische Ideen, welche recht am unpassendsten Ort in dem Discours preHmtnaire zu einem eitel versprochenen Wörterbuch der französischen Sprache ein- geschaltet sind, glaube ich die litterarische Welt aufmerksam machen zu müssen, dass ich während meiner Verbindung mit Bivarol . . . diesem mehrere moralische nnd politische Bemerkungen mitgeteilt habe, die auf seine Weise die nicht immer die richtige war zu verwenden er nicht verschmähte/'^) Übrigens habe er schon 17d4 in seinen Petisees et Oöservaiions morales das gesagt^ was Rivarol im Jahre 1797 im Biscavrs pre'liminaire.

Diese Pensees habe ich selbst in der Wiener Hof bibliothek wo man sie am ehesten .vermutet, denn sie sind in Wien erschienen nicht finden können: es wäre interressant die Behauptung des selbstbewussten Abbd zu prüfen. Aber hier kommt so viel darauf nicht an, ob und was Bivarol diesem Sabatier de Castres verdankt; denn darüber kann kein Zweifel sein, dass er ihm unendlich überlegen war: ein origineller Kopf trotz alledem , eine glänzende ^eder er, der andere ein obskurer Viel- schreiber, mit Recht längst vergessen und nie sehr geachtet. Wichtig ist für uns nur, ob in dem Buche Sabatier's wirklich Stellen sind, welche auf Bivarol deuten. Ich kann es nicht finden!

Die Noiions pre'liminaires handeln viel von dem Missbrauch gewisser Worte wie: Ve'rite, Erreur, mensonge, nature, ne'cessite, peuple, naiimi, Despoiisme, Tyran, Pouvoir absohs u. a. Allerdings hatte Rivarol in dem Discours auch davon gesprochen, ebenso und melu: Laharpe in seinem Bache Du fanatisme, das n. a. auch den revolutionären Jargon kritisiert.^ Der zweite Abschnitt handelt vom (Jrsprung und der Natur der Gesell- schaft;. Allerdings findet sich da auch der Satz, dass Gesellschafb und Staat künstliche Gebilde sind, und davon wird alles folgende abgeleitet, aber, wie wir gesehen haben, betonte Bivarol dies bereits 1790 im Jowriuii poiitiqueß) Einige andere Sätze, wie: La Souverainite n*est pas un droit mais une puissance, oder: la puissance Souveraine n^est pas legitime, mais- eile legitiL tout erinnern wohl in ihrer epigrammatischen Fassung an Rivarol, aber was daran von Erörterungen geknüpft wird, ist durchaus müssiges Gerede, Deklamation: es ist nicht möglich, grössere Abschnitte herauszufinden, die man mit gutem Gewissen Rivarol zuschreiben könnte. Über eine vage Ähnlichkeit der Ideen geht auch der III. Abschnitt nicht hinaus: De la morale, de la justice, de la Religion. So wird die christ- liche Auffassung von der Natur des Menschen: dass ihr weder Sittlichkeit noch Gerechtigkeit innewohne, sondern dass sie von Grund aus verderbt sei, die nach PascaVs Vorgang Rivarol bereits im Journal politique gegenüber der optimistischen Rousseau's als die richtige bezeichnet hatte angenommen. Ein Abschnitt über den Fanatismus der Philosophen (S. 215 f.) erinnert allerdings an eine berühmte Stelle des Discours pre- liminaire, aber dieser Vorwurf war in den letzten Jahren des ausgehenden Jahrhunderts oft genug behandelt worden; der bekehrte Laharpe hatte ein ganzes Buch darüber geschrieben, auf keinen Fall brauchte Sabatier

1) Pr^face, S. 13.

^) Ich kenne es nur in der deutschen Übersetzung: Vom Fana- tismus in der Revolutionssprache. Wien, 1797. S. S. 20 A. 6, S. 51 A. 12.

^) Die Pensees von 1794 würden aber dagegen nichts beweisen. Mö^e indes der Abbä diesen Gedanken seinem Mitarbeiter schon 1789 geliehen haben, was liegt daran I

364 E, Gugüa, Antoine RivaroFs Plan einer Theorie du corps poliiique,

auf das Manuskript des Traite sur le corps poliiique zu warten, um dies schreiben zu können. Der vierte Abschnitt endlich Du peuple considere relativement ä la Souverainete trägt so wenig den Stempel Rivarorschen Geistes wie die übrigen, ja indem Sabatier den Satz aufstellt: Vappli- caiion de la force est le premier apanage de la Souverainete (S. 289) weicht er zum mindesten von der EivaroPschen Ansicht, wie sie im vierten Stück der II. Serie des Journal pol. niedergelegt ist, entschieden ab ; Le Souverain est la Source de tous les pouvoii's heisst es dort, le gouveme- meni est la force qui les exerce.

Nein, es kann nicht nachgewiesen werden, dass in dem Sabatier'schen Buch der Traue sur le corps politiqae enthalten ist: hie und da sind Rivarorsche Gedanken herübergenommen, aus dem Journal politique, dem Discours preliminaire, vielleicht auch aus jenem geheimnisvollem Werk warum dann aber nicht aus den ersten vier Kapiteln, die Rivarol schon 1795 vorlas, in seinen Gesprächen gewiss immer im Munde führte? Auf keinen Fall gehörte die Tendenz der Schrift Über die Souverainetät Rivarol an : denn diese ist ganz offenbar abgefasst, den despotischen Ge- lüsten des neuen Franzosenkaisers zu schmeicheln. Eine Note, die in dem Exemplar der Pariser Natlonalbibliothek auf den ersten Blättern einge- zeichnet ist, besagt dies ganz ausdrücklich: A sa Majeste Tempereur ei Roi Napoleon de la pari de Vauteur, lesen wir da, un des plus anciens iribuiaires de la gloire ei qui fauie d'une cinquanie de ducais, est depuis irois mois dans Timptässance de faire achever rimpi^ession du second volume. Hätte nun vielleicht dieser zweite Band mehr von dem echten Rivarol bringen sollen? Wir glauben es nicht.

Sollen wir es aufrichtig sagen, so zweifeln wir überhaupt, dass jenes Werk von ihm vollendet worden ist. Seine Freunde, seine Bio- graphen — ältere wie neuere haben es mit einer Art von Nimbus umgeben, angedeutet, dass es wohl etwas ganz grosses Ausserordentliches, ein Esprit des lois, der auch die ungeheueren Erfahrungen der Revolution theoretisch verwertet hätte, gewesen ist, aber wie hätte er so etwas von 1797, wo der Discours erschien, bis 1801, wo er starb, machen sollen! Dass er überaus träge war, dies sagt er nicht etwa bloss selber, sein Verleger Fouche, seine Freunde erzählen davon, über seinen skandalösen Lebenswandel auch in der Fremde berichten selbst royalistische Agenten.^) Nun aber hätten für ein solches Werk doch alle die Dokumente der Revolution , so weit sie- erreichbar waren , die Protokolle der National- versammlung, der Legislative, des Konvents etc., alle die Zeitungen und Flugblätter, die Dekrete endlich, viele Nachrichten über die Verwaltung während eines Zeitraumes von zehn Jahren gesammelt, gesichtet und benützt werden müssen. Wer möchte glauben, dass Rivarol das gethan! Was er hie und da aufgezeichnet haben mochte, waren wohl nur Aper9us, Epigramme, Variationen einiger politischer Maximen, die er gefunden zu haben glaubte, die Freunde, denen er davon mitteilte oder die wie Dampmartin im Nachgefühl des Verlustes, den sie durch seinen frühen Tod erlitten davon lasen, konnten leicht dazu geführt werden, diesen Bruchstücken einen übertriebenen Wert beizulegen. Wir aber werden nach wie vor in dem Journal poliiique und dem Discours preliminaire seinen einzigen Ruhmestitel sehen müssen.

^) S. Thauvenay's Bericht von 1798 an D*Avaray bei Formeron Bisioire des emigrds, I, S. 396.

E. GUGLIA.

Miszellen.

Die Bildnisse Moliire's.

Vor etwa einem Jahre wurden in Dresden zwei Moli^re- Ausstellungen vielfach besucht, deren eine in den Räumen des Königlichen Polytech- nikum während der Versammlung der deutschen Neuphilologen, deren andere im Königlichen Kupferstichkabinet aufgestellt war. Dort konnte man den ^^frössten Dichter unseres Nachbarvolkes in zahlreichen Abbil- dungen aus verschiedenen Zeiten sehen, aber dem, der mit den Schwierig- keiten der sogenannten „Iconographie"^ Moli^re's genügend vertraut war, drängte sich nur allzu rasch die Frage auf: »Ist das der wirkliche, echte MoliSre oder ist es sein verschönertes oder verzerrtes Abbild?" Die Be- antwortung dieser Frage ist auch für den Kenner keine leichte und unbedingte, denn die Verschiedenheit der bildlichen Darstellung des Dichters ist eine sehr grosse. Die bekannte Sammlung SoleiroFs, eines Pariser Kunstschwärmers und Raritätensammlers« zählte allein hundert- neunundzwanzig Bilder und Zeichnungen Moli^e's, auf deren unzweifel- hafte Treue der glückliche Besitzer, aber kein vorsichtiger Kritiker schwor. Selbst der leichtgläubigste aller Moli^reforscher , Paul Lacroix, der des Dichters litterarischen Nachlass mit einer Menge namenloser Schriften bereichern wollte, an denen Moli^re schwerlich ein Anteil gebührt, setzte die Zahl der echten Porträts auf fünfundzwanzig herab; ein Pariser Akademiker, Emil Perrin, will nur zwei als zuverlässig anerkennen.

Diese grellen Gegensätze der Beurteilung erklären sich daraus, dass wir von Seiten der Zeitgenossen des Dichters meist nur gehässigei ver- zerrende Ülterlieferungen haben , die überdies mehr den Schauspieler, als den Menschen schildern, und dass auch von den Porträts, welche bei Lebzeiten Moli^re's oder bald nach seinem Tode angefertigt sind, nur eins den Dichter ausserhalb der Bühne vorführt. Nicht zu übersehen oder gering zu schätzen ist aber eine Beschreibung, welche die Schauspielerin Angölique Poisson im Jahre 1740 nach ihrer Jugenderinnerung im Mercure de France veröffentlicht hat, denn obwohl sie mit sichtlicher Vorliebe und Verschönerungssucht die äussere Erscheinung Molifere's schildert, so hat sie doch lediglich den Menschen,* nicht den Schauspieler dabei im Auge. Nach ihr hätten wir uns den Dichter als eine auch äusserlich harmonische, wohlgebildete Erscheinung vorzustellen, während nach manchen Kostümbildem früherer Zeit Molibre eher eine hässliche, plumpe und wenig proportionierte Persönlichkeit gewesen sein müsste.

Mit ihrer Darstellung lässt sich das wahrscheinlich älteste Porträt- bild Molibre's, das von seinem Freunde Mignard etwa im Anfange der sechsziger Jahre des XVII. Jahrhunderts geschaffen ist, sehr wohl vereinen. Kopien desselben sind in französischen und deutschen Moli^reschriften häufig genug, und in der Vorstellung der meisten Verehrer des grossen Dichters lebt seine äussere Erscheinung so fort, wie sie der Pinsel dieses Malers auf die Leinwand geworfen hat. Man darf aber nicht vergessen, dass Mignard seinen Freund als Darsteller einer tragischen Rolle, nämlich als Cäsar in Corneille's Tod des Pompejus, mit allem theatralischen Pomp damaliger Zeit, mit dem Purpurkleide, dem Lorbeerkranze, dem Feldherrnstabe, den Flammenaugen uud der Würde des Triumphators uns vorführt; wie kann da von einer realistischen Treue die Rede sein? Ohnehin huldigte die französische Porträtmalerei des XVII. Jahrhunderts der Neigung, alles nach dem ungeschichtlichen Ideal zu zeichnen, welches

266 Miszeüen.

man sich vom Römertam entworfen hatte und legte auf zuverlässige Natnrwahrheit wenig W^rt. Nach einer Kopie des Mignard'schen Bildes hat Houdon im folgenden Jahrhundert seine unsterbliche Büste Moli^re's entworfen, ihm seh Hessen sich die spateren plastischen und malerischen Dar- steller des Dichters, namentlich der Schöpfer der Brunnenstatue in der rue Richelieu zu Paris, an. Das Übertreibende und Unwahre, welches dem Kostüm- bilde seiner Natur nach anhaftet, auch wenn es nicht von einem ideali- sierenden Künstler der Zeit Ludwig's XIV. entworfen ist, hat sonach die spätere bildliche Darstellung Moli^re's am stärksten und nachhaltigsten beeinflusst.

Etliche Jahre nach Mignard hat ein uns nicht genau bekannter Maler, wahrscheinlich Sebastian Bourdon, ein Porträt des schon schwer leidenden Dichters geschaffen, das die Bildergallerie des Herzogs von Aumale auf Schloss Chantilly ziert. Hier sehen wir nicht den Schau- spieler, sondern den Privatmann vor uns, aber in einem krankhaften Zustande, der durch die schweren körperlichen und geistigen Drangsale der sieben letzten Lebenerjahre hervorgebracht ist. Sein Gesichtsausdruck ist ein schwermütiger, die Stirn gefurcht, die Wangen eingefallen, das Haupt geneigt. Gewiss ist die Treue dieses Bildes ungleich grösser, als die des von Mignard geschaffenen, aber sie stimmt doch nur mit dem Eindrucke überein, welchen die halbtragischen Schöpfungen Moli^re's, sein Menschenfeind und sein Schwanengesang, Der eingebildete Kranke, uns hinterlassen. Verkehrt würde es sein, die äussere Erscheinung des , Dichters zu der Zeit, wo er von dem Ruhme seiner Erstlingsschöpfungen emporgehoben, von dem Glänze der königlichen Gunst überstrahlt, durch die Zuneigung gleichgerichteter Freunde, wie Boileau und Lafontaine» innerlich gesSirkt, von den Enttäuschungen der Freundschaft und Liebe noch unberührt, von dem giftigen Hasse der Frommgläubigen und der neidischer Berufsgenossen noch wenig getroffen, von den schweren Leiden eines hoffnungslosen körperlichen Zustandes noch ungebeugt, ein zukunft- reiches, sorgenloses und frohes Dasein führte, nach dem schwermütigen Bilde Bourdon 's uns darzustellen. Da nun der jugendfrische, ideal ge- zeichnete Molibre die Vorstellung der Spätergeborenen mehr anmuten musste als der frühzeitig alternde, mit unverkennbarem Realismus ge- schilderte, so hat das Bild Bourdon's unter dem wohlthuenderen Eindruck des Mignard'schen leiden müssen und die nachfolgenden bildlichen Dar- stellungen des Dichters wenig beeinflusst.

Ausser diesen beiden Porträts, zu denen der Dichter selbst da« Modell gewesen zu sein scheint, haben wir von Zeitgenossen noch eine Anzahl von Kostümbildem, denen als solchen eine verhältnismässige Treue nicht abzusprechen ist. Dahin gehört zunächst ein Kupferstich von Simonin, der nur in einem Exemplar erhalten ist. Auf ihm wird Moli^re in rohen, aber unverkennbar naturtreuen Umrissen dargestellt und seine äussere Erscheinung würde hiernach eine ziemlich gewöhnliche, unschöne gewesen sein. Ähnlich ist der Eindruck, den wir von den Zeichnungen Brissart's und Sauvä*s empfangen, welche der Ausgabe der Werke Moli^re*s vom Jahre 1682 als Illustrationen eingefügt sind. Sie schildern uns den Bühnendarsteller in seinen Hauptrollen und verzichten ebenso sehr auf irgend welche Idealisierung , wie auf künstlerische Feinheit. Ein kurzer Hals, der fast in den Schultern versinkt, eine ungleichmässige, alltägliche Gesiohtsbildnng, vor allem ein auffallendes Missverhältnis des Oberkörpers zu den unteren Partieen sind die Hauptkennzeichen seiner Erscheinung, wie sie uns in diesen Bildern hervortritt. Verwandt, aber doch mit unverkennbarer Gehässigkeit entstellt ist Moli^re's Porträt auf einem

f rossen KoUektivgemäl& des Jahres 1670, welches die „Spossmacher rankreichs und Italiens in den letzten sechzig Jahren^ darstellt, hier ge-

Mszeüen. 267

winnen wir von Molibre's Erscheinang auf der Bühne denselben grotesken, bisweilen wider Willen komischen Eindruck, der in den verzerrenden Beschreibungen seiner bittersten Gegner hervortritt. Man darf weder den Menschen, noch den Schauspieler nach diesem Zerrbilde sich vorstellen. Eher dürften schon die Eostümbilder Bnssart's und Sauv^'s das Richtige treffen, aber auch in ihnen ist der Bühneoerscheinung allein Rechnung ge- tragen und wir müssen das abziehen, was der schauspielerische Effekt in komischen Rollen dem Mienenspiel und der körperlichen Haltung aufnötigte. Soviel ergibt eine Yergleichung dieser verschiedenen, von Begeiste- rung und Abneigung, von künstlerischer Meisterschaft und stümperhaftem Ungeschick entworfenen Bilder jedenfalls: der grosse Dichter war kein schöner Mann. Auch Mignard*s Bild hat nicht ganz das verwischen können, was der äusseren Erscheinung Moli^re's sich von seinem Vater her vererbt hatte, den fast plumpen Körperbau mit den un verhältnismässig langen und dünnen Beinen, das langgezogene Gesicht, mit den stechenden von einander weit abstehenden Augen, der zu grossen Nase und den ausgedehnten Nasenflügeln, den starkentwickelten Lippen, dem breiten Munde, der üppigen Kinnbildung und dem gewöhnlichen Teint. Aber alle diese äusseren ünschönheiten sind auf diesem Bilde durch einen echt künstleri- schen Gesamtausdruck ausgeglichen und selbst auf dem Portiät Banrdoo's sind sie durch die weltschmerzliche Sehwermütigkeit geadelt. Waren nun diese verschönernden Züge nur Zuthaten der Künstler oder entsprachen sie der Wirklichkeit? Wir können weder das eine noch das andere be- stinunt behaupten, da eine völlig unbefangene Schilderung der Zeitge* noflsen uns fehlt und da alle Porträtdarstellungen, bis auf Bourdon^s äld und den rohen Kupferstich Simonin's, nur den RöUendarsteller im Auge haben. Bourdon's Porträt, das man uns öfter für das einzig treue hat ausgeben wollen, zeigt aber, wie schon erwähnt, nur den leidenden^ schwer- mütigen Dichter in den letzten Lebensjahren, kann also seiner Treue nach nur für diese in Frage kommen, aus einem stümperhaften Kupfer- stiche können wir überhaupt keine ganz sicheren, unparteiischen Schlüsse auf Moliere's äussere Erscheinung machen. Wenn aber neuere Moli^re- biographen uns den grossen Dichter als eine Art Cyklop von unfreiwilliger Komik des persönlichen Eindrucks schildern, so lawen sie sich lediglich durch Darstellungen, wie die jenes Gemäldes vom Jahre 1670, leiten und übersehen, dass die Beschreibung, welche Ang^lique Poisson auf Grund ihrer Kindheitserinnerungen gibt, damit ganz unvereinbar ist. Die Wahrheit scheint auch hier in der Mitte zu liegen. Molibre war nie ein schöner, wohl- gestalteter, harmonisch gebildeter Mensch, der den Sinn erregbarer Frauen bezaubern konnte, aber trotz seiner äusseren Mängel auch als Persönlichkeit für den anziehend, der in der Körperbildung den Ausdruck des geistigen Wesens vor allem zu finden sucht. R. Mahäenholtz.

Eyolntions de la langne franfaise.

,fSi Meliere revenait sur la terre, il ne comprendrait plus le fran^is". Je ne sais plus au juste j'ai iu cette asseition; mais je sais que je la pris pour une boutade, et je n'j pensai plus. Ce n'est que plus tard qu'elle me revint en memoire. Je venais en eftet de mettre la main sur un de ces romans contemporains qui semblent sortir de terre comme les Champignons aprbs la pluie^ et j'en commenpai la lectnre. J'arrivai bien jusqu'ä la dixi^me page, mais impossible draller plus loin: je n'en eomprenais pas la moiti^. La honte envahit mon visage, et ce n'est qu'en pensant ä Moli^re que je sentis renaltre mon courage, et en

268 Miszeüen.

me Bouvenant auBsi vagnement d'uDe annonce ainsi oon^ne: Pour paraitre prochainement : Petit glossaire pour servir ä rinteüigence des auteurs (iecadents. Ge glossaire n^est ^videmment pas pour moi seul, me disais-je en moi-m§ine; dono d'aatres que moi ne comprennent pas non plus. Ca fut comme un beaume pour mon äme.

Ceci se passait au mois d'aoüt de Tann^e demibre, pendant mes vacances, et au beau milieu de la France. Certes, je n'en aurais jamais dit un mot, si une boutade pareille ne m*ätait tombäe sous la main, il j a qninze jours k peine. Elle est un peu longue« mais je ne puis r^ister au plaisir de la transcrire, et j'espere qu'elle int^essera plus d'un lecteur de la Revue, „k quoi bon s'obstiner a confectionner des diction- naires dans un pajs dont la langue n'a plus ni limite, ni frein, ni mesure? Avec le däcadentisme, la d^liquescence et autres ^coles nonvellesi chaque jour cree deux ou trois centaines de mots, les uns canailles et argotiques, les autres archaiques, tous plus extravagants et plus barbarisants les uns que les autres. Comme ce joli travail de d^composition ne se ralentira pas, les dictionnaires deviendront parfaitement inutiles. Tout sera fran9ais ad übitum et au hasard de la fourchette". Ainsi s'exprimait Pierre V^ron dans le Journal amüsant, le 27 janvier 1889. F^nelon lui-meme, apr^s avoir dit dans sa Lettre ä VÄcademie : „Une langue vivante est une langue sujette k de continnels changements", ajoutait: „le Dictionnaire servira, quand notre langue sera changäe, k faire entendre les livres Berits de notre temps".

Ce serait une ^tude tr^s interessante que celle de la rävolution de la langue francaise dans ces demi^res ann^es, je veux dire depuis le ^naturalisme^, le „romantisme", le ndäcadentiBme**. C'est surtout actuelle- ment que cette Evolution s'accentue. Le dictionnaire devient radical et nous montre des termes insolites, hirsutes, barbarisants. Quelques uns de ces näologismes ne manquent pas de beautä, comme par exemple: „Victor Hueo prend une envolee süperbe . . . Les contes ^piqnes aux larges envots . , . Cette t^te est dessinäe avec une absolue maitrise ..." (Figaro). Ce dernier terme n'est sans doute pas nouveau par lui-mgme, mais il ^tend sa signification. Je ränge ^galement dans cette catdgone cinquantcnaire et centenaire (fünfzig-, hundertjähriges Jubiläum) qui ne devraient pas manquer dans Sachs.

Mais ce n^est pas le vocabulaire seul qui fait des siennes, il me semble que le Pamasse s'en m§le aussi quelque peu. En veut^on des exemples? Yoici un modMe de vers empruntes k la nouvelle ^cole: ils sont adress^ k la Näva:

Puissante, magnifique, illustre, grave, noble reine!

0 Tsaritjsa de glaces et de fastes! souveraine

Matrone hi^ratique et solennelle et v^näräe!

Trte chaste, au sein du Temple qui se brise et se r^crie

Et tr^ riante, en ta parure bleue ou blanche . . . Sous prätexte de nous offrir des „heptapodes iambiques*', on arrive k nous donner des monstres: cäsure, Vision, mesure, toute la cargaison est jetee par dessus bord.

Mais au moins la grammaire tient-elle bon, eile, contre cet assaut livräe k la tradition classique? Oh que nenni! eile aura aussi ses faiblesses; eile prend part k cette nuit de Yalpurgis. Si encore ce n'ätait que la grammaire des decadents et des ant%'parnassiens, le mal ne serait pas si grand; mais malheureusement la grammaire des orateurs et des jour- nalistes celle des joumalistes sourtout a ävoluä considärablement. C^est Ik le seul point que je me proposais de mettre en lumibre. J'ai fait une jolie cueillette de eitations k Vappni de cette assertion et je vais en reproduire quelques unes. C'est bien la grammaire de Ploetz, je crois,

Mtszeäen. 269

qui pr^tend qu*on ne met Jamals iin futur ni un conditionnel apr^s si (wenn). Cetait bien cela au boD vienx temps; mais aujourd'hui! Ecoutez plntöt: nSi Jamals une mesore libäratrice serait accueillie par le pajs, ce serait k coup sür celle-lk'' (Gazette de France), „Mais si Jamals en temps de guerre, Ton ne devra appeler sous les drapeaux les ecldslas- tiqiies et les institateurs, k quo! bon leur imposer les dpreaves de la caserne" (Figaro), J'ai une foule d'autres exemples, mals ceux-lk suf&sent. Fassons k Temploi du subjonctif. „Je ne pense pas que de Lille k Menton le peuple franpais seräunira dans ses comices pour d^cr^ter . . ." (Figaro), „Qui voudrait nier que ce sont de beaux jours" (Figtxro), „M§me en admettant que la Cocarde est convaincue, le moment est Inopportun pour dire ces choses" (Figaro), „Je n'espöre pas qu'ils se rangeront k la forme actuelle du gouvernement; mals 11 me suffit de compter sur leur patrlotisme pour ne pas douter qu'ils se refuseront k prSter leurs malus k une tentative aventureuse" (Ghallemel-Lacour, Discours au Senatj däcembre 1888). „l\ n'y a qu'un seul creancier qui poursuit la vente, mals les autres vont se faire repräsenter** (Fig.). „Dans la Marne, 11 n'y a que deux arrondlssements sur cinq qui ont re^u des bulletlns'' (Fig.J. „Les Mineurs sont furieux de ce quon n'ait pa« permls au gändral de descendre dans les puits" (Fig.),

Mais volci qui devient plus fort, et le pauvre verbe craindre lul-meme n'a plus la force de gouverner le subjonctif; 11 est bleu entendu

les.

)eau

depuis

quinze jours permet de craindre que la France palera encore une fols les deplacements mlnistdrlels'* (Fig.). Dans quelques semaines, 11 y a tout Heu de craindre que nous connaitrons la rägence de Serble** (Fig).

Ce n*est pas que je prätende que toutes ces manieres de s'exprimer soient condamnables , et certalns academiciens, le crltiqne de la Revue des de^uc Mondes par exemple, ont un penchant trfes prononcä pour Temploi du conditionnel apr^s la conjonction „si**; mals 11 n'en est pas moins vral que la littärature contemporalne accomplit un mouvement d*ävolutlon, m^me au point de vue de la grammaire, ainsi que nous Tavons constatä par exemple relatlvement k l'emplol du verbe craindre. Je ne connais pas d*exemple de cette construction au dlx-septl^me sifecle; pour le dlx-huiti^me, je n*en al trouvä qu'un seul, et encore est-il dans les OBuvres de Fr^äric le Grand. Le volci: „comme 11 avait k craindre qu'il au r alt aussitöt toute l'armde sur les bras ..." On y trouve ägale- ment „le malheur voulut que les hussards tombbrent sur l'ennemi . . ."

.Une autre construction singulifere et que j'al trouväe deux fols dans E. Zola est la suivante: „II fallut que le peintre la coupa d'une clolson de planches ..." FaUoir, tout comme craindre, gouverne rindlcatif. Si ce mouvement continue de ce pled, 11 n'y aura plus de subjonctif au XX^^e sifecle. II est bleu entendu que je ne parlerai pas ici, sans cela j'aurai trop k faire, de constructions comme: midi sonntrent ... Le Saint Pfere lira une messe basse . . . (Fig). Un ouvrier de ronzieme beure . . . ; 11 ätait pres d^onze heures (Zola).

Poursulvra qui voudra cette ötude; quant k mol je n'en ai ni le loislr ni Tenvie, et je termine par une citatlon que je lisals hier encore dans le Figaro: „Nous sommes envahls par un tas de diseurs de rien et de raboteurs de phrases qui encombrent le Parnasse. Parml les jeunes ecrivalos, 11 y a, incontestablement, un certaln nombre d'allänes qui sont frappäs d'une folie particull^re , la folie du mot . . . C'est en prose et en vers, une langue qui est le plus pretentieux des chürabias ... Ih

270 Misteüen,

contentent de donner aux mots nsuels des significations k eux et de dis- ioqner la plirase. Las uns suppriment toute ponctnation , bien que la ponctuation soit une Convention d'une absolue logique . . ." (Figaro, 29 avril 1889). J. Aymebic.

Ein Roman Victor Cherbnliez'.

In der Revue des dettx mondes vom 15. Juni y. J. beschliesst der auch in Deutschland mit Recht wohl bekannte Victor Gherbuliez seinen letzten Roman La vöcaiion du comte de Ghisfain, und ich glaube, dass mancher jseiner Verehrer das umfangreiche Werk kopfschüttelnd aus der Hand legen wird, da es sich früheren Leistungen des Verfassers nicht an die Seite stellen kann. Ist auch die Charakteristik von grosser Feinheit, so fehlt doch dem Hauptcharakter, dessen Zeichnung mit be- sonderer Breite angelegt ist, jede Eigenschaft, die unser Interesse auf die Dauer fesseln könnte. Der Comte de Ghislain ist ein Geistesver- wandter von Olivier Maugant, dessen ich im Aprilheft der Franco- GäUia 1885 gedacht habe. Die dort angezogenen Worte, welche diesen in Kürze zeichnen : vom avez un coßur, heaucoup de ccßur, et mime vous en avez irop; mais votis rCavez m discernemeni ni raison ei quand la raison ne les garde pas^ ks meilleurs coßurs foni les plus grosses sottises, passen auch auf jenen.

Denn was ist dieser Ghislain anderes als ein wunderlicher Kauz, dem nichts weiter fehlt, als dass er zu reich ist, und der daher nicht weiss, was er in dieser bösen Welt mit seinem Ich anfangen soll. Die voeation, die er glücklich findet, ist in der That nicht besonders neuer Art : an der Seite eines braven Mädchens ein guter Ehemann zu werden. Doch dies Glück findet er erst spät und nach manchen Irrungen. Als einziger Sohn eines nur durch die Gemeinsamkeit der Interessen ver- bundenen Paares, von dem jedes seinem eigenen Vergnügen nachgeht, aufgewachsen, ohne den Sonnenschein der Elternliebe, gerät der junge Graf zunächst ganz in den Strudel des galanten Pariser Lebens, ja es

felin^t dem beau Ghislain, seinen eigenen Vater bei einer russischen ürstm auszustechen. Doch bald folgt der Ekel an diesem hohlen Leben. Jl vous a paru que les fleurs que vous attiez eueilUes, n'avaieni ni couleur ni par/um, que vos joies e'taient des ombres, ei vous n'aper- cevez plus auiour de vous que de irisies ei päles fantomes. So sagt ihm jemand und bezeichnet damit trefflich seine Stimmung. In dieser be- gegnet Ghislain einem Missionar, einer kraftvollen Gestalt, und, wie es schwankenden Menschen eigentümlich ist, will er das Lebensziel, das jenes Geist und Gemüt so voll und ganz erfüllt, zu dem seinigen machen, ohne zu bedenken, dass ihm dazu dessen sittliche Kraft fehlt. Der Menschenkenner durchschaut den Jüngling, der ihm vertrauensvoll sein Herz erschliesst; er weiss, dass Ghislain nir den entsagungsreichen Beruf eines Heidenbekehrers nicht geschaffen ist, doch lässt er ihn, wie Rousseau seinen ^Imile, gewähren, damit er durch eigene Erfahrung seinen Irrtum erkenne. Ziemlich leicht wird unser Held mit der Ge- wissensfrage fertig, und es ist zu charakteristisch (auch für die Schreib- weise Cherbnliez') Ghislain über Protestantismus und Katholizismus sprechen zu hören, als dass ich der Versuchung widerstehen könnte, die Stelle hierher zu setzen.

In Religionssachen, so sagt er, wählt man nicht, man verzichtet auf seine eigenen Ansichten, beugt sich, unterwirft sich, und diese frei- willige Unterwerfung ist vielleicht die wahre Freiheit. Le caikoücisme

MiszeUen, 271

se recommande ä nous par sa durde, et ü a Pävidence, la majesU ou, si vous faimez mieux, la brutalite (Tun faii. La philosophie est la raison contente; le protestantisme est une raison mecontente, qui se donne beau- cotip de peine pour remplacer ce qu'eüe a perdu, EUe s'ingenie, eile a recours aux succedanes ; eile nofts dit: „Prenez ma chicoree, vous la trou- verez plus savoureuse, plus parfumee que le meiäeur cafe de Moka,^ Ihur ma pari, so meint dann Ghislain, je ne Supporte pas le caf4, maxs je m4prise toutes les Chicorees et toutes les invenOons modernes.

Doch zu dieser Unterwerfung kommt es nicht, und wir brauchen nicht zu fürchten, den Grafen nun bald in der Kutte zu sehen. Ein Paar hübsche Augen, ein unschuldiger Kuss, den er irrtümlich von einem übermütigen Mädchen empfängt, genügen, um ihn von seinem Entschluss abzubringen. Er findet, dass das Glück nicht une chose bien compliquee ist, dass man nur darauf zu warten hat und zugreifen muss, wenn es sich uns bietet.

Und Ghislain bietet es sich, er ergreift es auch, und vor ihm liegt das reine Glück an der Seite eines geliebten Weibes, M^" de Trä- laz^, der Nichte seines geistlichen Freundes, da bringt der Tod seiner Mutter, der allerdings unter besonders grausigen Umständen erfolgt, einen neuen Umschwung in seinen Lebensansichten hervor. Von neuem kommt er auf seine erste Idee zurück. Je veux agir, ruft er aus, ie veux souffrvr pour les autres; c^ est par la pitie, par la sainte misMcorde, qu*on rachete ses erreurs.

Und was thut er? Mit einer Grausamkeit, der vor allem schwache, „kontemplative'^ Naturen er nennt sich selbst un me'kmcoligue voui ä la contemplation fähig sind, verlässt er die Geliebte, mit der er sich eben verlobt hat, um in Afrika sich auf seine neue Laufbahn vor* zubereiten. Doch auch hier findet er nicht das, was er sucht. Sein Aufenthalt in Tunis, seine Reisen ins Innere zeigen ihm nur, dass das letzte Wort der orientalischen Weisheit ist: Häte-l&i de jouir, la mori ie gueite. Zugleich wird er hier das Opfer einer Intrigue, die sein Vater mit Eusäbe Furette, seinem Lehrer des Deutschen, einem lüsternen, gemeinen Charakter, spielt, um dem Sohn durch seinen Fall zu zeigen, dass er nicht besser ist als er, und sich so gleichzeitig für seine früheren Erfolge zu rächen.

Die sentimentale Kokette, die Ghislain nachgereist ist, um ihn zu fangen, weiss ihn freilich nur einen Augenblick zn täuschen. Er erkennt bald, in welche Schlinge er geraten ist, sieht aber auch zugleich ein, wie wenig er der Mann ist, einer hohen sittlichen Aufgabe zu ge- nügen. Nun ist er überzeugt, dass er nicht für les vertus difficiles et rares geschafPen ist, sondern für les douceurs, les däUoes d^un amour pur, d*un amour jeune, qui mSte ä la vie d'habitude des ^motians, des gräces toujours nouvelles, et procure aux ämes faUguees du monde des heures ä la /bis monotones et pleines, dass er nicht bloss ein ^osser Narr ge- wesen ist, sondern auch hart und undankbar gegen die, welche ihm ihr reines Herz geschenkt hat. Er meint, er habe nun weiter nichts zu thun, als in die Arme der geduldig auf ihn wartenden Geliebten zurückzukehren, doch da irrt er sehr. Als er unerwartet heimkehrt, ist diese im Begriff, seinem siebzigjährigen Vater die Hand zu reichen, und zwar, was die Sache noch unbegreiflicher macht, aus eigenem, freiem Entschluss. Freilich sind es nicht die Reichtümer des alten unverbesserlichen Lebemannes, die sie reizen, auch ist sie kindlich genug zu glauben, sie solle ihm nur die Tochter ersetzen und für sein einsames Alter eine Stütze werden, doch lockt sie der Gedanke, an dem Geliebten eine kleine Rache zu nehmen, und die Hoffnung, ihm

272 Miszeüe.

dadurch, wenn auch als Stiefmutter, näher zu stehen. Als dieser nun wiederkommt, da bittet das unschuldige Din^ ihren lieben Gott, er möge ein Wunder geschehen lassen, um sie der Erfüllung ihres leicht- fertig gegebenen Versprechens zu überheben. Und dieses Gebet geht wirklici^ in Erfüllung. Der alte verliebte Geck stirbt zur rechten Zeit; ein Herzschlag macht seinem schalen Dasein ein Ende in dem Augen- blicke, wo die Liebenden sich wieder gefunden haben. Auch der Schatten des Toten , den der strenge Abb^ zwischen ihnen herauf- beschwören möchte, stellt sich ihrem Glück nicht entgegen. Ghislain beichtet dem Abb^ sein Unrecht, auch M"* de Tr^lazö bereut, nachdem auch sie durch das ihr eröffnete Geständnis von Ghislain^s Schwäche eine Enttäuschung und damit eine Strafe für ihren eigenen Fehltritt bekommen hat. Sie haben sich in der That beide etwas zu vergeben, sie sind quitt, und wir zweifeln nun nichts dass beide die vierjährige Probezeit, die ihnen der Abb^ auferlegt, wie der Eremit dem Max im Freischütz, ebenso glänzend wie dieser bestehen werden.

Das ist der Inhalt des umfangreichen Romans. In der That wie bei dem vorigen, dem schon genannten Olivier Maugant, wenig Hand- lung, indessen scheint es auf diese Cherbuliez weniger anzukommen als darauf, eine Reihe von Charakteren verschiedenster Art bis in ihre kleinsten Falten vor uns offen zu legen. Und diese nimmt er, wo er sie findet: keine ausserordentliche Menschen mit starkem Wollen und Können, sondern Menschen mit allen den Schwächen, die der Leser an sich selbst und anderen Gelegenheit genug hat zu beobachten. Viele von diesen Charakteren gefallen uns trotz ihrer Schwächen , vielleicht auch wegen derselben, andere stossen uns ab, so der lüsterne Eusäbe Furette und der eitle Marquis de Ghislain. Doch ist es im Leben anders? Und nach dem Leben will Cherbuliez zeichnen, darin beruht auch seine Bedeutung. Doch ist er darum nicht zu den Naturalisten zn zählen; er ist zu fein gebildet, um lediglich in naturalistische Roheiten zu verfallen, wie er zu vielseitig ist, um das beliebte Ehebruchsthema zu variieren. Immerhin ist der Genfer Cherbuliez zu sehr Franzose, um seine Natur verleugnen zu können. Seine Anschauungsweise ist häufig nicht die unsere, und er spricht manches aus, was unser deutsches Gefühl verletzt. Doch sollte man bei der Beurteilung französischer Romane nicht so oft vergessen, dass ihre Verfasser zunächst für ihre eigenen Landsleute schreiben. Hält man das fest, so wird es vielen bei der Lektüre Cherbuliez'scher Werke wie dem Unterzeichneten gehen. Die echt französische Form wird über den in mancher Weise anfecht- baren und dürftigen Inhalt hinwegsehen lassen. Cherbuliez' Sprache gehört meiner Ansicht nach zu dem Besten, was die Revue bietet; sie ist jedenfalls echt französisch.

Auch mutet uns des Verfassers philosophischer Standpunkt an. Den schon in la Ferme du Choquard ausgesprochenen Gedanken: le secret du bonheur et de la vertu est la äe'sappropriation berührt er auch hier, und in dem Abbä tritt uns eine Gestalt entgegen, die, wenn auch nicht ohne Schärfen, doch geeignet ist, unsere Bewunderung zu erregen, und welcher der Verf. vielleicht manche seiner eigenen Erfahrungen in den Mund legt.

Jl avait fini par decouvrir qu*ü fCy a pas grand merite ä se passer du bonheur, que la vie est par eÜe-mime une chose assez mediocre, que les volupte's ameres du sacrifice sont les seulesßies qui ne trompent jamais.

Liegt darin nicht die Summe aller menschlichen Weisheit, zu deren Erkenntnis viele freilich die raschlebige Gegenwart spät oder gftr nicht kommen lässt? Lohmann.

Zeitsclirift;

fttr

französische Sprache und Litteratur

unter besonderer Mitwirkung ilirer Begründer

Dr. G. Koerting und Dr. E. Koschwiiz

Professor s. d. Akademie zn Mflnster i. W. Professor s. d. UniTendt&t zu Greif^ald

herausgegeben

▼on

Dr. D. BehreAü und Dr. H. Kcerting

Privatdozent a. d. UniTersität za Greifiswald. Professor a. d. Universität za Leipzig.

Band XI.

Zweite Hälfte: Referate und Rezensionen etc.

Oppeln und Leipzig.

Eugen Franck's Buchhandlung

(€Feorg Maske).

1889.

INHALT.

Refkratg und Rezensionen.

Seite Armbruster, iC,, Geschlechtswandel im Französischen. Maskulinum

und Femininum (D. Behrens) '. . 165

Btidke, Die Anfangsgründe im Französischen auf phonetischer

Gtundiage {M. Walter) :■ . ISK)

Beyer, Franz, Französische Phonetik für Lehrer und Studierende

(A. Lange) 289

Shck, John, Beiträge zu einer Würdigung Diderot*6 als Dramatiker

(ß. Mahrenholtz) . 86

Siignnerhasseit, Ch,, Frau von Sta31, ihre Freunde und ihre Be- deutung in Politik und Litteratur (0. Knauer) . . . . 218

Bo%tnin, Gabriel, LaSoltane. Trauerspiel. Paris 1641 (R. Mahren- holtz) 145

Brenelierie, G, de la, Histoire de Beaumarchais (B. M ah r e n fa o It z) 85

Carel, Georges, Voltaire und Goethe als Dramatiker (J. Sarrazin) 227

Cledat, L,, Nouvelle Grammaire historique du fran^ais (£. Ko sch- witz) 10

Bannheisser, Ernst, Studien zu Jean de Mairet*s Leben und Werken

(J. Frank) 65

Bmjidet, Alpkonse, Lettres de mon moulin p. p. E. Hönncher

(J. Aymeric) « 58

Döhler, E^, Coup d'oeil sur Thistoire de la litterature fran^aise

(0. Glöde) 248

Breyling, Gustav, Die Ausdrucks weise der übertriebenen Ver- kleinerung im altfranzösischen Karlsepos (F. Perle) . . 884

Dubislaw, Über Satzbeiordnung für Sat^unterordtiung im Alt- französischen' (A. Haase) , « 1T8

Seite

Dupin, Luigi, Moli^re, Commedie scelte, con note storiche e filo-

logiche (H. Fritsche) . . . 214

Englich, Die französiBche Grammatik am Gymnasium (F. Hörn e-

mann) 51

Foerster, W,, Louis Meigret, Le Trotte de la gramm^re Fran90§ze

(J, Koch) 261

Gehrig, Hermann, Jean -Jacques Rousseau, sein Leben und seine

pädagogische Bedeutung. Ein Beitrag zur Geschichte der

Pädagogik (R. Mahrenholtz) , . 149

Greierz, Otto von, Beat Ludwig von Muralt (E. Ritter) . . . 1

Grosse, Syntaktische Studien zu Jean Calvin (A. Haase) . . . 177 Groih, J., Jean Antoine de Ba'if's Psaultier, metrische Bearbeitung

der Psalmen mit Einleitung, Anmerkungen und einem

Wörterverzeichnis (Gröbedinkel) 213

Gutersohn, J,, Gegenvorschläge zur Reform des neusprachlichen

Unterrichts (F. Dörr) 53

Haase, A,, Französische Syntax des XVII. Jahrhunderts (E.

Koschwitz) 16

Harimann's Schulausgaben französischer Schriftsteller. No. 2

B^ranger (F. Wendelborn) 245

Horning, Adolf, Die ostfranzösischen Grenzdialekte zwischen Metz

und Beifort (C. This) 87

Hämig, Syntaktische Studien zu Rabelais (A. Haase) . . . 176

Humbert, C, Molifere, L'Avare (H. Fritsche) . . 147

Jarmk^ J. ?7.,]^Neuer vollständiger Index zu Diez* etymologischem

Wörterbuch der romanischen Sprachen (D. Behrens) . 286 Jespersen, 0,, Fransk Laesebog efter Lydskriftmetoden

(A. Western) 239

Junker, Heinrich P., Grundriss der Geschichte der französischen

Litteratur von ihren Anfängen bis zur Gegenwart (G.

Bornhak) 143

Levertin, 0», Studier öfver fars och farsörer i Frankrike mellan

Renaissance och Moli^re (J. Frank) 193

Mätschke, Die Nebensätze der Zeit im Altfranzösischen (A« Haase) 174 MaLmstedi, Om bruket af finit modus hos Raoul de Houdenc

(A. Haase) 175

Mangold, W. und Coste, D,, Lehrbuch der französischen Sprache.

IL Teil (Kalepky) 241

Morf,H., Aus der Geschichte des französischen Dramas (A. Mager) 9

Mosen, C, Das französische Verb in der Schale (A. Rambeau) 94 Mosen, C, Ergänzungsheft zu den Übungen des Lehrbuches : Das

französische Verb in der Schule (A. Rambeau) .... 94 Orlopp, Über die Wortstellung bei Rabelais (A. Haase) . . . 188

S«ite

Okleri, A., Die Lehre vom franzÖBischen Verb (A. Bambeau) . 94

, Die Behandlung der Verbalflexion im französischen Unter- richt (A. Rambeau) 94

Platiner, Ph., Unsere Fremdwörter vom Standpunkte des fran- zösischen Unterrichts betrachtet (E. Weber) » 237

[Phtdhun, W.], Parlons frangais! Quelques remarques pratiques

dont on pourra profiter en Suisse et ailleurs (H. Koerting) 43

Raitkel, Georg, Über den Gebrauch und die begriffliche Ent- wickelung der altfranzösischen Präpositionen sor, desor (dedesor), ensor ; sus, desus (dedesus), ensus (F. T e n d e r in g) 39

Rambeau, A., Die Phonetik im französischen und englischen

Klassenunterricht (M. Walter) 108

Ricard, A,, Aide -Memoire de la conjugaison des verbes fran9ais

r^guliers et irr^guliecs (A. Rambeau) 95

Riese, W., Alliterierender Gleichklang in der französischen

Sprache alter und neuer Zeit (M. Köhler) 178

Ringenson, Studier öfver verbets syntax hos Blaise de Monluc

(A. Haase) 178

Rislelhvber^ P„ Heidelberg et Strasbourg. Recherches bibliogra- phiques et littäraires sur les ^tudiants alsaciens imma- tricul^s ä runiversit^ de Heidelberg de 1386 ä 1662 (Th. Süpfle) 129

Roth fuchs, Julius, Vom Übersetzen in das Deutsche und von

manchem andern (F. Home mann) 46

Sänger, Syntaktische Studien zu Rabelais (A. Haase) . . . . 176

Sandeau, Jules, Mademoiselle de la Seigli^re p. p. K. A. Martin

Hartmann (J. Aymeric) 62

Sarrazin, Joseph, Das moderne Drama der Franzosen in seinen

Hauptvertretern (E. Hönncher) 153

Schaefer, Kurt, Französische Schulgrammatik für die Unterstufen

^E. Mackel) . 250

Schulze, A,, Der altfranzösische direkte Fragesatz (F. Kalepky) 19

Schmidt, Ferdinand, Französisches Elementarbuch (F. T e n d e r i n g) 41

Schmidt, Otto, Rousseau und Byron (R. Mahre n holt z) . . . 150

Schulausgaben (C. Th. Lion) 180

Schumann, W., Übersicht über die französische Formenlehre

(F. Tendering) 40

Seelmann, E,, Bibliographie des altfranzösischen Rolandsliedes

(F. Pakscher) 27

Sen^chaud, P., Abr^g^ de Thistoire de la litt^rature fran9ai8e ä l'usage des ^coles sup^rieurs et de l'instruction priv^e (E. V. Sallwürk) 58

Kollektion Spemann (K. A. Martin Hartmann) 74

Seite

Stier, Georg, Kanjugations -Tafeln der fransösischen Verben

(A. Raxobeau) 94

Süpfle, Th„ Geschichte des deutschen Eultureinflasses auf Frank- reich mit besonderer Berücksichtigung der litterarischen

Einwirkung (0. Knauer) 136

Temer, Jules, Nos Poötes (A. Odin) . 98

Truati, Henri, Les grands äcrivains £ran9ais. Nouvelles lectures commentäes en fraKi9ai8 et en langues ^trangäres, alle-

mand, anglais etc. (A. Mager) 191

Ullrich, ff,. Die französischen unregelmässigen Verben

(A. Bambeau) 94

Fillalie, Cesaire, Parisismen (J. Sarrazin) 30

VoümöUer, Karl, Jean de Mairet, Sophonisbe (J. Koch) . . . 255 Waldmann, Bemerkungen zur Syntax Monstrelets (A. Haase) . 175 Walter, Max, Der französische Klassenunterricht (£. v. Sal Iwür k) 188 Wespy, Paul, Der Graf Tressan, sein Leben und seine Bear- beitungen der französischen Ritterromane des Mittelalters (F. Bobertag) 73

MiSZELLiSN.

Aymerie, /., Erwldterung 262

Dan-, F., In Sache J. Gutersohn 283

Hartmann, K, A. Martin, Zu Maderooiselle de la Seigliere . . 257 Kraft, Ph,, Verein für das Studium der neueren Sprachen in

Hamburg-AHona 128

Berichtigungen 284

<»'»«<»

Referate und Rezensionen.

Greierz, Otto von, Beat Ludwig von MuraU. Inaugural-Dissertatlon, der philosophischen Fakultät der Universität Bern znr Erlangung der Doktorwürde eingereicht. Franenfeld, 1888. J. Huberts Buchdruckerei. 112 8. 8®. Preis: Fr. 2,40.

Ici meme, en 1880, j'avais publik sur B6at de Muralt quelques pages, j'avais recueilli et mis en ordre ce qu*on savait de sa vie et de ses oeuvres. Cette revue montrait que beaucoup de lacunes existaient encore. Un certain nombre d'entre elles ont et^ heureusement combl^es par M. de Greierz, dans Tex- cellente dissertation quHl vient de präsenter k la Facult^ des Lettres de Berne.

Parmi les r6sultats de ses recherches, et les points qu^il a 6tablis, on remarquera: le fait que B6at de Mnralt, ä seize ans, ^tait en s6jour k Gen6ve, et que c'est dans cette vilie qu41 s'est familiaris^ avec la langue fran^aise; les relations de B6at de Muralt avec le litt^rateur Jacques Bodmer (pages 76 et 77) qn41 faut distinguer du pi^tiste Jean -Henri Bodmer (page 78) lequel passa ses demiöres ann6es k Colombier, et mourut en 1743, dans sa 74® ann^e (voir le Dictionnatre de Leu; les documents que j'ai publi^s dans les ^trennes chrStiennes de 1886: Jeanne Bonnet, ipisode de thistoire du pietisme ä Gen^ve, avaient d^ji stabil les relations du pi^tiste Jean-Henri Bodmer avec B6at de Muralt;) enfin et surtout le premier texte de la 6* des Lettres sur les Frangois, qui contient la critique de la Satire de Boileau sur les Emharras de Paris, M. de Greierz a retrouv6 cette premiöre Edition, imprim^e en Hollande, d'une des Lettres de Muralt, dont je parlais ici meme, dans Tarticle rappelt plus haut, page 189, note 1.

A la premiöre page de cette publication, qui dato de 1718, ,,M. de Muralt, connu des gens de lettres," est nomm6 en toutes

ZBChr. f. fn. Spr. n. Litt. XI^. . -^

2 Referate ufid Rezensionen. E. Ritter,

lettres: c'est assez ponr montrer que si les Lettres sur les Anglois et les Frangois parurent en 1725 sans nom d'auteor, tons ceux qni se tenaient au conrant du mouvement litt6raire de r^poqae, ont BU facilement le nom de r6crivain snisse.

Je vais citer sans ordre les observations que j'ai k präsenter sur la diasertation de M. de Greierz. La seule errenr grave que yj ai trouv6e, se rapporte (page 31, en note) ä la date de la premiöre Edition du Tilimaque, qui aurait paru en 1717. Dans la Correspondance de F6nelon se trouve une lettre de*** (libraire) ä Dubreuil, du 26 mars 1699, on lit: ,,11 court un manuscrit de monseignenr, intitul6: J^ducaMon ctun princcy ou les AverUures de T6Umaque, II fait beaucoup de bruit; Ton dit que Jamals il ne s'est imprim6 un plus bei ouvrage.'^ Le Manuel de Brunet donne des d^tails sur les ^ditions qui parurent en 1699, 1700, 1701 etc.; quaut k Tödition de 1717, eile fut publice aprös la mort de l'archeveque de Oambraj par son petit- neven, le marquis de F6nelon, et donn^e comme la premiöre Edition conforme au manuscrit de l'auteur. Dans un memoire adress^ au p^re Le Tellier en 1710, F6nelon disait en parlant du Tüimaque: „Tout ie monde sait qu'il ne m'a 6chapp^ que par Tinfid^litö d'un copiate.'^

M. de Greierz n'a pas vu d'exemplaire de la premi^re Edition de V Apologie du caractire des Anglois et des Frangois, et il s'appuie (page 57, note 2) sur une gazette de Leipzig ponr ^tablir qu'elle est de rannte 1726. J'en ai un exemplaire sous les yeux. Gette iödition a ^t^ publice k Paris chez Briasson, libraire, 1726: c'est un petit volume de 213 pages, qui sont suivies de rapprobation du censeur, dat^e du 22 avril 1726, et du privilöge dat^ da 2 mai 1726.

Pi^ge 20, M. de Greierz me cite en ces termes: „Ritter a. a. 0. S. 188 gibt an (gestützt worauf?), Muralt sei nach ein- jährigem Aufenthalt verbannt worden.^ Je m'appujais sur des textes ojfficiels, qui mettent hors de doute ce que j'ai avanc^: que Muralt fut banni de Gen^ve aprös une annöe de s6jour. J'ai envoj^ la copie de ces textes k M. Charles Berthood, qui se prQpose de les publier dans un article sur B6at de Muralt, qu'il «pr^pare pour le MusSe neuchäteiois,

Page 76, k ravant-derni^re ligne, il faut lire: yous r6- soudre, et non pas: vous r6pondre.

La premiöre Edition des Lettres sur les Anglois et les Frangois et sur les voyages^ 1725: 543 pages in 8^, pr6o^d6es d'une feuille qui contient le titre et la pr^face, a öt^ imprimöe k Gen^ve chez Fabri et Barillot C'est ce <)u'^tablit T/examen des fleurons, t^tes de pages, lettres om^es et culs-de-lampe, qu'on

0. von Greierz, Beai Ludwig von Murali, 3

Yoit dans cette Edition; et qui tous se retronveat daps qnatre ouvrages publica en ce temps chez les meines 64iteurB:

Ezechiel Gallatin , Sermons. Gen^ve , ch^z Fabri & Barillot, 1720.

Benedict Pictet, Priores sur tous les chapüres de VEcnbure sairUe. Qenöve, chez Fabri & Barillot, 1726.

Spon, Eistoire de Oeuhpe^ in -12®^ G^pfeye^ ciez Pabri & Barillot, 1730.

Nouveaux Sermons de feu M, Ja&ques Saurin. Gen^ve, chez Fabri & Barillot, 1733.

Les contemporains savaient d'ailleurs que cette premiöre Edition avait paru chez Fabri & Barillot, k 6en6ve (Greierz, page 74.) L'abb6 Desfontaines, k la page 6 de son Apologie du caractlre des Anglois et des Frangoisy disait: ,,0n a imprin^ k Gen6ve, et on vient de r^imprimer k Paris, (chez Briasson, libraire) les Lettres sur les Anglois et les Frangois et aur les voyages, "

Quant 4 l'^dition corrig6e de 1728, M. de Greierz en donne le titre exact d^ns la seconde note de la page 34 eile a M imprim6e k Zürich. Le Journal de Trivoux (MdmoireS' pour Vhistoire des sciences et des beaux-arts) dans son num^ro d'avril 1727, donne panni ses Nou volles litt^raires une lettre de Zürich: „.On trayaille ici k une nouvelle Edition des Lettres sur les Frangois et les Anglois, L'auteur les a revues, corrigöes, et augment^es de quelques Lettres sur les Esprits forts.'^

M. de Greierz a cit6 un certain nombre des journaux de r^poque, et d'autres t6nu)iguages contemporains, qui 6tablissent le succ^s et le retentissement des Lettres sur les Anglois et les Frangqis. Les notes suivantes aideront k completer cette liste interessante:

Lettre de Jean Leclerc k J. -A. Turrettini, dat^e d^ Amster- dam, 14 mars 1725: „Je n'ai pas encore reQU . . . le livre du S' Muralt, que j'ai tu entre les mains d'un Libraire, k qui on Tavait envoyö pour le contrefaire ici; mais je n'en ai rien lu." Ce passage a 6t6 laiss6 de c5t6 par M. Engine de Bud^, qui vient de publier cette lettre dans le second volume des Lettres inidites adressees ä J,'A, Turrettini^ tMologien genevois^ Gen6ve, lib. Carey, 1887.

Lettre de Jacob Vernet k J.-A. Turrettini, dat^ de Paris, 7 mars 1726: „Les Lettres de M' Muralt sont fort goüt6es ici par tous les gens de bon sens. Ceux qui d6clament contre la corruption du goüt et du style en France, se plaisent k relever ce livre lä, comme un modele de belle et nerveuse simplicit^."

Mimoires de Trivoux, juin 1726, page 1060— lOSOi On

1*

i I I

4 Referate und Reze^monen, E. Ritter,

sait que le p6re Sommervogel; S. J., a publik une excellente Table de ces Mimoires en trois volumes, 1864 65.

Journal littiraire, annöe 1731. A la Haye, chez P. Gosse et J. N6aulme, XVIII, pages 246 et suivantes.

Mercure suisse^ num^ros de mars 1733, de novembre et d^cembre 1736.

Lettres juives du marquis d'Argens ; la lettre qui parle de Muralt est la 68® dans une 6dition, la 72® dans une autre.

Les cinq annSes littSraires de Pierre Clement. Lettres du 1®' mars 1751 et du 30 döcembre 1752.

BibliotMque populaire de la Suisse romande^ num6ro de juillet 1885. Article de M. Eugene Mottaz.

Quant aux Lettres fanatiquesy il en a 6t6 parl6 dans le Nouveau Journal ou Recueü littSraire, Gen6ve, 1740, pages 101 et 102.

Pages 26, 89, 90 et 91, M. de Greierz attribue au pasteur De Koches les fragments (pages XI, XII, XIII) quil cite d'une Lettre qui forme la pr6face de la Defense du Christianisme. Mais j'avais dit que cette Lettre est d'un autre auteur genevois, Pierre Galissard de Marignac ; c'est ce que nous apprend Senebier dans sa notice sur celui-ci (Histoire littiraire de Genh)e, III. 249).

Les Lettres fanatiques n'ont eu qu*une seule Edition: celle qui porte sur le titre : A Londres, aux d^pens de la Compagnie, 1739. Elles ont 6t6 imprim^es par T^diteur genevois Marc- Michel Bousquet. En effet, la plupart des t@tes de pages et lettres ornees qu'on voit dans les Lettres fanatiques, se retrouvent dans le livre du pasteur De Koches: Difense du Christianisme, pubK6 k Lausanne et k Gen6ve, chez Marc - Michel Bousquet & Comp., 1740. C'est d'ailleurs ce que savaient les contempo- rains (Greierz, page 88).

Les Lettres fanatiques sont un ouvrage qu'on rencontre rarement dans les bibtioth^ques et les catalogues des libraires; les hommes vivants qui Tont lu pourraient sans doute se compter sur les doigts. A ceux qui Tauraient entre les mains, et qui ne voudraient pas le lire d'un beut k Tautre, je conseille de choisir la premiere moiti^ du second volume (sur le D6mon de Socrate, la Keligion naturelle et la Parole Interieure). . Ceux qui voudront ne jeter qu'un coup d'oeil sur ce livre, Muralt parle comme un Nestor, et ne sait plus s'arrSter, seront bien aises peut-^tre d^utiliser la liste que j'ai dress6e, des auteurs que Muralt a cit6s, en les caract6risant quelquefois d*un trait juste et net:

Piaton. Apologie de Socrate, I, 106; II, pages 14 et suivantes.

X^nophon. Mimoires sur Socrate. II, 48.

0, von Greierz, Beat Luduuig von MuralL 5

Epict^te. 1, 105, 107.

Marc-AurMe. I, 105, 107.

Montaigne. II, pages 22 et suivantes.

Jacob Boßhm. I, 60, 85.

Antoinette Boorignon. I, 61.

F6nelon. Dialogues des morts. 11, pages 21 et suivantes.

Bajle (article David) II, 81.

La Prädestination calviniste (I, 51) et le Systeme de Des- cartes snr Täme des b^tes (I, 52) sont nettement mis de cdt6 par Mnralt. Enfin, dans les trois chapitres sur le Dömon de Socrate, il est parl6 amplement de Rollin, et de denx savants, membres de VÄcademie Frangaise, qni ont trait6 de la vie et du caractöre du phiiosophe ath^nien: Charpentier et Tabbö Fragnier.

Quant aux vnes apocalyptiques qui se laissent entrevoir 9a et dans les Lettres fanatiquesy et qui en remplissent le dernier chapitre, j'ai une hypothöse k soumettre au jugement du lecteur.

Aprös avoir parld de certains ecclösiastiques „qui s'insinuent par un doux langage chez ceux qui se laissent gagner et s6duire, intimident ceux qui se laissent intimider, et dans un esprit de vengeance, suscitent des pers6cutions k ceux qui tiennent ferme dans ce qu'ils doivent k Dieu^, B^at de Muralt continue, en prolongeant sa pens6e comme un tonnerre qui gronde sans fin pendant des pages entiöres (II, pages 310 k 318): j'abr6ge, et je Gours aux traits les plus expressifs:

Contre ceux qui pers^cutent, coiitre ceux de Tordre politique et de Tordre eccl^siastique qui prennent goüt k dätruire l'CEuvre de Dieu dans ces derniers temps, Dieu se pr^pare un vengeur: il arme de sa colere et rend plus puissant qu'eux un Prince par qui son Bras se manifestera. Sa venue est une des choses terribles qui doivent 6tre annonc^es aux hommes. Ici, Monsieur, j'entre dans le fanatisme plus avant que je n*ai encore fait.

Le Prince dont je parle est celui de qui il est dit que Dieu Ta suscit^ du Septentrion, qui est le pays de sa naissance. Le Periode pour lequel ce Prince est pr^parä, celui le Soleil se l^ve sur ceux qui sont enfants du Jour, aura en sa personne un h^raut, qui hautement fera profession de d^pendre de Tlnt^rieur (Muralt, comme madame Guyon, fait un fr^quent emploi de ce mot) et qui commencera son r^gne par mettre en ex^oution ce que Dieu a prononc^. II marchera sur les Magistrats comme sur le mortier; comme un potier il foulera la boue. (En interpr^tant le verset d'fisaüe [XLI, 25] auquel il fait allusion, Muralt explique que les derniers mots du prophäte s'appliquent aux eccl^siastiques qui d^daignaient les pi^tistes.)

Cette venue est proche: 1' Esprit qui donne la connaissance des choses l'annonce comme teile. Je pourrais faire voir que nos temps demandent une r^volution, que rScriture la place dans le temps nous vivons; je pourrais dire des choses plus pr^cises encore. Je crois voir une r^yolution s'approcher, et je Tannonce,

6 Referate und Rezensionen. E. Ritler,

On se demande quel est le prioce que B^t de Muralt avait en vne? C^est un prince du Nord, et en 1739 soti av^ne- ment paraissait proohe: voilä les seales donnöes dn probl6me. n n'y a pas d'apparence qne Muralt pensät ä la Russie, soamise en ce temps k Fimp^ratrice Anne, k qui sncc^da, en octobre 1740, an enfant qui n'^tait pas n6 quand Mnralt ^erivait; ni A la Su6de, le roi Fr^d6ric P' entrait dans la seconde moiti6 d'un rögne inglorienx. En Danemark, k la ccmr du roi Christian VI, des pi^tifites tenaient lehautbont; et son fils, le ftitur Fr^d^rie V, avait dil-sept ans: est-ce ce jenne prince danois que Muralt avait en vne? Je crois plutdt que le gentilhomme bernois, qui 6cilvait ses r^veries k Colombier, dans la principaut6 de Neu- chätel, pensait au futur souverain du pays qui lui donnait asile. Fr6d6ric - Guillaume I", roi de Prusse et prince de Neuchätel, ^tait k la fin de sa vie: le prince royal, si peu semblable k son pöre, ^veillait beaucoup d'esp6ranoes ; et la Prasse elle^m^me avait de l'avenir. Les grands ^v6nements de l'histoire, au mo- memt ils se pr^parent, jettent dans Fesprit des hommes qui cfaerchent k discemer les signes des temps, une ombre proph^- tique qui les annonce, et qui les d^figure.

L'aitente de Mnralt a 6tö tromp^e, si, comme je la crois, l'imagination ezalt^e de Töminent songeur avait en vne le jeune prince qui allait devenir le grand Fr6d6ric. A-t-elle 6t6 tromp6e beaucoup plus qne celle de Voltaire qui, mieux que Murält, connaissait son auguate correspondant, et qui rSvait pour lui une carri^re tranquille, la vie d'un prince ami de la paix et des lettres? Qu'on relSse l'^pttre quMi adressait au roi de Prusse, äson av6nement:

Citoyen couronn^f vouß jurez dans mes malus De prot^ger les arts et d*aimer les humains . . , Socrate est sur le tröne . . .

Je ne sais si mon hypoth^se rencontrera Tassentiment du lecteur; mais on ne peut la combattre qu^en lui en ^ubstituant une autre: car Muralt avait certes quelqu'un en vue. Si cette hypothi&se ^tait adopt^e, eile tournerait k T^loge du vieux pi^tiste ; il a rSv6 un grand r61e pour le fils de son prince: il a rencontr^ juste, et prÄvu Tavenir, lors m^me que ce röle et cet avenir ont M tout autres qu'il ne pensait. Le philosophe de Sanssouci, le vainqueur de Rossbach ^urait souri de sa prophetie, s'il avait jet6 les yeux sur son livre; il ne lui en aurait pas voulu.

A ce que j'avais dit dans mon premier article, des eitations que Rousseau fait de Lettres sur les Anglcds et les FrangoiSy j'ajouterai quelques notes que j'ai glan^es depuis lors:

Dai^s une lettre de Deleyre ä Rousseau, du 2 novembre 1756, raou 4e Jean- Jacques promet de lui envoyer cet ouvrage de Muralt.

0; von Greierz, Beat Ludwig von Mttrali. 7

Dans la NouvdU Hüoise (partie V, 3* lettre)^ la descqptioi d'une matin^e k Tanglaise correspoAd k ce que dit Muralt aox pages 112 et 113 de sa premi^re Edition (vers Ia fin de ta IV« Lettre).

Dans une lettre k M. d'Offrevilley dat^e de Montmovency^ 4 oetobre 1761, Rous&eau, d'aprös Muralt (pages 137 et 138 de la premiöre Edition , vers la fin de la V* Lettre) döcrit la proc6dare des Jurys anglais en matiöre criminelle, et cite une anecdote frappante.

Dans l£miley note 26 du Livre second, Rousseau fait allu- sion k un passage de Muralt (page 112 de la premiöre Edition). G'est de cette note qu'il est question dans une lettre de Rousseau k madame de Bouffiers (aoüt 1762): „J'ai pris sur la nation anglaise une libert6 qu^elle ne pardonne k personne, et surtout aux ^trangers, c'est d'en dire le mal ainsi que le bien; et vous savez qu'il faut Stre buse pour aller vi vre en Aqgleterre, mal Youlu du peuple anglais. Je ne doute pas que mon demier livre ne m'y fasse d^tester, ne füt-ce qu'4 cause de ma note sur le gooäi nahired peopUf*^ et dans la r^ponse de madame de Bouffiers k Rousseau (10 septembre 1762): „Je ne sais pas en- core ce qu'on aura dit en Angleterre sur votre note sur le peuple anglais. On l'aura trouv^e iiguste^ et c'est aussi mon opinion; mais je suis persuad^e que les Anglais s'efforceront de vous donner sujet de changer d'avis. U n^est pas d'ailleurs vraisem- blable que dans un pays 11 est permis de tont dire, on seit fort choquö de vos Ubert^s«"

Bnfin, dans la cinquiöme des Lettves icfrites de la immtagne^ quand Rousseau a dit: „On sait combien de eonpabjes 6chappent en Angleterre k la faveur de la molndre distinction subtile dans les termes de la Loi^^, il faisait aUusion k un passage des Lettres sur les Anglais (vers le commencement de la Lettre IV, pages 120 4 122 de la premi^re Edition).

Page 37, M. de Greierz cite d'aprös moi ime Edition des Lettres sur les Anglois, publice par Charles Pongens en Tan VIII. Je ne Tai pas vue, et je Tai cit^e d^apr^s VIntermidiaire des cherckeurs et curieux (XIII, 693). Mais j'ai sous les yenx le second volume de cette Edition : Lettres de M, de Muralt sur les moBurs et le caradlre des Francis; nouveüe idition, abrigie et retouchie par un komme de lettves ^ et destinee spedalement ä Instruction de la jetinesse du XIX" si^cHe, 8e vend ä Faris, chez Charles Pougens; ä Leipssicy chez Adrien Teader; ä Mets^ chez JBekmer; et chez les prindpaux lihraires^ de tEuacope, Metz, de Vimprmerie de Behtner, An VIII (1800). La d^dicace m^rite d'etre cit6e: eile n'est pas seulement interessante pour les mural-

8 Referate ufid Rezensionen, A. Meiger,

tistes, qni constituent une espöce rare, comme on dit en botaniqae ; mais eile caractörise bien la renaissance intellectaelle qui eut lien en France au temps da Oonsulat, et les sentiments qni se faisaient jonr k ce moment chez les meilieurs esprits; eile a k ce titre une valeur vraiment historique:

A la Jennesse da XIX® si^cle.

Jeunes gens,

La r^volution fran^aise, en changeant toutes les Institution 8 sociales, vous a rendus comme ^trangers vos autears et vos peres. Plus s^par^B d^euz par un intervalle de dix ann^es qu'on ne Pest ordinairement par le laps de plnsienrs siäcles, ce n*est plus qiie par tradition que vous pouvez connaitre les moeurs et les usages en vigueur au temps de votre naiRsänce, quelque entour^s que vous soyez d'objets et d'ßtres contemporains a cette ^poque. Comme ces traditions ne vous sont gu^res prösent^es qu'au travers le prisme des passions, il vous est difficile de les voir sous leur vöritable jour. Combien serait pr^cieux, pour un orphelin qui n*a jamais connu ses parents, leur portrait trac^ avec la plus parfaite ressemblance ! C'est ce portrait que je vous ofiFire, portrait carac- täristique de la nation franpaise, et qui ressemble aussi parfaite- ment aux Fran^ais du r^gne de Louis XVI qu'a ceux du r^gne pr^c^deitt. En applaudissant k l'esprit d'impartialit^ de l'obser- vateur qui a fait ressortir finement jusqu'aux plus petites nuances, on a trouv^ toutefois le tableau plus severe que flatt^. Jeunes gens, je le mets sous vos yeux, moins comme un modele ä imiter en tout que comme une ätude: puisse-t-elle vous apprendre ä appr^cier vos päres, et k valoir encore plus qu'eux!

Depuis r^poqne Charles Pougens 6crivait cette page enthonsiaste, cette esp6ce de proclamation, Muralt n'a pas troav6 d'öditeür en France. A vrai dire, les Lettres sur les Anglois et les Frangoisy semblables k cet 6gard k quelques -unes deQ Oeuvres de notre contemporain Karl Hillebrand, bien qu'^crites en langue fran^aise, sont tont imbues de Tesprit germanique. EUes ont ^tö adress6es par un Allemand k des Allemands: car les trait6s qui ont s^par^ la Suisse de TEmpire, n'ont pas touch6 aux liens du sang qui rattachent les Bemois aux races allemandes, et c'est k ses amis de Berne que Muralt les avait destin^es d'abord. II serait piquant, mais il serait juste que ce füt un ^diteur allemand qui r^alisät le vcßu de Sainte-Beüve : „On devrait bien r^imprimer ces Lettres de M. de Muralt; elles le m^ritent.^

Quoiqu'il en soit, la dissertation de M. Otto ,de Oreierz, qui est le fruit de consciencieuses recherches, bien conduites et couronn6es de r^ussite, a d^sormais sa place au premier rang des travaux qu'on a publi^s sur Muralt; et tous les amis de Faimable et p6p^trant moraliste doivent lui en etre reconnaissants.

EüGÄNE RiTTEB.

B. Morf, Aus der Geschichte des französischen Dramas. 9

Morf, H. Aus der Geschichte des französischen Dramas. Aka- demischer Vortrag, gehalten im Museum zu Bern am 11. Februar 1886. Heft 21 der Sammlung gemeinver- ständlicher wissenschafllicher Vorträge, herausgegeben von Rud. Virchow und Fr. v. Holtzendorf. Hamburg^ J. F. Richter. 1887. 38 S. kl. 8<^.

Eine sorgfältige Betrachtung der dramatischen Richtung des heutigen Frankreich, als deren Begrenzung V. Hugo's Hemani und Sardou's Theodor a genannt werden können, führt zu der Entdeckung, dass der Geist, der aus den Dramen Hemani und Thiodora spricht, der Geist der Mysterien vergangener Jahr- hunderte ist, d. h. dass das heutige Frankreich zu der romantischen Bühne des französischen Mittelalters zu- rückgekehrt ist. Um den Zusammenhang des heutigen fran- zösischen Dramas mit den alten Mysterien zu illustrieren, hat Morf die romantische Bühne des französischen Mittelalters in einem ihrer Anfange vorgeführt

Der Verfasser tritt für die massgebende Ansicht ein, dass das Schauspiel ein Kind der katholischen Kirche sei, und führt einen Sermo des heiligen Augustinus (den die Benediktiner freilich für. unecht erklären , trotzdem die mittelalterliche Kirche ihn für echt hielt) an, der in seiner dramatischen Handlung einen frucht- baren Keim enthielt: die Zahl der Propheten wurde vermehrt, einzelne Prophetenzeugnisse erweitert und sogar zu kleinen Szenen ausgebildet. Auch die Tendenz zu realistischer romantischer Darstellung ist schon vorhanden: der Prophet Bileam kam auf einer Eselin in das Chor der Kirche geritten, der König Nebu- kadnezar erscheint in prächtigem Schmuck, die drei Jünglinge werden in den bereitstehenden Ofen geworfen.

Durch die Weiterentwickelung einzelner Prophetenszenen bildeten sich selbständige Dramen heraus, unter denen das Daniel- drama einen hervorragenden Platz einnimmt. Die Inszenierung ist hier geradezu kompliziert geworden. Um 1100 zeigt sich das Bestreben, die Vulgärsprache, das Französische, in das Drapia einzuführen, und die Schauspiele mit den französischen Einschiebseln sind die sogenannten epttres fardes. Bald war das erste rein fran- zösische Schauspiel Adam vorhanden. Gegen Ende des 12. Jahr- hunderts verfasste Jehan Bodel aus Arras ein französisches Schauspiel, das weltliche Inspiration zulässt. Dies ist ein ro- mantisches Schauspiel (freilich ohne Einheit der Handlung). Jehan Bodel ist Laie und mit ihm geht das Kirch - Schauspiel vollständig in die Hände von Laien über und wird so zur na- tionalen Bühne, deren Erzeugnisse unter dem Namen MysÜres

\

10 Referate und Rezensionen. E. Koschwitz,

bekannt sindi Als dae GFoteak- Komische das Schauspiel des ehristtieheo Glaubens dem Gelächter preisgab, verbot ein Be- scblnss des Parlaments von Paris (17. November 1548) die Auf- führang' biblischer Mysterien.

Morf aeigt weiter, wie in dem Zeitalter der Renaissance das alte Drama neben der antiken Tragödie einherschritt und sich unter dem Namen Tragikomödie weiter entwickelt hat, be- rflhrt kurz die Stellung Comeille's und die dramatische Richtung des 11, Jahrhunderts und kemmt zu dem Drama der roman- tischen Schule, welche glaubte, durch die Verktlndigung des dra- maturgischen Prinzips (Victor Hugo's Cromwell) etwas Neues zu schaffen, die aber, ohne es zu wissen, nur das Priazip der na- tionalen Bühne des Mittelaltere wieder erneuert hat. Somit ist das national - religiöse Mysterium aus einem langen Kampfe mit der antiken Tragödie in verjüngter Gestalt als Sieger hervor- gegangen.

Der Vortrag bildet, so gedrängt er auch in bezug auf das 17. und 18. Jahrhundert ist, einen nicht ganz unwesentiiehen Bei- trag zur Gesehlehte des fi^anzösischen Dramas und vermehrt die genannte Sammlung um ein fruchtbringendes Spross.

A. MAaEB.

C^^dat, L«, Nouveüe Grammaire historique du frangais, Pads, 1889. Garnier. 279 S. 8^

Über die in seinem Buche befolgte Absicht gibt Clödat in einer kurzen Vorrede die folgende Auskunft: La präsente Oram- maire historique paH . . . de la langue modenu pour remaniar jusqu'aux origines. Je nigUge les particulariUs de Vandenne langue qm ont disparu »ans laisser de traces . . ., mais finsiste 8ur VexpUcaUon historique de toutes les rlgles de la grammaire moderne . . . J*ai essay4 de mettre ä la port6e de tous et de formuler aussi brh)ement qu*ü Statt possible les risuttats les plus certains et les plus vmportants des travaux contemporains sur les questions de phüologie fran^aise. Seinen Plan hat der Verfasser auch innegehalten. Nur darf man das toutes les r^gles de la grammcnre moderne nicht wörtlich nehmen ; eine solche Vollständig- keit würde sich mit dem Zwecke der Grammatik nicht vertragen haben. Auch hat sich Cl^dat nicht immer darauf beschränkt, in bündiger Kürze die Ergebnisse der neueren Forschung wieder- zugeben; in den syntaktischen Kapiteln finden sich auch durchaus selbständige Erörterungen, die den Charakter streng wissenschaft- licher Abhandlungen besitzen und darum zwar mit dem übrigen

L. Cledat^ NouveUe Grammaire historique du franfois, 11

Kontexte dishannonieren, dem Werke aber eben dadurch auch für solche Wert verleihen, die, auf der Höhe der heutigen Forschnng stehend, einer populären Darstellung derselben entbehren können.

Im ersten Teil (S. 1— 87( behandelt G16dat „die Laute und Buchstaben^. Voraus gehen einige allgemeine phonetische Be- trachtungen, die zwar nichts irrtümliches enthalten, aber dem Fach- phonetiker hier und dort schwerlich ausreichend erscheinen werden. So § 9 die Definition von son, Bei Betrachtung der französischen Vokale hätten in § 11 die Lautnuancen g und g^ cr und q gleich mit erwähnt und bei an^ ort, eun (ä, Ö, &) ihre genaue vokatische Färbung mit angegeben werden sollen. In den folgenden §§ wird allerdings das Fehlende zum Teil nachgeholt, aber der Verfasser begeht hier und noch öfter den Fehler, scheinbar eine Unacht- samkeit zu begehen, indem er etwas Erwähnenswertes nicht gleich beim ersten Male anführt, wo man es erwarten kann, sondern sich seine Behandlung für eine andere Oelegenheit aufspart. Es nimmt sich dies aus, als habe Cl^dat seine Kritiker absichtlich in Aufregung versetzen wollen, die bei solchen Gelegenheiten ihn auf einer Vergesslichkeit ertappt zu haben glauben, um einige §§ später belehrt zu werden, dass sie sich darin geirrt haben. §15^ wo die mit % gebildeten Halbdiphthongen zur Sprache kommen, werden ia und jfa, 2^, j(e, ip, icß, ic§ etc. nicht unter- schieden, die mit y bezeichneten jia, ie etc. ausser acht gelassen, und wird ihre Zahl beschränkt und werden echte Diphthongen aus dem Französischen ganz eliminiert dadurch, dass für er- weichtes l noch l als offizielle Aussprache anerkannt wird. Auch die verschiedenen orthographischen Darstellungen der mit ^ und ff gebildeter Halbdiphthonge sind nicht vollständig berücksichtigt. Man vergleiche die entsprechenden Abschnitte meiner Orammaük der neufranzösischen Schriftsprache, Über die Vokalquantität geht G16dat § 17 ausserordentlich kurz hinweg; gerade über sie hätte man von einem Franzosen von der Kompetenz des Ver- fassers gern Aufschluss erhalten. Satzakzent, rhetorischer Akzent und Tonhöhe kommen gar nicht zur Sprache.

Die Beschreibungen der französischen Konsonanten, S. 12 ff., sind mehrfach etwas gar zu kurz und darum ungenau ausgefallen. So namentlich die in §§ 25, 26, 30, 32 gegebenen. Das volare r hat Verfasser ganz übersehen, obgleich es im heutigen Fran- zösisch eine ao bedeutende Rolle spielt. Die Schilderung § 39: Le d latin s'est chang^ en n dans rendre de reddercy et nd s'est reduit k n dans prenant de prendentem ist den historischen Vorgängen nicht entsprechend: n vor d in rendere (woriaus rädr) ist unzweifelhaft epenthe tisch, und n für nd in prenant Auf ana-

12 Referate und Rezensionen, E, Koschwiiz,

logischem Wege eingfetreteD. Anch das volkstümliche drUüme für cinquihne 40) ist eine analogische Erscheinung und nicht organisch irgendwie zu begründen.

Mit grösserer Sicherheit als da, wo es sich um die Be- schreibung der modernen französischen Laute handelt, tritt Cl^dat in den Kapiteln auf, wo er die lateinischen Grundlagen des Französischen bespricht (die altgermanischen Elemente sind von ihm wohl absichtlich ausser Acht gelassen worden).^) Zum ersten Male wird hier in einer französischen Grammatik die Scheidung in haupt-, nebentonische und unbetonte Silben durchgeführt, die für die Sprachentwickelung von so hervorragender Bedeutung war, und werden auch die Pro- und Enklitika als Bestandteile von Lautworten aufgefasst und untergebracht. Dadurch, wie durch die Beachtung der Vokalstellung in offenen und ge- schlossenen Silben (in freier und gedeckter Stellung) gewinnt dieser Abschnitt einen Vorsprang vor allen früheren Darstellungen dieses Sprachkapitels, und hier, wie überhaupt in dem etymo- logischen Teile seiner Grammatik zeigt sich C16dat nicht nur auf das genaueste mit der neuesten Forschung vertraut, sondern auch für ihre kritische Benutzung auf das beste veranlagt. Es war nicht immer leicht, aus der Fülle des Materials das Gate und Sichere herauszuwählen und in elementarer Form wiederzugeben. Wir finden demgemäss nur unbedeutende Dinge zu urgieren. Die Definition § 69: üne voyelle est dite entravie lorsqu'elle est suivie de plusieurs consonnes cons6cutives, ist, wie auch der Verfasser weiss, ungenau, da Muta c. Liqu. den Vokal nicht decken. § 74 und vorher wäre eine ausdrückliche Scheidung von laminarem (mediopalatälem) und volarem lat. c, g wün- schenswert gewesen. § 83 mumm (prononc6 mourom) soll wohl heissen mourom' oder moüromey da om für den Franzosen = 5. Bei Aufzählung der Vokale befolgt C16dat die tradi- tionelle Reihenfolge; wissenschaftlicher ist es, vom tiefsten zum höchsten (u, o, a, e, i) aufzusteigen, oder umgekehrt, wobei zu- gleich ganz von selbst nahe verwandte Erscheinungen auch äusser- lich zusammentreten. § 95 und vorher in Worten wie m^eäleur, feignant fasst C16dat ei = ^ auf, während er sonst richtig i zu U und gn ^= I, n zieht. § 100 ist m>on = ein Lapsus; es soll heissen mon vor Vokal. § 116, S. 51 Z. 1 ist e long besser zu tilgen (vgl. Stella : itoüe), ebenso § 119. § 120 hätte man gern gehört, ob auch der Verfasser einen Quantitäts-

^) In Kapitel 3 über die französischen BucbBtaben fehlen § 58 Yi. a. f, ^, ^, ei^ und die Halbvokale; in rose, case befindet sich s (phon. z) vom rein lautlichen Standpunkte aus betrachtet natürlich nicht enire deux voyeües 68).

L. Cle'dai, Nouveüe Grammaire hisiorique du fran^is. 13

unterschied zwischen e^^e = afrz. esse und esse = afr. ece vernimmt.

§ 123 die Erklärung würde auch für ö passen. N darf nicht ohne folgenden Vokal (auch stummes e) stehen. § 135, S. 59 Z. 4: 'quand il (ie) termine le mot on qu'il est suivi d'une consonne non prononc^e'; auch im letzteren Falle endet ie das Wort; hier wie auch sonst einigemale (z. B. § 152, wo in une n lautlich nicht zwischen zwei Vokalen steht; s. auch oben zu § 63) hält G16dat Lautwort und Schriftwort nicht genügend von einander. Bei der traditionellen Gewohnheit, nur das Schriftbild ins Auge zu fassen, ist es in der That schwierig, nicht hin und wieder in diesen Fehler zu verfallen. § 146 Anm. ist in au XV' silcle XV wohl ein Druckversehen. Vgl. meine Grammatik S. 84. § 155. 'On ne voit pas bien, d'ailleurs, la raison de cette double prononciation' {an und ^ = agn und aign^ on und i^an = ogn, oign). Der Grund ist in analogischen Wirkungen zu suchen: plaigne nach plaindre, j eigne nach joindre etc., während montagne, charogne ohne solche Einwirkungen zur Entwickelung gelangten.

§ 158 ist in seinen Bestimmungen etwas ungenau; vgl. S. 74 ff. meiner Grammatik, § 164. La graphie ge(=' i) d^rive des formes anciennes telles que geuy participe pass6 de gisiry qui se pronon9ait jadis geU, et ge ^tait devenu le signe d'un simple g doux ist wohl nicht ganz richtig; schon vorher schrieb man mangea neben manja wie comencea für nfrz. comm£nga u. dgl.

§ 178 verdankt pie-t-ä-tere sein t doch nicht der 'euphonie', sondern der Analogie oder der Einwirkung des Schriftwortes auf die Aussprache, Auch in pouvoir 188) ist v schwerlich 'purement euphonique'.

In dem zweiten Teile, in dem (S. 89 142) die Wort- schöpfung (Ableitung, Zusammensetzung und Bedeutungswandel) behandelt werden, stützt sich der Verfasser insbesondere anf die Spezialuntersuchungen Darmesteter's (Mots nouveaux^ TraiU de la composüion und Vie des mots), aus denen er zugleich unter Be- nutzung auch der älteren Litteratur mit seinem gewöhnlichen Geschick das Wichtigste heraushebt. Ein böser Lapsus findet sich § 199, wo schottisch als ein polnisches Wort angeführt wird; doch ist C16dat der Irrtum nicht zu sehr zu verargen, da der französische schottisch in Deutschland Ecossaise benannt wird. Auch die in Anmerkung zu diesem § gegebene Erklärung, wie un houc a 6t^ chang6 en une sorte de chope ist schwerlich richtig; die Abkürzung „ein Bock'' für „ein Glas Bockbier'' hat durchaus deutsches Gepräge; der Commis voyageur, der das Wort nach Frankreich brachte, hat nur die Ausdehnung auf jede Art von Bier verschuldet. S. 93 wird sire als alter Nominativ zu seigneur hingestellt; richtiger gehört sire zu (monjsieur^ während

14 Referate und Rezensionen, E, Koschwiiz,

der Nominativ zu seigneur : sendre früh verloren ging. § 235 kanc man doch nicht allgemein sagen, das Italienische habe lat. c vor e, i in ch = $ umgebildet. Die § 267 adoptierte Ansicht Boucherie's, wonach in Worten wie parte-drapeau u. dgl. das erste Element ein Adjektiv vorstellen soll, dürfte nicht all- gemein als die 'vdritable explication' anerkannt werden. Vielleicht aber sind wir sachlich mit dem Verfasser einverstanden und er- regt nur seine Formulirung bei uns Anstoss. Die § 276 ge- gebenen Definitionen le savoir = ce qv!on aaii und Ze poüvoir = ce qu^on pevJt sind sicher zu eng. In § 291 hätten wir gem die gelehrten Ableitungen vom Stamme fac von den volks- tümlichen getrennt gruppiert gesehen.

Auch zu der Formenlehre (S. 143 200) haben wir nur minder bedeutsame Ausstellungen zu machen. § 293 würden wir für le == *lum ein lu(m) vorziehen, da lum zu Z5 geworden wäre. Erst musste ülum zu illo geworden sein, ehe in prokli- tischer Stellung ülo entstand. In den folgenden Abschnitten gibt. Cl6dat Flexionsregeln in der hergebrachten Form, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, wie sich die Dinge gestalten, wenn man vom Wortbilde absieht und nur die rein lautlichen Wort- körper ins Auge, oder richtiger ins Ohr fasst. Die Abweichungen sind, wie wir in unserer Neufranzösischen Formenlehre nach ihrem Lautstande gezeigt zu haben glauben, hin und wieder doch recht bedeutend und in einer, wenn auch nur propädeutisch, wissen- schaftliche Zwecke verfolgenden Grammatik in Zukunft nicht zu übergehen. Die Bindung eresse 298) in pecheresse wird wohl richtiger aus dem alten Nominativ pechere erklärt; Cl^dat geht vom Obliquus aus, dessen Suffix eur sich zu er geschwächt hätte, ehe es^e antrat. Hat in afrz. mute = miUia je ein I bestanden, wie Verfasser § 315 behauptet? Wir glauben nur an ein afrz. müie = müie und dann unter Einwirkung des Singular mdl§, § 322, S. 157 Z. 15 füge man nach pronom relatif ein: ou de la pr^position de ein. § 337 hätte erwähnt werden können, dass auch bei nous^ vous eine Scheidung in unbetontes nous^ vous und betoutes neus^ ,veus möglich gewesen wäre und nur unter analogischen Einflüssen unterblieben ist. § 364 ist die Be- ha.uptung, intervokalisches b in den Imperfekten sei 'd^s Torigine' gefallen, etwas einzuschränken. Das d6doublement de IV long final in der 2. Pf. asti (wofür astii) in § 370 erscheint uns zweifelhaft und bsauchte wohl nicht vor den anderen eia- schlägigen Erklärujigsversuchen bevorzugt zu werden. In IPve für liene ist nicht i, sondern ein i unterdrückt worden 377). § 387. Nur isc konnte vor hellem Vokal is(s) entwickeln,

L, Cledai, Nouveüe Grammaire hisiorique du fran^ais. 15

niobt auch isc, das eis, ois ergeben hätte. Dar hier bei^rocbene Lantvorgang ist wohl überhaupt etwas zu sumnuuriaeh behandelt.

Die meisten Schwierigkeiten hatte der Verfasser bei der Behandlung der 'Conjugaison morte' zu überwinden, bei der er sich erfolgreich bemüht hat, elementare und einfache Dar- stellung des neufranzösischen Bestandes und geschichtlich richtige Auffassung mit einander zu versöhnen. Dass «s auch ihm nicht gelungen ist, hier alle Klippen zu umsegeln, wird niemand Wunder nehmen. § 390, S. 185 liest man: La mouillure de Vn (in den Verben auf aindrey eindrej oindre) disparait aussi devant s et t). Das ist nicht ganz richtig; ai, ei^ oi vor n ent- standen für a, 6, o dadurch, dass die Erweichung von » vor Konsonant aufgegeben wurde, und ihr jf- Gehalt auf deu Voraus- gehenden Vokal überging. Die Erweichung ist also nicht ver- schwunden, ohne Spuren ihres einmaligen Vorhandenseins zu hinterlassen. In Widerspruch mit dem historischen Verhältnis ist ClMat geraten z. B. in § 400, wo man nicht sageu darf: Vu de la flexion (in r^solu =^ resolutus) a fait disparattre le v final; ebenso in § 401 bei Erklärung der Pc. Pf. sußiy hdf nuif und in § 403 bei Erklärung der Pc. Pf. «>, acquts^ pris, miß, § 427, Anm. 2 hätte man gern gehört, dass cUt seine Besonder- heit der Analogie zu soit (= sit) verdankt. § 429, Sollte nicht umgekehrt puisse eher dagewesen sein als jmsf

Im vierten Teile, der Syntax (S. 201—271) veriässt, wie schon erwähnt, der Verfasser den sonst in der Grammatik ein- genommenen Standpunkt. Mit Rücksicht auf seiiie Grammaire du vieux fran^ais hat er die uii veränderlichen Wortarten und die Wortstellung ganz übergangen; mit Unrecht, da seine N&rfnm- zösische Grammatik vielfach einen anderen Leserkreis finden wird| als jene. Artikel, Nomen und Pronomen sind nur skizzenhaft behandelt. Die Syntax des Verbums gibt hingegen einige wissen- schaftliche Abbandlungen Cl^dat's wieder, die von ihm vorher an den S. 211 abgeführten Stellen für sich veröffentlicht worden waren. Diese Studien sehen mehrfach von dem historischen Werden ab und geben auf spekulativem Wege des Verfassers persönliche Auffassungen des modernen Gebrauchs wieder, die, so anregend und Interesse erweckend sie sind, in seine Grammatik sich nicht recht hineinfUgeii wollen. Der Fachgelahrte wird sie gern hier wiederfinden. Besondere Beachtung verdienen dßs Verfassers Betrachtungen über die superkomponierten Tempora und die Consecutio temporum. Selbst da, wo des Verfassers Ansicht zum Wiederspruch reizt, bleibt seine Meinung wertvoll, weil sie ein zuverlässiges Zeugnis fttr das Sprachgefühl eiues feinfühlenden fr^mzösischen Zeitgenossen ablegt Deu S, 213

16 Referate und Rezensionen. E. Koschwiiz,

Z. 1 angenommenen Einflnss des lateinischen Supinums halten wir für unwahrscheinlich; dasselbe besass za wenig Lebenskraft, um in der angegebenen Weise wirken zu können. In seiner Analyse des Futurum exactum S. 225 f. lässt der Verfasser ausser Acht, dass, wie das einfache Futurum, so auch das Futurum exactum oft; in modaler Weise verwendet wird; weil jede in die Zukunft fallende Handlung unbestimmt ist, kann ein futurisches Tempus überhaupt zum Ausdruck der Unbestimmtheit dienen. Auch die Wirkungen der Attraktion werden hier und sonst nicht genügend berücksichtigt. 8. 237 bei der Besprechung des Kondizionale in Bedingungsnebensätzen scheint uns der Verfasser mit sich selbst in Widerspruch zu geraten, wenn er in ihneu die Bedingungen ausschliesslich durch die Konjunktion und nicht durch das Verbum ausgedrückt finden will, und in einer An- merkung dazu konstatiert, dass in Sätzen wie 'II serait ici qae j'agirais de mime' die Konjunktion ganz fehlen kann. Die wert- vollen Spezialuntersuchungen von Burgatzky, Thielmann und Vising scheinen dem Verfasser noch unbekannt geblieben zu sein.

Wir haben uns vorzugsweise bei Aufzählung derjenigen Punkte aufgehalten, wo wir dem Verfasser für eine sicher bald notwendig werdende neue Auflage Besserungen empfehlen wollten. Die Billigkeit erfordert, hinzuzufügen, dass wir noch weit mehr Stellen gefunden haben, wo wir selbst von dem Verfasser lernten und bedauern mussten, nicht schon für unsere Grammatik der neufranzö'sischen Schriftsprache aus seinem Buche Nutzen ziehen zu können. Das Werk C16dat's, in seiner Gesamtheit genommen, ist eine treffliche Leistung und zur Einführung in das wissen- schaftliche Studium der französischen Grammatik auf das beste geeignet. E. Ko schwitz.

Haase, A. Französische Syntax des XVJL Jahrhunderts, Oppeln, 1888. G. Maske. 287 8. 8^ Preis: 7,00 Mk.

Haase ist den Lesern der Zeitschrift durch seine früheren, von guten Kenntnissen, Selbständigkeit und Fleiss zeugenden Mo- nographien über Villehardouin und Joinville und über Pascal bekannt, und hat ihre Sympathien durch seine objektiven, mit gesundem Urteil und peinlicher Gewissenhaftigkeit verfassten Be- sprechungen der neueren syntaktischen Untersuchungen gewonnen. Nach jahrelanger, höchst mühsamer Vorbereitung, unter Opfern, die nur der würdigen kann, der in einer kleinen bücherarmen Provinzialstadt eine Arbeit ähnlicher Art unternommen hat, liess er das obengenannte Werk erscheinen, mit dem er gewisser-

J, Haasey Französische Syntax des XVIL Jahrhunderts. 17

massen den Abschluss seiner Vorstudien gibt, und in dem die Vorzüge, die seine früheren Arbeiten zeigten, in erhöhtem Grade hervortreten. Mit Bienenfleiss hat er aus dem Wüste der oft recht unergiebigen Dissertationslitteratur, die sich in den letzten Jahrzehnten mit Einzelfragen der Syntax oder mit der Syntax einzelner Autoren beschäftigt hat, das Brauchbare herans- gesammelt, hat er die schätzbaren grammatikalischen Beigaben der Ausgaben der Grands J^crivains de la France für sich exzer- piert und in seinem Werke verwendet, die grammatische fran- zösische Litteratur des 17. Jahrhunderts, soweit ihm erreichbar, durchforscht und verwertet und mit ausdauerndem Fleisse Au- toren selber gelesen und auf ihre Eigenheiten geprüft. Was er so in mühevoller Vorarbeit gefunden, hat er dann in bündigster Form in seinem Werke zusammengestellt, und soweit es der augen- blickliche Zustand unserer Kenntnis der geschichtlichen Sprach- entwickelung gestattet, in historischem Lichte vorgeführt. Selten wird man ihn auf einem Irrtum ertappen, nur wenige und minder wichtige Eigenheiten des syntaktischen Sprachgebrauchs des 17. Jahrhunderts sind ihm entgangen, und wo die historische Deutung fehlt, darf dieselbe entweder als allgemein bekannt an- genommen werden, oder gebot der gegenwärtige Wissenszustand eine Enthaltsamkeit, die einer voreiligen Deutung bei weitem vorzuziehen ist, und die dem bescheidenen Wesen des Verfassers auf das beste' ansteht. Sein Werk wird jedem Fachgelehrten treffliche Dienste leisten, der hier vereinigt findet, was ihm sonst nur in einer viel zersplitterten Einzellitteratur geboten war, und jedem Schulmanne, der Autoren des 17. Jahrhunderts zu edieren und zu kommentieren unternimmt, und der nun hier eine zuver- lässige Quelle für zu gebende Erläuterungen vorfindet. Es wird in hohem Grade dem Verfasser zu verdanken sein, wenn nun- mehr das oft recht niedrige Niveau der syntaktischen Erklärungen in unseren Schulausgaben auf einen höheren Stand gelangt.

Wo viel Licht ist, kann auch der Schatten nicht fehlen. Man findet bei dem Verfasser nichts von jener geistvollen Detail- arbeit, an die uns Tobler's syntaktische Aufsätze gewöhnt haben, von jener Miniaturmalerei, die auch das Kleinste nicht unbeachtet lässt und dadurch oft zu unerwarteten Aufschlüssen führt. Der Verfasser wirft auch keine neuen Gesichtspunkte in die syntak- tische Forschung hinein : die Fragen z. B., wie phonetische Sprach- erscheinungen auf die Syntax einwirkten, wie die Syntax der ge- sprochenen Sprache sich zu der, der geschriebenen verhält und verhielt, und wie vielfach nur durch Nichtberücksichtigung der Lautsprache spitzfindig ausgeklügelte Grammatikregeln ermöglicht wurden; wie weit sich dialektische Einflüsse auch in der Syntax

Zschr. f. frz. Spr. n. Litt. XI^. 2

18 Referate und Rezensionen. F. Kalepky,

zur Geltung brachten; wie die Macht der Analogie auch auf syn- taktischem Boden in weitem Umfange thätig war, sind von ihm entweder gar nicht gestellt oder kaum gestreift worden. Haase hat sich ausschliesslich auf dem Standpunkte eines nüchternen Sammlers gehalten, dem es an kritischer Begabung und reifem Urteil durchaus nicht gebricht; er hat aber nirgends den Zweck im Auge gehabt, nach irgend welcher Seite hin bahnbrechend vorzugehen. Darum darf man aber sein Werk nicht schmälern; es war zu einem solchen Vorgehen seiner ganzen Natur nach nicht geeignet, und geriet H. durch Aufwerfung neuer Fragen auf bisher unbetretene Bahnen, so lief er Gefahr, sich selbst um die Früchte seines Fleisses zu bringen. Aus dem von H. eingehaltenen Verfahren ist ihm also kein Vorwurf zu machen. Auch daraus nicht, dass er zu nennen unterliess, was nach seinen Untersuchungen im Sprachgebrauch des 17. Jahrhunderts mit dem des heutigen über- einstimmt. Ferner wäre es auch unbillig, zu verlangen, dass er jedesmal die einschlägige Litteratur zitierte, mochte er sich ihrer als Grundlage bedienen oder sich ablehnend gegen sie verhalten; derartige Quellenbeigaben gehören nur in Spezialuntersuchungen; dort allerdings sind sie mit mehr Gewissenhaftigkeit anzuwenden, als in neuerer Zeit üblich geworden ist, wo man nicht selten findet, dass, in Anfängerarbeiten und auch in anderen, nur das Schulhaupt und seine Schule zitiert werden, während die übrigen Schriftsteller nur mit Widerstreben, und wenn möglich, nur beim Bestreiten ihrer Ansichten genannt werden. Dagegen hätte H. eine einmalige Aufzählung der benutzten syntaktischen Litteratur nicht unterlassen sollen. Einen grossen und schweren Fehler hat er nur dadurch begangen, dass er die von ihm zitierten Stellen nur nach den Schriftstellern bezeichnete, ohne Werk, Ausgabe und Seitenzahl anzugeben. Dadurch ist eine genaue Kontrolle fast zur Unmöglichkeit geworden, und insbesondere der Leser ausser Stande gesetzt, sich zu überzeugen, ob nicht diese und jene Erscheinung durch den Versbau, durch den Zu- sammenhang zu erklären ist, auf welche Möglichkeiten der Ver- fasser nicht immer ausreichende Rücksicht genommen hat. Wir hoffen, dass dieser Hauptfehler des H.^schen Buches in einer zweiten Ausgabe, die wir mit Sicherheit erwarten, verschwinden wird, so viel Arbeit auch dadurch dem Verfasser entstehen mag.

E. EOSOHWITZ.

A. Schulze, Dei" altfranzösische direkte Fragesatz, 19

Schulze, Alfred, Der altfranzösiache direkte Fragesatz. Ein Beitrag zur Syntax des FVanzö'sischen, Leipzig, 1888. Hirzel. VUI, 271 S. 8«. Preis: 5 M.

Schon der Umstand, dass der Verfasser vorliegender Arbeit nicht selten das Neufranzösische vergleichend heranzieht, dürfte eine Besprechung derselben in dieser Zeitschrift rechtfertigen.^) Aber auch davon abgesehen ist diese syntaktische Studie wegen ihrer musterhaften Methode und nicht weniger wegen ihres Reich- tums an gesicherten Ergebnissen von solchem Werte, dass nicht dringend genug auf sie hingewiesen werden kann. Der Verfasser untersucht, nicht blos gelegentlich, sondern durchgehends, die sprachlichen Erscheinungen, mit denen er es zu thun hat, bis auf ihre letzten erreichbaren Grundlagen. Überall auf reichliches, dem gesamten Gebiet der altfranzösischen Litteratur entnommenes Material sich stützend, geht er auf die leisesten Unterschiede der den Sprachgebilden zugrunde liegenden Vorstellungen und Gedanken ein, weist er in anscheinend ganz unbedeutenden Modifikationen des sprachlichen Ausdrucks den Einfluss der die Rede begleitenden Affekte nach. Die gefundenen Gesetze, sowie seine auf den Zusammenhang zwischen den geistigen Vorgängen und ihrem sprachlichen Abbild bezüglichen Beobachtungen formu- liert er mit grosser Genauigkeit und Schärfe; doch macht die Gedrängtheit der Darstellung, das Streben nach lückenloser Aus- drucksweise bei dem abstrakten Charakter des Gegenstandes das Studium dieser Arbeit zu einem keineswegs leichten; nur wenige Abschnitte des Buches werden, wenn Referent von sich auf andere schliessen darf, beim ersten Anlauf genommen werden können: der grösste Teil erfordert ein ausdauerndes, gründliches Studium, das aber mit reichlicher Förderung lohnt. Soviel über die Arbeit im allgemeinen. Im Folgenden sollen im Rahmen einer knappen Analyse der Arbeit von ihren Ergebnissen vor- nehmlich diejenigen vorgeführt werden, welche das Verständnis des Neufranzösischen zu fördern geeignet sind.

Im Kapitel I: „Allgemeines über das Verhältnis des Fragenden zur Antwort" schafft sich der Verfasser eine sichere psychologische Basis für die Untersuchungen der nächsten Kapitel, indem er (nach einem Hinweis auf das Vorhandensein asserierender Elemente in beiden Hauptgattungen der Frage, den Bestätigungs- fragen und den Bestimmungsfragen) die verschiedenen Möglich- keiten der inneren Stellung des Redenden zu seiner Frage

^) Zur Zeit als Verfasser diese Zeilen schrieb, war die 2^chr. noch nicht zu einer Zschr, für franz. Spr. u. Litt, erweitert worden.

20 Referate und Rezensionen. F. Falepky,

charakterisiert and namentlich das besondere Wesen der soge- nannten ,,Jafragen^ eingehend untersucht und Überzeugend dar* legt. Daran schliesst sich eine Erörterung des Begriffes der Fragepartikeln, welche Bezeichnung Schulze, im Widerspruch zu Imme, auf solche Wörter beschränkt wissen will, deren Form oder Funktion in Fragesätzen eine eigenartige ist.

Kapitel II beschäftigt sich mit den negierten Fragen im Altfranzösischen. Schulze sucht die Funktion der sogenannten Füllwörter pas^ mie, point festzustellen und liefert den Nachweis, dass das Altfranzösische nicht nur denjenigen Unterschied, welcher im Neufranzösischen zwischen der Verwendung von pas und point in verneinten Fragen besteht (Lücking, Franz, Schulgr,^ § 393), nicht kennt, sondern die Füllwörter in Fragen jeder Art ganz entbehren kann. Wo sie gesetzt werden und dies ist also ihr ursprünglicher, im Neufranzösischen verdunkelter Sinn da drücken sie der Frage den Stempel des Bescheidenen, Höflichen auf, nämlich dadurch, dass sie dem Angeredeten zu verstehen geben, es komme das durch das Yerbum zum Ausdruck Gebrachte nur in ganz kleinem Umfange in Betracht. Dieser Auffassung der Funktion der Füllwörter fügen sich, nach Schulzens Ansicht, auch eine grosse Anzahl der neufranzösischen mit ne-point negierten direkten Fragen.

Das Kapitel III: „Fragen mit pas oder point ohne ne^ gewährt erwünschte Aufklärung über diejenigen Sätze, in welchen nach modernem Sprachgefühl ein pas oder point allein, ohne 716, zur Negierung ausreichend erscheint. Direkte Fragesätze dieser Art finden sich in älterem Neufranzösisch häufig, und noch heute treten in der Sprache der ungebildeten Volksschichten (auch, wie man hinzufügen darf, in zwangloser Rede bei Gre- bildeten) die Füllwörter der Negation in asserierenden Sätzen selbständig negierend auf. Schulze legt überzeugend dar, wie es zu dieser offenbaren Verwirrung des Sprachgefühls gekommen ist. Im Altfranzösischen nämlich finden sich zahlreich direkte Fragen mit point ohne ne (später auch mit pas ohne ne), in denen point und pas^ weit entfernt die Frage zu verneinen, ledig- lich die in Kapitel II nachgewiesene Funktion haben, der Frage ein höfliches, bescheidenes Gepräge zu verleihen. Ganz dieselbe Wirkung wird aber, wie Schulze in Kapitel I dargethan, auch durch Hinzufttgung der Verneinung, also im Altfranzösischen durch Hinzufügung von ney oder auch von ne mit pas beziehungs- weise point erzielt, so dass man im Altfranzösischen in der Lage war, beispielsweise den Satz: „Wisset Ihr?" auf viererlei Weise auszudrücken: 1) durch savez (vousjf und ferner, mit dem Cha- rakter des Höflichen, 2) durch ne savez (vous)f 3) durch savez

A, Schulze, Der altfranzösische direkte Fragesatz, 21

(vous) poirUf 4) durch ne aavez (vous) pointf Es war nun natürlich, dass das NebeneiDanderbestehen dieser verschiedenen Ausdracksweisen für den nämlichen Gedanken, und namentlich das Zusammengehen von savez pointf und ne aavez pointf das Gefühl von der Entbehrlichkeit der Negation ne für direkte Fragen wachrief and schliesslich in beschränktem umfange dazu führte, auch in Assertionen die Füllwörter mit negierender Kraft zu ver- wenden. Wie Vangelas diese sprachliche Angelegenheit ansah, und welche Schwierigkeiten sie noch Corneille bereitete, möge man bei Schulze (S. 30) selbst nachlesen.

In Kapitel IV, welches den altfranzösischen Fragepartikeln e^, enne, si, donc, donc + nc, oref bten^ oder, wie Tobler zu sagen vorschlägt, der Verwendung gewisser Partikeln zur Ein- führung von Fragen gewidmet ist, bietet sich dem Verfasser verhältnismässig wenig Gelegenheit, auf das Neufranzösische ein- zugehen. — Dass auch das Neufranzösische die Konjunktion et in eigentümlicher Weise zur Einleitung direkter Fragen verwendet, möge folgendes Beispiel zeigen: [J^lhye] MaiSy Monsieur^ qu'est-ce que votdait donc dire Pierre^ le cocher de la damef [Mattre] Et qu^est-ce que disait Pierre^ (P. Bert, Instruction civique, p. 12.) Mir scheint diese Verwendung von d derjenigen altfranzösischen gleich zu sein, für die Schulze in § 37 Beispiele gesammelt und in § 38 die zutreffende Erklärung gegeben hat Das Eigen- tümliche der Verwendung von et im Vergleich mit der ähnlich gebrauchter Fragepartikeln findet Schulze darin, dass durch et, indem es die Frage an Vorhergehendes anknüpft, angedeutet werde, sie finde ihre Berechtigung lediglich in diesem Vorher- gehenden, für dessen Thatsächlichkeit der Fragende, indem er sich der Anknüpfung durch et bedient, die Verantwortlichkeit ablehnt. Aus dieser Verwendung lassen sich die übrigen Ver- wendungen von etj welche Schulze feststellt, leicht begreifen. Bei der Behandlung der Zeitpartikel donc gedenkt Schulze auch der Verwendung derselben in neufranzösischen Fragesätzen, wie z. B. donc est Catherine f (Erckmann-Chatrian, Waterloo, p.l88) und stellt auf Grund eingehender Prüfung des älteren Sprach- gebrauches die Ansicht auf, dass die Beifügung dieses donc auf dem Wunsche des Fragenden beruht, den Schein zu erwecken, als ergebe sich die Frage ungezwungen, ja mit Notwendigkeit, aus Vorhergehendem, und sei nicht etwa durch blosse Wiss- begierde veranlasst. Noch ist aus diesem umfangreichen Kapitel der § 104 hervorzuheben (bien als Fragepartikel im Neufranzösischen), wo Schulze nachweist, dass die von Littr6 unter bien adv. 4) gegebene Begriffsbestimmung für die richtige Auffassung vieler neufranzösischer Beispiele nicht genüge^ viel-

22 Referate und Rezensionen. Kalepky,

mehr in ihnen hien nach altfranz&sischer Weise verwendet er- scheine, um der Frage einen höflichen oder ironisch höflichen Charakter zu verleihen.

Kapitel V handelt von der Erweiterung des Fragesatzes durch estrey welchen Gegenstand Schulze unter steter Vergleichung des Neufranzösischen behandelt. Die hauptsächlichen Ergebnisse dieses Kapitels sind folgende. Zunächst die Bestimmungsfragen. Während im Neufranzösischen die erweiternde Umschreibung mit dem einfachen Pronomen gleichwertig ist (was sich daraus er- gibt, dass das Verbum substantivum in den meisten Fällen nicht mehr mit dem Verbum des folgenden Relativ- oder Konjunktional- satzes im Tempus kongruieren darf, sowie auch daraus, dass fSr den Nominativ des neutralen Interrogativpronomens die Um- schreibung obligatorisch ist), war man sich im Altfranzösischen des sachlichen Unterschiedes zwischen beiden Ausdrucksweisen noch wohl bewusst. So wird z. B. die Erweiterung qui est-ce qui (welche eigentlich nicht Angabe des Subjekts, sondern eine Aussage über die durch den folgenden Relativsatz bezeichnete Person verlangt) nur in solchen Fällen angewendet, wo ein her- vorragendes Interesse an der mit qui bezeichneten Person deut- lich erkennbar ist. Im Ganzen genommen finden sich die im Neufranzösischen gebräuchlichen Ei-weiterungen der Frage auch im Altfranzösischen; doch scheint letzterem diejenige Art der Umschreibung zu mangeln, welche ein neufranzösischer Satz von der Form: De qui est-ce que vous parlezf zeigt. Im Altfranzösi- schen sagte man: Qui est de cui vo$ parlezf Andererseits besitzt das Altfranzösische viele ihm ausschliesslich eigene Er- weiterungen des direkten Fragesatzes. Was nun die Be- stätigungsfragen anlangt, so treten die mit est-ce que einge- leiteten Fragen bis zum Ende des 14. Jahrhunderts noch nicht auf; doch kennt das Altfranzösische bereits diejenige Erweiterung der Frage, durch welche ein Satzglied, dem ein besonderes Interesse anhaftet, in prädikative Stellung zu estre und dem formalen Subjekt ce gebracht wird, wobei das, was den unerweiterten Satz aus- machen würde, als Relativ- oder als Konjunktionalsatz folgt, z. B. y^Es'tu go qui parolesf ähnlich dem neufranzösischen: Est'ce toi qui partes f Interessant ist, dass sich die für das Neufranzösische so charakteristische prädikative Verwendung explikativer Relativsätze, wie sie etwa der Satz „Le voilä qui vient^*" zeigt, altfranzösisch auch was neufranzösisch unmöglich wäre in der Frage findet, dergestalt, dass der altfranzösisch6 Satz : Est'ce mon phre qui €a battuf nicht etwa das bedeutet, was er im Neufranzösischen bedeuten würde, sondern vielmehr den Sinn eines neufranzösischen: Est-ce que mon plre €a battuf hat.

A, Schulze, Der altfranzösische direkte Fragesatz» 23

Kapitel VI hat die Tempora und Modi zum Gegenstände, soweit ihr Gebrauch im altfranzösischen direkten Fragesatze ein eigenartiger ist. Bei Besprechung des sogenannten jussiven Futurums weist Schulze aus Anlass der nicht ganz zutreffenden Fassung der bezüglichen Regel bei Lticking (Franz. Schtdgramm^ § 295, 2) darauf hin, dass diese Verwendung des Futurs im direkten Fragesätze alt- wie neufranzösisch nur in der 1. und 3. Person möglich sei. Nachdem er im ersten Abschnitt einige dem Altfranzösischen eigentümliche Verwendungen des Futurs erörtert hat, behandelt er im zweiten Abschnitt das Präteritum Futuri, in welchem Tempus er, entgegen der von Burgatzki und Klapperich vertretenen Ansicht, lediglich einen Ersatz für einen von der Sprache nicht ausgeprägten Modus der Nichtwirklichkeit sieht, dessen Verwendung durchaus nicht von der Verknlipfting mit einem (ausgesprochenen oder verschwiegenen) Bedingungssatze abhängig sei. Indem Schulze in Aussicht stellt, auf diesen Punkt am anderen Orte ausführlicher einzugehen, führt er die Untersuchung über den Gebrauch des Präteritum Futuri von seinem soeben kurz gekennzeichneten Standpunkte aus mit einem Erfolge, der für die Richtigkeit desselben zu sprechen scheint. Der dritte Abschnitt ist dem Gebrauch des Konjunktivs im altfranzösischen direkten Fragesatze gewidmet. Aus diesem Abschnitt wollen wir ein wegen der Ähnlichkeit mit dem Ver- fahren der englischen Sprache interessantes Beispiel herausheben: jfComment autrement peust ü Avoir eschapi du pirü Qua ja passSf^ (Mir, ND.^ XXIV 690). Den im Neufranzösischen so beliebten Gebrauch des reinen Infinitivs in direkten Fragesätzen weist Schulze im vierten Abschnitt dieses Kapitels auch für das Altfranzösische nach und sieht die Erklärung für die in Rede stehende Erscheinung darin, dass dem Geiste des Redenden, indem er sich des Infinitivs bedient, nur der Thätigkeitsbegriff des Verbums, ohne die Vorstellung einer demselben zum Träger dienenden Person, vorschwebt, eine in ihrer Einfachheit völlig gentigeleistende Erklärung, die vor den von Diez (III® 222) und von Lücking 382) gegebenen Erklärungen meines Erachtens den Vorzug verdient.

Im Kapitel VII „Indirekte Frage an Stelle der direkten" knüpft Schulze an das von Tobler (Beiträge S. 56) über diesen Gegenstand Gesagte an und bringt ausser zahlreichen neuen Beispielen der beregten Erscheinung auch solche Beispiele bei, welche das Gegenbild derselben darstellen, nämlich Beispiele von indirekter Frage in der Form direkter. Aus dem Gebiete des Neufranzösischen gehört hierher Moliöre (MM. m. Z., III 2): ^11 faut voir de quoy est-ce qu^eUe est malade^ wo die Verwendung

24 Referate und Rezensionen. F. Kiüepky,

der oraUo recta anstelle der oratio obliqua sich wohl kaum anders als aus der Lebhaftigkeit der Bede erklärt

Aus Kapitel VIII „Dilemmatische Fragen'' verdient an dieser Stelle mitgeteilt zu werden, dass das Altfranzösische in Ent- scheidungsfragen, die mit lequel eingeleitet sind, noch fast gamicht das unlogische de vor den zur Wahl gestellten Satzgliedern auf- weist, welches dem Neufranzösischen kaum noch entbehrlich ist und dessen zutreffende Erklärung Lücking 252 A.) ge- geben hat.

Kapitel IX handelt von den Wiederholungsfragen im Alt- französischen. Dieselben können hervorgerufen sein durch eine Mitteilung, oder durch eine Aufforderung, oder drittens durch eine Frage. Gelegentlich der Behandlung des zweiten Falles stellt Schulze das Verfahren der altfranzösischen Sprache dem des Neufranzösischen gegenüber. Danach kann im Neufranzösischen einer Aufforderung wie z. B, Rends-moi la charte! eine Wieder- holnngsfrage in dreifacher Form entsprechen, entweder : Moi^ que je V0U8 la rendel (nicht la vous^ wie in § 177 aus Versehen dreimal steht), oder: Je vous la rendraisf oder: Mdf vous la rendref Die erste und die dritte Form der Wiederholungs- frage kennt auch das Altfranzösische; der zweiten Form würde im Altfranzösischen am nächsten eine Wiederholungsfrage mit jussivem Futurum kommen: Je votis la (oder la vous) rendraif Ausserdem aber kann das Altfranzösische noch mit blossem Kon- junktiv sagen: Je vous la rendef was neufranzösisch nicht mehr angeht. Wiederholungsfragen, welche durch eine Frage ver- anlasst werden, nehmen altfranzösisch wie neufranzösisch die Form der indirekten Frage an; nur ein abweichendes alt^an- zösisches Beispiel ist Schulze begegnet: La dame li demanda Kl Chevaliers estoit, Qui est ü, damef en non Did, on le doü bien noumer, (Th, fr, 420.)

Das den ursprünglichen Ausgangspunkt der Arbeit bildende Kapitel X „Die Wortstellung im altÄ^anzösischen Fragesatze'' (S. 157 245), welches in seinem ersten Abschnitt über die Frage- und Aussageform im altfranzösischen Hauptsatze handelt, ist für dieses Gebiet der Syntax von solcher Wichtigkeit, dass es eine besondere, ausführliche Besprechung verdient Ein näheres Eingehen auf dasselbe würde indes die Grenzen dieser An- zeige zu weit überschreiten. Hier sei nur angeführt, dass Schulze, unter Berufung auf Tobler's Vorlesungen, bei der von ihm ver- suchten tieferen Begründung der Gesetze der Wortstellung eine neue oder wenigstens der herkömmlichen Grammatik nicht ge- läufige Kategorie, die des logischen Subjektes (logisch im eigent- lichen Sinne des Wortes) einführt. Schulze nennt nämlich

A. Schulze, Der altfranzösische direkte Fragesatz. 25

logisches Subjekt dasjenige, inbezug worauf eine Aussage gethan werden soll, dasjenige, was die Grundlage, den Ausgangspunkt der Aussage bildet und nicht immer identisch ist mit dem Seienden, welches als Träger des durch das Verbum finitum zum Ausdruck Gebrachten erscheint. So ist z. B. in dem eine direkte Rede einleitenden Satze Dist OUviers (welcher unter Umständen etwas ganz anderes besagt, als es der Satz „OUviers dist'"'' thun wtlrde) das logische Subjekt in der mit dist verknüpften Vorstellung zu sehen; nicht von OUviers geht die Aussage aus, es wird nicht das dist von OUviers prädiziert, sondern dist ist das Gegebene und OUviers das prädizierte: das Sagen geschah durch Olivier, der Sagende war Olivier. Diese manchem vielleicht im ersten Augenblicke befremdlich erscheinende, aber logisch unanfechtbare, fUr die Lehre von der Wortstellung äusserst fruchtbare Be- trachtungsweise setzt Schulze in stand, die sehr mannigfaltigen Erscheinungen in der Wortstellung altfranzösischer Sätze unter wenige einfache Gesichtspunkte zu begreifen und so dieses wichtige Kapitel der Syntax, dem in den letzten Jahren so viele Spezialuntersuchungen gewidmet worden sind, zu einem gewissen Abschlüsse zu bringen. Im zweiten Abschnitte dieses Kapitels untersucht Schulze die Stellung der einzelnen Satzglieder im direkten Fragesatze. Abweichend vom Neufranzösischen trat in der altfranzösischen Bestätigungsfrage das Subjekt noch regel- mässig hinter das Verbum; daneben aber zeigt sich auch schon und greift immer mehr um sich die im Neufranzösischen zur Regel gewordene Anakoluthie, vermöge deren das Subjekt dem Fragesatze in absoluter Weise vorantritt, um dann innerhalb des- selben hinter dem Verbum durch das ihm zukommende Personal- pronomen wieder aufgenommen zu werden. Ebenso ist bei alt- französischen Bestätigungsfragen einfache Inversion auch eines betonten Subjekts die Regel ; von dem neufranzösischen Verfahren, demgemäss ein betontes Subjekt zwischen Fragewort und Verbum tritt, ist dem Verfasser, abgesehen von einem einzigen, von Tobler beigebrachten Beispiele, keine Spur begegnet. Im dritten Abschnitt dieses Kapitels bespricht Schulze die ,,Frage in Aus- sageform" und schliesslich die der altfranzösischen Sprache zum Ausdruck unseres „nicht wahr?" dienenden Mittel.

Den Schluss des Werkes bildet ein Anhang, in welchem Schulze die Beantwortung der Frage im Altfranzösischen be- handelt. Auch dieser Anhang birgt eine Fülle interessanter Beobachtungen, so über Entstehung und Verwendung der alt- französischen Bejahungs- und Verneinungspartikeln, bei welcher Gelegenheit Schulze das von Perle für modern erklärte je dis que non auch für das Altfranzösische nachweist, so femer über

26 Referate und Rezensionen. F, Pakscher,

die Antwort, welche durch Wiederholung des in Frage gestellten zustande kommt, bei welcher Gelegenheit Schulze erwünschte Aufklärung über das neufranzösische st fait gibt, so über Be- kräftigung der Antwort und über korrigierende Antworten im Altiranzösischen.

Hiermit sind wir zum Schluss der Arbeit gelangt. Die vor- stehende Analyse, welche sich auf Hervorhebung des allgemeiner Interessierenden, speziell des die neufranzösische Sprache Be- treffenden beschränken musste, gibt nur eine unvollkommene Vorstellung von dem Reichtum dieser Schrift an feinen sprach- lichen Beobachtungen und namentlich von der Förderung, welche die Kenntnis des Alt französischen durch dieselbe erfährt. Hat doch, um nur eines zu erwähnen, der Verfasser teils auf Grund der Resultate seiner den altfranzösischen Fragesatz be- treffenden Untersuchungen, teils ganz beiläufig, weit über 100 altfranzösische Textstellen emendiert (ungerechnet Herstellung richtiger Flexion in den angezogenen Beispielen). Neben solchen Vorzügen treten die Mängel der Arbeit, die sich lediglich auf geringfügige Einzelheiten erstrecken, völlig zurück. An Druck- fehlern sind mir aufgefallen S. 21 Z. 9 luis statt Ivi'^ S. 22 Z. 7 V. u. wollen statt können; S. 40 Z. 10 te statt et Störender ist S. 101 Z. 18 das Fehlen des Wortes „andersgeartete" hinter „wenn*^; S. 99 Z. 7 das Fehlen von „es" hinter „ist**. Andere Druckfehler, wie S. 248 Z. 10 „Verneigungspartikeln** werden niemand irre machen. Der Schluss von § 7 würde verständ- licher sein, wenn er lautete: „Und so erklärt sich auch hier des Fragenden Interesse, durch Hervorrufung einer nicht bestätigenden Antwort zu erweisen, dass der Gefragte ihm gegenüber im Un- recht sei und er, der Fragende, nicht Ursache habe, seine Auf- fassung zu ändern. ** Der Schluss von § 29 scheint mir mit den Ausführungen des § 9 in Widerspruch zu stehen, insofern als hier eine negative Frage, dort aber eine positive Frage als das zweckdienlichste Mittel zur Erlangung einer möglichst energischen Bestätigung des Gefragten hingestellt wird. Der Anfang des § 33 wird zu lauten haben: ,,Da die Frage nicht, wie die Assertion, dem vorstellenden Geiste einen objektiv fass- lichen Inhalt bietet" u. s. w. Auf Anderes, Wichtigeres, hat Tobler in seiner Anzeige der Arbeit (Lüteraüirblatt ßir germanische und romanische Philologie, Juli 1888) aufmerksam gemacht, auf welche Anzeige hiermit noch ausdrücklich hingewiesen sei.

F. Kalepkt.

^.

E. Seelmann, Bibliographie des altfranzösischen Rolandsliedes. 27

eelmann, Emil, Bibliographie des altfranzösischen Rolandsliedes. Heilbronn, 1888. Gebr. Henninger. 113 S. 8^ M. 4,80.

Diese Schrift gibt einen handgreiflichen Beweis davon, welchen Aufschwung die -RoZawcZforschung in den letzten beiden Jahrzehnten genommen hat. Der Verfasser war von der Verlags- buchhandlung aufgefordert worden, von dem Werkchen Joseph Bauquier's, Bibliographie de la chanson de Roland ^ Heilbronn, 1877, eine neue, ergänzte Ausgabe zn veranstalten, und sah sich genötigt, dasselbe durch ein ziemlich umfangreiches Buch zu ersetzen. Der grössere Umfang ist allerdings auch dadurch zu- stande gekommen, dass der Verfasser sich nicht mit dem Nach- trag der inzwischen erschienenen Schriften begnügt hat, sondern auch, durch die reiche Göttinger Bibliothek unterstützt, dem älteren Teile eine ganz andere Vollständigkeit gegeben hat, als seinem mit ungenügenden Hilfsmitteln ausgerüsteten Vorgänger möglich gewesen war. Wir können ihm in dieser Beziehung volles Lob aussprechen; es ist uns nicht gelungen, irgend eine Lücke zu entdecken, und die Kenntnis einiger versteckter, allerdings wenig wertvoller Abhandlungen verdanken wir sogar erst seinem Buche. Im Prinzip hat er die systematische Anordnung Bauquier's bei- behalten, aber das reichere Material machte eine häufigere Glie- derung desselben notwendig. Er zerlegte es zunächst in drei Hauptabschnitte, die je mehrere Unterabteilungen umfassen. A. Das Denkmal und seine Überlieferung verzeichnet die Handschriften nebst den Abdrücken, die sie erfahren haben, die Ausgaben und die Übersetzungen. In dem Anhang dazu werden die dem Roland nahestehenden Litteraturdenkmale aufgeführt, also der Turpin in seinen verschiedenen Gestalten, das carmen de prodiaione Ghienonis, das deutsche Rolandslied und die Kaiser- Chronik, die englischen, niederländischen, nordischen und, was besonders verdienstlich ist, auch die spanischen und italienischen Bearbeitungen. Bei den (B.) historisch-litterarischen Ar- beiten werden sechs Gattungen unterschieden, wodurch die Über- sichtlichkeit bedeutend erleichtert wird. Die Überschriften sind gut gewählt, mit Ausnahme der letzten „Kulturgeschichtliches (Volkskunde)", wofür vielleicht passender „Sitten und Kleidung" gesagt worden wäre. In der dritten Abteilung C. Linguistische Arbeiten werden ausser den eigentlich grammatischen mit Recht auch die über Metrik und Lexikographie aufgeführt, dagegen, nach unserer Ansicht, irrtümlich, die über Textkritik, welche in den zweiten Hauptabschnitt gehören. Innerhalb der einzelnen Kapitel ist die Anordnung, wie bei Bauquier, chronologisch«

28 Referate und Rezensionen. A. Pakscher,

Dass die Titel mit erschöpfender Genauigkeit wiedergegeben werden, Hess sich bei dem Berufe des Verfassers erwarten, der in der umfangreichen Vorrede auch von der grossen Mühe spricht, welche das Herbeischaffen schlecht zitierter Bücher verursacht, und die oft mit dem, was sie bieten, in keinem Verhältnisse steht. Solche Enttäuschungen werden dem, der dies Nachschlage- buch benutzt, erspart bleiben. Des Verfassers Streben ist darauf gerichtet gewesen, die Bücher möglichst selbst in die Hand zu bekommen. Es ist ihm dies bei der grössten Anzahl gelungen und er hat dies jedesmal durch ein beigesetztes Sternchen an- gegeben. Zugleich hat er bei Schriften, die in verschiedenen Ausgaben erschienen sind, wie besonders Dissertationen, er- mittelt, inwieweit dieselben mit einander übereinstimmen. Dem Titel folgen häufig die Angaben über Besprechungen, welche das betreffende Buch erfahren hat; bei einer Reihe von Nummern wird auch der Inhalt ausführlicher angegeben, und zwar einer- seits bei sehr umfangreichen Werken, andererseits bei kleinen, aber schwer erreichbaren Schriften. Ja, ausnahmsweise hat S. sogar die Grenzen seines Programms überschritten, z. B. S. 73, wo er auf die Deutungen des aoi, und S. 53, wo er auf die ver- schiedenen Ansichten über die Repetitionsstrophen eingeht, aber diese kurzen Auszüge sind mit Geschick gemacht, und, da sie Arbeit ersparen, dankenswert. Den letzten Teil der Schrift bildet ein sehr ausführlicher alphabetischer Index (S. 81 113). Dieser scheint uns besonders gelungen zu sein. Man findet z. B. in ihm unter den Stichwörtern der Zeitschriften alle einschlägigen Artikel übersichtlich geordnet. Ferner wird der Übelstand, der sich aus der detaillierten Einteilung des Textes ergab, dass nämlich dasselbe Buch manchmal in verschiedenen Kapiteln zitiert werden musste, in dem Register dadurch völlig ausgeglichen, dass hier unter dem Namen des Verfassers seine sämtlichen Arbeiten und die Seiten, auf denen ihrer Erwähnung geschieht, zusammen- gestellt sind. Wir können abschliessend unser Urteil dahin zu- sammenfassen, dass wir es mit einem Nachschlagebuch zu thun haben, das an praktischer Einrichtung und sorgfältiger Aus- führung kaum übertroffen werden kann, und das nur den Wunsch erweckt, auch für andere Gebiete der romanischen Philologie ähnliche Hilfsmittel zu besitzen.

Ausserdem bietet das Buch noch den Vorteil, dass man durch dasselbe leicht Überblicken kann, welchen Gang die Roland- forschung eingeschlagen hat. Der Gesichtspunkt, von dem aus man zuerst an das Rolandslied herantrat, war der litterar- historische. Wegen der Ansichten der Pasquier, Fauchet und anderer Männer des 16. bis 18. Jahrhunderts, die sich nur ver-

E, Seelmann, Bibliographie des allfranzösischen RolandsUedes, 29

matungsweise über das damals noch nicht anfgefundene Rolands- lied äussern konnten, bezieht sich S. anf Gautier's JapopSes fran- gaises und nennt dann einige Schriften aus dem Anfange unseres Jahrhunderts. Dabei wird eine Stelle aus Ritson, Äncient English metrical romances (1802) wiedergegeben , die für die damalige Zeit Anerkennung verdient, r)^^ ^^^^ chanson de Roland was, unquestionahlyy a metrical romance, of great length, upon the fatal battle of Ronceveaux; of which TaiUefer orUy chanted a part.^ Erst in den 30er Jahren wurden die altfranzösischen Epen Gegen- stand eingehender litterarhistorischer Betrachtungen. Eine solche widmete dem Roland 1832 Henri Monin, dann kamen noch im selben und im folgenden Jahre Raynouard, Francisque Michel, ühland und Ferdinand Wolf zum Wort. Nachdem schon 1774 Tyrwhitt gelegentlich der Erklärung des bei Chaucer vorkommenden Namens Termagaunt (= Tervagan) von der Oxforder Handschrift des Rol. gesprochen hatte, wird dieselbe endlich im Jahre 1837 durch die Ausgabe MicheFs bekannt. In litterarhistorischer Be- ziehung brachten die folgenden Jahre wenig Bedeutendes, bis 1852 eine interessante Studie von Yitet in der Revue des deux mondes und eine solche von Paulin Paris in der Histoire litte- raire de la France erscheint. Seitdem häufen sich die wert- vollsten Abhandlungen: Rosenberg (1860), Tobler (1864), Gau- tier's Kp, frangaises (zuerst 1865), Pio Rajna, Origini delVepopea francese (1884) u. s. w. Nächst diesen müssen, hinsichtlich ihres Alters und ihres Umfangs, die textkritischen und die gram- matischen Untersuchungen genannt werden. Auf ersterem Gebiete finden wir neben den Herausgebern Michel, Gautier, Müller u. a. noch viele bewährte Namen, dagegen ist die Grammatik des RoLy allerdings vorwiegend in Verbindung mit einigen anderen älteren Denkmälern, das Übungsfeld jüngerer Kräfte geworden, indem sie ihnen den Stoff zu den verschiedensten Doktordissertationen geliefert hat. Fast ganz dem letzten Jahrzehnt gehören Unter- suchungen über den Stil und die Technik des Epos an. Während man sich früher mit gelegentlichen Bemerkungen begnügte, ist von Graevell in einer eigenen Schrift (1880) die Charakteristik der Personen im Rol, behandelt worden, von Dietrich die Wieder- holungen in den chansons de geste (1881), von Drees der Ge- brauch der epUheta omantia (1883) u. s. w. Ebenso haben in letzter Zeit, in übertriebener Spezialisierung, einzelne kultur- geschichtliche Themata eine gesonderte Behandlung erfahren. Die hier einschlägigen Arbeiten sind fast sämtlich in den Mar- burger Ausgaben und Abhandlungen erschienen und haben auch hinsichtlich ihrer Ausführung von der Kritik nicht gerade viel Anerkennung geemtet. Sie beschäftigen sich mit der Stellung

30 Referate und Rezensionen. J, Sairazin,

der Frau im altfranzösischen Epos, mit den Tieren, den Sprich- wörtern in demselben, den Gebeten und Anrufungen, den täglichen Lebensgewohnheiten, den Angriffs- und Verteidigungswaffen. In diesem Abschnitte ist auch mit Recht der ebenso schöne als ge- haltvolle Aufsatz von G. Paris aufgeführt: La chanson de Roland et la nationolite frangaisej der in dem Bande La poesie du moyen dge (1885) enthalten ist. Jetzt ist noch auf die verschiedenen Abschnitte in dem Manicd d^ancien frangais desselben Verfassers zu verweisen, in welchen dem Rol. ausführliche Besprechung ge- widmet ist, besonders auf § 36. Diesen Andeutungen lassen wir noch den Wunsch folgen, dass eine neue Auflage der Biblio- graphie einen Zuwachs von nur wenigen, aber gediegenen, Schriften zu verzeichnen haben möge. A. Paksgher.

Villatte, C^saire, Parisismen. Alphabetisch geordnete Sammlung der eigenartigen Ausdrucks weisen des Pariser Argot. Ein Supplement zu allen französisch-deutschen Wörter- büchern. Zweite stark vermehrte Auflage. Berlin, 1888. Langenscheidt. XVI und 306 S. 8®. Preis: M. 4,60 geb.

Neben der klaren, durchsichtigen Sprache Voltaire' s hat sich schon vor alten Zeiten auf dem unruhigen Boden der fran- zösischen Hauptstadt ein Jargon entwickelt, dessen absonderliche Blüten im Laufe der Jahre in stets zudringlicherer Weise am gesunden Stamme sich festsetzen, so dass B6ranger's scherzhafter Ausspruch, im Jahre des Heils 2000 werde man in Paris nicht mehr französisch reden, nicht ganz unberechtigt erscheinen darf. Die Tagespresse, das moderne Drama, die naturalisti- schen Romane , das sind die drei wirksamen Infektionsträger, mit denen die puristische ÄcadSmie mittels ihres Dictionnaire zu kämpfen hat.

Schon vor vielen Jahren hat diese Erscheinung die Auf- merksamkeit der mit der raschlebigen Zeit fortschreitenden Sprachforscher gefesselt und eine eigene reichhaltige Litteratur hervorgebracht. Dass das Werk des Herrn Villatte, welches vor sechs Jähren Referent in dieser Zeitschrift (V*'^, 209 ff.) erstmals zu besprechen hatte, bereits in zweiter, wesentlich vermehrter Auflage vorliegt, ist ein Beweis von der dringenden Notwendigkeit solcher Arbeiten über das Pariser Argot in Deutschland.

Villatte's Werk hat das Ziel verfolgt, dem deutschen Leser der französischen Tagesblätter und der mit den malerischen Aus- drücken des Pariser Jargon durchsetzten Schriftwerke unserer

C. ViUaiie, Färisismen. 31

Zeitgenossen ein getreuer DoUmetsch zu sein, ohne irgend- welchen Anspruch auf Gelehrsamkeit zu erheben. Darum blieb das ältere Argot ausser Acht, das aus der kraftstrotzenden Sprache eines Rabelais dem heutigen Leser so reichlich entgegenquillt und bei Villen,^) beiTh^ophile de Viaud, Saint-Amand und anderen lustigen Brüdern eine nicht unwichtige Rolle spielt. Was schiert es auch Freunde des heutigen Boulevardjargons, oder Leser realistischer Romane und Pariser Witzblätter, dass unter dem guten König Heinrich IV. und seinem Nachfolger die deshauchia den Wein piotj den Tabakdunst petun und in weisser Voraussicht der Zu- kunft das Gelage crevaüle nannten? Für Philologen ist ja die Villatte'sche Zusammenstellung nicht berechnet, wie aus der ganzen Anlage des Werkes und der nur lückenhaften Benützung der vorhandenen zugänglichen Litteratur hervorgeht. Der Ver- fasser hat einfach das vbn Delvau, Lor^dan Larchey, Rigaud u. a. gruppierte moderne Material verarbeitet und mit eigenen Lese- früchten bereichert. Wer also mit Hilfe der Parisismen die Villon'schen Jargon balladen übersetzen wollte, würde seine Mühe verlieren. Nur ein Beispiel:

Vive David, saint archquani en baboue, Jehan mon amy^ qui les feuüles desnoue, Le vendengeur, hessleur comme une choudy LOing de son plaid, de ses flos curietdx, Noue beaucoup, doni ü regoii fressoue lous verdoiant, havre du marieux.

heisst der akrostichische Eingang einer der von Aug. Vitu a, a, 0, edierten Balladen. Allerdings ist dies selbst dem gewiegtesten Pariser Argotier ein Buch mit sieben Siegeln, wenn er nicht mit der hassa latinitas und der Ausdrucksweise der archisuppöts innig vertraut ist.

Indessen lässt auch in unerwarteten Fällen die zweite Auflage der Parisismen^ obwohl „stark vermehrt", nicht selten im Stich. „La momignarde qui tette est joliment gouliafre^ sagt in Victor Hugo's Quatre-virigt-Treize ein Revolutionsoldat beim Anblick der heisshungrigen Georgette. In Pailleron's witzigem Lustspiel Le Monde ton s'ennuie erzählt die urwüchsige alte Herzogin, dass die ganze kaute femellerie zu den Vorträgen des eleganten Professor Bellac ( lies: Caro) sich drängt. Augier stellt in

1) Vitu, Augustö. Le Jargon du XV sihcle, Eiude phüologique, Onze baMades en Jargon atiribue'es ä Frangois ViUony doni cinq baüades inädites, pubüees pour ia premiere fois d^ apres le manuscrit de la Biblioiheque royale de Stockholm, precede'es aun discours pre'litninaire sur rongine des Gueux et forigine du Jargon, et suivies d'un vocabulan^e analyiique du mrgon, Paris, 1884. Gharpentier, Gr. in -8. 558 S. 8^. 25 fr. (Vgl. Zschr. VH», 17 ff.)

32 Referate und Rezensionen, /. Sai^razin,

Ceinture dorie dem verhassten tripotage sehr wirkungsvoll le tapo- tage, das Brodyirtuosentum, gegenüber. Und alle drei Male suchen wir vergeblich bei Villatte Rat, nachdem selbstverständlich Littr6 und die Acad^mie ebenso vergeblich befragt worden sind. Es hätten aber Schriftsteller wie Hugo und die sogenannten Salondramatiker vor allen anderen auf Argotismen untersucht werden sollen. Leider sind die landläufigen Ansichten von der sprachlichen „Reinheit^ des Augier'schen Stiles seit P. Lindau womöglich noch mehr befestigt^)

Eine gründliche Durcharbeitung alier Dramen von Augier, Dumas, Sardou, Pailleron, der meisten Schwanke von Labiche, Gondinet und der Tag für Tag aus dem Pariser Boden empor- schiessenden Possen müsste unseres Erachtens nicht allein eine sehr erhebliche Nachlese ergeben, sondern auch für das bereits von Villatte gebuchte Material 'die richtigen Quellen nachweisen. Man schlage z. B. in der Neuauflage der Parisismen vihrion auf: dort wird mit Berufung auf einen Pariser Litteraten Kuhn die Bedeutung „jämmerlicher Schriftsteller, Dichter oder Künstler, Schwächling, Krüppel" angegeben, während in Dumas' Sittendrama Vl^ranglre der Definition dieser Spielart des Lebe- manns eine ganze Seite (IL 1) gewidmet ist. Wir drucken den betreffenden Passus ab, da Dumas' Dramen kaum in den Händen aller Leser dieser Zeitschrift sein dürften :

B^monin. En realiU ce nest pas un komme! (Es ist die Rede vom hohlköpfigen Herzog de Septmonts.)

M"* de Rumiäres. Ah! . . . Qü'est-ce que (fest donc? . . .

RJ^monin. Cest un vibrion,

M"* de Rumiferes. Vous dites?

Rämonin. Je dis: un vibrion,

M"** de Rumiöres. Qü'est-ce que c'est que ^a?

R^monin. Comment! vous lisez mes articles et vous ne connaissez pas les vibfions? Je vous en ferai voir^ c'est tres curieux, Ce sont des vegeiaux nes de la corruption partielle des corps^ qu'on ne peut distinguer qu*au microscope et gu'on a pris longiemps pour des animaux, ä cause d^un peiit mouvement ondtdatoire qui leur est propre, 11 sont charges kaller corrompre, dissoudre et de'truire les parties saines des Corps en question, Ce sont les ouvriers de la mort. Eh bien^ les sodetes sont des corps comme les autres, qui se de'compo- sent en certaines parties, ä de ceriains moments, et qui produiseni des vibrions ä forme humaine, qu^on prend pour des itres, mais qui rCen sont pas^ et qui fönt inconsciemment iout ce quüLs peuvent pour cofTomprCj dissoudre et de'truire le reste du corps social. Heureuse-

^) In seinen Skizzen aus dem litterarischen Frankreich behauptet Lindau S. 88, Allgier schreibe „das reinste, von der Mode unab- hängige*' Französisch und gebrauche keine Neologismen. Diese Be- hauptung habe ich in meinemBuche Das moderne Drama der Franzosen S. 93 f. mit zahlreichen Beispielen widerlegt.

C. Viüaite, Jhrisismen. 33

meni^ la naiure ne veut pas la mori, mais la we, La mort n'esi qu*un de ses moyens, la vie est son bui. Elle faxt donc resisiance ä ces agenis de la desiruction ei eile retourne contre eux les prmcipes morbides qu'ils conUennent Cesi alors qu*on voit le vihrion humain, un sair qu'ü a trop hu, prendre sa fetUtre pour sa parte, ei se casser ce qui lui servait de iSie sur le pave de la rtie; ou, si le jeu le ruine ou que sa vtbrionne le irompey se tirer un coup de pisioki dans ce qu^ü croii itre son cosur, ou venir se heurier conire un vtbrion plus gros ei plus fori que lui, qui CarrHe et le supprime. Les gens distraits ne voieni la qu*un faxi, les gens aiientifs voient une loi, On eniend alors un ioui peiii bruii . . . quelque chose qui faii

hu . . . U . . .U , . . U aoufße um peu d'air entre »e» IhvresJ Cesi Ce qu'on

avaii pris pour fäme du vibrion qui s^envole dans tair . . , pas tres haui. M. le duc se meuri, M, le duc esi mori.**

In demselben Drama hätte Yillatte fQr un type excellent (= ein herzensguter Mensch) einen Beleg finden können (I. 2). Ebenso ' in Augier's JFVZä de Giboyer ein Beispiel für das Adjektiv Sterling (= famos I. 7). Viele Argotismen enthält z. B. auch Sardou^s Fernande, ferner La FamiUe Benotton etc. etc. Den Kenner neuerer Litteratur und den fleissigen Leser illustrierter Witz- blätter musB es fernerhin stark befremden, wenn für das so häufige, ja alitägliche Wort /wmtÄfene (= Streich) eine Nummer des Journal amüsant und wenn für das affektierte fragrance nur die Goncourts als Fundquellen angeführt werden.

Eine wünschenswerte Erweiterung der Parisismen hätte auch durch reichlicheres Heranziehen von burschikosen Ausdrücken der verschiedenen J^coles der Hauptstadt erfolgen können. Nur teilweise richtig ist die vom Verfasser gegebene Verdeutschung von bizuty carriy cube. Dieselben sind nicht allein Zöglinge ,,der speziellen Mathematik^ an den Gymnasien, sondern eigentlich und ursprünglich Schüler des ersten, zweiten, dritten Jahrgangs des Polytechnique und der J^cole Centrede. Wer mit dieser fröh- lichen Jugend verkehrt hat, wird zu den Parisismen als Nachtrag beisteuern: fiss! Ausruf der Zuhörer eines gewagten und unfrei- willigen Wortspiels;^) arriver sScant extirieur = arriver trop tardj etre en retard; pitaine cinima = capitaine cinimaüqv^, oberster Aufseher der Zöglinge etc. etc. Mathematik und Physik müssen naturgemäss beim argot des J^coles stark herhalten.

Ein weiterer Mangel der Neuauflage ist ausser der behag- lichen Breite einzelner Artikel (vgl. enfoncer) auch das Aufnehmen

1) Hierüber schreibt Paul Ginisty in Gil Blas: Le fiss accompagne le jeu de mois ne de la renconire d^un ierme sdeniifique avec une ex- pression qui a un double sens. II esi Uen difficile de les eviier, dans la de'monstraiion mime la plus iechnique; mais aussiioi qu'une de ces phrases vient d^e'clore, eüe esi souligne'e par un susurremeni special qui se prodmi avec plus ou moins de discreiion, Fissl murmureni iouies les livres, ei le professeur s'arrHe ei sourii.

Zfldur. f. firs. Spr. n. Litt. Xl>.

34 Referate und Rezensionen, J, Sarrazin,

von Wendungen und Metaphern, die eher in ein allgemeines Wörterbuch der französischen Sprache gehörten. Z. B. ne pas avoir usi ses culottes sur les bancs du colUgej oder un grand travail sur les caisaes d'dpargne; travailler des mächoires (kauen); un dtner sirieux (reichliches Mahl); troupier^) etc. etc.; ebensowenig gehören Fremdwörter wie percentage, ticket y select hierher (dies ist die häufigere Form, während Villatte nur selected gibt); ebensowenig rasch absterbende humoristische Bildungen wie wagndrite. Fand aber die Wagnerschwärmerei willige Aufnahme bei Villatte, so war mindestens die houlangite und midanite auch aufzunehmen, obwohl die zweite dieser beiden pathologischen Bezeichnungen kaum über den Leserkreis des Temps hinausge- kommen sein dürfte. Midanite nannte nämlich Francisque Sarcey den Grössenwahn des Einsiedlers von M^dan, des Heilands der naturalistischen Romanlitteratnr, Zola, nachdem dieser auf eine abfällige Kritik seines verunglückten Dramas Renee nur mit kernigen Grobheiten reagiert hatte. Wenn ferner für allgemein verständliche Zunamen von Verbrechern wie la Terreur de Belle- vilhf la Terreur de Vincennes (s. v. terreur) in Villatte 's Parisismen Raum war, so hätte viel eher für Bezeichnungen Platz geschafft werden sollen, die in Witzblättern zu stehenden Typen geworden sind. Wir finden zwar s. v. monsieur allbekannte Redensarten, wie Monsieur PHesec, Monsieur Dimanche (hier wäre beizusetzen gewesen, dass der Name aus Moli^re's Bourgeois Gentilhomme stammt), wir vermissen aber das im Jargon des High-life wohl eingebürgerte Monsieur Petdeloup = Pedant, Schulfuchs. Unter den Mitgliedern der Äcademie Frangaise unterscheidet man be- kanntlich die Fraktionen der cabotins (die acht Dramatiker), der ducs (Anmale, Broglie etc.), der petdeloups (Gr6ard etc.) etc. Auch vermisst Referent den aus Dumas' Diane de Lys allmählich ins Journal amüsant übergegangenen und in allen Boulevard- blättern typischen Künstler Taupin j ein Gegenstück zum wohl- bekannten Rapiny der zur Bildung von tapin (Trommler) u. a. führte. Man vergleiche neuere Jahrgänge des Journal amüsant. Eine Reihe mehr oder minder bekannter Parisismen geht in der Neuauflage unter allzu spezieller und eingeengter Be- deutung um, weil sie dem Verfasser wohl nur in einem einzigen Exemplar vorlagen. Viatique ist nicht in Monaco allein das be- willigte Reisegeld, sondern ein ganz allgemein gebräuchlicher scherzhafter Ausdruck; boule de son ist auch das Brot der Soldaten, überhaupt Schwarzbrot geringer Sorte; der Ausdruck

^) Die 8. V. angegebene Bedeutung ist zudem unrichtig; troupier = pioupiou = Soldat, und nicht alter Soldat.

C. ViUatie, IhrUismen. 35

vespasienne lebt heute noch und ist zu allgemeinerer Bedeutung gelangt; vert-de-gris heisst überhaupt jeder, der eine grünliche Uniform trägt; vilo ist allbekannte Abkürzung für vüociplde (cfr. VÜO'Cluh); torche-ad gehört keineswegs dem Argot der Eisenbahnbeamten allein an (man denke nur an das deutsche Äquivalent!); tape-cul ist auch ein leichter, eleganter Zweiräder- wagen; la gratte ist nebenbei auch der Profit der Köchin qm fait danser Vanse du panier, also allgemein ,,der Schmuh^, wie der Deutsche etwa sagen würde. Bei gaffe fehlt die in neuester Zeit ungemein häufige Anwendung im Sinne von impertinencej oder parole mal ä propoSj die übrigens Delvau in der 1883 erschienenen Neuauflage des Dictionnaire de la langue verte auch noch nicht kennt. Berühmte gaffes erzählt man sich von viel- genannten Männern. So war nach der Einweihung des Meusnier* denkmals in Tours ein Spottartikel der boulangistischen Cocarde vom 3. August 1888 üne gaffe de M. Floquet betitelt wegen irgend eines historischen Schnitzers in der Festrede des Minister- präsidenten. Im Frühjahr 1888 erschien sogar eine Posse mit dem ominösen Titel üne gaffe.

Da Referent aus Mangel an Zeit nur eine sehr beschränkte Anzahl von Artikeln der Parisismen nachschlagen konnte, so machen obige Ergänzungen keinerlei Anspruch auf Vollständig- keit. Jeder, der sich der zeitraubenden und nicht immer fruchtbaren Arbeit unterziehen kann, die Tageslitteratur der Weltstadt, die für ganz Frankreich den geistigen Mittelpunkt abgibt, mit dem Auge des Sprachforschers genau zu verfolgen, wird eine namhafte Anzahl Nachträge zu liefern imstande sein. Denn das Pariser Argot erfindet Tag für Tag neue eigenartige urwüchsige Ausdrücke, die rasch Aufnahme finden und bald die Runde durch Frankreich machen, wenn sie glücklich erdacht sind. Die absonderliche, aber sehr glückliche Neubildung hiceptiman z. B. ist durch einen langen Artikel von l^mile Faguet in der litterarischen Beilage zum Figaro vom 8. September 1888 end- giltig sanktioniert. Damit bezeichnet man das eifrige Mitglied der seit 1870 zahlreich aufgetauchten patriotischen Tum- ^nd Rudervereine. Nach Daudet'« vielgeschmähtem Immortd nennt man struggleforlifeur in neuester Zeit den emsigen „Büffler und Ochser'^, der um jeden Preis ein gutes Examen machen, den Streber, der zu einer höheren Stellung gelangen will etc.

Referent hegt die Zuversicht, dass schon eine ausgiebigere Benützung der bereits vorhandenen Vorarbeiten^) nicht allein

1) Es scheinen dem Verfasser u. a. die Arbeiten von Charles Nisard (nicht zu verwechseln mit dem verstorbenen katholisierenden

8*

36 Referate und Rezensionen, J. Sarrazin,

eine erhebliche Nachlese an „Parisismen" ergeben da sie ein- mal 80 heissen sollen, sondern auch zur Erklärung einzelner Ausdrücke, die einfach als vorhanden verzeichnet worden, manches beitragen würde. Hier ist noch sehr viel zu thun übrig. Warum heisst ein vortrefflicher Regenschirm parapluie de Tolldef Doch wohl nur durch Anlehnung an die lame de ToUde der im idealen Spaniertum schwelgenden Romantiker;

Überhaupt wäre es bei dem immerhin beschränkten Wort- vorrat des Argot keine herkulische Arbeit gewesen, für inter- essantere Wortgruppen das zu unternehmen, was für die Schrift- sprache Darmesteter und Hatzfeld in ihrem Dictionnaire gineral in so vortrefflicher Weise geleistet haben, nämlich eine systematische, logische Anordnung der einzelnen Wort- bedeutungen und Redensarten. Auf manche dunkle Seite des Pariser Slang und Cant, auf manchen psychologischen Vorgang würde dann ein helleres Licht fallen. Man nehme z. B. die schier zahllosen Umschreibungen für die an sich fatale Thatsache des Sterbens. Die kühne Metapher toumer de Voeil zeugt von richtiger Beobachtung eines bekannten physiologischen Vorganges, während z. B. das zynische manger les pissenlits par la radne keinen tieferen Gehalt birgt; aus der kriegerischen Zeit des ersten Napoleon, da ein jeder Waffen trug, stammt passer Tarnte ä gauche (das Gewehr wurde damals rechts getragen). Von grauenhafter Anschaulichkeit sind die beliebten Euphemismen casser sa pipe, divisser son hillard^ ddboucher sa valise^ fermer son vasistas, di- boutonner sa colonne, dimonter son poile oder son chouberskyj Idcher la rampe (= Treppengeländer). Einem Verstorbenen ruft der Pariser Bummler wehmütig nach : ü est claque (auch ü a claquS = geplatzt), ü est nettoyiy fumiy fricasse^ rinci, ratihoisi, oder Ü est cuity il est frit, ü est rasibus (vgl. tabula rasa;); den engen Sarg nennt er une hotte ä dominos, un paletot sans manches^ was an das hölzerne Röcklein von Fischart's liebstem Buhlen erinnern mag. Schillerisch mutet hinwiederum das barsche son compte est rigli an.

Doch sind alle diese Argotismen für den Nichteingeweihten auch verständlich, da sie zumeist mit dem vorhandenen Wortschatz

Litterarhistoriker Däsirä Nisard) völlig unbekannt geblieben zu sein. [Nisard, C, Ettde sur le langage populaire ou paiois de Paris ei de sa banlieue, pre'cddee d^un coup aoeü sur le commerce de la France au moyen äge, les chemins qu*il suivait et Pinfluence gu'il a du avoir sur le langage. In -8®. Paris, 1872. (7 fr. 50 c.) Derselbe, De quelques ^arisianismes populaires, et autres locutiotis non encore ou plus ou moins tmparfaitement explique'es des XV 11^, XVIII* et XIX' siecles. In-12^ Paris, 1876. (8 fr.)]

C. Viäaite, Fürisismen. 37

in eigenartiger Weise umgehen, ähnlich wie das englische Slang den Schirm als Pilz bezeichnet, den rotröckigen Soldaten lohster^

der französische Infanterist heisst ecrevisse de rempart, das Kindergeschrei marriage-mimc nnd die Redaktionsscheere nicht steel'periy sondern anzüglich steal-pen nennt.

Von diesem humoristischen und burschikosen Argot wäre das streng zu scheiden gewesen, was der Engländer Cant nennt, das Rotwälsch, die Sprache der professionsmässigen Gauner und Dirnen, der Rougk und der Street Ärabs, der iruands, rifodSs, francs-müeux^ courtauds de houtanche des mittelalterlichen Paris

vgl. V. Hugo's Notre-Dame der escarpesj grinches und camhrioleurs der heutigen Weltstadt, Dies lichtscheue und un- heimliche Jargon ist den Schwankungen des Alltagslebens weniger unterworfen und besitzt nur wenige Berührungspunkte mit der allgemein verständlichen Sprache. So viel Ref. beurteilen kann, ist es mit diesem Zweige des Argot bei Villatte besser bestellt. Alle Redensarten, an die Ref. aus dem Lesen von Kriminal- romanen und aus den in den has-fonds de Paris^) aufgefangenen Brocken sich erinnern konnte, finden sich thatsächlich in den Parisismen verzeichnet. Aber ist dies wohl die Aufgabe eines unter dem Titel „Parisismen" in die Welt gehenden und für deutsche Leser bestimmten Buches? Allerdings ist nicht zu be- streiten, dass das eigentliche Rotwälsch der Gauner und sonteneurs nicht allein in Kriminalromanen auftritt. Die müssigen Köpfe der Chat ^ozV-Gesellschaft auch eine Pariser Spezialität leisten sich hin und wieder in ihrem Vereinsblatt Cbnfgedichte, um zu zeigen, in welcher Gesellschaft sie verkehren. Hier als Probe solcher „poetischer" Kraftmeyerei das angebliche Sonett

1) Kulturhistorisch und sozialpolitisch ist ein Rundgang durch die dem allmählichen Untergang geweihten Nebengässchen der Git6 und der linksufrigen Stadt von grösstem Interesse und auch ungeföhr- lich, wenn man beherzt und mit einem kräftigen Stock versehen ist. Stellenweise ist der Charakter der alten Cottr des Miracies noch er- kennbar. Die krummen Gässchen hinter dem alten Kloster Saint-Möry (Rue Brisemiche, Rue Taillepain, Rue de Venise, Rue du Renard etc.), die verrufenen Seitenstrassen des Quartier Latin links am Eingang des Bour MicK (Rue Huchette, Rue Galande, Rue des Anglaie, Rue du Chat qui pöche etc.), überhaupt das ganze Stadtviertel bei der Pktce Maubert, wo die Zigarrenstummelbörse früher abgehalten wurde, die schmierige BUnne du Phre Luneite, die übrigens der Verlängerung der Rue Monge zum Opfer fallen soll, die Nachtherberge zum Chäieau Rouge sind Fundgruben für den nach Argotismen jagenden Lexiko- graphen, und für den vom tiefen Elend der Menschheit unserer Gross» städte noch nicht überzeugten Sozialpolitiker. In wenigen Jahren sind diese Geschwüre am Leibe der buntschillernden französischen Haupt- stadt gewaltsam entfernt par la pioche du dSmoUsseur,

38 Referate und Rezensionen, F. Tendering,

eines jener Träger der casquette ä irots pantSj die man in Deutsch- land Louis nennt:

SONNET.

Eh hen! fveux gouaper, moil rturhin c*est pas man flanche; ET brich ton, c*est au irepe, et fen veux mon fad*, na ! Tveux fnir Vassiette att beurre ä mon tour, pour Nana Qui nCpagnot' dans son pieu, sauf la sorgue eV dimanche,

Qt^eü fit chez un* panache au coin ed* la place Blanche^) Ousgu'un birbe tres vioc ecUar* tant qu*il en a Pour voir ma gösse au truc avec la yotiir' Dinah, ün* menesse ed^ la haute et qui s*en paye un* tranche.

Vlen/£mmn Nana rappUque, aboulant euT poignon,

CPqui nCcarre ed* touf la rousse et des vacKs ä Gragnon^

Qui m*poiss*raient pour euFschlard comme un d'la dynamiie . . .

Queu* tourfs que ces gonc*s-lä! ^a rCfait qxCfoutimasser, (}a rouspeie et qa r'naud* . . . Taut au lieur ed* masser, Qu^ga sfass donc comrrC mezigue: e'cumeur ed^ marmite.

Aber wer liest in Deutschland das Blatt le Chat Noirf Als Käufer der Villatte'schen Parvttsmen denken wir uns Leser der naturalistischen Romane und der französischen Tagesblätter. So sehr wir demnach die eingehende Berücksichtigung des Gauner- jargons anerkennen, ebenso stark müssen wir die Notwendigkeit betonen, dass künftige Auflagen der Partsismen eine gründliche Umarbeitung erfahren.^) Was Darmesteter in dem hochinter- essanten Büchlein La vie des mots (Paris, 1887. Delagrave) für die Schriftsprache in grossen Zügen entworfen, iässt sich auf dem beschränkten Gebiet der langue verte ziemlich leicht durch- führen. Denn auch die ungezogenen Rangen, welche nicht daran denken, jemals bei der gestrengen Grossmutter Acad6mie um Auf- nahme ins amtliche Dictionnaire zu bitten, beugen sich unwill- kürlich den Gesetzen des enchatnement, des rayonnement und wie alle semasiologische Faktoren heissen mögen.

1) Hauptquartier der horizonteUes.

^ Damaliger Polizeipräfekt.

B) In der Besprechung der 1. Auflage von Yillatte*s Parisismen hatte Ref. einen milderen Massstab der Beurteilung anlegen zu müssen geglaubt, der ihm von berufenen Kritikern verübelt worden ist. (Vgl. Zeitschrift Bd. V«, 209 ff., dazu Koschwitz, Bd. VP, 45 ff.) Bei der zweiten Auflage darf man einem anerkannt tüchtigen und leistungs- fähigen Autor schon schärfer auf die Finger sehen.

J. Sarrazin.

G, Raithei, Ober den Gebrauch u. die begriffliche Eniwickelung etc. 39

Raithel, Greorg, Über den Gebrauch und die begriffliche Eni- wickelung der altfranzösischen Präpositionen sor^ desor (dedesorjj ensor; sus, desus (dedesusjj ensus. Programm der Realschule zu Metz. Metz, 1888. 45 8. 4^.

Auf Grund umfangreicher Lektüre altfranzösischer Texte der verschiedensten Litteraturgattungen gibt Raithel eine durch zahlreiche Beispiele belegte Darstellung des Gebrauchs und der begrifflichen Entwickelung der Präpositionen sor etc. von den ältesten Denkmälern bis zu Beginn des 15. Jahrhunderts unter Angabe der Zeit, wann eine bestimmte Art der Beziehung dieser Präpositionen zuerst in Anwendung kommt.

Es ist natürlich, dass „die Einreihung der Fälle in die einzelnen Kategorien vielfach von der subjektiven Auffassung abhängt^ (8. 28). Wenn sich auch im allgemeinen deshalb darüber nicht rechten lässt, so möge doch für einige wenige Fälle eine abweichende Anschauung dargelegt werden.

In den Beispielen 8. 9 ü prent le pain quant ü puet sor la table etc. kann meines Erachtens zunächst von einer Be- deutungsgleichheit der Präposition mit desor in der Bedeutung „von (über auf) weg^ nicht die Rede sein. Eine doppelte Auf- fassung ist möglich; entweder gehört der präpositionale Ausdruck sor la table zu dem Substantiv le pain^ oder er bezeichnet den Gegenstand, auf welchem eine Thätigkeit sich vollzieht. Ebenso bin ich geneigt, auch die Beispiele für sus und desus (ib.) anzu- sehen, bei denen der Verfasser zum Teil auch die letztere Mög- lichkeit zugibt.

Wie bei den meisten in § 10^* aufgeführten Ausdrücken scheint mir auch in s^arester sor qn, 11^^) und avoir envie sor qn. u. a. IIb) die Präposition nur den Begriff des Räum- lichen zum Ausdruck zu bringen, während der Begriff des Feind- seligen sich erst aus dem Zusammenhang ergibt, dies erhellt auch daraus, dass einerseits s'arester sor sich öfter, wie Raithel (ib.) anführt, ohne die Nebenbeziehung der Feindseligkeit findet, sowie dass andererseits sor auch bei solchen Ausdrücken ein- tritt, welche eine freundliche Gesinnung bezeichnen. Man ver- gleiche das Beispiel: il ne me piaist mie qü'ü ait seur vous mde cointie § 12 c.

Wie Raithel in dem Beispiele: or me convient prouver sor lui mon vassdage eine doppelte Deutung zulässt, indem er in § 10^ sor gleich „im Kampfe gegen^ setzt, während er in % Ib^ die Möglichkeit, sor im Sinne der Macht, Gewalt, welche Jemand über eine Person oder Sache hat, zu fassen zugibt, so möchte ich in allen in dem betreffenden Abschnitt des § 10^ aufgeführten

40 Referate und Rezensionen. F. Tendering,

Beispielen sor zur BezeichnuDg der Überlegenheit, des Hervor- ragens über eine Person oder Sache annehmen statt des ans dem sor znm Ausdruck der feindlichen Bewegung oder Thätig- keit abgeleiteten „im Kampfe gegen. '^

Für die Stelle aus Chart. 682 8 Anm.) d'un grant peissun marage^ ki fu fait sure mer bleibe ich noch bei der Auffassung »i/re = jenseits stehen. Der an sich naheliegende Bedeutungsübergang von sor = „über hinaus" in „jenseits*^ scheint mir doppelt gerechtfertigt in Verbindung mit mer über die Höhe des Meeres hinweg.

Zum Schluss noch ein Wort über die Stelle puis m'en istrai ensus demie liue large (S. 39 u.) S'en aler ensus als verstärktes s^en aler zu betrachten scheint mir nicht zulässig. Es würde der Bedeutungsentwickelung von ensus nicht widersprechen, wenn man es als „über (das Ziel) hinaus" fasste, also gleich „weiter".

Ich möchte von der Arbeit Raithers nicht scheiden, ohne ausdrücklich volle Befriedigung über die feindurchdachte Leistung des Verfassers zu konstatieren, welcher ein klares Bild von dem Gebrauch und der logischen Entwickelung der Bedeutung der behandelten Präpositionen vor uns entrollt. Möge die in Aussicht gestellte Abhandlung über die sämtlichen französischen Präpo- sitionen von den ältesten Denkmälern bis auf die Gegenwart bald folgen. Von Interesse wäre es, wenn der Verfasser dann auch kurze Andeutungen über den Gebrauch der entsprechenden lateinischen Präpositionen beifügte. F. Tendering.

W. Schumann^ Übersicht Über die französische Formenlehre. Programm des Progymnasiums zu Trarbach Das., 1888. 20 S. 4°.

Die Anstalt, deren Programm die obige Abhandlung beige- legt ist, hat die Lehrbücher von Ploetz jetzt neu eingeführt, ge- wiss eine Seltenheit heutzutage. Um den Schülern „ein Repeti- torium an die Hand zu geben, das alles enthält, was der Gym- nasiast auf dem Gebiete der französischen Formenlehre wissen muss", hat Schumann die vorliegende Zusammenstellung gemacht. Im wesentlichen ist dieselbe nichts anderes als ein Auszug aus Ploßtz, nur bezüglich des Verbums unterscheidet er sich etwas von seiner Vorlage, insofern die Verben auf evoir nicht als regelmässige 3. Konjugation gezählt, sondern mit den übrigen auf oir als unregelmässig, nach dem Paradigma rompre gehend, zusammengestellt werden. Die Auswahl ist nicht ungeschickt, einzelne Zusätze scheinen mehr gemacht zu sein, um doch Ploetz

F. Schmidt, Französisches Elementarbtich. 41

nicht gar zu trea zu folgen ; so die Vermehrung der Substantive, deren Geschlecht von dem Lateinischen abweicht. Warum gibt Schumann hier nicht den Akkusativ als lateinische Grundlage an? front von frontem^ cendre von cmerem dürfte dem Schüler doch auch verständlicher sein, als die Herleitung vom Nominativ, ganz abgesehen von der historischen Richtigkeit. Die Erklärung grammatischer Erscheinungen ist auch da, wo sie von Ploetz ab- weicht, unvollkommen, so wenn § 22 von der Ergänzung einer Präposition in Beispielen wie timhre-poste die Rede ist, oder wenn es § 25 heisst: „der Genetiv wird gebildet durch Vor- setzen von de etc.^, oder endlich § 42: ;,einige Adverbien nehmen auf das weibliche e einen accent aigu. Schumann hat versucht, Ploötz zu verbessern durch die Regel: 74. 1) „die stamm- betonten Formen des Frisent du suhjonctif werden gebildet wie die dritte Person Pluralis des Indikativs ... die en düng s betonten wie die erste Person Pluralis."

Da die Schüler nun doch den PloBtz in der Hand haben, hätte Schumann seinen Zweck in einfacherer Weise erreichen können, wenn er dieselben in ihrem Buche das zu Erlernende oder zu Wiederholende anstreichen Hess. Für die notwendige Orientierung in ihrer neuen Grammatik wäre das jedenfalls von Nutzen gewesen. F. Tendebino.

Schmidt, Ferdinand, Französisches Elementarbuch. Bielefeld und Leipzig, 1888. Velhagen & Klasing. 112 S. 8®. Preis: 1 M.

Der Grundsatz, den Schmidt in diesem Buche vertritt, dass die Methode des fremdsprachlichen Unterrichts von der Art, in welcher das Kind zur Herrschaft über seine Muttersprache ge- langt, zu lernen habe, ist an sich gewiss ein berechtigter. Es lässt sich aber aus diesem Grundsatz nicht ableiten, dass aus dem Anfangsunterricht in einer fremden Sprache, da das Kind seine Muttersprache nur durch Nachahmung erlernt, jede Re- flexion ferngehalten werden müsse, und dass alles, was dem Kinde gesagt wird, durch die sinnliche Anschauung oder durch das Bedürfnis des Lebens in Verbindung stehen müsse. Wir haben es im Unterricht nicht mit unmündigen Kindern zu thun, sondern mit etwa zehnjährigen Knaben, deren geistige Bethäti- gung durch Reflexion zu entwickeln ist; das muss eine der Haupt- aufgaben des erziehenden Unterrichts bleiben. Auch ist es eine Täuschung zu glauben, der Schüler könne durch blosse Nach- ahmung zu einem Beherrschen der fi*6mden Sprache innerhalb

42 Referate und Rezensionen. H, Kcerting,

des ihm überlieferten Stoffes kommen, denn es kann ihm in der beschränkten Zeit des Unterrichts derselbe Sprachstoff nicht in so zahlreichen Fällen vorgeführt werden, dass hierdurch allein alle Vokabeln und Formen nebst der Art der Verbindung unter einander haften blieben. Es bedarf namentlich für die meisten Formen eines besonderen, oft wiederholten Hinweises des Lehrers und schliesslich einer Zusammenfassung, wie sie auch der Ver- fasser nach der Übersetzung eines in der That recht massen- haften Materials eintreten lässt. Das ist doch wieder reflektie- rende Aneignung der Sprache, verbunden mit unmittelbarer und durch sie in naturgemässer Weise unterstützt, indem die An- schauung der Reflexion vorangeht.

Nur auf dem Wege der Nachahmung die praktischen Ziele des fremdsprachlichen Unterrichts erreichen wollen heisst ab- sichtlich weite Umwege machen und alle Richtwege, welche zu demselben Ziele führen, unberücksichtigt lassen und damit später zum Ziele gelangen. So kann denn auch der Umfang des gram- matischen Wissens eines nach dem vorliegenden Buche ein Jahr lang unterrichteten Realschülers, also nach etwa 320 Stunden, nicht als ausreichend betrachtet werden, da er nur weniges von der Konjugation, nämlich die er -Verben und avoir und eire mit Ausschluss des Konditionalis und des Subjonctivs sich angeeignet hat. Den Schüler so lange bei diesem geringen Material festzu- halten, denn auch der sonstige grammatische Stoff ist unbedeutend, erscheint um so weniger gerechtfertigt, da S. ihn nicht durch die Lektüre zusammenhängender Stücke in die lebendige Sprache einführt, sondern zum grössten Teile nur Einzelsätze vorlegt, die allerdings sich in einer Weise aneinander anschliessen, dass jede Lektion doch immer wieder ein Ganzes bildet. Als Ergebnis kann aus diesen kaum mehr als die Kenntnis einer Anzahl von Vokabeln stammen.

Das Buch enthält, wie nach den hier erörterten Grund- sätzen des Verfassers natürlich ist, keine Übungsstoffe zum Über- setzen aus dem Deutschen. Die Einübung des gewonnenen Sprachstoffes soll durch Diktate, Sprechübungen, Rückübersetzungen und endlich durch freie mündliche und schriftliche Arbeiten statt- finden. Es ist nicht zu bezweifeln, dass die Schüler bei ge- nügender Vorbereitung im Unterricht bald imstande sein werden, einige Gedanken aus dem Gelesenen in französischer Sprache zu reproduzieren, aber der Stoff ist doch zu spröde, um etwas anderes zu liefern als zusammenhanglose Sätzchen. Wirklich zusammenhängende einfache Geschichten würden sich zu einer Nacherzählung besser eignen.

Die methodische Durchführung der Grundsätze des Ver-

W, Pludhun, Parlons fran^aus! Quelques remarques pratiques etc, 43

fassers in dem Anschauungsstoffe verdient nneingeschränktes Lob. Der Bchüler wird in Gebiete geführt, die seinem Ideenkreise nahe liegen, nnd es werden ihm Sätze vorgelegt, die wirklichen Inhalt haben und die, wie schon erwähnt, sich zu einem Ganzen zu- sammenschliessen; zusammenhängende Erzählungen treten erst in den letzten Lektionen, bei der Einübung des Imperfekts und des historischen Perfekts, auf.

Vorausgeschickt sind dem Buche Lauttabeilen, mit deren Hilfe die Laute geübt werden sollen. Eine Lautschrift hat der Verfasser nicht beigefügt; von den hierfür angeführten Gründen stimme ich namentlich dem bei, dass eine neue Schrift ein zehn- jähriges Eänd verwirren muss.

Abgesehen von den grundsätzlichen Bedenken stehen wir nicht an, das vorliegende Elementarbuch als eine recht tüchtige Leistung zu bezeichnen; der Verfasser hat das, was er gewollt, erreicht, und es ist nicht zu bezweifeln, dass in der Hand eines eifrigen Lehrers das Buch sich in seiner Art bewähren wird.

F. Tendebino.

[Pludhan, W. ,] Parlons fran^ais! Quelques remarques pratiques dont on pourra proJUer en Suisse et aiUeurs. Gen6ve, 1888. Henri Stapelmohr. 25 S. 8o. Preis: 50 cent.

Ein nicht eben systematisch angelegtes und tief blickendes, aber ein nützliclies und teilweise auch recht ergötzliches Büch- lein, empfehlenswert nicht nar für solche, die sich mit den Sünden eines speziell schweizerischen Französisch behaftet fühlen, oder die bei einem Aufenthalte in der französischen Schweiz die Rede des Volkes verstehen wollen, sondern für alle diejenigen, die als Ausländer französisch zu reden gezwungen sind und sich noch nicht wider jeden Verstoss gegen den Sprachgebrauch, die Aus- sprache u. s. f. gefeit wissen. Verfasser zeigt zunächst, wie in der Schweiz und wohl auch anderwärts gelegentlich „französisch^ gesprochen wird^) und fordert dann alle, denen daran liegt, unter die Gebildeten gezählt zu werden, dringlich zur Bekehrung auf.

^) Des fois on y va, mon cousin et moi; on y a äie souvent.

C*esi quand m^rne tr^s dommage: c^eimt bien tentatif.

Je lui ai cause depiiis mon jardm, je m*en rappeUe,

fai rencontre des beaux equipages, mais dans cette longue lign^e de ooiiures, je n'ai personne vu de connaissance.

Viens d'abord, viens t'aider. Je favais du de venir de snite. Jules rCesi pas encore lein. Allez porter ce paquei las deux.

Si au Ueu de laisser tratner les affaires, tu les r^duisais, si tu les soignais dans ta commode ou les crochais dans ton armoire, tu n*aurais pas besoin de les faire ranger si souvent.

44 Referate und Rezensionen. H. Kceriing,

Sechszehn Seiten lang werden den fehlerhaften Wendungen (Ne cUtes paa!) die korrekten (Dites!) gegenübergestellt, bisweilen mit einer knappen, dem Laienverstande angemessenen Begründung. Verf. hat eine Anordnung versucht, indem er eine Klassifikation in Erreurs de verbes, Erreurs de prepositions, Erreurs d^adverbeSy Erreurs de noms, d^adjectifs et de pronoms und Erreurs diverses vornimmt, aber sehr vieles steht augenscheinlich am unrichtigen Platze, und überhaupt erweist sich die Einteilung nicht nur als wissenschaftlich ungenügend, sondern auch als in praktischer Hinsicht mangelhaft Es waren zunächst wohl diejenigen Fälle zu- sammenzustellen, in denen die Rede der minder Gebildeten weniger gegen die französische Sprache, als gegen die jeder Sprache zu gründe liegende Logik verstösst, wie z. B.: lehnt est remplij dans le but de . . ,y traverser le pont, iL ressemhle ä X. comme deitx gouttes d^eaUy geler de froid, marcher ä pied u. s. f. ; dann Verschmelzung zweier richtiger Redensarten zu einer falschen: la conduite qu'ü a men6e aus la condmte qu*ü a tenue und la vie qv!ü a menie; donner une confirence aus douTier des legons und faire une con- fSrence; un mot de hület aus un mot d^ecrit und un bout de billet, etc. Femer: falsche Analogien; z. B. je m'en rappelle nach je m'en satwiens, je lui ai causi nach je lui ai parli; partir ä, bezw. en, nach dem so konstruierten aUer; u. ä. m. Weiterhin: Vertauschung begriffsverwandter Worte, namentlich Verba : je de- stre m'^viter cette peine für m'^pargner; ü s'ennuie aprls son frlre u. s. w. Daran würden sich offenbare, vom Verf. häufig verkannte, Qermanismen zu schliessen haben; z. B.: la tache est loin (der Fleck ist weg, = a disparu), ü a marii une instäu- tricey choisir une vocation, friquenter Vuniversiti, fixer qn., le thd est iiri (hat gezogen), ü brüle ä Y,, ü reste devoir (er bleibt schuldig), contre la fin du moiSy saluer avec la main, venez-vous aveef, une masse d^enfants, impossible de trouver quelque chose de bon. Auch einige Italianismen wären zu verzeichnen (la bonne- main [Trinkgeld], la banque /= le comptoir]). Fernerhin syn- taktische Verstösse: solche gegen die Tempus- und Moduslehre, Simplex des Verbs für das Kompositum und das umgekehrte,

Voire chambre est crue, ü fait bon chaud ici. Resiez seulemeat avec nous ; vous ne voulez pas nous deranger,

J)u momeni vous tenez ä une banne piece, je ne connais per- sonne d'autre que je puisse mieux vous recommander ; ü est exceseive- uient fori enr sa pariie, et ü travaiUe träs bon march^. Maiheureuse- ment, eiani ä. court ä^argeni cee jours, il a tout liquid^ ses montres comme celle-ci, mais qu'esi-ce qui empiche qu^il vous en etahlisse une la m^me chose? Malgrä qu'il est ires occupe, Je suis sür que vous Cawrez encore assez viie, et comme de juste, vous ne la paierez qu^ apres livraison.

fF. Pludhun, Pixrlons fran^ais. Quelques remarques praÜques etc. 45

Reflexiya für einfache Verba (ein sehr hSafiger Fall), der Transi- tiva für die Intransitiva beides wieder auch umgekehrt , unrichtige Verwendung der Hilfsverba. £inen Unterschied hätte übrigens Verf. machen sollen zwischen wirklichen Fehlern und entschieden berechtigten dialektischen Ausdrücken. So sind ja gewiss falsch: pc^sionner le jeu f= aimer pcLSstonnSment), Vaffaire est houclh für bäclie, se revanger ftlr se revancher, des carrons für des carreaux, tuüih'e für hdleriej aber gute, freilich eben nur landesübliche Worte und Wendungen sind doch z. B. sucler = roussir (la barbe), SmoustiUer = exctter, affaner (de Vargent), bisquer, jicler^ mailler ^ die interessanten Komposita eu pondre: appondre (une corde = attacher), dipondre (sa robe = se deskabüler)\ greuler un arbrcy greuler de froidy Mole (== bou- leau), une paume de neige. Nicht unrichtig, sondern lediglich veraltet sind z. B. : le fils d . . . , tomber ä bouchan (von boucke)^ fruit mal mür u. ä. m.

Für deutsche Leser des Werkchens wertvoll dürften auch die Remarques sur la prononciation S. 17 ff. sein, obschon allerdings des Verf. 's Angaben ganz elementar vorgetragen werden und eine lautphysiologische Schulung vermissen lassen. Ref. scheinen na- mentlich die folgenden Behauptungen richtig zu sein und doch von französisch sprechenden Deutschen nicht immer beachtet zu werden: 1) in Formen des Konj. Impf., wie ü aUdt, il füy ü regüt, und des Perf., wie nous allämes, vous alldtes, nousftmes, vous re^tes sind die mit dem "" versehenen Vokale dennoch nicht lang; 2) nation, Station, ovation und andere auf -ation haben langes (geschlossenes) a. 3) Lang (geschlossen) ist a auch vor ss: passer, passion, lasser, casser, tasse wie päcer, pädon u. s. w. (Ausnahmen : chässe, mässe und deren Ableitungen). 4) a lang (geschlossen) in Marianne [das zweite a], baron, carri, m^nne, gagner, il bat, acdame'^ Sachs ver- zeichnet nur halblanges a. Nicht jedem dürfte auch geläufig sein, dass man appendice = appindice spricht; dass Europe, Eughne == Urope, üghie veraltet sind; dass hdpital kurzes (offenes) o, groseille z.B. dagegen langes (geschlossenes) o hat, ebenso /o««e, fossoyer; dass ineocpugnable mit gutturaler Media und nicht n gesprochen wird; Machiavel mit A;, dagegen maehiavüisme mit dem Zischlaute; dass in impromptu das zweite p hörbar, in asüims tk stumm ist; dass Xerxes und Xir^s verschieden anlauten; dass mark ebenso wie marc (Kaffeesatz) stummen Guttaral hat, Madrid und salut stummen auslautenden Dental; dass quidam gleich Adam auf nasales a ausgeht, dass in susdit s hörbar ist, und von respect, aspect, suspect nicht -t, sondern der Guttural übergezogen wird. H. KosBTiNa.

46 Referate und Rezensionen, F, Homemann,

Rothfaclis , Julius, Vom Übersetzen in das Deutsche und von manchem andern. Programm [No. 333] des evangelischen Gymnasiums in Gütersloh. Das., 1887. 4^ 36 S.

Ein köstliches „Geständnis aus der didaktischen Praxis^, kurz, aber sehr inhaltreich, geistvoll, klar und treffend wie Jäger's Testament.

Der Kern der vonRothfncbs entwickelten Übersetzungsmethode liegt in dem Satze: „Jedes mündliche und schriftliche ^zVi- übersetzen soll von gutem Deutsch ausgehen, und was noch ungleich wichtiger ist jedes mündliche und schrift- liche ITerübersetzen soll zu gutem Deutsch gelangen."^)

Beim ersten Übersetzen (Yorübersetzen) liest zuerst der Lehrer selbst den fremdsprachlichen Text (auch des Prosaikers) vor; dann übersetzt der Schüler unter dem Schweigen des Lehrers und der Klasse. Nur wenn er stockt, hilft ihm der Lehrer (oder lässt ihm helfen), aber nicht durch Vorsagen des Richtigen, sondern zunächst nur durch die Frage nach dem Grunde seiner Verlegenheit. Häufig genügt dann die Er- laubnis, die schwierigen Worte zunächst wegzulassen (vergL S. 20, Anm.^)); andernfalls muss auf die Konstruktion des Satzes zurückgegangen werden. Von den vier Regeln, welche Rothfuchs dafür S. 19 gibt, ist die zweite freilich nicht ohne Bedenken ; denn das Interrogativ-, ja selbst das Relativ-Pronomen kann auch an der Spitze eines Hauptsatzes stehen, und nicht jede Konjunktion ist eine unterordnende.

Nach Beendigung des Vorübersetzens gibt es noch vieles zu verbessern und zu erläutern. Dabei sollen die Schüler möglichst selbst arbeiten, indem der Lehrer ihnen durch Dar- bietung von Apperzeptions-Stützen und -Leuchten hilft.

Sind dann die Gedanken des Schriftstellers zu klarer Er- kenntnis gebracht, so ist der deutsche Ausdruck festzustellen: aus der wortgetreuen Übersetzung muss eine sinngetreue Ver- deutschung hervorgehen. Endlich liest der Lehrer am Schluss der Stunde die Musterübersetzung unter dem Lauschen, aber nicht unter dem Nachschreiben der Klasse noch einmal vor.

1) Dadurch sollen die Schädigungen vermieden werden, welche der deutsche A-usdruck durch den üblichen Betrieb des fremdsprach- lichen Unterrichts oft erleidet. Welche dies sind, sagt Rothfuchs S. 22 Anm.^. Aber es gibt noch eine von ihm nicht angeführte Schädigung, gegen die er auch in seiner eigenen Schreibweise wohl etwas strenger sein könnte: die Entstellung des deutschen Ausdrucks durch über- flüssige Fremdwörter. Ist es z. B. wirklich schön oder notwendig, von dem „codex einer bis ins Detail fixierten Methode" zu sprechen, wie S. 14 geschieht?

/. Rothfuchs, Vom Übersetzen in das Deutsche etc. 47

Ist 80 die erste Übersetzung eines Abschnittes, der inhalt- lich eine Einheit bildet, in einer oder wenn nötig in mehreren Stunden beendigt, so lasse man den Inhalt mündlich wiedergeben und den Gedankengang in seinen Hauptpunkten entwickeln. Zu- letzt mögen Konzentrationsfragen zeigen, ob der Inhalt des Ge- lesenen auch geistig aufgenommen ist.

In der nächsten Stunde folgt dann das zweite Über- setzen (Nachübersetzen). Dieses geschieht ex cathedra, der Schüler liest den Text jetzt selbst vor, jeder Fehler wird ein- fach berichtigt, auch nach dem beim ersten Übersetzen Erklärten wird kurz gefragt.

Endlich nach Erledigung grösserer Teile, ganzer Reden, Tragödien, Dialoge usw. tritt das dritte Übersetzen (die Generalrepetition) ein. Dieses soll nicht hastig, aber sicher und schnell (120 200 Zeilen Teubnerschen Textes jede Stunde) ge- schehen. Erklärt wird gar nichts mehr; die Klasse soll „ge- messen wie einer, der eine schöne Gegend wiedersieht^. Jetzt mag man, wenn man will, zum Schlüsse auch eine eingehendere Einleitung in das gelesene Schriftwerk geben, die vor der Lektüre doch nicht verstanden wäre; jetzt soll die Anordnung und der Gedankengang des Ganzen in seinen Hauptzügen entwickelt und eine ästhetische Gesamtwürdigung gegeben werden; jetzt (nicht früher) mag man auch eine weitere Durcharbeitung zur Erregung des vielseitigen Interesses versuchen. Namentlich mag jetzt ein „warmes Wort" auch das ethische Interesse erwecken, aber hier besonders: stt modus in rebus, sint certi denique fines!

Das sind die Grundzüge, gleichsam das Gerippe von Roth- fuchs' Schrift leider der Kürze halber nur allzu vollständig von dem Fleische und Blute entkleidet! Rothfuchs gibt sein Verfahren nur als eines von vielen möglichen; meines Erachtens erfüllt es die Zwecke des Herübersetzens so vollständig, dass es wenigstens in der altsprachlichen Lektüre stets angewandt werden sollte. Nur ein, allerdings nicht unwichtiger Funkt scheint mir vernachlässigt. Soll die Eingewöhnung in die Formen der Fremdsprache nur durch das Übersetzen aus dem Deutschen und den grammatischen Unterricht erfolgen? Hat nicht vielmehr auch die Lektürestunde dazu mitzuwirken, und wie? Ich glaube, dass Rückübersetzungen, fremdsprachliche Fragen und Antworten über den Inhalt des Gelesenen, Zusammenfassungen desselben in der fremden Sprache an die Lektüre angelehnt werden sollten. Im Lateinischen wären sie besonders in den unteren Klassen förderlich, um die rechte Grundlage für die Übersetzungen aus dem Deutschen zu gewinnen (Perthes empfiehlt sie in Quinta); in den neueren Sprachen müssten sie bis zur Prima hinauf ge-

48 Referate und Rezensionen, F. Hornemann,

pflegt werden ) als Vorttbungen für freie Arbeiten und für etwaiges späteres Sprechenlemen. Sie könnten nach Beendigung jeder kleineren Einheit, also in der Regel am Ende jeder Stunde eintreten, beziehungsweise einen Teil der Besprechung des Inhalt ersetzen.

Aber Rothfuchs verbindet nut der Darlegung seiner Ge- danken über das Herübersetzen besonders in den Anmerkungen noch ,, manches andere^, was ^vielleicht weiter vom^ Thema ab, aber dem Herzen desto näher, liegt. ^ Einiges davon hängt mit der Hauptaufgabe seiner Schrift noch ziemlich eng zusammen; so die trefflichen Bemerkungen über das Vokabellernen und den Wert des Etymologisierens (S. 15 Anm.^)), sowie der Vorschlag, in Prima aus leichten, früher schon gelesenen Schriftstellern grössere Abschnitte kursorisch lesen zu lassen (S. 33 Anm.^)^). Anderes dagegen hat viel allgemeinere Bedeutung.

Nach Rothfuchs ist der Zweck der Erziehung die Ent- Wickelung der geistigen Kräfte zu freier Bethätigung. In Prima soll daher das Motiv des wissenschaftlichen Interesses vorherrschen; in den anderen Klassen suche der Lehrer zwar auch Interesse zu erregen, lasse aber hinter demselben mehr oder weniger deut- lich das „Glück des Müssens'^ stehen (S. 14 Anm.^)). Bei schwierigen Stellen bemerke er schon im voraus, dass die Lösung nicht verlangt werde. Gerade dann setzen manche Schüler be- sonders gern ihre ganze Kraft daran, sie zu finden (S. 15). S. 16 Anm.*) gibt Rothfuchs weitere vortreffliche Bemerkungen über die Hanptbebel zur Erregung freier Auftnerksamkeit.

Auch die Persönlichkeit des Lehrers soll sich im Unterricht frei entfalten können. „Man soll den Geist der Pädagogik nicht dämpfen durch den codex einer bis ins Detail fixierten Methode^. „Fremde Erfahrung nützt, doch nur, wenn sie sich in der eigenen erprobt.^ Für den angehenden Lehrer ist Anleitung zu einer Methode „geradezu nötigt, aber sie muss praktisch und so weitherzig sein, dass sie die Persön- lichkeit nicht fesselt (S. 13 Anm.^) und S. 14).

Der Didaktik Herbart's gegenüber teilt Rothfuchs den freieren Standpunkt Frick's (S. 28 Anm.^); vergl. auch S. 7 Anm.^)). Mit den Herbartianern bezeichnet er Erziehung als die Aufgabe der Schule; seine allgemeine Äusserung über die Methode des Herübersetzens S. 12 f. zeigt ebenfalls, wie nahe er Herbart steht; auch die Herbart-Ziller-Stoysche Didaktik findet er förderlich, wenn der Lehrer sich von ihr anregen, aber nicht

1) Vergl. den ähnlichen Vorschlag Heussner's für das Lateinische, Schriften des Deutschen Einheiisschulvereins Heft 4, S. 73 und 74.

/. Roikfuchs, Vom Übersetzen in das Deutsche etc. 49

fesseln lässt (S. 32). £r richtet sich gegen alle Künstelei mit Fonnalstufen- und Interessen-Didaktik 32 35), aber wie oben bemerkt an ihrer rechten Stelle verwertet er auch diese. Indem er den Grundsatz hervorhebt, dass Sprachunterricht zu- gleich Sachunterricht sei, fordert er doch Masshaltung in Sach- erklärungen ; denn das übersetzen ist und bleibt in der Lektüre- stunde die Hauptsache.

So steht Rothfuchs in den didaktischen Tagesfragen frei über den Parteien ; dasselbe ist auch der Fall in der Frage der Schulreform. Warm tritt er für den Wert der klassischen Sprachen ein 14 15); er verteidigt die Grammatik, welche „ihre Anfeindung mit Ehren, trage", und fordert nicht allein grammatisch genaue Erklärung der Schriftsteller, sondern gibt ihr auch besondere Stunden, wo sie „Herrin sein soll". Vergl. S. 25 Anm.2), S. 27 Anm.*), S. 21 und Anm.^). Vermehrung der Lehrstunden für das Deutsche fordert er nicht, aber seine ganze Schrift wird beherrscht von dem Gedanken, den fremd- sprachlichen Unterricht für die Hebung der Sprachkraft in der Muttersprache fruchtbar zu machen. Auch S. 30 Anm.^) ist für diesen Zweck wichtig. Doch erwartet Rothfuchs von der Ent- Wickelung der Sprachkraft noch eine tiefere Wirkung. „Der Mensch '^, sagt er, „bildet den Stil, aber auch der Stil den Menschen. '^ Das heisst doch wohl: Durch den Stil influiert etwas von dem fremden Wesen in das eigene herüber, prägt sich etwas von jenem dem eigenen auf. So präge sich denn vom Wesen der klassischen Litteratur der Alten derjenige Cha- rakter dem deutschen auf, den unsere beiden grossen Dichter- heroen uns raten in dem Worte, welches wir unserem Geständnis als Motto^) an die Stirn geschrieben: Römische Kraft und griechische Schönheit!" Dies ist der ideale Zweck, dem Rothfuchs' Methode dienen soll; darum fordert er, dass der fremde Schriftsteller nicht bloss wortgetreu übersetzt, sondern durch wirkliche Verdeutschung ganz in den deutschen Geist hintibergeführt werden soll. Freilich muss Rothfuchs vom Lehrer hervorragende Übersetzungskunst verlangen, um dies Ziel er- reichen zu können. Homer soll naiv und lieblich übersetzt werden, Herodot einfach und treuherzig, Demosthenes feurig und und patriotisch, Sophokles erhaben und geistvoll, Tacitus ernst und scharf, bisweilen bitter, Horaz lebensvoll und heiter, Cäsar sachlich und gehaltvoll, Plato ideal und tief, alle aber kraftvoll und masBvoll. Dies zu leisten, ist die schwerste, aber auch

^) Ringe, Leutscher, nach römischer Kraft und griechischer Schönheit! Beides gelang Dir, doch nie glückte der gallische Sprung,

Zschr. f. frz. Spr. n. Litt. XI^. a

50 Referate und Rezensionen, F, Homemann,

BohöBste Aufgabe; welche RothfuchB uns Schulmännern in vor- liegender Schrift stellt; vermögen wir sie zu erfüllen, so werden wir auch jenen hohen Zweck verwirklichen können.

Wer die Bedeutung der SchriftstellerlektUre so tief und ideal auffasst, kann kein Freund des modernen Utilitarismus sein. Rothfuchs tadelt die Sprachroutiniers, welche von unsern Schulen Leistungen fordern, in denen uns die Kellner doch über sind, und verweist auch die Aneignung der Vorkenntnisse für das Fachstudium besonders das medizinische und naturwissen- schaftliche — auf die Universität (§15 mit Anm.^) und ^)). Die Schule soll nur „die Tüchtigkeit verbürgen, sich weiter bilden und ein Fachstudium beginnen zu gönnen. ""

Aber wenn er so den eifrigen Schulreform ern gewiss viel zu sehr am Alten zu hängen scheint, freut er sich andererseits über Fortschritte, welche neues Gute erstreben, ohne altes Gute preiszugeben^ (S. 32 Anm.^)). Gerade in den beiden Punkten, welche auch ich als die wichtigsten betrachte, scheint er eine Weiterentwickelnng des Gymnasiums zu wünschen. Er mahnt, das Gymnasium möge in der Pflege des Beobachtens ja nicht zu weit hinter dem Realgymnasium zurückbleiben, und er schätzt in besonderem Masse das Griechische als ideales Bildnngs- mittel. Ganz besonders von dem Werte der griechischen Litteratur^) soll der Schüler einen bleibenden Eindruck ge- winnen; und der Vergleich^ welcher S. 31 Anm.^) zwischen Cicero und Demosthenes inbezug auf den Gehalt ihrer Reden angestellt wird, fällt sehr zu gunsten^des Griechen aus. Würde Rothfuchs nicht vielleicht zustimmen, wenn man behauptete, der Bildungs- wert des Lateinischen liege vorzugsweise in den unteren und mittleren Klassen, während es in den oberen Klassen etwas verkürzt werden könnte? Hat er doch schon früher seine Mei- nung dahin erklärt, man könne den lateinischen Aufsatz schenken. (Zur Methodik des altsprachlichen Unterrichts, 2. Aufl., S. 44 mit Anm.)

Doch hierüber wie über manche andere Fragen enthält die vorliegende Schrift höchstens Andeutungen; möge Rothfuchs das, was dem diesmaligen Thema femer, aber seinem Herzen desto näher liegt, in einem weiteren Geständnis aus den Anmerkungen entfernen und in vollerer Darstellung als Hauptaufgabe behandeln 1 Er würde sich den Dank der pädagogischen Welt verdienen und dazu mitwirken können, die Reformbewegung auf dem Gebiete des Schulwesens in die richtigen Bahnen zu leiten.

^) Über deren Auswahl S. 28 Anm.*) ausführlicher gesprochen wird.

F. HOSNEMANN.

Engtich^ Die französische Grammatik am Gymnasium, 51

Englich, Die französische Grammatik am Ghymnasium, Progrmmm [No. 28] des Eönigl. GymnasianiB in Danzig. Das.; 1886. 42 S. 40.

Diese Schrift, die aas langjähriger und vielseitiger Unter- richtserfahmng hervorgegangen ist, hat vor allem den Zweck, nachzuweisen, dass und in welchen Punkten unsere fran- zösischen Schulgrammatiken am Gymnasium gekürzt werden müssen. Gerade die besten derselben, wie die Lücking's, Flattner's, Knebel - Probst's, bieten viel mehr, als in der dem Französischen gewidmeten Zeit durchgenommen werden kann« Di^ sogenannten Normalgrammatiken aber sind aus verschiedenen Gründen zu verwerfen, darunter auch was Englich nicht an- führt — deshalb, weil sie die dem Schüler so förderliche Über- sichtlichkeit kurzer, auf das Notwendige beschränkter Auszüge aus der Grammatik nie erreichen können. Allerdings bieten xPlcetz' Lehrbücher eine praktischere Auswahl des Stoffes, aber „der Weg, den er uns führt, ist ein zu praktischer und zu sehr zuHÜliger, ein solcher, welcher das Ziel des Gymnasiums, allge- meine Bildung zu geben, zu wenig berücksichtigt und deswegen in dem Schüler das Bewusstsein, nach einem bestimmten Ziele geleitet zu werden, überhaupt nicht erwachen lässt.'^ So bleibt also nur das Mittel, Grammatiken wie die Lücking's oder Knebel- Probst's zu verkürzen. Da Englich nach letzterer unterrichtet, so schliesst er seine Vorschläge an diese an und zeigt, indem er sie Abschnitt für Abschnitt durchmustert, dass sie durch Ausmerzung des Überflüssigen, knappere Fassung der Regeln und Überweisung zahlreicher Einzelheiten an die Lektürestunde denn was in der besonderen Grammatikstunde einzuüben ist, will Englich feststellen „mindestens um die Hälfte redu- ziert werden kann.« Man wird seinen Auslassungen durchweg zustimmen, ja, wenn ich nicht irre, noch beträchtlich weiter in den Kürzungen gehen können als er.

Aber Englich beschränkt nicht allein den grammatischen Stoff, er schlägt auch Verbesserungen in der Anordnung und im Inhalt der Regeln vor. Dabei strebt er mit Recht nach schärferer Scheidung der Formenlehre von der Satzlehre z. B. in der Lehre vom Fürworte Kn.-Pr. § 35 ff. , sowie nach Entfernung lexikalischen und stilistischen Stoffes aus der Gram- matik; so mehrfach S. 27 und 28. In mehreren Punkten kommt er auch den gegenwärtig so lebhaft umstrittenen methodischen Reformforderungen auf dem Gebiete des Sprachunterrichts nahe. Wiederholt will er an Stelle der vielen Einzelregeln das zu Grunde liegende allgemeine Prinzip setzen; so S. 20 in der

4*

52 Referate und Rezensioften. F. J)ötT,

Lehre yob der Wortstellung, S. 33 in der Lehre von den Modi, S. 24 in der Lehre von der Stellang des Adjektivs, wobei mir freilich zweifelhaft bleibt, ob er das Prinzip ftir die letztere zu- treffend bestimmt. Mit vollem Rechte betont Englieh, dass hier- durch der Unterricht bildender und interessanter wird. Dabei benutzt er die Ergebnisse der neueren Sprachwissenschaft, z. B. S. 16 für die Behandlung der unregelmässigen Verben. Freilich will er diese erst mechanisch einüben und nachher erläutern, während man doch zweckmässiger Verständnis und gedächtnismässige An- eignung sich von vornherein gegenseitig untersttitzen lässt. Auch verbessert er die unwissenschaftlichen Regeln über die Bildung der regelmässigen Verbalformen Kn.-Pr. S. 76 nicht, obwohl doch eine denkende Erlernung der unregelmässigen Verbalformen eine entsprechende Behandlung der regelmässigen voraussetzt.^)

Auf das Einzelne näher einzugehen und auszuführen, welche von Englich*s Verbesserungsvorschlägen mir gelungen scheinen, welche nicht, verbietet mir der dieser Anzeige zugemessene Raum; nur auf einen wichtigen allgemeineren Gedanken mache ich noch aufmerksam, der die ganze Schrift Englich's durchzieht, ich meine das Streben, die französische Grammatik aus ihrer Vereinzelung zu befreien und mit der der anderen Sprachen, vornehmlich natürlich mit der lateinischen, in Beziehung zu setzen. S. 2 bezeichnet er die Anlehnung an das Lateinische geradezu als ein wesentliches Erfordernis einer französischen Grammatik für Gymnasien; denn durch die- selbe werde nicht allein eine bedeutende Entlastung erzielt, sondern auch die sprachliche, ja die allgemeine Bildung gefördert, da ja dem Schüler der Begriff des Historischen, von dem unsere ganze heutige Wissenschaft durchdrungen ist, inbezug auf die Sprache dadurch zum Bewusstsein gebracht werde. S. 32 fügt er bei Gelegenheit der Lehre von den Tempora hinzu, dass auch die Terminologie in der französischen Grammatik soweit wie möglich der lateinischen folgen müsse, „da man dadurch nicht nur der Verwirrung, die durch neue Namen stets leicht herbeigeführt wird, vorbeugt, sondern auch noch die Begriffe, welche die lateinische Grammatik mit gewissen Namen verbindet, befestigt.^ So ist Englich's Arbeit auch ein Beitrag zu einer vergleichenden Darstellung der Grammatik für den Schulunter- richt, deren Durchführung fOr alle fünf Schulsprachen (Deutsch, Lateinisch, Griechisch, Französisch und Englisch) meines Er-

^) Sehr zu billigen ist auch der gelegentlich ausgesprochene Grundsatz, in V und I v überwiegend viel französisch lesen, wenig aus dem Deutschen übersetzen zu lassen, sowie die Forderung S. 17, den Schwerpunkt des Unterrichts wirklich in die Klasse zu verlegen.

J. Gfitersohn, Zur Reform des fremdsprachlichen Unterrichts etc, 53

achtens eine der bedeutendsten und fruchtbarsten, freilich auch schwierigsten Aufgaben der heutigen Methodik ist. Vergleiche meine Gedanken und Vorschläge zur Parallelgrammatik im 3. Hefte der Schriften des deutschen Einheitsschulwesens, sowie den soeben bei Alfred Holder in Wien erschienenen Ahrisg der französischen Syntax mit Rücksicht auf lateinische und griechische Vorkenntnisse, dargestellt von Em. Feichtinger, und die bei Swan Sonnenschein in London herausgegebene ParaUd Grammar Series, So sei denn die anregende Schrift Englich's allen Fach- genossen zur Lektüre und zu eingehender Prüfung bestens empfohlen! F. Hobnemann.

Gntersolin, J«, Gegenvorschläge zur Reform des neusprachüchen Unterrichts. Sonderabdruck aus den Verhandlungen des Vereins akademisch gebildeter Lehrer an badischen Mittel- schulen (Pfingsten, 1887). Karlsruhe, 1888. Braun. 26 S. 8«. Preis: 0,60 Mk.

Guter sehn äussert sich nach einigen einleitenden Worten zuerst über „Phonetik", dann über den „Anfangsunterricht", und weiter über die „zweite ünterrichtsstufe" (am Schluss folgen noch einige Bemerkungen). Der Vortrag soll „vorzugsweise die Bedürfhisse der lateinlosen Realschulen berücksichtigen", die nach Gutersohn's Meinung „bis jetzt allein noch in keiner Weise ausgesprochene Stellung (wie kann man eine Stellung aussprechen?) zu der Frage genommen hätten". Die einleitenden Worte bringen „mit Rücksicht auf die Zu- sammensetzung der Versammlung, deren grösserer Teil bis jetzt wohl der Frage etwas ferner gestanden", „einige kurze Notizen und kritische Bemerkungen über den geschichtlichen Verlauf der neusprachlichen Reformbewegung". Es werden genannt Perthes (beifällig), Quousque Tandem (mit Hinweis auf Ulbrich, der geäussert habe, Quousque Tan- dem sei in der Negation und in der Invektive ausführlicher und klarer, als in seinen positiven Vorschlägen ; und mit Berufung auf Ickelsamer, der schon 1529 auf den Unterschied zwischen Buchstaben und Laut hingewiesen habe). Kühn (abfällig), Münch, Rambeau („in mancher Hinsicht" beipflichtend); Hornemann, Eidam, Ohlert (als „mehr gemässigt" bezeichnet) und die Beschlüsse mehrerer Schul- und Fach- männer-Versammlungen, insbesondere der Hauptversammlung des Deutschen Vereins für höhere Mädchenschulen in Berlin, 1886, und des Neuphilologentags in Frankfurt a/M. , 1887 (beide ebenfalls „mehr ge- mässigte Stellungsnahme"). Dann verweist Gutersohn auf die Anord- nungen der Badischen Schnlbehörde bezüglich des Betriebs des französischen Unterrichts an den Gymnasien und auf die „meist auf eigenen Antrieb" durchgeführten Neuerungen an höheren Mädchenschulen in Baden. Auswahl wie Urteil sind natürlich durchaus subjektiv. Es konnte noch mancher mehr oder minder hervorragende Vertreter und Gegner der „Reform" genannt werden, wenn selbst Eidam in der Liste prangen durfte. Manche Versammlung, auf welcher sich weit mehr und kompetentere Fachleute befanden, als auf der berühmten des Mädchenschulvereins zu Berlin, war zu erwähnen. Und neben dem einsamen Ickelsamer konnte auch noch mancher andere genannt werden

54 ReferaU und Rezensionen, F, Dan-,

(nebenbei bemerkt ist das „Lautieren*' in unseren Volks- und Vor- schulen etwas ganz anderes, als was sich Gutersohn darunter zu denken scheint, wenn er meint, Quousque Tandem -Vietor habe sich diese Präzedenzfälle entgehen lassen in Wirklichkeit kennt Vietor nicht nur Ickelsamer, sondern auch noch andere Leute ganz gut, wie ich weiss, und vielleicht besser als Gutersohn, wie ich mir zu vermuten gestatte). Gutersohn nennt auch nachher noch viele und vieles selbst, l^ennzeichnend für sein Verfahren ist aber auf diesen ersten zwei Seiten, dass er Psychologie und Pädagogik, beziehungsweise Geschichte der Methodik fCir sich zu verwenden bestrebt ist ; mit welchem ßrfolge, zeigt sich wohl noch später.

In Abschnitt I „Phonetik" sucht Gutersohn mit Heranziehung einzelner Äusserungen verschiedener Reformer und Gegenreformer dar- zulegen, dass phonetische Umschrift und Begründung der Formenlehre auf die Lautlehre „für die Schule nicht verwertbar** und „vollkommen gerichtet" seien. Den Thesen Ahn's vom Neuphilologentag 1886 stimmt Gutersohn zu: „Das ist nun wohl ein Standpunkt, der einer besonderen Begründung nicht mehr bedarf, dem vielmehr jeder erfahrene Lehrer ohne weiteres beistimmen wird." Gutersohn erkennt auch „laut und lobend" an, dass Ploetz' „systematische Darstellung der französischen Aussprache" „immer noch ein zuverlässiger und unentbehrlicher Rat- geber für den Studierenden und den angehenden Lehrer, besonders wertvoll auch bei einem Aufenthalt im fremden Lande selbst" bleibt. Er findet es „unerklärlich", „wie sich einige der Reformer so sehr

fegen die sogenannte Ausspracheregeln (bei ^loetz u. a.) ereifern önnen." Br erklärt, „es ist wenigstens für das Französische kaum eine kläglichere Unterrichtsbrücke (Unterrichtsbröcke nebenbei be- merkt, ein eigener Ausdruck, Gutersohn ist überhaupt nicht immer glücklich mit seinen bildlichen Ausdrücken) denkbar, als gerade die phonetische Umschrift. Er sagt „getrost": „Wo es bei dem Lehrer an der guten Aussprache oder der nötigen phonetischen Schulung fehlt, da wird auch mit dem gelungensten Lautschriftsystem in der Schule nicht viel erreicht werden" ... Er verlangt, es solle, wie beim ersten Unterrichte in der Muttersprache, „Anschauungs-, Schreib- und Lese- unterricht" vereinigt sein, so auch im fremdsprachlichen Unterrichte an dem Grundsatze festgehalten werden, „dass die Kinder schreibend lesen und lesend schreiben lernen sollen" : „nur wenn Laut und Zeichen untrennbar vereint bleiben, kann das fremde Wort im Bewusstsein haften." Dieses „kann" ist etwas kühn. Welche Zeichen werden denn in dem Bewusstsein des Babys untrennbar mit den Lauten: Mama, Papa etc. vereint? Und hat Herr Gutersohn nie ein französisches oder englisches Wort von einem Franzosen oder Engländer gehört und be- halten, ohne dass dieser es ihm mindestens vorbuchstabierte? Das ist die unglückselige deutsche Schulmeisterei , für welche die handgreif- lichsten Thatsachen, die alle Tage hundertmal geschehen, nicht vor- handen sind. Und hat Herr Gutersohn noch nie gehört, dass ein- sichtige Volksschnllehrer sehr darüber zu klagen haben, wie verdriess- lieh es sei, dass Laut und Schrift einander so weni^ decken? Hat er noch nicht bemerkt, dass solche, die weniger einsichtig sind, der Schrift zuliebe ganz falsche Laute lehren? Hat er noch nie gesehen, wie die ersten schriftlichen Arbeiten z. B. eines englischen kleinen Schuljungen sich präsentieren? Es könnte ihm die erste beste Mutter, welche sich um ihr 6 jähriges Söhnchen oder Töchterchen ein wenig kümmert, verraten, wie sehr sie in Verlegenheit gerät, wenn das kleine Wesen lautrichtig: un^, Hun< = bunt etc. schreibt; oder eine Bitte um Ein-

/. Guiersohn, Zur Reform des fremdsprMhUchen Unterrichts etc. 55

Bendang eines Aufsatzes eines englischen Schuljungen (es könnten als Ersatz einige im Januar- und Februarheft 1889 von Lofwman^e Magazine abgedruckte Proben dienen) an einem School Board Teacher ihn darüber aufklären, dass Laut und Zeichen sich bei der her- kömmlichen Orthographie sehr mit Widerstreben kopulieren lassen. Es wäre ein Ziel „aufs innigste zu wünschen'', dass die Phonetiker sich über ein möglichst einfaches Standard alphahet einigten und dies dann als ,, Orthographie" in den Schulen gelehrt würde, anstatt des Misch- masches, der heutigen Tages leider die Köpfe der Lehrer und Kinder verwirrt. ^- In Abschnitt I hat Gutersohn also den Vogel nicht ab- geschossen.^)

In Abschnitt II behandelt Gutersohn den Anfangsunterricht. Er beginnt mit einem Hinweis auf eine von ihm selbst verfasste fran- zösische Leseschule^): „gerade für die Anfangsstufe wird kaum je ein wesentlich verschiedenes Lehrverfahren gefunden werden können, das ebenso rasch und leicht zu einem befriedigenden Ziele führte/ Dieses einzige Lehrverfahren beginnt in § 1 mit dem Alphabet und An- weisungen wie folgt : „C c (ce) . . . (sseh), G g (gS) . . . (scheh sehr weich)'* etc., lehrt in der ersten Leseubung einzelne Wörter lesen, die ohne Zusammenhang und zum geringsten Teile mit Angabe der deutschen Bedeutung erscheinen, darunter: malotru, abrutir, primitif pyramidal, matrimonial^) Hoffentlich verzeiht Herr Gutersohn den „Reu>rmem", wenn sie kühn genug sind, zu glauben, es könne doch noch ein Lehr- verfahren gefunden werden, ja, es sei schon gefunden, das nicht un- erheblich anders und besser sei als dieses ^gute, solide und sichere/^)

Für die späteren Stufen des Unterrichts erklärt Gutersohn, seien „grosse und weitgehende'' Reformen „wünschenswert und nötig." Er verweist sodann auf die „Prinzipien", welche, „als für die Didaktik massgebend nachgewiesen sind": „die Forderung des Unterrichts- ganges vom Leichteren zum Schwereren, vom Bekannten zum Unbekannten, endlich vom Konkreten zum Abstrakten." Von diesen schweren Dingen haben die „Reformer" natürlich nie ett^as gehört; deshalb gerät auch Gutersohn alsbald „in schroffen Gegen- satz zu einer weiteren Forderung der Sprachreformer, nämlich den Lesestoff gleich von Anfang an zum Ausgangs- und Mittelpunkt des Unterrichts zu machen." Gutersohn beginnt mit Einzelsätzen, weiss sich dabei „im Einklang mit Perthes selbst" und verweist auf Herbart und Ziller und die „wissenschaftliche Pädagogik." Es folgt eine Belehrung über das „eigentliche Wesen des Lernprozesses", über analytisch und synthetisch (was natürlich für akademisch ge- bildete Lehrer höchst nötig ist), und es wird auseinandergesetzt, dass naturgemäss beim Erlernen der fremden Sprache an die Muttersprache anzuknüpfen sei. „Die Sprachform allein ist und bleibt für den

1) Ich darf nicht versäumen, darauf hinzuweisen, dass er auf Seite 3 Vietior gegenüber noch ganz besonderes Unglück hat, indem er ihn, ohne den Sachverhalt zu ahnen, durch ein Zitat aus Sweet nach Victors eigener Übersetzung belehren will. Vgl. Phonetische Studien II 1888, S. 101 f.

3) Dresden, 1886. Ehlermann.

8) Vgl. „Mädchenschule"", II 1889, S. 45--4«.

*) S. 15. „Wie überhaupt die sogenannte „phonetische Schu- lung", die ja fast von allen Sprachreformern angestrebt wird, auf einem ajidern Wege als dem in der LeseschtUe eingeschlagenen erreichbar wäre, ist unerfindlich."

56 Referate und Rezensionen, F, Dörr,

Lernenden das Neue, fast gänzlich Unbekannte und darf als solches nach allen Gesetzen der Logik und der Psychologie nur auf synthe- tischem Wege ihm zugeführt werden." Also „vom Laute oder Buch- staben zum Worte, dann zum Satze und zuletzt zum zusammen- hängenden Lesestücke." „So scheint uns denn gerade die richtige An- wendung der von der „wissenschaffclichen Pädagogik" gebotenen Grundwahrheiten im wesentlichen zu einer Bestätigung und tieferen Begründung der im geschichtlichen Verlaufe ganz naturgemäss entstandenen synthetischen Methode des fremdsprachlichen Unterrichts zu führen. Wer nur einigermassen mit der Geschichte der Pädagogik bekannt ist, der weiss, dass besonders in diesem Zweige des Unter- richts erst nach grenzenlosen Verirrungen und grossartigen Mi^^serfolgen ein besserer, psychologisch richtigerer Lehrgang angebahnt worden ist, und zwar ist cÜes in erster Linie den Anstrengungen des Comenius, den trefflichen Grundsätzen seiner ^Grossen ünierrichislehre ... zu ver- danken . . ., durch letztere trat er erfolgreich dem alten Irrweg ent- gegen, den Unterricht sofort mit der Lektüre der fremden Klassiker zu beginnen . . ." ,,Meine Leseschule . . ." „Im allgemeinen . . . darf . . . der Anfangsunterricht nicht von der auf psychologischer Basis ruhenden, wesentlich synthetischen Methode abweichen. Wie fest und gut aber diese Basis gerade durch die Kerbart -Zillersche Pädagogik be- gründet ist, das beweist in letzter Linie noch ein Blick in die Geschichte der Pädagogik." Nun folgt ein wiederholter Verweis auf Comenius, etwas Polemik gegen Kühn und Plattner und der Rat: „Man lese über- haupt in einer ausführlichen Geschichte der Pädagogik, in den Werken des Comenius u. dergl. nach, zu welch traurigen Resultaten jene Methode des Sprachunterrichts noch immer geführt hat, wo man gleich mit dem Lesen eines zusammenhängenden Textes begonnen." Zum Schlüsse des Abschnittes II 5 Thesen, die das Vorgetragene zu- sammenfassen.

In diesem Abschnitte verfährt Gutersohn mit wahrhaft ver- blüffender Kühnheit. Auf welche Hörer, beziehungsweise Leser rechnet er wohl? Danach muss doch der, welchem bis dato Comenius, Uerbart, Ziller etc. terra incognita waren, sicher glauben, diese Heroen der Pädagogik fingen fremdsprachlichen Unterricht mit Einzelsätzen be- liebigen Inhalts an; denn so will es ja der in Geschichte und Theorie der Pädagogik so fest gegründete Herr Gutersohn, und auf sie beruft er sich ja immerzu. Nun, dann rate ich, gleich ihm, zu einer ge- fälligen , wenn auch nur kursorischen Lektüre des Comenius, Herbart's, Ziller's etc., da wo die Herren von diesen Dingen sprechen. Dann wird die Autorität Gutersohn's in etwas eigenem Lichte dastehen.

Comenius z. B. hat stets Sätze, welche inhaltlich zusammen- hängen; er lehrt nie die Worte ohne die Sache (man sehe sich nur den Orbis pictus an und vergleiche damit Gutersohn's Französische Leseschule /)^). Herbart verlangt ausdrücklich beim fremdsprachlichen Unterricht Ausgehen von inhaltlich bedeutendem, zusammenhängendem Lesestoff (Homer ist der erste !). Ziller steht ganz auf Herbart's Stand- punkt (man sehe nur, was bei ihm selbst, in den Jahrbüchern des Ver- eins für wissenschaftliche Pädagogik^ in den nach seinen Ideen ge-

^) Vgl. eine etwas ausführlichere Auseinandersetzung in der „Mädchenschule"' , II (1889), S. 47-48.

^ Besonders schlagend von Günther im XIII. Jahrgang, 1881, in einem für die Verteidiger der Einseisätze geradezu vernichtendem Aufsatze.

/. Gutersohn, Zur Reform des fremdsprachlichen Unterrichts etc. 57

arbeiteten Lehrbücherni), hierüber zu finden ist). Ich mass mir ver- sagen, dies hier weiter anzuführen; aber ich kann nicht umhin, wiederholt zu gestehen, dass die Kühnheit, mit welcher Gutersohn hier Comenius, Herbart, Ziller, Geschichte der Pädagogik und Psychologie für die Einzelsätze ins Feld führt, wahrhaft atembenehmend ist. Da- nach könnte man auch aus Kopernikus und Galilei beweisen, dass die Erde still steht.

Der III. Teil behandelt auf S. 18 25 die „zweite Unterrichts- stufe''. Jetzt darf auch das zusammenhängende Lesestück seine Reverenz machen, und, „was an den Reformbestrebuugen ausser der Phonetik wirklich Gutes ist", die „Förderung der Sprechübungen", wird ebenfalls gestattet. Ploetz und Comenius, die induktive Be- handlung, Masberg, Kemnitz, d'Hargues, Luppe und Ottens, J. Baum- garten, H. Breymann u. H. Möller, J. Aymeric, Curt Schäfer, Ricken, Löwe, Kühn, ülbrich, Mangold und Coste, Plattner, Schmitz -Aurbach, Rufer, A. Baumgartner u. a. werden in schnellem Fluge vorgeführt, und 3 weitere Thesen (S. 24) fassen das Gesagte zusammen. Auf diesen paar Seiten (18 25) lässt sich natürlich über so vieles nur aphoristisch handeln, und den Urteilen Gutersohn's liesse sich oft mit gleicher Berechtigung die gegenteilige Behauptung gegenüberstellen; welchen Wert aber können ein paar Zeilen als Urteil über ein ganzes Buch haben, wenn sie lauten wie folgt: „Ein erfolgreicher Anfangs- unterricht ist gewiss auch möglich nach den Exercices et Lectures des schweizerischen Sekundarlehrers H. Rufer. Eigentümlicher Weise wird das Buch auch von Prof. J. Bierbaum, dem Hauptvertreter der sogenannten direkten Methode, empfohlen, welche der Theorie nach wohl eigentlich das Gegenstück der von uns verteidigten syn- thetischen Lehrweise sein sollte. Es ist aber doch zu beachten, dass dasselbe bis jetzt vorwiegend in gemischtem Sprachgebiete im Ge- brauch ist; auch ist es in ganz anspruchsloser Weise in die Welt ge- treten, nicht durch endlose Broschüren als das eine Umwälzung des Sprachunterrichts anbahnende Evangelium voraus verkündet" ?!

Ich bin mit Gutersohn's Gegenvorschlägen und der in seiner Broschüre verkündeten Französischen Leseschule zu Ende. Leider habe ich nicht viel freundliches darüber zu sagen gehabt. Vielleicht bin ich hier und da scharf gewesen; daran ist aber Gutersohn selbst schuld. Warum fordert er zum Studium des Comenius „u. dergl." selber auf? Es wäre recht gut, wenn recht viele Herren Kollegen Comenius, Herbart, Ziller „u. dergl." recht eifrig studierten; dann brauchten wir uns erheblich weniger mit Vorschlägen und Gegenvor- schlägen zu beschäftigen, die nicht viel für sich haben ausser dem Umstände, dass ihre Herren Verfasser es herzlich gut gemeint haben mögen.2)

^) Zum Beispiel Barth's Lateinisches Lesebuch.

2) Ich darf nicht versäumen, zu erwähnen, dass die neusprach- liche Sektion der Züricher Philologen -Versammlung Gutersohn's Thesen mit geringen Änderungen „fast einstimmig" angenommen hat. Vgl. Pröscholdt's Bericht i. d. Engl. St., XI, 551—2.

F. DÖER.

58 Referate und Rezensionen. J. Aymeric,

fi^n^ehaad, P», Abrege de Utteratwre fran^aise ä Ftuage des eeoles sfiperieures et de finstruction privee, Eisenach, 1889. Bac- meister. III, 110 S. kl. 8«. Preis: 1 Mk.

Das kleine Bach soll wohl den Bedürfnissen höherer Mädchen- schulen dienen; es fehlt auch das in derartigen Leitföden herkömm- liche Bedauern nicht, dass die französische Litteratur manchmal so wenig fromm und anständig sei. Der StofiF ist eigentümlich verteilt. S. 10 stehen wir bei Malherbe, S. 13 bei Racine, S. 35 bei Voltaire, S. 61 bei der Romantik, S. 79 bei Barbier, mit dem das Buch wohl hätte schliessen können. Dem Leitfaden geht ein Livre de lecture zur Seite, auf welches oft verwiesen wird; dem ungeachtet sind auch hier zahl- reiche und manchmal verhältnismässig umfängliche Proben mitgeteilt. So nimmt denn Madame de S^vign^ 3 Seiten ein, J.-J. Rousseau 2Y2> Voltaire ^g Seite, Diderot 4 Linien, Töpifer dagegen über 5 Seiten. Dass dabei eine eigentliche Kenntnis der geistigen Bewegung, welche in der Litteratur des französischen Volkes sich ausspricht, nicht erzielt werden kann, liegt auf der Hand. Das Biographische überwiegt und ist im Ganzen richtig; doch hätten Druckfehler vermieden werden sollen wie Ruitebeuf, Cherbulier, Lanfray. Die bekannte Komödie von Piron heisst auch nicht Le Meiromane. Wir wollen von den ersten Partien schweigen, welche von Troubadours und Trouveres sprechen. Aber die Darstellung ist auffallend ungeschickt. Was soll sich z. B. ein Schüler denken bei dem Satze (S. 61): Dejä dans Vepoque pre'cedante, quelqi^s ecrivains aimient iniroduit dans la liiierature des idees qui trouvereni fadlemeni de nombreux imitateurs. Welches diese Ideen gewesen sind, erfährt er nirgends. S. 7 liest man den merk- würdigen Satz: La tt^oisieme epoque ... est Celle de P&iidition et du pe'dantisme, ainsi que celle de la Renaissance par la prise de Constantinople par les Turcs. Das sei, fährt der Verfasser fort, auch re'poque preparatoire des ecrivains du XVll^ siede gewesen: quant ä ceux de ce temps-lä, ce ne sont pour la plupart que des traducteurs ou des imitateurs sans jugement et sans aoüi de ces savants fugitifs! -- nämlich der aus Konstantinopel entflohenen! Dass Richelieu die Akademie gegründet, dass Hötel Rambouillet die Sprache gereinigt, qtii laissait heaucoup ä desirer (S. 11), und dass Corneille der wahre Schöpfer des französischen Theaters gewesen sei, erfahren wir aus diesem Leitfaden, wie aus den unzähligen anderen dieser Art, die jedenfalls das gegen sich haben, dass sie der wünschenswerten Aus- dehnung der Lektüre und damit einer wirklichen Kenntnis französischer Litteratur, wenn auch nur auf eng begrenztem Gebiete, im Wege stehen. E. v. Sallwübk.

Dandet, Alpltonse, Lettres de mon mouän. Ausgewählte Briefe mit Einleitung, Anmerkungen und einem Anhang herausgeg. von Erwin Hönncher. Leipzig, 1889. E. A. Seemann. XU, 81 + 41 S. kl. 8^. (Martin Hartmann's Schulausgaben No. 4.)

Les ouvrages d'Alphonse Daudet ofFrent parfois beaucoup de difficult^s et il faut savoir grö ä M. Hönncher de n'ötre pas trop restö au dessouB de sa täche. II a ä peu pr^s rompu avec le Systeme inaugur^ dans M^* de la Seiglibre, consistant en de perp^tuelles comparaisons en franfais! entre les divers ouvrages du m^me auteur. Les Lettres de mon moulin sont donc plus ä la portäe des äl^ves; le choix en est judicieux et Vöditeur a employö tous les moyens pour s'orienter

Daudet, Lettres de man mouUn, hernusgeg, van Bönncher^ 69

dans les ne et cofltumes du midi de la France. II n'y a pas toujourt r^usBi, c'est vrai: c^eet une t&che si difficile! G'est surtout dans Texplication concernant les choees de T^glise catholique ^- et les Lettres de mon moulin en sont remplies que ses sourceH lui ontfait d^faut. De Ik rabsence de notes trös interessantes qu*on aurait pu faire sur la plupart des d^tails de ces belles solemnit^s d^crites par Daudet. Et malgr^ cela, je ne fais aucune difficultä de le reconnaitre, cette Edition est ä recommander et eile dänote des connaissances solides.

Voici les passages que je crois devoir redresser. P. 4. [das pro- venzalische nu^ erklärt der Dichter selbst mit ferme . . .] Daudet met bien entre parenthöses le mot ferme ^ cöt^ de mos, mais c'est un cas iout particulier. Le mot mos d^signe un tont petit yillage, soit qu'il consiste en une ou plusieurs maisons; j'en connais qui en ont dix, comme aussi qui n^en ont qu'une. [Le portail von einer Schäferei ge- sagt, ist wohl scherzhafb zu verstehen.] Le mot portail ne se rapporte pas ici ä la bergerie, mais seulement ä la ferme elle-mSme. fau Paradou. Dieser in Südfrankreich öfters vorkommende Ortsname ent- spricht dem in Mittel- und Nordfrankreich sehr häufigen DstraäisJ Exceptä ce Paradou, dont il est ici question et qui se trouve dans Parrondissement d'Arles, je ne connais aucun autre endroit de ce nom. Paradou vient du latin (partes, -etem) et signifie Ueu de defense, refuge, rode, P. 6 fniche = Hundestall, chenü.J En lisant le passage dans son entier, il est bien clair que niche et chenil sont bien diff^rents Fun de l'autre. La niche est une Bundehütte, en bois, au milieu de la cour, et le chenil est une Stahle, en ma^onnerie, dans lequel on enferme plusieurs chiens; dans la niche, il n'y en a qu'un. fla petite porie ä claire-voie, kleine Thüre mit Luke.] C'est une porte en treillage, gitter förmig ; eile a par consäquent un grand nombre de Luken.

II est dit (p. 10) que Br^bant n'est plus Restaurateur, Je Vignore, mais le Figaro disait la semaine derniero: Br^bant, le c^läbre restau- rateur du Boulevard Poissonniäre, ^tablira une succursale sur la tour EiflFel ... P. 7 [gambader . . . verwandt mit jambe. Die altfranzösische und noch jetzt südromanische Form lautete mit g an;] Si par süd- romanische il faut entendre provenzalische la remarque n^est pas juste: le proveuQal dit camba, L'auteur aurait pu comparer avec le mot ingambe. [Das von chevre abgeleitete chevroter wird nur vom Zittern der Stimme gebraucht.] Chevroter veut dire encore et en premi^re ligne Zickeln. P. 9 [je me languis ich werde krank.] On aurait pu faire remarquer que cette expression n'est pas fran9ai8e, mais proven^ale. [Ce n'est pas la peine = cela ne vaut pas la peine.] Ici, ce n'est pas cela. Sesuin dit k sa chevre: Veux-tu que j'allonge la corde? Ce n'est pas la peine.'* Es ist nicht nötig, et non pas: es ist nicht der Mühe werth. P. 8. [Jnsque par dessus les cornes, eine ähnliche Umformung des familiären Ausdrucks jusque par dessus les oreilles, wie wenn Lafontaine sagt:

Th^mis n'avait point travaill^,

De memoire de singe, ä fait plus embrouillä.

J'avoue que je ne vois rien de semblable, et cette explication est une ^nigme pour moi.*) A la p. 14, menager devait §tre traduit

^) Die Ähnlichkeit liegt doch wohl deutlich genug in de memoire de singe, Umformung des Ausdrucks de memoire d'hommes, B, K.

Die Ähnlickkeit wäre deutlich genug, wenn der Herausgeber de memoire d' komme erwähnt hätte, was nicht der Fall ist. Aber die Schüler werden sie wohl finden! Aymeric,

60 Refe^^ate und Rezensionen. J, Aymeric,

par Hatiswiri, Besitzer, comme il l'a d^jä 6t6 ä la page 2, et non par Senner, [ie train des fites . . . Ergänze : il n*v avaitj On ne eaurait employer ici l'imparfait, et il faudrait dire -. il ny a eu. La description de la farandole (p. 11) n'est pas träs juete; cette danse n^a lieu que 8ur les places publiques; c'est ce que dit du reste Daudet dans: le poete Mistral. P. 13 [souche Baumstumpf.] 11 s'agit ici de vigne, et souche veut dire Weinstock. [vin du cru einheimischer Wein.] Cela pourrait bien passer, mais dans le cas präsent, ce n'est pas le vrai sens: il faut traduire par: eiaenes Gewächs. dehaucher = seduire.] C'est encore vrai, mais devaucher a ici un sens special et signifie: die Arbeiter von der Arbeit abziehen, et non pasj moralisch verderben. fla maitrise du pape, Singschule der päpstlichen Chor- knaben.] II s'agit ici d'une dignit^, que je comparerais volontiere ä Celle de vage. S*il s'agissait d'une e'cole de chant, comment Daudet dirait-il: i,la maitrise du pape, jamais avant lui on n'avait repn que des fils de nobles et des neveux de cardinaux^? P. 14 [qui lui tenait chaud, der ihn warm machte.] Ce lui se rapporte ä la mule du pape; or, T^diteur traduit mule par Maultier de sorte que ihn döroute Fäläve. La m6me chose se repioduit trois lignes plus loin: er hatte Grund ... P. 22. On y trouve : nagearit des pattes dans le vide . , . II s'agit de la mule qu'on descend de la tour avec un cric et des Cordes. Ce des est pour moi inezplicable, et je suppose que Daudet a äcrit les pattes dans le vide. P. 1 6 [une belle Ordination, im eigent- lichen Sinne: Priesterweihe.] Rien de plus juste, seulement ici c'est un sens particulier, et apr^s avoir lu cette remarque, Täl^ve n*cn est pas plus avancä. Le sens est ici: Reihenfolge, Zusammenstellung, wie bei einer Priesterweihe. P. 19 [en train, Sinn hier: am Herd, im Kessel.] 11 est question d'un marseillais qui a toujours quelque aioli en train, ce qui signifie ici, non im Kessel, mais in Vorbereitung,

P. 21 [s^archarner apres q. q, sich wild auf jemand stürzen.] Une lecture attentive du passage montre que cette traduction ne peut pas aller. II est question du vent qui s'acharne (pendant un mois); par cons^quent, il me semble que hartnäckig verfolgen irait mieux. [massif de petites lies, hier: starke Grundmauer.] Daudet veut dire seulement Inselgruppe, et il n'est nuUement question de Grundmauer,

II est dit (p. 22) que aumonier däsigne den Seelsorge?' für eine kleine Gemeinde, ce qui n'a jamais 6t4; un aumonier n^est jamais attach^ ä une paroisse. Blaguer (p. 23) ne veut pas dire aufschneiden, mais seulement schwatzen, Unsinn sagen. P. 42 [grand* messe auch haute messe . , .] On dit bien grand* m^sse, mais il faut dire: messe haute, et non haute messe, [sa rovge taillole catalane, seine rote kata- lanische Schärpe . . .] Ce n^est pas une e'charpe^ mais une ceinture, Gürtel, comme en portent les turcos. Dans la traduction d'un passage de Montaigne (p. 26): „souvienne-vous . . /' il y a un contre- sens; gub^e de gens a ät^ traduit par niemandes ... au lieu de wenigen, einigen, Le mot aire (p. 27) est pris au figurä et ne saurait 6tre traduit par Adlerhorst, mais bien par Zufluchtsort, puisqu'il s'agit d'un bandit, et non d'un aigU. Les pänitents ne portent pas un sac sur la täte, et ils n'ont pas le visage couvert, comme il est dit (p. 28).

Ibid. lies jeux sur Faire, ländliche Spiele auf der Dreschtenne . . .] En allemaud, Dreschtenne ^= grange Von däpique le bl^; or, en France, on däpique le blä sur la place publique, et c'est qu'ont lieu les jeux dont il est ici question. II est question^ ä la mSme page, d'un Service en fayence de Moustier, et i'^diteur place cette petita ville dans le Departement de la Dordogne. Elle est dans les Basses-

Daudet, Leitres de mon moidin, herausgeg, von ffönncher, 61

Alpes, et eile est connne par ses fabriques de papier et de fayence. P. 31 [des jours de caveau au ras du sol, Kellerfenster . . .1 on remarqiie ici la confusion de caveau,^ Todtengraft, avec cave^ Keller; et cette confusion est d'autant plus surprenante que Daudet parle de cypres^ de croix et de iombeaux, P. 33 Vaise au bivouac eomme aux soirees de la sous-prefete, d. h. willkommen . . .] Ce n'est pas cela qne veut dire Daudet, mais bien sich frei bewegen; comment pourrait-on dire d*un soldat qu'il est willkommen au bivouac, se trouve sa place, ä lui! Dans Lelixir du Pere Gaucher, Daudet n'a pas voulu, comme le prätend l'^diteur (p. 34), faire une sortie contre les indul- gences, auxquelles il n'a certainement pas pensä; il a voulu amuser ses lecteurs aux d^peus de ce brave Pore, et rien de plus. II est dit ä la page suivante que: etwa 60 Mönche aus Alpenkrduiem den berühmten Likör herstellen, II sagit des Chartreuz. En tout, il y a bien soixante religieux ä la Grande Chartreuse, mais ce ne sont pas euz qui fabriquent laliqueur; ils occupent prös de deux cents ouvriers, et un ou deux religieux pr^sident au mdlange. L'öditeur pr^tend (p. 37) qu*ils fönt, par an, pour deux millions d'affaires. S'ils n'en faisaient pas davantage, ils seraient bientot ruinös, car ils payent pr^s d'un million d'impöts au gouvernement seulement. Pour expliquer: chemin de la croix, ou trouve: Eine Reihe von zwölf Bildern . . . L'äxplication qui suit n'est pas juste non plus, mais je ne tiens k relever qu*un fait, ä savoir qu'il y a 14 stations. P. 40 fsous le couvert, couvert hier in der seltenen Bedeutung von: schattiaer Ilatz, übersetze: im Schatten.] Ce sens est ici impossible: le soieil n'est pas encore levä (i^aux premi^res clart^s de l'aube"). Quelques lignes plus loin, Daudet appelle ce couvert: ^fourre^, ,ySous le bois^, C'est donc Dickicht des Waldes. SPen donner q. c. (p. 40) n'est pas fran9ais. La diane froide n'est pas kalte Reveille, mais Morgenwache; le piston du sahn de Mars n'est pas Klarinette, ma is Elapphorn. [Bouisbouis übersetze: Tingeltangel.] Bouisbmiis est un mot qui a paru pour la premiöre fois en 1854 dans Paris- Anecdote ; il signifie un misärable et ch^tif thäätre; je ne saurais dire si Tingeltangel est une expression correspondante.

A part ces quelques imperfections qui m*ont paru devoir §tre relev^es, les remarques de M. H. sont excellentes, claires et ä la port^e des ^l^ves. Quelques unes sont, il est vrai, inutiles pour Tintelligence du texte; par contre, il y a dans Daudet des passages difficiles que V^diteur a oubli^ d'annoter: je cite au hasard les suivants: „une fois remis, hon soir^ (Gott befohlen); „On lui faisait respirer ce vin, puis quand eile avait les narines pleines, passe, je fai vu.'^ Aucun ^läve n'est capable de comprendre cela. Ce coquin de Tistet V^döne ^tait charg^ de porter un vin chaud ä la mule du pape; il le lui faisait respirer, et, komm in meine Kehle, er ist verschwunden. Je me contente de donner le sens. „Frommaoe de montagne^ ; il s'agit du fromage qu'on fait pendant que les bestiaux passent six mois de l'annäe sur les montagnes ; „chajcun revint ä sa chaire"" (Klappstuhl) ; „on chuchottait de breviaire ä bre'viaire^, chaque religieux a un pupitre dans le choeur, et sur ce pupitre il y a un bröviaire in-folio; „les bons Proven9aux que nous faisons,^

Je tiens ä dire en terminant que ce fameux „moulin^ d'Alphonse Daudet n'est plus une ruine: il a ^tä remis ä neuf, et se trouve sur la route d'Arles ä S* Remy, ä 7 kil. d'Arles et ä, 4 de Fontvieille. Le village (mos), Montauban, est situä ä 2 kil. de l'abbaye de Mont- majour, qui n'est plus qu'une ruine, mais une beUe ruine. Quant ^

62 Referate und Rezensionen. /. Aymeric,

„Pamp^rigOQste", c'est un nom imaginaire; il est mSme pass^ en pro- berbe, et on dit „envoyer k Pamp^rigouBte^ pour „envoyer k la Yalan9oire" = Jemanden aich vom Halse schaffen.

J. Aymeric,

Sandenn, Jules 9 Mademoiseäe de la Seigliere. Comedie en qttaire actes et en prose mit Einleitung, Anmerkungen und einem Anhang herausgeg. von K.A. Martin Hartmann. Leipzig, 1887. E. A. Seemann. XV, 120 + 71 S. kl. 8». (Martin Hartmann's SchtUausgaben No. 1.)

Je saisis cette ocuasion pour reparier de Mademoiseüe de la Seigliere äditäe'par M. Hartmann: il en a paru un certain nombre de comptes- rendus, mais tellement superficiels, que pas un ne rel^^e une erreur ou une inexactitude au point de vue du fran^ais. Personne donc n'j ayant trou^ä k redire, je me permets de präsenter quelques observations. Ce liyre est excellent, je le veux bien» mais la perfection n^ätant pas de ce monde, je ne saurais le regarder comme Tidäal k atteindre. D'abord les fautes n'y manquent pas non plus, et si les critiques n'ont pas su lee y voir, tant pis pour les critiques. En voici quelques -unes. P. 17 [aussi dotix comme un mouton bride, lammfromm.] D*abord aussi doux comme est une faute dont on a beaucoup de peine k däshabituer un <$l^ve, et Sandeau a äcrit aussi doux que; ensuite bride ne signifie pas tenu par la bride. P. 36 [aprhs Vavoir fait bassiner: aber lassen sie zuvor eine Wärmflasche (une bassinoire) hereinlegen.] Bassiner et bassinoire ne me semblent pas avoir ätä bien compris. La bassinoire est un instrument en cuivre, assez semblable a une podle, mais fermäe par en haut; on y met de la braise et on le promfene dans le lit, au moyen d*un manche, pour Techauffer. C'est Ik ce qu'on appelle bassiner, J'ignore si on peut dire Wärmpfanne, en allemand, en tont cas, ce n'est pas Wärmflasche. Wärmflasche est en fran9ais chaufferette, bouülotte, et si on en met une dans le lit, on ne dit pas b€issititr, mais bien chaujfer le lit. 11 est difc (p. 41): das h des Wortes ist stumm wie bei huit, C'est bien la premi^re fois que j'entends dire que h est muette dans huit. P. 58. [Da das fi-anzQeische Participe passe nicht einfach substantivirt werden kann . . .] Mais au contraire, le fran^ais aime beaucoup cette mani^re de procäder. Est-ce que un abrege, un communique, un re^u, le fini, le pointille, un e'migre, le passe ^ Cenvoye et cent autres ne sont pas des participes pass^? A la ligne suivante, on trouve: je vous le donne en cent, iah wette 100 gegen 1, dass Sie nicht erraten. Ce n'est pas cela; le frauQais veut dire: Sie können hundert Mal raten, und werden doch es nicht herausbekommen (v. Sachs au mot deviner.). Encore k la m§me page: [stupefait ist das part. passä zu stupe'fierj Le part. p. de stupe'fier est stupefie\ et stupefait est le p. p. de stupefaire. Si ce verbe n'est plus usite a l'infinitif, tant pis pour lui. Encore k la mdme page, pour expliquer et gue vous le savez bien, qye madame de Vaubert n*est pas une belle äme on trouve: [Das le vor savez que ist eine Feinheit der Umgangssprache.] Je suppose que M. H. a voulu dire der Schriflß^rvkche. En voici un ezemple dans la R. d. d. M. (1^' aoüt 1888): Comment M. Daudet ue /'a-t-il pas senti que de la fa^on dont il les a peints, les personnages de Vlmmortel ... P. 60 est du bois dont on fait les flütes, er hat einen sanften Charakter.] Cette expression fraxi^aise veut dire: cW un bomme qui fait et dit tont ce qu'on veut (v, Littre); eile contient un bläme, En est-il de m§me de: er hat einen sanften Charakter? Si oui.

Sandeau, M^ de la Seigliere, het^ausgeg. von MarU Hartmann, 63

je passe condamnation et c^est moi qui ai tort. P. 61 [au coin du feu, so viel als : sous le manteau de la chemmee . . J O'est loin d'dtre la mtoe chose; au coin du feu = an Winterabenden, tandis que sous le manteau de la chemiuee est une expression figuräe, qui signifie im Ge- heimen, et Sandeau ne veut pas exprimer cette pens^. ?. 69 f. , . je veux Hre pendu, oder j*irai dire ä RomeJ On doit ^rire et dire : j'irai le dire k Bome.

Fassons maint^nant auz points, qui sans toe präcis^ment erron^, sont kl tout le moins un peu risques. P. 4. [Si monsieur veut passer^ Dies ist eine höflichere, im Munde des Dieners angemessenere Form als: Si vous voulez passer.) II fiiudrait dire: Dies ist die einzige im Munde des Dieners bei hohen Herrschaften zulässige Form. A la page 8, r^diteur fait remarquer, dass diahle viel häufiger gebraucht wird als Teufel, wie schon ein Blick auf die zwei Artikel in den Wörterbüchern lehrt. J'ai eu la curiositä de recourir ä Sachs, et je serais tent^ de dire que j'y ai vu justement le contraire. Une remarque du m&me genre est la suivante, p. 65. [Die französische Sprache hat viel mehr Redens- arten mit loup als die deutsche mit fVolf.J Et M. H. cite onze lignes de proverbes fran9ais se trouve le mot loup, et il termine en disant: Gemeinsam mit dem Deutschen ist wohl nur: m faut hurler avec les loups, und appe'iit de loup. Tci encore j*ai recouru k Sachs et j'y ai tronv^ d'abord que la colonne au mot Wolf est bien plus nourrie que celle du mot loup; et ensuite que presque toutes ces onze lignes de proverbes, cit^s comme exelusivemeot franfais, sont ^galement des proverbes alle- mands: wenn man vom Wolf spricht, ist er nicht weit; wer sich zum Schafe macht, den fressen die Wölfe; der Wolf stirbt in seiner Haut; oder: der Wolf ändert sein Haar, aber nicht seine Art; den Wolf bei den Ohren halten, u. s. w. II y a en outre quantitä de proverbes allemands avec Wolf, sans que le mot loup se trouve dans le proverbe franQais correspondant: Er macht es wie der Wolf, der davon läuft, wenn man ihn ruft: C*est le chien de Nivelle, qui s'enfuit quand on Tappelle, etc. F. 10. [lä-baSy da, dort ... es kann auch ein unten Stehender la^bas auf jemand beziehen, der oben steht.] Je n'ai pas connaissance d'un pareil langage; en tout cas, cela ne peut se trouver que dans l'argot, et non dans un livre classique. P. 18. fma fiUe achevait de me donner une legon, Achever de faire heisst etwas vollends thun.] De sorte que le panvre el^ve doit traduire: Meine Tochter gab mir vollends eine Stunde! Si lee Allemands sen contentent, j'aurais mauvaise gräce d'y trouver ä redire. P. 29. [Die französischen Richter, die unabsetzbar sind, wie bei uns . . .] M. H. ignore-t-il donc que le ministre de la Justice, Martin Fenint, en fit une h^catombe, il y a trois ou quatre ans? Wie bei uns! ! 1 Et plüt k Dieu qu'il en füt ainsi! Sous un gouvemement regulier, la remarque serait juste: sous la Republique, c'est comme dans la chanson: „Rien n'est sacie pour un pompier.^ P. 32. fvoir du monäe, Besuche empfangen.] Et pourquoi pas: Besuche machen? L'äditeur parle (p*37) de la bataille de Fontenoy et dit: sie wurde bekanntlich nach allen Regeln des höfischen Auslandes eingeleitet . . . Apr^ cela vient la tar- tine connue: „tirez les premiers, messienrs les Fran^ais**. Le duo de Broglie a demonträ dans la R. d. d. M, (15 juin 1884) que cet höfischer Anstand n'est qu'une fable, et qu'il ne faut y voir qu une mesure de tactique, et non une expression de politesse. P. 40. [donaiion entre vifs . . . sonst wird vif lebendig, sich in der Regel nur auf Sachen be- ziehen.] Ce terme entre dans une foule d'expressions pour däsigner des personnes: il est plus mort que vif; Stre brulä vif; il est vif comme la poudre etc. ?— P. 55. [. . . es berührt geradezu komisch da^s ein Mann,

64 /. Jymeric, Sandeau, M^ de la SeigÜere, krgg. von Martin Harimann,

der die Geschichte der Hevohition miterlebt hat, Qber Kleber erat ein Lexikon nachschla^n muss.] „Aller aux informations'', ne signifie pas absolument ein. Lexikon nachschlagen. Et poarquoi le marquis n'aurait-il pas consult^ Raoul, le savant de la pi^ce et le fianc^ de sa fiUe? Je seraia tent^ de croire que le marquis, ce bon vivant, ne possädait pas de biblioth^qiie et encore moins de dictionnaire de la con- versation, s'il en existait k cette äpoqne, ce que j'ignore. P. 56. [Die Geographie Bernard's ist hier nicht richtig. Denn Eckmühl liegt nicht am Regen . . . sondern an der grossen Laber . . .] Mais Bemard ne dit pas qu* Eckmühl seit situde sur le Regen. Häl^ne lui montre un paysage qu'elle yient de faire et dit: Est-ce bien la le cours de la rivi^re? A quoi Bernard räpond. »Oui, c'est le Kegen; ici est Nuremberg, la le clocher du village d'Eckmühl." ün tableau contient, j'ima^ine, une certaine perspective. M. H. dit (p. 47) que Tidäe de patrie nätait pas bien d^velop^e sous la monarchie. Je ne suis ni assez clerc ni assez philoaophe pour vouloir le contester, mais cette assertion me semble bien hasardee. L^id^e de patrie ^tait si däveloppäe chez les Romains et chez les Gtiulois, qu'il semblerait au moins Strange qu'elle ait disparu ensuite pour ne reparaitre qu'au 1^^^ si^cle. La vieille Chanson de Roland respire d^un bout k Tautre Tamour de la patrie. Le mot ne s'y trouve point encore, il est remplac^ par celui de ^France^ : noctis pere, n'en laiser hunir France!** Au 15" si^cle Alain Chartier dit: „il est louable de combattre pour sa patrie*^, et Ba'if räp^tera un peu plus tard: „Pour la patrie. ' c'est un beau mot." Le vieux fran9ais a un proverbe qni dit: „fiancer vertu, espouser patrie'^ pour affirmer que Tamour de la patrie est ins^parable de celui de la vertu. A mon avis, Tid^e de patrie doit gtre aussi vieille que le moude, et parce que le mot aura fait assez tard son apparition, ce n'est pas une raison de dire que Tidäe de patrie s'est d^veloppee compl^tement au 18** si^cle; car Ch. Fontaine dit d^ja (16** sibcle): „Qui a pais, n*a que faire de patrie,'*

Tels sur les principaux point« que j'ai cru devoir si^naler. Est-ce k dire que je trouve cette Edition d^fectueuse? Pas le moins du monde ; je la trouve trte bien faite, si bien faite mdme qu'elle me semble §tre beaucoup trop savante pour des el^ves. Ces perpätuelles camparaisons entre le roman et la comedie peuvent bien Stre utiles k des ätudiants de rUni versitz, mais elles ne le sont pas pour de simples elbves. üne page enti^re est consacräe au caract^re du Chevalier en g^näral, et du Chevalier de Barbanpr^ en particulier, toujours avec citations en fran^ais k Tappui. Le Chevalier d'Assas re9oit 60 lignes d*explication dont la moitiä en fran^ais. Pour nous apprendre que Tage de vingt ans est regardä par les Fran9aia comme la fleur de la jeunesse, l'^iteur nous donne une demi page de citations, toigours en fran^ais. N'eut-il pas mieux valu pour les äl^ves expliquer une foule de termes di£6ciles et qui ont ät^ passäs sous silence? Par exemple: ^tiqueter des simples; les palmes de la chicane; j'y mangerai mon dernier cbamp; le duüet de leur nid; jeter la science attx oriies, etc. etc. On trouve par contre: nicht zu verwechseln le chenil und la chenille. Mais des ^l^ves en etat de digärer ces tirades t'ran9aise8 ne feront jamais cette confusion. Comme conclusion, je dirai: travail excellent pour les maitres, trop acad^mique pour les äl^ves. J. Aymeeic.

Referate und Rezensionen.

Daanheisser, Ernst, Studien zu Jean de Maireifs Lehen und Wirken. Münchener Dissertation. Ludwigshafen a. Rh., 1888. Julius Waldkirch's Buchdruckerei (111 S. 8%

Wir haben es hier eigentlich nur mit der ersten Hälfte einer für die Geschichte Mairet's und des älteren französischen Theaters, besonders in chronologischen Fragen immerhin recht bedeutsamen Arbeit zu thun. Über den Wert der vom Verfasser gewonnenen neuen Resultate wird man sich erst dann ein rechtes Urteil bilden können, wenn er uns im folgenden Teile die Be- weise für die von ihm aufgestellten Ergebnisse erbringen wird. Nichts destoweniger darf auch schon dieser erste Teil, der meist nur den Pflug der kritischen Forschung tief einsetzt, um die bisher überlieferten Angaben umzustürzen, eine eingehende Be- achtung in Anspruch nehmen, und Niemand, der sich mit der Geschichte der neueren . französischen Litteratur befasst, wird ihn übersehen dürfen.

Es ist besonders die Unzulänglichkeit und Flüchtigkeit der älteren Biographen, die den Verfasser veranlasste, sich mit Mairef s Leben eingehender zu befassen, denn selbst der jüngste dieser Biographen, Gaston Bizos, kann sich von den Irrthümern seiner Vorgänger, besonders de Frasne's, nicht recht losmachen und hat zu den ersten Quellen zurückzugehen vernachlässigt. Wir werden nun die Resultate, zu denen Dannheisser gelangt, besonders da, wo er mit den herkömmlichen Traditionen bricht, in gedrängtester Kürze wiedergeben und da wo sie uns bedenk- lich erscheinen, dies in wenigen Worten andeuten. Mit Recht stellt Dannheisser die Abstammung Mairet's aus Westfalen als zweifellos hin und verweist Vollmöller, der in seiner Sophonisbe- Ausgabe dagegen Einwendungen erhoben hat, auf den von Kaiser Leopold für Mairet erneuerten Adelsbrief, sl^b dem dies mit Sicherheit hervorgeht. Das Geburtsjahr Mairet's bildete den

Zechr. £ firz. Spr. u. Litt. XI^. 5

66 Referate und Rezensionen. J. Frank,

Gegenstand langer Kontroversen, weil uns ^er Dichter selbst ab- sichtlich auf falsche Fährte zu führen bemüht war. Er sagte nämlich in einem am 4. Januar 1636 geschriebenen Briefe (der Epistre comique et famüüre), er stehe „heute in seinem sechs- undzwanzigsten Lebensjahre.^ Da kamen die Parfaict mit der Nachricht, ein Neffe Mairet's, M. de Romain, habe in einer ihnen zugesendeten Familiendenkschrift das Jahr 1604 (also nicht 1610!) als Mairet's Geburtsjahr bezeichnet, und erklärten die falschen Angaben Mairet's als einen Ausfluss seiner masslosen Eitelkeit Da die Parfaict die Mitteilung de Komain's nicht in ihrem Wort- laute veröffentlichten, so suchte Gaspary des letzteren Nachrichten auf ein blosses Versehen (de Romain soll anstatt „4. Januar 1636" gelesen haben „4. Januar 1630") zurückzuführen, eine Annahme, zu der er sich besonders darum berechtigt glaubte, weil auch de Romain denselben Tag als Geburtstag angibt, wie Mairet selbst. Allen diesen Streitigkeiten nun machte der von Tivier zuerst aus amtlichen Quellen veröffentlichte Taufakt Mairet's ein Ende, demzufolge Mairet am 10. Mai 1604 getauft wurde und wahrscheinlich etwa vierzehn Tage früher geboren worden ist. Dies ist also über jeden Zweifel erhaben. Wenn aber Dannheisser den Parfaict „Willkür" vorwirft, dass sie als Ge- burtstag Mairet^s den 4. Janaar bezeichnet, so thut er ihm unseres Erachtens entschieden Unrecht und es scheint uns viel- mehr unbillig, die Parfaict so abzukanzeln, anstatt es ihnen zu danken, dass sie durch die Veröffentlichung der Angaben de Romain's zuerst das richtige Geburtsjahr Mairet's kundgaben. Die Gebrüder Parfaict verdienten diesen Tadel um so weniger, als (wie wir meinen) in der ihnen mitgeteilten Familiendenkschrift der Ge- burtstag Mairet's gar nicht angegeben war und sie wahrschein- lich den vom Dichter selbst angegebenen Geburtstag, den 4. Januar, gelten Hessen. Wenn sie nämlich auch überzeugt waren, Mairet habe sein rechtes Geburtsjahr aus Eitelkeit ver- leugnet, so lag doch absolut kein Grund vor, dem Dichter eine Verleugnung seines wahren Geburtstages zuzumuten! Und so konnten die Parfaict neben der neuen Angabe des Geburtsjahres mit Recht den früheren Geburtstag gelten lassen. Wir möchten auch jetzt noch eher annehmen, Mairet habe seinen wahren Geburts- tag nicht gekannt, als er habe ihn absichtlich falsch angegeben. Schliesslich wollen wir noch der Bemerkung Raum geben, dass ja die Worte Mairet's in der Epistre comique et famüüre vom 4. Januar 1636: J^ay commenci de faire parier de moy de si bonne heure, qu* aujourdhui ä ma vingt-sixiesme annie etc. uns gar nicht so unbedingt den 4. Januar als den Geburtstag Mairefs bezeichnen.

E. Dannheisser, Studien zu Jean de Mairefs Leben und Wirken. 67

Im Jahre 1620 verliess Mairet seinen Geburtsort Besannen und begab sich nach Paris. Die von Bizos angegebene Be- gründung, er habe der Pest entfliehen wollen, bezeichnet Dann- heisser mit Recht als aus der Luft gegriffen und wir möchten hinzufügen, dieser Irrtum sei bei Bizos entstanden, weil Mairet (wie er in einem seiner Sonnette angibt) vor der Pest aus Paris entflohen. Nun wüthete die Pest in Paris im Jahre 1623. Wollte man Mairefs Angabe, er sei 1610 geboren, aufrecht er- halten, so müsste er (da er in seiner Epistre comique erzählt: Blnfin ce fut Vaudacieux desir de porier mes par sur les votres qui me persuada de changer comme je fisy ä Vage de 16 ans Vair de Besangon ä celuy de Paris etc.) erst 1626 nach Paris gekommen sein, was ganz unhaltbar ist, da wir mit Sicherheit wissen, er sei 1623 schon im Dienste des Herzogs von Mont- morency gestanden. Dass Mairet in derselben Epistre comique, wo er sein Alter um 6 Jahre verleugnet, richtig angibt, er sei im Alter von 16 Jahren nach Paris gekommen, können wir nicht mit Herrn Dannheisser Überraschend finden, denn Mairet konnte wohl aus Prahlsucht im Jahre 1636 von sich sagen, er sei schon im Alter von 26 Jahren (anstatt der thatsächlichen 32) ein viel- bewunderter Dichter gewesen, er konnte doch aber nicht sagen, er sei im Alter von 10 Jahren nach Paris gekommen und habe in demselben Alter seine Chrisüde geschrieben, da dies eine zu läppische Aufschneiderei gewesen wäre. Dass man aber aus dieser richtigen Altersangabe von 16 Jahren zur Zeit seiner An- kunft in Paris auf das unrichtige Datum seines Geburtsjahres in derselben Epistre comique Rückschlüsse ziehen werde, be- fürchtete Mairet im Jahre 1636 nicht allzusehr, da er annahm, das Jahr seiner ersten Ankunft in Paris sei bereits allgemein vergessen. Für den Eintritt Mairet's in die Dienste des Herzogs von Montmorency gewinnt Dannheisser mit Recht den Zeitraum innerhalb 1623 24. Mairet verdankte diesem Herzoge auch mannigfache geistige Anregung und wusste sich in dessen Gunst auch durch seine heldenmütige Teilnahme bei der Eroberung der Insel R6 im Jahre 1625 noch mehr zu befestigen. Da lebte er im schattigen Chantilly, im Schlosse des Herzogs, blieb aber mit dem Zentrum der litterarischen Bewegung in Paris in Fühlung, da der Herzog daselbst ein Haus hatte. Im Jahre 1625 trat er auch in innige Beziehungen zu Th^ophile de Viau, der damals ebenfalls in Chantilly eine Zuflucht vor seinen Verfolgern gesucht hatte. Nichts desto weniger wird man Desbarraux' ver- dächtigende Ausstreuungen, als habe zur Sophonisbe, dem ge- priesensten Werke Mairet's, dieser nur den Namen, Th^ophile aber den Geist hergegeben, als eine blosse Fabel ansehen

68 Referate und Rezensionen. J. Frank,

mttSBen. Der schon 1626 erfolgte plötzliche Tod Theophile's bedeutete für Mairet jedenfalls einen herben Verlust und nur der fast unbestrittene Erfolg bei der im selben Jahre erfolgten Auf- führung der Sylvie spendete ihm ' einigen Trost. Ob die Mairet von Montmorency erteilte Pension eine Anerkennung für seine heldenmütige Haltung im Jahre 1625, oder eine Prämie ftir die Sylvie gewesen sei, lässt sich, wie Dannheisser überzeugend nachweisst, nicht ermitteln, ebensowenig wie der Zeitpunkt, von welchem an sie ausbezahlt worden sei; gewiss sei nur, dass letzteres nicht erst nach 1627 der Fall gewesen sei. 1632 starb Montmorency auf dem Schaffet. Mairet aber gewann so> fort einen neuen Gönner in dem Grafen von B6lin, denn die Dichter jener Zeit mussten (wie der grosse National Ökonom List einmal sagte) ebenso notwendig, wie die Hunde, einen Herrn haben. B^lin's gastliches Haus versammelte einen vornehmen Zirkel der damaligen litterarischen Berühmtheiten und diese Um- gebung wie des Gastgebers geistvolle und bedeutende Persönlich- keit selbst wirkte sehr befruchtend auf des Dichters dramatische Thätigkeit und so entstanden während des Aufenthaltes bei B61in in merkwürdig rascher Aufeinanderfolge innerhalb dreier Jahre fünf grosse Dramen, während er im Laufe der neun Jahre, die er in Chantilly zugebracht, nur drei Theaterstücke vollendet hatte. Das Verhältnis Montmorency^s zu Mairet scheint ein mehr gönnerartiges, das B61in*s zu dem Dichter ein mehr herzliches ge- wesen zu sein, so dass man in der Dramatisierung des Ariost'schen Rasenden Roland eine Konzession an den Geschmack de B^lin's für das Romantische erblicken kann. Seinem nunmehrigen Pro- tektor zu Liebe scheint Mairet auch seine Vorliebe für das Pastorale abgethan zu haben. Besonders in Bezug auf Bühnen- technik scheint Mairet bei B^lin sich grosse Routine angeeignet zu haben. In desselben Hause machte er auch die Bekanntschaft von Rotrou und Scudery, den beiden Anführern der gegen Corneille aufgestandenen Klique, und knüpfte er mit beinahe allen namhafteren Dichtem seiner Zeit Verbindungen an, wie auch seine schon von Chantilly her angebahnten Beziehungen zum Hofe jetzt keine Störung erlitten. Ein Umschwung dieser Verhältnisse erfolgte im Jahre 1635. In demselben erschienen von Mairet CUopdtre und Soliman, Ersteres Stück konnte nicht durchschlagen, vom letzteren konnte er trotz aller An- strengungen nicht einmal die Aufführung durchsetzen und in dieser gegen alle Welt (vielleicht sogar gegen B61in) verbitterten Stimmung schrieb Mairet seine schon wiederholt erwähnte Epish'e comique, in der er sich förmlich im Selbstlobe berauschte und kein Mittel, selbst die Lüge nicht, verschmähte, um seine Vor-

E, Dannheisser, Studien zu Jean de Moire fs Leben und Wh'ken. 69

zttge nur recht herauszustreicheii. Wir haben ja oben bereits eine Probe aus dieser Schrift kennen gelernt und darin gesehen wie sich Mairet nach Art kleinlicher Frauen jünger machen will, als er ist. Dass Bizos Mairet's Verstimmung dem Misserfolge der Athinats zuschreibt (anstatt dem des Soliman), erklärt Dann- heisser als eine Folge der chronologisch unrichtigen Ansetzung der Werke Mairet's von Seiten dieses Autors.

B61in vermittelte auch Mairet's Bekanntschaft mit dem da- mals so einflussreichen Kritiker Ghapelain. Während Mairet sonst den Sommer über auf den Gütern des Grafen B61in weilte, den Winter aber meist im Hause desselben Grafen in Paris zu- brachte, scheint er den Winter 1637 1638 nicht in Paris zu- gebracht zu haben, obwohl gerade damals sein Soliman endlich aufgeführt wurde. Wennschon die ehemals so nahen Beziehungen Mairet's zu Montmorency ersteren dem Kardinal Richelieu sehr entfremdeten, ja verdächtig machten, so hatten doch andererseits der beim Kardinal vielvermögende Boisrobert (mit dem Ghapelain den Verkehr Mairet's vermittelte), ferner die hochgestellte Herzogin von Aiguillon und nicht am wenigsten seine eigenen dramatischen Werke ihm den Weg zu demselben geebnet, so dass er einmal sogar an einer der Kompagniearbeiten der Cinq auteurs, wahr- scheinlich der Grande Pastorale, teilnehmen durfte. Dass Mairet von Richelieu eine regelmässige Pension von tausend Francs bezogen habe (Parfaict), hält Dannheisser als unnachweisbar. Im letzten Viertel des Jahres 1638 starb B61in, ein Verlust, der Mairet gewiss sehr empfindlich traf, wenn man auch mit Dann- heisser die Bemerkung Ghardon's, dieser Tod habe Mairet's Muse zum Schweigen gebracht, wird als zu weitgehend bezeichnen müssen. Hier müssen wir Dannheisser eine Flüchtigkeit vorwerfen denn während er (S. 37) Belin, wie wir soeben gesehen, im letzten Viertel des Jahres 1638 sterben lässt, sagt er (S. 93): „Im September 1638 starb der Graf B^lin.'* Welche Angabe die richtige ist, sind wir momentan zu konstatieren ausser Stande, weil uns das hierzu nötige Büchermaterial nicht zu Ge- bote steht. In die Zeit, da Mairet über seinen dahinwelkenden Ruhm sich in einer galligen Stimmung befand, fällt die erste AuflFührung von Corneille 's Cid. Wenn auch, wie man anzu- nehmen Grund hat, bis dahin sogar ein freundschaftlicher Ver- kehr zwischen den beiden Dichtern bestanden hat, so musste doch der gewaltige verblüffende Erfolg des Cid Mairet's Neid in hohem Grade erregen. Wenn Mairet so that, als hätte nur der verfrühte Druck des Cid seinen Unwillen erregt, und als habe nur die gegen sein den Schauspielern gegebenes Wort von Seiten Corneille's erfolgte Publikation und die dadurch er-

70 Referate und Rezensionen. J, Frank,

folgte . Schädigung der Akteurs ihn in Bewegung gesetzt, so wird man diese Motivierung mit Recht als eine Heuchelei Mairet's ansehen, hinter der sich die verwundete Eitelkeit verbarg. Dass bei Mairet bei seiner Stellungnahme gegen den Oid auch das Bestreben mitwirkte, sich vor dem Kardinal Richelieu von dem Verdachte zu reinigen, als finde er, der ans der Franehe Comt6 einer damals spanischen Provinz stammte, Gefallen an dem spanischen Cid^ wird man plausibel finden können, ohne es zu billigen, dass Dannheisser fttr diese Wahrnehmung, als wäre sie so bedeutsam, mit Emphase das Recht der Priorität in An- spruch nimmt Dass die ganze Polemik zwischen Corneille und Mairet einen höchst unerquicklichen Charakter annahm, dass die Apologie pour Mairet von letzterem in einem Zustande geschrieben wurde, „in welchem der von der* Leidenschaft benebelte Geist nur mehr unzusammenhängend zu lallen vermag im Paroxis- mus der Gedankenlosigkeit^ wird man eine zutre fixende Bemerkung nennen können; die sonstigen in diesem § 20 aber gemachten De- duktionen haben wenigstens auf uns oft den Eindruck des Haar- spalterischen und Gezwungenen oder mindestens allzu Gesuchten gemacht, so auch jene, die das Datum der Aufführung des Oid in den letzten Tagen des Monats November 1636 zu erschüttern versucht, und die uns denn doch auf zu schwanken Füssen zu stehen scheint. Dannheisser selbst gibt zu, in diesen Fragen nichts Abschliessendes bieten zu können.

Nach dem also 1638 erfolgten Tode des Grafen Bölin scheint nach Dannheisser der Aufenthalt Mairet's in Maine im Hause von Bölin's Sohne noch einige Zeit fortgedauert zu haben. Dagegen soll er zur Zeit der Vollendung der Atkenats (Ende

1638 oder Anfang 1639) ßölin's Haus schon verlassen haben.

1639 1642 soll er sich meist in Paris aufgehalten, jedoch auch innerhalb der Jahre 1640—1642 ein halbes Jahr in Maine zugebracht haben, und zwar in der Nähe des eben dahin ver- bannten W^^ de Hautefort. Innerhalb der letztgenannten Jahre wurde auch Mairet's Sidonie fertig. M^^® de Hautefort sowohl als ihre Schwester wurden in einem Sonnette Mairet's mit den widerlichsten Schmeicheleien angesungen, in der durchsichtigen Tendenz, ihm den Weg zur Rasse der Königin zu ebnen, bei der sie vielvermögend waren. Er hatte eben im Laufe der Zeit sich vor den Grossen zu erniedrigen gelernt. In der nächsten Zeit beschritt Mairet die politische Karriere. Auf die Empfehlung des gewandtesten spanischen Diplomaten dieser Zeit, des ihm befreundeten Baron Lisola hin, wurde Mairet 1645 zum diplo- matischen Agenten in Paris ernannt und entwickelte dabei be- sonders eine segensreiche Thätigkeit im Interesse der Franehe-

E. Dannheisser, Studien zu Jean de Moire fs Leben und Wirken. 71

Comt6. Mairet's Ehrgeiz jedoch wollte noch höher hinaus, er wollte mit Hilfe des Baron Lisola Gesandter des deutschen Reichs in Paris werden^ aber der Kardinal Mazarin machte seinem diplomatischen Strebertum durch einen Ausweisungsbefehl ein Ende, worauf Mairet im Jahre 1658 nach Besan^on übersiedelte. In demselben Jahre verlor Mairet auch seine ihm erst seit 1647 angetraute Gattin ; die Ehe war kinderlos geblieben. Nach dem im Jahre 1659 abgeschlossenen pyrenäischen Frieden durfte sich der Dichter wieder in Paris zeigen, wo er auch wiederum durch mehrere Jahre hindurch seinen Aufenthalt genommen zu haben scheint. Die poetische Thätigkeit Mairet's war innerhalb dieser Zeit so gut wie erloschen. Er starb am 31. Januar 1686.

Dannheisser wendet sich nun nach diesem biographischen Abrisse Mairet's der Aufgabe zu, die dramatischen Werke desselben chronologisch zu fixieren. Er glaubt dies nur auf Umwegen thun zu können. Die Zeitbestimmung von Th6ophile's Pyrame et Thishi soll der erste Schritt zu diesem Ziele sein. Mairet sagte einmal (1637), seine Sylvie habe bei ihrem Er- scheinen darum einen so schwierigen Standpunkt gehabt, weil die dramatischen Werke Hardy's, Racan's und Th6ophile's ihr vorausgegangen seien. Daraus folgt: Fyramus ist vor der Sylvie geschrieben worden. Aber wann? Die Parfaict behaupten, T^ophile müsse seine Tragödie wenigstens ein Jahr vor seiner Abreise nach England geschrieben haben. Den Beweis hierfür bleiben sie schuldig. Es lässt sich auch mehr nicht feststellen, als dass Th^ophile in den Jahren 1620 1621 einmal in England war. Das von den Parfaict für Fyramus angesetzte Jahr 1617 ist also hinfallig. Einen weiteren Stützpunkt zur Frage der Ab- fassungszeit von Pyramus könnte man in Theophile's Elegie ä une Dame finden wollen, in der er singt:

Autresfois, quant mes vers ont anime la sceine, L ordre oit fesiois contrainet m^a bien faict de (a peine. Ce travail importun nCa long-temps martyre, Mais en fin, grace aux J)ieux, je nCen suis retire.

Die Abfassungszeit dieser Elegie wird, wie Dannheisser ziemlich überzeugend nachweist, ins Jahr 1620 zu setzen sein. Diese Anspielung Theophile's auf eine ihm lästige dramatische Thätigkeit muss sich aber durchaus nicht auf den Pyramus beziehen; vielmehr lässt sie sich viel natürlicher auf die von Theophile erwiesenermassen abgefassten Ballettexte beziehen und Th^ophile athmet also in der Elegie nur erlöst auf, von dieser Art Bühnendichtung erlöst zu sein; sein Pyramus kann aber darum denn doch ganz gut auch später verfasst worden sein! Auch ist es Th^ophile gchon zuzumuten, dass er seinen angeb-

72 Referate utid Rezensionen. F. Bohertag,

liehen Widerwillen gegen das Theater dem Publikum zu Liebe tiberwunden habe. Aus einem Briefe Th^ophile's geht unzweifel- haft hervor, dass sein Pyramus im Jahre 1625 oder 1626 einmal bei Hofe und ungefähr um dieselbe Zeit auch im H5tel de Mont- morency aufgeführt worden sei. Dannheisser ist geneigt zu vermuten, dass diese AuflTUhrung für den Hof wenigstens eine Novität gewesen sei, will es aber nicht als feststehend annehmen. Wenn aber Pyramris schon 1617 tiber die Btihne Hardy's ge- gangen wäre, so könnte (nach Dannheisser) 1625 dieselbe Auf- führung bei Hofe unmöglich so grossen Eclat hervorgerufen haben. Es bleibt also Alles dunkel. Selbst die Angabe, dass Pyramus schon 1623 gedruckt gewesen sei, möchte Dannheisser nicht für unumstösslich halten. „Vorher aber gewiss nicht!" Auch hier gelangt Dannheisser mehr zu negativen Resultaten und möchte nur hinter die in den Litteraturgeschichten herkömmliche Zahl 1617 für Pyramus ein Fragezeichen gemacht wünschen und be- wiesen haben, dass diese Zahlenangabe nicht als Substrat für die chronologische Fixierung von Mairet's Werken dienen könne. Weiter könnte, wie wir aus dem oben zitierten Ausspruche Mairet's gesehen haben, die Abfassungszeit von Kacan's Bergeries zur chronologischen Aufhellung von Mairef s Werken dienen. Dannheisser kommt zu dem Schlüsse, das Racan's Pastorale nicht vor 1622 begonnen und erst (wahrscheinlich gegen Ende) 1623 zum ersten Male aufgeführt wurde. Es wtirde uns denn doch zu weit führen, Herrn Dannheisser auch hier in die Details seiner Beweisführung zu folgen und wir geben also hier nur das Resultat. Wir werden ja ohnehin ein endgültiges urteil tiber Herrn Dann- heisser's Studie erst dann abgeben können, wenn er uns im zweiten Teile seiner Arbeit das Positive seiner Forschungs- resultate: die Beweisführung für seine neuen chronologischen Angaben (er ist hierin ganz radikal!) bieten wird. Bis dahin können wir Herrn Dannheisser schon grossen Fleiss und hohe Gewissenhaftigkeit nachrtihmen. Nur bezüglich seiner Methode sind wir nicht einverstanden: seine Auseinandersetzung schleift uns oft durch ein wahres Labyrinth und es kostet die grösste Anstrengung und Geduld, ihm zu folgen, besonders weil er es liebt, einen Beweis in den anderen einzuschachteln. Also mehr Etirze und Geschlossenheit der Beweisführung und ein nicht so breitbehagliches Verweilen bei Geringftigigem würden seine Arbeit viel geniessbarer machen. J. Frank.

P, Wespy, Der Qraf Tressan, sem Lehen eic, 73

Wespy, Paul, Der Qraf TVessan, sein Leben und seine Be- arbeitungen der französischen Ritterromane des Mittel- alters, Leipziger Inaugaral-Dissertation. Reudnitz-Leipzig, 1889. 50 S. 80.

Der Inhalt der kleinen Schrift ist wesentlich biographisch. Ein einleitender Abschnitt handelt über die Vorgänger Tressan^s auf dem Gebiete, welchem er den grössten Teil seiner schrift- stellerischen Thätigkeit gewidmet. Dann folgt ein Abschnitt „Lebenslauf des Grafen Tressan", in welchem die Biographien, welche bis jetzt erschienen sind, besprochen werden. Hierauf kommen „Vorbemerkungen über die Familie Tressan's", femer „Jugend und Hofleben (1705 1732)**, „Periode seiner mili- tärischen Thätigkeit (1733—1750)", „Tressan in Lothringen und am Hofe Königs Stanislaus von Polen (1750 1766)" (in welcher Überschrift dem Referenten das Wort „und" vom Übel zu sein scheint), „Tressan's Alter (1766—1783)" und endlich ein Über- blick der Ausgaben der Werke Tressans.

Die Schlussbemerkung „Der zweite Teil dieser Arbeit, ent- haltend eine Untersuchung über Tressan's Bearbeitungen alt- französischer Kitterromane, wird an anderer Stelle erscheinen" rechtfertigt den Verfasser dem Vorwurf gegenüber, dass der In- halt der Schrift das nicht gebe, was der Titel verspricht. Jener zweite Teil wird nun freilich das bei weitem Interessantere und Bedeutendere bieten und lässt, wenn man von dem vorliegenden biographischen Teile schliessen darf, Gutes erwarten. Denn wir erhalten hier einen gedrängten und doch, wie es scheint, vollständigen Lebensabriss des interessanten Mannes, U meüleur et le plus aimable esprit qui soit en France nach Voltaire's Urteil, welches übrigens wohl weniger gut ausgefallen wäre, wenn der Herr Graf sich mit dem litterarischen Diktator weniger gut zu stellen gewusst hätte. Bei der Feststellung der Thatsachen scheint uns der Herr Verfasser mit der erforderlichen kritischen Vorsicht zu Werke gegangen zu sein. Über das Misslingen der dem Grafen von seinem militärischen Ehrgeiz eingegebenen Pläne ist unseres Erachtens aus dem, was an Material vorliegt, keine vollständig genügende Einsicht zu gewinnen. Es fehlen uns hierzu, die Sache mag an sich so wichtig oder so unwichtig sein, wie sie will, zu sehr alle wirklich objektiven Anhaltspunkte, denn was der Abb6 V., Grimm und Madame de Genlis erzählen, scheint auf einseitiger Auffassung oder ungenauer Kenntnis der Sachlage zu beruhen, und gegen Memoirenanekdoten, von beissenden Epigrammen, mit denen sich sonst verdiente Leute geschadet haben sollen, muss man ein grundsätzliches Misstrauen haben.

74 Referate und ' Rezewanen, IC, A, M. Hartmann,

Ml5ge es Herrn Wespy verstattet sein, seine Arbeit über den federgewandten Grafen bald zu einem befriedigenden Ab- schlüsse zu bringen, dem wir mit Spannung entgegensehen.

F. BOBESTAO.

Kollektion Spemann^

Siehe hier Band JX^, Seite 93 ff.

(Fortsetzung.)

5) A. R. Le Sage, Dei' hinkende Teufel. Mit einer Einleitung von Ferdinand Lotheissen. 230 S.

Dieser Band gehört zu den besten Leistungen der Sammlung. Die Einleitung orientiert in knapper, aber vortrefflicher Weise über Leben und schriftstellerische Bedeutung des Le Sage und lässt dieselben Eigen- schaften hervortreten, welche die Litteraturgescbichte des zu früh heim- gegangenen Verfassers in so hohem Ma^se auszeichnen: die auf eigener Anschauung beruhende Vertrautheit mit Land und Leuten, die er- schöpfende Kenntnis des Gegenstandes, die treffende massvolle Beurteilung, und endlich last, not least, die edle, gefallige Darstellung. Auch die Übersetzung verdient volle Anerkennung. Sie ist erstens in be- sonderem Grade korrekt, was man ja nicht von allen Bänden der Spe- mannscben Sammlung sagen kann, und sodann gibt sie den einfachen, leichten, lebhaften Ton des Originals sehr gut wieder. Die Nachlese, die der Kritiker hier halten kann, ist nur ganz unbedeutend: So findet man S. 17: der Dämon der Dummen, wo Le Sage hat: le de'mon des du^es. Es handelt sich hier wohl nur um einen Druckfehler. Ebenso ist S. 116: »in meinem Hause*' zu ändern in: in einem Hause**. S. 203 wäre der Pentameter des lateinischen Distichons einzurücken gewesen, und S. 224 ist zu lesen: „die ich übernehme*' für: „die ich über- nahm (dont je me Charge). Ein zweimal (S. 29 und 118) vorkommender Übersetzungsfehler ist: „Junggeselle** für: hachelier. Bekanntlich ist diesem französischen Worte die Bedeutung des entsprechenden englischen Ausdrucks fremd. S. 159 ist: je ne la (d. h. Poccasion) ratei^ai pas (ich werde sie nicht verpassen) nicht ganz genau wiedergegeben durch: ich werde nichts daran ändern. S. 203 liest man: „Wir können unter- haltende Beobachtungen dort anstellen**, was sich nicht völlig deckt mit dem Ausdrucke des Originals: nous ferons quelques remarques rejouissanies.

Der Leser hat selbst schon bemerkt, wie geringfügig diese Aus- stellungen sind Dieselben können nur dazu dienen, den Wert des Bandes um so mehr hervortreten zu lassen.

6) J. J. Rousseau's Netw Hetoise. 2 Bde. (312 und 321 SS.)

Diese Übersetzung, deren Verfasser nicht genannt wird, wäre sicher- lich besser ungedruckt geblieben. Denn sie ist auch nicht im entferntesten dazu apgethan, dem Leser zu einem wirklich angemessenen Eindrucke eines 80 bedeutenden Litteraturwerkes zu verhelfen, nicht nur wegen der zahl- reich vorhandenen groben Missverständnisse des Originals, das dem Über- setzer noch dazu in einer durch Druckfehler arg entstellten Form vor- gelegen zu haben scheint, sondern auch wegen der höchst bedenklichen, an vielen Stellen geradezu unglücklich zu nennenden stilistischen Form,

KoUektion Speman». 75

in die das Ganze gekleidet ist, und endlioh wegen der grossen Menge von Barbarismen, 'Gallizismen, Provinzialismen und Archaismen, die einem die Lektüre verleiden. Die letzteren machen es wahrscheinlich, dass der Ver- leger hier einfach eine Übersetzung älteren Datums abgedruckt hat, mut- masslich eine aas dem vorigen Jahrhundert. Leider hat er es aber ver- säumt, eine gründliche Überarbeitung des Textes vornehmen zu lassen, und so ist ein Werk entstanden, bez. neu auterstanden, das so gut wie un- brauchbar ist, und niemandem empfohlen werden kann, auch nicht dem anspruchslosesten Leser. An nicht wenigen Stellen ist die Übei'setzung geradezu unverständlich, und man muss das Original aufschlagen, um Klarheit zu erlangen. Dazu kommt noch, dass die typographische Be- handlung des Textes in hohem Grade nachlässig ist, sowohl wegen der vielen falschen Buchstaben, die einem aufstossen, als auch wegen der zahlreichen Auslassungen von Worten oder gar Sätzen, so dass der Leser oft vor Rätseln steht, die nur mit Hülfe von Rousseau 's Wortlaut erst gelöst werden können.

Ein solches Urteil scheint hart, und wer es ausspricht, hat die Pflicht, es zu begründen. Freilich können wir nicht daran denken, das ganze uns vorliegende Material mitzuteilen, denn das würde den Rahmen eines Zeitchrifiienartikels weit überschreiten. Die folgende Blumenlese wird aber hinreichen, um den Beweis zu liefern, dass das aasgesprochene Urteil durchaus nichts unbilliges hat, sondern lediglich dem wirklichen Thatbestande entspricht.

So sei denn zunächst eine Auswahl aus den vielfachen Entstellungen des Originals gegeben: 1, 13 das beständige Absprechen (deraisonnement), 1, 14 um die Wette (tour ä tour). 1, 15 Der Schlendrian (manage) des artigen Betragens. Ib. Die Märchen fcofites), die Romane, die Theater- stücke, alles stichelt auf die Provinzbewohner. 1, 35 Das Gewirre meiner Umgebungen (mes perplexites) 1, 33 von dem Du mir durchdrungen scheinst (as paru). 1, 35 Weiche gute That, die ich um ihrer selost willen schon vollbracht hätte, sollte ich jetzt vollbringen, mich Deiner würdiger zu machen? (quel bien qne je n'aurois pas fait pour lui-mSme, ne ferais-je pas^ mainienani, pour me rendre digne de toi?) 1, 36 Du verlierst Deine Zeit in leerer Trauer, und kannst ohne Furcht sein, ob Du Dir nicht neue darüber bereitest? (comment ne crains-tu poini de fen atiirer d*auires?) 1, 38 Mein dumpfer Leichtsinn fmon diourderie). 1, 43 Mein Humor (mon humeur), meine Gesundheit haben ihr frohes Teil daran (s'en ressentent). 1, 66 Der Tugenden mit der Goldwage wägt (au poids de Cor). 1, 57 Ein Taschengeld, das von mir nie be- rührt werden darf laqueÜe je n^aijamais besoin de toucher). 1. 60 Ge- schäftsträger (commissionnaire). 1, 62 Die Gebirge, soweit (tandis qu* elles etc.) sie zugänglich sind. 1, 73 Ich wusste, welche Partie (q%iel parti) Sie ergreifen würden. 1, 76 Ich schreibe auf einem Viereck (quartier) y welches das Eis vom Felsen abgestossen hat. 1, 98 Dein Haar- putz (ajustement). 1, 99 unvermögend, mir selber aufzusehen (me garder), 1, 196 Das Fagott (violonceUe). 1, 121 Dann werde der Becher mit meinem wohlbedachten Willen mon intention) geleert. 1, 133 Diese Stürmer (ces hommes si ombrageux). 1, 134 Ausschweifung (extravagance). 1, 137 verkleinern favilir). 1, 137 Bomston's Zufall (accideni). 1, 138 Gebärde (attitude). l, 156 verstörte ßouiUanl) Miene. 1, 156 abreisen (partir, d. h. fortgehen). 1, 158 sich zu allen hinkauern (s*accrocher). Ib. Sie nahm leicht die veränderte Richtung (prit le change). 1, 163 Was in diesen Rücksichten das Zuträgliche sei, muss er wissen (vaüä les convenatices dant U doii connaiire). 1, 165 Den Wunden einige Linderung (appareü) versohafifen. 1, ].69 Die ehrenvollste Partie (le parti

76 Referate und Rezensionen. K. A. M. Hartmann,

EntschldBs). 1, 170 Die ängstliclie Verwickelung? deiner Lage (tes per- plexites). 1, 175 Mein Schicksal hat Ihren Eifer zum besten (C empörte sur votre zhle). 1, 177 Sieh zurück (regarde). Ib. Ich darf Deine Wut überbieten (j*en puis defier). Ib. Kannst Du mich in Anspruch nehmen (fen prendre ä moij. 1, 179 Wie schwach sind die Tröstungen der Freundschaft, wo der Liebe Tröstungen entstehen (manquent), 1, 184 Bin ich es auch fest-ce öien moi) dem Sie Verrat Schuld geben? Ib. Übereilung (extravagance). 1, 185 Trotz meiner Stürme (ombrages). Ib. Das Opfer, das sie dem Naturgefühle (aux senliments de la nature) bringt. 1, 187 Mit dem Eifer, dessen sie wert sind (anstatt: nicht wert sind. 1, 188 Die betrübten (tristes) Schwätzer. 1, 205 Ich müsste überall bei dem ersten zu beobachten anfangen faut que je commence par tont observer, dans le premier ou Je me trouve). 1, 206 Kunstgriffe (maximes).

1, 207 Ich verschliesse (je prite) mein Ohr. 1, 208 Man sieht die andern nur sobald (autant) handeln, als man selbst handelt. Ib. Bei förmlich bestehenden Gastmahlen (diners regles). 1, 214 Fein pausbäckige (hien ronflants) Dialoge. 1. 229 Wenn die Gatten hier Knaben und Mädchen sind (garqons et fiUes). 1, 235 Klatschhaft (tracasderes), 1, 252 Kostbare (pre'cieuses) Damen. 1, 254 Wäre es nicht nötig, zu sehen (etoit-ii necessaire). 1, 266 Ein Elternmord (parricide, d. h. Muttermord, da der Vater noch lebt). 1, 272 Sie stockte, ehe sie reden konnte (tant qu^eüe put parier). 1, 282 Eine träumerische (chimerique) Tugend. 1, 283 Geh (va), ich kenne es besser. 1, 284 Die sinnliche Liebe kann des Besitzes nicht Umgang haben (se passer). 1, 288 Schade, dass ich (feus beau) Sie entfernt hielt. 1, 297 Im Drange sich zu verständigen force de s'entendre). 1, 299 Der Prediger sprach angstvoll (gravement). 1, 307 Das Gefühl ist so innig, dass es eine andere vielleicht beruhigte (une autre seroit alarme'e). 2, 6 Er liebt, so viel er lieben will fU n'aime qu*autant qu*ii veut aimer). 2, 8 Alles zweckt auf unsere Vorteile ab (toume ä). 2, 13 Hat Gott nicht Macht über meinen Leib ? (Dieu n'a-t-ü de pouvoir que sur mon corps?) 2, 15 Jeder sinnige (sense) Mensch.

2, 16 Wenn man China (quinqmna) gegen das Fieber gebraucht. 2, 19 Ich bedarf nichts zur Probe (preuve). 2, 20 Hundertmal zurückge- schlagene frebatius) Gemeinplätze. 2, 22 Eine Wunde aufschlitzen (scarifier). 2, 47 Man hatte meine Chaise zurückgeschickt (remise). 2, 52 Sekten- geist (esprit de Systeme). 2, 54 Durch ein standhaft ehrendes Benehmen force d^egards). 2, 70 und öfters sonst war Fanchon durch Fränzchen zu übersetzen. 2, 81 im Tempel (au temple, d h. in der protestantischen Kirche). 2, 87 sinnreich (htdicieux). 2, 89 sich mit Pfirsichkernen werfen (se battre ä coups de pickes). 2, 91 Wasserfall (jet d'eau). 2, 103 Tags zuvor (Pautre jour). 2, 110 Ich ziehe mich auf der Stelle zurück (je me reiracte). 2, 116 Wirklich la ve'rite) glaube ich nicht, aber . 2, 127 Leim (limon), 2, 137 Wenn sie ihr Glück von dem Glücke aller Menschen unabhängig machen wollte (faire dependre). 2, 151 So ein Schmecker (tel g.). 2, 153 Da man desjenigen, der sie verfertigt, sicher ist (sür de ce qui les compose). 2, 155 zur Wette (re'ciproquement). 2, 157 Menschen von Gemüt (sense's). 2, 161 Ein viel besser verstandener (beaucoup plus e'tendu) Erfolg. 2, 166 Das Mannesalter zu bedenken, das ist die Aufgabe (c*est le cas de songer etc.). 2, 167 Die Kindheit für sich zu betrachten conside'rer). 2, 170 bis auf einen namhaften Punkt point nomme). Ib. Wissenskünste (lumiere.^). 2, 184 Eine gediegenere (pltis grossier) Gottesverehrung. Ib. Ich erniedrige die göttliche Majestät nicht (fe rabaisse la m. d.). Ib. Sie entschläft (eüe s^endort). 2, 187 Ihn zu rühren fördert nicht ne s'agit pas de —). 2, 194 Alle Reize des goldenen Alters (de fäge d'or). 2, 195 Der schmetternde Ton (le

Kollektion Spetnann. 77

rauq^te son). 2, 195 Alles nach der eingeführten Polizei (police), 2, 196 Für deinen Meister (maitre, d. h. Lehrer). 2, 197 Mittagspredigt (priche du soir). 2, 203 Er Hess ihn verbinden (saigner). 2, 210 von der Seite zurückführen framener du cöte) wo ich nichts zu fürchten sah. 2, 211 Eine übelberechnete Versuchung (teniaiives). Ib. Unwandelbar sein (ne pas prendre le change). 2, 213 Er bemerkt, sie befinde sich sehr übel (q%CeUe est fori mcU, d. h. sehr hässlich). 2, 218 ohne Verstocktheit (sans ruses). 2, 222 Wenn Du Deinen Mann und Dein Murmeltierchen (mar- mols) auf acht Tage hierher verpflanzt hättest (plante lä, d. h. verlassen). 2, 232 Teuer musste ich bezahlen Q^ai faUü payer). 2, 233 Ich fühlte Scham, der Meinung zu opfern, die ich verachtete; fühlte die Achtung, die ich ihrem Werte schuldig war (feus honte de sacrifier ä ropinion que je meprisois Pestime que je devois ä son merite). 2, 234 unsere (ses d. h. ihre) Versuche. 2, 236 und 242 Künstler (ariisan). 2, 248 Wer ist in der Schmach, worin sie bald versinkt, der Urheber ihres Elends, der Misshandlung, die sie an einem schlechten Ort von einem Unhold erduldet, oder der Verführung, die sie dorthin schleppt, als denenige, welcher zuerst einen Preis auf ihre Gunstbezeugungen setzte? (Lequel est Cauteur de sa misere, du brutal qui la maltraüe en un mauvais lieu, ou du Be'ducteur qui Cy traine en mettant le premier ses faveurs ä prix?) 2, 251 Arge Scham (mauvaise honte). 2, 256 Diese Buhe ist nur ein Traum (n^est qu'une irhve). 2, 260 meine vorigen Fehler (mes f. passe'esj. 2, 264 Er geht aber auf die Gründe ein (il entre pour beaucoup dans les raisons), um welcher willen ich Sie hier wünsche. 2, 268 Ich fühlte mich mit gutem Sinne geboren (bien nee). 2, 272 Lasst uns nicht un- ruhig werden (n'empie'tons pas). 2. 273 Gehässige (oiseuses) Fragen. 2, 277 Diesen Teil auf die unsrigen aufschlagen (repartir). 2, 286 Hat Gott meine Vernunft darüber (au-delä) nicht erleuchtet? 2, 286 Bis ich iUhig (ificapable) wäre. 2, 297 Das ewige Wesen wird nicht gesehen, nicht begriffen (ne se voit ni ne s^entend). 2, 298 Sie scherzte mehr (plaisoii plus).

Fast noch zahlreicher sind solche Stellen, in denen man den richtigen Ausdruck vermisst. So 1, 9 Welche Ausrufungen. 1, 14 Das Für und Gegen. Ib. Der Farbenkleister (coloris) ihrer falschen Tugenden. 1, 15 Ausgelassene Viehheit (hutale orgie). 1, 17 In ihrer ungeglätteten (grossiere) Einfalt. 1, 17 Entzogenheit (r^trai/^^. 1, 18 befahren ^t^^«/^/ 1, 19 sich berühmen. 1, 22 ihre Seelen in einander verflössen (confondre). Ib. Sich verähnlichen (se ressembUr). 1; 23 angestelltes Wesen (feinte). 1, 26 Wandellose (inalterabU) Milde. 1, 26 Je und dann (quelquefois). 1, 29 Halten Sie mich wert, über mein Schicksal zu verfügen (daignez disposer de man coeur). Ib. Frevel und Reue treiben mein Herz um (agitent). 1, 30 Unbesiegliche (inalterabk) Güte. 1, 32 Das Gefühl Deiner Verwerfung (tes remorOs). 1, 33 Weg (va), ich sehe klar. 1, 34 Die angstvolle Empörung (les alanfnes) einer Liebenden. 1, 35 Selbstverachtung beurkunden (temoigner), 1, 37 Der Unterricht ist mir unlieblich (j'ai regret). 1, 38 Ein güterloser {sans fortune) Bürgerlicher. 1, 38 Ist Deine Liebe auf dem höchsten Grade, dann Messe, sie durch gewaltsame Mittel zwingen wollen, es auf Tragödien mit ihr anlegen (c*est Cexposer ä des traqedies, que de Tattaquer par des moyens molents). Ib. Eine achtzehnjährige Domina {duegne), 1, 40 Es solchen Kämpfen voraus- thuen (pre'venier). 1, 41 Wenn ich mich mehr gefallen Hesse (quand je deviendrois supportable). 1, 43 Der Überschwang (Fexcts) des Glückes. 1. 44 Wie grosses Recht haben Sie (que vous avez raison). 1, 46 Eine Wahrheit) wovon Ihr Herz Sie überführen muss. 1, 47 Ihre Gedanken winden sich ab (s'exhalent). 1, 50 Staatsmäkler (ndgociaieur), 1, 56

78 Referate und Rezensionen. K* A, M, Hartmann,

scbanderbare fvüs) Qeschenke. 1, 59 Leiden, die in beaseran Verhältnisse stehen mit ihrer Palme (prix). 1, 61 Wer am höchsten (bien haut) über Trennung klagt, ist hän^ nicht dasjenige, so am meisten leidet. 1, 61 Ich öffne Deinen Brief, wie sich die Strasse krümmt (au premier deiour). 1, 63 Mit Aufzählung all der Scienzen (sciences). 1, 67 eifervolle Gast- freiheit (zele hospitäier), 1, 68 Weder sie noch ich drückten (g^ner) einander. 1, 72 ein Ton, den ich nicht misshören (meconnaUre) kann. 1, 79 Sie stiess ein hitziges Fieber an (eUe tomba dans etc.) 1, 82 Ein liebeklopfendes (palpilant damour) Herz. 1, 84 Der Missmut, der Dich besitzt (assihgent). Ib. Eonnte^bh misskennen (meconnaitre) woher er kam. 1, 88 Alles beobachtete ^fth im Bunde (de concerl). 1, 89 neu- giervoll (ciirieux). 1, 90 W^ir Madame Delon, noch alle höheren Schönheiten als sie, sind die Zerstreuung zu bewirken vermögend. 1, 92 Ein Unglück, woran der blosse Gedanke mich erzittern macht (tiont la seule pense'e etc.). 1, 98 Dein kämpfendes Gewissen (tes remords). 1, 94 mit von der Heise sein (Hre du voyage). 1, 96 Eine geheime Beengung klemmte mein Gemüt (ätouffait). 1, 99 Ich bin des Entschlusses (fai re'solu}, meine Schuld zu vergüten (reparer). 1, 103 0 des Glückes, in einer Sorge zu gatten, was Liebe und Tugend Reizendes haben. 1, 104 Menschen, die in gutem Verständnisse (inteüigence) leben. 1, 106 schöne Vemünfteleien (raisonnements). 1, 107 Es ist leicht, sich loszuschrauben (de les eluder). 1, 108 Meine seinsollenden {pretendues) Vollkommen- heiten. 1, 111 Dass die Eismasse einmal warm (de la ckaleur) gebe. 1, 112 Nachschleichende Fussfolge unserer Muster. 1, 113 Leere Schälle einer Sprache. 1, 115 Du hättest . Dich nicht vertrauern (ie desoier) dürfen. 1, 115 Ist es Zeit, seine Tritte zu festigen am Rande (au fond) des Abgrunds. Ib. Selbstverwerfung (remords). Ib. Nur der Wilikühr des Zufalls stehe ich bloss für die Zukunft (je suis ä la merci etc.) Ib. Nur von Glück und Klugheit ist die Frage (la question). 1, 125 Das zärtliche Stöhnen (gemissements). 1, 128 Ein auf die Ehre seines Hauses gesteifter fentite) Krieger. 1, 130 Jede Erstattung (reparation, d. h. Ge- nugthuung). Ib. Ausforderung (für Herausforderung). 1, 132 verdamm- lich (condamnable). 1, 133 Bei einem Thaler un e'cu presj wissen, was ihr Leben wert sei. Ib. Die Seelenstärke, die ihn einflösst (qui finspirej. 1. 135 Tiersinn (brutaUte). 1, 136 Tapfermut (valeur). 1, 137 Dein ängstlicher Aufruhr (ies alarmesj. 1, 132 Im Namen eines Vetters von ungeföhr (d'un guidam). Ib. Alle Junker Korde (lous les hober eaux) von Europa. 1, 145 Deinem Freunde böses Spiel machen (faire un mauvais parti). 1, 148 böse Scham (mauvaise honte). 1, 149 Nächtliche Gedanken (funestes p). 1, 152 Massregeln nehmen. 1, 153 Um ihn leichter zu bedeuten (däterminer). 1, 157 Gir'tige Wunde (envenimee). 1, 160 Träumerische (chim&igues) Mittel. 1, 161 Ihr Felsen, die mein Bück so oft bemass (mesfira). 1, 162 Schief gerichtete (mai employee) Kraft. 1. 165 Anm. Es gibt Länder, wo das Zusagen (convenance) bloss äusserer Verhältnisse so sehr dem Zusagen der Naturen und Herzen vorgezogen wird, dass nur jenes fehlen darf, um die unglücklichsten (les plus heureux) Ehen zu hindern. 1, 165 Das Fahren verdumpft (alourdit), 1, 168 ein ruhevoller (iranquille) Ort. 1, 178 Unzärtlicher Mann (amant Sans delicatesse). Ib. verlarven (deguiser). 1, 180 weiblicher (effeminee) Brief. 1, 182 Die Seinigen (les siens, d. h. talents) sind überwiegend (superieurs). 1, 185 Der sie höher bedarf (qui en a plus besoin) als je. 1, 186 trauerwelkes (fleiri de tristesse) Herz. 1, 187 Trennungswehen (peines de Pahsence), 1, 188 Die Moralien (arguments). Ib. allstets (toujours). Ib. Ersahst Du Dich je (favisois-tu jamais) Dir Krösus" Schätze wünschend? 1, 189 Regulus in dem Umfange (au miUeu) seiner

KoüekUon Spenumn. 79

Qiialen. 1, 196 Bezaubert von den Einsichten (du savoir), die man in den Unterhaltungen der Weiber wahrnimmt. 1, 198 Etwas, wb» ^nt läset (titie Sorte de bon air). 1, 198 Der Finanzbediente macht den Herren (le financier faxt le seigneur). Ib. Gewerbsmann (artisan). Fb. Batmann (komme de palais). 1, 201 Witz ist die Wut (ta manie) der Franzosen. 1, 201 Niederschreiben, wie die Bübin Dich geschmält haben wollte (Ids injures qtie ia mauvaise a voidu fadresseiy, 1, 206 Ange- betete Huldin (ohjet adore). 1, 207 Die Schwierigkeiten des Weltstudiums (de Pe'tude du motUte). 1, 208 Entzogenheit (retraiie). Ib. Jener Unter- redner (interlocuieur). 1, 210 Männer und Weiber, auf die Kunde der Welterfahrung hin (mstruits par rexperiance) vereinigen sich etc. 1, 212 Ein schlagendes Kriegsheer (re'giment en hataifle). 1, 218 Dünklinge (imperiinents). Ib. Schilderei (peinture) des Volkes. 1. 216 Verttigungen des Wohlanstandes (les hienseances). 1, 221 Wer nähme alle meine Ge- danken in Pflege (qui seroit le depositaire de tous mes senüments)? 1, 222 Die Frau eines Wo bist Du her? (d'un parvenu). Ib. Ich binde Dir im Voraus ein (je favertis) zu warten. 1, 226 Die holde Scham hat ihnen niedrig erschienen (lewr a paru). 1, 227 Ein Gesicht mit Küssen decken (couvHr). 1, 228 Die Hochgebärden (ies grands airs). Ib. Dieses Hechtes sich zu verzichten (se r^server ce droit). 1, 229 Galanterieverbindung fliaison de galanterie). 1, 231 Theatermummerei (representation). Ib. Sie deckten uns mit scherzhaften Zügen (accahUrent). 1, 233 gründlicher (plus sürement) lieben. Ib. verschrauben (defigwrer). Ib. Weltgebruuch (usage du monde). 1, 236 Ich will mein Gelass (mes aises) haben. Ib. entatmet (hors d^ haieine). 1, 238 Operist (acteur ä Copera). 1, 239 Den Vorhang bestreifen (toucher). Ib. Opfergedüft (enctns). Ib. Der Eckel des Volkes (le rebut du peuple). 1, 241 Das starke Stück (les tours de force) des Gauklers. 1, 242 Das unzärtlichste Ohr (Cor, la moins delicate). 1, 249 Eine BedrQckung (air ginä) bemerken. 1, 262 Satzungen des Wohlanstandes (des hienseances). 1, 264 Der Ge- fahr entrettet (sauve). l, 266 Blendlinge (colifichets) von Briefen. 1, 268 Eine jammervolle (eploree) Mutter 1, 266 Ich weihe den Rest meines Lebens Thvänen pleurer) um die beste Mutter. 1, 273 Seine ganze Federkraft (tous ses ressorts) ist erschlafft. 1, 276 Ihre Vorschritte (vos procedes). Ib. Diese Ehre, die Sie rächen zu können sprechen (qtte vous parlez de venger). Ib. gothische (gothigues) Maximen. 1, 267 Mass- regeln nehmen. Ib. Zur Fülle* des Entsetzens (pour comble d*hon*eur). 1, 277 Die Blüten meines Gesichts (les aarements). 1, 281 Der Ball (le jouet) einer eitlen Hoffnung sein. 1, 284 Die Gefühle, die mich um- treiben (qui m*agitent). Ib. Dieser Busen, in vollen Sprudeln gros bouillons) Blut und Leben verströmend. 1, 286 Das Gefühl der Selbst- verwerfung (les remords). 1, 286 Die Achtung, womit ich Sie umfasste (que feus pour vous). 1. 290 Der Vorschlag verstrickte mich aufs äusserste (mit le comble ä mes perplexite's). 1, 294 Was ward mir, als ich sah! 1, 294 Mit Schmerz in die Gruft sinken. 1, 296 Abmüdung.

1, 297 Ihr Brief vollendete mein Irrsal (acheva de m*ägarer). 1, 299 Ihr gesammelter kiiBtB,nd(maintien). Ib. gewichtsvoll (important) für das Glück. 1, 302 Mit Ängstlichkeit über dem Gottesdienst haltend (dttachäe au culte public). 1, 303 Diese Grösse verekelt ihm (le d^goüte de) ihren Hochmut. 1, 304 Schirmhalter (garant). 1, 312 Holdes Wonne- verschweben (donces extases). Ib. Köstliche Lebenspunkte (moments).

2, 6 Er spricht in einem grossen Sinne (d'un aratul sens). 2, 8 Mit dem, dass sie sich als Liebende zu sehr liebten (pour s^itre irop aime's amants), bringen sie es dahin, dass etc. 2, 9 Ich befahre (je risque) ihn zu offenbarem Nachteile pure perte) zu betrüben. 2, 11 Ihr Ge-

80 Referate und Rezensionen. K. A. M. Hartmann,

müt saugt sich an alles an (s'atiache). 2, 11 Strebeziel (objet). 2, 16 Unzählbarer (insolvahle) Schuldner. Ib. Was heisst das sagen (qu'esi-ce ä dire)? 2. 19 Das ^]oL\}i'&A%eh^\i (les raisonnemenis). 2, 23 Unzärtlicher Mann der Liebe (amant sans delicatesse). 2, 28 Vortod (mori anOctpee). 2, 33 Wirrwesen (embarras), 2, 34 Ungelogen (satis meniir). 2, 35 Das Erlauen (atiiedir) meines Herzens. 2, 36 Die ankirrende (agagant) Miene. 2, 41 Geglättete Völker (p. polis). 2, 47 Nach einer so süssen Bewältigung (saisissemeni) verschlingen sich (se confondent) unsere Stimmen. 2, 55 gütevoll. 2, 56 Mein Handwerk ist es zu kippeln (quereller). 2, 59 Warten, bis er meiner leidig geworden (s'ennvyer avec moi). 2, 68 Du seist eine Närrin auf mich (folie de moi). Ib. Älterrecht (droit d^ainesse). 2, 64 Luststück (parterre). 2, 71 Afterkonzilien (conciiiabtiles). 2, 72 Stubenhüterische (casaniere) Schlaffheit. 2, 73 Durch Kreuzigen und Quälen force dÜmporiunites). Ib. Der Verstand kann sich ver- Bchweifen (s'egarer). 2, 77 In tieferer Ferne (de plus hin). 2, 78 Emst- gemessenheit (gravite). 2, 65 Die Pflichten, wogegen (pour lesquels) die Sitte und der Lärm der Welt nur Ekel einflössen. 2, 87 Niederlassung (eiablissement) = Verheiratung. 2, 89 Dieser vorgegebene (preiendu) Baumgarten. 2, 100 afterkünstliche (factice) Ordnung. 2, 102 Meine Einsichten (lumieres). 2, 104 Die Urfeder (le principe) meines Wesens. 2, 105 Oartenhelfer (garqon jardinier). 2, 108 Mein Benehmen sieht (a Vair) abenteuerlich. 2, 108 Wenn ihr eins des andern geworden wäret (si vous aviez ete Fun ä Vautre). 2, 112 Ein aus Deinem Charakter gehender (qui sort de ton car acter e) Sinn. 2, 114 Unerlässliches (irre- missible) Verbrechen. 2, 116 AiFektvolle (affeciueuse) Unterhaltung. 2, 116 Probehaltige (solides) Gründe. Ib. Übermannungen (defaites). 2, 117 Ich überhudle (je brouiUe) meine Geschäfte. 2, 118 Ihre Kinder Söld- lingshänden (mains mercenaires) anvertrauen. 2, 119 AusschafiPung (exactitude). 2, 120 Ich verschatte (ftfface) ein Gemälde durch ein anderes. 2, 124 Zusammensprechende (correspondants) Winkel. 2, 126 Schirmorte (des abris), 2, 129 allstets (tovjours). 2, 134 Kindergesause (iracas des enfants). 2, 136 Ein der Weisheit angeschlossenes (otiachee) Glück. Ib. Unfühlend (insensible) für die Freude. 2, 147 Auf Juliens Anstehen rinstance). 2, 150 Vertragleistender (coniractant). Ib. Ich bin nicht ungeständig (je ne disconviens pas), dass der Bau (la cu/ture) meiner Güter mir Kosten macht. Ib. Überschwang (exces). 2, 15o Mildigkeit (charite). Ib. Ich bot Julie Fehde (fe fis la guerre ä J.). Ib. Eingeschneizel (ragoüts). 2, 156 Nachdrucksam (avec empkase). 2, 159 Eine mit Ausdehnungskräften begabte (expa?isive) Seele. 2, 164 verschatten (abrutir). 2, 165 köpfisch (titu). 2, 167 Brustflösse (fluxions de potirine). Ib. Sonnenschüsse (coups de soleü). 2, 168 Eine uner- leuchtete (peu ^ckiree) Mutter. 2, 178 Mündigsprechung zum Wort- führen (emancipaiion de parole). 2, 176 Blütenleere (sterile) Kind- heit. 2, 178 Heimlich unter den Fuss geben (snggerer). 2, 181 Ge- wissen Schlages coup sür). 2, 183 Gewährsquelle (auiorite). 2, 187 Massnehmung der Vorsicht (pre'caution), Ib. Sie von ihren Befürch- tungen emporraffen (la rassurer sur). 2, 190 Prozesskrämer (plaideurs). 2, 191 Ein Erhallen (reteniissemeni) der Fröhlichkeit. 2, 194 Wohl- diener (parasiies). 2^ 201 Empfindlich (sensible, d. h. dankbar) für meinen Eifer. 2, 209 Systemenfreund (komme ä systemes). 2, 211 Von fernher beziehend (indirectemeni). 2, 215 Über ihre Andränge (atteintes) erhaben. 2, 222 Auf den Herrn und Meister stechen (trancher du seignevr). 2, 229 Kinder eines zweiten Bettes. 2, 237 Der sich ihre Kinder zu üben vor- setzt (se propose), 2, 240 Die hohen Mienen (les grands airs) der Frem- den. 2, 251 Die Mittel wären der göttlichen Macht anständig (convenoient).

Koüektion Spemann. 81

2, 254 Verschwebungen (egarements) der Vernunft. 2, 263 Mein Ver- bundener (mon allie). 2, 264 Soll ich bis zum Ziele (jusqu'ati hont) geben ? 2, 265 Du hast mir nichts mehr zu entraffen (deroher). 2, 270 Alle meine Vermögen (toutes mes faculies) sind dahin. Ib. Die Freuden, die im Bezirke meiner Kraft ma portee) liegen. 2, 272 Gottesliebe (amour de Lieu). Ib. Andächtler (devot). 2, 278 Junge Personen Q'eunes personnes), 2, 283 Sie durchstiessen die Luft mit ihrem Geschrei (pergoient), 2, 286 Mein Sinn ist gleich unverkrümmt (la droiiure d'intention est la mime). 2, 288 Diese Ideen hegen den Unglauben mit Mutterwärme (fomentent). 2, 292 Nichts was mich übel von ihm zu weissagen ver- anlasst hätte (qui me fit med augurer de lui). 2, 298 Sprachfertigkeit (sentence). 2, 302 Ihre Arme in ausspannender Bewegung (ses bras en contraction). 2, 308 Ich sterbe um eins mehr (une fois de plus) u. s. w. Nicht wenig tragen endlich die zahlreichen Druckfehler dazu bei, den Text zu verdunkeln oder gar zu entstellen. Auch hier geben wir nur eine kleine Auswahl; 1, 6 Er sage es, wem er will (s^ü veut), der ganzen Erde. 1, 19 Zuverlässig ist die Ihrige, nicht so die knechtische. (Das Komma zu streichen.) 1, 46 In dem Herzen de^ (= der) Geliebten. 1, 52 Weil ich fromm gewählt hatte, erhielt ich wie Salom^ (= Salomon, vgl. 1. Könige 3, 13) neben dem, was ich erbeten, auch das, um was ich nicht bat. 1, 64 Alle»? aufbieten. 1, 84 Ein Verbrecher (= Verbrechen). 1, 89 Dein Bild wützt (= stützt) jene wie diese. 1, 98 Alle Gedanken, die ich vor (= von) der Liebe gedacht. 1, 109 Ihre Schmeicheleien sind weinem Sinne (en un sens) Wahrheiten. 1, 65 Fuhr ihr (= ich) fort. 1, 60 Die einst zu ^ben (aimer) wusste. 1, 162 Die Vernunft hält sich nur (fehlt: durch) dieselbe Rüstigkeit der Seele. 1, 174 Beiil9piel (exemple). 1, 178 EntZ>ehrung (deshonneur), 1, 179 Die Vergangenheit entehrt mich (nCavilit). 1, 180 In meinem (dans un cceur). 1, 181 Missgriffe machen dem, der sie mehr verbessert, Ehre als dem, der sie verzeiht (= machen dem, der sie verbessert, mehr Ehre etc.) 1, 182 Da^^ sie nicht kennen (puisque). 1, 184 Eine Anzeige (un indice, = Anzeichen). 1, 187 Fraito (= frutto) senile in suH giovenil siore (= fiore). 1, 188 Die Entzückungen, die uns über uns selbst (fehlt: e'levoient) bei der Er- zählung jener Ueldenthaten. 1, 191 Anhänglichkeit (dependance). Ib. 0 qtial siamma (= fiamma). 1, 199 mi trasise (= trafise). Ib. Er passt nicht wenig (moins). 1, 213 Die heurigen Autoren (les a. d^aujourahui). 1, 215 Unvermerkt urteile ich, weil (comme) ich die ganze Welt urteilen höre. 1, 224 Der grösste (ia nlupart) der Beobachter. 1, 236 Welche Flammenströme dringt (puiseni) mein durstiger Blick aus diesem Bilde.

1, 238 entwehrt werden (deshonorer), 1, 246 Köstliches (artificiel) Rot. 1,291 Mein Vater würde mir den Tod geben oder meinem Geliebten (= meinen G.). 2, 13 Wenn ich glaube (si je croyois). Ib. Wenn Dein Sklave />ich (= sich) tötete. Zwei Zeilen weiter unten fehlt „Dich".

2, 14 Und fragten Sie (= frage Sie). 2, 15 Absehen vor dem Streben (== Ste^rben). Ib. Fehlt der Name des Cato nach dem des Brutus und Cassius, wodurch der Sinn des Satzes unverständlich wird. 2, 30 Mit einem deutschen (chasle) Mädchen. 2, 31 Dich (= die) ich zu finden glaubte. 2, 35 Eine, die ihre Gefühle nur in der Masse mesure) aus- haucht, als man sich ihnen hingibt. 2, 40 vento insido (= infido). 2, 52 Ein martialisches Äussere, das ihm um so besser als sein Gebärden- spiel steht, feurig und rasch, wenn er lebhaft wird, ernster und ruhiger ist , als sonst (qui lui sied d'aulant mieux que son geste, vif et prompt quand il s'anime, est d*ailleurs plus grave et plus pose qu'autrefois. 2, 65 Linden, die den Eingang beArränzten (bordoient). 2, 66 Ihr Blick allein be/euert (anime) ihren Eifer. 2, 74 Machen «ich (= sie) des

Zschr. f. firz. Spr. a. Litt. XR g

82 Referate und Rezensiotien, £^. A. M. Bar (mann,

Dienstes unföhig. 2, 101 Ich habe zwei Standen meines Lebens in diesem Elysium zugebracht, denen ich eine (= Areine) Zeit meines Lebens vorziehe. 2, 111 Des B^^andes (secours) der Tugend. 2, 113 Du wirst nich/ (f. nichta) sehen. 2, 138 Dass ihre Wohlthaten ihr (leur) lästig werden. 2, 164 Ein- tracht und Sitte geleiten ^\ch (f. sie). Ib. Man kann sich (= sie) zwingen. Ib. Man kann die Menschen verdfndern (f. verhindern). 2. 184 in meiner (f. einer) Art von Vernichtung. 2, 192 Minder genötigt (exerce) als die andern. 2, 193 Wissen Sie, wodurch Klara (d. h. Ciarens!) mir gefallt? 2, 204 verwundet (surpris). 2, 214 Alles vereinigte sich, sie (f. mich) richtig zu leiten. 2, 227 Worüber er den (f. der) ersten vergass. 2, 231 Es leben die Duennen von zwanzig (de vingt ans). 2, 253 Sie haben (f. habe) meine Einbildungen zum besten {qxCeUe abuse). 2, 255 mio temro (f. tempo). 2, 262 müssten sie mir die Ehre rauben (hier ist übersprungen: a elever vos enfants, vous ne m'dierez point les verius) die ich von ihnen habe. 2, 267 ohne Rückfall (sans reserve). 2, 278 6. Zeile von oben steht wnd für: um. 2. 286 Diese Heste eines Lebens, die das Le^en wegsaugt (obsorbe's par la souffrance). 2, 288 Sie 8tr<?ben als Wärterin (vous mourez martyre). Ib. Sie hielt hin (f. ihn) zurück. Fast zahllos sind die Fälle, wo die Fürwörter Sie, Ihr, Ihuen mit kleinem statt mit grossem Anfangsbuchstaben gedruckt sind, und um- gekehrt, ebenfalls ein Umstand, der das Verständnis erheblich erschwert. Aus diesen Anführungen, die wir aus dem reichen uns vorliegenden Materiale herausgreifen, dürfte zur Genüge hervorgehen, dass die in Rede stehende Übersetzung der Nouvelle aelöise ein so gut wie wert- loses Erzeugnis ist, vor dessen Gebrauche geradezu gewarnt werden muss. Einer solchen Leistung gegenüber sich alle Rechte vorzubehalten, wie es die Verlagshandlung thut, war kaum von nöten. Denn schwer- lich werden nur einigermassen einsichtsvolle Leute versucht sein, sich eine solche Waare anzueignen.

7) Rousseau' s Bekenninisse, übersetzt von J. G. Heusinger. Mit einer Einleitung von Prof. Dr. Stephan Born. 3 Bde.

Wahrhaft erleichtert atmet man auf, wenn man von der oben beschriebenen Übersetzung der Nouvelle Beloise zu derjenigen der Con- fessions übergeht. Zeichnet sich die erstere durch ein fast unerträglich zu nennendes Mass von Sprachwidrigkeiten und Übersetzungsfehlern au8, verbunden mit einer weitgehenden typographischen Nachlässigkeit, so hebt sich die Verdeutschung der Confessions in der vorteilhaftesten Weise davon ab. Sie steht zunächst in stilistischer Beziehung sehr hoch. Hier findet man eine wirklich natürliche, gefällige, gewandte Sprache, die dem Originale gegenüber ihre volle idiomatische Selbständigkeit zu wahren weiss, und dabei doch nicht der Untreue geziehen werden kann. Verfasser dieser Übertragung verfügt über eine weit umfassendere Kenntnis der Sprache, und die unrichtigen Wiedergaben, die bei einer Nach- prüfung aufstossen, sind weder so zahlreich, noch so gröblicher Art, wie in dem erwähnten Falle. Endlich trägt auch die viel grössere Korrekt- heit des Druckes nicht wenig dazu bei, dass man die Lektüre dieser Bände wirklich mit Vergnügen geniessen kann. Referent gesteht, dass er nur einen Teil dieser Übersetzung genau mit dem Originale verglichen hat, nämlich die ersten 70 Seiten des ersten Bandes. Das Ergebnis dieser Arbeit war ein so günstiges, und der sich aufdrängende Gesamt- eindruck ein so vertrauenerweckender, dass es nicht angezeigt schien.

Kollektion Spemann. 83

das ganze Werk einer eingebenden Prüfung zu unterziehen. Die kritische Ausbeute war eine sehr geringfügige, und die betreffenden Einzelheiten lassen sich rasch anführen.

Unter dem Gesichtspunkte des Stils möchten wir den Ausdruck „Frauenzimmer" beanstanden, der sich wiederholt (S. 18, 28, 24, 41) im edelsten Sinne findet. Diese Besonderheit möchte vielleicht darauf deuten, dass wir es auch hier mit einer Übersetzung älteren Datums zu thun haben, die man einer modernisierenden Überarbeitung unterzogen hätte. Wenigstens dürfte jetzt schwerlich noch Jemand sagen, wie es auf S. 18 heist: „Die Seelenreinheit dieses vortrefflichen Frauenzimmers.^ Ferner wird man in einem deutschen Texte die Verkleinerungsform Suzon kaum dulden dürfen, sondern dafür zu sagen haben: Suschen; ebenso wie man MademoiseUe Goion (S. 37) nicht stehen Ia»Ben darf für: Fräulein Gretchen. Was heisst es, wenn man S. 55 Messt: In Turin habe ich den Degen, wie man zu sagen pflegt, mit meinem Rücken ansehen müssen? Es möchte sehr bezweifelt werden, dass diese Wiedergabe denselben Eindruck macht, wie die Stelle des Originals: Je rne passois Fepee, comme on du, au travers du Corps, womit bekanntlich ausgedrückt wird: Ich verkaufte den Degen und verzehrte den Erlös desselben.

Wirkliche Unrichtigkeiten sind uns, wie schon bemerkt, in dieser Übersetzung nur selten aufgestossen. So wird man S. 24 nicht sagen können: Mein Magen empörte sich schon bei der Erinnerung, für das französische: Le cceur me soulevoit. S. 26 ist fangeux nicht schlüpfrig, sondern schmutzig. S. 29 heisst $e meiire en nage sicher nicht : sich ins Wasser stürzen, sondern: sich in Schweiss bringen. S. 49 „ohne dass ich mich erniedrigen- muss, es ihm zu sagen" deckt sich nicht mit: sans que je m'appesantisse ä le lui dire. S. 50 liest man : Viel oder wenig (Petit ou grand), ich erinnere mich nicht, dass ich je in meinem Leben auch nur das geringste an Geld gewonnen habe. Es ist klar, dass hier ein Fehler vorliegt. Ebenso ist es S. 58 nicht richtig zu übersetzen: „In dem Gedanken zu reisen, kam ich nach Cousignon.*^ Das Original hat ä force de voyager etc. S. 67 heisst es: „Der Bauer, der mit uns speiste." Damit wird aber der Sinn des Originals verwischt, das hier lautet: qui dtnoit pour nous. Die beiden anderen Tischgenossen essen nämlich sehr wenig, der Bauer aber um so mehr.

Auch die Druckfehler beschränken sich auf eine sehr geringe Zahl Erhebliches hierin ist uns nur aufgestossen auf S. 49, wo man „Werk" (instrument) für „Werkzeug" liest, und auf S. 50, wo eine Zeile ausge- fallen ist, in dem Satze: „Ich werde weniger von dem Gelde versucht, als von den Dingen, denn zwischen das Geld und den gewünschten Be- sitz und den Genuss aber kann nichts treten." Es fehlt hier nach dem Worte „Besitz" die Übersetzung von: ü y a toujours un interme'diaire ; (au Ueu qv!)entre la chose mime.

Diese wenigen Stellen, wo die vorliegende Übersetzung noch der bessernden Hand bedarf, sind durchaus nicht dazu angethan, den vor- teilhaften Eindruck, den das Ganze macht, zu verwischen, und dieser beruht, wie gesagt, wesentlich auf dem fliessenden, gut deutschen Über- setzungsstil in Verbindung mit der sorgfältigen Wiedergabe des Originals. Eine nützliche Beigabe ist die vorausgeschickte, von Prof. Born verfasste knappe Charakteristik Eousseau's als Mensch und Schriftsteller.

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84 Referate und Rezensionen. K, A, M. Hartmann,

8) B, de Saint-Pierre, Baut und Vtrginie. Mit einer Einleitung und in neuer Übersetzung von Karl Saar. (1 Bd. von 207 S.)

Auch hier ist die Arbeit des Rezensenten erfreulicherweise eine sehr angenehme. Denn ist schon die blosse Eenntnissnahme dieser Über- setzung mit ihrer klaren, edlen, glatt hinfliessenden Sprache, die sich der des Originals würdig an die Seite stellt, ein wahrhafter Genuss, so verdient andererseits auch die Treue und Sorgfalt der Verdeutschung warme Anerkennung. Auf jeder Seite merkt man, dass der Übersetzer den Forderungen der franzöäischen Sprache nicht minder gerecht zu werden weiss, als den Forderungen der deutschen Sprache, und so ist es ihm gelungen, da.s berühmte Tropenidyll unserem Publikum in einer würdigen Form vorzuführen, welche zugleich, dies sei ausdrücklich be- merkt, das ganze, unverkürzte Original wiedergibt. Ein so treffliches Werk möchte man allerdings auch von kleinen Fehlern frei wissen, und dieser Wunsch bestimmt uns, die Stellen in Kürze hierher zu setzen, die noch einer Verbesserung bedürftig sind.

In Bezug auf den Ausdruck erscheint nicht ganz glücklich: S. Sie säugte (aUaitoit) ihr Kind (andererseits dafür besser: stillen). S. 37 Moralpredigerei. S. 60 Der Kristallschmuck eines Lüsters (lustre, d. h. Kronleuchters). S. 66 Ansprache für appeüation wäre besser durch : Bezeichnung zu ersetzen. S. 90 Knirschende Fluten (eaux mugissantes) ist sicherlich nicht deutsch. Bei dem Ausdrucke (S. 91): Der Garten war gänzlich verschwemmt und vermuhrt (le jardin ätoit bouleverse par d'affreux ravins) werden viele Leser vor einem Rätsel stehen. S. 105 „Prächtige Bassins" wird schwerlich jedermann richtig auffassen. S. 136 Die Überzahl der Menschen ist eine mindestens sehr ungebräuchliche Wendung für: le reste des hommes. S. 143: „Deine niedrige Geburt verrammelt (ferme) Dir jeden Weg zu Staatsämtern. " „Verschliesst** wäre wohl der angemessenere Ausdruck. S. 179 liest man: Acht der angesehensten Familientöchter (huit demoiselles des plus considerables), S. 190 Du hast nur mehr (ne plus que) jene auf der Welt etc. S. 197 Ich habe das Weltmeer überschifffc (traverse). S. 201 Die Vernunft des Menschen ein Abklatsch (une image) der göttlichen Weisheit.

Kleine üngenauigkeiten sind zu verzeichnen S. 30 und S. 79 „Roggen** für froment. S. 48 Am Fusse des Baumes ein Feuer an- machen (meitre le feu au pied de ce palmiste). S. 66 Buschneger (noirs murrons). S. 78 Feurige Pfeile (gerhes lumineuses). S. 87 Einer jener furchtbaren Sommer, welche von Zeit zu Zeit die Tropengegenden heim- suchen, herrschte verwüstend auch bei uns (vint etendre ici ses ravages), d. h. kam mit seinen Verwüstungen auch hierher). S. 172 Ein fahles, schales Zwielicht (une lueur olivätre et blafarde), S. 204 Der gerechte Himmel gibt (envoie) grausamen Seelen die fürchterlichsten Glaubens- meinungen (suppUces) ein.

Der Text ist korrekt bis auf folgende Kleinigkeiten: S. 42 Nach reiflicher Überlegung habe sie dem Herrn La Bourdonnaje bestens empfohlen. Hier fehlt das Objekt: sie. S. 50, 9. Zeile von oben: un- beAannt, für unbenannt. S. 66: rührende iSa^en (noms touchants), S. 91 Bengalisten (= bengalis). S. 147 Der Himmel hat dir Freude (des amis)

feschenkt. S. 185 Die Stelle, wo sie vor Müdigkeit nicht mehr weiter onnte/i (dafür lies: konnte), nach dem Original: eüe s'assit ne pouvant plus marcher. Ein Druckfehler erklärt wohl auch den Übersetzungsfehler auf S. 138 die hier sogenannten Apfelbäume (bois de gomme).

Ein empfehlendes Wort verdient auch die Einleitung über Bernardin der Saint -Pierre. (S. 5->16) Vielleicht könnte der Stoff darin etwas

Gudin de la Breneüerie, Hisioire de Beaumarchais. Memoires etc. 85

methodischer geordnet sein, trotzdem aber werden diese in ungemein warmem Tone geschriebenen Seiten den Leser gewiss fesseln. Von dem sprachlichen Können des Verfassers erhält man gleich hier einen vorteil- haften Eindruck. K. A. Maktin Hartmann.

Block, John, Beiträge zu einer WUrdigung Diderofs (äs Dra- matiker. Königsberger Dissertation. Königsberg, 1888. Bnchdrucketei von R. Leupold. 78 S. 8^

Eine jedenfalls fleissige, mühevolle Arbeit, die das über Diderot's ästhetisch-dramaturgische Anschauungen und Rührstücke im wesentlichen schon bekannte eingehend zusammenstellt und auch die dramatischen Fragmente des Aufklärungsphilosophen sorgfältig bespricht. Durch dieses (III.) Kapitel (S. 34 78) ge- winnt die Abhandlung eine mannigfach selbständige Bedeutung.

Als Zeugnis, dass die jüngeren Fachgenossen sich vom Mittelalter mehr und mehr zur Litteratur der Neuzeit, namentlich zu dem vielfach bahnbrechenden XVIII. Jahrhundert wenden, ver- dient auch diese Dissertation Beachtung und Anerkennung.

R. Mahbenholtz.

Gudin de la Brenellerie, Histoire de Beaumarchais. MSmoirea inidits puhliis sur Ua mss. originaux par Maurice Tourneux. Paris, 1888. E. Plön, Nourrit & C**. XXVm, 508 8. 8^. Preis: 7 fr. 50 cent.

Zu den vertrautesten Freunden des litterarischen und poli- tischen Abenteurers Pierre -Augustin Caron de Beaumarchais ge- hörte ein jetzt ziemlich vergessener Schriftsteller des achtzehnten Jahrhunderts: Paul-Philippe Gudin de la Brenellerie. Aus einer französischen Familie des Waadtlandes stammend, ist Gudin am 6. Juni 1738, also sechs Jahre später als Beaumarchais, in Paris geboren. Wie sein bedeutenderer Zeitgenosse war auch er der Sohn eines Uhrmachers. Ob er in Genf Theologie studiert habe, wie seine Witwe behauptet, ist nicht authentisch nach- zuweisen; wir wissen nur, dass er, vermutlich von Genf aus, nach Femey zu Voltaire gepilgert ist. In litterarischer Hinsicht hat er seit 1760 sich durch Tragödien, die teils der antiken Legende (Agamemnon^ s Tody C M. Coriolanus, Lykurg und Solonjf teils der französischen Geschichte (Lothar und Waldrade, Hugo d. Or.) angehören, teils durch ein Epos zur Verherrlichung von Karl's VIII. Zug gegen I^eapel, teils durch gereimte Er-

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86 Referate und Rezensionen. C. This,

Zählungen kulturhistorischen Inhalts, teils durch einen unvollendet und unveröffentlicht gebliebenen Essai sur le progrls des arts et de Vesprit Tiumain soics le r^gne de Louis XVy den Beifall der Correspondance litter aire, phüosophique et critiquey aber keine bleibenden Erfolge errungen. Seine Tragödie Lothaire et Valdrade wurde wegen ihrer antikatholischen Tendenz am 28. September 1768 zu Rom feierlich verbrannt und trotz mehrfachen Wieder- abdruckes von den Frommen fast gänzlich aufgekauft und ver- nichtet. Seine Freundschaft für Beaumarchais musste er mit seiner Haft im Temple büssen, wofür er sich durch eine anonvme Satire rächte. Voltaire's Andenken feierte er durch einen Eloge und verteidigte auch seine Geschichtswerke und die ihm von der französischen Revolution erwiesene Ehre der Beisetzung im Pantheon. Mit dem Jahre 1789 warf er. sich auf das Gebiet der Zeitpolitik, wurde aber trotz oder wegen Beaumarchais^ Em- pfehlung nicht zum Volksvertreter gewählt und sogar als Royaiist verdächtigt, weil er (1790) in einem Supplement au Contrat social das monarchische System verteidigt hatte. Er floh nach dem Dörfchen Marcilly bei Avallon, kehrte später nach Paris zurück, suchte aber nach dem 18. Fructidor sein Asyl wieder auf. Seinen Freund Beaumarchais Überlebte er um fast dreizehn Jahre und starb, nachdem er sich später verheiratet hatte, um 26. Februar 1812 zu Paris, wohin er sich nach dem Sturze der Jakobinerherrschaft wieder gewandt hatte.

Das Manuskript der Histoire de Beaumarchais ist bereits von den Biographen Beaumarchais^ Lomenie und Bettelheim, be- nutzt worden; Tourneux ist ihr erster Herausgeber, wobei er von Herrn Eugene Lintilhac, der ein anderes Manuskript des Werkes eingesehen hatte, unterstützt worden ist. Wir haben uns länger bei Gudin's Biographie, die Tourneux in der Notice pre- liminaire gibt, aufgehalten, weil wir über die Histoire de Beau- marchais selbst wenig zu sagen haben. Durch die Publikation hat Tourneux zwar Gudin, aber nicht Beaumarchais einen Dienst geleistet, denn was wir über letzteren erfahren, ist schon durch Sainte.-Beuve, Lomenie und namentlich durch Bettelheim genauer und ausfuhrlicher bekannt. Gudin's Werk ist natürlich pane- gyrisch und leidet an einer grossen Überschätzung der Dichter- begabung Beaumarchais', nebenbei auch an mannigfacher Un- kenntnis. So bedauert Gudin, dass sein Freund nicht bei den Jesuiten, ces excellents instructeursy studiert hätte, die würden ihn u. a. auch mit dem Aristophanes bekannt gemacht haben. Was wir aber durch Voltaire, Morellet u. a. über jesuitische Dressur- anstalten des achtzehnten Jahrhunderts wissen, lässt dieses Be- dauern in sehr zweifelhaftem Lichte erscheinen, namentlich ist

A, Boming, Die oslfrz. Grenzdialekie zwischen Metz u. Beifort 87

die griechische und grossenteils aach die römische Litteratur der besseren Zeit in ihnen sträflich vernachlässigt worden. Über Katharina IL Verhältnis zu Beaumarchais' Ausgabe der Werke Voltaire's ist Gudin wenig unterrichtet. Wenn die berechnende Herrscherin den Druck der grossen Ausgabe nach St. Petersburg ziehen wollte, so leitete sie nicht der Eifer für die Sache, sondern der Wunsch, die Veröffentlichung ihrer Korrespondenz mit Voltaire zu überwachen und einzuschränken. In diesem Sinne hat sie ihrem litterarischen Agenten Grimm in Paris bindende Instruktion gegeben.

Tourneux hat der Histoire eine Anzahl schätzenswerter litterarischer Notizen und drei Anhänge beigefügt, unter denen ein von Beaumarchais unterdrückter Widmungsbrief des Mariage de Figaro an Ludwig XVI. und Marie Antoinette und ein darauf bezüglicher Brief des Abb6 Sabatier de Castros, Voltaire's Gegner, an Gustav IIL von Schweden besonderes Interesse haben.

Immerhin ist Gudin*s Werk zwar wegen der nahen Be- ziehungen des Autors zum Helden von Bedeutung, aber weder eine parteilose, noch eine besonders wichtige Quellenschrift.

R. Mahbenholtz.

Horning, Adolf, Die ostfranzösischen Chenzdialekte zwischen Metz und Beifort Mit einer Karte. (Französische Studien^ herausgegeben von G. Koerting und E. Koschwitz, V. Bd., 4. Heft.) Heilbrönn, 1887. Gebr. Henninger. 122 S. gr. 8^. Preis: M. 4,40.

Seit wenigen Jahren erst ist man bestrebt die Dialekte unter Zugrundelegung der Forderungen, welche eine wissenschaft- liche Behandlung derselben erheischt, zu bearbeiten. Auf diesem Gebiete haben wir bis jetzt nur wenige gute Arbeiten der Art zu verzeichnen: von Ascoli für das Italienische, von Gärtner für das Rätoromanische, für das Französische von Oornu, Joret, Gilli^ron, für das Rumänische von Tiktin. Diesen Arbeiten stellt sich ebenbürtig an die Seite die obige Schrift Homing's über die ostfranzösischen Dialekte zwischen Metz und Beifort.

Das sehr bedeutende Material, welches Verf. in den Jahren 1883 1886 gesammelt hat und welches aus siebenundsechzig Ortschaften Lothringens und der Vogesen, die an der Sprach- grenze zwischen Metz und Beifort liegen, stammt, ist zum grössten Teil vom Verfasser an den Orten selbst gehört und aufgezeichnet worden. Für die wenigen, von ihm nicht selbst aufgesuchten Ortschaften hat er das Material von Eingeborenen erhalten. Die

88 Referate und Rezensionen, C, This,

von mir in den unmittelbar an der Sprachgrenze gelegenen Ort- schaften gemachten sprachlichen Erhebungen stimmen, abgesehen von unbedeutenden Einzelheiten, ziemlich genau mit den von Homing gemachten Aufzeichungen überein. Der behandelte Wort- schatz ist graphisch genau fixiert worden. Bis auf zwei Punkte bin ich mit der Lautbezeichnung des Verfassers einverstanden. Verfasser hätte zwischen e- und z- Nasal unterscheiden sollen; ich habe auch t;- Nasal gefunden. Da er femer den dem fran- zösichen ch entsprechenden Laut mit j bezeichnet, so wäre es wohl folgerichtiger gewesen, wenn er den entsprechenden sanften Laut mit z (statt mit j) wiedergegeben hätte, zumal er s für den scharfen «-Laut und z fUr den sanften schreibt.

Verfasser gibt S. 7 86 eine ausführliche Lautlehre des ganzen Gebietes, an welcher die Methode und die Klarheit der Darstellung besonders hervorgehoben zu werden verdienen. Dabei geht er naturgemäss vom Lateinischen aus. Beim Vokalismus er- gibt sich die Anordnung von selbst. Beim Konsonantismus werden zunächst die Gutturale (h, c vor a, o, u und vor Konsonanten, c vor e und i, g und j, qu) behandelt, an welche s (x) und r angeschlossen werden; dann folgt die Darstellung der Dentalen (d, t), der Liquiden (7, m und n) und der Labialen C5, jp, /, v und deutsches w).

Dadurch dass mehrere unter einander verwandte, lautlich aber verschieden gefärbte Mundartgruppen verglichen werden, ist es dem Verfasser möglich geworden in die Erklärung der meisten lautlichen Erscheinungen einzudringen. Ganz besonders interessant sind die Exkurse über dem Lothringischen eigentümliche Laut- erscheinungen: S. 34 ein historischer Exkurs über e, S. 56 die ce- Laute, S. 58 vortoniges o im Hiat zu aw, S. 81 das Ver- hältnis der Laute / (li) zu s (j), S. 84 die Aussprache der sanften Konsonanten am Wortende.

Zu § 3 und S. 82 bemerke ich: Die Form syqV erstreckt sich in A von Deutsch -Oth bis Rollingen; im übrigen A- Gebiet findet sich der o-Laut, und zwar in der Form jföZ', in B und C überall a, und zwar für B in der Form säl\ flir C in der Form ^äl\ Für D glaube ich einen Laut zwischen a und q konsta- tieren zu können, den ich mit oo und mit oa bezeichnete, je nachdem der Laut dem a oder dem o näher kam.

Zu § 73. Mit der Bezeichnung ly für Vorlage i -\- no kann ich mich nicht einverstanden erklären. Das Aussprechen von reinem geschlossenen i -f- blossem Ansatz zur Artikulation des n (y) kann ich mir nicht denken, ohne dass dieses i nasaliert wäre. Ich erkläre mir den Vorgang folgendermassen. Zwischen ursprüngliches i -f- n schob sich als Übergangslaut von i zu n

A. Hommg, Die osifrz. GrenzdialekU zwischen Metz ti. Belfori, 89

eis »-Nasal (l) ein, so dass i^n entstand. Das reine i ver- schwand mit der Zeit; von n blieb ein blosser Ansatz zurück, den man in Ermangelung eines besseren Zeichens mit y be- zeichnen mag, so dass die Aussprache wohl eher %y ist. Diesen Laut habe ich in einigen Ortschaften des D- Gebiets notiert Den Ansatz zur Artikuiierung des n fand ich in A nicht mehr vor, sondern nur % (V-Nasal), dem bei ausdrucksvollem Sprechen bei der Auflösung ein f nachklang = r^. In anderen Gebieten ist nicht allein der Ansatz zur Artikulierung des n verschwunden, sondern auch die Nasalierung. Wir hätten also aus ursprüng- lichem t-f- n *Sn, ?9, t, i. In den Gebieten, wo » + « ^u c-Nasal (e) wird, haben wir entsprechend *e7^, e und §; für g führt Ver- fasser mehrere Beispiele auf.

Zu § 127. Für Gruppe B kann ich folgende Einzelheiten hinzufügen. In lothringisch offener Silbe findet sich: 1) in den Verben, welche dem Bartsch'schen Gesetze folgen, auf dem ganzen Gebiete iis'nayi (se noyer); 2) bei Suffix -an«« Cß: lazcR (Uger), nmicß (le noyer); das Fem. ist er' von Conthil bis Bensdorf-Nebing, aber ä/ von Albesdorf-Dorsweiler ab; 3) bei § -f" y ^omh. i von Gruppe A bis Bensdorf-Nebing, cb von Dors- Weiler ab gegen Gruppe C: löd (lectus).

In lothringisch geschlossener Silbe entwickelt sich in B aus freiem f ein i:f%f (fehris), ptr* (petra), ür (terra). Aus g + y wird Cß: scer^ (sequere), §cߧ (sex). Decem ist auf dem ganzen Gebiete d§*s.

Zu § 166. B vor d^ t ist erhalten in Gruppe A von Deutsch- Oth bis Kürzel excl.: m^rt^ (marteau), r ist einfach geschwunden von Kürzel bis B und in B bis Rohrbach: mete.

Grosses Interesse gewähren die Resultate, welche Verfasser aus seiner Untersuchung zieht, auf Grund deren er das ganze von ihm behandelte Gebiet in eine Reihe von sprachlichen Gruppen einteilt (S. 1 5). Er führt zunächst eine Reihe sprachlicher Merkmale auf, welche dem ganzen Gebiet oder doch dem grössten Teile desselben im Gegensatz zum Französischen eigen sind. Es sind deren sieben, welche in dem ganzen Gebiet, und zwei, welche in dem grössten Teile Messelben gefunden werden. Die- selben Resultate habe ich zu verzeichnen. Nur bei acht würde ich sagen: Die Endung -ata = ay\ §y oder ey\ Ich notierte fy' für Baronweiler und Landorf (Kreis Forbach, Kanton Grosstänchen), für das von mir in Die Mundart der französischen Ortschaften des Kantons Falkenberg (Kreis Beiden in Lothringen) behandelte Gebiet, für Burtoncourt (Landkreis Metz, Kanton Vigy) und Abon- court (Kreis Diedenhofen, Kanton Metzerwiese) und für Netzenbach und Grandfontaine (Kreis Molsheim, Kanton Schirmeck). In einigen

90 Referate und Rezensionen, C. This,

anderen Ortschaften konnte man zweifelhaft sein in der Bezeich- nung des Lautes; er schwankte an Übergangsstellen zwischen at/ und gy' oder ^1/ und ey\

In einer Anmerkung S. 2 sagt der Verfasser, die Merkmale 2, 6 und, was r betrifft, 5 fehlten dem Wallonischen. Diese Merkmale finden sich in dem nordwestlichen Teile von Lothringen nicht mehr vor. Sie erstrecken sich nur bis Fameck (Kreis und Kanton Diedenhofen), von da ab nordwestlich, d. h. von Ersingen ab fehlen sie gänzlich. Soll man darnach annehmen, dass das Wallonische sich bis in das heutige Lothringen erstreckt?

In dieser Arbeit ist zum ersten Male der Versuch gßmacht worden die von Groeber, Grundrissy I 415 ff., formulierte Frage zu beantworten, ob es natürliche, durch eine Reihe gemeinsamer Merkmale bestimmte sprachliche Gruppen gibt, dabei hätten die sprachlichen Erhebungen von sicher gegebenen Grenzen des Sprachverkehrs auszugehen. Hier sind es Spracharten an der Grenze gegen das Deutsche. Des Verfassers Ausführungen geben einen deutlichen Beleg für die Richtigkeit der von Groeber ver- tretenen Ansicht. Auf Grund einer Anzahl von lautlichen Eigen- tümlichkeiten hat er für das ganze von ihm behandelte Gebiet sieben Gruppen aufgestellt, welche er mit A, B, C, D, E, F, G benannt hat, während er die einzelnen Ortschaften einer jeden Gruppe mit a^ sfi, b^ b^, u. s. w. bezeichnet hat. Die von mir an Ort und Stelle gemachten Beobachtungen bestätigen diese Gruppeneinteilung. Von den Bewohnern selbst wird das that- sächliche Bestehen derselben empfunden. Die Bewohner der Grenzortschaften der einzelnen Gruppen sind sich des Unterschieds der von ihnen gesprochenen Sprachart mit der angrenzenden anderen sprachlichen Gruppe wohl bewusst; diese einzelnen Gruppen führen im Volke sogar besondere Namen. Ich verweise dafür auf meine Besprechung von Horning's Arbeit in der Deutschen Läteraturzeitungy 1888, No. 34. Der Verfasser führt für jede einzelne Gruppe eine Anzahl charakteristischer Merkmale auf, welche mit meinen Erhebungen genau identisch sind. Darnach wären längst der deutsch - französischen Sprachgrenze für eine jede Gruppe die äussersten Grenzen durch folgende Ortschaften gekennzeichnet. Gruppe A erstreckt sich von Deutsch-Oth (Kreis Diedenhofen, Kanton Fentsch) bis Conthil exkl. (Kreis und Kanton Chäteau-Salins), Gruppe B von Conthil bis Langenberg (Kreis Saarburg, Kanton Rixingen), Gruppe C von Kappel (Kreis und Kanton Saarburg) bis Schirmeck (Kreis Molsheim, Kanton Schirmeck), Gruppe D von Rothau (Kreis Molsheim, Kanton Schirmeck) bis Klein-Rumbach (Kreis Rappoltsweiler, Kanton Markirch), Gruppe E von Altweier (Kreis Rappoltsweiler, Kanton Markirch) bis Urbeis

A. Horning, Die ostfrz. GrenzdkUekie zwischen Metz u. Bei fort. 91

(Kreis Rappoltsweiler, Kanton Sohnierlach); Gruppe F trifft das elsässische Gebiet nicht; Gruppe G endlich erstreckt sich von Welschensteinbach bis Menglatt (beide Kreis Altkirch , Kanton Dammerkirch).

Natürlich ist der Übergang von einer Gruppe zur anderen nicht ein schroffer, gewisse lautliche Besonderheiten hören früher auf oder erstrecken sich noch weiter bis zu den nächsten Orten. So erstreckt sich für Gruppe A Merkmai 1 von Deutsch-Oth bis Conthil exkl., Merkmal 2 von Deutseh-Oth bis Baronweiler exkl., Merkmal 4 von Deutsch -Oth bis Conthil excl.; für Merkmal 3 fehlen in meinen Aufzeichnungen die nötigen Belege. Für die Gruppe 0 finde ich bei mir nur die Merkmale 1 und 4 belegt; von diesen erstreckt sich 1 von Kappel bis Schirmeck und 4 von Losdorf (in B) bis Schirmeek. Für Gruppe G, für welche meine Aufzeichnungen mit den aufgeführten sechs Merkmalen übereinstimmen, kann ich leider nicht angeben, wie weit die einzelnen Merkmale sich in den Orten längst der Sprachgrenze erstrecken, da auf dem grössten Teile dieser Strecke die Sprach- grenze mit der politischen Grenze zusammenfUlIt, ich aber nur die Orte auf elsässischem Gebiete untersucht habe. Diese Gruppe gehört übrigens schon dem burgundischen Sprachgebiete an.

Zur Charakterisierung der Gruppen A, B, C und G führe ich noch folgende Eigentümlichkeit an. Lat. inus wird in der Gruppe A von Deutsch -Oth bis Fameck -Remelingen zu e (ich muss hier von der Lautbezeichnung des Verfassers abweichen. Derselbe bezeichnet den e- Nasal mit t, den ich genauer mit e wiedergeben möchte, während ich mit t den i- Nasal bezeichne, wofür der Verfasser i(y) schreibt, welcher Laut meines Erachtens nicht Immer mit dem von mir gehörten sich deckt); von Buss bis Baronweiler inkl. t' (ich verweise zur Erklärung dieses Lautes auf meine Mundart der französischen Ortschaften des Kantons Falkenberg), in B zu e, in C zu i^ und in G zu i; lat. ina wird in Gruppe A ^n' von Deutsch-Oth bis BoUingen, in' von Hemilly bis B, ferner in B und C, ^n' in G. Durch Einwirkung eines vorhergehenden Nasals wird in A i nasaliert; lat. missus ist me von Deutsch-Oth bis Fameck-Remelingen, d. h. auf dem Gebiete, wo intis zu e wird; auf dem übrigen Gebiete von A, wo inus zu tf wird, heisst die Form mj*.

Mit Recht macht der Verfasser noch darauf aufmerksam, dass die in Elsass-Lothringen gesproehenen Dialekte keine ein- heitliche Mundart bilden, dass sie die Fortsetzung in östlicher Richtung der auf französischem Gebiete sieh befindliehen Gruppen sind.

Homing's Schrift darf infolge der guten darin angewandten

92 Referate und Rezensionen, A, Odin,

Methode und der Klarheit der Darstellang mit Recht jedem zum Studium und als Muster empfohlen werden, welcher an die Bear- beitung lebender Sprachen herantreten will. G. This.

Tellier, Jules, Nos Poetes, Paris, 1888. A. Dupret 257 S. 8°. Preis: 3 fr. 50 cent.

Un joli voIume qui m^rite d'Stre bien accueilli par tous ceux qui s'int^ressent k la litt^rature fran9aise contemporaine, quoi qu'on pense d'ailleurs de la fagon dont Tauteur a rempli la täche qu'il 8'6tait propos6e. M. Tellier a voulu nous parier „de nos po^tes d'ä, präsent, et de leur po^sie^. Tous ceux qui pensent que pour ^tre po^te 11 suffit de savoir ^crire k terminaisons plus ou moins semblables, verront avec plaisir que la France actuelle possMe plus de 150 „po^tes^. Un beau chiffre, assur6- ment, et qui parait donner un 6clatant d6menti k ceux qui se plaignent du prosaXsme contemporain! II est vrai qu'il y a des gens que cet argument risque de ne pas conyaincre. Ils estiment que poSsie n^est pas n^cessairement synonyme de versificationj et que Rousseau et Georges Sand, pour ne parier que des morts, ne le c6dent gu^re en fait de g6nie po6tique k Tabb^ Delille et k Th^ophile Gautier. M^me ceux-lä, auraient mauvaise gräce k ne pas accepter le point de d^part de M. Tellier, et k ne pas lui ^tre reconnaissants de nous avoir montr6 l'^tat actuel en France de ia poSsie en vers.

Peut-etre pourrait-on souhaiter que Tauteur eüt suivi un plan un peu plus rigoureux, qu'il ne se füt pas bornö simplement k nous dire quelques mots, un peu au hasard de la plume, de tous ceux qu'il honore du titre de po^tes, qu'il eflt aussi cherch6 k indiquer, autant que faire se pouvait, les liens qui unissent les plus importants d'entre ces po^tes k leurs contemporains et k leurs pr^d^cesseurs. M. Tellier nous parle bien k differentes reprises de po6tes qui ont tmitS Musset, d^autres qui ont imiti Baudelaire etc. C'est fort bien! Pourquoi ne nous dirait-il pas ce qu'il pense de MM. Verhaeren et Stanislas Guaita? Mais il est regrettable que la place lui ait manqu6 pour nous parier de ce que Lecomte de Lisle, un vrai poete celui-lä,, a de conmiun ayec Alfred de Vigny et Andr6 Gh6nier. II est vrai que nous apprenons en revanche que Lecomte de Lisle a fait un plus fr^quent usage que personne de la lettre Jß, ce qui d'ailleurs, seit dit en passant, ne me paratt nullement stabil.

Je reprocherai donc sourtout k M. Tellier de s' Clever trop rarement k un point de vue g6n6ral, de trop consid^rer ses

/. lemer, Nos Pottes. 93

poötes en enx-memes, en an mot de trop nous parier de poötes et pas assez de po6sie. Sans doute son style y a gagn6 en gräce et en 16g^ret6. C'est charmant de dire que ^M. Vignier est nn grand po^te si on le compare k M. Gustave Kahn . . . et M. Kahn est un grand poMe si on le compare k M. Ghil^, et de nous parier sur la mSme note de tonte Töcole d^cadente et symboliste. Pour ma part j'eusse pr6f6r6 connaitre ropinion de Tauteur sur le genre d^cadent lui-m^me, et sur la fa9on dont on peut expliqner son apparition dans la littörature fran^aise. Qn'on pense ce qu'on vondra de la po6sie d^cadente, on ne Tempechera pas d'offrir un certain int6r^t pour rhistoure litt^raire, quand ce ne serait que par le seul fait de son existence, et M. Tellier aurait peut-Stre fait preuve de plus d'esprit k en parier moins spirituellement.

Indiquons en quelques mots la disposition g6n6rale du volume. II comprend quatre Livres, Le premier a pour titre: Quatre maUres. Les mattres sont, pour les citer dans l'ordre adoptö par Tauteur, Lecomte de Lisle, Theodore de Banville, Sully-Prudhomme et Fran9ois Copp6e. II serait pueril de pro- tester contre le rang que M. Tellier assigne k chaeun de ces po^tes ou de regretter que tel d'entre k Richepin par exemple, qui se trouve r616gu6 dans la dolente et innombrable foule des poetes contemporains^. De tels jugements par numöros d'ordre sont beaucoup trop affaire de goüt individuel et de temp^rament pour qu'on puisse leur accorder une grande attention.

Je me bome k constater que Theodore de Banville jouit k un degr6 tout particulier de la Sympathie de M. Tellier. C'est „un Ovide bien supörieur", voire mSme „ä la fois un Ovide et Pindare". Sans doute ses vers ne disent pas grand'chose, mais 11 n'en est pas moins grand poöte pour cela. „II y a quelque chose de divin dans le don de parier pour ne rien dire^ {k lire en toutes.lettres p. 40!). Et M. Tellier nous le prouve, car, dit-il, un bois qui murmure n'a aucune id6e, et cependant 11 y a dans son murmure quelque chose de divin. Oh! le beau raisonne- ment! L'auteur oublie que si un bois n'a aucune id6e, du moins il peut 6veiller en nous des id6es et des sensations, tandis que des vers qui ne renferment aucune id6e ne sauraient ^veiller en nous quoi que ce soit, le lecteur me dispensera sans doute de dire pourquoi. M. Tellier se röclame aussi de la v6n6ration que les Arabes ont pour les fous. Je ne sais si les Arabes v6n^rent la poösie de Theodore de Banville, mais il me parait incon- testable qu'un homme dont les id6es sont incoh^rentes est infini- ment plus interessant qu'un homme qui n'a pas d'id^es du tout.

Le second Livre nous parle de Quelques c^hUs^ c'est k dire

94 Referaie und Rezensionen» A, Rambeau,

de ^quelques survivants des g^n^rations ant^rieores^, parmi les- quels je note au paesage Alphonse Daudet.

Le Livre III est consacre aux PoUes divers, C'est assure- ment la partie la plus neuve du livre, en ce s^na qu'elle renferme une multitude de noms dont on n'a que rarement roccasion d'entendre parier. C'en est aussi la plus interessante. L'auteur sV montre en g6n6ral plus indöpendant qu'ailleurs, plus sinc^re dans ses appröciations. II n'est pas retenu, comme dans ie Premier Livre, par la crainte de manquer de respect k des autorües constitu^es, et d'autre part il a moins ä gagner ä faire rire la galerie aux döpens du po^te que lorsqu'il parle des d6- cadents et des symboiistes. Surtout il a eu la bonne id6e d'6nmiller son texte de nombreuses et souvent a^see longues citations, ce qui est doublement heureux lorsqu'il s^agit de po6tes dont on courrait sans cela le danger de ne jamais lire un seul vers, et qui ne paraissent pas toiyours m6riter cette indiff6rence. Ces citations ne sont sürement pas ce que Nos Pontes renferment de moins interessant.

Le troisi^me Livre se subdivise en plusieurs chapitres dont il suffira d'indiquer les titres: I. Les Rustiques. II. Les Modernistes. III, PhilosopheSy historienSy psychologues. IV. Les Lyriques. V. Les Baudelairiens. VI. Les Hahües.

Dans le dernier Livre enfin M. Tellier a r^uni les Ddcadents et symbolistes. II y dit passablement de bien de Paul Verlaine, ce qui n'est que justice et ce qui est d'ailleurs de mode, et il d^pense 6nonn6ment d'esprit pour dire du mal des autres d6ca- dants, ce qui n'est pas absolument nouveau.

Le volume se termine par une courte Condusion dans la- quelle Tauteur constate que la po6sie frangaise est sur son lit de mort et qu'elle ne s'en rel^vera plus. Chi lo säf Au reste, s'il ne s'agit qae de la po6sie teile que Tentend M. Tellier, le mal ne serait apr^s tout pas si grand. A. Odin.

Kleinere Lehr- und Übungsbücher.

1. Stier, Georg, Konjugations-Tafeln der französischen Verben. Ein

Ergänznngsheft zu jeder französischen Grammatik. Berlin, 1887. A. Asher & Co. VII, 75 S. 40.

2. Mosen, Carl, a) Das französische Verb in der Schule auf Grund

der Ergebnisse der hisioiischen Grammatik. Zweite, umge- arbeitete Auflage. X, 49 S. 8®. b) Ergänzungsheft zu den Übungen des Lehrbuches: Das französische Verb in der Schule, Zweite, umgearbeitete Auflage. Wien, 1888. KommisBions- Verlag von Rudolf Lacbi&er. 16 S. 8<>.

Kkin^e Lehr- und Übtmgsbücher, 95

3. Oblert) A.y a) Die Lehre vom französischen Verh. Ein Hüfsbuch

für die systematische Behandlung der Verbalflexion auf der Mittelstufe. VI, 46 S. 8^. Preis: Mk. 0,50; kart. 0,70. b) Die Behandlung der Verhalfiexion im französischen Unterricht. Eine Begleitschrift zur „Lehre vom französischen Verb**. Han- nover, 1887. Carl Meyer (Oustav Prior). 81 S. 8^.

4. IJllrlcli, K.9 Die französischen unregelmässigen Verben, Ein Hüfs-

buch für Schüler besonders lateinloser Schiden. Leipzig, 1888. Renger (Gebhardt & Wiliach). IV, 82 S. 8». Preis: M. 0,50; kart. 0,60.

5. Ricard, A*, Aide -Memoire de la conjugaison des verbes fran^ais

re'guliers et irre'guliers. Vade-mecum des eUves de tout ordre, des e'tudiants, des candidats, des employes preposes aux corres- pondances, des iraducteurs, des hommes de banque et de bureau, etc. Hilfstabellen für die Konjugation u. s. w. Prag, o. J. Guatay Neugebaüer. Preis: 12 kr.

In den Schriften von Stier, Mosen, Ohlert und Ullrich zeigt sich das gleiche rühmenswerte Bestreben, die sicheren Ergebnisse der historischen Grammatik für die Lehre vom französischen Verb im Schulunterricht nutzbar zu machen. Allerdings stimmen die Verfasser in dem Masse der Verwertung der Eesultate der V^issenschaft nicht überein. Einerseits stehen sie auf einem verschiedenen Standpunkt in bezug auf diese Frage, andererseits verfolgen ihre Schriften zum Teil verschiedene Zwecke, insofern sich Ullriches Arbeit besonders an Schüler lateinloser Schulen wendet, die anderen aber eine ähnliche Beschränkung gar nicht oder wenigstens nicht deutlich hervortreten lassen. Offenbar bemühen sie sich jedoch alle, durch eine geeignete Einteilung und Er- klärung, der Formen den wissenschaftlichen Thatsachen sowohl als den Anforderungen der Praxis, die einer Vergeistigung und einer wahr- haft verständigen Auffassung dieses wichtigsten Teils der Formenlehre ffewiss nicht entgegensteht, aber doch selbstverständlich eher eine Er- leichterung . als eine Erschwerung des bezüglichen Lernstoffes verlangt, Rechnung zu tragen. In dieser Hinsicht scheinen mir die vorliegenden Schriften Nr. 1 4 alle beachtenswert und nützlich, obgleich ich an und für sich von der Notwendigkeit eines besonderen Lehrbuches für die Konjugation in der Schule, mag man es mit Ohlert und Ullrich Bilfsbuch nennen, oder mag man es mit Stier als ein Ergänzungsheft zu jeder französischen Grammatik bezeichnen, keineswegs überzeugt bin. Denn auch das beste Hilfsbuch oder Ergänzungsheft dieser Art ist in den Händen der Schüler überflüssig, wenn man von den mittleren Klassen an eine vollständige, auf wissenschaftlicher Grundlage auf- gebaute systematische Grammatik, wie die von Lücking, Plattner oder Kühn u. ä. gebraucht, und kann geradezu störend und gefährlich werden, falls es in seiner Einteilung und in der Durchführung wissen- schaftlicher Prinzipien von der einmal eingeführten Grammatik stark abweicht. V^ahrscheinlich haben die Verfasser zunächst oder aus- schliesslich die Schulen, in denen noch im französischen Unterrichte die „alte^, „bewährte^ Lektionsmethode von Sexta oder Quinta an bis zur höchsten Klasse hinauf herrscht, und diese Anstalten sind ja leider immer noch die zahlreichsten im Auge gehabt. Aber in diesem Falle wäre es ein auffällig inkonsequentes Verfahren, den grammatischen Unterricht nur in dem wenn auch noch so wichtigen Teile der Formenlehre, der Konjugation, mittelst eines speziellen Hilfs- buches zu fördern und nach vernünftigen Grundsätzen zu behandeln,

96 Referate und Rezensionen. A. Rambeau,

dagegen in den übrigen Teilen der Grammatik alles beim Alten zu lassen und nach der Routine der üblichen Lektionsmethode weiter zu arbeiten. Möglicherweise ist jedoch ein solches Verfahren nicht selten und, so inkonsequent es auch sein mag, es hat wenigstens den Vorteil, dass endlich ein guter Anfang gemacht wird, der vielleicht einen all- gemeinen, allmählichen Fortschritt zum Bessern einleitet und hoffent- lich einen Übergang zur systematischen Behandlung der ganzen Gram- matik nach wissenschaftlichen Prinzipien den Direktoren und Behörden um so wünschenswerter und notwendiger erscheinen l'ässt. In diesem Sinne mögen die Verfasser geurteilt haben; jedenfalls haben sie durch ihre eigene Erfahrung erkannt, dass ein Bedürfnis nach einem speziellen Hilfsbuche für die Konjugationslehre an manchen oder vielen Schulen vorhanden ist.

Die Frage, ob die vorliegenden Schriften (Nr. 1, 2, Sa und 4) als Schulbücher oder Lehrbücher brauchbar und zu empfehlen sind, will ich daher bei meiner Besprechung und Beurteilung nicht als wesentlich betonen. Beachtenswert und nützlich, wie ich sie oben genannt habe, scheinen mir alle diese Schriften, auch die Vorreden und Einleitungen und hauptsächlich die allgemein gehaltene, methodische Arbeit von Ohlert (Nr. 3 b), vor allem deshalb zu sein, weil sie dem Fachmann, dem selbständigen, vom Lehrbuche unabhängigen, philo- logisch (romanistisch) vorgebildeten Lehrer Anregung und neue Ge- sichtspunkte für seine individuelle Behandlung des grammatischen Unterrichts gewähren, und weil sie dem künftigen Verfasser einer ideal guten französischen Schulgrammatik, die den Anforderungen der Praxis und der Wissenschaft zugleich gerecht wird, neues, fruchtbares Material liefern.

Wer den hohen Wert der Phonetik für den gesamten neusprach-, liehen Unterricht im Gegensatz zum altsprachlichen, für den derselbe nicht vorhanden sein kann, erkannt und schätzen gelernt hat, den muss es angenehm berühren, dass die Lehren dieser Hilfswissenschaft von keinem der vier Verfasser ganz unbeachtet gelassen, von Mosen und besonders von Ohlert sogar in ziemlich ausgedehntem Masse be- rücksichtigt worden sind. Zu einer konsequenten und systematischen Verbindung des sprachhistorischen Standpunktes mit dem phonetischen hat sich freilich keiner entschliessen können. Und doch bietet sich dem Lehrer eine solche Verbindung gerade im Schulunterricht wie von selbst dar, ja sie drängt sich ihm auf bei einer Sprache, deren Orthographie von der Aussprache bedeutend abweicht, also fast gar nicht phonetisch, sondern zum grossen Teil historisch ist. Die Schüler lernen im französischen Unterrichte, wenn sie von Anfang an von wirklichen Fachmännern in richtiger Weise unterrichtet werden, zwei verschiedene Sprachen, die jetzt gesprochene Sprache und die herrschende Orthographie, in der manches willkürlich und unhistorisch ist, in der aber die früheren, wirklich (lautlich) vorhanden gewesenen Sprach- stufen sehr viele deutliche Spuren zurückgelassen haben. Sobald sie daher die Aussprache gründlich gelernt, durch die Lektüre und die sich daran anschliessenden Übungen eine ausreichende Vokabelkenntnis erworben und zugleich die Elemente der Formenlehre bewältigt haben und nun zur systematischen Grammatik übergehen, finden sie bei richtiger Anleitung in der französischen Sprache selbst die beste Ge- legenheit, verwandte Sprachen, die heutige (Lautsprache) und die in Trümmern noch erhaltenen alten Sprachstufen (Schriftsprache), zu ver- gleichen und grammatische Erscheinungen auf diese Weise sprach- bistorisch aufzufassen. Nicht das Erwähnen von vulgärlateinischen

Kleinere Lehr- und Übungshüchcr, 97

und altfranzösischen Formen und Wörtern, die dem Schüler vollständig fremd und unvermittelt entgegentreten und ihn daher leicht verwirren, auch nicht das Erwähnen von lateinischen Formen und Wörtern, die ihm etwa aus dem lateinischen Unterricht bekannt sind, verbürgt die Verwendbarkeit der Ergebnisse der historischen Grammatik für den Schulunterricht und das Verständnis des Schülers für wissenschaftliche Erklärungen, sondern diese Gewähr leistet in vollem Masse nur oder vor allen Dingen das Ausgehen vom Laute und das beständige Vergleichen desselben mit der Schrift, da beide Faktoren und zwar diese beiden Faktoren allein dem Lernenden vollkommen bekannt sind oder nach und nach vollkommen bekannt werden. In lateinlosen Anstalten muss man von vornherein vom Latein absehen, und wenn man auch in Gymnasien und Realgymnasien die lateinischen Kenntnisse der Schüler gewiss mit grossem Nutzen für den französischen Unter- richt verwenden kann, so darf doch dieser Nutzen nicht überschätzt werden. Das Latein, das Gymnasiasten und Realgymnasiasten lernen, und von diesem kann mit Ausnahme verhältnismässig weniger Fälle nur die Rede sein ist eine Sprachstufe, die dem Französischen im allgemeinen recht fern steht, und deren fortwährende und konsequente Benutzung leicht zu groben und doch verzeihlichen Irrtümern ver- führt. Vgl. z. B. amiiie nicht = kla^s.-lat. amiciiiam, sondern = vulg.- lat. amicitatem u. v. a. dgl. Zu dem klassischen Latein mögen noch einige spätlateinische oder vulgärlateinische Wörter und Formen, die der Schüler sonst noch im Unterrichte gelegentlich kennen lernt oder etwa aus französischen Wörtern durch Rückschlüsse ohne Mühe bilden kann, hinzukommen. Trotzdem wird man zugeben müssen, dass die beständige Gegenüberstellung des Lautes und der Schrift zum kompa- rativen und sprachhistorischen Betreiben der französischen Sprache, soweit es überhaupt in der Schule möglich und ratsam ist, mehr brauchbaren und sicheren Stoff bietet. Allerdings ist dies ein Unter- nehmen, das, wenn es systematisch in einer Schulgrammatik durch- geführt werden soll, seine grossen Schwierigkeiten und Gefahren hat, vor denen man noch lange zurückschrecken wird. Aber ich glaube und hoffe, dass es einmal gelingen wird, diese Schwierigkeiten und Gefahren zu überwinden und den phonetischen und sprachhistorischen Standpunkt in einer wahrhaft wissenschaftlichen Schulgrammatik ohne Schaden oder vielmehr zum Nutzen für die Bedürfnisse der Praxis zu vereinigen.

1. Die grossen, weitläufig angelegten dreissig Konjugations- Tafeln (S. 1—61) von Stier eignen sich am besten für die Anstalten, in denen das Französische an Stelle des Lateinischen als hauptsäch- liche fremde Sprache neben der Muttersprache die Aufgabe hat, den Schülern ein Verständnis für Grammatik überhaupt zu übermitteln. Die Konjugationsschemata sind mit übertriebener Ausführlichkeit, die wahrscheinlich manchem Lehrer missfallen wird, aufgestellt, aber die Anordnung der Verbalformen ist zugleich infolge des grossen Formats der Seiten und der tabellarischen Gestalt so übersichtlich, dass der Schüler ohne Zweifel dadurch ein deutliches Bild von der französischen Konjugation erhalten muss und, was Stier als einen besonderen Vorzug seiner Tafeln rühmt (S. VI), keiner schriftlichen Konjugier -Übungen und dergl. bedarf, um sich die Formen einzuprägen.

Bei der Einteilung der Verba in verschiedene Konjugationen hat sich Stier an das alte Schema, „das sich in der Praxis bewährt hat", gehalten und es nach dem Vorgang von Isaac (S. IV) nur wenig modifiziert. Er unterscheidet nach den Infinitivendungen drei regel-

Zschr. f. frz. Spr. n. Litt. XK 7

98 Referate und Rezensionen. A. Ramheau,

m&8Bige Konjugationen (er, ir, re) und yier unregelmässige (er, ir, re, oir). Als Paradigma der Konjugation auf -ir gibt er finir (Tafel VI), also ein Verb mit der Stammerweiterung -iss-. Auf S. 84 85 (Tafel XVII) führt er aber unter der Rubrik „Besonderheiten von Verben der zweiten Konjugation" neben den „Verben mit Stamm erweiterung'^ b^nir, fleurir, hälr auch die „Verben ohne Stammerweiterung" bomUir und servir an. Konsequenterweise hätte er hier an servir auch die übrigen „regelmässigen Verben der zweiten Konjugation ohne Stamm- erweiterung" dormir, pariir u. s. w. anreihen müssen; oder er hätte am besten gethan, sich auch in dieser Beziehung an das Schema, das sich nach seiner eigenen Ansicht in der Praxis bewährt hat, zu halten, demnach in der zweiten Konjugation zwei Klassen zu scheiden und neben finir als zweites Paradigma serpir auf Tafel VI zu bringen.

Bei der Anordnung der einzelnen Verbalformen auf den Kon- jugationstafeln ist Stier nach drei Prinzipien, die er selbst als Forde- rungen bezeichnet, verfahren. Vgl. S. V: „Erste Forderung: Die zu- sammengehörigen Zeiten (?) müssen zusammenstehen." (Er meint die ihrer Ableitung oder Ähnlichkeit nach zusammengehörigen Verbal- fomuen.) „Zweite Forderung: Stamm und Endung resp. Infinitiv und Endung müssen deutlich erkennbar sein." „Dritte Forderung: Der Schüler muss sämtliche Formen eines Verbs auf einmal übersehen können." Entsprechend der ersten Forderung, die dem Ausdrucke nach falsch, aber dem Sinne nach sehr zu billigen ist, stellt Stier vier Gruppen von Verbalformen auf, die sich alle leicht übersehen lassen. Es sind: 1. die Infinitiv- Gruppe Infin. mit Futur und Conditionnel; 2. die Präsens -Gruppe alle drei Modi und das Partizip des Präsens samt Ind. Impf.; 8. die />^/im'- Gruppe (mit gleichem Kennlaut oder Charaktervokal) bist. Perf. und Konj. Impf.; 4. die Partizip-Gruppe Part. Perf. und die damit zusammengesetzten „Zeiten" (soll heissen „Verbalformen"). Der zweiten Forderung gemäss gibt er in seinen Tabellen unter dem Infinitiv jedes Verbs den Stamm an, wobei ich jedoch ein einheitliches, streng durchgeführtes Prinzip vermisse. Vgl. z. ß. S. 12 finir Stamm fin-; S. 44 bdnir Stamm be'n-; fleurir Stamm fleur-; hatr Stamm ha-; bouülir Stamm: vor Vokalen oouill', vor Konson. bau-; servir Stamm: vor Vok, serv-, vor Kons, ser-; S. 42 ouvrir Stamm attvr-; S. 52 connatire Stamm: vor Vok. connaiss-, vor Kons, connai-; crotire Stamm: vor Vok. craiss-, vor Kons, croi'; S. 54 vivre Stamm: vor Vok. vio-, vor Kons, vi-; nalire Stamm: vor Vok. naiss-, vor Kons, nai- u. ä. Vgl. dazu Vorwort S. VI : „Formen wie je bouiU-s, tu bouill-s, il bouiü-i oder je connaiss-s, tu connaiss-s, ü conaiss-t etc. hat es nie gegeben, folglich kann von einem Ausfall von -t// oder -ss hier keine Rede sein." Gewiss nicht, wenn man sprachhistorisch ffanz genau verfahren und alle ursprünglichen und Übergangsformen neben- einander stellen will. Dies geht aber im Schulunterrichte und in einer Schulgrammatik nicht an, und der Lehrer kann sich sehr wohl darauf beschränken, von einem Ausfalle des l oder u (vokalisiert aus l) statt ill nach ou vor Konsonanten und von einem Verstummen des stimmlosen s = ss (nur graphisch) vor Konsonanten zu sprechen, um die nur supponierten Formen *bouiü-t und *comaiss-t u. ä. zu erläutern. Im Grunde genommen haben solche Formen ebensoviel Berechtigung als Stämme wie bouiU- und bou-, connaiss- und connai- u. dgl., die auch nur vom Verstände konstruiert sind und nie wirklich existiert haben.

Indes habe ich aus praktischen Gründen gegen die Ansetzung von Stämmen wie botiiü-, connaiss- vor Vok. und bau% connai- vor Kons, nichts einzuwenden; bei einigen Verben ist man ja aus Wissenschaft-

Kleinere Lehr- und Ohingsbücher. 99

liehen und auch praktischen Gründen sogar dazu genötigt, solche Doppalformen des Stammes für das Französische anzusetzen : z. B. dhre^ dis- vor Vok., di- vor Eons, (ursprünglich ein Stamm die- für lateinisch lernende Schüler, vgl. dicter, diciion u. a.). Nur vermisse ich auch hier die Gleichartigkeit und Konsequenz, die bei der tabellarischen Darstellung, wie sie Stier anwendet, in derartigen Dingen um so not- wendiger ist. Z. B. dürfte er finir, hdnir, fleurir, hair in dieser Be- ziehung nicht anders als connaitre, croitre, naiire behandeln. In allen diesen Verben zeigt sich die Inchoativsilbe -iss-, -aiss-, -oiss-, -aiss-^ bestehend aus dem ursprünglichen (lateinischen) Ableitungsvokal i, o, e, a und lat. sc = franz. ss. Also erwartet man in den Tabellen zu lesen: finir Stamm 1) /?»-, 2) (in der Präsens-Gruppe, um die Bezeich- nungsweise Stier's zu gebrauchen) finiss- vor Vok., fini- vor Eons.; ähnlich benir; fleurir Stamm l) fleur-, 2) (Präsens -Gruppe) fteuriss- neben arch. flariss- vor Vok., fleuri- vor Kons.; hair Stamm 1) ha-, 2) hat- (Präs. Ind. u. Imper. Sing.), 3) (in den übrigen Formen der Präsens-Gruppe) hmss- vor Vok., hat- vor Eons. ; connaiire Stamm 1) conn-, 2) (Infinitiv-Gruppe und Präsens-Gruppe) connaiss- vor Vok., connai- (connai-) vor Kons.; ähnlich croitre: nmire Stamm 1) n- (Part. Perf.), 2) Infinitiv- Gruppe und Präsens - Gruppe) naiss- vor Vok., nai- (naU) vor Kons., 3) nagu- ('Z>e?/f«t- Gruppe). Ferner: ouvrir- Stamm 1) ouver- vor Kons. (Part. Perf.), 2) ouvr- vor Vok.; vivre Stamm 1) (Infinitiv-Gruppe und Präsens-Gruppe) viv- vor Vok., vi- vor Kons, ausg. r 2) D^/fm-Gruppe und Partizip-Gruppe) v^c- u. ä. Die Hinzu- fügung der Namen der bezüglichen Gruppen und der Ausdrücke „vor Vok." und „vor Konson." neben dem Stamme ist auf den Tafeln un- nötig. Denn nach einer vorausgegangenen Erklärung des Lehrers bei einigen Verben wird sich der Schüler sehr bald selbst überall zurecht finden und jederzeit angeben können, zu welchen Verbalformen oder Gruppen die verschiedenen Formen des Stammes gehören. Es würde demnach genügen, zu sagen: finir Stamm 1) fin- 2) finiss- (fini-); nattre Stamm 1) n- 2) naiss- (nai-, nai-) 3) nagu- u. s. w.

Stier's Bestreben, von der Konjugation der Verba auf den Tafeln ein möglichst ausführliches Bild zu geben, hat ihn dazu verleitet, manchmal ganz ungebräuchliche oder falsche Formen aufzustellen: z. B. S. 14 donne-je (veraltet oder sehr selten statt est-ce que je donne); vgl. S. 68 prefere'-je, menä-je, cele-je, achete-je, appele-je, jete^je (miss- tönende Bildungen, die ich noch nie gehört, noch nie gesehen habe) mit der Bemerkung „doch zieht man des Wohlklangs halber in der Regel (immer!) die Umschreibung mit est-ce que vor und sagt:

est-ce que je prefere " ; und gar romps-je S. 18, me defends-je S. 26

(durchaus ungebräuchlich!).

Im Anhang S. 63 ff. finden sich manche gute Bemerkungen, aber daneben auch einige, die berichtigt werden müssen: z. B. S. 71 „/ erweichte (?) zu m". S. 64 lässt Stier den Leser darüber im un- klaren, warum bei couäre ein d, aber bei croitre u. s. w. ein i als ver- mittelnder Laut [Stier sagt „Hilfsbuchstabe" (?)] zwischen ursprünglichem s und r eingeschoben ist. Dagegen sind seine Erklärungen an anderen Stellen ohne Not und übermässig genau, wo er altfranzösische Formen anführen zu müssen glaubt, z. B. bei vivre, naitre S. 71, bei pouvoir, dechoir, echoir S. 72 u. a.

2. Moisen^S Arbeit ist ursprünglich (1887) in grossem Oktav- format in drei Heften herausgegeben worden und muss sich, sei es als Hilfsbuch für Fachgenossen, sei es als eigentliches Schulbuch, sehr schnell bewährt haben. Denn es liegt mir neben jener schon

100 Referate und Rezensionen. A, Rambeau,

eine zweite, umgearbeitete Auflage vor, die ein Jahr darauf in kleinerem, dem gewöhnlichen Oktavformat in nur zwei Heften er- schienen ist.

Nach einer kurzen „Einleitung: Zur geschichtlichen Entwickelung der französischen Verbalformen" spricht Mosen zuerst (1. Teil, S. 1 13) über „die Verben und ihren Formenbau im allgemeinen". Wie Stier, hält auch er sich im ganzen an die alte Einteilung der Verba nach ihren Infinitivendungen, vermeidet aber die Bezeichnungen „regelmässig" und „unregelmässig" und spricht von „bestimmten flexivischen Rich- tungen in der Konjugation". Danach unterscheidet er Verben auf -er mit -e, -es, -e im Präs. Ind. Sing. = „vokalische Richtung" und Verben auf -ir (und zwar reine und erweiterte), auf -re, auf -oir mit -s, s, -i im Präs. Ind. Sing. = „konsonantische Richtung". Die Ausdrücke „lebende" und „tote Konjugation" erklärt er in einer Anmerkung 5). Auf der Tabelle der Paradigmen (S. 10 11) gibt er die Konjugation von I. donner, IIa. servir, b. finir, III. rompre, aber nur die einfachen Formen mit Präs. Fut. und Imperf. Fut. Im zweiten Teile (S. 14 20) behandelt Mosen „Verben mit phonetisch- graphischen Eigentümlich- keiten" und im dritten (S. 21 48) „die Verben als 'schwache' und 'starke' mit Beziehung auf das Präteritum" und „weitere Eigentümlich- keiten unter dem Einflüsse der allgemeinen Lautgesetze und der Ana- logie". Erst in diesem letzten Teile finden neben den Verben auf -er, 'ir und -re auch die auf -oir ihre Stelle, die er ähnlich wie die übrigen abweichenden Verben je nach der Betonung im Präterit. und Part. Perf. einteilt in: 1. schwache M-Verben, valoir etc.; 2. a. starke w- Verben, recevoir etc.; 2. b. starke i-Verben, a) asseoir, Part. Perf. auf -s, stark, ß) voh', Part. Perf. auf -u, stark (?).

Mosen ist in der Durchführung seines Planes und der Benutzung der Ergebnisse der historischen Grammatik ebenso gewissenhaft als in phonetischer Beziehung. Er bestrebt sich, Laut und Schrift streng auseinander zu halten. Auch hat er manches in der zweiten Auflage verbessert, z. B. Diphthong := oi. Jedoch hat er trotz aller Sorg- falt einige Fehler stehen lassen, die er bei einem gründlichen Studium der in den letzten Jahren veröffentlichten phonetischen Schriften hätte vermeiden können.

S. 2 § 2 „Anmerkung. Der betonte Stamm hat meist einen volleren Vokal als der unbetonte". Diese Bemerkung ist für die Flexion der Verba und überhaupt für die Formenlehre und auch sonst für die Wortbildung im Französischen richtig, falls man unter einem „vollem" Vokal entweder einen Diphthong (acguerons acquiers) oder einen der Quantität nach längeren und eventuell auch stärker artikulierten Vokal (levons leve u. dgl.) versteht. Aber Mosen fährt fort: So ist

ai in faime, tu aimes = e, in aimons, atmez = e; eu in pleure = ^ in sceur, in pteurons := o in peu ; e in sers ist offener als e in servons^ und transkribiert diesen Beispielen gemäss an mehreren Stellen seines Buches. Die Aussprache e = <d in aimons, o = eu in pleurons kommt manchmal vor, die erstere ist besonders südfranzösisch. Aber die ge- wöhnliche oder, wenn man will, „richtige" Aussprache ist es nicht. Man hat die Vokale ö, e, o oder speziell die langen, offenen Vokale

d, S, d, um die es sich hier zunächst handelt, wenn sie aus der be- tonten in die unbetonte Silbe treten, in gleicher Weise zu beurteilen. Vgl. je pleure nous pleurons, faime nous aimons. Je dare nous dorofis. Entweder erscheinen die bezüglichen Stammvokale in

der unbetonten Silbe als kurze, offene ö, g, ö, oder sie werden, was wohl in der Umgangssprache häufiger geschieht, zu den dem fran-

Kleinere Lehr- und Übungsbücher, 101

zösischen Lautsystem eigentümlichen „mittleren" Vokalen^) ff, e, o, die weniger deutlich als die übrigen französischen Vokale sind und nur in unbetonter Silbe und, wie ich glaube, alle nur kurz vorkommen: Q (zwischen 6 und d = sog. e sourd in le, me, degre'), das, wenn das Wesen und die Häufung der umgebenden Konsonanten es nicht ver- bietet, in der vulgären Sprache sogar, wo es für eu in der Schrift eintritt, ausfallen kann, und in ähnlicher Weise e zwischen e und e,

0 zwischen 6 und ö. Die Aussprache ^, S, ö (offen, aber kurz) in der unbetonten Silbe wird jedenfalls häufig genug gehört und, wie es mir scheint, als die „korrekte" empfunden. Daher verwandelt sie sich sehr leicht in ein langes oder halblanges offenes d, e, o, sobald der flüchtige und dem germanischen Gehör meist kaum vernehmbare französische Wortaccent auf der letzten Silbe von pleurons, aimons^ dorons u. ä. schwindet, dagegen infolge des Sinnes, des Gegensatzes, des Nachdruckes die Stammsilbe hervorgehoben wird: z. d, ^Nous aimons nos amis, nous haissons nos ennemis** und „Nous pleurons j nous fie rions pas^ u. ä. ^

§ 8 S. 5 als, all, aient, €rent: das lange e ist offen (= ^)". Das e = ai in den ersten drei Endungen ist zweifellos kurz nach der be- kannten phonetischen Regel, das die vokalisch auslautenden Silben der französischen Wörter kurz sind,

§ 8 S. 6 ämes, ätes, äi: das lange (zirkumflektierte) ä ist ge- schlossen. — ässe^ ässes, ässeni: das lange (nicht zirkumflektierte) d ist offen. äs, ä (Präterit. Ind.); ässions, ässiez: das kurze ä ist offen. OS, a (von avoir; Futur): das mittellange a ist geschlossen." Dazu eine Anmerkung: „Geschlossenes a (auf dem Plane a) ist heller als a in „Kahn" ; offenes a ist dunkel, gleich a in „kann". An dieser Stelle herrscht eine erstaunliche Verwirrung in der Auffassung der Quantität und der Qualität des französischen a, eine Verwirrung, die durch den Vergleich mit dem deutschen a (hochdeutsch oder dialektisch?) nur noch schlimmer wird. Ich kann eine Berichtung hier nur an- deutungsweise vorschlagen: Das a in nous aimdmes ist identisch mit dem a des Subst. dme, lang, dem deutschen a in Kahn (wenigstens in der gewöhnlichen norddeutschen Aussprache der Gebildeten) am nächsten stehend. Dieses a würde ich eher als „dunkel", „offen" bezeichnen. Die entsprechende Kürze dazu findet man in pas, ähnlich dem deutschen a in kann. Das a in tu as^ il a, il aimera, ü aima, von welcher Form sich il aimät in der heutigen Aussprache, wenn man nicht affektiert und schulmeisterlich sprechen will, trotz des accent circonflexe (1) schwerlich unterscheiden lässt, würde ich als das „hellere", „ge- schlossene", „mehr nach e zu liegende" d beschreiben. Es ist mit dem d in femme identisch und zwar kurz. Die entsprechende Länge dazu zeigt sich in rare, page.

Den „Anhang 2" zum 1. Teile auf S. 13, der ein Zusatz der zweiten Auflage ist, hätte sich Mosen ohne Schaden für sein Buch sparen können. Die Reime, welche „die Verbalendungen, soweit sie für die gesprochene Sprache ausser der Bindung in Betracht kommen, klar veranschaulichen und darthun sollen, wie noch viel einfacher sich die lautliche Konjugation gegenüber der geschriebenen im Französischen gestaltet", sind abscheulich und verunstalten die sonst in so wissen- schaftlichem Tone gehaltene Schrift. Der von Mosen angegebene

1) Vgl. über die Zungenlage (posiiion mixte ou intermediaire) Passy, Les sons du frangais, S. 30^-31. Besondere Zeichen für die „mittleren" e und o halte ich hier für unnötig.

102 Referate und Rezensionen, A.. Rambeau,

Zweck dieser Reimregeln ist gut, aber er hätte denselben mit ein- facher, klarer Prosa weit besser erreicht. Vgl. folgende Reime:

„A. Indikativ: Präsens.

Nur zwei Endungen das Präsens spricht:

ö, e', als hier die einzigen mit des Tons Gewicht.

Imperfekt.

Viermal e Das ist das imparfait (?);

Es bleibt noch i5, i4 -^ Dort wo im Präsens 5 und e,

B. Konjunktiv. Präsens,

Auch dies Präsens nur zwei Endungen spricht: iJ5, le und sieh! hier zweien Zeiten ein Gesicht.

Präteritum,

Der Eennvokal mit s als Lautkomplex (!)

(Die dritte Singularis, J-los allerdings, hat Cirkumflex)

Kommt zu Gehör;

Bekanntenorts nach id, {4 nichts mehr."

§ 18 S. 18 yfuyionSy ftiyiez (= f^-jUans, fai-j-iez),^^ Eine sonder- bare Transkription! Der Verfasser mag mir glauben, dass sich fuyions, fuyiez lautlich in keiner Weise von fuyons, fuyez unterscheidet.

Die „Übersicht der Verben im Infinitiv, Präteritum und Perfekt- partizip" S. 48 ist wohl gelungen.

Das beigegebene „Ergänzungsheft" enthält oder vielmehr soll die Übungen zu den Paradigmen und Verben des 1. und 2. Teiles der Hauptschrift regeln, die darin bestehen, dass die Schüler selbst unter Anleitung des Lehrers die mit den Namen der verschiedenen Nominal- formen, Tempora und Modi und mit den bezüglichen Endungen ver- sehenen, resp. nur mit den Formen des Infinit, und der 1, Pers. Sing. Präs. Ind., dem Stamm u. dgl. angedeuteten Konjugationsschemata durch Aufsagen oder Niederschreiben aller Formen ohne Pronom. person. ausfüllen. Ähnliche schematische Übungen zu den Verben des dritten Teiles findet man in der Hauptschrift selbst. Wie Stier, sieht sich auch Mosen bemüssigt, ungeheuerliche oder hässlich klingende und ganz ungebräuchliche Formen wie paye-je, employe-je, appuye-je, mend'je^ appele-je, re'gne-je (Ergänzungsheft S. 8 ff.) aufzustellen.

3. OUert's Lehre vom französischen Verb ist eine hervor- ragende Leistung, die sich durch wissenshaftliche Gründlichkeit und klare Darstellung auszeichnet. Ich sehe aber nicht ein, warum „es nötig sein wird, (nur?) die schwierige Verbalfiexion im Unterricht von der Lektüre loszulösen und ihr eine systematische Behandlung auf der Mittelstufe zu widmen" (Vorwort, S. III). „Dass die französische Grammatik an der Hand der Lektüre betrieben werden müsse, ist eine Forderung", die man natürlich für den Anfang und im grossen und ganzen noch für die Mittel- und Oberstufe als richtig anerkennen muss. Aber man kann diese Forderung erfüllen und doch von der Mittelstufe an, besonders an Schulen, die auf den französischen Unter- richt 8 9 Jahre verwenden, eine vollständige systematische, auf wissen- schaftlichem Grunde aufgebaute Grammatik zur Wiederholung, Zu- sammenfassung und Vertiefung des induktiv gelernten grammatischen Stoffes gebrauchen. Die mir vorliegenden Schriften von Ohlert be- weisen mir, dass er das nötige Wissen und die Fähigkeit dazu besitzt, eine solche vollständige Grammatik, die sich den Büchern von Lücking,

kleinere Lehr- und Übungsbücher. 103

Plattner und Kühn an die Seite stellen könnte, zn verfassen und dabei vielleicht das schwierige, gefahrvolle Ziel der „Zugrundelegung einefv reinen Lautgrammatik", die ihm vorläufig noch „keine Gewähr für die Aneignung der Sprachformeu, wenigstens nicht bei unseren heutigen Schul Verhältnissen, bietet", („Behandlnug . . . ." S. 18, Anm.) zu erreichen.

Sein Standpunkt, über den er sich im Vorwort zur „Lehre vom französischen Verb" und in der beigegebenen methodischen Schrift in lichtvoller Weise ausspricht, ist dem Mosen's ähnlich. Er bemüht sich, bei Erläuterung der grammatischen Erscheinuogen Laut und Schrift stets scharf von einander zu scheiden, was ihm noch besser als Mosen gelingt, weil er die phonetische Litteratur sorgfältiger studiert zu haben scheint, und die sicheren, für den Schulunterricht verwendbaren Ergebnisse der historischen Grammatik nach bestimmten Prinzipien zu ordnen. Im allgemeinen habe ich an seiner Darstellung sehr wenig auszusetzen. Altfranzösische Formen meidet er; Hinweise auf das Latein sind in einem Anhang (II, S. 46) „für Latein lernende Schüler" abgesondert.

Die „Einleitung" des kleinen Lehrbuches (S. 1 5) enthält: „1. Erklärung der technischen Ausdrücke; 2. Lautschrift; 8. Auszug aus der Lautlehre; 5. Orthographische Eigentümlichkeiten." In det Bezeichnung der Laute folgt 0. Vietor, begeht aber bei der Au&ssung des französischen a einen ähnlichen Irrtum wie Mosen. Das „helle a" ist nicht bloss kurz (ma, adors), sondern auch lang, z. B. in rure, und oft halblang (durch Kachdruck) in nation u. a. Beide Wörter, rare und nation, hat Ohlert fälschlich als Beispiele zu dem andern a neben äme, bdton gestellt (S. 2).

In der „Lehre vom Verb" (S. 6—40) befolgt er dieselbe Ein- teilung in Konjugationen als Mosen, nur gebraucht er andere Namen: „lebende" (Inf. -er) „erstarrte Konjugationen" (Inf. -ir, -re, -pir),

S. 9 aller Hauptstamm all-, Nebenstämme va «r ." Warum nicht Nebenstamm i-, Inf. ir- in der Zusammensetzung firai, firais? Ebenso wenig kann ser- als Nebenstamm zu es- von Hre (auf der folgenden Zeile) angesehen werden.

S. 10 „Stammbetonte Formen sind : 4. der Indikativ

der Perfekte ohne Kennlaut ....". Ich würde das stammhafte t in Je pris u. a. immerhin einen Kennlaut, das t in je punis u. a. sowohl nennlaut als Ableitungsvokal nennen. Vgl. auch S. 22 u. a.

S. 12 Qe 7'egne (re,n) , , . . nous regnons (re-n^) , * , . je regnerai (re'nre ),'^ Das e der endungsbetonten Formen dieses Verbs nähert sich in der modernen Aussprache schon sehr dem offenen ^, besonders im Präs. Fut. und Impf. Fut., oder wird zu dem „mittlei*Bn" e zwischen e und e, vgl. maison und oben eine Bemerkung zu Nr. 2. Die Aus- sprache eilt der Schrift voraus. Ähnlich : evdnement (Orthographie der neuesten Auflage des Dici. de VAcad, 1879) = evenement u. a., früher College = College u. a.

S. 14, „Schwaches ö (Ohlert meint ff = e sourd) wird in den * stammbetonten Formen zu e. [ai] bei faire»^ Besser : Der ursprüngliche offene ^-Laut (= ai) erscheint in den endungsbetonten Formen als q oder verstummt, meist noch geschrieben ai, aber regelmässig e im Präs. Fut. und Impf. Fut. (je faisais, je ferais).

S. 14—15. Die Qualität des ö =^ eu in den stammbetonten Formen des Präs. von mouvoiry pouvoir, vuloir ist nicht immer ge- schlossen, wie Ohlert meint, sondern vor lautbaren Endkonsonanten des Stammes offen: üs meuvent, qiie je meuve, ils peuveni, Hs veuleni, que je veuille etc.

104 Referate und Rezensionen. A. Rambeau,

S. 21 „au- (o) i*aur-m, sau- (so*) Je saur-ai.^ Der Laut o == au dieser Formen ist oit ein kurzes offenes ^ oder das „mittlere" o zwischen ö und ö. Vgl. o in dorer, wie oft e zwischen e und e in maison und feter, und eine Bemerkung oben zu Nr. 2.

S. 22 „w-w", Druckfehler (mü),

S. 25 ^'e vais (vq)", Druckfehler für ve . (offenes e, nicht nasaliert).

S. 35 „conclure .... Die Endungen des Perfekts und Partizips treten an den verkürzten Stamm." Warum soll man nicht den un- verkürzten Stamm conclu- auch für das hist. Perf. je conclus und das Part. Perf. conclu (mit abgefallenem s, vgl. reclus) annehmen? Vgl. Ohlert S. 23 : rire. Stamm n-, hist. Perf. je ris, Part. Perf. ri (mit ab- gefallenem s),

S. 36 „moudre .... Scheidelaut d im Infinitiv und Indik. des Präsens." Besser: Der vermittelnde Laut d zwischen ursprünglich / (= u vokalisiert) und (ursprünglich lingual.) r im Infin., nur graphisch im Indik. und Imper. Präs. Sing.

S. 37 „naUre (ne.tr)^, Druckfehler; n€Jr (langes offenes e).

S. 45 „Stre (e.tr).^ Druckfehler: i.tr, richtig S. 37.

S. 39 „pleuvoir (plo*Vuar]j^ Druckfehler: d*. (kurzes offenes ö) in unbetonter Silbe oder manchmal q (=^ e sourd)^ selten geschlossenes ö, vgl. oben eine Bemerkung bei Nr. 2.

S. 46 „Anhang IL (Für Latein lernende Schüler) 2. Die

Kennlaute des Perfekts entsprechen den lateinischen Ableitungs- vokalen: u 1) = «I . . . ." Besser: ui mit vorgerücktem Accent,

je valus = lat. valüi st. vdlui wegen valüimus.

Ferner „9. Das s der Partizipien (zu ergänzen : Perf.) ist ursprüng- lich und stammhaft: acquis acquisiiturn) " Druckfehler:

acquis(it)um.

„11. Das doppelte rr in pourrai, verrai ist durch Assimilation entstanden: potero potrai pourrai; videre vedrai verrai."" Die Anführung der lateinischen Form potei'o in der Weise, wie sie hier geschieht, gibt leicht zu einem Miss Verständnis Anlass. Besser: Assimilation der Dentalis an r nach Ausfall des durch die Zusammen- setzung des Infinitivs mit dem Präs. resp. Imperf. von habere unbetont gewordenen lat. Ableitungs-^ : je verrai = videre habeo, je verrais = videre habeham; ähnlich je pourrai, je pourrais (Infin. pot-Sre st. posse, vgl. potesi, poieram, potero u. a.).

„Die Behandlung der Verbalflexion . . . ." S. 9. Den Stamm durch Abtrennung der Endung von der l. Pers. Plur. Präs. Ind. finden zu lassen, wie es Ohlert empfiehlt und verteidigt, ist gewiss praktischer und für das Französische richtiger, als den Infinitiv zu diesem Zweck zu benutzen, da hier häufig eine konsonantische Endung folgt, die den ursprünglichen Stamm lautlich und sehr oft auch graphisch beeinflussst und verändert.

S. 14 Anm. „Auch die Ansetzung verschiedener Stämme fälscht * den Thatbestand. Denn es liegt doch nur ein ursprünglicher Stamm zu Grunde, der nur, je nachdem ein Vokal oder Konsonant folgte, anders behandelt wurde." Auch der ursprüngliche und ursprünglichste (lateinische oder gar vorlateinische) Stamm ist immer nur etwas vom Verstände konstruiertes, nicht etwas wirklich in der Sprache existierendes. Vgl. eine Bemerkung oben zu Nr. 2.

S. 28 ^pedal ptVrf." Druckfehler für pe'dale.

S. 29 „Cafe cafetiere cafeiere,^ Druckfehler für cafeiere.

4. miriell's Schrift unterscheidet sich von den eben be- sprochenen drei Schriften dadurch, dass sie als „Hilfsbuch für Schüler

Kleinere Lehr- und Übungsbücher. 105

besonders lateinloser Schulen" bestimmt ist, wodurch der Verfasser „die Beschränkung im Punkte der Lautgesetze genügend rechtfertigt" (Vorwort, S. IV), ferner dass er nur die sogenannten unregelmässigen Verben ausführlich behandelt und diese ausdrücklich nicht nach den Perfektformen, sondern nach den Präsensformen ordnet. „Es will mir nämlich scheinen", sagt Ullrich im Vorwort (S. III), ,,als wenn die bisher beliebte Anordnung der Verben nach den Perfektstämmen als ein methodischer Missgriff befrachtet werden müsse, da meine Lehr- thätigkeit mir gezeigt hat, dass der Stein des Anstosses für den Schüler nicht sowohl in den Perfektformen, als in den Präsensformen liegt, eine Anordnung nach diesen also schon ein Moment der Er- leichterung enthält." Dies ist sicherlich ein Gesichtspunkt, der be- achtet zu werden verdient, den man aber füglich nicht ausser acht zu lassen braucht, auch wenn man ebenfalls die Bildung des bist. Perf. und zugleich die des Part. Perf. bei der Gruppierung der Verben be- rücksichtigt.

Was die Einteilung in Konjugationen betrifft, so stimmt Ullrich hierin fast ganz mit Stier überein, aber er fasst den Begriff „regel- mässig" viel enger und den Begriff „unregelmässig" viel weiter. Am Anfang gibt er auf einer Tabelle (S. 1 3) eine vergleichende Übersicht der „drei regelmässigen Konjugationen" mit Infin. -er, -re, -ir, eine sehr nützliche Zusammenstellung der Endungen 1) ihrer „gleichen Formen" und 2) ihrer „ungleichen Formen". Zur regelmässigen ir- Konjugation, wie sie Ulrich nennt, rechnet er nur die Verba mit der Stammerweiterung -iss- (bannir u. a.), zur regelmässigen r^-Konjugation nur die wenigen Verba, deren Stamm auf p und d ausgeht. Von allen „drei regelmässigen Konjugationen" sind ausgeschlossen 1) die Verba, in deren Endungen irgend eine orthographische Abweichung oder Be- sonderheit zu bemerken ist, also sogar Verben wie lauer und scduer wegen des trema (nous lomons, vous salutez), 2) die Verba, die in der Schritt auf den Laut kommt es dem Verfasser zunächst nicht an irgend eine Veränderung des Stammes zeigen, also menacer^ venger, employer, celer, battre, fleurir u. ä. Es ist auffällig, dass sich avouer neben chercher u. a. unter den regelmässigen VerJjen findet (S. 3), dagegen louer und vouei\ devouer u. ä. unter den unregelmässi^en auf- geführt sind (S. 8). Um die sogenannte „regelmässige" r^-Konjugation gegenüber den zahlreichen „unregelmässigen" Verben auf -re nicht allzu dürftig erscheinen zu lassen und wenigstens rompre und vcndre und 6 andere Verba mit einem auf d ausgehenden Stamme zusammen- zubehalten, gibt Ullrich (S. 2) zu Präs. Indik. „Stamm ^- s, •\- s, + ^" die Bemerkung: „Dritte Person ohne Endung nach d, t, c." „Nach fl^* würde hier schon genügt haben: Denn baiire und vaincre sind ja nach seiner Auffassung unregelmässig. Vom phonetischen Standpunkte aus und, wenn man die wirklich jetzt gesprochene Sprache, die heutige Lautsprache, als massgebend ansieht, muss man jene Einschränkungen und Ausschliessungen zum Teil als sehr willkürlich und falsch be- zeichnen. Z. B.: romps = rS neben rompons = r5p5 ist keineswegs „regelmässiger" als bats = bd neben baitons = bdtn; oder beide Formen r5 und bd müssen, da der Stamm verändert ist, als „unregelmässig" gelten. Wenn man dann die übrigen von Ullrich (S. 3) angeführten Verba auf -re in ähnlicher Weise vergleicht und beurteilt, kann natür- lich von einer regelmässigen rcJ-Konjugation überhaupt nicht die Rede sein. Denn in diesem Falle müssen alle Verba auf -re ebenso, wie alle Verba auf -mr, zu den unregelmässigen oder anomalen gestellt werden. Aber Ullrich steht in dieser Beziehung auf dem reinen, un-

106 Referate und Rezensionen, A, Rambeau,

verfälschten Standpunkte der Schriftsprache, und man musa augeben, dass er insofern seinem Standpunkte gemäss im Einschränken und Ausschliessen im allgemeinen mit richtiger Eonsequenz vorgegangen ist. Die vier unregelmässigen Konjugationen sind in derselben Reihen- folge geordnet, wie in Stier's Tabellen, also unnötigerweise anders, als die drei regelmässigen:

„I. Anomale Verba der . . ^-Konjugation. IL Anomale Verba der . , tr-Konjugation.

III. Anomale Verba der . . r^-Konjugation.

IV. Verba auf -ö«r."

S. 10 11. „mourir Erklärung: Die stammbetonten

Formen lauten ou zu eu um." D. h. die stammbetonten Formen des Präsens . . . : Diese notwendige Beschränkung ist an allen Stellen, wo ich eine ähnliche Erklärung bemerkt habe, weggelassen, so bei venir S. 11, devoir S. 24.

S. 15. „ü echt'' Druckfehler für eciot

S. 25 26. „pmwoir Erklärung : Ausser der Vorbe- merkung bezüglich des v, beachte den Stammumlaut, sowie das x der ersten und zweiten Person (nach Analogie der Pluralbildung der Sub- stantiva auf eu); ..." Der Ausdruck „Analogie" ist hier durchaus unpassend und missverständlich. Besser: x statt s nach eu, vgl. Subst. z. B. cheveu cheveux. Ferner: „endlich das Futur, in welchem V dem folgenden r assimiliert ist." Diese Erklärung ist lautphysiologisch (eine Labiab's dem ursprünglich lingualen r assimiliert!?) und sprach- historisch falsch; und wissenschaftlich Falsches darf unter keinen Um- ständen in einer Schulgrammatik gelehrt werden. Selbst die Schüler lateinloser Anstalten, für die Ullrich seine Schrift hauptsächlich be- stimmt hat, können die Entstehung des Präs. Futur (Infinitiv + Präs., resp. Impf, von avoir) begreifen, und da sie das v in den bezüglichen Formen von pouvoir nur zwischen Vokalen sehen (vgl. nous pouvons, ils peuveni ü peut, vgl. auch pouvani puissant u. ä.), so ist es für sie auch nicht schwer zu verstehen, dass das v ursprünglich nicht stammhaft, sondern nur hiatustilgend ist. Wenn aber Ullrich aus praktischen Gründen die richtige wissenschaftliche Erklärung (Assi- milation der Dentalis an ursprünglich linguales r; dr, Ir == rr, vgl. je pourrai mit je verrat, je de'cherrai, ü däckerra, vgl. lat. pot-esi, videre, cadere, franz. potentat, providence, decadence u. ä.) nicht geben oder auch nicht einmal andeuten wollte, so hätte er die Formen pourrai, pourrais neben pouvoir einfach als unregelmässige gegenüber devrai, devrais von devoir u. a. bezeichnen und dabei nur aaf verrat, verrais de'cherrai, decherrais e'cherra, echerrait neben voir dechoir e'choir verweisen sollen, zumal da er bei diesen Verben (S. 28) auf jede Erklärung des Futur, verzichtet.

S. 26 27 y^vatoir, faüoir Erklärung. Beachte 1. x statt sJ^

Ergänze: x statt s nach au, vgl. die Subst. und Adj., z. B. cheval chevaux, chapeau chapeaux, heau heaux, Weiter: „2. die Mouil- lierung der Stämme «>«/- und faü- im Konjunktiv, wie bei «//<?>•." Ergänze „in den stammbetonten Formen des Konjunktivs", und ebenso an anderen Stellen der Schrift. Ferner : „4. Futur hat euphonisches d.^ Unverständlich ohne Zusatz: d eingeschoben zwischen l und ursprüng- lich lingual, r; l = u erst später vor folgenden Konsonanten vokali- siert, daher auch vaux, vaut, faut, wie vaudrai, faudra.

S. 27. „voiäoir .... Erklärung Umlaut von u zu eu in

den stammbetonten Formen." Druckfehler. Verbessere: ou zu eu . .<,

Kleinere Lehr- und Übungsbücher. 107

oder (phonetisch): u zu ö, das offen oder geschlossen ist, je nachdem der Endkonsonant des Stammes lautet oder verstummt.

Der „Rückblick" (S. 29 82) enthält einige allgemeine Be- merkungen über die Behandlung der Endungen und des Stammes, die sehr kurz und knapp gehalten, aber doch zum grössten Teil verständ- lich und verständig sind.

S. 80. „Die Silbe t^ in bomlür schwand vor s und t" Die drei Buchstaben ill bezeichnen in diesem Worte keine Silbe, sondern bedeuten jetzt nur einen halbvokalischen (halbkonsonauti sehen) Laut, nach Passy's Auffassung einen Konsonanten, = /. Auch früher bildeten diese Buchstaben im Französischen nie eine äilbe: im älteren Fran- zösisch und noch jetzt im Dialekt oder in der dialektisch gefärbten Aussprache = // oder = palat. /. Vor -s, -t konnte der Stammauslaut von bouülir = lat. btiläre, als jene konsonantischen Endungen noch gesprochen wurden, nur als einfaches / erscheinen (bouiä-, bouU-, botd-; vgl. lat. 1. buäio, ursprünglich dreisilbig, yulg.-lat. zweisilbig, äi = IJ, 2. btfUis, 8. buUit) und musste später in u übergehen, das mit dem Stammvokal verschmolz: Je bons, tu bous, ü bout.

Ferner S. 80. „Desgleichen wurde der mouillierte Stammauslaut gn in den Verben auf . . indre vor s und t zu blossem n (nasal): je crains^ ü craini (auch Partizip)." unklar oder falsch, wie die Erklärung zu craindre S. 18. Besser: craindre, peindre, joindre u. s. w.; der Stamm geht aus auf gn = n (palat. n) vor vokalischen Endungen, auch vor dem verstummten e, aber vor konsonantischen Endungen in der Schrift auf n, das in der lebenden Sprache verstummt, jedoch die nasale Aussprache des Stammvokals bewirkt: ain, ein = ^, oin = **^.

S. 31. Über Konj. Präs. und Imper. drückt sich Ullrich allzu kurz und wohl deshalb undeutlich und angenau aus.

Die drei letzten Absätze, die überschrieben sind: „Merke folgende Basses definis^, „Merke folgende Pärticipes passes*' und „Merke folgende Futurs^, sind ziemlich wertlos, da die hier angeführten Formen des bist. Perf., des Part. Perf. und des Futur, ohne ein wenigstens für mich ersichtliches Prinzip zusammengestellt sind. Auch hätte Ullrich an dieser Stelle endlich die Bildung des französischen Futur, und die Änderungen, die bei der Zusammensetzung des Infin. mit dem Präsens von avoir vor sich gehen, erwähnen und andeutungsweise erklären müssen.

Trotz der Einwände, die ich in meiner Besprechung erhoben, und trotz der Ausstellungen, die ich an einigen Einzelheiten gemacht habe und noch an manchen anderen hätte machen können, erkenne ich gern an, dass die Schrift von Ullrich brauchbar zu nennen ist und hauptsächlich zwei nicht unwesentliche Vorzüge aufweist: eine im im ganzen geschickte und übersichtliche Anordnung der Verben und Verbalformen und eine knappe und doch auf kleinem Räume er- schöpfende Darstellung.

5. Ricardos „Hilfstabellen für die Konjugation der franzö- sischen regelmässigen und unregelmässigen Zeitwörter", von denen auch auf Pappe gespannte Exemplare auf Wunsch der Besteller vom Verleger geliefert werden, haben nur einen rein praktischen Zweck. Durch den vollständigen Titel, den ich oben mitgeteilt habe, mögen sie sich selbst empfehlen, wie auch durch folgende Worte des Ver- fassers innerhalb des Umschlages, die sich auf ihren Inhalt und Zweck beziehen: „La conjugaison franqaise offre ä la fois une gründe clarte' et une incomparäble pre'cision; eile peut se re'sumer en tableaux synoptiques garantissant de taute erreur^

108 Referate und Rezensionen, M, Walter,

I. Pitts de 6000 verbes se conjuguent comme pa/rler. IHus de 850 comme ptmirm Environ 400 comme vend/re.

En un mot, tous les verbes reguUers ont leurs modeles. IL Dans le second tahleau, on a compris tous les verbes irrdguUers

(225) et les defectifs. Par conse'quent, ces deux tableaux remplacent exaciement toute grammaire et tout dictionnaire.

lls ont comme but pratique Pavantage de pouvoir Stre suspendus dans les maisons d^'e'ducation et les comptoirs, de se placer sotts tceü de räcrivain ainsi que dans le portefeuüle de chacun,*^

Die Anordnung iflt Bchematisch und teilweise alphabetisch; sie weicht von der Ploßtz'schen wenig ab. Nur einen Druckfehler habe ich entdeckt: asseye statt asseye. A. Rambeaü.

Rambean, A«, Die Phonetik im französischen und englischen Klassenuntenricht, (Eine Begleitschrift zu den Lauttafeln des Verfassers.) Hamburg, 1888. Verlag von Otto Meissner. Preis: 1 Mark.

Die von Rambeau herausgegebenen Wandlauttafeln sind, abgesehen von mehreren hinzugekommenen Verbesserungen die- selben, welche er in seiner Schrift Über den französischen und englischen Unterricht in der deutschen Schule (Hamburg, 1886. Herold) veröffentlicht hat. Der Wunsch, diese Tafeln in allen Klassen der bedeutend vergrösserten Anstalt des Wilhelms- Gymnasinms zu Hamburg benützen zu können und sie somit auch den Kollegen auf bequemere Weise zugänglich zu machen, bat Rambeau veranlasst, die Tafeln auf lithographischem Wege ver- vielfältigen zu lassen.

Über seine Begleitschrift lässt er sich im Anfang folgender- massen aus: „Was ich im folgenden über die Phonetik im fran- zösischen und englischen Klassenunterricht zu sagen gedenke, soll keineswegs der Versuch einer vollständigen, wenn auch nur ganz elementaren, Darstellung des französischen und englischen Lautsystems für Scbulzwecke sein. Für Schüler ist die Begleit- schrift überhaupt nicht bestimmt, und Lehrer finden in den seit etwa zwölf Jahren erschienenen vortrefflichen Büchern über Laut- physiologie die nötige Belehrung und vielleicht bessere Auskunft in wissenschaftlicher Beziehung, als ich sie an dieser Stelle zu geben im stände wäre. Dagegen möchte ich wenigstens mit meinen Bemerkungen über den Gebrauch der Lauttafeln zeigen, auf welche Weise man mit Hilfe dieser Tabellen den Schülern allmählich von Stufe zu Stufe im mehrjährigen Schulunterricht eine genaue und gründliche Kenntnis der zwei fremden Laut- systeme verschaffen kann ohne Lehrbuch, und ohne sie im

A. Rambeau, Die Phonetik im firanz, u, engl, KlassenunierrichU 109

geringsten Grade zu überbürden oder mit unverdaulichen abstrakten Dingen zu belästigen. Den Fachgenossen, welche den phone- tischen Studien noch abgeneigt sind, möchte ich femer beweisen, dass man nach meiner Methode ohne „Regeln^ die Aussprache der Schüler wenn nicht fehlerlos, so doch jedenfalls gleichmässig und der eigenen Aussprache vollkommen gleich machen und da- durch ihren Oenuss an der fremden Sprache, die sie lernen, wesentlich heben und ihr Interesse dafür in hohem Orade fördern kann.^

Nach der allgemeinen Hervorhebung der Bedeutung der lautlichen Schulung für die genaue Aussprache der fremden Sprachen und der Muttersprache selbst, deren lautlich reine Erlernung schon im Elementar- Unterricht zum Gegenstand der sorgfältigsten Pflege gemacht werden müsste, bespricht nun Rambeau zunächst die französischen Lauttafeln, deren eine die Vokale, die andere die Konsonanten enthält. Eine Zusammen- stellung von Musterbeispielen mit Rücksicht auf die Einzellaute befindet sich unter jeder Lauttafel. Den Vokalen hat er die Dreieckform zu Grunde gelegt, bei der das Verhältnis der Zungen- stellung der einzelnen Laute veranschaulicht wird. Die ge- schlossenen Laute werden mit ', die offenen mit ^ bezeichnet. Die Quantität wird durch die Lauttafel nicht angegeben, sondern durch Vorsprechen erlernt. Die unter der Vokaltafel angeführten Musterbeispiele sind indessen nach der Quantität geordnet, indem Rambeau sowohl bei den reinen als den nasalen Vokalen Beispiele 1) für lange, 2) für weniger lange oder kurze Laute angibt.

Die Konsonanten ordnet Rambeau nach Verschluss- und Engelauten an, so dass die einander entsprechenden stimmhaften und stimmlosen Laute nach ihren verschiedenen Bildungsstellen neben einander stehen: A. Labiale, B. Linguale (Dentale), C. Pala- tale (Gutturale), D. Hauchlaut.

Rambeau beginnt mit der Einübung der reinen Vokale, die er zunächst auf deutsche Weise, dann mit verstärkter Artikulation auf französische Weise vorspricht.

Beim Nachsprechen der Lautreihen i-a-u und u-a-i haben die Schüler auf die Veränderung der Lippen- und Zungenstellung zu achten, so dass sie sich der Stellung der Sprachorgane be- wusst werden.

Die weiteren Übungen an der Vokaltafel bestehen im Lautieren der folgenden Vokalreihen:

i- 4- a U'6-a i'i'l-a

110 Referate nnd Rezensionen. M, Walter,

U'ö'b-a

ü'O-a

U'O'O'CL,

Zum Schluss werden die drei vollständigen Vokalreihen geübt:

u-6'b-a

U'O-o-a. Diese Übungen haben die Schüler einzeln und im Chore vorzunehmen. ^Sie werden so lange fortgesetzt, bis sie mindestens von der Mehrzahl der Schüler ohne Fehler und ohne Zögern ausgeführt werden können.^ ^Die straffe Artikulationsweise ist bei allen französischen Vokalen zu betonen und eher zu über- treiben als zu massigen. Der Unterschied zwischen den ge- schlossenen Lauten ^60 und den offenen Lauten h b o musB jedem Schüler ganz geläufig werden.^

Zu den obigen Lautreihen möchte ich die folgenden Reihen hinzufügen, deren sorgfältige Übung der Aneignung einer klaren Aussprache der französischen Vokale sehr förderlich ist:

i U u

i 06

lob.

Zunächst wird der Übergang innerhalb der beiden ersten Lautreihen geübt. Hierbei behält der Schüler die Zungenstellung der ersten Reihe i i l bei und nimmt nur die Lippenstellung von u 6 b Kd. Beim Übergang von ü o 0 vssl u 6 b behält er umgekehrt die zuletzt eingenommene Lippenstellung bei, indem er die Zungenlage schnell verändert. Überall, wo die Lippen- artikulation im Deutschen mangelhaft ist, sind diese Übergänge aus der spaltförmigen in die gerundete Form von grossem Werte. Der Schüler, der oft im Deutschen statt o oder ü i, bzw. i, zu sprechen gewöhnt ist, wird durch das Gegenüberstellen dieser entsprechenden Laute zur genauen Beachtung ihrer Verschieden- heit und zu ihrer sicheren Nachahmung geführt. Besonders empfiehlt sich hierzu die Übung der nach ihrer wagereehten Lippenstellung am weitesten auseinanderliegenden Vokale i und ü und umgekehrt.

Das Übergehen von einem Vokal zum andern innerhalb derselben Lautreihe geschieht dadurch, dass unter anhaltendem Stimmton der Wechsel der zur Bildung der einzelnen Vokale erforderlichen Mundstellung erfolgt. Hierbei lernt der Schüler zugleich den im Deutschen den Vokalen vorangehenden Kehl- kopfverschlusslaut vermeiden und gewöhnt sich somit an den im Französischen üblichen leisen Stimmansatz.

j4, Rambeau, Die Phonetik im /ranz, «. enpL Kiassenunierrichi. 111

Von den reinen Vokalen geht Rambeau zu den nasalen Vokalen über. Die Schüler werden in einfacher Weise auf den Unterschied zwischen beiden Arten hingewiesen. Durch Über- gang vom Grandvokal zum Nasalvokal, der im singenden Tone gesprochen wird, ergibt sich folgende Übung: a-ä, l-^, b-ö, o-S.

Wegen der auch von Rambeau hervorgehobenen oft statt- findenden Verwechslung der Nasalvokale ä mit 5^ i mit i ist es von Vorteil, die Beziehungen der Nasalvokale zu ihren bezüg- lichen Grundvokalen auch an der Lauttafel dadurch zu veran- schaulichen, dass man sie den betreffenden offenen Lauten gegenüberstellt Um bei der hierdurch verursachten Häufung von Lautzeichen die Übersichtlichkeit zu wahren, empfiehlt es sich dann, wie es bei uns geschieht, verschiedene Farben fUr die verschiedenen Lautarten zu verwenden. So sind bei uns iihaäböu schwarz, ü 6 o o grün und die Nasalvokale ä e ö S^) rot dargestellt. Kommt es nun vor, dass ein Schüler z. B. ä statt ö spricht, wie es hier oft geschieht, so wird er sofort auf den entsprechenden Grundvokal verwiesen, indem er unter Beibehaltung der a- Mundstellung den Übergang von a zu ä übt. Ausserdem ist als Grund des Fehlers anzugeben, dass der Schüler anstatt der a-Mundstellnng die von b eingenommen hatte. Von Bedeutung für unsere Gegend sind die Bemerkungen Rambeau's über die Schüler, welche im Deutschen anstatt der reinen Vokale genäselte verwenden und nun diese auch auf das Französische zu übertragen pflegen. Da gilt es durch viele Lautübnngen dem Schüler recht klar zu machen, dass der Mund weit zu öffnen ist, und der Hauch durch Mund und Nase, nicht etwa wie im Dialekt ganz oder zum grössten Teile durch die Nase strömt. Bei diesen Fehlem ist es notwendig, nach den Übungen der reinen und der Nasalvokale die Schüler auf die Unterscheidungsfähigkeit der Nasalvokale hin zu prüfen.

Dazu empfiehlt es sich die vier Nasalvokale an die Tafel zu schreiben und mit den Nummern 1 bis 4 zu versehen:

ä e ö ö 12 3 4 Der Lehrer spricht nun reine Vokale und Nasalvokale in beliebiger Reihenfolge vor; sobald ein Nasalvokal an die Reihe kommt, hat dann der Schüler nur die Nummer des betreffenden

1) Behufs Vereinfachung der Lautzeichen halte ich es für ange- bracht, die Akzente auf den Nasalvokalen wegzulassen. Dass diese Laute im Französischen nur offen sein können, lernt der Schüler ja schon durch die so häufig geübte Gegenüberstellung der offenen Grund- vokale und der bezüglichen mit derselben Mundöffnung gesprochenen Nasalvokale.

112 Referate und Rezensionen. M, Walter,

Vokals anzugeben. Spricht der Lehrer z. B. h vor, nnd der Schüler gibt dafür 2 == 5 an, so ist dies ein Beweis dafür, dass der Schüler durch die fehlerhafte Gewohnheit des Näseins zu dieser falschen Lautauffassung geführt wird ; und so muss wieder auf die entsprechenden Artikulationsübungen zurückgegangen und der Grund des Fehlers in einfacher Weise erklärt werden.

Bezüglich der fehlerhaften Aussprache der Nasalvokale in Norddeutschland sagt Rambeau: ^Mag der Lehrer auch selbst die französischen Nasalvokale noch so gut vorsprechen, er kann ziemlich sicher darauf rechnen, dass seine norddeutschen Schüler ohne eine sorgfältige „Artikulationsgymnastik ^, wenn er die Laute ihrer akustischen Auffassung und blossen Nachahmung überlässt, fast alle a^, h) oder tn}^ o^, oder o^, o^ oder ot^ und ähnliche Lautverbindungen hören und nachsprechen. ^ Rambeau hebt recht treffend hervor, wie schwer es ist eine derartig Jahre lang hin- durch geübte falsche Aussprache der Nasalvokale zu beseitigen, während bei der lautlichen Schulung im Anfangsunterricht alle Schüler zur richtigen Wiedergabe der dem. Französischen eignen Laute gelangen müssen.

Da die Schwierigkeiten der lautgetreuen Nachahmung der französischen Nasalvokale immerhin gross genug sind, so scheint es mir hier geboten, in einfacher Weise eine Erklärung der Bildung dieser Laute im Unterschied zu den deutschen Nasal- konsonanten zu geben.

Der Schüler spricht zunächst deutsche Wörter aus, die auf ng endigen, wie 6an^, häng*. Verschliesst er die Nase durch Zuhalten mit den Fingern, so wird der Nasalkonsonant plötzlich abgebrochen; im Gegensatz hierzu zeigt ihm der Lehrer, wie bei demselben Verfahren die französischen Nasallaute, wenn auch gedämpft, forttönen. Woher kommt das? Beim deutschen Nasal- konsonanten verhindert der Ansatz der Zunge am Gaumen das Ausströmen der Luft aus dem Mundraum; die Luft geht somit allein durch die Nase. Wird nun dieser Ausweg der Luft durch Zuhalten der Nase verschlossen, so muss der Laut zu tönen auf- hören. Bei der Aussprache der französischen Nasallaute, welche vokalen Charakter und dieselbe Mundstellung wie die ent- sprechenden Grundvokale haben, findet keine Berührung der Zunge mit dem Gaumen statt, so dass die Luft auch bei Nasen- verschluss noch immerhin ihren Ausweg durch den Mund findet und so den Laut weitertönen lässt.

Aus dieser Verschiedenheit der beiden Lautarten, die dem Schüler zugleich die Verkehrtheit der Bezeichnung des einfachen französischen Nasallautes mit ang nachweist (drei Buchstaben für einen Laut und konsonantischer für vokalischen Lautansatz)

A. Ramheau, Die Phonetik im franz. u. engl, Klassenunierricht, 113

ersieht der Schüler, dass er zur Wahrung des vokalischen Lant- wertes die Zunge stets vom Gaumen fernhalten muss.

Oelingt ihm dies zuerst nicht, so weist ihn der Lehrer an, die Zunge mit einem Stift herabzudrücken und somit in der Lage des entsprechenden Grundvokals zu erhalten. Am besten üben die Schüler diese Nasallaute, wie auch Rambeau hervorhebt, dadurch ein, dass sie dieselben in singendem Tone möglichst lange aushalten. Überhaupt gibt es kein besseres Mittel für die Aneignung und Befestigung einer guten Aussprache als das Singen von Liedern,^) das auch ausserdem dazu angethan ist, die Lust und Freude des Schülers an der Sprache wesentlich zu erhöhen.

In der Besprechung der Konsonanten und Mittellaute, deren Absonderung von den Konsonanten ich übrigens nicht für ange- bracht halte, lässt Rambeau die Schüler in elementarer Weise den Unterschied zwischen Vokalen und Konsonanten feststellen, um dann die einzelnen Laute, wie schon oben bemerkt, zusammen- zustellen. „Bei diesen und den folgenden Erörterungen, sagt Rambeau, berücksichtige ich am meisten die Labialen, weil die Schüler die verschiedenen lautphysiologischen Vorgänge bei diesen Lauten nicht bloss durch ihre eigene, von mir geleitete Über- legung an ihren Organen selbst wahrnehmen, sondern auch an meinen Lippen und Zähnen beim Sprechen deutlich sehen können.^ Rambeau verweilt dann besonders auf dem wichtigen Unterschied der stimmlosen und stimmhaften Laute, welche die Schüler sicher von einander unterscheiden und genau nachahmen lernen müssen. „Besonders in Mittel und- Siiddeutschland, wo die Vermischung von „harten^ und „weichen^ Konsonanten, der Gebrauch von stimmlosen schwachen (weichen) Konsonanten in der dialektisch gefärbten Muttersprache sogar unter den Gebildeten vorherrscht, hat der Lehrer viele sorgfältige und langwierige Übungen anzu- stellen, damit seine Schüler den Unterschied zwischen stimmhaft und stimmlos in der fremden Sprache nicht nur theoretisch ver- stehen, sondern auch in der Praxis immer ohne Schwanken und Irren durchführen lernen."

Bei dem paarweisen Aussprechen der Verschluss- und Reibe- laute empfiehlt es sich von den leichter aussprechbaren stimmlosen Lauten auszugehen und diesen die stimmhaften Laute anzuschliessen.

Die Reibelaute /-v, s-z^ S-i werden ausgehalten und das Ansetzen beziehungsweise Aussetzen des Stimmtons erfolgt dann unter Beibehaltung der entsprechenden Mundstellung auf ein be- stimmtes Zeichen des Lehrers.

^) In der zweiten Auflage des Kühn'schen Lesebuches sind die Noten für die darin enthaltenen singbaren Lieder angegeben.

Zschr. f. frz. Spr. u. Litt. XR g

114 Referate und Rezensionen. M. Walter,

So lernt z^ B. aacb der miifttel- und süddeutiK^he Sofattler die von seinem Dialekt abweiebende Bildung des fi'anzi^sisoheii nnd englischeii v, indiem er die /-Mundstelliuig (Berttbrung der Unteiiippe mit den oberen Schneidezähnen) beibehält und durch HiBZutreten des Stimmtons zu tf tibefgeht.^) Um sich davon zm ttberzengen^ dass die Schiller die stimmloBen von d<ni stimm*- hi^etf Lauten^ genau unterscheiden köimeH) ist auch folgende Übung zu eilipfehlen: Der Lehrer spricht dld stiminblifteii usd stimmlosen Laute in beliebiger Aufeinande^olge ror und lässt den Lautwert von den Sehttlem duroh die blosse Angabe ob stimikiloB oder stimmhaft bestimmeo.

Bei det EitfHbung ron b, d uiid g empfiehlt Rambeau zuerst mby nd Und ^ sprechen zu lassen, ^ damit den Schülern die Eigentümliehkek der französischen stimmhaften Versohlusälaute noch lH0hr zum Bewiisstsein kommt. ^ Es scheint mir hier besser^ das ^ahre Wesen dieser Laute dem Schüler dodur^ klar zu machen^ dass er den Blählaut, weloheir den stimmhaften Verschlusslauten mangelt, mit den Schttlera einübt. Es wird nur scheinbar ein m, n und j volr b, d und g gehört. Während bei THy n, y die Luft in die Nase tritt, gelangt sie bei dem Blählaut nur in den Muiid. Die Dauer dieses Lautes hängt also von der Gröese des Mundraumes ab, der bis zur Lösung des Versohlusses mit Luft erfüllt wird, sie wird also entsprechend den Artö- kulätionsstelleii von b nach g zu abnehmen: b > d > g.

Bezüglich der Aussprache des r stimme ich mit Rambeau darin überein, dass je nachdem der deutsche Schüler Zungen-r oder Zäpfchen -r spricht, er den ihm gewohnten Laut auf das Fran^ zösische übertrage, da dort auch beide Bildungsweisen vorhanden sind, wenn auch die Verbreitung des Zäpfchen -r mehr und mehr zu- nimmt. Dagegen hat der Lehrer den in manchen Oegenden für r im Deutschen eintretenden gutturalen Ersatzlaut (= eh) aufs ent<- schiedänste zu bekämpfen. Auch möchte ich bei der Aussprache dies r noch bemerken, dass der Lehrer darauf achten muss, dass das im deutschen Dialekt vor Konsonanten öfters eintretende Schwindbn des r, sowie das Übergehen des auslautenden r in den unartikulierten Stimmton o Im Französisch nicht eintritt, sondern dass r auch in diesen Fällen rein ausgesprochen wird, also jaur = hsr nicht iüQy lärme lärm, nicht lam. Auch

1) Unsere Eonsonantentafel weicht insofern von der Rambeau'schen ab, als wir entsprechend dem obigen zaerst die stimmlosen und dann die stimmhaften Laute geben. Da jedoch die Übungen in verschiedener Reihenfolge stattfinden, ist diese Abweichung im Grunde genommen von untergeordneter Bedeutung.

J. Raniheau, Die Phonetik im franz. u. engl, Kiassenunterricht. 115

darauf ist noch hinzu weisen, dass das deutsche Latlgesetz: ^Im Auslaut wird jeder stimmhafte Konsonant stimmlos^ fürs Fran- zösische, ebenso wie fürs Englische keine Gültigkeit hat, dass da vielmehr der volle stimmhafte Laut auch im Auslaut erhalten bleiben muss, z. B. rohe = rbh.

Bezüglich der Auffassung des französischen n sowie auch des Neutralvokals o sind die interessanten, lehrreichen Aufschlüsse zu vergleichen, welche P. Passy in einem Aufsätze „JSTurze Darstellung des französischen Lautsystems^ (Phonetische 8tudien I, 1—3) gibt.

Weiterhin bespricht Rambeau die Halbvokale wnd die Diph- thonge. Was die Bezeichnung des ^'-Lautes in bien etc. anlangt, so bin ich mit Rambeau der Ansicht, dass es für unsere deutschen Schüler entschieden besser ist, das i beizubehalten, da das Zeichen j leicht, zumal im Auslaut Veranlassung zur konsonan- tischen Aussprache des stimmlosen palatalen Reibelautes Anlass gibt. Durch die enge Verbindung zwischen i und dem folgenden Vokal gelangt der Schüler von selbst zur richtigen Aussprache der betreffenden Lautverbindung. Würde aber doch das Zeichen j nach stimmhaften Lauten verwandt, so müsste nach stimmlosen Lauten ein anderes Zeichen zur Bezeichnung der Stimmlosigkeit des j eintreten. Für eine Schullauttafel empfiehlt es sich jedoch, die Anzahl der Lautzeichen möglichst zu beschränken, so dass es auch deshalb schon ratsam ist, von den zwei neuen Zeichen Abstand zu nehmen. Aus dem gleichen Ghmde könnte nlan ebenso das von Rambeau angegebene w =^ u in roi, y ^= U in lui entbehren, und sich mit dem ähnlichen Hinweis wie oben be- gnügen, dass durch die enge Verbindung von u und ii mit folgendem Vokal jene Laute den Lautwert von Reibelauten an- nehmen. Zum Unterschied von den vollen Lautwerten der Vokale ^, Uy ü könnten ja auch diese Übergangslaute das Zeichen der Kürze erhalten, also bien = 6ie, loin = lue; lui = lÜL Jedenfalls ist ebenso hier schon aus praktischen Gründen eine Vereinfachung geboten. Weitden aber bestimmte konsonantische Zeichen ange- wandt, so müssten wie vorhin nach stimmlosen Lauten wieder andere Zeichen eintreten. Was die von Rambeau benützten Merkwörter betrifft, so habe ich mich damit begnügt, zur Unter- stützung der Einübung der stimmhaften und stimmlosen Lautpaare Wörter zusammenzustellen, die sich nur durch den Anlaut unter- scheiden. Rambeau gibt dafür die folgenden Wörter:

bain pain vin faim

dd ihi zUe sei

Jean champ

goUH coup.

116 Referate und Rezensionen. M. Walter,

Späterhin beim Gebrauch von Lautschrift und l>ei der somit länger fortgesetzten rein lautlichen Schulung habe ich auch die Einübung durch Merkwörter für nicht mehr erforderlich gefunden. Will man aber doch Merkwörter verwerten, so verspreche ich mir eine grössere Wirkung davon, wenn sie der Lehrer nicht von Anfang an lernen, sondern sie aus dem den Schülern schon vertraut gewordenen Sprech- und Lesestoff gewinnen und als Belegstellen für die Einzellaute zusammenstellen lässt. Da sie so bekanntem Zusammenhange entnommen werden, sind es dann nicht bloss leere Wörter für den Schüler, sondern mit der im Satzgefüge eingeprägten Aussprache des Einzelwortes tritt dem Schüler stets der Zusammenhang entgegen, in dein er das Wort kennen gelernt hat.

Zur elementaren Besprechung der französischen Lauttafeln verwendet Rambeau zwei bis drei höchstens vier Stunden. Weitere Übungen und Belehrungen schliessen sich bei der Einübung der Texte an.

„Alles, was in lautlicher Hinsicht zu lernen ist, wird nur in der Klasse gelernt.^

„Nichts ist wirklicher Lernstoff, als die wenigen Merk- wörter, die sich die Schüler in einem besonderen Heft für häus- liche Wiederholungen aufzuschreiben haben. ^.

Über die weitere Behandlung der Phonetik und Benutzung der Lauttafeln verweist Rambeau auf seinen Aufsatz über Das erste Lesestück und Überleitung von der Lektüre zur Grammatik im französischen AnfangsunterricM, (Frick & Richter, Lekrproben und Lehrgänge^ Halle, Heft IX, S. 93 ff.)

Das Ohorsprechen, welches Rambeau als ein gutes Mittel, die Aussprache zu befestigen und den Tonfall der fremden Sprache zu erlernen empfiehlt, kann nicht genug in Anwendung gebracht werden, zumal bei grossen Klassen, wo jeder Schüler nur selten an die Reihe kommen kann.

„Nach den ersten grundlegenden Stunden des Anfangsunter- richts — sagt Rambeau , in dem die Lauttafeln ihre hauptsächliche Verwendung finden, werden diese von mir systematisch nur noch selten, je nach Bedürfnis, benutzt. Fernerhin haben die phonetisch schwächer beanlagten und schwerfälligeren Schüler bei Beginn jeder Stunde vorzutreten und zuerst der Reihe nach alle vier Tabellen auf den zwei Karten, später nur noch eine mit ihren Lauten und Merkwörtem abzulesen. Die übrigen müssen die Fehler, die etwa noch vorkommen, verbessern." Nach den Ferien lässt Rambeau jedesmal eine gründliche systematische Wieder- holung aller Lauttabellen vornehmen und während des Lesens französischer Texte verwendet er die Tafeln als Mittel zur Ver-

J. Rambeau, Die Phonetik im franz. u. engl. Klassenunterrieht. 117

besseruDg d6r Aussprache, indem er für die falsch gesprochenen Laute diese und die richtigen an den betreffenden Stellen der Tafeln zeigen lässt.

Rambeau verwertet die Tafeln tnii grossem Nutzen bis in die obersten Klassen, welche hierbei noch weitere Einblicke in die praktische Phonetik erhalten. ,,Das richtige Mass dieser Belehrungen muss jeder Lehrer selbst durch eigene Erfahrung erproben und zu finden verstehen. Keinem kann es erlassen bleiben, sich in der Lautphysiologie auf dem Laufenden zu er- halten, da diese Wissenschaft dem praktischen Sprachunterricht in der Schule mehr unmittelbaren und direkt fühlbaren Nutzen, als irgend eine andere Hilfswissenschaft gewährt.^ Als besonders geeignet für die Zwecke des Unterrichts empfiehlt er das Studium der betreffenden Werke von Victor, Passy und Beyer, die jedem Lehrer des Französischen unentbehrlich seien. An die Besprechung der französischen schliesst sich in ähnlicher Weise die der englischen Lauttafeln.

Die hohe Bedeutung der Lauttafeln für den Unterricht veranlasst mich nun noch einige Bemerkungen und Ergänzungen zu liefern, wie sie sich aus meinem Unterricht ergeben. Es kommt mir hierbei zugleich darauf an, den Übergang vom Ge- brauch der Lauttafeln zur Lautschrift zu erklären.

Nach der Ausspracheübung jedes Einzellautes zeigt der Lehrer das Lautzeichen an der Lauttafel. Dadurch lernt der Schüler mit dem Laute das entsprechende Zeichen verbinden und erinnert sich dann infolge der vielfachen Wiederholung dieser Verbindung von Laut und Zeichen zu gleicher Zeit an die vom deutschen Laut abweichende Lautbildung. Nachdem der Lehrer bei der Aussprache des Einzellautes wiederholt die betreffenden Lautzeichen ' angegeben hat, haben die Schüler die Lautzeichen für die vom Lehrer oder ihren Mitschülern vorgesprochenen Laute an der Tafel zu zeigen. Hiermit weisen sie nach, dass sie die gehörten Laute richtig auffassen und sie mit den ent- sprechenden Zeichen verbinden.

Wie nun der Schüler mit dem Laut das betreffende Zeichen verbinden lernt, so muss er andererseits aus den Lautzeichen die betreffenden Laute erschliessen können. Zu diesem Zwecke zeigen Lehrer oder Schüler die einzelnen Zeichen, während die Klasse im Chor und einzeln die Laute dafür angibt.

Diese Lautübungen lassen sich nun in der vielseitigsten Weise anstellen. Da dem Schüler in der fremden Sprache viele ihm bisher ungewohnte Lautverbindungen entgegentreten, so kommt es darauf an, dass der Schüler schnell von einem Laute zum andern in beliebiger Reihenfolge übergehen lernt, ohne dass

118 R&fer4iie und Eezensionen. M, Walier,

die Genauigkeit tmd Schärfe der Lautbildung der Einzellaute dabei irgendwie Einbusse erleidet. Daher lässt der Lehrer nach der geordneten Einübung der Laute diese in möglichster Ab- wechslung hintereinander aussprechen. Der Lehrer zeigt daher die verschiedensten Lautzeichen an den Lauttafeln, und die Schüler geben die Lautwerte dafür an.

Jeden lautlichen Fehler, der sich bei dem so vorteilhaften gleiehmässigen Ohorsprechen leicht feststellen lässt, haben die Schüler selbst zu melden. Der Fehler wird dann von den Schülern, die ihn machten, verbessert unter Angabe der Quelle desselben und unter Bezeichnung der etwa verwechselten Laute an der Tafel. Hierdurch gelangen die Schüler zur Erkenntnis der Fehler, die sie allmählich zu deren Beseitigung führt. So lassen sich die Übungen an der Lauttafel recht anregend ge- stalten, ohne den Schüler zu ermüden. Derjenige, welcher den Versuch mit Lantt^eln macht, wird sich bald hiervon über- zeugen, welches Interesse die Schüler an den vielfach ab- wechselnden Übungen nehmen, deren Nützlichkeit deutlich zu Tage tritt

Mit den Lauttafeln ist der Übergang zum rein lautlichen Verfahren ohne weiteres gegeben.

Nachdem ich im englischen Anfangsunterricht gute Er- fahrungen mit dem Gebrauch der Lautschrift gemacht hatte, habe ich sie nun auch im Französischen erprobt und dabei gefunden, dass ihr Gebrauch die Aneignung einer guten Aussprache, zumal in grossen Elafisen, weficntlich fördert, und ohne den Schüler zu belasten, die anstrengende Arbeit des Lehrers erheblich er- leichtert.

Der Übergang zum Gebrauch der Lautschrift gestaltet sich dann folgendermassen: Nach zwei bis dreistündiger Übung im Hören und Nachahmen der Laute und der im obigen Sinne ge- schilderten vielseiägen Benützung der Lauttafeln geht der Lehrer sofort zu einem kleinen Gedicht über, dessen Erlernung dem Schüler durch Reim und Rhythmus wefientiieh erleichtert wird. Jede vorgesprochene und von den Schülern nachgeübte Lautgruppe wird in ihre Worte und diese wieder in ihre Einzellaute zerlegt. So hat der Schüler in dem kl/einen Gedicht aus Kühn's Lesebuch No. 16 Bonjoury Lundd^ zunächst bonjour zu lautieren, also das Wort zu zerlegen in die Laute b d & u r, die ein anderer Schüler an der Lauttafel zeigt, femer Lundi in l ö d i u. s. w. Diese von einzelnen Schülern an der Tafel gezeigten Laute werden dann von der Klasse unter genauer Beachtung des jedem Einzel- laute zukommenden Lautwertes ausgesprochen und zum Schluss j«des Wortes und jeder Laut^uppe wird das Gaaze wiedieiholt.

A. RambeoH, JHe Phonetik im frünz. u. engl. Kiassenunterrichi, 119

Die Übersiebt ttber die eioBelnen beattgliehen Laoie iH4rd nun dadurch gewonnen, dass der Lehrer die genannten von den Schülern bezeichneten Laute an der Wandtafel ^u Wosten zu- sammenstellt, also oben: hHur ISdi. Auf diese Weise gewinnt der Schüler einen festen Einblick in die Laute der fremden Sprache und zugleich eine Stütze für das Festhalten der in der EJasse geübten Laute.

Wird er nun in der ersten Zeit der Erlernung nur nüt den Lauten der Sprache und deren entsprechendem Lautbilde ver- traut gemacht, so ist hierin eine grössere Sicherheit für eine gute Aneignung des lautlichen Teils der fremden Sprache ge- gisben, als wenn ihm nach der lautlichen Übung sofort das seu Verwechselungen Anlass bietende orthographi«ohe Bild entgegen- tritt. Erst wenn an einer Anzahl von Lauttexten (besonders Ge- dichten) die fremden Laute jedem Schüler fest vertraut geworden sind, sollte der Übergang zur Orthographie edrfolgen, wodurch dann der Schüler die lautlich fest verarbeiteten Stücke in der gewöhnlichen Orthographie kennen lernt. Aus den von ver- schiedenen Selten gemachten Erfat^rungen ergibt sich, dass der 80 sehr gefUrchtete Übergang ohne Schwierigkeiten vor sich g^t. Bei der Übereinstimmung zwischen Laut und Schrift kommt dem Schüler die lautliche Schulung zu gute, indem er sich die be- treffenden Zeichen nicht gedächtnisinässig einzuprägen^ sondern nur die fest mit dem Gehör aufgenommenen Laute durch die entsprechenden Zeichen wiederzugeben braucht. Alles andere erlernt er zunächst durch vielfache Anschauung ]and Schreib- übungen. Die weiteren Beziehungen zwischen Laut und Scl^rift gewinnt er dann allmählich durch die Erfahrung, indem er an- geleitet wird aus einer grossen Zahl von Eiinzelftlllen das Gemein- same herauszufinden.

Bambeau selbst steht dem Gebrauch der Lautschrift wohl- wollend gegenüber und empfiehlt die Benutzung von P. Passy: Le fran^ais parUy F. Franke: Fhrases de tatis les jcurs und die von P. Passy herausgegebene Zeitschrift: Le Maitre foniUque, Für das Englische empfiehlt er Sweet's ElemerUarbuc^ des ge- sprochenen Englisch, sowie eine im Druck befindliche Gedicht- sammlung von Dr. Fick in Hamburg.

Nach dem Vorhergehenden kann ich zum Schluss meiner Besprechung allen Fachgenossen die Benutzung der tRainbeau*schen Lauttafeln für den Unterricht, sowie das Studium der kleinen, aber inhaltsreichen und belehrenden Begleitschrift, von der ich hier nur den französischen Teil behandelt habe, aufs dringendste und wärmste empfehlen. M. WAXTrEft,

120 Referate und Rezensionen. M. Walter,

Badke« Die Anfangsgründe im Französischen auf phonetischer Grund- lage, Programm des Realgymnasiums zu Stralsund Ostern 1888.

Badke weist auf die Bedeutung und die Notwendigkeit einer lautgetreuen Aussprache der lebenden Sprachen hin und setzt aus- einander, wie die Wissenschaft der Phonetik jedem Lehrer die Mittel an die Hand gibt, sich auch ohne jahrelangen Aufenthalt im Ausland eine genaue und gute Aussprache anzueignen. Nachdem Badke als Musterbücher für das Studium englischer und französischer Aussprache S w e e t ' s Elementarbuch des gesprochenen Englisch, P a s s y ' s Le fran^ais parle und Frankens Phrases de tous les jours empfohlen hat, sucht er die Frage zu beantworten, inwieweit sich auch die Schule die Ergebnisse der Phonetik aneignen soll.

„Vor allen Dingen, sagt er, scheint mir die Kluft, die zwischen dem phonetischen Anfangsunterricht und der eigentlichen Beschäftigung mit dem Französischen liegt, noch nicht überbrückt zu sein. Soll die Phonetik einmal Grundlage des fremdsprachlichen Unterrichts sein, so muss man auch auf dieser Grundlage konsequent den ganzen Unter- richt aufbauen."

Badke bespricht alsdann die Hindemisse, welche im Deutschen der Feststellung eines „Standard" -Deutsch entgegentreten und fährt dann so fort: ^So viel aber steht fest, dass, so lange wir nicht imstande sind, als gebildete Deutsche in der Öffentlichkeit unsere dialektischen Spracheigentümlichkeiten aus unserer, alle Stämme verbindenden, ge- sprochenen Schriftsprache streng zu verbannen, gar iseine Rede davon sein kann, dass wir eine fremde Sprache auf Grund einer Laut- beschreibung, die sich auf unser jetzt gesprochenes Hochdeutsch stützt, und von ihm ausgeht, richtig erfassen, lehren oder lernen können. Eine Sprache, in der viele Buchstaben in verschiedenen Landschaften ihres Gesamtgebiets verschiedene Laute bezeichnen, kann nicht als Grundlage für die Bezeichnung fremder Laute benutzt werden. Wenn wir so weiter verfahren, so wird es bei uns stets ein mecklenburgisches, sächsisches, baierisches, schwäbisches, westfälisches u. s. w. Französisch geben.

Wir müssen uns also eine einheitliche Basis für den Unterricht schaffen, und diese kann uns einzig und allein die Phonetik geben. Ohne diese Wissenschaft ist auf diesem Gebiet ein blindes &runi- tappen, ein planloses Experimentieren."

Badke beklagt es, dass auf dem Gebiet des Unterrichts in der Muttersprache gerade dem gut gesprochenen Worte, in dem ein so mächtiger Zauber liegt, den wir als mitwirkenden Paktor bei der Er- ziehung der Jugend nicht entbehren möchten, noch nicht genügend Wert beigelegt werde. Für diese Vernachlässigung macht er vor allem den Elementarunterricht verantwortlich, wo sich der Schüler die Grund- bedingungen alles guten Sprechens und eines gediegenen Vortrags, die klare, saubere Aussprache der Einzellaute anzueignen habe.

Badke wendet nun die Phonetik nicht unmittelbar aufs Fran- zösische an, sondern gibt sie entsprechend dem vorher Bemerkten in allgemeinerer Form.

„Die Laute sollen dem Quintaner so im Zusammenhang vorge- führt werden, dass der Lehrer des Englischen in Unter- Tertia das Gebäude nicht neu aufzuführen, sondern nur auszubauen braucht. Auch sehe ich die Phonetik nicht als eine Wissenschaft an, die nur gewisse Laute der fremden Sprache erklären helfen, sondern als eine solche, die den Schüler überhaupt zu einem tieferen, gründlicheren

Die Anfangsgründe im Französischen auf phonetischer Grundlage, 121

Verstäiidnis des Sprechens und der Sprache (auch seiner Muttersprache) befähigen soll.''

Aus dieser Auffassung der Verwertung der Phonetik in der Schule ergibt sich schon, dass Badke aufs eingehendste die Sprach- laute und deren Bildung erörtert. Er bespricht die Laute in folgender Reihenfolge: I. Verschlusslaute (stimmlos). II. Reibelaute (stimmlos). III. Vokale (Töne). IV. Stimmhafte Konsonanten. V. Zitterlaute. VI. Nasenlaute: a) Nasal konsonanten; b) Nasalvokale. Hierauf folgt die Zusammenstellung der Laute des Französischen und die Übersicht des französischen Lautsystenis (im Anschluss an Bell-Sweet).

Badke sucht die Schüler anzuleiten, die Eigentümlichkeiten der vorgesprochenen Laute, die Entstehung, Bildung und Benennung der- selben selbst herauszufinden. Zu diesem Zwecke stellt er meist Fragen, deren Beantwortung er den Schülern in den Mund legt. Die in ge- ordnetem Zusammenhange gewonnenen Laute lässt er am Schluss jeder Lautgattung zusammenstellen und später mit den anderen Lauten ver- gleichen. Es würde zu weit führen, näher hierauf eingehen zu wollen; nur einzelnes sei daraus erwähnt: Bei der Besprechung der Vokale untersucht Badke jeden Laut bezüglich der Zungenstellung, Lippen- stellung und Kiefernweite. Ferner hat der Schüler das Wesen der engen oder geschlossenen und der weiten oder offenen Vokale an folgenden Beispielen festzustellen: Hiebe Eirie; Heda ^n; H(ü>e (frz. femme); hoch korb; Hugo kurz; Höhle Hölle; Hüte Hütte.

Zur Bildung der stimmhaften Konsonanten spricht Badke in singendem Tone lang angehaltenes a vor, indem er hierauf den Ver- schluss der entsprechenden stimmlosen Laute pik eintreten lässt.

Der Verschluss wird so lange angehalten, bis der Mund bis zur betreffenden Ansatzstelle mit Luft gefüllt ist, dann öffnet sich der Verschluss und a ertönt wieder, und so fort. Wird dann a fortge- lassen, so entstehen die stimmhaften Laute b d g, und so entsprechend auch die Reibelaute.

Um die Schüler das Schwingen der Stimmbänder fühlen zu lassen, weist Badke auf die bekannten Hilfsmittel hin: Auflegen der Finger auf den Keilkopf, Verschliessen der Ohren mit den flachen Händen, Auflegen der flachen Hand auf den Schädel.

Die Nasenlaute übt Badke im Anschluss an die Verschlusslaute ein, indem er die Schüler veranlasst, die im Mund befindliche Luft nicht wie bei obigen Lauten durch Lösung des Verschlusses aus dem Munde, sondern unter Beibehaltung derselben durch die Nase entweichen zu lassen. Zum Unterschiede von den deutschen Nasalkonsonanten bespricht er alsdann die Nasalvokale, welche den einfachen offenen Vokalen entsprechen.

Verweilen wir nun bei diesem I. Teil der Badke'schen Abhand- lung, so müssen wir anerkennen, dass sie mit grosser Sorgfalt und Genauigkeit die Lautbildung und die Beziehung der einzelnen Laute zu einander erörtert. Seinen Grundsatz, „den Schülern eine feste phonetische Grundlage zu geben, auf die sich der Lehrer bei Bildung und Einübung der spezifisch französischen Laute zurückbeziehen kann", hat er genau bis ins Einzelne durchgeführt. Jedoch ist meine Ansicht, dass sich in dem Alter, in welchem unsere Schüler Französisch zu lernen anfangen, auch eine sichere phonetische Grundlage legen lässt, ohne allzu sehr in die Einzelheiten einzudringen. Die Antworten, welche Badke seinen Schülern in den Mund legt, scheinen mir auch bisweilen über das Verständnis eines Durchschnitts -Quintaners hinauszugehen.

122 ReferaU und Rezension/m^ M, Walier,

Wir müBsen ferner dajran denken, dass im jugendliehen Alter die Nachahmung des gesprochenen Wortes noch eine viel grössere Rolle spielt als im spätiaren Alter, wo diese Fähigkeit mehr und mehr nachlässt.

Ich bin der Ansicht, dass beim A&fangsunterricht da die Phonetik eintreten soll, wo die bloßse Nachahmung nicht genügt, und wo das wahre Wesen der Laute dem Schüler erst erschlossen werden muss, damit er zu einer dauernd richtigen Aussprache der betreffenden L^iute gelange.

Dies gilt in Mittel- und Süddeutschland besonders für die do wichtige Unterscheidung der Konsonanten in stimmlose und stimmhafte.

Die Hauptsache bei dem Aussprache -Unterricht ist aber die, dass der Lehrer neben einer genauen Aussprache zugleich eine genaue Kenntnis der Vorgänge besitzt^ welche beim Sprechen in Betracht kommen und zur Erzeugung reiner Lautbildung führen.

Weiss der Lehrer seine eigene Aussprache genau zu zergliedern, kennt er das Verhältnis der verwandten Laute in den verschiedenen Sprachen und die Gründe für die von einander abweichende Klang- wirkung, so wird er, auch ohne den Schjälern selbst besonders ein- gehende phonetische Kenntnisse zu übermitteln, dennoch in der Lage sein, aufs vorteilhafteste gegen di« jaus dem Dialekt der Muttersprache in die fremde Sprache übergehenden Fehler anzukämpfen. Der erste Grundsatz scheint mir hierbei nvix der zu sein, dass der Lehrer uu- nachsichtlich alle Nachlässigkeiten der Aussprache zurückweisen, alle Fehler hören und die Schüler zum H/>£en und Erkennen der Fehler anleiten muss.

Bei der Säuberung der deutschen Aassprache wird es alao be- sonders auf unaufhörliches reines Vorsprechen, genaue Artikulations- übung^i und vieles Nachsprechen und Lesen ankommen, wobei jeder Fehles*, selbst auf die Gefahr hin, zunächst fortwährend zu unter- brechen, sofort beseitigt werden muss. Hierdurch wird auch das G^ör und die Aufmerksamkeit der Schüler aufs schärfste .auf die Spreejh- und Lesefehler der Klasse gelenkt. Bei der fremden Spraöhe tritt ebenfalls die Nachachmung der genau und rein v$>rge&prochenen Laute in den Vordergrand. Sobald aber die Eigenheiten neuer Laute oder der von den verwandten deutschen Lauten abweichenden fremden Laute nicht durch die Nachahmung allein erfasst werden, tritt als Hilfe die Phonetik ein, welche eine dem Verständnis des Schülers an- gepasste Erk^ung über die Bildung des Lautes bietet. So lernt disr Schüler diese vom Deutschen abweichenden Laute erst mit Bewusst- sein richtig nachbilden, um sie nach vielfachem Hören und Nachsprechen späterhin auch unbewusst richtig wiederzugeben. In den Fällen, wo der Lehrer zur leichteren Nachahmung phonetische Winke gibt, wird dann bei den vorkommenden Fehlern nicht nur ein einfaches Verbessern eintreten müssen, sondern stets auf den Grund des Fehlers zurückzu- gehen sein.

Natürlidh ist es bei den heutigen Verhältnissen noch ein Not- behelf, wenn der Lehrer^ welcher Aussprache des Französischen lehren soll, noch überall gegen die Fehler der deutschen Aussprache zu kämp&n und das Gehör der Schüler für Lautunterschiede im Deutschen zu schärfen hat. Daher ist der Wunsch, den Badke ausspricht, und der in der letzten Zeit schon vielfach durch Wort und Schrift betont worden ist, nur allzu sehr berechtigt, dass nämlich der Elementar- unterricht im Deutschen mehr dahin streben mög«, den Schülern eine guie Aussprache der Muttersprache in Fleisch und Blut übergehen zu

Die Anfangsgründe im Französischen auf phonetischer Grundlage. 103

lassen. Hier wird es bei den verschiedenen dialeküscben Eigenheiten, die uns von Natur aus mehr oder weniger anhaften, Aufgabe des YolksschuUehrer-Seminars sein müssen, die Phonetik als einen wesent- lichen Zweig des Unterrichts in den Lehrplan aufzunehmen. Werden die jungen Seminaristen streng lautlich geschult und mit den wichtig- sten Kenntnissen der Phonetik vertraut gemacht, so wird eine günstige Einwirkung auf die Aussprache ihrer Schüler nicht ausbleiben. Ver- gegenwärtigen wir uns dann, dass die im sechsten Jahre in die Elementar- schule eintretenden Schüler von Lehrern unterrichtet werden, die alle im Dialekt der betreffenden Gegend begründeten, sowie alle individuellen Fehler genau erkennen und sich stets vor ihren Schülern der reinsten Aussprache bedienen, so wird der Schüler zu einer festen Gewöhnung an eine gute Aussprache des Deutschen gelangen, auch wenn er in der Familie den Dialekt immer weiter hört und spricht. Die durch Lautier-, Sprech- und Leseübungen geförderte und in allen anderen Schulstunden gepflegte gute Aussprache des Deutschen wird dann auch der Orthographie zu gute kommen. Denn überall wo Laut und Schrift übereinstimmen, muss der Schüler ohne sich die Schriffczeichen ge- dächtnismässig durch Anschauung angeeignet zu haben, durch die scharfe Schulung des Gehörs beföhigt sein, aus dem sicher erkannten Laute auf den Buchstaben zu schliessen. Damit wird zugleich das Ge- dächtnis wesentlich entlastet.

Haben so unsere Schüler eine mehrjährige gründiliche lautliche Schulung im Deutschen durchgemacht, ehe sie zur Erlernung der fremden Sprachen übergehen, so wird sich hierauf der Unterricht in der Aussprache der fremden Sprachen viel leichter und sicherer auf- bauen lassen.

Im IL Abschnitt geht Badke zu den französischen Lauten im Worte und Satze über. Nachdem der Sdiüler durch die im 1. Ab- schnitt bezeichneten Übungen eine feste phonetische Grundlage ge- wonnen hat, ist es nunmehr die Aufgabe des Lehrers, dem Schüler die besonderen Lautföxbungen der französischen Laute in ihrer Abweichung von den „Grundlauten" zu lehren.

Erst lässt Badke die Einzellaute üben und sie dann zu Wörtern zusammenstellen. Wenn Badke sagt, dass bei diesen Übungen die Bedeutung der Worte noch ganz übergangen werden kann, so möchte ich dagegen erwidern, dass es mir pädagogisch richtiger erscheint, wenn der Schüler erst die Bedeutung dessen, was er nachsprechen soll, erfährt und so einen bestimmten Sinn damit verbindet. Dies geschieht eben dadurch, dass er im Anfang eine genaue Übersetzung des Textes erhält, der zur lautlichen Einübung ausgewählt wird. Mit Kecht weist Badke darauf hin, dass der Lehrer besondere Aufmerksam- keit der Unterscheidung der stimmlosen und stimm hafben Konsonanten, namentlich im Auslaute und zwischen Vokalen zuwenden müsse.

Ebenso verweist er auf die Bedeutimg der Länge oder Kürze der Silben und Vokale» und auf die Natur des Vokals (ob geschlossen oder offen) die oft noch im Unterricht vernachlässigt werde.

„Kein langer oder geschlossener Vokal darf durchgehen, wo ein kurzer oder offener stehen sollte, dean das Übel ist unausrottbar, wenn es sich erst eingenistet hat." Nach der Übung der Laute und einzelner dem ersten Lesestück entnommenen Wörter geht Badke zum Lesesttick über, „bei dessen Einübung besonders 4ie Gleitlaute und der gehauchte französische Stimmansatz neben der eigentümlichen Betonung der Satztakte zu beachten ist." Als erstes Leseetück hat der Verfasser einen Abschnitt nach Jost und Humbert's Lectures praUfues zu-

124 Referate und Rezensionen. M. Walter ,

sammengestellt: Le corps humain. In dem von Badke wiedergegebenen Abschnitte befindet sich die Beschreibung des Kopfes. Badke schreibt die einzelnen Sätze in Lautschrift nieder, deren Zeichen der Schüler auf den Lauttafeln kennen gelernt hat. Durch senkrechte Striche be- zeichnet er die Sprachtakte. Die einzelnen Wörter der Sprachtakte werden durch Bindestriche mit einander verbanden.

„Der Satz wird nach den bezeichneten Sprachtakten einzeln und dann im Chor bis zu vollendeter Sicherheit eingeübt. Erst dann werden die Takte in Worte aufoelöst, und deren Bedeutungen durch- genommen und durch öfteres Vorsprechen und Abfragen sofort ein- ffepräfft/ Natürlich müssen hierbei die Sprachtakte im Anfang recht klein oemessen werden, damit sie der Schüler lautlich rein nachzu- ahmen vermöge. Sobald auch hier Schwierigkeiten vorliegen, halte ich es für angemessen, auf die Einübung der Einzelwörter und Einzel- laute zurückzugehen, die dann zur zusammengehörigen Lautgruppe verbunden werden. Eine fortgesetzte Übung der Artikulation der Einzellaute empfiehlt sich besonders da, wo der heimische Dialekt der Aussprache der fremden Sprache Schwierigkeiten »bereitet. Daher ist es auch aus diesem Grunde gut, anfangs jedes Wort in seine Einzel- laute zerlegen und diese an der Lauttafel angeben zu lassen. Der Lehrer, der sich der Lautschrift im Unterricht bedient, wie es auch Badke thut, wird dann nur vor den Augen der Schüler die an der Lauttafel angegebenen Lautzeichen zu Worten zusammenzustellen haben. Durch dieses Verfahren geht die Lautschrift in natürlicher Weise aus der genauen Einübung der Einzellaute hervor, und es bietet den Vorteil, dass sich der Schüler über den Wert eines jeden Lautes völlig klar werden muss. Die in Badke' s Text enthaltene ausführliche Beschreibung des Kopfes bringt zum Teil seltene Wörter und scheint mir überhaupt als erstes Stück wenig geeignet. Ich ziehe kleine Ge- dichte und Erzählungen vor, an die sich alsdann Beschreibungen (bei uns benutzen wir dazu die Hölzel'schen Anschauungsbilder der vier Jahreszeiten) anschliessen. Jedenfalls wäre es Kollegen, die noch keine Versuche damit gemacht haben, den Unterricht in den neueren Sprachen mit einem zusammenhängenden Stück zu beginnen, nur zu empfehlen, im Anfang einige kleine Gedichte lernen zu lassen, deren Aneignung durch Reim und Rhythmus sehr erleichtert wird und dem Schüler grosse Freude macht. Wir haben in dieser Hinsicht mit den in Kühnes Französischem Lesebuch und in Dörr und Vietor's Eng- lischem Lesebuch^) befindlichen kleinen Kindergedichten sehr gute Er- fahrungen gemacht. Von grossem Werte ist es, dieselben Lautver- bindungen recht häufig wiederholen zu lassen, damit sie jedem Schüler ganz ge^ufig werden. Die Übungen an den kleinen Gedichten und Lesestücken lassen sich besonders unter Benützung der Lauttafeln so anregend gestalten, dass der Schüler genug Abwechslung hat und die Gefahr der Ermattung durch längere Beschäftigung mit demselben Stoff ausgeschlossen ist.

Badke gibt nun gleich beim ersten Stück eine ganze Zahl grammatischer Bemerkungen. Ich bin der Ansicht, dass man sich in der ersten Zeit nur mit der rein lautlichen Schulung befassen soll, und dass der Lehrer erst dann, wenn schon genügend Stoff verarbeitet ist, zur grammatischen Ausbeutung desselben übergeht. Es soll dann aber auch noch langsam vorgegangen und erst das gewonnen werden,

^) Beide Bücher sind seit Ostern 1888 an unserem Realgymnasium eingeführt.

Die Anfangsgründe im Französischen auf phonetischer Grundlage, 125

was der Schüler auf dem Wege der Indaktion unter Anleitung des Lehrers selbst zu finden und zu erkennen vermag. Ein weiterer Schritt ist dann der, dass er die selbst gewonnenen grammatischen Kenntnisse auch richtig anzuwenden vermag, und dies geschieht im engsten An- schluss an die fremde Sprache selbst, nicht durch übersetzen aus dem Deutschen in die fremde Sprache, welches aus dem Anfangsunterricht auszuschliessen ist.^)

Da ich die Herstellung der fremden Sprache aus dem Deutschen nicht zu billigen vermag, sondern der Ansicht bin, dass das Deutsche nur zur Erklärung und zum Verständnis der fremden Sprache herbei- gezogen, im übrigen aber aus dieser allein die Kenntnis derselben ge- schöpft werden soll, so kann ich mich auch mit den Fragen nicht ein- verstanden erklären, bei denen Badke der Übersetzungsmethode folgt, so z. B.: n^^ie ist von dem Menschen, von dem Körper, zu dem Körper zu übersetzen?'' Die vorkommenden Verbindungen mit Präpositionen werden eben zuerst wörtlich, dann im guten Deutsch gegeben, und so findet der Schüler nach einer Anzahl von Fällen selbst heraus, dass das Französische keine Deklination kennt, sondern zur Kasusbezeichnung die Präpositionen de und ä verwendet.

Welche Freude es den Schülern macht, den Lesestoff auf be- stimmte grammatische Erscheinungen hin zu untersuchen und die Ge- setze unter Leitung des Lehrers selbst zu gewinnen, davon wird sich jeder überzeugen können, der ohne Vorurteil an eine ehrliche Probe des induktiven Verfahrens herangeht.

Diese Freude am Selbstfinden ist ein grosser Sporn für den Schüler und erhöht das Interesse ausserordentlich, ganz abgesehen davon, dass das durch eigene Erfahrung Gewonnene und der fremden Sprache Eigenartige sich auf diesem Wege viel fester einprägt als durch Übersetzung eigens zur Einübung von Regeln berechneter un- zusammenhängender Einzelsätze.

In den Sprechübungen zur Wiederhohina, welche sich an die Durchnahme des Lesestückes anschliessen, stellt Badke Fragen nach dem Inhalt. Die in der Frage enthaltenen neuen Wörter lässt Badke der Bedeutung nach einüben und einprägen, bevor die Fragen gestellt werden. Ich kann dies nicht billigen; denn damit nimmt der Lehrer manches voraus, was der Schüler beim Hören der ganzen Frage selbst zu finden vermag. Ausserdem wird die Aneignung neuer Wörter im Zusammenhange mit schon bekannten, wesentlich erleichtert, da der Schüler mit der gewonnenen Vorstellung zugleich auch den neuen Worten die entsprechende Bedeutung beilegen lernt. Das ist ja auch gerade der grosse Vorteil des zusammenhängenden Lesestoffes, dass die Wörter sich viel schneller und fester dem Gedächtnis einprägen, weil sie sich an geordnete Vorstellungsreihen anlehnen, die sich der Schüler leichter zu behalten vermag, während z. B. bei den unza- sammenhängenden Einzelsätzen der fortwährende Wechsel von Vor- stellungsreihen dazu führt, dass Inhalt und Form gewissermassen von einander losgelöst werden und der Schüler nur Worte der einen Sprache

1) Denjenigen Kollegen gegenüber, welche behaupten, dass eine grammatische Schulung in der fremden Sprache nur durch Übersetzen aus dem Deutschen in die fremde Sprache möglich wäre, möchte ich auf die in meinem Entwurf eines Lehrplans Der französische Klassen- Unterricht Marburg, 1888 (El wert) für unsere Schule festgesetzten Übungen hinweisen, welche bezwecken, die Grammatik der fremden Sprache aus ihr selbst lernen zu lassen. (S. 81 61.)

126 Referate und Rezensionen» M, Walter,

duifch die der anderen meohamsch wiedergeben lernt, ohne dass im Gedächtnis eine enge Verbindung zwischen Vorstellung und sprach- lichem Ausdruck hergestellt wird.

Badke stellt alle Übungen nur mündlich an und lässt bei den ersten Stücken noch gar nichts schreiben: „Da? Ohr der Schüler wird bei diesen Übungen an die riebtige Aussprache der Laute und Laut- komplexe gewöhnt, die sichere Aneignung derselben durch kein Schrift- bild gestört, und das ist zunächst das Wichtigste.'' »Auf lautliche Erscheinungen kommt man immer wieder zurück; sie werden mit grÖBster Gewissenhaftigkeit eingeübt, wiederholt und befestigt«

Man wird auf diese Weise zuerst scheinbar langsamer vorwärts kommen, als z. B. mit den bei Plötz portionsweise Torgeschnittenen Tagesrationen^ aber die Schüler werden in anderer Zusammenstellung in kurzer Zeit manches lernen, was ihnen, obwohl es für die einfachste vernünftige Satzbildung sehr wichtig ist, dort lange vorenthalten bleibt, und sie zum Verweilen bei ermüdenden, und den Verstand einschläfern- den Sätzen zwingt. Einzelne Verbalformen, selbst von sogenannten un- regelmässigen Verben, werden als Vokabeln gelernt.

Allmählich stellt man dann einzelne Tempora des regelmässigen Verbs, und wo die unregelmässigen mit ihnen übereinstimmen, wie z. B. in manchen Formen des Präsens, im Imperfekt u. s. w. schematisch zusammen, und übt sie auch einmal im Zusammenhange durch. Überall aber hält man die Schüler dazu an, durch eigenes Nachdenken, von der Form eines Verbs aus die des andern zu finden."

Hiermit bin ich vollkommen einverstanden, auch freut es mich, dass Badke besonders hervorhebt, dass ,,die Schüler nach diesem Verfahren ein viel regeres Interesse am Unterricht bethätigen, als wenn sie einen bestimmten Vokabelvorrat zu Hause mechanisch dem Gedächtnis einpifägen und in der Schule sich an nichtssagenden Sätzen üben."

„Die Plötz'sche Methode macht die Arbeit nur dem Lehrer leicht, nicht dem Schüler; interessant aber keinem von beiden."

Beim später erfolgenden Übergang zur gewöhnlichen Orthographie, die Badke möglichst hinauszuschieben wünscht, „damit die Schüler um so weniger durch das Auge irregeleitet werden, und desto sicherer das Lautbild festhalten", sucht Badke auch sogleich die Beziehungen zwischen Laut und Schrift zu ermitteln. Ich bin auch hier der An- sicht, dass der Schüler erst durch vielfache Anschauung und Schreib- übungen die Orthographie einiger bisher lautlich durchgenommener Stücke erlernen soll, ehe er die Kenntnis des Verhältilisses zwischen Laut und Schrift nach und nach allmählich aus dem nach Laut und Schrift durchgearbeiteten Sprachstoff selbst gewinnt.

Dies gilt z. B. für Regeln, welche Badke gleich am ersten Stück entwickelt, wie: »Vor Lippenlauten wird der Nasalvokal immer durch m bezeichnet, (vgl. latein. imbuo statt i»buo) oder in komme zeigt die Verdoppelung des m einmal an, dass das m hier seinen ihm zukommen- den Laut behalten soll) dann aber auch, dass der vorhergehende Vokal kurz ist.'' Diese Beziehungen gleich zu lernen, ist schon deshalb nicht nötig, weil ja im Anfangeunterricht, wie es auch Badke thut, das Lesen immer erst folgt, nachdem der Text bei geschlossenem Buche lautlich verarbeitet worden ist. Wenn der Schüler liest, so kennt er die Laute schon ; er kann dann seine Aufmerksamkeit auf das neu Hinzukommende, die Orthographie, lenken. Dass deren Aneignung hauptsächlich auf mechanischem Wege erfolgen müsse, gibt auch Badke zu.

Zum Schluss stellt Badke einige Gesichtspunkte zusammen, welche

Die Anfangsgründe im Französischen auf phonetischer Grundlage. 127

der Einübung der Orthographie förderlich sein können, und hebt dann nochmals die 'Vorteile des neuen Unterrichtsverfahrens dem alten Ver- fahren gegenüber hervor. In den Anmerkungen gibt der Verfasser weitere Ausführungen zu einzelnen Punkten seiner Abhandlung.

Hierin offenbart sich eine ausserordentlich feine Beobachtungs- gabe lautlicher Erscheinungen und eine gründliche Kenntnis des Laut- bestandes und der Lautbildung der verschiedensten Sprachen, die der Verfasser zur Vergleichung und Bölehrting heranzieht.

So wird kein Kollege diese Arbeit aus der Hand legen ohne vielfache Anregung und Belehrung daraus geschöpft zu haben.

M. Walter.

Miszelle.

Verein fttr das Studium der neueren Sprachen

in Hambnrg-Altona.

Der Verein zählte im Vereinsjahr Ostern 1888 bis Ostern 1889 etwa 45 Mitglieder. Der Vorstand bestand aus den Herren: Ober- lehrer Dr. Paul (Vorsitzender), Günzel (stellvertr. Vorsitz.), Kraft (Schriftführer), Dr. Schnell (Bucherwart), Dr. Carstens (Kassierer), im Winter Professor Dr. Wen dt. Die Sitzungen fanden allwöchent- lich statt und wurden durch Vorträge, Referate und Lektüre ausgefallt.

1. Vortrige.

Zur Einleitung in die Lektüre:

a) Oberlehrer Dr. Paul: Der Fokalismus des Dänischen.

b) Dr. Nissen: Formenlehre des Dänischen. Oberlehrer Dr. Fernow: Reisebericht über Birmingham. Schulvorsteher Krüger: Reisebericht über Däfiemark^ speziell Kopen- hagen.

Professor Dr. We n d t : Ein Besuch auf den normannischen Inseln. Oberlehrer Dr. Paul: Bolberg's Leben und Werke, zur Einleitung in die Lektüre. 8. Referate. Dr. Carstens: Das wissenschaftliche Studium der netteren Sprachen an

der Universität Cambridge (Englische Studien). Oberlehrer Dr. Fernow: Shakespeare und Shakspere. Zur Genesis der Shakespeare - Dramen. Von Graf Vitzthum von Eckstädt. Stutt- gart, 1888. Cotta'scher Verlag. In regelmässiger Folge referierten die Herren Prof. Dr. Rambeau über die Romania, Prof. Dr. Wen dt über die Anglia, Dr. Lange über die Phonetische Studien und Dr. Carstens über die Englische Studien. 8. Die Lektttre beschäftigte sich mit dem Dänischen, (belesen wurden im Sommer Hostrup, Gjenboeme, im Winter Holberg, Den politiske Kandstöber und Ibsen, Den Folkefjende. Im Sommersemester 1889 wird der Verein Chaucer, The Canterbury Tales lesen.

4. LeseairkeL Der Verein hält in seinem Lesezirkel die hervor- ragendsten Zeitschriften auf dem Gebiet der französischen und eng- lischen Sprache und Litteratur.

Zum dritten allgemeinen deutschen Neuphilologentag entsandte der yerein Herrn Prof. Dr. Wen dt mit dem Aufkrage, bei allen den neusprachlichen Unterricht betreffenden Fragen den Verein im Sinne einer besonnenen Reform zu vertreten.

Der Vorstand für das nächste Semester wird bestehen aus den Herren Dr. Schnell (Vorsitz, und Bücherwart), Dr. Nissen (stellvertr. Vorsitz.), Dr. Bönsel (Schriftführer), Prof. Dr. Wen dt (Kassierer).

Fe. Kraft.

i

Referate und Rezensionen.

Ristelhnber, P., Heidelberg et Strasbourg, Recherches biogra- phiques et littiraires sur les ^tudiarUs cdsaciens immatri- cules ä Vuniversiti de Heidelberg de 1386 ä 1662. Paris, 1888. Eraest Leroux. 141 S. gr. 8°.

An die litterarischen Festgaben, welche zu der Feier des fünfhundertjährigen Bestehens der Universität Heidelberg vor bald drei Jahren von nah und fern dargebracht wurden, schliesst sich, wenn auch nicht genau der Zeit, so doch der freundlichen Ab- sicht des Verfassers nach, obige Arbeit in willkommener Weise an.

Der in Strassburg geborene und daselbst vielseitig thätige Schriftsteller Paul Ristelhüber ist in ihr den engen Beziehungen, welche sein Heimatland, das Elsass, in einer langen und wichtigen Periode mit der nahegelegenen und berühmten Universität am Neckar unterhalten hatte, sorgsam nachgegangen und hat ein voll- ständiges Verzeichnis der elsässischen Studenten aufgestellt, welche in Heidelberg in den drei ersten Jahrhunderten nach der Gründung des Studium generale Anregung und Belehrung gesucht haben.

Diese Liste ist unter Zugrundelegung der Universitäts- matrikel, also in streng urkundlicher Weise, angefertigt. Er- läuternd und ergänzend sind vielen Namen der zahlreichen Besucher genaue biographische und litterarische Nachweise bei- gegeben, durch welche an verschiedenen Stellen die Angaben früherer Forscher berichtigt oder vervollständigt werden. Diese dankenswerten Mitteilungen beziehen sich übrigens nicht bloss auf die Studenten. Neben Lernenden hatte das Elsass frühe auch Lehrende nach Heidelberg entsandt, und unter ihnen hatten nicht weniger als neun das Amt als Rektoren der Universität bekleidet. Mit ihnen beginnt das Buch und gibt über sie, be- sonders auch über die zwei bekanntesten, Jakob Wimpheling aus Schlettstadt und Jakob Micyllus aus Strassburg, eingehende, aus

Zschr. t fn. Spr. n. Litt. X^. 9

130 Referate vnd Rezensionen. Th. Süpfle,

den unmittelbarsten Qaellen geschöpfte, Nachweise in chronolo- gischer Reihenfolge.

Auf das Verzeichnis der elsässischen Rektoren folgt das natürlich weit umfangreichere der elsässischen Studenten, gleich- falls genau der Zeit nach geordnet. An erster Stelle werden die aus Strassburg stammenden Studierenden aufgeführt, dann die- jenigen aus Unter- und Ober-Elsass. Von besonderem Interesse sind die Mitteilungen, welche zu den Namen derjenigen hinzugefügt sind, welche später durch ihre litterarische Bedeutung hervor- traten und so der Universität Heidelberg ihren Dank auf das würdigste ausdrückten. Wir erwähnen namentlich die Ergänzungen, welche Ristelhüber über Grib, Nachtgall und Schach gegeben hat.

Unter den zahlreichen jungen Elsässern, welche zu der Alnia mater am Neckar pilgerten, hatten sich mehrere schon in den allerfrühiesten Zeiten eingefunden. Einer, Werner Rynow aus Strassburg, war Sogar gleich im Grtindungsjahr gekommen.

Wenn wir richtig gezählt haben, so beträgt die Zahl der von 1386 1667 immatrikulierten, aus dem Elsass stammenden Stttdiierenden nicht weniger als neunhundert. Im 16. Jahrhundert, der Glanzperiode der Universität, war der Besuch am zahlreichsten, im 17. Jahrhundert war er aus begreiflichen Gründen am schwächsten.

Als Zugabe hat Ristelhüber auch noch für den Zeitraum von 1705 1809 die Namen der inskribierten Elsässer beigefügt. Diese gehörten nun politisch zu Frabkreich, und so ist es nicht zu verwundern, dass ihre Zahl in diesem langen Zeitraum vier- unddreissig nicht überstieg.

Auf Grund eigener Forschungen bemerken wir, dass auch späterhin der elsässische Besuch nicht mehr ein bedeutender wurde. Trotz der neuen Blüte, welche für Heidelberg bald nach seiner Vereinigung mit dem Grossherzogtum Baden begann, war der Zufluss aus dem Elsass ein sehr schwacher. Während die grosse Anziehungskraft von Männern wie Zachariä, Kreuzer, Schlosser, Chelius, Vangerow und dem Geschichtsforscher Häusser aus ganz Europa und selbst aus Amerika Zuhörer herbeiftihrte, kamen in den Jahren 1810 1847 nur achtundzwanisig Studenten ans dem benachbarten Elsass. Ähnlich blieb das Verhältnis bis zu dem Ausbruche des Krieges 1870 1871. Als das Elsass nun wieder deutsch wurde, trat nicht, wie man an und für sich er- warten konnte, ein neues mächtiges Zuströmen nach Heidelberg oder eine andere benachbarte Universität ein. Durch die Gründung der Landesuniversität Strassburg blieben die Elsässer vielmehr von den Universitäten Alt-Deutschlands erst recht fern.

Man würde Übrigens sehr irren, wenn man glaubte, dass von der Westgrenze her bloss die deutschen Elsässer und die

P. Ristelhuher, Heidelberg ei Strasbourg. Recher ches biogr. etc, 131

gleichfalls deutschen Lothringer über den Rhein an die Univer- sität am Neckar gewandert seien. Es kam seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts auch eine beträchtliche Zahl Stu- dierender aus dem eigentlichen Frankreich. Dieser national- französische Besuch, welcher in seinem Auf- und Absteigen ein ähnliches Verhältnis wie derjenige aus dem Elsass zeigt, bildet einen nicht unwichtigen kulturhistorischen Berührungspunkt zwischen Frankreich und Deutschland. Da er bis jetzt kaum als Thatsache, noch viel weniger in seinen einzelnen Momenten beachtet worden ist, wollen wir die gegebene Gelegenheit be- nutzen, um auf Grund der Matrikel und anderer Akten der hiesigen Universität einige nähere Nachweise hierüber zu geben.

Den ersten Anstoss zu französischem Besuche der Heidel- berger Hochschule gab jene folgenreiche religiöse Bewegung, durch welche überhaupt Deutschland sich zuerst in seiner inneren Grösse vor Europa geoffenbart hat. Während vor der Refor- mation kein einziger Franzose des Studiums halber in die Musen- stadt am Neckar gezogen war, so strömten seit der Mitte des 16. Jahrhunderts reformierte Angehörige dieses Volkes ungefähr siebzig Jahre lang in fast immer wachsender Zahl herein.

Die ersten derselben kamen in einer durch Kriegsunruhen und verheerenden Krankheiten für den Besuch Heidelbergs un- günstigen Zeit, nämlich in dem Jahre 1553. Es waren drei junge Adelige aus Besan9on, nämlich Claude, Guillaume und Jean de Montefort. In demselben Jahre kam auch noch ein junger Burgunder, Claudius Bocecius, welcher in Paris artium licentiatus geworden war. Im Jahr 1557 kam ein Südfranzose, Petrus Jor- danus, aus Toulouse, im folgenden Jahre ein Student aus Bou- logne, und am 6. Juni 1558 die zwei ersten Pariser Studenten, deren einer von vornehmer Geburt war, nöbüis et patrtctus, wie es in der Matrikel heisst, nämlich Johannes San- drasius. So belohnte sich also sofort durch Zuzug aus Frank- reich die Erneuerung, welche der entschiedene Anhänger der lutherischen Lehre, Otto Heinrich der Grossmütige, in eben diesem Jahre der Universität hatte angedeihen lassen, indem er sie dem mittelalterlichen Scholastizismus entrückte, um sie auf die Höhe der wissenschaftlichen und kirchlichen Bewegung seiner Zeit emporzuheben.

Als nach seinem Tode mit Friedrich III. ein neues Fürsten- geschlecht zur Herrschaft kam, begann für Heidelberg und die ganze Pfalz eine an umfassender Wichtigkeit noch reichere Epoche. Nach aussen hin trat das Land nicht bloss in Deutschland, sondern auch in Europa in den politischen Vordergrund. Im Innern blühte alles, Wissenschaft, Kunst, Poesie und feine Bil-

9*

132 Referate und Rezensionen, Th. Süpße,

düng. Die Zierlichkeit Italiens und die Eleganz des französischen Lebens die meisten Prinzen des pfälzischen Hauses waren in Frankreich erzogen worden schlug in der Pfalz ihren Wohn- sitz auf.

All dies wirkte einladend auf das Zuströmen von Ausländem, noch mehr aber die Einführung des Kalvinismus, dessen be- geisterter Held Friedrich HI. war. Heidelberg wurde nun neben Genf die einzige Zufluchtsstätte, und seine Universität die einzige Bildungsstätte für die aus Frankreich vertriebenen Reformierten, sowie für viele Italiener, Schweizer und Niederländer. Gerade damals hatte durch den Zufluss vieler ausgezeichneter Lehrer die Hochschule einen Ruf wie keine andere jener Zeit erlangt.

In der nun eingetretenen Glanzzeit bildeten die französischen Studenten wir scheiden diejenigen aus der französischen Schweiz aus zunächst der Zahl nach ein recht ansehnliches Element. In der Zeit von der Mitte bis zu Ende des 16. Jahr- hunderts haben nicht weniger als dreihundert Franzosen die Uni- versität besucht. Ein Jahr tritt in diesem Besuche besonders hervor: das Jahr 1586, in welchem 63 Franzosen hier studierten.

Ihrer Herkunft nach sind in obiger Gesamtzahl die meisten Provinzen Frankreichs vertreten, zunächst die östlichen, aber auch die nördlichen, besonders die Champagne mit Sedan, die Pikardie, die Normandie, dann der Süden bis zu B6am; nicht wenige kamen aus Lyon und Ntmes. Aus der Hauptstadt des König- reiches kamen 42 Studenten, darunter im Jahr 1567 zu gleicher Zeit vier Brüder Harl6. Einige waren übrigens zu jung, um den vorgeschriebenen Eid bei der Aufnahme zu leisten.

Dem Stande nach waren sowohl die höheren als die niederen Klassen vertreten; unter letzteren wurden mehrere als pauperes angeführt und unentgeltlich immatrikuliert.

Das Fachstudium, welchem die einzelnen französischen Studenten oblagen, ist, wie bei allen anderen überhaupt nur ganz ausnahmsweise in jener früheren Zeit in der Matrikel angegeben. Doch kann man mit Sicherheit annehmen, dass die allermeisten Theologie studierten. Einige allerdings werden ausdrücklich als Juristen bezeichnet. Im Jahre 1586 studierte ein Burgunder Medizin.

Wie die anderen ausländischen Studenten hatten die fran- zösischen neben den gewöhnlichen Öffentlichen Vorlesungen auch ihre privata collegiay logicüj physica, und theologica. Was aber die französischen Studierenden ganz besonders eigentümlich hatten, das war ein besonderer Gottesdienst, der für sie in ihrer Sprache eingerichtet wurde. Die Predigten fanden in dem theologischen Hörsaale statt, zunächst durch den Franzosen Daniel Toussaint, welcher Dekan der theologischen Fakultät war.

P. Ristelhuher, Heidelberg ei Strasbourg. Recherches biog?\ etc, 133

Überhaupt kamen in dieser Zeit Hugenotten nicht aus- schliesslich als Lernende nach Heidelberg, mehrere derselben lehrten auch, und zum Teil in hervorragender Weise. Wir nennen unter den Juristen Franz Bauduin und besonders den berühmten Hugo Donellius (Doneau), welcher 1576 das Rektorat bekleidete. Länger als er blieb in Heidelberg in der juristischen Fakultät Dionysius Godefredus aus Paris, der von 1598 1620 wirkte.

Auch in der theologischen Fakultät waren bedeutende Fran- zosen als Lehrer thätig. So Pierre Boquin, welcher in Witten- berg zu der lutherischen Lehre übertrat und im Jahre 1557 als Professor des neuen Testaments nach Heidelberg berufen wurde. Neben dem schon genannten Daniel Toussaint, welcher Theologe und zugleich Hofprediger war, ist sein gleichnamiger Verwandter zu nennen, der später in beiden Eigenschaften gleichfalls hier wirkte. Als Lehrer des Evangeliums war mit Erfolg auch Fran- ciscus Junius (Du Jon) thätig.

In der philosophischen Fakultät endlich lehrte hier, obwohl nur für kurze Zeit, der berühmte Bekämpfer der mit dem gefälschten Namen des Aristoteles prangenden scholastischen Methode des Unterrichts Petrus Ramus (Pierre de la Ramöe).

Nicht als Lehrer, sondern als politischer Unterhändler, kam 1574 der berühmte Schriftsteller Theodor von Beza in die Hauptstadt der Pfalz. Zu rein litterarischen Zwecken reiste der berühmte Philologe Claudius Salmasius (Saumaise) hierher, um die kurfürstliche Bibliothek zu benützen. Er erzählt, dass er während seines Aufenthalts immer zwei von drei Nächten auf der Bibliothek zubrachte, um die so seltenen Schätze so viel als möglich zu verwerten.

Auch mehrere französische Sprachmeister kamen an die Universität. Zuflucht suchten auch mehrere gelehrte Buchdrucker, wie z. B. Gommelin und Franciscus Stephanus (Etienne), der Sohn des berühmten Robert Stephanus. Sogar Buchbinder fanden Aufnahme. So steht unter dem 5. November 1599 in der Ma- trikel verzeichnet: Ludovicus Faher^ ParisiensiSy Compactor li- brorum, cum suis inscriptus ex senatus consulto.

Den jungen Franzosen folgten auch Tanzlehrer aus der Heimat nach. In der Matrikel ist im Jahre 1665 Pierre la Vil- lette als mattre de danse ä Vacadimie eingeschrieben.

Die zweite Periode des französischen Besuches hatte mit dem 17. Jahrhundert begonnen. Wir finden in diesem Zeit- räume infolge der grossen religiösen und politischen Umwälzungen natürlich nicht mehr die hohen Ziffern wie in der zweiten Hälfte des vorhergehenden Jahrhunderts. Gleichwohl weist die Ma- trikel, obschon die Angaben von dem Jahre 1663 1792 ver-

134 Referate und Rezensionen. Th. Süpfle,

loren gegangen sind und nur ganz teilweise ergänzt werden können, die noch immerhin stattliche Zahl von 209 französischen Studierenden auf.

Im Anfange dieses 17. Jahrhunderts war der französische Zuzug sogar stärker als zuvor. Der pfälzische Hof war nämlich unter Friedrich IV., der bei dem reformierten Herzog von Bouillon in Sedan erzogen worden war, nicht bloss fortwährend kalvi- nistisch, sondern er war auch stark mit französischer Sprache, Bildung und Sitte erfüllt. So kamen in der Zeit von 1600—1720 nicht weniger als 125 Franzosen. Diese waren vielfach aus Sedan, dem Sitze des strengsten Kalvinismus. Aber auch Paris hatte neunzehn Studenten entsandt.

Freilich folgte nur allzubald auf diese glückliche Zeit die Verödung und Verheerung durch den dreissigjährigen Krieg, welchem der Fürst, das Land, die Universität und die Bibliothek als ein trauriges Opfer fielen. Und als seit 1656 der Fremden- besuch der Universität sich wieder zu heben begonnen hatte, so wurde der Zuzug kurz nachdem Heidelberg und die Universität sich mildthätig gegen vertriebene Franzosen, nämlich gegen die 1685 und 1686 nach Aufhebung des Edikts von Nantes herbei- geeilten R6fugi6s, gezeigt hatte, durch die barbarischen Ver- wüstungen des orleanischen Erbfolgekriegs in betrübendster Weise gestört. Die Franzosen erwiesen Heidelberg schlimmen Dank für die in zwei Jahrhunderten wiederholt gegen Angehörige ihres Landea erwiesene Gastfreundschaft.

Den grossen Rückgang an fremden, französischen und anderen Studenten konnten die Verhältnisse des 18. Jahrhunderts nicht wohl hemmen. Italiener und Engländer fehlen in dieser dritten Periode ganz. Franzosen sind in der Zeit von 1703 bis zum Ende der kurpfälzischen Herrschaft nur in der kleinen Zahl von 43 eingeschrieben. In ihr finden sich wenig Nationalfran- zosen, vielmehr meist Lothringer, welche arm und Zöglinge der Jesuiten waren. Doch ist Paris durch 13 Studierende vertreten, welche meist Philosophie hörten. Die Mehrzahl letzterer, neun, kam allerdings mehr aus äusseren als wissenschaftlichen Antrieben. Sie suchten in den Jahren 1792 und 1793 offenbar Schutz vor den Ausschreitungen der in ihrem Lande wogenden Revolution. Einer und der andere derselben strebte hier sogar nach Gelegen- heit zu politischen Anknüpfungspunkten. So musste der Graf Saillant im Jahre 1794 wegen verbotener Werbungen aus der Universität ausgewiesen werden.

Wie die Franzosen die Universität und Stadt gegen Ende des 17. Jahrhunderts stark geschädigt hatten, so schlugen sie ihr im Anfang des 19. Jahrhunderts eine noch viel tiefere Wunde,

P. Risielhuber, ß^ideHifirff ei Strasbourg, Recherches biogr. etc. 135

iDdem sie m dem Frieden von LuneviUe alle Gitter und GefHUe^ welche die Hochechule jenseits des Bheins besass, iin sich rissen.

^ach dem Wiederaufblübeo der Universität unter dem neuen Fürsten, dem Gros9herzog von Qadep Karl Friedrio)}, kamen aUiP^hlich auch wieder Franzosen.

Der erste, welcher die nunmehrige Ruperto-Carola aufsuchte, war aus dem Rhein- und Mosel -Departement, er studierte 1809 lutherische Theologie. Bald auch zeigten sich wieder National- ftanzosen, besonders gegen das Ende des dritten und während des vierten Jahrzehnts unseres Jahrhunderts. £s hing dies teils über- haupt mit dem damaligen Streben zusammen, 4^B bei unseren Nachbarn erwacht war, durch Aufenthalt an süddeutschen Hoch- schulen auf das unmittelbarste sich mit unserer Jjitteratur und Philosophie bekannt zu machen, teils hatten 4i^ Franzosen für das so nahe und so herrlich gelegene Heidelberg eine ganz be- sondere Vorliebe.

Jetzt war die Neckarstadt nicht mehr, wie im 16. Jahr- hundort, durch den Kalvinisnus, sondern durch ihre befruchtende Wissenschaft und die Heize ihrer Natur ein Zielpunkt wander- lustiger junger Franzosen. Die juristische Fakultät zog durch die genauen Kenner der französischen Gesetzgebung, durch Zachariä, Thibaut, Mittermaier an. Daneben locl^te die dort glänzend vertretene Romantik und Philosophie mächtig an. Aus ihr schlürfte in vollen Zügen Edgar Quinet, vor welchem schon Victor Cousin sich einige Zeit aufgehalten hatte. Die Briefe, welche der Verbreiter von Herder's tiefsinnigen Ideen in ^eine französische Heimat von hier aus 1826 und 1827 sehrieb, sind ein ununterbrochener Hymnus auf Heidelberg: Ce Beidell^rg e^t le pays de Vdme, rief er begeistert aus. Ein ^nderesmal schri^h er : ü nest pas de jour je ne beni^ee le oiel de m!avoir conduit dans ces montagnes tout ni'apai^e ef m^ calme mälgr4 m^i, Ces savants me cammuniquent quelque chose de leur douce s6ri- nite ! Tout me parle ici de ce gu'ü y a de consolant sur la terre. C'est Vantiquiti grecque et Orientale, C^e$t la grande et noble Philosophie de Kant.

Nach den vierziger Jahren trat dann wieder eine Abnahnie in dem Besuche französischer Studenten und Schriftsteller ein. Victor Hugo hatte zwar gesagt, es genüge nicht, Heidelberg ^n besuchen, man müsse hier sich lange aufhallten. Auch Anfiel hatte der reizenden Musenstadt ein liebevolles Andenken l^e- wahrt. Aber seit dem letzten Kriege ist das Band, welches während mehr als dreihundert Jahren zwischen Frankreich und der Universität Heidelberg bestanden hatte, nahezu ganz zer- rissen. Es besteht zwar ein Austausch akademischer Schriften

136 Referate und Rezensionen, 0. Knauer,

zwischen ihr und den französischen Universitäten, aber unter den zahlreichen europäischen und aussereuropäischen Besuchern der hiesigen Hochschule war in dem Wintersemester 1888/89 nur ein einziger Franzose eingeschrieben.

Th. Süpple.

Th. Süpfle, Geschichte des deutschen Kultureinflusses auf Frank- reich mit besonderer Berücksichtigung der litter arischen Einwirkung. Zweiter Band. Erste Abteilung. Von Lessing bis zum Ende der romantischen Schule der Franzosen. Gotha, 1888. Verlag von E. F. Thiemann's Hofbuchhandlung. 8^ XIV, 210 S.

Es bedarf bei uns einiger Zeit, bis wissenschaftliche Werke, die weder der Schule noch der Universität direktem Bedürfnis entgegenkommen, und die in keiner Beziehung zu irgend einem sagen wir Gelehrtenring stehen, bekannt werden und sich verbreiten. So ist es dem ersten Bande dieses Werkes^) er- gangen, und der anscheinende Misserfolg wollte dem Verfasser schon die Lust zur weiteren Arbeit, beziehentlich Veröffentlichung rauben. Vielleicht mit der wachsenden Zahl der Besprechungen, die, wenn auch mit der oder jener Einschränkung, das Verdienst des Werkes anerkannten, den sich mehrenden Verweisen auf sein Buch und dem (wie wir hoffen) steigenden Absatz ist sie ihm wiedergekehrt, und er hat sich zu unserer Freude ent- schlossen, zunächst einen neuen Halbband folgen zu lasseh, der gerade den interessantesten Teil des Gegenstandes, das Be- kanntwerden und die Einwirkung unserer grössten Klassiker in Frankreich, zu behandeln hat.

Wie in der zweiten Hälfte des ersten Bandes bearbeitet auch hier der Verfasser selbständig und mit vollster Sachkenntnis einen mit Mühe und Forscherfleiss aus verstreuten und zum Teil schwer erreichbaren Quellen erster Hand gesammelten Stoff, der sich vor uns zu einem bald mehr, bald minder anschaulichen Bilde gestaltet; denn unter den vielen interessanten Einzelheiten, die trotz umfangreicher Anmerkungen auch im Texte vorkommen, (Namen und Titel zu Übersetzungen, Bearbeitungen, Nach- ahmungen, kritischen Besprechungen) treten die grossen Umrisse samt der chronologischen Folge der Entwickelung vielleicht nicht allenthalben mit gleicher Deutlichkeit hervor, wenn auch die

1) Vgl. Zschr. V1II2, S. 218.

Th. Süpfle, Geschichte des deutschen Kultureinflusses etc, 137

Kapiteleinteilung und ein deren Inhalt skizzierendes ausführliches Inhaltsverzeichnis ein stetes Verfolgen des Fadens leicht machen.

Das erste der vierzehn Kapitel handelt von Lessing's Dichtungen und Dramaturgie. Nicht erst französische Schriftsteller des 19. Jahrhunderts stehen bewusst oder unbe- wusst unter dem mächtigen Einfluss seines hellstrahlenden Geistes, schon seit 1757 und den folgenden Jahren wurden die Franzosen auf seine Lustspiele und sein bürgerliches Trauerspiel Miss Sara Sampson aufmerksam gemacht, und letzteres, das der Zeitströmung besonders entsprach, fand bald verschiedene Übersetzer und anscheinend einen Nachahmer, während die späteren, eigenartigen dramatischen Schöpfungen weniger Aufsehen machten und zu- nächst nur in sehr freier, dem französischen Geschmacke ange- passter Nachbildung (wie die Minna von Bamhelm in Les Amans g^nereux von Rochon de Chabannes und der Nathan in einer poetischen und einer prosaischen Bearbeitung) in Frankreich Boden gewannen oder (wie die Emüia Galotti) erst nach längerem Zeitraum übersetzt und dann Gegenstand kritischer Betrachtung wurden. Selbst die franzosenfeindliche Dramaturgie wurde unter Lessing's Augen von dem Franzosen Cacault in gekürzter Form übersetzt und den Franzosen dargeboten, wenn sich vorsichtiger Weise der Übersetzer auch auf dem Titel nicht nannte, und den einsichtigen Geistern unter ihnen ging ihre grosse Bedeutung bald auf. Lange vorher schon hatten die Fabeln erfolgreichen Eingang gefunden trotz der sie begleitenden Abhandlungen über die Fabelgattung, welche der französischen Auffassung scharf entgegentraten und einen lebhaften Sturm erregten.

Das zweite Kapitel Kenntnisnahme von den Fort- schritten der deutschen Ästhetik geht zwar auch wieder von Lessing aus, indem es das Bekanntwerden seiner kritisch -wissenschaftlichen Werke, besonders des Laokoon ver- folgt, der schon 1766 (nicht erst 1792) in einer französischen Zeitschrift eingehend besprochen, doch erst 1802 in das Fran- zösische übersetzt ward; es handelt aber ausserdem von der gewaltigen Wirkung der Schriften Winckelmann's in Frank- reich und von der Anerkennung oder Beachtung, der sich Hage- dornes 'Betrachtungen über die Malerei, Moses Mendelssohn's Untersuchungen, Sulz er' s und Lavater's Werke dort zu er- freuen hatten.

Im dritten Kapitel begegnen wir Wieland, dessen Dichtungen verschiedenster Art, die gehaltvolleren, besonders einige von den Romanen, mehr als die stark sinnlichen, in mannigfachen Übersetzungen, die freilich zum Teil recht frei und

138 Referate und Rezensionen. 0, Knatier,

willkürlich zu Werke gingen, die Bewunderung der Franzosen erregten und ihrem Verfasser später Ehren wie die Mitgliedschaft des Institiit de France und das Kreuz der Ehrenlegion ein- brachten. Nach der ausführlichen Behandlung der Wieland'schen Romane fällt noch ein Blick auf die Verbreitung anderer deutscher Werke ähnlicher oder nahestehender Art in Frankreich, der uns Meissner und Aug. Lafontaine als ebenso beliebt zeigt wie Gampe's Rohinaon und Weisse's Kinderfreund in Berquin's Bearbeitung.

Das vierte Kapitel führt uns zu Goeth« und seinen Jugendwerken, von welchem Dichter Herr Stipfle hier schop allgemein bemerkt: „Den umfassendsten und tiefsten, wenn auch aus Unkenntnis oft bestrittenen Einfluss auf Frankreich hat QoBthe ausgeübt. Was er einst in seinem Bildungsgange dem Nachbarlande verdankt hatte, das hat er durch die herrlichsten Spenden tausendfach zurückgegeben. Sein wahrhaft universaler Geist, seine Meisterwerke jader Art und ganz neuer Art, seine ebenso künstlerisch gestaltende als schöpferische Phantasie, die Mannigfaltigkeit seiner Stoffe, Motive, Ziele und ästhetischen Formen haben die Franzosen in ungeahnte Gebiete des Schönen eingeführt, erfrischend und verjüngend auf ihre nach glänzenden Thaten erpaattete LJtteratur eingewirkt" (S. 52). Im Jahre 1774 zuerst als Verfasser des Clavigo genannt, welches Stück später auch übersetzt ward, zündete Goethe bald darauf in Frankreich vor Allem mit Werther's Leiden, die auch von dem nachhaltigsten litterarischen Einfluss waren und nicht bloss zahlreiche fade Nach- ahmungen noch im 18. Jahrhundert weckten, sondern auch in bedeutenden Werken aus dem Anfang unseres Jahrhunderts und späterer Zeit (Chateaubriand's Een^y Nodier's Peintre de Salizbourg, Benjamin Constant's Adolphe, Musset's Con- feanons d*un enfant du si^cUf Lamartine^s Baphael u. A.) nach- klingen. Sein Götz wurde noch vor dem Erscheinen der ersten französischen Übersetzung das Vorbild zu dem freilich unge- heuerlichen und in Frankreich unbeachteten Drama eines mit Lern befreundeten elsassischen Edelmanns: la Guerre d^Älsace (1780). Seine Stella, 1782 übersetzt, genoss seit 1791 in vaudevilleartiger Umarbeitung, die Goethe's Namen verschwieg, die Gunst der pariser Theaterwelt.

Wenn im fünften Kapitel von Schiller's Jugend- dramen gehandelt wird, so ist vor Allem von den Räubern zu reden, die, schon 1785 getreu übersetzt, und später wiederholt übersetzt oder bearbeitet, in kläglicher Verstümmelung (durch den Glsässer Schwindenhammer, der sich laMarteliere nannte) auf zwei pariser Bühnen nacheinander das Publikum der Revo-

Th. Süpfle, Geschichte des deutse^en Ktdiureinflusses etc. ].ß9

lutionsjahre 1792 93 begeiBterten, ohne dass das BtUck dea eingeweihten Kreisen bekannten Namen des Verfassers oder auch nur des Bearbeiters trug. Die oft erwähnte Verleihung des französischen Bürgerrechts an Schiller (am 26. August 179^ durch die AssemhUe legislative) scheint dagegen in diretiteoi Zusammenhang eher mit dem Fiesco als ^republikanischer Tragödie^ zu stehen, auf weichen im Jahre 179^ im Moniteur aufmerksam gemacht wordep war, yriewohl die erste Übersetzung erst siebzehn Jahre später folgte. Ebenso wurden seit 1790 Kabale und Liebe sowie Don Carlos j zum Teil in guter Form, in die französische Litteratur, das erstere Stück auch auf die französische Bühne eingeführt, während dem letzteren M.-J. Chenier den Stoff zu seinem Philippe II entlehnte. Mehr Er- folg als die Btihnenbearbeitungen SchiUer'scher Jngenddramen hatten allerdings die Stücke Kotz ebnes, beßondjers siei^ Menschenhass und Reue, das zuerst 1792 das pariser Theater- publikum aufs tiefste rührte.

Im sechsten Kapitel gelangen wir zu Herder und Kunt und werden belehrt, dass von den Schriften des ersteren im vorigen Jahrhundert vor den Bestrebungen Diegerando^s (1804) wenig nach Frankreich gelangte, währei^d die Einführung ^ant's schon mit dem Jahre 1796 begann und in dcQ letzten J^jiren des alten und den ersten des neuen Jahrhunderts mit gan? be- sonderem Eifer durch den bekannten, in Deutschland lebenden Charles Villers, dessen Anregung bajid Andere folgten, be- trieben wurde. In der Folge sind beide Hefder und Kant im Verein mit Lessing auch für Frankreich als die Begründer der Geschichtsphilosophie anzusehen.

Näher noch geht auf die Thätigkeit von Villers und Degerando das siebente Kapitel Qin Entfremdung Frankreichs gegen die deutsche Litteratur am Ende des 18. und am Anfange des 19. Jahrhunderts ipdem es ihr und Anderer Ankämpfen gegen jene durch die polid^chen Umstände erzeugte Entfremdung, die mit d^em Aufenthalt ^aa- zösischen Emigranten iq Deutschland und n^it dem Eindriiigen eroberungslustiger französischer Heere eher wuchs als abnahm, schildert und uns die verschiedenen Zeitschriften vorführt, die sich als Prediger in der Wüste zu Vermittlern des deutsehen Geisteslebens für Frankreich aufwarfen (den Spectateu/r du/, Nord, die Decade phüosophique und die Archives litUraires de VEuropie).

Hat der Verfasser mit Recht die Teile seines Werkes weiter ausgesponnen, die wesentlich Neues bieten, so d^rf er sich kürzer fassen., wo er bekanntere Thatsachen berührt.

Dies ist i^i ^cbtan Kap^t^l 4er Fal), d^« ypQ Frau y^v

140 Referate und Rezensionen. 0, Knauer,

Stael und der wahren Bedeutung des Buches de VAllemagne handelt und in schwungvoller, abgerundeter Darstellung auf dem Hintergrunde der vorausgehenden Wirksamkeit von Mercier, Degörando, Villers, Benj. Constant (als Nachbilder des Wallenstein) jene berühmte Frau und ihr herrliches Werk in der richtigen Beleuchtung mit wenigen kräftigen Umrissen malt.

Das folgende (neunte) Kapitel schildert die nächste Wirkung, weiche die neue Geistesrichtung in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts auf die französische Litteratür aus- übte, und welche besonders in dem von den jungen vor- romantischen Dichtem unternommenen Versuche bestand, die ernste dramatische Muse neu zu beleben. Sie hatten Belehrung in den theoretischen Werken der Gebrüder Schiegel geschöpft und Hessen dem Studium der deutschen Vorbilder zunächst zahl- reiche Nachbildungen der Stücke Schiller's folgen, den sie als Führer gewählt, von der Hoffnung erfüllt, eine Ver- mittelung zwischen Racine und Schiller finden zu können. Der Verfasser leitet uns durch alle jene mehr oder minder geschickten und erfolgreichen Bearbeitungen der Schiller'schen Dramen hin- durch, die in jener Zeit und später in Frankreich auftauchten, und aus depen wir nur Lebrun's Marie Stuart, Ancelot's Fiesque, Soumet's Jeanne d'Arc herausheben wollen. Kein einziges fast blieb unbearbeitet; es war, als sei der dramatischen Kunst eine neue Mine erschlossen worden, bei deren Ausbeutung Alles wetteiferte. Das Gesamtergebnis dieser Bestrebungen fasst Herr Süpfle in die Worte zusammen: „Zwar ist der Versuch, sein (Schiller' s) Theater dem alten System der Franzosen anzupassen, misslungen. Aber befruchtend, erneuernd und erhebend hat er gleichwohl gewirkt ... So bereiteten seine Dramen, wie auch einige von Goethe, auf diejenigen Shakespeare^s vor, welcher einen so grossen Einfluss auf das neue dramatische System unserer Nachbarn ausübte .... Überhaupt war der echte Shakespeare erst durch deutsche Vermittelung, namentlich durch A. W. Schlegel, jenseit des Rheines bekannt geworden . . . Selbst Victor Hugo war auch von unserer Litteratür beeinflusst, nicht bloss von Shakespeare." (S. 118 und 119). In späterer Zeit wurden die Schiller'schen Dramen durch zahlreiche Übersetzungen in Frankreich eingebürgert und in weite Kreise getragen. Dem litterarisch- ästhetischen Einfluss, den sie übten, gesellte sich ein sittlich erhebender und veredelnder bei, indem auch französische Herzen sich an Schiller'schen Idealen begeistern lernten.

Neben Schiller trat natürlich Goethe mit dem (zunächst durch die Stapfer'sche Übersetzung derselben vermittelten) Ein-

7%. Süpfle, Geschichte des deutschen ICultureinflusses etc, 141

fluBS seiner dramatischen Schöpfungen, wie uns das zehnte Kapitel darthut. Am gewaltigsten wirkte der Götz, und auf ihn (nicht ausschliesslich auf W. Scott's Romane) führt Herr Süpfle im Einklang mit französischen Litterarhistorikern das Streben nach Lokalfarbe in geschichtlichen Dramen zurück, wie es bei Vitet, M6rim6e, Alex. Dumas und Victor Hugo zu Tage tritt. Von den anderen Stücken sehen wir die Geschwister und in schwacher Nachbildung den Tasso auf der pariser Bühne Aufnahme finden, die Iphigenie und den Egmont die Bewunderung der Kritik er- regen, den Faust endlich zwar langsam bekannt werden, dann aber nicht bloss als Gegenstand der lebhaften Bewunderung und als Urquell zahlreicher und sehr verschiedenartiger dramatischer Erzeugnisse oder einzelner Züge und Scenen in solchen, sondern auch als Ausgangspunkt für philosophisch-ästhetische Betrachtungen, unter denen die von Henri Blaze de Bury (1840)- besonders her- vorstechen, und die sich bis auf die neueste Zeit noch nicht erschöpft haben.

Das elfte Kapitel wendet sich der Betrachtung des Epikers Goethe in Frankreich zu und verfolgt das Bekannt- werden und die Würdigung von Hermann und Dorothea (seit 1798) und von seinen verschiedenen späteren Romanen, von denen allerdings keiner solche Sympathien wieder weckte wie der Werther und nur Wahrheit und, Dichtung nut lebhaftem Interesse aufgenommen ward. An Hermann und Dorothea lehnt sich nachmals Laprade^s ländliches Epos Pemette (1868) an, uud aus den Romanen ist wenigstens die Gestalt seiner Mignon, die auch in Victor Hugo's Esmeralda wiederkehrt, den Franzosen fast ebenso vertraut wie sein Gretchen geworden.

Bei der Betrachtung der weiteren Einwirkungen der deutschen Litteratur auf die französische Romantik (zwölftes Kapitel) wird unser Blick auf Jean Paul, der erst sehr spät bekannter wurde, auf *Ludw. Tieck, der zeitiger bei kleineren Kreisen in Gunst kam, auf den auch in Frankreich vielbewunderten Zach. Werner und einige andere Dramatiker gelenkt, vor Allem aber auf E. Th. A. Hoffmann^ dessen phantastische Romane den grösten Anklang fanden und den stärksten litterarischen Einfluss ausübten, wie sich dies in den Werken von Nodier, Gerard de Nerval, Th^oph. Gautier, Jules Janin, ja Balzac, George Sand und Erckmann - Chatrian verrät. Hatte das vorangehende Jahrhundert die deutsche Litteratur zeit- weilig in G essner verkörpert gesehen und nur ihre sentimentale Seite gekannt, so sah sie das neunzehnte geraume Zeit beinahe in der phantastischen Richtung Hoffmann's aufgehen.

Das vorletzte Kapitel handelt von dem Einfluss der

14Ä Repsraie und Rezensionen. 6. Bomhak,

deHtBchen Lyrik auf die französische Romantik, der sich als ein sehr wirksamer erweist. Er knüpft sich an die Namen Bürger, dessen Balladen eigentlich erst seit 1814 bekannt, später aber wirklich volkstümlich wurden; Schiller, von dessen Ge- dichten die Glocke besonders häufig übersetzt wurde, dessen be- geißtelter Schwung aber überhaupt die Franzosen gewaltig packte und zur Nachahmung hinriss; Goethe, dessen Eigenart mit ihrer tiefen Innerlichkeit und Einfachheit der sprachlichen Form sich der grossen Masse der litterarisch Gebildeten weit schwerer in Übersetzung erschloss, auf die französischen Dichter aber, die am Urquell schöpften, befruchtend wirkte und sie zum Schaffen anregte. Auch des sprachlichen Einflusses, der von unserer Lyrik auf die Romantiker ausging und sie antrieb, der spröden französischen Sprache neue Formen abzugewinnen, sowie der hohen Meisterschaft im Übersetzen, zu welcher um die Mitte dieses Jahrhunderts gerade die nämliche Lyrik einzelne Franzosen wie Henri Blaze de Bury und Schur6 emporgeleitet hat, wird zuid Schltt&se gedacht.

Den Einfluss der deutschen Wissenschaft zur Zeit der Restauration und bald nach der Julirevolution schildert endlich das vierzehnte und letzte Kapitel dieses Halbbandes. Auf dem Gebiete der Philosophie wurden nicht nur Herder' s Ide&a zur Philosophie der Geschichte der Menschheit den Franzosen jetzt wirksam vermittelt durch Edgar Quinet, sondern besonders durch Victor Oonsin auch den spekulativen Schulen Eingang ver- schafft, so dasB der Bann des alten Sensualismus gebrochen ward. Wenn der Begriff unserer Ästhetik und dessen, was man wissen- schaftliche Kritik nennt, ihnen schon von der genaueren Bekannt- schaft mit Lessing an aufgegangen war, so lernten sie nun bei der deutschen Rechtswissenschaft und vor Allem bei unserer Geschichtssehreibung in die Schule gehen.

Zu dieser gedrängten Skizze des Inhalts fttgen wir nur wenige Einzelbemerkungen.

In den Anmerkungen, die auch diesen Halbband begleiten, ist uns bei 1) [zu S. 2] aufgefallen, dass unter „neueren Arbeiten über Leasing** auch Lessing et Klopstock par A, C. (d. i. A. Chnquet) in der Revue criUque genannt ist, als ob dies eine selbständige Leistung sei, während es nur eine Anzeige in wenig Zeilen von Mnncker's Buch Lessing^s persönliches und litterarisches Verhältnis zu Klopstock ist.

Zu S. 143 tragen wir die Prosaübersetzung von Hei mann und Dorothea von B. Levy (Avec le texte allemand et des notes) nach, Paris bei Hachette 1877 erschienen.

Einige kleine Sprachsünden ähnlicher Art wie die bei dem

Ä P. Junker, GründHss der Geschichte der französischen lAtieratur etc, 143

erBten Bande voti uns gerügten werden dem aufmerksamen Leset* auch in dem neuen Halbbande aufstos&en (so S. 35, 51, 74, 90, 155, 163, 171)^). Den Gebrauch von man im Vorwort (8. V) mit Bezug auf die eigene Person des Verfassers können wir nicht als gut deutsch, sondern nur als französisch gelten lassen. Hoffentlich bringt uns dieses Jahr noch den Abschluss des interessanten und verdien stlicheil Werkes.

Kkausb.

Janker, Heinrich P., Grundriss der Geschichte der französiscken Litteratur von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. Samm- lung von Kompendien für das Studium und die Praxis /, 2. Münster i. W., 1889. Heinrich Schöningh. 436 S. Preis: 4 Mk.

Die Litteraturgeschichte ist bekanntlich ein Teil der Kultur- geschichte und lässt sich bei Vernachlässigung derselben nicht ohne grosse Nachteile behandeln. Denn alle litterarischen Er- zeugnisse erwachsen auf dem Boden der jeweiligen Kultur. Die herrschenden Geistesströmungen und ihre Äusserungen in der Litteratur, so verschiedenartig sie auch scheinen mögen, gewinnen durch das Studium der Kulturgeschichte erst ihre Begründung und innere Verbindung, durch welche jedes einzelne Gesehichts- bild als ein vollberechtigtes Glied in einem wohlgeordneten Ganzen erscheint. Von solchen Erwägungen ist der Verfasser des vorliegenden Buches nicht ausgegangen, denn er erklärt in der Vorrede 8. VHI, dass er den Stoff im wesentlichen chronologisch geordnet habe.

Er hat den einzelnen Perioden sogenannte Charakteristik en vorausgeschickt, welche zum grossen Teil nichts Anderes ent- halten, als eine Aufzählung vom Inhalte der nachfolgenden Para- graphen, wie z. B. 8. 270 ff. der Abschnitt: Das Jahrhundert der Aufklärung. Charakteristik desselben. S. 20 be- zeichnet er den Abschnitt über die Chansons de gesie als die Periode des volkstümlichen Epos, während doch nur die Feudalen an den Schilderungen der feudalen Herrlichkeit, zu denen die alten Sagen gewissermassen als Rahmen dienen mussten, Gefallen finden konnten, nicht aber der von der Kampf- und

1) Die bedenklichste liegt in dem Satze vor: „Sogar George Sand, welche ja ausdrücklich hervorhob, dass die Erzählungen Hoff- mann*s die französische Jugend entzückt haben, und die man nie wieder lese, ohne . . . hat ihn auf sich einwirken lasseti.'* (S, 155.)

144 Referate und Rezensionen, R, Mahrenholtz,

Raublust der Fürsten und Edelleute schwer helmgesuchte Bürger und Bauer. Erst unter Philipp IL August (1180—1223) ge- wannen die Bürger einen wirksamen Schutz gegen die Anfälle des Raubadels und dieser Wechsel zeigt sich nun auch in der Litteratur, indem die Epik sich zur Didaktik und Bekämpfung der feudalen Anschauungen neigt, während die feudalen Herren noch lange nicht die Waffen strecken, sondern in ihren Chansons fortfahren, das feudale Leben zu verherrlichen. Es ist die Periode des Kampfes des mit dem Köntgtum verbundenen Bürger- tums gegen den feudalen Unfug. Der Verfasser bezeichnet diesen Abschnitt als die Periode des allegorisch-moralisierenden Epos, bekennt aber selbst S. 117, dass diese Bezeichnung keine ganz zutreffende sei.

Wie die Charakteristik ist auch die Begründung wichtiger litterarhistorischer Thatsachen mangelhaft oder fehlt ganz. So ist die Begründung der Hofdichtung unter Franz L und ihre Er neuerung unter Heinrich IV. nach der durch die Hugenotten- kriege eingetretenen Unterbrechung gar nicht erwähnt, S. 203 der Rückschlag, der auf die Zeit des regsten Schaffens und Blühens (unter Ludwig XIV.) naturgemäss folgte, gar nicht historisch begründet; S. 204 heisst es von Malherbe, dass er einen Reim gefordert habe, der für das Auge und Ohr richtig sein müsse, es wird aber nicht gesagt, was jener unter einem richtigen Reim verstand, auch bleibt Malherbe's Ver- dienst um die Schriftsprache unerwähnt; S. 206 werden unter Balzac's Werken auch dessen Lettres angeführt, ohne dass die Bedeutung derselben für jene Zeit nur angedeutet wird; S. 215 ist nicht begründet, warum Corneille zwischen antiker und romanesker Richtung im Drama schwankte ; S. 233 vermisst man die Angabe des Einflusses, den Descartes, auf S. 333, den St. Simon und seine Nachfolger auf die Litteratur ihrer Zeit ausgeübt.

Oft ist Verwandtes und Zusammengehöriges auseinander- gerissen; S. 109 ist der Abschnitt Geschichte zwischen der didaktischen und lyrischen Poesie eingeschoben; S. 215 ff. Corneille von den anderen grossen Dramatikern Moli^re und Racine durch die Abschnitte über Salons, Romane, Des- cartes und Pascal getrennt; ferner fragt man sich, warum S. 207 der Abschnitt Das Hotel de Rambouillet nicht mit dem verwandten S. 225 Salons und Preziösentum zusammen- gelegt ist, oder wie in einem Paragraphen S. 278 der Memoiren- schreiber St. Simon mit dem Eanzelredner Massillon zu- sammenpasst. Das Ganze erscheint als eine Sammlung von an- einandergereihten Notizen über Dichter und Schriftsteller, ohne inneren Zusammenhang. Es ist dies ein grosser Nachteil für

Gabriel Bounin, La Soliane. 145

das Buch, da hierdurch die Übersicht, das Verständnis und die Aneignung des Stoffes ungemein erschwert wird.

Mit grosser Ausführlichkeit hat de» Verfasser die Ab- schnitte über die Chansons de geste, über das Zeitalter Lud- wig's XIV., Voltaire u. a. behandelt, reichhaltige bibliographische Nachweise und schätzenswerte Inhaltsangaben der betreffenden Werke hinzugefügt, wobei allerdings einzelne zu kurz abgethan sind, wie z. B. S. 368 bei G. Sand, S. 381 bei Augier, oder sie fehlen wie S. 361 bei Gautier. Auch wäre eine genauere Inhaltsangabe des Romans Jehan de Saintre S. 168, der mehr als manches Andere die höfischen Anschauungen aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts charakterisiert, sowie eingehendere Mitteilungen über den Lebensgang des doch gewiss hinlänglich merkwürdigen Rabelais zu wünschen gewesen.

G. BOBNHAK.

Bounin, Gabriel, La Soltane, Trauerspiel. Paris, 164L Neu- druck besorgt von E. Stengel und J. Venena. Mit einer litterarischen Einleitung von Johannes Venena. Marburg, 1884. N. G. Elwert'sche Verlagsbuchhandlung. 64 S. 80. (Ausg. u. Abk. aus dem Geb. der rom. Phil veröff. von E. Stengel). Preis: 1 M. 50.

Gabriel Bounin, der fast verschollene Autor einer ver- schollenen Tragödie: la Soltane und mancher politischen und nicht politischen Dichtereien, wurde wahrscheinlich bald nach 1530 zu Chäteauroux in Berry geboren, und war 1586 noch am Leben. In Paris studierte er die Rechte und klassische Philologie, bekleidete verschiedene Ämter, erfreute sich der Gunst des Kanzler L'Ho- pital, vielleicht auch des gnädigen Beifalls Katharinens von Me- dici. Er trat in den Dienst des Herzogs von Alen^on, des Sohnes der letzteren, den er in seinen Gedichten nach herkömm- licher Art feierte. Hiemach wäre er nur einer der vielen schön- geistigen Hofschranzen und Schweifwedler in jener Zeit des poetischen Bettlertums gewesen, aber dass er in einer Rede an den ohnmächtigen Karl IX. sich für Erhaltung des konfessionellen Friedens ausgesprochen hat, beweist eine freie Geistesrichtung, die damals wohl bei den Politikern aus Machiavelli's Schule, aber nicht bei dichtenden Parasiten zu finden war. Die in der obenerwähnten Sammlung abgedruckte Tragödie: la Soltane soll nach den fr^res Parfaict (die nach meinen Erfahrungen aller- dings nicht immer zuverlässig sind) spätestens 1560 aufgeführt

Zsclur. f. frz. Spr. u. Litt. XI^. ^q

146 Referate und Rezensionen. Fritsche,

sein, wahrseheinlieh am französisch en Hofe; gedruckt wurde sie 1561.

Sie behandelt die Ermordung Mustapha's, des Sohnes und Thronfolgers Sa>iman^s IL, den sein Kebsweib Roxolane (bei Bounin heisst sie Rose) gegen diesen edlen Prinzen aufgehetzt hatte, weil sie ihrem Sprössling Selim die Nachfolge sichern wollte. Bounin hallt sich ziemlich treu an die geschichtliche ÜbeHieferuBg, beobachtet aber das Zeit- und Lokalkolorit so wenig, wie seine diehterischeti Zeitgenossen es thaten, prunkt mit mythologischen Reminiszenzen und Figui^n, führt einen sta- tistenhaften Chor ein und hält sich an das Vorbild von Seneca's Medea, (Auf die Frage, ob Medea wirklich ein Werk des be- kannten Seneca sei, gehen wir nicht ein.) Die Unnatur und die grausen Effekte der Tragödien dieses römischen Philosophen mussten eine Zeit anmuten, welche in den Blutthaten innerer und äusserer Kriege sich behaglich fühlte, die poesielose Rhetorik derselben denen zusagen, welche an den klassischen Phrasen und Reminiszenzen von Jugend an sich erbaut hatten. So ist denn Bounin gerade wie Jodelle der gelehrige Nachahmer des schwül- stigen Hofphilosophen, aber mit souveränerer Selbständigkeit, als dieser, setzt er sich über die Schranken der Orts- und Zeiteinheit hinweg und wagt sich an einen Stoff aus der unmittelbaren Gegenwart, statt sich mit den oft auseinander gezerrten Gräuel- stoffen aus der hellenischen Vorzeit zu begnügen.

Wie so viele Stücke jener Übergangsperiode zum Klassisch- Regelrechten, ist auch die Soltane eine unbewusste Parodie auf alle dramaturgischen Gesetze, alle Regeln der Kunst und Schön- heit. Von Charakterzeichnung und dramatischer Entwickelung, von Wahrscheinlichkeit und psychologischer Motivierung ist kaum die Rede, das grell verzenie Laster tritt der ebenso grell ver- zeichneten Tugend schroff gegenüber, ein Hauptheld und ein Hauptinteresse fehlt. Zudem müssen wir uns durch 1842 Verse, wovon 400 auf die inhaltsleeren Chorgesänge kommen, hindurch- quäleti. Gleichwohl ist der Abdruck dieses ganz seltenen Stückes sehr verdienstlich, denn unsere Kenntnis der französischen Litte- ratur des XVL Jahrhunderts bedarf noch einer auf Neuent- deckungen und Neuabdrücken sich stützenden Erweiterung.

Herr Venena weist nach, dass das Bounin'sche Machwerk auf Racine's Bajazet ohne Einfluss geblieben sei, bringt auch sonst über die französischen Schauer- oder Stelzentragödie des XVL Jahrhunderts manches Belehrende und Treffende, und erörtert deren Verhältnis zu Seneca genau. Wenn übrigens bei Bounin der Chor nicht in die Handlung sich einmischt, wie bei Seneca und Jodelle, so zeigt hierin gerade der Dichterling richtigere

C. Humhert, MoHere, L'Anare. 147

Kenntnis der griechischen Tragödie, in welcher der Chor nur

Echo der Volksstimme, aber kein mitbewegender Hebel der Handlung ist. R. Mahrenholtz.

Moli^re^ LAvare, Mit Einleitung, Anmerkungen und einem Anhang herausgegeben von C. Humbert. Leipzig, 1889. E. A. See- mann (5. Band der Martin Hartmann^scJien Schulausgaben französischer Schriftsteller). XVI u. 86, nebst 84 S. besonders geheftete Anmerkungen.

Man kann bald sagen: Moliere und kein Ende! Wenigstens der Schulausgaben dürfte nun wohl genug sein. Die Kommentare be- weisen, dass der Stoff nahezu oder ganz erschöpft ist ; nur wenig Neues bringen sie noch bei, und dies Wenige könnte man füglich in einer Zeitschrift auf ein paar Seiten vereinigen. Niemand wird dem neuesten Herausgeber des Avare das Recht absprechen, über Moliöre ein Wort mitzureden, aber doch bezweifeln wir, dass seine Ausgabe eine fühl- bare Lücke ausfüllt. Dazu ist es auch fraglich, ob er gerade der ge- eignete Mann ist, philologische Noten und kurze Übersichten zu schreiben. Humbert*s Stil ist dazu nicht scharf genug, leidet an un- nützen Worten, unbestimmten Wendungen,, nimmt leicht den Mund zu voll von tönenden Phrasen, die den Sinn verdunkeln, so sehr der Inhalt auch von umfassender Belesenheit zeugt. Ein paar Beispiele statt vieler.

Was soll man zu dem ersten Satze der Einleitung („Moliere's Leben und Werke") sagen: Das Lehen des Künstlers sind seine Werke (Bitte, was heisst das in einfacher Sprache?), von ihm selbst erricktete Denkmäler geistiger Eroberungen und Schlachten (hu!), und die Zeit^ die er auf Erden weilte, hat nur für die Nachwelt Bedeutung, (also nicht für seine Zeitgenossen? Keineswegs will Humbert dies sagen, das nur steht an falscher Stelle und gehört vor das Folgende) soweit sie dazu diente, das was in ihm gelebt, in solchen (?) mustergültigen (sind denn alle Kunstwerke mustergiltig?) Denkmälern zu verkörpern. Wie wäre es, wenn Jemand das Wort Schiachton selbst im eigentlichen Sinne gebrauchend, sagte. „Das Leben Napoleon's sind die Schlachten von Maren^o, Austerlitz, Jena, Borodino, Leipzig und Waterloo"? Würde man dieser Rede, deren Sinn sich ja iällenfälls erraten Hesse, nicht einen schlechten Feuilletonstil beimessen? Das ,,Leben" beginnt so: Im Jahre des Heils 1622, wahrscheinlich am 22. Jenner, ward in der guten Stadt Paris dem ehrsamen Tapeziermeister Hans Poquelin und der Marie de Cresse der erste Sprössling geboren. Man nannte ihn Jean- Baptiste Poquelin, Die Nachwelt kennt ihn unter dem Namen Moliere. Wie viel unnütze Worte und wie viel Schiefheiten! Sollen die Zu- thaten des Heils, der guten Stadt, ehrsamen scherzen, spotten, charakteri-r sieren? Nichts davon, sie sind schlechthin überflüssig. Der Vater hiess aber nicht Hans, sondern Jean, oder man müsste Moliere nicht in demselben Athem Jean-Baptiste, sondern Hans -Baptist nennen. Man nannte diesen nicht erst in der Taufe Poquelin, denn ein Poquelin war er schon von Geburt. Die Nachwelt kennt ihn zwar unter dem Namen Moliere, aber die Mitwelt nannte ihn auch schon so. Andere Stilfehler aus den Anmerkungen: S. 3 schliesst sich in dem Satze: Eine äusserliche Hauplhandlung u. s. w. die zunächst an MariOMe an

10*

148 Referate und Rezensionen. R. MahrenJioltz,

soll aber auf ßaupihandlung gehen. S. 12 heisst es: J'en vois. Fritsche und Lion beziehen en auf Mariane, Lavigne auf ihre Tugenden, Unklar! Wahrscheinlich ersieres u. s. w. Was in aller Welt ist un- klar? Was die beiden ersten Erklärer sagen, oder was der dritte sagt, oder was Moliere's Text sagt? Ob wohl bildliche Ausdrücke wie folgender in eine solche Ausgabe gehören: So werden die Szenen enge mit einander verbunden, und der elektrische Strom, der den Zu- schauer fortreisst, wird nicht unterbrochen (S. 8). Gleich darauf S. 4: Die Einheit der Zeit und des Ortes begünstigte die Nichtunterbrechun^ des elektHschen Stromes, Also die interessante Handlung wird mit einem elektrischen Strome verglichen, worunter sich Jedermann denken mag was er will; wer aber hat schon gehört, dass ein elektrischer Strom Menschen fortreisst! Ein wirklicher Strom thut das wohl, ein elektrischer Strom nie; er tötet, lähmt, zersetzt, erzeugt Krämpfe. Und wer begünstigt wen? Die Einheit die NichtUnterbrechung oder umgekehrt? Man könnte ja Beides verteidigen, weil die doppelte Metapher verschiedene Deutungen zulässt.

Es steht wirklich traurig um den deutschen Stil, wenn solche Verwilderung schon in Schulbüchern zu finden ist. Und doch hätte Niemand mehr die Pflicht, als wir Lehrer, dieser Verwilderung durch gutes Beispiel Einhalt zu thun. Ich möchte nicht für mürrisch gelten, aber le mauvais goüt du siicle en cela me fait peur.

Was die Sachen betrifft, so erlauoe ich mir nur wenige Be- merkungen. Der Ausdruck: 1631 ward der Vater Hoftapezierer und Kammerdiener Ludwigs XIll hilft den alten Irrtum weiter verbreiten, Poquelin sei jemals der Kammerdiener des Königs gewesen. Er war nichts als Hoftapezierer und hatte als solcher den Rang eines könig- lichen Kammerdieners. Dies und nichts Anderes ist der Sinn der immer wiederholten Titulatur valet de charnbre Tapissier du roi. Der Dichter vertauschte nicht den Namen Jean-Baptiste Poquelin mit dem Namen Moliere, sondern nur den Namen Poquelin mit dem Namen Moli^re; er heisst ja stets und unterschrieb sich oft Jean-Baptiste Moliere. Dass als Moliere die Pre'c. rid, aufführte, er ein ve7'bo?-gener Schauspieler gewesen sei, kann man nicht zugeben ; er war damals schon das bekannte Haupt einer in ganz Frankreich gut berufenen Truppe. Wahrscheinlich liegt auch hier einer der zahllosen schiefen Ausdrücke des Herausgebers vor. Die ßegriffsunterscheidungen auf S. IV verstehe ich beim besten Willen nicht. Humbert nennt folgende Gattungen: Komisches Schauspiel, gewöhnliches Lustspiel, komische Komödie, komisches Charakterschauspiel, Phantasiekomödie (soll wohl sein was man gewöhnlich Situationslustspiel nennt) und Intriguen- komödie. Die letzten drei Arten lassen sich trennen, aber wie unter- scheiden sich die drei ersten? Gibt es auch eine tragische Komödie? Vielleicht was man sonst Tragikomödie nennt? Ist das gewöhnliclie Lustspiel etwas anderes als eine Komödie oder als eine komische Komödie? Gibt es auch eine nicht komische Komödie, und warum heisst sie Komödie, wenn sie nicht komisch ist? Nach diesen un- klaren, für Schüler ganz un fassbaren Unterschieden kommt Humbert auf Moliere's komische Charaktere zu sprechen. Hier stellt er folgende ungeheuerliche Behauptung auf: Die Hauptpersonen gewöhüicher Lust- spiele, wie auch die der meisten Shakespeare* s sind sentimental, höchstens lustig, witzig und heiter; ihre Komik beschränkt sich auf Nebenpersonen, und wo diese in Charakteristik hinüber spielt, auf die am leichtesten zu behandelnde possenhafte Dummheit, Man kann darauf nur erwidern, dass man nicht um jeden Preis etwas Neues sagen wollen muss, sonst

Hermann Gehrig, Jean-Jacgties Rousseau, sein Leben etc. 149

gerät man in eine unfreiwillige Komili, selbst wenn man eine Haupt- person ist. Irgend ein „gewöhnliches Lustspiel" biete eine Anwendung: Scribe's Glas Wasser, Sind die Hauptpersonen, Bolingbroke und die Herzogin, sentimental? sind sie höchstens lustig, witzig, heiter? Weiter gar nicht charakterisiert? Sind blos die Nebenpersonen komisch? Wer ist in dem Stücke possenhaft dumm? Entsprechende Fragen in Betreff von Freytag's Journalisten. Nun ein Lustspiel Shakespeare's: Viel Lärm um Nichts, Sind die Hauptpersonen, Benedikt und 6ea.trice, sentimental? sind sie höchstens lustig, witzig, heiter? Haben sie sonst keine Charakteristik? Sind blos die Nebenpersonen dumm? Ist Don Juan eine Nebenperson? Doch gewiss, und ist er dumm? G-anz im Gegenteil! Ist der stockdumme Holzapfel eine Nebenperson? Das ist doch sehr zweifelhaft. Und so frage man nach den Personen von Was Ihr wollt und beliebigen anderen Lustspielen der grossen Briten. Doch genug ; ich greife nur einige Stellen heraus, um zu zeigen, dass, wenn nicht der Lehrer, so der Schüler im Kopfe durch Humbert's Erklärungen nicht klarer wird. Humbert möchte sein Idol Moliäre gern über alle Mitbewerber, selbst über Shakespeare, hinausheben und wird dadurch zu grossen Übertreibungen veranlasst. Den Unter- zeichneten wird Niemand beargwöhnen. Meliere gering zu schätzen, aber zu Humbert's bedingungsloser Bewunderung kann er sich nicht aufschwingen.

Im Kommentar findet sich neben dem Vielen, das ein Heraus- geber mit lächelnder Miene dem anderen abnimmt, viel Klein meister ei und wenig Neues. Einige Bemerkungen aus der Ausgabe von Lavigne, die ich nicht kenne, und einige andere aus Fournier's französischem Theater des 16. und 17. Jahrhunderts erschienen mir als das Beachtens- werteste. Grossen Fleiss kann man der Notensammlung nicht ab- sprechen. Pritsche.

/)^GeIirig9 Hermann, Jean- Jacques Rousseau, sein Leben und seine pcedagogische Bedeutung. Ein Beitrag zur Geschichte der Poedagogik. 2. billige Auflage. Neuwied und Leipzig, o. J. [1888*]. Heuser's Verlag (Louis Heuser). 192 S.* kl. 8®. Preis : 1 Mk.

Diese kleine Schrift ist aus einem Vortrag entstanden, den der Herr Verfasser vor 11 Jahren zum Andenken au Rousseau's 100jährigen Todestag in einer Elementaflehrer -Versammlung zu Neuwied gehalten hat und schildert hauptsächlich Rousseau als Pädagogen vom Stand- punkte eines Seminarlehrers aus. Gehrig rühmt sich allerdings, auch die neueste Rousseau -Litteratur gewissenhaft benutzt zu haben, das trifft aber selbst für das Jahr 1878 nicht zu. Vielmehr ist Hermann Hettner seine Hauptquelle, die er mit der Gewissenhaftigkeit eines mittel- alterlichen Chronisten ausschreibt, so sehr auch die Darstellung, welche der verstorbene Dresdener Professor von Rousseau noch in der letzten Auflage seines Werkes gegeben hat, von der Forschung überholt ist. Nebenbei hat er Brockerhoff*s Rousseau-Biographie herangezogen und sich mit neueren pädagogischen Beurteilungen des Emile vertraut ge- macht.

Seine Kenntnis von den allgemeinen Zeitverhältnissen im XVIU. Jahrhundert ist aus Schlosser und aus Weber geschöpft. Die Werke Rousseau's citiert er nach der Frankfurter Ausgabe vom Jahre 1859, kennt aber von diesen Werken augenscheinlich nur

150 Referate und Rezensionen, R. MahrenhoUz,

den Emile und den Proiet pour Ve'ducation genauer, während er sich in der Inhaltsangabe und Beurteilung des Contrat social wieder an Hettner anlehnt. Hätte er die Confessions sorgfältiger gelesen, so würde er Therese Levasseur nicht mit Brockerhoff zur „Vorsteherin eines Wäsche- Departements" avancieren lassen, während sie doch im Pensionate St -Quentin nur pour iravailler en linge, d. h. als Schneidermädchen, allgestellt war. Theresen's Verhältnis zu Rousseau wird wieder nach Hettner idealisiert, die Berufung auf die Confessions kann nichts be- weisen, da Rousseau den Charakter seiner Zuhälterin und seine wilde Ehe hier bedeutend verschönert. (Referent hat sich über Therese Levasseur unlängst eingehender in einer in der Zeitschnfi erschienenen Abhandlung geäussert).

Qehrig^s Urteile über den ihm mehrfach sympathischen, doch leider weder streng moralischen, noch biblischen Philosophen von Genf sind herkömmlicher Art, bisweilen sogar durch Schrader's Einfluss pietistisch gefärbt.

Eine volkstümliche Biographie Rousseau's, in der auch seine pädagogische Bedeutung recht eingehend hervorgehoben werden konnte, wäre im Jahre 1889, dem Säkularjahre der französischen Revolution, sehr erwünscht gewesen, aber sie müsste auf viel eingehenderen Studien ruhen. Dieses Volksbüchlein kann auch den Elementarlehrern, an die es sich vorzugsweise wendet, nicht viel nützen, in mancher Hinsicht sogar schaden, für den Rousseau-Forscher ist es wertlos. Einen Aus- fall gegen Darwin, S. 57, hätte ein Gehrig sich besser sparen sollen.

R. Mahrenholtz.

i/ Schmidt, Otto, Rousseau und Byron. Ein Beitrag zur ver- gleichenden Litteratargeschichte des Revolutionszeitalters. Greifswald, 1889. Jul. Abel. 182 S. 8^

Vergleiche zwischen grossen Dichtern und Denkern ver- schiedener Zeiten und Völker sind von jeher eine Lieblings- neigung deutscher Litterarhistoriker gewesen. Was hat man nicht alles verglichen! Shakespeare mit Händel, R. Wagner mit Äschylus und Euripides; Byron, der in der obigen Schrift Gegen- stand der Vergleichung mit J.-J. Rousseau ist, sagt von sich selbst, dass er innerhalb neun Jahre mehr als fünfzehnmal als Mensch und als Dichter mit anderen geschichtlichen und my- thischen Personen verglichen sei, darunter mit Rousseau und GoBthe sowohl, wie mit Arlechino und dem Zirkus-Clown. Daher könnte der ausschliesslich komparative Charakter der Scbmidt'schen Schrift leicht Bedenken erregen, indessen zum Glück hält sich der Verfasser auf dem Boden des litterarhistorisch Gegebenen und positiv Feststehenden. Byron's Mutter hat schon in dem zwanzigjährigen Sohne einen zweiten Rousseau erblickt, M°*® de Stall dann auf Grund ihrer persönlichen Bekanntschaft mit dem englischen Dichter diesen Vergleich wieder aufgenommen, misslich ist nur, dass Byron selbst zweiundzwanzig unterscheidende

Otto Schmidt, Rousseau und Byrnn. 151

Jtferkinale iwfUbrt. Schmidt bemerkt dazu allerdings mit Becfat, dasß siebzehn dieser Punkte „rein äusserli^her Natur'', die übrigen fUnf widerlegbar seien und er ziebt nun eine Parallele zwüoben beider Leben, Lebeasanftcbanaxig und tittenurisehea Tb^gkeit

Die Vorfahren beider stammten aus Frankreich, die Bou3- sean's aus Paris, die Byroo^s aus der Normandie, beider Vät^r leiteten die Erziehung der Söhne in uuverantwortUch schlechter Weise, sie standen Auch moralisch nicht eben hoch. XXie Büdung Rousseau's, wie Byron^s,- war eine vielseitig aJI>er ungeregelte, für einen enggegrenzten Lebensberof nicht passende, mit Ver- kenoung ihrer beiderseitigen Eigentümlicbkeüien wollten sie als Diplomaten glänzen. Frühe und ungeeignete EonuanleklTÜre gab beider Lebensanschauung etwas phantastisch -unrichtiges; wie Eousseau schon als Kind Bücher ohne Wahl und Verständnis durchjagte, so begeisterte sich der sechszehigährige 9jro^n jvi der NoiüoeUe Helo'isey las mit neunzehn Jahpeiu die Conf^»ons. Hang zur Einsamkeit und Naturschwärmerei, zu unnatürlicher Geftthlsweicbbeiit ist ihnen «eben in jungen Jahren ej^gentttvaUGb, abenteuerliches U<mberirren, wobei Byron sich eunäohst ^UerdiiOgs auf sein Vaterland hescbTänkte, binderte äire sittliehe Festigung und Charakterentwiekelung. Allzufr4£b lernten sie die Nachtseiten des Lebens und die Schwächen des Weibes kennen, ein w<eib- liches Wesen, das ihrer würdig iwar, famden beide «nur eiunwaj in ihrem vielgestaltigen Leben. Um in der Gesellschatf^t zu leib.en und hervorzAiragen, fehlte Rousseau tdie feste Gesundheit^ fUr Byron war sein körperliches Gebrechen trotz sonst Tolleiideter Schönheit ein fortwährendes Qj^idemis. Das Missbehagen, weiches sie von vornherein der Gesellschaft enige^€wtruge»n , artete all- mählich in einen feindlichen Gegensatz aus, den die Mit- und Nachweit, ungeachtet der Begeisterung für beider Dichtungen, durch Hass und Verleumdung erwiderte. Selbst die unparteiisch Urteilenden späterer Tage haben ihnen nur selten "volle Gerech- tigkeit widerfahren lassen. Byron glänzte schon mit dem 4icht- zehnten Jahre als Dichter und eidiob sich zum ersten S<^bnrift- steller seiner Zeit trotz aller Anfeindungen der Kritik^ auch Rousseau, obwohl erst von seinem neununddreiasigstesi Jsdur« ab ein allgemein gefeierter Schriftsteller, ist bereits in gleichem Alter dichterisch thätig. Von der Zunft der Kritiker a,ppe]lieren beide mit £rfo^ an ihre Zeit, Byron als Dichter, Bousseau namentlich als Musikreformator.

Aber, soviel sie auch von der feingebildeten Aristokra^tie gefeiert und selbst vergöttert wurden, behalten konnten sie ihre .hervorragende Steüupg nicht bis ^n ihres Lebens finde. Daher die Opposition, welche sie den herrschenden Anschanwif en in der

152 Referate und Rezensionen, E. Hönncher,

Gesellschaft, im Staate und in der Kirche machten. Die Ab- wendung von der herrschenden Aristokratie und Regierung, die Befreiung gedrückter und geknechteter Völker wirft auf ihre letzten Tage ein verklärendes Licht. Was für Rousseau^s Freiheits- ti'äume Korsika und Polen, das war, freilich mit ganz anderer Aufopferung seines Lebensglückes, für Byron Griechenland. Wie ihr Leben vielfache Übereinstimmung zeigt, ist auch ihr Dichten ein oft verwandtes. Der Verherrlichung der Liebe sind beider Hauptdichtungen gewidmet, und so wenig sie auch das weibliche Geschlecht im ganzen hochstellten und ihm eine vorherrschende gesellschaftliche Stellung gönnten, so sehr lassen sie die Weiber stets als Besiegerinnen der wie Sklaven behandelten Männer her- vorgehen. Edle und tugendhafte Frauen vermochten sie nicht zu schildern, weil sie solclie nicht kannten, ebensowenig gelang ihnen die Darstellung des Grossen und Selbstlosen im Manne, weil beider sittliches Ideal durch des Lebens Schickungen getrübt war.

Die Nachahmung Rousseau's ist in Byron's Dichtungen recht häufig, für diese meist augenfälligen Einzelheiten verweisen wir auf die Schrift selbst. Vor allem ist Rousseau sowohl wie Byron der Prophet der kommenden Umwälzung im staatlichen und litterarischen Leben, nur dass der letztere die erste jener grossen ümsturzbewegungen des XIX. Jahrhunderts, die griechische Revolution, noch durchlebte und durchlitt, Rousseau's Lebensende von dem Ausbruche der französischen Revolution um mehr als ein Jahrzehnt getrennt ist. Aber in litterarischer Hinsicht sind sie für Mit- und Nachwelt gleich bahnbrechend gewesen, ihren Einfluss haben auch diejenigen Zeitgenossen gespürt, die in ihrem innersten Wesen beiden abgeneigt waren.

Herr Schmidt kennt offenbar seinen Byron genau und kann sogar einige übereilte Urteile K. Elze^s berichtigen, für Rousseau fusst dagegen seine Kenntnis zum Teil auf sehr abgeleiteten Quellen. Daher weiss er zwar Paralellen und Parallelstellen aus Rousseau's Schriften zu finden, ist aber doch über wichtige Be- ziehungen seines Lebens nicht immer unterrichtet. So sollte die Untreue der Therese Levasseur und ihre spätere Ehe mit einem „Stallknecht" (genauer Reitknecht) des Marquis Girardin nicht als eine unbezweifelte Thatsache hingestellt werden, und der Vergleich Theresens mit Klytämnestra entbehrt jeder Realität. Auch hätte neben den Übereinstimmungen zwischen Rousseau und Byron das Trennende in beider Leben, Charakter und Dichter- thätigkeit in Betracht gezogen werden müssen, wobei die zwei- undzwanzig von Byron selbst aufgestellten Merkmale trotz ihrer „äusserlichen" Natur wohl einige Leitmotive gaben, falls sie nur weiter durchgeführt und vertieft wurden. So ist die Ab-

Joseph Sarrazin, Das moderne Drama der Franzosen etc. 153

stammnng Byron's aus der englischen Aristokratie, Ronsseau's aus dem Genfer Kleinbürgertum in der That etwas sehr ent- scheidendes. Byron blieb, trotz seines Hasses gegen volks- feindliche heuchlerisch -fromme Aristokraten sein Lebenlang der englische Lord, Rousseau, auch da, wo er sich der Gesellschaft von Paris, der Chevrette und von Montmorency nach Möglichkeit assimilierte und selbst den Geburtsstolz für berechtigt erklärte, doch der in fremde Sphären verschlagene Plebejer, Der Einfluss der Genfer Jugendeindrticke und der nie verleugneten Liebe für das französische Volk, dem seine Ahnen entstammten, musste bei Rousseau ebenso hervorgehoben werden, wie bei Byron die englische Geburt und Erziehung.

Ungeachtet dieser Mängel kann der Schrift sorgfältiges Studium, besonnenes Urteil und sachgemässe Darstellung nach- gerühmt werden, und, da sie manches bisher wenig Beachtete treffend hervortreten lässt, so verdient sie, gelesen und gekannt zu werden. R. Mahrenholtz.

Sarrazin, Joseph, Das moderne Drama der Franzosen in seinen Hauptvertretern, Mit zahlreichen Textproben aus her- vorragenden Werken von Augier, Dumas, Sardou und Pailleron. Stuttgart, 1888. Friedrich Fromman's Verlag (E. Hauff.) Vni, 325 S. 8o. Preis: 4 M.

Sarrazin's Beitrag zur Geschichte des modernen französischen Dramas zerfällt in zwei Hauptabschnitte: L Die Vorläufer des sozialen und Sittendramas, S. 1 50, und IL Das zeitgenössische soziale und Sittendrama, S. 51—319. In rascher Übersicht führt uns der Verfasser im I. Abschnitt die Herausbildung des bürger- lichen Dramas durch Diderot und Beaumarchais (Kapitel I) vor, um darauf das Drama der Romantiker (Kapitel II), sowie die Ecole du hon sens nebst „Scribe und Konsorten" (Kapitel II) zu würdigen. Bietet dieser Teil auch nichts wesentlich Neues, so verdient er doch die Beachtung wegen der oft treffenden Urteile, die Sarrazin als geborener Franzose, begabt mit feinem Ver- ständnis für das spezifisch Französische, fällt. Mit den Quellen- schriften zur neuesten Litteratur zeigt sich Verf. durchweg ver- traut. Abschnitt II behandelt darauf in Kap. I Ämile Augier's Leben und Werke und bietet Textproben aus Les Lionnes pauvres IV, 7 und 8;' Les Effrontes III, 1 5; Les Fils de Gihoyer I, 7 und III, 16; Les FourchamhauUll^ 1 und V, 5 7, dergestalt, dass den vorausgeschickten gründlichen Analysen einige der packendsten Szenen aus den Hauptwerken folgen. (S. 55 132.)

154 Referate und üezensioneH, D. Behrens,

Kap. II beschäftigt sich mit Alexandre Dumas ßs «uid ^Wii Text- proben aas dessen Dramen VAmi des Femmes I, 5 und III, 2; La Princesse Georges II, 1 ; L'Etrangere I, 2 und 3 ; sowie einen Abschnitt aus der Vorrede zu Claude (S. 133 208). Von be- sonderem Interesse für den Kenner des modernen Theaters sind die Kap. III und IV, welche Victorien Sardou (S. 209 272) (Proben aus dessen Fernande II, 10 13, Divor^ns II, 7 u. III, 4), sowie Edouard Pailleron, Halevy und Meilhac, Zola behandeln. Als Textproben folgen Pailleron's Le Monde Von 8*ennuie II, 1 und III, 4 9, sowie ein Gedicht zu dessen Fav^ Minages S. 273 320. Ein sorgfältig ausgearbeitetes Register schliesst das Ganze. Was den Leser unmittelbar angenehm berührt, ist der warme, gemtitreiehe Ton, mit dem, frei von aller Pedanterie, Sarrazin sich ausspricht. Eine gründliche Kenntnis modernster fran- zösischer Theater- und Lebensverhältnisse wird niemand dem Ver- fasser absprechen mögen ; dass er sie uns in diesem Werke zu- weilen verbirgt, sie bescheiden zurückhält, um auch dem weniger mit Litterarhistorie vertrauten Leser ein scharfgezeichnetes Bild des modernen französischen Dramas zu entwerfen, wer wollte ihm das verargen? Wenn deshalb die Deutsche Litter aturzeitung, 1888, Nr. 49 vom 8. Dezember, Spalte 1785 1786 sagt: „Bei der Bedeutung, die das französische Sittendrama für unsere Bühne gewonnen hat, wäre der Gegenstand einer gründlicheren Be- handlung wert gewesen", so widerlegt sich dieser Vorwurf wohl durch die Absicht des Verfassers, das Thema für einen weiteren Leserkreis zu behandeln. Der Kritiker fährt an genannter Stelle fort: „Dazu aber müssten die Lebensbedingungen des zeitgenös- sischen französischen Dramas, die in Stammesart und Sitte der Nation, in 4er Stellung der Gebildeten zur Religion und Ethik, in der politischen Entwickelung Frankreichs, in der Erziehung der Frau und ihrer Rolle in Staat und Gesellschaft, in dem Erwerbs- und Genussleben der oberen Schichten, in der litterarischen Ab- geschlossenheit Frankreichs Hegen, aufgesucht und entwickelt werden. " So sehr wir hier im Grunde beipflichten müssen, dürfen wir doch andererseits nicht vergessen, dass es etwas viel ver- langen heisst, in der Zeit und aus ihr heraus ein abschliessendes Endurteil über zeitgenössische dramatische Erscheinungen zu fällen. Wir begrüssen also Sarrazin's Buch so, wie es vorliegt, freudig als ein zur rechten Zeit und vom rechten Manne ge- schriebenes Werk, als einen willkommenen Führer beim Studium des modernen französischen Dramas. *

E. HÖNNCHER.

K, Armhruster, GtscMechiswandel im Französischen. Mask, u. Fem. 155

Armbraster, Karl, GescMechtstvändelim Franzimsckm. MoiHeuiimim und Femininum. Heidelberger Dissertation. Earlsmhey 1^888. Maisch & Vogel. 154 S. S».

Während in den letzten Jahren die Geschichte des Neutnußis im Lateinischen und in den romanischen Sprachen vorzügliche Dar- stellungen gefanden hat, steht eine solche für das Femininum und Maskulinum noch aus. Abgesehen von den gehaltreichen, aber sehr kurzen Bemerkungen, welche Diez im zweiten Bande seiner Qrammatik und W. Meyer in der Einleitung zu seiner Schrift über das Neutrum gegeben haben, wurden einschlägige Untersuchungen stets nur entweder mit Beschränkung auf ein einzelnes Problem des Genuswandels oder sber mit Beschränkung auf eine einzelne romanische Sprache unternommen. Für das Französische sind hier mit Ausschluss derjenigen, welche mit einer einzelnen Wortgruppe sich beschäftigen, etwa die folgenden Arbeiten zu verzeichnen: Fr. Strehlke, Der Geschlechtswechsel der Substanüva beim Übergang vom Lateinischen ins Französische (Herrig' s Arch. Bd. 13, S. 116 129); Baale, Remarques sur legenre des substantifs(TaalstudielS.) Spelthahn, Das Genus der französischen Substantiva, Amberg 1888 Jahn, Über das Geschlecht der Substantiva bei Froissart, Halle 1882 L. Hirsch, Das Genus der französischen Substantiva mit besonderer B&- riicksichUgung des Lateinischen (Jahresberichte der Staats- ünterrealschule im F. Bezirke in Wien für das Schuljahr 1886/7 und fm 1887/8),^) Die genannten Spezialuntersuchungen werden durch die vorHegeade Broschüre Armbruster's teils mit Rücksicht auf die Beichhaltigkert des herangezogenen Materials, teils mit Rücksicht auf die Verarbeitung des- selben erheblich überholt. In dem an sich löblichen Bestreben., nicht mit dem blossen Registrieren der Thatsachen sich zu begnügen, sondern stets auch den Grund der Erscheinung anzugeben, scheint uns der Ver- fasser freilich manchmal zu weit gegangen zu sein, weiter als dies die Mittel der Einzelsprache und weiter als es ein von ihm öfter an- gewandtes nur allzu unsystematisches Verfahren im Heranziehen der anderen romanischen Sprachen gestatteten. Wird so der Leser das Schriftchen nicht aus der Hand legen, ohne dem Autor für Anregung und Belehrung Dank zu wissen, so wird er andererseits in nicht wenigen Fällen gegenüber den Ausführungen desselben sich ablehnend oder zweifelnd verhalten.

Erster Hauptabschnitt. Geschlechtswandel, hervorge- rufen durch die äussere Form des Wortes. Teil I. Die Er- klärung des Wandels bietet sich auf dem Boden der fran- zösischen Sprache. a)DieEndung eines Wortes ist die Ursache seines Genuswechsels. 1. Maskulina treten infolge ihrer Endung: stummes -e zum weiblichen Geschlechte über. Ver- fasser stellt hierher zunächst einige Wörter, welche im Lateinischeil Maskulina der ersten Deklination waren und „infolge ihrer Endu]a:!g -<a, franz. -e, zum Femininum übertraten." Ob der Übergang von lat. -a zu franz. -e dem Geschlechtswandel voranHegt oder später erfolgte, lässt sich nicht wohl entscheiden. Dass franz. comete fem. nicht nur ital. cometa fem., sondern auch nprov. coumeto fem. (s. Mistral Tresor, s. v.), portg. cometa fem. und mit veränderter Bedeutung span. cometa fem. zur

^) Eine von Sachs als Fortsetzung zu seiner Abhandlung über ^as Neutrum im Französischen (Göttinger Dissertation, 1886) in Aussicht ge- stellte Untersuchung über das Maskulinum und Femininum ist bis jetzt nicht erschienen.

156 Refei^aie und Rezensionen. D, Behrens,

Seite stehen, verdiente immerhin bemerkt zu werden. Zu den Autoren, welche das Wort im XVI. Jahrhundert als Maskulinum gebrauchen, hätten R. Garnier (s. W. Procop, Syntaktische Studien zu B. Garnier, Eichstätt 1885, S. 25) und Du Bartas (s. Pellissier, La vie et les oeuvres de Du Bartas, Paris 1882, S. 194) gestellt werden können.^) Die Annahme, dass das Geschlecht des Oberbegriffes Stella auf dasjenige von cometa Einfluss geübt habe, weist Armbruster als unnötig zurück mit Hinweis auf das Vorkommen von la pape und la prophete und lässt dabei unerwogen, dass bei cometa die Genusveränderung in sehr viel ausgedehnterer Weise Platz griff, als dies bei papa und hei propheta der Fall. Unter planet e bemerkt Verfasser „ital. pianeta mask." Dieselbe Angabe hätte für das Spanische, Portugiesische (hier daneben fem. s. Comu in Gröberes Grund- riss der rom. Philologie I, 788) und Altprovenzalische (mask. und fem., s. Raynouard) gemacht werden können. Ich vermisse eine Bemerkung darüber, dass im Altfranzösischen neben planete planet vorkonmit und dass das Wort als wissenschaftlicher Terminus noch im XVII. Jahrhundert im Französischen als Mask. im Gebrauch gewesen ist. Während comete und planete endgültig das feminine Genus annahmen, begegnen die persönliche Begriffe ausdrückenden Wörter pape und prophete nur vereinzelt als Feminina. Dass man in Montpellier noch heute papo weib- lich gebraucht (s. Mistral, Tres.), hätte bemerkt, mit Bezug auf prophete noch auf cele prophete J. von Arimathia (ed. Weidner) 191 verwiesen werden können. Dass auch in diesen beiden Wörtern die Endung -e resp. -a allein für den Geschlechts Wechsel verantwortlich zu machen ist, ist eine Ansicht, an deren Richtigkeit ein Zweifel gestattet sei. Bekannt- lich haben mehrere Substantiva, die ursprünglich Feminina waren und keine Personen bezeichneten, im Laufe der Zeit persönlichen Begriff an- genommen und mit diesem Bedeutungswandel einen Geschlechtswechsel verbunden. Das fem. aide, Hilfe, wurde mask. aide, Helfer. Ebenso ver- hält es sich mit span. el cura, der Pfarrer, franz. garde, Wächter, franz. trompette^ Trompeter, und einer Reihe anderer Wörter, über die Armbruster S. 132 ff. seiner Arbeit gehandelt hat. Ist es nun von vorn- herein wahrscheinlich, in einigen Fällen historisch nachweisbar, dass in derartigen Wörtern zur Zeit, in der die Bedeutungsveränderung vor sich ging, das Geschlecht nicht der veränderten Bedeutung entsprechend sofort fixiert wurde: also z. B. trompette fem. := Trompete eine Zeitlang trom- pette = Trompeter als fem. und mask., span. cura fem. eine zeitlang cura = Pfarrer als fem. und mask. zur Seite standen, bevor mit dem persönlichen Begriff das männliche Geschlecht endgültig verknüpft worden ist, so darf es möglich erscheinen, dass das schwankende Ge- schlecht dieser Wörter auf dasjenige von pape und prophete Einfluss gewonnen und hier gleiches Schwanken verianlasst hat. Dass gleichzeitig die Endung auf den Wechsel des Genus eingewirkt hat, soll nicht in Abrede gestellt werden. Das in diesem Zusammenhange von Arm- bruster noch behandelte capitaine, das ebenso wie die sämtlichen vorher genannten Wörter nicht Erbwortcharakter trägt, ist als Femininum ausser

1) Über die sich widerstreitenden Auffassungen im XVII. Jahrhundert gibt Manage eine drastische Anekdote, die hier (nach Richelet, Dictionn, 8. V. comette) nachgetragen sei: Le gemre de ce mot fut fort agite ä la Cour dwrant Faparition de la demi^re comete, dit Mr. Menage j tome 1 de ses observ., eh. 74, et quelcun dit fort pHaisamment , qu'ü fcUaü lui regarder sou^ la queu'e pour savoir si eile etoit male, ou femeUe: Ü croit que ce mot est feminin.

E. Armbrusier, Geschlechtswandel im Französüchen. Mask. u. Fem. 157

bei Proiflsart bei Monstrelet nachgewiesen: en ce temps furent envoyees plusieurs capitaines III, 281 (s. Waldmann, Unters., S. 10).

Verfasser schliesst die Besprechung einer langen Reihe anderer Wörter an, deren auslautendes e nicht auf lat. a zurückgeht. Von diesen sind ein Teil (acanthe, aetite, affaire, alarme, amarante, asperge, äuge, bamboche, caracole, carne, darique, datte, disparaie, echarde, equivoque, escape, halte, hysope, impasse, Insulte, intrigue, jusquiame, limite, morve, obole, opale, pampe, rame, r egale, rondaclie, tafle, topaze, transe) heute ausschliesslich als Feminina in der Schriftsprache gebräuchlich, während andere (abime, bronze, Centime, automne, cigare, coude, crabe, episode, galbe, geste, glaive, hyacinthe, jacque, mode, naphte, ome, pagne, panache, psaume, renne, rythme, tumidte, triomphe), nachdem sie zeitweilig im Geschlecht schwankten, in der Schriftsprache zum ursprünglichen, männ- lichen Geschlecht zurückkehrten oder als Maskulina und Feminina (zum Teil mit differenzierter Bedeutung) sich erhielten. Es ist Arm- bruster nicht entgangen, dass es sich meist um gelehrte Wörter handelt. Auch daran, dass es in denselben überall das auslautende e gewesen, welches den Geschlechtswandel bedingte, äussert er leisen Zweifel. Ich glaube, dass Verfasser den Einfluss des End-e auf das Geschlecht dieser Wörter im Französischen gleichwohl noch bedeutend überschätzt. Es bleibt zu beachten, dass sehr viele derselben auch in anderen romanischen Sprachen unter anderen Bedingungen als der von Armbruster für den Geschlechtswandel im Französischen in erster Linie angenommenen mit weiblichem Geschlecht erscheinen. Auch span. portug. etites ist fem., desgleichen neuprov. acanto, amaranto, espargo, rum. sparanga (aus dem Griechischen), rum, dlhia, neuprov. autouno neben autoun (mask.), rum. toamnä, neuprov. bambocho, brounzo (neben mask. brounze) camo cigaro, eschardo, gesto (neben gest maak.), alto, instdto, catal. insvlta, neuprov. entrigo, span. -portug. intriga, span. fjäca (neben jaco mask.), neuprov. jusquiamo (neben jusquiam mask.), portug. linda linde, neuprov. limito demito , sard. , ital. , span. , portug. moda , neuprov. modo mouodo (s. Schuohardt, KuhrCs Zs. XXII, 165), neuprov. bormo morvo, span. nafta, portug. naphta, neuprov. nafto, ital. nafta, neuprov. oubolo, portug. opala, altprov. pampa, neuprov. pampo (auch m.), catal. pampa, span. pampana neben pampano, neuprov. ram^, altprov. -catal. rama (neben ram), ital. rama und ram^ (s. Canello, Arch. gl. III, 404), neuprov. regalo roundacho (auch mask.) toupazi tränst (auch mask.). Diese Entsprechungen in den anderen romanischen Sprachen, welche eine verschiedene Be- urteilung fordern ein Teil derselben wird durch das Französische direkt beeinflusst worden sein , hätte Verfasser trotz des Lehnwort- charakters der meisten nicht mit Stillschweigen übergehen sollen. Im einzelnen sei zu seinen Ausfahrungen in diesem Absclmitt folgendes an- gemerkt: abime ist bereits vor dem XVI. Jahrhundert als Femininum nachgewiesen: Les jugemens de Dieu sont une profonde ahisme (Alain Chartier), was Palsgrave, Edaire. S. 173 tadelt. Noch Vaugelas (Rem,, ed. Chassang, II, 457) hebt hervor, dass es zu seiner Zeit von einigen als Femininum gebraucht werde, und Richelet hält es in seinem Dict, s. v. nicht für überflüssig, ausdrücklich (mit Hinweis auf Manage tom. 2, observ. eh. 74) zu bemerken, dass dem Wort männliches Genus zukommt. Heute ist aibtme fem. im Patois des Morvan (s. De Chambure, Glossaire s. v.), acanthe verzeichnet Cotgrave als Maskulinum. Sollten die volks- tümlichen Synonyma franz. pate d^ours, prov. pato d^ours, franz. acanthe und prov. acantho im Genus beeinflusst haben ? Auch ist bei dem Worte gelehrten Imports zu berücksichtigen, dass im Lateinischen neben acanthus mask. (Bärenklau) acanthus fem. (äxau^oq ö und ^ =■ Schoten-

158 Referate und Rezensionen* D, Behrens,

dorn) stebt, wie bei der Beurteilung von aetüe nicht ausser Acht zu lassen ist, dass neben lat. aetites mask. aetiiis (dsTtriq) fem. (als Be- Zeichnung eines Edelsteins) vorkommt. af faire begegnet im XVI. Jahr- hundert auch bei Amyot (hier ausschliesslich nach Vaugel., Bern, I, 386) imd bei R. Garnier (s. Procop, L c, S. 24) als Femininum. Einen längeren Exkurs über das Greschlecht des Wortes im XVII. Jahrhundert gibt Vaugel. L c. Das ursprüngliche, männliche Geschlecht begegnet auf nordfran- zösischem Sprachgebiet noch heute in Puybarraud (Charente, s. R. des Patois g.-r. 11, 56). alarme, asperge und äuge gibt Cotgrave als Maskulma. Beispiele für attge mask. (das noch heute in ürimdnil nach Haillant, Essai III, männliches Genus hat), die Armbruster vermisst, begegnen bei Du Bartas (s. Pellissier, /. c, S. 194). automne ist nach Cotgrave maskulin, nach Vaugelas, Rem. II, 454 stets feminin. Vgl. femer Richelet's Dktionn. s. V. und Girault-Duvivier's Gram, des Grram.'^j S. 43, woselbst wertvolle Angaben über den Sprachgebrauch des XVIII. Jahrhunderts zusammengetragen sind. Zum Lateinischen s. E. Appel, De genere neutro S. 44, 100. Bronze begegnet nach Richelet im XVEI. Jahrhundert als Femininum bei Voiture (I, 33.) Dasscaracole auf ein arabisches Grundwort zurückgeht, halte ich nicht für ausgemacht. Diez, E. W. I, s. v. caragoUo äussert sich sehr vorsichtig und weder in Engelmann-Dozy's Glossaire noch in Eguilaz y Yanguas' Glosario haben ^an. caracoly ccMracola Aufnahme gefunden. Im Französischen war das Wort im XVII. Jahrhundert nach Richelet vorwiegend maskulin : „Qnelqu€S- uns fönt caraccd ßminin, et Fecrivent avec u/n e ä la fin, mais tous ceux qui parlent bien, le fontmasculin, et Vecrivent sans e final." Centime (daher span. ceniima) ist heute fem. gen. in Roubaix (s. A. Faidherbe, Causerie humor., S. 21), Däp. Meuse (s. Labourasse Gloss. S. 41), pat. blaisois (s. Talbert, S. 269), Normandie (s. Moisy, S. LEI), Puybarraud (s. Rev. des Pat. g.^. II, 57), cigare im pat. blaisois (s. Talbert, l. c), crabe (vgl. Gram, des Gram.'^^ S. 58 Anm. 81) im normannischen Patois von Grävüle (s. Fleury, Essai, S. 53), im Bessin (crape, s. Joret, Essai, S. 75), wallon montois (s. Sigart, Gloss. und Rolland, Faune pop. III, 225). datte war im XVII. Jahrhundert maskulin nach Cotgrave, feminin nach Vaugelas, Rem. II, 29. disparate verzeichnet Richelet als Femininum mit der Bemerkung quelques -uns se servent de ce mot, quoiq%C Espagnol, pour signifier des choses dites ä contre-tems, woraus her- vorgeht, dass es im XVII. Jahrhundert als Fremdwort empfunden wurde. Cotgrave hat es nicht aufgenommen. Zu äpisode vgl. Vaugelas, Rem., ed. Chassang II, 67 f. und Gram, des Gram.'^, S. 58, zu öquivoque Vaugelas, l. c. I, S. 85 und Corneille, (Euvres (Ausgabe der Grands Ecrivains) VI, 469 Anm. 3. Ich vermute, dass das Geschlecht von altfrz. glaive durch dasjenige von espee beeinflusst wurde, wie auch der umgekehrte Einfluss sich geltend gemacht zu haben scheint. Einige Belege, welche das Geschlecht von glaive im Altfranzösischen erkennen lassen, findet man auch bei Sternberg, Ausgaben imd Abh. XL VIII, S. 25 ver- zeichnet. — Den von Armbruster nach Sachs gegebenen Unterschied zwischen hyacinthe mask., wenn es die Blume bezeichnet, fem., wenn der Edelstein gemeint ist, kennt die neueste Auflage des Wörterbuches der Akademie nicht. Dieselbe bezeichnet das Wort in beiden Bedeutungen als Femininum. Im XVII. Jahrhundert gibt Cotgrave hyacinthe und iacmthe ausschliesslich als maskulin , während Riegelet, s. v. hiadnthe be- merkt ce mot est feminin, lorsqu^ü signifie une sorte de fleur, et meme ahrs il ^eorit jadnthe und ib. s. v. jacvnthe Flusiewrs Flewristes disent le Jakute; et üs ont guelque raison: car ü vient de lacinte changi en fleur, sdon la fable. Cependant presque tout le monde le fait feminin . . .

K. Armbrt^ter, Geschkchtstvandel im Französischen, Mask. w. Fem, 159

Neben lat. hyssopns fem. steht hyssopum n. (neben ^ech. !j<nrü}ito<; to fjtrtnomt)/). Armbriister irrt in der Annahme n<^3 mask. Formen der anderen Sprachen lassen darauf schliessen, dass sich das französische Femininum erst auf französischem Boden gebildet hat und nicht als das etymologische Geschlecht zu betrachten ist.'' Dass Insulte im XVII. Jahrhundert keineswegs ausschliesslich als Maskulinum im Gebrauch gewesen ist, wie es nach der bei Armbruster gemachten Angaben den Anschein gewinnen könnte, lehrt Richelet: Mr. Flechier a faü ce mot masaUin (Gabinius representa, gue cfHait un instUte quUon lui faisait), L'Academie Va fait aussi mascidin. Cet uaage fait toujours ttne grande insulte ä Vuaage regu . . ." Was nötigt, franz. (gelehrtes) inatUte auf ital. inatUto zurückzuführen? Zu intrigue vgl. Vaugelas, Rem. I, 220, woselbst auch die Herkunft aus dem Italienischen ausdrück- lich hervorgehoben wird. Jusquiame gibt Cotgrave als maskulin, Richelet als feminin. Über limite s. Vaugelas, B&m. II, 422. Über morve vgl. auch Gröber, Arch. f. lat Lex. IV, 122 f. und meine Beciproke Metathese f S. 78 f. Cotgrave verzeichnet morve als Maskulinum, desgl. obole und opale. Orne ist heute feminin in Berry (s. Jaubert, Gloss.). pampre hat bei Cotgrave weibUohes Genus. Richelet be- merkt „quelques vignerons que fai ms sur ce mot le fowt feminin, mads mal. Tous ceux qui parlent bien & q^e fai consultez fönt sans contestation le mot de pampre masculin. Zu r^gale sei mittellat. fem. regaiis (statt gewöhnlichem regalia) angemerkt, das Du Cange verzeichnet: Concedimus per Begalem nostram). rythme begegnet als Femininum auch bei Des Periers (s. Chenevriöre, Bonaventure des Periers, 8a vie, ses poesies S. 186. Gel. topaze fem. möchte ich = lat. topazus fem. setzen.

2. Einfluss anderer Endungen und Endungsgruppen auf das Genus. In alphabetischer Folge werden die Substantiva auf -ace, -age, -ange, -ige, -ette, -eile, -ice, -idre -ere, -m, -ain, -oire, -ow, 4e, -e behandelt. Auf S. 23, wo ausgeführt wird, dass populace und pr^face vorübergehend mask. waren unter dem Einfluss von espace etc., konnte auf J. Rothenberg, De auf fix. mutatione S. 71 f , verwiesen werden. Be- achte noch zu populas m. Godefroy, Dict s. v., zu preface die Zusätze der Akademie und Th. Comeille's zu Vaugelas* Bern, (ed Chassang I, 141.) S. 23 26 wird von cartilage und putrilage gehandelt, die heute mask. sind, und von image, das im Alt- und Mittelfranzösischen vielfach als Mask. begegnet, in der heutigen Schriftsprache das etymologische Ge- schlecht gewahrt zeigt. Auf die zahlreichen Belege bei Rothenberg, /. c., S. 6, für mask. image hätte Verfasser auch hier verweisen und ausserdem bemerken können, dass in den Volksmundarten (z. B. in Blois, Puybar- raud, Normandie) das Wort heute vielfach ausschliesslich als Mask. vor- kommt. Nachzutragen siad tussilage^) mask. und farrage ma»k. (s. Littr^'s Beispiel s. v.). Verfasser macht für den Genuswandel den Ein- fluss der zahlreichen Subst. auf -age = -aticum wohl mit Recht verant- wortlich. Wie sind aber altfrz. ymagene masc. (Oxf. Bol. 3268) und span. (gleichfalls nicht volkstümlich entwickeltes) cartüagen masc, die Arm- bruster unerwähnt lässt, zu erklären? Was Verfasser S. 25 ff. über die Wörter auf -ange und -onge ausfahrt, befriedigt ihn selbst nicht. Bemerkt werden konnte, dass nfrz. los ange fem. iial. lozanga fem., pg.

^) Lat. tuasHaginem fem., ital. tusaÜagine fem., pg. iussHagem fem., prov. toussiUige mask. (auch nprov. image und cartilage zeigen weder das etymologische Geschlecht noch das volkstümlich entwickelte Sufßx. Vgl. über dieses Gröber, Arch, f, lat. Lex. IV, 443).

160 Referate und Rezensionen. D, Behrens,

losango mask., nprov. lausange mask. entsprechen. Zumälange mask. (fem. Cotgrave!) vgl. prov. meilange, melenjo mask., zu chalonge W. Meyer's Neutrum S. 156, woselbst *calumnium aus calumnia nach dem Muster von blaspJiemium blasphemia angenommen wird. S. 27. Dass t ige als Mask. erst aus dem XVI. Jahrhundert^) nachgewiesen wurde, kann auf Zufall beruhen, dass es, wie Armbruster meint, unter dem Einfluss von prestige, vestige, prodige dieses Geschlecht annahm, zweifelhaft erscheinen, wenn man neuprov. mask. tige (neben fem. tijo) vergleicht. Es kann prov. tige völlig unabhängig von franz. mask. tige nach Analogie entstanden sein, es kann an das Wort der französischen Schriftsprache sich angelehnt haben, es kann aber auch bereits gallo-romanisches Hibium neben tibia die ge- meinschaftliche Basis für franz. und prov. tige mask. gebildet haben. S. 28. Mit franz. kyrielle fem. vgl. nprov. kirieUo fem. und berücksichtige, dass im Portugiesischen auch die nicht weiter gebildeten hyrie und kyrie eleison (unter dem Einfluss von litania?) weibl. Geschlecht annehmen konnten. S. 28f. -ice: caprice bezeugt auch Cotgrave als Fem. Wie verhält sich dazu neuprov. caprigo fem.? Für mask. malice s. weitere Belege bei Rothenberg S. 71 und Scheler (zu Watriquet). Zu r^glisse vgL Vaugelas Bern. 11, 132, Eichel, s. v., Gram, des GhramJ die Bern, detachees und beachte span. regaliz mask. neben regaliza fem. S. 29. Die An- nahme, dass coläre, über dessen Geschlecht bei R. Garnier man auch Procop l. c. S. 25 vergleiche, „erst im XV. Jh. ins Französische kam" ent- behrt ausreichender Begründung. Patereist heute mask. im Normanni- schen (s. Moisy, Dict), S. 30 -in, ain: Zu avertin (auch span. avertin mask.) s. Tobler, Mise, CaixhCanello S. 74 und Bomania XV, S. 454. Dass plantain (vgl. neuprov. plantan mask. neben plantage ; altfrz. auch plan- teine nach Earle, Engl. Plant Nam^es S. 46) unter dem Einfluss von airain, terrain etc. männlich geworden ist, mag richtig sein. Wie erklärt es sich, dass span. llanten, dem ursprüngliche mask. auf -en nicht zur Seite stehen, gleiches Genus hat? Hmzuzufugen ist altfrz. chalin, worüber Tobler /. c. gehandelt hat. S. 30 -oir: Belege für mask. histoire gibt auch Settegast J. Cesar, EinL S. XXVIII. Unter memoire war altes me- morium (s. W. Meyer Neutrum S. 151 und E. Appel l. c. S. 76) nicht zu über- sehen, über ivoire vgl. Gram, des Gram.'^ S. 59, Heute ist es feminin im Patois blaisois (s. Talbert S. 269). S. 32 -on: Die Richtig- keit der Bemerkung, frisson (neuprov. /msoun mask.) sei altfranzösisch regulär feminin gewesen, hätte ich durch einige Belege bestätigt zu sehen gewünscht, umsomehr als auch Littr^ solche nicht gibt. Mit neufrz. maudisson mask. vgl. benechon, benesson mask. in schweizer Mundarten (Bridel). Poison, wozu auch Vaugelas Bern. I, 97 und II, 308 zu vergleichen, ist noch heute feminin in Ürim^nil (s. flaillant III, 4), Departement Meuse (s. Labourasse), Berry (s. Jaubert), Haut -Maine (De Montesson), einem Teü der Normandie (s. Moisy, mask. pouesoun in Gröville nach Fleury, Essai s. v.). Soup9on wird noch von Cotgrave als Femininum verzeichnet. Den Übertritt zum Maskulinum zeigt gleichfalls neuprov. sougoun, Dem gel. frz. talion entsprechen, soweit ich sehe, auch in den anderen romanischen Sprachen ausschliesslich Maskulina: neuprov. talioun, altprov. talio, span. talion^ portug. taliäo, itaJ. taglione. S. 35 S, -te, -e: Vgl. Rothenberg l. c. und Willenberg Zs. f. nfrz. Spr. III, 566 ff. Die Frage, ob im einzelnen Falle der Genuswandel älter ist oder jünger als der Übergang von lat. -at in franz. -et wird flüchtig gesü'eift. Erwähnt wird u. a., dass prov.

1) Vgl. auch zu Du Bartas: Pellissier L c. S. 196, zu Magny: Favre, Olivier de Magny. Paris, 1885, S. 318.

K. Armbrtister, GescMechiswandel im Französischen. Mask, u, Fem. 161

comtatj estat wie im Französischen maskulin und feminin sind. Nicht erwähnt werden prov. viacoumtat comm. , prov. d/ucat comm., nordital. istä mask. (s. Ascoli, Arch. gl, Yll, 495; neuprov. iatd mask. dans les AlpeSf Mistral). Prov. parentat hätte nicht ausschliesslich als Masku- linum verzeichnet werden sollen. Altfrz. patriarche, patriarchee fem. neben patriarchie mask. (Godefroy) und d^te mask. (z. B. Chron. des J. d^Outremeuse I, 72 ; vgl. Marty-Laveaux zu Du ßellay Ausgabe Bd. I, 502) bleiben unerwähnt. Im Einzelnen sei noch folgendes angemerkt: Dass comt^ im Altfranzösischen stets feminin gewesen (S. 85), nimmt Verfasser selbst auf S. 36 zurück. Vgl. zu dem Worte auch Vaugel. Rem, 11, 71 f woselbst noch von evesche und dtiche gehandelt wird, und Richelet 8, v. Letzterer kennt auch m. vicomte, das Armbruster vermisst. Weshalb wird zu comtee der Zusatz „gewissermassen = *comitata" ge- macht? — Über ducke, das als Femininum bei La Rochefoucauld (s. Aus- gabe der Qr, Ecriv. III, 2 S. XLV) und Balzac (s. jetzt Leest, Synt. Studien S. 21) begegnet, vgl. ebenfalls Bichelet a. v, Jüngern Nachweis für ^vdchä fem., als den von Armbruster gegebenen, findet man in der Gram, des GhramJ S. 42. Martdnus bemerkt dazu Mopo^i^xeou xeXuxdif S. 90 est di^j: sed saepius foeminini. Zu parent^ vgl. noch Gk>defroy, der auch parente fem. (Geste de Lüge 908 Qui fu de sa parente: mente) verzeichnet. Dass e (apis) männliches Genus erhalten habe unter dem Einfluss von gre, hU, gue etc., wie Armbruster anninunt unter Berück- sichtigung der Einsilbigkeit und des vokaHschen Anlautes, halte ich für wenig wahrscheinlich und vermute die Existenz eines vulgärlat. apis comm., das mit den zahlreichen anderen Wörtern auf -iSy deren Ge- schlecht schwankte, auf gleiche Stufe zu stellen. Dass auch im Frei* burger Dialekt die dem Französischen entsprechenden Wörter 'a (Bridel au), as, es neben dem weiblichen männliches Genus haben, erwähnt Ver- fasser selbst. Ett ist heute fem. im Departement Meuse (s. Labourasse Glossaire S. 41), asti in Berry (Jaubert).

Es folgt (S. 39 jff.) die Besprechung solcher Wörter, in denen aus- lautendem sogenanntem Stütz-e Liquidenkompositionen vorangehen: -hre, 'Cre, -dre, -fre, -tre, -vre, -de, -pU, -sie, -tle, -rle. Indem Verfasser be- merkt „Kurz und dem Thatbestand entsprechend ausgedrückt findet eine Verwechselung des sogenannten Stütz-e mit dem aus a ent- standenen statt, wobei die Analogie bald nach der einen, bald nach der anderen Seite ausschlägt^ wiU es mir scheinen, dass er vielfach auch hier zu weit gegangen in dem Bestreben, die Veränderungen des Genus als innerhalb des Französischen durch die äussese Wortform bedingt hin- zustellen. So soU couple Wörtern mit der Endung -ple wie peuple, exemple, temple sich im Genus angeschlossen haben. Übersehen ist dabei, dass auch das ProvenzaUsche mask. couhle, couple (altprov. nach Mistral coble) kennt, für das Provenzalische aber, was Armbruster für den Genus- wandel im Französischen geltend macht, dass ursprünglich lat. -plu(m) und -pla(m) in -ple sich begegnen, nicht mehr zutrifft. Es ist daher wohl die Vermutung berechtigt, dass bereits in galloromanischer Zeit copulum existierte, das sich zu copida verhalten wie memorium zu m,€moria, blas- phemium zu blasphemia etc. und die gemeinsame Basis für prov. coble mask. und franz. couple mask. geworden. Belegt ist spätes lat. copulum von. E. Appel l. c. S. 75. Auch den Beweis dafür, dass das altfrz. gelehrte triacle sein Qenus der Endung -cle verdankt, die Endung -de also älter ist als das männliche Geschlecht, wird man durch Verfassers Ausführungen nicht für erbracht halten. Wenn aus altfranzösischer Zeit nur triacle mask., kein triac oder theriac mask. (erst seit dem XVQ .Jahrhundert ist th^riacgue mask. und fem. bezeugt), nachgewiesen wurde, so kann das auf Zufall

Zschr. f. frx. Spr. u. Litt. XI2. ^

162 Referate und Rezensionen. D, Behrens,

beruhen. Wenn Verfasser dntre mask. wohl mit Recht mit Diez als Verbalsubstantiv von cintrer, wölben, erklärt und dann weiter meint» da Span., katal., ital. das Verbalsubstantiv weibliches Geschlecht zeigt, so dürfe auch ffirs Französische auf ursprüngliches feminines Genus geschlossen werden, das Maskulinum werde sich durch ^e Endimg erklären, so liegt es auf der 9and, dass ein Schluss wie er hier von den anderen romanischen Sprachen (übrigens kennt das Prov. auch dntre, cmdre etc. mask. neben dntro,^ dndro fem.) auf das Französische gemacht wird, nicht statthaff; ist. Ahnliche Einwendungen Hessen sich zu anderen in diesem Abschnitt enthaltenen die Zeit und Art des Genus- wechsels betreffenden Ausfährungen machen. Im Einzelnen bemerke ich noch folgendes: S. 40. Unter ambre beachte auch neuprov. ambre mask. (Raynouard belegt ambre Eluc) neben ambro fem. l ambre lässt sich nicht mit Diez aus lamma gewinnen, wie Gröber Areh. f. l. Lex. III, 275 bemerkt hat. Zu ombre (altfrz. mask.), das nach Armbruster in französischer Zeit an concombrey decem^e, nombre etc. sieh angelehnt hat, drängt sich die Frage auf, ob dasselbe nicht vielmehr mit (von Arm- bruster nicht erwähnten) franco-prov. (Pribourg, s. Haefelin, Jahrbuch XV, 295) omftrM, ombro mask. auf ein bereits im Galloromanischen neben umira vorhanden gewesenes *umbn(m zurückgehe. Wenn cone ombre gelegentlich als Femininum erscheint, so sehe ich darin lieber eine An- lehnung an zahlreiche weibliche Fruchtbenennungen als an „chambre und ähnliche.'* Auch rum. cucuma ist fem. Dass ancre (früher auch mask.) sich im Geschlecht nach encre (Tinte) gerichtet habe, vermutet Verfasser. Wie erklärt es sich, dass das entsprechende auf lat. ancora zurück- gehende germanische Wort seit sehr früher Zeit als Maskulinum be- gegnet? — Das etymologische Geschlecht von acre ist entgegen der Annahme Armbrusters doch wohl das männliche. Dasselbe besteht noch heute zu Recht im Normannischen (s. Moisy). Auch Richelet kennt das Wort, wie es scheint, ausschliesslich als Maskulinum. Zu ocre vgl. neuprov. ocre, ocro mask. fem., zu coudre neuprov. cudra fem. (Bridel), zu lierre neuprov. Mre, IMre, eure etc. mask. neben eäro, ledro etc. fem. In Nordfrankreich lebt lierre fem. fort im Patois von Puybarraud. Chiffre begegnet als Fem. bei DuBartas (s. Pellissier, l. c. S. 194). Die Vermutung, ^peautre entspreche ein lat. *speltula, wird nicht ausreichend begründet. Mit Rücksicht auf das Genus von ^ea;utre und f enötre (altfrz. mask. neben fem.) sei daran erinnert, dass auch nhd. Speit^ Spelz mask. ahd. spelta spdza fem. und ahd. venstar n. lat. fenestra fem. entsprechen. Das nach Armbruster erst in neufranzösischer Zeit eingeführte Lehnwort outre soll sich an Wörter wie poutre, fenetre im Geschlecht angelehnt haben. Beachte, dass die Sprache ältere ovre, ouire (utria als Neutr. plur. wird von E. Appel l. c. S. 106 aus spätlateinischer Zeit belegt) besass, die mit weiblichem Genus sich nachweisen lassen (s. Godefroy «. v.) und das später aufgenommene outre beeinflusst haben werden. Im Neuprov. steht ouiro fem. neben ouire, hudre mask. Zu manicle vgL Godefroy, Didionn. s. v. manicle, menicle, mennicle s. fem« et masc. It. manigHo neben maniglia (vgl. d'Ovidio, ArcÄ. gl. IV, 163 und Born. IX, 628). Zu th^riaque oemerkt Richelet $. v, „8. f. [TheriacaJ, Mot qui vient du Orec, C^est une composiUon de mededne dont on se eert con^e le poison. Taug. Rem. a d^dde que le mot de teriaque Hoit mascf/Uin et feminin, tPai constUti lä-dessus cPhabHes Epidera d: ÄpoticaireB qui me Font fait toua feminin, & pas un masculin; ainsi sur ee mot je didinerois la Jurisdiction de Yau^das (s. Vaugel. ed. Chassang II, 182 die Zosätee von Th. Com. und diejenigen der A. F.). Zu aigle beachte auch die Bemerkungen E. AppeFs l. c. S. 37, W. Meyer*» l. e. S. 12 'und

K, Armbrustef^, Geschlechtswafidel im Französischen. Mask. n. Fem. 163

einen längeren Exkurs über das Geschlecht des Wortes im XVII. und XVni. Jahrhundert Gram, des Ghram.'^ S. 490.. Zu ongle vgl. noch Vaugela« Bern. U, 422 f. Cotgrave gibt das Wort als feminin. Heute hat es dieses Genus im patois blaisois (Talbert S. 266), Departement Meuse (Labourasse S. 41), Puybarraud (R. d. pat g.-r. II, 67), Ürim^nil (Haillant III , 4) , Boubaix (A. Faidherbe S. 21). Neuprov. auch owngle maskulin! Regle begegnet als Mask. auch bei Monstrelet (s. Wald- mann l. c. S. 11) und heute in der Bedeutung bätonet in Roubaix (A. Faidherbe S. 21) und im Norm. (Moisy L c). Belege för ile mask. gibt auch Settegast, J. Cesar Einleitung S. XXVni. Die Richtigkeit der Herleitung von perle aus *pinda wird von Gröber Ärch. f. tat. Lex. IV, 433 in Zweifel gezogen. Als Mask. hat es ausser Jahn A. Scheler, Bast de BouiUon 5247 und in einer Anmerkung zu Watriquet 4111 nach- gewiesen.

S. 49. Besondere Fälle, b. Gennsaustausch bei Homo- nymen und Reimwörtern. Scheinbare oder wirkliche Kom- posita richten sich nach dem Simplex und Verwandtes. Ver- fasser wendet sich hier nochmals nachdrucklich gegen diejenigen, welche „vor allem die Bedeutung eines Wortes zur Erklärung einer Geschlechi»- änderung beizuziehen suchten^. Sind wir auch weit entfernt, den Einfluss von der Hand weisen zu woUen, den die Wortform auf das Genus geübt hat, so glauben wir doch, dass Verfasser in der Zurückweisung der ent- gegenstehenden Ansicht über das Ziel hinausgehe, und glauben nicht, dass er, wenn er zur Begründung seiner Ansicht bemerkt : „doch ist nicht einzusehen, warum ein als Erbwort vorhandenes Substantiv, wenn es lange Zeit sein etymologisches Genus bewahrte, dies plötzlich geändert haben soll, weil vielleicht ein Synonymen das andere Geschlecht besass, es müssten beide Synonyma durch den Sprachgebrauch in stereotype Verbindung getreten sein" durch ein derartiges Raisonnement seine Gegner in ihrer Auffassung beeinflussen wird. Manchmal wäre ein näheres Eingehen auf die Geschichte der behandelten Wörter angezeigt gewesen. Wenn es S. 50 heisst, piege mask. verdanke sein Geschlecht dem Reim- wort siege, so hätte ich gewünscht, dass Armbruster portug. p^o mask. (neben pea fem.) von seinen Betrachtungen nicht ausgeschlossen. Es gibt ein altfranzösisches Verbum pieger, zu dem sich piege mask. verhalten könnte, wie portug. jp^o mask. zu pejar. S. 57 vermutet Armbruster, dass franz. er ine fem. „als Fremdwort aufgenommen wurde und dann gewissermassen als Femininum zum männlichen crin betrachtet worden ist", ohne uns zu sagen, wie er neuprov. crino fem., portug. crina fem. (neben crine fem.), ital. crina (neben mask. crine, crino, s. Canello Arch. gl. in, 402) beurteilt. S. 61 heisst es mit Bezug auf altfrz. formi mask. und formie fem. u. a.: „Es konnte das e nach Vokal in der Aussprache bald [?, jedenfalls vor dem XIV. Jh. in sehr beschränktem Umfange] weg- fallen. Die so entstandene Form formi war geneigt, sich Masc, wie'cri, pli im Genus anzuschliessen , zumal da dialektisch neben formi immer noch formie fem. bestand, wodurch eine Auffassung der ersteren Form als Mask. zur zweiten veranlasst wurde". Dass auch im Provenzalischen fourmigo und formie als Mask. und Fem. nebeneinander stehen (s. Mistral) und wie dieselben zu erklären, sagt Verfasser nicht. Mistral verzeichnet lat. formicum ohne Angabe des Fundortes. S. 51 ff. Unter licorne fem. waren neuprov. licorno alicomo fem. (s. Mistral, Tresor) zu beachten. Weshalb „muss" das heutige licorne aus dem Italienischen kommen? Zu mensonge vgl. Vaugelas Bern. I, 97 f., IL 483. Unter palus war zu bemerken, dass prov. palut auch als Mask. begegnet (s. Mahn, Gram. S. 284). Der Erklärungsversuch des mask. Genus von altfir. pdlut,

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164 Referate und Rezensionen. D. Behrens,

das an ein männliclies *paul = nordital. padvUis, dieses volksetymologisch an den Flussnamen Padies (campus padulis) angebildet wäre, ist wenig bestechend. Dass sard. patUe und rum. padure fem. sind, wird nicht er- wähnt. Mit Rücksicht auf das gelehrte neufrz. palus sei noch bemerkt, dass Cousin, Histoire Romaine, la palus M^otide schreibt, was Richelet für fehlerhaft hält. Annehmbarer als Armbruster's Ansicht, d e n t habe sich im Geschlecht im Provenzalischen und Französischen nach gent und ment gerichtet, finde ich diejenige E. Appel's (Arch, f. L Lex. I, 449), wo- nach partieller Genuswechsel für dens u. a. bereits in lateinischer Zeit anzunehmen, weil im Latein die meisten Substantiva auf 8 mit vorher- gehendem Konsonanten Feminina waren. Guarnerio weist Arch. gl. IX, 349 dens fem. im Cat. d'Alghero nach. In Nordfrankreich begegnet heute dent als Mask. in ürim?nil, Mons, Boubaix und Departement Meuse. S. 57 f., wo mit Bezug auf gl and bemerkt wird: „im Französischen be- steht die dem ital. ghianda entsprechende Form glande neben gland, was die Veranlassung abgab, dass gland männlich wurde" beachte auch vulgärportug. landea fem. (neben lande fem., s. Cornu Gröber's Grundriss I, 789), neuprov. glando fem. (neben aglan, glan mask.), rum. ghinda fem. mit geschlechtlicher Endung und ital. mask. ghiande neben fem. ghianda (s. CaneUo, Arch. gl. III, 402). S. 62 ist unter soif zu bemerken, dass neuprov. set und neuprov. fam beide als Maskulina und Feminina eben- falls vorhanden sind.

Teil IL A. Genus und Genuswandel im Latein. 1. Baum- namen. P. 63 „Allmählich schliessen sich im Vulgärlatein sämtliche Baumnamen dem Genus der Maskulina zweiter Deklination, wenn sie mit ihnen formgleich waren, an." Ich vermute, dass dieser Anschluss nur ein partieller gewesen ist oder vermisse anderenfalls bei Armbruster eine Erklärung für nicht erwähnte mdtl. ital. alna fem. (s. Salvioni, Arch. gl. IX, 226), neuprov. ourmo, oumo fem. (daneben oum mask.), neuprov. piblo etc. fem., neuprov. sapino fem. (daneben sapin mask.) u. s. w. neben franz. aune (mask. und fem.), orme (mask.), peuple (mask.), s a p i n (mask.) etfe. Im Einzelnen habe ich zu Armbruster's Ausfühnmgen noch folgendes zu bemerken: charme begegnet bei Rotrou (s. Sölter, Stitdien S. 30) als Fem. Weshalb wird zu cypräs mask. der Zusatz ge- macht „lat. cypressus fem.", da lat. cupressus, wie Armbruster S. 63 selbst bemerkt hat, als Mask. nachgewiesen ist? Eine strenge Scheidung der Lehn- wörter und Erbwörter hat Verfasser selbst in diesem Teile seiner Arbeit nicht angestrebt. Mit altfrz. fraisse mask. vgl. prov. frais, fraisse, woneben neuprv. fraisso fem. = frene, femeUe (Mistral) vorkommt. Altfrz. saus begegnet als Fem. Baud de Seb. I, 490. D. Martinus verzeichnet es im Mopoy^xtou (S. 88) als Femininum mit dem Zusatz: tarnen apud du Vair p. 1092 ma^ctdinum est. Heute ist es feminin in Urim^nil (s. Hail- land l. c.) und Mons (enne sau Sigart S. 29). Neben ital. saldo mask. etc. waren ital. salice fem., nordital. sarza fem. (Salvioni, Arch. gl. IX, 226) und rum. salce fem. anzumerken. Säule hat bis heute auf nordfran- zösischem Sprachgebiet sein etymologisches Geschlecht in dem Patois des Departement Meuse (s. Labourasse l. c, S. 41) behalten. Die bei Mistral verzeichnete prov. Form assale (mask.) scheint darauf hinzudeuten, dass auch im Provenzalischen das Wort einmal als Femininum vorhanden ge- wesen ist : assale = Ifa sale. Ich vermisse in Armbruster's Verzeichnis der Baumnamen u. a. orme mask. (Bergesche), lentisque mask., genievre mask. (norm, ^ent^e fem. Moisy), altfrz. lor mask. und laure (fem. s.

Godefroy, lat. laurus fem. und mask.). 2. DieWörter auf-cwr.

Armbruster bekämpft die Ansichten von Littrd, G. Koerting, Suchier, Horning der Vollständigkeit wegen hätten auch die Ausführungen Le Hericher's

K, Armbrusier, Geschlechismandel im Französischen, Mask, u. Fem, 165

in der Rev, de ling. XTV, wonach keltischer Einfluss thätig war, erwähnt werden können , um seinerseits einen neuen Erkl'ärungsyersuch zu geben. Nach ihm erfuhren die hier einschlägigen Wörter im Vulgärlatein Formen- veränderung nach Analogie in der Weise, dass zum ObUquus florem ein Nom. fioriSf zum Obl. calorem ein Nom. caloris etc. neu gebildet wurde. Infolge dieses Flexionswandels hätten sie sich« dann im Genus der grossen Mehrzahl gleichsilbiger Wörter auf -w, dem Femininum, angeschlossen. Diese Ansicht erscheint mir sehr der Beachtung wert, schHesst aber nicht aus, dass daneben andere Faktoren, welche Armbruster zurückweist, im einzelnen Falle wirksam gewesen sind. Im einzelnen bemerke ich fol- gendes; Wenn S. 74 zu aniour ausgeführt wird: „dass im Neufranzö- sischen sich das Wort als Mask. halten konnte, liegt an seiner Form. Es hatte sich den anderen auf -eur, weil es das ältere -oimt erhalten hat, entfremdef*, so befriedigt diese Begründung nicht voU, solange Verfasser nicht erklärt, weshalb auch neuprov. amour, amou (s. Mistral) als Masku- lina begegnen. Hat etwa die nfrz. Schriftsprache hier auf das Neupr. eingewirkt? S. 75 ardeur gebrauchen auch Corneille (s. Ausgabe der 6rr. Ecriv. I, 465 die Anm.) und du Bartas (s. Pellissier l. c. S. 194) als Maskulinum. S. 76. Dafür dass candeur „erst im XVI. Jahrhundert eingeführt wurde", legt die Behandlung des Anlauts schlechtes Zeugnis ab. Unter couleur konnten nfrz. le couleur de feu, le cotdeur de rose etc. erwähnt werden. S. 77. Honneu r ist nach Armbruster maskulin ge- worden in Angleichung an das Greschlecht des Reimwortes bonheur. Wie ist es zu erklären, dass auch neuprov. ounour, dem ein Beimwort bonhour nicht zur Seite steht, maskulin ist? S. 80. Moeurs verzeichnet auch Cotgrave als Maskulinum. S. 81. Pleur ist heute comm. im Patois von Blois (s. Talbert S. 266). Über das Geschlecht des Wortes im XVII. Jahrhundert vergl. die Bemerkungen Vaugelas' L c, II, 146 f. und Richelefs 8,v, Rancoeur gibt bereits Cotgrave als Maskulinum, Garnier gebraucht es als Maskulinum und Femininum (s. Procop l. c), Ronsard auch als Maskulinum. S. 82. Ein Substantiv tristeur fem. gibt noch Cotgrave. Zu vapeur fem. (rum. abur mask.) ist neufrz. vapeur

mask. mit differenzierter Bedeutung anzumerken. 3. Kleinere

Gruppen, deren Geschlechtswechsel im Lateinischen basiert, a. Lateinische Communia. S. 84 ist die Angabe, pons sei ausser im Spanischen überall männlich, unrichtig. Armbruster selbst erwähnt S. 64 rum. punte fem. Zu ais vergl. Settegast, J. C^ar Einleitung S. XXVIII. Bei Veget., den Armbruster nach Neue zitiert, kommt axis als Femininum nicht vor (s. Georges). Unter chartre konnten portug. carcere mask., unter cendre (S. 85) prov. cendre comm. (altprov. cenre fem. s. Mahn, Gram. S. 284), unter chenal (S. 86) altprov. canal fem. (s. Mahn l. c. S. 284) erwähnt werden. Für altfrz. achenal und eschenal werden *ad-canalvs und *ex-canalis konstruiert. Ist nicht vielmehr in dem vokalischen Anlaut dieser Wörter der vokaUsche Auslaut des weib- lichen Artikels zu sehen: Ifa chenal, wofür dialektisch echenal eintrat? VgL Born, Zs. Xin, 388. Zu lente vergleiche AscoU's Bemer- kungen im Arch, gl, IV, 398 401. Prov. lende ist heute nach Mistral comm. S. 87 f. Unter marge vergleiche portug. margem fem., rum. margine fem., unter ost neuprov. ost mask., rum. oaste fem. Unter paroi hätte für altprov. paret fem. auf Raynouard's Lex, verwiesen und rum. parete mask. verzeichnet werden können. In der französischen Volkssprache begegnet heute paroi als Maskulinum nach Chevallet, Orig. in, 73 (Anmerkung). Richelet bemerkt 8. v.: Ce mot en terme-s W Anatomie est masculin, Cest ce gp/ti aepare les dewjc narines depuis le

166 Referate und Rezensionen, D. Behrens,

haut du nez jusqttes ä la Ihre. b. Tiernamen. Besprochen

werden hrehia, cohmbe, dainif hydre, lüwe, lynxy merle, poutre, ser- pent^ tourtre. Andere Tiernamen werden von Armbmster nach anderen Gesichtspunkten anderwärts behandelt. Eine erschöpfende Betrachtung haben dieselben nicht gefunden. Ich vermisse z. B., sei es hier oder an einem anderen Orte der Armbroster^schen Arbeit, eine Bemerkung über franz. rossignol mask. (s. dazu E. Appel L c. S. 38), perdrix fem. (lat. auch mask.; vgl. Mahn, Prov. Ghram. S. 284), altfrz. balain mask. (neben fem. balaine, neufrz. bcUaine fem.), franz. ibis mask. (seit dem Xin. Jahrhundert belegt; lat. ibis fem.), alcyon mask. (lat. fem.), phoque mask. (lat. phoca fem.), tigre mask. (altfrz. auch fem., lat. comm.), musaraigne fem. (altfrz. auch musarain mask., s. E. Rolland, Faune I, 17 und E. Appel l. c. S. 37), couleuvre fem. (bei Du Bartas mask., lat. colvber mask. neben colubra fem.), altfrz. passe mask. und fem. (lat. passer mask., vergl. Rolland, Faune 11, 155), m^ sänge (früher auch mask., s. Gram, des Gram. S. 62). mau vis mask. (früher auch fem., s. Littrd, heute fem. in der Normandie nach Moisy l. c), pivoine mask. und fem. (s. Littr^), boeuf mask. (lat. bos comm.), grue fem. (lat. grus comm., vergl. zum Provenzalischen Mahn, Gram. S. 284). Zu Verfassers Ausfuhrungen in diesem Abschnitt sei im einzelnen noch folgendes bemerkt: S. 91. Im XVn. Jahrhundert verzeichnet Cotgrave neben colombe fem. colom mask. und noch heute ist letzteres (als allgemeine Bezeichnung des Vogels ohne Rücksicht auf das natürliche Geschlecht) gebräuchlich im Wallonischen, Lothringischen, desgleichen Tarentaise, Haute-Savoie (colan; s. Rolland, Faune IV, 122). Das neufrz. fem. zu da im lautet nicht daime sondern dame^ das in sekundärer Entwickelung aus dem frz. Mask. entstanden ist. Neben altprov. idre mask. war neuprov. idro fem. anzumerken, zum Geschlecht des Wortes im Französischen auch das Gram, des Gram."^ S. 61 Bemerkte zu beachten. S. 92. liävre ist heute feminin in Puybarraud und Vosges (lieuffe s. Rolland l, c). Merle begegnet als Fem. in Nordfrankreich noch heute im Patois des Departement Meuse (s. Labourasse Glossaire S. 41, vgl. Rolland, Faune pop. U, 245 f.). Auch das Neu- provenzalische kennt merlo fem. neben merle mask. S. 93 waren unter tourtre altprov. tortre fem., neuprov. tourtouro fem. taurtour mask. zu erwähnen. Verfasser schliesst hier die Behandlung von jaspe an und folgert doch wohl mit Unrecht aus dem Geschlecht des Wortes in den romanischen Sprachen, dass es bereits im Lateinischen sein Genus änderte. Neben jaspe hätten andere Steinnamen gelehrten Imports wie agate fem. (XVI. Jahrhundert auch mask., lat. comm.), onyx fem. und mask. bei La Bruyfere (s. Ausgabe der Gr. J^criv. III, S. XXXIV Lex., zum Lateinischen E. Appel l. c. S. 38), saphir mask. (vgl. E. Appel L c. S. 32) gleiches Anrecht auf Berücksichtigung gehabt.

B. Genusunregelmässigkeiten, die mit dem verkannten Etymon zusammenhängen. Falsche oder unsichere Etyma- Prüfung des Etymons. 1. Lateinische Wörter auf -ex, ^icis; 'iXy 'icis etc. Die Gleichung souche = *codica ist mit Rücksicht auf die Bedeutung beider Wörter ansprechend. Ist die Herleitung richtig, so dürfte das anlautende s zuerst in der Nebenform choche = *caudica sich eingestellt haben, woraus mit DifPerenzierung der Silbenanlaute soche hervorgegangen wäre. S. 96. Herse begegnet mit etymologischem Geschlecht als Maskulinum heute im Patois von ürim^nil (s. Haillant, Gram. III, 4). Zu pause vergleiche auch neuprov. panso fem., ital. panza (span. pancho ist Fremdwort), zu ponce (S. 97) neuprov. powngo fem., span. pomez fem. Bei der Geschlechtsveränderung des letztgenannten Wortes werden der Oberbegriff petra, respektive die romanischen Ent-

K. Armbrustei^ GeschkchUwandel im Französischen, Mksk, t/. Fem, 1^7

sprechungen Ton petm mitgewirkt haben, vgl. franz. pierre-ponce, nevprov. peiro-poungo, span. piedra-pomez. Dem unter puce (s. dazu Mussafia, Zschr. f, d. Bealschtdw. aIV, 79) erwähnten portug. puilga fem. steht pulgo mask. (der männliche Floh nach H. Michaelis), dem sich neuprov. mask. potduc (s. Rolland III, 257) vergleicht, zur Seite. Unter ronce war zu bemerken, dass auch lat. rumex, desgleichen unter vertiz, dass lat. Vertex als fem. nachgewiesen wurden (s. Georges und E. Appel L c. S. 38). Neuprov. rounse ist mask. und fem. Souris erklärt Arm- bruster aus *8orix -dcem, dieses nach radioc -icem. Anders Gröber, Arch, f. lat. Lex. V, 473. (S. Mussafia, Zschr. f. d. Bealachuhß. XIV, 71). Als Maskulinum begegnet das Wort heute auch im Wallonischen (söri), in Berry (souris), Langres (seri), wozu man Rolland, Faune I, 28 vergleiche. Unter cerviz (vgl. dazu auch Scheler zu Watriquet 300) vermisse ich die Erwähnung von rum. cerbice mask. Armbruster vermutet, dass TB,ifort sein maskulines Genus der Form fort verdanke, ohne zu erwähnen , dass auch die nicht mit einem eingeschlechtigen Adjektiv verbundenen prov. rais, raisse etc. heute maskulin (daneben feminin) sind. Nachgetragen sei franz. varice fem. (lat. varix comm.). Littr^ zitiert aus dem iQV. Jahrhimdert auch la grand Calice, 2. Einzelfälle. Die hier gegebenen etymologisohen Erörterungen bieten neben Beachtens- wertem anderes das zum Widerspruch herausfordert. Ich muss mich auf einige Bemerkungen beschränken. S. 101 wird das weibliche Geschlecht von aise aus dem „stummen e der Endung^ erklart, wo- mit nichts gewonnen ist, solange dieses e selbst nicht zuverlässig ge- deutet wird. Aus ^asium, das Armbruster mit Bugge ansetzt, lässt sich in volkstümlicher Enwickelung wohl nur ais gewinnen. S. 102 vergleiche zu dem unter alcove erwähnt«! altfrz. aucube auch altprov. aicuba, Wenn Armbruster bezüglich ambassade bemerkt „das Wort war im XYI. Jahrhundert doppelgeschlechtig^, eine Thatsache, die sich aus dem ursprünglichen Vorhandensein emer maskulinen und einer femininen Form mi Altfranzösischen erklärt (vgl. prov. amhais- sada neben ambassat)^, so ist damit die Lösung des Problems nicht gefordert. Vgl. zu dem Worte Gröber, Arch, f. lat. Lex. I, 238. Unter aspic waren auch altfrz. aspide mask. (Godefroy), portug. aspid, aspide mask. und lat. aspis mask. (Georges) zu beachten, wodurch ein Zusammen- hang des Geschlechtswechsels mit der formalen Anlehnung an espic noch unwahrscheinlicher wird. Heute begegnet aspi fem. in Berry (s. Jaubert), aspi mask. im Normannischen (s. Moisy). Bouge leitet Armbruster mit Diez aus *bulgea ab. Anders Gröber, Arch. f. lat. Lex. I, 253. Für carde fem. vermutet Armbruster ab Etymon span. carda „daher auch c statt ch im Anlaut". Dass das Wort auf gallischem Boden schon früh vorhanden gewesen ist, möchte ich aus neuprov. chardo (neben cardoj schliessen. S. 104. Unter cercle konnte mit Rücksicht auf ital. cerchw cerchia auf Canello, Arch. glott. 111^403, verwiesen werden. Unter cou turne wird span. costumbre auf *con8uetumina, das doch nur costumbra ergeben konnte, zurückgeführt. Zu d^lice (S. 105) vgl. auch Poitevin, Gram. I, 55 und Crram. des Gram.'^ S. 44, woselbst über das Schwanken des Genus im XVII. und XVIII. Jahrhundert Nachweise gegeben sind. S. 106 befindet sich Armbruster mit sich selbst im Widerspruch, wenn er mit Rücksicht auf dimanche und diemaine bemerkt „doA Wort ist stets feminin im Altfranzösischen" und einige Zeilen weiter unten: „Doch auch der Übertritt zum Maskulinum ftadet sich trotz der viersilbigen Form schon ziemlich früh" und hierfür Belege aus Berte au gr. p., Villeh. und Hörn beibringt. Nicht überzeugt hat mich, was gegen die Herleitung von dümanche aus (festajdominica vorgebracht wird. Weibliches la N o öl^

168 Referate und Rezensionen. Z>. Behrens,

das Armbruster aus dem Jovmal de Geneve vom 8. Januar 1888 beibringt, begegnet auch sonst nicht ganz selten. Mistral 8. v, nadalet schreibt huitaine qui pricede la Noel, sonnerie de cloches qui annonce la Noel, pendant lea neufjours quiprtcldent cette fete ... S. 108. Dime mask. begegnet noch im 16. Jahrhundert bei Du Bartas (s. Pellissier l. c. S. 194). Im 17. Jahrhundert bemerkt Bichelet on appeUe aussi dime, au maaculin, un canton de terre, sur lequd on a droit de dimer, Unter doit waren Homing's Ausführungen Zwr Gesch. des lat c S. 14 (s. auch Gröber, Ärch. f. lat Lex. II, 107) zu beachten, unter dot seltenes franz. dote fem. (Patru, plaid. 16, s. Richelet; vgl. ital. dota) zu verzeichnen. Cot- grave schreibt dost. S. 108. £meraude begegnet als Maskulinum bei Balf: La. Vemeraude verdoiant, wozu Bichelet s. v. bemerkt mai» ü est certainement ßminin, Zu der unter flasque gemachten Bemerkung, nach Richelet werde das Wort „von technischen Schriftstellern" offc sSs Femininum gebraucht, fehlt ein näherer Hinweis. In seinem Dict. schreibt Richelet: Les uns croient ce mot masculin, & les autres feminin, mais ü y a plus de gens qui le fönt musculin . . . Vgl. über das Wort Arch, f lat Lex. n, 424. S. 109 wird flotte von flotter, dieses von lat. fluctuare hergeleitet, ohne dass versucht wurde, diese Herleitung mit den Lautgesetzen in Einklang zu bringen. Vgl. G. Paris, Bomania XYUI, S. 520. S. 110. Glu mask. möchte ich nicht mit Verfasser auf lat. gluten n. zurückfuhren. Noch D. Martinus bemerkt zu dem Wort Mupo^-^xtov S. 87 NowMiUi, sed levis autoritatis, glu masadinum volunt: at premenda videntur domini Urfei vestigia, qui sie in Astrea hquitur. In nordfranzösischen Patois begegnet es heute als Maskulinum in Roubaix (s. A. Faidherbe l. c. S. 21) und im Morvan (aigieu, s. De Chambure). Zu gorge etc. vgl, Arch. f. lat Lex. H, 443. Unter l^zard waren neben portug. lagarto (wie entstanden?) ein fem. ku/arta (s. Oomu, Gröber's Grundriss I, 788 Anm.) und ausserdem prov. lesert mask., leserto lesardo fem. zu verzeichnen. Zur Etymologie von masque s. Eguilaz y Yanguas Glosario s. v. mascara. Das Neuprov. kennt nach Mistral ma^co als Mask. und Fem. Unter G^defroy's Belegen fär moufle (Faust- handschuh) findet sich eins mit männlichem Geschlecht. Neuprovenzalisch entspricht mouflo fem., span. fmoufla. Orle gibt Cotgrave ausschliess- lich als Fem. Die Annahme, pieuvre müsse, wof& die Bedeutung spreche, aus der südlichen Seegegend heraufgewandert sein, scheint mir unbegründet. Könnte das Wort nicht auch an der Küste der Normandie seine französische Gestalt erhalten und von hier aus in die Schriftsprache gedrungen sein? Ist doch auch im Kanal der Octopus (Ouvier) (der in V. Hugo's Meerarbeiter als Bekämpfer Gilliat*s bekanntlich eine Rolle spielt) wirklich heimisch! In Guemesey ist heute ein fem. pievre, peuvre, peuvre im Gebrauch, während Bouches- du -Rhone pourpre mask., Marseille poupre mask. entsprechen. Ob franz. pieuvre auf *poluptdwn *ploprum zurückgeht, wie Armbruster vermutet, vermag ich nicht zu entscheiden. Bemerkt sei nur, dass auch in nordwestfranzösischen Mund- arten anlautendes pl zvipl, pi werden kann. Mit Rücksicht auf das Ge- schlecht des Wortes hätte bemerkt werden sollen, dass im Griechischen polypös als fem. begegnet. Rosse verzeichnet Cotgrave als Maskulinum. Rouille und rouü kommen wahrscheinlich nicht von *r6bigula, *r(>bigtUum. Vgl. über die Wörter jetzt Arch. f. lat Lex. V, 238.

C. Über das Geschlecht deutscher Wörter. Auf eine ein- gehende Untersuchung aller hier einschlägigen Fälle hat Verfasser leider verzichtet. Es fehlen daher in seiner Zusammenstellung altfrz. mague fem., m^gle (mask. und fem.), altfrz. potas mask., frz. stalle fem. (altfrz. mask.) und viele andere. Wenn es auf S. 118 heisst: „Wörter neuerer

K, Ärmbi'uster, GescMechismandel im Französischen. Mask. u. Fem. 169

Aafhahme, die auf einen Konsonanten enden, müssen, um diesen Kon- sonanten in seiner Aussprache festhalten zu können, im Französischen ein stunmies -e anhängen. Infolge dessen werden sie Feminina", so l'asst sich Verfasser in seinem Bestreben, für den Genuswechsel die Ursache in der Wortform zu finden, wiederum allzu weit hinreissen. Wenn unter den Wörtern „neuerer Auftiahme" zur Bes<«itigung dieser Regel digue (beachte indessen Ch. Joret, Des caract. et de Vext. du pat. norm. S. 96, Anm. 2) aufgeführt wird, so hätte Verfasser nicht unterlMsen sollen, für ital. diga und nprov. digo fem. eine ausreichende Erklärung zu geben. Dasselbe gilt von estäque, woneben ital. stecca und neuprov. esteco fem., von griffe, woneben nprov. grifo fem., von gaude, woneben span. gualda fem. neuprov. gaudo fem., von leurre (f. in G«nf), woneben katal. hyray neuprov. luro lem. stehen. Die Möglichkeit, dass die Bedeutung dieser Wörter das Geschlecht derselben in der aufnehmenden Sprache bedingt haben könne, wird von Armbruster kaum einmal in Erwägung gezogen. Liegt es denn so fern, anzunehmen, dass z. B. frz. biäre, neuprov. bierro, ital. birra durch cervoise, cermza, cervogia, dass frz. ^cume, prov. escumay ital. schiuma, span. portug. escum^ durch eapume (altfr^.), prov. span. espuma, ital. portug. spuma beeinflusst worden sind? Wenn Armbruster zu frz. liiere, ital. birra, frz. bivac, ital. bivacco etc. bemerkt: „Andere Wörter, die auch in den anderen Sprachen vorhanden, sind älter und haben im Italienischen, das konsonantischen Auslaut nicht duldet, ent- weder fem. a oder mask. o angenommen", so ist damit nichts ge- wonnen, handelt es sich doch darum, zu konstatieren, weshalb in dem einen Falle a, weshalb in dem anderen o angetreten ist. Zu altfrz. onte mask. vgl. auch F. Tendering, Herrief a Arch. 67, S. 296 und F. Settegast, J. Cesar Einl. S. XXVÜI. Näher als Verfassers Ver- mutung, onte mask. habe sich nach conte gerichtet, liegt, glaube ich, die Annahme, dass das Schwanken des Geschlechts des synonymen deshonneur

im Altfrunzösischen auf dasjenige von onte einwirkte. Anhangsweise

handelt Verfasser (S. 120 f.), nachdem er mit Bücksicht auf das Geschlecht der zusanmiengesetzten Substantiva im allgemeinen auf Darmesteter, Format, des m. comp, verwiesen und einige auffallende Erscheinungen besprochen hat, von dem Greschlecht der Verbalsubstantiv a. S. 126 wird man Verfasser zustimmen, wenn er bemerkt, dass frz. glas, prov. glatz, ital. ghiaccio (vgl. rät. glatsch, Arch. f. lat. Lex. II, 438 f.) nicht auf glades zurückführen, dagegen an der Richtigkeit der weiteren Be- hauptung, es seien diese Wörter Verbalsubstantiva von ghiacciare, glassar, glacer Zweifel hegen dürfen. Wenn frz. los auf prov. lau (dieses = lat. laudo, woher ital. lodo) zurückgeführt wird, so bedajf es vielleicht der An- nahme, die französische Form sei dem provenzalischen Nominativ ent- nonmien, nicht, da auch die obliquen Kasus im Provenzalischen mit a vor- kommen (s. Mahn, Gram., S. 280). Neuprov. laus (neben laud) hat festes a. S. 127 ächange begegnet heute als Fem. im Normannischen (s. Moisy, l. c, S. LIII), doute imPatois du Centre (Jaubert), enge im Normannischen (Moisy). S. 130. Ober das Geschlecht von rencontre bei Du Bartas vgl. Pellissier, /. c, S. 196, bei La Bruy^re, Ausgabe der Gr. Ecriv., Bd. III (Lexique), bei La Rochefoucauld, ib. III, 2, S. XLV. S. 131 ist unter reste ital. resto übersehen. Nicht nur das Substantiv reste, sondern auch das Verbum rester weist Littrö nicht vor dem XV. Jahr- hundert nach. Dem wortauslautenden e wird auch in diesem Abschnitt weitgehender Einfluss auf das Geschlecht der Substantiva eingeräumt. So wenn es unter risque heisst „die Endung -e wandelte das männliche G^nus zuweilen ins Femininum." Dass auch das Portug. risca neben risco (beachte Comu*s Erklärung in Gröber's Grundrias I, 788) und das

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VfQ Referate und Rezensionen, D. Behrens,

Neuproy. risoo fem. neben rieque maak. aufweiaen, wird mit keinem Worte erwähnt. Zum Französischen ygl. noch Qram. des GramJ^ S. 554. Im Normannischen ist rieque heute weiblichen Geschlechts nach Moisy, L c. Mehrere Yerbalsubstantiva , die im Französischen nebeneinander mit männlichem und weiblichem Genus vorkommen, Hessen sich zu den von Armbruster aufgeführten hinzufügen: z. B. frai mask. fraie fem., alt&z. pens ma^k. pense fem., ciain mask. dame fem., neufrz. ap- pro che fem., früher auch maak. (s. Pellissier zu Du Bartas, S. 195), re lache mask. und fem. (s. La Bochefoucauld, Ausgabe der Grrands Ecriv. in, 2, S. XL VI), däbauche fem. (früher comm., s. Darmesteter und Hatefeld, Le XVF sücle^ S. 251), contraste mask. (früher auch fem., s. Darmesteter und Hatzfeld, Lc.)^ accord mask. altfrz. auch fem. accorde (s. Littr^s Belege), de man de fem. altfrz. auch demant, com- mande fem. altfrz. auch i^mimant m.

Zweiter Hanptabscknitt. Geschlechts wandel, hervorgerufen durch die Bedeutung des Wortes, unter den hier aufgeführten Substantiven, die mit persönlichem Begriff männliches Geschlecht ange- nommen haben (aide, garde, guide etc.) vermisse ich barbe mask. (s. Diez, E. W. II* barba, Litträ, s, v, und E. Appel, L c», S. 36), justice mask. (vgL sp. el justida mask. und s. Diez, Ghramß^ II, 17, Littrd, 9. v, 14°), altfrz. poestet mask. Camarade stammt nicht aus dem Italienischen, sondern aus dem Spanischen. Über den Greschlechtswandel von prison, poin^on, s. Ascoli, Ärch. gl, III, ^44 f. Prison begegnet als Maskulinum noch heute in Mons (Sigart, Ghss., S. 29) und in RoubaLx (Faidherbe, L c. 8. 21). Gens,^en^e« kommen auch im Lateinischen als Maskulina vor (s. E. Appel, S. B6). Über das Geschlecht von personne vgl. Litträ, 8. v. Rem., Bichelet, 8, v,, La Bruyere, Ausg. der Gr. ißcriv. Lexique, S. 269, La Eochef. (Lex.) III, 2, S. XCJX. Den Schluss dieses Abschnittes (S. 136 139) bildet die Aufzählung einer Anzahl Sub- stantive, die nach Armbruster ihr Geschlecht einem Synonymen oder dem Oberbegriff entliehen haben. Altfrz. minuit (statt gewöhnlichem mie- nuit)f das Armbruster vermisst, findet sich bei Froiss., Foi8. II, 230, 345. Nicht bemerkt finde ich, dass auch allein stehendes nuit vereinzelt unter dem Einfluss von jour und di als Maskulinum im Altfranzösischen be- gegnet : s. Alton, Claris und Lari8 15337, Scheler zu Bast de Bouillon 4293. Dass vallis sich im Geschlecht nach mons (resp. frz. val nach mont) richtete, nimmt Ver&sser in Übereinstimmung mit W. Meyer (Neutrum, S. 12) an, ohne die entgegenstehende Ansicht E. Appel's (Arch, für lat. Lex, I, S. 450) zu berücksichtigen, der vallis mask. „durch das Schwanken der Wörter auf «" erklärt.

Anhang I. Gelehrte und wissenschaftliche Ausdrücke. Nach welchem Prinzip die gebotene Auswahl getroffen ist, ist aus der Über- schrift nicht ganz klar ersichtlich, da Armbruster auf den vorhergehenden Seiten seiner Arbeit untermischt mit Erbwörtern zahlreiche gelehrte Wörter bereits behandelt hat. Mit mehr Recht lassen sich die hier behandelten Wörter etwa als „Nicht eingebürgerte Fremdwörter" bezeichnen. Ver- &Bsers Ansicht, das Geschlecht derselben werde „oft; ganz willkürlich gehandhabt" und es bieten „diese Unregelmässigkeiten nur geringes Interesse" wird kaum unbedingte Zustimmung finden. Das Interesse, welches diese Wörter bieten, wird doch nicht etwa dadurch ein geringeres, dass wir an ihnen in der Gegenwart dasselbe Schwanken beobachten können, welches der gesamte heute eingebürgerte gelehrte Import des französiflchen Sprachschatzes in einer früheren Zeit gleichfalls durchgemacht hat! Entweder um mit Verfassers eigenen Worten zu spreohiBn behalten die Substaativa dieser Gattung ihr etymologisches

K. Armbritsier, GeseMechiswandel im Französischen. Mask,n,Fem. 171

Geschlecht bei, oder sie schliessen sich im Genus an einen schon vor- handenen ähnlichen Begriff an, oder endlich ihre Form gibt den Aus- schlag. Zu billigen ist es selbstverständlich, dass Armbruster die Aus- drücke dieser Art von den Erbwörtem getrennt behandelt, zu bedauern nur, dass er nicht in gleicher Weise eine Aussonderung auch aller heute bereits eingebürgerten Lehn- und Fremdwörter vorgenommen hat. S. 140 lies varicocöle statt variocUe. Car rosse ist heute fem. im Patois von Roubaix (s. A. Faidherbe, S. 21) und von Ürimönil (s. Haillant, l. c.) Zu ^pithete vgl. Richelet, Dict s. v., Gram, des GramJ^ S. 61, Corneille, (EJuvres (Gr. ficriv.) III, 236, Anm. 1. S. 142 Vipäre ist auch mask. bei Botrou (s. Sölter, Studien, S. 32) und heute in vielen Patois (Normandie, Centre, Meuse etc.).

In einem zweiten Anhang notiert Verfasser unter der nicht sehr glücklich gewählten Überschrift Besonderheiten des Genfer Dialekts im Geschlecht der Wörter eine Anzahl Wörter, welche heute in Genf anderes Genus haben, als es das Dictionnaire der Akademie vor- schreibt. Mehrere dieser Wörter zeigten oder zeigBi Schwanken auch im Altfranzösischen und in der französischen Schriftsprache und wurden mit Bücksicht hierauf bereits an anderem Orte von Armbmster behandelt: aiseSf chenal, comUf episodd eta. etc. Dasselbe gilt von anderen Wörtern wie arÜre, fuste, paire (z. B. maskulin bei Corneille und Magny)^), uloere u. a., die Armbruster in den vorangehenden Ausführungen seiner Arbeit nicht hätte unberücksichtigt lassen sollen. Eine dritte Gruppe hier auf- geführter Substantiva eudlieh, deren Gtenus als eine „Besonderheit des Genfer jDialekts'^ hingestellt wird, weichen ebenso in nordfranzösischen Patois von dem schriftüblichen Gebrauch ab. Dahin gehören argewt, as, chattd, dinde, empldtre, hotel, incendie, narcisse, scorsoneres, vis u. a.

Ich bin hiermit am Schluss meiner Besprechung der Armbruster'schen Schrift angelangt. Verfasser hebt einige Male im Laufs seiner Unter- suchung hervö», dass er nicht beabsichtigte, die Substantiva, deren Geschlecht im Französischen schwankte oder noch schwankt, vollständig zu verzeichnen. Wer mit dem Referenten der Ansicht ist, dass in Mono- graphieen von der Art der vorliegenden das Material so ausführlich wie nur irgend möglich mitgeteilt werden müssen wird daher zahlreiche Worte ungeme vermissen. Ich habe im Vorstencfbden einige Male Ge- legenheit genommen, an geeigneter Stelle Nachträge zu geben und stelle hier zum Schlüsse in alphabetischer Anordnung noch eine Reihe uiderer Substantiva mit verändertem oder vorübergehend schwankendem Ge- schlecht zusammen: ' ;.

amadou mask. und auch fem., s. Littr^, s. v. ante fem.

apostrophe, begegnet als Mask., s. Litträ, s, v, argile mask. bei Voltaire, s. Litträ, s. v, ; . . .

as beste mask.

atome mask., s. zum Lateinischen E. Appel, l. c, 74. aub^pine fem. und aubepin mask., s. Littr^^ s. t^. besicles, s. die Belege bei Litträ, s, v.

clyst^re, wird von Litträ aus dem XIII. Jahrhundert als Fem. belegt, continent mask., lat. continens meist fem. crise mask. bei Du Bartas, s. Pellissier, S. 194.

ächo mask. und fem. Früher wurde das Wort im Französischen auch dann als Femininum gebraucht^ wenn es nicht die heidnische Gk)tt-

1) Vgl. zu dem Worte W. Foerster, Aiol 992.

172 Referate und Rezensionen. A. Haase,

hcdt bezeichnet. Ctr. SOlter, Gram. und^lexHc. Studien zu J. BiOtrou, S. 80 und Corneille, Ausgabe der Gr. Ecriv., Bd. X, 236, Anm. 1.

äphämärides fem., früher auch miiBk., b. Iiitträ.

epistre begegnet als Maak, bei Christ, de Pia., z, E. Müller, Zw Syntat der Christine de Pisan, S. 3.

ermes mask., zum Grundwort b. E, Appel, l. c, S. 32.

eapöe, altfrz. auch maak.? S. Diez, E. W. I spada.

faB^ole fem., vgl. E. Appel, l. c, S. 108.

fötu maak.., a. Diez, B. Gram.», II, 18.

foy mask. bei Jodelle? b. Mart^-Laveaox' Ausgabe, Bd. II, S. 355, Note 6.

gen€t maak.

grade maak., früher auch fem., s. Littrö grade, Hiet. XVI' siiele und zum Lateinischen E. Appel, l. c, S. S.

groupe wird als Fem. und Mask. verzeichnet in (De U Toucbe'a) L'art de bien parier franQMS, S. 92.

h^catombe mask. bei Du Bartas, b. Fellisaier, l. c, S. 195.

heliotrope, ist nach Gram, des Gram.'', S. 48 mask., wenn es die Pflanze, fem., wenn es den Edelstein bezeichnet. Weder Littr^ noch die letzt« Ausgabe des Dict. de VAcad. machen diesen Unterschied.

introite, altfrz. mask. und fem.

laqne, s. Littr^, s. v.

Alärz. mes fem., s. Qodefroy; lat. mesaia comm.

Altfrz. met mask. und fem,, s. Godefroy, Dict. und Diez, E. W. II* madia, norm, met mask.

Altfrz. mitant fem. und mask.

monarque fem. Marot IV, 125 (Littr^).

Alt&z. mnse, mouse mask. und fem.

Altfrz, ortie mask. und fem. s. Dreyling, Die Äusdruekmeeiae der Über- triebenen Verldeinerung im altfranzikisvken Karlspus, S. 43. Heute ist dag Wort maskulin im Normannischen nsich Moisy, l. c.

paragraphe mask., norm, parafe fem, (Moisy).

phare mask.

Altfrz. penple fem. poptUaUon, s. Godefroy.

portique mask., porche mask.

pourpre maak. und fem. mit unterschiedener Bedeutung.

primevere, s. Littrö.

pyrite fem.

qnenx, altfrz. auch mask., s. Belege bei Litträ.

raie fem., altfrz. auch rai mask., s. Diez, E. W. I raggio und E. Appel,

;. c, s. 105.

Altfrz. reane mask. und fem., a. W. Fcerater zu Aiol 1731.

sandara^ue verzeichnet Bichelet als Mask.

Altfrz. seips mask. und fem,,

Altfrz. eorame mask.?, a. Scheler'a Anm. zu Watri^et XVllI, 79,

Synode maak., s. E. Appel, U c, S. 32.

Altfrz. tour auch mask.?, a. A. Scheler'a Anm. zn Bogt, de BouiUon

2266. trafic maak., früher auch trafiqne fem., s, Pelliaaier zu Du Bartas,

S. 196, Glauning zu Montaigne, S. 327, Chenevifere zu Des Periera,

8. 186, Darmeateter und Hatzfeld, XVi' siede^, S. 250, tuile fem., früher auch mask. tuiL VgL zum Lateinischen E. Appel,

I. c, S. 9 und W. Meyer, Netitrvm, S. 132, zum Romanischen

Gröber, Arch. f. lat. Lex. VI, 122 f.

SyntakUtcke Arbeiten. V,

1 mask., oacb Richelet fem., nach MartinnB im Mupoft^ttuu maa

.re (Weit etc.), a. zu Moliöre, ATisg. der ffr. tcriv. VIII, «8. e maek. = wn ckaptoM faxt df. vigogne.

D. Behrens.

Syntaktische Arbeiten.

Ein «mfangreichpH Thema au? der altfranaCsiaclien Sjntai be- handelt DDblsiBW, ÜhiT Satzbfiordnung für Sattunterordnujig im Alt- französiscIuH. Halle a. S., 1888. tUiBsertution.) Die Leistung den Ver- fkB9era verdient Anerkennung. Im AnschluB» an Hätzner'fa Grammatik werden die einzelnen Fälle erörtert, in welchen die Beiordnung statt der in der neueren Sprache notwendigen Unterordnung vorkommt. Freilieh ist sehr Vieles von dem , wan der Verfasser gibt, bekannt, und „die psychologische Erklärung" (S. 3) wird sich schlieaslicfa auch jedermann ohne Schwierigkeit selbst geben. Wenn die Arbeit blei- benden Wert haben sollte, so hätte der Bprachhistorische Standpunkt für den Verlauf der einzelnen Erscheinungen festgehalten werden milssen. Nicht darauf kommt es an, Beispiele filr die einzelnen (%lle beizubringen, sondern das Verhältnis der allmählich verschwindenden Satafilgnng und der fflr diese mit der Zeit mehr und mehr eindringenden zu beleuchten. Das wäre eine schätzenswerte und recht nützliche Untersuchung gewesen, die freilich über den Rahmen einer DUsertation weit hinausgegangen wäre. Der Verfasser hätte auch wohl beriick- aichtigen können, was bereits über die Punkte, welche er behandelt, von anderer Seite gebracht worden ist. Es wäre dann z. B. der Passus über die Adjektivs'ätze (S. G f.) anders ausgefallen, und schwerlich hätte er sich dann noch die Mühe gegeben, diejenigen zu bekämpfen, welche eine Auslassung des Relativ annehmen, ein Pasaus, der auch durch den Ton (n. B. „dieser Thatsache werden sich diejenigen mit grosser Herzenaerleichtetnng entsinnen etc.") nicht gerade angenehm berührt, wie denn, und Referent fQhlt sich verpflichtet, dieses zu be- merken, auch sonst der Verfasser unbeschadet seiner Oberzeugungs- treue den Ton etwas hätte herabstimmen können. Ausser Diez und Tobler, deaaen V. B. oft berückaichtigt sind [überflüssig iat S 20 Anm. „Wie ich nachträglich aehe, ist die besprochene sprachliehe Erachoinnng schon von Tobler, V. B, S. 207, nachgewiesen und erklärt worden"), und aus dessen Vorlesungen viel, manches ohne Not, manches auch, was lange bekannt, beigebracht ist, wird kaum etwas von der ein- schlägigen Littei-atur benutzt, und doch ist das Thema oft, wenn auch nicht behandelt, so doch mehr oder minder nahe gestreift worden. Referent will aich nicht die Mffhe geben, die Dissertationen zu durch- suchen, welche ihm im Laufe der letzten Jahre durch die Hände ge- gangen sind, er will nur eine wichtige Arbeit erwähnen, Bisohoff, Konj. bei UkresUen, dessen schätzenswerte AusführunKen der Verfasser hätte verwerten können und mQssen. Im übrigen will Referent keines- wegs verkennen, dass der Verfasser gründlich gearbeitet hat und in seiner Auflassung sprachlicher Erscheinungen eine tüchtige grammatische Ausbildung zeigt, so dass einzelne Erklärungen ganz ansprechend acheinen, wenn man auch nicht durchweg seinen Ausführungen wird beitreten können. Auf Einzelheiten aoll nicht weiter eingegangen werden, nur möchte Referent anf S. 26 31 hinweiaen, einen Abschnitt,

174 Referate vnd Rezensionen^ A. Haase,

mais que abweichende Erklärung gegeben wird. Er wird nämlich mauf qtte als ^Adverbium nur" gefasflt, so dass der folgende Wunschsatz selbständig dasteht. In der hübschen Untersuchung scheint dem Referenten der Fehler darin zu liegen, dass adverbiales mais und konjunktionales nicht scharf genug auseinander gehalten sind. Dass mais ursprünglich adverbial ist und sich in einzelnen Wendungen bis heute so erhalten hat, ist ja eine bekannte Thatsache, dass dasselbe aber, wo es nicht mehr in seiner etymologischen Bedeutung auftritt, sondern einen mehr oder minder scharfen Gegensatz einführt, schon in die Bedeutung einer Konjunktion übergetreten ist, liegt doch auf der Hand. Dies ist aber stets der Fall, wo mais que einen Wunsch- satz einführt, es ist in jedem Falle Konjunktion, ob man nun mais que als „aber dass" auffassen mag, oder ob man annimmt, dass der ganze ursprünglich adverbiale Ausdruck (magis quam = ausser, nur) zur Konjunktion geworden ist und einen an und für sich selbständigen Wunschsatz anfügt. Und da ist es denn doch wohl viel natürlicher, dieses que, das ja an und für sich nicht nötig ist und auch oft genug nicht auftritt, als que „dass" zu fassen. Dass sich übrigens die Be- deutung „lieber, vielmehr" erst aus „aber, sondern" entwickelt haben sollte, eine Annahme, welche für den Verfasser die wahrscheinlichere ist (S. 28), ist nicht denkbar. Ferner erklären sich die scheinbaren Judikative nach mais que (S. 29), welche dem Verfasser Schwierig- keiten bereiten (cf. S. 30 „zur Erklärung dieses Modus liesse sich darauf hinweisen, dass mais que allmählich ganz den Charakter einer Konjunktion annahm [man beachte den Widerspruch, vorher verwahrt er sich wiederholt gegen eine Konjunktion] und nun nach Analogie von anderen konditionalen Konjunktionen mit dem Indikativ kon- struiert wurde") einfach als Konjunktive, eine Erscheinung, die unend- lich oft besprochen worden ist, vgl. z. B. zu faiies und äites Tobler, V, B. S. 26. Endlich möchte Referent noch auf S. 8 hinweisen, wo der Verfasser von Adverbialsätzen des Ortes spricht, zu denen er „nur ein Beispiel zitieren kann" Bartsch, Chr, 337, 29, das nicht zutreffend ist und es nicht sein kann. Ein lokaler Adverbialsatz könnte in bei- geordneten Sätzen doch nur da erblickt werden, wo beziehungsloses resp. in der neueren Sprache unbedingt . erforderlich wäre. Nun können sehr wohl zwei Sätze einander beigeordnet sein, von denen der eine eine lokale Bestimmung zum anderen enthält, ohne dass dieselben durch verknüpft sind ; es sind dann a,ber Hauptsätze welche sich so in der alten und neuen Sprache, wie überhaupt in allen Sprachen finden, so dass von Beiordnung statt Unterordnung nicht die Rede sein kann. Schliesst sich aber das Fügewort des Lokalsatzes an ein vorhergehendes Beziehungswort an, so liegen Adjektivsätze vor. Alle Anerkennung verdient auch die Arbeit von IMrAtscbke« Die Nebensätze der Zeit im AUfranzösischen, Kiel 1887 (Dissertation). Der Verf. hat sehr fleissig gearbeitet. Das sieht man aus der ansprechenden Disposition, die ebenso sorgfältig ist wie die Ausführung im einzelnen. Für die Anlage der Arbeit ist der sprachhistorische Standpunkt nicht massgebend gewesen, was zu bedauern ist. Zwar ist in Kürze der entsprechende lateinische Gebrauch und der neufranzösische erwähnt, doch treten die Punkte, auf welche es besonders ankommt, ganz zurück und müssten, wenn die Arbeit als Beitrag zur historischen Grammatik verwertet werden sollte, aus dei: Fülle des Gegebenen erst heraus- gesucht werden. Referent hat bereits einmal in der ZeitschHft (VP, 52) seine Ansichten über Spezialabhandlungen anzuführen sich erlaubt und muss dieselben anch jetzt noch ihrem ganzen Umfange

Syniaktisohe Arbeiten. 175

nach aufrecht erhalten. Doch trotz seines prinzipiell verschiedenen Standpunktes kann Referent, wie gesagt, die Arbeit nur loben. Im einzelnen hätte er ein näheres Eingehen auf die Konjunktionen ge- wünscht, welche der Verfasser angibt, so z. B. hätte S. 8 das droutre der Passion kurz erklärt resp. in Parenthese die beiden lateinischen Bestandteile des Wortes angegeben werden können. Einiges hätte richtiger aufgefasst resp. ausgedrückt werden müssen; so ist z. B. wiederholt von einem ,,Fehlen des gue^ im Nebensatze die Rede, z. B. S. 25, 43, 47, 48 und sonst. Was S. 26 über^.v^M'fl fheure que u. ä. gesagt ist, S. 48 aifis qu'ü dut redrecier ist nicht genau and nicht scharf genug ausgedrückt. Eine kurze Erklärung wäre auch z. B. S. 56 Fut. II Perf. II , S. 44 ains que mit dem Präsens am Platze gewesen.

Einen einzelnen Punkt der Syntax eines Autors aus dem 18. Jahi*- hundert behandelt Ilfalliisteclt, Om brukei af ftmt modus kos RaotU de Houdenc, Stockholm, 1888 (Dissertation von üpsala). Auf diese Arbeit will Referent nur hinweisen und aufmerksam machen, da er dieselbe richtig zu würdigen und zu beurteilen wegen seiner Unkenntnis der schwedischen Sprache nicht vermag. Er bedauert, dass die Ab- handlung in dieser Sprache geschrieben ist, denn, so viel er sehen konnte, ist sie gründlich gearbeitet und scheint auch Dinge von all- gemeinerer Bedeutung zu enthalten. Jedenfalls zeigt sich der Verfasser mit der ganzen syntaktischen Litteratur Deutschlands bis in die Details hinein gründlich vertraut.

Ins 15. Jahrhundert führt uns Waldmann, Bemerktmaen zur Syntax Monsirelefs. Würzburg, 1887. Das Thema ist insofern glücklich gewählt, als. wie der Verfasser das auch bemerkt, bereits Froissart und Commines auf ihre Syntax hin untersucht worden sind. Der Ver- fasser hat nun auch den sprachhistorischen Standpunkt inne halten wollen, um „sein Scherflein zur Ausarbeitung einer umfassenden historischen Grammatik beizutragen." Leider ist dieser Standpunkt nicht in der Weise gewahrt worden, wie es wünschenswert gewesen wäre, und auch sonst zeigt die Arbeit recht erhebliche Mängel. Der Vergleich mit Froissart und Commines hätte stets gründlich durch- geführt werden müssen. Der Verfasser hätte sich nicht darauf be- schränken müssen, das Vorkommen gewisser Erscheinungen bei seinem Autor zu konstatieren, sondern auch auf das Verhältnis moderner und alter Fügungen näher eingehen und in besonders wichtigen Fällen geradezu statistische Angaben machen sollen. In der Weise wie sie nun vorliegt, macht die Arbeit hinsichtlich des Materials einen recht skizzenhaften und oberflächlichen Eindruck. Ausserdem ist die Aus- drucksweise zumteil recht unwissenschaftlich, auch finden sich schiefe und unrichtige Auffassungen in grosser Zahl, einiffe Stellen müssen sogar als grob falsch bezeichnet worden. Vieles ist angeführt, was auch noch heute im Gebrauch ist, doch will Referent das nicht zu scharf rügen, da er aus eigener Erfahrung weiss, wie schwierig hier oft die Entscheidung ist. Dagegen ist das zu tadeln, dass viele Bei- spiele so kurz angeführt sind, dass die zu belegende sprachliche Er- scheinung nicht immer mit voller, jeden Zweifel ausschliessenden Deut- lichkeit zu Tage tritt. Das Gesagte durch Beispiele zu illustrieren, davon will Referent abstehen. Was nützt es, solche Sachen aufzu- zählen, die jeder Leser selbst verbessern kann, Dinge, von denen oft genug die Rede gewesen 1 Es genügt, darauf hinzuweisen, dass Bei- spiele zu dem, was gerügt ist, in nicht unerheblicher Zahl sieh finden. Immerhin wird das niedergelegte Material als solchea wohl brauchbar

176 Referate und Rezensionen, A, Haase,

sein, wenngleich dasselbe einer scharfen Sichtung und der Vervoll- ständigung bedarf.

Aus dem XVI. Jahrhundert liegen allein über Rabelais drei Arbeiten vor, von denen zwei, beide völlig unabhängig von einander, teilweise dasselbe Thema behandeln. SAnger, Syntaktische Unter- suchungen zu Rabelais. Halle a. S., 1888 (Dissertation), behandelt das Verbum und die Präpositionen. Die Abhandlung ist sorgfältig ge- arbeitet, sprachhistorisch gehalten und deshalb recht übersichtlich. Dieselbe berücksichtigt auch da, wo es darauf ankommt, das Ver- hältnis des alten und des neuen Gebrauchs und kann als ganz brauch- bar bezeichnet werden, obwohl im einzelnen mancherlei Ausstellungen zu machen sind. Zu rügen ist, dass die Arbeit von Weissgerber über den Konjunktiv im XVI. Jahrhundert, welche in Band VII und VIII dieser Zeitschrift erschienen ist, nicht herangezogen worden ist. Auch dürfte die ältere Arbeit Schönermark's über Kabelais nicht so selten sein, wie der Verfasser das in der Vorrede behauptet.

Einen Teil desselben Themas, nämlich den Gebrauch des Kon- junktivs und den der Tempora und Modi in hypothetischen Sätzen, behandelt Hornig, Syntaktische Untersuchungen zu Rabelais. Leipzig, 1888 (Dissertation), eine Leistung, über welche man sich ebenfalls an- erkennend aussprechen kann. Die Untersuchung, welche unter steter Berücksichtigung dessen, was Weissgerber bereits gegeben hat, geführt wird, erstreckt sich auch auf die Konjunktionen, welche den konjunk- tivischen Nebensatz einleiten, auf die Pronomina resp. Adverbia der verallgemeinernden Konzessivsätze, die Negation im abhängigen Satze, ist sprachhistorisch gehalten (wobei jedoch zu bemerken ist, dass manche dem modernen Gebrauch entsprechende Erscheinungen nur kurz anzuführen und nicht durch viele Beispiele zu belegen gewesen wären) und zeigt eine ausserordentliche Belesenheit in der syntaktischen Litteratur. Über vier Seiten braucht der Verfasser, um die Titel der benutzten Abhandlungen zu zitieren, und dabei hat er, wie aus den Anführungen an einzelnen Stellen der Arbeit ersichtlich ist, noch andere herangezogen. Die Durchsicht dieser langen Reihen veranlasst Referenten zu dem wohlgemeinten Rat, in dieser Hinsicht sich zu be- schränken und nur die Abhandlungen auszuwählen, welche wegen ihrer sprachhistorischen Angaben und der grammatischen Erklärung wegen wichtig sind. Es muss ja für einen jungen Menschen eine fast ab- schreckende Aufgabe sein, sich durch diesen von Jahr zu Jahr zu- nehmenden Berg von Schriften hindurch zu arbeiten ! Bei einer solchen Beschränkung (und eine Auswahl für das vorliegende Thema Hesse sich unschwer treffen) wäre eine desto intensivere Benutzung der ein- schlägigen Litteratur möglich. So hätte auch leicht der Verfasser es vermieden, S. 47 afin que vous dicies mit Schönermark für einen Indi- kativ zu halten. Wenn er die von ihm daselbst zitierte Stelle bei Vogels genauer angesehen hätte, so hätte er die Erklärung eines anakoluthischen Imperativs gefunden, eine Erscheinung, von welcher er selbst bei den Verben der Aufforderung S. 27 spricht. Übrigens könnte ja dictes auch in konjunktivischer Funktion stehen. Dass that- sächlich der Indikativ nach afin que in Stellen, die jede andere An- nahme oder Deutung ausschliessen, im XVI. Jahrhundert vorkommt, mag nebenbei angemerkt werden. Soweit Referent solche in der Er- innerung sind, zeigen sie stets fut. Tempora, so dass von Finalsätzen dann nicht mehr die Rede sein kann. Doch auf Einzelheiten soll nicht eingegangen werden.

Referent hat die Resultate der beiden Abhandlungen und die

Syntaktische Arbeiten. 177

Ausführungen derselben im einzelnen verglichen. Er will die Notizen, die er sich gemacht, nicht hier wiedergeben, sondern nur das be- merken, dass beide Abhandlungen Anlass zu mancherlei Ausstellungen im einzelnen bieten und beide das Material nicht ganz vollständig er- schöpfen. Immerhin ist die letzte Arbeit, wie das bei dem beschränk- teren Stoffe natürlich ist, im allgemeinen etwas vollständiger, wogegen auch Sänger manches gibt, was Hörnig übersehen hat, während er anderes hätte weglassen müssen. Auffallend ist der Widerspruch hin- sichtlich der Verba des Affekts und der Ausdrücke der Furcht (cf. Sänger, Sp. 28 u. Hörnig, Sp. 36 u. 82).

Mit demselben Autor beschäftigt sich Orlopp, Ober die Wort- steilung bei Rabelais. Jena, 1888 (Dissertation). Diese Arbeit trägt Re- ferent kein Bedenken als eine musterhafte Leistung zu bezeichnen. Nach wissenschaftlicher Disposition und Methode gearbeitet, vollständig sprachhistorisch gehalten, behandelt die Dissertation unter Benutzung alles dessen, was über die Wortstellung in besonderen Monographieen und auch sonst zerstreut in Abhandlungen niedergelegt ist, das Thema erschöpfend und im Zusammenhange der historischen Syntax. Durch die sprachhistorische, sorgfältig zusammengestellte Einrahmung des Materials, welche den Sprachgebrauch von der ältesten bis auf die neuere Zeit nicht nur im allgemeinen angibt, sondern auch bis in seine einzelnen Wandlungen hinein verfolgt, ist diese fleissige Arbeit, welche 79 Seiten in kleinem Druck enthält und alle nur irgend mög- lichen Abkürzungen zeigt, ganz besonders wertvoll geworden. Referent hat den allergünstigsten Eindruck gewonnen und kann diese hervor- ragende Abhandlung aufs wärmste empfehlen.

Calvin's Institution hat eine erneute Bearbeitung erfahren durch Grosfiie« Syntaktische Studien zu Jean Calvin. Giessen, 1888 (Dissertation). Wie der Verfasser selbst bemerkt, ist diese Abhandlung bereits 1879 in Herrig's Aixhiv zum Abdruck gelangt und erscheint jetzt in „ver- änderter Gestalt." Weil j^ne Arbeit viel benutzt worden ist und be- nutzt wird, da eine andere Darstellung der Syntax Calvin's nicht existiert, will Referent auf diese zweite Auflage aufmerksam machen, und dies ist der einzige Grund, weshalb die Schrift überhaupt erwähnt zu werden verdient. Wie es mit der „veränderten Gestalt" steht, will Referent nicht untersuchen. Er kennt die erste Arbeit genau und hat dieselbe noch so weit im Gedächtnis, dass er behaupten kann, diese Veränderung kann nur in ganz unwesentlichen Einzelheiten be- stehen. Im ganzen ist die vorliegende Abhandlung nur ein aufge- wärmtes Gericht, das deshalb viel weniger schmackhaft ist als das frische. Eine Arbeit, die vor neun Jahren noch für ganz leidlich gelten konnte, ist heute, wenn sie ganz auf dem früheren Standpunkte stehen geblieben ist, als wertlos zu bezeichnen. Zwar gibt der Verfasser auf der ersten Seite einige neuere Werke an, die er benutzt hat (darunter einige, von denen man nicht recht einsieht, wie dieselben für eine Syntax verwertet werden können), doch ist von einer auch nur einiger- massen genügenden Benutzung der einschlägigen Litteratur nicht die Rede. Nicht einmal die Sprache des XVI. Jahrhunderts ist heran- gezogen. Nur sporadisch finden sich Ansätze zu sprachhistorischer Methode (z. B. S. 29, 32, 41), und mitunter ist die ältere Arbeit Schönermark's über Rabelais berücksichtigt. Die Methode ist unwissen- schaftlich, und ebenso oft die Ausdrucks weise. Im einzelnen finden sich falsche Auffassungen, ja zum teil recht arge Versehen. Auch das gegebene Material ist zu dürftig. Nur S, 32 und 46 ist eine nähere Angabe über das Verhältnis der alten und der modernen Fügung zu

JSsclur. f. fin. Spr. u. Litt. XI^. ^2

178 Referate imd Rezensionen, M. Köhkr,

entdecken. Wenn S. 29 Tönnies kritisiert wird, so wirkt diese ver- einzelte, ganz unnütze Ausstellung geradezu komisch. Es wäre zu wünschen, dass die Syntax dieses so wichtigen Autors einmal gründ- lich untersucht würde.

Sehr schätzbares Material liefert Ringeiiseii, Studier öfver verbets syntax hos BUtise de Monlue» üpsala, 1888 (Dissertation). Leider muss Referent auch hier ee sich versagen, ein Urteil abzugeben. Er will nur bemerken, dass die Arbeit sprachhistorisch gehalten ist, so viel er aus den Zitaten ersehen konnte, gründlich gearbeitet ist, und, wie bereits bemerkt, viel Material liefert. . Namentlich sind viele sprachliche Erscheinungen, die man nicht bei allen Schriftstellern der Zeit findet und die überhaupt nie allgemein geworden sind, durch Bei- spiele belegt, so dass man in der Arbeit mehr findet als in anderen ähnlichen Abhandlungen. Darauf ganz besonders hinzuweisen sieht sich Referent nach der Durchsicht des Materials veranlasst.

A. Haase.

Riese, Wilhelm, Alliterierender Gleichklang in der franzö'siscken Sprache alter und neuer Zeit, Hallenser Dissertation. Halle, 1888. 38 8. 8o.

Die Alliteration in den romanischen Sprachen ist bis jetzt ein noch fast unangebantes Gebiet. Vor der Yeröffentlichong Torliegender Dissertation existierten darüber, abgesehen von einigen gelegentlichen Erwähnungen in Monographien, nur zwei AHikel geringeren Umfanges: von G. Gröber (Zeitschrift für rom. FhiL VI, 467) und P. Meyer (Romania X, 572), und auch diese gingen über einige Beispiele und die Aufstellung von Gesichts- punkten fUr eine eingehendere Bearbeitung des Themas nicht hinaus. Verfasser vorliegender Dissertation bespricht den Gegen- stand auf nur achtzehn Seiten; der übrige Teil enthält eine Bei- Spielsammlung, nach Wortarten geordnet, jedoch ohne Sonderung nach der Zeit der Schriftsteller.

Die Einleitung (8. 5 8) der Arbeit, welche durch den oben erwähnten Artikel Gröberes hervorgerufen wurde, bespricht den Ursprung der Alliteration, d^r nicht im Germanischen zu suchen, sondern als Wirkung eines in jeder Sprache vorhandenen Triebes anzusehen sei, die Entstehung des Wortes Alliteration, die Er- klärung desselben in französischen Wörterbüchern und Metriken, die alle den Begriff der Alliteration anders fassen, als wir, und stellt für vorliegende Arbeit den Begriff so fest, wie er in Deutsch- land und auch von den hervorragenden französischen Romanisten jetzt verstanden wird.

Abschnitt I (8 11) handelt von einigen Besonderheiten der lautlichen Seite der Alliteration im Französischen (Verhältnis der yokalisehen zur konsonantiselien Alliteration, AlliteratioB gleich-

W. Riese, Alliterierende^' Gleichklang m der flranz. Sprache etc. 179

lautender Konsonanten mit versohiedener Schreibang, Verbaltefi von mit Präpositionen zasammengesetzten Wörtern) und unter- scheidet zwischen Alliteration und ähnlichen Figuren, namentlich der etymologischen und grammatischen Figur.

Abschnitt II (11 16) will eine Untersuchung geben über das logische Verhältnis der alliteHerenden Elemente und die grammatische Beschaffenheit ihres Zusammenhangs, bespricht jedoch inbezug auf den ersten Punkt fast nur die namentlich in den Chansons de geste häufig vorkommende Zusanmienstellung gleich anlautender Eigennamen. Nach grammatischer Beziehung werden die Alliterationen eingeteilt in koordinierte und sub- ordinierte, von denen die letzteren als sehr selten und weil sie dem Sinne nach doch oft koordiniert seien, sehr kurz abgethan werden. Die koordinierten werden eingeteilt in synthetische (z. B. fueiUes ne flours), synonyme (z. B. feu et flame), anti- thetische (z. B. soient blanches, soimU hrtmettes) und di0|anktive (affirmativ z. B. par armes ou par amour, negativ ne bon^ ne beles).

Abschnitt III (S. 16 23) geht ein auf die Neigung der Völker zur Alliteration, die sich bethätigt in der Wortbildung, besonders bei der Reduplikation, die jedoch fUr das Französische nicht existiert, und bei der Bildung von Intensivstämmen. Die Neubildungen auf französischem Gebiete werden besprochen im Anschluss an Diez: Gemination und Ablaut im Romanischen (Zeitschrift fllr die Wissenschaß der Sprachen, 3. Bd.) Die Ab- handlung geht dann Über auf die Gewohnheit vieler Dichter, die Schönheit ihrer Verse zu erhöhen durch gleichen Anlaut mehrerer Wörter im Verse, die syntaktisch nicht verbunden zu sein brauchen, woraus sich die Spielerei der Tautogramme oder rtmes senies entwickelt hat. Nach Erwähnung einiger Alliterationsscherze, wie des von P. Meyer in dem oben erwähnten Artikel besprochenen über die Epitheta des Weines, schliesst der abhandelnde Teil mit kurzen Bemerkungen über das Vorkommen der Alliteration in der Prosa.

Wenn es dem Referenten erlaubt ist, dieser Inhaltsangabe einige Anmerkungen hinzuzufügen, so hält er es zunächst für ver- kehrt, die gefundenen Beispiele einfach alphabetisch aneinander zu reihen. Eine wirklich brauchbare Arbeit über dieses Thema muss das Material sichten nach der Zeit der Schriftsteller, in denen es sich findet^ nach Dichterschulen, Sagenkreisen u. s. w., am dann Schlüsse ziehen zu können, in welchen Perioden, in welchen Dichtungsarten, vielleicht auch in welchen Gegenden die* Alliteration mehr oder weniger beliebt war und noch ist. Auch hätte das Verhältnis näher untersucht werden müssen, in welchem inbezug auf die zu behandelnde sprachliche Eigentümlichkeit die lateinische Sprache zur französischen steht. Für diese beiden Fragen geben

12*

180 Beferaie und Rezensionen. Th. Lion,

die zahlreich vorhandenen Abhandlungen über lateinische Allite- ration, allen voran die vorzügliche Arbeit von E. Wölfflin in den Sitzungsberichten der philos.'phüoL und hist Klasse der känigl, bayer, Akad, d, Wiss, 1881, 2, S. 1 ff., gute Anhaltspunkte.

Abschnitt III, wenigstens soweit er die ursprünglichsten Äusserungen des Alliterationstriebes behandelt, hätte sich besser direkt an die Einleitung angeschlossen.

Die Arbeit enthält zahlreiche Druckfehler und Ungenauig- keiten, namentlich in den Litteraturangaben, so ist das Buch von Becq de Fouqui^res über französische Metrik mehrfach mit un- vollständigem Titel angegeben. Ausdrücke wie der S. 13 „ein näheres Verhältnis der alliterierenden Seienden^ waren zu vermeiden. M. Köhler.

BibUoth^ue frtm/^ise d Vuaage des Reales. CoUecHon Fried' berg 2b Mode» Nr. V7. Leciures faciles et insirnciives. Heraus- gegeben und mit Anmerkungen versehen von Adolf Lundehn. Berlin, 1886. In-ie» VI ti. 160 S. geb., 1 M. Wörterbuch dazu. 35 S. geh. 20 Pf. Nr. 18. Choix de Poesies. Ausgewählt, mit einer kurzen französischen Verslehre, biographischen Notizen und Anmerkungen versehen von A. Lundehn und E. Meves. Berlin, 1887. In-160, XXIV u. 218 S. geb., 1,20 M. Wörterbuch dazu von A. Lundehn, 19 S. geh. 20 Pf. Nr. 19. Les campannes de 1806 et de 1807. Reduction de la partie correspondante de iliistoire de Napoleon I^ par P. Lanfrey. Bearbeitet und mit Anmerkungen versehen von W. Bertram. Mit 2 Karten. Berlin, 1888. 8^. VIII u. 129 S., geb. Anmerkungen dazu geh. S. 131—168. 1,20 M. Wörterbuch dazu. 24 S. 20 Pf. Nr. 20. Hommes celeh-es de rhistoire romaine. Nach Dur uy. Ein französischer Cornelius Nepos für Quarta und Untertertia s'ämtlicher höherer Lehranstalten. Mit kulturgeschichtlichen Anmerkungen, zwei Karten und einem Wörter- buche. Bearbeitet und herausgegeben von H. W. G lab b ach, Berlin, 1888. 8^. VII u. 112 S., geb. Anmerkungen dazu S. 118 bis S. 158, geh., 1,20 M. Wörterbuch dazu 58 S. geh. 30 Pf. Nr. 21. Le siede de Louis XIV. Histoire de France de 1661 ä 1715 par Victor Duruy. Mit Anmerkungen und einem Wörterbuche versehen und zum Gebrauch in höheren Lehranstalten herausgegeben von K. A. Martin Hartmann. Mit einer Karte. Berlin, 1888. 80 VIII u. 189 S., geb. Anmerkungen dazu 8. 141 194, geh., 1,20 M. Wörterbuch dazu 81 S. geh. 20 Pf. Hr. 22. Histoire de la Revolution fran^aise. Par Mignet. Herausgegeben und mit Anmerkungen versehen von M. Schaunsland. Berlin, 1888. 8°. VI u. 145 S., geb. Anmerkungen dazu S. 147—170, geh., 1,20 M.(?) Wörterbuch dazu 40 S. geh.

"NVm 17 ist eine Sammlung umfangreicherer Lesestücke, „für die- jenige Klasse höherer Lehranstalten in erster Reihe Mädchenschulen [dem Inhalte nach lediglich für diese] bestimmt, in welcher die nn- regelmässigen Zeitwörter der französischen Sprache erlernt werden Bollen, also für das dritte Jahr dieses Unterrichtes [!], beziehungsweise

Schulausgaben, 181

für Mädchen im zwölften Lebensjahr." Der Herausgeber findet es im Vorworte sodann für angemessen, bei der grossen Zahl französischer Lesebücher, welche für diese Stufe verwendbar sind, die Berechtigung einer neuen derartigen Sammlung nachzuweisen. Lundehn wünschte dafür einen solchen Inhalt, der dem Lernenden am wenigsten fremd- artig sei, und meint, dass sich dafür wohl am besten interessante Bilder aus dem Familien- und gesellschaftlichen Leben der Franzosen eignen; „das Elternhaus, die Spiele der Jugend, die Puppen der Mädchen, der Herr Pate u. dergl. m., da sind unsere Schülerinnen au pays de con- naissance und lernen zugleich mit Leichtigkeit eine Menge von Aus- drücken für die Umgangssprache." Dies die Absicht des Herausgebers, über die ich mich ein Urteil abzugeben enthalte; vielleicht sind der- gleichen Lesestücke für die betreffende Stufe einer höheren Mädchen- schule ganz angemessen, vielleicht wünschen andere einen etwas ge- diegeneren Inhalt, ich lasse das dahingestellt und gehe nur noch kurz auf die Art und Weise ein, wie der Herausgeber seine Absicht ver- wirklicht hat. Eine Anzahl Druckfehler fallen unangenehm auf; es ist dabei nicht immer ersichtlich, ob sie als Druckfehler anzusehen sind. So findet sich fast durchweg M^, für M^ oder Mme, ebenso S. 6 Mr. für M. oder M^, MUe. für ^"^ ebendaselbst 15, mai und 12. mai für 15 mai und 12 mai, S. 53 Predsement für Precisement u. dgl. m. Für das Mass der beigegebenen Anmerkungen scheint kein fester Grundsatz geherrscht zu haben. Warum die erste Anmerkung: „/<? viens de faire ich habe so eben gemacht?" Bei der Einübung des Verbs venir lernt die Schülerin doch das sicherlich. Mehrere Anmerkungen hätten in das besonders beigegebene Wörterbuch verwiesen werden können, z. B. 3, 2: avoir lieu stattfinden. Andere Spracherscheinungen wiederum wären besser durch einen kurzen Hinweis erledigt, als durch die voll- ständige Anführung einer Regel, deren Fassung mitunter recht be- denklich ist; z. B. S. 8, 5: „Wenn die Verben faire, laisser, voir, en- tendre mit dem Infinitiv eines transitiven Verbums verbunden sind und zwei Objektsakkusative bei sich haben, so wird im Französischen das persönliche Objekt in den Dativ gestellt." Dieselbe Regel kehrt S. 80, 2 in etwas anderer Fassung wieder. S. 2, 3: „une batterie de cuisine das Küchengeschirr." Die Schülerin begreift nicht, wie une durch das wiedergegeben werden kann. Besser wäre: eine Küchenein- richtung. Das Wörterbuch scheint im allgemeinen ausreichend; auf einem merkwürdigen Versehen beruht indes die Angabe: nfourneau m. Küchengarten." S. 2 lesen wir bei der Aufzählung der Küchen einrich- tung un peiit fourneau en faience. Die Aufnahme von faience f. Stein- gut in das Wörterbuch wäre zu empfehlen, damit die Schülerinnen das gute deutsche Wort für faience kennen lernen. Vorstehendes und ähn- liches der Art sind Versehen, die den Gebrauch des Büchleins nicht hindern, sobald man nur mit dessen Absicht einverstanden ist.

Nr. 18. Die Herausgeber gehen von der Ansicht aus, dass es sich empfehle, „auf der Oberstufe, etwa im zweiten und dritten Jahre derselben, unter Voraussetzung eines vierjährigen Kursus, in jedem Semester einige Wochen der eingehenden Lektüre poetischer Erzeug- nisse zu widmen." Die epische Poesie entspreche am besten den ünter- richtszwecken. Sie haben deshalb eine Auswahl französischer Gedichte zusammengestellt, „die teils unbestritten dem epischen Gebiete an- gehören, teils dasselbe mehr oder weniger nahe berühren." S. V XV enthalten einen kurzen Abriss der französischen Verslehre und Bemer- kungen über das Lesen der Verse: dass in diesem Abschnitt die griechischen Versfussnamen überhaupt und zwar nicht bloss die be-

162 Referate und Bezensionen^ Th. Lion,

kannten, Jambus, Trochäns, Daktylas und Anapäst, sondern auch die der obersten Stufe des Gymnasiums vorbehaltenen, Päon, Choriambus, Cre- ticus, Molossus Verwendung finden, dürfte schwerlich zu billigen sein, zumal da der Verfasser dieses Abschnittes, Herr Meves, es verabsäumt hat, ausdrücklich zu betonen, dass von der Quantität der Silben bei dem französischen Vers kaum die Bede sein kann; er will diese Art der Versmessung mit dem Rhythmus und dem Reim begründen, während der erstere doch nur durch die Verbindung der verschiedenen Tonein- heiten zustande kommt. Auch der Satz § 2 : Jedes französische Wort besitzt nur eine einzige Betonung, welche auf der letzten vollen Silbe des Wortes ruht (acceni ionique)^ ist in dieser Ausdehnung unrichtig; auch das französische drei- und mehrsilbige Wort trägt ausser dem Hochton den Tiefton, man vergleiche z. B. soupir und soupirer inbezug auf die verschiedene Betonung der ersten Silbe. S. XVI XXIV werden bio|p:aphische Nachrichten über die Dichter gegeben, die in alpha- betischer Ordnung aufgezählt werden. S. XXI v spricht sich Meves über Voltaire dahin aus: „Von ausserordentlichem Talent, dabei hab- süchtig, eitel und frivol, hat er unarmesslichen Einfluss auf die Er- schütterung des herrschenden Despotismus in Kirche, Staat und Gesell- schaft gehabt. Seine leidenschaftliche Ruhmbegierde und sein Hass gegen Aberglauben und Vorurteile, von dem er von Jugend auf erfüllt war« nahm mit seinem Alter zu und artete endlich zu einem wahren Fanatismus des Unglaubens aus^ Worte, die wohl kaum geeignet sind, der Schuljugend eine richtige Vorstellung von Voltaire's Wesen und Wirken beizubryigen. Der Mangel eines Inhalts fällt unangenehm auf und erschwert den Gebrauch des Buches, der auch dadurch nicht gerade erleichtert wird, dass die Amnerkungen S. 194 218 dem Texte nachfolgen. Auch deshalb ist die Benutzung der Anmerkungen schwierig, weil sie auf die Nummer des Lesestücks, die nicht über der Textseite bezeichnet ist, Bezug nehmen. An den Anmerkungen Hessen sich hier und da Ausstellungen machen, z. B. S. 198, 34: „Je devais hier = ich hätte müssen; die der Vergangenheit angehörende Thätigkeit ist nicht zur Vollendung gekommen.'^ Ich nehme namentlich an dem nhier** Anstoss, da es sich doch um einen ganz gewöhnlichen Sprachgebrauch handelt, der dem lateinischen hoc facere dehehas u. dergl. entspricht (vergl. Knebel -Probst, Französ. Schülfpramm., § 99, 3). £in ähnliches missbräuchliches hier findet sich übrigens mehrfach in Lundehns' An- merkungen. Wer der oben angegebenen Absicht der Herausgeber bei- pflichtet, wird übrigens das Buch im Unterricht dementsprechend ver- wenden können.

IM^r« 19« In dieser und den folgenden Nummern, bei denen das Format sich zu dem Oktav der Weidmännischen Sammlung vergrössert, wird die Zeilenzahl des Textes am Rande mit 5, 10, 15 u. s. f. be- zeichnet, die Anmerkungen werden ebenso wie das Wörterbuch in einem besonderen Heft beigegeben: damit werden wohl die Wünsche der meisten Schulmänner, die einen reinen Text in den Händen der Schüler sehen wollen, befriedigt sein. Ich meinerseits betrachte die Fussnoten, sobald sie nur streng schulf^emäss gehalten sind, d. h. dem Schüler da zu Hilfe kommen, wo die eigene Kraft; nicht ausreicht und lediglich erklären, was wirklich der Erklärung bedarf, nach wie vor als die zweckmässigste Einrichtung für eine Schulausgabe. Daneben scheint mir nur das jetzt hier eingeschlagene, auch in den Ausgaben B. der Prosaieurs frangais (Velh. & Klasing) befolgte Verfahren zulässig. Bei diesem weiss der Schüler nicht, ob er in dem Heft eine Anmerkung finden wird oder nicht, er gerät also in die Versuchung, die Anmer*

Sckfdausgaben. 163

kaogen ganz unbenutzt zu lassen, nur die Not kann ibn dazu veran- lassen, sie einzusehen. Mir scheint es dann fast ebenso gut die Bei- gabe der Anmerkungen ganz zu unterlassen, diese auf diu alphabetisches Namensverzeichnis, das, wenn ein Wörterbuch beigegeben wird, diesem einverleibt werden könnte, zu beschränken. Aber auch die Beigabe der Wörterbücher wird wohl die Mehrzahl der SchulmänneT min* destens für unnötig erachten. Doch wie gesagt ich glaube, dass trotz alledem ein schön gedruckter, gut gebundener Text, An- merkungen in einem besonderen Heft, Wörterbuch für den, der es besonders begehrt, dasjenige ist, was bei der Lehrerwelt am meisten Anklang findet, die Sehülerwelt wird besonders am Wörterbuch Gefallen finden und gern die kleine Mehrausgabe daran- wenden. — Zu den vorhandenen Lanfrerausgafoen (vergl. diese Zeä- sckrifi Bd. 11 S. 408—411, Bd. Vil» S, 176 f., Bd. VUia S. 119-322) gesellt sich nun die dritte: alle drei greifen aus der Hisimre de N4ir poleon ^^ die Feldzüge von 1806 und 1807 heraus. Wie sind sie mit dem Texte umgegangen? Bamsler bietet die betreffenden Kapitel ziemlich unverkürzt, aus der Vergleichung seiner und Bertrames Aus- gaben im ersten Kapitel ergibt sich, dass Absatz XXIV und XXV Bertram bei Ramsler fehlen, Sairazin und Bertram haben grösaere Kürzungen vorgenommen; hier ist es nur meine Aufgabe, dia Beftram'sche Ausgabe darauniin etwas näher zu prüfen. Es ist zunächst anzuerkennen, dass, wo Auslassungen stattgefunden haben, dies durch Gedankenstriche kenntlich gemacht ist. S. 4, 7 Bertram fehlen 8. 10 Talleyr^md eiadt resie fidek bis S. 14 fue s'ü Cavaii de ja (Ramsler^). Es wird hier nichts vermisst, zumal da die Anmerkungen sich über den Inhalt des Weg- gelassenen aussprechen. S. 6, U Bertram fehlen S. 16—29 Bamsler, ohne weitere Bemerkung: es ist wohl selbstverständlich, dass der An- fang des folgenden Absatzes: Le conrotmement naiurel de 4i^t edifice grandiose^ womit le Systeme des grands fiefs gemeiBtistj in Bertrames Ausgabe unverständlich bleiben muss. Nicnt anders verhält es sieh S. 8, 31, wo der Schluss des Absatzes X ohne weiteres weggelassen ist, und Absatz XI mit seinem Mais cetie chance heureuse darauf hinweist. Der bei Ramsler vorhergehende Satz: Quelle forlune inesp^re'e que la Sub- stitution du bon et gdnereux Fax ä cet komme hauiain etc, gibt die Er- klärung dieser chance heureuse. Wir sehen, dass das Bemühen des Herausgebers, „die Auswahl so zu treffen, dass die aneinandergereihten längeren oder kür^ren Bruchstücke trotz der aus verschiedenen Gründen gebotenen Auslassungen den Eindruck des Einheitlichen, in sich Zu- sammenhängenden machen möchten,^ nicht durchweg gelungen ist. Die Anmerkungen sind im allgemeinen angemessen, der Herausgeber sucht mit unrecht in le plus gros de son aimee S. 43, 35/36 und 42, 24/25 etwas Verschiedenes. S. 4, 16/17 de gtterre lasse hätte eine andere Er- klärung verdient, als die das Wörterbuch in Gestalt einer blossen Übersetzung unter guerre an einem Orte gibt, wo man sie nicht sucht. Die erste Auflage von Ramler's Ausgabe taugt nichts, die zweite wesentlich verbesserte und die Sarrazin's kenne ich nicht, ich lasse also unentschieden, welcher der drei Ausgaben der Vorzug zuzuerkennen ist, inbezug auf die Ausstattung der vorliegenden hat die Verlags- handlung vorzügliches geleistet.

lÜTm 30* Der Herausgeber bestimmt das Buch, das die hervor- ragenden Männer der römischen Geschichte von Romulus bis auf Au- gufitus in 25 Kapiteln behandelt, für die Quarta und Untertertia sämtlicher höherer Lehranstalten; er meint sogar, dass die vier ersten leichten Biographien sehr gut in d^n letzten Tertial einer Realeehulquinta

184 Referate und Rezensionen. Th, Lion,

gelesen werden könnten. Immerhin muss dafür die Vollendung des Elementarkursus vorausgesetzt werden, der ja übrigens auch besser zusammenhängende Lesestücke als Einzelsätze zu Grunde legt; was die Wahl des Stoffes anlangt, so ist dagegen kein besonderer Einwand zu erheben, es ist vielmehr als ein Fortschritt zu begrüssen, dass man dergleichen Gedanken nun nicht mehr mit dem veralteten Rollin zu verwirklichen sucht. Freilich meine ich, dass unsere Schüler gerade auf der betreffenden Stufe sonst schon genug von der alten Geschichte zu hören und zn lesen bekommen , dass man ihnen deshalb r für erste französische Lektüre, die nicht rein grammatische Zwecke verfolgt, anderen Inhalt bieten könnte, indessen ist das noch kein Grund, diese sonst angemessene Auswahl aus Duruy's Peiiie Histoire romaine von der Hand zu weisen. Sprachliche Bemerkungen hat der Herausgeber in wohlgelungener Weise dem Wörterbuch einverleibt, die Anmerkungen sind lediglich kulturgeschichtlichen Inhalts, eine immerhin dankens- werte Arbeit, wenn auch deren Bestimmung, insbesondere die Möglich- keit ihrer Verwertung im französischen Unterricht nicht recht ersichtlich ist (es wird z. B. zu S. 4, 35 eine 15 Zeilen lange Anmerkung über die Lage des tarpejischen Felsens, die jetzt dort befindlichen Gebäude, die gegenwärtige Höhe desselben u. dergl. m. gegeben).

Hr, 21* Das Buch enthält einen Abdruck der chapiires L LIV der Histoire de France par Victor Duruy: der Herausgeber ist der Mei- nung, dass sich Voltaire* s Siecle de Louis XIV als Schullektüre nicht recht habe einbürgern wollen, weil es der Zeit seiner Veröffentlichung nach nicht auf der Höhe einer objektiven geschichtlichen Darstellung stehe und stehen konnte. Wenn nun damit auch kein vollwichtiger Grund für die Verwerfung des Voltaire'schen Werkes als Schullektüre gegeben ist und die' treffliche Ausgabe Pfundheller's zudem das ihrige thut, um die geschichtlichen Thatsachen im rechten Lichte erscheinen zu lassen, so ist es doch immerhin ein guter Gedanke, daneben eine Darstellung jener bedeutsamen Zeit von einem tüchtigen Geschichts- forscher der neueren Zeit allgemeiner zugänglich zu machen, und es ist nur zu billigen, dass die Wahl auf Duruy gefallen, bei dem der betreffende Abschnitt in einem gerade für Schullektüre angemessenen Umfange behandelt ist. Die Anmerkungen beschränken sich darauf, das sachliche Verständnis des Textes den Lesern nahe zu bringen, was um so eher möglich war, weil der glatte Stil Duruy's sprachliche Be- merkungen überflüssig macht. Der Herausgeber hat es unterlassen bestimmt die Schulklasse anzugeben, für die er die betreffende Lektüre geeignet hält, er spricht sich nur dahin aus, dass es zweckmässig sei, „wenn die Schüler, ehe sie an das klassische Drama herantreten, die Zeit, in der es entstanden ist, und die es erklärt, aus einem guten Geschichts werke näher kennen lernten." In Übereinstimmung damit möchte ich die betreffende Lektüre der Obersekunda zuweisen.

ÜTm I32* Der Titel Histoire etc. par Mianet ist unberechtigt; wenn die Einleitung mit den Worten beginnt: „ßer vorliegende Auszug aus Mignefs Histoire de la rev. fraw^. umfasst das 1. bis 13. Kapitel incl.", so ist das auch irreführend, indem keineswegs das 1. 13. Kapitel voll- ständig abgedruckt sind. Der Herausgeber erklärt auch weiter unten, dass er alles fortgelassen habe, ,,wa6 nicht unumgänglich nötig schien und mit Leichtigkeit ausgeschieden werden konnte, ohne dass der doch wünschenswerte Zusammenhang gestört wurde." Abgesehen davon, dass S. 10, Zeile 17 f.: On dedda qu*il se rendrait infolge solcher Auslassung ü nicht einmal grammatische Beziehung hat (es hätte in le roi ver- ändert werden müssen), wird das für Mignet Charakteristische, die

Schulausgaben, 185

Betrachtungen f die er über die Ereignisse, das Verfahren der einzelnen Personen anstellt, schlechtweg ausgeschieden; so ist es möglich ge- worden, dass das erste Kapitel, welches in KoreU's Ausgabe S. 22 58 (gr. 8»), in Seedorfs (kl, 8») S. 48—110 umfasst, auf die Seiten 7—20 beschnitten werden konnte. Dass bei solchem Verfahren vom eigent- lichen Mignet nicht viel mehr bleiben kann, dass Mignet, der, wie sich aus den verschiedenen Ausgaben ergibt, auf den Wortlaut seines Werkes so grosse Sorgfalt verwandt hat, solchen Auszug nimmer als sein Eigentum anerkennen würde, ist selbstverständlich, und auch dem Schüler darf die Bekanntschaft mit einem doch immerhin bedeutenden Schriftwerke und Schriftsteller nicht in dieser Weise verkümmert werden. Man gebe in solchem Falle einen grösseren Abschnitt unverkürzt, oder da sich dafür schlecht allgemeine Vorschriften machen lassen, deute jede Aus- lassung im Texte durch Punkte oder Gedankenstriche an: der Schauns- land*sche Text würde dann freilich wunderlich genug aussehen. Schaunsland hat bei seiner Ausgabe von Montesquieu, Considera- tions etc. ein ähnliches Verfahren beobachtet, das sich in dem Falle jedoch weit eher rechtfertigen Hess, als in dem vorliegenden: dort blieb immerhin noch genug für den Schriftsteller Charakteristisches übrig, für Miffnet aber muss ich das in Abrede stellen, und jeder, der eine Vergleichung des echten Mignet'schen Textes mit dem Schaunsland's anstellt, wird zu demselben Ergebnis gelangen. In der Einleitung ver- misse ich die Angabe des Todesjahres Mignet's, von dem Korell in seiner Ausgabe vou 1877 noch schreibt: „Möge er noch genug Lebens- und Arbeitskraft besitzen, um das grosse Werk Vhistoire de la reforme religieuse zu vollenden, an dem er seit vielen Jahren gearbeitet hat!** Er starb am 24. März 1884. Die Anmerkungen sind im allgemeinen zweckentsprechend; S. 7 Z. 14 (lies Z. 21): „les gräces, in der Bedeutung, die das Wort an dieser Stelle hat, nämlich „AJnmut", braucht auch der Franzose wie der Deutsche nur den Singular." Aber wie geht es denn zu, dass Mignet, auch ein Franzose, den Plural gebraucht? S. 8, 4/5: ce jour que mon cceur attendaii tant est enfin arrive; dazu wird bemerkt : j^ce jour que hier, wie in du moment que, ä pre'sent que, mainienemt que, de la fagon que, du coie que und ähnlichen Ausdrücken bildet que den Übergang vom pron. rel. zur conj."^ als ob wir hier nicht einen ganz gewöhnlichen Relativsatz, der nicht das geringste Aufiällige zeigt, vor uns hätten! Es ist das eine zu der Stelle an den Haaren herbeigezogene Anmerkung. Zu S. 8, 25 bemerkt Schaunsland: „/^ bonheur et la pros- perite bilden im Französischen einen Begriff wie im Deutschen Glück und Wohlergehen, ohne sich wesentlich von einander zu unterscheiden." Wollte man eine Bemerkung zu der Zusammenstellung der beiden Aus- drücke machen, so wäre es viel angemessener gewesen, den Unterschied der Synonyma hervorzuheben, den ich in Boiste, Dict. univ., so angegeben finde: le bonheur est Feffet du hasard; la prospe'rite est le succes de la condition.

Sammlung französiseher und englischer SchriftsteUer fWr den Schuld und PHvfUgebrauch. Ausgaben Velhagen und JSlaMng» Prosateurs frani^ais. 70. Lieferung. (Doppelausgabe.) Ausgabe A. Mit Anmertungen unter dem Text. Bistoire d^ Alexandra le Grand par Charles Rollin. Mit Anm. z. Schulgebr. herausg. von Gerhard Franz. 1888. 175 S. kl. kart. 1 M. Wörterbuch dazu geh. 46 S. 20 Pf. 71. Lieferung. (Doppelausgabe.) Ausg. A. Cervantes. Don Quichotte de la Manche traduit par Florian. Im

186 Referate und Bez^nsiomen, Th. Lion,

Ausznge mit Anm. zam Schulgebr. herausgg. von J. Wychgram. Leipzig, 1888. 164 S. kart. 90 Pf. Wörterb. dazu geh. 64 S. 30 Pf. Thdätre fran(;a%s, XVI. Folge. 3. Lieferung. Cinna, Tragedie en üinq acies par Corneille, Mit Anmerkungen zum Schulgebr. herausgg. Ton S. Waetzoldt. 1887. 105 u. XX S. kart. 50 Pf. Wörterbuch dazu geh. 12 S. 15 Pf.

Prosatettrs, 70. Lieferung. Über den Wert der Werke des alten BoUin für 8chullekture vergleiche man £. v. Sallwürk in Bd. I ' dieser Zeitschrifi S. 429 f. über die entsprechende Ausgabe der Weid- mannschen Sammlung (von Collmann) I, S. 267 f. Die vorliegende Aus* gäbe gibt den Text mit noch grösseren Kürzungen als sich Collmann gestattet hatte; die Schule verliert freilich nicht viel dabei, wenn z. B. der Schlussabsatz des ersten Kapitels bei Collmann, in dem allerlei ausserordentliche Geschichten von dem Bukephalos des Alexander er^ zählt werden, u. dergl. mehr wegfällt. Es handelt sich in diesem Falle überhaupt um ein experimeninm in corpore viii, so dass sich gegen die Art der Textbehandlung kein wesentlicher i Einwand erheben lässt. Ebenso halten sich die Anmerkungen im Bahmen der für die Prosaieurs gültigen Vorschrift und sind im allgemeinen zweckentsprechend: auch hier zeigt sich mehrfach wie überhaupt in den Ausgaben dieser Samm* lung eine mechanische Behandlung der Grammatik z. B. „S. 77, 2) encore plus que ne faisaieni, etc, Pleonastisches ne nach vorausgehendem affirmativem Satz mit Komparativ." S. 50, 3 wird die Regel in einer anderen (nicht viel) besseren Fassung gegeben. Besser wäre, wie das ja im Plane der betreffenden Ausgaben liegt, ein Hinweis auf die Grammatik (Benecke), die allerdings an den betreffenden Stellen auch nur die Thatsache ohne Angabe einer Erklärung anführt: das kann ja auch dem Lehrer überlassen bleiben; es ist jedoch sehr fraglich, ob sich nicht mehr als ein Lehrer beziehungsweise eine Lehrerin des Französischen die Rechenschaft von diesem ne schuldig geblieben ist. Ebenso mechanisch ist die Angabe der Regel S. 8, S (vgl. S. 54, 3) zu pow Im faire declarer etc., sowie S, 80, 2 über du coiS und S. 99, 1 über das zur Einleitung des logischen Subjekts dienende, einem ce als Korrelat entsprechende que, S. 87, 1 wird die Angabe von S. 14, 3 (traiter de etc.) wiederholt.

Die 71. Lieferung ist ein für Schullektüre, falls solche einmal beliebt werden sollte, und für die Privatlektüre empfehlenswerter Aus- zug aus Florian's Übersetzung von Cervantes' Meisterwerk. Da man doch auf die eine oder andere Weise die Thaten des edlen Ritters von la Maneha kennen lernen muss, erscheint mir für die Jugend be- sonders die Bearbeitung Florian's in ihrem leichten gefälligen Stil als eine vortreffliche Privatlektüre: die Anmerkungen sind nament- lich in dieser Hinsicht wohl geeignet, ihren Zweck zu erfüllen, sonst dürften die lexikalischen Angaben etwas sparsamer sein; z. B. »112, 4: daianer faire geh, etwas zu thun geruhen" ist eine namentlich unter Beigabe des Wörterbuches überflüssige Anmerkuug. Dass der Text durch deutsche Inhaltsangaben unterbrochen wird, die zudem nicht sonderlich gelungen sind, weil sie dem Leser einen wenig befriedigenden Eindruck hinterlassen, wird manchem nicht sonderlich gefallen. I Wsetzoldt's Ausgabe von Corneille* s Cinna ist als Schulausgabe leidlich verwendbar, die Anmerkungen geben im allgemeinen das zum Verständnis des Inhalts Notwendige. Die Ausgabe Strehlke's ist ausgiebig, jedoch mit Selbständigkeit benutzt; auch von Gernzez sind manche Anmerkungen übernommen, sowie von Voltaire, an

deren Angemesaenheit hin und wieder Zweifel rege werden kann; z. B. 1, 11, 6: £iU a povr la biämer une trop ßisie canxe. Elle a p/>ur la bläme?' ne presenie pas ttn sens nel, Elle sd rapporie ä loi, ei pour la biämer sigmfie pour qu'on la hUtme (Geruzez)." Geruzez ist imstande, die Stelle richtig zu erklären, und doch behauptet er, dass sie keinen kl0.ren Sinn biete, nur deshalb, weil der beschränkte grammatische Formalismus es nicht zulassen möchte» dem Infinitiv ein unbestimmtes Subjekt zuzuerkennen. An dieser Stelle hätte die ein- fache Bemerkung genügt: „Das logische Subjekt des Infinitivs biämer ist ein unbestimmtes: man.^ Sonst ist mir Folgendes aufgefallen. S. 14, 11: Das Substv le massacre (deutsch Metzger) wird' mit Bezug auf ein einzelnes Opfer nur fig. gebraucht ss: Verhunzung.^ Strehlke bemerkte zu Vers 11: „Das Verbum [massacrer] (nicht das Substantiv) kann auch in Beziehung auf einen einzelnen gebraucht werden.*^ Bei- läufig waren die eingeklammerten Worte bei Strehlke zur Erklärung der Stelle überflüssig, sie haben die Anmerkung Wsetzoldt's, die sich dazu in einen Gegensatz stellt, hervorgerufen, diese musste indessen nun auch des näheren begründet werden. Zu Vers 87 bemerkt Waetzoldt: „Die folgenden Verse sind sehr geschraubt; der Sinn ist: 'Zu grausam ist ein Herz, das einer Liebe sich freut, deren Wonne Thränen ver* bittern, und der Tod eines Feindes, der zugleich den Freund uns ent- reisst, ist ein brennender Schmerz (statt einer Genugthuung).* *^ Strehlke hatte sich mit der Anmerkung begnügt : „87— 40. Ein wenig bedeutender Gedanke, der mit vielem Pathos hier ausgedrückt ist: Es Eegt zu grosse Grausamkeit darin, wenn man den Tod eines Feindes mit dem eines Freundes erkaufen will/ Der Hauptgedanke ist darin richtig wieder- gei^eben« ebenso wie in den Worten Wsetzoldt's: und der Tod eines Feindes u, s. w. Aber Strehlke hat die Schwierigkeit umgangen und WsBtzoldt die Stejle meiner Ansicht nach falsch aufgefasst. Die Herzensgrausamkeit der Liebenden kann sich doch nicht in der Freude an ihrer Liebe bethätigen, sondern nur in der Freude an ihrer Bache, der es nicht darauf ankommt, auch den Geliebten zu vernichten. Eine erläuternde Übersetzung der Stelle wird meifie Auffassung derselben klar machen: Zu grausam ist ein Herz, wenn es Beiz findet an der Süssigkeit (die Bache ist süss, also an einer Bache), welche durch die Bitterkeit der (um den Geliebten vergossenen) Thränen vergällt wird. In Vers 42: EsUil pe?-te ä ce prix qui ne semble legere? lassen Strehlke und Wsetzold ä ce prix von legere abhängen. Man ver- gleiche I, II, 61 (Vers 118): Foire emour ä ce prix rCest qu*un preseni Tuneste und man wird um so eher geneigt sein, die viel ungezwungenere Verbindung perle ä ce prix „ein Verderben, aus dem solcher Preis sichergibt'' nicht zu zerstören. S. 17, 23: „Für ä celui qui kann auch in Prosa ä qui gesetzt werden, wenn celui qui = quiconque. Vergl. „31 pour qui^ Dazu vgl. S. 20, 78: „qui hier ^ quiconque.^ Daraus wäre zu entnehmen, dass etwa ein ä quiconque unzulässig sein würde. Qui entspricht unserem deutschen Relativpronomen wer, und der Relativsatz gilt einem Substantiv gleich: damit ist meines Erachtene der so häufige Sprachgebrauch, der bei Corneille kaum noch einer Er- läaterung bedarf, hinlänglich klargestellt. S. 25, 111: j^arricide ur- sprünglich nur Vatermörder." Schon der altklassische Gebrauch des lateinischen parridda steht dem entgegen, es lässt sich also das „ur- sprünglich" nicht rechtfertigen. S. 29, 54: rX^^ "wxvdi von Corneille noch im positiven Sinne = quelque chose gebraucht." Ebenso bemerkt Strehlke zu Vers 333: „rien etwas = quelqfie chose ist bei Corneille häufig und kommt auch noch bei Bacine vereinzelt vor/ Ich sehe

188 Referate und Rezensionen, E. v. Saüwürk,

nicht ein, warnm nicht auch nach heutigem Sprachgebrauche zum Ausdruck unseres deutschen etwas rien in dem Verse 338 stehen müsste. Der Vers lautet: iV<? crains pas qu* apres toi rien ici me retienne. Über den heutigen Sprachgebrauch vergleiche man Lücking, Franz. Gr, f. d. Schulgdn-ailch S. 197 § 320. Zu Vers 466 ff. hatte Strehlke bemerkt: „Der etwas geschraubte Gedanke ist folgender: Nach Cinna's Ansicht wird durch die höchste Tugend der Ruhm geschändet; sie muss daher nur ein Gegenstand unserer Verachtung werden, wenn die Schande der Preis ihrer vollsten Bethätigung ist." S. 36, 114 (II, I) bemerkt dagegen Waetzoldt: „Der Sinn dieser geschraubten Phrasen ist dieser: Cinna glaubt, dass des Augustus Ruhm geschändet werde durch das, was für Maxime höchste Tugend ist: Das patriotische Ver- zichtleisten auf die Alleinherrschaft zu Gunsten der Republik. Dann also ist diese gloire verächtlich, denn nur um den Preis der Schande kann sie sich voll bethätigen." Die beiden Erklärungen würden dann mit einander übereinstimmen, wenn Waetzoldt vertu an der Stelle von gloire geschrieben hätte ; er aber bezieht Vers 467 und somit auch ses in Vers 468 Viui gloire: Dann gibt freilich Vers 468: „wenn die Schande der Preis der vollen Bethätigung des Ruhmes ist'' so gut wie gar keinen Sinn. Wird jedoch die Schande der Preis der vollen Bethätigung der höchsten Tugend genannt, so lässt sich damit in dem gegebenen Zusammenhange wohl ein Sinn verbinden ; daraus folgt denn mit Not- wendigkeit, dass das objet digne de nos me'pris nur la haute vertu sein kann, dass wir somit bei Strehlke's Erklärung stehen bleiben müssen. S. 38, II, I, 144 (Vers 498) „nous avons pu hier = nous aurions pu^ ist keine Erklärung: es ist hier an den entsprechenden lateinischen Sprachgebrauch zu erinnern und dessen von der deutschen verschiedene Anschauungsweise zu erörtern. Q, Xh. LiON.

Walter, Max, J)er französische Klassenunterricht. I. Unterstufe. Entwurf eines Lehrplans. Marburg, 1888. Elwert. IV, 77 S.

Der Verfasser hat nach einem von zusammenhängenden Texten ausgehenden und auf phonetische Übungen gegründeten Lehrplan in der Kasseler Realschule unterrichtet und will seine Versuche nun am Realgymnasium in Wiesbaden fortsetzen. Wie er seinen Unterricht in Quinta und Quarta der letztgenannten Anstalt gestalten will, darüber berichtet die uns vorliegende Schrift. Sie ist nebst Klinghardt's gleich- zeitig erschienenem Buch Ein Jahr Erfahrungen mit der neuen Methode. Bericht über den Unterricht mit einer englischen Anfänge^'klasse (ebendas. 1888) und Walter's Aufsätzen Über den Anfangsunterricht im Englischen in Victor 's Phonetischen Studien (1, 1 und 2) das Bedeutendste, was die sogenannte Reformlitteratur in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Die genannten Schriften werden, wenn wir uns nicht ganz täuschen, nicht blos der Reform des neusprachlichen Unterrichts neue Bekenner zuführen, sondern, was wir beinahe noch für wichtiger halten möchten, die verschiedenen Abschattungen der neusprachlichen Unterrichtsreform einander näher bringen und in ihrer praktischen Thätigkeit bestärken und fördern.

Die sprachunterrichtliche Reform ist mit grosser Lebhaftigkeit ins Feld gerückt. Sie hat mehr Feinde vor sich zu sehen geglaubt, als ihr nachher entgegengetreten sind; denn sie gedachte im Anfang mit allem alten Zopf und aller Ungebühr, in welcher Art von Schulen sie sich finden mochte, es aufzunehmen. Man hat sogar die schlimme

M. Walter, Der französische Klassenunierricht. 189

Überbürdung aus dem Felde schlagen und die klassische Philologie aus ihrem ererbten Besitz verjagen wollen. Mit der Zeit hat man auf dem eigensten Gebiete Arbeit genug gefunden, und was eben an den angezogenen Lehrberichten Walter^s und Klinghardt's so äusserst an- genehm berührt, ist die Ruhe und Behutsamkeit der bis ins Kleinste gehenden Arbeit und die völlige Abwesenheit von polemischen Neben- absichten und unklaren Übertreibungen. Die Reform will sich jetzt nicht mehr einen Standpunkt erobern; sie legt die ersten Proben ihrer Arbeit vor. Dass dies mit ganzer Aufrichtigkeit geschehen sei, darüber kann kein Zweifel bestehen.

Walter beginnt seinen Unterricht mit kleinen Gedichten (aus Kühn's Lesebuch), Die Worte werden vorgesprochen; die Schüler wiederholen sie im Chor und einzeln. Dann wird jedes Wort in seine Laute zerlegt und diese in einer Lautschrifttafel nachgesncht, später- hin das Ganze in Lautschrift an die Wandtafel geschrieben. Zuvor aber erhält der Schüler die wörtliche Übersetzung. Dass sich an die Einübung des Lesestücks, für welches im Anfang die häusliche Arbeit des Schülers nicht in Anspruch genommen wird, Laut Übungen der mannichfachsten Art anschliessen, ist selbstverständlich. Man wird gegen diese Art, den Unterricht einzuleiten, höchstens von dem Stand- punkte aus Bedenken haben können, welcher das Einlernen von je suis, tu es, ü est für systematische Denkarbeit hält. Auch gegen die Texte, welche Walter benützt, kann nichts eingewendet werden. Klinghardt benutzt fürs Englische die sehr zweckmässigen Texte des Sweet*8chen Elementarbuches; ähnlich passende liegen fürs Französische nicht vor. Dass aber mit zusammenhängenden Texten und nicht mit blossen phonetischen Übungen begonnen wird, halten wir für einen grossen Vorzug des Walter'schen Lehrplans. Der Schreiber dieser Zeilen hat sich überzeugt, dass in unteren Klassen das Interesse der Schüler durch phonetische Belehrungen oder Übungen nicht gefesselt werden kann. Das möchte fürs Englische, das später beginnt und grössere phonetische Schwierigkeiten bietet, anders sein und Klinghardt lässt in der That zusammenhängende Texte erst später eintreten; aber es scheint uns, dass der glücklicherweise nun anerkannte Grundsatz, dass der Unterricht in fremden Sprachen nicht mit Formen, sondern mit Dingen zu beginnen habe, gebieterisch verlange, dass nicht Laute, die eben auch nur Formen sind, den ersten Gegenstand dieses Unter- richts bilden. Da nun von einem Anhänger der direkten Methode selbst der zusammenhängende Text zum Ausgangspunkt des Unterrichts gemacht wird, so dürfen diejenigen, welche, wie der Unterzeichnete, bei aller Wertschätzung unserer trefflich ausgearbeiteten neusprach- lichen Phonetik die phonetischen Vorkurse glauben ablehnen zu müssen, in solchen nicht mehr ein wesentliches Merkmal der direkten Methode ansehen, das sie gegen dieselbe misstrauisch machen könnte. Das nächste Gedicht gibt dem Verfasser Anlass zur Einübung der fran- zösischen Zahlen; später werden die Wochentage in ähnlicher Weise eingelernt und nach und nach der ganze Anschauungskreis des Schülers in der fremden Sprache durchgearbeitet. Dies ge- schieht schon mit Benützung der französisch gestellten Frage, sodass neben die Lautübung gleich die Sprechübung tritt. Der Verfasser hat also Unrecht, wenn er (S. 14) behauptet, dass die ersten Wochen „nur der lautlichen Schulung gewidmet seien.'' Gerade das Durch- sprechen der Texte gehört zu den Vorzügen des Walter^schen Lehr- planes. Mit der (historischen) Orthographie werden die Schüler „nach einigen Wochen" bekannt gemacht; auch das ist früher erhobenet)

IdO Referate und Rezensionen, A. Mager,

Forderungen gegenüber eine grosse Mässigung. Der Referent, welcher von der Lautschrift von Anfang an einen viel beschränkteren Gebranch macht, hält seinerseits daranf, dass die ersten Texte bei geschlossenem Buche erklärt und eingeübt werden ; später, wenn die Schüler die Texte selbst lesen, lässt er nicht gleich übersetzen, sondern den Sinn der Stelle in fremder Sprache erfragen, sodass sich die Übersetzung nie unmittelbar an einen gelesenen Text anschliesst. Er glaubt damit zu erreichen, dass das Lesen sich bessert, weil der Schüler dureh den Gedanken an die demnächst zu leistende Übersetzung in seiner Auf- merksamkeit nicht gestört wird, und dass Ohr und Mundorgane durch das fortwährende Übergehen von einer Sprache in die andere nicht indifferent werden. Wenn sich bei vorgerückteren Schülern aus dem Lesen und dem Erfragen ergibt, dass die Stelle verstanden ist, hält er es für überflüssig zu übersetzen, wodurch die Lektüre einen lebhafteren Gang erhält. Er würde daher auch gegen diesen Teil des Walter*8chen Planes keine Einsprache erheben. Phonetische Umschriften haben den Vorteil, dass man den Schülern auch das Lautliche zum Gegenstand ihrer hänslichen Aufmerksamkeit machen kann. Wir glauben indessen, dass für den Anfang, um den es sich ja hier nur handelt, die häuslichen Arbeiten fast ganz wegfallen können. An schriftlichen Arbeiten bietet Walter Diktate, Niederschreiben er- klärter Texte aus dem Gedächtnisse, Beantwortung von französisch gestellten Fragen in französischer Sprache, Umformung von Lesestücken, Nacherzählen mündlich mitgeteilter Stoffe, Zusammenstellen und Bilden grammatischer Formen u. s. w. Das grammatische Extemporale und das Übersetzen aus dem Deutschen kommt nicht vor. Dass beide im Anfangsunterricht für Schüler uud Lehrer eine ziemlich nutzlose Plage sind, ist des Referenten alte Erfahrung. Späterhin möchte er das Übersetzen in der fremden Sprache nicht entbehren.^) Es kommt doch darauf an, die durchgreifende und gesetzmässige Verschiedenheit der Sprachen in der Abscheidung der Begriffskreise gegen einander und in der Verwendung der formalen Mittel klar zu erkennen; denn das kennzeichnet eben, was wir sprachliche Bildung heissen, im Gegensatz zur sprachlichen Fertigkeit, welche auch der Ungebildete im Umgang mit Fremdsprechenden, freilich immer in beschränktem Umfange, sich aneignen kann. Diesem Zwecke dienen aber am besten Übersetzungen aus dem Deutschen in die fremde Sprache. Zu fürchten ist ja nicht, dass solche Übungen wieder wie ehedem und teilweise noch im altsprachlichen Unterricht als eigentlicher Unterrichtsaweok angesehen werden könnten. Eines besonderen Vokabellernens wird es bei analytischer Durcharbeitung der Lesestüeke kaum bedürfen, und das ist ein wesentlicher Vorteil der neuen Methode unseres Sprach- unterrichts, der aber nur festgehalten werden kann, wenn zusammen- hängende Texte ihm zu Grunde gelegt werdet). Das Einprägen der Vokabeln ist bei d«n Synthetikern ebenso unerlässlich, wie es als eine fruchtlose Arbeit den Schüler drückt und missmutig macht. Das Ge- dächtnis hält nur gut Verbundenes fest, und dieser alte Unterricht hatte alles grundsätzlich auseinandergerissen und des geistigen Zu- sammenhangs beraubt. Daher ist es richtig, wenn Walter (wie Kling- hardt) unbekannte oder vergessene Wörter durch Erinnerung an den Zusammenhang, in welchem sie zum ersten Male vorkamen, dem

*) Aus einer Bemerkung auf S. 71 und au« S. 74 geht hervor, dass auch Walter Übersetzungen aus dem Deutschen nur für den An- fangsunterrieht missbilligt.

B. Druan, Les grands ecHvains franK^ais. Nouv&llei leciures etc. 191

Sohüler nahe bringt (S. 22). Beim ersten Vorkonmien benütst Walter aaeh etymologische (Hilfen. Nach all* den einschränkenden Be- dingungen« unter welchen Walters Lehrplan die direkte Methode zuy Anwendung bringt, werden wir es billigen, dass er die Hilfe der Mutter- sprache, sobald es irgend möglich ist, nicht mehr in Anspruch nimmt. Für den psychologischen Fehler, welcher in der Benennung der „direkten" oder „natürlichen*' Methode liegt, ist Felix Franke yerant- wortliek. Wir haben hier um so weniger Veranlassung, auf diesen Punkt näher einzugehen, da man in diesem Namen nur noch das Feld- geschrei einer mutigen und jugendlichen Schar erkennen kann, welche sich jetzt zu ruhiger und gedeihlicher Arbeit gewendet hat.

Der grammatische Stoff wird auf induktivem Wege gewannen. In dem darüber handelnden Abschnitte der Walter'schen Schrift ist alles klar und didaktisch richtig. Wir übergehen aber diesen Teil, weil der Verfasser sich hier aus äusseren Gründen an einen an seine Methode sich nicht anschliessenden Lehrplan halten musste.

Wir haben der Fortsetzung dieses Lehrplanes durch Kühn ent- gegenzusehen^) und zweifeln nicht, dass der Erfolg dieses ersten Schrittes die Fortsetzung der Mühe wert erseheinen lassen werde*

E. V. Sallwü&k.

TrMaUy Henri, £es grtmds ^criuains fran^ais'. NouveWis leciures MmmenUes en fran^ais et en langues etrangeres, aUemand, anglais, etc. Deuzi^me ^ition des äcoles. raris, o. J. P. Monnerat. 708 S. Preis:

Einen übersichtlichen Blick über Frankreichs Sprache und litteratur und eine historische Darstellung der nationalen Entwickelung des fran- zösischen Volkes will Truan in diesem Buche geben, und er hat dieses Ziel auch vollkommen erreicht. Indem er den hervorragendsten Schrift- stellern das Beste entlehnt und inhaltlich in chronologischer Eleihenfolge zu einem Ganzen zusammengestellfc hat, können wir zwei Teile innter- scheiden: den historischen und den litterarisehen. In dem ersteren, dem bei weitem grösseren, wird der Leser mit dem kampfesmutigen Gallier, seinen Kämpfen mit Cäsar, seinen Sitten und Gebräuchen bekannt. Eine französische Übersetzung eines Auszuges des Bolandsliedes, die Kämpfe zwischen England und Frankreich, die Beteiligung der französischeA Bitterschaffc an den Kreuzzügen, Charakterzüge Ludwig's XI., Franz 1., Heinrich IV., Ludwig's XIV. etc. bieten nicht allein eine angenehme, sondern autsh höchst lehrreiche Lektüre.

Der zweite Teil umftisst die ffrands eerwains des XVII. .lahr- hnnderts. Descartes, Corneille, Pascal, Scarron, Moli^re, La Fontaine; Boileau, La Rochefoucauld etc. sind kurz und treffend skizziert und Au»- Züge ans ihren hauptsächlichsten Werken angegeben. Dais XVIII. Jahr- hundert ist nur durch Le Sage und M^oatesquieu vertteten. Dichter unseres Jahrhunderts haben in diesem Teile keinen Piate gefunden, und Truan sagt in der Vorrede: Quand U ^ugü des contempetaiHs, notre jugemerU n*est pas encore assez sür pour qne nous puisskms nous rendre compte absolument du verdict de la posterite!

1) Dieselbe ist seitdem erschienen unter dem Titel : Entwurf eines Lehrplans für den französischen ünterriehi am Realgymnasium. 11. Mittel- und Oberstufe. Marburg, 1889. Elwert. IV, 55 S. Preis: 1 Mk.

192 Refer, u, Ret. A. Mager, ff. Tr%utn, Les grands ecrivains frangais.

Eine grosse Anzahl von Bemerkungen begleiten den Text und suchen nach allen Richtungen hin das Verständnis zu fördern. Ausser den historischen, geographischen, naturhistorischen und litterarischen Er- klärungen nehmen die etymologischen Bemerkungen eine hervorragende Stellung ein, nicht allein durch ihren wissenschaftlichen Wert, sondern, weil sie auch da«i Bestreben des Herausgebers zeigen, bisher dunkle, un- sichere Wörter zu erklären: Gavlois et Celie ne aont qu'un seul et mime mot. En gaelique koüie signifie forit; les Celtes itaieni les hommes des foriis. Etuv-mSmes pronongaieni leur nom Gadhel ou Gaidhel, ei par cofitraction, Gail, Gal, Gaü, Gaul; en grec KaU ou Kelte, ei Gailus en laiin. Die etymologischen Erklärungen sind zu Anfang und zu Ende des Buches sehr häufig, während auf manchen Seiten in der Mitte eine Er- lahmung zu bemerken ist, denn hier kommen ebenso interessa-nte Wörter vor wie dort. Der Rezensent will nicht leugnen, dass die Etymologien für die Schule bis zu einem gewissen Grade vorteilhaft sind, indem sie den Verstand der Schüler schärfen, einen Einblick in den Bau, in die Entwickelung der Sprache gewähren. Aber nur bis zu einem gewissen Grade sind sie verständlich ! Wenn nicht nur lateinische und griechische Wörter, sondern auch Sanskrit, Althochdeutsch, Angelsächsisch etc. heran- gezogen werden, so müssen wir derartige sprachliche Untersuchungen mit Vorsicht aufnehmen, denn der Schüler ist zu schwach dazu, der angehende Lehramtskandidat hat andere Hilfsmittel zur Verfügung, um seine etymologischen Kenntnisse zu erweitern.

Nicht allein Franzosen, auch Deutsche und Engländer sollen dieses Buch als willkommene Lektüre benützen. Zu diesem Behufe gibt der Herausgeber eine grosse Anzahl von deutschen und englischen Be- deutungen an, die *das Verständnis erleichtern sollen. Manche dieser deutschen und englischen Vokabeln halte ich für überflüssig, da man von einem Leser dieses Buches voraussetzen muss, dass er mit der fran- zösischen Sprache so vertraut ist, um zu übersetzen und zu verstehen: monsire Ungeheuer, hestiaux Vieh, dedaigneux verachtend, farouche wild, etc. Dies gilt auch für das Englische.

Ungemein störend wirken bei der Lektüre die Ziffern und Klammern der unten stehenden Erklärungen und Übersetzungen. Stellen wie : mais setdement au par ^[7(" de PiMers, et la foudroyanie ^[^(^ occupaient, le regan'd farouche 2 [6 (8 ßf mena^ent, etc. etc. bilden wahre Hindemisse für den lesenden Schüler. Besser wäre es gewesen, den Text nach Zeilen abzuteilen und die Bemerkungen nach der Anzahl der Zeilen anzubringen, wie auch die übersetzten Stellen durch ein im Anhang befindliches deutsches und englisches Wörterverzeichnis nicht nur verringert, sondern auch übersichtlicher hätten angebracht werden können.

Druckfehler fand ich : S. 8 dans le Gaule, S. 27 [^ aufgesöst.

Der vorzüglich zusammengestellte Text mit seinen sachlichen Er- klärungen macht dieses Buch nicht allein den Schüler- und Lehrerkreiseu empfehlenswert, sondern wird auch wegen seiner etymologischen und litterarischen Bemerkungen, die dem Fortschritte der Wissenschaft an- gepasst sind, den Kreisen grosse Dienste leisten, welche wissenschaftlich gebildete Lehrer der französischen Sprache werden wollen, sobald sie sich einer kurzen Wiederholung ihrer etymologischen Studien zu unter- ziehen beabsichtigen. A. Mager.

Referate und Rezensionen.

Levertin, Oskar, Studier öfver fars och farslfrer i Franknke mellan Renaissance och Molih'e. Akademisk afbandling. Upsala, 1888. Akademiska boktryckeriet (Edv. Berling). 176 S. 8^

Den Versuch, eine Geschichte der Farces nnd Farceurs in Frankreich zwischen der Renaissance und Moli^re zu schreiben, wird man im Vorhinein als ein verdienstliches Beginnen begrtissen müssen; nun wird man aber seine helle Freude daran haben, wenn man wahrnimmt, mit welchem ernsten Fleisse, mit welcher peinlichen Gewissenhaftigkeit, mit welcher vollkommenen Be- herrschung der Quellen und der gesamten einschlägigen Litteratur Oskar Levertin dies gethan hat. Das Buch macht der schwedischen Wissenschaftlicbkeit alle Ehre. Einen äusserst wohlthuenden Eindruck bewirkt auch die Anspruchslosigkeit, mit welcher der Verfasser sein Buch einführt und mit der er zuweilen die Er- gebnisse mühevoller Forschung ohne die übliche Gala gelehrter Polemik in einer unscheinbaren Fussnote unterbringt. Er ver- schmäht sogar den Luxus einer Vorrede; am Schlüsse des Buches erst bezeichnet er seine Schrift bescheiden als einen Versuch, den durch die reiche komische französische Litteratur der voran- gegangenen Zeit zu Moliöre emporsteigenden Weg zu verfolgen, und wenn auch diese rauhe, steile und mühsame Wanderung weniger an und für sich als mit Hinblick auf das herrliche Endziel anlocke, so übe es auf den Litteraturhistoriker dennoch einen mächtigen Reiz, dem Dichter beim Schaffen über die Schulter zu sehen und nach den teils verborgenen, teils ver- schütteten Kanälen zu suchen, durch die ein Teil des grossen Reichtums hineinströmte. Wir haben nun, wie wir schon an- gedeutet, den Eindruck, als ob dies dem Verfasser vortrefflich

Zschr. f. tn. Spr. n. Litt. XK ^3

194 Referate und Rezensionen. J. Frank,

gelungen sei, und meinen, den Lesern der Zeitschrift nicht unwillkommen zu sein, wenn wir sie, besonders aber jene, denen der schwedische Text Schwierigkeiten machen könnte, mit dem Hauptinhalte des Buches bekannt machen. Es liegt uns dabei selbstverständlich ferne, dadurch das Studium des Buches ersetzen zu wollen; wir wollen dem Bedürfnis der wissenschaft- lichen Halbwelt, kondensierte Litteraturgeschichte in der sprich- wörtlichen Nussschale einzunehmen, nicht dienen, und mit Recht sagte man, die Lektüre eines Buches, aus dem man einen Aus- zug machen könne, dürfe man sich noch mehr abkürzen, indem man es gar nicht lese. Wir wollen nur, wie bemerkt, denjenigen, denen das Werk wegen seiner Sprache unzugänglich ist, den wertvollen Inhalt nicht ganz verloren gehen lassen, die anderen aber von dem Reichtume des darin aufgespeicherten Materials überzeugen; es wird uns letzteres aber kaum ganz gelingen, weil wir die vielen Belegstellen und Beispiele, die erst recht die Emsigkeit des Autors hervortreten zu lassen geeignet sind, hier kaum auch nur andeuten können.

Die Abhandlung gliedert sich in folgende Teile: L Ein- leitung: Die Farce im Mittelalter. U. Die Farcen zwischen der Renaissance und Moli^re, a) die letzten Farceproduktionen, b) die Renaissanceästhetik und die Farcen, c) Farcereminiszenzen in den Lustspielen. HL Die Farceurs zwischen der Renaissance und Moli^re, a) die ersten Komiker des französischen Theaters, b) die Gassenfarceurs.

L Der Ursprung des französischen Lustspiels ist viel dunkler als der der französischen Mysterien. Adam de la Halle nimmt in der älteren Zeit eine ebenso hervorragende als ver- einzelte Stellung ein. Die beissende Satire und das Gemisch von bunter Phantastik und Selbstpersiflage in seinem Jeu d'Adara ou de la FeuilUe gemahnen ebenso an die Stücke des Aristo- phanes, wie an Shakespeare^s Sommemachtstraum ; sein Jeu de Rohin et Marion wurde mit Recht als die älteste französische Oper bezeichnet und behandelt einen besonders in Arras (wo beide Stücke aufgeführt wurden), aber auch anderswo von alters- her sehr volkstümlichen und viel benützten Stoff mit grosser Frische und Lebendigkeit. Nach Adam (also mit dem Ende des 13. Jahr- hunderts) gähnt uns bis ins 15. Jahrhundert eine Lücke ent- gegen, die aber höchst wahrscheinlich nicht so sehr auf die Sterilität der Epoche, als auf viele Verluste zurükzufUhren sein dürfte. Beruht doch unsere ganze Kenntnis des älteren fran- zösischen komischen Theaters fast ausschliesslich auf dem glück- lichen Zufalle, dass 1845 auf einem Dachboden in einer deutschen Kleinstadt eine Hauptquelle zu Tage gefordert wurde! Vorhanden

0. Levertin, Studier öfver fars och farsörer i Frankrike etc. 195

aber ist aus der Zeit zwischen Philipp dem Kühnen und Karl VII. allerdings nur die kleine Farce Du Gargon et de VAveugle (zwischen 1266 und 1290), die in ihrer Art, körperliche Gebrechen als komischen Stoff gut zu finden, in späterer Zeit viel^ch nachgeahmt wurde. Die BasocMens, diese klassischen Darsteller der caitse grosse und der Farcen dürften ihre Wirksamkeit um 1350 be- gonnen haben, und die sichere Nachricht von einer Vorstellung der Enfants sans Soulcy in Ronen aus dem Jahre 1385 beweist, dass auch in der Provinz im 14. Jahrhundert die komische Bühne nicht ganz feierte und dass manches nunmehr abhanden gekommene komische- Btihnenprodukt aus dieser Zeit Stoff für spätere verwandte Dichtungen geboten haben dürfte. Von der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts aber datiert ein Aufschwung und ein nunmehr ununterbrochener Fortgang des komischen Theaters. Die Organisation von besonderen Vereinen für heitere Aufführungen auch in vielen Provinzstädten beweist dies ebenso sehr, als der Umstand, dass die Farcen die bis dahin fast ausschliesslich herrschenden, das Bedürfnis des Volkes nach kurzweiliger Er- heiterung aber nicht befriedigenden Mysterien zuerst in der Form einer komischen Einlage zu durchbrechen beginnen, so dass der Lustigmacher in den Mysterien des 15. Jahrhunderts als stehende Person zu finden ist. Aus dem 15. und 16. Jahrhundert sind auch eine Reihe meisterhafter Farcen auf uns gekommen. Charakteristisch für dieselben ist die recht unbeholfene Technik, ihre Kürze, das schwache Zeitkolorit, der achtfüssige Vers mit regelmässig abwechselnden Reimen, die Lebhaftigkeit und Schlag- fertigkeit des mit Sprichwörtern und volkstümlichen Redensarten gesättigten Dialoges, die zu geringe Umschreibung des Obszönen, was allerdings weniger verletzt, als versöhnt, da es in seiner Ver- schleierung noch unzüchtiger als die Nacktheit selbst ist. Man hat diejenigen dieser Farcen, die schlüpfrige Stoffe mit spitzfindiger Kasuistik und dem Aufgebote der ganzen lateinischen juristischen Terminologie behandeln, als dem Kreise der BasochienSf die sich um Prüfungsangelegenheiten drehen, dem der Studenten und die unbedeutendsten und rohesten derselben dem der Taschenspieler entstammend erkennen wollen; doch ist für uns die Pointe ihrer auf bestimmte Klassenverhältnisse gerichteten Anspielungen nicht selten dunkel; manche streifen auch hart an das Gebiet der Moralitis und Sotties und ausser Andr6 de la Vigne, Gringoire, Roger de la OoUerye und wenigen Namen der Verfasser von Monologues (ist ja sogar der Autor des Patelin nicht sicher zu ermitteln!), haben wir es fast nur mit anonymen Werken zu thun. Die Stoffe, welche die Farcen mit Vorliebe behandeln, lassen sich bei der sprunghaften und losen Art der letzteren schwer angeben.

13*

196 Referate und Rezensionen. J. Frank,

Im allgemeinen haben die Fabhaux, deren Abblühen mit dem Aufblühen der Farce ziemlich zusammenfällt, der letzteren ein reiches Erbe hinterlassen; aber auch andere Fabelschätze (wie der indische Hitopadesa- und Sindabadkreis) und die orientalischen Sagenkreise haben die Kosten für die Vorwürfe dieser Farcen bestreiten müssen (die zahlreichen sehr instruktiven Beispiele hierfür muss man bei Levertin nachlesen). Besonders innig scheinen sich die komischen Monologues an die alten Fableattx anzulehnen und die gleichen Typen zu enthalten: den gewissen- losen, sinnlichen Pfaffen, den täppischen, von allen maltraitierten, von niemandem bemitleideten Ehemann (der sich einmal * einreden lässt, er sei ein Kalb, ein andermal, er sei tot), das lügnerische, keifende Eheweib ohne jede sittliche Fährte (das übrigens mehr auf eine orientalische Vorstellung zurückzuführen sein dürfte). Aber diese Farcen weisen allerdings einen viel grösseren Reichtum von Charaktergestalten auf, als die Fableaux, sie haben den ganzen Kreis der adligen und bürgerlichen Gesellschaft des Mittelalters in den Bereich ihrer Darstellung gezogen und mit mehr oder minder individuellen Zügen ausgestattet; in ganz ausgezeichneter Weise aber haben sie in dem pfennigfuchserischen Bauem- advokaten Patelin eine unvergängliche Verkörperung von Prozess- sucht und rabulistischer Findigkeit geschaffen, eine Figur, in der sich gewissermassen der ganze unversiegbare „Humor der Basoche krystallisierte." Der Hauptvorzug dieser Stücke liegt in der noch nicht im Manierismus und Eklektizismus aufgegangenen . Ur- verstände, der Naivität des sicher und unbewnsst schaffenden Volkshumors, der gerade („Geist geistet, wo er will") in den niedrigsten Volksschichten waltet. Die Stärke der Wirkung leidet nicht darunter, dass die Witze derb, die Spässe grobdrähtig sind und dass man in ihnen niemals der gemeinen Erdenschwere des alltäglichsten Pfahl bürgertums entflieht. Spuren zarterer idealer Regungen begegnen wir nur in der in den politischen Farcen immer wiederkehrenden Sehnsucht nach der milden Regierung Astraea's, in der überall Friede, Glück und Überfluss herrschen wird: Jacques Bonhomme, der vergeblich auf Roger Bontemps wartet.

IIa. In dieser Periode tritt das religiöse Element in den Vordergrund. Wennschon auch in der Dichtung des Mittelalters der Geistliche gern zum Stichblatte des Spottes genommen wurde, so geschah dies ohne aggressive Tendenz und man wollte nur Heiterkeit erregen; im ganzen unterwarf man sich doch der Autorität der Kirche, überzeugt, dass die Meinung des Einzelnen nie so gesund sein könne, als der allgemein herrschende Glaube, ßowie ein einzelner Wassertropfen leichter verdirbt, als der Ozean.

0. Levertin, Studier öfver fars och farsörer i Frankrike etc. 197

Jetzt aber wird ein ganzes Geschwader von Theaterstücken gegen die religiösen Dogmen, gegen die verderbten Bibeltexte, gegen den Reliqaienhandel (der Kamm des Hahnes, der dem Petrus krähte, wird in einer Farce als Reliquie verkauft, einem Wirte werden in einer anderen Farce für seinen guten Wein anstatt eines angeblichen heguin d!un des Innocens ein Paar baufällige Hosen untergeschoben u. s. w.), gegen die katholische Kirche überhaupt losgelassen, die aber zum grossen Teile wegen ihrer Steifheit und Trockenheit mehr den Moralitis beizuzählen sind und daher nicht mehr in den Rahmen einer Betrachtung der Entwickelung der Farce fallen. Erwähnung verdienen dagegen die Stücke der Marguerite von Navarra, einer Dame, die trotz ihres in religiösen Dingen mystisch grüblerisch angelegten und nach innen gekehrten Geistes zwei gelungene Farcen geschaffen hat: die Farce du Pape malade (die kranke Christenheit wirft, das letzte Mittel ver- suchend, die theologischen Kurpfuscher hinaus und wendet sich an Gott selbst) und die Farce de Trop, Prou, Peu, Moins (um 1516 verfasst), in der besonders der in der gesunden Religions- auffassung des Volkes ruhende tüchtige Kern desselben ge- priesen wird. Die folgenden verwandten Schöpfungen stechen mehr durch ihren fanatischen Hass, als durch ihren poetischen Wert hervor. In technischer Beziehung konnte die Renaissance auf die Farce keine besondere Einwirkung ausüben; sie bewirkte mit ihren gelehrten Tendenzen nur, dass sich die komischen Talente von der wegen ihrer kunstlosen üngebundenheit minder- wertig geltenden Farce weg und mehr der stilgerechten Nach- ahmung der klassischen und italienischen Komödie zuwendeten, und es wiederholt sich auch hier die Erscheinung, dass jeder Fort- schritt der Wissenschaft ein Stück des Malerischen, Urwüchsigen, Unmittelbaren aus der Poesie wegnimmt. So wenig diese neuen Schöpfungen trotz ihrer mehr künstlerischen Gewandung ihre Her- kunft von den alten Farcen verleugnen können, so blieb die eigent- liche Farce nunmehr doch vorherrschend auf die niedrigeren Volksklassen beschränkt. Nur drei Farcen (die sämtlich während des Erlasses des Kriegsmanifestes des Plejade erschienen), haben gewissermassen „etwas von dem Sonnenlichte der Renaissance" und erheben sich durch ihre liebevolle Charakterzeichnung und Lokalfarbe über die anderen: Marot's Dialogue des deux Amoureux (um 1541), den man wegen seines duftigen, stimmungsvollen Zwiegesprächs zweier Liebender mit Recht als das erste fran- zösische Proverhe bezeichnet hat ; Marguerite von Navarra's La Vieille (gedruckt 1547), worin Probleme aus dem Liebesleben sehr anziehend behandelt werden und man zum Schlussergebnisse gelangt, dass obgleich Liebe stets mit Leide ende, fortgeliebt

198 Referate und Rezensionen. /. Frank,

werden solle ; und Jean d'Abundance's, eines sonst fast unbekannten Verfassers, Farce de la Comette (gedruckt 1545) eine recht ge- lungene Charakterkomödie, die schon wegen der mannigfachen Entlehnungen, die Moliöre in seinem Ävare aus derselben vor- nahm, ein erhöhtes Interesse verdient. Dass die Farce um 1540 noch in Blüte steht, ersieht man auch aus der (14 Stücke ent- haltenden), aus dieser Zeit stammenden Farcen-Sammlung YioUet le Duc's. Dieselben mögen allerdings meist älteren Ursprungs sein, aber dass sie eben damals gedruckt wurden, beweist, dass nach ihnen noch eine bedeutende Nachfrage vorhanden war. So konnte die Renaissance, wie gesagt, die Farcen wohl auf die Schaubühne für die niederen Volksklassen hinabdrücken; ganz verdrängen konnte sie dieselben ebenso wenig wie die Mysterien. Das 1548 gegen die Aufführungen der Conf vires de la Passion gerichtete Verbot war ja lediglich eine zeitweilige Konzession an den verfeinerten Geschmack der Hauptstadt, blieb aber ohne nachhaltige Wirkung. Es fehlte den Farcen auch im XVII. Jahr- hundert nicht an dem Spätsommer eines reichen Repertoires der Basoche und anderer lustiger Darsteller. Allerdings ist uns dasselbe nur zum kleinsten Teil erhalten, der aber doch genügt, uns das Wesen der Farce in ihrer letzten Existenzphase erkennen zu lassen: sie greift besonders in den Provinzstädten stark in das Stoffgebiet der Sotties über, oder sie entwirft Sittengemälde von sehr fraglicher Originalität, die oft erst gedruckt wurden, nachdem sie bereits allenthalben in den Gassen abgespielt worden waren. In den beiden letzten abschliessenden Sammlungen von 1612 bis 1619 erweist sich der Strom der Erfindung so flach, dass man ihm auf den Grund sieht.

Von den Farcen nach 1549 kann hier nur die vorzüglichste, die Farce des trois Galans (1570 1571) näher erwähnt werden, eine so prächtige, „schöne Blüte, dass man den ihr so bald nachfolgenden Winter nicht ahnen möchte." Dieselbe führt einen Narren vor, der bei Tage träumt, etwas Grosses zu werden. Die Aussicht, Papst zu werden, reizt ihn nicht besonders, denn der Papst (Pius V.) sei gar so kriegerisch und es sei da beinahe gemütlicher, in der Stellung eines Narren zu verbleiben. Er will gleich der liebe Gott selbst werden, die heilige Jungfrau soll seine Frau, die heilige Katharine seine Schwester werden. Da sollte man es dann im Paradiese gut haben: keiner der Schweren- nöter und Störenfriede dieser Welt sollte da Einlass finden, weder die geschwätzigen, alles in Grund und Boden klatschenden Weiber, noch die Schelme von Advokaten, weder die Bäcker, die die kleinen Brote machen, noch die diebischen Müller; dagegen sollen ihm die heiteren Gesellen: die Spielleute, die braven Köche

0. Levertin, Studier öfoer fars och farsörer % Frankrike etc. 199

und fröhlichen Zechbrüder willkommen sein. Der Stoff gehört der Weltlitteratur an^ in der sich allenthalben die sehnsuchtsvolle Erinnerung an das goldene Zeitalter und dessen Schlaraffenleben, da ein Lieht leuchtete, in dem die Körper keine verdunkelnden Schatten warfen, poetisch verwertet findet. Das nächste Vorbild für die Farce des trois Galans bot Li Tabliaus de Ooquaigne; auch die anderen teils viel späteren Bearbeitungen dieses Stoffes zeigen (wie die Kinder des Pfarrers von Wakefield) eine über- raschende Familienähnlichkeit, keine aber kann sich an reich- quellender Phantasie und munterer Launigkeit mit unserer Farce messen. Ein vielfach ventiliertes Lieblingsthema der Farcen- spätlinge, die auch gern bei Hochzeitsfeierlichkeiten aufgeführt wurden, bilden Prügelszenen zwischen Ehegatten, die sich nicht bloss auf die Niederungen der breiten Volksmassen beschränken, und in denen die Frau zuweilen die Oberhand behält. Die auf uns gekommenen Sammlungen aus dem Anfange des XVIL Jahr- hunderts sind bloss in so später Zeit gedruckt, gehören aber ihrer Abfassung nach mit ganz wenigen Ausnahmen einer früheren Zeit an. Hervorgehoben zu werden verdienen von diesen nur noch die Farce du Meunier et du Gentühomme (1628), welche den durch die Bürger'sche Ballade Der Kaiser und der Abt so be- kannt gewordenen Stoff behandelt, der ebenfalls seit lange her ein Gemeingut aller Nationen gewesen zu sein scheint. Das wesentliche dieser Fabel bleibt in allen Bearbeitungen dasselbe, nur die Staffage und die Rätselfragen wechseln. (Wir müssen bezüglich der hochinteressanten Details dieser Untersuchung auf Levertin's Buch verweisen.)

1536 führte Franz I. eine strenge Zensur für die Auf- führungen der Basoche ein; ihre Wirksamkeit zeigt sich nunmehr im ganzen im starken Niedergange und die ihnen 1582 erteilte Spiellizenz schränkte ihre Thätigkeit auf ein so enges Gebiet ein, dass dies einer Unterbindung ihrer Lebensader gleichkommt. Im Jahre 1618 brannte die Salle des Procureurs ab, der Schau- platz, auf dem sie mit ihren Farceaufführungen so herrliche Triumphe gefeiert hatte. Die Basochtens kehrten daher, da ihnen das Hauptgebiet ihrer Thätigkeit, die Verspottung menschlicher Schwächen und die Karrikierungen von Persönlichkeiten, abge- graben war, wieder zur Pflege der cause grosse zurück, und es kann über ihren Verfall nicht täuschen, wenn sie dies 1634 mit grosser Reklame als etwas Neues, Ausserordentliches ankündigten. Eine wirklich ausgebreitete und intensive Thätigkeit hingegen scheinen die Basochtens auch jetzt noch in den Provinz- städten, besonders in Ronen und Poitiers, entfaltet zu haben, wo wir auch ihren ursprünglichen Ausgangspunkt, die Darstellung

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komischer Prozesse, in ihrem Repertoire wiederfinden. Es ist nns da manches schätzenswerte von ihnen aufgeführte Stück er- halten, in anderen Fällen, von den Basochiens in Marseille, sind wohl keine vollständigen Stücke, aher einzelne Lieder auf uns gekommen. Spärlicher sind aus dieser Zeit die Berichte über die Enfans sans Sotdcy: ihre Thätigkeit scheint in Paris mit dem XVI. Jahrhundert ganz beschlossen worden zu sein; dagegen haben sich in der Provinz ihnen verwandte Gesellschaften länger gehalten, so die Mere folle in Dijon, Les suppdts du seigneur de la CoquiUe in Lyon und die Connards in Ronen und Evreux. Die Anhänger der M^re folle gehen auf die berühmte 1381 gestiftete Cleve'sche Narrengilde zurück, aber erst zwischen 1482 und 1579 konstituierte sie sich als Gesellschaft, um bei Prozessionen, üoch- zeiten, Faschingsaufzügen und Theatervorstellungen mitzuwirken, bis sie 1630 sich in politische Zetteleien einliess und daran zu Grunde ging. Die Suppdts, von einer Lyoner Buchdruckergesell- schaft gestiftet, standen zur Mere folle in einer Art Kartell: während nämlich letztere die ihre Frauen prügelnden Männer aufs Korn nahmen, sollten die Suppdts die von ihren Frauen geprügelten Männer durchhecheln. Die berühmtesten aber waren die Connards, so dass du Bellay von einer besonderen Mu8e Connardih'e spricht; ihre Verbindung scheint erst unter Richelieu aufgelöst worden zu sein, und charakteristisch für ihre Thätigkeit ist die persönliche, unerbittliche Art ihrer Angriffe, die auch ' Hochgestellte nicht schonte. Eine andere Rouener Theater- gesellschaft, La Grand Confrairie des Saouls d^ouvrer, ist be- sonders wegen der von ihr 1550 beim Einzüge Heinrich H. in Ronen gespielten Farce de Vaux nennenswert, die eine Art Rund- schau über die verschiedenen Narren der Stadt (hs veaux de dtme)^) enthält, wie überhaupt unter dem Titel les Vaux mehrere Stücke dieser Art zirkuliert zu haben scheinen. Der gegen Nicolas Joubert (bekannt unter dem Namen Mr. d'Angoulevent)^) anhängig gemachte Prozess versetzte allen diesen Vereinigungen für Humor und komische Bühnendarstellung den Todesstoss. Dieses letzte Oberhaupt der Enfants sans Soulcy hatte nämlich als Prince des Sots das Privileg, durch die Hauptpforte ins Hotel de Bourgogne seinen Einzug zu halten und auch eine Loge zu seiner Verfügung zu haben. Ein Gläubiger wollte dieses Privileg des insolventen Joubert mit Beschlag belegen und fand bei den Confrhres de la

1) Dies erklärt auch eine dunkle Stelle in der Saiyre Menippee in den Pieces de Tapisserie, wo es heisst: Gardez vous de faire le veau. (Vgl. des Ret. /^/<?m/?/?^«fau8gabe, Oppeln 1884.)

2) Auch ihm begegnen wir in der Satyre Menippee nach der Rede de Rieux'.

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Passion warme Unterstützung. Zwar siegte Joubert schliesslich 1608, aber der Prozess brachte doch die Narrenburg und die Narren zu Falle und die Farce hatte als solche ausgelebt.

IIb. Der Ronsardismus äusserte sich, wie man weiss, be- sonders in der fast ausnahmslosen Geringschätzung der voran- gegangenen, als eine geistige Venrrung angesehenen Litteratur. Von der Nachahmung der Griechen und Römer sollte das Heil kommen. Es gibt aber auch keinen denkbar grösseren Kontrast, als den geschraubten Ronsardismus mit seiner Verachtung des Ge- schmackes der Menge einer-, und die mit ihrem Treppenwitze auf drastische Effekte hinarbeitenden Farcen andererseits. Ronsard und seiner Schule Werke richteten sich beinahe ausschliesslich „an einen hohen Adel". Seine Lustspiele waren blosse Ableger der altklassischen Komödie. Schon Sibilet hebt den schroffen Gegensatz zwischen der allgemeine Interessen behandelnden altklassischen Komödie und den Farcen hervor, die bloss einem geilen Lach- kitzel zur Befriedigung dienen, und dieser Gedanke kehrt bei den Anhängern der Rondsardischen Schule oft wieder. Ronsard' s Hochhaltung der Zeiteinheit muss ihn gegen die Farce ebenso einnehmen, wie ihn der Umstand abstösst, dass dieselbe haus- backene Szenen aus dem Werkeltagsleben des Volkes behandelt. Auch Jodelle und Gr^vin, die ihren stofflichen Zusammenhang mit der alten Farce nicht ganz verleugnen können (sie thun es allerdings, indem sie diesen als einen Abfall vom Klassizismus entschuldigen) erklären ihrer Stil- und Formlosigkeit und ihrer Vorliebe für allegorische Figuren den Krieg. Am schonungs- losesten aber bricht Jean de la Taille über die alte Farce den Stab, und die minder berühmten Mitglieder der Schule, die die alten Farcen kaum vom Hörensagen kannten, stammten in diese vernichtenden Urteile mit ein. Die Farce in ihrer alten Form hatte sich thatsächlich, wie gesagt, im XVII. Jahrhundert über- lebt, was sich auch daraus erweist, dass man nunmehr jedes Pamphlet mit dem Namen „Farce" bezeichnete.

IIc. Nichtsdestoweniger bildet die Farce noch immer eine mächtige Unterströmung in der neueren französischen Ko- mödie von Jodelle's Euglne bis Moli^re. Diese behauptet sich auch, als im XVI. und XVII. Jahrhundert die italienische und französische Einwirkung sich sehr fühlbar machten. Dies ersieht man am besten aus dem Eughie, dessen Aufführung neben der der Cleopäire im Jahre 1552 für das neue französische Theater bahnbrechend genannt werden kann. Bei aller Verschiedenheit des szenisch wohlgegliederten Eugene mit seiner Zeit- und Raum- einheit, mit seiner rhetorischen Breite und den in „didaskalischer" Behaglichkeit sich ergehenden Reflexionen zu der epigrammatisch

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knrz gehackten Frikasseesprache der alten Farcen, können ihre verwandtschaftlichen Züge niemandem leicht entgehen. Allerdings ist der abb^haft geleckte, lüstern raffinierte Eugene von der ent- sprechenden mehr derbsinnlichen, dummklugen, rüpelhaften Gestalt der Farce sehr verschieden, und doch hat der Eughte mit den alten Farcen wieder so vieles gemeinsam: die zynische Handlung, das wüste Treiben, in dem der Verkehr mit anständigen Frauen nur eine seltene Unterbrechung bildet, die rohe wenn auch im Eugene etwas tiberfirnisste Sprache, die Art der übertölpelten, betrogenen Ehemänner, ihre Frauen noch zu rühmen, die wiederholte Lieb- lingsbezeichnung der Geliebten als „Kousine". Auch in einigen Nebenpersonen des Euglne begegnen wir uns aus den Farcen wohlbekannten Typen. Auch die Hauptperson von Grövin's Tresorüre, Constance, erinnert an die mit den schwärzesten Farben geschilderten Frauen der alten Farce, wie das Stück auch die mit Zweideutigkeiten gespickte Sprache und die grausame Moral, dass auch in der Liebe das Geld alles bedeute und dieselbe nur mit der Brieftasche errungen wird, mit derselben gemein hat. Auch Remi Belleau's La Reconnue gemahnt trotz ihrer der Farce fremdartigen langatmigen Betrachtungen durch die Wahl der Szenen aus dem Kleinleben der mittleren Klassen an die Farcen und die Basochiens. Geradezu überraschend ist die (aus Levertin's Zitaten näher ersichtliche*) innige Anlehnung von Le Loyer's Le Muet insense an einige ältere Farcen. Wir müssen hier in der Aufzählung der weiteren (bei Levertin nachzulesenden) dies- bezüglichen Beispiele innehalten und erwähnen nur, dass wir auch in dem uns erhaltenen, im XVIL Jahrhundert gedruckten (that- sächlich aus älteren Traditionen, Lokalsagen und festlichen Auf- zügen stammenden) Repertoire der Provinztheater wahrnehmen, dass nur ein geschickter Regisseur den alten Bekannten der Farce notdürftig eine neue Larve vorgebunden hat. Hier sei bloss von dem merkwürdigen obgleich ausser von Baluffe von niemandem beachteten Repertoire von Beziers die Rede, denn diese Dichtungen haben etwas von dem Dufte der würzigen Erd- beeren, die abseits von der bequemen aber staubigen Chaussee, im heimlichen Schatten breitästiger Waldesriesen wachsen. Es sind uns von diesen Stücken nur dreiundzwanzig erhalten. Sie alle knüpfen an die dunkle Erinnerung der Befreiung der Stadt von etwas mysteriösen Feindeseinfällen an, zu deren Andenken am Himmelfahrtstage ein grosses, allgemeines Fest stattfand. Den Mittelpunkt des dabei stattfindenden Festzuges bildete ein Triumphwagen mit dem Konterfei des angeblichen Stadt- retters, Namens Pepesuc, der in anderen Städten (wo ähn- liche Feste gefeiert wurden) auch als Drachentödter verherr-

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licht wurde. Die Verfasser der an diesem Tage aufgeführten Theaterstücke sind bis auf einen, Jean Bonnet, unbekannt, aber der Zuschnitt und die Anordnung derselben (besonders der älteren), die auch in ihnen wiederholt durchbrechende Friedenssehnsucht und ihre Kürze rufen uns lebhaft die alte Farce ins Gedächtnis. Ähnliche Feste aber gab es, wie gesagt, auch in anderen Provinz- städten des südlichen Frankreichs, besonders in Aix, und auch die daselbst bei dieser und anderen Gelegenheiten aufgeführten Theatervorstellungen weisen dieselben Grundmotive und Helden auf wie die alten Farcen. (Das Nähere hierüber studiere man bei Levertin.) Hier sei nur noch des einschlägigen Stückes La Tasse gedacht, des ausser aller Frage besten Lustspiels vor Moliöre. Ein Doktor Jerosme hat einen fein ziselierten Silber- kopf, den er beim Antritte einer Reise der besonderen Wach- samkeit seiner Frau empfiehlt. Zwei Schelme, die das Haus umspähen, schleichen sich als angebliche Sendboten Jerosme's ein und entlocken ihr den Silberkopf. Jerosme kommt heim und ist über das Vorgefallene so ausser sich, dass er seine Gattin und ihr Stubenmädchen halb tot prügelt. Die Frau entgeht weiteren Misshandlungen nur dadurch, dass sie sich tot stellt. Da er ihr aber einen brennenden Strohhalm unter die Nase hält, springt sie auf. Das Stubenmädchen führt ihrer Gebieterin, um an Jerosme Rache zu nehmen, einen italienischen Liebhaber zu, der ein Muster von Diskretion ist. Trotzdem wird das Verhältnis Jerosme durch seinen Diener entdeckt. Die Frau rettet sich durch eine List, und nach einer thränenreichen Szene wird die Versöhnung gefeiert. Auch die beiden Strolche entgehen der Strafe, indem sie sich nach einer ebenso langen als komischen, genalogischen Auseinandersetzung als Verwandte des Ehepaares herausstellen. Man wird auch in diesem Stücke leicht vieles herausfinden, was auf die Farcen zurückzuführen ist. Die in Grenoble aufgeführten Stücke Jean Millet's gehören dem pasto- ralen Genre an und haben manche Verwandtschaft mit denen Adam de la Halle's und anderer Farcendichter. Wenn man bedenkt, dass Moliöre in Languendoc so manches seiner Wander- und Lehrjahre zubrachte, wird man sich der Überzeugung nicht verschliessen können, dass er daselbst manche reiche Anregung empfing, deren Spuren man in seinen Stücken noch (wie dies bei Levertin ge- schieht) gut verfolgen hann. Alexandre Hardy hat man mit Unrecht besondere Hinneigung für die mittelalterliche Farce zugeschrieben, mit noch weniger Grund hat man verspüren wollen, dass aus seinen Werken ein Hauch von Patelin's Natui-frische und realis- tischer Komik entgegenwehe, wenn er auch den Marinismus und Pseudoklassizismus nachdrücklich bekämpfte. Dagegen erwecken

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Pierre Troterel's Stücke vielfache Reminiszenzen an die mittel- alterliche Farce, besonders seine 1620 verfasste Gillette. Im XVIl. Jahrhundert werden wir die Farce als von grossen Schau- spielern mündlich fortgepflanzte Tradition wiederfinden. Allmählich geht sie in die verjüngte Form des mehr geordneten Possen- Einakters über, der (wie früher die Farce nach dem Mysterium) nach einem grösseren Stücke aufgeführt wurde und zur Zeit, als Moli^re's Stücke einen so unerhörten Beifall erhielten, den letzteren eine gewisse Konkurrenz zu machen berufen war. Auch diese zeigen bei näherer Betrachtung, dass wir es auch hier nur mit neuem Most in alten Schläuchen zu thun haben.

Illa. Über die Farceschauspieler im Mittelalter wissen wir nur sehr wenig. Es scheint im allgemeinen die Person des Dar- stellers hinter dem traditionell gewordenen Typus gewisser stationärer Rollen (wie Angoulevent's, der Mlre Sötte, des Abbe des Fr^vaulx) zurückgetreten zu sein und nur der erste Schöpfer einer solchen Figur erscheint hie und da erhalten. Erst im XVI. Jahrhundert und während der Renaissance gab es über- haupt in Frankreich Berufsschauspieler, deren erste Gastspiele allerdings unter der dem Stande entgegengebrachten Verachtung und wegen des bisherigen Monopols der Dilettanten -Genossen- schaften geringen Anklang fanden, die aber bald zu grösserer Geltung gelangten. Unter diesen ältesten Schauspielern sind be- sonders Pontalais und Jean Serre erwähnenswert. Pontalais, bekannter unter dem Namen Songecreux, machte verschiedene Kunstreisen, wagte es sogar die Königin- Mutter zu parodieren, und kam dafür ins Gefängnis; er wurde in seiner Eigenschaft als Hanswurst äusserst populär. Sein nicht minder berühmter Kollege war Jean Serre, dem Marot einen unvergänglichen Nekro- log hinterlassen hat. Aber gerade die Mitte des XVI. Jahr- hunderts scheint ein für die Entwicklung des Farcentums wenig- stens in Paris ungünstiger Zeitpunkt gewesen zu sein. Die Ur- sachen hiervon waren verschiedene. Hier sei bloss die wichtigste erwähnt, der überhandnehmende Einfluss der italienischen Schau- spieler seit Franz L, der in der 1571 erfolgten Ankunft der Gelöst seinen stärksten Ausdruck findet. Auch Heinrich IV. war weit entfernt, die wiederholten Einwanderungen italienischer Schauspieler zu unterdrücken, dennoch hat dieser nationalste König („Ihr braucht nichts von ihm zu sagen, ihr redet mit Franzosen!" sagt Montesquieu von ihm) mit seiner geringen Bildung und seinem ausgesprochenen Geschmacke für das Derbkomische den einheimischen Farcen ein nur günstiges Vorurteil entgegenbringen müssen. Dazu kam, dass gerade mit Heinrich's IV. Regierungs- antritte die Bühne im Hotel de Bourgogne mit mehr geordneten

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Verhältnissen zu arbeiten begann, and es erscheint so gut wie gewiss, dass man daselbst gerade durch die Aufführung zug- kräftiger nationaler Farcen, die man, in jeder Richtung das Erbe der alten Basochiens und Enfants sans Scndcy antretend (vielleicht ohne bestimmten unterlegten Text mit einem blossen scenariof) abspielte, den Italienern die Spitze bieten wollte. Es begegnen uns da eine ältere und eine jüngere Schauspielergeneration; unter den ersteren sind Agnan, Valeran, Alizon und Dame Gi- gogne, unter den letzteren Gros-Guillaume, Gaultier-Gar- guille und Turlupin, Guillot Gorgu und Bruscambille her- vorzuheben. Von der ersten Serie dieser Komiker des Hotel de Bourgogne ist uns nicht viel bekannt, und sei hier nur gesagt, dass Alizon und Dame Gigogne zwei von männlichen Schauspielern ge- spielte Frauenrollen bezeichnen. Viel merklichere Spuren hat die zweite Gruppe zurückgelassen. Auch ihre oben bezeichneten Namen sind nicht wirkliche Personennamen, sondern angenommene noms de guerre. Gewisse Namen hatten nämlich im Volksmunde eine konventionelle Bedeutung erlangt, so waren Jean und Guillaume besonders in der Verbindung Gros -Jean und Gros-Guillaume die verbreitetste Bezeichnung für einen Dummkopf oder Tölpel. Guillaume hiess auch der Hofnarr Heinrich's IV. Gros-Guillaume bedeutete auch eine grobe Brotsorte (man vergleiche damit unser Pumpernickel^). Wenn aber Francisque Michel annimmt, der Komiker Robert Guerin habe den Namen Gros-Guillaume darum gewählt, weil er sein Gesicht auf dem Theater zu pudern pflegte und früher ein Bäckergeselle gewesen sei, so wird sich die Sache umgekehrt verhalten und die Sage, Rob. Gu6rin sei ein Bäcker gewesen, eben durch die angeführte Nebenbedeutung von Gros- Guillaume u. s. w. entstanden sein. Mit Guillaume verband man auch gerne den Namen Gaultier, um geringschätzend Personen ohne Gewicht und Ruf zu bezeichnen, etwa wie unser „Hinz und Kunz^. Ausserdem lässt sich dieser Name auch als die Benennung für einen Bauernlümmel, für einen närrischen, aber guten Kerl nachweisen. Während die angeführten Namen in der meist verächtlichen allgemeinen Bedeutung eher gang und gäbe waren, bezeichnet Garguille mehr einen komischen Lokaltypus. Garguille ist auch das Gegenstück zu Gaultier, in der Weise, dass ersterer mehr den Hanswurst, letzterer (wie Angoulevent) den immer gut aufgelegten Fresser bedeutet. Gargouille be- zeichnete aber auch eine Drachenfratze und steht besonders in Beziehung zu dem Gargouille -Feste in Ronen. In dieser Stadt

1) Es würde sich auch hier die Erscheinung wiederholen, dass der Name einer Lieblingsspeise zur Bezeichnung eines Possenreissers benützt wird.

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lebte nämlich besonders stark die Erinnerung an einen von dem Bischof St. Romain besiegten Drachen. Bei diesem Rettangs- werke wollte ihn Niemand als ein zum Tode verurteilter Ver- brecher unterstützen, und seit dieser Zeit erhielt die Rouener Geistlichkeit das Privileg^), zum Tode verurteilte Verbrecher be- freien zu können. Zur Erinnerung daran wurde am Himmelfahrts- tage ein Fest mit feierlicher Prozession gefeiert, bei der auch ein Drachenbild la GargouiUe vorangetragen und allerhand über- mütige Schwanke aufgeführt wurden, bei welchen der Confrerie des Gargouülards die Hauptrolle zufiel. So erklärt sich leicht die Bedeutung dieses Namens. Er scheint aber auch aus onomatopoetischen Gründen für das aus der Dachrinne her- vorgurgelnde Wasser und dann, da diese Dachrinnen gewöhnlich in einen Drachenkopf endigten, in kombiniertem Sinne gebraucht worden .zu sein. Um 1530 hat ein Schauspieler, der den Garguilletypus spielte, für denselben auch den Namen Gaultier dazu genommen und seit dieser Zeit dürften sich die beiden Namen einander beinahe gedeckt haben. So reich und noch reicher ist die Entwickelungsgeschichte des Komikertypus, den der normanische Schauspieler Hugues Gu^ru sich auserkoren hatte. Der Name Turlupin findet sich zunächst als Bezeichnung für die waldensischen Ketzer, er bezeichnet aber auch den Sündenbock, den Pechvogel. Der Turlupin, wie ihn Henry Legrand, der berühmteste Träger dieser Rolle auffasste, als schnabelschnellen und fingerfertigen intriganten Bedienten, als den Vorläufer Scapin's und Mascarille's, scheint aber anderer Herkunft zu sein. Turlupin scheint auch spottweise ein Mitglied eines geistlichen Ordens bedeutet zu haben. Nach Despois soll bei Rabelais Turlupin mehr den Pechvogel, Tirelupin aber den Spitzbuben bedeuten, am seltsamsten klingt die Erklärung dieses Namens in Hotman's Antichoppimu% doch meinen wir hier darauf nicht weiter eingehen zu sollen.^) Der von Bertr. Harduin ange- nommene Name Guillot Gorgu, unter dem er berühmt geworden ist, knüpft ebenfalls an altüberlieferte Vorstellungen an, da er neben seiner mehr allgemein komischen Bedeutung noch besonders einen Schelm, aber auch einen „Hans der Träumer", bezeichnet. Nach dieser Erklärung der noms de guerre sei das Wich- tigste, was uns von der Geschichte ihrer berühmtesten Träger bekannt ist, hier angeführt. Es war schon oben die

1) Vgl. auch hierin die Sai, Men. am Ende des 6. Vertu du Chaiolicon: ... il se fust hien passe de lever la Fierte de St.-Romain.

2) Hier entging dem sonst umsichtigen Verfasser, dass in der Satire des Satires des Abb^ Cotin (wie in der Zlchr. gezeigt wurde) der Name „Turlupin" eine grosse Rolle spielt.

0. Levertin, Studier öfver fars och farsörer % Frankrike etc. 207

Sage erwähnt, die Robert Gu6rin, Hugues Gu6ru und Henry Legrand zu ehemaligen Bäckergesellen macht. Dieselben sollen plötzlich den Weihekuss der Musen empfangen, ihr früheres Ge- werbe auf den Nagel gehängt und im Jeu de Paume ein Theater aufgeschlagen haben. Das Unternehmen blühte so, dass die sich geschädigt fühlenden Künstler des H6tel de Bourgogne bei Sr. Eminenz dem Kardinal Richelieu Beschwerde führten. Die Sage lässt sie auch in einer Woche sterben: Gros-Guillaume an einer im Gefängnisse (in das er wegen seiner Karrikierung hoher Persönlichkeiten gekommen war) acquirierten Krankheit, und seine beiden Genossen aus Kummer über dessen Tod. Auch der in Gougenot's ComSdie des Comediens erzählte Streit zwischen den Dreien wegen ihres gegenseitigen Rangverhältnisses ist nicht glaubwürdig. Sicherstellen lässt sich nur folgendes: Gros-Guil- laume, also Robert Guerin (in 'ernsten Rollen nannte er sich La Fleur), wurde zuerst unter Heinrich IV. wegen seines be- rühmten Nachahmungstalentes zu Hofe berufen. Er stammte wahr- scheinlich aus der Normandie, kam um 1596 nach Paris, von den Jahrmarktstheatern angelockt. Er spielte wahrscheinlich zuerst im Hotel de Bourgogne, 1622 tritt er im Marais auf, denn wir haben von diesem Jahre einen Bescheid, demzufolge er und seine beiden Genossen für die Zulassung ihrer Vorstellungen den privilegierten Confr^res de la Passion einen Tribut entrichten mussten. Im Jahre 1629 trat das Komikerkleeblatt wieder zum Hotel de Bourgogne über. Guerin scheint 1634 gestorben zu sein. Er spielte ältere, geistreiche Bonvivants und Fallstaffrollen und brachte mit seinem . frischgepudertem Gesichte, das zuweilen, wenn ihm die Steinschmerzen (an deren er litt) marterten, sich plötzlich verzerrte, und mit seinem biertonnenartigem Bauche ein unfehlbares Gelächter hervor. Der (rawZfier-öar^MiYZe- Darsteller H. Gu6ru (in ernsten Rollen nannte er sich auch Fleschelles) war in Caen in der Normandie, wie er selbst von sich sagt: entre la poire et le frortiage, geboren, 1598 soll er im Marais debütiert, 1615 1622 (in den letzten Jahren finden wir ihn wieder im Marais) zum Hdtel de Bourgogne gehört haben, 1633 wurde er beerdigt. Neuere Forschungen (Jal's) erwiesen noch, dass er 1623 mit seinem berühmten, später noch zu erwähnenden Schwiegervater Tabarin (dessen Tochter Alienor gebar ihm drei Kinder) auf der He de la Cite wohnte; 1627 wohnte er beim Hotel de Bourgogne. Er hatte für eine bürgerlich geordnete Lebens- weise Sinn, und genug Stolz, um eine vornehme Einladung zum Diner zurückzuweisen, weil er studieren müsse. Auf der Bühne spielte er, wie der italienische Pantaleone, alte Väterrollen, er war auch als Darsteller der Biersüffe und Weinschwelge berühmt^

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besonders aber ergötzte sein Kouplet -Vortrag, der einen Haupt- roagnet für das Publikum bildete. Der Text vieler dieser Kou- plete stammt aus alter Zeit, allen aber hat er durch seine originelle Pointierung und sein Arrangement erst die rechte Prägung ver- liehen. Der Turlupm-D&TsteWer Henry Legrand (in ernsten Rollen auch Belleville genannt) wurde 1587 geboren und starb 1637. Wir wissen bereits, dass er verschmitzte Lakaienrollen spielte. Sein Talent wird über alle Massen gerühmt. Auch sein Privat- leben wird gelobt, er soll es z. B. nicht geduldet haben, dass seine Frau die Bühne besteige. Guillot Gorjus hiess eigentlich Bertrand Harduin und war der Sohn eines berühmten Arztes. Er studierte in seiner Jugend Medizin, führte zuerst ein Wander- leben als Operateur, um nach dem Tode Gargouille's, von diesem feierlich als Erbe seiner Rollen eingesetzt, im ffötel de Bourgogne aufzutreten und endlich seine Laufbahn wieder als Arzt zu be- schliessen. Ausser der von Gargouille übernommenen Pflege der Kouplets liebte er es besonders, die Arzte auf der Bühne zu persiflieren. Bruscambille (auch Deslauriers genannt) war von 1606 bis 1634 im Hdtel de Bourgogne thätig, scheint aber in- zwischen auch zeitweilig im Marais gespielt zu haben. Seine Berühmtheit beruht besonders auf den von ihm verfassten Pro- logen oder komischen Monologen, die in ihrer grotesken und burlesken Manier stark an Cyrano de Bergerac erinnern. Inter- essant ist seine gelegentliche Bemerkung: Wenn die Posse, wie man ihr vorwerfe, so entartet sei, so sei das die Schuld des Publikums, das ja eben solch' grobe Kost wünsche, und die italienische Komödie sei übrigens noch viel schlimmer. Neben diesen ersten Grössen der damaligen Komiker sind noch einige dii minores kurz zu erwähnen: Jean Farine und Goguelu. Der erstere soll auch, erst nachdem er längere Zeit den chirur- gischen Beruf ausübte, zur Bühne des Hotel de Bourgogne über- getreten sein, doch klingen diese Nachrichten immer un verläss- licher, wenn man hört, dass sich mehrere Akteurs hinter diesen Schauspielernamen steckten. Etwas besser gestaltet sich unsere Kenntnis von Goguelu. Der Name hat von altersher die Be- deutung eines Prahlhans und Aufschneiders. Goguelu scheint sich Gros-Guillaume als Vorbild ausersehen zu haben, sogar seine Art mit eingepudertem Gesichte aufzutreten. Er spielte meist unverschämte Schmarotzer. Während diese jüngeren Schauspieler von zeitgenössischen Schriftstellern wenig angeführt werden, hat die nach ihrem Tode mit einem ganzen Sagenkreis umsponnene Persönlichkeit der älteren Komiker die Litteratur derart be- fruchtet, dass sie und ihre wirklichen oder erfundenen Schick- sale zu einer ganzen Reihe von Lustspielen anregten. Hier sei

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nar erwähnt , dass sich Turlupin weniger als Individuum denn als Typus für den losen Vogel in diesen Theaterstücken und den sonstigen Schriftwerken erhalten hat. Aber erst nach Moli^re kommt der Ausdruck in die Mode. Man benützte diesen von Moliäre für den gezierten, lüsternen, hohlköpfigen Marquis auf- genommenen Spitznamen, um bei Hofe gegen ihn zu hetzen, aber die Treffsicherheit des Genies hatte sich so bewährt, dass die Getroffenen, zum bösen Spiele gute Miene machend, selbst sich untereinander scherzweise so zu nennen begannen. Sehr inter- essant ist dann auch die Anwendung von Turlupin bei Boileau, B^ranger und Goethe (wie man dies bei Levertin näher lesen kann). Ohne allem Zweifel hat das Leben und das Repertoire dieser Komiker, die Möllere ziemlich sicher noch selbst auftreten sah, auf letzteren hohen Einfluss geübt, wenn sich auch förmliche Entlehnungen darum nur in selteneren Fällen in seinen Stücken nachweisen lassen, da die Possen, in denen diese Schauspieler auf- traten, nur zum kleinsten Teile jemals gedruckt worden und noch weniger uns erhalten sind. Die einzige uns vollständig erhaltene erweist sich thatsächlich als Fundort für eine der wirksamsten Szenen im Bourgeois Gentilhomme (der nämlich, in welcher Dorante die gegenseitigen Geschenke zweier Liebesleute unterschlägt und es schlau zu verhindern weiss, dass dies ruchbar wird). Die nicht zu leugnende Thatsache seines innigen geistigen und schau- spielerischen Zusammenhanges mit der alten Farceurs machte es auch allein möglich, dass Moliere's Feinde (Jaulnay, de Roche- mont) ihm keine höhere Bedeutung als diesen Possenreissern zuerkennen wollten und ihn in den gegen ihn geschleuderten Pam- phleten von der feineren Komödie wegweisend, mit den Hans- wursten zusammenstellten. Auch Moli^re's neuester Biograph, Gust. Larroumet, hat dies hervorgehoben, und Saumaize hat ja sogar schon früher das Gerücht ausgesprengt, Moli6re habe von Guillot Gorjus' Witwe den Nachlass desselben erworben und ihn für seine Stücke ausgeplündert.

Hlb. Früh nehmen wir in Frankreich innige Wechsel- beziehungen zwischen dem Stande der Schauspieler und Ärzte wahr, und nicht immer waren die den ärztlichen Charlatanen affinierten Komödianten schlechter bezahlt, als die bei grösseren festen Verbänden Angestellten. So ergänzt das Hotel de Bourgogne wiederholt entstandene Lücken aus der Truppe des Quacksalbers Mondor, während Galinette la Galline vom Hotel de Bourgogne zum Marktschreier Orvi^tano übergeht. Die Komiker von der Gasse spielten besonders in den Jahrmarktsbuden des Pont Neuf und von Saint-Germain, und schon in recht früher Zeit 1595 erhielten, trotz des Widerstandes des HStel de Bourgogne, Courtin und Potau,

Zschr. f. tn. Spr. n. Litt. XI^. 24

210 Referate und Rezensionen, J, Frank,

1618 Soliel und Legendre die KonzessioD zu theatralischen Jahr- marktsspektakeln. 1662 machte in gleicher Weise ein gewisser Raisin mit einer Kindertruppe und einer Spieldose Aufsehen, so dass in einer obligateren Weise die Farceurs zu dem Beiwerk der Jahrmärkte gehörten. Ein besonders klassischer Ort für diese Art Volkshumors war der Pont Neuf; auf demselben gab auch Br. Dateiin Vorstellungen mit seinem berühmten Affen, den Cyrano de Bergerac im Zorne tötete.

Die anderen Spielarten von Berufsnarren und Originalkünstlern des Pont Neuf beiseite lassend, wollen wir hier nur noch einiges über jene besoldeten Marktschreier sagen, die ihre ganze Lungen- kraft und ihren drastischen Humor aufboten, um für die Mixturen und Salben ihres ärztlichen Herrn und Meisters Reklame zu machen. Diese Kombination des Arztes mit dem Possenreisser ist sehr alt, doch stammt die Art der Charlatane, ihr Geschäft en gros zu betreiben und sich gleich einer ganzen Schau- spielergesellschaft beizugesellen, erst aus dem XVII. Jahr- hundert. In einer solchen medizinischen Theatertruppe war be- sonders die Marquise Th^röse du Parc berühmt, und im Dienste seines Protektors, des bei dem Herzoge von Conti angestellten, und für die du Parc in Liebe entbrannten Sekretärs Sarrazin, musste Moli6re den Kampf mit einem Konkurrenzunternehmen Cormier's aufnehmen. Bei Scarron kann man sehen, wie die Ärzte und Komödianten im buchstäblichen Sinne Kameraden sind. Alle gegen diese Gesellschaften von vielleicht gewissenhafteren Ärzten oder aus Brotneid ausgesandten Schmähschriften konnten ihnen nicht das unsaubere Handwerk legen; vielmehr stand ihr Geschäft in der Umgebung des Pont Neuf in höchster Blüte. Ein Haupt- vertreter desselben war Barry, dessen von seiner Tochter her- rührende Biographie auf uns gekommen ist. Ihm stand eine stattliche Künstlerschar zu Gebote, mit der er durch Italien und Frankreich eine an Ehren reiche Tournee unternahm, die auch eine besondere Schilderung durch Fournel erfahren hat. Er be- schloss seine glänzende Laufbahn traurig im Spitale von Amiens. Nicht minder berühmt wurde ein anderer Charlatan, Orvi6tano, so dass sogar auch die späteren Vertreter des Metiers seinen Namen adoptierten, und orvUtan die allgemeine Benennung für allerlei Geheimmittel wurde. Der erste Träger dieses Namens scheint Jeronimo Ferranti gewesen zu sein, der in Orvieto geboren war. Er arbeitete mit dem Apparate von vier Geigern, die in Verbindung mit einem aus dem Edtel de Bourgogne verschriebenen Farceur, Galinette la Galina, die Menschen zum Kaufe seiner Ärcana anlockten. Von Grattelard, dem Hanswurst eines ge- wissen Descombesy sind sogar Schriften auf uns gekommen^

0. Levertin, btttäier öß-er fars och farsörei- i Frankrtke etc. 211

die aber zom grossen Teile sich als Plagiate erwiesen habea. Die allererste Firma dieser Art war jedoch Mondor und Ta- barin, beide einander koordiniert und so auch iu die Volkssage übergegangen. Tabarin'e Schriften erschienen zweimal mit Ein- leitung und Bemerkungen. Trotz einer bereits vorangegangenen Biographie Taharin's hat doch erst Jal Gründliches über seine Lebensgeschichte zu Tage gefördert. Hondor hiess ursprünglich Phil. Girard und Tabarin Jean Salomon. Ihre Stätte auf der Place Dauphins scheinen sie erst 1619 aufgeschlagen zu haben. Auch sie hatten Courval's, des erbitterstea Feindes dieses medi- zinischen Schwindels, geschriebene Angriffe auszuhalten. Ihre Pomaden werden in zeitgenössischen Schriften rühmlich erwähnt. Aus 1624 haben wir eine Verteidigungsschrift Tabarin's, in der er geringschätzende Äusserungen eines protestantischen Geist- lichen von sich abwehrt. 1627 fungierte Mondor als Pate bei dem zweiten Kinde Gaultier Garguille's, während Tabarin 1628 in derselben Eigenschaft bei dem dritten und letzten Kinde seines Schwiegersohnes fungierte. Seit 1628 verschwinden sie auch vom Öffentlichen Schauplätze, obgleich sie noch einige Jahre bis etwa 1634 lebten: beide hatten, wie man ans dem ihrem Namen beigegebenen de Tr&ry ersehen kann, von ihrem angesammelten Vennögen ein Landgut (in der Nähe von Rocroy) erworben. Der von Salomon angenommene Name Tabarin ist auf das altfrz. iabar, tabart ^= Hantel zurUckznfUhren. Er nahm ihn von einem Mitgliede der italienischen Gesellscbaft Ganassa's, namens Taba- rino, an. Zu eigentlichem Kuhme und zu sprichwörtlicher Grösse gelangte der Name aber erst durch J. Salomoii und sein Renom^e Überschritt sogar Italiens und Frankreichs Grenzen. Auf einer uns erhaltenen Vignette sehen wir Tabarin dem Mondor Rätsel aufgeben. Mondor strengt sein armes Gehirn an, um dieselben mit Hilfe tiefsinniger Gelehrsamkeit zu l(5sen. Tabarin aber weiss mit herausforderndem Übermut der gradlinigen Schallogik ein Schnippchen zu schlagen und alles als einen blossen Anfsitzer erscheinen zu lassen. Die Fragen, eine Art Mausefallen, sind meist sehr alt und finden sich fast in der Litteratur aller Vdlker wieder. Tabarin ist auch eine Art Till Eulenspiegel, der sich durch einen paradoxen Einfall aus den verwickeisten Situationen zu ziehen weiss und den Knoten, den er nicht lösen kann, zer- haut Dies zeigt sich anch in den von ihm oder unter seinem Namen Linterlassenen Schriften, in den von Tabarin hinter- lassenen Farcen f^llt neben mancher liberrasch enden Ähnlichkeit mit den älteren, besonders die Verwandtschaft aller mit den

212 Referate und Rezejisionen. P. Gröbedinkel,

fluss der Komiker des Hdtel de Bourgogne auf Moli^re ausser allem Zweifel steht, gilt dies auch von den Gassenfarceurs. Ab- gesehen davon, dass er selbst dies bunte Treiben der Jahrmarkts- komödianten so trefflich schildert, dass man schon daraus auf seine eigene Anschauung derselben zurtickschliessen darf, können wir dies direkt folgern, da sein Vater als Tapezierer auf der Foire St Germain eine besondere Verkaufsbude bezogen hatte, in derselben Reihe, wo eben die Jahrmarktsbelustigungen im vollen Gange waren. Und dass er diesen Jahnnarktskomikern vieles verdankte, lässt sich in seinen Werken so genau verfolgen, dass ihm sein Feind Dorimond vorwerfen konnte, er habe sich von Prosper, dem Narren des Operateurs Braquette, das Manuskript einhändigen lassen und dasselbe in freibeuterischer Weise be- nützt, ein anderer, Boulanger, ihn beschuldigen konnte, er sei bei Orvi^tano in die Schule gegangen, und wenn man die Sache ge- nauer verfolgt, erscheinen diese Zumutungen nicht einmal ganz bodenlos.

Unser Urteil über das Buch Levertin's haben wir bereits abgegeben. In eine Kritik der Details Hessen sich wohl manch- mal die Haken einschlagen, doch würde uns dies zu weit führen. Nicht unterdrücken können wir aber den Wunsch, der Verfasser hätte, nachdem er uns nicht nur die Pfahlwurzeln, sondern auch zuweilen die Triebwurzeln des neueren französischen Lustspiels bis in ihre feineren Verzweigungen und Verästelungen biosgelegt hat, Molifere mehr Gerechtigkeit widerfahren lassen sollen. So wie in besonders beanlagten Familien die Begabung, wie durch eine Art Züchtung, von Geschlecht zu Geschlecht sich steigert, bis schliesslich ein Individuum erscheint, in dem die Vorzüge des Stammes alle vereinigt zu gipfeln scheinen, so bedeutet Molifere den höchsten Ausdruck des komischen Talents der Fran- zosen. Während aber die Figuren der früheren Farcen oft blutleere Schatten blieben, die ein blosses Theaterleben führten, hat erst Moli^re's Genie Personen aus dem wirklichen Leben auf der Bühne dargestellt und man muss sich stets vor Augen halten: „Kunstwerke höchsten Ranges bleiben doch immer wie goldene Apfel, die vom Himmel herabfallen und selbst wenn der eine oder andere die Hand gesehen zu haben glaubt, die sie herunterwarf, so würden schliesslich doch nur diese Hände sichtbar gewesen sein."

J. Frank.

Jean Antoine de Baifs PsauUier, hgg. von E J. Groth. 213

Jean Antoine de Ba¥f s Psaultier, metrische Bearbeitung der Psalmen mit Einleitung^ Anmerkungen und einem Wörter- verzeichnis. Zum ersten Male herausgegeben von Ernst Job. Grotb. 9. Bändeben der Sammlung französischer Neudrucke, berausgegeben von K. Vollmöller. Heil- bronn, 1888. Gebr. Henninger. XIV, 109 S. kl. 8^. Preis: 2 Mk.

Freudig wird gewiss ein jeder Freund der französiseben Litteratur dieses Bändeben begrüssen, welcbes ibm die Gelegen- heit bietet, sich ein eigenes Urteil zu bilden über einen Dichter, welchen man bisher entweder ganz totgeschwiegen oder vor dem man wohl gar als einem „seltsamen Querkopf'^, als einer „durch und durch unerfreulichen Gestalt^ geradezu gewarnt hat. Wohl erscheint seit 1881 eine Gesamtausgabe der Werke Balfs, welche von Marty - Laveaux besorgt wird und von welcher be- reits vier Bände erschienen sind; doch da dieselbe infolge der geringen Auflage und des hohen Preises nur auf Bibliotheken einen Platz finden wird, so ist die kleine Separatausgabe des PsauUier nicht weniger willkommen. Neben den Chansonnettes und den Etrennes de poesie frangaise ist es die vorliegende Psalmen- übersetzung, die in sogenannten vers mesurSs abgefasst ist und uns daher ein treues Bild geben kann von den Bestrebungen Baff s, die antike Verskunst mit ihrem Quantitätsprinzipe auf die fran- zösische Poesie, deren Metrik auf der Betonung und der Silben- zahl beruht, zu übertragen. Wenn auch Balf nicht der erste war, der diesen Bestrebungen huldigte, so war er es doch zuerst, der auch das musikalische Element dabei im Auge hatte und eine enge Verbindung der Poesie mit der Musik herbeizuführen suchte, was ihn sogar zur Gründung einer Academie de poSsie et de musique veranlasst hat. Ob und wiefern ihm dies gelungen, ist freilich eine Frage, die noch zu lösen ist. Jedenfalls ist ein Eingehen auf diese musikalischen Tendenzen Baüfs bei Be- urteilung seiner Verse unerlässlich. Darauf weist uns auch schon das Urteil seines Zeitgenossen d'Aubign6 hin, der von seinen Versen sagt: A la saulse de la musique que leur donna Claudin le jeuncj ils furent agriahles, mais prononcis sans cette aide, ils furent trouvis fades et fächeux (Darmesteter und Hatzfeld, La litterature frangaise au XVP siede S. 115).

Von den drei Psalmenbearbeitungen Baifs von denen bisher noch keine herausgegeben war hat Grotb die älteste vom Jahre 1567 gewählt, die zwar nur bis Psalm 68 reicht, aber insofern die interessanteste und lehrreichste ist, als Baif jedem Psalm das gebrauchte Versmass mit Schema voransetzt.

214 Referate und Rezensionen, R, Friische,

Bis auf einige Veränderungen in den Schriftzeichen haben wir einen genauen Abdruck des Manuskriptes, welches sich in der Nationalbibliothek zu Paris befindet, vor uns, „selbst da, wo offenbare Inkonsequenzen, auffallende Interpunktionen u. s. w. BaXf 8 vorliegen". Diesem Abdruck sind zur Vergleichnng Balfs Übertragungen des 23. Psalms aus der gereimten Ausgabe vom Jahre 1587 und aus der metrischen Bearbeitung vom Jahre 1573 angefügt. Ein kleines Wörterverzeichnis soll das Verständnis des Textes erleichtern. In seiner jetzigen ünvollständigkeit hätte es freilich ohne Schaden wegbleiben können. In die veraltete oder speziell Balfsche Schreibweise liest man sich schnell ein, während schon ein deutscher Psalter an zweifelhaften Stellen meist auf das Richtige führt. Was den Text selbst anbetrifft, so ist der Herausgeber, soweit eine Beurteilung möglich ist, mit grosser Sorgfalt verfahren. Augenscheinliche Druckfehler habe ich bei der Lektüre nur wenige gefunden. Vers 291 ist wohl statt deto^'vant zu lesen devant tq; 363 statt Par: Car ; 793 statt me: ne; 1413 statt F^s: Tes; 1655 statt N'dtre: N'Ste.

P. Gböbedinkel.

Moliire, Commedte scelte, Gon note storiche e filologiche del Prof, Luigi Dupin; precedute da un Sunio Storico del Teatro Francese, Ad uso delle scuole. Vol. I. Les Precieuses ndicules. Milano, 1888. ü. Hoepli.

Der Herausgeber lässt zwar auf die Kehrseite des Titel- blattes das übliche Proprietä letteraria drucken, vergisst aber leider hinzuzusetzen, wessen litterarisches Eigentum er hier zu Markte bringt. Der Unterzeichnete steht nicht an zu behaupten, dass die note storiche e filologiche nicht von Herrn Dupin, sondern von einem deutschen Herausgeber, gegenwärtigem Berichterstatter, verfasst sind. Zwar nennt Herr Dupin unter seinen siebzehn „Quellen" auch die bei Weidmann von mir besorgte Ausgabe der PE, und fügt insgemein hinzu, er werde nicht jedesmal sagen, woher er diese oder jene Notiz habe; aber das wäre auch kaum nötig gewesen, er hätte nur zu sagen brauchen, dass von den 158 Anmerkungen seiner' Ausgabe 141 von mir verfasst und von ihm mit einigen Kürzungen übersetzt sind.

Die aus drei Stücken bestehende Einleitung kommt aller- dings nicht auf mein Konto. Das erste Stück, Compendio deUa Storia del Teatro francese lohnt nicht zu zergliedern; wer seine Vorzüge erkennen will, lese S. 11 den Absatz, worin Dupin die Gründung des Hotel de Bourgogne und des Hotel d'Argent an

L. Dupin, Moliere, Commedie sctlie, con note storiche e filologiche etc. 215

das Ende des XVIL Jahrhunderts verlegt und mit bezug auf. die Zeit Ludwig XIV. immer von den Comidiens ordinaires de Tem- pereur spricht. Ebenso wertlos ist die Biografia di Moliere. Die dann folgenden Notizie sulle PR, bestehen aus den herkömm- lichen, irgendwo zusammengerafften Redensarten über das Stück; an der ernsthaften Arbeit, die in meiner Einleitung steckt, geht Herr Dupin vorsichtig vorüber. Indessen fängt er doch schon an, meine Ausgabe nebenher auszubeuten. Man vergleiche:

Pritsche, S. 12. In ihrem Bestreben alles All-

tägliche zu vermeideD nahmen die preziösen Herren und Damen in ihrem Verkehre unter sich Namen aus der Schäfer- und Ritterdichtung an, oder modelten ihren eigenen zu einem griechisch-klingenden um. (Folgt eine Reihe von Beispielen.) Die ungeheuerlichsten Namen werden gebildet: Sidroaste, Gala- cerie, Liadamire, Felixerie u. s. w. (Folgen die Ortsnamen.)

Dupin, S. 37 f. (mit einer unzweck- mässigen Kürzung).

Per eviiare tutio cid che seniiva di Vulgare, 1 precieux e le pre- cieuses neue hro relazioni cam- biavano anche il proprio nome mo- dellandolo in uno che sembrasse greco.

(Folgen dieselben Beispiele.)

Chi si chiamö Sidroaste, chi

Galace7ie, Ligdamire, Felixerie etc.

(Folgen dieselben Ortsnamen in

Auswahl.)

Der darauf abgedruckte Titel der Originalausgabe zeigt merkwürdigerweise denselben Fehler, den ich bei der Anordnung der Zeilen begangen hatte. Es musste bei mir nicht heissen au Petit -Bourhon ä Paris. Chez Claude Barhin u. s. w., sondern au Petit -Bourhon. A Paris. Chez Claude Barhin, Wer solche alte Btichertitel zurechtgesetzt hat, versteht, wie ich zu der falschen Einteilung kommen konnte. Hätte ich nicht übersehen gehabt, dass Despois II, 42 den Titel mit diploma- tischer Genauigkeit schon wiedergegeben hatte, so würde ich und auch Herr Dupin den Fehler nicht begangen haben.

Kühner wird Herr Dupin in den Noten zur Priface. Aber die Vorsicht hat ihn noch nicht ganz verlassen. Seine erste Anmerkung steht bei mir nicht unter dem Text, sondern ist ein Satz aus der Einleitung:

Fritsche, S. 22.

Der grosse Beifall, den das Stück fand, bewog einen Buch- händler, Jean Ribou, sich eine Kopie desselben zu verschaffen und ohne Zustimmung des Verfassers zu drucken.^) Dies erfuhr Moliere und veranlasste, dass das Ribou bereits erteilte Druckprivileg auf- gehoben wurde (Despois II, 43); um sich aber vor ähnlichen Ver- suchen zu schützen, gab der Dichter

Dapin, S. 43.

11 successo strepitoso deUa com- media indusse un libraio, Jean Ribou, a procurarsene nna copia c stam- parla col consentirnento della po- lizia e senza quello ' delCauiore. Moliere lo seppe e fece in modo che il privilegio della stampa dato a Ribou fosse annuUaio; ma per togliersi le seccature d^attomo, Mo-

216

Referate und Rezensionen. H. Fritsche,

seia Stück an den Verleger de Luynes, der sein Privileg wieder mit CharleR de Sercy und Claude Barbin teilte. So erschienen denn 1660 die Pä., als das erste Stück MoliÖre's, im Druck,2) in drei gleich- lautenden oder doch nur durch ganz geringfügige Änderungen von einander abweichenden Drucken.

1) Dies ist ein nnrichtiger Ausdruck ; ich hätte sagen sollen : und ohne . . . einen Druck vorzubereiten.

2) Ich liess hier die Frage über den ersten Druck der ^ourdi als unerheblich beiseite.

liere diede la sua commedia alPediiore de Luynes ü qitale divise ü privi- legio con Charles de Sercy e Claude Barbin. Cosi esci nel 1660 les Pre- cieuses ridicules in Ire edizioni quasi eguali differenii solamenie per ]nc- coli cambiamenii. Quella del Ribou non aveva quindi prefazione.^)

1) Dieser letzte Satz ist freie Erfindung des Herrn Dupin, hervorgegangen aus dem nebenbemerkten unrichtigen Ausdruck. Bei Ribou sind die PR. überhaupt nicht erschienen.

Meine Anmerkung 3 zur Preface (S. 25) ist in zwei zer- legt (S. 44). Dupin's Nr. 3, S. 44, ist meine Anmerkung 4, etwas gekürzt, seine Nr. 4 ist mit einem ganz belanglosen Zu- satz meine Nr. 5. Meine Nr. 7 gibt ihre erste Hälfte zu seiner Anmerkung 1, S. 45, her. Dupin's Note 2, ibid. ist aus meiner Nr. 8. So geht es die ganze Preface hindurch. Einzelne An- merkungen schöpft Dupin aus Brunnemann und anderen „Quellen^, aber nicht immer mit Glück, so Anmerkung 3, S. 43, aus Brunne- mann's Anmerkungen 3, S. 25.

Ganz unverfroren aber verfährt der Plagiator in den Noten zum Stück selber. Ganze 17 von 158 sind nicht aus meiner Ausgabe übersetzt; diese 17 fast ausnahmslos ohne Belang. Die übersetzten sind hier und da gekürzt, oder durch einen müssigen Zusatz erweitert, im wesentlichen aber nach Form und Inhalt mir abgenommen. Meine Irrtümer, Druckfehler und Verweisungen auf frühere Noten wiederholt er getreulich, versteht mich aber allerdings mitunter falsch. Hierfür hat E. Koschwitz in der DLZ, vom 4. Mai d. J. schon so viel Beispiele beigebracht, dass ich sie hier wohl sparen kann. Manchmal versucht Herr Dupin eine Verbesserung, hat aber kein Glück damit. So schreibt er S. 62 Anm. 3 au port de Chuchoter, weil er denkt Chucheter sei ein Druckfehler für Chuchoter, während Littr6 ihn in Kürze belehren konnte, dass Chucheter eine früher nicht ungebräuchliche Form war. ^anz zweideutig klingt es, wenn er S. 65 Anm. 2 que nous soyons erdres für ü presente del soggiuntivo erklärt. Auch ist Herr Dupin nicht sehr sorgfältig; S. 72 Anm. 4 sagt er kurz Etre en passe de Vetre, espressione di giuoco. Ich hatte S. 50 gesagt, der Ausdruck sei vom Kolbenspiel abgeleitet und mich auf meine Note zu den Fach, 275 berufen. Aber Herr Dupin hat den Ausdruck Kolbenspiel nicht verstanden und ist zu bequem gewesen, die Fdcheux- Ausgabe zu befragen. Hier und da übersetzt er ohne Not ungenau, wie S. 91, wo er Bürgersfrau

Z. Dupin, Moliere, Commedie scelie, con note sioriche e ßologiche etc. 217

durch borghese, Bürger, statt etwa durch cittadina wiedergibt. Auch riskiert er wohl, sein Original zu verbessern, wie A. 1 auf S. 99, aber den Beweis für seine Erklärung von courante bleibt er schuldig. Doch genug. Jeder Erklärer nützt seine Vor- gänger aus, aber Herr Dupin hat doch eine zu einseitige Vorliebe für meine Ausgabe gehabt.

Es sei mir gestattet, zu letzterer bei dieser Gelegenheit hier einige Zusätze und Verbesserungen kurz anzugeben. Zum SchluBS des mittleren Absatzes auf S. 6: Dies bemerkt schon Foumel in den Contemporains de Molüre III, 400, Note 3. Zu 8. 9: Über die preziösen Damen zur Zeit Marot's lese man Marot, 6d. Guiffrey III, 381; über den Spott des Nicolas Le Digne gegen die Preziösen seiner Zeit s. L6nient, La Satire en France S. 561. Die von den Preziösen angewandte Schreibung repren für reprend. ist wohl nicht ihre Erfindung, sondern Reminiscenz an Schreibungen des XVI. Jahrhunderts; s. Darmesteter et Hatz- feldt, Le seizüme stiele I, 234, § 108 am Schluss. Morf be- hauptet in dieser Zeitschrift IV, 213 Somaize's Grand Dictionnaire des Pritieuses ou la Clef de la langue des ruelles sei erst 1660, nicht 1659 gedruckt. Woher er dies hat, weiss ich nicht; meine Angabe stützt sich auf Livet's Neudruck, Pref. XXXIII und darauf, dass der dann folgende Abdruck der Ausgabe von 1660 als zweite vermehrte und verbesserte Ausgabe bezeichnet ist. Zu Molifere*s Ausfall gegen die Gerichte in der Priface lese man Paringault's bekannte Abhandlung in der Eevue historique du droit frangais et Hranger VII, 317 ff. Auch nach der Ordonnanz von 1667 wurden die Klagen nicht geringer; vgl. Boileau, Le Lutrin V, 57 58. Zu den Porteurs de chaise, S. 30, vgl. Foumel, Contemp. I, 323, Note 2. Die Übertragung von Schau- spielernamen auf Personen der Schauspiele (ibid.) war gewöhnlich; s. Parfaict VII, 24. Zu Anm. 22: Zwischen lat. pectzs und frz. picore liegt ital. pecora, Lat. Pecora campi gebraucht La- rivey als fem. sing. In Le Fidelle II, sc. 14 sagt der Pedant M. Josse von Babille: qui est ceste mal morigeree pecora campi f Über die Toilettenkünste der Damen, von denen Gorgibns S. 34 spricht, vgl. Boucher*s Champagne le Coiffeur, besonders Sc. X, bei Fournel III, 270 ff. Rotfou hat das Wort eglise nicht bloss Ciarice I, 5, wie Anm. 44 gesagt ist, sondern auch in La Soeur 11, 2 zweimal. Ich bekenne, dass mich die Er- klärung in Anm. 52 auch nicht befriedigt; aber ich weiss keine bessere zu geben. Ist die Redensart de but en blanc, die auch litterarisch gebildete Franzosen mir nicht genügend erklären konnten, vielleicht eine übliche Entstellung? Charron, De la Sa- gesse II, chap. 12, hat den Satz: 11 ne peid bien agir qui ne

218 Referate und Rezensionen. 0, Knatier,

vise au hut et au blanc. Zu Anna. 116: Fureti^re beschreibt im Eom, bourg,, Ausgabe von 1704, S. 11, einen Advokaten, der sich als Edelmann aufspielt: Ses cheveux . ! , dtatent couverts le soir d'une belle perruque blonde tres frequemment visitee par un peigne quil avait plus souvent ä la main que dans la poche. Auch zu Anm. 120 findet man bei Furetiere 1. c. S. 21 einige ergötzliche Bilder. S. 52 in der letzten Zeile des Textes lies de ma manihrt. Zu Anm. 140: Die erste Behauptung ist nicht richtig; man sagt noch jetzt: je fus ouvrir la porte u. dgl. Noch eine Stelle zu der Sammlung in Anm. 143 findet sich bei Tristan THermite im Parasite V, 5 (von 1654): II a voU le ccßur ä qui voloit le sien, (Foumel III, 63.) Der Scherz über das Impromptu, das man ä loisir machen werde, findet sich ähnlich bei Fureti6re 1. c. S. 158. H. Fritsche.

Blennerhassett, Lady Charlotte, geb. Gräfin Leyden, Frau von Staely ihre Freunde und ihre Bedeutung in Politik und LiUeratur. Zweiter Band. Berlin, 1888. Gebr. Paetel. 472 S. gr. 8^. Preis: 10 Mk.

In jeder Hinsicht würdig reiht sich dem ersten Bande^) des grossen Werkes der zweite an, der die Zeit vom Herbst 1790 bis zu der ersten Reise der Heldin nach Deutschland umspannt. Der an jenem gerügten sprachlichen Sünden macht sich freilich die Verf., wie wir unten belegen werden, hier nicht weniger schuldig.

Versuchen wir, von dem tiberreichen und interessanten Inhalt der sieben Kapitel eine gedrängte Skizze zu entwerfen.

Das erste Kapitel (S. 1 56) führt uns zunächst nach Coppet, wo Frau von Staöl zum ersten Male wieder seit sechs Jahren vom Oktober 1790 bis zum Januar 1791 und dann wieder- holt in letzterem Jahre bei ihren Eltern weilte, und fügt zu dem Bilde des Vaters und der Tochter sowie zu seinem geschichtlichen Hintergründe manche bemerkenswerte Züge. Necker's Cours de Morale religieuse erscheint als eine Art von Vorläufer des Genie du Christianisme. Wir sehen die StaSl als Gegenstand des Parteihasses, in der Beleuchtung der Rivarorschen Spottschriften, und lernen den dort als ihren bevorzugten Liebhaber bezeichneten Grafen Louis von Narbonne näher kennen, dessen wirkliche Mutter keine andere als Ludwig's XV. Tochter, Madame Adelaide, gewesen zu sein scheint. Wir verfolgen den Wandel, der sich allmählich in den Beziehungen des Barons von Stael zu König Gustav III. vollzog, und der bei dem sich mehr und mehr ver-

1) Vgl. Zischr, X, S. 100.

Lady Charlotte Btennerhassett, Frau von Stael, ihre Freunde etc. 219

schärfenden Gegensätze in den politischen Anschauungen Beider zu einer Art schwedischen Nebengesandtschaft, deren Träger Graf Fersen war, geführt hatte. Einblick wird uns gewährt in die Parteipläne unmittelbar vor dem unglücklichen Fluchtversuch der Königsfamilie, in die Flucht nach Varennes selbst mit ihren nächsten Folgen, in die letzten Möglichkeiten einer Rettung der französischen Monarchie und in die abschliessenden Thaten der Nationalversammlung. Mitteilungen aus einem ungedruckten Briefe der Frau von Stael an Nils von Rosenstein und aus einem von ihr an Gustav III. bilden den interessanten Abschluss.

Das zweite Kapitel (S. 57 120) schildert Frankreich unter der Legislative bis zum 10. August 1792. Vorgeführt wird uns: das Schwanken des Hofes zwischen den Parteien; Narbonne, der Freund der Stael und Vertreter' der konstitutionellen Partei, als Minister; der merkwürdige Versuch, den Herzog von Braunschweig zum Führer der französischen Heere und vielleicht zum dereinstigen Träger der französischen Krone zu gewinnen; das Ministerium Roland; die Abberufung des Barons von Stael aus Paris unmittelbar vor Gustav's III. Ermordung; die noch- maligen Anzeichen einer möglichen Rückbewegung und das immer stärkere Aufwallen der revolutionären Leidenschaften bis zu dem verhängnisvollen Manifeste des Herzogs von Braunschweig. Frau von Stael erscheint teils als Beobachterin der Ereignisse, teils bemüht, in dieselben einzugreifen, wie durch ihren vergeblichen Plan zu einem neuen Fluchtversuch der königlichen Familie.

In dem dritten Kapitel (S. 121 18«S), das mit dem 10. Angust 1792 beginnt und an äusseren Momenten aus der Revolutionsgeschichte besonders die Septembermorde, die Hin- richtung des Königs und den Sturz der Gironde, andererseits die Kriegsereignisse und die Versuche einer Allianz zwischen Frank- reich und Schweden verzeichnet, beruht die Darstellung zu einem grossen Teile auf den Considiraiions der Frau von Stael, und neben Gestalten wie Anacharsis Cloots, Eulogius Schneider, Graf Schlabrendorf, J. E. Bollmann, dem scharf beobachtenden Augen- zeugen der damaligen pariser Verhältnisse, Miss F. Burney, Graf Joseph de Maistre tritt auch die eigene Person der Stael wieder mehr in den Vordergrund. Wir verfolgen ihre Flucht aus Paris, ihren Aufenthalt in Coppet während der letzten Monate des Jahres 1792, wo sie ihren Sohn Albert gebar, ihren Aufent- halt in England vom Januar bis Juni 1793 und ihre Rückkehr von dort nach Coppet, wo sie im Mai 1794 am Sterbelager ihrer Mutter stehen sollte. Allenthalben sehen wir die mutige Frau, welche die Feder zur Verteidigung der Königin ergreift, um die Rettung bedrohter Freunde und Gesinnungsgenossen bemüht. Die

220 Referate und Rezensionen. 0. Knauer,

Schilderung ihrer Beziehungen zur englischen Gesellschaft und ihrer in England gewonnenen Eindrücke darf in diesem Abschnitt besonderes Interesse in Anspruch nehmen.

Das vierte Kapitel (8. 184 253), das mit dem neunten Thermidor anhebt und von der moralischen Entartung ausgeht, in welche die langen Revolutionsjahre die französische Gesell- schaft hatten versinken lassen, muss den Herzensbeziehungen der Frau von StaSl näher treten: an Stelle des durch Schuld des männlichen Teiles gelösten Verhältnisses mit Narbonne, dessen Intimität durch ein Zitat aus Sainte-Beuve eingeräumt wird, tritt seit September 1794 das neue, folgenwichtige mit Benj. Constant. Wir lernen Vergangenheit und Charakter dieses Mannes kennen und erfahren andeutungsweise aus seinem erst kürzlich veröffentlichten Journal intime, dass es ihm an einem gewissen Tage wohl ge- lungen sein mag, endlich auch die letzte Gunst der geliebten Frau zu gewinnen (vgl. S. 205), die ihn zum Genossen ihrer politischen Anschauungen und Pläne erhebt und seine Lebens- richtung nunmehr auf lange Jahre bestimmt. Das politische Glaubensbekenntnis der Staöl für jene Zeit, wie sie es in den Reflexions sur la paix (1794) und den Reflexions sur la paix Interieure (1795) niedergelegt hat, ist im Gegensatz zu dem ihres Vaters ein entschieden republikanisches: damit hält sie im Mai 1795 *kurz nach der Anerkennung der französischen Republik durch ihren Gatten als schwedischen Gesandten ihren Wieder- einzug in die französische Hauptstadt, wo ihr Salon in den letzten Tagen des Konvents sich bald wieder zu Glanz und Ein- fluss erhebt. Fesselnd geschriebene Seiten versetzen den Leser in das Parteitreiben, das Verfassungswerk, das Gesellschaftsleben und die Zustände des Jahres 1795 und lassen die damalige be- deutsame Rolle der Frau von StaSI, welche Talleyrand die Rück- kehr erwirkt, der gemässigten republikanischen Presse in Benj. Constant einen neuen Kämpfer zuführt und an den politischen Streitfragen lebhaften Anteil nimmt, deutlich hervortreten.

Im fünften Kapitel (S. 254—320) begegnen wir der Heldin zuerst in Coppet (bezw. Lausanne), wo sie die Zeit von 1795 bis zum Frühjahr 1797 litterarisch thätig verbringt, seit Ende 1796 mit ihrem Gemahle zusammenlebend, den eigen- mächtiges Gebaren um seinen Gesandtschaftsposten gebracht hatte^), und finden im Eingang ihre Schriften aus jener Zeit:

1) Die Darstellung Strodtmann's Dichierprofile II, S. 12, wonach Frau von Stael 1796 hauptsächlich um Benj. Constants willen die Ver- bindung mit ihrem Gemahl löste, während seine Trennung von ihr 1798 gar nicht erwähnt wird, ist also nicht völlig zutreffend. Mindestens war die Trennung im Jahre 1796 keine dauernde.

Lady Charlotte Blennerhasseii, Frau von Siael, ihre Freunde eic, 221

Essai suT les fictions und De Vinfluence des passions sur le bonheur des individus et des nations mit Geist zergliedert und gewürdigt.

Die nächsten Seiten schildern bei Gelegenheit ihrer Rück- kehr nach Paris durch Barras' Vermittelung die inzwischen er- folgte Veränderung der politischen Lage durch das -Hervortreten Bonaparte's im italienischen Feldzuge und durch Babeufs Ver- schwörung (zu deren Verständnis die Verfasserin die Entwickelnng der sozialen Frage seit der Revolution in Kürze darlegt) und weiterhin das Eintreten der Stael und Oonstant's gegen die Reaktion, die Stellung der Ersteren zu den Bonaparte's, zum Staatsstreich vom 18. Fructidor und ihre gegensätzliche Haltung gegenüber der ungerecht - gewaltthätigen zweiten Hälfte der Direktorialregierung. Die hier erwähnte Geburt ihrer Tochter Albertine gibt der Verfasserin noch keinen Anlass auf die Frage näherer Beziehung derselben zu Benj. Constant einzugehen. Lady Blennerhassett schliesst nach Verweilen bei dem Kreise der Frau von Beanmont und Erwähnung der schweizer Revolution mit Baron Stael's Rückkehr auf seinen Gesandtschaftsposten und seiner Trennung im Sommer 1798 von seiner Gemahlin, wobei nach der eigenen Vermutung der letzteren (vgl. 8. 319) politische Rücksichten mitgesprochen zu haben scheinen.

Überaus reich an Inhalt, erstreckt sich Kapitel sechs (S. 321 395) bis zu dem Tode des Baron Sta61 am 9. Mai 1802 und begleitet somit die Entwickelnng der französischen Verhältnisse durch die letzten Zeiten der Direktorialregierung, über die Staatsstreiche des 30. Prairial und 18. Brumaire hinweg bis mitten in das Konsulat hinein. Die Beteiligung Constanf s und der Stael an der politischen Entwickelnng sowie die Heraus- bildung der Feindschaft letzterer mit Bonaparte treten gebührend hervor, während uns als Ausdruck ihrer unentwegten Überzeugung von der menschlichen Vervollkommnungsfähigkeit ihr Werk De la littiraturey considSrie dans ses rapports avec les institutions sociales begegnet. Bei diesem verweilt Lady Blennerhassett länger, um seinen Zusammenhang mit älteren Ideen und mit der Anschauung der Zeit, seine neuen fördernden Impulse in der Heranziehung der englischen und deutschen Litteratur und sein Schicksal nachzuweisen, dass es in seinen politischen Gedanken und in den Ansichten, die noch unter dem Banne des XVIII. Jahrhunderts stehen, zu spät, in seinen Vorgefühlen der Ro- mantik aber zu früh erschienen war. Unter den tadelnden Stimmen, die das Buch weckte, berührt Lady Blennerhassett be- sonders die verschiedenen Äusserungen Chateaubriand's und gehaltet eine geistvolle Charakteristik dieses ersten Heros der

222 Referate und Rezensionen, 0. ^nauer,

französischen Romantik ein. Die Beziehungen der Stael, die sich mit der Familie de Gerando und mit Mad. R6camier an- knüpfen, ihr Leben in Paris im Winter 1800 auf 1801 (der Seitenkopf S. 384 zeigt fölschlich 1801—1802), in Coppet vom Sommer 1801 bis März 1802, in welche Zeit die Veröffentlichung von Necker^s Werk Demih'es Vues de politique et de finance fällt, eine neue Reizung von Bonaparte's Zorn ; endlich ihr letztes Verweilen in der mehr und mehr dem Bonapartismus verfallenden Hauptstadt im Frühjahr 1*802 füllen weitere Seiten.

Der Eingang des letzten Kapitels (S. 396 472) ist aus- führlicher Betrachtung der im Herbst 1802 erschienenen Delphine gewidmet. Frau von Stael verlässt als ständigen Wohnsitz Coppet in einem Zeitraum von anderthalb Jahren nur, um im September 1802 in der Nähe von Paris den Druck dieses Werkes zu leiten, und so ist Lady Blennerhassett veranlasst, ein Bild von dem Leben und der Gesellschaft in Genf zu entwerfen, wo die Staöl mit Personen wie Mad. Rilliet- Huber, Mad. Necker de Saussure, Sismondi, Frau von Krüdener, Bonstetten, Friederike Brun Verkehr pflegt, und uns zugleich ihre Heldin in der Familie, bei der Erziehung ihrer Kinder (nach der Notice der M™® Necker de Saussure) und in dem Verhältnis zu ihrem Vater zu malen.

Der Versuch einer Näherung an Paris im Herbst 1803, die Verbannung auf vierzig Meilen von der Hauptstadt, die der- selbe zur Folge hatte, und der Antritt der ersten Reise nach Deutschland bilden samt einer Beleuchtung der geistigen Fäden, welche sich bereits von dort nach Frankreich hintiberspannen, für Kapitel und Band den Schlnss.

Die Masse der von der Verfasserin benutzten Litteratur ist gegen den ersten Band erstaunlich gewachsen. Wir nennen von den hinzukommenden allgemeinen historischen oder litterar- geschichtlichen Werken: Geijer's Geschichte Schwedens; Reuchlin's Geschichte Italiens; Girtanner's Politische Annalen; Lecky, History of England in the XVllV^ Century; Adolf Schmidt^s Pariser Zu- stände; Louis Blanc's Histoire de la revolution; Lanfrey's Essai sur la rivol, fr, und Histoire de Napoleon; Toulongeon's Histoire de France depuis 1789; Granier de Cassagnac's Histoire du Directoire und les Girondins, Lamartine's Histoire des Girondins; Forneron's Histoire des itnigris, Lebon's VAngleterre et Vemigration frangaise; E. et J. de Goncourt's la Femme au XVIlP^^ silcle; V. Pierre's La Terreur sous U Directoire; Haym, Die romantische Schule; die verschiedenen litterarischen Portraits von Sainte-Beuve, Vinet, Etudes sur la litter ature frangaise ; Brandes, Die Litteratur des XIX, Jahrhunderts in ihren Hauptströmungen; Taine, Histoire

L(uly Charlotte Blennerhassett , Frau von Siae'l, ihre Freunde etc. 223

de la littirature anglaise; M.-J. Ch^nier, Tahleau historique de la litter ature fran^aise depuis 1789; A. MicliielS; Histoire des idSes litteraires en France] Weddigen, Geschichte der Einwirkungen der deiäschen Liüeratur ; Süpfle, Geschichte des deutschen Ridturein- flusses auf Frankreich; Gaulliear, Etudes sur Vhistoire littiraire de la Suisse frangaise.

Von Monographieo, bezw. biographischen Werken sind hin- zugekommen: Janssen, Fr, C. Graf von Stolberg; Michaad, Talleyrand und Bulwer, Life of Talleyrand; L6onzon-Le Duo, Gustave ni; Hamelj Eobespierre ; Helen Zimmern, Miss Edgeworth; Bardoux, Lc Comte de Montlosier; Hess, J. C. Schweizer; ühde, üeichardtj eine Selbstbiographie; Avenel, An. Cloots; Kapp, Boll- mann; Rondelet, M^^ de Stael et Rousseau; Stevens, Mad. de Statt; Vicomtesse de Noailles, La Princesse de Foix; A,-D. de Noailles, La Marquise de Montagu; Beauchesne, Louis XVII; Costa de Beauregard, ün homme d'avtrefois (Necker); Stanhope, Life of Pitt; de Martel, Fouche; Lavergne, Molinari; A. de Foville, Etudes sur la propriete foncih'e; Buonarotti, Conspiration pour Vegalitt; Advielle, Histoire de Babeuf et du Babouvisme; Stein, Begriff der Gesellschaft; Guizot, Le Duc de Broglie; die Biographien Chateaubriand^s von Sainte - Beuve, Villemain und Marcellus; die der Frau von Krüdener von Jacob le Bibliophile und von Eynard; de la Rive, La sociite intellectuelle ä Genhye; Welschinger, La Censure sous le premier Empire.

An Memoirenwerken verzeichnen wir: die von Mad. Campan, Villemain, dem Herzog von Broglie, Greville, Burke (ThoughU an the Affairs of France), Dumouriez, d'AUonville, Romilly, M°^® de Remusat, Lacretelle (Dix annees d'Spreuves), Weber, Alfieri, Vaublanc, Rist, Bumey, d'Haussonville, Miss Berry, Graf Beugnot, Graf de Merode, Thibeaudeau, Nodier, Graf Miot de Melito, Gourgaud et Montholon, Arnault, Baron de VitroUes, Lucian und Joseph Bonaparte, M°^® Röcamier, Barthölemy, Fauche -Borel, Gohier, Bourrienne, Metternich, Lamartine, Savary, Öhlenschläger.

Von Briefwechseln, die zwischen Maria -Antoinette und Joseph n., sowie Leopold IL, die von Sismondi, Gräfin Dönhoff und M°^® de Charrifere, Benj. Constant, Napoleon L, Villers, M™® Recamier mit Frau von Stael, Frau von Stael mit der Herzogin Louise von Weimar, Guizot, Reichardt, Jean Paul, Knebel, W. v. Humboldt, Goethe und Schiller, Goethe und Gebr. V. Humboldt, Goethe mit seiner Mutter,

Benutzte Werke, die zugleich Erinnerungen und Briefe um- schliessen, sind endlich: de G6rando (Lettres inidües et Souvenirs biographiquss de itf"*^ Ricamier et de M^ de ^tael), Lord Malme sbury (Diaries and Correspondence), Joubert (Pensdes et

224 Refe^-aie und Rezensionen. 0. Knauer,

Oorrespondance), Henry Crabb Robinson (Diary, Eemmiscences and Correspondence), Th. Moore (Letters and Journals of Lord Byron), Ticknor (Life, Letters and Journals),

Dass die Werke Chateaubriand's , Constanfs, Jos. de Maistre's, Villers' u. A. mit Quellen der Schriftstellerin gewesen sind, bedarf kaum der Erwähnung.

Von ungedrucktem Material aber zieht Lady Blenner- hassett ausser den auf der Universitätsbibliothek Upsala ver- wahrten Briefen der Stael, die wir schon bei Besprechung des ersten Bandes zu erwähnen hatten^ solche an Meister von Necker und Frau von Stael heran, die sich in Winterthur in dem Privatbesitz eines Herrn Dr. Th. Reinhart befinden.

Die Darstellung des Werkes geht derartig in die Breite und Tiefe und bietet des Interessanten so viel, dass die Wahl schwer fällt, wenn man aus dem zweiten Bande Einzelnes heraus- greifen und hervorheben will. Doch deuten wir in dieser Hin- sicht auf die Briefe Bollmann's (S. 134 flF. und 161 ff., aus Varn- hagen's Denkwürdigkeiten genommen), aus denen uns das Bild der Stael überaus lebendig entgegientritt, auf einen Brief Joseph de Maistre's (S. 180), auf die genauen Angaben über die finanziellen Verhältnisse des Sta^rschen Ehepaares (S. 267 und 377), auf den authentischen Nachweis der ursprünglich (noch im Jahre 1797) spröden und fremden Stellung der Stael zur deutschen Litteratur (S. 460) hin.

Im Vergleich mit Stevens scheint uns Lady Blennerhassett besonders deshalb Anerkennung zu verdienen, weil sie den Herzensbeziehungen ihrer Heldin wirklich auf den Grund geht und nicht sie zu vertuschen beflissen ist.

Was die Sorgfalt im Kleinen anlangt, so sind uns aller- dings beim Studium des Werkes einige Zweifel beigegangen, ob sie von der Verfasserin durchweg geübt worden ist. Wir haben die Unmasse der Zitate, der tibersetzten und ausgezogenen Stellen natürlich nur zu einem ganz kleinen Teile nachgeprüft und schon aus dem Grunde vielfach nicht nachprüfen können, weil die be- treffenden Werke schwer erreichbar sind; aber ganz gelegentlich sind wir doch auf manche Ungenauigkeiten in jenen, sowie auf andere kleine Versehen gestossen. So ist S. 287 vom gesetz- gebenden Körper, wo der Regierung (1797) von fünfhundert nur zweihundert, und vom Rat der Fünfhundert, wo ihr von zweihundertfünfzig nur siebzig Stimmen geblieben seien, die Rede. Offenbar soll es an der zweiten Stelle „Rat der Alten" heissen, während „gesetzgebender Körper" (die gemeinsame Benennung beider Versammlungen: vgl. Thiers, Hist de la revol, fr. Livre XXX: on consentü ä V itahlissement d^un corps legislaUf

Lady Charlotte Blennerhasseit , Frau tum Siael, ihre Freunde etc. 225

partagi en deux Assemblees und Mignet, Hist de la revoL fr, Chap. XI) fälschlich für „Rat der Fünfhundert" gebraucht ist. S. 289 steht filoux en troupe statt filous. S. 307 wird Napoleon's Vertrauter auf Helena Las Gases zu Las Oasas. S. 320 ist eine Stelle aus De VAllemagne (T. 3, Kap. 19) nicht nur im Ganzen sehr frei übersetzt, sondern ein Wort geradezu sinnstörend falsch gelesen: im Text steht une esclave^ während Lady\ Blennerhasseit schreibt: damit etwas heilig bleibe auf Erden,\sei es besser in der Ehe einen Sklaven als zwei Frei- geister zu finden." S. 388 kommt Z. 10 v. u. der Druck- fehler on für ou vor. S. 397 ist Therese d'Ervin's aus Delphine als die „sterbende" Freundin bezeichnet, während sie nur, wie weiter unten richtig erzählt wird, in das Kloster geht (vgl. Delph, I, Lettre XXXII und II, Lettre XIX). S. 434 wird Mad. Necker de Saussure Necker's „Cousine" statt „Nichte" genannt. S. 446 wird ein Aufsatz von Süpfle aus dem GoRthe- Jahrbuch von 1987 zitiert. S. 460 steht aus einem Briefe der Stael: c^est ce qui vous ne me verrez pas faire^ was Frau von StaSl schwerlich geschrieben hat oder gewiss nicht hat schreiben wollen. S. 465 fehlt der Verweis auf Villers' Briefwechsel, herausgegeben ' von Isler: der Brief steht dort S. 268 ff. (vom 1. August 1802) und ist von Lady Blennerhassett in einzelnen Punkten ungenau wiedergegeben. Sie schreibt (S. 464): ,,Wenn er ein Wesen beschreibt, das mit jedem neuen Sinn neue Ideen erhält, hätte sich ebenfalls berechnen lassen, was ein der Reihe nach aller seiner Sinne beraubter Mensch dennoch ohne dieselben an Ideen behält", während es im Texte lautet (a. a. 0. S. 270) tout ce que Vhomme privd successivement de chacun de ses sens pourrait non seulement conserver maia acquerir d'idSes sans ewa?, und lässt, ohne die Auslassung anzudeuten, hinter den Worten: „wenn Sie dem Gedanken ent- sagten, uns Kaufs übrige Werke zugänglich zu machen" die sehr bezeichnende Stelle unübersetzt: üs (les ouvrages de Kant) ne seront jamais entendus sans vouSy vous avez au supreme (sie!) degrS la clarte qui lui manque. S. 469 soll es in dem Zitat aus den Nouveaux Lundis 255 statt 235 heissen: da beginnt der Aufsatz, der zitierte Brief steht S. 300. Dasselbe Werk von M. J. Chenier tritt S. 412 richtig als Tdbleau historique de la Litterature frangaise depuis 1789 und S. 449 als Tdbleau de la litterature frangaise au XVIII. si^cle auf. Aus A. Michiels' Ilistoire des Idies litter air es en France (S. 339 angeführt) ist S. 445 eine Histoire des Litteratures etrang^res en France ge- worden ; dass die Seitenzahlen dabei zu der Ausgabe des Werkes

Zschr. f. frz. Spr. u. Litt. XI«. jg

226 Referate und Rezensionen. J. Sarrazin,

von 1842, die uns zur Hand ist, nicht stimmen, mag an der Be- nutzung einer späteren Ausgabe liegen.

Man sei also in solchen Dingen bei der Benutzung des Werkes auf seiner Hut.

Wir geben endlich noch eine Blumenlese von den im Ein- gang dieser Besprechung angedeuteten undeutschen, ja fehler- haften Wörtern und Wendungen, welche die Verfasserin auch im zweiten Bande braucht. Nicht nur verbindet sie wieder „be- gegnen" an zahlreichen Stellen mit dem Akkus. (S. 124, 205, 300, 303, 359, 402, 450), lässt wieder „dem Gesandten etwas wissen" (S. 24) und braucht wieder „die erste zu . . ." mit In- finitiv (S. 389), sie bildet auch die schöne Form 3. Sg. Präs. Ind. „verratet" (S. 249). S. 85 „präludiert" Jos. Ch6nier „seinem Bastillendrama" durch gewisse Verse; S, 352 „plaidiert" Chateaubriand „die Sache der Monarchie"; S. 427 „applaudiert" Bonstetten Hernani und „die Revolution" von 1830; nach S. 422 ^wusste" Mad. Necker de Saussure Griechisch und Latein; S. 27 steht „warnen" in undeutschem Sinne statt „aufmerksam machen, mitteilen" (avertir also falsch Übersetzt); S. 42 „ver- hindern" mit dem Dativ der Person statt des Akkusativ (wohl Vermengung mit „verbieten"); S. 238 „schmeicheln" mit dem Akkusativ; S. 103 ist das Futurum in „Fortan wird sich der Ehr- geiz . . . unter dem republikanischen Ideal bergen . . . Am Rande des Blutstroms angelangt, wird sie . . . denselben tiberSchreiten" undeutsch. S. 132 macht sich der Gallicismus „Jemanden flir Jemanden verlassen" und S. 154 die ähnliche Wendung „einen Standpunkt für einen anderen aufgeben" bemerklich; S. 340 „bricht" ein Verbindungsfaden; S. 390 steht „lernen" für „lehren" („sie lerne Leuten denken"); S. 436 „sehen" für „auf- suchen" (voir oder aller voirj. Wie endlich die Apposition misshandelt wird, zeigen die Stellen: „war auch er zur Inter- vention ... als letztes Mittel zur Rettung . . . bereit" (S. 37) und „die Kriegserklärung der wahren Patrioten gegen die Ge- mässigten, dieser Feinde der Freiheit und Gleichheit" (S. 89).

Trotz aller Verdienste des Werkes, denen wir vollauf ge- recht geworden zu sein glauben, können wir mit erneutem Tadel gegenüber solcher Behandlung der deutschen Sprache unmöglich zurückhalten, so wenig wir vorher unsere Bedenken betreflFs der Verlässlichkeit im Einzelnen und Kleinen verschweigen durften.

0. Knauer.

G. Carel, Voltaire und Gmlhe als Dramatike?\ 227

1/ Carel, George, VoUaire und Oosthe als Dramatiker. Ein Beitrag zur Litteraturgeschichte. (Wissensch. Beilage zum Jahres- bericht der Sophienschule zu Berlin, Ostern 1889.) Berlin, R. Gärtner's Buchhandlung. 38 S. 4^. Preis: 1 Mk.

Wie für die Goetheforschung Hermann Grimm, so haben Desnoiresterres und Mahrenholtz fiir die Voltaireforschung neue Bahnen betreten. An Stelle der Verhimmelung seitens der Fran- zosen und der grenzenlosen Verurteilung seitens der Lessing- freunde beginnt denn auch eine objektive AuflFassung Voltaire^s sich geltend zu machen.

Die gründliche, klar durchdachte, übersichtlich geordnete und vortrefflich geschriebene Arbeit Carel's beginnt mit Goßthe's Urteilen über Voltaire, wie sie in gelegentlichen Abhandlungen und im Briefwechsel mit Schiller ausgesprochen wurden. Hierauf geht der Verfasser auf die hervorragende Individualität des grössten Franzosen und des grössten Deutschen ihrer Zeit ein, auf ihre litterarische Stellung und insbesondere auf die dramatische Wirksamkeit beider Dichter.

Goethe hatte vor Voltaire den gewaltigen Vorteil voraus, dass er nicht am Schluss einer in Auflösung begrifi^enen, sondern am Anfang einer aufgehenden Zeit stand. Auch wurde dem Franzosen der Racine'sche Klassizismus zur drückenden Fessel, während Goethe durch Lessing auf die Bahn der nationalen Litteratur gewiesen wurde (S. 11). In Strassburg lernte der junge Student den Einfluss des Patriarchen von Ferney auf die Zeitanschauungen kennen und fühlte sich dadurch wenig sym- pathisch berührt (vgl. Wahrheit und Dichtung, passim). Wenn er trotzdem als Theaterintendant in Weimar klassische Dramen der Franzosen auf die Bühne brachte, so ist das ein neuer Be- weis dafür, wie sehr Goethes deutsches Denken und Empfinden mit französischem Bildungsmaterial arbeitete. Dasselbe war bei fast allen grossen Geistern jener Zeit der Fall (vgl. S. 32—33). Den Einfluss Voltaire's auf die einzelnen Stücke Goethe's gedenkt der Verfasser in einer späteren Abhandlung zu untersuchen. Was Goethe insbesondere zur Verdeutschung Voltaire'scher Dramen veranlasste, war die durch Zeitgenossen beklagte Wahrnehmung, dass Shakespeare's Dramen der gediegenen Durchbildung der Schauspieler Eintrag that (Nachweise S. 34 35). Das ge- messene, feierliche Wesen der französischen Klassiker schien dem Bühnenleiter Goethe angemessener. Voltaire aber ist im Drama ein Epigone Corneille's, dessen rauschende Rhetorik und heldenhafter Pathos ihm näher lag, als Racine's unübertrofi^ene

15*

ji

228 Referate und Rezensionen, A. Lange,

Schilderung der Liebe und des Frauenberzens. Den Dramatiker Voltaire mit einem Shakespeare zu vergleicben, kam böcbstens dem Zeitgenossen Lessing zu, welcher den verbassten ^französischen Skribenten" nicht objektiv im Rahmen der Zeit betrachten konnte, wie wir es ein Jahrhundert später gelernt haben. Mit gutem Recht tadelt also Carel das sichtliche Wohlbehagen, mit welchem in neuerer Zeit wieder an Lessing's Kritik angeknüpft wird, um die Hiebe hageldicht auf Voltaire nieddrsausen zu lassen. Denn einmal vergessen die gestrengen Richter, der völlig entgegen- gesetzten nationalen Eigenart Rechnung zu tragen, ferner lassen sie ausser acht, dass Voltaire für die Sünden seiner beiden Vor- gänger mit btissen musste. Voltaire dachte nicht daran, dies betont Carel ausdrücklich, den konventionellen Gepflogen- heiten entgegenzuarbeiten und den hergebrachten klassischen Ge- schmack zu bekämpfen: Je rCai voulu comhattre en rien le goüt du public, sagt er in der Einleitung zur Mariamne, c'est pour lui et non pour moi que j'icris; ce sont ses sentiments et non les miens que je dois suivre. Ein allerdings sehr anfechtbarer Stand- punkt des geschmeidigen Voltaire.

Wenn der Verfasser am Schluss der Einleitung sagt, Des- noisterres, Strauss und Mahrenholtz seien ihm für Voltaire in ihrer Objektivität Vorbild gewesen, ebenso wie H. Grimm für Goethe, und Hettner für das ganze Aufklärungszeitalter, so kann ihm das Zeugnis nicht versagt werden, dass er seine Vorbilder nahezu erreicht hat. Die ganze Abhandlung hinterlässt einen wohl- thuenden Eindruck. Zum Schluss seien dem Referenten einige Nachträge verstattet. (Edipe wurde nicht 1719, sondern am 18. November 1718 aufgeführt. Bei den im allgemeinen voll- ständigen Litteraturnach weisen wären nachzutragen: A. Schmidt, Voltaire's Verdienste um die Einführung Shakespeare* s, Progr. Königsberg, 1864. H. Morf, Die Cäsartragödien Voltaire\^ und Shakespeares, Zschr. Bd. X^, S. 214 fl^.

Bei Piron, dem boshaften Apothekersohn aus Dijon (S. 19, Anm.), vermisst Referent die ziemlich wichtige Angabe, dass auch die „Melromanie" gegen Voltaire gerichtet ist, welcher sich von einem Dichterling Desforges - Maillard in ähnlicher Weise düpieren Hess, wie Damis vom alten Francaleu (vgl. H. Bonhomme, Ein- leitung zu den (Euvres de Desforges- Maillard, Paris 1880).

Eine auffallende Ähnlichkeit beider Dichter tritt meines Er- achtens an geeigneter Stelle nicht ganz genügend hervor. Richtig wird Goethe, der kühle Olympier, in Gegensatz zu dem von Humanitätsgedanken und Rousseau'scher Naturschwärmerei er- füllten Schiller gesetzt. Nimmermehr hätte Schiller dem Dichter

J^. Beyer, Französische Phomiik für Lehrer und Studierende. 229

des Faast II zugestimmt, der beim Anbliek der Volksmenge un- willig ausruft:

Man freut sich, dass das Volk sich mehrt, Nach seiner Art behaglich nährt, Sogar sich bildet, sich belehrt und man erzieht sich nur Rebellen!

Auch Voltaire, der eingefleischte Aristokrat, der Verächter der von Rousseau verteidigten populace, dachte wie der Geheimrat von Goethe am Abend seines Lebens und hat es in seinem um- fangreichen Briefwechsel, oft genug unzweideutig ausgesprochen.

J. Sarrazin.

Beyer, Franz, Französische Phonetik für Lehrer und Studierende, Cöthen, 1888. Otto Schulze. IX u. 186 S. 8^.

In seinem Lautsystem des NeufranzÖsischen^) hatte der Verfasser der vorliegenden Arbeit versprochen, auf die dort gegebene Analyse der französischen Sprachlaute bald eine Synthese derselben folgen zu lassen. Es war ein glücklicher Gedanke, statt dessen vielmehr beides zu vereinigen und uns so eine vollständige französische Phonetik zu bieten, an die sich dann noch als Supplement eine Orthoepik anschliessen soll. Der Stoff des Lautsystems hat bei der Neubearbeitung in der Phonetik mancherlei Veränderungen erfahren, meist Kürzungen, zum Teil Erweiterungen. Während dort „die wissenschaftliche Erörterung hin und wieder durch nnterrichtliche Fragen ge- kreuzt wird", ist der Verfasser hier bemüht, „das phonetische System sauber aus einem Guss" zu geben. Mich will bedünken, er hätte in diesem Streben nach Objektivität noch weiter gehen können, als thatsächlich geschehen ist. Auch in der Phonetik macht die Darstellung an einzelnen Stellen, so namentlich in manchen der Anmerkungen, mehr den Eindruck persönlicher Aus- einandersetzung mit den Mitforschern, als knapper, systematischer Belehrung. So sind denn auch die im Schlusskapitel gegebenen brieflichen Mitteilungen von Passy, Storm und Victor zwar für den Phonetiker äusserst interessant und schätzenswert, thun aber dem Charakter des Buches als eines „Handbuches der neufranzösischen Lautwissenschaft" Abbruch. Dergleichen Nachträge sind ja seit Storm's Englischer Philologie vielfach Sitte geworden, sie gehören im Grunde aber doch mehr in die wissenschaftliche Diskussion der Fachzeitschriften. Nun ist freilich bei einer noch so wenig

1) Vgl. meine Besprechung in der Zeitschrift IX 2, S. 180 ff.

230 Referate und Rezensionen. A. Lange,

abgeschlossenen Wissenschaft, wie der Phonetik, die Forderung objektiver Bündigkeit leichter gestellt als erfüllt. Immerhin darf wohl die Hoffnung ausgesprochen werden, dass dem Verfasser bei einer neuen Auflage eine mehr zusammenfassende Verarbeitung dessen, was jetzt zum grossen Teil nur erst in behaglicher Breite als Material vorliegt, gelingen möge.

Noch in einer anderen Beziehung scheint mir der Rahmen eines Handhruches „für Lehrer und Studierende" nicht inne ge- halten zu sein. Seit Sweefs EUmentarhuch des gesprochenen Englisch ist es ein charakteristisches Merkmal neuphilologischer Reformbestrebungen geworden, gerade den Eigentümlichkeiten der Umgangssprache nachzugehen und den lautlichen Abschleifungen, welche diese naturgemäss erleidet, wohl gar vorbildliche Be- deutung beizulegen. Gewiss ist es nur zu loben, dass auch dies Gebiet mehr, als es früher geschehen ist, wissenschaftlich erforscht wird, und sehr begreiflich ist es, dass Phonetiker ein besonderes Interesse daran finden, gerade ihre Muttersprache, Sweet das Englische, Passy das Französische, nach dieser Richtung zu beobachten. Für den Ausländer aber, insbesondere für den »Lehrer und Studierenden** einer fremden Sprache liegt die Sache doch etwas anders. Mögen immerhin die Nachlässigkeiten der Umgangssprache, ja selbst die Rede des gemeinen Volkes an- merkungsweise mit berücksichtigt werden; dass aber dies Entartungsgebiet der Sprache einen so breiten Raum im Texte selbst einnimmt, wie es bei Beyer der Fall ist, dass es geradezu als allgemeine Musteraussprache hingestellt wird, dagegen erhebe ich, und ich glaube, mit mir viele, die gerade an der Reinheit der französichen Artikulation ein besonderes ästhetisches Wohl- gefallen finden, auf das Nachdrücklichste Einspruch. Verfolgt man den von Beyer betretenen Weg weiter, so ist zu befürchten, dass die /S^andardaus spräche auf ein Niveau herabgedrückt wird, welches für das heutige Französisch in seiner Gesamtheit viel zu niedrig liegt. Gibt es doch für uns nicht bloss ein Gesprächs- französisch, das sich gehen lässt. Laute verschluckt und trübt wie andere Conversationssprachen auch. Hat nicht gerade für den Ausländer das gelesene, das vorgetragene, das deklamierte Französisch oft eine weit grössere Bedeutung? Entweder müssen also stets die verschiedenen Redegattungen neben einander be- handelt und sorgfältig geschieden werden, oder es muss ein Durchschnitt aus allen zusammen genommen werden, ähnlich wie Passy in anderem Sinne aus den verschiedenen Dialekten ein Landesfranzösisch konstruiert. Dass aber Beyer diesen Durch- schnitt zu tief macht, zeigt am besten ein Blick auf seine transkribierten Texte. Wenn in dem ersten derselben, der ein

F. Beyer, Französische PfioneUk für^ Lehrer imd Studiereiule, 231

dem wirklichen Leben abgelauschtes Gespräch zwischen zwei Kindern bringt, alle lautlichen Verkümmerungen desselben getreu wiedergegeben sind^), so wird man freilich dagegen höchstens einwenden können, dass der Standard der gebildeten Umgangs- sprache immerhin höher gestellt werden darf als das unbeobachtete Plaudern von Kindern. Aber auch in den Lesestücken, ja in den Versen findet sich dergleichen. Nur ein Beispiel, das mir ganz besonders ein Dorn im Auge ist. Passy hat, von Jespersen aufmerksam gemacht, neben dem tonlosen e noch zwei andere getrübte Vokallaute aufgestellt, die sich in Vortonsilben statt eines vollen e (oder auch e) und b finden, ohne sie indessen als die Regel hinzustellen. Bei Beyer sind sie dies aber durchaus, sogar in der Deklamation der Verse, und in seiner vereinfachten Lautschrift wird jener getrübte c-Laut auch da, wo er für e eintritt, regelmässig mit e identifiziert, während doch z. B. Legouv^ selbst in tonlosen Wörtern wie Ze», mes u. a. aufs Nachdrück- lichste e verlangt.

Ist es mir, ich möchte sagen, ein Herzensbedürfnis gewesen, diese Verschiedenheit meines Standpunktes von dem Beyer's in Bezug auf das Niveau des /SZandar(2französisch so energisch zu betonen, so muss ich nun andererseits der ausführlichen Be- handlung volles Lob spenden, welche Beyer gerade den Fragen der Satzphonetik angedeihen lässt und welche fast durchweg Neues bieten würde, wenn nicht kurz zuvor Passy im zweiten Heft der Phonetischen Studien^) die meisten Punkte in seiner be- wundernswürdig knappen und klaren Weise bereits erledigt hätte.

In der Einleitung „über Sprechorgane und Sprachlaute" bleibt Beyer im ganzen bei dem Bell-Sweet'schen System, fügt aber nach dem Vorgange von W^estern den drei Reihen der vorderen, hinteren und gemischten Vokale eine vierte Artikulations- art, die der a- Laute hinzu: eine Änderung des englischen Schemas, zu der er sich im Laiäsystem noch nicht verstehen konnte. . Vietor (Nachtrag S. 155 f.) verhält sich mit Recht gegen diese.

^) Es muHs sogar aufiTalleD, dass Beyer, wie überhaupt, so auch hier vollen Nasalvokal selbst vor hinübergezogenem n vorschreibt. Trotz der Autorität Passy's, dessen Sons du fravisais das Stück entlehnt ist, fällt es mir schwer zu glauben, dass die Kinder für gewöhnlich en aUons-nous = änäl5-nu sprechen. Gerade in diesem Punkte möchte ich lieber die weit verbreitete Aussprache ohne Nasalität des Vokals als Norm hinstellen. Ich sehe darin nicht sowohl eine Entartung als vielmehr die etwas modifizierte Erhaltung ursprünglicher Doppelformen, je nachdem ein Konsonant oder ein Vokal folgt, ähnlich wie beau und bei. Demgegenüber macht mir die Aussprache mit Nasalvokal, die freilich schon im XVI. Jahrhundert von den Grammatikern als die bessere gelehrt wird, den Eindruck des Künstlichen.

J

332 Rufa-ale und Rezensionai. A. Lauge,

wie «och gegen die ganze KUnse der miaxd vowtls ablehnend. Über die letzteren äussert sich Beyer ziemlich unbestimmt und meint selber, dass es „wohl angezeigt wäre, dieselben noch ein- mal grllndlicb zu untersuchen.'^ Auch sonst stimmen seine Aus- führungen nicht immer zu dem englischen Viereck, so z. B. wenn er sagt {S. 16), „dass die Zunge bei der Abwartsbewegung von der i- Höhenlage durch e, (e zu a sich zugleich nach rück- wärts zieht, was eine Art Diagonalbewegung ergibt." Das passt schon ganz anf das Dreieck. Andererseits hätte ich die englische Scheidnng zwischen engen und weiten Lauten gern noch mehr betont und als grundlegenden Unterschied zwischen romanischer und gennanischer Artikulation durchgeführt gesehen.

Mit Unrecht bringt Beyer {8. 24) die Bevorzugung des hellen d mit der Neigung zur Degenerierung tonloser Vokale zu- sammen. Denn wenn Ricard sagt: a dann „balle" retombe vers /, so handelt es sich um betontes a. In dem Vorrilcken desselben nach der palatalen Seite hin ist also nicht sowohl eine „erste Verschiebung des Lautes nach der Neutrallage" dieser nähert sich ä mehr als d sondern vielmehr gerade eine Wirkung des Strebens nach straffer Artikulation zu sehen, die sich im vorderen Mundraum leichter vollzieht als im hinteren. Man ver- gleiche z. B. die Nasalvokale, deren „halbweiter" Charakter im wesejitlicben eine Folge davon ist, dass „die Zunge etwas weiter zurlfck und tiefer artikuliert als gewöhnlich" (8. 28).

Am Schluss des Kapitels von den Diphthongen findet sich ein störender Druckfehler: statt nüa und Hia muss es offenbar heissen swa und tiea. übrigens scheint Beyer auf seiner Theorie von dem konsonantischen Werte des ersten Elementes solcher „sogenannter diphthongischer" Verbindungen namentlich deshalb zu beharren, weil die französischen Phonetiker „hier doch wohl in erster Linie kompetent" seien. Ganz im Gegenteil: gerade hier sind wir Deutsche es mehr, weil wir wirklich spirantisches / in nnserer Sprache haben und daher den Unterschied zwischen einem solchen und tranzösischem i viel deutlicher auffassen können: vgl. deutsch Jena und französisch I^na.

Als devokaliaiertes j erklärt Beyer auch jenen stimmlosen t-Lant am Schlüsse, also in der Nachdruckssilbe längerer Laut- körper wie in arüiueratie. Die Erscheinung ist, so viel ich beobachtet habe, nicht auf i beschränkt, sondern findet sich ebenso häufig hei ü und u, und zwar auch nach stimmhaften Konsonanten (z. B. je Tat vendu), besonders im Munde solcher Franzosen, welche die Stimme lebhaft modulieren imd ausgiebigen

) Vgl. Ai€r 137 ff.

F. Beyer, Französische Phonetik für Lehrer und Studierende, 233

Gebrauch von dem musikalisch -rhetorischen Akzent im Innern des Sprechtaktes machen, jedoch immer nur dann, wenn ein solcher starker Nebenakzent auf der unmittelbar vorhergehenden, also vorletzten Silbe liegt. Der dazu erforderliche Kraftaufwand verschlingt dann den Stimmton der letzten Silbe, deren Vokal nur geflüstert wird, ohne darum den Wortton zu verlieren.

Endlich soll auch auslautendes j wie in scintüle, fille „zu- weilen" devokalisiert werden. Zum Schluss heisst es dann (S. 42): „Aus jenem j in fille hören ungeübte Ohren das übel- bekannte fi.]( heraus!" Allein, was ist denn devokalisiertes j schliesslich anderes als jf, das doch offenbar den stimmlosen Laut zu j, den sogenannten deutschen ^c^-Laut bezeichnen soll? Da nun das „übelbekannte" fi.^y ja selbst fi,j mit wirklich spirantischem j zweifellos unfranzösisch ist, so folgt daraus, dass die Darstellung des französischen Lautes als eines konso- nantischen j oder j unrichtig ist und Unkundige notwendig irre führen muss.

Eine Beobachtung Beyer's, welche Passy in den Schluss - noten (S. 165) als „fein und wichtig" lobt, ist die, dass in den Fällen, wo die Umgangssprache ein nachkonsonantisches Schluss-Z unterdrückt, wie in tab\ meul) statt tabUy meuhle, eine voran- gehende Media, die nun in den Auslaut tritt, nicht wie sonst mit stimmhaftem, sondern mit stimmlosem aff-glide absetzt, „eine Erscheinung, die sich erklärt durch rückwirkende Assimilation des in Wegfall gekommenen (devokalisierten) /." Die Thatsache ist jedenfalls richtig beobachtet. Zweifelhaft ist mir nur, ob derselbe Sprechende, welcher sich diese Nachlässigkeit erlaubt, nicht in anderen Fällen auslautender Media, z. B. in malade die Mühe des stimmhaften off-glide ebenfalls scheuen wird. Übrigens ist für Beyer's Standpunkt wiederum bezeichnend, dass ihm peuple „bereits ganz gewöhnlich" poep lautet, dass cMe = sibl, cadre = kadr mit devokalisiertem / und r „die gebräuchliche, zur lautlichen Thatsache gewordene Aussprache" ist, während sibl, mit stimmhaftem Z, nur in „sorgfältiger, mehr theoretischer Aus- sprache" und zweisilbiges sibl^ überhaupt nicht vorkommt (S. 69).

So viel von Einzelheiten. . Auf die zum Teil sehr schwierigen allgemeineren Fragen der Satzphonetik einzugehen, würde hier zu weit führen. Ich beschränke mich daher zunächst darauf, nur den Inhalt dieses zweiten Teiles kurz anzugeben:

I. Silbenbildung: a) Schallstärke, Expirationsenergie, Lautintensität; b) die Silbe (Silbenträger, Silbengrenze, Bindung, Gemination).

IL Dauer (hauptsächlich der Vokale, Verhältnis von Dauer zu Klang).

234 Referate und RezensionetL F. P^te, .

m. Nachdruck (Silben-, Wort-, Satzah;zent; Einwirkungen des Rhythmus und der Quantität; Reduktion und Degenerierung der unbetonten Silben; Sprech- und Sprachtakte).

IV. Ton (Stimramodulation).

V. Sandhi- Erscheinungen: a) Gegenseitige Beein- fiuBBUngen der Artikulationen; b) Einwirkungen des Nachdrucks auf den Lautkörper.

Es folgt dann noch eine dritte Abtcilnug:

Akzessorien der franzöeiBchen Lautaprache: 1) Zeit- masB der Rede; 2) Sprechetärke; 3) Geete und Mimik; 4) Stimm- qnalität und endlich eine kurze vierte Abteilung über Trans- skription. Adodst Lange.

. Dreyling, Gustav, Die Äusdmcksweise der abertrieberten Ver- kleinerung im altframöidschen Karlsepos. [Ausgaben und Abhandlungen aus dem Gebiete der romanischen Philo- logie. Veröffentlicht von E. Stengel. LSXXIl.] Mar- burg, 1888. 166 S. S". Preis: 4 Mk.

Der Herr Verfasser hat eine schon wiederholt mehr oder minder eingehend besprochene, bisher jedoch noch nicht als eigene Aufgabe behandelte Frage der altfranzÖBischen Syntax zum Gegenstand eines Uberaus fieiesigen und umsichtigen Studiums gemacht. Erhebt Beine Arbeit bei ihrer Beschränkung auf gewisse, freilich für den Verfolg der geschichtlichen Entwickelungder Sprache hervorragend wichtige Denkmäler nicht den Anspruch auf eine völlig erledigende Erschöpfung des untersuchten Prinzips, so hat er doch ebendeswegen in mancher Hinsicht einzelne Erscheinungen desto genauer verfolgt. Auch ist er anscheinend als Neben- produkt seiner Untersuchung zu mancherlei wertvollen Schlüssen llber die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den einzelnen dem Karlszyklus angehörenden Epen gelangt. Des näheren be- deutet Dreyling's Arbeit der Hauptsache nach eine Ergänzung der bisherigen Litteratur Über die verstärkte Negation im Alt- französischen unter dem Gesichtspunkte des verkleinernden Ver- gleichs. Die sehr umfangreiche Material Sammlung (S. 7^91), die seinen Ausführungen über die versdtiedenen Arten der hyper- bolischen Verkleitierung (8. 125), die Entutehungs-, Blüte- imd Verfallzeii (8. 137) und die verschiedenen Quellen der hyperbolischen Verkleinerung [8. 138) voraufgeht, wird in zwei Kapiteln (eigent- liche und verblasste Hyperbeln) dargeboten, wobei wieder die einzelnen Zitate, innerhalb ihrer besonderen Gruppierung (der hyperbolischen Verwendung von Personen-, Tier-, Frucht-, MUnz- namen u. a. m.) zweckentsprechend so geordnet sind, dass die

/ /

•t .

G. Dreyling, Die Ausdruckstveise der ühertricbencn Verkleinerung etc. 235

den späteren, verblassten, Gebrauch der Verkleinerungen be- kundenden Stellen denjenigen folgen, in welchen dem besprochenen Tropus noch seine ursprüngliche Bedeutung erhalten erscheint. Bei der vom Verfasser gewählten, einigermassen schwerfälligen Anlage seiner Arbeit konnten die mehrfach entgegentretenden Wiederholungen nicht wohl ausbleiben.

Im einzelnen Folgendes: In Aiol 3593 [544c) Ja mais ior de ma vie ne Varai der dürfte ior de ma vie keine Verkleinerung, sondern eine die * Negation verstärkende Betheuerung aus- drücken. — Im Absatz 1294 ist statt 897, 897^ zu lesen. Die S. 105 ausgesprochene Ablehnung meines Zitats (Zeitschr, f. r, Ph, II)y betreflFend den Gebrauch eines von mie abhängigen Genetivs De ce ne sai ge mie (Ch. de N. 917) vermag ich nicht anzuerkennen, da savoir transitives Verbum ist. Natürlich gilt für Dreyling's Zitat Encor ne sei mie de son fils (Aiol 8552) meines Erachtens dasselbe. Nach den S. 125 ff. gegebenen Ausführungen, namentlich von Absatz 1295 ab, zu schliessen, ist der Herr Verfasser äer Meinung, dass es sich bei der Aus- drucksweise der übertriebenen Verkleinerung stets um einen Ver- gleich handele, nur dass derselbe nicht immer unmittelbar zu Tage liege. Dem ist jedoch nicht s(K Vielmehr bekunden zahl- reiche von ihm beigebrachte Belegstellen nur die dem Volkgepos überhaupt eigentümliche Neigung, vor abstrakten Redewendungen sinnlich anschauliche zu bevorzugen, allerdings vornehmlich, aber keineswegs ausschliesslich, in verneinten Sätzen. So unter anderem in den unter 19^—0^ 35,1084, 1096b gegebenen Stellen. Wenn es z. B. [38] im Aiol 10562 heisst ne diroie parole, dont il fust enpiries oder aber [17a] Ji sunt maleite gent ne s'en ira uns piez (Hörn 1558), so sind derartige nachdrückliche Ver- neinungen, ganz wie etwa unsere deutsche: Er hat keinen Pfennig Vermögen^ keinen Fuss breit Landes dahin aufzufassen, dass die blosse Negation, selbst mit Rücksicht auf ihre besondere Be- ziehung, so etwa oben statt ne uns pieZy ne uns guerriers, dem Sprechenden nicht farbenreich anschaulich genug erscheint, und nunmehr selbst ein kleiner, unbedeutender Teil oder Ver- treter des fraglichen Gegenstandes in seiner besonderen Be- ziehung und damit der ganze Gegenstand sehr anschaulich ver- neint wird. Häufig scheint bloss das inhaltlose ne rien um- gangen werden zu sollen. Dass es sich in zahllosen anderen Fällen, wie namentlich bei dem Gebrauch der sogenannten Füll- wörter der Negation, wirklich um einen latenten Vergleich handelt, soll hiermit selbstverständlich nicht bestritten werden. Sehr dankenswert sind die unter 1311 und 1316 1318 dargebotenen Beobachtungen. Vielleicht lassen sich dieselben, namentlich unter

236 Referate und Rezensionen. E, Weher,

Bezug auf miey pas, poiniy noch insofern ergänzen, als bisher nicht festgestellt ist, ob der Verfall von non zu nen und schliess- lich zu dem im Verse bedingungsweise nicht gezählten, in der gesprochenen Sprache kaum gehörten ne den Gebrauch der Flill- wörter der Verneinung beeinflusst hat. Letzteres möchte bei der grossen logischen Bedeutung der Negationspartikel im allge- meinen und der Tonlosigkeit des französischen Negationsadverbs und seiner so häufigen anderweitigen Unterstützung im besonderen an und für sich anzunehmen sein. F. Perle.

Jarnik, J. U., Neuer vollständiger Index zu Diez etymologischem Wörterbuch der romanischen Sprachen mit Berücksichtigung von Scheler's Anhang zur fünften Ausgabe, Heilbronn, 1889. Gebr. Henninger. VHI, 382 S. 8^ Preis: 8 Mk.

Mit vorliegendem Buch bietet uns Jamik eine gründliche Neubearbeitung seines bereits in der vor 10 Jahren erschienenen ersten Ausfuhrung mit Recht geschätzten Index zu Diez' Meister- werk. Zu dem in der ersten Ausgabe allein enthaltenen romani- schen Teil, der durch Aufnahme sämtlicher von Diez aus irgend einem Grunde erwähnten romanischen Wörter und durch Berücksichtigung von Scheler's Anhang erweitert wurde, ist jetzt noch ein 143 Seiten umfassender nicht allein für Romanisten, sondern auch für Forscher auf anderen Sprachgebieten äusserst wertvoller nichtromanischer Teil hinzugekommen. Derselbe ent- hält in Sprachgruppen geordnet unter den Überschriften Lateinisch, Griechisch, Germanisch, Celtisch, Englisch, Baskisch, Arabisch, Slavisch, Onomatopoetische oder Naturausdrücke, Verschiedenes in alphabetischer Reihenfolge, Eigennamen als Etyma alpha- betisch angeordnete Verzeichnisse aller nichtromanischen Wörter, welche Diez als Etyma romanischer bezeichnet oder zum Ver- gleich herangezogen hat. Die Einrichtung des Buches im Einzelnen, über welche das Vorwort orientiert, muss als praktisch, die Aus- führung als musterhaft sorgfältig bezeichnet werden. Mir sind bis jetzt die folgenden Versehen aufgefallen, die von Jarnik im Nachtrag nicht berichtigt wurden: S. 139 lona pr. npr. findet sich nicht IIb sondern IIc; S. 237 war unter addus srnf lazzo IIa statt auf loro IIa zu verweisen; S. 247 wird unter callidtuf mit Unrecht auf tosto verwiesen, da die hier von Diez erwähnten it. caldo, afrz. ehalt 3lu{ calidus zurückgehen; 8. 312 ist statt ahle mhd. ahte mhd. zu lesen; S. 316 lies bränte schwz. statt bränte nhd. Diez erwähnt das Wort IIa unter brenta mit dem Zusatz „bei Stalder ein hölzernes Gefäss"; S. 360 1. ceck-chafer st. cock 6häf€T. D. Behrens.

PL Plaiiner, unsere Fremdwörter etc. 237

Plattner, Ph., Unsere Fremdwörter vom Standpunkte des fran- zösischen Unterrichts betrachtet. Beilage zum Jahres- bericht der Realschule zu Wasselnheim i. E. Strass- burg i. E., 1889. M. Du Mont-Schauberg. 34 S. 4^.

Jeder Lehrer des Französischen wird diese von einem tüchtigen Kenner dieser Sprache geschriebene Abhandlung mit Vergnügen nnd Nutzen durchlesen. Ein unmittelbarer Gewinn für den Unterricht wird sich freilich daraus kaum ziehen lassen. Vielmehr wird, wer selbst Gelegenheit gehabt hat, Erfahrungen im Unterrichte zu sammeln, die dieser Abhandlung zu Grunde liegende Frage: Kommt die Kenntnis unserer Fremdwörter dem Schüler bei dem französischen Unterricht zu statten oder ist sie ihm eher schädlich? ganz in dem von dem Verfasser angedeuteten Sinne beantworten und ihm durchaus darin beistimmen, dass die gründliche Kenntnis und der sichere Gebrauch gerade des Fran- zösischen durch unsere Fremdwörter erschwert wird. „Nur die Oberflächlichkeit, welche es sich an müheloser Aneignung ge- nügen lässt und das Übrige dem guten Glück anheimstellt, hat von jener Ähnlichkeit einen Vorteil; für jeden, der es gründlich nimmt, bilden im Anfang unsere Fremdwörter eine Reihe der unheilvollsten Klippen. Nichtwissen ist ein geringes Übel im Vergleich zu vermeintlichem Wissen. Durch die Fremdwörter verleitet, glaubt man oft zu wissen und wird schwer seines Irr- tums gewahr. Auch wenn der Irrtum erkannt ist, bildet die vorhandene andere Gewöhnung .eine stete Gefahr, die kaum durch Aufmerksamkeit und Sorgfalt, sondern nur durch neue stärkere Gewöhnung abzuwenden ist. Wollte man auch solchen, die über eine ziemlich gute Kenntnis des Französischen verfügen, eine Aufgabe stellen, die Fallstricke ohne Zahl enthält, so wäre hierzu ein absichtlich mit möglichst viel Fremdwörtern ausgestattetes Stück unzweifelhaft das geeignetste."

An dies durchaus richtige und wohl begründete Urteil schliessen sich dann noch die beherzigenswerten Worte: „Man schlägt überhaupt den Wert des bekannten Ähnlichen bei der Spracherlernung meist zu hoch an, weil man an die schwere Mühe nicht denkt, welche es kostet, Fehler zu beseitigen, die sich aus derselben Quelle herleiten." An einer Reihe gut ge- wählter Beispiele, zu denen jeder, der selbst Knaben im Fran- zösischen unterwiesen hat, Nachträge beisteuern könnte, wird dieser allgemein geltende Satz, insofern er sich auf unsere Fremd- wörter bezieht, erläutert. Dieser Wahrheit sollten jene stets eingedenk sein, die, ausserhalb der Schule stehend, dem fran- zösischen Schulunterrichte eine beständige Vergleichung mit den

238

Reftn-aie und Rezensionen, A. Western,

älteren und ältesten Entwickelungsstufen dieser Sprache auf- nötigen möchten.

Es kann nur gebilligt werden, dass Herr Plattner darauf verzichtet, unsere sämtlichen Fremdwörter auf ihr Verhältnis zum Französischen hin zu prüfen. Die Wissenschaften und Erfindungen unseres Zeitalters haben in allen Sprachen Europas in üppiger Fülle eine schier unabsehbare Menge von Bezeichnungen hervor- gebracht, die meistens aus griechischen und lateinischen, auch aus französischen und englischen Wörtern oft in seltsamer Weise abgeleitet worden sind. Man würde sieh über diese nicht immer schönen Bildungen noch zu trösten wissen, wenn man nur sicher sein dürfte, dass sie überall dieselben sind. Die Gelegenheit zu einheitlichem Vorgehen ist hier bis jetzt versäumt worden und es scheint fast, als ob sie auch in Zukunft nicht immer be- nutzt werden sollte.

Die von Herrn Plattner gegebene Auswahl ist reichhaltig genug und enthält wohl manches Wort, das beim Unterricht kaum jemals vorkommen dürfte oder mit leichter Mühe ver- mieden werden könnte. Die meisten der hier vorgeführten Wörter gehören eben nicht der allgemeinen Sprache des Umgangs oder der schönen Litteratur an, sondern sind Fachausdrücke eines eng umgrenzten Einzelgebietes. Wenn man freilich die Termino- logie einer bestimmten Wissenschaft nachprüft, so wird man bald dieses oder jenes Wort vermissen, ohne dass man darum be- rechtigt wäre, dem Verfasser einen Vorwurf zu machen. So scheint z. B. die Liste der matheaiatischen Wörter für den vor- liegenden Zweck mehr als ausreichend zu sein. Wer dagegen jemals auf den Einfall kommen sollte, deutsche Knaben die Mathematik in- französischer Sprache lehren zu wollen, würde es oft zu bedauern haben, dass in dieser Sprache Wörter für Minuendus, Subtrahendus , potenzieren, radizieren, quadrieren, Radikandus, Kathete, Planimetrie, Stereometrie, Antiparallelogramm^ Peripheriewinkel entweder ganz fehlen oder von den bei uns üblichen Bezeichnungen verschieden sind.

Zu Ausstellungen bietet diese sorgfältig geschriebene Ab- handlung nur geringen A'nlass. Olympia heisst Olympie; Olympe ist wohl nur Druckfehler. Accusativus cum infinitivo wird jetzt wohl meistens durch accusatif avec Vinfinitif gegeben. Averbo hätte durch temps princtpaux du verbe übersetzt werden können. Der gewöhnlichste Ausdruck für Australien ist Oceanie, so stets in Lehrbüchern der Erdkunde bei Aufzählung der fünf Erdteile. Für Tantieme ist tantüme zum mindesten nicht das allgemein übliche Wort. Da endlich zu miasme die Bemerkung gemacht

0. Jespersen, Fransk Ldesebog efier Lydskrifimeioden. 239

wird, dass es kaum im Singular vorkomme, so sei auf II 525 der Zeitschrift verwiesen, wo zwei Stellen aus Victor Hugo angeführt werden, in denen dies Wort im Singular steht.

E. Weber.

Jespersten, Otto, Fransk Ldesebog efier Lydskrifimeioden, Koben- havn, 1889. Carl Larsen. 145 Seiten klein 8®.

Obengenanntes Buch ist der erste Versuch im Norden rein phonetische Texte für den Schul gebrauch zu liefern. Es besteht aus .58 Seiten Text in reiner Lautschrift, 14 Seiten in gewöhnlicher Ortho- graphie mit interlinearer Lautschrift und 20 Seiten ohne solche. Weiter folgen Glossen und Erläuterungen zu den einzelnen Stücken sowie das Wichtigste von der Grammatik der gesprochenen Sprache.

Von den Lesestücken in reiner Lautschrift machen kleine Reime und Gedichte etwa die Hälfte aus, während in dem späteren Teile des Buches die prosaischen Stücke das Übergewicht haben. Man kann natürlich darüber streiten, ob es vorteilhaft ist, so viel Gedichte in ein Buch für Anfänger aufzunehmen. Wir glauben, es kommt darauf an, ob das Buch für ganz kleine Anfänger oder für schon etwas ältere Schüler bestimmt ist. Ist ersteres der Fall, so ist es gewiss nur zu billigen, dass Kinderreime und entsprechend leichte Gedichte einen grossen Teil des Inhalts bilden; denn diese sprechen den kind- lichen Geist ganz anders lebhaft an, als die mehr dürren Prosastücke. Sind die Schüler dagegen älter, und haben sie schon eine oder zwei fremde Sprachen betrieben, so empfehlen sich, wie wir glauben, Ge- dichte weniger. Dagegen wird man wohl leicht darüber einig werden, dass selbst für reifere Schüler leichte Gedichte sich als Anfangslektüre sehr gut eignen, um eine gute Aussprache einzuüben, da sowohl Metrum wie Reim die Bewegungen der Sprechwerkzeuge erleichtern. Da nun Herr Jespersen's Buch eben für kleine Anfanger bestimmt ist, so ist es auch in jeder Hinsicht zu billigen, dass die Gedichte einen so be- deutenden Teil des Inhalts ausmachen. Auch finden wir, dass die ge- troffene Wahl der Gedichte im allgemeinen eine sehr glückliche ist. Solche wie La chevre, SoleÜ et lune, Les cadeanx du jour de Van, Aux enfanis de Cecole, La honne aventure, Le petit mari, La peiiie veuve, Monsieur Baraban, Les mensonges, Les maris, Le livre werden gewiss von der Klasse mit Freude und Begeisterung aufgenommen werden. Als weniger glücklich gewählte nennen wir St. Pierre (S. 22), das wohl nur von katholischen Kindern recht goutiert werden kann, La joie du veuf (S. 39), dessen Humor mehr für reifere Schüler zu passen scheint, Les Couleurs des yeux (S. 41), dessen Inhalt die Kleinen vielleicht zu dogmatisch auffassen könnten, und Vavocai (S. 43), das nur schwer von nordischen Kindern verstanden werden kann, da sich die Advokaten im Norden in ihrer äusseren Erscheinung gar nicht von anderen Sterb- lichen unterscheiden; sie haben weder rabais, noch manches longues, noch perrugues.

Da6 grösste Interesse aber erweckt das Buch nicht durch die Wahl des Lesestoffes, sondern durch die phonetischen Texte. Auch ist es wohl diese Seite des Buches, welche einerseits den grössten Bei- fall, andererseits aber den grössten Vorwurf hervorrufen wird. Die Gegner der phonetischen Methode werden ganz einfach das Buch als wertlos und unbrauchbar wegwerfen, und auch unter den Anhängern

240 Referate und Rezensionen. Kalepky,

werden vielleicht einige nicht mit allen Notierungen zufrieden sein. Die angewandte Lautschrift schliesst sich in allen wesentlichen Punkten an die von Franke in Phrases de tous /e'5 y^wr^ angewandte an. Die Abweichungen sind nicht so bedeutend, dass sie die Benutzung der zwei Bücher gleichzeitig oder nach einander erschweren würden. Da- gegen schliesst sich die dargestellte Aussprache etwas näher an die alltägliche Rede als bei Franke. Dies zeigt sich teils in einer be- schränkteren Anwendung der Bindung, teils in einigen Weglassungen, z. B. von / und r in Wörtern wie table und quatre, sur, 1/ vor Konsonanten.

Es ist natürlich eine Frage, wie weit man in einem Schulbuche die alltägliche Rede oder die mehr soignierte Lesesprache darstellen soll. Es würde gewiss unrichtig sein, den Versuch zu machen, ein photographisch genaues Bild der schnellen Rede darzustellen, und man hat vielleicht nicht mit unrecht dem Elementarbuche Sweet's den Vorwurf gemacht, dass es in dieser Hinsicht weiter geht, als sich für ein Schulbuch eignet.^) Es würde indes ebenso unrichtig sein, die Wörter nur in ihrer isolierten Lautform vorzuführen, denn die Sprache besteht nun einmal nicht aus isolierten Wörtern. Es gilt hier den rechten Mittelweg zu finden, und im allgemeinen scheint Herr Jespersen ihn gefunden zu haben. Jedoch würde nicht viel dadurch verloren gegangen sein, wenn die Präposition snr überall durch si/r wiedergegeben worden wäre, denn die Schüler werden kaum den phonetischen Unterschied zwischen su?' le houlevard und sur mon papier empfinden; auch ist es fraglich, ob die Differenzierung von il und T nötig ist in solchen Beispielen wie il fait tres froid (= %') und il vUest pas tres grand (= ü); es wäre wohl hier das Beste der auch im Buche selbst gegebenen Regel: il vor Vokalen, «' vor Konsonanten zu folgen. Eine Differenzierung, die durch eine einfache Regel nicht klar dar- gelegt werden kann, wird kaum von Nutzen sein, da sie die Schüler nur dazu verleiten wird, die verschiedenen Formen auf unrichtigen Stellen anzuwenden. Aus demselben Grunde ist wohl eile stets durch cel zu bezeichnen, da, wie auf Seite 141 bemerkt wird, die Abkürzung ce' seltener vorkommt.

Was die einzelnen Ausspracheformen im übrigen betrifft, so haben wir nicht viel gefunden, das zum Widerspruche herausfordert. Die Notierung o rwar (au revoir) scheint ein Bischen zu alltäglich zu sein; mdez^ (maison) aber rezS (raisin) ist nicht konsequent, besonders da in maison der Vokal der ersten Silbe wohl gewöhnlich in ge- schlossenes e übergeht; fzä (faisani) findet sich wohl eben in der all- täglichen Rede nicht: eutweaer fsä oder fgzä.

Im Ganzen muss dieser erste Versuch als ein sehr glücklicher bezeichnet werden, und es wäre dringend zu wünschen, dass auch deutsche Lehrer sich mit dem Büchlein bekannt machten, obschon es natürlich für die deutsche Schule nur indirekt verwertet werden kann. Junge Lehrer und Philologen werden daraus auch selbst manches lernen können; es wird in mancher Hinsicht für das Französische dasselbe sein wie Sweet's Elementarbuch fürs Englische.

Fredriksstad. A. Webte RN.

1) D. h. falls man das Elementarbuch als ein Schulbuch ansieht. Dies ist es jedoch wohl nur auf dem Titelblatt, denn in Wirklichkeit wird es wohl meist nur von Lehrern benutzt, und dann kann man dem Verfasser nicht dankbar genug sein, dass er ein so getreues Bild seiner eigenen gesprochenen Sprache dargestellt hat.

W. Mangold und D, Coste, Lehrbuch der französischen Sprache etc. 241

USangold, nnd Coste« ]>•, Lehrbuch der französischen Sprache für höhere Lehr ansialten. Zweiter leil. Grammatik für die obere Stufe. Ausgabe A: Für Gymnasien und Realgymnasien; Ausgabe B: Für Beal-, höhere Bürger- und Töchterschulen. Berlin, 1889. J. Springer. Preis: 1,40 Mk.

Ihrem Lese- und Lehrbuch der französischen Sprache für die untere Stufe höherer Lehranstalten (Berlin, 1886. Springer) haoen die Verfasser nunmehr die versprochene vollständige Schulgrammatik folgen lassen. Die beiden im Titel erwähnten Ausgaben, durch deren Ver- anstaltung recht verschiedenartigen Bedürfnissen genügt werden soll, unterscheiden sich von einander dadurch, dass die für Schulen mit Lateinunterricht bestimmte Ausgabe A eine Einleitung, betitelt „Ver- hältnis zum Lateinischen '*, sowie an verschiedenen Stellen Hinweise auf den lateinischen Sprachgebrauch enthält, die für lateinlose Schulen berechnete Ausgabe B dagegen dieser Zuthaten ermangelt. Der nach- folgenden Besprechung liegt die Ausgabe A als die umfassendere zugrunde.

Die erwähnte Einleitung ist „ein Versuch, einige der wichtigsten Ergebnisse der romanischen Sprachforschung in fasslicher und doch nicht unwissenschaftlicher Foim für Gymnasiasten aufzuzeichnen und dem Lehrer hierin einen Anknüpfungspunkt für weitere gelegentliche Mitteilungen zu geben". Einem solchen Versuch wird Niemand mehr die Berechtigung absprechen. Den reiferen Gymnasiasten über das Verhältnis zweier verwandten, von ihm Jahre hindurch gleichzeitig betriebenen Sprachen nicht aufzuklären, soviel es die dafür zur Ver- fügung stehende Zeit und der Stand seiner Kenntnisse nur irgend ge- statten, hiesse ihm eine der wertvollsten Früchte seiner Arbeit vor- enthalten, ihm eine Gelegenheit zu förderlichster Beobachtung und Vergleichung entziehen. Dem Lehrer aber, welcher ihn zu dieser Thätigkeit anleiten will, wird es erwünscht sein, an eine systematische Übersicht der dabei in Betracht kommenden Gesichtspunkte und That- sachen anknüpfen zu können, und hierfür kann diese der Grammatik vorangeschickte Einleitung als recht zweckdienlich bezeichnet werden. Unter strenger Ausschliessung aller vulgärlateinischen und altfranzö- sischen Sprachformen, gegen deren Einführung in eine Schulgrammatik leicht begreifliche pädagogische Gründe sprechen, bringt die Einleitung das Verhältnis der französischen Sprache zur Lateinischen in der Weise zur Anschauung, dass nach Voranschickung einiger sprach- geschichtlicher Daten der für die Erkenntnis des Neufranzösischen so wichtige Unterschied zwischen mots popidaires und mots savants an zahlreichen neufranzösischen Scheideformen aufgezeigt und hieran der Hinweis auf die Bolle des Akzents beim Übergange lateinischer Wörter ins Französische geknüpft wird. Hierauf folgt eine knapp gehaltene Vergleichung des lateinischen Lautstandes mit dem neu^anzösischen, bei welcher jedoch die Gegenüberstellung von Wörtern, die sich in der aufgeführten Form lautlich nur teilweise, oder gerade in der Haupt- sache, dem Akzent, garnicht entsprechen, wie mori mourir, fuerunt furent, lumen-- lumiere,, recipere recevoir, respond^re repondre, sapien- tem—savant, plungimus plaignons u. a. besser vermieden worden wäre. Der zweite Abschnitt der Einleitung vergleicht den lateinischen Pormen- bestand mit dem französischen, in der Ordnung der Wortklassen. Wenn die Verfasser sich hier scheuen, zu faimasse die synkopierte lateinische Form amassem (für amavissem, welches sie hinsetzen) zu stellen, so scheint mir diese Ängstlichkeit zu weit getrieben. Von

Zschr. f. firs. Spr. n. Litt. XP. ^q

242

Referate und Rezensionen, Falepky,

den Verben auf -er mit dumpfem und geschlofitenem e in der letzten Stammsilbe heiest es § YIII, dass der von der Betonung abhän^ge Wechsel des Stammvokals im Neufranzösischen wieder eingetreten seL Hat ihn denn die Sprache jemals aufgegeben? = Das über die inkohativen Verba IX) Gesagte wird durch das Beispiel floresco, flortä finis, finis schlecht illustriert. De ante (statt de ab ante) als Grundlage für devant ist wohl Druckfehler. Der Abechnitt über das Pronomen wird, wenn die mitgeteilten Angaben nicht unrichtig aufgefasst werden sollen (ich denke an ecce ille => oelui, ecce iste =z ce), einer gründlichen ErUiuterung durch den Lehrer bedürfen, wie sie ja auch von den Verfasflem für die Benutzung dieser keineswegs für das Selbststudium der Schüler geschriebenen Einleitung voraus- gesetzt wird. Ein dritter Abschnitt ,, Wortbildung^ betitelt, stellt die wichtigsten lateinischen Suffixe und Präfixe den entsprechenden fran- zösischen gegenüber und gedenkt auch der Ableitung ohne Suffix, sowie der Wortzusammensetzung. Den Beschlues bildet eine Zusammen- stellung der wichtigsten Vorgänge auf dem Gebiete des Bedeutungs- wandels.

Die eigentliche Grammatik gliedert sich, wie herkömmlich, in Lautlehre, Formenlehre und Syntax. „Die Lautlehre", heisst es im Vorwort, „vermeidet es, auf systematische Phonetik einzugehen, die als solche nicht in die Schule gehört, wenn sie auch dem Lehrer be- kannt sein muss, der sie in der Schulpraxis zu verwerten hat.'' Sie unterscheidet sich nicht wesentlich von dem entsprechenden Abschnitt anderer neuerer Schulgrammatiken ^ macht aber in ihrer zwanglosen Gliederung und der zweckmässigen Auswahl des StofPes einen an- sprechenden Eindruck.

Der Lautlehre, die gelegentlich bereits auf Aussprache und Silbenzählung im Verse Rücksicht nimmt, schliessen sich, etwas mehr als eine Seite füllend, einige Mitteilungen „Aus der Verslehre'' an. Diese vermeiden die Irrtümer, welche noch immer in Schulbüchern über metrische Dinge im Schwange sind (ich denke an die Lehre von französischen Versfüssen oder Verstakten, von den vier Tonstellen im Alexandriner u. a. m.) und bieten dem Schüler alles, was ihm auf diesem Gebiete zu wissen Not thut. Auf S. 25 (unten), sowie im Re- gister unter „Verslehre" vermisse ich den Hinweis auf das S. 57 (oben) über Elision des e bei nachbestelltem le^ sowie auf das Seite 8 (oben) über den Wegfall des flexivischen -s Gesagte.

In die Formenlehre, welche nach der Absicht der Verfasser gleich der Lautlehre nur zur Wiederholung und Vervollständigung einzelner Kapitel des Lehr- und Lesebuches dienen soll, ist der grösste Teil des über die syntaktische Verwendung der Pronomina zu Sagenden mit aufgenommen^ nämlich alles das, was sich den von den Verfassern angestellten Kapiteln der Syntax nicht hat einordnen lassen. Bei dieser Verteilung der Lehre vom Pronomen auf Formenlehre und Syntax hat sich eine gewisse Willkür nicht vermeiden lassen, was auch der Umstand beweist, dass, trotzdem manche GegensfUnde eine dopp^te (das dem Relativ nach totti zur Stütze dienende ce sogar eine drei<- fache) Erwähnung gefunden haben, dennoch die Verweisungen von der Formenlehre auf die Syntax und umgekehrt zahlreicher sind, als im Interesse der Übersichtlichkeit und Bequemlichkeit zu wünschen wäre. Die Verfasser unterscheiden beim Verbum (nach Lücking*8 Vorgange) zunächst lebende und abgestorbene Konjugation, wofür sie den Beifall aller derer ernten werden^ die für die bislang herrschende willkürliche, Lehren und Lernen erschwerende Aufstellung von drei oder mehr regel-

W. Mangold und D. Cosie, Lehrbuch der französischen Sprache etc. 243

mäBsigen Konjugationen weder einen praktischen, noch einen in der Sache liegenden Grund finden können. Sie teilen alsdann die Yerba der abgestorbenen Konjugation (ich würde unbedenklich starke Konju- gation sagen, wie im Deutschen und Englischen) nicht, wie sonst üblich,, nach der Infinitivendung, sondern nach wesentlichen Merkmalen ihrer Stammbildunff in folgende drei Gruppen a) Verba auf -ir ohne Stamm- erweiterung, b) Verba auf -re^ c) unregelmässige Verba auf -ir, -re und 'Oir mit Umlaut und Vokalverschmelzung. Diese Gruppierung hat vor der sonst üblichen nach der Infinitivendung manches voraus ; indes be- kenne ich mich zu der Ansicht (und zwar auf Grund reichlicher Er- fahrung, da ich in mehr als dreitausend französischen Unterrichts- stunden der Einübung der unregelmässigen Verba als hauptsächlichster Aufgabe habe obliegen müssen), dass es für das sichere Können der unregelmässigen Verba weniger auf die feineren unterschiede der Klassifizierung (falls diese nur im Grossen und Ganzen vernünftig ist) als auf festes Einprägen der typischen Formen (nach Art des lateinischen a verho) und auf Sicherheit und Schnelligkeit des Ableitens der übrigen Formen von jenen ankommt, und dass das Nützlichste, was die Schul- grammatik dem Schüler für dieses Kapitel der Formenlehre bieten kann, eine für wörtliches Einprägen berechnete, alles nicht durchaus notwendige ausschliessende Zusammenstellung der Stammformen ist, wie sie z. B. die Schulgrammaiik der französischen Sprache von Ulbrich, oder in anderer Ai-t der dritte Teil des Elementarbuches der franzö- sischen Sprache' von Luppe und Ottens bietet. Im Einzelnen ist an der Formenlehre wenig auszustellen. In § 29 (Stämme auf oy, ay, uy) wäre ein Hinweis auf den mit dem orthographischen Wechsel ver- bundenen Wechsel der Aussprache nützlich. Bei ge'sir fehlt (auch in der Lautlehre) die Erwähnung der unregelmässigen Aussprache des s. Andererseits ist zu bemerken, dass sich viele Kegeln und Angaben durch besonders wohlgelungene Fassung auszeichnen; so namentlich die über Lautverstärkung bei Verben auf -er 28). Der Unterschied, welcher sich mit dem Gebrauch von avoir oder von iire bei intransi- tiven Verben verknüpft, wird durch reichliche Beispiele seinem Grade und seinem Wesen nach zu deutlicherer Anschauung gebracht, als sonst zu geschehen pflegt. Gutzuheissen ist auch die Erwähnung des nicht gerade seltenen Gebrauches des betonten Possessivpronomens ohne Artikel 66), sowie der temps surcompose's 46).

Wir kommen zur Syntax, in welcher, wie die Verfasser sagen, der Schwerpunkt einer systematischen Grammatik für die obere Stufe liegt; und gerade dieser Teil ist auch der eigentümlichste und inter- essanteste der vorliegenden Grammatik. Die Verfasser legen das Hauptgewicht nicht auf die Regeln, sondern auf die in grosser Zahl gegebenen Beispiele. Diese sind fast ausschliesslich dem Dictionnaire de VAcaddmie entnommen, und dass sie sich für die an ihnen vorzunehmende grammatische Beobachtung und Vergleichung besonders gut eignen, muss zugegeben werden. Sie sind kurz, leicht verständlich und be- gflnstigen durch ihren reizlosen, die Phantasie wenig beschäftigenden Inhalt die Eeflexion auf die sprachliche Form in wünschenswerter Weise. Die Kegeln und Beobachtungen, zu deren Veranschaulichung sie dienen, sind mit Verzicht auf peinliche Vollständigkeit des Ge- dankenausdruckes auf die denkbar kürzeste, knappste Form gebracht, oft garnicht in Satzform ausgedrückt, sondern nur mittelst eines Stich- wortes angedeutet; so dass eine weitere Vereinfachung und Kürzung der Regeln, wie sie der Schüler beim Gebrauche anderer Grammatiken behufs leichteren Einprägens und Wiederholens auf Grundlage des

16*

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Referate und Rezensionen, F. WendeWom,

Lehrbuches meist anzustellen gezwungen ist, und wie sie auch der Lehrer nicht verschmäht, hier ausgeschlossen ist. Besonders ansprechend wegen ihrer Klarheit, Kürze und äusseren Übersichtlichkeit (für welche in dem ganzen Buche durch Verwendung mannigfaltiger Typen das irgend Mögliche geleistet ist) ist die Moduslehre, deren Darstellung man in jedem Worte anmerkt, dass sie das Ergebnis praktischer Erfahrung im Unterrichte ist. Durch die Anlage der Syntax nach Redeteilen, statt nach Wortklassen, wird die Übersichtlichkeit und somit die Brauchbarkeit derselben wesentlich erhöht. Nicht unterschätzt darf auch der Reichtum an phraseologischen Gebilden und idiomatischen Wendungen werden, der aus der Wahl der Beispiele fliesst.

Was nun die Fassung der Regeln, die Richtigkeit der Angaben im Einzelnen betrifft, so bedürfen einige Punkte der Berichtigung oder der Änderung. Zu äusserlich ist die Fassung der Regel in § 68, wo von celui'Ci qui die Rede ist, in § 72 (de dcux jours hm), vor allem aber in § 114, wo von dem Konjunktiv in einer gewissen Art von Relativsätzen gesagt wird, er stehe „abhängig von einer Verneinung." Die richtige ErWärung des Sachverhaltes hat; wie den Verfassern ohne Zweifel bekannt ist, Tobler in seinen Beiträgen (S. 99 Anmerkung) gegeben, und sie hätte um so eher berücksichtigt werden müssen, als es sich um eine sehr wichtige sprachliche Erscheinung handelt, die von den meisten Schulgrammatiken, auch den allerneuesten, falsch be- urteilt und dargestellt wird. Zu äusserlich ist auch die mit der vorigen im Zusammenhange stehende Regel 114), welche den Kon- junktiv ait in dem Satze Qui que ce soit qui aii fait cela . . . erklärt. Der nämliche Vorwurf trifft auch die Regel 186): „Nach faire thun steht pour."^ In § 178, wo von dem Prädikatsnomen nach Stre die Rede ist, muss gesagt werden, dass dasselbe, wie im Genetiv, so auch im Dativ stehen kann, wofür der Schüler auf derselben Seite (133) Beispiele sieht. An der Verwirrung, welche der Gebrauch des Terminus „logisches Subjekt" unablässig in der französischen Satzlehre anrichtet, nimmt auch die vorliegende Syntax teil. In § 178 und § 63 werden die Satzglieder lui und moi in den Sätzen c*est lui und dest moi qui vous en reponds (nicht re'pond, wie verdruckt ist) ganz richtig als Prädikat bezeichnet; dagegen werden in § 145 die Sätze c*est nous und c*est vous als Beispiele dafür gegeben, dass „bei doppeltem (!) Sub- jekt das Verbum gewöhnlich mit dem grammatischen, nicht mit Mem logischen, kongruiert." Ähnlich ist folgendes. Als Beispiel dafür, dass ein bei c'esi das logische Subjekt bildender Infinitiv auch ohne de stehen könne, wird 177) der Satz gegeben: Cest trop delibei-er, ü faui agir. Die Verfasser sehen also, wie aus der Regel zu entnehmen ist, deliöerer als das logische Subjekt zu dem Prädikat c'esi trop an, so dass der Satz einem: De'liberer, c'est trop! gleich zu setzen wäi*e. Nun finden sich zwar Sätze dieser Art im XVI. Jahrhundert, wie die folgenden Beispiele lehren, auf die mich mein Kollege Dr. Lohmann aufmerksam macht: Ce seroit chose irop facüe, se faire eiernel par renomm^e (zitiert aus Du Bellay lllustr. II, bei Darmesteter und Hatz- feld, Tdbleau de la liiterature et de la Umgue frangaise au XVl^ siecie, 2töme ^d., p. 275) und C^est trahison se marier sans s'espouser (a. a. 0. S. 269 zitiert aus Montaigne III, 5). Aber sowohl der Sinn, wie der neufranzösische Sprachgebrauch verbieten meines Erachtens die^e Auf- fassung des obigen Satzes. Vielmehr ist trop als adverbiale Be- stimmung zu delihe'rer zu ziehen, und das ce nicht sogenanntes „grammatisches", sondern wirkliches, auf ein Geschehen zurück- deutendes Subjekt. Ist dem aber so, dann ist natürlich trop detiberer

K. A. Martin HarimanfCs Schulatisgaben. Nr. 2. .245

Prädikat zu c^esi, und nicht logisches Subjekt; wie denn auch in dem ganz gleichartigen Satze c*esi iire fou 181) der Infinitiv richtig als Prädikat bezeichnet ist. Wenn nun femer in folgenden Sätzen: // y avaii une fois un rot ei une reine 174). Cest quelque chose que de bien commencer (% 175). 11 me faut cent e'cus 192) die Bezeichnung „logisches Subjekt" (die doch übrigens auch etwas bedeutet und kein leerer, zu beliebigem Gebrauche freistehender Terminus ist) auf so ver- schiedenartige Gedankenglieder angewendet wird, wie un roi ei une reine im ersten Satz, bien commencer im zweiten Satz, und me im dritten Satz, so stimmt dies zwar mit der Darstellungsweise der meisten Grammatiken überein, beruht aber meines Erachtens auf völliger Willkür. In § 147 heisst es (etwas ausführlicher ausgedrückt als im Lehrbuch): „Mit dem Beziehungsworte kongruiert das Verbum des Relativsatzes." Dazu wird unter anderem das Beispiel gegeben: Cest nous qm (die wir) avons remporte la vicloire. Dies Beispiel ist in zwie- facher Hinsicht unrichtig. Erstens ist, wie Tobler (a. a. 0. S, 160 An- merkung) darthut, fwus nicht das Beziehungswort des Relativs, viel- mehr gehört der Relativsatz dieses Beispiels zu den beziehungslosen Relativsätzen (denen auch in dieser Syntax ein Abschnitt gewidmet ist, ohne jedoch das zu vereinigen, was in ihn gehört). Zweitens ist in dem gegebenen Beispiele die Übersetzung des qui durch „die wir" durchaus unrichtig; und es kann den Verfassern, da von den drei ge- gebenen Beispielen keines den in der Regel dargestellten Sachverhalt bestätigt, der Vorwurf nicht erspart bleiben, diejenige Vermengung zweier verschiedener sprachlicher Erscheinungen, vor der Tobler (a. a, 0.) warnt, so weit sie nur möglich ist, begangen zu haben ; denn nur bei wirklicher Beziehung des qui auf das Pronomen (wie sie statt- finden würde, wenn das Beispiel lautete: JNous qui avons remporie la victoire, twus etc.) entspricht das qui einem deutschen „die wir". Indem ich von der Erwähnung kleinerer Ungenauigkeiten im Ausdruck oder in der Wahl der Beispiele zu den Regeln absehe, weil die Ver- fasser dieselben beim Gebrauche ihres Buches selbst entdecken und verbessern werden, setze ich noch die von mir bemerkten Druckfehler her: S. 67 Z. 18 v. u. frt statt gä; S. 92 Z. 3 v. u. ou statt oü; S. 98 Z. 4 V. u. croyez statt croyiez; S. 138 Z. 6 v. u. deployes statt deployees; S. 151 Z. 17 V. 0. guerir statt flrwmr. Unrichtige Interpunktionszeichen stehen S. 71 Z. 5 v. u., S. 92 ^ 2 v. o., S. 140 Z. 6 v. u., S. 154 Z. 18 V. 0., S. 156 Z. 10 V. 0., S. 160 Z. 8 v. o. Kalepky.

Martin Hartmann'a Schvlausgahen französischer Schrift^ steUer, Nr. 2. B^ranger. Eine chronologisch geordnete Auswahl seiner Lieder mit Einleitung und Anmerkungen heraus- gegeben von K. A. Martin Hart mann. Leipzig, 1888. Seemann. XX, 68 S. 8«.

Der Herausgeber denkt sich die Lektüre einer Liederauswahl von ß^ranger in Verbindung mit der von Sandeau's MademoiseUe de la Seigliere als fruchtbringend für die Schule. Und mit Recht, denn beide Stofi^e gehören Schriftstellern derselben Zeit an, welche es auf beson- deren Gebieten zu litterarischer Meisterschaft brachten, und beide ge- währen neben dem poetischen Bildungswerte interessante Einblicke in die Verhältnisse, welche vom alten zum neuen Frankreich hinüber- führen, und sind wohl geeignet das historische Wissen des Schülers

246 Referate und Rezensionen. F, Wendelborn,

über EreignisRe und Ideen der Zeit Napoleons sowie der Restauration zu vertiefen (Vorwort S. VI). Die Einleitung gibt das für das Ver- ständnis der Lieder wichtige aus dem Leben des Dichters, eine kurze Würdigung der Bedeutung B^rangers für das sangbare französische Lied und leider nur allzu kurze Bemerkungen über Böranger's Vers- technik. Der Satz S. XIV u.: „Sein Lieblingsvers ist der dem Volke besonders vertraute Zehnsilbler, der älteste aller französischen Verse u. s. w." bedarf der Verbesserung. Denn erstens ist der französische Zehnsilbler nicht älter als der Achtsilbler, und er ist keineswegs immer dem Volke besonders vertraut gewesen. Er, der im Altfranzösischen der heroische Vers war und noch im XVI. Jahrhundert vers commun hiess, ward in der Folgezeit so gut wie vergessen und ist erst während der dritten Blüteperiode der französischen Litteratur, nicht zum min- desten durch B^ranger, wieder populär geworden. Die Sammlung selbst enthält siebe nunddreissig Lieder aus der Zeit von 1809 1851. Liebes- und Trinklieder sind nicht aufgenommen. Der Text ist mit grosser Sorgfalt hergestellt. Es ist mir nur ein Druckfehler aufgefallen : S. 51 Z. 1 ist zu lesen ßtes statt feUs. Aus pädagogischen Rücksichten werden cestrichen sein Le Grenier Strophe 8, les Gtteux Strophe 14 und le marquis de Carabas Strophe 6. Ob Roger Bontemps Vers 53 perdrez oder, wie Hartmann schreibt, perdez zu lesen ist, vermag ich im Augenblick nicht zu entscheiden. Das Wertvollste der Ausgabe bleibt der Kommentar, welcher gemäss dem Plane der Sammlung als besonderes Heft; dem Text beigegeben ist. Er enthält vor allem sach- liche Erläuterungen und zwar der Art, wie sie uns auch bei Schulaus- gaben deutscher Klassiker willkommen sein würden. Hartmann hat natürlich die Erläuterungen seiner Vorgänger*) benutzt und nicht selten berichtigt, vgl, Anm. zu No. 11, 27, 32 etc. Aber wenn die Anmer- kungen auf eine des französischen Dichters und der deutschen Schule gleich würdige Stufe gehoben werden sollten, blieb viel zu thun übrig. H. hat denn auch neue Quellen zur Erläuterung der Realien durch- forscht, vrie die Korrespondenz des Dichters, die Memoirenlitteratur der Zeit und natürlich die einschlägigen historischen Werke. Er geht dem Ursprung der Lieder nach, er zeigt wie B^ranger gleich anderen Dichtern ältere Lieder benutzte und umschuf, vgl. No. 2, 11 etc. Allerdings ist noch nicht alles ^anz klar, wie z. B. der Ursprung des Liedes, auf welches wahrscheinlich das Abschiedslied der Maria Stuart zurückgeht, auch bedarf noch der Einfiuss La Fontaine's auf B^ranger der Untersuchung, aber es ist doch ein sachlicher Kommentar entstanden, welcher nicht hinter früheren Leistungen des wohlbekannten Verfassers zurückbleibt, und für den alle deutschen Freunde B^ranger's dankbar sein werden. Und der Verfasser hält massvoll zurück mit Mitteilungen, wenn es dem Schüler möglich ist, durch Nachdenken Angedeutetes zu finden (Anm. No. IX etc.). Andererseits benutzt er z. B. die poetische Einkleidung dieser oder jener Stelle um hinzuweisen auf die Verschiedenheit der poetischen Attribute bei antiken und modernen Dichtern, vgl. Anm. No. III. v. 47 über den Schleier der Nacht u. s. w. Hier konnte hinzugefügt werden, dass auch die lateinische Dichtung das Bild noch nicht kennt, obgleich einzelne Poeten der modernen Vorstellung ganz nahe kommen. Ovid schreibt:

1) Es sind noch vier deutsche Schulausgaben von B^ranger er- schienen von: 1) A. Kühne, 2. Aufl. Berlin, 1887. Weidmännische Buchhandlung. 2) L. W. Hasper, ib. 1882. 3) G. Voelker, Leipzig, 1877. Teubner. 4) Jos. Sarrazin, Bielefeld, 1885. Velhagen ft Klasing.

K, A. Mortui Hartmatm's Schulausgaben, Nr. 2. 247

Cum nox nigro polos mvoivit ttmiciu und Silius Italiens: Ei ni caeca sinu terras nox conäerei atro. (Nach G. A. Koch's Gradus adPamassum, Leipzig, 1874, unter nox.) Einzelne Erklärungen, wie diejenigen zu Cheronee S. 70, FMdias, Tyrtee, rihssus S. 64, fattesie TEvangäe II, 15 etc. könnten meines Erachtens in einer zweiten Auflage unbedenklich gestrichen werden. Desgleichen Anmerkung XII 29, wo nur YIII 37 wiederholt wird, oder XXII 80 sabots, worüber schon II 31 gehandelt wurde.

Auch die sprachlichen Anmerkungen sind mit Umsicht abse- fasst. An vielen Stellen verhindert H., dem eine grosse Summe päda- . gogischer Erfahrungen zu Gebote steht, in belehrender Weise eine schiefe Auffassung oder halbrichtige Übersetzung durch eine rechtzeitige Note, und den sprachlichen Eigentümlichkeiten B^ranger's ist er durchaus gerecht geworden (Belege unnötig). Doch könnte insofern hier eine Beschränkung eintreten, als den Ausdrücken, welche der Schüler im Thibaut oder in der kleinen Ausgabe von Sachs genügend erklärt findet, die Aufnahme in die Anmerkungen^) versagt werden sollte. Dahin rechne ich renommer rühmen VI 8, abandanner im Stich lassen XXVIII 41, sauter in die Luft fliegen XXXI 4, miraae Luftspiegelung XX 45, suppot Helfer IV 25, voliiger herumflattem & 6. Siehe auch XIII 47, XVI 49, XVII 43, XXXIV 58 u. 8. w. Ferner glaube ich, dass Schüler oder Schülerinnen, mit welchen man B^ranger liest, fühlen werden, das objet cheri XI 88, daigna me consoier I 2^, faute d*Stre assez granä 1 4 oder fais-nous danser XXIV 7 nicht wörtlich übersetzt werden können. Sie werden auch im Stande sein, dafür deutsche Aus- drücke zu finden, welche in das Kolorit der betreffenden Stelle passen. Der Verfasser wird wohl im Grunde derselben Meinung sein. Meine Bemerkung gilt nur dem Mass der Beschränkung und verkennt nicht, wie schwer es ist, gerade hierin es jedem recht zu machen.

An Einzelheiten bleibt noch folgendes zu bemerken:

I 13 würde ich morgue tranchanie mit Sarrazin (S. 22 seiner Ausgabe) Lieber durch „verletzenden" Dünkel als mit H. durch „ab- sprechenden" Dünkel übersetzen.

II 7 venge heisst „in Schutz nimmt" vgl. vindware in seinen Be- deutungen.

VIII 15. Der französische Adel war vor der Revolution nicht absolut steuerfrei. Vgl. von Sybel oder Gucken.

Den Tadel gegen XIII 35 vermag ich nicht zu teilen.

XIX 7. Dass man bei Pariser Kindern nicht sehr häufig tiefes Katurgefühl finde, glaube ich nicht. Bekannt ist doch der Drang der Pariser an Feiertagen aufs Land zu kommen zum manger gur fherbe. Vgl. auch Bulwer, Night and Morning S. 247. Tauchn. Ed.

XX 2 heisst es: „Wie es scheint, ist B^ranger der erste fran- zösische Dichter, der es gewagt hat, eine Jahreszahl in den Vers zu setzen." Es muss wohl heissen : der erste französische Dichter, welcher es nach der zweiten klassischen Periode wagte u. s. w., denn im Alt- französischen sind Jahreszahlen im Verse sehr oft zu belegen. Vgl. z. B. Philippe Mousket Vers 27530 Qu*en Vom de Pincarnation M. et €C. et vmt et sis SU moru eis rais Loeys.

XXV 27. Der angeführte unterschied zwischen convier und inviter besteht meines Ehrachtens trotz Lafaye nicht. Vgl. auch te fdn Tinvite XIX 56.

^) Bei den Liedern Bäranger^s kann es doch nicht wünschenswert sein, besonders flott zu übersetzen. Vgk Hartmann, Mademoiseüe de h Seigliere S. VI.

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248 Referate und Rezensionen, 0. Glöde,

XXIV 17 hätte wohl die Stellung den persönlichen Fürworts in qui roscUent entendre eine Bemerkung verdient. Vgl. Lücking § 208, 3c.

XXVI 10 sagt H. zu mon lit cheiif: „Mit bten versetzt sich der Dichter im Geiste lebhaft zurück und fühlt die Ärmlichkeit noch einmal mit durch". Das liegt doch wohl nicht alles in Uen. Vgl. 'ähnliche Anm. IV 45, XVIII 43.

XXVII 9 dans Athene. Die Bemerkung könnte etwas weiter ge- fasst noch mehr nützen; denn in dans Vienne XXXIV 31, dans Paris XXXV 33 und dans Saint- Helene XXXVI 15 ist die Präposition nicht durch die Silbenzahl des Verses oder durch zu vermeidenden Hiatus bedingt. Auch die Grammatiken beschränken oft willkürlich den Ge- brauch von dans vor Städtenamen zu sehr. Vgl. Lücking § 458.^) Auf die Schreibung von Athene (ebenso XXIII 34 in der Zäsur) könnte auch bei Jemmape XXII 18 verwiesen werden, wo gleichfalls das s unterdrückt ist, um die in der Sprache bestehende Elision ins Auge fallen zu lassen. V. Hugo gebraucht z. B. oft Londres est als zwei- silbig, der Aussprache gemäss.

XXXV 55 sollte hinzugefügt werden, dass die irdischen Überreste Napoleon's I. 1840 nach Paris überführt wurden und in der Kapelle des Invalidenhötels ruhen.

XXXIV S. 84 0. Die Worte über die Wiederholung am Schluss einer Strophe entsprechen nicht ganz der Thatsache. Vgl. Strophe 10, 8, 2, 4, 13.

Dem vorliegenden Bändchen, welches die Verlagsbuchhandlung wiederum vorzüglich ausgestattet hat, gebührt somit das beste Lob. Wir machen alle Fachgenossen, besonders aber die Herren Studierenden, auf Martin Hartmann's Bäranger - Ausgabe aufmerksam und wünschen ihr die weiteste Verbreitung. F. Wendelboen.

Hobler, £•, Coup d'oeü sur Phistoire de la litierature frangaise. Für den Schulgebrauch. Dessau, 1889. Paul Baumann.

Zu den vielen Grundrissen, Abrissen, Precis der französischen Litteraturgeschichte fügt der Verfasser einen kurzen Oberblick über dieselbe hinzu. Das Büchlein ist für den Schulgebrauch bestimmt und soll wohl dem Lehrer das leidige Diktieren ersparen. Döhler scheint zunächst an Mädchenschulen bei der Abfassung gedacht zu haben, in denen häufiger als in Knabenschulen französische Litteraturgeschichte in einer besonderen Stunde behandelt wird. Eine Schülerin der II. oder I. Klasse soll im Grundriss einen Anhalt für das finden, was der Lehrer vorgetragen hat, also den Namen von Schriftstellern, einige wichtige Daten aus seinem Leben, vielleicht das Todesjahr, das der Zeit seiner grössten Schaffenskraft in den meisten Fällen am nächsten liegt, und die Titel einzelner Hauptwerke. Der Verfasser eines solchen Überblickes hat also auszuwählen für einen bestimmten Zweck, und es ist nur zu natürlich, dass er zuweilen falsch wählt oder anders wählt, als es ein Fachgenosse gethan haben würde. Das wird sich stets nach dem Lehrer richten müssen; man kann nicht viel von einem Mann

1) Auch Lücking's Fussnote 2 zu § 476 betreffs des Gebrauchs von dans vor, singularischen Ländernamen bedarf der Erweiterung, vgl. z. B. Mol., Ecol. d. F, 1 4 biens qü'il s'est en quatorze ans acquis dans l^Amerique odet Michaud, i^« Croisade I (S. 12 Goebel) lorsque les pelerins de PSglise latine, apres avoir traverse des contrees ennemies et couru müU dangers, arrivaient dans la Palestine.

E, Döhler, Coup d^oeü snr Thisioire de la Uiteraiure francaise, 249

reden, von dem man gar nichts oder so gut wie nichts gelesen hat^ von einem Werke, dessen Inhalt man nur aus einer Litteraturgeschichte kennen gelernt hat. Der Lehrer dart deine Kenntnis der Litteratur nur aus der eigenen Anschauung schöpfen, durch fleissiges und ver- ständiges Lesen, die meisten werden auch ein schriftliches Fixieren nicht entbehren können. Je länger man in dieser Weise lehrt, desto grösser wird das Repertoire, aber auch desto schwieriger die Auswahl, desto ernster die Mahnung an den Gelehrten, dass er Lehrer ist und von seinen Schülern verstanden sein will. Nur ein kleiner Bruchteil von dem, was den Litterarhistoriker bewegt, gehört in die Schule; aber dies wenige stellt der Gelehrte lebendiger, mit weiterem Blicke dar als der sich mühsam durch Zahlen und «Titel hindurchfühlende Lehrer, der die Wahrheit seiner Behauptungen nicht zu beweisen ver- mag durch eigene Gründe.

Femer hängt der Unterricht in der Litteraturgeschichte aufs engste zusammen mit der Lektüre, ja an manchen Anstalten wird er direkt in einer Lehrstunde damit behandelt und gewiss mit Kecht, denn die Lektüre ist der Hauptbestandteil des Unterrichts in der Litteraturgeschichte; nach der Anzahl der Lektürestunden, nach den gelesenen Werken, den benutzten Chrestomathien richtet er sich also in erster Linie.

Alle diese Momente hat Döhler beachtet; im einzelnen bemerke ich noch folgendes: S. 6 hätte mindestens noch der Chev. au Hon hin- zugefügt werden müssen. S. 10 wird von Racine gesagt: Racine iomba en disgräce aupres du rot ä cause d'un pamphlet et ne dui plus parmire ä la conr. 11 mourut de chamin en 1699. Der Grund, der hier für die Ungnade Racine's angegeben wird, ist litterarhistorisch wohl nicht stichhaltig. Mir scheint vielmehr jene Angabe wahrscheinlich, dass Racine sich in politische und finanzielle Fragen mischte, was der König durch M™« de Maintenon erfuhr.

S. 10 heisst es von Moli^re: Son grand-pere, ä qui Peducation de Jean avaii ete confiee, la mere etarit morie le menaii souvent au thdäire ei eveiUa ainsi le goüt du jeune komme pour la scene. Dies ist nach den Ausführungen von Mahrenholtz u. a. mindestens sehr zweifelhaft; denn Moli^re's Grossvater soll schon 1626 gestorben sein, wird also den kaum vierjährigen Knaben noch nicht in das Theater mitgenommen haben. Mir scheint Moli^re aus Liebe zur M. B^jart zum Theater gegangen zu sein, nicht, wie EUomire hypocondre sagt, weil er zu keinem vernünftigen bürgerlichen Beruf mehr föhig war, auch nicht durch den täglichen Anblick der Marktspiele der Enfants Sans Souci bewogen, wie Moland und Schweitzer meinen.

Bei der Inhaltsangabe des Tariuffe wird nur gesagt, dass Elmire den Betrüger entlarvt; das Auftreten des königlichen Kommissars hätte hinzugefügt werden müssen. Bei Montesquieu vermisse ich die Con- side'raiions, da die Letires persanes angeführt sind. Das XVIII. und vor allen Dingen das XIX. Jahrhundert sind sehr knapp behandelt. An Druckfehlem sind mir aufgefallen:

S. 3 Z. 6 V. u: (7M statt on.

S. 11 Z. 19 V. o.: hei statt bei.

S. 11 Z. 9 V. u. : casette statt casseiie.

S. 22 Z. 6 V. 0.: Lelorme statt Delorme.

S. 22 Z. 17 V. u,: Delavigne statt Delavigne.

Plus iard ist S. 7, 12, 14, 15, hkn que 8. 16 und tandis que S. 8

in einem Wort gedruckt, vielleicht mit Absicht. /^ ^^ ..

0. Glode.

250 Referate und Rezensionen, /. ffoch,

fikshaefer, Kart, Französische SchiUaramnuUik für die Unterstufen, Zweite Auflage. Berlin, 1889. Winckehnann und Söhne. 251 S. 80. Preis: 2 Mk., geb. 2 Mk. 50 Pf.

Es ist eine unbestrittene Thatsache, dass die Reformgraminatiken bisher verhältnismässig geringen Eingang in den Schulen gefunden haben. Den Grund davon finde ich nicht ausschliesslich in der Gleich- gültigkeit vieler Lehrer, die allerdings bedauerlicherweise immer noch gross ist, auch nicht, wie viele wollen, darin, dass einige Fragen der Reform wirklich noch der Klärung bedürfen. In grösserem Massstabe schreibe ich sie dem Umstände zu, dass in kurzer Zeit zu viel brauch- bare Lehrbücher auf dem Boden der Reform erwachsen sind, und der daraus entstehenden Besorgnis, es könnten bald noch brauchbarere veröffentlicht werden. Ich rechne das Elementarbuch und die mir vor- liegende Schulgrammatik von Schaefer zu den besten aller Hülfsbücher, die bislang von Anhängern einer massvollen Reform geschrieben sind. Wirklich auch hat diese Schulgi*ammatik (ebenso wie der I. Teil der Schulgrammatik für Oberstufen) trotz aller Hindernisse schon die zweite Auflage erleben dürfen, so zwar, dass nunmehr die beiden Abteilungen der ersten Auflage (1887) nach einer Umarbeitung zu einem Buche verschmolzen sind.

Die besonderen Vorzüge der beiden genannten Schaefer'schen Bücher lassen sich kurz etwa folgendermassen zusammenfassen: 1) Zusammenhängende Lesestücke bilden den Ausgangspunkt des Unter- richts für die Aussprache, den anzueignenden Vokabelschatz, die Kenntnis der Formen und die wichtigsten Regeln der Syntax. 2) (jrram- matik und Lektüre greifen beständig ineinander. 3) Das Gedächtnis wird entlastet, das Denken aber geübt durch „Darstellung der inneren Gesetzmässigkeit des Sprachbaues", was für unsere Stufe Ableitung der Formen aus allgemeinen Lautgesetzen bedeutet. Als weiteren Vorzug möchte ich den gründlichen Betrieb der Grammatik und, z. T. im Gegensatz zu Rambeau (s. Zschr. IX 3, 33 fll u. IX ^, 251), die um- fangreiche Verwendung von Übersetzungsübungen aus dem Deutschen hervorheben, in der Art, wie Schaefer sie gibt: zusammenhängende Texte, die inhaltlich interessant sind und sich dabei beständig an das Dagewesene anlehnen.

Im einzelnen möchte ich mich nur gegen die Fassung einiger Regeln wenden. S. 158 wird unter 332 der Unterschied zwischen Imperf. und histor. Perf. klar und verständlich angegeben. Unter 338 heist es dann weiter: Daher steht fast stets das Imperf. c) in Neben- sätzen des Grundes (parce que). Die entsprechende Rubrik für das bist. Perf. ist leer gelassen. Sie würde sehr passend ausgefüllt sein, wenn der Verfasser hinzufügte : Daher steht das histor. Perf. fast stets c) in Nebensätzen der Folge (de sorte que, de moniere que, de fa^on que, si que, teÜement que). Es ist nämbch thatsächüch so, und ganz naturgemäss, wenn auch die Lehrbücher nicht davon sprechen.

Die Fassung der Regel S. 167 unter 853: Es steht der reine In- finitiv S) nach den Verben des Sagens und Denkens wie croire etc. 4) nach den Verben des Wünschens, wie däsirer etc. erweckt die Mei- nung, dass nach den Wörtern des Wünschens der reine Infinitiv mit derselben Regelmässigkeit stehe wie nach den Wortern des Sagens und Denkens. Ich würde vorschlagen: nach folgenden Wörtern des Wünschens oder besser nach folgenden Wörtern der Willensäusserung als Übergang zu der allgemeinen Regel, dass nach den Wörtern der Willensäusserung der Infinitiv mit de steht. Ich würde auch ordnen:

Z. Meigrei, Le Tretie de la Gramm fre FranifOfze, Hrgg, W, Fcerster, 251

Wörter des Denkens und Sagens, nicht des Sagens und Denkens, aus demselben Grunde, aus welchem die Wörter des Bittens hinter den Wörtern des Wünschens aufgezählt werden müssen: das Sagen ist der Ausdruck des Denkens, wie das Bitten der des Wunsches.

E. Magkel.

Melgret, IJoilUl, Le Treue de la grammfre Frar^ofze, Nach der einzigen Pariser Ausgabe (1550) neu herausgegeben von Wendelin Fcerster. Heilbronn, 1888. Henmnger. XXX, 211 S. 8^ Preis: 3,80 Mk. Sammlung französischer Neudrucke, herausgegeben von Karl Vollmöller.

Wenn auch spät (andere Arbeiten nahmen meine freie Zeit völlig in Anspruch), so hoffentlich nicht zu spät kommt diese Anzeige der sorgfältigen Ausgabe eines in mehrfacher Hinsicht interessanten Buches. Denn einmal bietet es uns in einer vollständig durchgeführten pho- netischen Rechtschreibung ein wertvolles Mittel, die Aussprache des Französischen im XVI. Jahrhundert kennen zu lernen; ferner enthält es den ersten Versuch, die Satzbetonung durch Angabe der Tonhöhe der einzelnen Wörter zu bestimmen; und endlich finden wir in dem- selben reichhaltiges Material zur Geschichte der französischen Grammatik.

Obwohl dieses seltene Werk schon in Bezug auf seine Beiträge zur Darstellung der französischen Orthographie und Aussprache von andern (A. F. Didot und Ch. Thurot) gründlich durchforscht ist, wird man Fcerster für seine Separatausgabe dennoch Dank wissen, besonders da sie jeden in den Stand setzt, den Treite in grammatischer Hinsicht auszunutzen, was bisher noch nicht genugsam geschehen ist.

In der Einleitung spricht der Herausgeber zunächst sein Be- dauern darüber aus, dass die so verständige Reformbestrebung Meigret's auf orthographischem Gebiete seiner Zeit so wenig Erfolg gehabt hat, ja sogar als Zielpunkt des Spottes .diente. Doch wenn man jetzt, nach 340 Jahren, sieht, wie wenig Theilnahme diese Bestrebung bei Gelehrten und Gebildeten findet, so wird man auch für die nächste Zukunft kaum eine durchgreifende Besserung der so unnütz erschwerten und prinziplosen Rechtschreibung nach vernünftigen und sprachlichen Gesetzen erhoffen können.

Über die Lebensverhältnisse Meigret's wissen wir herzlich wenig. Dass er aus Lyon stammte, geht aus den Angaben auf den Titeln seiner Werke hervor; ausserdem möchte ich noch darauf aufmerksam machen, dass im vorliegenden Tretie mehrfach in ziemlich auffälliger Weise die Ausdrücke Eion und Lionofs (z. B. 27, 1; 28, 16; 81, 25; 32, 19; 43, 6; 166, 16) in den grammatischen Beispielen benutzt werden; S. 7, 7 steht sogar eine Lyoner Redensart: Mal avize a prov pein&, Meigret dürfte jedoch spätestens 1530 nach Paris gekommcm sein, wo die meisten seiner Schriften gedruckt und verlegt sind. Bald nach 1558 muss er jedoch gestorben sein, da dann sein letztes Werk, die Neuauflage seiner Übersetzung der fünf ersten Bücher des Polybius, in diesem Jahre erschien. Da es in Lyon gedruckt ist, liegt die Ver- mutung nahe, dass er in seine Vaterstadt zurückgekehrt war.

Was seine litterarische Thätigkeit angeht, so besteht sie zu- meist in Übersetzungen lateinischer und griechischer Autoren ; daneben in einigen grammatischen Abhandlungen und Streitschriften etc. Der Herausgeber bringt ein ausführliches Verzeichnis derselben auf S. IX XV, ist jedoch nur in der Lage gewesen, eisen Teil von ihnen

252 Referate and Rezensionen. J. Koch,

selbst ebauaehen. Nachdem er dann das VerhältniB Meigret'n ku Beinen ZeitgenosBen, seinen Freunden und asinen Gegnern daigeBtellt, hebt Fcerster kurz diejenigen Punkte hervor, in denen sich sein Autor von den vorangehenden französischen Gcammatiken, namentlich von der de» Jacobus Silvins unterscheidet, und meint schliesBlich, ihm die Einführung der Apostrophe, der Accente und der Cedille zuschreiben zu müssen. Wie mir jedoch Herr Professor Lamprecht mitteilt, werden diese Zeichen bereits von Geoff ro; Torj in seinem 1529 erschienenen Cfiamp fleury gefordert, einem Buche, weloheä »ich der Herausgeber leider nicht seuist verschafien konnte.

Auf diese Einleitung folgt dann bis S. 196 der Text, aus dem ich einige, für den Autor und seine Eigenart charakteristiBche Stellen anführen machte. In dem ersten Jo' LecUars übe rschri ebenen Ab- schnitte finden wir (S. 4, 30 S.) den sehr vernünftigen Grundsatz: Come tecriture ne foft qe ta sray' imaje de la paroile, a l/otie rpzon on reftmera faof f aouziue, ß eile ne luv ft conforme par vn aff^mbiement de teures eotmenantes ao hatiatfnt de rxi'p. Und ähnlich weiter unten (12, 23 f.): fiy ne feu pottrgof la plume dofiie porter fn fon ecrittttre plus grantle reuerfnc a tantigile, qe ne luy /gt la lang' fn fa pro- nonfia^n. Uemgemäss schreibt Meigret der Auespracne seiner Zeit Znfolge z, B. die gewöhnlich durch au und oi dargestellten Laute ao und of, lässt die im Inlaute verstummten Zeichen einfach fort und setzt fSr die im Auslaute fakultativ verstiiiniu enden e, fund I Apostrophe. Bezüglich der Konsonanten hetsst es (16, 2S): Je f^s . . . soiier . , . toutes confonanles d'un rngme fon auant lautes voyelles. Daher be- zeichnet er sl^mmlOBes s durch f im An- und Inlaut, ^ im Auslaut; stimmhaftes durch z; er setzt durchaus g für den Verachbisslaut, _;' für den Reibelaut; die sogenannten mouilliorten Laute giebt er durch n und / mit einem Häkchen (in FiBrster's Druck durch t ausgedrückt) etc. Inkonsequent ist es dagegen, wenn Meigret den Ar-Laut vor a o u durch C, vor e i y durch q darstellt. Mit Recht wendet er aich aber gegen die sinnlose Nachahmung lateinischer Orthographie und latinisieren de Ausdrücke und Konstruktionen (s. 8. 138 ff, ii. 195). Andererseits sind seinn Kenntnisse in der altfranzSsischen Sprache mangelhafte, woraus ihm aber in Anbetracht des damaligen Standes der Gelehrsamkeit kein Vorwurf gemacht werden soll. So erklärt er %. B. die althergebrachte Schreibung der Imperfektendung -oient. die zu seiner Xeit -o^t tönte, durch Vermischung der Endungen -oinl uud -ient (14, 12 ff.) ; die Plural- formen des Präsens von choir (fhofr) leitet er von einem infimtif inuzite fhauer ab (105, 30); ebenso die von ecrh-e, von ecriuer, von boire, von buner (108, 17 ff.), die von souffrir, von souffrer (112, 17) etc. Die drei Stämme des Verbs aller sind nach ihm (124, 19 f.) vailo, ire und das hebräische Aallac; die Negationspartikel pas soll dagegen das griechische iräf sein (175, 6)!

Im übrigen die auf Priscian beruhende und nach den Redeteilen angeordnete Grammatik durchzugehen , würde hier zu weit führen. Doch mögen einige kurz zitierte, nach Belieben herausgegriffene Stellen über die sonstigen Belehrungen, die uns das Duette bietet, Audeutungen geben, 12, 5. Meigret konstatiert die Auesprache eaje neben (ägej. IS, 34. DerVerf. kennt bereitB die Liaison des n und die des /, doch nicht die des s (vgl. Anm. zn 111, 23). 23, 30. Die Aussprache faitnes ist gewöhnlicher als pfalmes. 30, 32 Als unterscheidende Zahl bei Kegentennamen führt Meigret nur die ordinale mit Artikel an: ^hartes le qmt, g le ßzieme. 31, 1 Zwei Vornamen derselben Person sind wenig gebräuchlich. 4S, 30 u. 49, 17 Das a in lac.

Z. Meigret, Le Tretiede la Gramm fre Frangofze. Brgg. v, W. F(Brster. 253

hanap ist kurz, in läcs, hanäps lang; c, p, q verstiniimen fast vor aus- lautendem s. 52, 10 Die Zahlwörter fofffanf f dis, qaire vins etc. sind beliebter q\s ßUanie, huyiiante. 68, 23; 173, 37; 175, 13 In der Frageform verbindet sich öfters das Pronomen der 2. Pluralis mit dem Verb der 2. Singularis: ö' von' fft cela? 75, 17 Don Einschub des t nach der 3. Sing, derer auf -^* in der Frage vor vokalisch auslautendem Pronomen hält Meigret für unzulässig; besser fyme Von BÜseyme fon (vgl. 192, 20). 82, 4 Je mfme neben mof m§me, 88, 18 ff Meigret verwirft die Flexionsfähigkeit des Part. Perf. bei Reflexiven und nach vorangehendem Objekt. 101, 9 ff. Der Verfasser erklärt den Aus- druck (f§i mof für unlogisch und empfiehlt dafür c^ fvys je. 104, 6 Einige sagen vons statt allons. 104, 17; 106, 4; 107, 14 u. 31 etc. In der 1. Sing. Präs. ist der Abfall des auslautenden s bei mehreren Verben fakultativ ; so veu und veus, puy und puys, f^ und f^s, bo§ und boes etc. 109, 34 Von rompre sind die Formen Je rons, tu rons, ü ront beliebter als rom(s), romt; ebenso spricht man lieber proni statt prompt, tens statt tfmps; übrigens die einzige Andeutung der Nasalierung bei Meigret (vgl. Victor, Elem. d. Phonetik, § 69, A. 5.). 112, 6 u. 122, 25 ferir und seine Formen gehören mehr dem poetischen Gebrauch an. 115, 8 u. 147, 25. Die 3. Plur. des bist. Perf. derer auf -er lautet so- wohl auf -aret wie auf -eret ; die 1. Sing, sowohl auf -e wie auf ey ; die 1. Plur. auf -imes derselben Konjugation (115, 18) wird freilich als falsch verworfen, immerhin aber der Erwähnung wert gehalten. 119, 15. Das Partizip mors von moräf'e wird für besser gehalten, obwohl mordu regelmässiger sei. 121, 14 Prittes und priret (H. P. von prendre) werden den Formen printes und prin(d)ret vorgezogen. 123, 20. Tey paffe (par Paris) ist sicherer als je puys faffe. 125, 10. Neben /aör^y und je faorey (faurai, je saurai) billigt Meigret farey und je farey. 126, 23 ff. Als Imperativformen von alier werden vas und va für die 2. Sg., vo^ze und vofzet für die 3. Sing. bezw. PI. angeführt. 139, 32 Die Pariser Maurer haben liueao und liueler in niueao und miielcr verderbt. 141, 20. Das auslautende s der Partizipien wird bei der Anfügung des Feminin -e zu z, nur ars bildet arfe. 167, 21. Man sagt wohl je fuys §n la Franke, aber es ist eleganter zu sagen je m*^n voes fn Franke. Besonderes Interesse verdient der S. 179 beginnende Abschnitt: Dfs acg^nSy ou tons d§s fyllabes 4r dicgions, in welchem Meigret die Tonhöhe der einzelnen Wörter im Satzganzen untersucht. Er findet, dass dieselbe von der Silbenzahl und von dem Umstände abhängt, ob der Satz nur aus einsilbigen Wörtern besteht, oder ob auch mehrsilbige zu demselben gehören. Bei diesen unterscheidet er wieder solche, deren letzte Silbe betont ist von solchen, die an dieser Stelle ein ton- loses e haben, etc. Seine Aufstellungen veranschaulicht er dann durch Musiknoten; bei den folgenden Beispielen bediene ich mich einer 1, um einen höheren, einer 2, um einen tieferen Ton wiederzugeben. Auf

1818 8189

S. 181 sehen wir: g'ft mon maleur, dagegen ^*ft man frere; ebenda:

8 1 8 18 19 8 18 8

q^t mon ceur; S. 185. Vne fame, gft vname, etc.

Im Vorbeigehen noch die Bemerkung, dass Meigret sich über den Missbrauch der Passionsspieler beklagt (180, 16), eine tonlose Silbe zu accentuieren, wie in Sire PUate statt Pilaie.

Aus dem Kapitel über den Apostroph sei hier erwähnt (192, 20), dass die Apokope des tonlosen e in der Frageform vor vokalisch an- lautendem Pronomen unzulässig ist, z. B. in §yme il? fyme eile? Sie unterbleibt auch besser im Konjunktiv j'uffe und j*aye (vgl. jedoch 146, 19 j^uff'ete, 149, 3 j^uff'eyme) in der Satzpause, und nach Ver-

2&4 ReferaU und Rezensionen. J. Koch,

BchluBilaut + Liquida, wie io entre gUes (vgL jedoch 9, 9 f»tr' ellat; 77. 14 artieT api-gs; 81, 30 ainjomdr'ao' nonu; 86, IT ßii/r' en; 95, 34 raoir' a pari; 106, 2 ßu/r' ajouter; 130, 7 vavtr' imp-e; I6d, 19 efr' ü^fere, etc.).

Den BeachlusB des Buches (S. 197— 211) bilden A.iunerkuageu, in denen Förster zun&chst die GmndHätze erörtert, nach denen er den Text behandelt hat, worauf mehrere Seiten mit nachträglichen BeBtetungen oder den Lesarten des OriginaU folgen, die in der äub-

fabe bereite gebeBsert sind. Waa die erateren angeht, ao wird man em Herausgeber jedenfallB beistimmen, dass grosse Vorsicht in der fioTrektur der zahlreichen Fehler des überlieferten Textes 2U beobachten war, die nicht alle von dem in der neuen Orthographie ungeübten Setzei verechuLdet sein dürften, sondern auch auf lakooBequenzen and der Zulassung von Dop^elformen seitens des Veifaaiers herutten können. Dasa solche thatsächlicli vorkommen, geht aus den ausdrücklichen Worten des letzteren selbst an einigen Stellen hervor; so heisat es 11, 22 ai, ou ay (cor j't ne ffs point de differ^nq' fnlre fi, f y Gr^c); 105, S6 pluuofr ou plouuofr; 174, SO votdontiers ou voulentters, wozu noch die yorhin schon erwähnten Verbalformen wie: j'arof, oa aorof, ou Off (143, 23), Je vof, ov üofs (150, 31), ja vi, ou vis (151, 5), fuffn u und j'uff n u. s. w. kämen. An anderen Stellen drückt sich M. zu unbestimmt aus, als dass man ein festes Prinzip auf seine Worte basieren könnte; so S. 25, l über daa Verstummen von auslautendem s oder z, S, 49 über den Gebrauch von s und z als PluraUeichen. Dennoch glaube ich, dass der Herausgeber in einigen Fällen, wo sich nur vereinzelte Abweichungen ron einer überwiegenden Hehizabl einer Schreibweise finden, und wo die eigenen Worte des Verfassers dies n»he legen, iu der Besserung hätte weitergehen können, als er sich für berechtigt hielt. Z. B. (von vornherein bemerke ich jedoch, dass ich auf eine absolut vollständige Zählung nicht Anspruch erhebe) zeigt es sich, dass die Wörter auf -if in der Regel den Plural auf -ifs bilden (so 10, 38; 40, 7 und 35; 41, 15; 43, i; 61, 3; 70, 12 und 33; 71, 15; 76, 12; 79, 16, ebenda 19 und 21; 164, 14 und S8 etc. etc.), so dasa die seltenen Schreibungen ajfctiz (40, 34), coUgctiz (50, 13) und partiliz (164, 11) danach hätten 'reguliert weiden kOnnen, zumal Meigret nur den Schwund des ä und I vor piuralem -r odei -z kennt ^S. 49). Bezüglich des verstummenden s im Auslaut gilt im allgemeinen, da»s es am Ende der Artikel und der attributiv gebrauchten Pronomina und Zählwöitei duich einen Apostroph ersetzt wird; doch bleibt es fast regelmässig vor Zischlaut lind Vokal; nui in i^ veisohwindet es auch vor leteterem (s. besonders die Paradigmen 5. 142 ff.). Dahei w^en meiner Ansicht nach auch folgende Stellen unbedenklich z,\x bessern gewesen; dev' für deus S. 52, 36 fdeus qatre) und 56, 14 gegen- über 14, 9; 17, 12; 22, 4 und 82; 23, 17; 24, 26; 26, 14; 52, 36; 54, 6 und ebenda 18 und 28; 55, 5; 56, 5 und 15; 57, 1; 85, 19; 144, 12 nnd 14; 193, 16 etc.; iou' fär toKs 46, 26; 51, 22 und 78, 2 gegenOber lou' 46, 31; 48, 7, 20 und 38; BS, 21; 54, 11 und 27; 55, 20; 65, IG; 82, 4 und 10; 89, 34 und 37; 136, 38; 141, 6; 163, 18 und 19; 173, 24; 1T9, 26 etc.; (T in üs vor anlautendem s 80, 25; 102, 14; 146, 25 im Vergleich mit 48, 9; Sl, 23; 67, 2; 80, 13 und 26; 145, 6, 31 and 36; 146, 5 etc.; ebenso filr ff vor Vokal 90, 13 und iis in ff vor Konsonant 20, 29 und 80, l, womit u. a. die zahlieichen Formen in den Paradigmen 142 ff. zu vergleichen wären. 72, 10 ist voyes in voyez zu ändern, besonders mit Rücksicht auf Meigiet's Bemerkung 10, 4. ~ Andererseits wQrde ich allerdings Bedenken tragen, das s in plus, pas, sans, apres

Jean de Mairei, Sophonisbe. Rrgg. von E, Voämöätir, 255

etc. ohne weiteres zu apostrophieren, da hier die Unterlassungen im Text häufiger sind.

Als offenbare Druckfehler oder Versehen betrachte ich dagegen folgende von Fcerster übersehene Fälle: 4, 27 hätte farians nicht in faorions verändert werden sollen, s. 125, 10; 5, 27 bessere in p; 6, 18 l. on peüoft; 7, 5 1. conßdere; 11, 17 grant (s. 24, 17); 11, 33 cor^omtes (vgl. 12, 3); 12, 20 acjourdhui; 14, 9 faqofis; 15, 3 1. aoqel st. aaquel: 29, 37 1. beaocoup st. öeaucoup; ebenso 43, 27 ; 64, 1 ; 76, 3^. 53, 34 1. jfbeffani' f dis (vgl. 52, 12 ff.); 61, 3 lies das letzte Wort dizeme; ebenda 21 aui' vous (vgl. unten 86, 24); 62, 29 1. propos; 70, 29 1. if nams; 73, 24 l. reculii; 80, 3 df tiens st. d§s i.; 85, 11 je f^s st. ie f, (vgL F.'s Besserung zu 94, 27); 86, 24 ürere^ st. tirere' (vgl. 61, 12; 76, 22; 78, 7 Anm.; 172, 26 u. 29); 91, 22 l§' dames st. Ifs d.; 96, 13 Anm. bessert F. ßnififr in ßnifier, lässt jedoch 97, 24 ßnifier; 98, 26 n'oni st. nont (vgl. 99, 3 und F.'s Besserungen zu 43, 19 ; 49, 16; 55, 7; 66, 2 ; 67, 15; 69, 28; 70, 35 u. ö.); daher auch n'a 102, 18; 99, 15 1. Vfrhes st. V^rbes^; 103, 1 scheint mir die Korrektur zu i^ aoires ebenso wahrscheinlich wie 111, 23, da Verstummung des s in diesen Fällen doch nur ausnahmsweise durch die Schrift ausgedrückt wird; 119, 23 regar' oder lieber noch regard, wie es sonst wohl stets lautet; z. B. 120, 34; 121 12, und 16, 122, 6 und 22, u. s. w.; 156, 34 bdiir st. häiir; 161, 34 nou' etyons scheint mir ebenso fraglich wie If^ aoirds (s. 103, 1); 162, 34 1. recomande st. -e; 184, 21 wohl l'aue' st. /'««'; ebenso 190, 26 ft^ stef; 192, 14 confiance st. -(^e; 198, 3 tiire st tüire.

Was schliesslich die Gesamteinrichtung des Textes angeht, so verbot allerdings der Plan der ganzen Sammlung: möglichst getreue Abdrücke der Originale zu liefern, das Hervorheben einzelner Wörter durch den Druck. Dennoch wäre es gewiss manchem, besonders dem- jenigen, der den Treite nur zum gelegentlichen Nachschlagen benutzen will, willkommen gewesen, wenn demselben eine übersichtlichere Gestalt gegeben wäre, da die Kapitelüberschriften hierzu kaum ausreichen. Viele wären daher gewiss dem Herausgeber zu noch grösserem Danke verpflichtet gewesen, wenn er diesem Mangel durch Marginalnoten oder durch ein kurzes Sachregister abgeholfen hätte.

J. Koch.

Malret, JTean lle» Sophonisbe. Mit Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von Karl Vollmöller. Heilbronn, 1888. Hetminger. XLIV, 79 S. 8^. Dieselbe Sammlung.

Obwohl der Sophonisbe Mairet's, trotz mancher wohlgelungener pathetischer Stellen, nach der heutigen Kunstschätzung kein besonders hoher Wert beizumessen ist, so wird der Litterarhistoriker und Sprach- forscher den vorliegenden Neudruck derselben mit Freuden begrüssen, da die Werke M.*s den meisten schwer zugänglich sein dürften.

In der „Einleitung" diskutiert Vollmöller zunächst die Frage nach Mairet's angeblicher deutscher Abstammung auf Grund von Mit- teilungen aus Dokumenten, deren Ergebnis wenig Positives liefert. Weder in Dortmund noch in Ormont, an welchen Orten man nach dem Memoire eines Neffen des Dichters die Heimat seiner Vorfahren ver- muten könnte, lässt sich eine Familie dieses oder eines ähnlichen Namens nachweisen, und auch der S. XLIIl im Nachtrag zitierte Thys Megrait aus Reifferscheid kann nach den bisher bekannten Notizen nicht mit Sicherheit als Ahnherr Mairet*s angesehen werden. Dennoch

256 Ref, u, Rez. J. Koch, Jean de Mairety Sophonisbe,

glaube ich, dass nach den S. VI angezogenen eigenen Worten des Dichters die Herkunft seiner Familie aus Deutschland nicht in Abrede

gestellt werden kann, bis ein positiver Gegenbeweis erbracht ist. ilücklicher ist Vollmöller jedoch im Nachweis des Geburtsjahres Mairet's, als welches das Taufregister von Be6an9on 1604 angibt; der Tag ist vermutlich der 9. Mai (S. IX).

Den übrigen Teil der Einleitung nimmt eine sehr sorgföltige bibliographische Übersicht der Ausgaben von Mairet's Werken ein, von denen ein grosser Teil dem Herausgeber zur Verfügung stand. Auf S. XXX XXXIV finden sich die Varianten von sechs Drucken zu dem der Neuausgabe zu Grunde liegenden Text vom Jahre 1635, die jedoch nur in wenigen Fällen beachtenswerte Lesarten bieten.

Hierauf folgt, nach Vorausschickung der Dedikation, eines kurzen Vorworts und des Privilegs, das Drama selbst, welches übrigens die drei Einheiten noch nicht so strenge durchführt wie der spätere Klassizismus, da die Handlung an zwei auf einander folgenden Tagen (s. z. B. V. 1147) vor sich geht und der Schauplatz in verschiedene Gemächer desselben Palastes (s. z. B. v. 1108 u. 1777) verlegt erscheint.

Zu dem Texte selbst bleibt wenig zu erinnern, da Vollmöller S. XXVII und in den Anmerkungen S. 77 f. einige Druckfehler und Unrichtigkeiten selbst korrigiert. Akt III, Szene 1 hätte vielleicht die Überschrift nach den S. XXXI angeführten Ausgaben in Mafsimsse, Philip (der übrigens im Personenverzeichnis auf S. 8 fehlt), Soldats Romains verbessert werden können. V. 688 schlägt V. in den Anm. die Änderung von je propose in qu^on me propose vor; wie ich glaube, unnötig; denn Belege, di2i,%^ proposer „vorhaben, beabsichtigen '^ heissen kann, bringt Littr? s. v.; so aus Oresme: Je propose iranslater; auch dem Sinne nach schliesst sich dieser Vers der überlieferten Form recht gut dem Vorhergehenden (s. v. 615) an. V. 1285 ist in eftoii ein deutsches i hineingeraten. V. 1497 ist violans mit Rücksicht auf die Schreibungen in vv. 911, 1187 und 1786 wohl in violeftftjs zu bessern. Der 'Halbvers 1532 wäre einzurücken gewesen. Akt V, Sz. 3 und ebenda 6 fehlt die Angabe, dass der in der Überschrift genannte Mefsager dieselbe Person ist, welche sonst mit CaUiodore bezeichnet wird. V. 1606 ist das f in fon aus Versehen fett gedruckt. V. 1760. Die 0 in der Verszahl fehlt. V. 1788 möchte ich mit den anderen Ausgaben (s. S. XXXIV) n^est point st. est p. setzen. Endlich sei noch auf die merkwürdigen Reime 1164/65: feur (sür): douceur, und 1216/17 adueu (= avoeu): veu (vu) aufmerksam gemacht.

J. Roch.

Miszellen.

Zu Mademoiselle de la Seigliere.

Die Leser mögen verzeihen, dass in dieser Zeitschrift noch einmal auf die Schulausgabe des Unterzeichneten zurückgekommen wird. Das wurde von meiner Seite aus auch unterblieben sein, wenn nicht die von J. Aymeric in Heft 2 dieses Bandes veröffentlichte Besprechung in mehr als einer Hinsicht eine Erwiderung herausforderte. Aymeric glaubt be- merkt zu habfen, dass die bisher erschienenen Rezensionen der in Rede stehenden Sandeau-Ausgabe oberfl'achlich sind, und unternimmt es daher seinerseits, eine Rezension anderer Art zu schreiben. Wird nun diese dem Gegenstande einigermassen erschöpfend gerecht? Der Leser möge selbst urteilen. Das was die berührte Ausgabe dieses Lustspiels von den früheren unterscheidet, erwähnt Aymeric mit kaum einem Worte. Dafür heftet er sich an einige Einzelheiten und sucht dem Herausgeber ver- schiedene Fehler, im ganzen elf, und verschiedene gewagte Behauptungen, im ganzen dreizehn, nachzuweisen. Angenommen einmal, Aymeric hätte mit allen seinen Ausstellungen recht, so würde der Herausgeber darnach doch immer noch Grund haben , mit seiner Arbeit zufrieden zu sein. Denn wenn ein geborener Franzose an einem Kommentar, der über siebenhundert Anmerkungen enthält, nicht mehr Fehler als elf findet, und nur dreizehn Anmerkungen von zweifelhafter Richtigkeit, so ist dieses Ergebnis einer offenbar sehr aufmerksamen Prüfong im- merhin beruhigend. Freilich sind die Einwendungen Aymeric's nur in einigen Fällen stichhaltig. So ist ja richtig bemerkt, dass auf S. 25 (nicht 17!) des Kommentars comme nn mouton bfide fälschlich für qu*un m, br. gedruckt steht. Die Billigkeit hätte aber verlang zu bemerken^ dass an der hierher gehörigen Textesstelle die Worte richtig stehen. Dass hride an obiger Stelle tenu pur la bride bedeutet, be- streitet Aymeric, verschweigt aber leider, wie er selbst den Ausdruck auffasst. Es sei hier bemerkt, dass die im Kommentar gegebene Er- klärung von einem Landsmanne des Herrn Rezensenten stammt, der hierüber befragt wurde, da die .Lexika keine Auskunft geben. Mit seiner Kritik der Übersetzung von „Wärmflasche" für bassinoire hat Aymeric vielleicht Recht, nur gibt er auch hier nicht an, welches nach seiner Meinung die richtige Obersetzung sein soll. „Wärmflasche" ist in Deutschland jedenfalls ein viel gebräuchlicheres Wort als „Wärm- pfanne". Der Sicherheit halber fragte der Unterzeichnete in einem der grössten Leipziger Geschäfte für Haushaltungsgegenstände nach einer „Wärmpfanne" und gab dabei die Beschreibung dieses Dinges, wie sie auch von Aymeric mitgeteilt wird. Da stellte sich heraus, dass der Inhaber des Geschäftes von solchen „Wärmpfannen" schlechterdings nichts wusste. Er kannte nur Wärmflaschen und Wärmsteine. 2n S. 41 will Aymeric nicht zugeben, dass huit ein stummes h habe. Nun, im Sinne der rein empirischen Grammatik hat er ja recht, aber sicher nicht vom Standpunkte einer wissenschaftlichen Auffassung der frag- lichen Erscheinung. Das Wort huit, das von octo herkommt, hat ebensowenig ein h aspiree als onze. Wenn man vor diesen zwei Worten nicht bindet und nicht elidiert, so erklärt sich dies einfach daraus, dass die wenigen Zahl werte, welche vokalisch anlauten, in diesen Punkten ebenso behandelt werden wie die grosse Masse, welche kon- sonantisch anlautet. Die Minderheit muss sich auch hier der Mehrheit fügen. Ich hätte geglaubt, durch die ganze Fassung meiner Anmerkung

Zsclir. f. frz. Spr. u. Litt. XK ^n

258 Miszeüen,

vor einer irrigen Auffassung geschützt zu sein. Zu der Stelle auf S. 58: ^La femme q%iü aime: Seine Geliebte. Da das französische Participe pass^ nicht einfach substantiviert werden kann, so muss für unser „GeUebte" eine Umschreibung eintreten,** belehrt Aymeric den Herausgeber, dass es doch recht viele solcher substantivierter Partizipia gibt, wie abrede, communique, regu etc. Diese Thatsache war dem Herausgeber nicht ganz neu. An der fraglichen Stelle handelt es sich aber natürlich nur um das p. p. atme, das durch ein Versehen im Texte ausgefallen ist. Bei einigem guten Willen wird man es vielleicht aus dem Zusammenhange ergänzen. Recht hat Aymeric mit seiner Be- merkung zu: je vous le aonne en cent, und zu siupdfaii. *Weniger aber mit der Besprechung der Stelle: vous le savez bien, que madame de Vauheri h'est pas une belle ätne^ Ich hatte dazu bemerkt, und kann das heute nur wiederholen : „das le vor savez que ist eine Freiheit der Umgangssprache". Fälschlich lässt Aymeric mich dafür sagen: „Das le vor savez ist eine Feinheit der Umgangssprache", und vermutet, dass ich habe sagen wollen: „der Schriftsprache". Ganz und gar nicht! Die in Rede stehende Freiheit gehört sicher ursprünglich der Umgangs- sprache an, und ist von da auch in die Schriftsprache eingedrungen, wie das Beispiel in der R, d. d. m. zeigt. Zu S. 60 tadelt Aymeric die Stelle: Jl est du bois doni on faxt les flütes: er hat einen sanften Charakter". Hierzu sei bemerkt, dass diese Übersetzung wörtlich aus Sachs entlehnt ist. Wenn sie ja auch an sich keinen tadelnden Sinn hat, so kann ein solcher doch durch die ganze Art der Aussprache und Betonung ausgedrückt werden. Unzweifelhaft im Rechte ist Aymeric, wenn er Anstoss nimmt an der Erklärung von: au coin du feu, ebenso wie an der Stelle : firai dxre ä Rome, Es hatte ursprünglich da gestanden je Firai d. ä Ü,

Was nun die Anmerkungen betrifft, die nach Aymeric's Ansicht zwar nicht geradezu irrig, aber doch mindestens sehr gewagt sein sollen, so lehrt ein näheres Hinsehen auch hier, dass die Ausstellungen des Rezensenten bei weitem nicht in allen Fällen stichhaltig sind. So wird auf S. 4 des Kommentar gemissbilligt , wenn bei der Textstelle: Si monsieur veui passer erklärend steht : „Dies ist eine höflichere, im Munde des Dieners angemessenere Form als: Si vous voulez passer^. Aymeric meint: 11 faudrait dire: „Dies ist die einzige im Munde des Dieners bei hohen Herrschaften zulässige Form". Dabei wird nur der eine Umstand übersiehen, dass der Diener an der fraglichen Stelle gar nicht mit hohen Herrschaften redet, sondern mit einem unbekannten jungen Manne, der den Marquis sprechen will. Zu S. 8 will Aymeric nicht gelten lassen, dass ^diäble viel häufiger gebraucht wird als Teufel, wie schon ein Blick auf die zwei Artikel in den Wörterbüchern lehrt." Er will im Sachs gerade das Gegenteil von dem finden, was in der Anmerkung gesagt wird. Nun, ich habe mir darauf hin, obgleich nicht viel darauf ankommt, die Mühe genommen, meine Behauptung an den zwei Artikeln im Sachs nachzuprüfen, und kann nur sagen, dass ich sie bestätigt gefunden habe. Diable ist jedenfalls in viel höherem Grade bei den Franzosen salonfähig, als „Teufel" bei den Deutschen. Ähnlich bezweifelt Aymeric, dass das Wort „Wolf" nicht so viel zur Bildung von landläufigen Redensarten verwandt wird wie loup. Auch hier muss ich aufrecht halten, dass der Artikel hup im Sachs weit mehr solcher Redensarten enthält als der Artikel ^Wolf" ebenda ; jeder Leser, der sich die Mühe des Zählens nehmen will, kann sich davon überzeugen. Von den achtzehn Redensarten mit loup, die in meiner Anmerkung als dem Französischen allein eigen, gegeben werden.

MiszelUm. 259

(wohlgemerkt dies in yonichti^rf durchaus nicht apodiktischer Form !), sagt Ajmeric, dass sie fast insgesamt zugleich auch deutsche sind. Prüfen wir seine Kritik an den einzelnen Fällen: 1) loup de mer Seebär. 2) manger comme un hup wie ein Wolf fressen. Hier hat Ä.ymeric recht. 3) un froid de loup eine Hundekälte. 4) marcher ä pas de loup leise schleichen. 5) les loups ne se mangent pas enire eux eine Krähe hackt der andern nicht die Augen aus. 6) avoir vu le loup mit allen Hunden gehetzt sein. 7) ienin' le hup par les oreüies. Hierfür kannte ich nur die Übersetzung : Zwischen Thür und Angel stecken. Aymeric führt eine wörtlich entsprechende deutsche Form an. 8) se jeter dans la guevle du loup sich in schwere Gefahr begeben. 9) entre cMen et hup in der Dämmerung. 10) en/ertner le hup dans la beraerie den Bock zum Gärtner machen. 11) itre connu comme un hup ohne wie ein bunter Hund (oder: wie ein grüner Esel) bekannt sein. \2) h faim chasse le hup du bois der Hunger treibt den Fuchs aus dem bau. 13) qui se fait brebis le hup le mange. Hier hat Aymeric recht. Mir hatte die Form vorgeschwebt: Wer sich grün macht, den fressen die Ziegen. 14) Dieu garde h lune des hups es ist dafür gesorgt, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen. 15) le hup n'engenSre point de mouton der Apfel fällt nicht weit vom Stamme. 16) Za guen^e est bien forte quand les hups se mangent Tun Cautre Bruderkrieg ist heiss. \1) le hup mourra dans sa peau und 18) quand on parh du hup on en voit h queue. Diese beiden letzten Fälle gehören wiederum zugleich dem Deutschen an. Im ganzen also sind nicht „fast alle^ der ange- führten Beispiele beiden Sprachen gemeinsam, sondern nur fünf unter achtzehn. Auf S. 10 des Kommentars war zu la-bus bemerkt, dass der eigentliche Sinn dieses Ausdrucks fast verschwunden sei und dass sogar ein unten Stehender lä-bas auf Jemand beziehen kann der oben steht. Aymeric sagt hierzu: Je n*ai pas connaissance d'un pareil hngage; en hut cos, ceh ne peut se trouver que dans Cargot^ et non dans un livre classique. Ich Kann sagen, dass ich diesen Gebrauch in Paris mit eigenen Ohren beobachtet habe, und auch andere Leute ausser mir; wenn Aymeric ihn nicht kennt, so ist das schade, beweist aber nichts gegen mich. Gktnz ähnlich sagt er in seiner Rezension^) über Hönncher's Uaudetausgabe , dass er ausser dem Orte Paradou im Kreise Arles keinen einzigen dieses Kamens kenne. Das mag ja sein, beweist aber nur Aymeric 8 mangelhafte Kenntnis. Denn das Dictwnnaire des festes de h RepubUque 7. Auü. verzeichnet auf S. 861 nicht weniger als acht Orte dieses Namens und zwar sämtlich in Südfrankreich gelegen. Unzweifelhaft im Recht ist Aymeric, wenn er auf S. 18 die Wiederirabe achever de faire durch „vollends thun" tadelt. Diese in vielen Fällen richtige Obersetzung passt nicht an der angezogenen Stelle. Anders steht es auf S. 29, wo der Rezensent meine Bemerkung auf- flnreift: „die französischen Richter, die unabsetzbar sind wie bei uns*'. Hierzu sagt Aymeric: M. H. ignore-t-il donc que le ministre de h Justice, Martin FewÜee en fit une he'catombe, ü y a trois ou quatre ans? Wie bei uns ! ! ! Et plüt ä JHeu qu'il en füt ainsi! Sous un gouvemement re- gulier, h remarque serait Juste; sous h Re'publique , c'est comme dans la chanson: Rien n^est sacre pour un pompier. Das ist wahrlich eine seltsame Bemerkung. Zunächst könnte man den Rezensenten fragen, was er denn eigentlich unter einer „regelmässigen'* Regierung in Frank- reich versteht, ob er das auf dem Staatsstreiche beruhende zweite

1) Auch diese Rezension enthält viel Problematisches und Unan- nehmbares. Indessen kann hier nicht weiter darauf eingegangen werden.

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Kaiserreich meint oder die aus der Revolution von 1848 hervorge- gangene zweite Republik, oder das gleichfalls auf revolutionärem Ur- sprünge, beruhende Julikönigtum u. s. w. u. s. w. Thatsache ist jeden- falls, dass alle die verschiedenen Regierungen Frankreichs, welche die Ernennung der Richter durch die Staatsgewalt angenommen haben, den Grundsatz der ünabsetzbarkeit der Richter anerkannten, sogar die zweite Republik, die ihn anfiinglich verwarf. Man hat eben be- griffen, dass eine unparteiliche Rechtspflege diesen Grundsatz notwendig verlängt. Selbstverständlich aber wird er in der Praxis nicht eine absolute Anwendung erfahren, denn man kann z. B. einem Staate nicht wohl zumuten, Beamte zu besolden, die ihn selbst bekämpfen. Darum verlangten Ludwig Philipp und Napoleon III. von ihren Richtern den Eid der Treue, darum hat die Dritte Republik solche Richter, die ihr direkt feindselig gegenüberstanden, zwar nicht einfach abgesetzt, wie Aymeric anzudeuten scheint, sondern entweder vor der Zeit pensioniert, oder sie genötigt, um ihre Pensionierung einzukommen, indem sie die- selben in Stellen versetzte, die geringer dotiert waren als die, welche sie schon innehatten. So verhält sich diese Sache, über die mein französischer Rezensent nicht hinreichend orientiert zu sein scheint. Der Grundsatz der ünabsetzbarkeit des Richters gilt trotzdem auch unter der Dritten Republik, und darum hatte der Herausgeber recht, seine Anmerkung so zu fassen, wie er es gethan hat. Die besonderen Abweichungen, die das Prinzip nicht umstossen sondern lediglich be- stätigen, konnte und musste er an dieser Stelle übergehen. Zu S. 32 „voir du monde, Besuch empfangen", bemerkt Aymeric: Ei pourquoi pas: Besuche machen? Darauf sei erwidert, 1) dass Sachs u. d. W, monde nur die angegebene Bedeutung gibt, und 2) dass es sich im Zusammenhange des Textes nur um das Empfangen von Besuchen handeln kann. Denn es ist da die Rede vom Verhältnisse ^et Familie des Marquis zum alten Stamply. Dass letzterer bei Besuchen, die man auswärts abstattete, mitgenommen wurde, daran ist nicht wohl zu denken. Dagegen war der alte Mann allerdings bei den Gesellschaften zugegen, die der Marquis in seinem Schlosse gab. Zum Überfluss wird die Auffassung des Herausgebers auch noch durch den Roman M^ de la Seiglih'e bestätigt, in dem die betreffende Stelle Kapitel IV lautet: D'abord ioui cdla bten, On recevaii peu de monde: les soirees se pas- saieni en famüle. Siamply e'iaii de toutes les re'unions, choye, gät^ comme un enfani. Das ist wohl entscheidend, und mag dem Rezensenten zugleich zeigen, dass die Vergleichung zwischen Roman und Drama, die er an meiner Ausgabe nicht billigt, unter Umständen doch ihren Nutzen haben kann. Auf S. 37 hat Aymeric an der Anmerkung über die Schlacht bei Fontenoy eine Ausstellung zu machen. In der Rev. d. d. m, von 1884 ist, wie er sagt, nachgewiesen worden, dass die be« kannte Überlieferung von der höfischen Art, mit der diese Schlacht eingeleitet worden sei, in Wirklichkeit nur eine Fabel sei. Der Hinweis ist ja dankenswert, und Herausgeber gesteht ein, dass ihm die Stelle entgangen war. Schade nur, dass nicht auch der Marquis von la Seigliöre den betreffenden Revueband gelesen hatte. Dieser glaubt an die bekannte Überlieferung, wie Sandeau selbst es gethan hat, und darum wird die fragliche Anmerkung im wesentlichen stehen bleiben können. Auf S. 40 liest man: y^donation entre vifs: vif für Lebenden ist ein aus dem Lateinischen stammender Ausdruck der Rechtssprache ^donatio inter vivos, bei *Jusiin, Inst. II. 7). Sonst wird sich vif, lebendig, in der Regel nur auf Sachen beziehen." Dazu sagt Aymeric : Ce terme entre äans nne foule d*expressions pour de'signer des personnes (folgen

MiszeUen. 261

drei Ausdrücke). Hier übersieht der Eezensent, dass ich sage : »in der Regel". Die zitierten PftUe sind mir nicht neu. Der Streit über die Stelle auf S. 55, ob aUei" aux informaiians bedeutet ein Buch nach- schlagen oder sich mündliche Auskunft holen, ist zu müssig und un- bedeutend, als dass es sich verlohnte ein Wort zu verlieren. Die eine Auffassung ist ebenso annehmbar wie die andere. Das wird sich aber nicht sagen lassen von der Stelle auf S. 56. Da sagt nämlich im Texte Helene, die mit einer Zeichnung beschäftigt ist, zu Bemard: Voyez donc, est-ce bien le cours de la rivih-e? Und dieser: Om, Mademoiseiie, c'est le Regen; la grande roule le (raverse, ici, de Nuremberg ä Raiishonne; voHa le clocher du petit tnüage d*EckmÜhl,je le reconnais. Die Anmerkung wies darauf hin, dass cue in diesen Worten liegende geographische Vorstellung nicht ganz richtig sei. „Denn £ckmühl liegt nicht am Regen, der links in die Donau fliesst, sondern weit ab von der Donau, an der grossen Laber, die sich rechts in die Donau ergiesst." Dazu Aymeric: Mais Bemard ne dii pas qu^Eckmühl soit sitnee sur le Regen, Vn iableau coniieni, fimagine, une certame per- spective. Freilich sagt das Bemard nicht ausdrücklich, es scheint aber doch in seinen Worten zu liegen. Denn dass Helene eine Landschaft zeichnet, auf der man zugleich den Kirchturm von Eckmühl, etwa zweiundzwanzig Kilometer südlich von der Donau und die Landstrasse von Nürnberg nach Regensburg nördlich von der Donau bemerkt, das ist nicht recht glaublich. Zum mindesten dürfte der Fehler vorliegen, dass Sandeau Eckmühl und die Landstrasse von Regensburg nach Nürnberg auf ein und dasselbe Donauufer verlegt. Es handelt sich ja, wie Aymeric selbst zugibt, um eine wirkliche Landschaftszeichnung, nicht etwa um eine rein geographische Skizze. Das geht unzweifelhaft aus dem Ausdrucke: Je le reconnais hervor: der Kirchturm ist nicht bloss durch ein Zeichen markiert, sondern in seiner ganzen Eigenart klar erkennbar gezeichnet. Endlich will Aymeric nicht zugeben, wenn es S. 47 heisst: „Der Begriff pairie, wie auch pairiote, patriotisnie war unter der alten Monarchie noch nicht voll entwickelt, da vertrat der König das Vaterland."' Ich gestehe, dass ich hier bei „alter Monarchie" vor allem an das XVII. und XVIII. Jahrhundert gedacht habe. Wie das Verhältnis bei den alten Römern, bei den Galliern und bei den Franzosen des Mittelalters gewesen ist, das ist eine andere Frage. Für die Zeit Ludwig's XIV., d^s Hauptvertreters der alten Monarchie, der vielleicht das Wort: VEtat, f^esl moi nicht gesagt, aber sicher im Geiste desselben regiert hat, für diese Zeit ist die berührte Anmerkung wohl unanfechtbar. Damals begeisterte man sich thatsächlich nicht für das Vaterland, sondern für den König. Im XVIII. Jahrhundert wurde das allmählich anders. Im Jahre 1750 bricht zum erstenmale die französische Akademie mit dem bis dahin beibehaltenen Gebrauche, ^ alljährlich einen Preis auf das beste Lob des Königs zu setzen. Das war ein Zeichen der Zeit, ein Zeichen der Wandlung.

Zum Schluss findet Aymeric meine Ausgabe mr Schüler zu ge- lehrt. Nun, es fragt sich nur, was für Schüler man im Auee hat. Wenn man an Fachschulen denkt, an Gewerbe- oder Handelsschulen, so hat er vielleicht recht. Der Heransgeber denkt allerdings bei seinen Ausgaben an die oberen Klassen von sogenannten höheren Bildungs- schnlen, an deutsche Gymnasien und Realgymnasien, und nach allem, was er bis jetzt in Erfahrung gebracht hat, kann er nicht annehmen, dass seine Ausgaben über den Horizont dieser Schulen hinausgehen. Um die gebotenen Vergleiche zwischen Roman und Drama zu mssen, dazu braucht man keineswegs ein Gelehrter zu sein. Eine unbefangene

fm Miszeäen.

Kritik wird anerkennen, und hart dies auch gethan, dass gerade durch diese Vergleiche für die Erklärung des Lustspieles manches gewonnen worden ist. Ipt denn früher die Stelle vom Ritter von Barbanprä (S. 7 des Textes) allerseits richtig aufgefasst worden? Ich für meinen Teil gestehe sofort, dass ich sie lange Zeit hindurch nur halb ver- standen habe. Hat man denn früher darauf geachtet, um ein anderes von Aymeric gewähltes Beispiel heranzuziehen, dass vingi ans im Französischen als die Blüte der Jugend angesehen wird? Der grosse Sachs vorzeichnet diesen Gebrauch weder unter vingi noch unter an, und darum war es durchaus nicht überflüssig, ihn mit einigen Zitaten zu belegen. Für geborene Franzosen ist das ja natürlich nichts neues, aber meine Ausgabe ist nicht für Franzosen geschrieben, sondern für Deutsche. K. A. Maetin Hartmann.

Auf vorstehende Erwiderung will ich nur eine kurze Antwort geben, bitte aber die Leser, meine Kritik selbst (Zschr. f, fr. Spr, w. Litt. XI ^) lesen zu wollen. Alles, was ich dort gesagt haoe, halte ich aufrecht, ausser der Anmerkung über Paradou, in der ich mich geirrt habe. Hartmann sagt zu mehreren meiner Ausführungen, dass „Aymeric im Rechte ist", bestreitet aber andere Punkte. Er be- hauptet immer noch, dass ein Untenstehender lä-bas auf Jemanden beziehen kann, der oben steht. Ich hatte bemerkt, das sei Jargon- sprache, und das behaupte ich auch noch, bis ich durch Beispiele vom Gegenteil überzeugt werde. Lä-bas ist eine adverbiale Redensart, welche nach Littr^ un lieu moins eleve que celui ou fon est bezeichnet. Wie kann man z. B. von der Strasse nach dem vierten Stock Jemandem zurufen: eh! lä-bas! Das wäre ja babylonische Sprachverwirrung! Aber Hartmann hat das „mit eigenen Ohren beobachtet'^ und „andere Leute auch". Unter diesen „Leuten" ist vielleicht auch „der Lands- mann des Herrn Rezensenten" zu verstehen, „der hierüber befragt", erklärte: mouion bride bedeutet: tenu d la bride. Dieser Landsmann scheint es in seiner Muttersprache nicht weit gebracht zu haben, wenn er statt ienir pa/r (a bride sagt: ienir it la bride. Ausserdem ist es ganz verkehrt, zu behaupten, dass aiissi doux qu*un mouion bride be- deutet: ienu par la bride.

Hartmann hat sich die Mühe gemacht, in ein Geschäft zu gehen, um eine „Wärmpfanne" zu verlangen; und natürlich gab es keine. Wenn Hartmanu in ein Bekleidungsgeschäft ginge und eine Kniehose verlangte, würde man vielleicht auch keine haben, was aber nicht ausschliesst, dass es früher deren gegeben.

Ebendeshalb behaupte ich nochmals, dass bassinoire nicht „Wärm- flasche" bedeutet. Weiterhin will Hartmann, dass der richtige Sinn der Stelle: il esi du bois doni on faii les flüies, sei: „er hat einen sanften Charakter". Es sei diese Übersetzung wörtlich aus Sachs ent- lehnt. Er hätte hinzufügen können, dass Sachs hinzufügt: „sich alles gefallen lassen", was dasselbe ist, was ich, nach Littr^, behauptet habe. Über die Unabsetzbarkeit der Richter und der Redensarten mit dem Worte loup habe ich nichts hinzuzufügen.

Zum Schluss meint Hartmann, ich hätte vielleicht Recht, seine Ausgabe für Handelsschulen zu gelehrt zu finden. Ich will diese Be- merkung nicht als eine Herabsetzung der Handelsschulen betrachten, sonst müsste ich behaupten, dass in Bezug auf französische Sprache die Handelsschulen den Gymnasien nicht nachstehen. Ich finde aber

Miszeäen. 263

die Ausgabe selbst für deutsche Gymnasien zu schwer. Da ich die Ehre hatte, früher an einem deutschen Gymnasium zu unterrichten, so habe ich mir ebenfalls ein Urteil bilden können, was man der reiferen Jugend zumuten kann. Ich wiederhole und das ist mein letztes'iWort in dieser Angelegenheit, was ich in der Kritik selbst sa^e: iravetä exceüent pour les maiires, mais trop ncademique pour les e'leves.

J. Aymebio.

Sehr geehrter Herr Redakteur!

Die Besprechung, welcher ich J. Gutersohn's Gegenvorschläge etc. in der Zeitschrift (XI 2, Heft 2, S. 52—57) unterzogen habe, bringt mir heute auf einer Postkarte nachstehende Mitteilung:

„Durch einen Zufall ist mir Ihre Rezension meiner Geaenvor- schlage etc. zugekommen. Ihr Machwerk ist wirklich so alberner Art, dass es einer eingehenden Widerlegung nicht bedarf, um so mehr, als mir die Hexenküche wohl bekannt ist, welcher der saubere Brei entstammt. Wenn Sie nicht ganz yerblendet wären, so hätten Sie herausgefunden, dass meine ganze Arbeit nichts anderes bezweckt, als dem Lehrer die für die erfolgreiche päda- gogische Arbeit so unbedingt nötige Freiheit der Methode zu wahren gegenüber engherziger Bevormundung seitens der Beamten- hierarchie. Wenn Sie also einen Funken von dem Ehrgefühl hätten, wie es der gerechte Kritiker besitzen soll, so würden Sie es ver- schmähen, mit den gemeinen Waflfen plumper Verdrehung oder Entstellung und seichten Spottes gegenüber einer Arbeit genannter Art zu kämpfen. Da ich aus einem Lande stamme, wo zum Glücke das Wort „Freiheit^ noch etwas mehr Bedeutung hat, als in dem Gehirne eines schulmeisterlichen Pedanten, so kann ich mit der Versicherung schliessen, dass ich Ihre ganze Leistung mit der Ver- achtung betrachte und behandle, die sie unstreitig verdient.

gez.: J. C&tersolm.''

Ich bin bereit, die wörtliche Übereinstimmung vorstehender Ab- schrift mit dem Originale notariell beglaubigen zu lassen. WoUte ich ganz christlich handeln, so begrübe ich die Karte des Herrn Gutersohn wo sie keinen Schaden mehr thun könnte. Allein, wenn ich auch der verehrten Redaktion der Zeitschrift und mir etwas zu vergeben fürchtete, falls ich mit einem Worte nur ihre und meine Redlichkeit gegen Herrn Gutersohn's zarte Winke verteidigen wollte so muss ich doch gestehen, dass ich besorge, es könne völliges Schweigen missverstanden werden, und dass ich (obwohl die Veröflfentlichung der dem stillen Schosse einer Postkarte anvertrauten wohlwollenden Gefühle wiederum davon zeugen könnte, ich besitze nicht „einen Funken u. s. w.** (siehe oben), leider durchaus kein anderes Mittel weiss, um zu zeigen, dass ich Herrn Gutersohn's freundliche Mitteilung erhalten und nach Gebühr gewürdigt habe.

Solingen, 28. Oktober 1889.

P. DÖRB.