— 72 EI eae 4 HE di if — UIL jh Hi ii HAARE NUN CL | 4 a . A ii ju 4 4 LI H ie ti HI NAN Hits ne nn I nu 4 i 4 I Rin a = == AO ARR ss el à i Weert gl u) ji (i i \ sii ji jo iti À 1 fi à! ti AR ANUS { N | Ni IT sur HR. NEO ERROR HT Tilia lalate | vi TA] i et Hi At il ini? Il | Wiser: i Aa | i ih Hill li th Hi) i ie IN () Ki Al siti = = = = 1 Naf DI À EIERN Huf, N Ù ll un ju fi ‚hr Hi | AE MERO a i U HA ne ne High A; HN tti ue ia i HER aaa ln Aut Wale Bai au Ter RE SEO = a a eos di ss NO in Mal HA AE Ki À ait i JR ie | u il) I 4 ii - - i. un ti i ipa vit i. 4 Hi IN if A I Kl, A La I spet i ih is a I ii i il Hi i (NINE N It A Hee in if sì nu Mi it i 1 il { JE BE 4 4 Qi a } ti LIE Bike it) CHIETI fa ni Dis sauts ic tags An Hi si i i {ho hi I ay KENNE if di tel BI i i Bu ie à pat In 4 EAN Ka! ATEN Hs Ah na } 4 I ti ds II rer nt | {1 vf iv ARE. dia] Hi . N i ae ay i a ie i I i ui i ae i i Ian te it Nt eH \ BAR He at nate HAL TORO HA bik ELIO 11! (LARA N ni 53) ti MIE ee LA si TANO i pasti i L ; jun jan ce FA ar iy x; = FREE geo BIETE Hl Me nine pa un Hi N Ich Miti Rd Ha Thi Ma i Li ae 2. i May SRE DAT RATES Hi ju Fab % È dati N 3 ZOOLOGISCHE ANNALEN, ZEITSCHRIFT FÜR GESCHICHTE DER ZOOLOGIE HERAUSGEGEBEN VON GEH. REG.-RAT DR. MAX BRAUN, O. Ò. PROFESSOR DER ZOOLOGIE UND VERGL. ANATOMIE UND DIREKTOR DES ZOOLOG. MUSEUMS IN KÖNIGSBERG I. PR BAND V. WÜRZBURG. VERLAG VON CURT KABITZSCH, KGL. UNIVERSITÄTS-VERLAGSBUCHHÄNDLER 1913. Druck der Königl. Universitätsdruckerei H. Stürtz A. G., Würzburg. Cummings, Bruce F., A biographical sketch of Col. en en Pa halte (1755—1815), ste field zoologist Hilzheimer, Dr. Max, Überblick über die he de Haustier forschung, besonders der letzten 30 Jahre Kohlbrugge, J. H. F., Historisch-kritische Studien n ete AL Naturforscher. Schmid, Dr. Georg, Die angeblichen Gorillas in i Bericht Schulze, Franz Eilhard, Nomenclatur animalium generum et subgenerum Mit 2 Tafeln Steier, Dr. August, Die Tierformen des Plinius — Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius . Ziegler, Prof. Dr. H. E., Uber die neue Nomenclatur Besprechungen Seite Die Tierformen des Plinius. Von Dr. August Steier, Würzburg. tenderà Jahre liegen zwischen ARISTOTELES und PLINIUS und in diesen Zeitraum fällt die beispiellose Expansion des Römerreiches, das zu Puinivs’ Zeit außer den Mittel- meerländern auch weite Gebiete von Germanien und Britannien umfaßte und im Osten fast bis zum Euphrat reichte. Wieviel enger begrenzt war das Faunengebiet, dessen Formen in den Werken des ARISTOTELES uns entgegentreten! Außer Griechenland, dessen Fauna zwischen der gemeineuropäischen und kleinasiatischen steht, — Schakal (Canıs aureus), Bezoarziege (Capra aegagrus), Chamä- leon (Chamaeleon vulgaris), Gecko (Zarentola mauretanica) stellen heute die Verbindung mit Asien her!) — kommen nur die Inseln und Randgebiete des östlichen Mittelmeeres in Betracht. Denn die Ansicht, daß der Zug Alexanders des Großen nach Asien eine hervorragende Bedeutung für die Erweiterung antiker Tierformenkenntnis gehabt habe, findet in neuerer Zeit wenig Anhänger mehr. Sie beruht auf einer Mitteilung des Puinius (lb. 8,44) wonach ALEXANDER für seinen Lehrer ARISTOTELES ge- radezu zoologische Stationen organisiert und ihm so die Durch- forschung des aus den eroberten Gebieten stammenden zoologi- Materials in bequemster Weise ermöglicht haben soll. Allein diese Mitteilung findet weder im Tierbestand des ARISTOTELES, in dem vorderasiatische und indische Tierformen nur eine sehr unter- geordnete Rolle spielen, eine Bestätigung, noch auch macht es das Verhältnis ALEXANDERS zu seinem ehemaligen Lehrer, das seit der 1)-Vel. TH. v. HELDREICH, La Faune de Grèce. Athen 1878. Das Werk selbst war mir leider nicht zugänglich, ich kenne es nur aus einem Auszug von O. KELLER in Bursian’s Jahresberichten Bd. 19. 1879. Zool. Annalen V. 1 — 49 — 2 Steier, Die Tierformen des Plinius. Thronbesteigung des jungen Fürsten sehr kühl geworden war, wahrscheinlich, daß ALExANDER eine solch kostspielige Organisation veranlaßt haben sollte. ; Viel günstiger lagen sicherlich die Bedingungen, den Kreis bekannter Tierformen zu erweitern, für die Römer, wenn nur das wissenschaftliche Interesse an der Tierwelt noch auf der gleichen Höhe gestanden wäre wie zu Zeiten des ARISTOTELES. Schon die Befriedigung der Schaulust des römischen Stadtvolkes verlangte, daß immer neue Tiere für die Spiele im Zirkus her: beigeschafft wurden, nicht minder aber war es das wachsende Raffinement der römischen Lebenshaltung, das zur gewinnreichen Jagd nach neuen Leckerbissen für die verwöhnten Gourmands antrieb. Auf diesen Wegen hat sich die Kenntnis der Tierformen tatsächlich erweitert und dazu kamen noch die mehr oder minder genauen Berichte von Leuten, die als Offiziere, Beamte oder Kaufleute Teile des provinzialrömischen Gebietes kennen ‘ gelernt hatten und auch an der Tierwelt jener Länder nicht ganz achtlos vorübergegangen waren. Spärlich genug freilich ist der Niederschlag solcher Beobachtungen in der Literatur, noch spär- licher die Summe der Mitteilungen, welche Pzinius, den seine amtliche Tätigkeit auch in germanische Länder führte, auf Grund eigenen Augenscheins zu geben hat. Trotzdem ist PLinıus in dem Wahn befangen, daß sich die zoologischen Kenntnisse seiner Zeit wesentlich über die des ArisroreLes und der Griechen über- haupt erheben und an einer Stelle, die gewissermaßen als sein Arbeitsprogramm gelten kann, betont er nicht ohne ein gewisses Selbstgefühl, dal er die Absicht habe, seine Leser mit neuen Forschungsergebnissen der Zoologie, welche ARISTOTELES nicht kannte, bekannt zu machen und diese seinen Auszügen aus den Schriften des Aristoteles einzufügen (lb. 8,45 (44 Mayhoff): Quae a me collecta in artum cum iis, quae (Aristoteles) igno- raverat, quaeso, ut legentes boni consulant, in universis rerum naturae operibus medioque clarissimi regum omnium desiderio cura nostra breviter peregrinantes). Daß die hier angekündigten „neuen Tatsachen der Zoologie“ weniger in der Richtung physiologischer und anatomischer For- schung als vielmehr auf dem Gebiete der Formenkenntnis und der biologischen Beobachtung liegen werden, ist nach dem da- maligen Stande der Zoologie nicht anders zu erwarten. Steier, Die Tierformen des Plinius. 3 Den bei Pinus gegenüber ARISTOTELES neu auftretenden Tierformen nachzugehen, ist der Zweck vorliegender Unter- suchung. Zwar ist der Bestand der den Alten bekannten Tier- formen im allgemeinen bekannt!), auch haben einzelne Tierformen und Tiergruppen da und dort eine umfassende Bearbeitung ge- funden, allein noch fehlt es an übersichtlichen und erschòpfenden Darstellungen der Tierbestände einzelner Autoren, aus denen der Zoologiehistoriker die Entwicklung der Tierformenkenntnis ersehen könnte. Für ARISTOTELES besitzen wir eine solche vorbildliche Arbeit in den Tierlisten, welche AusEerT-WımmEer ihrer Ausgabe der Historia animalium beigegeben haben, dagegen liegt für Puintus nichts Ähnliches vor. Noch weniger bekannt ist es im einzelnen, wie sich der Tierbestand des Pıinıus zu dem des ARISTOTELES ver- hält, welche Tierformen beide Autoren gemeinschaftlich aufführen, welche hinwiederum erst mit Punius in die Literatur eintreten und welche etwa seit ARISTOTELES der Literatur wieder verloren gegangen sind. Auch für die Vergleichung und Wertung der mittelalterlichen Zoologie, wie sie besonders durch ALBERTUS ver- treten ist, wird die Beantwortung dieser Fragen den Boden schaffen. Eine große Schwierigkeit liegt freilich in der Identifizierung der antiken Tiernamen. Denn abgesehen davon, daß die Tier- beschreibungen alter Autoren nur selten so ausreichend sind, daß sie eine ganz sichere Bestimmung ermöglichen, stellen die antiken Tiernamen fast durchweg vulgäre Bezeichnungen aus der Sprache der Fischer, Jäger, Auguren u. a. dar, die wie auch heute noch in verschiedenen Gegenden oft ganz verschiedene Tiere bedeuteten. Bietet also schon die Bestimmung der von 1) Voll von Lücken und Fehlern ist die von Carus, Geschichte der Zoologie (S. 39—56) zusammengestellte, von ihm selbst als „flüchtige Musterung“ bezeichnete „Übersicht der den Alten bekannten Tierformen“. — Sehr verdienstvoll ist dagegen die wegen der erschöpfenden Literaturangaben und Heranziehung der einschlägigen Tierdarstellungen auf Denkmälern und Münzen besonders wertvolle Arbeit von OTTO KELLER, Tiere des klassischen Altertums in kulturgeschichtlicher Beziehung (Innsbruck 1887), in der einige Säugetiere durchs ganze Altertum hindurch verfolgt sind, sowie des gleichen Verfassers neuestes Werk: Die antike Tierwelt, I. Band: Säuge- tiere. Leipzig 1909. Ferne nenne ich die S. 36 angeführte Dissertation von G. Mon- TIGNY, das bekannte Buch von Victor HEHN, Kulturpflanzen und Haustiere etc. sowie die zwar brauchbare, aber recht willkürliche und lückenhafte Zusammenstellung von zoologischen Notizen antiker Autoren von H. O. Lenz, Zoologie der alten Griechen und Römer, Gotha 1856. 1* 4 Steier, Die Tierformen des Plinius. einem Autor aufgeführten Tiere oft große Schwierigkeit, so wird die Sache noch verwickelter, wenn es sich darum handelt die Identität griechischer und lateinischer Tiernamen, also hier die Tiernamen des ARISTOTELES und Puinius festzustellen und sie zu deuten. Besonders schwierig, ja oft unmöglich ist es gerade die von Puinius aufgeführten Tiere zu erkennen, da er infolge der oft eilfertigen Benützung verschiedener Autoren nicht selten das gleiche Tier, ohne es zu merken, nach verschiedenen Quellen mit verschiedenen Bezeichnungen einführt und, was noch schlimmer ist, die Angaben seiner Quellen oft so konfundiert, daß eine einiger- maßen sichere Deutung auf sie nicht aufgebaut werden kann. Immerhin sind solche Fälle nicht so häufig, wie es nach den Ausführungen TascHenpere’s!), der sich mit der Deutung der Spinnentiere gerade eines der heikelsten Gebiete gewählt hat, scheinen möchte und seine Warnung, den Angaben des Puinius zu trauen, dürfte in dieser allgemeinen Fassung doch übertrieben sein. Sondert man die Spreu vom Weizen und berücksichtigt man die Arbeitsweise des Puinius, dessen vielseitiges Interesse nicht allen Gebieten gleichmäßig zugewendet sein konnte (vgl. oben S. 2), so wird man neben den vielen Unklarheiten, Ver- worrenheiten und Irrtümern doch eine nicht zu unterschätzende Summe von brauchbaren zoologischen Angaben finden. Schließlich ist es eben, um die zoologischen Ansichten des Altertums beurteilen zu können, auch notwendig die Tiere zu kennen, von welchen die Rede ist. Darum kann die Zoologie-. geschichte dieses freilich recht sterile Feld nicht unbebaut lassen, wenngleich man sich sagen muß, daß die Resultate sehr oft der aufgewandten Mühe nicht entsprechen. Wenn man von spielerischen Bestimmungsversuchen früherer Autoren absieht, die Cuvier mit Recht „Piloten, die auf hohem ‘ Meer ohne Kompaß und Stern segeln“ genannt hat, so kommen außer Cuvier selbst, der der antiken Zoologie großes Interesse entgegenbrachte, vor allem die neueren Arbeiten von AUBERT- Wimmer, FRANTZIUS, SUNDEVALL?) und. J. B. Meyer in Betracht, welche gewissenhafte, sprachlich und zoologisch gut fundierte Deutungen der bei ARISTOTELES genannten Tiere bieten. Daß viele dieser Deutungen nur den Wert von Wahrscheinlichkeits- 1) O. TASCHENBERG, Bemerkungen zur Deutung gewisser Spinnentiere. Zool. Annal. Bd. II. H. 4. 1908. p. 213. 2) Cart J. Sunpevarr, Die Thierarten des Aristoteles. Stockholm 1863. Steier, Die Tierformen des Plinius. 5 diagnosen haben können, ist ebenso begreiflich wie die Tatsache, daß sie oft recht weit voneinander abweichen. Ein neues Moment für die Tierbestimmung hat Orro KELLER herangezogen, indem er in seinen S. 51 erwähnten Arbeiten auch die Denkmäler, deren Benützung freilich nur insoweit möglich ist, als die Tiere in der Kunst dargestellt wurden, für die Be- stimmung der Säugetiere verwertete. Was nun die Bestimmung der Plinianischen Tiernamen an- langt, so kommt hier der Umstand zu statten, daß sich Prinius — ob mit direkter oder indirekter Benutzung tut hier nichts zur Sache — häufig so eng und genau an die Tierbeschreibungen des ARISTOTELES anschließt, daß man nicht selten, wenn die Bestim- mung eines Tieres bei ARISTOTELES durchgeführt ist, diese für PLinius herübernehmen darf. Von diesem aus ARISTOTELES über- nommenen Tierbestand hebt sich aber eine Reihe neu auf- tretender Tierformen ab und diese allein sollen hier be- arbeitet werden. Drei Punkte möchte ich noch besonders hervorheben. ı. Das Ziel der Untersuchung soll nicht etwa eine kritische Revision der Bestimmungen der aufgeführten Tiere sein, die zum größten Teil auf längst mehr oder minder feststehenden Ergebnissen fußen. Zwar habe ich die Möglichkeit und Wahr- scheinlichkeit der verschiedenen Deutungen stets kontrolliert, bin aber zur Überzeugung gekommen, daß es bei der Dürftigkeit der Angaben sehr oft unmöglich ist und immer unmöglich bleiben wird, eine allen Einwendungen und Zweifeln standhaltende Deu- tung zu treffen. Den Schwerpunkt der Untersuchung habe ich vielmehr auf den Nachweis der Veränderungen gelegt, welche der Tierbestand des Pımws gegenüber dem des ARISTOTELES aufweist. 2. Dabei weiß ich wohl, daß meine Untersuchung die Frage nach den beiden Tierbeständen nicht restlos lösen kann, teils wegen der oben betonten Schwierigkeit der Identifizierung der Benennungen, teils auch deshalb, weil es gar nicht sicher ist, daß ARISTOTELES alle ihm bekannten Tierformen in seinen Werken wirklich aufgeführt hat, wenngleich die Tiere, die er kannte ohne sie zu nennen, recht wenige sein werden. 3. Eine Gegenüberstellung der vollständigen Tierlisten beider Autoren würde zwar die beste und vollkommenste Mög- lichkeit der Vergleichung ergeben; da jedoch infolge der eben 6 Steier, Die Tierformen des Plinius. berührten Abhängigkeit des Pinus der weitaus größte Teil seiner Tierformen mit solchen des ARISTOTELES identisch ist, würde bei dieser Art der Bearbeitung eine bloße Wiederholung der meisten Tiernamen, wie sie in den Listen zur Historia animalium von AUBERT-WIMMER zusammengestellt und bestimmt sind, nicht zu umgehen sein. Die Folge wäre dann ein unverhältnismäßiges Überwiegen von längst feststehenden Ergebnissen gegenüber den neuen Resultaten und für den mit der Materie Vertrauten würden solche vollständigen Verzeichnisse eine Menge Ballast enthalten. Deshalb mußte ich mich entschließen aus meinen für alle Tierkreise angefertigten und wiederholt nachgeprüften Ver- zeichnissen hier nur die bei PLinius gegenüber ARISTOTELES neu auftretenden Tierformen zu bringen und erspare so dem Leser die oft weiten Umwege, die mich zu den Ergebnissen geführt haben. Der Kundige wird sie auch so erkennen und wissen, daß ohne genaue Kenntnis der Gesamtbestände beider Autoren keine Ausscheidung der neuen Formen möglich war. Er wird sich auch durch Heranziehung der Tierlisten des ARISTOTELES bei AusertT- Wimmer leicht ein vollständiges Bild vom Tierbestand des PLinıus machen können. Säugetiere. Der bedeutendste Zuwachs an neuen Tierformen entstammt dem Kreise der Säugetiere. Wenn ich diese trotzdem nur tabel- larisch aufführe ohne, wie es für die übrigen Tierformen nötig werden wird, die Bestimmungsfrage aufzurollen und die Grund- lagen, auf denen die Bestimmungen aufgebaut sind, zu erörtern, so geschieht es deshalb, weil sie bereits in O. KeLLER°s vor kurzem erschienenen Werk „Die antike Tierwelt“ ihre Bearbeitung ge- funden haben. Zwar sind die Bestimmungen KELLERS in seinem älteren Werke ,,Tiere des klass. Altertums usw.“ das sich freilich nur auf einen beschränkten Kreis von Säugetieren bezieht, viel methodischer durchgeführt und auf einer viel breiteren Basis auf- gebaut als in seiner „Antiken Tierwelt“, da jedoch eine genaue Vergleichung meiner Bestimmungsresultate, die längst vor dem Erscheinen von KeLLeRs Buch fertig vorlagen, in den meisten Fällen eine völlige Übereinstimmung ergab, glaubte ich für die Säugetiere lediglich die Namen jener Tiere mitteilen zu sollen, welche bei PLinıus gegenüber ARISTOTELES neu auftreten. Die Reihenfolge ist der Übersichtlichkeit halber die alphabetische. DA UO Ww-bd DI uu 2 3) Steier, Die Tierformen des Plinius. 7 . addax (sive strepsiceros) Mendesantilope, Addax naso- maculatus Gray. . alces (sive achlis) Elch, Cervus alces L. . aries (sive orca) Schwertwal, Orca gladiator Gray. . axis (fehlt bei Kerrier) ? Indischer Hirsch, Cervus axıs ERxL. belua pecori similis Dugong, Zahcore dugong Quoy et Gaim. . bos Indicus camelorum altitudine? Gaur oder Arnibüffel. . callithrix (simia) Guereza, Colobus guereza Rüpp. . camelopardalis Giraffe, Camelopardalıs giraffa Schreb. . chama (sive chaus, rufius, lupus cervarius) Europ. Luchs, Felis lynx L, . catoblepas Gnu, Catodblepas gnu Sund. . crocotta wahrscheinlich gefleckte Hyäne, //yaena crocuta Zimm. . cuniculus Kaninchen, Lepus cumiculus L. . dama Afrikanische Antilope. Näher nicht bestimmbar. . eale wahrscheinlich Afrikanisches Nashorn, Ahrnoceros bicornis L. . elephas Afrikanischer Elefant, Alephas africanus Blbch. (ARISTOTELES kennt nur den indischen Elefanten.) . elephantus (in Santonum litore) ? Pott- oder Finnwal, ? Walroß. . ibex Steinbock, Capra zbex L. . #ÿnos (cephus) wahrscheinlich Gorilla. . leucocrotta wahrscheinlich Schabrakenhyäne, //yaena brunnea Thunb. . lepus candidus Schneehase, Lepus variabilis Pall. . lycaon Hyänenhund, Canıs pictus Desm. . meles Dachs, Meles faxus L. . mus Alpinus Alpenmurmeltier, A7c{omys marmota Schreb. musmo Mufflon, Ovzs musimon Schreb. . nitela Gartenschläfer, Zhhomys mitela Wagn. . onager (in Africa) Afrikanischer Steppenesel, Æquus taent- opus Heugl. . oryx Säbelantilope, Oryx leucoryx Pati. (manchmal auch: Beisa-Antilope, Antılope beisa Rüpp.) . physeter wahrscheinlich Pottwal, Physeter macrocephalus Bac: . platanista Gangesdelphin, Platanısta gangetica Cuv. 8 Steier, Die Tierformen des Plinius. 29. pygargus Afrikanische Antilope. Näher nicht bestimmbar. 30. rupicapra Gemse, Capra rupicapra L. 31. satyrus in India wahrscheinlich Gibbon u. zw. Hulock, Hylobates hulok. 32. satyrus ? Meerkatzenart. (Nach KeLLER: Schimpanse?) 33. sciurus Eichhörnchen, Sczwrus vulgaris L. 34. simiae candentes toto corpore (in India) Affenart. Näher nicht bestimmbar. 35. sphingius (sphingium) wahrscheinlich Meerkatzenart. 36. sphinx ? Nonnenaffe, Cercopithecus diana Erxl. 37. sus in India Hirscheber, Porcus babyrussa Wagl. 38. tarandrus (tarandus) Rentier, Rangrfer tarandus L. 39. taurus silvester in Aethiopia ? Wildstiere oder (nach Cuvier) Afrikanisches Nashorn. S. eale Nr. 13. 40. urus Auerochs, Gos primigenius Boj. 41. viverra (? = yad7 bei ARISTOTELES) Frettchen, /0etorius furo. Die Aufstellung zeigt also 41 oder (falls ARISTOTELES doch das Frettchen unter yad7 verstanden haben sollte) 40 Säugetier- arten, welche ARISTOTELES nicht kennt oder jedenfalls nicht nennt. Der gesamte Säugetierbestand des PLinius beträgt nach meiner Untersuchung 98 Arten, für ArısToTELEs hat J. B. Meyer (a. O. S. 144) 75 Arten von Säugetieren berechnet, während SUNDEVALL (a. O. S. 23) deren Zahl auf etwa 70 angibt. Eine genaue Feststellung ist infolge der Benennung mancher Tiere mit mehreren Namen, deren Identifizierung nicht immer möglich ist, ausgeschlossen, doch scheinen MEYER und SUNDEVALL etwas zu hoch gegriffen zu haben. Nach meiner Berechnung übersteigt die Zahl der Säugetiere bei ARISTOTELES (die Fabeltiere sind weder bei ARISTOTELES noch bei Puiinius mitgerechnet) die Zahl 60 nicht. Damit stimmen einerseits die Angaben von AUBERT-WIMMER (Hist. an. I. S. 60 ff.) und anderseits führt auch die Vergleichung der von ARISTOTELES und Puinius genannten Tiere auf diese Zahl. Denn Punius hat den Säugetierbestand des ARISTOTELES so getreu über- liefert, daß nur 3 Arten (ad@mn§ degudnregos = eine nicht genau bestimmbare Fledermausart; #oös dyorog = Büffel, Los bubalus und al& dyouos &v Korn = Bezoarziege, Paseng, Capra aegagrus), welche ARISTOTELES anführt, bei ihm fehlen. Beiden Autoren gemeinsam sind also 98 — 41= 57 Arten; rechnet man dazu noch die eben genannten 3 Arten, welche — 56 — Steier, Die Tierformen des Plinius. 9 ARISTOTELES außerdem noch aufführt, so ergeben sich 60 Säuge- tierarten für ARISTOTELES. Eine weitere Vergleichung des Plinianischen Säugetierbe- standes mit dem von KeLLER, Antike Säugetiere (S. VII. sq.) auf. gestellten Gesamtbestand der im Altertum bekannten Säuge- tiere ergibt das interessante Resultat, daß bei Piinius nur etwa ein Dutzend dieses Gesamtbestandes fehlt, so daß seine 98 Arten fast den ganzen Säugetierbestand des Altertums darstellen, ein Ergebnis, das der Gewissenhaftigkeit des Pıinıus das beste Zeug- nis ausstellt und seinen zoologischen Büchern schon wegen der in ihnen überlieferten Formenkenntnis bleibenden Wert für die Zoologiegeschichte verleiht. Allein die Tierliste gibt noch einen anderen wertvollen Aufschluß, denn sie orientiert uns auch über die Heimat der Tiere, welche bei Puinius zuerst auftreten. Da Prinius fast durch- weg die Heimat der in der oben stehenden Liste enthaltenen Tiere angibt, eröffnet sich ein Einblick in deren Verbreitungs- gebiet, der für die Tiergeographie nicht ohne Interesse ist. Die Tiere zerfallen nach ihrer Heimat in folgende Gruppen: Nordeuropäisch: alces, chama, tarandrus, urus. Alpin: lepus candidus, ibex, mus Alpinus, rupicapra. Afrikanisch: addax (strepsiceros), catoblepas, callithrix, camelopardalis (afrikanischer Name: Nabus), dama, eale, elephas Afric., onager in Africa, oryx, pygargus, 770¢ (cephus), crocotta, leucocrotta, sphingium, sphinx. Europäische Mittelmeerländer: cuniculus, meles, musmo, nitela, sciurus, (viverra). Indien: axis, bos Indicus, Dugong, lycaon, platanista, satyrus in India, simiae candentes, sus (babyrussa). Atlantischer Ozean: elephantus (marinus), orca (sive aries), physeter. Eine Heimat ist nur für satyrus (lb. 8,216 und 10,199) nicht angegeben, doch ist hier aus dem Zusammenhange auf Afrika zu schließen. Die meisten neuen Tierformen haben also ihre Heimat in Afrika (16) und Indien (8). Die Erklärung dürfte in der oben (S. 13) erwähnten Benutzung des Jusa liegen, der ja gerade die Tierwelt jener Länder in seinen Werken behandelte. So wird es auch klar, wie Puinius in der Lage war, die Heimat dieser Tiere SEN Toy eg Io Steier, Die Tierformen des Plinius. anzugeben, denn da Jusa’ss Werke vornehmlich geographischen Charakter trugen, konnte ihnen Puinius den Aufenthaltsort der Tiere leicht entnehmen. Nordeuropa und die Alpen haben je 4 neue Formen geliefert, deren Kenntnis dem Autor wohlsein Aufenthalt in Germanien vermittelte. Auch für die den europäischen Mittelmeer- ländern und dem Atlantischen Ozean angehörigen Tiere liegt die Annahme, daß ihre Beschreibung teils auf Autopsie teils auf Be- richten von Römern, die PLinius ihre Beobachtungen zutrugen, beruhen. Einer solchen Erzählung verdankt unverkennbar die lebhafte und anschauliche Schilderung des Kampfes des Schwert- wals (orca) (lb. 9, 12 sqq.) ihre Entstehung. Vögel. Während die Angaben über die bei PLINIUs gegenüber ARISTOTELES neu auftretenden Säugetiere in den meisten Fällen doch so ausreichend sind, um eine Bestimmung oder wenigstens einen Bestimmungsversuch zu ermöglichen, gibt die Behandlung der neu eingeführten Vögel, die nicht selten bloß mit Namen genannt sind, oft gar keinen Anhaltspunkt dafür, welche Art gemeint sein könnte. Ich halte es in solchen Fällen für zweck- los, auf einen Namen raten zu wollen‘), doch gibt eine Zusammen- stellung der bei Primus neu auftretenden Vogelnamen auch so wenigstens einen Einblick in das Zahlenverhältnis gegenüber ARISTOTELES und ALBERTUS, dessen Ornithologie neuerdings in dem oben (S. 6) zitierten Buche von S. KiLLERMANN eine dankens- werte Bearbeitung erfahren hat. Diese Arbeit ermöglicht es jetzt, die Plinianischen Vogelformen, soweit sie erkennbar sind, nach rückwärts und vorwärts zu vergleichen und so die Entwicklung der Formenkenntnis zu verfolgen. Die folgende Zusammenstellung enthält die bei PLinıus neu auftretenden Vogelnamen nebst den Angaben über sie sowie deren Deutung, soweit dies möglich ist. I. aves novae Rebhuhn, Perd:x cinerea Lath. 2. chenerotes (Plural!) Ganse- Art. 3. grus Baliarica vielleicht Jungfernkranich, Anthropordes virgo Vieill. 1) Ganz willkürlich sind zum größten Teil die „Bestimmungen“, welche Kürg in den Anmerkungen zu seiner Übersetzung des Puintus gibt. Steier, Die Tierformen des Plinius. il himantopus Vertreter der Familie Charadriidae. . ibis in Alpibus vielleicht Waldrapp, Gerontius eremita L. lagopus Alpenschneehuhn, Zagopus mutus Leach. onocrotalus Pelikan, Pe/ecanus onocrotalus L. pyrrhocorax Gelbschnäblige Alpendohle, Pyrrocorax alpinus Vieill. 9. tetrao a) Birkhuhn, Ze/rao tetrix L. b) Auerhahn, 7e/rao urogallus L. ou ou + I. Aves novae. Mit dieser primitiven Bezeichnung führt Puiniuvs (lb. 10,135) eine Vogelart ein, von der er selbst sagt, daß es für sie noch keine andere Benennung als „neue Vögel“ gebe: Venere in Italiam Bedriacensibus bellis civilibus trans Padum et novae aves — ita enim adhuc vocantur — turdorum specie, paulum infra columbas magnitudine, sapore gratae. Es handelt sich also um Vögel, die erst zu Puinius Zeit während der „Bedriacensia bella“, also der Kämpfe zwischen den Kaisern OTHo und VITELLIUS, die mit der Niederlage Ornos bei Bedriacum (i. J. 69) endigten, von Norden her (trans Padum) nach Italien gekommen sind. Ab- gesehen davon, daß die Angabe, daß man diese seit etwa 10 Jahren bekannten und, wie die Stelle lehrt, als Speisevögel geschätzten Tiere immer noch nicht anders als „neue Vögel“ nenne, ein grelles Licht auf die damalige Hilflosigkeit in der Benennung von Tieren wirft, ist die Stelle deshalb bemerkens- wert, weil hier die erstmalige Bekanntschaft der Römer mit diesen Vögeln zeitlich genau fixiert ist. Schon Harpouin verstand unter diesen „neuen Vögeln“ unser Rebhuhn, Perdix cinerea Latu., auf das auch die Vergleiche mit Drossel und Taube wohl passen. Diese Bestimmung Harvovıns wird dadurch gestützt, daß Puimius sonst das „Feldhuhn“ perdix nennt, über das er eine Menge von Angaben macht, welche ARISTOTELES für sregdı5 gibt. Allein der von ArisroreLEs oft als in Griechenland sehr häufig vorkommend erwähnte Vogel ist nicht unser Rebhuhn, sondern Perdix graeca Briss, das Steinhuhn. Denn das in Griechen- land gewöhnlichste Feldhuhn — und auf dieses beziehen sich sowohl die Angaben des ARISTOTELES wie die aus ARISTOTELES entnommenen des PLinius — ist nach Hrıoreicn (La Faune de Grèce) ÆPerdix graeca, welches dort unser Rebhuhn vertritt, während ferdix cinerea nach den Mitteilungen LiNDERMAYERS 12 Steier, Die Tierformen des Plinius. (Die Vögel Griechenlands. Passau 1860. S. 125) mehr im Norden Griechenlands und weniger häufig vorkommt. Auch nach BrrHM ist Perdix graeca „gemein in ganz Griechenland“, während für P. cinerea nur ein ,,Teil von Griechenland“ und „Norditalien“ angegeben wird. Läßt sich also die Möglichkeit nicht ausschließen, daß ArisroreLes beide Arten gekannt haben kann, so ist doch sicher, daß er sie nirgends unterscheidet, während sich die An- gaben des Puinius offenbar auf zwei verschiedene Arten beziehen, von denen die eine als „novae aves“ aus Norditalien (wo 2. cinerea auch heute noch vorkommt, während das in Mittel- und Unter- italien lebende „Feldhuhn“ P. graeca ist) etwa um das Jahr 69 den Römern bekannt und von Punius zuerst in die Literatur eingeführt wurde, wenngleich er mit dem Vogel nicht viel an- zufangen weiß und seine Beschreibung dürftig ist. Daß der von Axpertus (lb. XXIII, N. 94) unter dem Namen perdix beschriebene ,,rostfarbige, mit schwarzen Wellenlinien gezeichnete“ Vogel Perdix cinerea ist, steht außer Zweifel, doch macht er sich einer auch von KILLERMANN nicht bemerkten Un- genauigkeit schuldig, wenn er eine Reihe von Beobachtungen, die sich bei ArıstoreLes und Puinius für zreedı$ finden (z. B. die Bemühungen des Huhnes Feinde vom Neste wegzuziehen, indem es deren Aufmerksamkeit auf sich lenkt; Arist. hist. an. 9,60 ff. = Plin. 10,103) also für Perdix graeca gelten, ohne weiteres auf unser Rebhuhn überträgt. 2. Chenerotes. Unter diesem sehr verschieden: cerenotes, ceramides, chere- mutes überlieferten Namen erwähnt Prius lb. 10,56 einen zum „genus anserinum“ gehörigen in Britannien höchst geschätzten Vogel, der kleiner sei als die Hausgans: Anserini generis sunt chenalopeces (=ynvaAorın& Arist. H. an, 6,8 und 8,49 = Agypt. Entengans, Chenalopex aegyptiaca?) et, quibus lautiores epulas non novit Britannia, chenerotes, fere ansere minores. Zu einer näheren Bestimmung reichen diese Angaben nicht aus. Ris gibt vermutungsweise an: Löffelente, Azas clypeala. ALBERTUS erwähnt den Namen chenerotes nicht. o (rms Ballarıea, Die Angaben tiber diesen Vogel sind freilich zu gering um eine sichere Bestimmung zu gestatten; das einzige Merkmal ist abgesehen vom Namen und Aufenthalt, daß er eine Federhaube Mo) Steier, Die Tierformen des Plinius. 53 (cirrus) habe (lb. 11,122: cirros . . . et grui Baliaricae), was auf den Jungfernkranich bezogen werden kann. Ganz unbestimmbar bleibt die lb. 10, 135 als „grus minor“ eingeführte Kranichart „vipio“, der als guter Speisevogel gleichfalls auf den Balearen erwähnt wird (ibi (sc. in Baliaribus insulis) et buteo, accipitrum genus, in honore mensarum est, item vipiones (vibiones Mayu.), sic enim vocant minorem gruem) sowie der lb. 30,146 genannte, kranichähnliche Vogel ‚„gromphena“. PLInius hatte also Kunde von mehreren Kranicharten, während bei ARISTOTELES nur Gros cinerea (yéoavos, grus Plin.) vorkommt wie auch Auserrus keine andere als diese Kranichart kennt. 4. Himantopus. Neben dieser Form bieten die Handschriften auch: aemantopus = haematopus „Blutfuß“; so las auch Harpoun. Wie aus lb. 10,130 hervorgeht, handelt es sich um einen ägyptischen, auch nach Italien freilich ohne Erfolg eingeführten Vogel mit rotem Schnabel, langen, roten Beinen, der viel kleiner ist als „porphyrio“!) (lb. 10,129), eine verkümmerte Hinterzehe hat und sich vornehmlich von Fliegen nährt. (Haec quidem et himantopodi multo minori, quamquam eadem crurum altitudine. Nascitur in Aegypto; insistit ternis digitis; praecipue ei pabulum muscae; vita in Italia paucis diebus.) Diese Angaben lassen auf einen Vertreter der Charadri- idae, vielleicht den grauschwänzigen Stelzenläufer, Zzmantopus rufipes schließen; bei ArBerTus findet sich der Name „himantopus“ nicht. 5. Ibis in Alpibus. Außer den auch von ARISTOTELES (hist. an. 09,103) und Heropor (If. c. 76) erwähnten Ibis-Arten, von denen der schwarze als Sichler, /0s falcinella, der weiße als Heiliger Ibis, /0s religtosa Sav. gedeutet wird, spricht PLINUS lb. 10, 134 von einem „ibis“, welchen der Präfekt Ecnarius CaLvinus in den Alpen be- obachtet habe. (Visam in Alpibus ab se peculiarem Aegypti et ibim Egnatius Calvinus praefectus earum prodidit). Da es sich trotz der ausdrücklichen Angabe des PLinius natürlich nicht um eine der eben genannten Ibis-Arten, die ausschließlich Bewohner 1) Unter porphyrio wird von manchen das Purpurhuhn, Porphyrio veterum Gm. (s. Lenz, Zoologie d. Gr. u. R. S. 382), von anderen der Flamingo, Phoenicogterus ruber L. (so auch KırrErmann S. 85) verstanden. Eine Entscheidung ist bei der Dürftigkeit der Angaben nicht möglich. 14 Steier, Die Tierformen des Plinius. der Tiefebene sind, handeln kann, so wird eine Verwechslung mit einem diesen ähnlichen Vogel vorliegen und zwar, wie KILLER- MANN S. 81 mit großer Wahrscheinlichkeit vermutet, mit dem ibis- artigen sogen. Waldrapp, Gerontius eremita L. 6. Lagopus. Die Beschreibung dieses Vogels, als dessen Heimat die Alpen angegeben werden, läßt keinen Zweifel, daß das Schneehuhn, Lagopus mutus Leach. gemeint ist, das hier zum ersten Male in der Literatur auftritt lb. 10,133 sq.: praecipua sapore lagopus; pedes leporino villo nomen hoc („Hasenfuß“) dedere cetero candidae, columbarum magnitudine. Non extra terram eam vesci facile, quando nec vita mansuescit et corpus ocissime marcescit. Est et alia nomine eodem, a coturnicibus magnitudine tantum differens, croceo unctu cibis gratissima. Diese Beschreibung geht auf den ebenda von Puintus genannten Präfekten in den Alpen- ländern Eenatius CaLvinus zurück und zeigt in ihrem letzten Teil, daß mit dem erwähnten „anderen Vogel“ gleichfalls das Schnee- huhn im Sommerkleide verstanden ist. ALBERTUS erwähnt diesen Vogel (lb. XXIII Nr. 66) als „ligepus“, indem er die Angaben des PLINIUS wiederholt. 7. Onocrotalus. Die von Puinius lb. 10,131 gegebene Beschreibung des Kehl- sackes und dessen Funktion macht die Deutung auf den Pelikan, Pelecanus onocrotalus L. sicher, ebenso sicher aber ist es, daß rreZexav (ARISTOTELES hist. an. 9,71) nicht der Pelikan, sondern ein Reiher, den Puinius (lb. 10,115) als platea beschreibt (vielleicht der Löffel- reiher, Platalea leucorodia L.), ist. Auffallend bleibt nur die An- gabe des PLinıus über das Vorkommen des Pelikans: nordfran- zösische Küste. (Gallia hos septentrionalis proxima oceano mittit). Zwar teilt BrenM mit, daß sich der Pelikan aus seinen im Süd- osten Europas gelegenen Standorten oft sogar in größeren Scharen selbst nach Deutschland verfliege, allein die Angabe, daß dieser Vogel von Gallien nach Rom importiert werde (Gallia — mittit!) schließt die Annahme, es handle sich bloß um ein zufälliges Vorkommen durch Verfliegen, aus; zudem bemerkt Harpouin zu dieser Stelle: „Pelicans“: in Aremorico maxime mari frequentes, bestätigt also das häufige Vorkommen des Pelikans an der bretonischen Küste. Da mir eine neuere Beobachtung nicht vorliegt, ist die Rich- Sa Gow ue Steier, Die Tierformen des Plinius. 15 tigkeit der Angabe des Pzinius und Harpouin nicht zu entscheiden. ALBERTUS, dessen Angaben durch die Beziehung des Aristotelischen mehexady auf den Pelikan unklar werden, nennt den Pelikan „vol- mar“ und „volinar“, gebraucht aber auch die Namen pelecanus und onocratulus (vgl. Kırıermann, a. O. S. go f.). Jedenfalls steht es fest, daß der Pelikan zuerst von Prinıus genauer beschrieben und in die Literatur eingeführt wurde. SE ByEchocorax. Die Angaben über diesen Vogel sind nur dürftig (lb. 10,133: Alpium pyrrhocorax luteo rostro niger), genügen aber um in dem alpinen Rabenvogel mit gelbem Schnabel die gelbschnäblige Alpendohle, Pyrrocorax alpinus Vieill zu erkennen, welche weder ARISTOTELES noch ALBERTUS beschreiben. ARISTOTELES (h. an. 9,100) erwähnt zwar einen xogazias, so groß wie xogwvn und mit rotem Schnabel (powwırdevyxog) als Dohlenart und AuBERT- Wimmer bestimmen diesen Vogel als die mit der Alpendohle ver- wandte Steinkrähe, /regilus graculus Cuv. einen im heutigen Griechenland häufigen Standvogel!), aber die gelbschnäblige Alpendohle beschreibt ARISTOTELES nicht, wohl deshalb, weil er sie von der Steinkrähe nicht unterschied. Möglicherweise ist eben diese Alpendohle auch unter dem von Punius lb. 10,36 erwähnten spinturnix („Funkensprüher“) sive incendiaria avis verstanden, doch läßt sich keine Sicherheit gewinnen, da jede weitere Beschreibung fehlt und Pzinius selbst sagt, er habe nicht erfahren, welcher Vogel unter spinturnix verstanden werde. Auch der von ALBertus (lb. XXIII. Nr. 60) erwähnte Vogel incendula (er ist rabenartig und ein Feind des Uhu) geht wohl auf diese Stelle bei Puinivs zurück. 9. Tetraones. ; Die von Punius lb. 10,56 für zwei Arten von Vögeln, deren Heimat die Alpen und das nördliche Europa sind (gignunt eos Alpes et septentrionalis regio) gelieferte Beschreibung ist aus- reichend um auf das Birkhuhn, Zefrao fetrix L. und den Auer- hahn, Zeirao urogallus L. zu schließen. Beide Vögel nennt ARISTOTELES nicht; denn für die Vermutung Ausert- Wimmers, daß unter xduudis des Anistoteres Tefrao urogallus oder fetrix verstanden 1) Demnach ist die Bemerkung Kirrermann’s (S. 58), daß ALBERTUS „zum erstenmal in wissenschaftlichen Kreisen auf die in den Alpen lebende Steinkrähe (Fregilus graculus Cuv.) aufmerksam mache“, zu berichtigen. = a 16 Steier, Die Tierformen des Plinius. sein könne, fehlen die nötigen Grundlagen. Puinius dagegen be- schreibt das Birkhuhn, wenn auch nicht ausreichend, so doch richtig als einen Vogel mit glänzend schwarzem Gefieder und vergißt auch nicht den scharlachroten Augenfleck anzuführen. Der Auerhahn ist von ihm besonders durch seine plumpe Größe charakterisiert. Nicht ohne Interesse ist es, daß die Römer selbst das Birk- und Auerwild zu mästen und züchten versuchten, doch sind die Ergebnisse ungünstig gewesen (in vivariis saporem per- dunt; moriuntur contumacia spiritu revocato). Es sind also nur 9 erkennbare Vogelarten, um welche sich die Formenkenntnis der Römer gegenüber ArıstorELes bereichert hat, ein Ergebnis, das sowohl zu dem langen Zeitraum als auch zu den viei günstigeren Bedingungen, welche die Römer hatten, in einem kläglichen Verhältnis steht. Sieht man von dem ägyptischen himantopus und grus Baliarica ab, so sind es durch- weg Vögel, die aus Gallien, Britannien, Germanien und den Alpen den Römern bekannt wurden. Aus Gallien: novae aves und onocrotalus, aus Britannien chenerotes, aus Germanien bzw. den Alpen tetraones, lagopus, ibis und pyrrhocorax. Bezeichnend ist es, daß fast alle bei PLinıus neu auftretenden Vögel „Speisevögel“ sind, daß also ihre Erwähnung lediglich dem kulinarischen Interesse entspringt. Außer den genannten Vögeln führt Piinius noch einige Vogel- namen an, ohne über sie weitere Angaben zu machen, teils auch spricht er von Vögeln, von denen er selbst zugibt, daß man nicht wisse, was mit diesen Namen gemeint sei; in vielen Fällen handelt es sich ersichtlich um Fabeleien, einigen mögen wirkliche Beobach- tungen zugrunde liegen, doch sind Bestimmungen, ja selbst be- gründete Vermutungen meistens unmöglich. ı. Avesin Hercynio Germaniae saltu. Von diesen Vögeln sagt Prnius lb. 10,132: In Hercynio Germaniae saltu invisitata genera alitum accipimus, quarum plumae ignium modo conluceant noctibus; in ceteris nihil praeter nobili- tatem longiquitate factam memorandum occurrit. — Worauf diese abenteuerliche, verschwommene Nachricht von Vögeln, deren Federn nachts wie Feuer leuchten sollen, zurückgeht, ist nicht festzustellen ; PLinıus selbst wußte von diesen Vögeln nichts weiter und gibt bloß diese Notiz, die ihm jedenfalls in Germanien zukam. Wenn Kip an dieser Stelle den Seidenschwanz (Ampels Steier, Die Tierformen des Plinius. 17 garrula Ll.) vermutet, da er „ein hornartiges Blättchen am Ende der hinteren Schwungfedern hat‘, das scharlachrot ist, so läßt sich ihm weder widersprechen noch beistimmen. 2. Aves Diomediae (catarractae), Memnonides, Seleucides. Mit der Schilderung der ersterengibt Puinius lb. 10,126 Fabeleien des JuBA weiter, in das gleiche Gebiet gehören die aus CREMUTIUS stammenden Notizen über die Memnonsvögel (lb. 10,74), lediglich den Seleucides, die als Vertilger der Heuschreckenschwärme bezeichnet sind, scheint eine reale Beobachtung zugrunde zu liegen (lb. 10,75), Sie figurieren auch noch bei Auserrus als Zeleucides und KILLERMANN (a. O. S. 94) vermutet in ihnen den Heuschrecken- habicht (Asturina polyzona). 3. Gromphena avis. Dieser Vogel soll nach Pzmius lb. 30,146 einem Kranich ähnlich sein und auf Sardinien vorkommen; Prinius sagt selbst, er glaube, daß ihn nicht einmal die Bewohner Sardiniens mehr kennen. Eine Deutung ist demnach nicht möglich. 4. Avis clivia, sanqualis, inmusulus, scops, strix, stymphalis, subis, tragopan. Wie aus lb. 10,37 hervorgeht, handelt es sich um einen Vogel, dessen Erscheinen den Auguren als ungünstiges Vorzeichen galt, worauf schon der Name clivia (von cluo = xwAüw, also gleichbedeutend mit prohibitoria) hinweist: Cliviam quoque avem ab antiquis nominatam animadverto ignorari; quidam clama- toriam dicunt, Labeo prohibitoriam. — Prmus wußte also selbst von diesem Vogel außer den Namen nichts anzugeben. Ebenso steht es mit den als ‚sanqualis‘ und ‚inmusulus‘ bezeichneten Vögeln, die nicht einmal die Auguren mehr kannten; lb. 10,20: Sanqualem avem atque inmusulum augures Romani magnae quaestioni habent. Vergessene Vögel waren auch zu Pins’ Zeit die ‚scopes‘ („Spötter‘‘), von denen er lb. 10,138 sagt, daß sie schon bei Homer genannt würden, daß er sich aber von den Angaben über ihre ‚satyrici motus‘ („Bocksprünge“) kein Bild machen könne und sie nicht zu deuten wisse (neque ipsae iam aves noscuntur). Daraus geht hervor, daß Pıinıus von der von ARISTOTELES h. a. 8,39 und 9,104 als ,oxww™ beschriebenen Eulenart (nach AuBert- Wimmer Zool. Annalen V. | 2 = 5 = 18 Steier, Die Tierformen des Plinius. Zwergohreule, Æfhialles scops Gray) keine Kenntnis hatte. Auch vom Vogel ,strix‘ sagt Pumius lb. 11,232, daß man ihn nicht sicher kenne (sed quae sit avium constare non arbitror), doch ist es nach den von Puinius hier ausdrücklich als Fabeleien zurück- gewiesenen Ansichten über diesen Vogel wahrscheinlich, daß es sich um eine Eulenart handelt; denn die Eulen spielten und spielen eine große Rolle im Volksaberglauben. Nicht zu deuten ist ferner der Vogel ,stymphalis’, von dem nur angegeben wird, daß er einen cirrus (Federhaube) habe (Ib. 11,121), sowie ,subis’, von dem nach Nicipius erzählt ist, er zer- breche die Eier der Adler (lb. 10,37). Den Vogel tragopan hält Pus lb. 10,136 selbst für ein Fabeltier. Die beiden Vogelnamen parra und virio (Plin. lb. 18,292) bezeichnen keine neuen Formen, sondern sind identisch mit oenanthe und chlorion. Den Beweis liefert die Vergleichung von Punius lb. 18,292 und lb. 10,87 einerseits mit ARISTOTELES h. a. 9,258 und 9,98 anderseits. Primus sagt nämlich lb. 18,292, daß der Vogel parra vom Aufgang des Sirius bis zu dessen Untergang nicht sichtbar sei; dagegen erscheine der Vogel virio gerade mit der Sommersonnenwende. Genau das gleiche, was PLINIUS von parra sagt, gibt ARISTOTELES 9, 258 vom Vogel olvdv9n an, ebenso sagt ARISTOTELES 9,98 das nämliche vom xAwelwv, wie PLINIUS vom virio. Daraus ergibt sich die Gleichung: parra Plin. = otvdv97 Arist. und virio Plin. = ydwoiwy Arist. Nun hat aber Primus schon früher die gleichen ArisroreLEsstellen ausgeschrieben, denn lb. 10,87 heißt es, daß oenanthe beim Aufgang des Sirius sich verberge und erst bei dessen Untergang wieder erscheine; dagegen sehe man den ganz gelben chlorion erst um die Zeit der Sommer- sonnenwende (oenanthe quidem etiam statos latebrae dies habet; exoriente sirio occultata ab occasu eiusdem prodit...; chlorion quoque, qui totus est luteus, hieme non visus circa solstitia procedit). Es bedarf keines Beweises, daß beide PLinıus-Notizen auf die oben bezeichneten Stellen bei ArisrorELES zurückgehen und dem PLINIUS aus zwei verschiedenen aus ARISTOTELES fließenden Quellen zu- kamen. Damit ist aber auch erklärt, daß virio des Pumius nur eine Verstiimmelung von chlorion ist, eine Ansicht, die obendrein noch durch die Handschriften bestätigt wird, welche neben dorionem und orionem auch chlorionem bieten, was Mayhoff mit Recht in den Text gesetzt hat. Steier, Die Tierformen des Plinius. 19 Demnach darf die oben angeführte Gleichung in folgender Weise erweitert werden: parra Plin. = oivdv9n Arist. = oenanthe ine viniow lin, — YAwoLoy Arist. — chlorion Plin. Unter chlorion, wofür PLixius auch die Bezeichnungen galgulus und icterus hat (s. S. 71 f.), versteht man allgemein den Pirol, dagegen reichen für die Deutung von oenanthe (parra) die Angaben nicht hin. Schon die verschiedenartigen Vermutungen (vgl. GEORGES s. v. patra) ,,Schleiereule, Grünspecht, Wiedehopf“ zeigen die Unsicherheit der Deutungen an. Auch den Ib. 37,156 erwähnten Vogel motacilla, von dem Puinius außer dem Namen nichts mitteilt, darf man schwerlich als , neue‘ Vogelform ansehen. Denn wenn die bei GEORGES ange- gebene Deutung Bachstelze richtig ist, die sich auf Varro und Anrnopıus, welche motacilla gleichfalls erwähnen, stützt, so dürfte motacilla synonym sein mit anthus. Diese Bezeichnung aber ist, wie Puinius lb. 10,116 = ARISTOTELES h. a. 9,18 beweist, identisch mit &v9os ARISTOTELES und darunter verstand SuNDEVALL ebenfalls eine Bachstelzenart. Entscheiden zu wollen, ob anthus = Molacılla fava L. und motacilla = AZ. alba L. sei, halte ich für müßig, da schon. die Deutung auf die Gattung Mofacılla sehr unsicher ist. Der gesamte Vogelbestand bei PLinius läßt sich auf etwa 120 Formen angeben, von denen gegenüber ARISTOTELES nur 10 neu sind, während sich die übrigen 110 Vogelnamen mit Vögeln, die auch ARISTOTELES nennt, identifizieren lassen. Während aber für die Säugetiere sich das Resultat ergab, daß der Plinianische Säugetierbestand außer den bei PLinivs neu auftretenden Formen auch fast den gesamten Säugetierbestand des ArisToTELES umfaßt, zeigt die Vergleichung der Vogelbestände beider Autoren, daß bei PLinıus eine bedeutende Anzahl Vögel des AriIsroreLes fehlt. Der Gesamtvogelbestand des ARISTOTELES wird von SUNDEVALL auf ungefähr 150 Formen angegeben, während Meyer etwa 160 Formen berechnete. Mit dieser Zahl stimmt auch meine nach der Liste von AUBERT-WINMER gemachte Aufstellung ziemlich überein. Da also ARISTOTELES etwa 160 Vogelarten, Puinius (abzüglich der 10 dem ARISTOTELES unbekannten) nur 110 aufführt !), so ergibt sich, daß bei Piinius etwa 50 Formen fehlen, die dem ARISTOTELES be- kannt waren. Eine eingehendere Untersuchung ergab das Resultat, 1) Die oben angeführten Vögel (S. 64 £.), von denen PLinius selbst nichts Be- stimmtes wußte, sind außer Berechnung geblieben. 2* Ea 20 Steier, Die Tierformen des Plinius. daß sich diese 50 Formen fast ausschließlich aus solchen zusammen- setzen, die unbestimmbar sind, da ARISTOTELES von ihnen zumeist nicht mehr als den Namen angibt oder hier und da ein wenig besagendes Kennzeichen beisetzt. Die geringe Rücksicht der antiken Autoren auf eine eingehende Beschreibung der genannten Tiere ist also daran schuld, daß schon von ARISTOTELES bis PLINIUS 50 Vogelarten, unter denen, wie aus der bloßen Nennung der Namen zu schließen ist, zumeist recht bekannte gewesen sein werden, der wissenschaftlichen Literatur völlig verloren gingen. Auch der Vogelbestand des ALBERTUsS, den KILLERMANN (a. O. S. 97 ff.) aufgestellt hat, reicht nicht an den des ARISTOTELES heran, da er nur etwa 120 Formen aufweist. Doch ist seine Zusammen- setzung von der der antiken Autoren sehr verschieden, da bei ALBERTUS eine sichtliche Verschiebung zugunsten der in Deutsch- land einheimischen Vögel stattgefunden hat, während viele süd- europäische und fast alle afrikanischen Arten verschwunden sind. Nach KiLLeRMANN sind von den 120 Vogelarten mehr als 40 neu d. h. früheren Autoren unbekannt. Diese Zahl bestätigte mir auch ein Vergleich der Vogelliste des ALBERTUS mit denen des Prnius und ARISTOTELES, wenngleich, wie ich sofort zeigen werde, meine Nachprüfung der von KırLermann als „neu“ bezeichneten Arten einige abweichende Resultate ergab. Rechnet man von den 120 Arten des ALBERTUS die 40 bei ihm neu auftretenden ab, so umfaßt sein Vogelbestand nur mehr 80 schon von Puinivs und ARISTOTELES aufgeführte Vögel, sodaß also gegenüber Pinus 40, gegenüber ARISTOTELES sogar go Vogelarten verschwunden sind. Allerdings treten als Ersatz dafür die 4o neuen Formen ein, darunter 7 gut beschriebene Falkenarten, wie denn überhaupt die Darstellung dieser neuen Vogelformen bei ALBERTUS gegenüber Prinıus den Vorzug eingehenderer Beschreibung und oft eigenen Augenscheins hat, während letzterer die wenigsten der von ihm aufgeführten Vögel und Tiere überhaupt je gesehen hat. Von den bei Puinius neu auftretenden Vögeln finden sich noch bei ALBERTUS zum Teilmitgenauerer Beschreibung: Rebhuhn, Waldrapp, Alpenschneehuhn, Pelikan, Auerhahn und (?) Birkhuhn. Die übrigen Formen fehlen bei A.BERTUS. Nicht neu dagegen sind folgende Vögel, die KILLERMANN als bei ALBERTUS zum ersten Male auftretend aufführt. Sie lassen sich bei PLinius, zum Teil schon bei ArIsToTELES mit mehr oder weniger Sicherheit nachweisen. Steier, Die Tierformen des Plinius. 21 1. Lämmergeier, Gypaëlus barbatus Cuv. KILLERMANN bemerkt S. 30, daß ALBERTUS unter der Bezeich- nung ,vultur verus’ zum ersten Male den Lämmergeier in die Literatur einführt und identifiziert mit ihm in der Tierliste freilich nur vermutungsweise den ,ossifragus‘, den ALBERTUS auch ,aquila os frangens’ nennt. Was aber ALBERTUS von diesem Vogel zu sagen weiß, ist nichts anderes als das, was bereits PLINIUs über ossifraga (es findet sich auch ossifragus) anführt und augenscheinlich eine bloße Wieder- holung dieser Angaben. Plin. lb. 10,11: Quidam adiciunt genus aquilae, quam barbatam vocant, Tusci vero ossifragam. Der Name ,, Knochenbrecher‘“ stammt also von den Etruskern und kam mit dem Auguralwesen, das ja die Römer von den Etrus- kern übernommen haben, den Römern zu. Auch die weitere Notiz des ALBeRTUS, daß ossifraga ein guter und besorgter Brut- vogel sei, geht auf die Bemerkung des Punius zurück (lb. 10,13), ‘daß die ossifragi die von anderen Adlern aus dem Neste geworfenen Jungen in ihren Horst aufnehmen und mit ihren eigenen Jungen aufziehen. Eben diese Angabe aber hat auch ARISTOTELES, aus dem Puinius sie entnahm, für gy (hist. an. 6,37) und nochmal ausführlicher hist. an. 9,123 (4 xalovuërn pin). Daraus ergibt sich, daß Prinius unter gv) des ARISTOTELES seine aquila barbata — ossifraga der Etrusker verstand. Gekannt oder gesehen hat er den Vogel freilich nicht, sagt er doch selbst (lb. 10,20), daß auch die Auguren nicht wußten, welche Vögel unter sanqualis und inmusulus zu verstehen seien, und führt weiter an, daß einige sanqualis für den ossifragus halten, während Masurius den sanqualis für eine ossifraga nehme. Trotz der Verworrenheit, die schon zu Pımimvs Zeiten über diese Vogelnamen herrschte, die sich offenbar im Auguralwesen traditionell weiter vererbten, bis niemand mehr Sinn und Art ver- stand, lassen die Stellen bei PLinıus (und AnisToTELEs) mit Sicher- heit erkennen, daß es sich nur um Adler oder Geier handeln kann. Sicher ist auch, daß Puinius über ‚ossifraga‘ die gleichen Angaben hat wie ARISTOrELEs über gin, doch bleibt die Deutung dieses Vogels zweifelhaft. ARISTOTELES trennt sie stets von den Adlern und führt sie zusammen mit ydw auf; da unter yow nur Geierarten zu verstehen sind und zwar wohl Vultur cınereus und V. fulvus (s. AUBERT-WIMMER S. 83), so liegt die Deutung für g7v7 - als Gypaëtus barbatus sehr nahe. Mit dieser Deutung aber stimmt 22 Steier, Die Tierformen des Plinius. auch die von KiLLeRMANN selbst mitgeteilte Beobachtung Bruns, „daß der Geieradler oder Bartgeier wirklich die Knochen aus bedeutender Höhe auf einen Stein fallen läßt um sie zu zerbrechen“. Dieses eigentümliche Verhalten hat also schon bei den Etruskern dem Vogel seinen Namen eingetragen, sodaß sich, wenn man überhaupt die Gleichsetzung ossifragus = vultur verus bei ALBERTUS gelten lassen will, jedenfalls die Behauptung nicht aufrecht halten läßt, daß der Lämmergeier bei ALBERTUS zum ersten Male auftritt. 2. Heuschreckenhabicht, Astur polyzona. Daß dieser Vogel, den KiLLERMANN unter ,zeleucides‘ des ALBERTUS im Verzeichnis als „neu?“ aufführt, dürfte wohl ein Versehen sein, da ja KILLERMANN S. 94 selbst auf die Stelle des PLINIUS (lb. 10,75), welche dem Ausertus Vorlage war, hinweist. (Vgl. oben S. 65.) 3. Turmfalke, Falco tinnunculus L. KLLIERMANN versteht unter dem Rotfalken ‚falco rubens’ des ALBEeRTUs, unsern Turmfalken und bezeichnet diesen im Verzeich- nis als neu. Allein der Turmfalke ist sicher bestimmt als xsyyoug des ARISTOTELES (s, AUBERT- WIMMER S. 95; auch HELpREICH stimmt dieser Deutung zu), aus dem PLinius seine Angaben über ‚cenchris‘, womit wohl der einmal (lb. 10,109) genannte tinnunculus identisch ist, entnimmt und ihn ausdrücklich als zum ,genus accipitrum‘ gehörig (lb. 29,127) bezeichnet. Ferner stimmt die Angabe, cenchris lege vier oder mehr rote Eier (lb. 10,143 und 144), genau mit den Mitteilungen des ARISTOTELES überein, sodaß kein Zweifel bestehen kann, daß cenchris Plin. = x£yygıg Arist. ist und beide den Turmfalken bedeuten, der also bei ALBERTUS nicht neu auftritt. 4. Zaunkönig, Zroglodytes parvulus Koch. Dieser Vogel, der bei ALBerRTUs unter den Namen ,crochilus‘ und ‚regulus‘ auftritt, wird von KiLLERMANN freilich in zweifelnder - Weise als „neu“ aufgeführt. Zwar hat auch KiLLeRMANN bemerkt, daß schon bei ARrısToTELEs ein Vogel trochilus vorkommt, allein er glaubt, daß dieser „mit seinem trochilus vielleicht den Kampf- läufer oder eine Regenpfeiferart (Charadrius aegyplıacus?) im Sinne hat‘. Es ist ihm also entgangen, daß reoxiAog bei ARISTO- TELES zwei ganz verschiedene Vögel bedeutet und daß man zwischen reoxiAog, der auch Paoıdedg und moéofvs genannt wird (hist. an. 9,75), und zooyiAog mdéovdeos, der (h. a. 8,47) unter den am Wasser lebenden Vögeln aufgeführt wird, zu unterscheiden hat. Der letztere, von dessen an die Tätigkeit der „Madenhacker “ Steier, Die Tierformen des Plinius, 23 desFlußpferdes erinnernder Reinigungsarbeit, die er auf dem Rücken, ja, wie auch BrEHM bestätigt, sogar im Maule des Krokodils ver- richtet, schon Heropor II. c. 63 erzählt und ARISTOTELES (h. a. 9,45) wie Punius (lb. 8,90) in gleicher Weise berichtet, ist der als „Krokodilwächter‘ bekannte Regenpfeifer, Charadrius pluvialis L. Den als Paoıkeds bezeichneten rooxiAos aber beschreibt ARISTOTELES (h. a. 9,75) als einen würmerfressenden Vogel, der in Büschen und Höhlen wohnt, scheu und furchtsam und deshalb schwer zu fangen sei, aber leicht seine Nahrung gewinnt und geschickt (Texvınög) ist. Schon SUNDEVALL hat (S. 114) unter diesem trochilus den Zaun- könig verstanden, der bei anderen Schriftstellern, so bei ARISTO- PHANES, aves 568 als „orchilus“ auftritt, eine Form, die die von ARISTOTELES abweichende Benennung ,crochilus‘ bei ABERTUS leicht verstehen läßt!). Abgesehen von der den tatsächlichen Ver- hältnissen entsprechenden Beschreibung des Zaunkönigs, die sich mit den allerdings eingehenderen Angaben des Ausertus deckt, scheint sich eine Nachwirkung des Aristotelischen ‚rexvıxög‘ bei ALBERTUS darin zu zeigen, daß er den Zaunkönig (neben der Schwalbe) als Vogel aufführt, der sein Nest sehr kunstfertig baue. Dasselbe aber wollte wohl ARISTOTELES sagen, wenn er den Zaun- könig teyvinds nannte. Daß PLInius die beiden ,trochili* auseinandergehalten habe, ist unwahrscheinlich, denn er vermengt die Angaben des Anisto- TELES dadurch, daß er Ib. 8,90, wo er die Tätigkeit des Krokodil- wächters schildert, zu trochilus den Zusatz macht ,rex avium in Italia“ (vel. lb. 10,203). Beweist diese Stelle einerseits, daß Primus von dem Vogel, den er behandelt, keine klare Vorstellung hatte, so zeigt sie doch anderseits, daß ein als „Vogelkönig“ bezeichneter Vogel bekannt war, der, da er als in Italien vorkommend aufgeführt wird, jedenfalls nicht der Krokodilwächter sein kann, sondern wie die Gleichung Paoıledg = rex ergibt, eben der Zaunkönig ge- wesen sein wird. 5. Pirol, Orzolus galbula L. Auch diesen Vogel bezeichnet KıLLermann im Verzeichnis als neu auftretend bei ALBERTUS, obwohl er selbst (S. 53) darauf hinweist, daß schon Primus einen Vogel „galgulus“ erwähnt. Neu ist also bei ALBERTUS nur die eingehendere Beschreibung des 1) Auch in den Handschriften der Naturalis historia schwankt die Lesart, da zu Plin. 10,203 die hss. F! R!a prochilus bieten. 24 Steier, Die Tierformen des Plinius, Pirols, den jedoch schon ARISTOTELES (h. a. 9,98) als yAweiwv und mit wörtlicher Übereinstimmung Puinius (lb. 10,87) als „chlorion“ erwähnt. Er wird dort als ein ganz gelber Vogel beschrieben, der so groß ist wie eine Turteltaube (tevywy), zur Zeit der Sommer- sonnenwende sichtbar werde, später fortziehe, gelehrig und ge- schickt, aber kein guter Flieger sei. Neuerdings hat auch Hetp- REICH diese Deutung bestätigt und mitgeteilt, daß der Pirol in Griechenland sehr häufig unter den Zugvögeln sei. Einige Verwirrung kommt nur dadurch in die Sache, daß PLinıus von dem Vogel, den er beschreibt, wieder keine bestimmte ‘ Vorstellung hatte und ihn augenscheinlich unter drei verschiedenen Namen, von deren Identität er nichts wußte, an verschiedenen Stellen anführt: chlorion, galgulus, icterus. Die Identität chlorion Plin. = yAwelwy Arist. geht aus der oben zitierten Stelle unzweifel- haft hervor. Allein lb. 30,94 spricht PLinius von galgulus und sagt dort, daß er ihn für identisch mit dem griechischen ixregog halte, der übrigens bei ARISTOTELES nicht vorkommt: Avis icterus vocatur a colore, quae si spectetur, sanari id malum tradunt et avem mori; hanc puto Latine vocari galgulum. Demnach wäre also galgulus identisch mit !xregog und nicht mit yAwgiwv. Ki ver- mutete denn auch in dem icterus = galgulus einen anderen Vogel als den Pirol, die „Goldammer, Emberiza citrinella L.“. Doch macht es die eben zitierte Stelle höchst wahrscheinlich, daß alle drei Namen synonym sind; denn !xregog bedeutet „Gelbsucht“, gegen die der gelbe Vogel helfen soll, galgulus (oder galbulus, wie die Form z. B. bei MARTIAL 13,68 lautet) ist eine Deminutivform des Ad- jektivs galbus — blaßgelb, grüngelb und gleichbedeutend mit griech. xAwgög. Alle drei Wörter bezeichnen also den gelben bezw. grüngelben Vogel, den Pirol, für den außer den Namen yAwoiwov und galgulus noch die offenbar vulgär-medizinische Be- zeichnung icterus „Gelbsuchtsvogel“ vorkam. Die ausdrückliche Gleichsetzung des Puinius: galgulus = icterus verhindert bei der Synonymitàt der Namen die Geichsetzung galgulus = chlorion um so weniger, als es Puinius, was bei der Fülle des ihm aus den verschiedensten Quellen zufließenden Materials, das er verar- beitete, nicht zu verwundern ist, nicht selten begegnete, daß er ein und dasselbe Tier, ohne es selbst zu wissen, unter verschie- denen Namen anführt. | Schließlich spricht auch für die Deutung galgulus = Pirol (also = chlorion) der Umstand, daß sich ALserTus bei seiner Be- Steier, Die Tierformen des Plinius. 25 schreibung des Pirols (lb. XXIII. Nr. 87 de oriolis) auf den galgulus des Pumius beruft, also den Pirol darunter verstand. 6. Auerhahn, Zetrao urogallus L. Daß auch dieser Vogel, den Arsertus als „Orthim“!) aufführt, nicht zu den bei ALBERTUS zuerst erwähnten Vögeln gehört, geht aus den oben (S. 63 f.) mitgeteilten Stellen bei PrLinıus hervor; übrigens ist die Beschreibung des Auerhahns bei ALBERTUS nicht viel besser als die des Prinıus und beruht auch bei ihm schwerlich auf Autopsie. 7. Silberreiher, Ardea alba L. Weniger sicher läßt sich dieser Vogel, dessen Feststellung übrigens auch bei ALBERTUS keineswegs unzweifelhaft ist (s. KILLER- MANN S. 80), schon bei ARISTOTELES und PLinıus nachweisen; AgvxeowdLdg bei ARISTOTELES ist freilich, wie auch KiLLERMANN sah, nicht der Silberreiher, sondern mit ziemlicher Sicherheit der Löffel- reiher, Platalea leucorodia, für den KiLLermann gleichfalls dem ALBERTUS die Priorität zusprechen möchte, dagegen beschreibt ARISTOTELES (hist. an. 9,19 und 93) einen &owdıds 6 Asvndg so, daß in ihm der Silberreiher vermutet werden darf (vgl. AuBERT- Wimmer S. 92). Auch Punmus erwähnt ihn zweimal (lb. 10,164 und 11,140) als ardeola leucos (bzw. leucon), doch gibt er nirgends ein weiteres Kennzeichen, das zur Deutung etwas beitrüge. 8. Rohrdommel, Gotaurus stellaris Steph. Die Rohrdommel vermuten AUBERT- WIMMER (S. 92) in dem als doregias oder Öxvog von ARISTOTELES (hist. an. 9,19 und 93) als »Yévos“ der Reiher aufgeführten Vogel. Man muß KILLERMANN recht geben, wenn er sagt, daß die Beschreibung bei ARISTOTELES zu dürftig sei, um alle Zweifel über die Deutung zu heben, und wenn er deshalb die Rohrdommel unter den bei ALBERTUS zuerst be- schriebenen Vögeln aufführt. Allein der Umstand, daß doteglag als „Reiherart“ bezeichnet ist und daß Prius (lb. 10,116) von einem Vogel namens „taurus“ erzählt, der das Gebrüll der Rinder nach- ahme (Est quae boum mugitus imitetur, in Arelatensi agro taurus appellata), womit das wirklich fürchterliche Gebrüll der Rohr- dommel zur Brunftzeit, das dem Vogel die populäre Bezeichnung. „Mooskuh“ eingetragen hat, gut charakterisiert ist, macht es fast sicher, daß mit taurus bei Prinius doch die Rohrdommel ge- 1) Verdorben aus ‚Urhun‘, wie es im Kölner Autogramm richtig heißt; vergl. H. STADLER, Albertus Magnus von Cöln als Naturforscher und das Cölner Autogramm seiner Tiergeschichte. Leipzig, F. C. W. Vogel 1908, S. 10. 26 Steier, Die Tierformen des Plinius. meint und taurus dann mit asterias Plin. (= dorseiag Arist.) iden- tisch ist. g. Pelikan, Pelecanus onocrotalus L. Daß der Pelikan im Verzeichnis als „neu“ aufgeführt wird, ist wohl nur ein Versehen, da KiLLERMANN selbst (S. go) sagt, er werde „zuerst von PLinius und ALBERTUS genau beschrieben“ und auch auf die oben (S. 62) von mir angeführte Stelle bei Prinivs_ hinweist. | 10. „Seeschwalbe“, wahrscheinlich Sterna hırundo L. Diesen Vogel führt ALBERTUS unter der Bezeichnung ,hirundo marina‘ als vierte Art der von ihm genannten Schwalben (/ırundo rustica, Hir. urbica, Hır. riparia), welche alle schon bei ARISTOTELES und Prinius nachweisbar sind, auf und Kırırermann hält ihn mit Recht für eine Môvenart. Da aber auch Puinws (lb. 11,228) von ‚hirundines in mari‘ spricht, worunter wohl gleichfalls S¢ev7za-Arten verstanden werden, so ist es jedenfalls wahrscheinlicher anzu- nehmen, daß die Notiz des ALBERTUS über ‚hirundo marina‘ aus PLINIUS stammt, als ihm für diesen Vogel die Priorität zuzuschreiben. Es sind also ıı Vogelarten, die sich mit mehr oder minder großer Sicherheit schon vor ALBERTUS nachweisen lassen und des- halb aus Kırnermanns Liste der bei ALBERTUS zuerst auftretenden Vögel zu streichen sind. Hingegen fand ich in dieser Liste eine Reihe von Vögeln aufgeführt, für die teils bei Pımıus teils bei ARISTOTELES teils bei beiden Autoren die Parallelen fehlen um sie zu identifizieren. Sie sollten also als „neu“ bezeichnet sein. KiLLERMANN stellte bei ALBERTUS als ,vultur albus‘ den Schmutz- geier, Neophron percnopterus, als ,vultur griseus‘ den Gänse- geier, Gyps Julvus, fest, die sich weder bei Prinıus noch bei ARISTOTELES nachweisen lassen. Ferner fehlen bei Puinius Hühnerhabicht, Astur palum- barius Bechst. und Grünspecht, Prcus vırıdıs L. Jedenfalls läßt keine seiner Beschreibungen einen nur einigermaßen begründeten Schluß auf diese Vogelarten zu. Dagegen kennt vielleicht Ant- STOTELES den Hühnerhabicht als iéoa£ gaßorörcog, den Grünspecht als uehedc. Für alle Drosselarten gebraucht Primus ohne Unterschied den Namen Zurdus, sodaß sich bei ihm die von ALBERTUS unter- schiedenen zwei Arten ‚turdus‘ = Misteldrossel, Zurdus vıscı- vorus L., und ,turdella musica oder droschele‘ = Singdrossel, , Zurdus musicus L. nicht erkennen lassen. Dagegen unterschied & — m4 — Steier, Die Tierformen des Plinius. 27 ARISTOTELES die beiden Arten, indem er die erstere als xiyAn {&086008 (Mistelfresser) einführt, während er von der zweiten Art, die er zoıyds nennt, die helltönende Stimme hervorhebt. Für die von Ausertus schon mit dem deutschen Namen ‚grasemuce‘ erwähnte Grasmücke (Sylvia) läßt sich weder bei Pıinıvs noch bei ARISTOTELES eine Stelle finden. Auch die bei ALBERTUS deutlich hervortretende Unterscheidung der Krähenarten, neben ,cornix‘ = Corvus corone Lath. noch ‚cornix varia‘ = Nebelkrähe, C. cornıx L. und ,graculus oder ruoch‘ = Saatkrähe, C. /frugilegus L. fehlt beiden antiken Autoren, die nur den Namen xoe@vn bzw. cornix unterschiedslos gebrauchen, sodaß eine Scheidung der Arten nicht möglich ist. Die vier von ALBERTUS beschriebenen Taubenarten: Holz- taube, Ringeltaube, Haustaube und Turteltaube, lassen sich alle schon bei ARISTOTELES nachweisen, doch fehlen bei Puinius Angaben, die auf die Holztaube, Columba oenas L. schließen lassen könnten, während er die übrigen drei Arten als columba (Haus- taube, Arist. rreguoteod), palumbes (Ringeltaube, Arist. garza) und turtur oder trygon (Turteltaube, Arist. zovyy) nennt. Einen ganz anderen Vogel als die alten Autoren meint offen- bar ALBERTUS mit seinem nocticorax, der auch ,corvus noc- turnus‘ genannt wird. Denn während ARISTOTELES (hist. an. 8, 39 und 84) einen vuxtixdeas, der auch «rg heißt, als Nachtraub- vogel beschreibt, sodaß man ihn als Waldohreule, Otus vul- garıs Flem., gedeutet hat, die auch Pımıus als ,otus‘ und mit der rein lateinischen Bezeichnung ,asio‘ (lb. 10, 68) erwähnt, tritt nocticorax bei ALBeRTUS als eine Reiherart auf, so daß KILLER- MANN in ihm den Nachtreiher, Vycäcorax griseus Strickl. vermutet. Amphibien und Reptilien. 1. anguis Aesculapius, wohl Askulapnatter, Coluber Aes- culapit Sturm. . anguis candidus, Unbestimmbar. boa, wohl Coluber elaphıs Shaw. cenchris, Unbestimmbar. dipsas, Unbestimmbar. elops, Unbestimmbar. iaculus, Baumschlange (Dendrophidae). ptyas, Unbestimmbar. On on fw N — 7 — 28 Steier, Die Tierformen des Plinius. g. rana calamites, ? Laubfrosch, Ayla arborea L. 10. rana diopetes, identisch mit rama calamites (Nr. 9)? 11. scincus, wohl Wüstenwaran, Varanus arenarius Dum. et Bibr. oder Apothekerskink, Scızcus officinalis L. ı2. scytale, Unbestimmbar. 13. sphondyle, Unbestimmbar. 14. testudo lutaria, wohl eine Hyzys-Art. 15. testudines chersinae, Unbestimmbar. 16. testudines cornigerae, Seeschildkròten (Chelonidae). i. Anguis Aesculapius. Von ihr wird lb. 29, 72 berichtet, daß sie von Epidaurus nach Rom gebracht worden sei, ihre Nahrung meist in den Häusern suche und sich außerordentlich stark vermehre, sodaß man oft ihre Brut verbrennen müsse um sich vor ihr zu retten. Man nimmt ziemlich allgemein (Bream, Lenz) an, daß diese Schlange unsere Äskulapnatter oder Schwalbacher Natter ist, die sich mit dem Vordringen der Römer auch in Deutschland verbreitet habe und vornehmlich in der Nähe von alten Römerbädern gefunden wird. Eine sichere Deutung ist nicht möglich, da keinerlei Merkmale angegeben sind. 2. Anguis candidus. Abgesehen von der Angabe über die Farbe findet sich bei Punius lb. 30, 25 nur die Notiz, daß diese Schlange auch in Italien vorkam; denn er sagt dort, daß er die Meinung, anguis candidus häute sich erst zur Zeit des Hundssternaufganges, für unrichtig halte, weil man dies selbst in Italien noch nie beobachtet habe, sodaß es für wärmere Länder noch weniger glaublich sei. Anscheinend ist die Bezeichnung anguis candidus nur ein Vulgär- name für enhydris, wie aus der Bemerkung lb. 30, 21 hervor- zugehen scheint, wo enhydris als eine männliche ‚weiße Schlange‘ (anguis candidus) bezeichnet ist. Da aber enhydris lb. 32, 82 als Schlange (colubra), die im Wasser lebt, genannt wird, so kann man auf die Ringelnatter, 77opradonotus natrix L. schließen, so daß dann enhydris (anguis candidus) Plin. identisch wäre mit 6de0g Aristot., worunter SuNDEVALL die Ringelnatter vermutete. Die Bedenken, welche Ausert- Wimmer I. S. 119 gegen diese Deutung deshalb hatten, weil die Ringelnatter in Griechenland nicht vor- komme, fallen jetzt weg, da Hrıoreicn die Ringelnatter in seiner Fauna von Griechenland aufführt und bemerkt, daß sie an allen Steier, Die Tierformen des Plinius. 29 d feuchten Plätzen, namentlich in Attika außerordentlich gemein ist. Auch Heıpreich hält ödeos für die Ringelnatter. 3. Boa. Sie wird als sehr große Schlange in Italien angeführt und Punius berichtet lb. 8, 37, daß man zur Zeit des Kaisers CLAUDIUS (41—54) im Magen einer boa ein vollständiges Kind (solidus infans) gefunden habe; ihre Nahrung bestehe in Kuhmilch. Nach einer bei Lenz (S. 450) und Breum stehenden Notiz, die sich auf den römischen Schlangenkenner Metaxa stützt, soll es sich um die Streifennatter, Coluber elaphis, handeln, die in der Gegend von Rom gemein ist und eine beträchtliche Größe erreicht. 4. Cenchris. Von dieser Schlange findet sich nur der Name (lb. 20, 245), sodaß sie unbestimmbar bleibt. 5. Dipsas. Sie wird von Punius nur als giftige Schlange aufgeführt (lb. 23, 152 und 32, 46). Wie aus den von Lenz gesammelten Stellen hervorgeht, erwähnt sie schon Lucan, ferner gab Cetsus ein Mittel gegen ihren Biß an, ohne sie jedoch zu beschreiben, und bei AELIAN heißt es, daß ihr Biß einen unlöschbaren Durst erzeuge (daher der Name ,,Durstschlange“); ebendort wird sie auch ‚prester‘ genannt und dieser Name findet sich auch bei Pıinıus (lb. 32, 30 u. ©.) für eine Giftschlange. AELIAN gibt ferner an, daß sie in Afrika und Arabien vorkomme und nach Sostratus weiß sei mit zwei schwarzen Strichen am Schwanze. Zu einer Deutung reichen diese Angaben nicht aus. 6. Elops. Auch von dieser Schlange findet sich nur einmal (lb. 32, 46) der Name. 7. Jaculus. Abgesehen von der Kennzeichnung als Baumschlange (lb. 8, 85: iaculum ex arborum ramis vibrari) ist von ihr nichts ange- geben. Auch bei Lucan ist iaculus nur als „fliegend“ bezeichnet. 8. Ptyas. Von dieser Schlange wird nur zweimal (lb. 28, 65 und 31, 65) der Name angeführt. 9. Rana calamites und (10) diopetes. Während bei ArisroreLes keinerlei Froscharten unterschieden werden, spricht Pzinius lb. 32, 122 von einem Frosche, den die 30 Steier, Die Tierformen des Plinius. Griechen calamites nennen, weil er sich im Réhricht (xdA@uog) und auf Büschen aufhalte; er sei der kleinste und grünste (viri- dissima) von allen. Diese Angaben lassen sich auf den Laub- frosch beziehen, der wohl auch mit ,rana parva arborem scandens‘ (lb. 32, 92) gemeint ist. Ob der als diopetes (lb. 32, 70 und 32, 139) bezeichnete Frosch von calamites unterschieden wurde, läßt sich kaum entscheiden. ig ICN WS, Das von Prinıus mehrfach (lb. 9, 91; 28, 119) auch mit dem Namen ,crocodilus terrester‘ beschriebene Reptil, das kleiner ist als das Krokodil und sich von diesem besonders dadurch unter- scheidet, daß eine Reihe Schuppen vom Schwanze nach dem Kopfe hin gerichtet sein soll, ist den Römern durch seine Ver- wendung in der Medizin bekannt geworden. Wahrscheinlich ist -es der Wüstenwaran Varanus arenarius Dum. et Bibr. oder der Apotheker-Skink, Sczncus officinalis L., der jedoch mög- licherweise auch dem ArisroreLes bekannt war und bei ihm als uooudderdos yeocatos vorkommt. Indes verstehen AUBERT-WINMER unter letzterem die Dornechse, .Sfellzo vulgaris Latr, sodaß also der Skink von AnrisroreLes nicht angeführt wäre. Übrigens spricht schon Heropor II. 69 vom Skink (wenigstens nach der Meinung van per Horvens (Zoologie II. p. 306) in Ägypten und auch Punus gibt für scincus als Heimat Ägypten (in Nilo), Indien und Arabien an. 12, Secyitale. Außer dem Namen (lb. 32, 54) findet sich keine Angabe; auch aus Lucan, wo scytale unter den afrikanischen Schlangen genannt wird, ist für die Bestimmung nichts zu entnehmen. 13 Sphondyle. Nach der einmaligen Erwähnung lb. 27, 143 ist sie unbe- stimmbar. 14. Testudo lutaria. Die Hauptstelle für die Unterscheidung der Schildkrötenarten bei PLINIUS ist lb. 32, 32 sqq. Dort werden vier ‚genera‘ aufge- führt und teilweise beschrieben, nämlich testudines terrestres, marinae, lutariae, und solche, die im Süßwasser leben und von den Griechen ‚emydes‘ genannt werden. Von diesen vier genera lassen sich drei auch bei ArisroTELEs erkennen und zwar sind die testudines terrestres = yedwvar yegoalaı, worunter wohl Zestudo = À — Steier, Die Tierformen des Plinius. 31 graeca L. und marginata Schoepff. zu verstehen ist, die testudines marinae entsprechen der yslovn Jalarria, welche als Z%alas- sochelys corticata Rondel. (Caguana) gedeutet wurde, und emys ist gleich éuvs, womit Arten von Süßwasserschildkröten wie Emys caspica, lutaria u. a. bezeichnet werden. Die testudines lutariae werden lb. 32, 39 als im Schlamm und in Sümpfen lebend beschrieben. Sie seien auf dem Rücken ebenso flach wie am Bauche ohne gewölbten Schild und unschön von Ansehen. Man wird nicht fehlgehen, wenn man in ihnen ebenfalls £72ys- Arten sieht, für welche wohl die Bezeichnung ‚testudines lutariae‘ vulgär war neben dem griechischen emys. 15. Testudines chersinae. Diese Ib. 9, 38 als Landschildkröten in den Wüsten Afrikas beschriebenen Schildkröten, welche als die einzigen Tiere im trockenen Wüstensand leben und sich vom Tau nähren sollen, sind unbestimmbar. ONE Sud nies COLT per aie. Diese ,,gehòrnten“ Schildkröten, welche lb. 9, 38 als bei den Trogodyten vorkommend aufgeführt werden, verdanken ihre abenteuerliche Beschreibung wohl einer ungenauen Beobachtung von Seeschildkröten, aus deren platten Vorderfüßen die Wundersucht ‚Hörner‘ gemacht hat, die wie eine ,lyra‘ gebogen seien. Aus dem Zusatz, adnexis cornibus latis, sed mobilibus, quorum in natando remigio se adiuvant‘ geht deutlich hervor, daß es sich um die als „Ruder“ benutzten Vorderbeine handelt. Der Bestand an Amphibien und Reptilien, über deren unklare Definition und systematische Stellung ich im 1. Teil S. 19 gehandelt habe, ist bei ARIsroTELES sehr gering. SunpEvALL und Meyer geben ihn auf 20 an und die Untersuchung der Liste bei AuUBERT- WIMMER stimmt damit überein. Für Prinıus ergeben sich 29 „Arten“, von denen sich ı5 bei ARISTOTELES nicht nachweisen lassen. Demnach hat Pıinıus 14 „Arten“ mit ARISTOTELES gemeinsam, während 6 des ARISTOTELES bei Pımivs fehlen. Tatsächlich sind es nur die 4 Aristotelischen Namen {ıyvis, x00dv40s, cavea und yalxis, die sich bei Puinius nicht identifizieren lassen, im übrigen auch bei ARIsTo- TELES unbestimmbar sind. Auf 4 fehlende Arten führt auch die Berechnung, wenn berücksichtigt wird, daß ich die wohl identischen Namen calamites und diopetes, sowie die unter emys einzureihenden testudines lutariae je mit einer eigenen Nummer aufgeführt habe. 32 Steier, Die Tierformen des Plinius. Die Mehrung bei Puinius besteht hauptsächlich in einigen Schlangen, bei denen sich jedoch noch mehr als sonst die Oberflächlichkeit in der Beschreibung bemerkbar macht, sodaß trotz der großen Rolle, welche die Schlangen bei den Römern spielten und trotz der zahlreichen Notizen über Schlangen, die O. Lenz auf 40 Seiten (S. 433—474) zusammengestellt hat, kaum von einer Bereicherung der Formenkenntnis im zoologischen Sinne gesprochen werden darf. Es fehlen eben fast durchweg die bei ARISTOTELES zwar nicht immer, aber doch in den meisten Fällen ausreichenden Beschreibungen, von deren Wert die Römer keine Vorstel- lung hatten. Fische. ı. acipenser (elops), wahrscheinlich Sterlet, Acpenser ruthenus L. 2. alabeta, vielleicht Aalwels, Clarzas anguillaris L. 3. asellorum genera, Gadus-Arten. a) callarias. b) bacchus. 4. attilus, vielleicht Stòr, Aczpenser sturio L. 5. clupea, Neunauge, wahrscheinlich Lamprete, Petromyzon marinus L. 6. coracinus in Aegypto, vielleicht Bolti, Chromzs nzlo- ficus Cuv. 7. cornuta (piscis) nach Cuvier vielleicht Aaja cephalo- plera Schn. 8. esox (isox), wahrscheinlich Hecht, Zsox luctus L. g. exocoetus sive adonis, vielleicht Arten von Dlennzus oder Gobzus. 10. hippocampus, Seepferdchen, Zıppocampus antiguorum Leach. 11. lucerna, Unbestimmbar. 12. milvus, Fliegender Fisch, wahrscheinlich Zxocoetus vohtans L. (= exsiliens Bloch.) 13. mustela, wahrscheinlich Rute, Aalraupe, Zofa vul- garıs Cuv. 14. passer, Gem. Scholle, Pleuronectes platessa L. 15. piscis in Borysthene (ichthyocolla), wahrscheinlich Hausen, Aczpenser huso L. 16. pisces im Comersee und Lago maggiore, ? Karpfenarten. = Za ig Steier, Die Tierformen des Plinius. 33 17. pisces in India, wahrscheinlich Vertreter der Laby- rinthfische. 18. pisces in Babylone, wahrscheinlich Vertreter der Gat- tung Zeriophthalmus, Schlammspringer. 19. pisces in Ponto, vielleicht Schlammpeitzger, Codztis JOSSHES MG, 20. porcus (porculus) marinus (orthagoriscus), Unbestimmt. 21. rhombus, wahrscheinlich Steinbutt, Peuronectes maxı- mus Cuv. 22. salmo, Flußsalm, Salmo salar L. 23. solea, Seezunge, Solea solea L. 24. synodus, wahrscheinlich Zahnbrasse, Dentex vulgaris Get NV. 25. trochus, Unbestimmbar. in ALOUD EMSGi Diesen Fisch erwähnt Punius lb. 9, 60 als einen in früheren Zeiten sehr geschätzten Speisefisch, der insbesondere bei Rhodus in ausgezeichneter Qualität vorkomme (lb. 9, 169 elops Rhodi). Er selbst scheint ihn nicht für identisch mit elops (helops) gehalten zu haben, da er lb. 9, 60 sagt ,quidam eum elopem vocant‘ und lb. 32, 153 unter Berufung auf Ovids Halieutica die Ansicht, daß acipenser und elops identisch seien, als Irrtum bezeichnet. War sich also zwar Puinius über die Sache nicht klar, so scheint doch eine Stelle bei ATHENAEUS, Deipnosoph. 7, 44 die Identität beider Namen sicherzustellen; denn dieser führt für yaAs6s (wie Puinius für elops) an, daß er um Rhodus am besten sei und bemerkt dazu, daß dieser yadedg (womit sonst ein Hai bezeichnet wird) bei den Römern drunmoros heiße, was wiederum gleich- bedeutend sei mit &44ow. Man hat unter acipenser stets den Sterlet verstanden und auf einen Ganoiden deutet auch die Notiz des Puinius lb. 9, 60, daß acipenser gegen das Maul zu gerichtete Schuppen habe. Denn diese Bemerkung hat offenbar in einer allerdings ungenauen Beobachtung der Anordnung und Form der Ganoidschuppen, die als abweichend von den sich dachziegelartig deckenden Schuppen der Teleosteer auffielen, ihren Ursprung. >eislabjeta. Der Fisch wird nur einmal (lb. 5, 51) genannt und außer dem Namen wird unter Berufung auf Jusa nur angegeben, daß er (mit coracinus und silurus) im Nil vorkomme. Die Deutung Zool. Annalen V. 3 a, 81 poe 34 Steier, Die Tierformen des Plinius, Aalwels ist möglich, da dieser zu den gemeineren Welsen des Nils gehört, bleibt aber mangels näherer Beschreibung unsicher. 3. Asellus. Mit diesem Namen werden Gadus-Arten bezeichnet, wofür ARISTOTELES den Ausdruck évog gebraucht. Prixıus unterscheidet aber lb. 9, 61 ‚duo genera asellorum‘ und zwar die kleineren ‚callariae‘ und die ,bacchi‘!), die nur auf hoher See gefangen werden. Ohne zu den Vermutungen Kips, daß callarias der Zwergdorsch, Gadus minutus L. und bacchus der Gem. Hecht- dorsch, Gadus merlucius L. sei, Stellung nehmen zu wollen, sei nur festgestellt, daß Prinıus Arten der Gadoiden unterscheidet, die von ARISTOTELES nicht unterschieden sind. iy TNE EMIS, Dieser Name findet sich nur einmal lb. 9, 44 für einen im Po vorkommenden, sehr großen Fisch, der mit silurus in Nilo (Wels, Sz/urus glanıs) und esox (isox) in Rheno (wahrscheinlich Hecht, “sox lucius) zusammen genannt, dessen Größe aber sowie die Art des Fanges sichtlich ins Abenteuerliche übertrieben ist: ‚Fiunt et in quibusdam amnibus haud minores, silurus in Nilo, isox in Rheno, attilus in Pado inertia pinguescens ad mille (|) aliquando libras, catenato captus hamo nec nisi boum iugis (!) ex- tractus‘. Da jegliche Beschreibung des Fisches fehlt und nur die Bemerkung beigefügt ist, daß der ganz kleine Fisch ‚clupea‘ der Todfeind des attilus sei, dem clupea in das Maul eindringe und ihn durch einen Biß töte, bleibt die Vermutung, daß es sich um den Stör, Aczpenser sturio L. handle, ohne Unterlage. Dagegen weist die eben angeführte Bemerkung über 5. Clupea mit ziemlicher Sicherheit auf das Meerneunauge, Pefromyzon marinus L., das sich bei ArisToTELEs nicht feststellen läßt. Von ihm sagt Leunis: „Steigt zum Laichen im Frühjahr in die Flüsse hinauf. Wird manchmal am Lachse angesaugt gefunden.“ Es ist klar, daß die auf den ersten Blick fabulos klingende Bemerkung über ‚clupea‘ als Todfeind des ‚attilus‘ auf einer ganz richtigen Beobachtung eines solchen angesaugten Neunauges beruht. 1) bacchus heißt nach Ib. 32,77 auch myxon, was jedoch kaum identisch sein wird mit wé§@v Arist., da dessen udÉ©v wohl eine Meeräschen-Art ist. Der Vul. gärname myxon (,Schleimfisch“) wurde eben für sehr verschiedene „schleimige“ Fische gebraucht. NE Steier, Die Tierformen des Plinius. 35 6. Coracinus in Aegypto. Unter coracinus sind sicher mindestens zwei verschiedene Arten von Fischen zu verstehen, von denen die eine als xogaxîvos auch von ARISTOTELES erwähnt ist und von Cuvier für Sparus chromis L., von anderen für Corvina nigra (Rabenfisch) gehalten wurde. Puinius aber berichtet außerdem noch von einem coracinus im Nil (lb. 5, 51; 32, 56; 9, 68) und diesen Fisch hielt Cuvier für den Bolti, Ohromıs niloticus (vgl. AUBERT-WInMER I. S. 132). Die Deutungen sind sehr unsicher, eine Entscheidung ist nicht zu treffen. 7. Cornuta piscis. Dieser Seefisch soll nach Pımivs lb. 9, 82 anderthalbfußlange „Hörner‘ haben und deshalb Hornfisch heißen. Wenn man die Übertreibung abzieht, kann man vermuten, daß eine ungenaue Beobachtung der oft stark entwickelten Hautzähne der Rajiden der Notiz zugrunde liegt, doch scheint mir die Deutung Cuvier's auf Raja cephaloptera Schn. doch etwas zu gewagt. 8. Esox (isox). Der Fisch ist bei Pumius nur einmal an der oben (No. 4 attilus) zitierten Stelle genannt und als ein sehr großer Fisch im Rhein bezeichnet. Man vermutete darunter stets den Hecht, der von ARISTOTELES nirgends erwähnt wird. 9. Exocoetus sive adonis. Mit diesen Namen wird lb. 9, 70 ein in Arkadien vorkommender Fisch angeführt, der zum Schlafen ans Land gehen soll!). Der Name (&axortos) verrät die griechische Quelle, die ohne Zweifel in THEOPHRAST zu suchen ist, da dieser lb. 9, 175 als Gewährs- mann genannt ist für einige dort mitgeteilte ähnliche Beobachtungen von Fischen, die auch auf dem Lande leben können. Die Wundersucht jener Zeit erklärt es, daß Puis dreimal auf solche merkwürdige Fische zu sprechen kommt. Er erzählt (lb. 9, 71), daß es in Indien Fische gebe, welche über Land in andere Gewässer wanderten, und daß nach THropHrast's Berichten in der Gegend von Babylon sich Fische in Wasserlöchern aufhalten und auf ihren Flossen auf die Nahrungssuche gehen. Ihr Kopf gleiche dem der ,rana marina‘ (= Seeteufel, Lophzus piscatorius L. = fdreayos ARISTOTELES), sonst sähen sie wie gobiones (Gobio wahrscheinlich = Meergrundel, wohl Godzws-Arten, ARISTOTELES xweds) aus. 1) Die gleichen Angaben haben Oppıan und AELIAN (s. Lenz, S. 501). 3* = fs = 36 Steier, Die Tierformen des Plinius, In den ‚indischen Fischen“ haben wir wahrscheinlich Ver- treter der Labyrinthfische vor uns, die bekanntlich im Zusammenhang mit der Kiemenhöhle eine Nebenhöhle (das Laby- rinth) besitzen, in der sich ein blättriges, gewundenes Atmungs- organ befindet, das den Fischen ermöglicht längere Zeit auf dem Trockenen zu leben. Beim Kletterfisch, Anabas scandens, geht ja der Aufenthalt auf dem Lande so weit, daß er mit Hilfe von dornartigen Auswüchsen am Kiemendeckel selbst größere Hindernisse überwindet. Die ,,babylonischen Fische“ gehören vielleicht der Gattung Perzophthalmus an, dagegen verbietet die Angabe ‚in Arcadia‘ bei exocoetus gleichfalls an Labyrinthfische zu denken, sondern es handelt sich möglicherweise um Blennius- oder Gobtus-Arten. 10. Hippocampus. Obwohl oder vielleicht gerade weil dieser Fisch in der Medizin eine große Rolle spielte, wie zahlreiche Stellen bei Pumius lehren, fehlt jegliche Beschreibung über ihn, so daß abge- sehen von dem allerdings sehr bezeichnenden Namen nur eine Bemerkung Ib. 9, 3 zur Deutung Seepferdchen herangezogen werden kann, wo Prinius in der rhetorisierenden Art, mit der er die einzelnen Bücher einzuleiten pflegt, darauf hinweist, daß sich unter den Lebewesen im Meere „Abbilder von Traube, Schwert, Säge, Gurke!}“ befänden, sodaß es nicht wunderlich erscheine, wenn auf so kleinen „Muscheln“ (cocleis) Pferdeköpfe her- vorragten (quo minus miremur equorum capita in tam parvis eminere cocleis). Diese Bemerkung kann man wohl nur auf Hippocampus beziehen, wozu auch der Ausdruck ‚coclea‘, womit in freilich unbeholfener Weise die harte, schnecken- bzw. muschel- schalenähnliche Hautbedeckung des Seepferdchens angedeutet wird, völlig paßt. @ 1) uva, gladius, serra, cucumis: Was mit uva gemeint ist, ist nicht zu ermitteln. Da sie lb. 32,151 nochmal unter den , Wassertieren“ erscheint, darf man wohl nicht, was sonst nahe läge, an den in großen, traubenförmigen Klumpen an Felsen abge- legten Laich von Tintenfischen denken; gladius ist jedenfalls der auch sonst (lb. 9,54 und 32,15) erwähnte Schwertfisch, Azphias gladius, den Prinıus ent- sprechend dem Aristotelischen $ıplag auch xiphias (und thranis) nennt. — serra dürfte ein Vulgärname für den sonst als pristis (lb. 9,41) und pistrix (zeiozıg Arist.) bezeichneten Sägefisch, Pristis antiquorum Lath. sein und in cucumis lässt sich eine Holothurie, die man auch jetzt noch „Seegurken“ nennt, vermuten. Das Wort holothurium (Arist. 6A0od0oögıo») findet sich bei Prinıus nur einmal (lb. 9,154), doch fehlt außer dem Hinweis, daß es ein „Pflanzentier“ (vgl. oben S. 38 f.) sei, jede Beschreibung. = MM — Steier, Die Tierformen des Plinius. 37 ni, LUCERA Mit diesem Namen wird lb. 9, 82 ein in großen Tiefen _ lebender Fisch angeführt, dessen herausgestreckte Zunge nachts feurig leuchten soll. Eine Bestimmung ist nach diesen Angaben nicht möglich, aber wahrscheinlich handelt es sich überhaupt nicht um einen Fisch, sondern um einen Vertreter der zu den Tunicaten gehörigen, freischwimmenden, pelagischen Pyrosomen, von denen der ,Feuerzapfen“ Pyrosoma giganteum Les. durch intensive Leuchtkraft ausgezeichnet ist. 12. Milvus. Er ist nach lb. 9, 81 (82) wie die gleichfalls dort genannte ‚hirundo‘ ein fliegender Fisch (Volat sane perquam similis volucri hirundo, item milvus). Da hirundo jedenfalls der von Anristo- TELES hist. anim. 4, 104 als xeAıdov beschriebene fliegende Fisch ist, der von AuBERT- WIMMER I. S. 143 f. für Dactylopterus volitans Cuv. gehalten wird, so wird unter milvus wohl Exocoetus volitans zu verstehen sein. 13. Mustela. Während Puinius an anderer Stelle (lb. 32, 112) unter mustela einen Hai versteht, wird lb. 9,63 ein im Bodensee vorkommender Fisch darunter verstanden, dessen Leber besonders geschätzt war (Proxima est mensa iecori dumtaxat mustelarum, quas, mirum dictu, inter Alpes quoque lacus Raetiae Brigantinus aemulas murenis generat). Man hat diesen Fisch als die Rute, Aalraupe, Lota vulgaris Cuv. gedeutet, welche die einzige Gadide im Süßwasser ist und in den Schweizer Seen sowie auch in deutschen Flüssen nicht selten vorkommt. Diese Bestimmung hat viel für sich, doch ist anderseits festzustellen, daß PLINIUS selbst, wie sein Zusatz ,mirum dictu‘ zeigt, jedenfalls die mustela des Bodensees für identisch mit der Meertrüsche, Gadus mustela, gehalten hat und diese beiden Arten nicht unterschied. 14. Passer, rhombus, solea. Diese drei Fischarten bilden bei Puinius (lb. 9, 72) die Gruppe der „Plattfische“ (pisces plani) d.h. genauer der platten Knochen- fische (Pleuronectiden), welche ArisTOTELES nicht zu einer Gruppe zusammengefaßt hat (vgl. S. 23). Er nennt auch keine Vertreter dieser Gruppe, denn für die beiden Namen wWijrta und xiIagog bei ARISTOTELES, unter denen nach Angaben bei ATHENAEUS und AELIAN (vgl. AuBerT- Wimmer I. S. 131 und 144) möglicherweise Pleuronec- tiden vermutet werden könnten, fehlt eine nähere Beschreibung, 38 Steier, Die Tierformen des Plinius. jedenfalls hätte ARISTOTELES, wenn er Pleuronectiden gekannt hätte, nicht unterlassen auf die auffallende, platte Form hinzuweisen, wie er es für die Rochen tat. Dagegen nennt schon CoLUMELLA die von Prinivs aufgeführten Plattfische und seine sehr klaren und verständigen Ausführungen (de re rust. 8, 16) lassen ersehen, daß diese sogar in mit Meerwasser gefüllten Fischteichen gezüchtet wurden; auch CoLumeLLA nennt passer, worunter wohl die gemeine Scholle zu verstehen ist, ferner rhkombus, die Steinbutte, und solea, die Seezunge. 15. Piscis in Borysthene. Im Anschluß an die oben (S. 82) besprochenen, durch ihre Größe bemerkenswerten Fische spricht Puinius lb. 9, 45 auch von einem sehr großen, im Borysthenes (Dniepr) vorkommenden Fische, der knochen- und grätenlos sei und ein vorzügliches Fleisch habe (et in Borysthene memoratur praecipua magnitudo nullis ossibus spinisve intersitis, carne praedulci). Schon ALBERTUS vermutete in diesem Fisch den Hausen, Acipenser huso L., den ARISTOTELES nicht kennt, und Harvovm schloß sich ihm an. Auch der Ib. 32, 72 genannte Fisch ichthyocolla, von dem der Fischleim gewonnen wird, wird als Hausen gedeutet; ichthyocolla bedeutet also hier den Fisch selbst, sonst gewöhnlich den von ihm gewonnenen Fischleim. 16. Pisces in lacu Lario et Werbanno. Ob man genügende Grundlagen hatte, in diesen von PLINIUS lb. 9, 69 als alljährlich nur zu Beginn des Sommers im Comersee (lacus Larius) und Lago maggiore (lacus Verbannus) auftretenden Fischen, welche spitzige Schuppen wie „Schuhnägel“ (squamis conspicui crebris atque praeacutis, clavorum caligarium effigie) haben sollen, Karpfenarten, besonders das Rotauge, Cyprinus rutilus, zu sehen, erscheint mir zweifelhaft. Da eine Quelle für die Angabe des Pznius nicht zu erkennen ist, wäre es möglich, daß es sich um Fische handelt, die zur Laichzeit aus der Adria den Po und seine Nebenflüsse bis in die oberitalienischen Seen hinaufziehen und von denen PLinıus aus seiner Jugendzeit her (Comum ist ja seine Vaterstadt) Kenntnis hatte, sodaß hier vielleicht eine dunkle, mit Übertreibungen wiedergegebene Jugend- reminiszenz vorliegt. I Büseeis in India.sNorog: 18. Pisces in Babylone s. No. 0. 19. Pisces in Ponti regione: UE Steier, Die Tierformen des Plinius. 39 Lb. 9, 177 berichtet PLinius nach THEoPHRAST, daß am Pontus um Heraclea (also in Paphlagonien und Bithynien) aus dem nach dem Zurücktreten des Wassers zurückbleibenden Fischlaich sich Fische entwickelten, die durch Bewegung ihrer kleinen Kiemen Futter suchen und deshalb kein Wasser brauchen. Man mag aus diesen wenig klaren Angaben vielleicht auf einen Fisch wie den Schlammpeitzger raten, eine Bestimmung ist natürlich nicht zu treffen. 20. Porcus marinus. Dieser Fisch wird Ib. 32, 150 als Seefisch aufgeführt, der (nach lb. 9, 45) dem silurus (Wels) ähnlich ist. Er ist (nach Ib. 32, 19) ein sehr großer Fisch, der bei den Lacedämoniern ,ortha- goriscus‘ heißt; wenn er gefangen wird, gibt er einen grunzenden Ton von sich. Man könnte auf Grund der letzten Bemerkung an Zrigla-Arten denken, doch reichen die Angaben zu einer Bestimmung nicht aus. 21. Rhombus s. No. 14. 22. Salmo. Unter diesem von Puinius lb. 9, 68 als in Aquitanien besonders geschätzten Speisefisch aufgeführten Fisch (in Aquitania salmo fluviatilis marinis omnibus praefertur) verstand schon Harpouin den Flußsalm, der von keinem griechischen Autor erwähnt -wird und außer hier bei PLinius nur noch von Ausonivs genannt ist. Er tritt also bei PLinıus zum ersten Male in der Literatur auf. 23. Solea s. No. 14. 24. Synodus. Über synodus hat Pumivs nur eine Bemerkung lb. 37, 182, die sich auf den Otolithen dieses Fisches bezieht. (synodontitis e cerebro piscium est, qui synodontes vocantur). Es ist auf- fallend, daß er nicht einmal die rein lateinische Bezeichnung dentex kennt; denn unter diesem Namen führt schon CoLUMELLA den Fisch an und man deutet ihn als Zahnbrasse, Dentex vulgarıs, die sehr häufig in Fischteichen gehalten wurde. Ob ARISTOTELES die Zahnbrasse aufführt, läßt sich nicht entscheiden, möglicherweise aber ist sie unter cvvayois oder pdygos oder ovvödwv zu verstehen. 2 Krochus. Von diesem Tiere berichtet Punius lb. 9, 166, daß es sich selbst begatten soll (qui trochos appellatur a Graecis, ipse se 40 Steier, Die Tierformen des Plinius. inire). Im Satze vorher ist von den Fischen erythinus und channa gesagt: ‚erythini et channae volvas habere traduntur‘. Diese Be- merkung geht auf AnrisroreLes (hist. an. 4,123 vgl. de gen. an. 2,75 und 3,58) zurück, wo es heißt, von den Fischen #0v3oîvos und yavvn würden stets nur Weibchen gefunden, während man keine Männchen kenne. Da nun aus mehreren Stellen bei Arısto- TELES hervorgeht, daß er Tiere kannte, deren Geschlechtsprodukte nicht auf getrennte Individuen verteilt, sondern in einem Indi- vidium vereinigt sind!) (Zwitter), da er ferner mehrmals, wenn er von solchen Tieren spricht, auf ein yevog der Fische als Bei- spiel hinweist (z. B. de gen. 3,64), andere in Betracht kommende Fische als s0v9gîvos und xavvn aber nirgends genannt sind, so kann er nur diese als Zwitter aufgefaßt haben, wenn sie auch nicht geradezu als Zwitter beschrieben sind. Dazu kommt, daß diese beiden Fische mit Sicherheit als Serranus-Arten gedeutet sind, deren Hermaphroditismus von CavoLmı (1792) wieder beobachtet und seither bestimmt nach- gewiesen ist. Es macht dabei wenig aus, ob unter égv9oiros der stets zwittrige Schriftbarsch, Serranus scriba, oder Serranus anthıas (wie AUBERT-WIMMER meinen) zu verstehen ist, und ob xavın = Sägebarsch, Serranus cabrilla oder Serranus scriba (nach AußERT-WiInmMER) ist. Das Wesentliche ist, daß es sich um Serraniden handelt, die ja alle mehr oder minder hermaphro- ditisch sind. Da also kurz vor der Anführung des ‚trochus‘, der sich selbst begatten soll, von Prnius die zwittrigen Fische erythinus und channa genannt sind, so liegt es nahe auch unter ‚trochus‘ einen hermaphroditischen Fisch zu verstehen, an welchem wie bei erythinus und channa nur die Eier bemerkt, die männlichen Geschlechtsorgane aber übersehen wurden. ARISTOTELES teilte nun zwar die Ansicht, daß manche Tiere zwittrig sind, aber das Vorkommen beider Geschlechtsorgane bei einem Säugetiere erschien ihm als Unmöglichkeit. Denn er weist de gen. an. 3, 68 die Ansicht mehrerer Autoren, daß die Hyäne zweierlei Geschlechtsteile hätte und jährlich das Geschlecht wechsele, als „einfältig und irrtümlich“ zurück und dehnt dieses Urteil auch auf die Angabe des HrRoporus von 1) Z. B. de gen. 1,54: tov Épav Evia, Ev Boots un Eorı diwprouévov tO doper nal to div ywois; ebenso de gen. 1,87; 3,64 u. öfters. eg Steier, Die Tierformen des Plinius. 41 Heraclea aus, der dem zodyog (trochus) gleichfalls männliche und weibliche Geschlechtsteile zuspreche und angebe, daß dieser sich selbst begatte. In der Ansicht über die Zweigeschlechtigkeit und den jähr- lichen Geschlechtswechsel der Hyäne liegt ohne Zweifel ein alter Volksaberglaube vor, dessen Entstehung ARISTOTELES 1. c. wohl richtig darauf zurückführt, daß die Hyänen unter dem Schwanz eine Linie haben, welche wie eine weibliche Scheide aussieht. Auch Puinivs erwähnt die Sache (lb. 8, 105) und bemerkt, daß das Volk daran glaube, daß aber ArisroreLEs sie als Irrtum bezeichne (volgus credit, ARISTOTELES negat). Anders aber scheint mir die Sache für ‚trochus‘ zu liegen. Da ARISTOTELES Öaıva und tedxog zusammen nennt, hat man auch toöxog für ein Säugetier gehalten (s. AuserT-WIMMER, de gen. an. S. 28), ohne daß die Stelle bei ArisroreLEs dazu nötigte. Der Zusammenhang des Textes bei PLinıus aber läßt keinen Zweifel darüber, daß er trochus für einen Fisch hielt oder vorsichtiger ausgedrückt, daß er ihn in seiner Quelle als Fisch verzeichnet fand. Ist aber trochus ein Fisch, so ist damit auch HrRoporus gerechtfertigt, der dann nicht den Hermaphroditismus eines Säugetieres, sondern des Fisches trochus behauptete; denn nur für die auf trochus bezüglichen Angaben trägt nach dem klaren Wortlaut der Aristotelesstelle Hrrovorus die Verantwortung, mit der Erzählung über die Hyäne hat er gar nichts zu tun. Der Umstand aber, daß PLINIUs zwar mit ArıstoreLes den Volksaber- glauben über die Hyäne als irrtümlich bezeichnet, dagegen die Notiz über die Zweigeschlechtigkeit des trochus ohne ein Wort des Zweifels freilich in unklarer Weise registriert, beweist, daß seine Quelle nicht ARISTOTELES de gen. an. 3, 58 war, sondern daß ihm wohl die Nachrichten über die Hyäne aus ARISTOTELES (h. a. 6, 180; 8, 54) zukamen, während ihm die Ansichten des Heroporus über den Hermaphroditismus des trochus aus einer anderen Quelle, die ohne Berührung mit ArisroreLes auf Hero- DORUS direkt zurückgeht, zuflossen. Wenn ich auch keineswegs glaube, daß Pımmws von dem Fische trochus etwas Näheres gewußt habe, ergibt die Untersuchung doch das Resultat, daß die Stelle bei Pzinius einerseits zu der richtigen Deutung des trochus als Fisch führt und anderseits die für jene Zeit gewiß bemerkenswerte Erkenntnis des Hermaphroditismus bei Fischen durch Heroporus ins rechte Licht stellt. Bestimmbar freilich ist — 897 = 42 Steier, Die Tierformen des Plinius. der Fisch nicht, doch hat man vielleicht wie bei erythinus und channa an einen Serranus zu denken. Der gesamte Fischbestand bei ARIstoTELES wird von MEYER auf 117 Formen angegeben, womit sich die allerdings nicht auf eigener Untersuchung fußende Angabe SunpEvaLL’s mit „unge- fähr 116“ deckt. An der Hand des Verzeichnisses von AUBERT- Wimmer habe ich etwa 120 Formen berechnet, also eine fast völlige Übereinstimmung mit den früheren Ergebnissen. Für den Fischbestand bei Puinius liegt von ihm selbst (Ib. 9, 43) die Angabe vor, daß die Zahl der ‚species piscium‘, worunter natürlich Gattungen und Arten ohne Unterscheidung verstanden sind, 74 betrage. Harpourn erschien diese Zahl zu niedrig und er vermutete einen der bei der Wiedergabe von Zahlen in Hand- schriften allerdings häufigen Fehler, weshalb er 144 substituierte. Er stützte diese Zahl durch die von Prinıus (lb. 32, 142— 154) auf- | geführten Namen der ‚aquatilia‘, wo dieser mit einer jetzt naiv anmutenden Sicherheit erzählt, daß die Tiere des Meeres tat- sächlich alle bekannt seien, weit bekannter als die Landtiere und Vögel und angibt, es seien im ganzen 144. Allein aus dieser Liste kann nicht auf den Fischbestand geschlossen werden, da sie ja angeblich alle ‚aquatilia‘, also neben Fischen auch See- säugetiere, Muscheln, Schnecken usw. enthält. Zudem ist sie ganz unzuverlässig; denn während einerseits eine ganze Reihe von Fischen, die in früheren Büchern behandelt sind, fehlt, tauchen in ihr etwa 30 Namen von Fischen auf, die sonst nirgends in der Naturalis Historia behandelt sind, sich auch bei ARISTOTELES nicht identifizieren lassen und von denen auch hier außer dem Namen nichts angegeben wird. Zudem weiß man längst, wie wenig auf Zahlangaben bei PLinius zu geben ist. Der einzige Weg ist also der, den Bestand auf Grund der einschlägigen Stellen selbst aufzustellen, eine bei der Schwierigkeit, die Identität von oft drei und mehr synonymen Namen festzustellen, ziemlich mühselige Arbeit. Etwas leicht scheint sich diese Arbeit MonTIGNY (a. O. p. 28) gemacht zu haben, da er abgesehen von den etwa 30 Fischnamen im 32. Buch nur 55 Formen als den Fischbestand bei PLinıus angibt. Meine mehrfach nachgeprüften Untersuchungen ergaben vielmehr als Gesamtsumme die Zahl 90, wobei die 30 Namen aus dem 32. Buch nicht eingerechnet sind. Da von diesen 90 Formen 25 bei ARISTOTELES nicht nach- weisbar sind, so hat Prinıus mit ARISTOTELES nur 65 Fische gemein- Steier, Die Tierformen des Plinius. 43 sam, während über 50 von ARrısToTELEs erwähnte Fische bei Pıinıus nicht mehr vorhanden sind. Wie bei den Vögeln handelt es sich auch hier fast durchweg um solche Fische, die von ARISTOTELES mangelhaft beschrieben und oft nur mit den Namen eingeführt sind. Auch mit Einrechnung der 25 neuen Formen, von denen allerdings einige sicher schon dem Taeopurast bekannt waren, bleibt der Fischbestand des Prinıus noch um etwa 30 hinter dem des ARISTOTELES zurück; erst wenn man die etwa 30 Namen (lb. 32, 142— 154), die aber zumeist wirklich bloße Namen sind, hinzurechnen wollte, würde die Summe des Aristo- telischen Bestandes erreicht werden. Geht man die bei Puinıus neu auftretenden Fische nach dem Gesichtspunkt ihrer Herkunft durch, so sind es nur wenige Formen, die aus Faunengebieten stammen, welche dem ARISTOTELES unzu- gänglich waren: esox im Rhein (No. 8), attilus im Po (No. 4) nebst clupea (No. 5), der Hausen im Dniepr (No. 15), salmo in Aquitanien [Südfrankreich] (No. 22) und die unbestimmbaren Fische im Comersee und Lago maggiore. Von einer Durchdringung der Fischfauna in den gewaltigen Gebieten des Römerreiches kann also angesichts dieses geringen Zuwachses nicht die Rede sein. Wissenschaftliches Interesse war eben kaum vorhanden und auf der Tafel wurden die Fische des Meeres, wie aus mancher Bemerkung des Prinıus hervorgeht, bevorzugt. Dem Mittelmeere gehören denn auch die übrigen Fische an, soweit die Bemerkungen über sie nicht wie bei No. 9, 17, 18, 19 aus THEOPHRAST entnommen sind, und unter ihnen sind die Pleuro- nectiden (passer, solea, rhombus) die wichtigsten, welche in den Kreis der bekannten Fische eintreten. Insecta. Die von ARISTOTELES als &vroua, von Prius als insecta bezeich- nete Tiergruppe umfaßte, wie S. 10 (bzw. S. 230) und S. 40 ff. (bzw. S. 260) dargelegt ist, außer den Insekten im Sinne unserer Systematik auch die Myriapoden, Spinnen und Würmer. Der Übersichtlichkeit halber führe ich die bei PLinıvs neu auftretenden Formen nach diesen Klassen unserer Systematik an, obwohl sich weder bei ARISTOTELES noch bei Prius eine Zerteilung der insecta in diese Klassen findet. 44 US) [ee 27e HONOR SOS See Steier, Die Tierformen des Plinius. Insekten (Hexapoden). [animal] a crabrone pinnis tantum differens (? ogpyzetov Nicander), Unbestimmt. blatta, wahrscheinlich Küchenschabe, Periplaneta orien- Zalıs oder Blatta germanica. buprestis, vielleicht Maiwurm, Meloe proscarabaeus. cantharidis, Unbestimmt. centrines, Unbestimmt. cerastes (wohl = xagaBos xeoatog Arist.) Cerambyx sp. cimex agrestis, Unbestimmbar. culex in foliis quercus, Vertreter der Psenides. culex in terebintho, Pemphigus sp. culex ex ulmo, Unbestimmt. curculio, ,Kornwurm“, Tınea granella L. oder Calandra granaria L. . gryllus, Feldgrille, Gryllus campestris. . lucanus, Hirschkäfer, Zucanus cervus. . myrmecion (phalangium), vielleicht Bienenameise, Mu- Lılla sp. . phalangium in ervo, vielleicht Zelephorus oder Mala- chius Sp. . pityocampa, Raupe vom Pinien- Prozessionsspinner, Cnethocampa pityocampa Fabr. . pseudosphex, wahrscheinlich Vertreter der Solitariae (Lehmwespen). . rauca, vielleicht Vertreter der Psenides. . scarabaeus in focis, wahrscheinlich Heimchen, Gryllus domesticus. . scarabaeus rutilus, Unbestimmt. . scarabaeus corniculis reflexis, vielleicht Vertreter der Cerambycidae (Bockkäfer). . scarabaeus fullo, vielleicht Müller, Polyphylla fullo. . scarabaeus in eriphia, Unbestimmt. . scarabaeus viridis, Unbestimmt. . taurus, Unbestimmt. Mitenedo: a) wahrscheinlich Klopfkäfer, Anobrum pertinax. b) wahrscheinlich Bohrkäfer, Pinus fur. thrips, Unbestimmt. Steier, Die Tierformen des Plinius. 45 28. tinea in libris, wahrscheinlich Bücherlaus, A/ropos pul- satoria. 29. vermiculus teredini similis, wahrscheinlich „Mehlwurm“, Tenebrio molitor. 30. vermiculus in gallidraga, Unbestimmt. 31. volucria animalia etc., Unbestimmt. 1. Dieses Tier wird von Puinius lb. 20,86 in einer aus NICANDER entnommenen Aufzählung von Spinnentieren erwähnt und dadurch charakterisiert, daß es sich von crabro, worunter, wie unter dem Aristotelischen opn&, wahrscheinlich die Hornisse, Vespa crabro, zu verstehen ist, nur durch das Fehlen der Flügel unterscheide. Eine Deutung ist nach dieser Angabe nicht möglich, doch scheint das von Punivs hier erwähnte Tier überhaupt keine Spinne, son- dern ein Insekt zu sein, was TASCHENBERG auch für ogi)xetov des NIcANDER, worauf sich die Angabe des Puinius wohl bezieht, ver- mutet. > blatta: Unter den „Käfern“ führt Pumius lb. 11,99 auch blatta als lichtscheues Tier auf, das vornehmlich in feuchten Bädern lebe. Als ein in den Häusern in Massen vorkommendes Insekt wird sie auch lb. 20,171 bezeichnet und lb. 29,140 werden drei „genera“ dieses „animal pudendum“ aufgeführt, dessen Behandlung Prius mit einer seltsam anmutenden Rücksichtnahme auf die Prüderie seiner Leser, von der er vielleicht selbst nicht ganz frei!) war, dadurch entschuldigt, daß das Tier in der Medizin eine so große Rolle spiele. Obwohl eine nähere Beschreibung fehlt, liegt mit Rücksicht auf den Aufenthalt die Deutung auf einen Vertreter der Blattiden sehr nahe, so daß Perzplaneta orientals oder, falls es richtig ist, daß diese erst seit etwa 200 Jahren aus Asien nach Europa eingewandert ist, Dlafla germanica in Betracht käme. Als Unterscheidung der drei „genera“ gibt Pumius an, die einen seien „molles“, das andere genus heiße „myloecon“ (alterum genus myloecon appellavere circa molas fere nascens), was also „Mühlenbewohner“ (uöAorxos) bedeutet, und vom dritten sagt er, es sei schon durch seinen Geruch ekelhaft und besitze einen zu- 1) Ebenso geziert wie hier von blatta spricht er lb. 29,61 von den Wanzen (cimices) und lb. 9,154 von den Flöhen und Läusen, von denen er sogar den Namen zu nennen sich scheut. 46 Steier, Die Tierformen des Plinius. gespitzten Hinterleib (tertium genus et odoris taedio invisum, exacuta clune). An verschiedene Arten ist nicht zu denken, sondern die Unterscheidung scheint mir auf der Beobachtung der Entwicklungsstadien bezw. der Verschiedenheit der Geschlechter zu beruhen, so daß die ,,molles‘ Larven wären, während das „tertium genus“ vielleicht die Weibchen, das „genus myloecon“ dann die Männchen bedeutet. Gerade bei Zerrplaneta zeigen nun bekanntlich Weibchen und Männchen auffallende Verschieden- heit, wie sich auch ihre Larven in allen Stadien mit ihnen zu- sammen finden, so daß die Deutung blatta = Periplaneta dadurch wohl eine Stütze bekommt. Zwar erwähnt auch ARISTOTELES als „olAgpn“ ein Insekt, unter dem eine Dlatta-Art vermutet worden ist, doch reichen seine An- gaben nicht entfernt zu einer solchen Vermutung hin (vgl. Aubert- Wimmersh' a. 125.170). 3. Buprestis. Unter diesem Namen ist lb. 30,30 ein in Italien seltenes In- sekt beschrieben, das einem langbeinigen Käfer ähnlich sei und dessen Genuß beim weidenden Vieh durch Entzündung der Galle Auftreibungen und Blähungen des Bauches verursache, wovon es den offenbar vulgären Namen buprestis (8006, 207,90 = miumonut, „Rindsbrenner“) bekam. (Buprestis animal est rarum in Italia, simillimum scarabaeo longipedi; fallit inter herbas bovem maxime, unde et nomen invenit, devoratumque tacto felle ita inflammat, ut rumpat). Bei ARISTOTELES ist kein derartiges Insekt erwähnt, wohl aber bei Nıcanper, Alexipharm. v. 346, dem Puinivs seine Notiz entnahm. Man deutet buprestis als den Maiwurm oder Ölkäfer, Meloe proscarabaeus L. oder überhaupt eine Meloe-Art. 4. Cantharidis. Lb. 18,152 wird ein kleiner Käfer cantharidis genannt, der die noch auf dem Halme stehenden Körner des Getreides aus- frißt. (Est et cantharidis [cantharis Mayh.] dictus scarabaeus parvus frumenta erodens). Dieser Käfer ist zu unterscheiden von dem anderwärts von Prinıus genannten Insekt cantharis = xar- SIaoic Arist., worunter die spanische Fliege Zyifa vesicatoria (oder, wie TAscHENBERG (a. O. S. 267) meint, auch Mylabrıs-Arten) zu verstehen ist. Da nähere Angaben fehlen, der Käfer aber, welche dem Getreide schaden, viele sind, ist eine Deutung nicht möglich. Steier, Die Tierformen des Plinius, 47 5. Centrines. Dieses Insekt wird lb. 17,255 als Feind der Feigengallwespe (Blastophaga grossorum Grav.) bezeichnet, welche Puinius öfters . als culex ficarius = wy Arist. gelegentlich seiner Ausführungen über die Kaprifikation des Feigenbaumes erwähnt. Centrines ge- hört zum genus culicum, ist den Drohnen der Bienen ähnlich an Trägheit und Tücke und tötet die Feigengallwespe, wobei sie selbst zugrunde geht. Zu einer Deutung reichen diese Angaben nicht aus. 6. Cerastes. | Für dieses Insekt bietet PLinıus zweimal (lb. 16,220 und 17,221) eine Angabe, die darauf schließen läßt, daß es sich um Holzkäfer und deren Larven handelt; da aber auch ARISTOTELES (hist. an. 5,98 und 4,74) als xdoaßog (xagaufros) einen Holzkäfer und dessen Entwickelung in sehr ähnlicher Weise beschreibt und insbesondere seine langen Antennen hervorhebt, dürfte cerastes = xa_gaßog sein; letzterer wird als Cerambyx-Art gedeutet. Simessagrestis. Cimex bedeutet bei Puts außer der Bettwanze (Czmex lec- tulartus), die auch ARISTOTELES als xdgıg aufführt, noch andere Insekten; denn er spricht lb. 29,62 von ,cimices agrestes, qui in malva nascuntur’ und ebenso lb. 30,24; in beiden Fällen sind diese cimices als Heilmittel erwähnt. Eine Deutung kann nach diesen Angaben nicht gegeben werden. SCulexin foliis quereus. Die Bemerkungen über dieses Insekt, das nach lb. 16,29 in nußförmigen, mit Feuchtigkeit angefüllten, durchsichtigen Körpern am Blatte der Eiche ähnlich wie Gallen vorkommt, deuten mit Sicherheit auf einen Vertreter der echten Gallwespen (Psenides), doch läßt sich eine nähere Bestimmung unter den zahlreichen auf der Eiche vorkommenden Arten nicht treffen. Wie übrigens lb. 16, 26 sq. zeigt, war die Beziehung des Insekts zur Entstehung der Galle nicht bekannt. 9. Culex in terebintho. Puinius beschreibt lb. 13,54 nach THropHRAST den Baum terebin- thus so deutlich, daß kein Zweifel darüber bestehen kann, daß es sich um den Terpentinbaum (/%s/acia Zerebinthus XL.) handelt. Er erwähnt dabei auch, daß dieser Baum Gallen (folliculi) trägt, aus denen gewisse culices hervorkommen (fert et folliculos emittentes - 48 Steier, Die Tierformen des Plinius. quaedam animalia seu culices). Dieser culex kann demnach nur ein Vertreter der Gattung Pemphigus (Wolläuse) sein, von der verschiedene Arten wie Pemphigus terebinthi die bekannten Tere- binthengallen oder Karoben erzeugen. Tor Cu llerxvrex2 Wo: Nach Ib. 13,67 sollen aus dem Harz der Ulme culices entstehen. Wäre nicht ausdrücklich vom Harz (cummi) die Rede, so könnte man etwa an die Ulmen-Gallenlaus, Zetraneura ulmi Deg. denken. Überdies ist die auf Turopurast zurückgehende Notiz von Puinius verderbt wiedergegeben. iis Cureulio. Lb. 18,302 wird bei der Erörterung über die Art der Ge- treideaufbewahrung gesagt, man solle das lagernde Getreide nicht umschaufeln; denn der curculio dringe nicht tiefer als vier Finger in die Körnerhaufen ein und so leide das tiefer liegende Getreide keinen Schaden. Obwohl keinerlei Beschreibung dieses auch von CoLumeLLa, dem die Notiz des Puinius entstammt, Varro u. a. (Lenz, a. O. S. 541) erwähnten Getreideschädlings gegeben ist, darf man doch aus den Angaben über sein Vorkommen auf einen „Kornwurm“, also Larven von 7inea granella oder Calandra granarıa schließen. ı2. Gryllus. Das Tier wird von Puinius lb. 29, 138 zwar nur wegen seiner Bedeutung in der Volksmedizin erwähnt, doch gibt er nach Niaipius!) so charakteristische Merkmale, dass mit Sicherheit auf die Feldgrille, Gryllus campestris, geschlossen werden darf. Er bezeichnet Grillen als ein in der Erde in Löchern lebendes Tier, das rückwärts in sein Loch geht und nachts zirpt. (gryllus cum sua terra effossus et inlitus. Magnam auctoritatem huic animali perhibet Nuieipivs, maiorem Magi, quoniam retro ambulet terramque terebret, stridat noctibus. venantur eum formica circumligata capillo in cavernam eius coniecta). Zweifellos ist die Feldgrille auch lb. 11, 98 gemeint, wo gleichfalls die Grillen- löcher sowie das nächtliche Zirpen erwähnt wird (alii (scarabaei) .et prata crebris foraminibus excavant nocturno stridore vocales). Schließlich wird auch unter der lb. 30, 49 genannten troxallis (oder wie Jan-MAyHorr und DETLEFSEN lesen: 1) Vgl. A. SwoBopa, P. Nigidii Figuli operum reliquiae. Vindob. Tempsky 1889, Pp. 133. = gi = Steier, Die Tierformen des Plinius. 49 trixallis) die Feldgrille zu verstehen sein, wenigstens hielten verschie- dene Autoren, wie Puinws mitteilt, gryllus und troxallis (tewSaAdis) für identisch (Esse animal locustae simile sine pennis, quod troxallis Graece vocetur, Latinum nomen non habeat, aliqui arbitrantur, nec pauci auctores, hoc esse, quod grylli vocentur). Beide Benennungen haben in charakteristischen Lebensäußerungen der Grille ihren Ursprung: gryllus von yoevddiCw, grunzen, und troxallis von tewyw, nagen, aushöhlen. 13. Lucanus. Der Name für diesen Käfer tritt zum ersten Male in dem (nicht mehr erhaltenen) Buche des Nicinius ‚de animalibus‘ auf, dem Puinius (lb. 11, 97) auch die Angaben über den Käfer ent- nommen hat, die so treffend sind, daß die Deutung auf den Hirschkäfer keinem Zweifel unterliegt. PLInivs sagt von ihm, er habe sehr lange, zweiteilige „Hörner“, mit gezähnten Zangen an der Spitze, die zum Beißen benützt würden (sed in quodam genere eorum (sc. scarabaeorum) grandi cornua praelonga, bisulca dentatis forcipibus in cacumine cum libuit ad morsum coeuntibus; ... Lucanos [lucavos Mayh | vocat hos Nigidius). Daß auch die Larven des Hirschkäfers bekannt waren, macht lb. 17, 220 sehr wahrscheinlich, wo von sehr großen „Würmern“, die in Eichen vorkommen und ,cosses‘ heißen, mitgeteilt ist, daß sie als Delikatesse galten und sogar in Mehl gemästet wurden. Auch Lenz (a. O. S. 540) deutet diese Angaben über die cosses auf Hirschkäferlarven, mit denen wohl auch die Ib. 11, 113 er- wähnten ,cossi‘ identisch sind. 14. Myrmecion (phalangium). Was Puinius über myrmecion zu sagen weiß (lb. 29, 87), stammt alles aus NicanpeR (vgl. Tascuenpara a. O. S. 243). Doch sind die Angaben über das uvounzetov Nicanders von PLINIUS ver- mengt mit denen über ‚phalangium‘ (lb. 29, 84), wie überhaupt die Wiedergabe der Beschreibungen des Nicanper bei Pzinius sehr konfus ist. Man hat das Myrmecion meist für eine Spinne ge- halten, da es zusammen mit Spinnentieren aufgezählt ist, doch glaubt TASCHENBERG, daß eher die Bienenameise, A/zzz//a, gemeint ist. 15. Phalangium in ervo. Zwar sagt Punius lb. 18, 156 von diesem phalangium, das in der Erve (Arvum ervilia L.) vorkommt, es sei ,aranei generis‘, hält es also für eine Spinne, doch halte ich es mit TAscHENBERG Zool. Annalen V. 4 — 97 — 50 Steier, Die Tierformen des Plinius. für wahrscheinlicher, daß es identisch ist mit dem von NicanpER beschriebenen kantharidenähnlichen paAdyyıov, welches TAscHENBERG als Käfer ansieht; in Betracht kämen dann Zelefhorus- oder auch Malachius-Arten (vgl. TascHENBERG a. O. S. 244). 16. Pityocampa. Als pityocampa sive pinorum uruca (eruca) wird lb. 23, 62 eine Raupe angeführt, die man als die Raupe des Pinien-Prozessions- spinners, Czethocampa pityocampa Fabr. deutet. 17. Pseudosphex. Von diesem Insekt heißt es lb. 30, 98 nur: Pseudosphecem vocant vespam, quae singularis volitat. Diese ,,einsam fliegende“ Wespe ist zwar nicht näher zu bestimmen, doch scheint die An- gabe auf Vertreter der nicht gesellig lebenden Lehmwespen (Solitariae) zu deuten. 18. Rauca (vermis). Dieser „Wurm“ entsteht nach Ib. 17, 130 in den Wurzeln der Eiche, sodaß es sich vielleicht um Larven von Gallwespen (Psenides) handelt, deren einige wie Aphrlothrix radıcıs Fabr. an den Wurzeln der Eichen Gallen bilden. 19. Scarabaeus in focis. Dieses Insekt wird lb. 11, 98 zusammen mit dem Tier ge- nannt, das ich unter Nr. 7 als Feldgrille gedeutet habe. Zur Unterscheidung von dieser wird angegeben, daß es seine Löcher in Küchenherde mache, wonach wohl auf Gryllus domesticus ge- schlossen werden darf. 20. Scarabaeus rutilus. Obwohl Puintus lb. 11, 99 über diesen Käfer mehrere Angaben macht, indem er sagt, er sei sehr groß, rötlich, grabe in trockener Erde und verfertige Waben, die einem kleinen, röhrigen Schwamm ähnlich seien und aus Honigsaft bestünden, läßt sich kein Insekt ausfindig machen, auf das alle diese Angaben zutreffen. Offenbar sind hier Merkmale verschiedener Insekten konfundiert, zu denen vielleicht auch Zelephorus fuscus, Weichkäfer, Züge geliefert hat, da Punius lb. 11, 118 anscheinend dessen Larven als vermiculi rutili, qui in nive inveniuntur („Schneewürmer‘) nach Aristoteles h. a. 5, 105 erwähnt. 21. Scarabaeus corniculis reflexis. Er wird Ib. 30, 100 als Käfer mit zurückgebogenen Fühlern genannt, woraus man wohl auf einen Bockkäfer (Cerambycidae) schließen darf. — 98 — Steier, Die Tierformen des Plinius. 51 22. Scarabaeus fullo. Von diesem Käfer steht lb. 30, 100 außer dem Namen fullo noch, daß er mit weißen Flecken (guttis albis) bedeckt sei. Man hat die Bezeichnung fullo für unseren Walker oder Müller, Polyphylla fullo, in Anspruch genommen, auf den die Angabe allerdings gut paßt. 23. Scarabaeusin eriphia. Die Angaben über diesen Käfer, der nach Ib. 24, 108 im Stengel der Pflanze eriphia auf- und abläuft und dabei einen eigentümlichen Ton erzeugt, klingen etwas fabulos. Zu deuten ist der Käfer darnach nicht. 24. Scarabaeus viridis. : Er ist nur mit dieser Bezeichnung Ib. 29, 132 angeführt und darnach nicht zu bestimmen. 25. Taurus. Nur einmal (lb. 30,39) wird dieser auf der Erde lebende, einer Zecke ähnliche Käfer genannt; doch reichen die Angaben zu einer Deutung nicht hin. (Tauri vocantur scarabaei terrestres ricino similes; nomen cornicula dedere; alii pediculos terrae (,,Erd- laus“) vocant). ARISTOTELES nennt kein Insekt mit diesem Namen. 20, Keredo. Dieser von der Tätigkeit des Bohrens (reiow, tero) hergeleitete Vulgärname wurde für sehr verschiedene „bohrende“ Tiere ge- braucht. Daß Punius einmal darunter eine Muschel versteht, wird später darzulegen sein. Allein die lb. 11,4 genannte teredo kann keine Muschel sein, da hier ausdrücklich auf deren „Klopfen“ hingewiesen wird (Quos teredini ad perforanda robora cum ‘sono teste dentes adfixit potissimumque e ligno cibatum fecit?). Hier kommt also der Klopfkäfer, Anobrum pertinax, in Betracht. Wieder eine andere teredo ist die lb. 21,42 genannte, die die Wurzeln der Iris anfrißt; unter dieser ist vielleicht der „Kräuter- dieb“, Pfinus fur, gemeint. Ferner sind lb. 11,66 teredines im Bienenstocke erwähnt, die im Holze entstehen und den Bienen Wachs wegnehmen (Nas- cuntur et in ipso ligno teredines, quae ceras praecipue adpetunt). Dieses Insekt nennt auch ArisroreLes h. a. 8,155 als tegnd@v und man deutet es mit großer Wahrscheinlichkeit auf die Larve der Wachsmotte, Galleria melonella, deren verheerende Tätigkeit in den Waben natürlich auch den alten Imkern auffallen mußte. 4* Got 52 Steier, Die Tierformen des Plinius, Schließlich zieht Prinivs Ib. 16,220 auch noch ,tineae‘ zu den ‚teredines terrestres‘. Als tineae aber sind wieder sehr verschiedene Schädlinge bezeichnet, die nach lb. 13,86 in Büchern, nach Ib. 20,195 auch in Kleidern vorkommen. Letztere wird auch lb. 11,117 er- wähnt und ist auch von ARISTOTELES als 0179 beschrieben. Zweifellos handelt es sich um die Kleidermotte, 7Zinea pelltonella. Die in Büchern vorkommende ,tinea‘, worunter wohl die Bücherlaus, Atropos pulsatoria, verstanden ist, nennt ARISTOTELES nicht; zwar kennt auch er einen Bücherschädling, beschreibt ihn aber h. a. 4,72 so deutlich als tò &v vois Biblious yıyvdusvov onogruwdes, daß es nur der Bücherskorpion, Chelifer cancroides, sein kann. Es treten also, soweit sich sehen läßt, bei Pıinıus drei neue Formen, die als teredines bezw. tineae bezeichnet sind, auf, näm- lich die als Anobrum pertinax, Ptinus fur und Atropos pulsatoria gedeuteten. 27. Thrips. Nur einmal (lb. 16,220) wird thrips als ein ,genus teredinum‘ aufgeführt, das den culices, worunter wie bei ARISTOTELES unter euris wohl die Stechmiicke, Culex pipiens, zu verstehen ist, ähn- lich sein soll. Es ist möglich, daß damit Vertreter unserer Thrip- sidae gemeint sind, doch reichen die Angaben zu einer Deutung nicht hin. 23. Kinea in libris (Ss unter Nr 20) 29. Vermiculus teredini similis. Von diesem „Wurm“ heißt es lb. 22,121, daß er im Mehl vor- kommt (Est et in farre vermiculus teredini similis). Möglicher- weise ist also der „Mehlwurm“, 7enebrio molitor, bezw. dessen Larven gemeint. 30. Vermiculusin gallidraga. Nach Ib. 27,89 kommt ein zu medizinischen Zwecken ver- wendeter vermiculus, also eine Insektenlarve in der Pflanze gallidraga, worunter die Kardendistel, Dzpsacus pilosus L., ver- standen wird, vor; er ist jedoch nicht zu deuten. 31. Volucria animalia. Von diesen Tieren wird nur einmal (lb. 11,115) gesagt, daß sie auf feuchtem Boden in Höhlen entstehen (alia pulvere umido in cavernis volucria). Wären sie nicht als volucria bezeichnet, so könnte man vielleicht an Springschwänze, Podurzdae, denken, so aber lassen sie sich nicht deuten. Steier, Die Tierformen des Plinius. 53 Vergleicht man die Bestände an Insekten (Hexapoden), wie sie sich für ARISTOTELES und PLINIUS ergeben, so lassen sich bei ARISTOTELES etwa 60 Formen erkennen, eine Zahl, die auch mit Meyers Aufstellung übereinstimmt. Für PLinıus ergaben sich mir im ganzen 64 Formen, also eine nicht wesentliche Mehrung gegenüber ARISTOTELES. Übernommen sind hievon 43 Formen, während ı7 Formen des ARISTOTELES bei PLIinius nicht mehr zu finden sind; auch hier sind es zumeist solche, die von ARISTOTELES gar nicht oder nicht ausreichend beschrieben und deshalb unbestimmbar sind. Dafür tritt aber eine auffallend große Zahl neuer Formen (31) ein, nächst dem Säugetierbestand der größte Zuwachs, den irgend ein Tier- kreis zu verzeichnen hat. Überblickt man die Liste dieser neuen Formen, so erkennt man, woher ihre Kenntnis dem Prunus zumeist zugekommen ist. ° Denn es sind hauptsächlich teils Pflanzenschädlinge, teils Insekten, die in der Medizin Verwendung fanden, und sie sind vielfach nur in den botanischen Büchern im Zusammenhang mit den Pflanzen, an denen sie vorkommen, oder in den medi- zinischen Büchern im Zusammenhang mit den Krankheiten, gegen die sie angewendet wurden, angeführt. Ein zoologisches Interesse ist nicht vorhanden gewesen; darum sind auch die Beschreibungen fast durchweg sehr dürftig und zu Bestimmungen meist nicht aus- reichend. Tausendfüßler. Die Myriapoda sind von ARISTOTELES nur soweit charakterisiert, daß man in den von ihm als £ovlos und oxzoddmevdoa bezeichneten Tieren Tausendfüßler erkennt, von denen jene, von welchen (de part. IV. 98 FRANTZIUS) gesagt ist, daß sie sich zusammenkugeln -kônnen, den Familien der Juliden, Glomeriden und Polydesmiden zugehören, während die anderen Chilopoden sind. Welche Arten ARISTOTELES gekannt hat, ist nicht festzustellen. Auch bei PLinius lb. 29,136 sq, ist ein Unterschied gemacht zwischen jenen Tausendfüßlern, die sich zusammenziehen können, und denen, welchen diese Fähigkeit fehlt. Ebendort werden die Tausendfüßler insgesamt mit einer bei Pinus öfters bemerkbaren Neigung zur Verallgemeinerung als behaart (pilosa) bezeichnet und als Vertreter der ‚multipedae se contrahentes‘ die griechischen Be- zeichnungen oniscos!) und (nach Prinıus synonym) iulos gegeben; 1) Damit könnte vielleicht der von ARISTOTELES h. a. 5,141 genannte Öövog 6 moAvmovs gemeint sein, worunter Asseln verstanden werden. — Uo — 54 Steier, Die Tierformen des Plinius. für die andere Abteilung sind die gleichfalls synonymen Namen seps (Acc. sepa) und scolopendra gebraucht. Von seps bezw. scolo- pendra heißt es noch, sie sei kleiner und schädlich (perniciosa), sodaß also wohl wie auch bei ARISTOTELES Vertreter der Scolo- pendridae gemeint sind. Dazu stimmt auch die weitere Angabe des Puinius lb. 20,12, daß der Tausendfüßler seps, der länglich sei und behaarte Füße habe, besonders dem Kleinvieh durch den Biß gefährlich sei. Eine Deutung auf Arten ist also auch nach den Angaben des PLinıus ausgeschlossen, sodaß für die Myriapoda ein Vergleich der beiderseitigen Formenkenntnis unmöglich ist. Spinnen. Über die bei Prins gegenüber ARISTOTELES neu auftretenden Formen von Spinnen kann ich mich kurz fassen, da sie von O. TAscHENBERG in seiner mehrfach erwähnten Arbeit (Zool. Annal. Bd. II) eingehend behandelt sind; fast alle Notizen, die Prinıus lb. 29, 84 sqq. bringt, entstammen den Theriaka des NICANDER, zeigen aber, daß Piinius dessen Beschreibungen, die ihm übrigens schwerlich aus erster Hand zugekommen sind, sehr mangelhaft verstanden und wiedergegeben und auch nicht eines der be- schriebenen Tiere selbst gesehen hat. Mit Rücksicht auf TascHensERGs Abhandlung wird es also genügen, wenn ich nur ein Verzeichnis dieser Formen folgen lasse. I. araneus lanuginosus (caeruleus) (xvavsov Nicander), Un- bestimmbar. 2. asterion (&ozrierov Nic.) vielleicht Lathrodectes sp. 3. phalangium (lupus) (? «yedorng Nic.), wahrscheinlich, Vertreter der Wolfspinnen, Lycosidae. 4. rhagion (0@§ Nic.) vielleicht Malmignatte, Lathrodectes tredecimguttatus. | 5. solipuga, Walzenspinne, vielleicht Gluvia dorsalis Latr. 6. tetragnathius, vielleicht identisch mit solpuga. Der Gesamtbestand der ‚Evroud des ARISTOTELES wird von Meyer auf 80 angegeben, wobei außer den Insekten die Myria- poden, Arachniden und Würmer eingerechnet sind. SUNDEVALL fand für Insekten und Arachniden 60, wozu noch 3 Würmer und 3 Tausendfüßler zu zählen wären, sodaß sich dort 66 Formen ergeben würden. Sunpevatts Angabe. die nur zum Teil auf eigener a 102). 5 Steier, Die Tierformen des Plinius. 55 Untersuchung: beruht, ist sicher zu niedrig gegriffen, während die von Meyer angegebene Zahl reichlich hoch sein dürfte. Nach der Aufstellung von Augerr- WimmER ergeben sich etwa 75 Formen, sodaß also der Gesamtbestand zwischen 75 und 8o liegen wird. Für Pımmws fand ich als Gesamtbestand an Hexapoden, Myriapoden, Arachniden und Würmern!) rund go, wovon 37 Formen, darunter 31 Insekten, gegenüber ARISTOTELES neu auftreten, etwa 53 übernommen sind. Hingegen fehlen bei Puinıus rund 25 Formen, von denen allein auf die Insekten 17 treffen (s. oben S. 101). Crustacea. Unter den Crustaceen des Puintus, deren Behandlung sehr summarisch ist, finden sich nur zwei Formen, die ARISTOTELES nicht aufführt. Erstens der lb. 9, 97 als leo aufgeführte Krebs, von dem lb. 32, 149 gesagt ist, daß er im Meere lebe, daß seine „Arme“ denen der Krebse ähnlich seien, während er im übrigen den ‚locustae‘ (locusta = carabus Plin. = xdoagos Arist. = Languste, Palinurus vulgaris Latr.) gleicht. Zu bestimmen ist der Krebs hiernach nicht. Auferdem werden lb. 32, 148 elephanti nigri als zum ‚genus locustarum‘ gehörig erwähnt, welche vier gespaltene Füße und zwei gegliederte Arme und gezähnelte Scheren haben sollen. Auch aus diesen zu allgemeinen Angaben kann eine Deutung nicht abgeleitet werden. Der Gesamtbestand an Crustaceen bei ARISTOTELES wird von Meyer auf 15 angegeben, nach AUBERT-WINMER beträgt er 16. Bei Prinıus konnte ich nur 11 „Arten“ finden, sodaß er also nur g Formen des ARISTOTELES übernommen hat, während 7 verloren gegangen sind, für welche 2 schlecht beschriebene Arten als Er- satz eintreten. Auch für die Crustaceen-Kenntnis ergibt sich also ein ähnliches Bild wie bei den Cephalopoden und Reptilien. Gastropoda. 1. chemae striatae 2: 5 leves Meerschneckenarten, 3° » peloridum generis xnucı Arist. 4. » glycymarides 1) Die Würmer, die hier als zu den , évroua‘ gehörig miteingerechnet sind, werden unten noch gesondert behandelt. 56 Steier, Die Tierformen des Plinius. 5. cocleae Africanae, z. T. Nacktschnecken. 6 = cavaticae, unbestimmbar. ls A fluviatiles, Wasserschnecken. 8 in Astypaleia insula, unbestimmbar. g. coclearum genus minus vulgare (? zoydiag Aristot.) vielleicht Weinbergschnecke, Helix pomatia. 10. helices — actinophoroe, Meerschnecken. 11. lepus marinus in Indico mari, Seehase, Vertreter der Gattung Dolabella Lam. 12. limaces, Weg- oder Ackerschnecken. 13. pentadactyli, Meerschnecken. 14. veneriae conchae, unbestimmbar. 73 1—4. Chemae. yijuat werden von ARISTOTELES nur einmal (h. a. 5,68) als 0orgazbdegua, die an sandigen Stellen vorkommen, erwähnt. Sie sind nach dieser Angabe unbestimmbar, ja es läßt sich nicht ein- mal sagen, ob Muscheln oder Schnecken gemeint sind. Von PLINIUS werden nun lb. 32,147 die oben angeführten „Arten“ unter- schieden, doch sind natürlich auch seine Merkmale („gestreifte, glatte chemae“) viel zu dürftig, um eine Bestimmung zu ermög- lichen. Es läßt sich also nur feststellen, daß sich bei PLINIUS eine Unterscheidung der chemae findet, die bei ARISTOTELES fehlt. 5-9. Cocleae Africanae etc. Es handelt sich bei diesen Schneckenarten um solche, die teils als Delikatessen teils zu medizinischen Zwecken Verwendung fanden. So werden lb. 28,211 cocleae Africanae und lb. 30,73 cocleae nudae Africanae als Heilmittel angeführt; die Angaben lassen bloß ersehen, daß es sich im zweiten Falle um Nacktschnecken handelt. Als eßbare Schnecken erscheinen lb. 8,140 cocleae cavaticae in Balearibus insulis, ferner ebenda eine weniger häufige Art, die sich deckelt (aliud genus minus vulgare adhaerente operculo eius- dem testae se operiens); als deren Heimat sind die Alpes mari- timae (Seealpen) angegeben mit dem Zusatz, daß man sie jetzt auch im Gebiet von Velletri in gedeckeltem Zustande ausgrabe. Schließlich werden als die schmackhaftesten (omnium laudatissimae) die auf der Insel Astypalaea (einer Sporadeninsel nördlich von Kreta) vorkommenden Schnecken bezeichnet. Die Kenntnis dieser Steier, Die Tierformen des Plinius. 57 verschiedenen Schneckenarten, die wir nur als Landschnecken, darunter Nr. 6 und wohl noch andere als die Weinbergschnecke bestimmen können, kam den Römern infolge ihrer Vorliebe für diese Delikatesse!) zu; bekanntlich wurden ja die Schnecken in eigenen Vivarien gemästet. Irgendwelches zoologisches Interesse hat man nicht an ihnen gehabt. 10. Helices. Sie sind lb. 32,147 als Meerschnecken bezeichnet; der grie- chische Name ist actinophoroe. 11. Lepus marinus. Der ,,Seehase‘ wird von Puinius öfter (lb. 9,155; 32,8) als ein sehr giftiges Seetier (pestilens animal) erwähnt, das ein unförmiger Klumpen (offa informis) sei und nur in der Farbe dem Hasen ahnele. Er unterscheidet zwei ,genera eine einheimische (in nostro mari), also im Mittelmeer vorkommende und eine den Indischen Ozean bewohnende Art, die größer sei und eine rauhere Behaarung (pilo duriore) habe. Man weiß längst, daß es sich um die auch jetzt noch als Seehasen bezeichneten Meerschnecken handelt, die auch von anderen Schriftstellern?) erwähnt werden und ihren Namen den an Hasenohren erinnernden Fühlern und ihrer bräunlichen Farbe verdanken. Die im Mittelmeer vorkommende Art ist Aplysia depılans Gm., welche vielleicht auch unter der aluoggoig des ARISTOTELES zu verstehen ist, obgleich er von ihr keine Beschreibung liefert. Daß die schleimige Absonderung der Aplysia giftig ist, wird auch durch neuere Beobachtungen bestätigt und übereinstimmend mit der Angabe des Prunus, der lb. 32,70 erzählt, daß: aus dem Seehasen ein Enthaarungsmittel bereitet werde, glauben die italie- !) Daß die Schnecken auch als Heilmittel eine große Rolle spielten, zeigt lb. 30,44 sq., wo wiederum verschiedene Schnecken nach dem Ort ihrer Herkunft benannt werden, die aber ebensowenig bestimmbar sind. *) Einige interessante Stellen über den Seehasen enthält die Apologie des APULEJUS, aus denen man sieht, daß der Seehase häufig zur Bereitung von Gift- tränken benutzt wurde, so daß schon das Sammeln dieser Tiere höchst verdächtig war. Übrigens eröffnet die Art und Weise, wie sich ApuLejus gegen die Vorwürfe, welche ihm aus seinem nur dem naturwissenschaftlichen Interesse entsprungenen Sammeleifer gemacht wurden, verteidigt, einen hübschen Einblick in seine Tätigkeit auf dem Gebiete der Zoologie. Schon diese wenigen Stellen zeigen, daß es für die Geschichte der Zoologie ein wirklicher Verlust ist, daß seine sicherlich wertvollen zoologischen Schriften nicht erhalten sind. (Vgl. StAHR, Aristoteles bei den Römern, Leipzig 1834, p. 144 ff.) 58 Steier, Die Tierformen des Plinius. nischen Fischer noch heute, daß der Schleim des Tieres den Ausfall der Haare verursache. Die im indischen Ozean vorkommende Art kennt ARISTOTELES nicht; man hat darunter wohl einen Vertreter der Gattung. Dola- bella zu verstehen. Übrigens hat Punius keine seiner Angaben über ‚lepus marinus‘ aus ARISTOTELES entnommen und erst bei ihm werden zwei Genera unterschieden. 12. Limaces. Lb. 9,162 führt PLinıus mehrere Tiere auf, welche im Frühling spontan auftreten und mit einem gewissen Zeitpunkt ebenso wieder verschwinden und nennt darunter auch ‚limaces‘, worunter wohl Wegschnecken und Ackerschnecken zu verstehen sind, von denen Prixius auch sonst (lb. 18,156 und 228) als Schädlingen der Pflanzen spricht. Bei ArıstoTELes sind Nacktschnecken nicht erwähnt. 13. Pentadactyli. Sie sind nur einmal (lb. 32,147) als Meerschnecken aufgeführt und darnach nicht zu bestimmen. 14. Veneriae conchae. Unter diesem Namen treten lb. 9,103 Meerestiere auf, deren Schwimmen in einer an die Darstellung der Fortbewegungsart von Argonauta argo (s. S. 109) erinnernden Weise geschildert wird (Navigant ex his veneriae praebentesque concavam sui partem et aurae opponentes per summa aequorum velificant). Welche Schnecke gemeint ist und ob die Beobachtung überhaupt auf Richtigkeit beruht, läßt sich nicht entscheiden. Kits dachte an eine Porzellanschnecke, Cypraea. Bei ARISTOTELES lassen sich insgesamt 11 unterschiedene Formen von Schnecken feststellen, während der Bestand bei Pımius 19 Formen beträgt, soweit sich aus der oft unklaren Darstellung eine Unterscheidung folgern läßt. Von diesen lassen sich 14 bei ARISTOTELES nicht nachweisen, wovon jedoch eine der unter chemae genannten Arten in Abzug kommt, da ja auch ARISTOTELES x7juaı kannte, ohne allerdings die „Arten“ zu unterscheiden. Ferner könnte die unter Nr. 9 angeführte Schnecke vielleicht mit xoxAiag des ARISTO- TELES (Weinbergschnecke) identisch sein, sodaß dann im ganzen nur ı2 neue Formen übrig blieben. Von den Aristotelischen Namen für Schnecken hat Primus 7 übernommen, 4 (xdxdoc, vnoettns, demas dyeia und #wxœlua) sind nicht mehr vorhanden, während 14 bezw. — 09 — Steier, Die Tierformen des Plinius. 59 12 neu hinzutreten, eine verhältnismäßig große Zahl, unter denen die eßbaren Schnecken die Hauptrolle spielen. Die Beschreibungen sind fast durchweg so mangelhaft, daß keine nähere Bestimmung möglich ist. Lamellibranchiata. concha, Perlmuschel, zumeist wohl Azzcula margaritifera. pectunculus, Kammuschei, Zecien sp. perna, Steckmuschel, Prırna sp. teredo, Pfahl-Bohrmuschel, Zeredo navals L. unguis sive dactylus, wahrscheinlich Bohrmuschel, Pholas dactylus L. Ut B © Nn wz 1. Concha. Mit diesem Namen bezeichnet PLimus zwar oft die Muscheln und Schnecken insgesamt (s. Anm. auf S. 30), manchmal aber, so lb. 9,107, wo er über die Herkunft, Gewinnung und Verwer- tung der Perlen ausführlich handelt, bedeutet concha prägnant eine Perlmuschel. Da die Römer auch minderwertigere Perlen aus der mys (f= myax und mitulus) = uùs Ar. = Miesmuschel, Mytilus edulis und pina (mivva Ar.) = Steckmuschel, Pinna-Arten verwendeten, wie Puinius lb. 9,115 berichtet, so läßt sich nicht mit Bestimmtheit auf Avzcula margaritifera schließen, doch könnte sie vielleicht unter der nach Jusa als im arabischen Meer vorkommend beschriebenen (lb. 9,115) gemeint sein. Bei Arisro- TELES findet sich keine Muschel, die als Perlmuschel gedeutet werden könnte, wie er sich auch über das Phänomen der Perlen- bildung nirgends äußert. 2, Pectunculus. Von dieser Muschel wird Ib. 9,84 erzählt, daß sie sich aus dem Wasser erheben und wie ein Pfeil (sagittae modo) fliegen könne. Dasselbe berichtet Puinius lb. 9,103 von pecten!) (Saliunt pectines et extra volitant seque et ipsi carinant) und ARISTOTELES von xreis, worunter ohne Zweifel Kammuscheln wie Zecien jacobaeus zu verstehen sind, deren Springen über das Wasser auch 1) Wie unbestimmt und vage die Nomenklatur der Alten war, zeigt die Be- merkung des Prrntus lb. 32,103, daß die männlichen Kammuscheln auch donax und aulus, die weiblichen onyx heißen; nach Ib. 32,151 aber sind aulus, donax und onyx auch Synonyme für solen (6047v Arist.), worunter Scheidemuscheln wie Solen siliqua, ensis u. a. verstanden werden. 60 Steier, Die Tierformen des Plinius. durch neuere Beobachtungen bestätigt ist. Aus dem Namen und der Betonung der Springbewegung des pectunculus darf man also auf eine kleinere Pecten-Art schließen. s terne Unter diesem Namen „Schinken“ erzählt Pumius lb. 32,154 von einer bei den insulae Pontiae häufig vorkommenden Muschel, die wie eine Schweinskeule im Sande stecke, fußweit aufklaffen könne und an den Rändern der Schale ringsum dichtstehende, kammartige Zähne habe. Diese Angaben lassen auf eine große Pinna schließen, vielleicht P. zobzls oder sguamosa. 4. Teredo. Dieses Tier wird lb. 16,220 als ein nur im Meere vorkommen- der Holzschädling bezeichnet, von dem Pıinıus sagt, daß er einen verhältnismäßig sehr großen „Kopf“ habe und mit den Zähnen nage (Teredines capite ad portionem grandissimo rodunt dentibus; hae tantum in mari sentiuntur). Die Bezeichnung teredo ist vulgär und wurde, wie oben (S. 99) mitgeteilt, auch auf Insekten sowie überhaupt auf Tiere, welche Holz und ähnliches anfressen, ange- wendet. Die Angabe, daß die hier genannte teredo nur im Meere vorkommt, dürfte neben den übrigen oben angeführten Merkmalen auf Zeredo navalıs schließen lassen. 5. Unguis. Mit diesem Namen wird Ib. 9, 101 eine im Dunkeln leuchtende Muschel angeführt, welche eßbar ist und sogar noch im Munde leuchten soll (unguesque velut igne lucentes in tenebris, etiam in ore mandentium). Zweifellos das gleiche Tier ist lb. 9. 184 als dactylus beschrieben, wo auch auf die Ähnlichkeit dieser Muschel mit einem menschlichen Nagel (unguis) hingewiesen wird. Auch hier sind die Angaben über das Leuchten wiederholt. Diese An- gaben passen vollkommen auf die Bohrmuschel, Z%olas dactylus L., deren Mantel und Siphonen leuchten. Sie wird noch jetzt als ‚datolo di mare‘ in Italien gerne gegessen. Bei ArisroreLEs lassen sich nach der Aufstellung von AUBERT- Wimmer 7 „Arten“ von Muscheln unterscheiden, eine Zahl, die insofern nicht zweifellos richtig ist, weil bei einigen als dorgax(.degua aufgeführten Tieren nicht zu entscheiden ist, ob es sich um Muscheln oder Schnecken handelt. Da sie sich aber auch mit Meyers Angabe, daß ARISTOTELES ,18 Muscheln und Schnecken“ anführt, deckt, indem nach Abzug von 11 Schneckenformen — 108 — Steier, Die Tierformen des Plinius, 61 7 Muscheln übrig bleiben, so wird sie ziemlich richtig sein. Pumius führt mit Einschluß von balanus, worunter wie bei ARISTOTELES (ßdAavog) die Meereicheln, wohl Galanus tntinna- bulum L., zu verstehen sind, die zu den Rankenfüßlern (Cirripedien) gehören, im ganzen 11 Muschelformen auf, von denen 6 dem Bestande des ARISTOTELES angehören und nur die als yadadeg (y&Aanes) bezeichneten, unbestimmbaren Muscheln fehlen. 5 Formen treten also bei Prinius neu hinzu, von denen jedoch, da pectun- culus und perna als Pecten- und Prnna-Arten auch unter xreig und mivva des ARISTOTELES einbezogen werden können, nur teredo, unguis (dactylus) und die Perlmuschel concha eine Bereicherung der Literatur darstellen. Cephalopoden. Der Cephalopodenbestand bei Prinıus deckt sich fast genau mit dem bei ARISTOTELES, jedenfalls weist.er keine Erweiterung auf. Bei ArisroreLEs finden sich 8 Namen, bei Puintus nur 6. Die Divergenz erklärt sich zunächst daraus, daß die von ARISTOTELES als zevdig und tevdog unterschiedenen Arten bei PLINIUS unterschiedslos als ‚loligo‘ bezeichnet sind. Die Deutung dieser Aristotelischen Namen ist noch immer nicht gesichert (vgl. J.B. Meyer S. 267 ff.) und wird wohl immer zweifelhaft bleiben. AUBERT-WIMMER bestimmen revdig als Lolzgo vulgaris, den ge- meinen Kalmar, und tevdog als Sepzotheutis Blainv. oder Chon- drosepia loliginiformis Leuckart, für Pumivs läßt sich keine andere Deutung als Lolzgo-Arten, zumeist jedenfalls Zolgo vulgaris, geben. Ferner fehlt bei Prinıus eine der é4ed@r7 des ARISTOTELES (h. a. 4,14), worunter AUBERT-Wımmer den Moschus-Polypen, Eledone moschata oder E. aldrovandı, verstehen, entsprechende Cephalopoden-Form. Allein es ist überhaupt zweifelhaft, ob ARISTOTELES die als BoAizaıva, 6Codig und éhed@vn bezeichneten Formen wirklich unterschieden hat (vgl. Meyer, S. 269) und ob sie nicht vielmehr alle drei synonym für Aledone moschata sind, die PLinıus als ozaena (lb. 9, 89) in der gleichen Weise wie ARISTOTELES seine 6Colig = Bolirauva (h. an. 4,14) beschreibt. Keine neue Form ist der von Puinius Ib. 9, 94 nach Mutianus als ‚nauplius‘ beschriebene Cephalopode, sondern in ihm hat man augenscheinlich nichts anderes zu sehen als das sonst (lb. 9, 88) als nautilus sive pompilus genau nach ARISTOTELES (h. an. 9, 153: vavtilos) beschriebene Papierboot, Argonauta argo. 62 Steier, Die Tierformen des Plinius. Demnach stellen die 6 Namen von Cephalopoden bei Prinıus nur 5 Formen dar und für ARISTOTELES ergeben sich aus der Identität von oLoAıg und Bolitawva und wohl auch éded@vn 6 Formen. Die fehlende Form ist die als revdig bezw. revdog unterschiedene Loligo-Art, außer welcher PLinius den Cephalopoden-Bestand des ARISTOTELES vollständig wiedergibt. Vermes. Wie schon oben (S. 46 bezw. 266) angedeutet wurde, ist die Kenntnis der Würmer bei ARISTOTELES sehr gering. Außer einigen sehr fraglichen Formen, die vielleicht als marine Ringelwürmer zu deuten sind, kommen nur parasitische Würmer in Betracht und von diesen lassen sich wiederum nur drei Eingeweidewürmer des Menschen mit einiger Sicherheit deuten, nämlich éduig mlareta der Bandwurm, 7aenza soltum, oder (nach Leuckart) wahrschein- licher 7. mediocanellata, ferner éduig ovgoyydân der Spulwurm (Ascaris lumbricotdes) und schließlich œoxagis (axagic), worunter Oxyuris vermicularis verstanden wird. Die beiden ersten führt auch PLINIUS öfters an und zwar den Bandwurm als taenia, den Spulwurm als lumbricus; für die dritte Form konnte ich keine Parallele finden. Ebenso fehlen bei Pumius die von ARISTOTELES freilich nur sehr undeutlich erwähnten &Xuv9eg in Fischen und Schwämmen, sowie der von ARISTOTELES h. a. 9, 47 kurz angeführte parasitische Wurm des Hundes !). Nimmt man mit Meyer die Zahl der von ARISTOTELES genannten Würmer mit ıo an, eine Angabe, die natürlich bei der Schwierig- keit der Deutung höchst unsicher ist, so würden bei PLinıus nur 3 von diesen Formen (taenia, lumbricus und scolopendra marina = oxohonevdga Farattia Arist., vielleicht marine Gliederwürmer) vor- handen sein. 1) Dagegen ist bei PrInIUS lb. 29,100 von einem vermiculus in lingua canum, qui, vocatur a Graecis lytta die Rede, womit anscheinend der „Erreger“ der Tollwut bezeichnet werden soll, da es weiter heißt, daß junge Hunde nicht toll werden, wenn man diesen ‚vermiculus‘ beseitige. Der Name Avrra kommt auch bei ARISTOTELES h. a. 8,142 vor, bedeutet aber dort die Tollwut selbst, so daß mit dem Worte Aörz« ein merkwürdiger Bedeutungswandel vor sich gegangen ist. Zu deuten ist dieser vermiculus nicht, sehr wahrscheinlich ist es überhaupt kein Wurm, sondern die Larve eines parasitischen Insekts, da ja vermiculus bei PLınıus wie ox@Ané bei ARISTOTELES sehr oft Insektenlarven bedeutet. — LLO > Steier, Die Tierformen des Plinius. 6% Dazu kommen aber bei PLinius zwei von ARISTOTELES nicht genannte Würmer, nämlich die vermes terreni!), welche in der Medizin eine große Rolle spielten und zweifellos als Regenwürmer, Lumbricus terrestris, anzusehen sind, sowie hirudo, dessen Ver- wendung in der Medizin Prunus ebenfalls an mehreren Stellen (z. B. Ib. 32, 122) betont, sodaß die Deutung auf den Blutegel, Fhrudo medicinalis, sicher sein dürfte. Demnach ergeben sich für PLinıus 5 Würmer, von denen 3 übernommen, 2 neu sind. Coelenteraten. ?) 1. curalium, Korallen. 2. penicillus, Schwammart. 3. rota, wahrscheinlich Meduse, 4. spongeae Africanae, 5 Arten von Schwämmen. | 5. 5 Rhodiacae i, Curalium. Von den Korallen handelt Puinius lb. 32,.21 sqq. ausführlich und bespricht dort ihre Verwendung als Schmuck und in der Medizin. Seine Darlegungen beweisen, daß er von ihrer tierischen Natur nichts wußte und sie als Pflanzen auffaBte. Sie werden hier nur deshalb aufgeführt, weil AR1STOTELES nirgends von ihnen spricht. 2. Penicillus. Die penicilli sind Ib. 31,125 als ‚mollissimum genus spongearum‘ erwähnt und mehrfach ist von ihrer Verwendung in der Medizin die Rede. Daraus ist nur zu entnehmen, daß es sich um einen Schwamm handelt, der aber nicht bestimmbar ist. Be Rota. Als ‚rotae‘ (Räder) werden lb. 9,8 Seetiere erwähnt, von denen es heißt, sie hätten ihren Namen von ihrer Ähnlichkeit mit einem Rad; als weitere Merkmale werden je vier Speichen angeführt, (quaternis distinctae radiis), an der Stelle der Naben lägen beider- !) Neben ihnen werden lb. 29,135 ebenfalls als Heilmittel vermes rubri genannt, doch ist es zweifelhaft, ob damit Würmer und nicht vielmehr Insektenlarven gemeint sind. ?) Die Echinodermen weisen bei Prinıus die nämlichen Formen wie bei ARISTo- TELES auf und blieben deshalb unberücksichtigt. =. Ut — 64 Steier, Die Tierformen des Plinius. seits zwei Augen (modiolos earum oculis duobus utrimque clauden- tibus). Diese Schilderung scheint mir deutlich auf eine Meduse zu weisen, an der die Radialkanäle richtig beobachtet sind; daß die Größenverhältnisse etwas übertrieben sind (lb. 32,144 wird rota unter den beluae aufgeführt), würde nicht gegen diese Deu- tung sprechen, da ja solche Übertreibungen in antiken Reise- berichten nicht selten sind und der Schirmdurchmesser mancher Medusen immerhin beträchtlich ist; bei Aeguorea forscalea beträgt er z. B. bis zu 40 cm. 4-5. Spongeae Africanae und Rhodiacae. Diese beiden „Arten“ von Schwammen führt Punts Ib. 31,131 mit der Bemerkung auf, daß die Ärzte aus Unkenntnis nur diese beiden Arten unterschieden. Er selbst hat ja bereits lb. 9,148 nach ARISTOTELES drei genera von Schwämmen aufgeführt, die ich oben S. 39 erwähnte. Eine Bestimmung ist nach dieser Angabe nicht zu machen. Eine zahlenmäßige Feststellung der von ARISTOTELES aufge- führten Coelenteraten kann noch weniger Anspruch auf Gültig- keit machen, als dies schon bei manchen der früheren Gruppen der Fall war. Er nennt zwar 4 yévy von Schwämmen, doch wissen wir nicht, ob wir in ihnen wirklich verschiedene Arten in unserem Sinne zu sehen haben. Zu den Schwämmen kommen die dualijpar = xvidaı, in denen mit ziemlicher Sicherheit Aktinien erkannt werden können und schließlich läßt die Erwähnung eines Meertieres „von der Gestalt und Größe eines Penis, nur daß es statt der Hoden zwei Flossen habe“ (hist. an. 4,78) den Schluß auf eine Seefeder (Pennatula) zu. Das wären im ganzen 6 Formen von Coelenteraten. Nach LeucxarTs Ansicht, welche Heck (a. O. S. 19) teilt, hätte ArıstoTELes ferner Medusen gekannt und sie als nveduwv aufgeführt, außerdem deutete LeucKART die öAodovgıe als Rippenquallen und wollte in dem hist. an. 4,78 er- wähnten „schildförmigen Meertiere von roter Farbe und mit zahlreichen Flossen“ eine Siphonophore erblicken. Es hat, bei den geringen Anhaltspunkten gar keinen Wert auf das Für und Wider dieser Vermutungen einzugehen, die ich nur anführte um zu zeigen, daß eine einigermaßen sichere Zahlenangabe für die Coelenteraten nicht möglich ist. Bei Punius lassen sich 10 Formen von Coelenteraten fest- stellen, von denen 5 (die 4 genera der Schwämme, sowie urtica 1 Steier, Die Tierformen des Plinius. 65 (xviòn = dxadipn Arist.) cf. S. 38 Anm.) aus ARISTOTELES übernommen und 5 „neu“ sind. Für die Identifizierung der oben erwähnten Seefeder fehlt bei Prnius die Parallele. Diese neuen Formen bei Puinius stellen jedoch eine recht geringe Erweiterung des literarisch festgestellten Tierbestandes dar, da 3 nicht bestimmbare Schwammarten und die nicht als Tiere erkannten Korallen dar- unter sind. Lediglich die Quallen (rota und z. T. urtica) treten bei Punius etwas deutlicher hervor als bei ARISTOTELES. Übersicht über den Tierbestand des Plinius und Aristoteles. Gesamtbestand bei Plinius Neue eae Hebleade che ee Formen Formen en Aristoteles Saugebieren nrw... 98 41 57 3 60 Vogel à 1 0 0, ala ars An 120 Io IIo 50 160 Amphibien und Reptilien . 30 16 Iq 6 20 Fische er ENS ES 90 | 25 65 55 120 Insekten CN menses 74 3I 43 17 60 WausendfiBler „u 2 2: 3 — 3 — 3 Spmmenlers are. 5 o 6 II 6 5 4 9 re. a VOS II 2 9 7 16 Schnecken 2) i. ete 19 12 (?) 7 4 II Nusechengrn 2 II 5 6 I 7 (2) Gephalopoden li. i. . 5 — 5 I INVIO CR 10 LME 5 2 3 q (9) to (?) Echinodermen >... 7 — 7 — 7 Coelenteraten . : . . . Io 5 5 I 6 (?) Summe: 494 155 339 156 495 Der vorstehenden Übersicht habe ich nur wenig anzufügen; denn die Zahlen sprechen, auch wenn sie keinen Anspruch auf absolute Gültigkeit machen können, für sich selbst. Sie zeigen zunächst, was längst bekannt ist, daß der Grundstock des Plinia- nischen Tierbestandes die von ARISTOTELES übernommenen Tier- formen bilden; sie beweisen aber auch, daß der Tierbestand des PLinıus nicht, wie man bisher annahm, größer ist als der des ARISTOTELES (Carus, Gesch. d. Zool. S. 86; BuRckHARDT, Gesch. d. Zool. S. 36), sondern ihn nicht einmal ganz erreicht. Sie Zool. Annalen V. 5 aS Shi, 66 Steier, Die Tierformen des Plinius. zeigen ferner, daß die Kenntnis einer beträchtlichen Zahl von Tierformen (156!) von ArisroreLEs bis PLINIUS für die zoologische Literatur verloren gegangen ist, ein Umstand, der bei der Stellung und dem Einfluß des Plinianischen Werkes im Mittelalter für die Beurteilung der Tierbestände mittelalterlicher Autoren von großer Wichtigkeit ist. Sie zeigen ferner, daß die als Ersatz ein- tretenden (155) Tierformen kaum numerisch den Verlust ausgleichen), ganz abgesehen davon, daß unter ihnen viele sind, die wohl nur ein papiernes Dasein geführt haben, ohne dem Autor und seinen Lesern je bekannt zu werden. Die Übersicht bestätigt also die schon oben ausgesprochene Ansicht, daß von einer Durchdringung der Gebiete des römischen Kaiserreiches in faunistischer Hinsicht nicht die Rede sein kann und daß die Tierformenkenntnis der Römer, von der das Werk des gewissenhaften Sammlers Pznius sicherlich ein ziemlich voll- ständiges Bild gibt, in einem fast kläglichen Verhältnis zu der des ARISTOTELES steht, zumal wenn man die räumliche Ausdehnung der beiderseits zugänglichen Faunengebiete bedenkt. !) Vier Formen, von denen sich nicht einmal feststellen läßt, zu welchem Tier- kreis sie gehören, sind außer Berechnung geblieben, nämlich die als biurus (lb. 30,146), herpes (lb. 30,116), ‘langurus (lb. 37,34) und phryganion (lb. 30,103) aufgeführten ‚animalia‘. Die angeblichen Gorillas in Hannos Bericht. Von Dr. Georg Schmid, St. Petersburg. Jahr 460 v. Chr. eine großartige Expedition zur See, mit dreißigtausend Landsleuten beiderlei Geschlechts, zu kolo- nisatorischen Zwecken leitete, soll nach seinem offiziellen Bericht über die Umsegelung Afrikas an dessen Westküste ein ganzes Volk von Menschenaffen gesehen haben. So liest man bei Breum I? S. 56, wie bei O. KeLLER Tiere des klassischen Altertums usw. (Inns- bruck 1887 S. 14); auch der Verfasser hat es bisher geglaubt. BREHM nennt den Bericht ein ,,wohlbekanntes Werk“ — der Text nimmt bei C. MUELLER Geographi Graeci minores (Paris, Didot, 1854 S. 1—14) im ganzen etwa 90 Halbzeilen ein in 18 kleinen Paragraphen. In deren letztem ist eben von der Ent- deckung der sogenannten Gorillas die Rede; es war das letzte Freignis der Reise. Sieht man die Haupterlebnisse der Expedition, wie der Be- richt sie darstellt, genauer an, so muß man zu einer abweichenden Ansicht kommen: wassie antraf, waren keine Menschen- affen. Von den Lixiten nämlich, Anwohnern des Flusses Lixos, nach den Geographen wahrscheinlich des jetzigen Ued Draa, nahm Hanno für die Weiterfahrt Dolmetscher mit ($ 8); bis dahin hatte die punische Muttersprache das Verständnis vermittelt; wollte man weiterhin die Namen der Örtlichkeiten und Völker erfahren, auf die man treffen konnte, und mit den letzteren ver- handeln und vielleicht Freundschaft schließen, wie mit den Lixiten, so brauchte man länder- und sprachenkundige Männer. Zunächst hatte man von ihnen keinen Nutzen ($ 9): man fand auf hohen Bergen, die sich über einer Meeresbucht erhoben, Wilde (dv3gwz.oı 5* |) er karthagische Suffete Hanno, der wahrscheinlich um das — I — 68 Schmid, Die angeblichen Gorillas in Hannos Bericht. dyovot), die Tierfelle um sich hatten — auch Heropor erzählt (VII. 69) von Aidiones magdakéag nai Asovtéas évauuévor — die die Karthager durch Werfen von Felsstücken abschlugen und nicht ans Land ließen; es scheint, ist aber nicht gesagt, mit einem so kriegerischen Volke konnten oder wollten die Seefahrer sich nicht einlassen. Ein zweiter Versuch, sich mit Eingeborenen zu verständigen, mißlang in der Hauptsache ebenfalls: diesmal war es ein Volk von Negern (Aidiomes), das vor den Karthagern floh und nicht standhielt; doch mußten die Dolmetscher sie irgendwie sprechen gehört haben, denn sie stellten fest, daß ihre Sprache ihnen unverständlich war (§ 11 dodvera d'épdéyyorro); vielleicht waren doch einige zurückgeblieben. An dem nächsten Küsten- orte, dessen Namen die Dolmetscher wußten — Abendhorn, “ Eorıegov “gag — konnten sie auch nichts erreichen ($ 14)!); da die Karthager dort auf einer Insel nachts eine Menge Feuer brennen sahen und den Schall von Blasinstrumenten und Metallbecken, sowie gewaltiges Geschrei hörten, so bekamen sie Angst und die Wahrsager, die sie natürlich auch mit hatten, erklärten, man müsse die Insel verlassen. Ihre topographische Beschaffenheit war eigentümlich: in einer großen Bucht gelegen war sie selbst so groß, daß in ihr ein meerähnlicher See lag, in dem wieder eine andere Insel war, auf der die Karthager ausstiegen, bei Tage aber nichts sahen, als Wald. Eine ganz ähnliche Kon- figuration trafen sie noch einmal an ($ 18)?). „Die zweite Insel“, 1) ($ 14) HAdouev eis uéyav udAnov, dv Epaoav où Eoumvees ‘Eonéoov Kéeas. °Ev dè todtw viÿoos jv ueydÂn nai Ev 17 viow Aluvn dalacowôns, Ev dè Tadım vioos étéoa, eis iv dnoßavres puéoas uèv oddèv dapemo@uev, Gt un Ülnv, vur- tòs dè mved nollà nodueva, nai poviv adldv fnodouer nvußdiwv te nai wundvov ndvayov nai noavyiv uvoiar. Doßos oòv EAußev puas, nal où udvreıs Eneievov éuAcinewy tiv vijoov. Wir kamen an eine grosse Bucht, von der die Dolmetscher sagten, sie heiße Abendhorn. In dieser war eine große Insel und in der Insel ein meerähnlicher See, in diesem aber eine andere Insel, auf die wir ausstiegen; des Tages sahen wir nichts als Wald, nachts aber viele brennende Feuer, auch hörten wir Töne von Klarinetten und den Lärm von Metallbecken (Zymbeln) und Handpauken und tausendfaches Geschrei. Schrecken erfaßte uns also und die Seher befahlen die Insel zu verlassen. 1 | 2) ($ 18) “Hy dè TO uvy® v7005 Av Eoınvia tH modty, Alwvnv Eyovoa: nal év tatty vijoos hv Eré0a, ueory dvdoonwv adyeiwy. IoÂd dè nAelovg joav yuvaines, dacetar rois ommaow: ds oi Eoumvees éndAovv l'opillas. Aiwnovres dè dvögag uèv ovAlapeiv oùn MivvijInuer, dA/A mavres wiv EEEpvyov, nonuvo- Bdrar Övres nal rois méroois duvvoduevoir, yuvainas dè tosîs, ai dduvovoai te nai otagditovoar tods dyovtas oda ehov Eneodaı. ’Anoxrelvavres ueévior adrüs — 2 — Schmid, Die angeblichen Gorillas in Hannos Bericht. 69 sagt der Bericht ohne zu erwähnen, daß auch sie waldig war, „war voll von Wilden“ — auch hier dvdewrsoı dygiwı —, „weit zahlreicher aber waren die Weiber, die am Körper behaart waren; die Dolmetscher nannten sie Gorillai. Es war also doch Zeit und Möglichkeit gewesen, jenes Zablenverhältnis festzustellen, und die Dolmetscher hatten doch woh. vorher von Wilden dieses Namens Kenntnis gehabt. Jedenfalls waren diese Wilden keines- wegs kriegerisch, sondern furchtsame Leute: darum heißt es weiter: „Wir verfolgten sie, konnten aber die Männer nicht fest- nehmen, sondern alle entkamen, da sie auf jähe Anhöhen zu klettern verstanden und sich mit Felsstücken verteidigten, wohl aber drei Weiber, welche die, die sie fortführten, bissen und zer- fleischten und nicht mitgehen wollten. Wir töteten sie aber, streiften sie und nahmen die Felle nach Karthago mit.“ Das sind keine anthropomorphen Affen gewesen. Schon die Unmöglichkeit, Gorillas nach dem Geschlecht zumal aus großer Entfernung, zu unterscheiden, macht die gewöhnliche Annahme höchst zweifelhaft. Sodann sind diese Affen ausgesprochene Wald- tiere, von Wald ist aber in Hannos Landschaft nicht die Rede, wohl aber von Anhöhen; die Fliehenden wären auch in Wäldern nicht so gut zu beobachten gewesen. Außerdem leben die Gorillas nicht gesellig, geschweige denn in solchen Mengen, wie sie hier erscheinen. Schwerlich würde es auch gelingen, einen Gorilla, den nach der Meinung von Kundigen keine zehn Männer festzuhalten imstande sind, mit der herkulischen Stärke und der ungeheuren Muskelkraft seiner Kinnladen, zu bewältigen. Wären es Schimpansen gewesen, wie einige aus tiergeographischen Er- wagungen meinten — unglaublich, daß man hier, in Afrika, noch neuerdings auch an den Orang-Utan gedacht hat — so würden alle diese Einwände ebenfalls gelten. Einen wichtigen Grund endlich gegen die gewöhnliche Auffassung hat schon K. MANNERT (Geographie der Griechen und Römer X 2 S. 510) geltend ge- ééedetoauer nal tus doeds énouicauev eis Kaoyndé6va. Im Innersten (der Bucht) war eine der ersten gleichende Insel, die einen See hatte, und in diesem war eine andere Insel, voll von wilden Menschen. Weitaus die Mehrzahl waren Weiber, dicht- behaart am Körper, welche die Dolmetscher Gorillai nannten. Bei der Verfolgung konnten wir Männer nicht festnehmen, sondern alle entflohen, da sie auf steile An- höhen zu klettern verstanden und sich mit den Felsstücken wehrten; wohl aber drei Weiber, welche die, die sie führten, bissen und zerfleischten und nicht mitgehen wollten. Wir töteten sie aber und streiften sie, und brachten die Felle nach Karthago. 70 Schmid, Die angeblichen Gorillas in Hannos Bericht. macht: „Die mit vielerlei Affen in der Heimat sehr bekannten Punier verwechselten schwerlich dieses haarige Tier mit der Menschenrasse, um desto weniger, da ihre Felle in Karthago zu jedermanns Anblick aufgehängt waren“. Puixıus erzählt näm- lich (VI 31, 200), zwei von den Fellen seien im Tempel der Iuno (Astarte?) in Karthago argumenti et miraculi gratia, als Beweis und ethnographische Sehenswürdigkeit, niedergelegt worden und dort bis zur Zerstörung der Stadt zu sehen gewesen. PLINIUS bringt sie übrigens in Beziehung zu den Gorgonen, deren ur- sprünglicher Wohnsitz die Gorgadeninseln seien, nennt sie auch Gorgaden, versteht aber darunter ebenfalls nur Männer und Weiber: Hanno prodidit hirta feminarum corpora, viros pernicitate evasisse. Also die von Hanxo’s Leuten gefangenen behaarten Weiber gehören trotz ihres Namens nicht zu den Menschenaffen, sondern zu einer behaarten und darum vom Homo ferus durch diese Miß- bildung sich unterscheidenden Art von Menschen, einem von anderen abgeschlossenen Volke, bei dem die Männer doch wohl auch behaart waren. Nach Tu. Warrz (Anthropologie der Natur- völker I — 1859 — S. 105) haben sich zwar alle jene Geschichten von affenähnlichen Menschen in nichts aufgelöst, wie sie auch Jou. RANKE (Der Mensch, II — 1894 — S. 374—380) als unbe- wiesen behandelt. Aber Bd. I. S. 187 hält er es doch im An- schluß an die Besprechung der bekannten Haarmenschenfamilien für denkbar, daß Mißbildungen, die das Leben nicht gefährden, in geschlossenen, nur untereinander heiratenden Familien oder Stämmen, vielleicht auch bei ganzen Inselbevölkerungen in ge- steigerter Anzahl auftreten könnten. Indessen seien beim Menschen solche Fälle noch kaum beobachtet. Verdient Hanno Glauben mit seiner Nachricht von dem zuerst von ihm ange- troffenen wilden Volk an der Westküste Afrikas, die von HERODOT, der sie nicht kannte, bestätigt ist, so ist auch seiner Beobachtung über das Haarmenschenvolk Glaube zu schenken, zumal drei Individuen desselben in seine Hände gekommen waren. Mit dem Namen Gorilla hat es aber noch eine eigene Bewandtnis. Der Bericht ist ursprünglich, wie es sich von selbst . versteht, in punischer Sprache abgefaßt, dann aber, offiziell oder nicht, ins Griechische übersetzt worden und griechisch überliefert. Der Übersetzer hat nun auch die Namen der von Hanno auf punischem Sprachgebiet gegründeten Niederlassungen, die natür- Schmid, Die angeblichen Gorillas in Hannos Bericht. 71 lich punisch waren, nur in griechischer Übersetzung wiederge- geben, einen sicher in recht freier: die erste, die er Oviuarıjgıov, Räucherfaß nennt, hieß nach den des Punischen kundigen Ge- lehrten punisch Dumatiria, ebene Stadt, andere hat er gräzisiert, wie 4x0@ ($ 5); ebenso erscheint natürlich der punische Meergott als Poseidon. Dasselbe Verfahren wird man auch für die außer- halb des punischen Sprachgebiets angegebenen Namen, die die Dolmetscher wußten, vorauszusetzen haben, die der Vorgebirge ‘Eonégov xéças, Notov xéoag § 14 und 17 und des Berges Oewy ”Oyzua § 16, und dann wahrscheinlich auch für TögılAaı, was also nicht die einheimische Form des Wortes, sondern eine gräzisierte wäre. Von wem und wann der Name Gorilla dem anthropomorphen Affen zuerst beigelegt worden ist, habe ich nicht ergründen können. Der Teil des Berichtes von Hanno, wo er vorkommt, ist von den Alten nur bei Prius erwähnt, der aber die Gorillas Gorgades nennt, (s. o.) weshalb auch einige bei Hanno nicht Togiiias, sondern Togyadag schreiben wollen; der ganze Bericht ist erst 1533 gedruckt worden. Die ersten Nachrichten über den Affen gehen nach Brehm IS. 60 auf E. Lopez und A, Barrer und das Ende des 16. Jahrhunderts zurück. Nomenclator animalium generum et subgenerum. Von Franz Eilhard Schulze, Berlin. as Bedürfnis nach einem neuen, das gesamte Tierreich um- | ) fassenden Gattungsnomenklator wird immer dringender. Die zahlreichen besonders in jüngster Zeit entstandenen Spezialnomenklatoren und Katalogwerke einzelner Gruppen sind kein ausreichender Ersatz, mögen sie inihrer Art noch so vollständig und zuverlässig sein. Für ihr Spezialgebiet berichten sie zwar in der Regel viel eingehender über die einzelnen Gattungen als dies ein allgemeiner Nomenklator vermag, viele von ihnen auch über die Arten unter gleichzeitiger Berücksichtigung von Synonymie und geographischer Verbreitung. Aber für eine Gesamtübersicht versagen sie naturgemäß; denn für den einzelnen Spezialisten oder gar für den in systematischer Hinsicht nicht spezialisierten Zoologen, die doch fortgesetzt in die Lage kommen, über Gat- tungen der verschiedensten Abteilungen des Systems Aufschluß zu suchen, ist es nicht möglich, alle diese Spezialwerke zur Hand zu haben; ganz abgesehen davon, daß es große Tiergruppen gibt, für die ein Katalog oder Nomenklator noch gar nicht existiert. So kann nur ein allgemeiner, alle Gruppen umfassender Nomenklator die Gesamtübersicht garantieren. Mir wurde die Notwendigkeit eines solchen besonders deut- lich im Laufe der vielen organisatorischen und redaktionellen Erwägungen, die das zu Anfang der neunziger Jahre in Angriff genommene „Tierreich“ erforderte. Schon seit dem Jahre 1900 wird als Vorarbeit jedem ,,Tierreich“Bande ein zuverlässiger Nomenklator aller in ihm vorkommender Gattungen beigegeben. Gleichzeitig wurde mit der Anlage eines nomenklatorischen — I _— F. E. Schulze, Nomenclator animalium generum et subgenerum. 73 Zettelkataloges begonnen als Material für das geplante Werk. Die Ausarbeitung und ständige Ausgestaltung des Planes, wie er in unseren „Anweisungen für die Bearbeiter“ niedergelegt ist, die bedeutende stets zunehmende Komplizierung der erforder- lichen Arbeiten, die umfangreiche Korrespondenz machten es allmählich notwendig, den Nomenklator vom „Tierreich“ ganz abzutrennen, sollte anders das „Tierreich“ nicht zu kurz kommen und der Nomenklator hinreichend gefördert werden. Zu Beginn des Jahres ıgıı entlastete ich daher das „Tierreich“ von den Arbeiten am Nomenklator und gab diesem eine besondere vom „Lierreich“ unabhängige Schriftleitung. Sehr bald ergab der Umstand, daß viele Gattungen gleich- zeitig rezente und fossile Arten einschließen, die Forderung, auch die gesamten palaeontologischen Gattungsnamen mit aufzunehmen. So wird der unternommene Nomenklator nicht nur ein zoologischer, sondern auch ein palaeozoologischer werden. Die Palaeontologen, die seit H. G. Bronns im Jahre 1848 erschienenem Index palae- ontologicus keinen allgemeinen Nomenklator mehr aufzuweisen hatten, werden seit langer Zeit zum ersten Male wieder in den Besitz eines solchen unschätzbaren, bis auf die neueste Zeit fort- geführten Nachschlagewerkes kommen. Mit Hilfe kompetenter Palaeontologen soll darin zugleich mit den vielen nomenklatorisch und logisch gefährlichen Inkonsequenzen aufgeräumt werden, die sich seit lange in die palaeozoologische Literatur eingeschlichen haben. Abgesehen von den strenger gehaltenen Handbüchern von V. ZITTEL, HANDLIRSCH, STROMER VON REICHENBACH und einigen anderen treffen wir hier immer wieder in unrichtigem Zusammen- hange auf Bezeichnungen wie „Sectio“, „Gruppe“ usw. die zum großen Teile ihrem Wesen nach nichts anderes sind als das, was die strengere zoologische Nomenklatur längst als Genus oder Subgenus bezeichnet. Diese sollen endlich einmal mit ihrem richtigen Namen genannt und an den ihnen in der nomen- klatorischen Staffelung zukommenden Platz gestellt werden. Über die Zahl der bis heute veröffentlichten Gattungsnamen haben die in vollem Gange befindlichen Arbeiten an dem großen Werke ergeben, daß es mehr als 200000 sind. Linnés Systema naturae, zehnte Auflage von 1758, der Ausgangspunkt unserer ganzen modernen Systematik, enthält 312. Ein Zuwachs von rund zweimalhunderttausend in wenig mehr als 150 Jahren! Dieses Anschwellen der Nomenklatur begann unter dem befruchtenden 74 F. E. Schulze, Nomenclator animalium generum et subgenerum. Einfluß der Linnfischen Gedanken schon sehr bald nach 1758. Die Notwendigkeit, bei der Aufstellung neuer Gattungsnamen einmal gegebene zu vermeiden und der Belastung der Systematik mit Homonymen nach Möglichkeit entgegenzutreten, ließ bald das Be- dürfnis nach einem übersichtlich angeordneten Verzeichnisse ent- stehen. Daß erst verhältnismäßig spät, gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts, zum ersten Male ein solches geschaffen wurde, hat wohl seinen Grund darin, daß es sich hier nur um ein notwendiges Handwerkszeug, nicht aber um Forschungsarbeit handelt. Louis AGassiz hat sich mit seinem, in den Jahren 1842—46 erschienenen Nomenclator zoologicus das große Verdienst einer erst- maligen Zusammenstellung aller damals bekannten Tiergattungs- namen erworben. Die seinem Werke als einem ersten Versuch naturgemäß anhaftenden Mängel sowie das Bedürfnis, die Liste immer wieder durch Aufnahme der inzwischen neu hinzugekom- menen Namen zu vervollständigen, haben dann nach und nach zu den Verzeichnissen von A. v. MarscHALL, SAMUEL H. SCUDDER und CH. O. WATERHOUSE geführt. Daneben ist auch ein Unter- nehmen in die Wege geleitet, das sich zur Aufgabe macht, nicht nur die Gattungs-, sondern auch die Artnamen zu registrieren. Dieses, in London von einem Konsortium hervorragender Syste- matiker geleitete und von gelehrten Gesellschaften Englands unter- stützte Unternehmen zeitigte im Jahre 1904 als erstes Resultat den Index animalium von C. D. SHERBORN, ein voluminöses Lexikon aller von 1758 bis 1800 veröffentlichter Tiernamen. Bei der zweifellos über eine Million hinausgehenden Zahl der Art- namen liegt aber der Abschluß dieses Riesenwerkes, seine Durch- führung bis in die Gegenwart in weiter Ferne, so daß für unsere und die nächstfolgende Generation von Zoologen von dieser Seite wohl kaum ein vollständiges Gattungsverzeichnis zu erhoffen ist. Das ordnende Talent und die immense Summe von Fleiß und Ausdauer, für welche alle diese Werke rühmliches Zeugnis ablegen, kann niemand mehr bewundern, als wer selbst im Be- griff ist, aus der Masse des weit zerstreuten nomenklatorischen Materials ein brauchbares Nachschlagewerk zu formen. Die vorhandenen Gattungsnomenklatoren ermöglichen einen Überblick über das Tempo in der Zunahme der Namen. Bei Agassiz bis 1846 rund 30000, bei v. MARSCHALL allein für die Zeit von 1846 bis 1868 rund 20000, bei SCUDDER bis 1879 rund 80000, bei WATERHOUSE allein für die folgenden zwanzig Jahre, also von F. E. Schulze, Nomenclator animalium generum et subgenerum. 75 1880 bis 1900, nicht weniger als etwa 40000 Namen. Dabei hat die neuerliche, von mir veranlaßte Durchmusterung der gesamten Literatur noch eine starke Unvollständigkeit dieser Nomenklatoren ergeben. Es hat sich bereits jetzt herausgestellt, daß noch in den modernsten Nomenklatoren von SCUDDER und WATERHOUSE ein großer Teil der in die Berichtsperiode ihrer Verzeichnisse fallenden Namen vollständig fehlt. Das allein schon macht, wenn man von der Masse der später veröffentlichten Namen absieht, unsere Schätzung des augenblicklichen Bestandes auf über 200000 Gat- tungsnamen plausibel. Die Mehrzahl der bei SCUDDER und WATER- House fehlenden Namen gehört außerdem nicht der rezenten Zoologie an, sondern der Palaeozoologie, wenngleich auch diese in ihr Programm einbegriffen war; aber es scheint ihnen nicht möglich gewesen zu sein, genügende palaeozoologische Mitarbeit heranzuziehen. — Zu der Unvollständigkeit der Verzeichnisse kommt noch hinzu, daß nicht wenige Namen infolge Schreib- oder Druckfehlers ungenau wiedergegeben sind; besonders aber, daß auch die Literaturhinweise nicht immer stimmen. Es hat dies seinen Grund in der ganzen Anlage der Werke. Der Scupper'sche Nomenklator gibt zum allergrößten Teil die Namen- und Literaturzitate lediglich indirekt durch Verweisung auf die früheren Nomenklatoren von Acassız und MARSCHALL, sowie auf die bekannten Jahresberichte des Londoner Zoological Record. Nur ein kleiner Teil aller Namen und Zitate, die er zu einer sogenannten Supplemental-List zusammenfaßt, ist authentisch auf ihre Richtigkeit nachgeprüft. Der Index von WATERHOUSE ist aber im wesentlichen nichts als eine, immerhin sehr verdienst- liche Wiedergabe des in den Zoological Records von 1880 bis 1000 enthaltenen Materials. Daß dieses Verfahren einem Durchschleppen alter Irrtümer und der Einführung neuer Fehler Tür und Tor öffnet, liegt auf der Hand. Vollständigkeit, korrekte Wiedergabe der Namen, absolut zuverlässige Literaturhinweise sind nur gewährleistet, wenn für jeden einzelnen Namen quellenmäßige Prüfung seiner ersten Ver- öffentlichung erfolgt. Das ist daher bei dem jetzt in Entstehung begriffenen Werke erste und wichtigste Regel. Sie durchzu- führen und trotzdem mit dem Ganzen in wenigen Jahren zum Abschluß zu kommen, ist nur möglich, wenn der Herausgeber rechtzeitig in die Lage versetzt wird, zahlreiche spezialkundige und in der Literatur ihrer Gruppe gut bewanderte Zoologen und — 4 — 76 F. E. Schulze, Nomenclator animalium generum et subgenerum. Palaeontologen heranzuziehen und, falls beansprucht, angemessen zu honorieren. Die Aufteilung des ganzen ungeheueren Stoffes unter sachkundige Forscher sichert dem Unternehmen auch im übrigen einen weiten Vorsprung. So wird bei jedem Namen die einschlägige Tiergruppe nach dem modernen Stande der Wissenschaft und zugleich weit bestimmter angegeben als dies in den früheren Nomenklatoren der Fall sein konnte. Die Namen der Subgenera werden unter Beifügung des Genus, zu welchem sie bei ihrer Veröffentlichung gehörten, als solche charakterisiert Bei jedem Namen, der bei seiner Veröffentlichung an die Stelle eines anderen Namens trat, wird stets der von ihm ersetzte Name nebst Autor und Jahr seiner Veröffentlichung ausdrücklich an- gemerkt. Im übrigen gestaltet sich das Schema so einfach und übersichtlich wie möglich. Einteilung des Ganzen in kurze zwei- bis höchstens fünfreihige Absätze auf dreigespaltener Seite von Lexikonformat. Jeder Absatz am Kopf mit dem Gattungs- resp. Untergattungsnamen. Auf den Namen folgt: der Name des ersten Autors, das Zitat der ersten Veröffentlichung nebst ihrem Datum, zum Schluß Angabe der Tiergruppe, in welche die den Namen tragende Gattung gehört. Die direkte, durch Autopsie unsererseits in jedem Falle als zuverlässig verbürgte, Beigabe des Zitates der ersten Veröffentlichung jedes Namens da, wo die Werke von WATERHOUSE und SCUDDER größtenteils erst ein müh- sames und dem einzelnen vielfach gar nicht mögliches Nach- schlagen anderer Bände verlangen, schon diese direkte Beigabe des Originalzitates wird die Zoologen und Palaeontologen sehr bald von dem Werte unseres Nomenklators bei jeglicher Art von Studien überzeugen. Die schon bei WATERHOUSE und SCUDDER bestens bewährte Anordnung des Ganzen in ununterbrochener alphabetischer lexikalischer Reihenfolge ohne Rücksicht auf die systematische Stellung der den Namen zugrunde liegenden Gat- tungen wird auch bei unserem Werke durchgeführt werden. Als Anhang wird beigegeben eine vollständige alphabetisch angeord- nete Liste aller in dem Werke vorkommender Literaturkürzungen unter Anfügung des entsprechenden bibliographisch korrekten voll ausgeschriebenen Zitates. Voraussichtlicher Umfang des Nomenklators ca. 200 Druckbogen. Besprechungen. Tschulok, S., Das System der Biologie in Forschung und Lehre. Eine historisch-kritische Studie. Jena (Gustav Fischer) 1910. 8°. X u. 409 S. Verf. hatte ursprünglich die Absicht, eine historisch-kritische Untersuchung der Begriffe der Deszendenztheorie zu geben. -Doch mußte er sich bald da- von überzeugen, daß ein ersprießliches Studium dieser Begriffe nur dann möglich ist, wenn man eine klare Anschauung vom System der biologischen Wissenschaften gewonnen hat. Die ursprünglich geplante kurze Einleitung über das System der Biologie wuchs zu einer selbständigen Studie aus, die Verf. der Nachsicht der Leser nicht hätte zu empfehlen brauchen. Denn wir haben es hier mit einer formell und inhaltlich ganz hervorragenden Leistung zu tun, mit einem musterhaft gründlichen, tief durchdachten Werk, das sicher dazu beitragen wird, der auf diesem Gebiete herrschenden Unklarheit und Begriffsverwirrung zu steuern, und das die Beachtung jedes denkenden Bio- logen in reichstem Maße verdient. Im ersten Abschnitt seiner Studie verfolgt Verf. die Entwicklung der An- schauungen über Aufgabe und System der Botanik und Zoologie vom 16. Jahr- hundert bis zum Jahre 1869. Im 16. und 17. Jahrhundert existierte noch kein Bedürfnis, ein System der botanischen Wissenschaft auszuarbeiten und die Gesichtspunkte abzugrenzen, nach denen die Pflanzen als Objekte der Wissen- schaft betrachtet werden können oder in Wirklichkeit betrachtet werden. Ein solches Bedürfnis hat sich zuerst bemerkbar gemacht, als die Botanik sich zum Range eines selbständigen Lehrfaches an den Hochschulen empor- gearbeitet hatte. Dieses geschah ungefähr um die Mitte des 18. Jahrhunderts, in welche Zeit auch die Abfassung der ersten Lehrbücher der Botanik nach dem heutigen Begrifte fällt. Neben dem praktischen Moment der Loslösung der Botanik als Lehrfach von der Materia medica waren noch zwei weitere für die ersten Bestrebungen einer logischen Gliederung der Botanik maß- gebend, nämlich die W olffsche Philosophie und die steigende Berücksichtigung der physiologisch-anatomischen Forschung. Unter diesen Einflüssen vollzog sich die Ausbildung der Ansicht, daf die Botanik in drei vollständig koordi- nierte Unterdisziplinen einzuteilen sei, in eine historische, physikalische und medizinisch-ökonomische. Diese drei Zweige galten anfangs als gleichwertig; in den letzten vier Dezennien des 18. Jahrhunderts begann sich aber unter den Botanikern immer mehr die Ansicht zu verbreiten, von allen Beschäfti- gungsweisen mit der Pflanzenwelt sei diejenige des reinen Systematikers die 78 Besprechungen. vornehmste, die Klassifikation der Pflanzen bilde das eigentliche Wesen und den wichtigsten Inhalt der Botanik, während die physiologische und ana- tomische Betrachtung der Pflanzen nur einen Anhang der „eigentlichen Bo- tanik“ darstelle. Allen botanischen Lehr- und Handbüchern aus den letzten drei Dezennien des 18. und den ersten zwei Dezennien des 19. Jahrhunderts war der vollständige Mangel einer klaren Vorstellung darüber gemeinsam, was uns an den Pflanzen als Charakter, d.h. als Mittel zur Klassifikation, und was als selbständige Erscheinungen des Pflanzenlebens, als selbständiges Ob- jekt der wissenschaftlichen Erforschung der Pflanzen neben ihrer Klassifikation interessieren kann und soll. Es fehlte ein anerkanntes System der botanischen Wissenschaft, d. h. ein Überblick über die gegenseitigen logischen Verhältnisse unserer Kenntnisse von den Pflanzen. Einen Fortschritt in dieser Frage be- zeichnet erst das Auftreten von A.P. De Candolle. Dadurch, daß er den Aufbau und die Gliederung des Pflanzenkörpers als ein selbständiges Objekt der Forschung hinstellte und demgemäß die „Organographie‘“ grundsätzlich von der Terminologie trennte, dadurch, daß er die Pflanzengeographie als einen besonderen Teil der Botanik erwähnte, daß er überhaupt einmal ver- suchte, die ganze Botanik logisch zu gliedern, überragt sein System so sehr alles, was bis dahin auf diesem Gebiete geleistet wurde, daß es sich sehr bald viele Anhänger erwarb und 30 Jahre lang (1813—1843) maßgebend war. Äusserlich aber blieb de Candolle bei einer Dreiteilung der Botanik in eigentliche Botanik (Glossologie, Taxonomie, Phytographie), Pflanzenphysik (Organographie, Physiologie, Pathologie, Geographie) und angewandte Botanik (medizinische, landwirtschaftliche usw.) stehen. Eine neue Epoche in der Ent- wicklung der Anschauungen vom Wesen und von der Aufgabe der botanischen Wissenschaft bedeutet das Auftreten Schleidens. Er vertrat zum ersten Male mit Bewußtsein den Satz, zur wissenschaftlichen Kenntnis der Pflanzen gehöre nur die Erforschung ihres Baues und ihrer Funktionen, und wurde so der Urheber der Ansicht, daß die Aufgabe der ,,wissenschaftlichen Botanik“ lediglich in der Erforschung der Morphologie und der Physiologie des pflanz- lichen Organismus bestehe. Mit der „Terminologie, Glossologie, Synonymie“ kamen damit auch die Systematik, die Pflanzengeographie und Pflanzen- paläontologie um ihren Platz im System. Von einer Ökologie konnte bei dem vorherrschend mechanistischen Standpunkt Schleidens und seiner Schule keine Rede sein. Eine solche Lösung der Frage war auf die Dauer nicht haltbar, denn es blieben eine ganze Anzahl von Wissensgebieten, die tat- sächlich die Arbeit der Forscher in Anspruch nahmen und im Lehrgebäude einen Platz beanspruchten, außerhalb des anerkannten Systems der ,,wissen- schaftlichen“ Botanik. Ein Vierteljahrhundert später wurde diese Schwierig- keit von Haeckel in glücklicher Weise überwunden. Da dieser Forscher der Zoologie angehört, so schickt Verf. der Darstel- lung des Haeckelschen Systems einige Bemerkungen über die Entwicklung der Anschauungen über das System der zoologischen Wissenschaft bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts voraus. Die Entstehung der Zoologie aus der Naturgeschichte der Tiere, ihre nahen Beziehungen zur Anatomie und Phy- siologie des Menschen bewirkten es, daß sie schon gegen Ende des 18. Jahr- hunders bei weitem vielseitiger betrieben wurde als die Botanik. Dafür blieb aber die Zoologie als Lehrfach viel länger als die Botanik in Abhängigkeit — 2 — Besprechungen, 79 von der Medizin. Und während die Botaniker schon frühzeitig begonnen haben, über die logische Gliederung ihrer Wissenschaft nachzudenken, fehlen bei den Zoologen solche Darlegungen fast vollständig. Ein System der zoo- logischen Wissenschaft existierte Ende des 18. Jahrhunderts noch nicht, und eine Analyse der Handbücher der Zoologie aus der ersten Hälfte des 19. Jahr- hunderts zeigt, daß die Klärung der Anschauungen über die Gliederung der zoologischen Wissenschaft nach Methode und Objekt der wissenschaftlichen Forschung und Lehre durchaus nicht dem riesigen Zuwachs an Kenntnissen entsprach. Der erste Versuch, das gesamte Wissen von der Tierwelt in ein logisch gegliedertes System zu bringen, findet sich in der „Allgemeinen Zoologie“ von Bronn, die 1850 erschien. Bronn verdankte sein System mittelbar dem Botaniker De Candolle, dessen System damals bereits auf den Aussterbe- etat gesetzt war, so daß, als Bronn dieses System in die Zoologie einzu- führen versuchte, es nicht mehr als Vermächtnis an die kommenden Gene- rationen funktionieren konnte. Aus der Schleidenschen Schule kam die An- regung zur Aufstellung eines neuen zeitgemäßen Systems der zoologischen Wissenschaft. Der Mann, der dazu berufen war, die Schleidensche Forderung einer Zweiteilung der Botanik in Morphologie und Physiologie auf das Gebiet der Zoologie zu übertragen, war Ernst Haeckel. Mit Hilfe der Deszen- denz- und Selektionstheorie gelang es ihm aber, auch die Geographie, Paläonto- logie, Ökologie und Systematik in das System der „wissenschaftlichen“ Bio- logie aufzunehmen und jener obersten Einteilung zu subsumieren. Das ist die wahre historische Bedeutung seines Systems, und der große praktische Wert einer solchen Überwindung des lange empfundenen Konfliktes zwischen der Zweiteilung der Biologie und der tatsächlichen wissenschaftlichen Arbeit der Biologie macht es uns begreiflich, dafs dieses System 4o Jahre lang die Wissenschaft beherrschen konnte, trotzdem es in seiner philosophischen Grund- lage vollständig verfehlt war. Es baute die Einteilung in Morphologie und Physiologie auf den der materialistischen Metaphysik entnommenen Satz auf: „wir erkennen die Natur als ein System bewegender Kräfte, die der Materie inhärieren“. Mit der Ablehnung dieses Grundsatzes fällt auch jede Berechti- gung weg, die Gesamtheit der biologischen Forschungen in das Prokrustesbett dieser Zweiteilung einzwängen zu wollen. Das Problem muß noch einmal vom Standpunkt einer metaphysikfreien Anschauung einer Revision unterzogen werden, und eine solche versucht Verf. im zweiten Abschnitt seiner Arbeit. Alle Einteilungen der Biologie, die sich auf die Verschiedenheiten der Objekte gründen, also Botanik und Zoologie, Mykologie und Ornithologie usw., so sehr sie praktisch wertvoll sein mögen, haben keinen logischen Wert und müssen daher bei einem Versuch der logischen Systematisierung der Biologie unberücksichtigt bleiben. Die Einteilungen, die bei einer mehr philosophischen Behandlung der Frage in Betracht kommen, sind diejenigen, in denen wir entweder von dem formalen Gesichtspunkt der Erforschung der Lebewesen oder von den materiellen Gesichtspunkten dieser Erforschung oder endlich - von der Art der Darlegung der gewonnenen Erkenntnisse zum Zwecke ihrer Überlieferung in einer geordneten Form ausgehen. Nach den formalen Ge- sichtspunkten der Forschung teilt Verf. die Biologie in Biotaxie und Biophysik ein. Unter Biotaxie versteht er die wissenschaftliche Erforschung und Zu- sammenfassung der Erscheinungen der organischen Natur unter dem formalen ig 80 Besprechungen. Gesichtspunkt der ideellen Beziehungen, unter Biophysik die wissenschaftliche Erforschung und Zusammenfassung der Erscheinungen der organischen Natur unter dem formalen Gesichtspunkt der realen Beziehungen. Nach den materiellen Gesichtspunkten der Forschung gliedert er die Biologie in Systematik, Morpho- logie, Physiologie, Okologie, Chorologie, Chronologie und Genetik, und nach der Art der Darstellung des Wissenstoffes in einem geordneten Lehrgebäude unterscheidet er allgemeine und spezielle Biologie. Dieses System bildet nach der Überzeugung des Verf. den richtigen Ausdruck für den gegenwärtigen Stand der biologischen Forschung und Lehre, sofern sich diese in einem streng logischen Gewande darstellen lassen. Eine Kritik der Systeme der Biologie von Nägeli, Spencer, Haacke, Pearson und Burckhardt beschließt den zweiten Abschnitt. Der dritte Abschnitt erörtert die Auffassungen vom System der Biologie in den modernen Lehrbüchern. Besonders eingehend werden die Lehrbücher der Botanik besprochen, die der Zoologie nur in solchen Punkten, die für den Vergleich lehrreich sind. Ein eigenes Kapitel ist dem Begriff der „Biologie im engeren Sinne“ gewidmet. Die Analyse der Lehrbücher zeigt, daß selbst, wenn sich ein Lehrbuch inhaltlich der vom Verf. aufgestellten methodologi- schen und methodischen Norm nähert, es doch in der Anordnung und Zu- teilung der einzelnen Kapitel so unsicher und schwankend ist, daß weder der Verfasser noch der Benützer des Buches es als unnatürlich empfinden würde, wenn in einer neuen Auflage ein ganzer großer Abschnitt wegbleiben oder neu hinzukommen würde, oder wenn die Anordnung eine ganz andere wäre. Dieser Charakter der modernen Lehrbücher der Botanik und Zoologie be- weist die Berechtigung und Notwendigkeit der von Tschulok unternommenen tiefeindringenden Untersuchung. Möge es dem geistvollen Verf vergönnt sein, auch die von ihm geplanten Studien über „das Wesen der Theorien in der Biologie“ und über die „Geschichte der Deszendenztheorie“ zu vollenden sowie ein Lehrbuch der Botanik oder Zoologie, das nach seinen methodo- logischen Prinzipien bearbeitet ist, der Öffentlichkeit zu übergeben! W. May (Karlsruhe). De Candolle, Alphonse, Zur Geschichte der Wissenschaften und der Gelehrten seit zwei Jahrhunderten nebst anderen Studien über wissenschaftliche Gegenstände, insbesondere über Vererbung und Selektion beim Menschen. Deutsch herausgegeben von Wilhelm Ostwald. Leipzig (Akademische Ver- lagsgesellschaft) ıgıı. 8°. XX und 466 S. 1 Taf. Die erste französische Auflage dieses Werkes erschien im Jahre 1873, die zweite, nach der die vorliegende Übersetzung hergestellt ist, im Jahre 1885. Der Herausgeber sieht in dem Buche die sachliche und methodische Grund- legung der Wissenschaft von dem führenden Menschen innerhalb des Kultur- kreises, der „Geniologie‘“ oder Wissenschaft vom Genie, als deren Begründer er de Candolle feiert. Das Werk ist eine Sammlung von teilweise recht unabhängigen Einzelstudien, die im Laufe vieler Jahre gemacht und schliess- lich unter dem Einfluß der Darwinschen Werke im 67. Lebensjahre des Verf. herausgegeben wurden. Es läßt sich nicht leugnen und ist natürlich, dafs manche Teile des Werkes bereits veraltet sind; so steht de Candolle Besprechungen. 81 noch ganz im Banne jener älteren Richtung der Vererbungsforschung, die in Prosper Lucas ihren Hauptvertreter fand und sich auf unkontrollierbare Anekdoten stützte, eine Richtung, von der sich freilich selbst ein Darwin noch nicht frei zu machen wusste. Doch tritt uns de Candolle im übrigen als ein äußerst vorsichtiger und kritischer Forscher entgegen, der zugesteht, daf trotz der Menge von Beispielen, welche die Forscher, Ärzte, Historiker und Moralphilosophen gesammelt haben, die erbliche Übertragung der physi- schen, moralischen und intellektuellen Eigenschaften noch nicht mit der wünschenswerten wissenschaftlichen Strenge aufgeklärt ist. Das Buch beginnt mit allgemeinen Bemerkungen über die Beobachtung materieller Tatsachen und sozialer Erscheinungen und betrachtet dann die Statistik als reguläres Beobachtungsverfahren. Die Natur der statistischen Methode und die Einwände, die man gegen ihre Anwendung auf moralische und soziale Tatsachen erhoben hat, werden besprochen. Verf. bemüht sich zu zeigen, dafs die aus den Zahlen gezogenen allgemeinen Schlußfolgerungen niemals im Widerspruch mit der Willensfreiheit des Menschen stehen, wenn nur die aufgezählten Tatsachen Resultate und nicht Ursachen sind. In dem nächsten Abschnitt „Über den Einfluß der Vererbung, der Ver- änderlichkeit und der Auswahl auf die Entwicklung des Menschengeschlechts“ legt de Candolle eine neue Methode der Vererbungsforschung dar, deren Grundzüge die folgenden sind: Man wählt ohne Rücksicht auf Verdienst und Begabung eine so große Anzahl Personen, als man finden kann, an denen man ihre besonderen Züge kennt, sowie die ihrer Eltern und womöglich auch ihrer Großeltern, so daß man feststellen kann, welche Züge in den Generationen übertragen worden sind und welche nicht. Die zu untersuchenden Eigen- schaften sind: 1. Die äußeren Formen und die physische Erscheinung. 2. Die innere Beschaffenheit, soweit man sie ohne Autopsie beurteilen kann. 3. Die instinktiven Dispositionen. 4. Die intellektuellen Begabungen. Dabei muß man die Extreme in Betracht ziehen, durch die das einzelne Individuum ge- kennzeichnet wird, und nicht die mittleren Eigenschaften, deren Vererbung selbstverständlich ist. Auch erscheint es zweckmäßig, die ausgesprochen er- worbenen Charaktere beiseite zu lassen. Diese Methode wandte Verf. auf 31 Personen aus 16 verschiedenen Familien an, für die er 1032 unterscheidende Charaktere sammeln konnte, die mit denen der Eltern vergleichbar waren. Die Einwirkung der Erziehung und der äußeren Verhältnisse bemühte er sich möglichst auszuschalten. Das Ergebnis war, daf die Vererbung das gewöhn- liche oder allgemeine Gesetz ist, bei beiden Geschlechtern, in verschiedenem Grade, für alle nicht erworbenen Charaktere. Weiterhin handelt das Kapitel über die Ursache des persönlichen Erfolges und über die Aussicht der Ver- erbung solcher Erfolge, über die verschiedenen Arten der Selektion beim Menschen, über die Selektion zwischen den Nationen, den Klassen einer und derselben Nation und den Personen derselben menschlichen Gesellschaft. Bei der Personenselektion wird wieder unterschieden die Selektion bei den Wilden, bei den Barbaren und bei den zivilisierten Völkern, deren physische, moralische und intellektuelle Bedingungen gesondert behandelt werden. Nach- dem dann noch die Ursachen der Rückfälle der Kulturmenschheit in die Barbarei, die Möglichkeit des völligen Unterganges der Kultur, die wahr- scheinliche Zukunft des Menschengeschlechtes und das Alternieren in der Zool. Annalen V. 6 ‘4 CO 2 Besprechungen. Be Intensität der Krankheiten und der Wirksamkeit der Gegenmittel den Verf. beschäftigt haben, wendet sich dieser dem Hauptgegenstand seines Werkes, der „Geschichte der Wissenschaft und der Forscher seit zwei Jahrhunderten“ zu. Verf. will untersuchen, wie die äußeren Einflüsse, die in den verschiedenen Ländern zu verschiedenen Zeiten innerhalb zweier Jahrhunderte walteten, auf die Entwicklung der Wissenschaft, nämlich auf die der ausgezeichnetsten Forscher eingewirkt haben. Bei der Auswahl dieser Forscher legt er die Urteile der wissenschaftlichen Akademien von Paris, London und Berlin über die ausländischen Gelehrten zugrunde, und zwar das Urteil der Academie des sciences in Paris über die nichtfranzösischen Forscher von 1866—1883, das Urteil der Royal Society in London über die nichtenglischen Forscher in vier aufeinanderfolgenden Zeiten von 1750—1869 und das Urteil der Kgl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin über die nichtdeutschen Forscher zu vier verschiedenen Zeiten zwischen 1750 und 1869. An dem so gewonnenen Personenmaterial untersucht er das Verhältnis der Mathematiker und der Natur- forscher zu verschiedenen Zeiten seit zwei Jahrhunderten, die zunehmende Beschränkung der Forscher auf eine einzelne Wissenschaft, das Verhältnis der Frauen zum wissenschaftlichen Fortschritt, die Schichten der Gesellschaft, aus denen die Menschen stammen, die am meisten zum Fortschritt der Wissenschaft beigetragen haben, und die verschiedenen Ursachen, welche die Anzahl, die Richtung und den Erfolg der Menschen bestimmen, die den Fortschritt der Wissenschaft bewirken. Verf. bespricht den Einfluß der Erblichkeit, der besonderen Neigungen, des Unterrichts, der Erziehung und der materiellen Mittel, die für die wissenschaftlichen Arbeiten notwendig sind, der Religion, der Familientradition, der öffentlichen Meinung, der Einrichtungen und Regierungen, der wissenschaftlichen Gesellschaften, der Größe des Landes, der Sprache, der geographischen Lage, des Klimas und der Rasse. Im An- schluß daran unternimmt er eine Einteilung der Gelehrten, die die Wissen- schaften am meisten gefördert haben, nach Nationen und prüft die verschiedenen Länder vom Gesichtspunkt der Ursachen, die ihren relativen Einfluß auf den Fortschritt der Wissenschaft bestimmt zu haben scheinen. Zwei weitere Abschnitte handeln über den gegenwärtigen Stand der mathematischen, physikalischen und Naturwissenschaften in den verschiedenen Ländern und über die Entwicklung der historischen und sozialen Wissenschaften im Ver- gleich zu der Entwicklung der Natur- und mathematischen Wissenschaften. Bezüglich der Ergebnisse, zu denen Verf. gelangt, muß auf das Werk selbst verwiesen werden, hervorgehoben sei nur der allgemeine, aus den unter- suchten Tatsachen gezogene Schluss, daß die Vererbung den wissenschaft- lichen Menschen .nicht besondere oder außergewöhnliche Fähigkeiten über- mittelt, sondern vielmehr eine Gesamtheit von moralischen und geistigen Eigenschaften, die je nach den Umständen und dem Willen des einzelnen für das Studium der Wissenschaften, wie zu anderer ernster und positiver Arbeit brauchbar sind. Den Schluß des Werkes bilden drei etwas abseits von dem übrigen In- halt liegende Abhandlungen über den Vorteil einer herrschenden Sprache für die Wissenschaften, über die verschiedene Bedeutung des Wortes Natur und über die Transformationen der Bewegung bei den organischen Wesen. W. May (Karlsruhe). Historisch-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. Von J. H. F. Kohlbrugge, Utrecht. I. Goethe als vergleichender Anatom!). «I have seen as bright a circle of beauty at the ‚chemical lectures‘ of RovELLE as gracing the court of Versailles. Petit lectured on ,astronomy‘ to crowded houses and among his listeners ‘| were gentlemen and ladies of fashion, as well as professional students.» So schrieb GoLpsmiTH im Jahre 1755 aus Paris 2). Durch seinen glänzenden Stil, durch seine leicht verständ- liche Ausdrucksweise, durch gewählte Form, die verriet, daß der Verfasser auf einem prächtigen Landgut wohnte, daß seine Hand bedeckt war mit kostbaren Spitzen, hatte Burron die Naturwissen- schaften in die Mode gebracht. Der Dichter VoLTARE trieb mit seiner liebenswürdigen Freundin, der Marquise DU ÜHÄTELET physi- kalische und mathematische Studien. Rousseau, der Pädagoge und Philosoph korrespondierte mit adeligen Damen über Botanik °). Diese Briefe wurden so berühmt, daß sie eine Reihe von Auflagen erlebten und in verschiedene Sprachen übersetzt wurden. Die kostbarsten, mit Kupferstichen geschmückten naturwissenschaft- lichen Werke befanden sich in den Häusern der reichen Amster- damer Kaufleute, die auf ihren Landsitzen seltene Pflanzen und Tiere zogen. Die meisten fürstlichen Personen hatten Naturalien- kabinette; hohe Würdenträger ahmten ihnen nach, indem sie Raritäten sammelten; neue wissenschaftliche Werke wurden solchen einflußreichen Gönnern gewidmet. Vielversprechende Naturforscher empfingen von Fürstlich- keiten ein festes Gehalt, oder man förderte ihre Reisen ins Aus- Zool. Annalen V. 6a 84 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. land; das gehörte mit zum Glanz eines Hofes*). Eine Reihe von Zeitschriften erschienen, besonders in Deutschland, und es ist merk- würdig, wie vieie adelige Grundbesitzer, Beamte und Geistliche sich unter den Mitarbeitern befanden. Die Naturwissenschaftler von Beruf befremdete es offenbar nicht, daß ihre Abhandlungen zwischen denen von Laien und Liebhabern abgedruckt wurden’). Solche Zeiten werden niemals wiederkehren. Die geschil- derten Zustände entsprachen dem niedrigen Stande der damaligen Wissenschaft, wodurch es möglich ward, daß ein Amateur mit nur geringen Kenntnissen an den Arbeiten teilnehmen, sogar neue Tatsachen beibringen, ja selbst wichtige Entdeckungen machen konnte. Dies muß man im Auge behalten, wenn man sich darüber wundert, daß ein Mann wie GorTtHE, Minister der Herzogtümer Sachsen-Weimar, Dichter und Philosoph, außerdem noch Naturforscher sein konnte. Man scheint die Geschichte der Wissenschaft nicht zu kennen, wenn man, wie es nur all zu häufig geschieht, in Vorlesungen seine Zuhörer damit in Erstaunen setzt, daß man darauf hinweist, dieser oder jener berühmte Mann aus der alten Zeit habe einige Fächer gleichzeitig oder überhaupt die ganze Wissenschaft beherrscht. Wer heutzutage ein Fach gründlich beherrscht, weiß mehr als jene wußten; wenn auch damit nicht bestritten werden soll, daß die Männer des 18. Jahr- hunderts durch ihre Vielseitigkeit in den Augen der heutigen Welt weit interessantere Menschen zu sein scheinen. Ein weiterer Fehler is, wenn man, heutigen Begriffen folgend, meint, daß die Gelehrten des ı8. Jahrhunderts mit Ver- achtung auf die Geistlichen, Ärzte, Beamten und adeligen Herren herabsahen, die sich unterfingen, mitzusprechen. GoETHE hat dadurch, daß jede seiner Aufzeichnungen, jeder Brief von ihm bewahrt blieb, stark dazu beigetragen, diese irrige Auffassung speziell für seine Person zu erwecken. Er beklagte sich häufig, besonders in seinen Gesprächen mit Eckermann 6), über die ihn gering schätzenden Gelehrten und überschüttete sie mit Spott. Er war zu sehr von seinem eigenen Werk eingenommen, um zu verstehen, daß es vornehmlich an der Art seiner Farben- lehre lag, wenn man einen Newton höher schätzte als ihn. Auch über die Anatomen und Botaniker vom Fach beklagt er sich nicht minder. Vergegenwärtigen wir uns nun, wie angesehen sein Freund Merck in Deutschland, Holland und Frankreich war, obschon er Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 85 nicht weniger als GoETHE, ein Amateur genannt werden konnte’), so fühlen wir, daß man GoETHE nicht als Amateur, sondern um anderer Gründe willen bekämpfte oder totschwieg. Nach diesen Gründen werden wir einerseits zu suchen haben, andererseits aber haben wir auch die Frage zu beantworten, warum GoETHE auch in seiner Zeit warme Verteidiger fand, von einigen Naturforschern wohl zitiert und gepriesen wurde, ungeachtet seiner eigenartigen Auffassungen. Die Universität Jena ward früher und wird noch heute von einigen kleinen Fürstentümern erhalten, unter denen Weimar das vornehmste und größte war. Dort lebte der „Minister‘‘ GoETHE, ihm unterstellt war die Pflege von Kunst und Wissenschaft und demzufolge war er. auch Kurator dieser hohen Schule. Daraus erklärt sich nicht allein sein großer Einfluß bei Ernennungen von Professoren und anderen Dozenten, sondern auch bei Fest- setzung der Besoldungen, die damals nicht nur gering, sondern auch schwankend waren. Sein Einfluß war groß bei Verbesse- rungen der Lehrmittel, der Gebäude, Museen, kurz bei allem, was für eine Universität in Betracht kommt. GoETHE war ganz zweifellos ein musterhafter Kurator, der ungeheuer viel für diese Anstalt zustande brachte®). Da er sich mit Vorliebe in Jena aufhielt, hatte er dort eine kleine Wohnung; dort genoß er des anregenden Umgangs mit vielen Gelehrten und fand bei ihnen für viele Ideen Verständnis, das er in Weimar entbehren mußte. Niemander kann es dabei wundernehmen, daß ein Minister, der selbständige wissenschaftliche Anschauungen besitzt, mit Vor- liebe solche Männer beruft, die seine Ideen teilen; ebenso natürlich ist es, daß diese selben Männer gleichfalls die wissenschaftlichen Arbeiten ihres Kurators preisen. Diesen Umstand beachtend, müssen wir sowohl die aus Jena stammenden Urteile über GorTHE mit einem gewissen Vorbehalt aufnehmen (wie die von LopER, BarscH, SCHELVER, OKEN, KiEsER, STARK, Voiar®) aber auch die von anderen jüngeren Gelehrten, welche noch nicht in Jena waren, jedoch auf eine Berufung dorthin hofften und deshalb trachteten, sich bei dem mächtigen Minister durch schöne Rezensionen seiner Arbeiten einzuschmeicheln '). Wenn GoETHE mit Studienzwecken nach Jena kam, verstand es sich von selbst, daß ihm alle Hilfs- mittel, die die Professoren auftreiben konnten, daß ihm deren Kenntnisse und Ratschläge ganz zur Verfügung gestellt wurden. 6a* 86 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. Schon dadurch wurde esihm bequemer gemacht als andern, Vieles zu umfassen. Vielleicht teilte er dabei auch das Los der Fürsten, denen man lieber den Hof macht als daß man ihnen widerspricht. Die Botanik und namentlich die Zoologie wurden zu da- maliger Zeit von einer Idee beherrscht, deren Entstehung allerdings schon aus früheren Tagen stammte !!), der man aber in der zweiten Hälfte des ı8. Jahrhunderts neues Leben einzuhauchen begann. Schon die Anatomen des ı7. und ı8. Jahrhunderts wußten, daß alle Wirbeltiere bestimmte Analogien im Bau zeigen, daß der Vogel ungefähr dieselben Knochen hat wie der Mensch, und alles zusammenfassend sagte man dann, daß alle nach einem Typus, Urtypus gebaut seien!?). Ja, man wußte, daß die Übereinstimmung sogar soweit gehen kann, daß Tier und Mensch scheinbar ganz überflüssige Teile besitzen können, die bei anderen Tieren wohl einen Zweck haben 3%), In diesen Fällen trat also der gemeinsame Typus stärker hervor als die Nützlichkeit oder Zweckmäßigkeit. Burron nahm diesen Gedanken in sein großes Werk auf und schrieb mit Überzeugung von der Gleichheit des Knochenbaues bezw. von dem gemeinsamen Typus. Er konnte das mit umso größerem Nachdruck tun, weil sein Mitarbeiter DAUBENTON sowie sein Freund Perrus Camper zu der Zeit eine Anzahl neuer Ent- deckungen machten, durch die die Übereinstimmungenim Knochen- bau deutlicher als zuvor hervortraten. Camper, ein vorzüglicher Zeichner hatte es sogar soweit gebracht, daß er auf einer Tafel mit wenigen Strichen einen Fisch in einen Vogel, einen Vogel in ein Säugetier (Pferd oder Rind) und dieses wiederum in den aufrechtstehenden Mensch zu verwandeln verstand !*). GoETHE hatte diese Ideen schon frühzeitig in sich aufge- nommen; er hatte die Werke von Burron gelesen, ebenfalls die Briefe des Rousseau, der darin die Einheitlichkeit oder die gegenseitige Übereinstimmung der Pflanzen zeigte, und dann hatte GoETHE in Straßburg studiert, wo die Professoren LoBsTEin), und Hermann ganz auf der Höhe dieser Ideen waren. Wir wissen, daß GoETHE als Student anatomische Studien getrieben hat und auch vielfach mit Studenten der Medizin umgegangen ist, daß er besonders 1776 mit LAvATER und für diesen Anatomie trieb. Als er nun im Jahre 1781!) den Entschluß faßte, seine ana- tomische Beschäftigung unter Lopers Leitung in Jena wieder auf- zunehmen, dachte er nicht daran, den Nachweis der Übereinstim- Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 87 mungen im Knochenbau oder wie er es in mehr transzendentaler Weise ausdrückte „das Suchen nach einem Urtypus oder Typus“ als seine eigene Entdeckung anzusehen”). Er bekannte offen, daß er diese für die vergleichende Anatomie fundamentalen Ideen Burron verdanke und daß Camper diese später bestätigt habe. Als aber später sein noch näher zu besprechendes Werk auf Gegnerschaft stieß, reizte ihn diese so, daß er sich selbst sug- gerierte, er sei der Verteidiger bezw. Entdecker der Lehre von dem Urtypus oder von der Einheitlichkeit des Knochenbaues. Da GoETHE nun eine Anzahl Verehrer hat, die am liebsten jeden neuen für die Wissenschaft fruchtbaren Gedanken als aus seinem Hirn entsprossen darstellen, übernahmen viele diese Sug- gestion und priesen nun GoETHE als den Entdecker dieser fundamen- talen Ideen und damit wunderlicher Weise sogar als den Begründer der vergleichenden Anatomie. Daß GoETHE selbst mehrere Verzeich- nisse von den Begründern dieser Wissenschaft gemacht hat, daß er gelegentlich seine Vorgänger voll zu würdigen verstand, läßt man dann außer Betracht. Nun herrschte in seiner Zeit eine höchst eigenartige Streitfrage, die einerseits durch Rousseau an- gefacht worden war, andererseits von den damals sehr beliebten Forschungen nach dem Ursprung der menschlichen Sprache aus- ging. Es handelte sich um die Abstammung des Menschen! Man war zu der Überzeugung gelangt, daß ursprünglich den Menschen keine Sprache verliehen war, sondern, daß diese erst langsam entstanden sein müsse. Also hat der Mensch eine den Tieren sich nähernde Periode ohne Sprache gekannt. Es blieb somit nur noch ein kleiner Schritt übrig, um den Schluß zu ziehen, der Mensch müsse früher ein vierfüssiges Tier gewesen sein. Rousseau!) und Dr La METHERIE wagten diesen Schritt, ihnen folgten Monsoppo !?), Moscati °°) und andere. Verglei- chende Untersuchungen zwischen Menschen und Affen waren an der Tagesordnung und die lächerlich übertriebenen Erzählungen der Reisenden über den Orangutan einerseits, die Naturvölker anderer- seits führten dahin, daß man schliesslich gar keinen Unterschied zwischen Affen und Menschen sah. Herper, der Dichter und Freund GorTHEs hatte sich in diesen Streit gemischt und gab eine Übersetzung des Monsopposchen Werkes heraus?!), Er war damals genötigt, die ganze einschlägige Literatur zu studieren, bevor er sein berühmt gewordenes Buch „Ideen zur Philosophie der Ge- schichte der Menschheit“ schreiben konnte. Dieses Buch ist im 38 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. Vergleich zu den Ideen der obengenannten Schriftsteller in sehr konservativem Geist geschrieben, ganz teleologisch gehalten, ob- gleich manche öfter zu Zitaten benutzte Ausdrücke darin vor- kommen ??), die zu der Ansicht verleiteten, HERDER sei ein Anhänger Monsoppo’s und ein Vorläufer Darwin’s gewesen. Wer das ganze Buch gelesen hat, muß diese Auffassung ein für allemal verwerfen. GOETHE verkehrte damals sehr intim mit HERDER; die beiden Freunde brachten viele Abende damit zu, über das erwähnte Werk, mit dem Herder sich beschäftigte, Gedanken auszutauschen °°). GoETHE kannte demnach die neuen Theorien gründlich. Diese stießen aber bald auf Opposition, wie es dem Materialismus als äußerstem Extrem wohl stets ergehen wird, und zwar beteiligten sich Männer von Ruf wie LAVATER, CAMPER, BLUMENBACH an diesem Kampfe 24). Camper ?) in vorsichtiger Weise. Von dem Wunsche beseelt nachzuweisen, daß zwischen Mensch und Affe wohl Unterschiede beständen, hatte er gezeigt, daß der Kehlkopf des Orang-Utans anders konstruiert sei als der des Menschen, weshalb jener niemals sprechen lernen könne; ferner, daß seine hinteren Extremitäten ungeeignet seien, nach Menschenart zu sitzen und daß er außerdem nicht imstande sei, mit dem Daumen zu greifen. Weiter hatte Camper darauf hingewiesen, daß die Schneide- zähne beim Affen nicht im Oberkiefer sitzen, sondern in einem aparten Zwischenkiefer, der unter der Nasenhöhle zwischen den beiderseitigen Oberkieferknochen eingefügt ist. Diesen, das Inter- maxillare, so erklärte Camprr, zeigt derSchädel des Menschen nicht. Somit ergab sich die Schlußfolgerung, die nicht sowohl von Camper, als von seinen zur konservativen Richtung gehörenden Zunftgenossen verfochten wurde, daß die Unterschiede im Knochen- bau derartig groß seien, daß man Mensch und Affe unmöglich als zu einer Familie gehörig betrachten könne. Darauf haben wir vor allen Dingen zu achten, daß die oben genannten anatomischen Merkmale eine große Rolle spielten im Kampf für und wider den Materialismus, der von Frankreich ausging. GoETHE wußte darum und da sein Geist während dieser Periode materialistischen Anschauungen zuneigte 28), war es sein Bestreben, durch die Ent- deckung des Zwischenkiefers beim Menschen den Materialismus zu kräftigen, obschon er sich nicht vor jedem zu dieser Ansicht bekennen wollte. Doch schrieb er am ı7. November 1784 an seinen Freund Kxesel ?”): „Ich habe mich enthalten, das Resultat, worauf schon HERDER in seinen Ideen deutet, schon jetzt merken RO ye Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 89 zu lassen, daß man nämlich den Unterschied des Menschen vom Tier in nichts Einzelnem finden könne. Vielmehr ist der Mensch aufs nächste mit den Tieren verwandt“. | Wir werden sehr bald sehen, daß auch der Eklektiker oder Empiriker Anlaß hatte, GorrHEs Auffassung über den Zwischen- kieferknochen des Menschen zurückzuweisen, wenn diesen dabei auch der wenigstens für Wirbeltiere richtige Grundgedanke „des ge- meinsamen Typus“ leitete. Die Anregung zur Wiederaufnahme seiner anatomischen Studien kam GoFTHRE einerseits durch die er- wähnten Unterhaltungen mit HERDER, andererseits durch seinen Freund Merck, der sich ganz den fossilen Tieren widmete und zu diesem Zweck das Skelett der Wirbeltiere natürlich mit Eifer untersuchen mußte. Dabei war diesem schon der Zwischenkiefer- knochen aufgefallen, worüber er im Jahre 1782 wiederholt mit dem Anatomen Sémmernine korrespondierte. Unmittelbaren Anlaß dazu gab wohl ein im Jahre 1781 in zweiter Auflage erschienenes, Werk von BLumenBaCcH #), in welchem Behauptungen bezüglich des Zwischenkieferknochens vorkamen, die viel zu weit gingen. Laut BLUMENBACH sollte dieser nicht nur beim Menschen, sondern eben- falls beim Elefanten, Ameisenbär und Delphin fehlen; BLumenBacH behauptete außerdem, daß die vertikale Gesichtslinie des Menschen dem Fehlen dieses Knochens zuzuschreiben sei, während er bei den Tieren zur Bildung der Schnauze diene. GroETHE ist auf diese Fragen wahrscheinlich durch Mrrck hingewiesen worden °°). Er trachtete also danach, sich Schädel von solchen Tieren zu verschaffen, denen BLumenBAcH den Besitz des Zwischenkiefer- knochens aberkannt hatte 3°). Es fiel ihm nicht schwer zu beweisen, daß BLumenBacH sich hierin gründlich geirrt hatte. Gleichzeitig erlangte er die Überzeugung, daß auch der Mensch einen der- artigen Knochen besitze. Über diese Entdeckung ist sehr viel geschrieben worden, sie gab Anlaß, daß nicht die Zeitgenossen, sondern die späteren Geschlechter der GorTHE-Verehrer, diesen als vergleichenden Anatomen in die Wolken erhoben, ja selbst dessen Abhandlung über den Zwischenkiefer die erste wirkliche vergleichende anatomische Studie nannten, welche überhaupt er- schienen sei. Mathematiker und Physiker wie HeLmHoLTz und pu Bois- Raymonp, die die GorTHeschen Studien auf ihrem Gebiete mit unzweideutigen Worten tadelten (Optik, Farbenlehre), unter- ließen nicht, ihr scharfes Urteil dadurch abzuschwächen, daß sie 90 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. darauf hinweisen, er habe in einem anderen Fach, nämlich der vergleichenden Anatomie wohl glückliche Entdeckungen gemacht 31). Um diese, besonders die des Os intermax. in das richtige Licht zu setzen, müssen wir also untersuchen, was im Jahre 1784 über diesen Knochen bekannt war. Dabei diene zur Erläuterung, daß dieses (doppelte) Knöchelchen, weil es eine beinahe dreieckige Form hat, auch durch 3 Nähte mit dem Oberkiefer zusammenhängen muß. Die erste Naht ist sichtbar, wenn man einen Tierschädel ganz von vorne betrachtet, sie ist die äußere Naht, die andere, die innere, ist bedeckt, die dritte, die Quernaht fällt sofort ins Auge, sobald man den Schädel umdreht und den knöchernen Gaumen besieht. Nun hatte Gatenus ©), der Vater der Anatomie, die dieser Gelehrte jahrhundertelang beherrscht hatte, behauptet, daß die obenerwähnte Außennaht auch bei dem Menschen gefunden würde und es ist eigentümlich, daß GoETHE bei der Niederschrift seines ersten Manuskriptes nur dieses uralte Werk des GaLENUS und das des Vzsarıus kannte. Auf ersteres konnte er sich übrigens mit einigem Recht berufen. Da er dies nun aber mit den Worten tat: ,,hier- aus ist nun aber auf das Deutlichste ersichtlich, daß er — GALENUS — © den Zwischenknochen gekannt und gemeint“, so vernichtet er gleich darauf den Wert dieses Zeugnisses, indem er zugibt: „ob er aber solchen am Menschen gesehen, wird wohl immer zweifelhaft bleiben °°)“. Seit langem war denn auch über- zeugend nachgewiesen, daß Gatenus Affen sezierte, um die Ana- tomie des Menschen schreiben zu können. Er hatte denn auch die Naht nicht bei Menschen, sondern bei den Affen gesehen. Dies hatte VesaLIus 84), der Reformator der Anatomie schon im Jahre 1555 festgestellt, und Camper hatte im nämlichen Werk, worin er den Zwischenkieferknochen dem Menschen absprach, neue Beweise für die Richtigkeit dieser Auffassung herbeigeschafft. Indessen hatte Vezsauıus durch seine Korrektur des GALENUS den Zorn des streitlustigen SyLvius erweckt%), welcher die Be- hauptung aufstellte, daß die von GALEnus beschriebene Naht doch, wenn auch selten, beim Menschen vorkomme, daß man jedoch annehmen dürfe, zu GaLeNUs Zeiten habe der Mensch sie noch allgemein gehabt, in späteren Zeiten sei sie dann aber infolge der liederlichen Lebensweise verloren gegangen. Es wird heut. zutage schwer, sich vorzustellen, daß ein anderer Anatom (Hexer) 55) mit einem sehr gelehrten Buche antwortete, in dem gezeigt wurde, daß die Zeitgenossen des GaLenus nicht weniger liederlich lebten iene Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. QI als die des Vesauus, SyLvius und Hexers. Stritt man nun auch über das Vorhandensein dieser äußeren Naht, so verneinte doch niemand, daß die Quernaht auf dem Gaumen oft beim Menschen gefunden würde, auch hob man hervor, daß sie bei Kindern viel deutlicher als bei Erwachsenen sei und bei letzteren wohl ganz verschwinden könne. Genauere Mitteilungen darüber machten, außer den vorher genannten im 16. Jahrhundert: FALLOPPIUS, EusracHius, VALVERDE, VOLCHER Correr, COLUMBUS, im 17. Jahrhundert: RioLan, SPpieELivs, CoLLins und Eysson, während ferner aus dem 18. Jahrhundert noch ALBInus, NESBITT, SABATIER, Bertin, TARIN und WinsLow zu nennen sind 37). Bei RioLan finden wir schon die durch Burron wieder in Mode gebrachte Idee von der Einheit des Knochenbaues. Er bewies, daß alle drei Nähte bei sehr jugendlichen Schädeln vor- kommen können, wodurch die Übereinstimmung mit den Tieren ebenso bestätigt würde wie durch das Vorhandensein der Ohr- muskeln beim Menschen, die für diesen doch nicht vom geringsten Nutzen seien, da er seine Ohren weder bewegen könne noch zu bewegen brauche. Die Nachfolger Rıorans brachten vielfach detail- lierte embryologische Untersuchungen bei, durch die es feststand, daß der Mensch in einer gewissen frühen Periode seiner embryo- nalen Entwicklung ebensowohl einen Zwischenkieferknochen be- sitze wie die Tiere, der jedoch später mit dem Oberkiefer derartig verschmelze, daß gewöhnlich nur Überbleibsel der Quer- naht beim erwachsenen Schädel übrigbleibe 38). Alle diese Unter- suchungen wurden noch übertroffen von denen des Vico D’AzYr, des Schülers Sazatiers. Dieser schrieb eine vergleichende anatomi- sche Studie ®), in weicher der Zwischenkieferknochen ausführlich behandelt wurde. Diese las er im Jahre 1780 in der Akademie vor, sie wurde aber erst im Jahre 1784 durch den Druck ver- öffentlicht, also gerade zur Zeit, als GoETHE mit demselben Studium beschäftigt war. Vico p’Azyr verwendete ganz wie GoETHE die Nähte (und das Vorhandensein des Knochens beim Embryo) zur Begründung der Lehre vom gemeinsamen Typus. Es muß uns jedenfalls sehr stutzig machen, daß GoETHE die hier nur kurz angedeutete Literatur nicht kannte; zwar ist dies einem Liebhaber, der erst beginnt, sich mit der Wissenschaft zu beschäftigen, nicht übel zu nehmen, aber überraschend ist es doch, daß sein Lehrmeister Loper in Jena ihn nicht darauf hingewiesen hat. Dieser muß doch immerhin einen Teil der besägten Lite- 92 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. ratur gekannt haben; aber selbst in seinen eigenen Werken, die speziell dazu beitrugen, GorrHEs Untersuchungen bekannt zu machen, nannte er stets nur diesen allein als Beschreiber des Os intermaxillare. In seinem Handbuch vom Jahre 1788 rühmte er schon das noch unedierte Manuskript GoETHEs mit folgenden Worten: „Ich habe das Vergnügen gehabt, ein Zeuge seiner scharf- sinnigen Untersuchungen zu sein und wünsche, daß dieses meister- hafte Produkt der Nebenstunden eines solchen Liebhabers der Anatomie dem Publikum nicht lange vorenthalten werden möge.“ Fünfzehn Jahre später gab Loper seine Tabulae anatomicae heraus, die ausschließlich die normalen Formen der Knochen wiedergeben, niemals die abnormalen oder die embryologischen. Nur beim Oberkieferknochen weicht er hiervon ab; er zeichnet erst einen Oberkiefer ‘°), auf dem die bewußten Nähte des Zwischen- kiefers so deutlich angegeben sind, wie sie nie am normalen Schädel gefunden werden, und dann nochmals denselben Knochen einer nicht ausgetragenen Frucht ‘!), auf dem diese Nähte natürlich noch deutlicher sind. Wir gehen wohl nicht zu weit, wenn wir diese Handlungsweise mit einem modernen deutschen Ausdruck als Byzantinismus kennzeichnen 2). Der Gedanke liegt auch nahe, daß Loper, als er bemerkte, wie glücklich, ja wie entzückt GorTHE über seine Entdeckung war, diesem das Vergnügen nicht ver- derben wollte und deshalb über die Literatur schwieg, die er als Fachmann kennen mußte. Bevor wir auf GorTHEs Entdeckung näher eingehen, müssen wir noch die Frage beantworten: „Wie war es möglich, daß Anatomen wie CAMPER, BLUMENBACH, SÖMMERING und Zimmermann das Vorhandensein des betreffenden Knochens am Menschen verneinen konnten 4), während ihnen doch die Werke der Männer, die ihn, oder doch die erwähnten Nähte lange vor ihnen beschrieben hatten, bekannt sein mußten? Ja, wie war es möglich, daß z.B. Camper und BLUMENBACH, trotzdem sie die Quer- naht beim Menschen, auch die innere Naht beim Embryo lange vor Goerue kannten *), das Vorhandensein des Zwischenkiefer- knochens bestritten?“ Zugegeben, daß einige die Ableugnung zur Bekämpfung des Materialismus benutzten, so ist doch nicht anzunehmen, daß solche bedeutenden Männer dazu Waffen ge- wählt haben würden, deren Wertlosigkeit allzu deutlich hervortrat. Nun ist es gar nicht ausgeschlossen, daß man auch heute noch über diese Frage streiten könnte, da man je nach dem ein- zunehmenden Standpunkt den Zwischenkieferknochen dem Men- Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 93 schen zu erkennen oder abstreiten kann. Jeder weiß, daß der Mensch während seiner embryonalen Entwicklung eine Reihe von Ge- bilden zeigt, die bei der Geburt und daher auch beim erwachsenen Menschen verschwunden sind. Z. B. Jeder Mensch hat als Embryo einen schwanzförmigen Ansatz gehabt, jeder Mensch hat als Embryo am Hals Bildungen, die an Kiemenspalten erinnern, ja, von jedem Menschen könnte man sogar behaupten, er sei entweder hermaphroditisch oder ohne bestimmte Andeutung des Geschlechtes angelegt. Das kann nicht angezweifelt werden. Trotzdem würde ein Examinator sehr erstaunt aufblicken, wenn ihm ein Student auf die Frage, um in kurzen Worten den Begriff ‚Mensch‘ zu definieren, folgende Ant- wort gäbe: „Der Mensch ist ein Wesen mit einem schwanz- förmigen Ansatz, mit Kiemenspalten und hermaphroditischen oder unbestimmten Geschlechtes etc. etc.“ Aus diesem mit Absicht so kraß wie möglich gewählten Beispiel erhellt sonnenklar, daß man, sobald von den Organen oder Körperteilen des „Menschen“ die Rede ist, ausschließlich die Formen meint, die der ausgetragene oder ausgewachsene Mensch zeigt. In analoger Weise wird jeder Student der Medizin auf eine Frage nach der Anzahl Handwurzelknochen antworten: „acht“, obschon er weiß, daß in einem frühen embryonalen Stadium noch ein weiteres anwesend ist), das aber später mit einem der anderen völlig zusammenschmilzt, genau wie der Zwischenkiefer- knochen mit dem Oberkiefer. Somit hatten also Camper, BLUMENBACH, SÖMMERING, die Anatomen und keine Embryologen waren, vollkommen recht, wenn sie da- . bei blieben, daß der Mensch, d.h. der ausgetragene und ausge- wachsene Mensch keinen Zwischenkieferknochen habe (ebenso- wenig wie einen schwanzförmigen Ansatz. Und noch heute bildet der Mensch dadurch eine Ausnahme im Vergleich zu den Tieren und auch zu den hochstehenden Affen, daß schon bei seiner Geburt die Außennaht, die diesen Knochen von dem Ober- kiefer abgrenzte, spurlos verschwunden ist, und daß auch von den beiden anderen Nähten bei der Geburt wenig mehr zu sehen ist 46) Dagegen zeigt selbst der junge Orang-Utan deutlich alle drei Nähte und so einen abgesonderten Knochen. Stellt man sich dagegen auf einen embryologischen Stand- punkt, dann hat der Mensch wie alle Tiere, einen Zwischenkiefer- knochen (auch einen schwanzförmigen Ansatz) und GortHE hätte 94 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. recht gehabt, vorausgesetzt er hätte gleichfalls diesen Stand- punkt eingenommen. Dies tat er jedoch keineswegs; er hat niemals Embryologie getrieben, ja es ist sogar verwunderlich, daß er diese Wissenschaft, die sich während seines Lebens so kräftig entwickelte und die er kurz nach dem Jahre 1ı790*°) durch das Werk von C. F. Worr kennen gelernt hatte, durchaus dauernd negierte. Zwar vernahm er später, daß auch andere Schädel- knochen in ihrer Anlage aus mehreren Teilen bestehen können, und verlangte darum, weil er dadurch seine Auffassung vom Os intermaxillare bekräftigen konnte, daß man zukünftig solche Knochen als zwei oderdreiverschiedene Knochen beschreiben sollte*®). Ich habe aber gezeigt, zu welchen Absurditäten dies führen würde, denn die letzte Konsequenz würde sein, daß man dem Menschen nicht allein vier Hinterhauptsknochen und drei Schläfen- beinknochen zusprechen müßte, sondern ebenfalls einen Schwanz und Kiemenspalten. Von einer systematischen Einteilung der Tiere würde dann keine Rede mehr sein können, da alle Grenzen verschwinden würden. Nach diesen Auseinandersetzungen, durch welche ich glaube, jeden in die Gelegenheit gebracht zu haben, diese Materie selb- ständig zu beurteilen, müssen wir uns nun wiederum in das Jahr 1784 zurückversetzen. GorTHE war es also gelungen, den Zwischenkieferknochen auch bei den Tieren wieder zu finden, die ihn laut BLUMENBACH nicht haben sollten. Daraufhin, beim Untersuchen von Menschen- schädeln entdeckte er nun , Was“?: Die in wenigstens 20 Hand- büchern der Anatomie bereits ausführlich beschriebene Quernaht und eine Spur des unteren Teiles der inneren Längsnaht, die ebenfalls schon mehrfach (Ausinus, Cons etc.) beschrieben war! GoETHE war über die Maßen erfreut. An seine Freundin Frau von Stein) schrieb er am 27. Mai 1784: „Es ist mir ein köstliches Vergnügen geworden, ich habe eine anatomische Ent- deckung gemacht, die wichtig und schön ist. Ich habe eine solche Freude, daß sich mir alle Eingeweide bewegen“, und am selben Tage noch an Herper 5): „Ich muß dich auf das eiligste mit einem Glück bekannt machen, das mir zugestoßen ist. Ich habe gefunden — weder Gold noch Silber —, aber was mir unsägliche Freude macht — das Os intermaxillare am Menschen. Es soll dich auch herzlich freuen, es ist wie der Schlußstein zum Menschen, fehlt nicht, ist auch da!“ Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 95 Nun war es zu damaligen Zeiten nicht nur sehr gebräuchlich über wissenschaftliche Gegenstände zu korrespondieren, sondern auch sich gegenseitig Manuskripte zur Beurteilung zuzusenden. GOoETHE machte es auch so; sein Manuskript wanderte im November von Loper zu KNEBEL, später zu Merck, der es an SÖMMERRINC schickte, von diesem gelangte es wieder zurück zu Merck; letzterer als Freund Campers erhielt den Auftrag es an diesen nach Klein-Lankum in Friesland zu schicken. Daß Loper in Jena mit GortHE übereinstimmte, versteht sich von selbst; SÖMMER-, RINGS Brief ist leider nicht erhalten’); GoETHE schrieb an Merck: „Von SÜMMERRING habe ich einen sehr leichten Brief. Er will mir’s gar ausreden. Ohe!“ An einer anderen Stelle schreibt er: „Ich glaube noch nicht, daß er sich ergibt. Einem Gelehrten von Profession traue ich zu, daß er seine fünf Sinne ableugnet. Es ist ihnen selten um den lebendigen Begriff der Sache zu tun, sondern um das, was man davon gesagt hat. Auf Campers Ant- wort verlangt mich auch höchlich.“ (An Merck.) Dies schrieb er am 8. April 1785. Er mußte noch viel Geduld haben, bevor sich eine Gelegenheit bot, Camper das Manuskript zu überreichen. Am 19. Dez. 1784 hatte Merck es zur Weiterbeförderung erhalten, am 1. Juni 1785 schrieb Camper schon etwas ungeduldig, wo doch das Manuskript bliebe „que je languis beaucoup de voir“ und erst am 15. September konnte er es in Stavoren in Empfang nehmen. Es scheint, daß Merck bei der Ankündigung der Sendung die Farben sehr stark aufgetragen haben muß, da Camper schon am Tage nach dem Empfang antwortete: „j’examinai avec une ardeur et la curiosite d’une petite fille, qui voit pour la premiere fois un amant tout nu et in puris naturalibus“. Auf so hochgespannte Erwartungen mußte wohl eine Ent- täuschung folgen, wenn Camper dies auch aus Höflichkeit nicht gesteht. Er lobte die beigefügten Zeichnungen, billigte die Unter- suchung, soweit sie sich auf die Tiere bezog, „mais je ne puis pas l’avouer dans l’homme“. Das Latein, in dem das Werk abgefaßt war, tadelte er und fragte dann, was er mit dem Manuskript machen sollte. Einige Tage später °°) folgte ein zweiter Brief, in dem er über „le beau livre sur l’os intermaxillare‘“ schrieb, und berichtete, daß er nochmals viele Kinderschädel untersucht habe, um das Os intermaxillare zu entdecken, aber „je ne le trouve pas et je continue à prétendre que nous ne l’avons pas“. Daß GortHE diesen Knochen am Walroßschädel entdeckt hatte, würdigte er 96 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. dagegen ganz besonders und wiederholte dieses Lob im Juni 1786 in einem seiner gedruckten Werke°?). Am 21. März 1786 kam er, ebenfalls in seiner Korrespondenz mit Merck, nochmals mit ungefähr denselben Worten darauf zu- rück und fragte, was er mit dem Manuskript nunmehr machen sollte. Es ist merkwürdig, daß GoETHE es niemals zurückforderte und daß es beinahe ein Jahrhundert lang in Holland blieb, bis Dr. Danıeıs es um das Jahr 1880 bei den Nachkommen Cawmpers entdeckte und dem GoETHE-Museum in Weimar schenkte. In den darauffolgenden Briefen Caupers°*) wurde der Name GoETHE nur noch genannt aus Anlaß einer von diesem gegebenen Zusage, Camper in Holland zu besuchen, welcher Plan indessen niemals zur Ausführung gekommen ist. Camper sandte an GoETHE außerdem noch einige direkte Briefe, die leider nicht mehr erhalten sind’). GoETHE schrieb über diese Briefe: „Davon war nicht die geringste Spur, daß er meinen Zweck bemerkt habe, seiner Meinung entgegenzutreten und irgend etwas anders als ein Programm zu beabsichtigen. Ich erwiderte bescheiden und erhielt noch einige ausführliche und wohlwollende Schreiben, genau besehen nur marteriellen Inhalts, die sich aber keineswegs auf meinen Zweck bezogen, dergestalt, daß ich zu- letzt, da diese eingeleitete Verbindung nichts fördern konnte, sie ruhig fallen ließ, ohne jedoch daraus, wie ich wohl hätte tun sollen, die bedeutende Erfahrung zu schöpfen, daß man einen Meister nicht von seinem Irrtum überzeugen könne, weil er ja in seine Meisterschaft aufgenommen und dadurch legitimiert ward“ 56). So geringschätzig beurteilte GoETHE Camper, sobald dieser seine Anschauungen nicht teilte, während er ihn an anderer Stelle °?) „ein Meteor von Geist, Wissenschaft, Talent und Tätig- keit“ nannte. Nach allem, was wir nun bezüglich der Beurteilung dieser anatomischen Frage mitgeteilt haben, können wir uns über Campers Handlungsweise kurz fassen. Wir haben dabei auf zwei Punkte zu achten, erstens auf die oben schon angedeutete Ver- quickung der normalen mit der embryonalen Anatomie und auf die Tatsache, daß vom Standpunkte der normalen Anatomie aus gesehen, Camper und seine Parteigenossen durchaus im Recht waren. Wir fügen noch die Mitteilung hinzu, daß im Jahre 1784 schon sehr gut bekannt war, was wir heute rudimentäre Organe nennen (siehe oben) und daß man ebenfalls wußte, daß auch bei den Tieren ein großer Unterschied zwischen normaler und embryo- Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 97 naler Anatomie bestehe, z. B. daß beim Rind der Mittelfußknochen doppelt angelegt ist und später zu einem einzigen Knochen ver- wächst (os du canon), ferner, daß eine Anzahl von Tieren rudi- mentäre Zehen haben. Man hätte also jemanden, der bei der Behandlung der normalen Anatomie dem Rind zwei Mittelfuß- knochen, dem Hund fünf Zehen für die Hinterfüße zugesprochen haben würde, genau so streng zurückgewiesen wie GOETHE. Zum zweiten bedenke man, daß, wenn GoETHE, vom Prinzip der Einheit des Knochenbaues ausgehend, das Os intermaxillare für den Menschen forderte, er das ihm übrigens wohlbekannte Faktum außer acht ließ, daß dieses Prinzip keineswegs die An- wesenheit aller untergeordneten Teile verlange. Mit demselben Recht hätte er für die Wiederkäuer obere Schneidezähne oder für alle Tiere fünf Zehen, Rippen für die Amphibien und Ex- tremitäten für die Schlangen verlangen können. Dabei rede ich noch gar nicht über die Unterschiede, die die Weichteile auf- weisen°®). Das Prinzip: Einheit des (Knochenbaues) Baues, wie GOoETHE es auffaßte, war ein falsches Prinzip, wenn es auch einen durchaus richtigen Kern enthielt °°). Wir gehen mit Stillschweigen darüber hinweg, daß GorTHE große Unkenntnis in der einschlägigen Literatur gezeigt hat, aber mir scheint, daß Camper wohl spöttisch gelächelt haben wird über das Unterfangen dieses Autor-Ministers, der eine seit Jahrhunderten bekannte Tatsache, als eine neue Entdeckung auftischte und damit dann die herrschende Meinung bekämpfen wollte. Er beherrschte sich aber so sehr, daß GorTHE nur aus den Briefen herausfühlte. „Er schien sogar über die Bemühung etwas verwundert.“ Es kommt mir denn auch so vor, daß CAMPER, wäre GOoETHE kein Minister und berühmter Dichter, Merck nicht sein besonderer Freund gewesen, wohl kaum die Höflichkeit in acht genommen haben würde, die er in seinen Briefen und Werken zum Ausdruck brachte. Ohne dem Kern der Sache zuzustimmen, weil man das eben nicht tun konnte, versuchte man, durch überschwängliches Lob in Nebensachen und durch ausgesuchte Höflichkeit die bittere Pille zu überzuckern. Wer einige Menschenkenntnis besitzt, weiß, daß keine Korrespondenz so unaufrichtig ist, wie die mit einem Schriftsteller über sein von ihm geschenkt erhaltenes Werk. Die Höflichkeit verlangt eine liebenswürdige Antwort, wenn man das Buch auch als wertlos betrachtet und so versucht man z.B. das = 98 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforsche nur zu loben, was Lob verdient und schweigt iber den Rest, (vielleicht die Hauptsache), dem man dann später in eigenen Druckschriften möglicherweise einmal zu Leibe geht. In der Weise haben wir Campers Briefe zu beurteilen. Merck, der ge- meinsame Freund, schrieb (1786) spôttelnd an SÖMMERRING von „GOETHES sogenannter Entdeckung“ 6°). GoETHE hat niemals einsehen wollen, daß die von ihm wahrgenommenen aber längst bekannten Facta richtig, seine Interpretationen dagegen falsch waren ®!). Er regte sich vielmehr so darüber auf, daß er die, welche seine Auffassung vom Os inter- maxillare nicht adoptieren wollten, des Angriffs auf die Typus- theorie, die Einheit des Baues d.h. die Grundelemente der ver- gleichenden Anatomie beschuldigte ®2). Da der Zwischenkieferknochen überdies den vordersten Teil am Schädel einnimmt 8), erhielt er in GoETHEs Augen eine höhere symbolische Bedeutung (Naturphilosophie); er ward das Schibolet der Typustheorie, als deren Verfechter und Begründer er sich fühlte. Ließ er sich doch mit Bezug auf diesen Knochen und auf seine Schädelwirbellehre zu folgenden Ausdrücken hin- reißen: „Hier lagen die zwei Hauptpunkte, auf deren Einsicht und Anwendung bei Betrachtung .organischer Naturen alles ankam“ 64), Er verlor in solchen Augenblicken vollständig aus den Augen, daß die Theorie vom gemeinsamen Typus schon vor Jahrhunderten von VOLCHER-COITER, Severino, RıorLan gelegt worden war, hatten diese dafür auch andere Namen, und daß sie ihm nach eigenem Bekenntnis durch Burron ©), Daupenron, CAMPER, SÖMMERRING und seinen Freund Merck zur Kenntnis gebracht worden war; auch LoBsTEIN, HERMANN, LopeR wären hier zu nennen. Wie starr GoETHE auch immer bei seiner Auffassung blieb; so ließ er doch das Manuskript nicht drucken; das lateinische Exemplar blieb im Besitz Campers und das deutsche vom Jahre 1786 datierend, verbarg er 34 Jahre lang in seinem Pult. Die Frage liegt nahe, weshalb er, der so überzeugt von seinem Recht war, so handelte. Es ist eine pure Mutmaßung von mir, daß GoETHE, der sich später entschieden von der mechanischen Natur- anschauung abkehrte, es aus eben diesem Grunde wünschenswert fand, das Manuskript nicht herauszugeben. Als er es endlich im Jahre 1820), und dann auch noch ohne Abbildungen in Druck gab, war die von Rousseau und Moscati STO Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 99 angefachte Streitfrage beinahe schon vergessen; der nach mechani- schen oder natürlichen Ursachen suchende Gelehrte (Lamarck) focht mit ganz anderen Waffen als mit dem Zwischenkiefer- knochen und der Kehlkopfbildung bei Primaten. Eine zweite Auflage folgte im Jahre 1831). Während der oben erwähnten 34jährigen Ruheperiode hatte GoETHE seine Kenntnis der Fachliteratur etwas vermehrt, jedoch zitiert er auch jetzt nur 8 Namen) aus der Zeit vor 1784, während er wohl 20 hätte nennen müssen. Denjenigen Teil der Literatur jedoch, der später erschienen war, wo man ihn zitierte, und be- sonders wo man ihm beipflichtete, kannte er ganz genau 9). Die- selbe Erscheinung kann man mehrfach bei ihm wahrnehmen; bei Betrachtung seiner Lehre von der Metamorphose der Pflanzen kommen wir darauf zurück. Er interessierte sich immer nur für den Teil der Literatur, mit dem er seine Ansichten bestärken konnte und er bat seine Freunde, ihn auf solche Werke aufmerksam zu machen. Ja, es läßt sich beweisen, daß er Werke, die er wohl kannte und über den bewußten Knochen handelten, trotzdem nicht zitierte, wenn ihm dies, wohl der Priorität wegen, nicht paßte °°). Für diese Behauptung bietet wohl den stärksten Beweis GorrHes Verhalten Vico D’Azyr gegenüber. Über diesen Arzt, der meiner Meinung nach der größte vergleichende Anatom seiner Zeit war, schrieb Cu. Martins, daß er sich einen Ruf erwarb „qui ne perira pas“. Isinore Grosrroy-St.-Hilaire urteilte über ihn: „qui a comme lui embrasse l’anatomie comparée presque dans son ensemble“ und Oskar SCHMIDT nennt ihn „eine der interessantesten Erscheinungen, welche die Geschichte der vgl. Anatomie aus dem 18. Jahrhundert vorführt“. Huxzey behauptete „He may be con- sidered as the founder of the modern science of anatomy“ und MeckeL nennt ihn „den unsterblichen“. Dieser Vico p’Azyr hatte, wie oben angegeben wurde, ein Werk”!) geschrieben, worin der Zwischenkieferknochen vergleichend-anatomisch behandelt wurde und zwar mit dem ausdrücklichen Vermerk, daß er die Typuslehre bestätige. Damit hatte er dieses Thema in GorTHEs Sinn erschöpft. Diese Arbeit wurde zwar schon im Jahre 1780 in der Aka- demie vorgelesen, aber erst 1784 gedruckt, so daß GoETHE sie noch nicht kannte, als er sein Manuskript an Camper sandte. Aber schon im April 1786 hörte er durch einen Brief’) des Prinzen Zool. Annalen V. ai, 100 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. August von Gotha, daß Vico D’Azyr auch über das Intermaxillare geschrieben habe; außerdem wurde dessen Werk durch BLUMENBACH, WIEDEMANN, SOMMERING 73) und andere in deutschen Zeitschriften und wissenschaftlichen Werken besprochen und zitiert. Der Brief des Herzogs mit einer GoerHEschen Bemerkung versehen wurde in des letzteren Nachlaß gefunden. Und doch, wie oft er auch später auf das Os intermaxillare zurückkam — trotz 2maligen Druckes seiner Abhandlung — nie hat er es für nötig gehalten zu bekennen, daß Vico p’Azyr ihm zuvorgekommen war. Ja, er nennt ihn auch dann nicht“), wenn er die vergleichenden Anatomen aufzählt. Daß er den Namen Vico v’Azyrs überhaupt kannte, läßt sich nur aus seinen nicht zum Druck bestimmten Notizen ersehen. Mit Freuden vernahm er dagegen die Entdeckung anderer Anatomen, daß bei Hasenscharte und Wolfsrachen ein vom Kiefer völlig getrennter Zwischenkieferknochen vorkommen könne, und dieses Faktum erschien ihm sehr geeignet, seine Auffassung zu recht- fertigen. Wiederum übersah er hierbei, daß diese Mißbil- dungen dadurch entstehen, daß eine embryonale Form beständigt wird, wie dies oftmals auch bei anderen Körperteilen geschieht. Es würde wunderlich mit der Systematik aussehen, wollte man solche Formen (Bildungshemmungen) zum normalen Bau von Mensch und Tier rechnen. SÖMMERRING protestierte denn auch gegen diesen Analogie- schluss, wie wir sehen werden, auf eigenartige Weise. Dieser hatte zunächst, wie schon erwähnt, getrachtet, GOETHE von seinen Ideen abzubringen, aber ohne Erfolg. In der ersten Ausgabe seines Werkes über Knochen und Bänder erklärte SÖMMERRING nun, daß durch die bewußten drei Nähte — wo sie ge- funden werden — „diese Stelle einigermassen dem Zwischenkiefer der Tiere ähnelt“, daß hingegen bei einem normal gebauten Schädel auch diese Nähte fehlen und allein beim jungen Embryo von einem aparten Knochen gesprochen werden darf. Diese An- sicht war anatomisch korrekt. Um GoETHE aber ein Vergnügen zu machen, fügte er in der zweiten Auflage (1791) die Worte hinzu: „GOETHES sinnreicher Versuch aus der vergleichenden Knochen- lehre, daß der Zwischenkieferknochen der Oberkinnlade dem Menschen mit den ibrigen Tieren gemein sei — von 1785 — mit sehr richtigen Abbildungen, verdiente öffentlich bekannt zu sein“. GOETHE war sehr erfreut über diese Worte und nannte ihn denn auch „Freund Sémmerrine 9). Ebenso ward auch BLUMEN- — TH — Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 101 BACH, als er das weiter oben Gesagte über die Hasenscharte zugab ”®), „ein so geistreicher, fort untersuchender und denkender Mann“ 77), genannt. GoETHE wußte aber nicht, daß SÖMMERRING in dem Hand- exemplar seines Werkes, das stets auf seinem Schreibtisch lag und das immerfort. korrigiert wurde (vermutlich für eine dritte Auflage) die oben zitierten schmeichelhaften Worte wieder durch- gestrichen hatte. An deren Stelle hatte er, der vernommen, daß GoETHE sich auf die Formen der Hasenscharte berief”®), mit Tinte die folgenden Worte geschrieben: „Dass bisweilen bei der soge- nannten Hasenscharte dieses Stück vom Oberkiefer getrennt er- scheint, kann nicht dazu berechtigen, ein Os intermaxillare beim Menschen, so wie bei den Tieren ein Os interm. (FiscHER) im nor- malen Bau anzunehmen“. GoETHE nannte er bei dieser Berichtigung nicht °°) mehr. FiscHER 89) hatte im Jahre 1800 ein Werk über denselben Knochen geschrieben und darin die erwähnten schmeichelhaften (später durchstrichenen) Worte von SÖMMERRING zitiert, weshalb GorrHE ihn denn auch „kenntnisreicher, tätiger Mann“ nannte 81). Die schlechte Gewohnheit, die Namen der Schriftsteller, welche man zitiert, sobald sie mit uns einer Meinung sind, mit einem Epitheton ornans auszustatten, besteht „traun“ heute noch, Diese Blätter haben den auch von mir hochverehrten GOETHE nicht von seiner besten Seite gezeigt und darum meine ich, nicht verschweigen zu dürfen, daß bei ihm Gedanken gefunden werden, die beinahe einer Erkenntnis der eigenen Fehler gleichen. So liest man z.B. in den,,Meteoren des litterarischen Himmels“ den folgenden Aphorismus: „Sich auf eine Entdeckung etwas zu Gute tun, ist ein edles rechtmäßiges Gefühl. Es wird jedoch bald gekränkt; denn wie schnell erfährt ein junger Mann, daß die Altvorderen ihm zuvorgekommen sind 82)€. „Was heißt auch er- finden, und wer kann sagen, daß er dies oder jenes erfunden habe? Wie es denn überhaupt auf Priorität zu pochen, wahre Narrheit ist, denn es ist nur bewußtloser Dünkel, wenn man sich nicht endlich als Plagiarier bekennen will 8)“. An einer andern Stelle: „Wir gestehen lieber unsere moralischen Irrtümer, Fehler und Gebrechen als unsere wissen- schaftlichen“ *?). Ich würde es hierbei bewenden lassen können, wäre es mir nicht darum zu tun, mich zu rechtfertigen, warum ich einen so allgemein verehrten Mann wie GoETHE nur in ungünstigem Licht de Pro tee 102 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. zeige. Zum Teil liegt dies natürlich daran, daß ich seine schwache Seite, die Beschäftigung mit den Naturwissenschaften zur Untersuchung wählte, bei welch einseitiger Betrachtung er genau wie VOLTAIRE nur verlieren kann®). Andererseits brachte mich der Oppositionsgeist dazu, den die GorrHE-Verehrer durch ihre Vergötterung geweckt hatten. So schrieb z. B. BirLscHowsky: „Die Fülle der Einzelkennt- nisse, die sich allgemach angesammelt hatte, mußte eine Verwir-. rung in dieser Wissenschaft, namentlich auch in der vergleichenden Anatomie herbeiführen, da es an einem Leitfaden fehlte. Da machte GoETHE in der, 1795 verfaßten Arbeit ‚Erster Entwurf einer allgemeinen Einleitung in die vgl. Anatomie, ausgehend von der Osteologie‘ einen Vorschlag zu einem anatomischen Iypus.“86%) Dies Werk ist denn auch ganz in dem Geiste geschrieben, als ob GoETHE selbst der Entdecker der schon ARISTOTELES bekannten Idee „Gemeinsamer Typus“ wäre ®”) und BIELSCHOWSKY (K aLiscHER) wurde dadurch verleitet, dasselbe eben- ‘ falls ohne nähere historische Untersuchungen anzunehmen. Macnus ging noch weiter, indem er sagte: „Wir haben in GoETHE den eigentlichen Schöpfer der vergleichenden Anatomie zu sehen; seine Abhandlung über den Zwischenkiefer ist die erste ver- gleichende anatomische Abhandlung“ (l. c. S. 4) und an anderer Stelle: „Er lieferte also hiermit die tatsächliche Grundlage für eine vergleichende Knochenlehre“ (1. c. S. 129). Daß GorrtHE dergl. Ideen zeitweise auch von sich selbst gehabt hat und dann sein Werk weit über die seiner Vorgänger stellte, könnte man aus der folgenden Bemerkung ableiten: „Ebenso wurden auch Tiere zum Menschen zwar nie im ganzen und absichtlich, doch teilweise und zufällig verglichen °°)“. Das schrieb er in einer Zeit, als Hunter sein berühmtes Museum in London schon gegründet hatte, während HaraLp- WALLERIUS und Fagricius 8°) schon seit einem Jahrhundert den Menschen in der allgemeinen Zoologie behandelten, nachdem Linné schon seit vielen Jahren Mensch, Affe und Fledermaus zu einer Gruppe (der Primaten) vereinigt hatte °°). Bei Meyer lesen wir: „Nichts findet sich daher in seinen wissenschaftlichen Arbeiten weniger, als die gewöhnlichen Hauptfehler der Autodidakten: Unkenntnis fremder Arbeit), Überschätzung der eigenen Leistung), Haschung nach Origi- nalität“. Wir wissen es jetzt besser. Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforseher. 103 Noch ein anderer Umstand hat mich beim Durchsuchen der von GoETHE hinterlassenen Anmerkungen ganz besonders frappiert. Von GorrHE blieb beinahe jedes Blatt Papier, das Aufzeichnungen von ihm enthielt, bewahrt, mehrfach hat er ein Verzeichnis von den Namen solcher Forscher gemacht, die die vergl. Anatomie ge- gründet haben, und die er demnach sehr wohl kannte. Zuweilen schrieb er Betrachtungen oder Referate über die aktuelle botani- sche Litteratur, einzelne Male auch soiche über die vergleichende anatomische (PAnper und D’ALTON), aber nirgends findet man Zu- sammenstellungen aus älteren und neueren Verfassern für auch nur einen einzigen wichtigen Punkt als Beweis, daß er ernstlich bemüht gewesen, in die vergleichende Anatomie einzudringen. Gab es doch in den Werken, besonders in den von ihm mehrfach erwähnten Mémoires de l’Académie oder in den von Vico p’Azyr, MeckeL und anderen Vorgängern und Zeitgenossen soviel, was sein Interesse hätte wecken müssen ! Aber man findet meist nur die Namen der Schrift- steller oder nur Allgemeines über die Personen und ihre Werke 98). Hätte er mit der Absicht gelesen, Tatsachen zu gruppieren, wieviel hätte er nicht zusammenbringen können, um seine Lieb- lingsidee: gemeinsamer Typus, Einheit im Bau mit kräftigeren Be- weisen zu stützen, als die waren, welche er anführte. Ich nenne nur die vielen interessanten Studien über rudimentäre Organe, über Atavismen ”), über die Wiederholungen der Formen niederer Tiere bei der embryonalen Entwicklung der höheren Tiere ®), über geologische und andere Stammbäume °°), die lange vor Lamarck bekannt waren. Sogar die Mitteilungen über Variabilität der Tiere *’) und ihre Ursachen werden kaum angedeutet; die Unver- änderlichkeit der Art blieb ihm Axiom. Stets dienten ihm bei seinen Beweisführungen nur die eigenen Untersuchungen über den Zwischenkieferknochen, die Wirbel- theorie des Schädels, die Metamorphose der Pflanzen. Ich kann dies nur durch Hinweis auf seine eigenen Worte erklären: „Da nun den Menschen eigentlich nichts interessiert als seine Meinung, so sieht jedermann, der eine Meinung vorträgt, sich rechts und links nach Hilfsmitteln um, damit er sich und andere bestärken mose 22). Mit diesen Worten hat er nicht den Menschen im allge- meinen, sondern den Menschen GoETHE charakterisiert, der, wie man sagen könnte, sich in abstracto nicht für die fundamentale Idee: „Gemeinsamer Typus“, sondern nur für die Beweise interes- 104 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. sierte, die er dafür beigebracht zu haben meinte. Um diese seine Beweise zu kräftigen, war ihm jede Beihilfe willkommen. Daß es zahlreiche andere Beweise gab, interessierte ihn weniger. Vom Jahre 1795 ab bis 1807?) ließ er, besonders durch SCHILLERS Einfluß, die Anatomie ruhen und als er sie dann wieder aufnahm, blieb er doch bis ans Ende seines Lebens (1832) sich im selben engen Kreise bewegend, der durch seine drei oben er- wähnten Studien abgegrenzt war. | Es ist freilich sehr einfach, hierfür mildernde Gründe aufzu- stellen. Ein Mann wie GorrHe, der (wie Faust) das „All“ in seinem Verstand zu umfassen trachtete, mußte die Erfahrung machen, daß der Arbeitskraft und dem Wissen eines einzelnen Menschen Grenzen gesteckt sind, die selbst das Genie nicht zu überschreiten vermag. Ich habe denn auch diese Zeilen nicht mit der Absicht geschrieben, GoETHE zu verkleinern, sondern — nochmals sei es wiederholt — um zu protestieren gegen die Rauchfaßschwinger 1), die GoETHE-Studien schreiben, ohne seine Zeit 0!) und die Arbeiten seiner Zeitgenossen und Vorgänger zu kennen, womit ein schreiendes Unrecht gegen eine große Zahl höchst verdienstvoller Naturforscher begangen wird. Im Ver- gleich zu diesen wird er, im Urteil unparteiischer Geschichte mit einem nur sehr bescheidenen Platz auf dem (Gebiete der ver- gleichenden Anatomie zufrieden sein müssen. Man macht aus GoETHE eine Gottheit, indem man ihm alle neuen Ideen, alle grundlegenden Entdeckungen zuschreibt, indem man sorgfältig alle Charakterschwächen und Unzulänglichkeiten so günstig wie möglich interpretiert oder gar totschweigt. Wie kann man sich noch für einen Menschen interessieren, der kein Mensch mehr ist?! Anmerkungen: !) Alle Zitate aus Goethes Schriften sind der im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen in Weimar erscheinenden Auflage entlehnt. Sie wird durch die Buchstaben W. A. angedeutet. Wo keine Abteilung genannt ist, beziehen sich die Bändezahlen auf die zweite Abteilung dieser Auflage. ?) A. S. PACKARD: Lamarck, The founder of evolution. New York Igor. S. 95. Nach Perxins: France under Louis XV. p. 359-360. 3) Über Rousseau handelt das bewundernswerte Buch von A. JANSEN: J. J. Rousseau als Botaniker. Berlin 1885. Die Geschichte der Naturwissenschaft verfügt nur über wenige so griindliche Studien. 4) Vergleiche hierzu u. a.: F. Levpic: Horae zoologicae. Jena 1902. S. 224— 226. Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 105 5) Interessante Beispiele dieser Art sind die „Schriften der Gesellschaft natur- forschender Freunde zu Berlin“ 1775—1792: „Der Naturforscher“. Halle 1774 — 1804, 6) Gespräche mit Goethe von EckERMANN: III 10. 2. 1830, I. 2. 5. 1824, I. 20. 12. 1826, I. 1. 2. 1827, Il. 19. 2. 1829, III. 2. 6. 1823, III. 30. 12. 1823. Vergl. weiter die Weimarer Ausgabe von Goethes Werken (W. A.) II. Abteilung. Bd. VIII. S. 120, es Will, GS; nen, =o), VIS 128,04 To, NIS 1795, 58,4. S. 172,8 To, XI. S. 157, 14—16. Durch einen Widersacher wird man nach Goethe nicht geför- dert, abfällige Kritik faßte er als einen persönlichen Angriff auf. XI. 60. 3—10, VIE amg mai Vil TOO. 4—6,) NAZIO 58: ?) Gleiches gilt für Rousseau als Botaniker, der unter den Botanikern von Pro- fession viele Freunde und Verehrer hatte und den die offizielle Wissenschaft nicht totschwieg wie Goethe. Seine Arbeiten wurden regelmäßig in der botanischen Lite- ratur erwähnt, z. B. M. S, KRUGER, Bibliographica botanica, Berlin 1841; F. v. MıLTırz, Handbuch der botanischen Literatur, Berlin 1829. Die irrige Auffassung, daß Goethe als Autodidakt von den Professionellen bekämpft wurde, findet sichschon bei G. H. LEWES: Life of Goethe 2€ edit. 1864. II. p. 77. 8) Vergleiche EcKERMANN III. 15. 3. 1830. Weiter Goethes Annalen und Tagebücher. 9) CH. G- Nees von ESENBECK, ein anderer Freund, hatte in Jena studiert, p’ ALTON wurde stark durch Goethe und den Herzog von Weimar protegiert. Später werde ich die Bedeutung Jenas als Hochburg der Naturphilosophie zeigen. 10) So lebte E. H. F. Meyer in sehr ärmlichen Verhältnissen als Privatdozent in Göt- tingen. Zu dieser Zeit war es, daß er durch eine Rezension in den Göttinger gelehrten An- zeigen über „GoethesMetamorphose der Pflanzen“ Goethes Aufmerksamkeit erregte, durch dessen Einfluss er im April 1826 den Ruf zur außerordentlichen Professur und Direk- tion des botanischen Gartens in Königsberg erhielt. Botanische Zeitung 1859. S. 113. Wie groß Goethes Einfluß war auch außerhalb der ihm unterstehenden Universität Jena erhellt noch aus folgendem Zitat: „So erzählt uns Prof. Hürthle, wie 1821 auf Empfehlung von Goethe und Alex. von Humboldt der Prager Prosektor Purkinje be- rufen wurde (Breslau), der die Physiologie durch Experimente und Demonstrationen belebte und auf eine naturwissenschaftliche Grundlage stellte.“ (Illustrierte Zeitung, 2) ANUS Tein, 9. 180.) 11) Thr Vater ist besonders M. A. SEVERINUS : Zootomia democritaea. Noribergae 1645. Besonders Teil II, Kap. 1 u. 2. De animantium inter se similitudine atque analogia. De utilitate ac necessitate conferendi ad unum varii multigenique animantium opifici. ™) Diesen Ausdruck findet man schon bei Burron 1753, DIDEROT 1754, RoBINET 1761, BoNNET 1764, Vico. D’AzyR 1774, GRAUMANNUS 1777, KANT 1763. Die Gleich- heit des Baues der Wirbeltiere findet man schon in viel älteren Arbeiten, so bei BELON 1555, GERMANO 1625, DOUGLAS 1717, SEIDEL 1720, NEWTON 1704 und vielen anderen. 13) GALENUS kannte sie schon. Ausführlicher war RıoLan (1611). Weiter sind aus späterer Zeit: CAMPER, DauBENTON, Vico D’AZYR zu nennen, die alle älter waren als Goethe. 15) P. Camper, Over de overeenstemming tusschen de viervoetige dieren, de vogelen en de visschen. Utrecht 1792. 15) J. Fr. LoBstein sen. Ein Lehrer Goethes in Straßburg. Heidelberg 1880. Lobstein war ein Schüler von ALgınus und Camper und ein großer Freund HALLERS, alle drei bekannt als Förderer der vergleichenden Anatomie; er dozierte denn auch in diesem Fach (S. 31—32), veröffentlichte aber fast garnichts (S. 48). 106 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 16) Nach K. von BARDELEBEN: „Goethe als Anatom“, Goethe-Jahrbuch XIII. 1892, S. 164— 167, arbeitete Goethe von 1781—84 bei Loder. 17) Goethe schrieb selbst darüber (W. A. VII. S. 118): „Ich arbeitete auf einen allgemeinen Knochentypus los und mußte deshalb annehmen, daß alle Abteilungen des Geschöpfes, im einzelnen wie im ganzen, bei allen Tieren aufzufinden sein möchten, weilja auf dieser Voraussetzung die schon längst eingeleitete ver- gleichende Anatomie beruht‘. Daß der allgemein anerkannte gemeinsame Typus besonders durch Camper gefördert worden sei, gibt er deutlich an in W. A. VII. qo—71. An anderer Stelle zitierte er die Worte GEOFFROY ST. HILAIRES, der den CAMPER eben deswegen rühmt, weil er auf die „analogies des systèmes organiques“ hingewiesen und ihnen in schwierigen Fällen nachgeforscht habe. (W. A. VII. 189.) 18) J. J. Rousseau, Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes. 1754. J. C. DE LA METHERIE. Consideration sur les étres organisés. Paris 1804 T.I p. 52-56. 19) J. B. MonBoppo, Of the origin and progress of language 1773. Ancient meta- physics 1779. 20) P. Moscati, Von dem körperlichen wesentlichen Unterschiede zwischen der Struktur der Tiere und der Menschen. A. d. Italienischen von J. Beckmann. Göttingen 1771. Das italienische Original erschien: Mailand 1770. Es erschien auch eine fran- zösische Übersetzung. 2!) Lord Monpoppos Werk von dem Ursprung und Fortgang der Sprache, über- setzt von E. A. ScHmIDT, Riga 1784, mit einer Vorrede von Herrn Generalsuperinten- denten HERDER. 2) Die ersten Hefte wurden denn auch ziemlich heftig angegriffen, so z. B. durch KANT. 23) W. A. VI. 20. 14 - 22. 24. Vergleiche meine Schrift: Die morphologische Abstammung des Menschen. Stuttgart 1908. S. 1—5. 25) P. Camper, Oeuvres I, p. 145. Paris 1803. Account of the organs of speech of the orang outang. Philosophical transactions. 1779. Vol. LXIX. Natuurkundige Ver- handeling over den Orang outang. Amsterdam 1782. 26) Dafür zeugen besonders die Worte, welche Frau von STEIN am 1. Mai 1784 an KNEBEL schrieb: „Herders neue Schrift macht wahrscheinlich, daß wir erst Pflanzen und Tiere waren. Goethe grübelt jetzt gar denkreich in diesen Dingen.“ H Düntzer, Zur deutschen Literatur und Geschichte, Bd. I, S. 120. Frankfuit 1856. ZU WERD AHLEN INZEBA VIE S 380: 28) J. F. BLumenBacH, De generis humani varietate nativa. Editio altera longe auctior et emendatior. Gottingae 1781. Eo nempe (illud os, cui dentes incisores insident) homo caret, cum omnibus simis plurimisque reliquis mammalibus (deest elephanto, myrmecophagae didactylae et delphino, quorum crania coram habeo. In urso et eri. naceo sutura in medio divisum, in longe-plurimis autem animantibus integrum et azygon reperi) datum sit maximamque humanam inter et brutorum faciem differentia efficiat etc. Blumenbach sah übrigens bald ein, daß diese Worte zu weit gingen, denn als Herder sie zitiert hatte, gefiel ihm dies nicht und fand, daß dieser zu eilig schöpfe. (S. Th. v. SÖMMERRING, Leben und Verkehr. Leipzig 1844. S. 307.) 29) Ich nehme dies an, weil SdémMERRING schon am 8. Oktober 1782 und am 22. Oktober 1782 mit Merck über den Intermaxillar-Knochen korrespondierte und ihm die gewünschten Literatur-Anwcisungen gab, ohne daß Goethe dabei erwähnt wurde. Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 107 30) Um den Schädel der Myrmecophaga bat er Merck (6. August 1784), einen Elephantenschädel erhielt er durch Sémmerrinc. (W. A. Ab. I. Bd. VIII. S. 122, NbABLVANBASIVIZIS. 277.) 31) Goethe wurde als Morphologe gepriesen: E Du Bors Reymonp, Reden I. S. 17. Leipzig 1886, 1887. H. L. F. HeLmHoLTz, Populäre wissenschaftliche Vorträge, H. 1. S. 34. Braunschweig 1865. 32) C. GaLENUS, De usu partium. Lib. XI. Cap. 20. Tom. IV. p. 588. Parisiis 1679. 33) W. A. VII. 105. 10. 34) A. VesaLıus, De humani corporis fabrica. Lib. I. p. 28—29. Lib. I. Cap. IX. p. 48, 52, 53- Cap. XII. p. 60. Basiliae 1555. P. Camper, Natuurkundige verhande- ling over den Orang utang. Amsterdam 1782. 35) J. SyLvrus, Vesani cujusdam calumniarium in Hippocratis Galenique rem ana- tomicam depulsio. Quintae calumniae depulsio. Parisiis 1551. Opera omnia. p. 63. Genevae 1630. 36) R. Hener, Adversus Jacobi Sylvii depulsiorum anatomicarum calumnias pro Andrea Vesalio apologia. Venetiis 1555. 37) G. FarLoppıus, Opera. Tom. I. p. 51. Venetiis 1606. Observationes anato- micae p. 35. Venetiis 1561. Helmstedt 1588. B. EustacHıus, Opuscula anatomica. Ossium examen p. 194 sq. Venetiis 1563. J. VALVERDE, 1586, zit. F. S. Leuckart. Untersuchungen über das Zwischen- kieferbein. Stuttgart 1840. G. VoLcHER Correr, Extern. et intern. princip. humani corporis partium. Tabulae Fig. 4. Noribergae 1573. i R. Corumgus, De re anatomica. p. 30. Venetiis 1559. p. 55. Parisiis 1562. J. RroLan, Anthropographia. p. 649. Parisiis (1618) 1626. Opera cum physica tum medica. p. 472 u. 566. Francfortii 1611. A. SpiceLIUS, De formato foetu. Patav. 1626. Francfurti 1651. p. 55- S. CorLıns, A system of anatomy treating of the body of man, beasts, birds. p. 122. London 1685 (1645). H. Eyssonius, Tract. de ossibus infantiis. p. 26 sq. Groningae 1659. B. S. ArBinus, Icones ossium foetus humani. p. 36. Leidae 1737. Tabulae ossium humanorum. .V Fig. 8, 9, 10. Leidae. 1755. Annot. acad. Lib. I. T. IV. Hig. 2 Leidae 1754. R. NesBITT, Human osteogeny. p. 58. London 1736. Osteogenie a. d. Englischen. Altenburg 1753. R. B. SABATIER, Traite complet d’anatomie. Erste Aufl. 1764, zweite Aufl. S. 55. 1775, dritte Aufl. S. 57. 1791. Er nenn \ zit. Leuckart, wie oben. TARIN 1753 J. B. WinsLow, Exposition anatomique de la structure du corps humain. T. I. No. 282. p. 73. Amsterdam 1732. Bei M. Horrnes (Natur und Urgeschichte des Menschen, 1909) und Hyrtt (Lehr- buch, 18. Aufl. S. 314) finde ich Anweisungen, daß auch J. F. Mecker, der Ältere, durch die Nahtspuren beim Menschen ein Intermaxillare abgrenzen wollte, lange vor GOETHE. Es ist natürlich durchaus nicht ausgeschlossen, daß dieses Verzeichnis noch mit vielen Namen zu vermehren wäre. Ich habe nicht weiter gesucht, es genügt, um zu zeigen, wie allgemein bekannt die das Intermaxillare andeutenden Nähte beim Menschen 108 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. waren. H F. AUTENRIETH, dem Goethes Studien unbekannt geblieben waren, schrieb denn auch mit Recht von der queren Naht: „quam veterum anatomici fore omnes notant.“ Observationes ad historiam embryonis humani. Tubingae 1797. p. 16.) Dieses Buch hatte Goethe außerdem in seiner Bibliothek. 38) So: ALBINUS, NESBITT, COLLINS, AUTENRIETH l. ©. * 39) F. Vico p’Azyr, Observations anatomiques sur trois singes appelés le Mandrill, le Callitriche, le Macaque suivies de quelques réflexions sur plusieurs points d’anatomie comparée. Mémoires de l’académie royale 1780. 49) Tab. VI. Fig. 3. Tabulae anatomicae. Vitmariae 1803. een Es is le e *°) SÖMMERRING urteilte stets sehr geringschätzig über Loder. (S. Th. v. Sömmerring, Leben und Verkehr. Leipzig 1844.) i #) Für BLUMENBACH und SöMMERRING. S. Anm. 28 u. 29, S. III 106. Für CAMPER, dessen Briefe an Merck, 16. Sept. 1785 und 19. Sept. 1785. E. A. W. v. ZIMMER- MANN Geogr. Geschichte des Menschen u. d. vierf. Thiere. Bd.I, S. 119, Leipzig 1778. 4) Camper hat das Vorhandensein der Quernaht beim Menschen nie bestritten. So machte er in seinen Werken (Oeuvres. ‘F. I. p. 124. 1803) darauf aufmerksam, daß bei einigen Tieren die quere Naht verschwinden könne, und fügt hinzu: ,même dans l’homme, chez qui l’âge fait disparaitre des sutures bien plus remarquables", wodurch die quere Naht also dem Menschen zuerkannt wird. Für Camper zeugen auch: J. MuLDER, Redevoering over de verdiensten van P. CAMPER. p. 1o1. Groningen 1809. F. Vico p’Azyr, Discours sur l’anatomie. Oeuvres Paris 1805. IV. p. 159. BLUMENBACH schrieb am 24. März 1781 an SÖMMERRING: „Selbst an den Schädeln ungeborener oder junger Kinder findet sich doch eine Spur quasi rudimentum .des ossis intermaxillaris. Je unreifer die Embryonen, desto deutlicher. An einem Hydrocephalus sind es zwei völlig abgesonderte Knochenkerne und bei erwachsenen jugendlichen Köpfen ist doch oft noch vorne am Gaumen eine sutura spuria zu merken, die die vier Incisores gleichsam vom übrigen Limbus dentium absondert. (S. Th. v. SéommERRING, Leben und Verkehr. Leipzig 1844. S. 307.) Am 5. Mai 1781 kommt er nochmals darauf zurück. „Über die vel quasi Spur eines Rudimenti ossis intermaxillaris bei fetibus habe ich mich wohl nicht deutlich genug ausgedrückt. Auf den Außenseiten (im Gesicht) ist sie nicht leicht merklich. Aber unten am Gaumen und bei einzelnen ossib. maxillar. auch an der inneren Nasenfläche bald mehr oder weniger kenntlich. Zuweilen erhalten sich die Vestigia am Gaumen auch noch bei Adolescentibus, und in meinem schönen Hydrocephalo ist das von der einen Seite (aber freilich praeter naturam) ganz separat als ein einzeln Knöchelchen.“ Er zitiert nun FaLLoPPIUS, EusrACHIUS, ALBINUS und schließt: „Aber wie gesagt, es ist noch himmelweit vom wahren osse intermax. ver- schieden. Etwa wie membr. semilunaris oculi humani von membr. nictit. des Kibitz (der sie erstaunlich groß hat).“ #5) Hier ist das Os centrale carpi gemeint, das durch E. ROSENBERG im Jahre 1870 entdeckt wurde. *6) Auf diesen Standpunkt stellten sich z. B. C. J. M. Lancensecx: Handbuch der Anatomie. Knochen-, Bänder- und Knorpellehre. S. 245 sq. Göttingen 1842. J. HyRTL in seinem bekannten Lehrbuch, R. WAGNER, Lehrbuch der Anatomie der Wirbeltiere. S. Ig etc. Leipzig 1843. #7) Im Jahre 1817 (Entdeckung eines trefflichen Vorarbeiters. W. A. VI. 150) schrieb GoETHE, daß er von WotrFr seit mehr als fünfundzwanzig Jahren gelernt habe. Es hat also ziemlich lange gedauert, bevor er dies bekannt machte. =. WH = Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 109 Werke VII 3638 VI. 742. 49) Briefe an Frau von Stern, herausgegeben von ScHörr. III. 31. Weimar 1851. Auch in W. A. Abt. IV. Bd. 6. S. 259. Dieses Zitat ist abgekürzt. 50) Aus Herpers Nachlass. Brief an Herder. I. p. 75. 1856 und W. A. Abt. IV. Bd. 6. 258. Dieses Zitat ist abgekürzt. GoETHE schrieb selbst (W. A. VII. 115): „Man dünkte sich viei bei dieser Entdeckung.“ Unwillkürlich denkt man dann daran, wie GOETHE später in Ekstase geriet beim Anblick von RapHaers Schädel. „Ein wahrhaft wundersamer Anblick. Eine so schön als nur denkbar zusammengefaßte und abge- zundeten Schale... Ich konnte mich nicht von dem Anblick losreißen.“ Während C. G. Carus (Symbolik der menschlichen Gestalt. Leipzig 1853. S. 139) später nachwies, daß es gar nicht RAPHAELS Schädel gewesen sei, sondern ein Schädel ‚von sehr gemeinem Ausdruck‘. In gleicher Weise ließ GoETHE sich durch einen falschen Schädel ScHILLERS zu einem bewundernswerten Gedicht begeistern. Heute wissen wir durch Froriep, daß er SCHILLERS Schädel nie in Händen gehabt hat. Es ist leider wirklich nötig, daran zu erinnern, weil es Leute gibt, die von GoETHE anzunehmen scheinen, daß das „homo sum‘ von ihm nicht gegolten habe. 51) Nach den Annalen 1797 hat GoETHE in diesem Jahre alle an ihn gesandten Briefe verbrannt, also auch die SöMMERRINGS und die später zu erwähnenden Campers. 52) 19. Sept. 1785. >) Du Dugon du comte de Burron. Oeuvres T. II. p. 480. 54) 4. September 1786 und 9. Oktober 1786. Campers Briefe finden sich in: Briefe an Merck. Darmstadt 1835. °°) Siehe Anmerkung 51 oben. 56) W. A. VII. 194— 195. 0) Ve 0 VIE te) 8) Übrigens ist es recht merkwürdig, daß GoETHE anderseits fehlende Schlüssel- beine (VIII. 34. 5) und fehlende Finger (VIII. 57. 22 und VIII. 39. 10-15) sehr wohl kannte. Ebenso gut wie diese hätte auch das Intermaxillare fehlen können, besonders bei Tieren ohne Schneidezähne. 59) Das Genauere über GoETHESs unrichtige Auffassung läßt sich am besten bringen bei einer Besprechung seiner Teilnahme am Streit „CUVIER—GEOFFROY SAINT HILAIRE“ im Jahre 1830. 6°) S. TH. von SöMMERRING, Leben und Verkehr. Leipzig 1844. S. 293. 61) Wie blind GoETHE (und seine Bewunderer) in dieser Hinsicht waren, zeigt deutlich sein Auszug aus der Jenaischen allgemeinen Literatur-Zeitung 1823, S. 175 (W. A. VIII. 165): „Wenngleich die meisten Anatomen gegenwärtig nicht mehr daran zweifeln mögen, daß sich bei Embryonen ossa intermaxillaria finden (wie GoETHE im Jahre 1786 zu beweisen sich bemühte).“ GoETHE fügt dann die Worte hinzu, daß diese Stelle „der ganzen Sache ein Ende macht“. Welche Begriffsverwirrung! GoETHE hatte niemals Embryonen untersucht, sich über diese niemals geäußert, und CAMPER, SÖMMERING usw. hatten niemals bezweifelt, daß den Embryonen dieser Knochen zu- kommt, was ja seit RIOLAN in verschiedenen Büchern genau aufgenommen war. Die Frage war nur: Hat der erwachsene Mensch einen freien Zwieschenkiefer? 82) W. A. VIII. 24. 18, 167. 8-5. Es ist ein sehr merkwürdiger analoger Fall, daß GEOFFROY SAINT HILAIRE, als er durch Cuvrer wegen seiner merkwürdigen Analogi- sierungen angegriffen wurde, sich auch zu einem Verteidiger der Grundprinzipien der ver- . gleichenden Anatomie heraufschraubte. Er und seine Anhänger ereiferten sich dann so sehr, daß sie Cuvier als „Tatsachensammler“ verurteilten. Am Grabe Cuviers gab 110 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. er aber zu, daß dieser Vico p’Azyr, DAUBENTON und CAMPER bei weitem über- troffen habe. 53) Die Beschreibung des Schädels soll denn auch mit dem Intermaxillare an- fangen. W. A. VII. 25. 21, 46. 1. VII. ı4ı und 174. 64) „Die Anerkennung des Zwischenknochens auch beim Menschen war deshalb von so großer Bedeutung, weil zugleich die Konsequenz des osteologischen Typus durch alle Gestalten hindurch zugestanden wurde.“ Folgen die im Text gegebenen Worte. (W. A. VII. S. 167.) 5) Durch dieses Bekenntnis am Ende seines Lebens (W. A. VII. 183. 209) hat er viel wieder gut gemacht, was er durch seinen früheren Standpunkt verdorben hatte. Sind doch „Versuch über die Gestalt der Tiere’ (W. A. VIII. S. 263—266) und „Erster Entwurf zu einer allgemeinen Einleitung in die vergl. Anatomie“ VIII. 5-30 ganz in dem Sinne geschrieben, als ob GoETHE der Entdecker der Lehre vom gemein- samen Typus sei. °°) In: Zur Naturwissenschaft überhaupt und besonders zur Morphologie. Bd. I. H. 2. Stuttgart 1820. 67) In den Nova acta, Band XV. 1831. 68) W. A. VII. S. oo—112. Er kannte jetzt außer GALENUS und VESALIUS auch ALBINUS, WinsLow, FALLOPPIUS, SYLVIUS, HENER, EUSTACHIUS. Daß VOLCHER-COITER die Quernaht abbildete, erwähnte GoETHE night, obgleich er diesen Autor kannte (VIII 24. 8). Noch auffälliger ist, daß er SABATIER nicht zitierte, dessen Auflage von 1775 ich unter GoETHEs Büchern fand. Auch besaß er das schon zitierte Werk AUTEN- RIETHS, in welchem NesBITT zitiert wird. Noch wunderlicher ist, daß er den W. JosEPHI (Anatomie der Säugetiere 1787) nicht zitiert, dessen Werk er so häufig benutzt hat (VIII. 10. to., VII. 72. 28., XII. 256. 2. u. 19., XIII. 257. 8.), das er von LopER erhielt und sich heute noch in seiner Bibliothek findet. JosEepHı schrieb: ‚Meinen Beobach- tungen nach hat der Mensch ebenfalls — wie der Affe — solche ossa intermaxillaria, wenigstens in den ersten Monaten seines Seins, welche aber gewöhnlich schon im Mutterleibe mit den Oberkiefern vorzüglich nach außen verwachsen.‘ Da dies 1787 gedruckt wurde und GoETHEs Arbeit erst 1788 zuerst im Druck (durch LopER) erwähnt wurde, so gehörte er entschieden zu den Vorläufern GorTHEs. SABATIER, NESBITT und JosePHI gehörten eben zu den Zeitgenossen, ganz wie der gleich näher zu betrachtende Vico p’Azyr, und GoETHE hat selbst auseinander- gesetzt, daß es nicht schwer fällt, zuzugeben, daß die Altvorderen etwas vor uns gewußt haben, daß es aber große Überwindung kostet, um Gleiches von Zeitgenossen anzuerkennen (XI. 247—250. Antizipation). Für mich sind diese Stellen, sowie die auf S. 101 erwährten aus Meteore des liter. Himmels einem Schuldbekenntnis gleichzusetzen, und eben darum ist es zwar gut, daß einmal darauf hingewiesen wird, aber man soll es GoETHE nicht nachtragen. Wer sich auf den Standpunkt stellt, daß Prioritätsrechte erst von dem Datum der Publikation an zu erheben sind, der könnte noch viele andere Vorläufer GoETHES nennen für die Zeit von 1784—1820, die von GOETHE nichts wußten. 5) Loper, VIII. 119. Sprx, VIII. 123. SémmeRrING, VIII. 124. FrscHER, VIII. 126. Nicati, VIII. 164. usw. 7) Ich muß hier übrigens hervorheben, daß mir bei allen meinen historischen Studien auffiel, daß fast alle Forscher in dieser Beziehung GoETHE nichts nach- geben. Immer werden die Vorgänger negiert und man bemüht sich als Originalent-. decker dazustehen. Weiter versuchen immer alle Verfasser von Biographien, ihrem ee Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 111 Helden die größtmöglichste Anzahl originaler Entdeckungen zuzuschreiben. Das wird so lange dauern, als die Geschichte der Naturwissenschaften eine Geschichte der Coryphäen bleibt, anstatt eine Geschichte der sich entfaltenden Ideen. Einstweilen gebe ich jedem den Rat, wenn er irgendwo angegeben findet, daß dieser oder jener der erste Entdecker sei, einfach anzunehmen, daß diese Behauptung unrichtig ist. 7!) SO6MMERRING schrieb an Merck, 29. Nov. 1786: ‚Mein Urteil über Vico D’AzyR habe ich in den Gött. gel. Anz. gesagt: Es ist doch immer noch das Beste.‘ 7?) Diesen Brief findet man im Goethe-Jahrbuch (Bd. VI. S. 33). GoETHE selbst schrieb darauf den folgenden Vermerk: „Da CAMPER noch immer schweigt, freut mich nur, daß mir der Franzose mit lauter Stimme entgegenkommt.‘ Hätte er gleich die (in Weimar vorhandenen) Mémoires de l’académie eingesehen, dann würde er sofort er- fahren haben, daß von einem "„Entgegenkommen“ gar nicht die Rede war, sondern GoETHE folgte Vico p’Azyr vier Jahre später nach. Mündlich scheint sich damals aber die Meinung verbreitet zu haben, daß Vico D’Azyr sogar GOETHE zitiert habe (MERCK an SÖMMERRING, II. Nov. 1786. S. TH. v. SÖMMERRING, Leben und Verkehr. Leipzig 1844. S. 293.) Trotzdem GoETHE also jedenfalls durch den genannten Brief unterrichtet war, hat er in den historischen Betrachtungen, die er dem Intermaxillare widmete (z. B. W. A. VIII. S. 103-135), den Vico p’Azyr niemals erwähnt, auch fehlt der Name auch sonst in den Auflagen, die er selbst von seiner Studie besorgte. Natürlich wird man sagen, GoetHE habe diesen Brief verlegt und vergessen! Aber er las das Werk von Constant Nicatr (Specimen anatomico-pathologicum inaugurale de labii leporini congeniti natura et origine, 1822). Er benutzte diese Schrift, um eigene Ansichten zu verteidigen, aber daß dort (S. 27) Vico D’Azyr sehr richtig zitiert wurde mit der Angabe 1780, hätte er nicht übersehen dürfen. Auch BLUMENBACH zitierte Vico p’Azyr in der dritten Auflage seines berühmten Buches „De generis humani varietate nativa. Gottingae 1795". In scharfer Weise wies C. R. W. WIEDEMANN auf die Priorität Vico D’Azyrs hin (Archiv für Zoologie und Zootomie, è Bd. 1. S. 18. 1800). Sollte GoETHE dies alles übersehen haben? Nein, er hat Vico p’Azyrs Arbeit gekannt, denn am 16. Dezember 1820 entlieh er aus der Weimarer Bibliothek eben den Band der Mémoires de l’académie, in welchem die Abhandlung Vico p’Azyrs steht. Beachtenswert ist auch, daß GoETHE 1796 schrieb (W. A. VIII. 77): „Ferner hat man bei Beschreibung des menschlichen Körpers schon früher darin eine große Er- leichterung gefunden, wenn man Hauptteile desselben untereinander, z. B. obere und untere Extremität, verglich.“ Nun stammt auch diese Vergleichung von Vico D’AzyR her, dessen Name wieder unerwähnt bleibt. In gleich absichtlicher Weise ver- meidet er stets das Nennen des Namens ,,PanpER‘, wie ich an anderer Stelle zeigen werde. Der volle Beweis wird aber dadurch geliefert, daß man in GoETHEs Nachlaß ein Blatt fand (W. A. XII. 263) mit der Überschrift: Vico p’Azyr, mit einem Auszug von dessen Arbeit über das Intermaxillare, und dann weiter noch ein Quartheft, welches eine Abschrift von Vico p’Azyrs Arbeit enthält. GoETHE schrieb in seinen Xenien: ,,Wie verfährt die Natur, um Hohes und Niederes im Menschen zu verbinden? Sie stellt Eitelkeit zwischen hinein.‘‘ Vergl. Anm. 68, 110. Die Priorität Vicq d’Azyrs wurde schon anerkannt durch Isinpor GEOFFROY SAINT HILAIRE, Fragments biographiques, Paris 1840, p. 127. Lewes, The life of Goethe, 2. edition, Leipzig 1864. ı12 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 78) In seinem Briefe an MERCK, 29. Nov. 1786, und im Göttinger gel. Anzeiger desselben Jahres, St. 140 u. 169. Der Artikel ist nicht mit dem Namen SÖMMERRINGS unterzeichnet. 74) So fehlt der Name z. B. VIII. 76, XIII. 256 und an anderen Orten. Man findet den Namen Vico D’Azyr nur XII. 245 und XIII. 263, welche Notizen aber nicht durch GoETHE, sondern durch das Goethe-Archiv herausgegeben wurden. Vergl. Annalen 1805. GS) ANA NADI So sexe 76) Gleiches gilt für wasserköpfige Kinder und den Wolfsrachen. W. A. VII. 195 —196. Dafs BLuMENBACH schon 1781 (also lange vor GoETHE) davon wußte, scheint GOETHE nicht bekannt gewesen zu sein. (Vergl. Anm. 44, S. 108.) | 77) Wer mit GoETHE übereinstimmte, war seines Lobes sicher. So von DALBERG, VI. 144. 22. SPRENGEL, VI. 164. 13 und andere. 78) So z. B. W. A. VIII. 165— 166. 7) S. Th. v. SémmeRRING, Lehre von den Knochen und Bändern, herausgegeben von R. WAGNER. Leipzig 1839. Dies ist die 3.. Auflage und gibt auch die Abän- derungen im Handexemplar. 8°) G. Frscuer, Über die verschiedene Form des Intermaxillarknochens. Leip- zig 1800. 81) W. A. VII. S. 127. 2) We ART 247: 82) Wie ENDE 0 AN AS GIG HOSE Ch 8°) Trotzdem teile ich durchaus nicht die Auffassung pu Bors Reymonps, daß Goethe besser getan hätte, wenn er die Naturwissenschaften zur Seite gelassen hätte. VircHow (Goethe als Naturforscher. Berlin 1861) zeigte besonders im ersten Teil seiner Arbeit, wie sehr die Naturstudien seinen Charakter entwickelten und so den Dichter und Philosoph beeinflußten. Darum sollten wir uns freuen, daß er Natur- studien trieb, aber darum noch keinen modernen Naturforscher aus ihm machen. Er konnte dies auch nicht sein, weil Kunst und Philosophie in ihm stets die Überhand hatten. So machte auch O. Schmipr (Goethes Verhältnis zu den organischen Natur- wissenschaften, S. 20. Berlin 1853) die richtige Bemerkung: ‚Kurz, überall durch- dringen sich bei ihm Poesie und Wirklichkeit, Wahrheit und Dichtung. Seine natur- wissenschaftliche Tätigkeit war nur ein Ausfluß seiner eigentümlichen allgemeinen Naturanschauung, wie er das eine durch das andere förderte und klärte und so auch nach dieser Richtung hin seine große Persönlichkeit zum Abschluß brachte. Auch R. STEINER (Einleitung und Anmerk. zu Goethes naturwissenschaftl. Arbeiten. Kürschners deutsche Nationalliteratur Bd. 114-117) hat GoETHE als Naturforscher im allgemeinen richtig erfaßt, während S. KALISCHER (Goethes Verhältnis zur Naturwissenschaft. Berlin 1878) und R. Macnus (Goethe als Naturforscher, Leipzig 1906) weit über das Ziel hinausschossen. Andererseits haben wir zu beachten, daß es heute doch auch niemand einfällt, von HALLER oder von BAER als Dichter zu studieren oder sie als solche zum Vorbilde zu stellen. Warum will man hier für Goethe eine Ausnahme machen? Den Natur- forscher Goethe kannte man kaum mehr in Deutschland, als der Englander LEWES (Life of Goethe, 1855, 1863 — 1864) ihn aufs neue entdeckte. Seither entstand die Hochflut der Publikationen über „Goethe als Naturforscher‘, in denen GoETHE meiner Ansicht nach vergewaltigt wird. Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 113 86) A. BreLscHowKkt, Goethe. Sein Leben und seine Werke, München 1902— 1904, S. 433. GOoETHE als Naturforscher ist in diesem Buche durch S. KALISCHER bearbeitet. 87) Die gleiche Überschätzung findet man bei E. Grorrroy Sr. Hirarre, der auch zeitweise so schrieb und sich gerierte, als ob er die Idee des gemeinsamen Typus (Unité de composition) entdeckt habe (Philosophie anatomique 1818, Principe de philo- sophie zoologique 1830), wenn er andererseits auch bessere Augenblicke hatte. Gegen seine Anmassung protestierte schon J. Fr. MecKEL (System der vergl. Anatomie, Vorrede S. XI. Halle 1821) und C. A. S. SCHULTZE: Systematisches Lehrbuch der vergl. Anatomie, S. 3. Berlin 1828. 88) WW. A. VIII. 76. 14— 15; VIII. 10. 88) HARALD WALLERIUS, De varia hominum forma externa. 1705. J. A. FABRICIUS, Dissertatio de hominibus orbis nostri incolis species et orto auito inter se non diffe- rentibus. Hamburg 1721. 9°) Schon im Jahre 1654 schrieb der Niederländer H. Recıus unter dem Titel „De Bestia“: ,, Animal est bestia et homo‘ (Philosophia naturalis. Ed. sec. p. 330. Amsterdam 1654. ©) R. M. Meyer „Goethe“ Berlin 1895, S. 571. GoETHE beurteilte sich selbst besser, denn er schrieb an SÖMMERRING, als er ihm das Manuskript über das Os intermaxillare schickte: ‚Sollte ich mich aber irren und Ihnen statt einer Neuigkeit, wie ich glaube, nur etwas Bekanntes vortragen, so verzeihen Sie es, da mir meine Geschäfte wohl erlauben, manchmal einen Blick auf die Natur und die Bücher zu tun, welche sie uns kennen lehren, es aber in meiner Lage unmöglich ist, von dem, was andere vor uns entdeckt haben, genau unterrichtet zu sein.‘ (Goethe. Jahrbuch XIII. S. 167.) So auch an KNEBEL, den 17. November 1784: „Leider kann ich nur einen Blick auf die Natur tun, und ohne Studium der Schriftsteller, die in diesen Fächern gearbeitet haben, läßt sich auch nichts tun.“ W. A. Abt. IV. Bd. VI. S. 390. I5—17. ®) Die Überschätzung der eigenen Leistung steigt fast bis zur Komik, wenn wir bei EcKERMANN lesen: ,, Auf alles, was ich als Poet geleistet habe“, pflegte er wieder- holt zu sagen, „bilde ich mir gar nichts ein. Es haben treffliche Dichter mit mir gelebt, es lebten noch trefflichere vor mir und werden ihrer nach mir sein. Daß ich aber in meinem Jahrhundert in der schwierigen Wissenschaft der Farbenlehre der einzige bin, der das Rechte weiß, darauf tue ich mir etwas zugute, und ich habe daher ein Bewußtsein der Superioritàt über viele.“ (II. 19. 2. 1829.) Eine ähnliche Überschätzung seiner selbst und Herabwürdigung seiner Vorgänger bringt W. A. VI. 167. 18—25. Ebenso komisch wirkt, was er in bezug auf BurnETT schreibt (VI. 270. 16): „Er trifft zwar, wie es scheint, nicht völlig mit unseren Vorstellungen zusammen, be- handelt aber doch die Angelegenheit mit Ernst und Umsicht‘, oder auch, wenn er darüber entrüstet ist, daß REICHENBACH nicht genauer referiert wird (VI. 274), der doch die Metamorphose behandelt hatte. Erklärlich wird diese Überschätzung seiner Leistungen durch die Erwägung, daß das große Talent auf seinem Gebiet spielend schafft; die schönsten Lieder entfließen dem Dichter fast unbewußt, ganz wie schwierige Lösungen anderer Fragen dem Denker, dem Mathematiker, oft zufallen in Augenblicken, an welchen er glaubt an andere Dinge zu denken. In den Fächern aber, für welche man kein so ausgesprochenes Talent hat, muß angestrengt gearbeitet werden, um etwas zu leisten. Nun schätzt der Verfasser das Geleistete gerne nach der darauf verwendeten Anstrengung und schätzt so verkehrt. Diese Beobachtung kann man häufig bei vielseitigen Forschern machen. 114 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. %) Bekanntlich ist Gorrnes Bibliothek erhalten geblieben und liegen außerdem die Verzeichnisse der Bücher vor, welche GoETHE aus den Bibliotheken in Weimar und Jena geliehen hat. Auf dem Goethe-Archiv wurde mir erlaubt, diese noch nicht ° veröffentlichten Kataloge einzusehen. Dabei fiel mir auf, daß GoETHE bis in seine letzten Jahre immer wieder auf die Schriftsteller zurückkehrte, welche er im Anfang seiner Studienzeit kennen gelernt hatte. So DE MAILLET, Burron, GALENUS, CAMPER, SÖMMERING, LODER. Diese standen entweder in seiner Bibliothek, oder sie wurden geliehen. Unter den geliehenen Büchern kehrte besonders der doch damals schon ganz veraltete Burron immer wieder zurück. Von Cuvrer scheint er nur die Osse- ments fossiles, Revolution du globe, Elements élémentaires gekannt zu haben, während dessen so weit wichtigere Lecons d’anatomie und Regne animal nie genannt werden. Man bemerkt nicht, daß er Vico D’AzyR, GRATIOLET, BICHAT je studiert habe, auch LAMARCK, v. BAER, RATHKE blieben ihm unbekannt, und was besonders auffällt, auch der größte deutsche Anatom der damaligen Zeit „MEckeL‘“. Er erwähnt ihn nur als Übersetzer der Arbeit C. Fr. Worrrs. Wohl kannte er die echten Naturphilosophen wie Sprx, Boyanus, GEOFFROY SAINT HILAIRE, Carus, D’ALTON, wie auch die Natur- philosophen unter den Betanikern. Darüber an anderer Stelle. %) Über Atavismen handelten bereits J. DIEMERBROECK 1672, AUTENRIETH 1797, BLUMENBACH 1789, BRUGNONE 1805 und besonders MECKEL 1815, 1821. 95) Betrachtungen über das Biogenetische Grundgesetz findet man niemals bei GOETHE, obgleich KıELMAYER ihn darauf hingewiesen hatte. GorTHE schrieb in seinem Tagebuch (1797): „Über die Idee, daß die höheren organischen Naturen in ihrer Entwicklung einige Stufen vorwärts machen, auf denen die anderen hinter ihnen zurückbleiben.‘‘ Vergleiche über sein Verhältnis zu KıELMAyER: Aus Herders Nachlaß, herausgegeben von H. Düntzer, Bd.1.S.145. Frankfurt 1856. Das biogenetische Grundgesetz war zu GOETHES Zeit bereits allgemein bekannt, wie meine historische Studie: ‚Das biogenetische Grund- gesetz” zeigt. (Zoologischer Anzeiger, Bd. XXXVII. Nr. 20/21, 14. November 1911.) %6) Genealogische Tabellen oder Stammbäume fertigten bereits an: PALLAS 1766, DUCHESNE 1766, Vico D’AZYR 1774, Lamarck 1809 u. a. Die Verwandtschaft in Baumform gaben z. B. VALLISNERI 1733, SCHWEIGGER 1820, STRAUSS-DÜRCKHEIM 1828, TREVIRANUS 1831. Die geologische Stufenfolge kannten: DE MAILETT 1748, SOULAVIE 1780, STEFFENS 1801, GÖRRES 1805, von BucH 1806, TREVIRANUS 1802, PHILITES 1809, CUVIER 1812, LENHOSSÉK 1816, TAUSCHER 1818 und andere. %) Aus der Zeit vor GortHEs Tode konnte ich die Namen von 140 Naturforschern sammeln, welche die Veränderlichkeit der Art deutlich gelehrt haben. An richtige Deszendenz glaubten z. B.: DE MAILLET 1748, DEL DE SALES 1777, BAUMANN 1751, MAUPERTUIS 1768, E. DARWIN 1789—94, FaBRICIUS 1804, HAGEN 1808, TREVIRANUS 1802, LAMARCK 1809, DOORNIK 1816, PANDER 1820, Link 1821, MECKEL 1821, NòGGE- RATH 1822, Kaup 1829, TauscHER 1818, BicHAT 1818, Vorer 1823, ohne daß GOETHE je darauf reagierte. Darauf kommen wir zurück. N INS DIE Tas ee, °°) Nach K. von BARDELEBEN, Goethe als Anatom, S. 180. Nach Riemer (Briefe von und an Goethe) nahm GoETHE die Botanik und Osteologie 1806 wieder auf, auf den Wunsch Gattrs. 100) Gegen diese protestierte auch Ep. Enger, Goethe, der Mann und das Werk. Berlin 1909. 101) GoETHE selbst forderte, daß jeder nur im Lichte seiner Zeit betrachtet werden sole. W. A. VI. 218. to. VI. 251. Ie. Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 115 IE War Goethes Naturanschauung teleologisch oder mechanisch ? Seit Bacos und Cartesius’ Auftreten hielt eine rationalistische, in ihrer äußersten Konsequenz mechanische Naturanschauung ihren Einzug in die Welt. Die „äußerste Konsequenz“ wurde allerdings zunächst noch nicht gezogen. Beide genannte Männer und ihre Schüler dachten teleologisch, sobald sie den Ursprung der Er- scheinungen und der Wesen behandelten, so daß ein CARTESIUS so- gar versuchte, Beweise für die Existenz Gottes zu erbringen. Rationalistisch -waren sie allein sekundären Tatsachen und Er- scheinungen gegenüber, namentlich solchen, die unseren Unter- suchungen zugänglich sind. Dieser Rationalismus führte gleich- wohl, besonders in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und speziell in Frankreich zum Atheismus. Den Höhepunkt darin erreichte DE LAMETTRIE, der einen scharf ausgeprägten Materialis- mus oder Mechanismus propagierte. Im 19. Jahrhundert folgte eine Reaktion, die ungefähr fünf Dezennien dauerte, worauf der Materialismus durch FEUERBACH, Büchner, MoLescHhortr und Darwin zurückkehrte und vor allem die Naturforscher im Sturm seiner Herrschaft unterwarf. Gewinnt eine bestimmte Moderichtung auf solche Weise die Oberhand, dann ist die natürliche Folge, daß jemand, der sich ihr nicht anschließt, auch nicht mitzählt. Da es nun in Deutschland Mode geworden, GorTHE als National- heros zu verehren, auch auf dem Gebiet der Naturwissenschaften, so verstand es sich von selbst, daß man dies nur tun konnte, wenn man in ihm einen Anhänger der mechanischen Naturanschau- ung sah. BieLscHowsx1!) schrieb denn auch kurzweg: „Die Welt war in teleologische Denkweise verfallen; nur Goethe nicht, darin war er nahezu isoliert“. Lance?) hingegen kam zu dem Resultat: „Auch Goethe ver- wahrte sich dagegen, daß man den Gott Spinozas als einen ab- strakten Begriff, das heißt, als eine Null auffasse, während er doch vielmehr das allerreellste, tätige Eins sei, das zu sich spricht: Ich bin, der ich bin, und werde in allen Veränderungen meiner Erscheinungen sein, was ich sein werde. So entschieden Goethe Zool. Annalen, V. 3 aan 116 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. sich von dem Newton’schen Gott abwandte, der die Welt nur ‚von Außen stiesse‘, so entschieden hielt er fest an der Göttlich- keit des inneren, einheitlichen Wesens, welches in seinen Er- scheinungen, den Menschen, nur als Welt erscheint, während er seinem wahren Wesen nach über jede Vorstellungsweise eines seiner Geschöpfe erhaben ist. Noch in späteren Jahren flüchtete GOETHE zu Spinoza’s Ethik*), wenn ihn eine fremdartige Anschau- ung unangenehm berührt hatte, und er nennt es seine reine, tiefe, angeborene und geübte Anschauungsweise, die ihn „Gott in der Natur, die Natur in Gott zu sehen unverbrüchlich gelehrt habe.“ Als ein vertrauenswürdiger Forscher belehrt uns LANGE somit in kurzen Worten, daß GoETHE zwar nicht den biblischen Gott verehrte (was auch niemand erwartet hätte), aber doch bis zuletzt ein Anhänger des Spinozistischen Pantheismus blieb, der einen Ursprung und einen Zweck anzugeben weiß. In „Wahrheit und Dichtung“ erklärte er selbst*), daß ihm der französische Atheismus nicht zusagte: „Auf philosophischem Wege erleuchtet und gefördert zu werden, hatten wir keinen Trieb noch Hang. Über religiöse Gegenstände glaubten wir uns selbst aufgeklärt zu haben (er hatte vor Zeiten der Mystik ge- huldigt) und so war der heftige Streit französischer Philosophen mit dem Pfafftum uns ziemlich gleichgültig.“ „Alles sollte not- wendig sein und deswegen kein Gott. Könnte es denn aber nicht auch notwendig einen Gott geben? fragten wir.“ „Allein wie hohl und leer ward uns in dieser tristen atheistischen Halbnacht zu mute . . .“ „So waren wir denn an der Grenze von Frankreich alles französischen Wesens auf einmal bar und ledig.“ Diese Worte sagen ungefähr dasselbe wie die, welche LANGE. nach gründlichen Goethestudien niederschrieb, und es ist sehr beachtenswert, daß der sonst so wenig zuverlässige Macnus °), der aus GOETHE so gerne einen modernen Naturforscher machen möchte, dennoch zugibt, GorTHE sei bis an sein Ende Pantheist geblieben. Er zitiert bei diesem Anlaß folgende Worte: „Wir können bei Betrachtung des Weltgebäudes in seiner weitesten Ausdehnung in seiner letzten Teilbarkeit uns der Vorstellung nicht erwehren, daß dem Ganzen eine Idee zu Grunde liege, wonach Gott in der Natur, die Natur in Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit schaffen und wirken möge.“ Nehmen wir nun Eckermanns „Gespräche mit Goethe“ zur Hand, so bekommt man den Eindruck, daß GortHE sich während Fe VA Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 117 seiner letzten Lebenszeit sogar newron näherte. Denn wir ersehen daraus, daß er an die Unsterblichkeit‘) oder an ein zukünftiges Leben und an einen höheren Willen’) glaubte. Wir finden ferner Äußerungen wie diese: „Wie das Sittliche in die Welt gekommen?“ „Durch Gott selber“, erwiderte GoETHE, „wie alles andere Gute“). An einer andern Stelle: „Dafür danke ich dem Himmel als für eine besondere Gunst“?). Weitere Äußerungen zeigen eine große Annäherung an das Christentum !9); wieder andere beweisen, daß auch er nicht frei war vom Aberglauben. Dieser Aberglaube macht sich in den folgenden Worten !!) speziell bemerkbar: „Vogel ist zum Arzt wie geboren und überhaupt einer der genialsten Menschen, die mir je vorgekommen sind. Doch wir wollen nicht sagen wie gut er ist, damit er uns nicht genommen werde“. Zur selben Richtung gehört auch sein Glaube an Dämonen oder an das Dämonische ©), das häufig in seinen Gesprächen wiederkehrt. Wir könnten es hiermit genug sein lassen, da GoETHES Reli- giosität über allen Zweifel feststeht!), hätte man nicht schon die Beobachtung gemacht, daß ein Naturforscher ein geistiges Doppel- leben führen kann; in seinem privaten Leben ist er Teleolog, dagegen Materialist bei seinen naturwissenschaftlichen Unter- suchungen. Demnach haben wir zu ergründen, ob GoFTHE diese Studien von Teleologie frei zu halten wußte oder nicht. Schlagen wir nun zuerst einmal sein berühmtes Werk „Erster Entwurfeiner allgemeinen Einleitung in die vergleichende Anatomie“ auf, das ihm den allerdings unberechtigten Ehrentitel verschaffte, einer der Begründer der vergleichenden Anatomie zu sein '*). Da- bei stoßen wir auf ein Kapitel „Über einen aufzustellenden Typus“. Wenn man auch zugibt, daß die Annahme eines für alle Tiere geltenden Typus die Osteologie erleichtert, so hätte GoETHE hier doch in erster Linie zeigen sollen, warum alle Tiere einen gemein- samen Typus aufweisen oder wie die Urform beschaffen war, die er für alle voraussetzt. Das einzige konkrete Beispiel, das an Urform erinnert, ist sein Hinweis auf die drei Teile des Insekten- körpers °), die der Dreiteiligkeit des Körpers der Säugetiere ent- sprechen sollen. Im übrigen ist das ganze Kapitel ein bloßes Spielen mit Worten !). GoETHE (schrieb Reys !’)) stellt sich die Geschöpfe als eine Anzahl von Ziffern ohne Rangordnung vor, denn er läßt sie „hin und herweichen“, sucht darauf von diesen Ziffern den größten allgemeinen Divisor und nennt diesen das „Urbild“. Sein Typus (Urbild, Schema) war also bloß eine Idee im Sinne pLaros 8% 118 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. und als solche teleologisch, im Einklang mit seinem Pantheismus. Der Typus war für die Gott-Natur dasselbe als der Kanon für den bildenden Künstler. Diese Idee war übrigens auch unrichtig! Noch während GorrHes Leben ward dargelegt!?), daß die Tiere nach sehr verschiedenen Grundtypen gebaut sind. Er aber, ebenso wie GEOFFROY ST. HiLaiRE, war einer der wenigen, die es wagten, an der „Einheit des Typus“ für die ganze Tierwelt festzuhalten. Diese nicht durch Tatsachen gestützte Theorie führte dann schließlich zu der Konsequenz, daß die Insekten, weil man sie mit den Säugetieren vergleichen wollte, als Tiere beschrieben wurden, die eigentlich auf ihrem Rücken laufen und deren Haut- panzer den Wirbeln der Säugetiere entspricht, während ihre Extremitäten dann als heraustretende Rippen aufgefaßt werden mußten. Solche Ideen, wenn sie auch heute noch zuweilen auf- tauchen, verdienen doch nur ein Achselzucken !9); wir werden sie in einem der folgenden Aufsätze ausführlicher besprechen müssen. Wäre Gorrx ein Naturforscher in modernem Sinne gewesen, dann hätte er (und hierauf deutete schon Helmholtz ?0)) in erster Linie trachten müssen, eine Antwort auf die Frage zu geben: Wie denn die Übereinstimmung im Bau entstanden sein möchte, die in uns die Idee des gemeinsamen Typus erweckte. Er hätte dann die Erklärung auf zweierlei Wegen suchen können. Der erste wäre gewesen, die eine Tierform sich aus der andern ent- wickeln zu lassen. Dieser Gedanke war doch bereits genugsam ausgearbeitet worden, selbst in den ihm wohlbekannten Werken von De Martter °!), Burron, E. Darwin und F. S. Voiet und während GOETHES Lebzeiten erschienen noch eine Reihe anderer, die die Lösung in der nämlichen Richtung suchten ?°), ohne daß er jemals an ihre Seite trat. Der zweite Weg lag infolge der schon vor- liegenden embryologischen Forschungen nicht weniger deutlich da. GoETHE hätte von dem Grundgedanken ausgehen können, daß die Natur ein Lebewesen nur in einer bestimmten Stufen- folge gestalten könne, weshalb alle Embryonen zuerst einander gleichen müssen, wodurch denn auch die Übereinstimmung der erwachsenen Tiere plausibeler wird. Er kannte Wotrr ?3), der schon diesen Weg betreten hatte, sehr gut, er kannte ferner eine An- zahl von Männern, die Embryologie trieben und dennoch hat er sein ganzes Leben lang, mit Ausnahme für einige Schädelknochen **), niemals irgend eine Schlußfolgerung aus der Embryologie gezogen. Es ist heute fast vergessen, daß man damals schon allgemein Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 11 9 wußte, daß das höher stehende Geschöpf während seiner Ent- wicklung im Mutterleibe Formen zeigt, die an die tieferstehenden Organismen erinnern). Wir nennen diese Erscheinung gegen- wärtig das „Biogenetische Grundgesetz“; esist eine der mächtigsten Stützen der Abstammungslehre. (GoETHE kannte es, wendete es gleichwohl niemals an, fühlte demnach nichts für diese Richtung. Daraus geht wiederum hervor, daß ihm ‚„Iypus“ eine „Idee“ war, die eine denkende, alles beherrschende Gottheit (Natur) voraus- setzte, ja forderte und als solche nicht weiter erklärbar war ?f). Solch eine Auffassungistreinste Teleologie. Gleiches gilt von seinem Lehrsatz: „Korrelation der Teile“, von anderen ,,loi de balancement“ oder „Kompensationstheorie“ genannt. Er glaubte, „daß keinem Teile etwas zugelegt werden könne, ohne daß einem anderen dagegen etwas abgezogen werde und umgekehrt?”).“ So hat z.B. die Giraffe nach seiner Ansicht deshalb einen kleinen Rumpf, weil ihr Hals und ihre Beine so lang sind, es hat der Maulwurf solch kurze Extremitäten, weil alles verfügbare Material für den Rumpf verbraucht ist. Die Wiederkäuer haben keine Schneidezähne, weil das Material zur Bildung der Hörner gedient hat. Cuvier (Madelaine de Saint Agy) verurteilte schon solche Theorien: der Rumpf der Giraffe scheint allerdings klein zu sein, ist es aber tatsächlich nicht; der Rumpf des Maulwurfs ist nur scheinbar so groß, in Wirklichkeit ist er klein, und die zahnlosen Tiere haben ein noch viel unentwickelteres Kauorgan als die Wiederkäuer und doch keine Hörner. Abgesehen davon, daß dieses sogenannte Naturgesetz, welches nur auf Vergleichung relativer Größenver- hältnisse fußte, unrichtig war, war es, und darum handelt es sich hier, durch und durch supernaturalistisch. Also, auch als Natur- forscher blieb Gortue Teleolog #). Als Hauptzeugen für diese Be- hauptung können wir GorrtHE selbst nennen, denn er schrieb in seinen historischen Betrachtungen über Ropert Boyle: „Als man die teleologische Erklärungsart verbannte, nahm man der Natur den Verstand; man hatte den Mut nicht ihr Vernunft zuzuschreiben und sie blieb zuletzt geistlos liegen. Was man von ihr verlangte, waren technische, mechanische Dienste, und man fand sie zuletzt auch nur in diesem Sinne faßlich und begreiflich °°). Darum verurteilte er auch den Zufall, der später durch Darwın eine solch große Rolle zu spielen begann. „Kein Teil desselben ist von innen betrachtet unniitz“*°), oder „Denn im organischen Körper kann nichts zufällig sein?!) Auch die Mystik aus den 120 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. Jahren seiner Jugend überfällt ihn noch zuweilen bei Naturbe- trachtungen. Sonst hätte er nicht schreiben können, was er vom Schwanz der Tiere behauptete, nämlich daß dieser „eigentlich nur als eine Andeutung der Unendlichkeit organischer Fxistenzen angesehen werden kann“) An einer anderen Stelle lesen wir in seinen naturwissenschaftlichen Studien: „Das Höchste was wir von Gott und der Natur erhalten haben, ist das Leben... Die zweite Gunst der von oben wirkenden Wesen“33). Wieder an einer anderen Stelle 34) fand ich den Passus: „Der Forscher kann sich immer mehr überzeugen, wie wenig und einfaches von dem ewigen Urwesen in Bewegung gesetzt, das Allermannichfaltigste hervorzubringen fähig ist“. Zur Erklärung der organischen Gebilde nahm er auch eine besondere Kraft als vorhanden an, die er ,,Bildungstrieb“ nannte’) und sprach häufig von ‚inneren Gesetzen‘ bei Pflanzen. Wie konnte man doch auf den wunderlichen Gedanken kommen, daß GoETHE die Teleologie bekämpft habe? Dieser Ruhm ward ihm besonders durch die folgende Äußerung in seinen Schriften zuteil: „Solche Nützlichkeitslehrer sagen wohl: der Ochse habe Hörner um sich damit zu wehren. Nun frage ich aber: warum hat das Schaf keine? Und wenn es welche hat, warum sind sie um die Ohren gewickelt, so daß sie ihm zu nichts dienen? Etwas anderes aber ist es, wenn ich sage: Der Ochse wehrt sich mit seinen Hörnern weil er sie hat“. Man vergleiche diese Stelle besonders mit dem über denselben Gegenstand handelnden Gespräch mit Ecxermann**). Dann wird einem jeden klar werden, daß GoETHE hier an erster Stelle die Physico-Theo- logen 37) lächerlich machen wollte, die meinten, daß für Alles ein Zweck zum Wohle der Menschen angegeben werden müsse. So hatte man zum Beispiel behauptet®®), daß „der Korkbaum ge- wachsen ist, damit wir unsere Flaschen pfropfen“. Gelang es nicht, dergleichen Erklärungen zu finden, so verlangte diese Richtung doch den Nachweis, daß die Formen eines organischen Wesens nützlich und nötig für dieses seien. GorTHE hingegen erklärte Alles mit Hilfe seiner Lehrsätze: „Korrelation der Teile“ oder „ein gemeinschaftlicher Typus“, war aber mit beiden nicht weniger teleologisch. Er hatte alle Naturforscher auf seiner Seite, sobald er gegen die Übertreibungen der Physico-Theologen Front machte, die BLUMENBAGH ®) so richtig gekennzeichnet hat. BLUMENBACH selbst schloß dann aber auch mit dem Geständnis, Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 121 daß wir ohne Teleologie nicht auskommen können. Es ist all- gemein bekannt, daß auch ImmanueL Kant) zum gleichen Resultat kam und auch bei Gorrne verleugnet sich diese Überzeugung nicht, obschon er niemals so deutlich wird wie BLUMENBACH und KANT. Dies ist denn auch das Endresultat seines Werkes, das gerade diesen Fragen gewidmet ist: ,,Versuch einer allgemeinen Ver- gleichungslehre*!), Es beginnt mit einem Angriff auf die Teleo- logie: „Die Vorstellungsart, daß ein lebendiges Wesen zu ge- wissen Zwecken nach außen hervorgebracht und seine Gestalt durch eine absichtliche Urkraft dazu determiniert werde, hat uns in der philosophischen Betrachtung der natürlichen Dinge schon mehrere Jahrhunderte aufgehalten und hält uns noch auf“. Es folgt darauf eine Auseinandersetzung der plattesten Teleologie, die von der Voraussetzung ausgeht, daß alles mit Bezugnahme auf den Menschen und zu seinem Besten geschaffen worden sei; weswegen man eine Erscheinung als erklärt betrachtete, sobald man ihre Nützlichkeit für den Menschen dargelegt hatte. Diese Teleologie war übrigens eine natürliche Folge der Tatsache, daß die ganze Naturwissenschaft sich aus der Heilkunde entwickelt hatte. GoETHE beweist nun ferner, daß diese Theorie für den Naturforscher ein für allemal zu verwerfen sei. Kann er sich ihr als Mensch auch nicht ganz entschlagen, als Forscher muß er sich gänzlich von ihr losreißen. Fährt er dann weiter fort, daß man sich gewöhnen müsse „Verhältnisse und Beziehungen nicht als Bestimmungen und Zwecke anzusehen“, dann wissen wir, namentlich wenn wir des oben zitierten Gesprächs mit EckERMANN gedenken, wie wir diese Worte zu deuten haben. „Bestimmungen und Zwecke“, die man früher meinte feststellen zu können, müssen ersetzt werden durch seine gleichfalls teleologischen Naturgesetze. Daß er auch in diesem „Versuch“ nicht daran denkt, alle Teleo- logie beiseite zu setzen, geht aus den nun folgenden Betrachtungen über innere und äußere Einflüsse und Kräfte deutlich hervor ®?). Die inneren schreibt er der Weisheit und der Macht eines vom Anbeginn aller Dinge wirksamen Schöpfers zu, die äußeren da- gegen der „Natur“. Innere Einflüsse bestimmten z. B. den all- gemeinen Typus der Wirbeltiere, äußere bildeten diese dergestalt um, daß ein Säugetier die Gestalt eines Fisches annehmen konnte. (Wie der Walfisch.) GoETHE setzte also das Vorhandensein eines Schöpfergeistes voraus (die Weisheit eines denkenden Wesens ‘)) ı22 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. und dann konnte er Absicht und Zweck im allgemeinen Sinne nicht ableugnen. Wer sich für diese Fragen interessiert, vergleiche noch seine ebenfalls gegen die Teleologie gerichtete Äußerung im 6. Teil seiner Werke (W. A. S. 282—283), woraus deutlich hervorgeht, daß er völlig mit den Ideen des von ihm zitierten Kant übereinstimmte. Auch dieser verlangte von Naturforschern, daß sie bei ihren Untersuchungen teleologische Auslegungen ver- meiden sollten, gab aber gleichzeitig zu, daß wir, sobald lebende Organismen uns beschäftigten, der Teleologie niemals völlig ent- raten kònnten‘'. Die oben erwähnten äußeren Kräfte, die den unveränderlichen Typus an den Außenseiten umbilden, darf man durchaus nicht in darwinistischem Sinne auffassen. Denn diese Kräfte, welche GoETHE „Urkraft der Natur“ nennt, faßt er wiederum mehr oder weniger personifiziert auf, wie folgende Sätze zeigen: „Wir treten also der Urkraft der Natur nicht zu nahe“®°), oder „ihre (der Natur) Intentionen sind zwar immer gut, allein die Bedingungen sind es nicht, die dazu gehören, sie stets voll- kommen zur Erscheinung gelangen zu lassen*).“ Aus keiner einzigen Zeile geht hervor, daf diese „Natur“ genannten Kräfte in darwinistischem Sinne aufgefaßt werden dürfen. Auch dort, wo er in der Geschichte seiner botanischen Studien?) erklärt: Daß das Wechselhafte der Pflanzengestalten bei ihm die Vorstellung erweckt habe, „die uns umgebenden Pflanzenformen seien nicht ursprünglich determiniert und festgestellt, ihnen sei vielmehr, bei einer eigensinnigen, generischen und spezifischen Hartnäckigkeit, eine glückliche Mobilität und Biegsamkeit verliehen, um in so viele Bedingungen, die über dem Erdkreis auf sie einwirken, sich zu fügen und darnach bilden und umbilden zu können.“ Dann dachte er auch dabei nicht etwa an eine blindwirkende Natur- züchtung, sondern an eine denkende, handelnde, wählende Natur. Jedenfalls zerstörten die Kräfte dann die Grenzen der Species nicht. Ebenso darf uns seine Bemerkung über die Wirbeltiere: „daß alle nach einem Urbilde geformt seien... das sich noch täglich durch Fortpflanzung aus- und umbildet“4‘8), nicht etwa auf den Gedanken bringen, daß damit Variabilität gemeint sei; denn aus anderen Stellen 4°) geht hervor, daß es lediglich die Natur ist, welche modifiziert. Sagt er: „Das Tier wird durch Umstände zu Umständen gebildet‘5) so sehen wir aus dem Beispiel vom Fisch, vom Adler, vom Léwen5!), wie es gemeint ist. Überall schafft Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 123 ein denkender, handelnder Geist. So werden wir nun auch zu der Frage geführt, die schon so häufig besprochen worden ist: War Goethe ein Vorläufer Darwıns? Eingehende historische Studien, welche den ee vorausgingen 52), haben mich belehrt, daß das Wort „Prädarwinist“ meistens in ganz falschem Sinne gebraucht wird. Es hat sich zum Ruhme Darwins eine Legende gebildet, die sein Haupt wie eine Gloriole umstrahlt; dazu gehört die oft wieder- holte und doch grundfalsche Behauptung, daß die ganze moderne Naturwissenschaft erst durch ihn inauguriert worden sei, weil alle Naturforscher vor ihm an der Unveränderlichkeit der Tier- arten gläubig festhielten und so auch an der in der Bibel erzählten Schöpfungsgeschichte. Diese Mythe beherrschte und beherrscht die Gemüter auch sehr gelehrter Männer derart, daß sie jedem, der Antidarwinist war oder ist, zuriefen: Mit Ihnen ist nicht zu reden. Sie glauben noch an die biblische Schöpfungsgeschichte ; das bezeichnete man in Deutschland auch wohl als „Köhlerglaube“. Im Gegensatz hierzu kann ich beweisen, daß beinahe alle Naturforscher von einiger Bedeutung schon lange vor Darwın und während der langen Lebensdauer Goethes überzeugte Evolutionisten waren, und sehr viele°3) nicht mehr daran glaubten, daß jede Tierart für sich ge- schaffen sei. Auch ist es eine Tatsache, daß alle Facta, worauf DARWIN späterhin seine Selektionstheorie baute, den Zeitgenossen GoETHEs wohl bekannt waren. Es ist also sehr töricht, wenn man in bezug auf diese Facta bezw. auf die daraus direkt gezogenen Schlußfolgerungen, die man’ auch wohl Beweise für die Deszendenztheorie nennt, von Prae- darwinismus spricht. Gerne benutzt man diesen Ausdruck dort, wo man in älteren Schriften die Veränderlichkeit der Art ver- teidigt findet, weil man nicht weiß, wie weit verbreitet diese Auf- fassung war. Willman diesalles als Prädarwinismus bezeichnen, dann kann man ebensogut alle Naturforschung erst mit Darwın an- fangen lassen. Was in den Hörsälen gelehrt wurde, kann nicht zum Prädarwi- nismus gehören und folglich auch nicht die Evolutionstheorie, die schon ein halbes Jahrhundert vor Darwin nur noch einzelne Wider- sacher unter den Fachgelehrten aufzuweisen hatte. Nur insoweit man damals schon die Evolutionsidee materialisierte und somit eine fleischliche Abstammung aller ungleichartigen Wesen aus einigen 124 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. Urformen annahm, ist man berechtigt, von Prädarwinismus vor 1859 und auch während der GoETHE schen Periode zu sprechen. Solche echte Prädarwinisten waren damals noch selten; die man später als solche bezeichnete, weil man die Lehre gerne mit berühmten Namen zierte, gehörten dieser Gruppe meistens nicht an und dennoch gab es vielleicht mehr, als man allgemein an- nimmt 54. Wenn man sie vergessen konnte, so war dies nur eine Folge des traurigen Umstandes, daß die Geschichtsschreibung der Naturforschung noch sehr jung ist, daß sie weit mehr eine Dar- stellung der Koryphäen als eine solche der Ideen ist. Hierbei wollen wir uns aber jetzt nicht aufhalten. Alle Grundsätze oder Beweise, worauf die moderne Ab- stammungslehre beruht: der embryologische 5) und geologische Beweis°®), der Einfluß der Zähmung und der Isolierung, die Verände- rung der Art durch äußere Einflüsse, durch Übung und Anpassung, durch Zuchtwahl, durch Kreuzung und Vererbung erworbener Eigenschaften etc. etc. waren also lange vor Darwin und noch zu GorrHes Lebzeiten Gemeinbesitz geworden. Nur bebten die meisten davor zurück (wie Kant sich ausdrückte), alle diese Be- weise zu einer Abstammungslehre zu verbinden, wenn schon die Gedanken vieler Forscher diese Richtung eingeschlagen hatten. Man ging gewöhnlich nicht weiter, als zu einer supernaturalistisch gedachten Evolution und verwarf die materialistische Abstammung aus einfacheren Urformen. Einer der wenigen, die hierauf deut- lich hingewiesen haben, war Max MÜLLER; seine Mitteilungen 5”) wurden indessen von der Flut materialistischer, DARWIN verherr- lichender Literatur verschlungen. Wer heutzutage Darwins Einfluß oder Darwıns Bedeutung richtig beurteilen will, muß von allem absehen, was nach dem Jahre 1859 geschrieben wurde, er muß sein Wissen sozusagen zurückschrauben bis vor diesen Zeit- punkt und sich dann fragen: „Welchen Eindruck macht Darwins Buch jetzt auf mich.“ Hierfür findet sich an dieser Stelle natür- licherweise nicht der Platz. Wir brauchen zur Beurteilung GoerHEs vom Darwinistischen Standpunkte aus, da wir schon wissen, daß er auch als Natur- forscher Teleolog blieb, nur noch diese Frage zu stellen: Glaubte GoETHE an Abstammung im Sinne der Blutsverwandtschaft ver- schiedenartiger Wesen. HäckeEL hat auf diese Frage längst in zu: stimmender Weise geantwortet, wozu er einzelneGedanken GoETHES aus ihrem Zusammenhang herausriß und sie nun als Beweise für Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 12 5 seine Auffassung verwertete. Es ist leicht bei GoETHE und seinen Zeitgenossen Gedanken zu finden, die sich im Darwinistischen Sinne deuten lassen°®),, weil der supernaturalistische Evolutionist, der als solcher nichts von Abstammung wissen wollte, sondern an der Unveränderlichkeit der Art festhielt, doch Ausdrücke gebrauchte wie „Abstammung, Verwandtschaft, Genesis®’), Genea- logie, Entwickelung etc. und trotzdem nur an eine ideelle Evolution®°) dachte. Stößt man nun, ohne historische Vorkennt- nisse zu haben, auf Sätze, die deriei Ausdrücke enthalten, dann kann man leicht versucht sein, diese Ausdrücke als Beweise für GoETHES Glaube an Abstammung in weiteren Sinne zu betrachten. Ich wünsche eine Beweisführung durch Zitate ganz zu vermeiden, und kann mir dies auch darum erlauben, weil die von HAckEL gegebene Auslegung der von ihm gesammelten, oft auch ver- stümmelten Zitate seit langer Zeit von Kossmann, SCHMIDT, BLIEDNER und Carrie!) zurückgewiesen ist. Meine historischen Studien ge- statten mir, einen Weg einzuschlagen, der wenigstens die an- genehme Eigenschaft hat, noch neu zu sein. Eine Eigentümlichkeit der Abstammungstheorie ist, daß sie ihren Ausgang vom Menschen genommen hat, während eine große Anzahl ernsthafter Forscher?) nichts gegen diese Lehre gehabt hätten, wenn man nur den Menschen dabei ausgeschaltet hätte. Ich kann an dieser Stelle nur kurz darauf hinweisen, daß der im 18. Jahrhundert geführte Streit über den Ursprung der Sprachen, über den Einfluß der Zivilisation die Behauptung entstehen ließ, daß der Mensch vom Orang-utan abstamme. Rousseau %) war es besonders gewesen, der diesen Gedanken angeregt hatte und seine Ideen hatten ein Echo bei den französischen Materialisten und Enzyklopädisten gefunden. Unter ihren Einfluß geriet HERDER während seiner Reise durch Frankreich. Als er von dort zurück- kehrte, ließ er sich in Straßburg nieder. Hier traf er mit GoETHE zusammen, verkehrte viel mit ihm und übte einen starken Ein- fluB auf ihn aus. HERDER arbeitete in Straßburg fürnehmlich an der Beantwortung einer Preisfrage, die derzeit von sehr aktuellem Interesse war, nämlich nach dem „Ursprung der Sprachen“. Er versuchte, diese Frage in ganz evolutionistischem Sinne zu lösen, wobei er nicht ganz frei von Abstammungsideen war. Mehrfach ist behauptet worden, daß GortHz durch Herpers Einfluß Evolutionist geworden sei und daß der Evolutionismus dieser jungen Männer von Straßburg aus Deutschland eroberte. Wieder 126 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. eine der vielen Ubertreibungen, denen wir stets in der GorTHE- Literatur begegnen. Dazu gehört auch die Behauptung, daß alles Gute in Herpers Naturanschauung auf GorrHEs Einfluß zurückzuführen sei. Wer „Wahrheit und Dichtung“ kennt, wird gewiß nicht den Eindruck bekommen haben, daß HerpEeRS Arbeit einen allzu tiefen Eindruck auf GoETHE gemacht hat. Aller- dings las er es „mit großem Vergnügen und zu seiner beson- deren Kräftigung“, fügte aber hinzu, daß er nicht hoch genug stand, „um ein Urteil darüber zu begründen“. Man lese weiter, was dann sofort von dem dicken Chirurg gesagt wird. So pflegt man nicht über Bücher zu schreiben, die wirklich einen tiefen Eindruck gemacht haben“), man lese überhaupt GoETHES Mitteilungen über Herver während ihres Straßburger Zusammen- seins. Vielleicht kommt man dann zu meiner Ansicht, daß, wenn man HERDER den Lehrmeister GoETHEs nennen darf, jener dies im Sinne MEPHISTOPHELES war: „der Geist, der stets verneint“. Dadurch führte er GoETHE zum Nachdenken, zum Untersuchen, zur Kritik, zum Aufspüren neuer Wege; mit anderen Worten: FIERDER hat beigetragen, ,,GorTrHes Genie zur Entfaltung zu bringen“. GoErHE hatte Herper auch nicht nötig, um in Straßburg Evolution zu lernen, er las dort fleißig Rousseau, seine geologischen Lieb- habereien führten ihn auf Burrons Werke und auch unter den Hochschullehrern fand er Evolutionisten. Im Jahre 1768 wurde Jouann HERMANN in Straßburg als außerordentlicher Professor an- gestellt und 10 Jahre später zum Ordinarius ernannt. Er war Evolutionist und ein großer Verfechter der Kettentheorie, die lehrt, daß alle Organismen vom niedrigsten bis zum höchsten gleich den Gliedern einer Kette durch allmähliche Übergänge miteinander verbunden sind. Gleichwohl verbesserte er diese Lehre. Er wies nämlich darauf hin, daß man nur Reihenfolgen bilden könne aus den einzelnen Organen der Tiere und nicht aus den Tieren selbst. Deshalb sind diese nicht durch eine gerade Linie, sondern netzförmig miteinander verbunden. Was den Menschen anbelangt, so war Hermann ein Anhänger der innigsten Verwandtschaft zwischen Affen und Menschen; er verglich die verschiedenen Rassen mit je einem anderen Affengeschlecht. Zwischen beiden stellte er die Anwesenheit aller denkbaren (Zwischenstufen) Übergangsformen fest. Einen Unterschied zwischen dem Seelenleben der Tiere und dem des Menschen sah er nicht. Beide werden nach ihm ausschließlich durch den Bau Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 127 des Gehirns bestimmt, ebenso wie der Charakter und die Talente. Er meinte, daß die Tiere genau wie die Menschen empfänglich seien für Veredlung in einem zukünftigen Leben. Nirgendwo ist dagegen von Abstammung bei ihm die Rede, obschon es nicht möglich war, Mensch und Tier näher zusammen zu bringen als er es getan hatte. GOoETHE und HERDER hatten Straßburg freilich schon verlassen, als das Hermannsche Werk (1783) erschien ®), aus welchem ich seine Ideen kennen lernte, man darf jedoch getrost annehmen, daß er nicht auf einmal zu solchen Resultaten gelangt war. Außerdem war Hermann mit Loper, dem späteren Lehrer GoETaes sehr be- freundet. Original war Hermann übrigens nicht, denn vor ihm schon hatten Rousseau 1754, Moscati 1770), MonBoDDo 1773-1794 97), dasselbe behauptet, wobei sie entschieden an Abstammung dachten; denn wie soll man ihre Behauptung, daß der Mensch früher ein Vierfüßler gewesen sei, anders erklären. Das Buch des Italieners Moscati (1770), machte den meisten Eindruck und ward in mehrere moderne Sprachen übersetzt. Es wirkte deshalb so suggestiv, weil es von anatomischen Betrachtungen, also von Tatsachen ausging. Es beeinflußte Kant, der es mit einer gewissen Zu- stimmung kritisierte (1771), auch SCHILLER, weswegen dieser im Jahre 1782 schreiben konnte: „Brücken vom Instinkte zum Gedanken, Angeflicket an der Menschheit Schranken, Wo schon gröbere Lüfte wehn. In die Kluft der Wesen eingekeilet, Wo der Affe aus dem Tierreich geilet, Und die Menschheit anhebt aufzustehn 88).“ In Holland gehörten P. van SCHELLE (1773) und A. SCHRAGE (1780) zu Moscatis Anhängern. Das Werk des schottischen Lords Moxsonpvo ward gleichfalls ins Deutsche übersetzt 5°) und von HERDER selbst mit einer Vorrede versehen (1784). Diese Einflüsse wirkten auf Herver, als er vom Jahre 1774 bis 1785 an seinem berühmten Buche: „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ arbeitete, welche Arbeit GorTHE seine am besten gelungene nannte °°). Folgende Sätze können diese Be- hauptung belegen: „Der Menschheit jüngere Brüder sind die Tiere.“ „Der Affe ahmt nach, was er zu tun vermag. Er will sich vervollkommnen, aber er kann nicht.“ 128 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. Auf der andern Seite macht er dagegen Front gegen Rousseau und will nicht zugestehen, daß die Menschen jemals Vier- füßer gewesen sein können. Er hält denn auch fest an der Un- veränderlichkeit der Art, ist im übrigen teleologisch und An- hanger der supernaturalistischen Evolution von Bonnet. Bekannt ist, daß GoETHE, namentlich vom Jahre 1783 ab, die Geburtswehen des Hirperschen Werkes mit durchlebte, da der Verfasser ihm und Frau von Sten während mancher Abendstunden die fertigen Blätter vorlas und daß dann viel darüber hin und her gesprochen und beraten ward”). Bemerken wir bei HERDER vorübergehende Anklänge zur Abstammungslehre, so lassen sich bei GoETHE ähn- liche Ideen nachweisen. Frau von STEIN schrieb damals an KNEBEL: „HERDERS neue Schrift macht wahrscheinlich, daß wir erst Pflanzen und Tiere waren. GoETHE grübelt jetzt gar denkreich in diesen Dingen“. Der Theolog Herner bebte bald vor solchen Schluß- folgerungen zurück, GcETHE ging weiter. Der Gedanke an den gemeinsamen Urtypus für Tier und Mensch, welcher damals vielen Schriftstellern schon bekannt war, ergriff ihn mächtig und führte ihn auf Knochenbaustudien, um durch diese zu beweisen, daß der Mensch nicht anders gebaut sei, als der Affe. Er schloß sich somit an Rousseau, Moscati, MonBoppo an und kam in Gegen- satz zu BLUMENBACH und Camper, die eine so weitgehende Uber- einstimmung nicht zugeben wollten. Diese Opposition reizte GoETHE, den bei allen Säugetieren vorkommenden Zwischenkiefer- knochen auch beim Menschen zu suchen, dem er von Camper und BLUMENBACH aberkannt worden war. Wir können diesen Gegenstand jedoch fallen lassen, weil GoETHES Untersuchungen nach dem Vorhandensein dieses Knochens schon in dem vorigen Aufsatz behandelt worden sind. . GorTHE hat nie eine Zeile über seinen im Jahre 1784 einge- nommenen Standpunkt drucken lassen, ja, er schloß das Manu- skript über den erwähnten Zwischenkieferknochen 34 Jahre lang weg, bevor er es erscheinen ließ. Er änderte also den oben an- gewiesenen Standpunkt bald, den wir überhaupt nur durch zwei Briefe kennen lernen ?), und fand Befriedigung bei dem super- naturalistisch-evolutionistischen Gedanken: „Einheit des Baues“, „Ein Typus“, vom Schöpfer vorgezeichnet. Auch auf ihn passen demnach die Worte Kanrs #): „Der Gedanke von der Verwandt- schaft, von der Naturkette aller organischen Wesen ist ein Spiel, womit sich wohl mancher einmal unterhalten hat, das er aber, = sg = Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 129 weil damit nichts ausgerichtet wird, wieder aufgab. Man wird von ihm durch die Betrachtung zurückgescheucht, daß man hierdurch unvermerkt von dem fruchtbaren Boden der Naturforschung sich in die Wüste der Metaphysik verirrt. Der ernste Mann aber soll vor allem zurückbeben, was der Vernunft erlaubt, in grenzenlosen Einbildungen herum zu schweifen“. Der Einfluß Kants (der von HäckeL auch zum Prädarwinisten gestempelt wurde) ward allerdings später vorherrschend ™) in GOETHE, wie es wohl nicht anders möglich war. Denn erstens war ScHILLER ein eifriger Kantianer und außerdem dozierte in Jena seit dem Jahre 1788 R. L. RenHoLp, der glühendste Verfechter der Kant- schen Philosophie. Für RreIinHoLp war Kants kritische Methode eine unantastbare Wahrheit, die über die ganze Welt verbreitet werden müsse. Die „Kritik der reinen Vernunft“ war bei ihm zu einer Religion geworden, deren Gott Kant, deren Prophet ReınHoLD war. Wer nicht ins selbe Horn blies, wurde mit Spott und Verachtung wie ein Dummkopf behandelt, wer über Philo- sophie anders als Kant schrieb, galt als ein Stümper, ein Dilet- tant. Wer ein Wort dagegen sagte, war in Vorurteilen befangen. Wer Kants Lehre antastete, dessen Moralitàt wurde sogar in Zweifel gezogen ?°). Ist es nicht merkwürdig, daß Jena innerhalb. eines Jahrhunderts zwei solcher gleichartigen Propagandisten be- herbergt hat wie Remnorn”) und HÄckeL? Daß der Gott ,, Darwin“ dem Gotte „Kant“, der Prophet „HäckeL“ dem Propheten „Reın- HOLD“ folgte? Auffallend ist es gewiß, daß GoETHE der Abstam- mungstheorie so entschieden den Rücken zukehrte, daß alles, was späterhin zur Verteidigung dieser Lehre geschrieben wurde, spurlos an ihm vorüberging. Die Werke von E. Darwın (dem Großvater des später so be- rühmt gewordenen Enkels) „Die Zoonomia“ (1795—1799) und „Die Phytonomia“ (1801) wurden ins Deutsche übersetzt ’”). Man sprach und stritt schon damals über „Darwinismus“. Darwıns und LAmarcks. Bücher wurden in Schriften besprochen °8), die GoETHE Kannte. Die „Zoonomia“ fand ich sogar in seinem Bücherschrank und GoETHE las sie’). In Jena erschien das Buch Gavtieris (1806), in dem °°) fast alles zu finden ist, was Lamarck drei Jahre später verteidigte. Dennoch ging die Bewegung vorbei, ohne daß er Anteilnahme zeigte. BaALLENSTEDT, KRÜGER, TAUSCHER und andere, die man wohl als Prädarwinisten bezeichnen kann, arbeiteten für die Zeitschrift: „Archiv der Urwelt“. GoETHE kannte und 130 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. zitierte sie, rezensierte unter anderem eine darin vorkommende Studie von Körte über den fossilen Stier 8!), ließ sich aber durch sie, die die Abstammungslehre verteidigte, nur insoweit beeinflussen, als er die Möglichkeit anerkannte, der heutige Stier könne wohl aus dem Geschlecht des fossilen Stiers hervorgegangen sein. Es bleibt jedoch die Frage offen, ob er dies nicht etwa im Sinne seines Freundes, des Grafen von STERNBERG auffaßte, der die fossilen Formen die Vorbilder der heutigen nannte. „Sie sind gleichsam die Stammeltern“ heißt es da, wobei man selbstverständlich nicht an Abstammung im Sinne der Blutsverwandtschaft denken darf 8°). Man achte ferner namentlich darauf, daß sowohl seine Bemer- kungen über den Kérreschen Stier als auch sein Artikel „Problem und Erwiderung“, dem wir weiter unten einige Zitate entlehnen werden, die die Konstanz der Art in unzweideutiger Weise lehren und drittens seine Referate über das Werk von PANDER und D’ALTON, das ich nunmehr behandeln muß, in ein und derselben Periode (1820— 1824) geschrieben wurden. Viel bezeichnender als alles vorher Gesagte nämlich ist GOETHES Verhalten diesem Werke von Panper und D’ALTON gegenüber, be- titelt: „Vergleichende Osteologie 1821— 1828“. Der Verfasser des Textes war nach dem Urteil der Zeitgenossen Lamarckaner, also Vorgänger Darwıns und wurde auch als solcher bekämpft °°), Es verdient hervorgehoben zu werden, daß Panper sich vor der Herausgabe des Werkes als Embryologe, p’ALton, ein Schütz- ling des Herzogs von Weimar, als Zeichner einen Namen ge- macht hatte. Deswegen nehme ich an, daß das Textliche haupt- sächlich von PanpeR herrührt, die Zeichnungen von p’ALrons Hand stammen. Merkwürdig bleibt es unter allen Umständen, daß GorTHE, der diese Schrift mehrfach besprochen hat, sie stets als die Arbeit p’Antons zitierte 84) und PANDER niemals nannte. Auch erhält man den Eindruck, daß ihm die Zeichnungen wichtiger als der Text erschienen. Dieser Text nun ist völlig im Sinne Lamarcxs geschrieben. Allerdings denkt man zunächst an GOETHE, wenn in der Einleitung (vom Riesenfaultier) von Metamorphose gesprochen wird, einem Wort, das GoETHE geläufig und sympathisch war °°), Aber schon unterscheidet der Verfasser scharf drei Arten der Metamorphose: ı. die von den besonderen Teilen der Tiere (für die Pflanzen schon von GOoETHE begründet); 2. die embryologische, welche GoETHE stets vernachlässigte und 3. die von Tier zu Tier, oder die Abstammung. Er verwirft die Kata- — 8 — Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher, 131 strophentheorie 8), nimmt daher nur eine Schöpfung an und eine seitdem ununterbrochen fortdauernde Abstammung 8°). Es stammen somit die lebenden Arten von den fossilen ab und mit diesen zugleich lebte der Mensch. Äußere Einflüsse veränderten die Tiere. Aus der noch radikaleren Einleitung zu der Abhand- lung über die Dickhäuter und Raubtiere geht hervor, daß er keine Begrenzung für die Metamorphose (Abstammung) aner- kannte, weshalb er denn auch ebenso wie pe Matter alle Land- tiere aus Wassertieren entstanden glaubte. Er vertrat auch als fest- stehend den Gedanken, den wir heutzutage das biogenetische Grund- gesetz nennen, glaubte also an eine fortschreitende Veränderung des Embryo und ebenso an ein paralleles Fortschreiten in der historisch-geologischen Entwicklung. Neben äußeren Einflüssen als treibende Kräfte für Verän- derungen erwähnte er gleichfalls die psychischen von Lamarck: „Die Neigung der Tiere bestimmt ihre Form, die Tätigkeit der Sinne wirkt auf die Materie 88)“. Ferner trat er für die Vererbung er- worbener Eigenschaften, für die Rückbildung infolge Nichtver- wendung der Organe und ein sprunghaftes Auftreten neuer Arten ein. Die Abstammungslehre galt bei ihm für den Menschen ebenso wie für das Tier ®). Dieselben Gedanken findet man auch bei der Behandlung der Wiederkäuer. GOETHE besprach dieses Werk mit großem Beifall. Trotzdem er ihm aber mehrere Seiten widmete, bekennt er keinen Augen- blick Farbe in Bezug auf die mit der Abstammungslehre zu- sammenhängenden Gedanken der Verfasser oder nach meiner Ansicht „des Verfassers“, nämlich Panpers. Nur ein Satz bei GOETHE erinnert an solche Auffassungen: „Eine innere und ur- sprüngliche Gemeinschaft aller Organisation liegt zum Grunde; die Verschiedenheit der Gestalten dagegen entspringt aus den notwendigen Beziehungsverhältnissen zur Außenwelt, und man darf daher eine ursprüngliche, gleichzeitige Verschiedenheit und eine unaufhaltsame fortschreitende Umbildung mit Recht an- nehmen, um die ebenso konstanten als abweichenden Erschei- nungen begreifen zu können“. ® Man achte nun inerster Linie darauf, daß diese Worte keine Beziehung auf das ganze Tierreich haben, sondern nur auf die scharf begrenzte Gruppe der Nagetiere, und erinnere sich, was GoETHE über die getrennte Tätigkeit des Schöpfers und der Natur- kraft schrieb (siehe S.121—122 oben), man vergleiche S. 133— 134, um Zool. Annalen V. | 9 SER ee 132 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. zu verstehen, daß kein Grund vorliegt, daraus eine unbegrenzte Möglichkeit neuer Artbildungen durch äußere Einflüsse heraus- zulesen. Besonders aber die Worte: „ursprünglich gleichzeitige Verschiedenheit“ gestatten nicht, eine weitere Variationsmöglich- keit anzunehmen als die, welche auch von Cuvier und anderen zugegeben wurde, nämlich solche innerhalb der Grenzen der Art. Ein Stier bleibt ein Stier, ein Krokodil ein Krokodil, wenn sich auch Unterschiede in der äußeren Form oder Farbe zeigen. Wir kommen nunmehr zu einer höchst merkwürdigen Ent- deckung. Es zeigt sich nämlich, daß diese Worte nicht von GOoETHE selbst sind, sondern eine Variante aus dem Text der Verfasser der „vergleichenden Osteologie“. Sie sind selbstver- ständlich nicht aus ihren im Lamarcxschen Geiste geschriebenen Äußerungen gewählt, welche Gorrne gänzlich ignorierte. Nein, sie sind aus einer Abhandlung geschöpft, die von PAnDER und D'ALTON zwischen ihre osteologischen Betrachtungen eingeschaltet ist °°) und den Titel trägt: „Über die äußeren Einflüsse auf die organische Entwicklung der Tiere“. Darin ist nun keine Rede mehr von Lamarcks Lehre. „Nur ein höchstes Wesen, das alles geschaffen hat und erhält.“ „Die Art als erzeugt betrachtet“ und ferner viele Sätze mit dem für uns heutzutage ganz unbegreif- lichen Spielen mit Worten, was man damals Naturphilosophie nannte und worin GOETHE selbst glänzte. Dieser weist besonders auf diesen Aufsatz hin ?!), eine ganz in seinem Geist geschriebene Arbeit, und deshalb dürfen die oben zitierten Worte auch nicht anders aufgefaßt werden, als ich angab, also in supernaturalisti- schem-evolutionistischem Sinne. | Sollte GoETHE den Aufsatz etwa selbst geschrieben haben? Ist es Zufall, daß die Faultiere, Dickhäuter und Nagetiere aus diesem Werke wohl von GoETHE besprochen wurden, die Raub- tiere und Wiederkäuer, die den Nagetieren voraufgingen, hin- gegen nicht? Oder sollte die Erklärung vielleicht darin zu suchen sein, daß in den nicht besprochenen Teilen Lamarcxs Geist stark hervortrat? Waren die behandelten Teile des Textes vielleicht von D’ALTon, GorTHEs Schützling, dem er die Ehre, das ganze Buch verfaßt zu haben, zuschrieb®), während die anderen von PanpeR waren? Panper kehrte nach Rußland zurück ®), während D'ALTON bald Professor wurde. In EcKERMAnns Gesprächen 9°) kann man nachlesen, wieviel GoETHE von ihm hielt. Ist es außerdem nicht auffallend, daß VoLsortH, der im Jahre 1825 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 133 den Lamarckismus PANDERS und pD’ALTONS bestritt, sich dabei auf GOETHE berief? | Es folgt darauf noch ein Heft über die zahnlosen Tiere mit einer Einleitung, die noch Konservativer ist als der oben erwähnte Aufsatz. Dort erklärt der Verfasser”) geradezu, daß er sich nicht über die ursprüngliche Gleichheit der Tiere äußern will. Vielmehr endet er mit ,,Gottesverehrung, Zustand der Seligkeit etc.“ Es wurde die Arbeit von Panper und D’ALTON mit Unterstützung der preußischen Regierung herausgegeben und es würde eine nähere Untersuchung lohnen, ob nicht die vollständige Umände- rung der Auffassung auf höheren Wink geschehen sei. In gleicher Weise schwieg GoETHE zu den prädarwinistischen Gedanken in den naturwissenschaftlichen Werken von F.S. Voıcr. Dieser Gelehrte, der auch in Jena dozierte, war einer der ersten, die Goxrkes „Metamorphose der Pflanzen“ in die wissenschaftliche Welt einführten. GoETHE rühmt ihn denn auch stets und bespricht seine Schriften. In diesen Besprechungen jedoch werden die für damalige Zeiten besonders fortgeschrittenen, echt prädarwinisti- schen Gedanken Volers 9) einfach gar nicht erwähnt. Man urteile nun selber, ob PACKARD recht hatte, als er schrieb °?): „Had GOETHE, his contemporary, known of them (LAMARCKS views) he would undoubtedly have welcomed his speculations, have expressed his appreciation of them, and Lamarcks reputation would, in his own lifetime, have raised him from the obscurity of his later years at Paris“. Daß Lamarcx in Deutschland unbekannt geblieben und erst nach Darwins Auftreten entdeckt sein soll, ist beiläufig bemerkt auch eine der vielen allgemein verbreiteten Geschichtsfälschungen. Dies werde ich an anderer Stelle zeigen. Zum Schluß mögen einige Zitate beweisen, wie fest GoETHE von der Unveränderlichkeit der Arten (Species) überzeugt war. „Es ist unmöglich, daß eine Art aus der anderen hervorgehe; denn nichts unterbricht den Zusammenhang des Nacheinander- folgenden in der Natur; gesondert besteht allein das ursprünglich nebeneinander Gestellte 98)“. „Wer aber sie (Varietäten) für Arten nimmt, darf das Schwan- kende des ihnen willkürlich zugeschriebenen Charakters nicht der Natur beimessen, oder gar daraus auf ein Schwanken der Arten überhaupt schließen 99). | „Will er sich der Natur in Liebe ergeben, so mag die Idee der Metamorphose ihn sicher leiten, solange sie ihn nicht ver- 9* Lia 134 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. führt Arten in Arten hinüberzuziehen, das wahrhaft Gesonderte ınystisch zu verflößen. Von einem System des Organismus, von einer Metamorphose der Arten, von beiden kann nur symbolisch die Rede sein 10),« „So lange der Beweis fehlt, der schwerlich je zu führen, daß überhaupt in der Natur keine Art bestehe, sondern daß jede, auch die entfernteste Form durch Mittelglieder aus der anderen hervorgehen könne: so lange muß man uns jenes Verfahren schon gelten lassen 101),“ Zwar sind diese Zitate sämtlich aus E. Meyers Feder ge- flossen. GOoETHE aber nahm sie in seine Werke auf „als Zeugnis reiner Sinn- und Geistesgemeinschaft 10%)“ Wer ernstlich die Be- deutung GoETHES für die Entwicklung der Naturwissenschaft be- urteilen will, der studiere die Schriften der Männer, die von ihm rezensiert, empfohlen und gelobt wurden. Er lese dann also die Werke von SCHELLING, VOIGT, OKEN, WILBRAND, ACKERMANN, SCHELVER, Nees von Esenpeck, GoLpruss, Kieser, p’Atron, MEYER, Carus, Srix, Bosanus, STEFFENS; dann wird er erkennen, daß diese sämtlich rein- blütige Anhänger der Naturphilosophie waren, welche die Er- scheinungen in der Natur wie ein Kunstwerk betrachteten 193). Diese Richtung mag man aus folgenden Zitaten GoETHEs Kennen lernen: „Da ich nach meiner Art zu forschen, zu wissen und zu ge- nießen, mich nur an Symbole halten darf, so gehören diese Ge- schöpfe zu den Heiligtümern, welche fetischartig immer vor mir stehen und durch ihr seltsames Gebilde, die nach dem Regel- losen strebende, sich selbst immer regelnde und so im kleinsten wie im größten durchaus gott- und menschenähnliche Natur sinn- lich vergegenwärtigen 104). „Der Affe hat etwas Ähnliches vom Krebse, darinnen daß bei der möglichsten Verwandiungsfähigkeit aller Teile kein regulie- rendes und konstituierendes Prinzip irgendwo obwaltet. Deswegen jeder Teil sich ungestraft erweitern, verengern, verlängern oder verkürzen mag, und das Ganze darum, es mag sich gebärden wie es will, immer absurd bleibt 1%).“ Der Affe ist ein unentschieden nach den Extremitäten zu ausgebildeter oder vielmehr ausgedehnter Mensch. Man kann nicht (oder kaum) sagen, daß wir durch die Mohren mit den Affen grenzen. Mohren sind entschiedne Menschen 106).« Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 135 „Die scheußlichen Affen mit zu großen ersten Vorderzähnen; daß die Ferae 6 Zähne haben, macht sie weniger bestialisch 197).‘ Dacqué sagte wohl mit Recht, daß GorTHE bei seiner Natur- betrachtung in erster Linie Ästhetik trieb 108). Es würde sich vielleicht lohnen, eine Untersuchung über das anzustellen, was man zu GoETHEs Zeit ,geistreich‘“ nannte. Nach dem Durchstöbern unendlich vieler damaliger Schriften drängte sich mir der Eindruck auf, daß „geistreich sein“ darin bestand, daß man über Dinge, die man nur halb oder gar nicht verstand, in packenden, schön gewählten Bildern philosophierte und zwar in einem anmutigen, poetischen oder in einem verschnörkelten Styl. Die Sprache der Besten klang wie Musik und GoETHEs, des Natur- forschers Sprache vor allem. Darin liegt der unendliche Reiz. Ein Zitat aus GOETHES Schriften mutet uns an wie ein schön gewähltes Präludium, es bezaubert uns und nimmt uns gefangen. Trotzdem müssen wir lernen, uns aus dieser Bestrickung zu befreien und ausschließlich nach dem Inhalt zu fragen, nach den Facta, den Kenntnissen, die der Behauptung zugrunde liegen, sobald wir GoETHE als Naturforscher beurteilen wollen. Dann hören wir allerdings einen Mißton, der unserem Gefühl wehe tut. Ich zweifle keinen Augenblick daran, daß der, der diesen Weg einschlägt, schließlich zur Erkenntnis gelangen wird, daß GorrHE als Naturforscher keineswegs auf der Höhe seiner Zeit stand. Ebensowenig spielte er eine führende Rolle, abge- sehen von der, die ihn als einen der Begründer der ungesunden, unnatürlichen „Naturphilosophie“ zeigt 199). Wir haben daher GorTHzs naturwissenschaftliche Forschungen nur als lehrreiche Beispiele zu betrachten, die uns den Geist der Zeit zur Anschauung bringen und mit ihm den Dichter selbst, der stets eines der merkwürdigsten und größten Genies aller Jahrhunderte bleiben wird, bei dem es nur zu bedauern bleibt, daß er, der Gefeierte, an keinen Widerspruch Gewöhnte, versuchte auch auf dem Gebiete der Naturforschung eine führende Rolle zu spielen. Wer GorTHE nach Gebühr würdigen will, tut wohl daran, diese menschliche Eitelkeit stillschweigend zu übersehen. Er lese seine naturwissenschaftlichen Studien nicht als Werke der Wissenschaft, sondern als solche, in denen Kunst, Ästhetik, innige Liebe zur Natur, ernsthafte Beobachtung, Kenntnis der Natur zusammengeschmolzen und in eine Form gegossen sind, die von dem großen Meister zeugt. 136 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. Anmerkungen. 1) A. BreLcHowsky:. Goethe. Sein Leben und seine Werke. Bd. II, S. 431. München 1902—04. Goethe als Naturforscher wurde hierin durch S. Kalischer bearbeitet. ?) F. A. Lance: Geschichte des Materialismus. I. S. 406—407. Iserlohn 1866. 3) In den Annalen des Jahres 1811 anläßlich des Jacobischen Buches „Von den göttlichen Dingen“, W. A. (Tag- und Jahreshefte). Bd. 36, S. 72. 4) Wahrheit und Dichtung. W. A. Bd. 28. T. III. S. 68—7o. 5) R. Macnus: Goethe als Naturforscher. S. 309. Leipzig 1906. Ce qui le ravit dans Spinoza est l’idée vague de la vie divine dans la nature (le panthéisme naturaliste). E. Caro: La philosophie de Goethe, Revue des deux mondes 1865. Ate: 1824, 2.5. 1,824, MI Te LA NG aR as IU isa deg Sly 1.04-0.1827% %) II. ro. 2. 1830. 10) I. 1. 2. 1827, II. 16. 3. 1830, 29. 5. 1831, 6. 6. 1831, und ganz besonders II. 77.232.17832: 11) II 24. I. 1830. 12) II. 28. 2. 1831. Das Indexverzeichnis gibt unter „Dämon“, „Dämonisches“ weitere Stellen. 13) Man vergleiche weiter Goethes Urteil über die Bibel in: Sprüche in Prosa. 3. Abteilung an zwei Stellen und: „Es wäre nicht der Mühe wert 70 Jahre alt zu werden, wenn alle Weisheit der Welt Torheit wäre vor Gott. Sowie der Weihrauch einer Kohle Leben erfrischet, so erfrischet das Gebet die Hoffnungen des Herzens.“ „Gott ist mächtiger und weiser als wir, darum macht er es mit uns nach seinem Ge- fallen“. In einem der letzten mir noch nicht zugängigen Bände der Weimarer Ausgabe findet sich Goethes Vorbereitung zu einem historisch religiösen Volksbuche, worin Goethe den Gedanken ausspricht, daß mit hohem Ideellen zu beginnen sei, Gott, Un- sterblichkeit, höhere Sehnsucht und Liebe. „Die Menschen sind nur solange produktiv in Poesie und Kunst, als sie noch religiös sind, dann werden sie bloß nachahmend und wiederholend.“ „Wär’ nicht das Auge sonnenhaft, die Sonne könnt’ es nicht erblicken, läg’ in uns nicht des Gottes eigne Kraft, nie könnt es Göttliches entzücken.“ Die beiden letztgenannten Zitate entnehme ich F. Raxzwes: Kann vor der modernen Entwickelungslehre der religiöse Offenbarungsglaube bestehen? Wester- mann’s Monatshefte. 52. Jahrg. Bd. 104. I. 1908. K. VoRLANDER gab in der Zeitschrift Kantstudien II. S. 221 ff. die Stellen, welche Goethe in Kants Schriften besonders gefallen haben, darunter (l. c. p. 271) besonders folgende: „Der Glaube an Gott und eine andere Welt ist mit meiner moralischen Gesinnung so verwebt, daß, so wenig ich Gefahr laufe, die erstere einzubüßen, eben- sowenig besorge ich, daß mir der zweite jemals entrissen werden könne.“ Wer an diesen Zitaten noch nicht genug hat, der möge das Buch von TH. VoGEL lesen: Goethes Selbstzeugnisse über seine Stellung zur Religion. Leipzig 1888. 2. Aufl. 1900 und das Buch von Schmipr: Die Religiositàt der Frau Rat (Goethes Mutter). Leipzig-Döbeln 1899. Wahrlich die Gläubigen haben viel mehr Grund, sich auf Goethe zu berufen, als die Monisten oder Materialisten. 14) W. A. VIII. S. 1-- 60. 15) W. A. VII. S. 13—14. Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 137 16) Vergl. z. B. W. A. VIII. 63— 735. 17) J. H. O. Reys: Goethe en Camper als voorloopers van Darwin. Vragen van den dag. Juli 1909. 18) G. Cuvier: Tableau élémentaire d’histoire naturelle des animaux. Paris. an VI. Dieses Buch besaß Goethe selbst. Lecons d’anatomie comparée Paris. an VIII—XIV. Seither wurde die Typenlehre allgemein anerkannt. Zur gleichen Auffassung gelangte in Deutschland C. E. von Baer. 19) Diese Fragen werden im folgenden Aufsatz griindlicher behandelt. 20) H. v. HeLmHoLtTz: Populäre wissenschaftliche Vorträge. H. I. S. 45. Braun- schweig 1865. 21) Ben. DE MarLLeT: Telliamed ou entretiens d’un philosophe indien avec un missionnaire francais sur la diminution de la mer, la formation de la terre, l’origine de l'homme. Amsterdam 1748, Basle 1749, la Haye 1755. Aus dem Inhaltsverzeichnis der W. A. in Bd. XII u. XIII geht hervor, daß Goethe dieses Buch zitierte. Weiter fand ich auf dem Goethe-Archiv, daß Goethe dieses Buch aus der Bibliothek in Weimar noch in den Jahren 1806 und 1816 entlieh. DE MAILLET ist der Schöpfer der Descen- denztheorie, wie ich im Biologischen Centralblatt Bd. XXXII, Nr. 8, 20. Aug. 1912 gezeigt habe. Für E. DARWIN vergleiche Anmerkung 77 u. 79, für Vorer Anmerkung 96. Auf Burron will ich hier nicht näher eingehen, es würde mich zu weit führen, ich komme an anderer Stelle auf ihn zurück. Auch kannte Goethe MiraBEAU (Holbach): Systeme de la nature, London 1770 und A. KircHer’s Mundus subterraneus, Amster- dam 1678 (er lieh beide aus der Weimarer Bibliothek), die auch Variabilität lehrten. 22) Descendenztheoretiker zu Goethes Zeit waren außer den genannten Mau- PERTUIS 1768, DEL DE SALES 1777, TREVIRANUS 1802, GAUTIERI 1806, BERTRAND 1803, FABRICIUS 1804, LAMARCK 1809, HAGEN 1808, Doornik 1816, TAUSCHER 1818, BICHAT 1818, PANDER 1820, NOEGGERATH 1822, Link 1821, Kaup 1829 und andere. 23) K. F. Worrr: Theoria generationis. Diese Schrift wird weiter unten bei „Goethe und die Lehre von der Metamorphose“ besprochen werden. 2) XK AN, WADI “SAS u. 37. 25) Ich gab ein ausführliches Verzeichnis der Forscher, welche das Biogenetische Grundgesetz besprochen haben, im Zoologischen Anzeiger, Bd. XXXVIII, Nr. 20 u. 21, 14. Nov. ıgıı. Man findet dort vierzig. Zeitgenossen Goethes. Goethe lernte es 1797 durch Kielmeyer in Tübingen kennen (vergl. das Tagebuch 1797 W. A. Abt. III. Bd. II. S. 130.) Aus Herders Nachlaß Bd. I. S. 145, durch H. Düntzer, Frankfurt 1856. 26) Man vergleiche nur die Bildung des Fisches, Adlers, Löwen. W. A. VII. S. 19 u. 20, um deutlich zu verstehen, daß S. 18. 13 nicht etwa darwinistische Ideen gibt. Weiter VIII. 76, 27-28 und 77, 14. W. A. VI. 348. „Nachdem wir uns nun zu dieser Einsicht erhoben, so sind wir nicht mehr in dem Falle, bei Behandlung der Naturwissenschaften die Erfahrung der Idee entgegenzusetzen, wir gewöhnen uns vielmehr, die Idee in der Erfahrung aufzusuchen, überzeugt, daß die Natur nach Ideen verfahre, ingleichen daß der Mensch in allem, was er beginnt, eine Idee verfolge.“ VI. 358, 5—9. Grundintention der Gestaltbarkeit. VII. 72. „Dieses Ungeheure personifiziert tritt uns als ein Gott entgegen, als Schöpfer und Erhalter, welchen anzubeten, zu verehren und zu preisen wir auf alle Weise aufgefordert sind.“ Weiter VI. 77, 45. 27) W. A. VIII. 16, 7—10. 138 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 28) W. A. XIII. 42, 22. „Frühere Abneigung gegen die Causae finales“. Also die Abneigung verschwand später. Vergl. Anmerkung 26 oben. Um Goethe als Dua- listen kennen zu lernen, empfehle ich besonders: R. STEINER, Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung, Stuttgart 1866 (in Kürschners deutscher Nationalliteratur). 29) W. A. II. Abteilung III, Farbenlehre. Hist. Teil I. 314, 14— 20. BO) A AG NINE EA DIANE Uo ML ei, Sc 32) W. A. VII. 15, 5—9. 33) W. A. VI. 216, 4. 33) W. A. VI. 277, 25. SI) Wiel. VI 160, tise VIE IA VINTO ro: ON Nk 20. 2: 18317. 37) Die Physikotheologen bildeten etwa seit 1750 die Opposition gegen den Rationalismus. Sie sind uns heute ebenso unbegreiflich wie die Naturphilosophie, welche im Anfang des 19. Jahrhunderts aufkam. Über die Physikotheologen vergleiche O. ZöckLER: Geschichte der Beziehungen zwischen Theologie und Naturwissenschaft. Gütersloh 1877. 38) bei ECKERMANN. T. I. 11. 4. 1827. 39) J, F. BLUMENBACH: Beiträge zur Naturgeschichte. S. 124—ı30. Göttingen 1790. 40) J. Kant: Über den Gebrauch theologischer Prinzipien in der Philosophie 1788. 4) W. A. VII. 217. #2) W. A. VII. 220—222. Vergleiche VI, 286. 2) W.. A. VI. 221, IT und 229,11. 44) „Gebt mir Materie und ich will eine Welt daraus bauen; aber man kann nicht Gleiches von der Raupe sagen.“ J. Kant: Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels 1755. 45) WE A. VII. 222, To. 46) EckERMANN. T. III. 18. 4. 1827. NE A NL es SW. A. Vill 722 7 To. 49) W. A. VII. 76. 26—28. 59) W. A. VIII. 18, 13. VIII. 312—313. 51) W. A. VIII. 19 und 20. °) Diese werden an anderem Orte erscheinen. Siehe die Einleitung zu diesem Buch. 53) Ich werde später das Verzeichnis der Evolutionisten und derjenigen Forscher, welche nicht mehr an der Unveränderlichkeit der Art festhielten, bringen. Hier sei nur erwähnt, daß dieses Verzeichnis für die Transmutation bis zum Jahre 1832 (GoETHES Sterbejahr) jetzt schon hundert und dreißig Namen umfaßt und für die Zeit von 1832 bis 1859 (Darwıns Auftreten) weitere achtzig bringen wird. 5%) Vergleiche Anmerkung 22 und 53. 5) Vergleiche Anmerkung 25 und den zugehörigen Text. 56) Die Auffassung, daß die Tiere in den tieferen Erdschichten weit einfacher gebaut sind, als die in den höheren. Sie gilt nicht für die Familien, aber wohl für ganze Klassen des Tierreichs. 5?) Max MÜLLER: Natural religion. London 1889. Leipzig 1891. S. 257. 58) Oben S. 122 wurden bereits einige solcher Zitate angeführt. Alle müssen in anderer Weise gedeutet werden, als durch HÂCKEL geschah. Den einzigsten, der an Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 139 und für sich für Descendenz spricht, findet sich in „Geschichte meines botanischen Studiums“ (W. A. VI. 120), und wurde oben S. 122 erwähnt. Sie wird bei „Goethe und die Lehre von der Metamorphose“ wieder zur Sprache kommen. 59) W. A. VI. 303, bringt ein Kapitel „Genetische Behandlung“. Keine Silbe erinnert hier an Descendenz. Gegen diese spricht sehr entschieden die Vergleichung der Metamorphose der Pflanzen mit der der Insekten. So im Entwurf zur Morphologie, Bade Vito. 327 und S 370. 60) R. STEINER (Deutsche Nat. Literatur von J. KÜRSCHNER, T. XXXIII. S. LXVIII) schrieb: „Die äußeren Verhältnisse sind zwar die Veranlassung, daß sich der Typus in einer bestimmten Form ausbildet, die Form selbst aber ist nicht aus den äußeren Bedingungen, sondern aus dem inneren Prinzipe herzuleiten. Man wird bei dieser Erklärung die erstere immer aufzusuchen haben, die Gestalt selbst aber hat man nicht als ihre Folge zu betrachten. Das Ableiten von Gestaltungsformen eines Orga- nismus aus der umgebenden Außenwelt durch bloße Kausalität würde Goethe gerade so verworfen haben, wie er es mit dem teleologischen Prinzip getan hat.“ Ich zitiere diesen Satz nur, weil Steiner doch einer derjenigen ist, der sich recht bemühte in Goethe einen Vorläufer moderner Auffassung zu sehen (Goethe Jahrbuch XII. S. 190). Ganz im Sinne ideeller Evolution sind die folgenden Zitate Goethes aufzufassen, denen man ähnliche Bonnets zur Seite stellen könnte: „Soviel aber können wir sagen, daß die aus einer kaum zu sondernden Verwandtschaft als Pflanzen und Tiere nach und nach hervortretenden Geschöpfe, nach zwei entgegengesetzten Seiten sich ver- vollkommnen, so daß die Pflanze sich zuletzt im Baum dauernd und starr, das Tier im Menschen zur höchsten Beweglichkeit und Freiheit sich verherrlicht“ (VI. 13). „Er (Nees von Esenbeck) feiere mit uns den Triumph der physiologen Metamorphose, er zeige sie da wo das Ganze sich in Familien, Familien sich in Geschlechter, Geschlechter in Sippen und diese wieder in andere Mamnigfaltigkeit, bis zur Individualität scheiden, sondern und umbilden. Ganz ins Unendliche geht dieses Geschäft der Natur, sie kann nicht ruhen noch beharren, usw.“ (VI. 185). 6!) R. Kossmann: War Goethe ein Mitbegründer der Deszendenztheorie? Verh. des naturhistorisch-medicinischen Vereins zu Heidelberg N. F. Bd. I. S. 152. 1877. O. Scumipt: War Goethe ein Darwinianer? Gratz 1871. J. TH. CATTIE: Goethe ein Gegner der Descendenztheorie. Utrecht 1877. A. BLIEDNER: Goethe und die Urpflanze. Frankfurt t901. Der erste, welcher in Goethe einen Darwinianer sah, war wohl C. H. Mepine: Goethe als Naturforscher in Beziehung zur Gegenwart. Dresden 1861. 2) Hier wäre z. B. Cu. Lyeır zu nennen. Vergleiche seine Briefe an MANTELL, 2. März 1827 und an Darwin, 15 März 1863. CH. LyeLL: Liefe, letters and jour- nals. London 1881. 62) J. J. Rousseau: Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes. Besonders Note Io. Genève 1754. 6) W. A. Bd. XXVII. Warheit und Dichtung. T. II. S. 309-310. 5) J. Hermann: Tabula affinitatum animalium Argentorati 1783. Eine kürzere Auflage dieses Buches ist bereits 1777 erschienen (Würzburg-Straßburg). Außerdem war Hermann sehr mit Loder befreundet, unter dem Goethe später arbeitete. 66) Perer Moscati: Von dem körperlichen wesentlichen Unterschiede zwischen der Struktur der Tiere und Menschen. Aus dem Ital. übersetzt von JoH. BECKMANN. Göttingen 1771. Das Original erschien 1770 in Mailand. Delle corpore differenze essentiale che passano fra la struttura de bruti et la umana. Wurde auch ins fran- zösische übersetzt. 140 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 67) J. B. Mongoppo: Of the origin and progress of language 1789. Ancient meta- physics. 1784. 58) ScHILLER: Anthologie auf das Jahr 1782. ,Rousseau“ E. Krause (Die allgemeine Weltanschauung. Stuttgart 1889. S. 344) zitierte hierzu noch von Schiller: Was heißt und wie studiert man Universalgeschichte? 1789. Die erste Menschen- gesellschaft. 1790. °°) Des Lorp Monsoppo Werk von dem Ursprung und Fortgange der Sprache, übersetzt von E. A. Scumrpt, Riga 1784, mit einer Vorrede von Herrn General. superintendenten HERDER. 70) EckERMANN: T. I. 9. 11. 1824. ZI VA AV 20. 7?) Der andere Brief ist an KNEBEL gerichtet (Abt. IV. Bd. VI. 389). „Ich habe mich ‘enthalten das Resultat, worauf schon Herder in seinen Ideen deutet, schon jetzt merken zu lassen, daß man nämlich den Unterschied des Menschen vom Tier in nichts einzelnem finden könne. Vielmehr ist der Mensch auf’s Nächste mit den Tieren ver- wandt“. Diese Worte lassen sich übrigens ganz im Sinne des Urtypus deuten, Deszendenz braucht darin nicht zu liegen. | 78) J. Kant: Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie. 1788. 4) EcKERMANN: T. I. 12. 5. 1825. 75) GÜNTHER Jacopr: Kant unter den Weimarer Klassikern. Deutsche Rundschau. August 1908. 76) Es ist recht merkwürdig, daß dieser REINHoLD, bevor er nach Jena berufen wurde, Kant in einem anonymen Stück angegriffen hatte, um HERDER zu verteidigen. 77) Die Werke des älteren DARWIN waren damals weit verbreitet. Die „Zoonomia“, welche drei Auflagen erlebte (1794, 1796, 1801), erschien in deutscher Sprache (v. J. D. Brandis. Hannover 1795— 1799), in französischer und italienischer Übersetzung. Die „Phytologia“ erschien deutsch zu Leipzig 1801. „Loves of the plants“ soll ins französische und italienische übersetzt worden sein (1801, 1805). ,Botanic garden“ erlebte vier Auflagen (1789, 91, 94, 99) und erschien 1803 in portugiesischer Über- setzung, 1800 in französischer, 1805 in italienischer Übersetzung. Von „The temple of nature“ erschien nach 1803 fast jedes Jahr ein neuer Druck, 1808 auch eine deutsche Übersetzung. Über ihn und seine Affenabstammungstheorie handelte z. B. SCHELLING, Bonaventura 1805. S. 145. 78) Goethe kannte Lamarck! Denn in GEOFFROY SAINT HrLarres: Principe de philosophie zoologique 1830 wird er und seine Gedanken über Veränderlichkeit der Art erwähnt, und Goethe schrieb über dieses Buch zwei Referate. Weiter bestritt CUVIER Lamarck in ,Ossements fossiles“, Kapitel „Les espèces perdues ne sont pas des vari- étés des espèces vivantes.“ p.57, t. I de l’édition de 1821 und in „Revolution du globe“ (S. 49. 6. Aufl. Paris 1830). Goethe kannte beide Bücher sehr wohl, letzteres lieh er 1830 aus der Bibliothek in Weimar, ersteres besaß er selbst. LAmarcks Ideen las er jedenfalls aus dem gleich zu erwähnenden Buche von PANDER und D’ALTon. Überhaupt ist es eine Verfälschung der Geschichte, wenn immerfort behauptet wird, dafs Lamarck unbekannt blieb. Er war im Gegenteil allgemein bekannt, wie ich an anderer Stelle nachweisen werde. 7) Zweimal hat GoETHE sich über DARWIN ausgesprochen und zwar in Briefen an SÖMMERRING (S. Th. von Sömmerring: Leben und Verkehr mit seinen Zeitgenossen von R. Wagner I. Abt. Leipzig 1844. S. 15 u. 17). „Darwin hat schöne Bemerkungen, doch geht er in den Fesseln der Theorie gar ängstlich einher“. „Für die Recension Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 141 von Darwin habe ich Ihnen auch zu danken, sie hat mir mit einem Male klar gemacht, warum mir das Buch nicht behagen wollte“. Die Briefe sind vom 17. Febr. 1794 und 17. Aug. 1795. (W. A. Abt. IV. Bd. X. 141, 287.) 80) G. GAUTIERT: Slancio sulla genealogia della terra e sulla costruzione dinamica della organizzazione. Jena 1806. 81) W. A. VIII. 234 - 238. 82) K. M. v. STERNBERG: Versuch einer geogr. botan. Darstellung der Flora der Vorwelt. Heft 2. S. 38. Heft 3. Vorwort. Leipzig und Prag. 1820— 1838. 83) A. VoLBORTH: De bobus uro, arni et caffro. Dissertatio. Berolini 1825. VOoLBoRTH berief sich bei diesem Angriff auf GoETHE. 84) W. A. VIII. 223—232. VIII. 247—254, VII. 238. VII. 201, 15. VII. 203, 14. SL, mar, | 85) Bekanntlich liebte GoETHE den Ausdruck „Metamorphose“ sehr und gab 1790 eine Schrift heraus: „Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären“. Daß er mit diesem Worte die verschiedensten Dinge bezeichnete, werden wir später sehen: „Goethe und die Lehre von der Metamorphose“. 86) Als Katastrophentheorie bezeichnet man diejenige Auffassung, welche annimmt, daß die Erde zu wiederholten Malen durch gewaltige Naturerscheinungen verwüstet und aller organischer Wesen beraubt worden sei. Auf jede solche Katastrophe folgte dann eine neue Schöpfung. 87) CuvrER wurde als Anhänger oben genannter Theorie dabei zurückgewiesen. 88) Auch der oben genannte KoERTE war Lamarckianer, glaubte also, daß die Tiere sich abändern, wenn der Wunsch nach Veränderung sich bei ihnen fühlbar macht. Vergl. W. A. VIII. 236. 8°) Die Autoren berufen sich dabei auf den oben genannten Moscati. 8°) Dieser Artikel folgt auf die Nagetiere, deren Beschreibung schon gleiche Sinnungsart zeigt, als der hier genannte Artikel. Der Lamarckismus wird kurzweg verurteilt. : 5 9%) W. A. VIII. 253. 92) Dieses gewiß absichtliche Totschweigen PAnvers fällt nicht weniger auf bei der Erwähnung von dessen berühmtem Werk über die Embryologie des Hühnchens. Über dieses schrieb GortHe (W. A. VIII. 224): „So ist die Entwicklungsgeschichte des Hühnchens aus dem Ei, woran er (p’ALton) so treulichen Teil genommen (er lieferte die Zeichnungen) nicht etwa ein einzeln aufgegriffener Gedanke usw.“ Also auch hier wird nur der Zeichner p’ALTON genannt und nicht der Verfasser PANDER. PANDERS Namen hat GoETHE wie den Vico p’Azyrs nie erwähnt. Hieraus und aus dem oben für Lamarck und Darwin Mitgeteilten geht wohl hervor, daß er einfach das totschwieg, was ihm unsympathisch war. Darin folgte er Linné nach, der immer gleiches tat, und so schwieg GoETHE seinerseits über die Ansichten Linnés über Variabilität und neue Species durch Kreuzung. 9) PAnDER lebte noch bis 1860. Von seinem Leben ist fast garnichts bekannt. Sollte vielleicht Verbitterung ihn dazu gebracht haben, sich in Einsamkeit zurückzuziehen ? Er bearbeitete noch die Histoire naturelle für DE MeveNporrrs „Voyage à Boukhara“ 1826 und gab von 1856—1860 noch kleinere aber vorzügliche Studien über fossile Fische. SEIT 7822. INC RSS: ; 9%) Besonders in: Grundzüge einer Naturgeschichte. Frankfurt 1817. GorTHE besaß dieses Buch selbst, sowie auch die anderen Werke Voicrs. 142 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 9) A. S. Packarp. Lamarck. The founder of evolution, his life and work. New York ıgor. SN Ville Na Walls B35 Cp 2) We VIT 821.10. BI) Ne AG Wile Bley Or 7 101) W. A. VII. 90, 25. Man vergleiche Bd. XII. S. 168. „Freilich muß die Umänderung eine Grenze haben“. Und Bd. VI. 225 wo GoETHE die Worte zitiert: „Die Kritik der in unserer Zeit so oft behaupteten und bestrittenen Verwandlungen einer Pflanze in die andere, welche der Naturforscher, ohne aller Gewißheit zu entsagen, nicht einräumen darf, gewinnt wieder einen festen Boden“. Die Metamorphose ist ein ideeller, die Konstanz der Art ein reeller Gedanke. 102) E. H. F. Meyer blieb bei dieser Auffassung und verteidigte sie noch 1853 mit Berufung auf GoETHE: „Über die Beständigkeit der Arten besonders im Pflanzen- reich (Vortrag). Königsberger Naturwissenschaftliche Unterhaltungen. N. F. I. 1853. 1%) ScHELLInG der Vater der Naturphilosophie war von 1798 bis 1802 Professor in Jena. BRrATANEK schrieb über sein Verhältnis zu GoETHE (Goethes Naturwissen- schaftliche Korrespondenz. Leipzig 1874. S. LIX): „Neue Forschungen und Spekulationen aus dem Gebiete der Physik und Naturphilosophie werden ihm durch ScHELLING eröffnet, mit dem er einen regen persönlichen Gedankenaustausch bis zu dessen Übersiedelung nach Würzburg unterhielt“. (Vergleiche W. A. XI. 53). Ein anderer Naturphilosoph war B. H. BLascHE, der ebenfalls in Jena studierte. F. S. Voret war Professor in Jena, vergleiche VI. 250, 256, 268. L. Oxen wurde durch GoETHE nach Jena berufen (E. Krause. Geschichte der biol. Wissenschaft. S. 574. Berlin 1901), über ihn VI. 257, 223. J. B. Wirsranp war Professor in Jena. VI. 223. J. F. ACKERMANN, ein Naturphilosoph, wurde 1803 durch GoETHE nach Jena berufen. F. J. ScHELVER, ebenfalls eia eifriger Anhänger der Naturphilosophie, war Privat- dozent in Jena. GoETHE zitiert ihn VI. 189, 223, 241, 243, 253. C. G. NEEs von ESENBECK studierte in Jena, später Professor in Bonn und Erlangen. Über ihn VI. 185, 223, 255, 257. G. A. GoLpruss war ein Freund von NEES von ESENBECK und gleicher Richtung, beide dozierten in Bonn und Erlangen. D. G. KiesER, Professor in Jena. VI. 251, 254, 223. J. W. Ep. D’ALTON war ein Schützling des Großherzogs von Weimar und von GoETHE. Über ihn wurde oben schon ausführlich gehandelt. Vergleiche ECKERMANN. T. I. 1, 2, 27. T. HI. 16, 4, 25. Er mußte wohl ein Mann nach GoETHEs Herzen sein, denn „er vereinigte den philosophischen Naturforscher, den gebildeten Kunst- kenner und den ausübenden Künstler in einer Person“. (Allg. deutsche Biogr.) Er war denn auch Professor der Kunstgeschichte in Bonn, E. H. F. MEver. Oben wurden Zitate von ihm gebracht. Durch GoETHEs Einfluß nach Königsberg berufen. Vergleiche ECKERMANN T. I. 1, 2, 27. C. G. Carus. Schon öfter erwähnt und weiter unten näheres. GoETHE zitiert ihn VII. 214. VIII. 168, 255. XI. 141. Eckermann T. I. 1, 2, 27. J. Sprx. W. A. VI 240. VII. 181, 214. VIII. 123. Er war ein Schüler von GEOFFROY SAINT HILAIRE. L. H. Bojanus. VI. 214. H. STEFFENS. VI. 223. studierte in Jena. = 6 = Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 143 Aus alledem ersehen wir, daß Jena die Hochburg der Naturphilosophie war und zwar unter GoETHES Mitwirkung. Auch KIELMEYER, den manche zu den Begründern der Naturphilosophie rechnen, kannte GoETHE gut aus seinem Stuttgarter Freundeskreis. Über Goethes Verhältnis zur Naturphilosophie vergleiche besonders G. CuviER: Histoire des sciences naturelles. Paris 1830— 1832, herausgegeben von MADELEINE DE ST. Acy. E. du Bois Reymonp (Reden I. S. 436—37) ,Mehr als Goethes wirkliche Leistungen nützen konnten, schadete aber sogar die falsche Richtung, welche er der damals durch die sogenannte Naturphilosophie schon hinlänglich betörten deutschen Wissenschaft vielfach einpràgte. Man erinnere sich des argen mit der Wirbeltheorie getriebenen Mißbrauches. Weithin verbreitet in den Schriften jener Zeit findet man seine unver- kennbare Manier, seine bedenklichen Maximen, seine gereizten Vorurteile.“ 104) W. A. VIII. 259, 11. Vergleiche als echt naturphilosophisch. W. A. VII. 37. VI. 189— 193. 105) K. v. BARDELEBEN: Goethe als Anatom. Goethe-Jahrbuch XIII. S. 163, 192. 106) W. A. XIII. 230. 27— 33. 10%) W. A. XIII 251. 12— 13. 108) E. Dacoué: Der Descendenzgedanke und seine Geschichte im Altertum bis zur Neuzeit. München 1904. Gleiches Urteil finden wir bei R. WAGNER (Sömmerrings Leben. I. Abteilung. Leipzig 1844. S. 185): „Es war eine Zartheit in der Natur- betrachtung und ein sittliches Element, ein Ernst in der Forschung, welche auch bei Goethes, freilich mehr ästhetischem als streng wissenschaftlichem Bemühen, sich eine Kenntnis der natürlichen Erscheinungen zu verschaffen, uns so wohltuend entgegen- tritt.“ Du Bors Reymonp (Reden II. S. 159. Leipzig 1887): „Die Überwucherung der Wissenschaft mit Ästhetik“. 109) Die heute weit verbreitete gegenteilige Auffassung wurde besonders durch HAECcKEL und Krause eingeführt. (E. Krause: Gesch. d. biol. Wissensch. im 19. Jahr- hundert. Berlin 1901. Die allgemeine Weltanschauung. Stuttgart 1889.) — UE Goethes Parteinahme am Kampf in der Pariser Akademie vom Jahre 1830. In GoETHE verehrt ein jeder wohl in erster Linie den Dichter, und dürfte man schon darum erwarten, daß sein Schwanengesang dem Gesang der Geister über den Wassern, dem Rauschen der Wipfeln ähnlich gewesen sei. Das ist aber durchaus nicht der Fall. Gorrxes letzte Arbeit brachte Betrachtungen über ein, die Naturgeschichte behandelndes Buch !), das ihm so wichtig dünkte, daß er demselben sogar zwei Besprechungen widmete. Es war eine Streitschrift, die durch GOETHE jauchzend begrüßt wurde, weil sie seine Gedanken stützte, — (m — 144 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. verteidigte. Darum wünschte er sie auch in den deutschen Leser- kreis einzuführen, darum pries er sie ohne irgend einen Vorbehalt und wurde durch diese fast leidenschaftliche Parteinahme auch mit verantwortlich für den Inhalt und Einfluß dieses Buches. Deshalb ist diese Streitschrift und der Streit, aus dem sie hervorging, äußerst wertvoll, um den Naturforscher in GoETHE kennen zu lernen. Bevor wir auf dieses Buch näher eingehen, empfiehlt es sich einige allgemeine Betrachtungen vorausgehen zu lassen. Der durchaus nüchterne, konkret denkende Naturforscher Cuvier hat die sehr richtige Bemerkung gemacht, daß von allen Wissenschaften die Naturgeschichte der Philosophie am nächsten verwandt sei. Kein Naturforscher begnügt sich damit, um ein- fach die beobachteten Tatsachen zu beschreiben, vielmehr führen diese ihn stets wieder zu der Frage, nach dem „warum“ oder „wie“ die Dinge heute noch entstehen oder einmal entstanden sind; das können die Tatsachen allein ihm aber niemals lehren. Darum muß er die Philosophie, sei es eine metaphysische oder mechanische, heranziehen oder auf jede Erklärung verzichten. Eine allgemein befriedigende Erklärung wird er aber nicht geben können, solange wir nicht wissen, wie das organische entsteht, was Leben ist. Solange diese Rätsel nicht gelöst sind, wird Streit und Parteistellung in der Naturgeschichte fortdauern. Um das Unerklärliche einigermaßen plausibel zu machen, griff man zu GorTHEs Zeit (greift man auch heute noch) nach zwei verschiedenen Erklärungen. Erstens die heute weit verbreitete mechanische, welche prinzipielle Unterschiede zwischen dem organi- schen und anorganischen Reich nicht zugeben will und alles auf mechanischem Wege zu erledigen sucht. Diese Partei war in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Frankreich sehr mächtig gewesen und hatte wohl in pe LAMETTERIE und HotBacH ihren Gipfel- punkt erreicht. Wir haben oben gezeigt, daß GoETHE sich schon zu Straßburg von ihr zurückzog. Sie hatte im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts allen Einfluß verloren. Der andere Erklärungsmodus war (und ist) ein vitalistischer oder supernaturalistischer. Er knüpfte entweder an die Bibel oder an den Spinozismus an, führte also das Leben entweder auf den Gott der Bibel oder auf die Gott-Natur Spinozas zurück. Alle bedeutenden Natur- forscher, welche wir hier zu erwähnen haben werden, gehörten zu dieser Gruppe. Cuvier, GEOFFROY SAINT HiLAiRE, Lamarck, alle u Garr Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 145 glaubten an Gott. GorTHe war Spinozist, mit, wie wir früher ge- zeigt haben, starker Hinneigung zum Glauben der Bibel, wozu ihn auch wohl seine Liebe zur Kunst trieb, die ja in Darstellungen christlicher Gedanken so Großes geleistet hatte. Kunst und Natur- betrachtung waren bei GoETHE stets innig vereinigt ?). Nun konnte man 1. solche supernaturalistischen Anschauungen entweder zur Erklärung aller Erscheinungen heranziehen, oder 2. man suchte nach psychisch oder 3. mechanisch wirkenden Natur- gesetzen, die dann allerdings auf den Schöpfer zurückgeführt wurden. Die erste Anschauungsweise war die der Physico- theologen, die ein unmittelbares Eingreifen des Schöpfers beim Kleinsten forderten, die das Suchen nach Naturgesetzen als Be- einträchtigung seiner Allmacht verwarfen und weiter behaupteten, daß alles zum Nutzen oder doch in bezug auf den Menschen geschaffen sei. Diese Geistesrichtung wurde auch von den frömmsten Naturforschern verurteilt, und so auch durch GOETHE. Der Naturforscher im eigentlichen Sinne ließ den übrigens unbestrittenen vitalistischen, kreativen Ursprung aller Dinge bei seinen Forschungen zur Seite, wie gläubig er auch sonst im Privat- leben war (NewTon), und suchte zur Erklärung der Erscheinungen nach Naturgesetzen, ohne auf deren Ursprung weiter einzugehen. Solche Gesetze sollten mechanisch wirken, wenn auch ihr Ur- sprung ein vitalistischer war. So faßte auch ein Cuvier seine Stellung als Naturforscher auf, und mit ihm die ganze konkret zu nennende Schule. So wie man mit solchen Naturgesetzen, die mühsam aus den Tatsachen abstrahiert werden mußten, nicht weiter auskam, machte man einfach halt mit den Worten „das können wir nicht wissen, das liegt außerhalb des Forschungs- kreises“. Für diesen zog man also eine Grenze, die jeder Forscher allerdings anders steckte und von der man annahm, daß sie immer weiter zurückweichen werde, je mehr unsere Kenntnisse zunehmen. GoETHE, der die Physicotheologen so scharf verurteilen konnte, wollte sich trotzdem nicht in solch ein begrenztes Gesichtsfeld einschließen. Er glaubte an seine spinozistische (pantheistische) Gott-Natur, die alles durchdringt, und wollte durch diese alles erklären. Er glaubte durch seine Denkkraft den Gedankengang der Gottheit ergründen zu können. Die Naturgesetze, nach denen er forschte, waren darum auch nicht mechanischer Art, sondern psychischer, ganz wie die Formen eines Kunstwerkes durch die = @ = 146 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. Psyche des Künstlers bestimmt werden. Diese Schule könnte man darum auch die psychische nennen. Solche Auffassungen teilte er mit der deutschen naturphilo- sophischen Schule, welche durch SCHELLING gestiftet wurde, und alles durch psychologische Gründe erklären wollte, wobei die Tat- sachen nicht mehr die führende Rolle hatten. GorFTHE und die Natur- philosophen gingen also stets von einem aprioristischen Gedanken aus, zogen diesen überall hinein und kannten keine andere Grenze als die Erklärung der Gott-Natur selbst. Aus einigen oft unge- nügend beobachteten Tatsachen bildete man Ideen, wie die der ursprünglichen Einheit der Form für alle Tiere, der Gleichheit aller Seitenteile einer Pflanze, der ursprünglichen Gleichheit aller Unterabteilungen des Tierkörpers. Solche Ideen nannte man dann Naturgesetzel Es waren psychische Leitmotive der Gott- Natur! Durch diese erklärte man nun alles! So ging man also schließlich wie die Physicotheologen von aprioristischen Gedanken aus, man ging weiter viel zu schnell und zu weit, weil es so leicht war der Gott-Natur menschliche Gedankengänge zuzuschreiben. So konnte man schließlich ohne mühsame Erforschung oder Ver- gleichung der Tatsachen weit fortschreiten in der sogenannten Erklärung der Erscheinungen?). So konnte man „inspiriert‘ schreiben. Da man nun überzeugt war, daß solche Ideen dem Gedanken- gang der Gott-Natur abgelauscht seien, so verlangte man, daß die Tatsachen sich den Ideen anpaßten, man deutete darum so lange an ihnen herum, oder sah einfach über andere unbequeme hinweg, bis alle in die Ideen hineinpaßten. Gegen diese Verge- waltigung der Natur widersetzte sich natürlich die andere, die konkrete Schule, die man mit den Namen Newton und Cuvier bezeichnen könnte. Die psychische oder philosophische Schule warf der konkreten Schule vor, daß sie nur eine Sammlerin von Tatsachen sei, daß sie diese niemals erklären könne, daß sie den rastlos nach dem warum und wie fragenden Geist des Menschen nicht befriedigen könne. Die konkrete Schule suchte zwar auch und ununterbrochen nach Naturgesetzen, aber sie wollte sich dabei nicht weit von den direkt zu beobachtenden Tatsachen entfernen und beschränkte sich darum auf einen engeren Gesichtskreis. Sie verteidigte sich weiter mit der berechtigten Behauptung, daß die Naturphilosophen an — Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 147 das Resultat vorweg nahmen, während sie es vorzöge, langsam, langsam aus dem immer größer werdenden Tatsachenmaterial Schlüsse zu ziehen, die vielleicht nach Jahrtausenden zu einer nicht vorweggenommenen, sondern aus den Tatsachen abge- leiteten Erklärung der Erscheinungen führen würden. Zwischen beiden Richtungen gab es natürlich viele verbin- dende Übergänge. Es wird wohl einem jeden deutlich sein, daß die Zugehörig- keit zu der einen oder anderen Richtung nicht so sehr durch die Kenntnisse als durch das jedem eigene Temperament bestimmt wurde (wird). Schon aus diesem Grunde müssen beide Rich- tungen immer parallel nebeneinander hergehen, wenn sich auch die Formen bei der philosophischen Schule stets ändern. So trat der Monismus HarckeLs an die Stelle der Naturphilosophie oder des Spinozismus. In seinen historischen Betrachtungen schließt ersterer sich immer gerne an letztere an. Er unterscheidet sich aber von diesen durch die Aufnahme des Materialismus in sein System. Die philosophische, von aprioristischen Gedanken ausgehende Richtung wird manchmal Richtiges erraten und so durch geniale Zusammenfassung und Durchsicht die Wissenschaft bedeutend fördern. Dabei wird sie aber die am besten begründeten Be- obachtungen, deren auch sie nicht entbehren kann, der Gegen- partei zu danken haben, weil diese die Natur mit mehr unpartei- ischen Augen ansieht. Die eigenen Forschungen der philosophi- schen Schule hingegen werden immer Tendenzarbeiten bleiben und darum ihren Wert verlieren, wenn die betreffende Tendenz nicht mehr die Geister beherrscht. Wer liest heute noch die Arbeiten der naturphilosophischen Schule? Die konkreten For- schungen eines Cuvier haben hingegen noch nichts von ihrem Werte verloren. Ich würde die eine Schule eine glückliche Ergänzung der anderen nennen, wenn nicht die philosophische Richtung meist in einen Dogmatismus ausartete, und ihrer ganzen Art nach, ganz wie die Theologie, die Alleinherrschaft beanspruchte. Das taten GoETHE und ScHELLING und alle Naturphilosophen, das gleiche sah man in den letzten Jahrzehnten an der monistischen Schule Harckers. Meist wird ihr dies auch dadurch leicht gemacht, weil sie die große Menge der aktiven Naturforscher meist auf ihre Seite zieht, verspricht sie doch schnelle auffallende Resultate, während Zool. Annalen V. 10 — @ = x 148 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. die konkrete Schule mehr auf die Zukunft vertröstet. Erstere zieht an, weil sie alle Fragen scheint beantworten zu können. Sowie solch eine Richtung aufkommt, strömen ihr denn auch, besonders aus den Kreisen der jüngeren Forscher, viele Anhänger zu. Die konkrete Schule besteht gewöhnlich nur aus einzelnen hervor- ragenden Männern und stillen Arbeitern, sie sind keine Propagan- disten, auch können sie von den Anhängern der philosophischen Schule furchtbar zerzaust werden. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sehen wir besonders einen Cuvier der philosophischen Schule widerstreben, in der zweiten spielte VırcHow eine ähnliche Rolle und zwischen beiden steht der Zeit nach der weit ruhigere Jonannes MÜLLER. Im Jahre 1830, welches wir hier zu betrachten haben, stand die naturphilo- sophische Schule in Deutschland in voller Blüte ®). War ein GOETHE in seinen älteren Arbeiten noch in gewissen Grenzen geblieben, so philosophierten die Jünger ScHELLINGs nur so ins Blaue hinein, und GoETHE ließ sich mit seiner Polarität, Spiraltendenz und anderen Ideen von ihnen mitreißen. Er hatte seine Freude an diesen jüngeren Naturforschern, referierte ihre Arbeiten, gab zu, daß sie in seinem Geiste arbeiteten und verhalf ihnen zu akademischen Würden. Niemals bestritt er ihre tollsten Ausschweifungen. Diese jüngeren Forscher waren ihrerseits natürlich höchst erfreut über diese Unterstützung, ahmten GoETHEs Stil und Aus- drucksweise nach, feierten ihn als Naturforscher und widmeten ihm ihre Bücher. Darum gehört GoETHE auch zur naturphilosophi- schen Schule >). Als diese anfing sich auszubilden, schrieb der Tübinger Professor AUTENRIETH im Jahre 1801 an Cuvier: „Bereiten sie sich aber immer- hin darauf, die Nachbarschaft von Deutschland wird nicht ohne einigen Einfluß dieses literarischen Terrorismus und dieser universali- sierenden Philosophiesucht auch auf die französische Literatur sein“. So geschah es denn auch. Madame pe STAEL brachte ihr berühmtes Buch „L’Allemagne“, wodurch die Franzosen in die deutschen Geistesstròmungen eingeführt wurden. SCHELLINGS Schriften wurden nun ins Französische übersetzt und die deutsche Schule gewann einen bedeutenden Anhänger in E. Grorrroy SAINT Hıraıre, der bis dahin der intime Freund und bedeutende Mit- arbeiter Cuviers gewesen war®). Durch Grorrroys Parteinahme ~ lockerte sich diese alte Freundschaft, es bildeten sich Unterschiede LS RE ES Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 149 aus, die nicht zu überbrücken waren und schließlich brach der offene Kampf aus. Dieser gab Anlaß zu dem Erscheinen der oben angedeuteten Streitschrift, die GOETHE so sehr interessiert hat. Es ist über diesen Streit unzählige Male geschrieben worden, es hat sich über ihn eine bestimmte ast allgemein verbreitete Meinung ausgebildet, deren Richtigkeit wir besonders darum zu prüfen haben, weil die moderne Naturauffassung mit ihrem HAEcKEL- schen Darwinismus und Monismus gerne an diesen Kampf an- knüpft, und GorrHE nach seiner Parteinahme zu diesem Kampf beurteilt. Wir haben also alle Prozeßakten genau zu durch- forschen, um festzustellen, ob der Streit ein prädarwinistischer ge- nannt zu werden verdient. Auch Grorrroy Saint HıLAırE, der wie GoETHE sich gerne an Burron anschloß, ging von dessen Idee eines gemeinsamen Urtypus für alle Tiere aus und benutzte infolgedessen mit Vorliebe die Ausdrücke „Unite de plan, Unité de composition“. Diese Auffassung Burrons war durch die Vergleichung des Menschen mit den Säugetieren entstanden und für diese ist eine „Unite de plan“ gewiß nicht abzuleugnen. In gewissem Sinne gilt sie auch für alle Wirbeltiere, also auch für Vögel, Fische usw., da ja alle ein aus Wirbeln zusammengesetztes Rückgrat besitzen, das, wie der Name schon aussagt, an der Rückenseite des Tieres liegt, während die Eingeweide sich an der Bauchseite be- finden. GEoFFRoY hatte oft in Zusammenwirkung mit Cuvier be- deutende Beiträge für die Vergleichung der Wirbeltiere unterein- ander geliefert, wollte sich aber damit nicht begnügen, als ihn die Naturphilosophie umgarnt hatte. Wie GortHE forderte er nun daß diese „Unite de plan“ für alle Tiere gelten sollte. Während GOETHE aber, der die niederen Tiere nicht kannte, sich auf All- gemeinheiten beschränkte °), versuchte Grorrroy eine detaillierte Vergleichung durchzuführen. Unite de plan wurde der Eckstein seiner Philosophie, dem er seine weiteren zahllosen Arbeiten widmete. Von den niederen Tieren schienen die Insekten und Krebs- tiere sich am besten zur Vergleichung mit Wirbeltieren zu eignen; darum versuchte GEoFFRoY nachzuweisen, daß auch diese ein Gerippe besitzen. Insekten und Krebstiere haben aber keine inneren Knochen, sondern nur einen äußeren Panzer, eine Horn- oder Chitinumkleidung, ähnlich dem Hautpanzer einiger Wirbel- tiere. Dieser Hautpanzer der Insekten ist in Ringe eingeteilt, | 10* Ré 150 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. wodurch größere Beweglichkeit erreicht wird. Da nun auch die Wirbel der Wirbeltiere eine Ringform zeigen, so kam GEOFFROY auf den Gedanken, daß die Ringe des Hautpanzers mit den Wir- beln zu vergleichen seien. Bei den höheren Tieren umschließen die Ringe der Wirbel aber nur das Rückenmark, bei den In- sekten umgeben die Panzerringe den ganzen Körper. GEOFFROY schloß demnach, daß die Wirbel sich bei Insekten derartig aus- gedehnt hätten, daß alle Eingeweide in die so entstandene Höhlung hineingerollt wären. Das schien das Ei des Columbus und GEOFFROY war glückselig, daß er auf diesen genialen Gedanken gekommen war. „Une des plus grandes joies que j’ai ressenties en ma vie me fut procurée par le bonheur de mes apercus sur l’organisation des insectes®).“ Ganz wie der glückstrahlende GoETHE bei seiner vermeinten Entdeckung des Zwischenkieferknochens wußte er nicht oder wollte er später nicht anerkennen, daß er dabei alte Gedanken wiederholte. Der Insektenkörper war demnach eine Wirbelsäule. An un- serer Wirbelsäule sind Rippen befestigt, und auch diese fand (1EOFFROY bei Insekten. wieder, denn ihre Extremitäten, meinte er, wären einfach umgeänderte Rippen. Einige Schwierigkeit machte es anfangs, daf der Hauptnervenstrang bei den Insekten an der Bauchseite liegt, bei uns an der Rückenseite, aber auch dafür wußte GEorrroy Rat. Er drehte das Insekt einfach um und er- klärte nun, daß die Insekten Tiere seien, die sich um 180° gedreht hätten, also aus dem Rücken einen Bauch gemacht hätten und so auf dem Rücken liefen?. Die Insekten und Krebs- tiere gehörten demnach nun auch zu den Wirbeltieren. Darin pflichtete GorTHE ihm bei. Solche Vergleichungen der Tiere untereinander liefen parallel mit ähnlichen bizarren Vergleichungen der einzelnen Teile eines Körpers untereinander. Da man den Wirbel als aus vier Teilen zusammengesetzt betrachten kann, so verglich man alles mit Wirbeln, woran man vier Teile unter- scheiden konnte. So die Schulter, den Arm, die Handwurzel- knochen, die Finger. Alle waren also aus Wirbel hervorge- gangen und dieser wurde die Urform des tierischen Körpers wie das Blatt für die Seitenteile der Pflanze. Darauf kommen wir bei der Lehre der Metamorphose zurück. Am weitesten ging wohl Carus in Leipzig (Dresden), der schließ- lich auch die Eingeweide aus Wirbeln entstehen ließ !°). Alle diese Phantasien hat GoETHE freundlichst begrüßt, wiederholt wies er 2 SIRIA Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 151 auf Carus hin und sah in dessen Arbeiten Ausflüsse der eigenen Ideen !!), Er überbot sogar alle seine Freunde als er die Gelenke der Finger mit den Knoten des Pflanzenstengels verglich !?), Wir werden sehen, daß Grorrroy es versuchte, ihn auch darin zu er- reichen oder zu überflügeln. Ich bin auf diese Dinge etwas näher eingegangen, weil sie so deutlich zeigen, was Naturphilosophie war und wie man, um doch den Gedanken an die Einheit in der Natur durchzuführen, zu den tollsten Vergleichungen sich verleiten ließ. Dabei war der ganzen Schule gemeinsam die innige Über- zeugung eigener Superiorität, daher die gereizte Sprache bei jedem wenn auch stillschweigendem passivem Widerstande. Der Glaube an ihr Prophetentum äußerte sich in einer Sprache, die besonders durch ihren lächerlichen Dünkel uns zurückstößt. Jedem Einwurf begegnete Grorrroy mit den oft wiederholten Worten: „E pur si muove“. Da er sich so mit GALILEI verglich, mußte er natürlich auch sein Märtyrertum haben. Überall wurden ihm Schwierigkeiten in den Weg gelegt, die von Leuten ausgingen, die durch Cuvier inspiriert wurden, während dieser selbst beharrlich schwieg. Gerade dieses Schweigen ärgerte ihn und so versuchte er es, Cuvier zum öffentlichen Widerspruch zu reizen: „Möge also Herr Cuvier sich bald erklären. Die Richtung, welche seine Werke der philosophischen Anatomie gegeben haben, die Stütze, welche er fortdauernd einer Wissenschaft schuldig ist, die ihm so viel Ruhm gab, die Erwartung des ganzen gelehrten Europas, alles macht es ihm zur Pflicht“ 13). Wir lesen in diesen Worten die Anerkennung der oben nieder- geschriebenen Behauptung, daß die philosophische Schule mit dem von der konkreten Schule zusammengebrachten Tatsachenmaterial operierte. Wir sehen weiter, daß Grorrroy annahm, daß die Ge- lehrten Europas sich in erster Linie für seine kühnen Theorien interessierten. Wir werden gleich sehen, wie sie von den ernsten Naturforschern in Deutschland empfangen wurden. Es ist überaus wichtig, zur weiteren Beurteilung des Streites, daß Grorrroy den schweigenden Cuvier schon 1820 und 1822 zum Kampfe einlud. Cuvier machte zwar ab und zu einige Ein- wirfe gegen die Naturphilosophie im allgemeinen, aber an den naturphilosophischen Arbeiten Grorrroys ging er schweigend vor- über. Er kannte ja auch dessen heftige Art, die Grorrroy dazu verleitete auf jede allgemeine Zurückweisung der Naturphilosophie = 9 = 152 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. als auf einen ihm persönlich geltenden Anfall zu antworten. Machte Cuvier in einer Sitzung der Akademie solche kritische Bemerkungen, und meinte Grocrroy, daß Cuvier ihn dabei ange- sehen habe, dann genügte ihm dies schon, um einen Zeitungsar- tikel gegen Cuvier loszulassen. So nahm die Gereiztheit von 1820 bis 1830 immer mehr zu {). Wir müssen aber nochmals zum Anfang dieses Dezenniums zurückkehren, um GEOFFRoYs Arbeiten noch weiter zu charakteri- sieren und um deren Beurteilung in Deutschland zu zeigen. Im Jahre 1822 wiederholte GEoFFRoY nicht nur seine Einladung zum Kampfe an Cuvier, sondern behauptete nun auch, daß der Widerstand, auf den er stieß, nur durch Neid herorgerufen werde. Man gönne ihm seine wundervolle Entdeckung nicht, die die Ge- heimnisse der Natur entschleire, trotzdem sei er seines Sieges ge- wiß 5). Diese Siegesgewißheit führte ihn dazu, immer phantasti- schere Vergleichungen aufzustellen, die wohl sein Genie oder seine Originalität beweisen sollten. Die Kiemenbögen der Fische wurden verglichen mit den Knorpelringen unserer Luftröhre 1%), der Hautpanzer der Schild- kröte mit den Muschelschalen der Weichtiere !?), die Vogel wurden als die höchst entwickelten organischen Wesen gefeiert!®). Solche Phantasien wirkten ansteckend. BLanviLLE !9), ein gewaltiger Streber, schloß sich an Grorrroy an, andere zeigten verwandte Gedanken (Pariset, FLourens, Anpourn, LATREILLE), aber GEoFFRoY überbot sie alle. Sehen wir uns nun in Deutschland um. GEOFFROY war durch die deutsche Naturphilosophie zu seinen Phantasien angeregt worden und darum kann es nicht befremden, daß dort Tuon (1815) und EscHuotrz (1819) schon vor GEOFFROY auf den Gedanken gekommen waren, den Panzer der Insekten mit Wirbeln zu vergleichen #9). Auch wurden die Verhandlungen von GEorrroy und BramvirLe anfangs ins Deutsche übersetzt und in Mecxets Archiv aufgenommen. Bald stießen dort solche Phan- tastereien aber auf ernsten Widerspruch, so von HEusInGER (1823), Nitscu (1826) und K. E. von Barr (1826) ”}). Heusincer nannte Grorrroys Arbeit einen von Paradoxen wimmelnden Aufsatz und seine Vergleichungen ein „Herumtappen“. Spottend schrieb von Barr: ,,Grorrroy freilich, der sich für den Schöpfer der Philosophie in der Naturwissenschaft ansieht‘ und weiter „daß es scheint, es habe jemand unter Grorrroys Namen Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 153 eine Satyre auf seine Vergleichungs-Methode machen wollen“. „lassen wir diese Spielereien auf sich beruhen.“ So urteilten ernste Naturforscher. Nur einige der tollsten Naturphilosophen wie Carus und dann eben Gortne blieben in solchen Gedanken verstrickt. Für GöETHE müssen wir wohl annehmen, daß eı die ein- schlägige Literatur gar nicht mehr verfolgte. Alles was er nach 1790 über Naturwissenschaften schrieb, zeigt aufs deutlichste, daß seine Gedanken nie mehr aus dem Kreise heraustraten, den er sich vor der Zeit gebildet hatte. Neues kam nicht mehr hinzu. Was hinzu kam, waren naturphilosophische Phantasien oder Be- trachtungen der Schriften dieser Schule. Daß er die neuere Literatur unbeachtet ließ, zeigt sich besonders deutlich daran, daß er erst 1830 zu der Entdeckung kam, daß er in GEoFFRoY einen Alliierten auf die Dauer gefunden habe, während sogar deutsche Zeitschriften ihn hätten lehren können, daß er schon seit 10 Jahren sein Alliierter war ?°). Auch ließ GorTHE die vielen seit 1798 erschienenen Werke Cuviers, welche den Beweis erbrachten, daß man die Wirbeltiere nicht mit den wirbellosen Tieren ver- gleichen dürfte, unbeachtet. Diese erschienen außerdem in deutschen Übersetzungen 3), und K. E. von Barr hatte seit 1828 denselben trennenden Gedanken (die Typenlehre) in Deutschland eingeführt °4). Auch war von Barr schon damals ein berühmter Forscher, der am 27. Juni 1830 den Preis Montyon in der franzòsischen Aka- demie erhielt. Es istschwer zu sagen, ob diese Nicht-Beachtung der Werke solch berühmter Naturforscher wie Cuvier, von BAER, MEckEL eine zufallige oder eine absichtliche war. Letzteres ist garnicht unwahr- scheinlich, zumal GoETHE andere Schriften Cuviers wie die über die fossilen Tiere und die Revolutionen der Erde sehr wohl gekannt hat. GoETHE und GrorrRoy waren eben ganz verstrickt in ihren Auffassungen a priori und durch Spinozismus und Naturphiloso- phie so geblendet, daß sie für das andere kein offenes Auge mehr haben konnten. In dieser Weise erklärten Cuvier und von BAER das Festhalten an solche Phantasien °°) und wie ich glaube mit Recht. Daß Grorrroy und Gorrxe darüber entrüstet waren °°), ist begreitlich. Denn welcher Naturforscher will je zugeben, daß er in aprioristischen Gedanken befangen ist und nicht von den Tat- sachen ausgeht? Wie dem auch sei, so viel ist sicher, daß GorTHE erst im Jahre 1830 bemerkte, daß er in Grorrroy einen Alliierten 154 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. auf die Dauer gefunden habe, denn sonst hätte er nach dem Lesen von dessen Streitschrift nicht solch einen Enthusiasmus zeigen können, den sein bekanntes Gespräch mit Sorer verrät, das wir weiter unten zu erwähnen haben werden. Wir kennen damit die Vorgeschichte des Kampfes vom Jahre 1830. Auch sind die in diesem Drama hervortretenden Persönlich- keiten ,,Cuvier, GEOFFROY, GOETHE“ wohl genügend charakterisiert, um ihre Rollen zu begreifen. Am 15. Februar 1830 mußte Grorrroy über eine Arbeit Be- richt erstatten, welche von zwei jungen Gelehrten, LAURENGET und MeyrAnx der Akademie angeboten worden war, damit sie in die Memoiren der Akademie aufgenommen werden könne. Wir haben oben gesehen, daß Grorrroy die Insekten und Krebstiere mit den Wirbeltieren verglichen hatte. LAuREncET und Meyranx wollten nun solche Vergleichungen auf die Kopffüßer oder Polypschnecken, zu denen z. B. der Tintenfisch gehört, aus- dehnen. Sie glaubten, daß der Tintenfisch sehr wohl mit einem Wirbeltier zu vergleichen ist, wenn man annimmt, daß der Tinten- fisch ein rückwärts gefaltetes Wirbeltier ist. Faltet man ein Wirbeltier in der Mitte rückwärts, dann wird der After im Nacken liegen, und also die gleiche Lage zum Munde zeigen wie beim Tintenfisch. Man mußte dann weiter annehmen, daß die durch das Zurückbiegen entstandene Falte, also die Körperbe- kleidung des Rückens mit der Wirbelsäule, verschwunden sei, wodurch ein großer Innenraum ‚die Leibeshöhle‘“ bei diesen Tieren gebildet wurde. Zweck dieser Vergleichung war natürlich, um die philosophisch geforderte „Unite de composition“ auch für diese Tiere zu beweisen. Solches Streben mußte Grorrroy wohl angenehm berühren. Er freute sich über diese neuen Alliierten, empfahl deren Werk also für die Schriften der Akademie und verteidigte ihre An- sichten. Er ging aber noch einen Schritt weiter. In einer Jugend- arbeit vom Jahre 1795 hatte Cuvier auch die Kopffüßer bear- beitet und gerade an ihnen zuerst gezeigt, daß die wirbellosen Tiere so ganz anders gebaut seien wie die Wirbeltiere, so daß man sie nicht vergleichen dürfe. Diese alte Schrift griff GrorrRoy nun scharf an, weil sie sich mit seinen Auffassungen nicht vereinigen ließ): Cuvier hatte stets zu Grorrroys Phantasien geschwiegen, und auch die ebenso tollen von Lavrencer und Meyranx würde er Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 155 wohl, wie sehr sie ihn auch ärgern mußten, unbeachtet gelassen haben, wenn nicht dieser persönliche unerwartete Angriff, noch dazu in offener Sitzung, gefolgt wäre. Er antwortete also aus dem Stegreif und wies den Angriff und die damit verbundenen Phantasien zurück. Man muß die Gebräuche der Akademien, ihre zeremoniellen Sitten kennen, um zu verstehen, wie sehr der unerwartete Angriff Grorrroys alle Zuhörer in Erstaunen setzen mußte. Viele Akademiker waren denn auch darüber ungehalten und forderten zunächst von Grorrroy, daß er gewisse, für Cuvier besonders anstößige Teile aus seinem Rapport streichen sollte, bevor dieser abgedruckt wurde. GrorrRoy war dazu bereit”®) und meinte, daß damit die Sache erledigt sei. Cuvier aber war anderer Auffassung. Er war in offener Sitzung ganz unvorbereitet angegriffen worden und wünschte nun sich und sein Werk in der nächsten Sitzung zu verteidigen. Viel- leicht fand er die ihm gebotene Gelegenheit, den von LAURENCET und MeyRAnx ausgekramten Unsinn auch besonders geeignet, um ein für alleınal zu zeigen, wie unbegründet solche Verglei- chungen sind. Mit zwei deutlichen Zeichnungen bewies er am 22. Februar, daß, wenn man auch zugeben wolle, daß die Kopffüßer rückwärts gefaltete Wirbeltiere sind, man dadurch doch nur die gegen- seitige Lage von After und Mund erklären könne, während die großen Unterschiede zwischen den übrigen Körperteilen dadurch nicht aufgehoben seien. Seine früher gezogene Trennungslinie blieb also zu Recht bestehen. Grorrroys Behauptung oder die seiner Schützlinge wurde damit vollständig zur Seite geschoben und die von der Natur gegebenen Grenzlinien deutlich angewiesen °?). Cuvier beschränkte sich aber nicht auf die Kopffüßer, sondern ging auch weiter auf die Idee „Unite de composition‘ ein. Er verwarf diese auch für die höheren Tiere und wollte für diese nur gewisse Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten zugeben. Das bewies er z. B. an dem Zungenbein der Vögel, das nicht ohne weiteres mit dem der Säugetiere verglichen werden könne. Soweit die Wirbeltiere aber gewisse Ähnlichkeiten zeigen, sei deren Kenntnis durchaus nicht der naturphilosophischen Schule zu danken, sondern schon durch ArisroreLEs gelehrt worden. Da das Ereignis in der Akademie unter den Parisern all- gemein bekannt geworden war, so bat der Redakteur des Journal des Débats Cuvier um die Erlaubnis, seinen Verwehr in dieser 156 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. Zeitung abdrucken zu dürfen, und so erschien ein ausführlicher Auszug in dieser Tageszeitung 39). Darüber war GrorrRoy empört, Er vergaß dabei, daß er Cuvier zum Kampfe aufgefordert, daß er ihn früher im Moniteur angegriffen, ja, daß er Cuvier in einer offenen Sitzung kritisiert hatte. Seine Klage über die Parteinahme des Journal des Debats war auch darum unberechtigt, weil andere Zeitschriften 31) auf seine Seite traten, deren Artikel er dann in seinem Buche abdruckte, ohne sich über sie zu beschweren. Cuviers Geduld war eben erschöpft und er hatte ein Recht sich zu wehren. Ob er nicht klüger gehandelt hätte, um gegen- über diesem jähzornigen, reizbaren Mann, der ein wahrer Fanatiker der naturphilosophischen Schule war, in der alten reservierten Haltung zu beharren, ist eine andere schwierig: zu beantwortende Frage. Man darf dabei nicht aus den Augen verlieren, daß auch Grorrroy großen Einfluß hatte. GEoFFRoY beantwortete Cuvier zwar sofort in der Sitzung vom 23. Februar, verlangte aber in der nächsten Sitzung nochmals gehört zu werden, um sich nach ruhiger Vorbereitung besser ver- teidigen zu können. Das wurde ihm gestattet). Er war so klug, in dieser Sitzung alle Vergleiche zwischen Wirbellosen und Wirbeltieren zur Seite zu lassen und sich auf die Wirbeltiere zu beschränken, um wenigstens für diese die Unite de composition aufrecht zu erhalten. Für diese mußte ja auch Cuvier gewisse Ähnlichkeiten zugeben. Außerdem hatte er nicht ganz Unrecht, wenn er behauptete, daß diese Ubereinstimmungen im Körperbau nicht durch ARISTOTELES nachgewiesen seien 33). Damit war aber nicht belegt, daß sie seine Entdeckungen oder die der naturphilosophischen Schule seien. Sie stammten ja von DaAUBENTON, Camper und Vico p’Azyr*), und Cuvier hatte recht, als er von Grorrroys Unité de composition am 22. März sagte: „Une theorie qui n’est vraie que dans ce qu’elle a d’ancien et qui n’a de nouveau que l'extension erronée *)“. Wir wollen hier nicht näher auf die sich über mehrere Sitzungen ausdehnende Debatte eingehen, da die bebandelten Tat- sachen unser Interesse kaum mehr erregen können. Hauptsache ist, daß es Grorrroy in keiner Weise gelang, Cuviers Einwände zu beseitigen. Daß beide Parteien zuweilen zu weit gingen, läßt sich in solchen Fällen wohl niemals vermeiden. Nur einige Be- merkungen allgemeiner Art mögen hier einen Platz finden. So gab Grorrroy am 29. März 86) zu, daß er und sein Gegner Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 157 bei der Betrachtung der Natur eigentlich von dem gleichen Grund- satz ausgingen und zwar diesem, daß man durch Vergleichung der Tatsachen Naturgesetze erschließen müsse; Cuvier aber be- wege sich dabei in engen Grenzen, während Grorrroy das Ganze auf einmal zu umfassen suche. Dieses Zugeständnis ist darum wichtig, weil Grorrroy, sein Sohn und andere Anhänger es liebten, um Cuvier immer als einen trockenen Tatsachensammler zu charak- terisieren, während seine berühmten Werke und die von ihm aufgestellten Gesetze doch das Gegenteil beweisen °?). Auch ist es beachtenswert, daß Grorrroy zugab, daß er mit dem Ausdruck „Unite de composition“ zu weit gegangen sei, warum er ihn durch den neuen „Theorie des analogues‘ ersetzte. Bezeichnend für beider Charakter ist weiter folgendes: Am 22. März waren beide mit ausgearbeiteten Vorträgen zum Wort gelangt und zwar Grorrroy 38) nach Cuvier. Ersterer ergriff nun in der folgenden Sitzung wieder das Wort 3°). Cuvier machte die richtige Bemerkung, daß es in einer Debatte nicht üblich sei, daß eine der Parteien zweimal nacheinander vortrage, aber doch wolle er dagegen nicht protestieren, in einer nächsten Sitzung werde er dann beide Vorträge Grorrroys beantworten. Das geschah am 5. April. Grorrroy machte nun dem Wort- streit in der Akademie ein Ende, indem er erklärte es vorzuziehen, seine Ideen in Buchform herauszugeben. Dabei scheint ihm der Gedanke vorgeschwebt zu haben, daß er seinen Gegner durch Massenproduktion erdrücken könne, denn es brachten die Zeitungen*°) die Nachricht, daß Grorrroy ein Werk über die „Lheorie des analogues“ herausgeben werde in nicht weniger als zwölf Lieferungen, dabei wurde zur Subskription eingeladen. Daß wirklich eine Massenproduktion geplant war, zeigt die einzige erschienene Lieferung, die „Philosophie zoologique“, welche 226 Druckseiten umfaßt. In dieser Schrift sind alle von Grorrroy bei dieser Angelegen- heit gehaltenen Vorträge abgedruckt, ansehnlich vermehrt durch lange Fußnoten; weiter brachte er die Zeitungsartikel, die zu seinen Gunsten lauteten und Cuviers Antworten, soweit sie im Auszuge in der Tagespresse erschienen waren, also ganz unvollständig. Darauf näher einzugehen hat heute keinen Zweck, da ja GEOFFROYS Standpunkt von niemand mehr geteilt wird. Es war dieses Buch, welches GortHE am 21. Juli 1830 aus der Weimarer Bibliothek erhielt und das am 2. August desselben 158 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. Jahres zu dem Gespräch mit Sorer Anlaß gab, das letzterer in in so lebhafter Weise wiederzugeben wußte. SorRET berichtet darüber: Die Nachrichten von der begonnenen Julirevolution gelangten heute nach Weimar und setzten alles in Aufregung. Ich ging im Laufe des Nachmittags zu GOETHE, „Nun,“ rief er mir entgegen „was denken Sie von dieser großen Begebenheit? Der Vulkan ist zum Ausbruch gekommen, alles steht in Flammen, und es ist nicht ferner eine Verhandlung bei geschlossenen Türen!“ „Eine furchtbare Geschichte!“ erwiderte ich. „Aber was ließ sich bei den bekannten Zuständen und bei einem solchen Ministerium anderes erwarten, als daß man mit der Vertreibung der bisherigen königlichen Familie endigen würde.“ „Wir scheinen uns nicht zu verstehen, mein Allerbester“ erwiderte GoETHE. „Ich rede gar nicht von jenen Leuten!) es handelt sich bei mir um ganz andere Dinge. Ich rede von dem in der Akademie zum öffentlichen Ausbruch gekommenen, für die Wissenschaft so höchstbedeutenden Streit zwischen Cuvier und GEOFFROY SAINT HULAIBE! Diese Äußerung GortHES war mir so unerwartet, daß ich nicht wußte, was ich sagen sollte, und daß ich während einiger Minuten einen völligen Stillstand in meinen Gedanken verspürte. „Die Sache ist von der höchsten Bedeutung,‘ fuhr GoETHE fort, „und Sie können sich keinen Begriff machen, was ich bei der Nachricht von der Sitzung des ig. Juli empfinde. Wir haben jetzt an GEOFFROY Saint HiLARIE einen mächtigen Alliierten auf die Dauer *?).“ Ich breche hier ab um später auf dieses Gespräch zurückzu- kommen. Es sei hier nur bemerkt, daß GorTHE weder hier noch in den diesem Buche gewidmeten Referaten je auf die Details oder auf Cuviers Einwände eingeht. Alle seine Betrachtungen sind immer nur historisch-philosophische, die alle von dem seiner Meinung nach unumstößlichen Grundsatz ausgehen, daß die „Unite de composition“ richtig sein müsse. (GoETHE und GEoFFRoY unterscheiden sich in nichts von dem theologischen Dogmatiker, der seine Dogmen über alles stellt. Auch ist beachtenswert, daß GoETHE, wie dieses Gesprach zeigt, erst im Jahre 1830 bemerkte, daß Grorrroy sein Alliierter sei, um die Einheit der Form, den gemeinsamen Typus zu verteidigen. Weiter, daß in der Fortsetzung dieses Gespräches die Worte folgen ‚ich juble mit Recht über den endlich erlebten allgemeinen no — Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 159 Sieg einer Sache“, während doch von einem Siege gar nicht die Rede sein konnte. Im Gegenteil war es die Auffassung aller Zeitgenossen, daß Cuvier als Sieger aus diesem Kampfe hervor- gegangen sei, denn GEOFFROY hatte dessen Einwände gegen seine Theorie der ,,Unité de composition“ in keiner Weise beseitigen können. In seiner Freude setzte GoFETHE sich hin und schrieb einige Betrachtungen über dieses Buch, welche nur zeigen, daß ihm der Standpunkt Cuviers ganz dunkel geblieben war. Er scheint sich auch nicht die geringste Mühe gegeben zu haben, um Cuvier zu begreifen, indem er seine Werke studierte. Er be- herrschte also denGegenstand nicht und knüpfte seine Betrachtungen an eine durchaus einseitige Streitschrift. Auch ist von der größten Wichtigkeit, daß bis zum 15. April, dem Tage, an dem Grorrroy sein Buch ab- schloß, nurüber die „Unite de composition“ gestritten worden war, so daß GoETHEs Freude nicht etwa prä- darwinistischen Gedanken wie Variabilität oder Des- zendenz galt, obgleich dies so oftbehauptet worden ist. Kehren wir nach Paris zurück, um dem weiteren Verlauf des Streites zu folgen. Grorrroy hatte zwar erklärt, daß er den Streit in der Akademie nicht fortsetzen wolle, wir werden sehen, wie schlecht es ihm gelang, sich bei diesem Versprechen zu halten. Die Sitzung des 31. Mai r8304%) verdient nur insofern Er- wähnung,. weil LATREILLE in dieser die Naturphilosophie verurteilte, aber dabei Grorrroy nicht nannte. Er stellte sich ganz auf den Boden der Typenlehre Cuvirrs, wollte also keine Übergänge zwischen den von Cuvier aufgestellten Hauptgruppen der Tiere anerkennen. Daf Grorrroy darauf nicht reagierte, war wohl dem Umstande zuzuschreiben, daß Cuvier nicht selbst das Wort geführt hatte. Cuvier schwieg auch auf den nächsten Sitzungen und brachte erst am 12. Juli 1830 einen kleinen Beitrag über den Dodo, einen längst ausgestorbenen Vogel‘). Es war eine kurze Mitteilung von geringer Bedeutung, die nicht die geringste Beziehung auf den geführten Streit nahm. Weiter bedenke man, daß es früher in der Akademie nie Sitte gewesen war, daß die Mitglieder der Akademie einander auf diesen öffentlichen Sitzungen kritisierten. Dann kann man die ganze Gereiztheit GEoFFRoYS ermessen, da er nun mit BLAmVILLE Cuvier angriff, weil er über diesen Vogel anderer 160 Kohibrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. Meinung war. Dieselbe Gereiztheit zeigt die Sitzung vom 19. Juli. Der zweite Sekretär Araco las den Bericht der vorigen Sitzung vor und hatte darin eine Zusammenfassung der von Cuvier über genannten Vogel gegebenen Betrachtungen eingeflochten. Dies war sonst nicht üblich, man erwähnte nur die Titel der gelieferten Beiträge. Ich konnte leider nicht ergründen, warum ARaGo von dieser Sitte abwich, es ist aber sehr merkwürdig, daß Cuvimr, der sich hierdurch eher geschmeichelt fühlen konnte, dagegen protestierte, weil dadurch zuviel Zeit verloren ginge #). Wieder erfaßten Grorrroy und BLAINvILLE die Gelegenheit, um anderer Meinung als Cuvier zu sein, und verlangten für die Zu- kunft ausführliche Auszüge der gemachten Mitteilungen. Die Entscheidung über diese Frage wurde nun einer speziellen Kommission überlassen. Schließlich ist aus diesen Monaten noch zu erwähnen, daß GEOFFROY, dessen obengenanntes Buch doch längst erschienen war, im Juni noch einmal seine Ideen in der Revue ency- clopedique auseinandersetzte*%). Der Redakteur dieser Zeitschrift stand auf seiner Seite und hatte schon im Juni für ihn Partei ergriffen’). Cuvier schwieg auf alles und reiste im Juli nach Eng- land ab. Dadurch entstand eine Ruhepause von einigen Monaten. So gelangen wir zum Oktober; dieser Monat brachte am 4. und 11. Mitteilungen Grorrroys über den Schädel der Krokodile *). Cuvier war anwesend und GEoFFRoY konnte es nun nicht unter- lassen, Cuvier etwas Unangenehmes zu sagen. Er behauptete, daß Cuvier unrichtige Beobachtungen über die Schädelknochen ge- nannter Tiere veröffentlicht habe. Nun mögen zwei Naturforscher verschiedener Meinung sein, ohne daß sie einander dadurch beleidigen. Der Vorwurf falscher Beobachtung ist aber stets eine Beleidigung, wenn man diese Behauptung nicht so klar beweisen kann, daß jeder davon zu überzeugen ist. So war denn auch Cuvier entrüstet, wies seiner- seits GEOFFROY auf einige Fehler hin, die dieser eben vorgetragen hatte, und erklärte, daß er auf der nächsten Sitzung beweisen werde, daß „son confrere à produit sur tous ces points de fausses allégations“. Ganz wunderlich war nun das Betragen Grorrroys. Er hatte noch eine zweite Verhandlung für diese Sitzung mitgebracht und beabsichtigte auch diese nach der ersten vorzulesen. Als Cuvier ihn nun aber auf einige Fehler in der ersten hingewiesen und = 78 — Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 161 gleichzeitig erklärt hatte, er werde die gegen ihn gerichteten Be- schuldigungen in einer folgenden Sitzung wiederlegen, da spielte Grorrroy den Beleidigten und erklärte „Puisque sur tous les points il se trouvait repousse par d’aussi exigeantes susceptibites il n’apporterait plus rien a l’académie et ne donnerait point les mémoires qu'il venait de promettre“ #9). Fast möchte man wünschen, daß er nun wirklich einmal geschwiegen hätte, aber er hätte seinen ganzen Charakter ver- leugnen müssen, wenn er imstande gewesen wäre, sich ruhig zu verhalten. Das werden die folgenden Sitzungen beweisen. Sehr interessant ist aber, daß der zweite obenerwähnte Vor- trag, den er zurückzog, höchst wichtige Fragen behandeln sollte. Anknüpfend an Betrachtungen über fossile Saurier wollte er, der Verfasser der Philosophie der Anatomie und der Philosophie der Zoologie, nun auch eine Philosophie der Geologie gründen und dabei besonders die Variabilität der Tiere verteidigen, wo- durch dann die Abstammung heutiger Formen aus fossilen wahr- scheinlich gemacht werden konnte. Das waren also was man heute „prädarwinistische Gedanken“ nennt. Diese, wenn der Aufsatz vorgelesen worden wäre, hätte man dann zum erstenmal in der Akademie verteidigen hören. Wie gesagt wurde der Aufsatz aber nicht vorgelesen und kannte Cuvier also auch seinen Inhalt nicht. Am ı8. Oktober sollte Cuvier nun auf die Beschuldigungen Grorrroys antworten. Der wieder auflodernde Streit war inzwischen in Paris zum Tagesgespräch geworden und so war der Zuschauer- raum bei Eröffnung der Sitzung bis auf den letzten Platz gefüllt. Jeder wollte die Verteidigung des berühmten Cuvier hören. So- wie dieser erschien, wurde er auf die große Menge Zuschauer aufmerksam gemacht, und esistgewiß wieder äußerst charakteristisch für diesen besonnenen Mann, daß er nun während der ganzen Sitzung schwieg, weil eine Diskussion über ein wissenschaftliches Thema keine öffentliche Belustigung sei. Er verschob seine Ver- teidigung auf eine folgende Sitzung 5°). Gerade unter diesen Umständen hätte es GEoFFRoY geziemt zu schweigen, nicht nur in der Akademie, sondern auch außer- halb derselben. Aber das konnte der nervöse Mann nicht. Er hatte für die Sitzung vom ı8. Oktober eine Replik im voraus ausgearbeitet, welche er, je nach den Argumenten Cuviers, in der Improvisation abändern wollte. Da Cuvier schwieg, so mußte 162 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. auch er seine Replik in der Tasche behalten. Diese veröffent- lichte er nun aber, es klingt beinahe unglaublich, am 23. Oktober in der Gazette médicale?!). Dabei korrigierte er seine am 11. Oktober vorgetragene Auffassung, indem er die damals von CuvieR gemachten Bemerkungen zur Richtigstellung benutzte. Cuvier wurde in diesem Artikel als ein trockener Tatsachensammler verurteilt, der nicht fähig sei, diese zu allgemeinen Gesichtspunkten zu ordnen. Seine eigene Naturphilosophie hingegen war der Gipfelpunkt des damals erreichten und in dieser Überzeugung verstärkte ihn das eben erschienene erste Referat Gortaes über sein am 15. April ver- faßtes Buch. Hatte GoETHE gejauchzt über den Alliierten, so schwelgte Grorrroy in Glückseligkeit über den erworbenen Bundes- genossen. GokTHE, den er früher niemals zitiert hatte, dessen Arbeiten er vielleicht früher nicht einmal kannte 52), wurde nun in einigen Zeilen erhoben zur „premiere autorite, autorite la plus compétente“. Weiter feierte er ihn als „le génie supérieur, l’illustre auteur, le célèbre GorTHE, qui vient d’accorder a mon ouvrage le plus grand honneur qu’un livre frangais puisse re- cevoir.“ Beiderseits war hier also die richtige ,,adoration mutuelle“ am Wort. Am Schluß des Artikels erklärte er, daß er es weiter dem Publikum überlasse, zwischen ihm und Cuvier zu richten. Bei alledem hatte Cuvier immer noch nicht auf GEOFFROYS Angriff geantwortet, und so rückte die Sitzung vom 25. Oktober heran. Wieder war der Zuhörerraum überfüllt, in der Hoffnung, daß Cuvier sich nun hören lassen würde. Wieder wurde die Menge in ihrer Erwartung getäuscht, denn der Präsident der Akademie erklärte, daß wenn Cuvier darauf bestände seine Verteidigung gegen Grorrroy vorzulesen, er direkt den Saal räumen lassen würde; die offene Sitzung würde dann in eine geschlossene oder geheime abgeändert werden‘). CuviER war gleich bereit, dem Wunsch des Präsidenten zu genügen, also zu schweigen, obgleich er doch der Angegriffene war. Gerade darum scheint uns der Entschluß des Präsidenten nicht gerechtfertigt. Aber wir wissen ja, durch Cuviers Zurück- treten während der vorhergehenden Sitzung, daß dieser durchaus die Auffassung des Präsidenten teilte, daß wissenschaftliche Dis- kussionen zwischen zwei Mitgliedern der Akademie nicht zur Be- lustigung des Publikums dienen sollten. Weiter wurde auch durch diesen Entschluß des Präsidenten vermieden, daß man Cuviers Schweigen in anderer Weise auslegen konnte. 2 Ss => Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 163 Cuvier hat auch schriftlich Grorrroy nicht mehr geantwortet, und gerade darum ist es von großer Bedeutung, daß seine Worte „que notre confrere à produit sur tous ces points des fausses allégations“ durch GEoFFRoY selbst bestätigt wurden. Denn nach- dem dieser schon in dem obengenannten Artikel in der Gazette médicale einige Korrekturen in seiner von Cuvier verurteilten Auffassung angebracht hatte, mußte er, leider erst nachdem Tode Cuviers, in einem neuen Artikel zugeben 5), daß ihm noch manche andere Irrtùmer mit untergelaufen seien, die er mit einigen Ent- schuldigungen 5°) korrigierte. Allerdings war auch damit noch keine volle Übereinstimmung mit Cuvier erreicht, den er wieder als einen Mann charakterisierte, der nichts anderes getan habe als nommer, enregistrer et decrire‘‘5%). Für sich selbst hatte er aber jedenfalls den Beweis erbracht, daß seine ungeheure Produktivitätnur durch Oberfiächlichkeit erreicht wurde 5°). Wir betonen weiter nochmals, daß prädarwinistische Gedanken nicht mit einem Wort in der Akademie erwähnt worden waren. In bezug auf GorTHE könnten wir unsere Betrachtungen hier abschließen, denn GoETHE hat den Streit nur bis zum obenge- nannten Artikel Grorrroys vom 23. Oktober verfolgt. GorTHE las nach seinem im März 1832 verfaßten Referat die über die Sitzungen rapportierenden Zeitschriften wie die Gazette medicale und die Revue encyclopédique. Daß diese auch den Bericht brachten, daß Grorrroy am 11. Oktober die Variabilität der Tiere oder die Deszendenz hatte verteidigen wollen (das Stück aber zurtickzog), übersah GoETHE, oder er wünschte es nicht zu beachten. Damit ist erwiesen, daß aus der Anteilnahme GoETHES an diesem Streit in keiner Weise Schlüsse über dessen Stellung- nahme zur Deszendenztheorie gezogen werden können. Wenn GortHe nun also auch an den weiteren Ausführungen Grorrroys keinen Anteil mehr nahm, so möchte ich doch meinen Bericht über diesen Streit bis zu Ende führen, um zu zeigen 1. wie die falsche Auffassung über die Bedeutung dieses in der französischen Akademie geführten Kampfes hat entstehen können, 2. was (GEOFFROY Saint HiLaIRE für ein Mann war und 3. wie er GoETHES Parteinahme auszunutzen wußte. Während Cuvier sich bei der Diskussion immer an die Haupt- sache „Unite de composition“ hielt und diese mit seinem reich- haltigen Tatsachenmaterial bekämpfe, fällt es auf, daß Grorrroy, der in dieser Beziehung weit schwächer war, sich wie ein Advokat Zool. Annalen V. 11 Ei gna 164 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. auf jedes Mittel warf, wodurch er den Gegner in den Augen der Jurie schwächen konnte; auch verteidigte er seinen Standpunkt gerne durch unklare Ausdrücke. Daß von einer „Unite‘‘ des ganzen Tierreichs nicht die Rede sein konnte, hatte Cuvier so überzeugend nachgewiesen, daß er diesen Ausdruck fallen lassen mußte und statt dessen den viel unbe- stimmteren „Analogie“ wählte. Erst 20 Jahre später erhielt dieser Begriff eine scharfe Fassung durch Owen, 1830 konnte er noch mit dem Worte „Ähnlichkeit“ übersetzt werden. Erhebt man Ähnlichkeit im weitesten Sinne zum Gesetz, dann kann man allerdings auch den Mond mit einem Teller vergleichen, weil beide rund sind. Dichter lieben ja solche Vergleichungen. Die, welche Grorrroy und GOoETHE in die Naturwissenschaft einführten, waren ähnlicher Art. Für GorrHE lag dies auf der Hand, da bei ihm Kunst und Naturwissenschaft innig verbunden waren. Man soll das auch nicht tadeln. Der Künstler ist durchaus berechtigt, die Natur mit seinen Augen zu betrachten, aber er soll nur nicht glauben, daß er dann exakte Naturwissenschaft treibe. Daß GorrHE dies nicht einsah, das war sein Fehler und der der naturphilosophischen Schule. Wir brauchen bei den in diesem Streit benutzten Aus- drücken oder Definitionen, denen GEOTHE einige Seiten widmete, gar nicht still zu stehen, sie haben gar kein Interesse. Die ein- fache Frage war: Darf der exakte Naturforscher, der Morphologe behaupten, daß alle Tiere nach einem Plane gebaut sind? Dann antwortete Cuvier und mit ihm jeder moderne Naturforscher „Nein“. Die 1830 benutzte Terminologie interessiert uns dann weiter nicht mehr, wenn wir die Hauptsache im Auge behalten. Gewandt zeigte Grorrroy sich auch darin, daß er gerne vom Hauptthema abirrte, wenn eine unvorsichtige Äußerung Cuviers ihm dazu die Gelegenheit bot. So hatte Cuvmr sich die Worte entfallen lassen, daß jedes Tier gebaut sei nach der Rolle „quil doit jouer dans la nature“. Dieser Ausdruck verwendete den Begriff der Finalität bei wissenschaftlichen Auseinandersetzungen, wobei er sonst allgemein vermieden wurde. Sofort warf Grorrroy ihm denn auch vor, daß Cuvier in der Naturwissenschaft alles durch „Causes finales“ erklären wolle, also, wie die Physicotheo- logen, alles auf durch den Schöpfer beabsichtige Zwecke zurück- führe 58). Diese Beschuldigung hatte Erfolg, denn noch heute wird Cuvier gerne in dieser Weise kritisiert. Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 165 Nun lese man Cuviers Werke und urteile, ob er es nicht gerade vermied, den von ihm und seinem Gegner voll anerkannten göttlichen Ursprung aller Dinge zur Erklärung der Erscheinungen heranzuziehen, obgleich er die reformierte Kirche Frankreichs verwaltete und entwickelte. Gerne wies er aber darauf hin, daß wir dieses oder jenes nicht wissen können. Grorrroy hingegen war mit seiner „Unite de composition“ durchaus Teleologe. Wenige Jahre später schrieb er außerdem „Chaque chose arrive à son moment préfixé 59)“, und den Worten „Dieu, l’ètre suprème usw.“ begegnet man auf vielen Seiten seiner Werke. Überhaupt war er ein gläubiger Sohn der römisch- katholischen Kirche, wie wir noch weiter unten (Anm. 119) zeigen werden. In dieser Periode jedoch, im Fieberrausch seiner Nervosität, in der Berserkerwut des Kampfes, die ihn in stets schärferen Gegensatz zu Cuvier trieb, um doch alles in seine „Unite de composition‘ aufnehmen zu können, verstieg er sich in einem Vortrage am 3. Januar 1831 zum Materialismus, oder Monismus. Der sonst gläubige Mann verwarf nun plötzlich den Vitalismus 69), leugnete jeden Unterschied zwischen Materie und Geist, alles, alles floB zu einer Einheit zusammen. In der folgenden Sitzung wollte er diesen Gedanken weiter ausführen, schwieg aber und kam nie wieder darauf zurück. Es mag sein, daß der Angriff Vırzys®!) in der Gazette médicale, den er mit einigen nichtssagenden Ausdrücken beantwortete, ihn. zum Schweigen brachte, es ist auch möglich, daß die Priester, für deren Leben er während der Julirevulution eingetreten war, ihm einen Wink gegeben hatten. Gewandt war es auch von ihm, daß er den direkten Anlaß zum Streit „die Vergleichungen zwischen höheren und niederen Tieren“ weiter zur Seite schob und sich auf erstere beschränkte, die sich weit besser an seinen Standpunkt anpassen ließen. Sehr schlau zeigte er sich weiter hierin, daß er plötzlich sein eigenes Arbeitsfeld verließ und sich dem Cuviers zuwandte, nämlich den fossilen Tieren. Nicht nur lassen diese der Phantasie größeren Spielraum, sondern er konnte hierdurch auch stets neue Themen in die Akademie bringen, die augen- scheinlich in gar keiner Beziehung zu dem alten Kampfe standen, so daß der Vorsitzende ihm nicht das Wort entnehmen konnte. So erreichte er seinen Zweck, Cuvier zu kritisieren oder Meinungen auszusprechen, von denen er wußte, daß Cuvier sie nicht teilte. 11% stage 166 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. Solch ein Thema war die Variabilität der Tiere. Früher schon war er Cuvier entgegengetreten, als dieser die Descendenztheorie LAMARCKS verwarf, die GEOFFROY allerdings auch verurteilte. Aber er verteidigte doch die von LAMARcK in den Vordergrund gebrachte Variabilität, blieb dabei aber in bestimmten Grenzen und nahm nur an, daß die Arten, die zu einem Geschlecht gehören, von einander abstammen ?) könnten, während CuvieR dies nur von den Rassen innerhalb der Art zugeben wollte. Jetzt, in seiner erregten Gemütsverfassung ging er viel weiter. Zunächst bot er am 21. Februar 1831°°) den am 11. Oktober zu- ıückgezogenen Aufsatz von neuem der Akademie an, las ihn aber nicht vor. Das genügte ihm aber nicht, denn schon am 28. März kam er darauf zurück und zwar nun mit Behauptungen, die gerade so weit gingen, wie die des sonst verurteilten Lamarck 84). Die Vögel ließ er nun aus den Krokodilen hervorgehen und letztere aus Tieren, welche den embryonalen Formen der Fische ähnlich gewesen sein sollten. Dieser Beitrag wurde vorgelesen und schweigend angehört. So war er Deszendenztheoretiker geworden. Er verließ diesen Standpunkt aber ebenso schnell wieder wie den Monismus, denn seine späteren Arbeiten lehren nur eine sehr beschränkte Variabilität, wie auch sein Sohn in den historischen Betrachtungen, die er den Schriften des Vaters widmete, dargelegt hat. Mit diesen vulkanartigen Ausbrüchen vergleiche man die Ruhe Cuviers. Er schwieg einfach zu allem, opponierte weder gegen den Monismus noch gegen die Variabilität, obgleich beide seine Überzeugung verletzten. Er schwieg auch da, wo sich ihm eine gute Gelegenheit bot, den Feind zu kritisieren. Als Schrift- führer (secrétaire perpétuel) mußte er am 15. Februar 1831 eine Zusammenfassung aller Vorträge liefern, die während des Jahres 1830 in der Akademie gehalten worden waren, also auch über die von Grorrroy. Es ist wirklich bewundernswert, daß es ihm gelang, hier vollständig unparteiisch zu bleiben ®). Er charakteri- sierte den Streit nur kurz und richtig mit den Worten: „Da die Wirbeltiere eine gewisse Übereinstimmung der Form zeigen, so fragt es sich, ob diese sich auch über die wirbellosen Tiere aus- dehnt? Ist die Übereinstimmung innerhalb der Gruppe der Wirbel. tiere eine so vollständige, daß der Ausdruck „Unite de compo- sition“ berechtigt ist? ,,C’est une polémique amicale entre deux naturalistes qui ont l’un pour l’autre une juste estime.“ — u = Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher, 167 Er fügte weiter hinzu, daß er zur Beantwortung beider Fragen ein Buch erscheinen lassen werde, da Grorrroy bereits gleiches getan habe. Dieses Buch ist aber niemals erschienen %), obgleich Cuvier, der so leicht die Feder führte, noch mehr als ein Jahr lebte und während dieser Zeit bis zum letzten Augenblick voll arbeitsfähig blieb. Er muß es auch absichtlich nicht beendet haben, denn da es seine Absicht war (das zeigen seine hinterlassenen Manuskripte), die während des Streites gehaltenen Vorträge zu einem Buch zu- sammenzufügen, so war es ja fertig; es fehlte nur die Einleitung, von der er nur einige Seiten schrieb. Hingegen arbeitete er bis zu seinem Tode mit großem Eifer an der Geschichte der Natur- wissenschaften und der zweiten Auflage seiner Lecons d’anatomie. Diese, so mag er gedacht haben, würden ihm genügend Gelegen- heit geben °”), um sich mit der naturphilosophischen Schule aus- einanderzusetzen und seine Auffassung von neuem zu begründen, ohne GEOFFROY persönlich anzugreifen. Daß er letzteres zu ver- meiden wünschte, zeigen die Bände der Lecons d’anatomie, die er selbst noch dem Drucke übergeben konnte. Ganz anders arbeitete GEOFFROY. Seine Produktivität grenzt ans Unglaubliche, und da er doch naturwissenschaftliche, also auf Beobachtungen beruhende Arbeiten bringen wollte, so konnten sie bei dieser Überproduktion auch nur oberflächlicher Art sein. Der 14. und 21. Februar ff), der 28. März 8), der 2. und g. Mai”), der 11. und 18. Juli 18317), alle diese Daten sahen neue Ar- beiten Grorrroys auf dem Tisch der Akademie. Die des 18. Juli verdient hier insofern Erwähnung, weil sie im Gegensatz zu GOETHE die unsinnige Behauptung brachte, daß die Schneidezähne nicht durch das Zwischenkieferbein bestimmt werden. So seien die langen Schneidezähne der Nager nicht solche, sondern Eck- oder Hundszähne. Weitere Beiträge brachte der 25. Juli und der 29. August ?). Ersterer ist hier zu erwähnen, weil er über GOETHE handelt. Oben wurde bereits gezeigt, in welch freudetrunkener Weise Grorrroy das erste Referat GoETHEs über sein Buch besprochen hatte ©). Danach, um diese Parteinahme doch recht auszunutzen, ließ er eine vollständige Übersetzung von Gorrnes Referat in zwei verschiedenen Zeitschriften abdrucken™). Dann brachte er einen Originalartikel von eigener Hand, der ausschließlich dem Natur- forscher GOETHE gewidmet war °°), der natürlich in allen Tonarten 168 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. gepriesen wurde. Nun hatte GoETHE inzwischen seine Metamor- phose der Pflanzen, also eine 40 Jahre alte Schrift, ins Französische übersetzen lassen. Deren Erscheinung gab Grorrroy nun den freudig begrüßten Anlaß, um über GorrHE in der Akademie vorzutragen "). Diesen Vortrag ließ er dann außerdem noch in zwei verschiedenen Zeitschriften aufnehmen. So sorgte er dafür, daß jeder seinen Alliierten kannte. Recht charakteristisch ist auch die folgende Episode: Im Oktober 183177) bot Ducks der Akademie eine Studie an „La con- formite organique dans les animaux“, worin dieselbe Frage be- handelt wurde, worüber Cuvier und Grorrroy gestritten hatten. GEOFFROY sollte über diese Arbeit referieren, wies dies aber zurück, weil er ja nicht unparteiisch in dieser Sache urteilen könne. Das war korrekt gehandelt, und es würde dies gewiß zu seinen Gunsten sprechen, wenn es nur dabei geblieben wäre. Er löschte diesen guten Eindruck aber sofort wieder aus, indem er die Arbeit von Duszs, noch bevor sie von den Referenten besprochen worden war, in der Gazette medicale kritisierte und so Richter und Publi- kum zu beeinflussen suchte”®), Geradezu schmählich aber ist es, daß er dabei erklärte, daß der an seiner Stelle ernannte Refe- rent MAGENDIE nicht unparteiisch sei, da er sich früher gegen die Naturphilosophie ausgesprochen habe. Daß der Koreferent BLaım- VILLE ganz auf seiner Seite stand, erwähnte er nicht. Wer mit ihm übereinstimmte, war eben nicht parteiisch, sondern kannte die Wahrheit. In diesem Artikel zeigte er auch, daß der Streit mit Cuvier ihn nicht klüger gemacht hatte. Erst hatte er den Ausdruck „Unite“ fallen lassen, weil er, wie ein jeder einsah, zu weit ging, hier taucht er aber wieder auf und er versteigt sich zu der komischen Behauptung: „L’unite de composition organique em- brasse aussi toute la serie des vegetaux.“ Also auch die Pflanzen sind gebildet wie der Mensch. Aber auch dieser, schon durch GOETHE erreichte Klimax, genügte ihm noch nicht, auch die Metalle werden in die Unité aufgenommen. Also existiert kein wesentlicher Unterschied zwischen mir und der Feder, mit der ich diese Worte schreibe! Seine Philosophie beherrschte ihn mit der Kraft einer Manie. Darum konnte er auch in der Akademie nicht über dieselbe schweigen, obgleich er dies wiederholt versprochen hatte. Am ı2. Dez. 1831 bot er wieder zwei Studien gleichzeitig an, von denen Ian Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 169 die eine sich über das Zungenbein verbreitete 7°). Dieser Knochen hatte nämlich eine bedeutende Rolle gespielt bei der im Jahre 1830 geführten Debatte, so daß alle Akademiker, wenn die Arbeit auch nicht vorgelesen wurde, um Anstoß zu vermeiden, doch schon durch den Titel wußten, daß GEOFFRoY wieder gegen Cuviersche Auffassungen agiere. Cuvier hatte seit dem 12. Juli 1830 keinen Beitrag zu den Memoiren der Akademie geliefert, erst am 2. Januar 183289) brachte er wieder eine Arbeit und zwar über die Knochen- bildung im Brustbein, die, wie immer bei Cuvier, auf großem Material beruhte. Das Resultat dieser Arbeit, d. h. die vielen Unterschiede, die Cuvier bei Vögeln in der Knochenbildung ge- funden hatte, ließen sich allerdings mit Grorrroys Auffassung der „Unite“ nicht vereinigen, aber CuvieR vermied es darauf ein- zugehen. SERRES, ein Schüler GEOFEROYS, griff Cuvier sofort an, um eine Theorie zu verteidigen, die CuvieR gar nicht angegriffen hatte, die sich aber der damaligen Meinung nach ebenfalls mit Cuviers Resultaten schwer vereinigen ließ. CUVIER wies SERRES denn auch kurz mit den Worten zurück, daß er gar nicht beabsichtigt habe, auf solche allgemeine Fragen einzugehen, er habe nur Anatomie bringen wollen®!). Grorrroy, der das monatelange Schweigen Cuviers wohl recht unangenehm empfunden hatte, wollte auch diese, durch den Vortrag gegebene Gelegenheit nicht vorbei- gehen lassen, um Cuvier etwas Unangenehmes zu sagen. Er er- hob sich also mit der Beschuldigung, daß Cuvier nur darum diese Arbeit in die Akademie gebracht habe, um GEOFFROY zur Opposition zu reizen, den alten Streit also wieder anzufachen. GEOFFROY aber sei fest entschlossen, den Streit nicht in der Aka- demie fortzuführen, warum er auch jetzt nicht auf Cuviers Aus- führungen eingehen wolle 8?). Cuvier protestierte gegen diese durchaus unbegründete Be- schuldigung. Er habe nur einige dunkle Punkte in der Knochen- bildung beleuchten wollen. Da der Vortrag in den Memoiren er- schienen ist, so kann man sich leicht überzeugen, daß dieser nichts enthielt, was GEOFFROY zu reizen brauchte. Allerdings konnte man, bei dessen Auffassung der , Unité“, kaum mehr ein vergl. anat. Thema behandeln, ohne Material zu liefern gegen diese ein- seitige Darstellung der Natur. Wenn es Cuvier darum zu tun gewesen wäre, hätte er oft genug Gelegenheit gehabt, GEOFFROY anzugreifen, auch brauchte er ja nur das unter seinen Manu- = By — 170 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. skripten fertig liegende Buch gegen Grorrroy herauszugeben, wenn ihm an der Fortsetzung des Streites gelegen war. GEOFFROY wollte nun aber einmal in allem einen persönlichen Angriff sehen, und darum übergab er am g. Januar dem Bureau der Akademie eine Kritik der letztvorgelesenen Studie Cuviërs. Sie wurde nicht vorgelesen, aber für den Druck bestimmt 83). Cuvier schwieg und blieb schweigend. Weder in der Akademie, noch in seinen Schriften, die er damals druckfertig machte, griff er GEOFFROY an. Er bekämpfte ihn und seine Naturphilosophie nur in seinen Kollegien, um seine Schüler von dieser, die Natur- wissenschaft schädigenden, Richtung zurückzuhalten. Sein letztes Kolleg war noch dieser Sache gewidmet 84). Es ist recht merkwürdig, daß von den drei in dem hier beschriebenen Streit besonders hervortretenden Personen zwei im Frühjahr 1832 starben. GOoETHE starb am 22. März und Cuvier am 13. Mai. Cuvier starb ganz unerwartet an einer unaufgeklärt gebliebenen Krankheit. Am 14. Mai wurde der Tod Cuviers in der Akademie mit- geteilt. Die Aufregung über dieses so unerwartete Ereignis war eine so große, daß niemand Ohr hatte für die weiteren offiziellen Mitteilungen des Sekretärs oder der Mitglieder, so daß der Vor- sitzende die Sitzung aufhob®). Es scheint nicht üblich gewesen zu sein, dies als Ehrenbezeugung zu tun. Der 28. Mai brachte eine Überraschung ganz anderer Art. GEOFFROY, empfahl sich selbst zum Nachfolger Cuviers als secré- tair perpetuel®®). Zwar ist es in Frankreich üblich, daß man sich selbst in Vorschlag bringt und dabei seine Publikationen anbietet. Mir ist aber kein zweiter Fall bekannt geworden, daß man das für diese Kandidatenaufstellung verfaßte Schreiben danach in zwei Blättern erscheinen ließ. Diese Selbstverherrlichung schloß mit den Worten: „Quant aux titres que je croirais pouvoir trouver dans les travaux auxquels j’ai consacre ma vie, ce nest pas 4 moi qu’il appartient de les apprecier, mais je puis, du moins me permettre de produire ci-joint un écrit, que le nom de son auteur et les circonstances vraiment solennelles, owil a été publié semblent placer hors de ligne. GoETHE, philo- sophe et naturaliste en même temps que poète, s’est constitué le rapporteur de la controverse philosophique qui eut lieu en mars 1830, au sein de votre académie, et le dernier produit du génie fecond toujours puissant de cet homme prodigeux est une analyse SO RE Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. Tan de mes nouvelles vues de philosophie zoologique, un jugement sur mes principes nouveaux de determination et sur l’influence qu'il les croit appeles a exercer sur les progrès des sciences de la philosophie.“ Wir sehen hier also nochmals, wie GOFTHES Parteinahme aus- genutzt wurde, und daß Grorrroy stets wieder zu der übrigens von GOETHE in keiner Weise unterstützten Behauptung zurück- kehrte, daß er ganz neue Ideen in die Wissenschaft eingeführt habe. GoerrHE hingegen sah in Grorrroys Philosophie nichts anderes als eine Bestätigung solcher Ansichten, die er er seit fünfzig Jahren hegte. An und für sich war GEOFFROY, nach den in der Akademie gefolgten Gebräuchen, allerdings auch berechtigt seine Ernennung zum Secretair perpetuel zu erwarten, da man aber von einem Schriftführer in erster Linie verlangen muß, daß er unparteiisch sei, so fanden viele Mitglieder der Akademie ihn ungeeignet für dieses Amt. Andere glaubten, daß es eine Beleidigung des ver- storbenen Cuvier sein würde, wenn man seinen heißblütigen Gegner zu seinem Nachfolger ernennen würde. Die Kommission, welche der Sitte gemäß, einen Kandidaten in Vorschlag bringen mußte, hielt viele Sitzungen und konnte nicht zu einem Entschluß gelangen, weil man die Ansprüche GrorrRovs zwar anerkannte, aber ihn trotzdem nicht wünschte. So mußte die Akademie sich entschließen, ohne Vorschlag der Kommission, eine freie geheime Wahl zu treffen, ein Fall der bisher noch nicht vorgekommen war. Das Resultat war, daß DuLone mit großer Mehrheit der Stimmen gewählt wurde, während GEOFFROY nur einige auf sich vereinigt sah °”). So hatte der Streit mancherlei Folgen. Übrigens war er mit dem Tode Cuviers noch lange nicht beendet. Grorrroy hielt sich für den Propheten einer neuen Geistesströmung, und als Cuvier nicht mehr zu bekämpfen war, da blieb doch noch der Einfluß, den er auf seine Schüler augeübt hatte. Am 24. September 1832 88) bot GEoFFRoY der Akademie wieder eine größere Arbeit zum Druck an, welche in ausführlicher Weise seinen Standpunkt ver- teidigte und mit dem Eigenlob schloß: „En être venu là au sujet des études si compliquées de la structure animale, c’est avoir grandi, dans la première des sciences philosophiques, de l’enfance à la virilite 89) [ GEOFFROY blieb stets gleich fruchtbar, jedes Jahr brachte er = 5 = 172 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. viele neue Arbeiten oder auch ganze Bücher. Seine Kraft lag in der Massenproduktion. Das Verzeichnis seiner Schriften fülit fünfzig Großoktav-Druckseiten und ich schätze ihre Gesamtzahl auf mehr als fiinfhundert%). Viele, viele derselben habe ich ge- lesen ader durchblättert, die meisten findet man in der Bibliothek des Jardin des plantes. Ich gelangte zu dem Resultat, daß alles, was nach dem Jahre 1818 von seiner Hand erschienen ist, also nach seinem offenen Zutritt zur Partei der Naturphilosophie, heute einfach wertlos ist oder als Kuriosität betrachtet werden kann. Höchst unsympathisch ist der Ton in diesen späteren Arbeiten und besonders nach dem Jahre 1830. Immer die gleiche zwingende, prophetische Sprache, der gleiche bombastische Stil, das stets zurückkehrende Eigenlob und die ewigen Anspielungen auf seinen Streit mit Cuvier oder das Hervorheben derjenigen Auffassungen, wodurch er sich von Cuvier unterschied ®). Er war gar nicht mehr imstande, eine morphologische Arbeit anzufertigen ohne Tendenz, ohne Philosophie. In der Beziehung glich er also ganz den deutschen Naturphilosophen wie OkEn und auch GOETHE. Die nie endende Zurückweisung Cuvierscher Ansichten nahm zuweilen eine Form an, als ob er den Charakter dieses großen Mannes in Verdacht bringen wollte, so daß Cuviers Bruder für den Toten eintreten mußte *). Dann zeigte Grorrroy allerdings sofort das entrüstete Gesicht der beleidigten Unschuld, hatte er doch immer das Gefühl, daß man ihn verfolgte, während Cuviers Nachruhm, die erlittene Niederlage ihn nicht ruhen noch rasten ließ. Cuviers Schüler ließen Grorrroy in Ruhe, verteidigten sogar ihren Meister nicht. Sie hatten von diesem wohl gelernt, daß Forschen, Arbeiten besser ist als Streitschriften schreiben über philosophische Ideen. Aber GEOFFROY wußte natürlich sehr wohl, daß seine Philosophie durch die Schule Cuviers nicht gelehrt ?), sondern auf den Kollegien bestritten wurde, und dieser Gedanke wird dem maßlos eitlen Mann unerträglich gewesen sein. Ein Buch folgte auf das andere, um die Welt zu überzeugen, daß er recht habe, um der Welt zu lehren was sie ihm danke, ihm dem Gründer der modernen, das heißt philosophischen Natur- wissenschaft. Dabei war der Name GoETHEsS wie ein Schild, daß er stets den Gegnern vorhielt °4); um sich in dessen Strahlen sonnen zu können verbreitete er GoETHEs Ruhm in Frankreich, der dort als Naturforscher nicht geschätzt wurde %). Darum war GOETHE als Naturforscher: „Le juge competent, le plus grand génie de Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 173 l'Allemagne 96)“. KePLER, Newron, Burron und GOETHE, das waren die größten Naturforscher, welche die Erde getragen hatte °?). Burrox war sehr eitel, Linné nicht weniger. Aber GEOFFROYS noch dazu unberechtigte Eitelkeit ist grenzenlos und aufdringlich. Er widmete dem eigenen Ich so viele hundert Seiten, daß es schwer fällt, diese zu lesen, ohne das Buch mit Ekel fortzu- schleudern. Wer glaubt, daß mein Urteil zu streng ist, der ver- suche es, diese Schriften zu lesen 98). Sie haben in der Geschichte der Naturwissenschaften ihresgleichen nicht. Leider endete diese GEOFFROY-Literatur auch mit seinem Tode noch nicht. GEOFFROY hatte einen Sohn, der auch Naturforscher wurde und die Pro- duktivität des Vaters erbte, den er grenzenlos verehrte. Seine Feder brachte weitere Bände, um den Vater zu verherrlichen 99) und Cuvier womöglich herabzudrücken 1°), zu welchem Zwecke jede Umdeutung historischer Tatsachen erlaubt schien. GEOFFROY der Vater, der doch Cuvier wiederholt zum Kampfe aufgefordert hatte, war in den Augen des Sohnes ein armes un- schuldiges Lamm !9!), das der Wolf Cuvier hatte zerreißen wollen, er war ein armer Märtyrer der Wahrheit, ein Christus, dessen Haupt von der Dornenkrone !”) zerrissen wurde, der früh ins Grab sank, erschöpft durch den Widerstand Cuviers. BLAINVILLE, den wir oben bereits als einen Genossen GEOFFROYs kennen gelernt haben, schrieb ein dickes Buch, eine Schmähschrift ärgster Sorte, in dem jeder heruntergerissen wurde und besonders auch Cuvier. Den Inhalt dieses Buches benutzte BLAINVILLE zu Vorträgen, gab es aber nicht heraus. Leider hatte man nach seinem Tode den Mut, diese Schrift drucken zu lassen, wodurch man nur dem Verfasser geschadet hat 1%) Wer sich durch diese Literatur hindurchgearbeitet hat, und dabei erwägt, wie wenig Cuvier über die Naturphilosophie und GEOFFROY geschrieben hat !°), da er beiden am liebsten aus dem Wege ging, der muß wohl den Eindruck bekommen, daß nur ein Riese an Geist solchen Haß auf sich laden konnte, der noch ein halbes Jahrhundert nach seinem Tode wirkte. Für Grorrroy selbst ließe sich unser Urteil vielleicht mildern, indem wir annehmen, daß er seit 1820 durch querulanten Ver- folgungswahnsinn ergriffen wurde Dafür spricht das Urteil einer seiner Zeitgenossen, der die Worte schrieb: „Maintenant aux certaines choses on le considere à peu près comme un demi- aliene“ 105), 174 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. Wir müssen nun noch auf die Beziehungen eingehen, welche man gerne zwischen dem Streit GrorrrRoys und dem Darwinis- mus sucht. GEOFFROY, Vater und Sohn schoben später den Anlaß des Streites „die Vergleichungen zwischen niederen und höheren Tieren“ ganz zur Seite1%), da Cuviers Auffassung in dieser Be- ziehung immer mehr durchdrang. Weiter gab besonders GEOFFROYS Sohn der Sache eine solche Wendung, als ob eigentlich über die Variabilität der Tiere gestritten worden sei!) Da viele Schrift- steller sich nun damit begnügten, die historischen Arbeiten des Sohnes zu lesen, also die verkehrte Darstellung des Sach- verhaltes, den dieser gab, und die historischen Quellen unbeachtet ließen, so konnte man allerdings auf den Gedanken kommen, daß 1830 über die Variabilität der Tiere gestritten worden sei 198). Man wußte ja auch, daß Grorrroy sie bejahte, Cuvier sie verneinte. GEOFFRoOY hätte dann also prädarwinische Gedanken gegen CUVIER verteidigt. Wenn er nun auch im Streit den kürzeren zog, so hätte er, im Sinne heutiger Auffassung, doch recht gehabt. Eine weitere Konsequenz dieser irrigen Auffassung war dann, daß nun auch GOETHE, durch seine Parteinahme !%), als Verteidiger der Variabilität und so als Prädarwinist hingestellt werden konnte. Besonders in der deutschen Literatur begegnet man dieser irrigen Auffassung häufig. Trotzdem ist sie eine Fälschung der Geschichte, und leider wird dieser Irrtum von einem Buch in das andere übertragen. Er hat so sehr Schule gemacht, daß die zahlreichen Zeugen für die gegenteilige, richtige Auffassung, die man besonders auch unter Cuviers Zeitgenossen findet, unbe- achtet bleiben !!9), Aus dem oben genanten Irrtum ging dann naturgemäß ein anderer hervor, den man z.B. bei Grarp in folgenden Worten findet: „Le despotisme scientifique de Cuvier appuyé sur un autre despotisme non moins néfast aux progrès de l’humanité (gemeint ist hier natiirlich die Kirche) stérilisa pour longtemps le champ de la philosophie naturelle fruit de cinquante années d’efforts et les germes précieux de la plus grande decouverte (die Deszendenztheorie) de ce XIX siècle 11), Diese Behauptung ist einfach unsinnig, denn Grorrroy lebte ja 12 Jahre länger als Cuvier und fand noch Zeit viele Schriften herauszugeben. Sein unermüdlich für ihn eintretender Sohn starb erst 1861, also zur Zeit, als Darwins Siegeszug begann. Wie Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 175 konnte da der Despotismus Cuviers den Prädarwinismus GEOFFROYS unterdrücken. Man erwäge außerdem, daß GEOFFROY LAMARCK verwarf und außer einer in der Hitze des Streites entworfenen Arbeit nur für eine ganz beschränkte Variabilität eintrat, die man kaum als Prädarwinismus bezeichnen kann. Vor allen Dingen soll man aber nie aus den Augen verlieren, daß der Kampf in der Akademie sich gar nicht um die Varia- bilität drehte. Die Unite de composition, die Basis der Natur- philosophie GEOFFROYS, vertrug sich, wie die Arbeiten vieler Au- toren zeigen, ebensogut mit der Konstanz der Art als mit der Variabilität. GoErTHEs Parteinahme beweist demnach für seine Stellungnahme zu diesem Meinungsunterschied absolut gar nichts !!?). Ganz abgesehen von dem hier beschriebenen Streit vertrat GEOFFROY allerdings auch Ansichten, die den modernen entsprechen (Epigenese und Variabilität), während die gegenteiligen, die Cuvier vertrat (Evolution und Konstanz), heute verlassen sind. Aber gerade in bezug auf diese, die für GEOFFROY reden, war GOETHE ent- weder gleichgültig und zweifelnd (Epigenese) 4?) oder ein Anhänger Cuviers (Konstanz der Art). Die Anschauung, welche ihn und GEOFFROY gegen CuvIER zusammenbrachte, der Grund des Streites, (der gemeinsame Plan, die Unite de composition aller Tiere) war unrichtig und darin wurden beide durch Cuvier besiegt. Seine Parteinahme hat GoETHE also keine Ehre eingebracht. Darauf wies besonders K. E. von Barr!"*): „So viel ich weiß, haben alle Naturforscher, welche mit der Organisation der Tiere sich an- haltend beschäftigt hatten, CuvieR beigestimmt. Es tut mir daher leid, daß der geniale GoETHE sich für Grorrroys Ansichten in diesem Streite erklärt hat, weil Gorrues Autorität mächtig auf die Laien gewirkt hat. Allerdings gab es auch in Frankreich Stimmen, die für Grorrroy sich erhoben, allein diese Stimmen kamen von Dilettanten und sie wurden durch die Eifersucht, mit der man Cuviers Ruhm schon lange in Frankreich beneidete 11°), zu solchen Meinungsäußerungen veranlaBt.“ GorrHEs Stellungnahme zu dem hier beschriebenen Streit ist allerdings hochinteressant. Nicht weil darin etwa moderne dar- winistische Gedanken gefunden werden, sondern weil sie uns die Eigenart GoETHEs als Naturforscher so recht deutlich zeigt. In beiden ausführlichen Referaten geht er niemals auf die Details ein. Er hätte sich doch darüber äußern müssen, ob man die Kopffüßer mit den Wirbeltieren vergleichen dürfe oder über 170 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. einige der anderen Details, die in diesem Streit eine Rolle spielten. Das tat er aber nicht, er las aus GEOFFRoyS Streitschrift nur den philosophischen Gedanken heraus, den er selbst 50 Jahre vertreten hatte1!). Von dessen Richtigkeit war er so sehr über- zeugt, daß er es gar nicht mehr nötig fand, die Theorie mit den Tatsachen zu prüfen, nachdem jene sich einmal (beim Zwischen- kieferknochen) mit diesen in Übereinstimmung erwiesen hatte. Daß eine Theorie für ein beschränktes Gebiet gelten kann, aber nicht für das Ganze, blieb ihm verschlossen. Darum waren auch zwei Drittel des zweiten Referates 17) nur eine Darstellung des eigenen Entwicklungsganges, darum fand er es auch gar nicht nötig, die einschlägige Literatur zu lesen, CUVIERS in der Streitschrift sehr kurz wiedergegebene Auffassung in dessen Werken zu studieren !!8). Grorrroys einseitiges Buch bedurfte keiner Nachprüfung, da das Resultat GoETHEs eignem Entwick- lungsgang entsprach. Es war weiter ein großer Fehler, daß er in seinem im März 1832 geschriebenen Referat nur die Tatsachen kannte, die bis zum Oktober 1831 vorgefallen waren, und auch diese nicht ganz vollständig. Hätte er alles bis zuletzt verfolgt, dann hätte er Stellung nehmen müssen zu den Auffassungen GEOFFROYS, die uns heute am meisten interessieren. Vielleicht hat GoETHE sich aber darüber nicht äußern wollen, wie ich in einem anderen Aufsatz in bezug auf PanpER und Vorer gezeigt habe. Was würde GOETHE gesagt haben zu GEOFFROYS Verwerfung des Vitalismus, zu seinem Stammbaum der Vögel und Saurier, zu seinen Angriffen auf die Teleologie? In dem oben zitierten, über den Streit handelnden Gespräch mit SORET zeigt GOETHE sich durchaus als Teleologe: „Von nun an wird auch in Frankreich bei der Naturforschung der Geist herrschen und über die Materie Herr sein. Man wird Blicke in große Schöpfungsmaxime tun, in die geheimnisvolle Werkstatt Gottes und das Atmen des Geistes empfinden, der jedem Teil die Richtung vorschreibt und jede Ausschweifung durch ein inwohnendes Gesetz bändigt oder sanktioniert 119)‘, Übrigens war Grorrroy ja auch Teleologe und nur in seinem Kampf mit CUVIER tat er so, als ob eres nicht wäre. Mitten im Kampf entfielen ihm Ausdrücke wie folgender: ,,Voila l’oeuvre de Dieu ses dons a toujours concedes. La nature est la loi qu'il a donnée au monde. Cette manière de comprendre la nature, de la considerer comme la manifestation glorieuse de la puissance créa- Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 177 trice, et de trouver dans cet immense spectacle des choses créées des motifs d’admiration, de gratitude et d’amour, constituant les rapports et les devoirs de l’humanité à l'égard du maitre et du suprême législateur des mondes“ 120). So auch: „Pour un naturaliste, qui conclut d’après les faits chaque être est sorti des mains du créateur avec de propres con- ditions matérielles“ 11), Mit solchen Zitaten könnte man Seiten füllen. Ich will hier nur noch erwähnen, daß er öfter in die Worte ausbricht: ,,Coeli enarrant gloriam dei, laudamus dominum !??)“. Während man in Cuviers wissenschaftlichen Arbeiten nur selten ein Glaubensbekenntnis trifft, findet man sie bei GEOFFROY allerwegen. Trotzdem liebt man es, Cuvier als den Teleologen und Verteidiger des Glaubens darzustellen und Grorrroy als den Prädarwinisten und Monisten !??), In den Augen der Zeitgenossen war Cuvier durchaus kein Typus des gläubigen Mannes. BLAINvILLE und Parapisi, glaubige Katholiken, verurteilten seine Werke von ihrem Standpunkt !?*). Trotzdem stand BLAINVILLE auf Seiten GEOFFROYs wie oben wieder- holt hervorgehoben wurde. Das ist wohl der beste Beweis, daß der Glaube als eine allgemeine Weltanschauung nichts mit diesem Streite des Jahres 1830 zu schaffen hatte. (GEOFFROY rettete sowohl in der ersten wie in der zweiten Revolution Priester mit eigener Lebensgefahr 5), Cuvier verwaltete die reformierte Kirche Frankreichs. Es ist töricht, die Leute damaliger Zeit nach den heutigen Auffassungen beurteilen zu wollen. Wer sich in den Geist jener Zeit hineingelebt hat, der darf ruhig behaupten, daß Cuvier, GEOFFROY, LAMARCK, GOETHE, kurz alle bedeutenden Naturforscher „schaudernd mit Entsetzen“ (um einen ScHILLER schen Ausdruck zu gebrauchen) sich weggewendet haben würden von der heutigen materialistischen Naturbetrachtung, gleichwie sie sich auch weggewendet hatten vom Materialismus und Atheismus Frankreichs des 18. Jahrhunderts. Es ist ganz richtig, daß Grorrroy, um den Begriff ,,unité“ bis aufs äußerste zu treiben, einmal den Vitalismus angriff, auch einmal als Deszendenzthecretiker auftrat. Aber das war eine vorübergehende Laune, er war und blieb gut römisch-katholisch und nahm sonst nur eine beschränkte Variabilität an. Diese Annahme stempelt aber niemand zum Darwinisten. Variabilität wurde von Hunderten von Gelehrten vor DARWIN gelehrt, und nicht etwa die 178 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. Kirche, sondern die Systematiker widersetzten sich gegen diese Auffassung. Auch Cuvirr hatte an und für sich nichts gegen diese Lehre, er widersetzte sich ihr nur, weil sie ihm als ein Ausfluß der wildphantastischen Naturphilosophe entgegentrat, die er aus Liebe zur Wissenschaft glaubte bekämpfen zu müssen. GEOFFROY war also ebensowenig wie GoETHE ein Prädar- winist. Trotzdem ist es begreiflich, daß HAECKEL und seine Schule sich zu einem Manne angezogen fühlten, der die Tatsachen ge- ringer schätze als die Theorie, der die Tatsachen stets durch die Brille der Theorie betrachtete, statt es der Zukunft zu über- lassen aus den Tatsachen Theorien zu bilden, die die jetzt lebenden Forscher nur vorbereiten helfen. Seine „Unite de composition“ paßt ganz zu der „Urzeugung“ und den „Stammbäumen“ jener Schule. Ich habe zu Anfang bereits darauf hingewiesen, daß diese Richtung in der Naturwissenschaft vielleicht eine notwendige Fr- gänzung der anderen Richtung ist, die wir in Cuvier, Jon. MÜLLER und anderen vertreten finden. Darum wird der Streit vom Jahre 1830 sich noch unzählige Male wiederholen müssen. Anmerkungen. 1) E. Georrroy SAINT HILAIRE: Principes de philosophie zoologique discutés en mars 1830 au sein de l’académie royale des sciences. Paris 1830. 2) J. V. Carus schrieb (Geschichte der Zoologie S. 590 —501) über Goethe: Er hatte nur den einen Gedanken ,,die [dee eines Urtypus für die Tiere anzudeuten, welchen er aber weder definieren noch durch allgemeinere Andeutungen einigermaßen anschaulich machen kann. Seiner ganzen Eigenheit nach war ihm ein solcher Typus Bedürfnis, aber nicht wissenschaftliches sondern ästhetisches. Die „Gestalt“ hatte von Anfang an sein künstlerisches Interesse erregt, und wie er für die künstlerische Verkörperung gewisser idealer Charaktere, z. B. in Statuen, das dieselben bezeichnende Typische in der Form zu suchen bemüht war, wie er aus gleichem Antriebe die physiognomischen Studien LAVATERS so lebhaft zu fördern suchte, so ergreift ihn auch für die tierischen Gestalten der Gedanke, ein idealer Typus möge die Verschiedenheiten zu einem wohl- tuenden künstlerischen Ausgleich bringen. Diese in ihm und seiner ganzen Persön- lichkeit sich voilziehende Verschmelzung der Naturauffassung mit dem Kunstbedürfnis war es auch, welche trotz der späteren Veröffentlichung seiner Betrachtungen noch mächtig auf seine Zeitgenossen und Jünger einwirkte“. Goethe wandte seine ,,sinnig poetische, idealistisch vergeistigte Weltanschauung‘ auf die Natur an. 3) „Da meinten sie denn sich der mühsamen Spezialuntersuchungen überheben und mit einem Schlage aus ihrem eigenen Geiste die Pflanze und das Pflanzenleben konstruieren zu können (K. F. W. Jessen, Botanik der Gegenwart und Vorzeit. Leipzig 1864. S 412). OKEN behauptete geradezu, daß er beim Niederschreiben einer „Inspiration“ folge. Gleiches versicherte GEoFFRoY SAINT HILAIRE. — Gé = Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 179 4) Die Naturphilosophie war eine deutsche Schöpfung und wurde aus dem Spino- zismus geboren, welcher mit seiner denkenden, leitenden Gott-Natur von einem Gedanken a priori ausging. Zu letztgenannter Richtung zählt man KiELMEYER, den bedeutendsten Lehrer der damaligen Zeit. Zu seinen Schülern gehörte der Philosoph SCHELLING, der dann die Beurteilung der Naturerscheinungen nach aprioristischen Gedanken, in ein System brachte, das die Naturwissenschaft ganz durch die Philosophie beherrschen wollte. Daf erstere auch ihre konkrete Seite hat, wurde dann ganz aus den Augen verloren, Die Spinozisten hatten sich vor Übertreibung zu wahren gewußt und waren eben darum berechtigt, die Physicotheologen zu bekämpfen. Die Naturphilosophen hingegen verfielen in die tollsten Phantastereien, die durchaus an den Mysticismus im kirchlichen Leben erinnern. 5) Die von GoETHE geschriebenen Referate, die bei seinen naturwissenschaftlichen Studien abgedruckt zu werden pflegen, behandeln immer nur Arbeiten der naturphilo- sophischen Schule. In der zweiten Auflage seiner Metamorphose der Pflanzen schrieb er die Worte: „Ich lasse darin einige Stellen von bedeutenden jungen Naturforschern eintreten, wobei es erfreulich ist zu sehen, daß sich jetzt in Deutschland unter den Bessern ein so guter Stil gebildet hat, daß man nicht mehr weiß, ob der eine redet oder der andere‘. Will man sich von den Extravaganzen von Goethes jüngeren Freunden überzeugen, so lese man die beiden ihm gewidmeten Bücher M. J. BLurr: Entwick- lungs-Kombinationen organischer Wesen, Köln 1827, F. J. ScHELvER: Lebens- und Formgeschichte der Pflanzenwelt, Heidelberg 1822. In diesen Kreis gehört auch, dem Vorwort nach, die Schrift von L. Mertens: Zur Physiologie der Anatomie, Berlin 1841. Weiter Kiesers Aphorismen, 1808. So achte man auch auf die Triade in C. G. NEES von EsENBECKS Handbuch der Botanik (Nürnberg 1820—24), das auch GoETHE gewidmet ist. Ich nenne hier nur einige der markantesten Schriften. O. JAEGER schrieb (Grund- - zuge der Geschichte der Naturwissenschaften, Stuttgart 1897) ‚Goethes und seiner Nachfolger unklare aus dem Boden der Naturphilosophie herausgewachsene Anschauung von der „Metamorphose“ und der ,,Spiraltendenz der Vegetation‘ wurde von KARL FRIEDRICH SCHIMPER (1803—1867) und von ALEx. BRAUN (1805—77) zu einer konse- quenten, jedoch rein idealistischen, formalen Betrachtung der Pflanzengestalt aus- gebildet‘. 6) In dem Fonds Cuvier (Institut de France, Paris) finden sich viele Briefe der deutschen Freunde Cuviers, welche sich heftig über die Naturphilosophie beklagen. AUTENRIETH schrieb (1. Nov. 1801) in einem dieser Briefe, daß diese Strömung auch wohl nach Frankreich hinüberschlagen werde, was sich dann auch an GEOFFROY be- wahrheitete. 7) GoETHE verglich zunächst die drei Teile des Insektenkörpers mit Kopf, Brust und Bauch der Wirbeltiere, später auch die Nervenganglien der Insekten mit dem Gehirn der Wirbeltiere. W. A. VIII. 13. u. 15. 8) Considérations générales sur la vertèbre. Mémoires du museum d’hist. nat. Tom. IX. p. 99. 1822. De la vertèbre chez les insectes. 9) GEoFFRoY selbst hat diesen Gedanken allerdings nicht ausgesprochen. Er ver- glich die Insekten und Crustaceen (Krebse) mit den Plattfischen, die auf der Seite schwimmen, sich also halb gedreht haben. Ein unbekannter Autor (Annales des sciences naturelles T. II. p. 245. 1824) ging einen Schritt weiter mit der Behauptung, daß die In- sekten sich um 180° gedreht hätten, also Tiere seien, die auf dem Rücken liefen. Den komplizierten Gedankengang beider Autoren kann ich hier nicht wiedergeben. Die Richtung hat heute noch zwei Vertreter in England „GASKELL und PATTEN“. Zool. Annalen V. 12 180 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 10) C. G. Carus, Lehrbuch der Zootomie. Leipzig 1818 u. 1834. Von den Ur-theilen des Knochen- und Schalengerüstes. Leipzig 1820. Vergleiche Goethe W. A. XII. 255. Erläuterungstafeln zur vergleichenden Anatomie. Leipzig 1827. 1!) GortHe. Das Schädelgerüst aus Wirbelknochen auferbaut. 23. Juni 1824. W. A. VII. 167. ,,Mir aber bleibt gegenwärtig nur das Vergnügen Zeuge zu werden des fortschreitenden reinen Bestrebens, womit Herr Dr. CArus das ganze organische Gebäude verfolgt und uns in dessen Geheimnis einzuweihen das Glück und die Freude haben wird. Es liegen vor mir Probedrücke der Platten zu seinem unternommenen Werke, ferner eine große Tabelle des ganzen organischen Baues vollkommener Tiere, sodann aber besonders noch die genetische Entwicklung des Schädels aus einer kom- plizierten und problematischen Bildung. Hier fühle ich mich nun erst vollkommen beruhigt, erwarte die fernere Ausbildung mit Zutrauen.‘ ‚Die fundamentalen Arbeiten unseres Carus“ (XIII. 116). Vergleiche auch GoETHE: Zur Naturwissenschaft und Morphologie, Bd. II. H. 1, wo ein Artikel aus Carus aufgenommen wurde. Weiter GOoETHES Vergleichung des Brustbeins mit der Wirbelsäule. W. A. VIII. 21. 9— 19. 12) Riemer, Briefe von und an Goethe. S.:299. Dez. 1806. 13) Ich zitiere hier nach der deutschen Übersetzung von Grorrroys Arbeit in Mecxets Archiv für Physiologie. Bd. VI. S. 59. 1820. Die Originalarbeit erschien in Annales gén. des sc. physiques. p. 96— 133. 1820. Im Jahre 1822 schrieb er nochmals „Je desirerais une explication publique je le sollicitai même“ Journal complément. du dictionnaire des sc. nat. T. XIV, p. 241. Paris 1822. Er behandelte das gleiche Thema in: Sur une colonne vertébrale et ses cötes dans les insectes. Journ. compl. sc médicales T. V. p. 340. T. VI. p. 138 und Annales gén. sc. physiques de Bruxelles. T. II. p. 317. T. IV. p. 96. Sur un squelette chez les insectes dont toutes les pièces identiques entre elles sont de plus ramenées à leurs correspondantes des os du squelette des animaux supérieurs. Journal compl. du dictionnaire sc. médic. V. 340. Sur le système intravertébral des insectes. Annales de la med. physiol. T. III. p. 233—249 und Archives générales de la med. T.I. p. 418. 1823. Weiter die oben Anm. 8. schon zitierte Arbeit. 14) Von solch einem Streit berichtet Grorrroy selbst in seinem Buche: Philo- sophie zoologique l. c. p. 59. Später griff Cuvier die Naturphilosophen an in seinem Buche ‚Histoire naturelle des poissons“ (T. I. p. 545—551 in 8° 1828). Beide Male nannte er dabei GEoFFRoY nicht. Trotzdem fühlte dieser sich persönlich angegriffen und antwortete in sehr gereiztem Tone in seiner Rede „Sur le principe de l’unité de composition, 1828‘, welche gleichzeitig seinen stets stärker hervortretenden Hoch- mut zeigt. Im Jahre 1829 sprach Cuvier dann nochmals kritisch über die Naturphilo- sophie in einer Sitzung der Akademie. GEoFFRoY behauptete, er habe ihn dabei scharf angesehen, und dies war dem reizbaren Manne ein neuer Anlaß, um einen Artikel zu seiner Verteidigung loszulassen (Phil. zoologique p. 188), der im Moniteur erschien. (29. Octobre 1829. Extrait d’un rapport fait à l’académie le 19 Octobre 1829 sur deux freres attachés ventre A ventre). Der Streit vom Jahre 1830 hatte also sein Vorspiel. Die Korrespondenz zeigt die Entzweiung der alten Freunde schon im Jahre 1824 (Fonds Cuvier L. 246. 11). i 15) ,,Ces propositions effarouchérent, je ne puis l’avoir oublié.“ „Sera-t-on disposé à une reconnaissance de ses nouvaux faits, si l’on peut craindre de faire à ses dépens une trop grand part de gloire à l’inventeur ?‘“ ,,Tout ce mystère de leurs — 98 — Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 181 afrinités avec ceux-là (Vertebraten) comme avec ces derniers (niedere Organismen) avec les mollusques et généralement avec tous les êtres de la nature était révélé." Considerations sur la vertèbre. Siehe Anm. 8 oben. ‘5) Philosophie anatomique 1818, 4. mémoire, p. 208 nach R. Owen: Principes d’ostéologie comparée p. 28.. Paris 1855. 17) Er zitiert sich selbst: Princ. de phil. zool. l. c. p. 198. Diese Arbeit ist von 1823. 15) Bulletin de la soc. philomat. 1822. p. 115. Meckels Archiv. VIII. 1823. S. 487. 19) Bulletin de la soc. philomat. 1820. Meckels Archiv f. Physiologie VI. 116. 1820. 20) Der erste, welcher die Teile des Insektenkörpers Wirbel genannt hat, war Worron: De differentiis animalium p. 175. 1552. Er ging aber nicht näher darauf ein. Eine ausführliche Vergleichung brachte dann RoBInEr im Jahre 1768. (M. J. P. FLourENS: Analyse raisonnée des travaux de CUVIER p. 251. 1841. F. Ducasse: Etude historique sur le transformisme. p. 37. Paris 1876). Da J. B. WiLBRAND es nötig fand, um solche Vergleichungen im Jahre 1814 zu bekämpfen (Über die Klassifikation der Tiere, Gießen 1814), so ist anzunehmen, daß RoBInET mehrere Nachfolger gefunden hat, die ich noch nicht entdeckt habe. WILBRAND dozierte in Jena. Es folgten: EscHscHOLTZ: Beschreibung des äußeren Skelets einiger Insekten. Beiträge zur Naturkunde aus den Ostseeprovinzen, herausgegeben von Pander. Dorpat 1820 (der Artikel wurde 1819 geschrieben). Von dieser Zeitschrift erschien, wie mich Herr Prof. L. Stırva benachrichtigte, nur eine Lieferung. Für THon siehe unten. 21) C. F. Heusincer: Dr. THEopor THox über das Skelett der Käfer mit einem Vorwort und einer Nachschrift. Meckels Archiv Bd. VIII. 1823. Cu. L. NirzscH: Uber die zwischen Rückgratthieren und Panzerthieren überhaupt und den Vögeln und Insekten insbesondere stattfindende Parallele. Meckels Archiv für Anat. u. Phys. Bd. 1. S. 43. 1826. K. E. von Barer: Über das äußere und innere Skelett. Meckels Archiv. I. S. 327. 1826. 22) Seit zehn Jahren, wenn man nur auf die Arbeiten Grorrroys achtet, worin Insekten mit Vertebraten verglichen werden. Ein Alliierter GoETHEs war er aber schon früher, seit 1807 (Annäles du museum X, p. 342, 1807) und besonders seit der Herausgabe seines Buches ‚Philosophie anatomique 1818‘, worin die Unité de com- position schon mit Kraft verteidigt wurde. 23) Die „Lecons d’anatomie comparée“ wurden 1808— 10 von FRORIEP und MECKEL herausgegeben. Auch „Le regne animal“ erschien in deutscher Übersetzung in Stutt- gart 1821 und Leipzig 1831. 24) K. E. von BAER: Uber Entwicklungsgeschichte der Tiere. Th. I. S. 206 ff. Königsberg 1828. 2°) ,,Ces vues d’unité sont renouvelées d’une vieille erreur née au sein du panthe- isme, étant principalement enfantée par une idée de causalite, par la supposition inadmis- sible que tous les étres sont créés en vue les uns des autres; cependant chaque être est fait pour soi, a en soi ce qui le concerne‘ (Cuvier in Dictionnaire des sciences naturelles von LevrauLT unter ,Nature“). „Je sais bien, je sais que pour certains esprits, il y a derrière cette théorie des analogues, au moins confusément, une autre theorie fort ancienne, réfutée depuis longtemps, mais que quelques Allemands ont reproduite au profit du systéme panthé- istique appelé philosophie de la nature.“ (Cuvier, 5 Avril 1830, Philosophie zoologique ae. ps 24.) * 122 ı82 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. „Es scheint mir nämlich, daß aus längst verflossener Zeit sich eine Menge yon Vorstellungen, die auf der Ansicht von einer Stufenleiter beruhen, sich fortgepflanzt haben und, ohne daß wir es wüßten, unserer Ansicht der organischen Verwandtschaft eine Farbe geben, die nicht aus der Untersuchung stammt. Sind die Behauptungen, daß die Cephalopoden oder die Krebse sich an die Fische anschließen oder gar in sie übergehen, nicht Ausdrücke dieser Grundansicht? Aus einer unmittelbaren und freien Vergleichung der Organisation können sie doch wohl nicht hervorgegangen sein.“ (K. E. v. Baer: Über die Entwicklungsgeschichte der Tiere. I. S. 238. 1828.) „Die Bonnet-Burronsche Idee eines allgemeinen einheitlichen Planes wurde zwar von einigen, besonnen die Tatsachen berücksichtigenden Forschern als nur in den Funktionen nachweisbar erkannt, von E. GEOFFROY aber, dem GoETHE beistimmt, auch auf die Form ausgedehnt, hierdurch die Anerkennung der vergleichenden Methode stark beeinträchtigend. Dem gegenüber wirft die Aufstellung mehrerer Typen für das ganze Tierreich neues Licht auf alle zootomischen Tatsachen.“ (Carus, Geschichte der Zoo- logie, S. 574.) GEoFFRoY schrieb selbst (Phil. zoolog. p. 22): „Pour cet ordre de considerations, il n’est plus d’animaux divers. Un seul fait les domine, c’est comme un seul être qui apparaît. Il est, il réside dans l’animalité; être abstrait, qui est tangible par nos sens sous des figures diverses.“ Das ist das Urtier, die Urpflanze GOETHESs. Wenn er sich nun auch darüber beschwerte, daß Cuvier ihn mit den Pantheisten verglich und diese Lehre zurückwies (Hérésies panthéistiques, Diction. de la conversation XXXI. 481. 1836), so verbanden ihn solche Gedanken doch mit den Pantheisten. 26) Philosophie zoologique l. c. p. 24. GoETHE W. A. VII. 180. 2?) Der Angriff war nicht persönlich durch beleidigende Ausdrücke, sondern durch die gewaltige Überhebung eigener Auffassung, wodurch die Cuvirrs als eine veraltete, einseitige und ganz unbrauchbare zur Seite geschoben wurde. Der ganze Angriff ging nur von GEOFFROY aus und nicht von seinem Korefe- renten LATREILLE, wie dieser ausdrücklich hervorhob (18. Mai 1830. Fonds Cuvier. Carton B. L. 60). Er sah das Referat Grorrroys erst kurz vor der Sitzung, obgleich es auch in seinem Namen ausgebracht wurde. Ebenso unschuldig waren die Verfasser der referierten Arbeit. (Vergleiche MeyRANx Briefe an Cuvier. Fonds Cuvier. Carton B. L. 60.) Meyranx starb kurz nachher. 28) „M. Cuvier ne pouvait laisser passer ce jugement sans contestation. Il a réclamé contre la partie de ce rapport qui touchait aux opinions qu’ il a énoncées sur ce sujet dans un de ses ouvrages et M. G. St. H. a cédé a cette juste demande en modifiant son rapport.“ Journal des débats, 16 Févr. 1830. 29) „L’ordre était mis dans le régne animal (Cuvier: Le regne animal distribué d’après son organisation). Que venait donc faire M. Grorrroy ? Que voulait-il? Il venait défaire ce qu’ avait fait, et avec tant de soin, avec tant de peine, M. Cuvirr. Partout où M. Cuvier avait porté l’ordre il apportait le désordre; partout où M. Cuvier avait séparé les structures, il les remélait. M. Cuvier ne le peut souffrir; et de là le fameux débat dont je vais raconter l’histoire.“ (P. FLourENS: De l’unité de compo- sition et du débat entre Cuvirr et GEOFFROY SAINT HILAIRE. p. 14. Paris 1865.) 0) Journal des débats, 25 Février 1830. Die ganze Verhandlung (Considérations sur les mollusques et en particulier sur les Céphalopodes) ist abgedruckt in Annales des sciences naturelles. Mars 1830 und Revue encyclopédique, T. 46. p. 5—19 Avril 1830. = TOO Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 183 GEOFFROY und GoETHE zitieren immer nur den in der Zeitung gegebenen Auszug, . den ersterer in sein Buch aufnahm und dem sehr wichtige Teile fehlten. Hingegen versah GEOFFROY seine eigenen Arbeiten weitläufig mit Noten. | 31) Le Temps 5 Mars 1830. Le National 22 Mars 1830. Revue encyclopédique T. 46, p. 23, 798—709, 1830. Vergleiche Philosophie zoologique I. c. p. 191—222. 32) Des caractères de la doctrine de l’unité d’organisation appelée „Theorie des analogues“. Revue encyclopédique T. XLV. p. 761. Der Titel lautet bei GEOFFROY (Phil. zool. 1. c. p. 81) etwas anders. 38) Wie nahe ARISTOTELES bereits den modernen Gedanken gewesen war, zeigte E. Caro in Revue de deux mondes p. 176. Octobre 1865. Früher hatte GEoFFRoY dies auch bereitwillig anerkannt. (Sur le principe de l’unité de composition 1828. p. 21.) 34) Bei Grorrrov’s Sohne findet sich später eine Stelle, wo er die Priorität Vico D’Azyrs anerkennt, denn auch dieser ging von einem Modèle primitif et general aus. Fragments biographiques p. 127. Paris 1840. 35) In seiner Rede „Consideration sur l’os hyoide“. Revue encyclopédique, T. 45, P- 765- Gleicher Auffassung waren: K. E. von BaER: Studien II, S. 269. Archiv für Anthropologie Bd. XXIV. 1897, S. 259— 267. ‘ ©. Scumipr: Die Entwicklung der vgl. Anatomie 1855. J. V. Carus: Geschichte der Zoologie, S. 574, 594. München 1872. E. Caro: La philosophie de Goethe. Revue de deux mondes. Octobre 1865. R. EBLE: Versuch einer pragmatischen Geschichte der Arzneikunde vom Jahre 1820— 25. S. 70. 1837 —40. R. Owen: Anatomy of Vertebrates Vol. III. p. 786. 1868. J. MùLLeR: Jahresbericht über die Fortschritte der anat. u. phys. Wissenschaften 1833. MEcKELS Archiv f. Physiologie S. 2. 1834, der zu vermitteln suchte. Th. Huxrey stellte sich 1854 wunderlicherweise noch auf Seiten Grorrroys und zwar mit Berufung auf K. E. von BAER, den er vermutlich wohl nie gelesen hat (Scientific memoirs. London 1898. I. p. 281), sonst hätte er gewußt, daß von BAER entgegengesetzter Meinung war. 38) Principes de philosophie zoologique 1. c. p. 166 und 170. 7) Principes de phil. zoolog. |. c. p. 21, 26, 30, 189. Gazette médicale, 23 Octobre 1830. Mémoires de l’academie T. XII. 1833, p. 137, 136 und an gleicher Stelle p. 75. „Ce sera avec tout le courage nécessaire, que je souffrirai le blame des esprits posi- tifs; je veux dire des personnes qui se parent de cette qualification flatteuse et qu’ils croient mériter, parce qu’ils ne sortent jamais des travaux purement oculaires et de- scriptifs.“ Daß Cuvier gewiß kein einfacher Tatsachensammler war und ebensogut wie GEOFFROY nach allgemeinen Naturgesetzen forschte, dafür zeugen nicht nur seine Werke, sondern ausnahmsweise auch der ihn sonst verurteilende Isınor GroFFROy (His- toire nat. gen. T.I. p. 285—286). Vergleiche auch O. Scumipr: Die Entwicklung der vergl. Anatomie S. 111—112. 1855. Caro, I. c. p. 176—179. J. V. Carus: Geschichte der Zoologie ]. c. S. 600—602 u. a. «Ja sogar E. Grorrroy gab dies früher zu. Journ. complém. du diction. des sc. nat. T. XIV. p. 241. Paris 1822, wo er eine Arbeit Cuviers zitiert, die in Annales générales des sc. phys. Bruxelles T. VII. erschien. Cuvrer selbst schrieb: „Une science (hist. nat.) placée sur la limite qui sépare les sciences de pur raisonnement des sciences de faits; une science où, tandisque esprit du naturaliste contemple une 2. IG, — 184 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. multitude de faits et d’étres, son génie s’eleve avec enthousiasme a la recherche des causes de ces faits, à la considération des rapports de ces êtres.“ (Mémoires sur les espèces d’elephants, Mémoires de l’institut national T. II. p. 1—2. 1796.) Vergleiche J. Grorrroy, Histoire nat. gen. T. I. p. 285 — 286. 38) Cuvier brachte „Consideration sur l’os hyoide“ und Grorrroy „Sur les appli- cations de la théorie des analogues à l’organisation des poissons". Revue encycl. T. 45 p. 765. | 39) Sur les os hyoides. Revue encyclopédique. T. 45. p. 767. 40) Journal des savans. Avril 1830. 41) Es ist GoETHE öfter vorgeworfen worden, daß er so wenig Interesse für die Tagespolitik zeigte. Er selbst äußerte sich darüber wie folgt: „Sowie ein Dichter politisch wirken will, muß er sich einer Partei hingeben, und sowie er dieses tut, ist er als Poet verloren; er muß seinem freien Geiste, seinem unbefangenen Überblick Lebewohl sagen und dagegen die Kappe der Borniertheit und des blinden Hasses über die Ohren ziehen.“ Man findet das Weitere bei EckERMANN, Thl. II. März 1832. 42 ) J. P. Eckermann: Gespräche mit GoETHE. Thl. III. 2 August 1830. #3) Revue encyclopédique. T. 46, p. 504—505. 445) Revue encyclopédique. T. 47, p. 240. 4°) Journal des débats. 20 Juillet 1830. GoETHE behauptete, daß CuvieR „sich zugleich über die Unvollständigkeit des eben vorgelesenen Resumés beklagte“. Worauf GOETHE diese Behauptung gründet, blieb mir unerklärlich. Ich fand nichts darüber in der Literatur jener Zeit. GorTHE scheint auch nicht bemerkt zu haben, daß es sich hier gar nicht um den alten Streitpunkt handelte, und es ist unbegreiflich, warum er gerade die Sitzung des 19. Juli so wichtig fand. Hier liegt wohl ein Irrtum im Datum vor. 46) Revue encycl. T. 46, p. 709. #7) Revue encycl. T. 46, p. 22—23. 48) Mémoire sur les grands sauriens trouvés à l’état fossile attribués d’abord au crocodile, puis déterminés sous les noms de Teleosaurus et de Sténéosaurus. Revue encycl. T. 48, p. 259. Erschien erst 1833 im XII. Bande der Mémoires de l’académie. Der 11. Oktober brachte die Fortsetzung. Siehe Gazette médicale 9 et 16 Octobre 1830. La spécialité des formes de l’arriere crane chez les crocodiles et Videntité des mêmes parties organiques chez les reptiles téléosauriens. Erschien erst 1833 wie oben. 49) Gazette médicale. 16 Octobre 1830. °°) Gazette médicale. 23 Octobre 1830. Sur quelques conditions générales des rochers et la spécialité de cet organe chez le crocodile. 5!) Sur quelques conditions générales des rochers et la spécialité de cet organe chez le crocodile. Gazette médicale. 23 Octobre 1830. 52) Daß GEOFFROY GOETHE früher kaum kannte, schließe ich aus der Art und Weise, wie er ihn 1818 zitierte (Philosophie anatomique II. p. 55), die einzige Stelle, wo er, soweit ich weiß, GoETHE vor 1830 zitiert hat. 3) Gazette médicale. 30 Octobre 1830. 54) Mémoires de l'académie des sciences T. XII. 1833. Les pièces osseuses de l'oreille chez les crocodiles et les reptiles téléosauriens retrouvées en même nombre et remplissant les mémes fonctions que chez tous les autres animaux vertebres. See (Anim) 54) Pr 03 (0: dese 28) Ac (Anm. 54), p: 136, 137. Sa dO} i— Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 185 57) Diese stets wechselnden Ansichten Grorrroys brachte Cuvier in eine Tabelle, welche sich unter seinen hinterlassenen Handschriften (Carton F. L. 94) findet: „Va- riations de M. GEoFFRoY sur la determination des os de ia tête des crocodiles 1809, 1824, 1832". Sie wäre für die spätere Zeit in amüsanter Weise zu vervollständigen. 58) Philosophie zoologique 1. c. p. 66 u. 187. 59) Etudes progressives d’un naturaliste p. 109—110. Paris 1835. 6) Sur la théorie physiologique désignée sous le nom de vitalisme. Gazette médicale. 8 Janv. 1831. Vergleiche den Sitzungsbericht der Akademie an gleicher Stelle, p. 18. 61) Des vrais fondemens de la theorie du vitalisme. Gazette médicale 22 Janvier 1831. GEOFFRoY antwortete in der Nummer vom 12 Février 1831. Er erklärte, daß er dies nur tue, weil andere ihn dazu gedrängt hätten. Sonst hatte er solchen Andrang wirklich nicht nötig! 62) GEoFFRoY verteidigte die Variabilität zuerst 1825, also erst 14 Jahre nach dem Erscheinen des berühmten Buches von LAMARCK, auf welches er sich beruft (Recherches sur l’organisation des Gavials. Mém. mus. hist. nat. T. XII, p. 149. 1825). Er be- hauptete dort übrigens nur, daß die heutigen Krokodile von den fossilen abstammen. Eine zweite Arbeit folgte 1828 (Mèmoire où l’on se propose de réchercher dans quels rapports sont entre eux les animaux des äges historiques et vivant actuellement et les espèces antidiluviennes et perdues. Mém. mus. T. XVII. 1828. p. 209.) Dabei verteidigte er Lamarck (dessen Tom. I. p. 218), allerdings nur in bezug auf die Variabilität durch äußere Einflüsse, gegen Cuvier (Ossemens fossiles, T. I, p. 57, 1821). Die von ihm für seine Meinung angeführten Gründe (Monstrositäten, Beeinflussung der Eier im Brutofen) sind allerdings wertlos. Er kam darauf 1829 zurück (Annales des sciences naturelles, T. XVI, p. 34 u. 41, 1829) und zwar berief er sich nun auf den Rückschlag bei verwilderten domestizierten Tieren. Lamarck und Cuvier werden auch hier genannt. Er blieb bis dahin innerhalb der Grenzen des Genus. Diese über- schritt er erst (nach dem Streit mit Cuvier) am 28. März 1831 (Sur le degré d’influence du monde ambiant pour modifier les formes animales, lu en 1831. Mémoires de l’académie des sciences. T. XII, 1833). Fische entstehen nun aus Krokodilen, erstere aus Tieren, die den Embryonen der Fische ähnlich sind. Damit war LAMARCK fast erreicht. Er kam aber nicht wieder darauf zurück und bewegte sich 1837 (Comptes rendus de l’acad. sciences. T. IV. p. 59. 77. 80. 1837) wieder in engen Grenzen wie später sein Sohn Isipor, der dies in seiner Histoire nat. générale genau auseinandersetzte. 3) Revue encyclopédique, T. 49. p. 455 und Gazette médicale. 26 Févr. 1831. ®4) Du degré d’influence du monde ambiant pour modifier les formes animales composant le caractère philosophique des faits différentiels. Revue encyclopédique. T. 49. Vergl. Anm. 62 oben und Gazette médicale. 2 Avril 1832. 9) Revue des annales des sciences naturelles. Séance du 15 Février 1831. Annales des sciences naturelles. T. XXIV. p. 202—204. Paris 1831. 56) Diese Arbeit sollte unter dem Titel erscheinen: „De la variété de compo- sition des animaux.“ Unter seinen hinterlassenen Manuskripten (Fonds Cuvier im Institut de France, Carton B. L. 65) findet sich eine unvollendete Einleitung zu diesem Buch. Weiter kann man dort die sechs gegen GEoFFRoY gerichteten Memoiren stu- dieren, die fast druckfertig sind. Von einigen erschienen Auszüge in den Tages- blättern, andere sind vollständig erschienen. Cuvier muß die Absicht gehabt haben, sie gesammelt herauszugeben (siehe Fonds Cuvier, Carton B, L. 64, 65) und hat diesen Gedanken wohl später fallen lassen. Die oben genannte Einleitung bringt 186 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. einen scharfen Angriff auf die Deszendenztheorie von LAMARCK, den CuvieR ja schon öfter bekämpft hatte und dessen Ideen Grorrroy am 28. März in die Akademie ge- bracht hatte. Weiter ist Bündel 94 sehr wichtig als Bekämpfung der Naturphilosophie. 67) Revue encyclopedique T. XLVI p. 5—19. Aus dem handschriftlichen Nach- laß Cuviers (Carton F, L. 94) geht weiter hervor, daß er an seiner „Histoire des sciences naturelles“ bis zum letzten Augenblick (1832) gearbeitet hat und daß deren letzte Seiten eine Kritik über die Naturphilosophen gebracht haben würde. Diese Notizen wurden wohl von MADELEINE DE Saint Acy benutzt, der diese Histoire herausgab. 68) 14 Février. Sur les bas-reliefs du temple de Jupiter Olympien dans leurs rapports avec l’histoire naturelle. Revue encyclopédique T. 49 p. 455. Die Arbeiten vom 21 Février waren allerdings die gleichen wie die vom ıı Octobre 1830, die er erst zurückgezogen hatte. Vergleiche auch die Gazette médicale. 69) Siehe Anmerkung 64. 70) 2. und 9. Mai. Excursion géologique à Caen. Siehe Gazette médicale 7. und 14. Mai. Unter anderem Titel gedruckt 1833 in T. XII der Mémoires de l’académie. 71) Gazette médicale, 16 juillet 1831 et 23 juillet 1831. , Mémoire sur l’emploi erroné de l’os intermaxillaire, pour en déduire les conditions indicatives du caractère des dents incisives“ und ,Sur les dents antérieures des mammifères rongeurs, dans lequel l’on se propose d’établir que ces dents dites jusqu’ici incisives sont les analogues des canines.“ Revue encyclopedique T. 50. p. 211. 213. 7?) Gazette médicale, 30 Juillet 1831. Revue encyclopédique T. 51. p. 427. 7?) Gazette médicale, 23 Octobre 1830: Sur quelques conditions générales des rochers et la spécialité de cet organe chez le crocodile. 74) Réflexions de GoETHE sur les débats scientifiques de mars 1830 dans le sein de l’Académie. Annales des sciences naturelles T. XXI. p. 170. 1831 und Revue médicale francaise et étrangère. Decembre 1830. Das zweite Referat GoETHES übersetzte BorHLINGK. Dieses erschien in Revue encyclopédique T. 53, p. 563, 1832 unter dem Titel „Dernieres pages de Goethe“. 75) Sur les écrits de GoETHE lui donnant des droits au titre de savant naturaliste. Annales des sciences naturelles T. XXII. p. 188. 76) GoETHE hatte ihm selbst ein Exemplar der Übersetzung von Soret geschickt (Gazette médicale, 30 juillet 1831). GEOFFRoY schrieb darüber ein Referat, das er wieder in zwei verschiedenen Zeitschriften veröffentlichte. Sur un nouvel ouvrage de GoETHE traitant des analogies et de la métamorphose des plantes. Journ. compl. des sciences medicales T. XL. p. 279 und Revue encyclopédique T LI. p. 523, 1831. Dieser „nouvel ouvrage“ war damals gerade 4o Jahre alt! “7) Sur la conformité organique dans les animaux. Gazette médicale, 29 Octobre 1831. Une espèce de compromis entre les doctrines de Mm. Cuvier et GEOFFROY St. HILAIRE. 7) Lettre sur quelques points du mémoire ayant pour titre: De la conformité organique dans l’échelle animale. Gazette médicale, 5 Novembre 1831. 7°) ,Grorrroy dépose sur le bureau pour prendre date, un tableau qu’il présente comme contenant le résultat définitif de ses recherches sur le sujet , Tableau des os hyoides dans les différentes classes des vertebres. (Revue encyclopédique T. 52. p. 775). „On se rapelle que, lors de la discussion qui s’etablit entre l’auteur et M. Cuvier, au sujet du système de l’unité de composition, M. Cuvier signala quelques interprétations défectueuses de ce système à l’égard de l’hyoide.“ (Gazette med. 17 décembre 1831). Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 187 80) Gazette médicale, 7 Janvier 1832. Mémoire sur les progrès de l’ossification dans le sternum des oiseaux. Cuvier bewies hier, daß das Brustbein auch inner” halb der Gruppe der Vögel nicht immer aus der gleichen Anzahl Ossifikationspunkte hervorgeht, zuweilen sind es zwei, zuweilen fünf. Unite de composition ist also nicht vorhanden. (Vgl. Revue encyclop. T. 53 p. 214). Gedruckt in Annales des sciences naturelles t. XXV. p. 260. 1832. 81) Über Evolution und Epigenese. SERRES und GEOFFROY waren Anhänger der letzteren Ansicht. Cuvier antwortete „Je ne parle pas nipour ni contre l’Epigenese“. Dabei möge man beachten, daß die Epigenese darum von vielen ernsten Forschern bestritten wurde, weil sie zur Variabilität und Transmutation zu führen schien, also zum Regellosen. 82) „M. GEoFFRoY prend la parole et déclare que loin de vouloir accepter la nouvelle discussion qui semble lui être offerte par le mémoire de Cuvier..." „Il se contente de mettre le public à même de juger et le public jugera.“ Gazette médicale 7 Janvier 1831. 83) Gazette médicale, 14 Janvier 1832. Observation sur le mémoire de M. CUVIER, relatif aux degrés d’ossification dans le sternum des oiseaux. Ausführlich in dieser Zeitschrift referiert und nach J. Georrroy St. H. erschienen in Nouv. annales du museum t. II. Diese und die Anm. 80 genannte Arbeit Cuvrers findet man auch in der Gazette medicale. 84) Bérard: Cours de physiologie p. 300. Paris 1848. 8°) „Le président annonce à l’académie la mort de M. Cuvier. Cette perte immense occupant tous les esprits, la lecture de la correspondance se fait sans que personne y prête attention. La séance cependant continue. M. GEoFFRoY St. H. fait part de la mort de M. Huger de Genève.“ DELESSERT brachte eine andere Korrespon- denz. ARAGo referierte über TouRNAL, „et la suspend (la séance) en voyant qu’elle n’est écoutée ni des académiciens ni des autres personnes présentes.“ Revue encycl. T. 54, p. 576. 86) Revue encyclopédique T. 54, p. 582. Gazette médicale, 2 Juin 1832. #7) Siehe Gazette médicale, Feuilleton vom 7 Juillet 1832 und weiter die Mit- teilungen über die Stimmung am 9 Juillet in dieser Gazette (14. Juillet 1832) und in der Revue encyclopédique T. 55, p. 252. 88) Ein jeder begriff, daß dies eine Fortsetzung des alten Streites sei: Nous esperons donner dans un article special l’analyse de ce mémoire important par sa ten- dance philosophique et comme nouvelle pièce du procès qui s’etait élevé ilya deux ans entre les deux premiers naturalistes de la France. (Revue encyclopédique T. 55, p. 740. Der Titel ist: Observations sur la concordance des parties de l’hyoide dans les quatre classes d’animaux vertébrés. 89) Über diesen Satz sagte er selbst: „Je termine ce mémoire, fruit de vingt ans de recherches, par une phrase ou qu’on trouvera reprehensible par le caractère d’un mouvement prétentieux et déplacé d’orgueil, et le public en ferait bonne et sévère justice, ou bien au contraire qui est fondée sur le sentiment consciencieux, le droit légitime et l’autorité d’un exegi monumentum, et le public m’approuvera“ (Gazette médicale, 29 Sept. 1832). Das Publikum, worauf er sich beruft, wird wirklich ununterbrochen von ihm bearbeitet. Wegen desselben Publikums hatte man mit Gutheißen GEOFFROYS den Streit in der Akademie geschlossen ! %) Bei J. GEoFFRoY SAINT Hirarre. Vie, traveaux et doctrine de GEOFFROY. Paris 1847, am Schluß. Dabei publizierte er viele Arbeiten zwei- oder dreimal. CUVIER 188 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. spottete darüber, und um mich zu überzeugen, daß CuvieR nicht übertrieb, habe ich nach solchen doppelten und dreifachen Publikationen gesucht, ich fand bisher 5 drei- fache und 16 doppelte. Vergl. Anm. 74 und 76. 91) So in den folgenden Arbeiten: Mém. de l’acad. roy. des sciences T. XII. p. 63. 71. 75. 1833. Artikel: Le degré de l'influence du monde ambiant etc. Etudes progressives d’un naturaliste. Paris 1835. Comptes rendus de l’académie des sc. T. V. p. 365, 366. 1837. und T.IV. p. 59 und 77. 1837. Notions synthetiques historiques et physiologiques de philosophie naturelle PUR T838: Fragments biographiques. p. 251, 291, 326, 355 und an anderen Orten. Paris 1840. Trotzdem behauptete er, daß er nur wenige Exemplare seines Buches „Principes de philosophie zoologique“ habe drucken lassen, um Cuvier nicht zu verletzen. Revue encycl. T. 46. p. 712. »2) Comptes rendus de l’académie. T. V. p. 77 Und 183. 1837 und desselben Jahres p. 305 (27 aoüt) und p. 365 (4 septembre). Man beachte, wie lächerlich und ligenhaft dieser Streit wiedergegeben wird am Schluß der Lebensbeschreibung GEOFFRoys in der Bibliographie universelle. %) In 1835 erschien die édition posthume von Cuviers Anatomie comparée, die durch Di mErıL herausgegeben wurde. Die ersten Bände hatte Cuvier noch druckfertig gemacht. Im ersten Bande p. 99—100 findet man seine letzten Worte gegen die Naturphilo- sophie, das Gesetz der Polarität, die übertriebene MEckeısche Auffassung des biogene- tischen Grundgesetzes, die Deszendenztheorie. Alles wird aber in 2!/2 Seiten abge- handelt. Damit vergleiche man die vielen Bände, welche GEoFFRoY diesen Lehren widmete. Der Stil ist auch sehr ruhig, nicht gereizt, und GeoFFRovs wird mit keiner Silbe Erwähnung getan. 9) Die Stellen, wo auf die Teilnahme GoETHEs hingewiesen wird, sind die gleichen, welche in der Anmerkung 91 genannt wurden. In Fragments biographiques ist ein Kapitel GoETHE speziell gewidmet: Außerdem fand ich noch von ihm: Analyse des travaux de GoETHE en histoire naturelle, Comptes rendus. Acad. sc. Il. p. 555 und 563. 1836. Sein Sohn Istpor brachte dann 1838 nochmals die zoologischen und anatomischen Werke GoETHEs in die Akademie (Comptes rendus Acad. sc. T. VI. p. 320), nachdem die Übersetzung von CH. Fr. Martins (1837) er- schienen war. Ob diese vielleicht auch auf Antreiben Grorrroys angefertigt wurde, habe ich nicht untersucht. Lewes (l. c.) nennt noch von ihm: Essai de zoologie générale p. 104. 1841 Vergleiche außerdem Isinpor GEOFFRoYS: Histoire nat. gén. z. B. Préface p. XIII. AUGUSTE SAINT HILAIRE, der Botaniker schloß sich bekanntlich an seine Namens- vettern an. Lewes (l. c.) zitiert von ihm: Morphologie végétale I. p. 15. Comptes rendus des séances de l'acad. VII. p. 437. %) Diejenigen, welche sich gerne auf die GEoFFRoys berufen, um GoETHE als Naturforscher zu ehren (z. B. Macnus |. c. S. 101), sollten erwägen, daß diese Quelle eine durchaus unlautere ist. Auch sollte man nicht vergessen, was mit GOETHES Farbenlehre in der französischen Akademie geschah: ,Malgré les vives sollicitations et l’active influence de M. REINHARD, l’academie des sciences refuse de faire un rapport. L’un des commissaires garde le silence. DELAMBRE se borne à dire: „Des obser- vations, des expériences et surtout ne commencons point par attaquer Newton“. Cuvier, plus dédaigneux encore déclare qu’un tel travail n’est pas fait pour occuper oo = Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 189 une académie, et l’on passe à l’ordre du jour (E. Caro: Revue de deux mondes. p. 164. Oct. 1865. F. Ducasse schrieb: „O GoETHE, puissant génie, sublime poète, l’humanité t’admira toujours et les âges les plus reculés rediront ton nom; la mémoire de l’auteur de Faust et de Mıcnon vivra autant que la terre . . . mais nul sauf les coryphées du transformisme ne songera jamais à célébrer l’étrange naturaliste, qui a rêvé la trans- formation du „cochon d’eau“ en ,écureuil volant“. (Étude historique et critique sur le transformisme. Paris 1876.) Cuvier (in seinen Manuskripten Carton F. L. 94) nennt GoETHE: „L’auteur de WERTHER, de Goetz, de Faust, de HERMANN et DOROTHEA“. Wenn er sich dann aber an den Naturforscher macht, dann sagt er von seiner Kompensationstheorie „cela est absurde“ und charakterisiert dann seine naturwissenschaftlichen Arbeiten mit dem fol- genden charakteristischen Zitat: „La queue ne peut étre considérée que comme une indication de l’infinité des existences organiques“. GoeTHES Worte lauten (W. A. VIII. 15. 5—9). „Ihr letzter oder hinterster Teil hat mehr oder weniger eine Fortsetzung, den Schwanz, die aber eigentlich nur als eine Andeutung der Unendlichkeit organischer Existenzen angesehen werden kann.“ 9%) Comptes rendus. acad. sc. T. V. p. 366. 1837. %7) Fragments biographiques 1840. „Au souvenir des glorieux progrès de la philosophie naturelle. Principe dans le développement de l’humanité, d’une ère nou- velle, commençant à la découverte du système astronomique par KEPPLER et NEWTON et se continuant sous l’autorité des conceptions unitaires sur la vie harmonieuse de l'univers par Burron et GoETHE.“ Liest man den avant-propos des Buches, so geht daraus deutlich hervor, daß der fünfte Name E. GEOFFROY SAINT HILAIRE hätte sein sollen. %) Man lese besonders die: Fragments biographiques 1840. So die Kapitel: Viellesse outrag&e und Conclusions (p. 353). Weiter: Notions synthetiques, historiques et physiologiques de philosophie naturelle 1838. Hier will er das liefern, was NEwToN unterlassen hat, nach der Auffassung NapoLeons. Etudes progressives d’un natura- liste 1835: Hier sagt er von sich selbst aus, daß er der Welt zwei grosse Dienste erwiesen habe, den der Entdeckung des Gesetzes ,Soi pour soi‘ und die CuvIErs. Dieses Gesetz kennt heute niemand mehr, und Cuvter wurde bekanntlich durch TESSIER entdeckt. (Archiv. für Anthropologie Bd. XXIV. S. 259-267. 1897.) 99) J. GEOFFROY SAINT HILAIRE: Vie, travaux et doctrine de Greorrroy. Paris 1847, z. B. p. 366. Histoire naturelle générale des régnes organiques 1854—59 z. B. p. 110 und die Einleitung. 100) „Pour venger son père blessé dans une discussion célèbre, ISIDORE GEOFFROY ST. HILAIRE avait juré, ce semble, de faire jusqu’à sa mort une guerre acharnée a l’empire de Cuvier. Il a tenu ce serment avec une ardeur qui l’a, je crois, emporté, sur quelques points, au delà des limites de la vérité et de la justice. Toutes les pa- roles inexactes, les assertions douteuses, les généralisations prématurées ou trop ab- solues, émises par ce maître habituellement si mésuré, ont été censurées, dans l’histoire des règnes organiques avec une rigueur extreme.“ H. de VALROGGER: La génèse des espèces. p. 358. Paris 1873. 101) Siehe (Vie, travaux et doctrine) l. c. p. 371—381. 102) Wie oben (Vie, travaux et doctrine) I. c. p. 371. „La couronne du novateur a toujours été, comme celle du christ, une couronne d’épines.“ 108) D. pe BLAINVILLE: CUVIER et GEOFFROY SAINT HILAIRE. Paris 1890 heraus- gegeben von Por Nrcarp. Ein Satz möge genügen, um das Buch zu charakterisieren: 190 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. „C’est un sujet (Philosophie zoologique), dont M. G. Cuvier s’est fort peu ou du moins assez peu occupé, et en preuve qu’il ne souriait pas a la nature, c’est qu’il a fini, parvenu A l’äge de soixante ans, par un précis des poissons, la classe d’animaux la plus béte de toutes (p. 341).“ 104) Vergl. Anmerkung 14 u. 93, weiter Cuviers: Histoire des sc. nat. z.B. p. 441. 15) Lettre du docteur Quoy a JuLien Desjarnıns. Noël 1836 in S. F. Hamy: Les débuts de Lamarck. p. 339. Paris 1909. R. Knox (Great artists and great anatomists. p. 96. London 1852) schrieb über GEOFFRoy, den er in 1820—21 kennen lernte: „He seemed me to have ceased to teach, having become wholly unintelligible to the students, in consequence of his transcendentalism, but few attended him“ und p. 141 ,,He told me that he never wrote but under the influence of inspiration, and I firmly believe it‘. Wer das Leben GEoFFRoys in der Biographie universelle liest, wird daraus das im Guten wie im Schlechten wild aufbrausende Gemüt dieses Mannes kennen lernen. Einerseits äußerte sich dies durch seine lebensgefährlichen Rettungen der Geistlichen in zwei Revolutionen, andererseits hatte es auch seine lächerliche Seite. Allerdings beschreiben die Franzosen seine Verteidigung der in Ägypten gemachten Sammlungen gegen die Engländer als eine glanzvolle Tat. Ich kann sie nicht als solche aner- kennen, sie zeigt nur das Zügellose des Heißsporns. Wer lieber wissenschaftliche Sammlungen den Flammen übergibt, als sie einem geistig gleich hochstehenden Volke ausliefert, der hat kein Verständnis für die Wissenschaft, aber wohl für die nationale Eitelkeit oder eignen Stolz. Frankreich beraubte damals alle Länder Europas. Was würden die Franzosen darüber gesagt haben, wenn man in allen diesen Ländern die Museen und Sammlungen und Kunstwerke lieber angezündet hätte, als sie Frankreich zu übergeben? Derselbe GEOFFROY, der sich nicht von den Engländern wollte plün- dern lassen, plünderte dann in systematischer Weise die Museen Portugals und füllte mit seinem Raube 17 große Kisten. Davon mußte er den Engländern einen Teil abtreten, und als diese die Kisten öffneten, zeigte sich, daß drei derselben keine naturwissen- schaftlichen Gegenstände enthielten, sondern ‚Geld‘. ,,Metallic specimens of shapes and figures, on which heretics like myself look with horror and pity, and other rich plunder.‘‘ So erzählt Knox (l. c. p. 99), dem es im Jardin des plantes mitgeteilt wurde. Man beachte dabei, daß Knox, obgleich er beide bewunderte, doch mehr auf Seiten GEOFFRoys stand als auf der Cuviers. GEOFFROyS tolle Arbeit über den Wirbel nennt er (p. 112) „beautiful memoir‘, und in bezug auf den Kampf vom Jahre 1830 steht er auf der Seite GEOFFROYS. 106) Ich fand nur eine Ausnahme und zwar findet sich diese in GEoFFRoys Buch „Fragments biographiques p. 295“, wo er sein „pur si muove“ in bezug auf seine Vergleichung von Wirbeltieren und wirbellosen Tieren wiederholt. 107) J. Grorrroy SAINT HILAIRE: Vie, travaux et doctrine de GEOFFROY SAINT HILAIRE p. 374 u. 395. Paris 1847. Dort wird behauptet, daß der Streit im Jahre 1830 über die Variabilität handelte. 108) Es scheint, daß besonders HäckeL diese Meinung propagiert hat. So in seiner: Generellen Morphologie vom Jahre 1866. Im ersten Bande S. 69 nennt er als Gegen- stand des Streites die Naturphilosophie, aber im zweiten Bande (S. 161) ist daraus schon die Transmutationstheorie geworden: „Die Niederlage, welche Cuvier in seinem Kampfe mit GEOFFROY 1830 öffentlich der Naturphilosophie und speziell der Descendenz- theorie bereitet hatte, war scheinbar so gegründet und wurde so allgemein anerkannt, daß in der nun folgenden Periode, beinah volle drei Dezennien hindurch von einer — 108 — Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. | QI Umwandlung der Species, ja überhaupt von einer Entstehung derselben fast nirgends mehr die Rede war.“ Auch der letzte Teil dieses Satzes ist durchaus unrichtig, wie ich an anderer Stelle zeigen werde. In seiner Schöpfungsgeschichte Teil I 1898 (g. Aufl.) sagt er dann schon kurz- weg „Er (der Streit) drehte sich wesentlich um die Entwicklungstheorie“ (Seite 78.) J. MoLescHoTT (Vorträge „Darwın“ 1883 S. 17—18) schrieb schon kurzweg, daß GEorrroy „die Wandelbarkeit der Art und die Abstammung der höheren Or- ganismen von niederen verteidigte“ in seinem Streit mit Cuvier vom Jahre 1830. G. SevpLITzZ: Die Darwinistische Theorie (S. 33) Leipzig 1875 schrieb: „Hätte nun GOETHE wohl GEOFFRoY, den öffentlichen Vertreter der Deszendenztheorie, „seinen Alliierten auf die Dauer“ genannt, wenn er nicht in der Tat selbst dieser Ansicht ge- huldigt hätte.“ Ähnliches schrieb J. Sacus (Geschichte der Botanik S. 171), der sich dabei auf HÄcker beruft. E. Dacoué: Der Deszendenzgedanke und seine Geschichte, S. 94. München 1903. „Wenn GoETHE in G. St. HILAIRE einen Alliierten sieht, wo doch dieser Gelehrte den Deszendenzgedanken rein naturwissenschaftlich auffaßte, so ist damit GoETHEs An- schauung über die Wandelbarkeit der Organismen von selbst in das richtige Licht gesetzt.“ Es wären hier noch viele deutsche Autoren zu nennen, die alle HAcKEL nachgeschrieben zu haben scheinen, ich habe mir aber nicht die Mühe gegeben, sie alle zu notieren. Die gleiche Auffassung über den Streit bringt auch das Biographische Lexikon hervorragender Ärzte, dann noch vor kurzem Yves DELAGE und GoLpsmitH: Les théories de l’evolution, Paris 1909 und S. F. Hamy: Les débuts de Lamarck p. 340, Paris 1909. R. Macnus: GoETHE als Naturforscher, S. 101, Leipzig 1906, O. JÄGER, Grundzüge der Geschichte der Naturwissenschaften, S. 98, Stuttgart 1897 und andere. 109) GoETHEs Referate erschienen in den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik im September 1830 und im März 1832 in Berlin. 110) Die Zeitgenossen waren natürlich genau über den Grund des Streites unter- richtet so: R. Owen: Anatomy of vertebrates T. III p. 786 ff. London 1868, J. MüLLEr: Jahresbericht für die Fortschritte der anat. u. phys. Wissenschaften 1833. Archiv f. Anat. u. Phys. S. 2. 1834. K. E. v. BAER: Archiv f. Anthropologie Bd. XXIV. 1897. S. 259—267 und Studien Bd. II. S. 260. Ä F. S. Vorer: Lehrbuch der Zoologie Bd. I in Naturgeschichte der drei Reiche. Bd. VII. Stuttgart 1835. J. Georrroy ST. Hiratre: Histoire nat. gen. Tom. II. p. 412—413. W. WHEWELL: Geschichte der Naturwissenschaften T. III. 1841. P. FLourens: De l’unité de composition et du débat entre Cuvier et GEOFFROY SAINT HILAIRE 1865. Vergleiche auch HuxLEey: On the common plan of animal form 1854. Scientific memoirs. London 1898. I. p. 281. Übrigens war er wohl einer der wenigen, die sich auf Seiten Grorrroys stellten unter Berufung auf die Embryologie. A. CLEMENS: GOETHE als Naturforscher, S. 18, Frankfurt am Main 1841. E. FarvrE: Oeuvres scientifiques de GoETHE. Paris 1862. G. MOLDENHAUER in ECKERMANNsS Gespräche mit GoETHE Bd. III. Siehe Index. Leipzig Reclam. O. Scumipr: Die Entwicklung der vergleichenden Anatomie 1855 unter Vico D’Azyr. M. Hoernes: Natur und Urgeschichte des Menschen, S. 43—44, Wien 1909. 192 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. J. V. Carus: Geschichte der Zoologie. S. 596. München 1872. F. Ducasse: Etude historique et critique sur le transformisme. p. 25—26. Paris 1876. E. Caro: Revue de deux mondes. Oct. 1865. Das wichtigste Zeugnis stammt aber von GEOFFROY selbst, der noch im Jahre 1833 schrieb (Mem. de l’acad. des sciences. T. XII. p. 71. 1833): „Quant au second age qui se rapporte aux explications a donner, je m’en suis longtemps abstenu, ayant voulu rester entierement dévoué aux recherches de la période précédente celle des consi- dérations de l’anologie des êtres. Je devais surtout dans une discussion solemnelle me défendre de méler intempestivement les sujets de ces deux théses distinctes.“ Sein Sohn Isin. GEOFFRoY zeigt denn auch (in seiner Hist. nat. générale T. II. p. 412), daß sein Vater sich zwar schon in den Jahren 1825, 1828, 1829 für die Variabilität ausgesprochen hatte, aber erst im Jahre 1831 diese Gedanken ausführlicher aus- arbeitete. Bei der Diskussion konnte GEoFFRoY also nicht ein bekannter Verteidiger der Deszendenzlehre genannt werden. Wer diese älteren Studien liest, wird zugeben, daß sein damals angenommenes Variationsvermögen kaum die Grenzen des Genus überschritt. In seinem Buch Philosophie Zoologique, das ganz dem Streit mit CUVIER gewidmet ist, liest man zwar p. 119 den Ausdruck: „Variable sous l’influence des milieux ambians“, aber er handelt dort nur über die Variabilität der Kulturpflanzen und die Abänderungen in der Blumenkrone der gezüchteten Blumen, die niemand bestritt. Zwar zitiert er p. 184 u. 185 die Lehre Lamarcxs über die Variabilität der Art durch äußere Einflüsse, nennt ihn aber bloß um zu zeigen, daß richtige Gedanken auf falsch beobachteten Tatsachen beruhen können, nicht etwa um sich auf ihn zu berufen und seine Lehre zu seiner Verteidigung anzuwenden. Schließlich möge man sich durch persönliches Nachlesen davon überzeugen, daß GorTHE in seiner Behand- lung des Streites niemals die Variabilität erwähnt. W. A. Bd. VII. S. 173-205. Bd. XIII. S27 117 220. 111) A. Grarp: Histoire du transformisme. Controverses transformistes. p. 20. Paris 1904. 112) Daß GoETHE gegen die Variabilität war, zeigte sich schon früher S. 133— 134. 118) Niemals hat GoETHE sich bestimmt für die Epigenese ausgesprochen, er ließ diese neben der Evolution gelten. W. A. VI. 288—289, VI. 314—315, VII. 8. 114) K. E. v- Baer Studien II. S. 269. Niemand hat den Streit zwischen CUVIER en GEOFFROY besser beschrieben als K. E. von BAER in seiner von STIEDA heraus- gegebenen Geschichte Cuviers. (Archiv für Anthropologie Bd. XXIV. S. 259— 267. 1897.) 115) Was man Cuvier nicht verzeihen wollte (Principes de philos. zool. p. 19), das war die grosse Gunst, welche er nicht nur bei Napoleon sondern auch bei den Bourbonen genoß. Daß er diese nur seinem organisatorischen Talente und seinem klaren Verstande dankte, wollte man nicht einsehen. Er selbst wäre lieber bei seinen Untersuchungen geblieben, als an der Regierung teilzunehmen (Artikel Cuvier Biogr. universelle). Isın. GEoFFRoy St. HiLAIRE schrieb die gehässigen Worte: „Les fonctions administratives et politiques que Cuvier a remplies durant les trente derni- ères années de sa vie seront dans tous les temps un sujet de regret pour les amis de sa gloire et pour ceux de la science“ (Histoire nat. générale T. I. p. 285). Isıpor schrieb seine Histoire nur zur Verherrlichung seines Vaters und seiner selbst und um beider Richtung gegen Cuvier zu verteidigen. Schon die Einleitung zeigt beider unglaubliche Eitelkeit. In ihnen wurde der Gipfel der Wissenschaft erreicht. In ähnlicher Weise trat BLAINVILLE in seiner Histoire des sciences de l’organisation 1847 CRON Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 193 z. B. III. 404 gegen Cuvier auf, und man vergleiche damit wie Cuvier nicht nur in seiner Histoire des sciences naturelles 1843 (p. 386 ff.) sondern auch in seinen jähr- lichen zusammenfassenden Rapporten vor der Akademie die Gegner besprach. 116) „Ich habe mich“, sagte GoETHE (zu Soret) „seit 50 Jahren in dieser großen Angelegenheit abgemüht, anfänglich einsam, dann unterstützt und zuletzt zu meiner grossen Freude überragt durch verwandte Geister. Als ich mein erstes Aperçu vom Zwischenknochen an PETER CAMPER schickte, ward ich zu meiner innigsten Betrübnis völlig ignoriert (mit Recht, wie wir im ersten Aufsatz gezeigt haben). Mit BLUMEN- BACH ging es mir nicht besser, obgleich er nach persönlichem Verkehr auf meine Seite trat (das tat BLUMENBACH niemals, auch nicht als er zugab, daß bei der Hasen- scharte ein getrennter Zwischenkiefer vorkommen kann). Dann aber gewann ich Gleichgesinnte an SÖMMERRING (in dem ersten Aufsatz habe ich gezeigt, daß er SÖMMERRING nicht gewann), OKEN, D'ALTON, Carus (ja diese waren noch viel über- triebenere Naturphilosophen als er selbst) und anderen gleich treftlichen Männern. Jetzt ist nun auch GEOFFROY DE SAINT HILAIRE entschieden auf unserer Seite (d. h. auf der Seite ScHELLINGS) und mit ihm alle seine bedeutenden Schüler und Anhänger Frankreichs. Dieses Ereignis ist für mich von ganz unglaublichem Wert, und ich juble mit Recht über den endlich erlebten allgemeinen Sieg (passender wäre hier das Wort „Niederlage“) einer Sache, der ich mein Leben gewidmet habe, und die ganz vorzüglich auch die meinige ist.“ Glücklicherweise hatte GoETHE nicht nur dieser Sache sein Leben gewidmet, denn dann würde es ein verfehltes gewesen sein. Sie erholte sich nie wieder von den durch Cuvier ihr zugefügten Schlägen, obgleich er mitten in der Arbeit, darüber seufzend starb, daß er seine Sache nicht bis zu Ende habe führen können. Zwar schwankten dann noch die Meinungen, bis Cuviers Schüler Owen die Sache seines Meisters zum endgültigen Siege führte (Cours de lecons hunteriennes T. II. p. 279 1843. Principes d’ostéologie comparée ou recherches sur l’archetype. Paris 1855). Er knüpfte ausdrücklich an den berühmten Streit an (l. c. p. 5) und gab seine Lehre der Analogien und Homologien, die heute noch eben so fest dasteht als die Typen- lehre Cuviers. (Vergleiche E. RapL: Geschichte der biolog. Theorien IL S. 264, 282 u. 338. Leipzig 1905.) 17) W. A. VII. Die Seiten 181—205 handeln über den eigenen Entwicklungs- gang, die folgenden 8 Seiten über Cuvier und GEOFFROY. 1!5) Cuvier gab seine Ansichten über die Typen zuerst in: Tableau élémentaire d’histoire naturelle, Paris an VI., darnach in: Lecons d’anatomie comparee, Paris an VII—XIV, Bd. 5. Er starb während der Vorbereitung der zweiten Auflage. Weiter: Le regne animal, Paris 1817, p. 56—57, Histoire des sciences naturelles, complétée par MADELEINE DE SAINT AGY D. 41, 45, 47, 185, 201, 250. Paris 1843. 119) Abgekürztes Citat. Man erwäge, daß GoETHE sich auch gegen die Teleo- logie stràubte ebensogut wie Greorrroy. Beide meinten aber damit nur die Ver- wendung der Teleologie zur Erklärung handgreiflicher Naturerscheinungen. Für das Ganze blieben beide Teleologen. Für GoETHE zeigte dies die vorhergehende Arbeit, für Grorrroy die nachfolgende Anmerkung 122. 120) Philosophie zoologique 1. c. p. 23. 1°!) Philosophie zoologique 1. c. p. 66. 122) Diese Worte zitierte auch VaLroGGER (H. de), der in seinem Buche (La génèse des espèces, p. 340, 341, Paris 1873) zeigte, daß Grorrroy den Pantheismus = ON A —— a 194 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. verwarf, aber stets unité de composition verteidigte, weil diese zeugt für ,unité de leur cause“. Er zitierte auch die im Text genannten Worte. Knox, ein Anhänger Grorrroys schrieb „Unity of design implies in this instance unity of execution“ (Great artists and great anatomists 1852, p. 110). Im Jahre 1794 hielt Grorrroy die Rede „Discours tendant à prouver que l’homme ne doit être compris dans aucune classe d’animaux. (J. GEOFFROY DE SAINT HıLAIRE: Hist. nat. générale des régnes organiques T. II, p. 42) und kurz vor seinem Tode schrieb er die Worte: «L’homme est de création moderne comparativement a la plupart des animaux a quelques égards ses congénères. ..... Le dernier né de la création des six jours, il en est le plus éclatant produit. L’apparition de l’homme sur la terre coordonne et achève le sub- ime arrangement des choses, en ce qui concerne ce planète. Ainsi Dieu s’est donné un actif et puissant ministre dans l’admiration de l’ordre crée par son éternelle sagesse‘ (Diction. de la convers. T. XXXI, p. 489. 1836). In „Fragment sur la nature“ (Vol. XVII de l’encyclopédie moderne publiée par M. Courtin. 1829) bezeugte er, daß er die speziellen Offenbarungen Gottes in der Bibel anerkenne. Dort schrieb er auch: ,,Dieu: est le supreme arbitre de toutes choses, qu’il gouverne comme les ayant créées. Son pouvoir est sans bornes, il commande aux éléments, pouvant interrompre et changer le cours naturel des choses, ordre émané de sa sagesse.“ In seinem Buch (Fragments biographiques, Paris 1840) bringt GEOFFROY sogar einen Artikel: De l’esprit de Dieu d’éclatante manifestation dans les phenomenes de la vie. In den Conclusions zu diesem Buche wird sogar die Absicht ausgesprochen eine Traité de théologie zu schreiben. QUATREFAGES schrieb denn auch mit Recht von ihm ,Celui ci était profondément religieux, à chaque instant il parle d’un maitre des mondes.“ (Revue scientifique XLVI. p. 39. 1890.) Man vergleiche: Comptes rendus de l’academie, 4 Septembre 1837, p. 365. „Est- ce que l’on a supposé que j’avais recu de la Providence un don d’esprit productif d’idees nouvelles et que j’etais investi d’une mission scientifique ayant Dieu pour principe et un sentiment du progres dansle cours des ehoses pour objet.“ Das Weitere zeugt wieder für seinen grenzenlosen Hochmut. Es folgt p. 366 „faveur divine, qui placait sous nos yeux un passé historique.“ ,Dieu sait si je m'y remettrai jamais.“ p.367 „Cette dernière création, l’homme devenu le coadjuteur de Dieu, l’homme fait à l’image et animé comme Dieu lui même.“ Ähnliche Ausdrücke in: Comptes rendus, 16 Janvier 1837: „Car c’est aprés y avoir réfléchi profondement, que j'ai, il y a quelques semaines, imprimé que la science confirme plutöt qu’elle ne nie, que les revelations de nos livres sacrés sont oeuvres émanées ou de Dieu directement ou provenant sous son inspiration de l’enfantement providentiel de la philosophie rationelle.“ Und dieser Mann beschuldigte Cuvier, daß er dem Klerus zuliebe die Immutabilität der Species verteidigt habe! Comptes rendus de l’acad. T. V. p. 192 u. 365. 1837. 123) E. Häckez: Natürliche Schöpfungsgeschichte. S. 78 und S. 360 ff. 9. Auf- lage 1898. 124) J. PARADISI: Osservazioni sopra il discorso del sig. barone CuviER su le rivoluzioni del globo. Firenze 1827. Das gleiche Urteil in: Quarterly review, Sept. 1823. p. 145 in einem Referat über BuckLanps Reliquae diluvianae, und in dem Buche eines unbekannten Autors ,,Scriptural geology or geological phenomena con- sistent only with the literal interpretation of the sacred scriptures, London 1826, besonders p. 328—346. a DI EA Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 195 So auch D. de BLAINVILLE in seiner Historie T. III p. 404. Przzerra schrieb über diesen: „BLAINVILLE était un catholique sincère et convaincu, et de la cette recherche des preuves dans les causes finales“ (Galerie des naturalistes p. 279, Paris 1891). VALROGGER preist BLarnviLLE ebenfalls seines Glaubens wegen (La génèse des espèces p. 363, Paris 1873). Will man durchaus den Glauben in diesen Streit hineinziehen, dann könnte man auch sagen, daß hier der Katholizismus gegen die Reformation (Cuvier) kämpfte. 125) Siehe Biographie universelle unter GEOFFROY SAINT HILAIRE. IV Goethe und die Lehre von der Metamorphose. JE „Metamorphose der Pflanzen“ nannte GoETHE bekanntlich seine wichtigste botanische Arbeit, -die im Jahre 1790!) erschien und mehr als jede andere seinen Ruf als Naturforscher begrün- dete. Durch diese soll GoETHE der Botanik oder der Natur- forschung überhaupt eine neue Richtung gegeben haben. Von dieser Arbeit hat man auch behauptet ?), daß ihr einziger Fehler sei, daß sie ein halbes Jahrhundert zu früh erschien, als noch niemand imstande war, die großen neuen Wahrheiten in sich aufzunehmen. Wir haben ernsthaft zu prüfen, was GorTHE in dieser Arbeit brachte, sie ist sozusagen der Prüfstein für GoETHE als Natur- forscher überhaupt. Zunächst muß dann die Bemerkung gemacht werden, daß der Titel der Arbeit nicht nur nach dem heutigen, sondern auch nach dem damaligen Standpunkt der Wissenschaft unrichtig war und ist. Denn ebenso, wie wir früher zeigten, daß GoETHE von den Tieren nur die Wirbeltiere kannte, und nur auf Grund dieser Beschränktheit seines Wissens den alten Gedanken ‚Gemeinsamer Typus“ von neuem vertreten konnte, so kannte er auch von den Pflanzen nur die höheren Formen „die Phanerogamen?°)“. Da diese nun, wie die höheren Tiere, viel Übereinstimmendes zeigen, so konnte er auf Grund dieser Übereinstimmungen eine Theorie aufbauen, welche dann aber durchaus nicht für alle Pflanzen gültig war. GOETHE hat es aber vernachlässigt, die niederen Pflanzen ausdrücklich auszuschließen. Seine Theorie läßt sich auch nicht auf die niederen Pflanzen anwenden. Zool. Annalen V. 13 ig — # 106 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. Alle naturwissenschaftlichen Theorien, auch die schlechtesten, haben stets eine Grundlage von Tatsachen, die allerdings eine ganz ungenügende sein kann. Daß dieser Fall auch hier vor- liegt, wird aus den folgenden Blättern deutlich hervorgehen. Wir haben bei GorTHE stets im Auge zu behalten, daß seine vergleichend anatomischen Studien und seine Spinozistische Welt- anschauung ihn zu einem eifrigen Anhänger der altbekannten Theorie gemacht hatten, daß die Gottheit-Natur alle Tiere nach einem Grundplan, nach einem Urmodell gebildet habe, welches dann je nach den Umständen von ihr in tausendfacher Weise abgeändert wurde. Diesen Gedanken übertrug er nun auf die Pflanzenwelt und suchte überall nach diesem Urmodell oder Ur- typus der Pflanze, von dem die Natur ausgegangen sein könnte. Er forschte danach in ganz gleicher Weise wie er bei Gebäuden und Gemälden die Idee suchte, welche der Künstler in seinem Werke zum Ausdruck hatte bringen wollen. Die Urpflanze war für ihn anfangs mehr als eine Idee, denn er versuchte sie zu zeichnen, und er suchte geradezu nach ihr in den botanischen Gärten. Dieser Gedanke begleitete ihn nach Italien. Noch im Pflanzengarten zu Padua‘) pflegte er den Gedanken, „daß man alle Pflanzengestalten vielleicht aus einer entwickeln kann“. Es fielen ihm dort auch die Verschiedenheiten und Übergänge zwischen den Seitenorganen ein und derselben Pflanze auf: ,,Eine Fächerpalme zog meine ganze Aufmerksamkeit auf sich; glück- licherweise standen die einfachen, lanzenförmigen ersten Blätter noch am Boden, die successive Trennung derselben nahm zu, bis endlich das Fächerartige in vollkommener Ausbildung zu sehen war“. Diese aufeinander folgenden Blattformen wurden abge- schnitten, mitgenommen und „wie Fettische“ verehrt. Sie hatten ihm die Augen für solche Übergänge geöffnet, aber er sah trotzdem noch nicht die Übergänge von den Blättern zur Blume, denn GoETHE läßt die folgenden Worte folgen: „Aus einer spatha- gleichen Scheide zuletzt trat ein Zweiglein mit Blüten hervor und erschien als ein sonderbares, mit dem vorhergehenden Wachstum in keinem Verhältnis stehendes Erzeugnis, fremdartig und über- raschend.“ GoETHE war eben zu wenig bekannt mit der botani- schen Literatur, um zu wissen, daß auch die Übergänge zwischen Blatt und Blume längst ausführlich beschrieben waren, und mußte sich nun diesen bekannten Weg von neuem suchen. Er fand ihn in Sizilien. Dort am letzten Ziel seiner Reise leuchtete ihm „die Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 197 ursprüngliche Identität aller Pflanzenteile vollkommen ein“?) und so war denn auch für ihn das „Sonderbare, Fremdartige, Über- raschende“ weggeräumt. Er erkannte eine innere Verwandtschaft aller Seitenorgane „Cotyledonen, Blätter, Kelch, Krone, Staub- gefäße, Stempel“, die er nun alle auf einen Grundtypus, den des Blattes, zurückführte. Das ist der Inhalt seiner Schrift vom Jahre 1790. Auf diese werden wir noch weiter eingehen müssen. Zunächst möchte ich darauf hinweisen, daß aus obigem hervorgeht, daß der Titel noch in einem anderen als dem oben schon genannten Sinne unrichtig war. Wer die „Metamorphose der Pflanzen“ betrachten will, der hat die ganze Pflanze im Auge zu behalten. GoETHE betrachtete aber nur die Seitenanhänge. Den one und die Wurzeln vernachlässigte er vollständig. Das ist also ungefähr dasselbe, als wenn ein Anatom sein Buch „Anatomie des Menschen“ nennen, aber nur Arme und Beine darin behandeln würde. Diese beiden Einschränkungen seines Arbeitsfeldes, die in dieser Schrift nicht erwähnt werden, wenn GOETHE sie auch später zugab, zeigen recht deutlich, welch ein wunderlicher Naturforscher GOETHE eigentlich war. Hören wir nur, wie er sich selbst gegen den Vorwurf verteidigt, daß er die Wurzeln vernachlässigt habe: „So auch mit der Wurzel, sie ging mich eigentlich gar nichts an, denn was habe ich mit einer Gestaltung zu tun, die sich in Fäden, Strängen, Bollen und Knollen und, bei solcher Beschränkung, sich nur in unerfreulichem Wechsel allenfalls darzustellen ver- mag, wo unendliche Varietäten zur Erscheinung kommen, niemals aber eine Steigerung; und diese ist es allein, die mich auf meinem Gange, nach meinem Beruf an sich ziehen, festhalten und mit sich fortreißen konnte)“. Ein besserer Beweis ist wohl kaum zu finden, daß GoernE die Natur als Ästhetiker betrachtete und weiter in den Erscheinungen der Natur einen Gedankengang suchte, der sich in einer Steigerung zu erkennen gibt, ganz wie der Geist des Künstlers sich zu immer schönerer Blüte entfaltet. Was in diesen der Natur aufgezwungenen (wie GoETHE glaubte „aus-hier-herausgelesenen“) Gedanken nicht hineinpaßte, wollte er nicht sehen. Darum gehört GoETHE eben in die Reihe derjenigen, die, wie ich früher auseinandersetzte, dort die Augen schließen, wo die Tatsachen nicht in ihre philosophischen Auffassungen passen. Daß letztere trotzdem auf gewissen Tatsachen beruhten, soll damit nicht bestritten sein. 13* — II5 — 198 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. Sehen wir uns nun nach diesen um. Suchen wir, ob frühere Forscher schon ähnliche sich auf die Seitenorgane phanerogamer Pflanzen beschränkende Vergleichungen angestellt haben. Wir müssen solche finden, denn GOETHE selbst schrieb: „Die geheime Verwandtschaft der verschiedenen äußeren Pflanzenteile, als der Blätter, des Kelches, der Krone, der Staubgefäße, welche sich nacheinander und gleichsam auseinander entwickeln, ist von den Forschern im allgemeinen längst erkannt, ja auch bereits be- arbeitet worden, und man hat die Wirkung, wodurch ein und das- selbe Organ sich uns mannigfaltig verändert sehen läßt, die „Metamorphose der Pflanzen“ genannt‘ ”). Es gingen die Forscher dabei von zwei verschiedenen Tat- sachen aus. Erstens fiel es ihnen auf, ganz wie GOETHE in Padua, daß die Blätter einer und derselben Pflanze zwar ver- schiedene Formen zeigen können, daß zwischen diesen aber auch vermittelnde Formen stehen. Zweitens machte man schon früh- zeitig die Beobachtung, daß gewisse Teile der Blumenkrone andere Teile vertreten oder verdrängen können. So sieht man häufig bei gefüllten Blumen, daß Blumenblätter auftreten, wo die nicht gefüllten Blumen Staubgefäße zeigen. Man bezeichnete dies als Degeneration. i Solche Beobachtungen *) führten von selbst auf den Gedanken, daß diese Blumenteile eine innere Verwandtschaft besitzen, daß sie gleichwertige oder gleichartige Seitenteile der Pflanze seien. Man sagte auch wohl: dab der eine Blumenteil sich in einen anderen umbilden könne, daß also alle eigentlich einander gleich seien. So hat schon CAEsArPINUS ?) die Blumenkrone kurzweg als Blatt bezeichnet. MALPIGHI !) lehrte, daß die gefüllten Blumen dadurch entständen, daß die Staubfäden sich in Blumenblätter umbildeten. Viel weiter ging Lupwie1!), der behauptete, „daß mit den Blättern auch die Bracteen, die Stipulae, die Ranken, Dornen, Haare, Drüsen analog sind, daß die Filamente, in den gefüllten Blumen z. B. bei Papaver öfter in Petala verwandelt werden, daß an der Stelle des Pistills Blätter und neue Blüten hervorgehen (Lotus, Rosa) und die Knospe die ganze Pflanze enthalte und so mit dem Samen übereinstimme, dessen Cotyledonen Blätter seien !?). Ganz besonders wichtig für uns ist Linneus, weil GOETHE be- kanntlich dessen Bücher viel benutzt hat auch während seiner Reise in Italien. In seiner Philosophia botanica vom Jahre 1751 finden — 116 — Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 199 wir die Übereinstimmung des Ursprungs von Blüte, Blatt und Knospe, die Entstehung des Pericanthiums aus verwachsenen Rudimenten der Blätter, Übergänge zwischen Blüte und Kelch bei Kätzchen erwähnt. In den unter seiner Leitung geschriebenen Dissertationen von ULLMARK und DAHLBERG finden wir dann noch weiter ausgeführt !), wie Bracteen sich in gewöhnliche Blätter, der Kelch auch in solche umwandeln könne. Petala und Staub- fäden werden mit Blättern verglichen, das Pistill besteht aus Blättern, die ganze Blüte ist eine Metamorphose des Krautes. Im Jahre 1759 brachte WoLrr in seiner Theorie der Generation den mikroskopisch geführten Nachweis der gieichartigen Bildung sämtlicher Blütengebilde nach Art eines Laubblattes vom Uran- fang des sich entwickelnden Wärzchens an!) Weiter beschrieb er den Übergang der Laubblätter in Kelchblatter. Schärfer und deutlicher tritt Gleiches in der Ausgabe von 1764 hervor, wo er alle Blumenteile, auch die Samenkapseln als modifizierte oder unvollkommene Blätter beschreibt. Auch nach DuHAMEL DU MoncEAU (1758) gehen die einzelnen Teile der Blume in die an- deren Teile über, so daß scharfe Grenzen nicht vorhanden sind °°), Rousszau!%), dessen Schriften einen großen Einfluß auf GoETHE ausgeübt haben, sprach von einer Metamorphose des Kelches in Blätter und der Blüte in den Kelch. An der Lilie zeigte er die Übereinstimmung im Bau aller Teile einer Pflanze. Sehr aus- führlich war weiter Hırr!?), der zeigte, wie man bei künstlichen Züchtungen die einzelnen Blumenteile in andere verwandeln könne. Seine Werke erschienen 1761 und 1768 auch in deutschen Über- setzungen. Auch brachte er wie WoLrr embryologische Unter- suchungen. Am wichtigsten sind aber hier wohl die Arbeiten von Bartsch 12, da dieser persönlich mit GoETHE verkehrte und GOETHE seine Schriften besaß. Dieser beschrieb 1787 sehr aus- führlich die Übergänge zwischen Staubgefäßen und Blumenblättern und viele andere Ausartungen der Pflanzen, über welche damals schon eine ganze Literatur vorlag. Aus dem sehr ausführlichen dieses Thema behandelnden Kapitel will ich hier nur einen Satz zitieren: „Mehrenteils hat er (der Kelch) die Eigenschaften der Blumenkrone und wird mit ihr zu gleichem Endzweck gesammelt, zuweilen aber ist er seinen Säften nach den Blättern mehr ver- wandt, von stärkerer und anderer Eigenschaft als die Krone“. Auch die Cotyledonen nannte BarscH kurzweg „Blätter“. Es ist dabei sehr beachtenswert, daß die für diese Frage besonders 200 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. wichtigen Stellen in GoErTHEs Handexemplar angestrichen sind. Der Gedanke der Metamorphose liegt überall zugrunde, nur ist er nicht zum alles beherrschenden Prinzip erhoben und nicht philosophisch verarbeitet worden. Es wären natürlich noch andere Schriften zu nennen !?), aber das Obige genügt, um zu zeigen, daß die Tatsachen, von denen GoETHE ausging, und die daran sich direkt anschließenden Betrachtungen oder Schlüsse zum allgemeinen Besitztum der Botaniker jener Zeit gerechnet werden können. Da GoETHE auch nie das Gegen- teil behauptet hat, so hätte ich diese Ausführungen vermeiden können, wenn die blinden Bewunderer GOETHES nicht immer aus den Augen verlören, daß GoETHE keine neuen Beobachtungen brachte, daß alles reichlich vorhanden war, um daraus die Idee der Metamorphose zu abstrahieren. Dieser Ausdruck wurde ursprünglich in der Wissenschaft be- nutzt, um die Umwandlung der Larven in ausgebildete Tiere zu bezeichnen. So der Puppen in Schmetterlinge, der Kaulquappen in Frösche. Diese Bezeichnung hatte nun schon CAESALPINUS 2°) in die Botanik übertragen und ihm schloß sich Linneus 1752 an. Man verglich den Stamm. der Pflanze mit der Larve und die Blume mit dem ausgebildeten Schmetterling. Die Blume ent- wickelte sich dann in der Weise aus dem Stamm, daß die Rinde den Kelch lieferte, aus dem Bast entstand die Blumenkrone, das Holz lieferte die Staubgefäße und das Mark metamorphosierte sich in den Stempel. Diese Art der Metamorphose war klar und deutlich und dem Worte gemäß, sie wurde aber als unrichtig wieder verlassen. Linneus kannte dann noch eine zweite Art der Metamorphose, nämlich das oben erwähnte Auftreten von Blumen- blättern dort, wo man gewöhnt ist, Staubgefäße zu sehen. Sie umfaßte also alle Ausartungen der Blumen. Diese Tatsachen hatten schon dazu geführt, eine innere Verwandtschaft dieser Teile anzunehmen. Bezeichnete man dies als Metamorphose, dann mußte man annehmen, daß der eine Blumenteil sich tatsächlich in den anderen umwandelte. Das tat man aber nicht, niemand behauptete, daß ein Blumenblatt sich aus einem wirklichen voll- endeten Staubfaden bildete. Es war diese Metamorphose also keine reelle, sondern eine ideelle. Die Gottnatur nahm sich vor, ein Blumenblatt an die Stelle eines Staubfadens treten zu lassen, die Metamorphose fand also im Geiste der Gottnatur statt, von der der Naturforscher nur das Resultat sah. — 18 — Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 201 In diesem Sinne konnte Linneus *!) schon 1749 schreiben, ‚daß die unähnlichsten Teile aller Pflanzen als ähnliche und verwandte sich ergeben“. Gleiches besagten die 1752 geschriebenen Worte 2°): »Principium florum et foliorum idem est.“ Im Jahre 1760 folgte dann seine gleichfalls ideelle Lehre der Prolepsis 28), welcher ich nur entnehmen will, daß er die sechs Kreise der vollkommenen Blumen mit sechs Knospen verglich, die sich in sechs aufeinander- folgenden Jahren hätten entwickeln sollen. Indem diese sechs Knospen der aufeinanderfolgenden Jahre sich aber gleichzeitig bilden und entfalten, entsteht eine Blume. So haben diese sechs Kreise also auch gleiche Herkunft und gleichen Wert. Das waren also alles Gedanken im Sinne der Gleichheit aller Teile, wie GOETHE sie liebte, es waren ideelle Theorien. Auch Wotrr?*) kam 1766 und 1767 nochmals auf diese Frage zurück. Er redu- zierte alle Seitenanhänge der Pflanze auf das Blatt, alle beruhten also auf der gleichen Grundform, waren im Grunde der Sache identisch. Wir sehen also, daß die ideelle Form der Metamor- phose längst begründet war. ; Es ist nicht recht deutlich, ob es nur diese letztgenannte Arbeit WoLFFs war, die GOETHE erst nach der Herausgabe seiner Schrift über die Metamorphose der Pflanze kennen lernte, oder ob er auf alle Arbeiten WoLrrs erst später aufmerksam wurde. Die Theorie der Generation hätte er kennen müssen schon aus dem Grunde, weil HERDER sie in seinem Buche zitierte, dessen Werde- gang GOETHE ganz mitmachte !{). Nur von der letztgenannten Arbeit WoLrrs, die wirklich un- bekannt blieb und erst 1812 von neuem durch Mecker heraus- gegeben wurde, kann Gleiches nicht gefordert werden. Aber die älteren, wohlbekannten Arbeiten Wotrrs brachten doch eigentlich schon dasselbe wie die später verfaßte Schrift, von welcher GOETHE 1817 einen Auszug gab. Wie dem sei, GOETHE hat die Priorität Wo res offen anerkannt, gab aber seiner Fassung dieser ideellen Metamorphosenlehre den Vorzug. GoETHE kannte jedenfalls wie oben bemerkt die Tatsachen (Linneus, RousseAU, Batscu, HILL ?°)), er kannte auch die ideellen Gedankengänge, welche Lınneus daraus entwickelt hatte, als er 1790 seine Schrift herausgab. So war also eine solche Verwertung ihm schon geläufig. Neu war nur, daß GorTHE nun dieses ideelle Prinzip der Metamorphose zu einem die ganze Natur beherrschenden erhob. Ob dies ein Verdienst zu nennen ist, ist höchst zweifelhaft, besonders darum, weil GOETHE 202 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. sein ideelles Prinzip als eine Erklärung der Erscheinungen auf- faßte, und eine Erklärung war es eben nicht. Daß er es dafür hielt, brachte die größte Verwirrung in die Wissenschaft. Es bleibt dabei eine schwer zu beantwortende Frage, wann dieser Gedanke sich bei GOETHE gebildet hat. Wenn ihm auch in Italien die Identität aller Pflanzenteile einleuchtete, so war doch damit das Blatt noch nicht zum Urtypus gemacht, so war die Metamorphose damit noch nicht zum herrschenden Prinzip erhoben. Ich vermute, daß ihm in Sizilien diese Gedanken erst dunkel vorschwebten, daß ihm dann aber alles hell wurde, als er nach seiner Rückkehr sich mit Hrerper, KNEBEL, Bartsch und anderen Freunden?) ausgesprochen hatte. Weiter werden seine Studien des Pflanzensamens, die er nach der Rückkehr trieb, ihn darin befestigt haben. Während seines Aufenthalts in Italien waren nämlich zwei für GoETHE hochwichtige Bücher erschienen. Das eine war das schon erwähnte von Barscu, das ein großes Tat- sachenmaterial brachte, das andere ist das heute noch bekannte und berühmte Buch Garrrners?’). Es war eben dieses Buch, welches ihn in die Gelegenheit setzte, um Studien über Pflanzen-. samen zu treiben. In diesem Buche war der wahre Morphologe am Wort. Außerdem könnte man dessen „Introductio“ als eine Einleitung zur Evolutionslehre betrachten. Auch GAERTNER ver- glich die Cotyledonen mit Blättern, wies auf die Einheit der Form bei den Tausenden von ihm untersuchten Samen und Früchten hin, dabei benutzte er die für die Tiere gebräuchlichen Bezeich- nungen, wodurch wohl die Einheit im ganzen organischen Reich noch deutlicher hervortreten sollte. Da aber das ihm vorliegende Material so ungeheuer groß und aus der ganzen Welt zusammen- gebracht war, so mußte es ihm, wie später Cuvier auffallen, daß es auch Typen gibt, die sich nicht direkt zwischen die anderen einreihen lassen. Hauptsache an dem Buche aber war, daß in diesem die Pflanzen nach ihren morphologischen Formen geordnet wurden, und hierdurch wurde GAERTNER der Schöpfer der später von Jussreu, DE CANDOLLE und Brown weiter durchge- führten natürlichen Systematik. Diese Bemerkungen über GAERTNERS Buch soll man nun aber nicht in dem Sinne auffassen, als ob ich glaube, daß GoETHE seine Theorie aus dem Garrtyerschen Material entwickelt habe. Wohl nehme ich an, daß dieses riesige Tatsachenmaterial, wie auch das durch BarscH gelieferte, durch die vielen dabei hervortretenden MTL OS Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 203 vermittelnden Formen GoETHE in seiner Auffassung kräftigten, daß allem eine ideelle Metamorphose zugrunde liege. Weiter wollte ich durch meinen Hinweis auf GAERTNER zeigen, wie un- richtig die oft hervortretende Behauptung ist, daß GoETHE durch seine Lehre von der Metamorphose die Botanik aus der Tyrannei der Systematik des Lınneus erlôste, oder mit anderen Worten, daß er durch seine Vergleichung der Seitenorgane phanerogamer Pflanzen die Morphologie (Formlehre) geschaffen habe 28). Gerne geht man dann noch einen Schritt weiter und behauptet, daß die auf dem Studium der Formen beruhende natürliche Systematik, die BROWN, DE CAnDoLLE und Jussteu einführten, auch auf GorrHE zurückzuführen sei 2°), Solche Auffassungen sind nun schon aus dem Grunde zurück- zuweisen, weil GAERTNERS Buch, das GOETHE sehr wohl bekannt war, zwei Jahre vor seiner Metamorphose der Pflanzen erschien. Dabei gilt GAERTNER noch heute als das Vorbild des modernen Morphologen, dessen Werk längst in der ganzen Welt bekannt war, als man von GOETHEs Metamorphose außerhalb des engsten Freundes- kreises noch kaum etwas wußte. Ehe diese Schrift in weitere Kreise drang®°), waren Jussieu, DE CAnDoLLE und Brown schon längst der von GAERTNER angewiesenen Richtung gefolgt, sodaß die Bewegung zur natürlichen Systematik ganz außerhalb GoETHES Einfluß stattfand. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, in wie kräftiger Weise Burron schon seit vielen Jahren die Systematik eines Linneus bekämpft hatte und daß es J. J. Rousseau war°!), der die Botanik von der Verirrung, sie sei nur zur Klassifikation bestimmt, zurückbrachte. In beiden Schriften hatte GoETHE viel studiert. Da Rousseau aber bei der Botanik nicht philosophierte, so kam er nicht zu allgemeinen Begriffen wie Urtypus und Meta- morphose, zu deren Ausbildung er wie BarscH und GAERTNER Material lieferte, das philosophisch verwertet werden konnte. Man darf behaupten, daß der Gedanke an eine innere Ein- heit der organischen Formen Linneus, RoussEAU und GAERTNER ebenso wie GOETHE vorschwebte. Von allen gilt aber, was GOETHE von RoussEAU sagt, „daß er sich nicht getraut habe, damit hervor- zutreten °?)“. GOETHE wagte es und was er damit erreichte, werden wir weiter unten zeigen. Die Auffassung, GoETHE sei der Schöpfer der Morphologie beruht weiter auf einem Mißverständnis. GOETHE schuf das Wort, aber nicht die Sache. Man verliert weiter ganz aus den Augen, a Hee x 204 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. was wir heute durch dieses Wort andeuten und was GOETHE darunter verstanden wissen wollte. Heute ist Morphologie aller- dings „Formlehre“, für GoOETHE hatte es aber eine ganz andere Bedeutung: „GOoETHE wollte eine Lehre von den organischen Wesen als Morphologie begründen. Morphologie ist dabei nicht als Lehre von der äußeren Gestalt gedacht, sondern als Universal- wissenschaft des Organischen, die als solche auch Physiologie und Entwicklungsgeschichte umfaßt *#)* Morphologie war bei GOETHE also ungefähr das, was wir seit TREVIRANUS „Biologie“ zu nennen pflegen. Ich bedaure es, daß ich so häufig gezwungen bin, solche unberechtigten Behauptungen der Goetheverehrer zu- rückzuweisen, weil es den Schein hat, als ob ich GoxTHE selbst angriffe, was hier doch durchaus nicht der Fall ist. Heftig hat man auch darüber gestritten, ob Linneus als ein Vorläufer GOETHES zu betrachten sei. Viele leugnen dies, um den Meister zu ehren. Sie bekämpfen damit aber ihren Meister selbst, der an verschiedenen Stellen ausdrücklich Linneus als seinen Vor- läufer bezeichnet hat 84). Dies war denn auch die allgemeine Auf- fassung, bevor die schrankenlose Goetheverehrung Mode wurde. Das wenige, was ich oben von Linneuvs mitteilte, genügt auch wohl, um des Linneus Ansprüche jedem deutlich zu machen. Er kannte die Tatsachen und bildete daraus ideelle, dynamische Theorien. Das war dasselbe, was GoETHE im Auge hatte. Andere haben es als ein großes Verdienst GOETHES bezeichnet, daß er auf WoLrr hin- wies, daß er also der erste war, welcher diesen fast vergessenen Forscher von neuem der Welt zeigte. Auch diese Behauptung ist durchaus unrichtig 35), WoLrrs erste Arbeiten waren allgemein bekannt !4) und auf seine letzte_wies nicht GoETHE sondern MECcKEL hin, der sie übersetzte ?4). Ehe wir weiter gehen, empfiehlt es sich darauf hinzuweisen, daß der Begriff Metamorphose, wie schon oben angedeutet wurde, ein vieldeutiger war. Einige der in diesem Worte vereinigten Be- griffe müssen genannt werden: LixnEus verstand darunter die Meta- morphose der Raupe und anderer Tiere und für Pflanzen die Entwicklung der Blume aus den verschiedenen Teilen des Stammes. Erstere „die zoologische“ bezeichnet GoETHE auch immer mit diesem Wort, überhaupt zog er die zoologische Metamorphose stets in seine allgemeinen Betrachtungen über Metamorphose überhaupt hinein *6). Linneus kannte noch eine andere Art 86). Er bezeichnete es auch MINS Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 205 als Metamorphose, wenn sich gewisse Blumenteile an solchen Stellen zeigen, wo man andere Blumenteile erwarten mußte. Man bezeichnete dies, wie gesagt, auch als Degeneration oder Umbil- dung. GOETHE nannte sie die unregelmäßige Metamorphose, in einzelnen Fällen auch die rückschreitende. Ich lasse als dritte die sogenannte zufällige Metamorphose folgen, d.h. die Monstrositäten, welche durch Insektenstich bei Pflanzen und bei Tieren durch Störungen in der normalen Ent- wicklung der Embryonen sich zeigen. Viertens nannte man Metamorphose: die Bildung der Blume aus dem Samen, der Blätter aus der Winterknospe, also etwa das, was wir heute als Embryologie zusammenfassen”). Auch diese Form war GoETHE bekannt und von dieser war WOLFF aus- gegangen. Fünftens sprach man noch von einer Umänderung der einen Pflanze in die andere durch Variabilität oder Transmutation. Sie führte später zur Deszendenzlehre. Sie wurde lange vor GoETHE schon eifrig studiert, so daß Apansox schon 1769 schreiben konnte: „Parmi les questions les plus célèbres et des plus agitées depuis quelques annees en histoire naturelle surtout en Botanique est de savoir si les espèces sont constantes*®)*, GOETHE mußte also auch diese Art der Metamorphose kennen °?). Er akzeptierte sie (simultane generelle Metamorphose) aber immer nur in dem beschränkten Sinne der Rassenbildung, niemals in dem der heutigen Deszendenzlehre. Für ihn war die Art konstant, obgleich schon Linneus diese Auffassung verworfen hatte. Auf viele andere Begriffe, die mit diesem Sammelwort ange- deutet wurden, können wir hier nicht eingehen‘). Für uns ist es aber wichtig, daß in den obengenannten Fällen (vielleicht mit Ausnahme des zweiten) der Sinn des Wortes ein klarer war, was nicht von dem durch GoFTHE speziell verteidigten Begriff der Metamorphose gesagt werden kann. Diese, die sechste Form der Metamorphose, beruhte auf einer Vergleichung der vollausgebil- deten Seitenorgane, der ausgewachsenen Pflanze untereinander. Bei dieser Vergleichung zeigte sich ein gewisser Climax (Stufen- leiter) in der Formbildung und solche Reihen nannte GoETHE dann Metamorphose oder regelmäßige und fortschreitende Metamorphose. Da er nun dabei durchaus nicht annahm und auch nicht annehmen konnte, daß die eine Form tatsächlich aus der anderen hervorgegangen sei*!), daß also etwa jeder Staubfaden 206 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. erst wirklich ein Blatt gewesen sei, so wurde das Wort hier ein ganz irreführendes. GoETBES Metamorphose war ein geistiger Akt, die Darstellung der Gedankenentfaltung in der Gott-Natur. Darauf kommen wir zurück. Indem man das Wort Metamorphose für so viele grund- verschiedene Erscheinungen oder Begriffe verwendete, konnte man dann allerdings behaupten, daß die Idee der Metamorphose die Grundmaxime des ganzen organischen Naturreiches sei 42), sie deckte sich dann schließlich eben mit dem Begriff des Lebens. Es mußte weiter zur Folge haben, daß die tollste Verwirrung daraus entstand, weil jeder es in anderem Sinne gebrauchte, und weil es eben durch seine Vielseitigkeit zu philosophischen Speku- lationen und phantastischem Gegrübel Anlaß gab. GoErTHEs Meta- morphose schädigte die echte Naturwissenschaft in hohem Maße, weil die von ihm speziell verteidigte sechste oder regelmäßige Form den Supernaturalismus in die Naturwissenschaft einführte, der dann in der Naturphilosophie zu voller Blüte gelangte. Obige Betrachtungen lehren uns weiter, daß der Titel der GoErHE schen Schrift auch in noch anderem, als den oben schon angewiesenen Hinsichten unrichtig war. GoETHE kannte verschiedene Arten der Metamorphose, behandelte aber in seiner Schrift nur eine einzige; diese, die sechste, die supernaturalistische wurde dann noch durch Heranziehung der oben genannten zweiten (auch ideellen) Form plausibel gemacht. Es brachte das Buch also nicht, was der Titel versprach. Hätte GoETHE erst die anderen Arten der Metamorphose ausdrücklich ausgeschlossen, so wäre allerdings in dieser Beziehung gegen seine Schrift nichts einzuwenden. Er ließ aber auch die anderen Formen anerkennen, und trug so kräftig dazu bei, daß die Verwirrung größer wurde, warum DE CANDOLLE das Wort gar nicht mehr benutzen wollte ®°). Mancher wird mir hier vielleicht vorwerfen, daß ich allzusehr nörgele, etwa Hyperkritik treibe. Solche war hier aber notwendig, weil eben das Wort Metamorphose so ungeheuer vieldeutig ist und man nun schon aus dem Titel die weitgehendsten Schlüsse zog, so daß man schließlich glauben sollte, daß alle Arten der Metamorphose auf GoerHE zurückzuführen seien und so auch die . Deszendenzlehre 44). GoETHE beabsichtigte mit seiner Arbeit nur die Zurückführung aller Seitenorgane einer Pflanze auf eine Grundform, er wollte also für diese Seitenorgane das darstellen, was ihm für die Gesamt- Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 207 heit der Pflanzen nicht gelungen war, nämlich die Entdeckung der Urpflanze, der Urform. Wenn er nun alle die tausendfachen Formen der Seitenorgane auf den Blattypus als Urform zurück- führte, so meinte er durchaus nicht, daß alle einmal Blätter ge- wesen seien. Etwa in dem Sinne, daß die Urpflanze nur Blätter als Seitenorgane gehabt habe. Seine Metamorphose war einem geistigen Denkprozeß gleichzusetzen, ähnlich dem des Künstlers, der organische Formen zur Dekoration von Gebäuden benutzen will. Dann wird er sie stilisieren und in vielfacher Weise ab- ändern. Der Künstler bei der Metamorphose der Pflanzen war dann die Gott-Natur, die von dem primitiven Gedanken „Blatt“ ausging, und dieses nun in tausendfacher Weise umgestaltete. GOETHE folgte also wie KIRCHHOFr 4) sagte, dem Blattypus bei seiner Mani- festation, sozusagen bei seiner Seelenwanderung, bei seiner Inkar- nation. Es war also lediglich eine Idee im Sinne Praros und als solche hat ScHILLER sie auch sehr richtig bezeichnet. GoETHE war darüber allerdings erst sehr ungehalten, doch läßt sich die SCHILLERSChe Auffassung aus GOETHES eigenen- Worten heraus- lesen #6). Für GoETHEs Metamorphosenlehre gilt also genau. dasselbe, was Sacus*’) von der Blattstellungstheorie sagt: „Es ist auch hier die idealistische Auffassung der Natur, die von dem Kausalnexus nichts wissen will, weil sie die organischen Formen für immer wiederkehrende Nachbildungen ewiger Ideen nimmt und diesem platonischen Gedanken entsprechend die Abstraktionen des Ver- standes mit dem objektiven Wesen der Dinge verwechselt.‘ Nun wir genau wissen, was GOETHE mit seiner Arbeit be- absichtigte, haben wir zu untersuchen, was er mit seiner Methode erreichte, was wir also von ihm gelernt haben. Zunächst haben wir dann zu bemerken, daß für alle die- jenigen, welche keine Spinozisten sind, GoETHEs Metamorphosen- lehre wertlos ist. Sie können nur mit DE CANDOLLE sagen (Organo- graphie p. VII) ,,JuxGIUs et GorTHE ont appelé l’attention sur la symetrie de la composition des plantes.“ Gehen wir aber noch weiter auf GoETHEs Gedankengang ein: Wie gesagt, führt GoETHE alle Seitenorgane der Pflanze auf den Urtypus des Laubblattes zurück, das war aber nur möglich, indem er dem Wort „Blatt“ einen neuen Sinn gab und ganz die physiologische Bedeutung des Blattes aus dem Auge verlor. Darum schrieb Lorze#): „Eine 208 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. flächenförmige, ausgebreitete, dünne Platte vegetabilischer Zellen ist natürlich zu vielen Zwecken brauchbar und da sie, wenn sie von der Pflanze erzeugt werden soll, notwendig zu einem Teile ihres Umfanges mit dem Stamm derselben in Zusammenhang bleiben muß, während der andere Teil ihres Umfanges ins Freie hinaus wächst, so kann keine solche Zellenmasse es vermeiden, unter dem allgemeinen und vielgestaltigen Typus der Blattform zu fallen. Betrachtet man das Blatt jedoch als eine Zellen- gruppe, der bestimmte vegetative Funktionen obliegen, so kann man nicht sagen, daß z.B. ein Staubfaden eine Metamorphose dieses Blattes sei, denn es ist wenigstens noch unerwiesen, daß. auch seine Funktion eine ähnliche Abwandlung der Blattfunktion ist, wie seine Gestalt eine Modifikation der Blattform.‘ Daß zu- weilen Blumenblätter an Stelle der Staubfäden auftreten und um- gekehrt, dürfte nur dann als ein Beweis gelten, „wenn wirklich die Teile, die man durch sie erklärt, aus deutlich ausgebildeten Blättern und nicht nur zuweilen statt derselben entstünden.‘ Bekanntlich hat GoETHE keine anderen als solche verfehlten Be- weise für seine Theorie erbracht. Sehr wichtig ist weiter, daß GoETHE seine eigene Theorie untergrub. Will man den von ihm eingenommenen spinozistischen Standpunkt als berechtigt anerkennen, so kann man doch nur so lange das Blatt als Urtypus anerkennen, so lange man annimmt, daß wenigstens im idealistischen Sinne alle Seitenorgane einmal Blätter gewesen seien. Diesen Gedanken hielt GoETHE aber nicht konsequent fest, sondern schrieb: „Wir können ebensogut sagen: ein Staubwerkzeug sei ein zusammengezogenes Blumenblatt, als wir von dem Blumenblatte sagen können, es sei ein Staubgefäß im Zustande der Ausdehnung.‘ *?). Dann kann man aber auch schließlich sagen, das Blatt sei nicht der Grundtypus, sondern das Staubwerkzeug oder die Blume. Die Pflanze wird dann eine metamorphosierte Blume. So werden dann zwei gleiche Dinge auseinander erklärt, was ebensoviel ist, als ob GoETHE jedes aus sich selbst habe erklären wollen 59). Trotz- dem finden sich mehrere solcher in eigenem Sinne unlogische Sätze bei GOETHE. GoETHE hat es zeitlebens verschmäht, die Ontogenese (vierte Metamorphose) oder die Phylogenese (fünfte Metamorphose °!) zur Erklärung heranzuziehen. Darum blieb seine Metamorphose ein mystischer Gedanke, Aus ihr ging, getragen durch seine — 126 — Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher, 209 Autorität, das ganze Unheil hervor, das die Naturphilosophie daraus bildete. Dieser Strömung gehörten ja fast alle seine naturwissenschaftlichen Freunde an, auch ist GoETHE ihren Ab- surditäten niemals entgegengetreten °°). GOETHE würde nur dann mit seiner Metamorphosenlehre etwas geleistet haben, wenn er entweder von der Phylogenese oder von der Ontogenese ausgegangen wäre, so äußerte sich be- reits HeLmHoLTz5). Aber diese exakten, konkreten Gedanken, die damals doch schon in vielen Köpfen lebten °‘), lagen dem Geiste des Dichters fern, derdie Betrachtungsweise WoLrr’s, der von der Ontogenese ausging, mit den folgenden Worten weit unter seine eigene Auffassung stellte 5): „deshalb ist er immer bemüht, auf die Anfänge der Lebensbildung durch mikroskopische Unter- suchungen zu dringen, und so die organischen Embryonen von ihren frühesten Erscheinungen bis zur Ausbildung zu verfolgen. Wie vortrefflich diese Methode auch sei, durch die er so viel ge- leistet hat, so dachte der treffliche Mann doch nicht, daß es ein Unterschied sei, zwischen Sehen und Sehen, daß die Geistesaugen mit den Augen des Leibes in stetem lebendigem Bunde zu wirken haben, weil man sonst in Gefahr gerät, zu sehen und doch vor- bei zu sehen“. Es ist eigentlich unbegreiflich, daß diese Äußerung über das Wunderwerk eines echten Naturforschers nicht längst die tiefste Entrüstung hervorgerufen hat. Wahrlich Worrr verstand es wie wenige, mit leiblichen und geistigen Augen zu sehen, aber er war ein konkreter Denker und nicht befangen von dem mystischen Gedanken an die handelnde Göttin, die Gott-Natur, die GorTHE immer vor Augen schwebte und deren Spuren er zu folgen glaubte, wobei der Glanz dieser selbstgeschaffenen Göttin ihm aber die Augen blendete. Nur KircHHorr 5) hat gegen diese Aburteilung WoLFrs protestiert. Was GoETHE besonders nicht an WOLFF gefiel, war, daß dieser die nach GoETHE’s Meinung höher entwickelten, oberen Seitenorgane durch geschwächte Vegetationskraft entstehen ließ, warum sie an Volumen verlieren mußten”). GoETHE hingegen stellte den Satz auf, daß die erzeugenden Kräfte von den roheren Stoffen sich befreiend, sich immer mehr verfeinern, bis sie endlich in der Blume die größtmögliche Reinheit und Zartheit erlangt haben°®). GoETHE bedurfte eben solch eine aufsteigende, sich perfektionierende Reihe, weil seine genetische Auffassung die 210 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. Genese im Denkapparat der Gott-Natur suchte und er von dieser annahm, daß sie stets wie der Mensch von einfachen Gedanken ausgehe, die sich dann immer mehr perfektionieren. Es ist allerdings richtig, daß GoETHE mitgewirkt hat, um Bewegung in die damals erstarrte Botanik zu bringen, aber die Kräfte seiner dynamischen Lehre gingen aus dem Supernaturalis- mus oder Spinozismus hervor und nicht in erster Linie aus der Naturbetrachtung. Darum konnte er sich auch nicht in dem Ge- dankengang von Worrr und Hu zurecht finden, die eine Er- klärung auf dem Wege der embryologischen Untersuchung und durch das Experiment zu bringen suchten. SCHLEIDEN Schrieb von dem „großen Nachteil“ der Wissen- schaft, daß sie die Metamorphosenlehre nicht von WoLrr sondern von GOETHE erhalten habe 5°). Nur WoLrr habe den einzigen rich- tigen Weg eingeschlagen, wurde aber von GoETHE und seinen Zeit- genossen in dieser Hinsicht ignoriert. Gorrne führte nun die Metamorphosenlehre ein, „aber nicht als eine Abstraktion aus erfahrungsmäßiger Anschauung des Entwicklungsganges, sondern als spekulatives Resultat der Vergleichung der ver- schiedenen Formen des Entwickelten.* Es war also nur eine philosophische Idee. So wurde sie „auch recht eigentlich der Spielplatz für alle Freunde vom Rätselhaften, für Träumer und Paradoxenkrämer, auf dem oft die allerwunderlichsten Sachen ausgeheckt wurden“ °°). SCHLEIDEN gehört mit zu den ersten, die uns aus diesem Banne erlòsten. Es klingt recht wunderlich, bei der allbekannten Vernach- lässigung der Embryologie durch GoETHE, wenn HANSEN schreibt 61): „Seine Anschauung hat den Anstoß gegeben zur Wiederaufnahme und Verfolgung des von C. WoLrr schon vorher bei diesem. Gegenstande eingeschlagenen entwickelungsgeschichtlichen Weges, der dem Dichter fern lag.“ Wie konnte der Dichter etwas be- fördern, was ihm fern lag? PAnper folgte den Spuren Wotrrs, dann Brown und andere, die gewiß nicht durch GorTHEs Be- trachtung über WoLrr beeinflußt wurden! i Übrigens scheint es mir auch nicht richtig zu behaupten, daß durch GoerHE die Metamorphosenlehre in die Wissenschaft eingeführt wurde?) Sie war ja längst in verschiedenen Formen bekannt, von denen GOETHE nur eine herausgriff und allen anderen voransetzte. GoETHE führte diese Form in den Kreis seiner Freunde, der Naturphilosophen ein. Was Brauchbares an der — 128 — u is Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 211 Metamorphosenlehre war, brachte DE CANDOLLE mit seiner Symmetrie- lehre in die Wissenschaft. Dieser DE CANDOLLE wurde aber, weil er von GOETHE abwich, in gleich selbstzufriedener Weise von ihm abgeurteilt wie WoLrr: „Wir sprachen“, sagt ECKERMANN ®), „über die Metamorphose der Pflanzen und namentlich über DE CANDOLLES Lehre von der Symmetrie, die GoETHE „für eine bloße Illusion hält“. „Die Natur“ fügte er hinzu, „ergibt sich nicht einem jeden. Sie erweist sich vielmehr gegen viele wie ein neckisches junges Mädchen, das uns durch tausend Reize anlockt, aber in dem Augenblick, wo wir es zu fassen und zu besitzen glauben, unseren Armen entschlüpft.“ Also GoETHEN hatte die Natur sich wohl ergeben! Der moderne Naturforscher sollte lieber sagen: er vergewaltigte sie mit seiner auf einer philosophischen Idee auf- gebauten, supernaturalistischen Metamorphosenlehre. Wer untersuchen will, was GOETHE ‚mit dieser seiner Lehre für die Wissenschaft geleistet hat, der muß von den stets preisenden Naturphilosophen ganz absehen “) und auf die Entwickelung der Botanik außerhalb dieses Kreises achten, die gewiß nicht durch GOETHE befruchtet wurde. „Nicht ob die Theorie richtig war, sondern was sie zum Fortschritt der Wissenschaft beigetragen hat, ist für die geschichtliche Betrachtung die Hauptsache“ schrieb SacHs®). Man wird dann finden, daß GoETHEs Metamorphosen- lehre keinen merkbaren entwickelnden Einfluß auf die Botanik ausübte, sie eher hemmte, da die Naturphilosophen sich mit seiner Autorität deckten. Es konnte von solch einer Idee ja auch keine konkrete Wissenschaft ausgehen. HermHorrz®°) schrieb in bezug auf die Metamorphose der Pflanzen: „Man untersuche nur, was denn nun eigentlich mit den Ideen geleistet sei, die die Wissenschaft von ihm empfangen, man wird ein höchst wunderliches Verhältnis finden.“ „Niemand wird sich gegen die Evidenz verschließen, wenn ihm die Reihen- folge der Übergänge vorgelegt wird, womit ein Blatt in einen Staubfaden .... übergeht. Die Idee, sämtliche Blütenteile der Pflanzen seien umgeformte Blätter, eröffnet einen gesetzmäßigen Zusammenhang, der etwas Überraschendes hat. Jetzt suche man das blätterartige Organ zu definieren, sein Wesen zu bestimmen, so daß er alle die genannten Gebilde in sich begreift. Man ge- rät in Verlegenheit, weil alle besonderen Merkmale verschwinden und man zuletzt nichts übrig behält, als daß ein Blatt im weitesten Sinne ein seitlicher Anhang der Pflanzenachse sei. Sucht man aber Zool. Annalen V. 14 ico) — 212 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. den Satz ,,die Blütenteile sind veränderte Blätter“ in der Form wissenschaftlicher Begriffsbestimmungen anzusprechen, so ver- wandelt er sich in den anderen ‚die Blütenteile sind seitliche An- hänge der Pflanzenachse“ und um das zu sehen, braucht kein GOETHE zu kommen.“ Dabei beachte man dann, daß GOoETHE seiner Arbeit erst den bescheideneren Titel gab „Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären“, den er dann aber später in „Die Meta- morphose der Pflanzen‘ abkürzte. Also war GoETHE überzeugt, daß er wirklich eine Erklärung gebracht habe. Das kann aber, wie HELMHOLTz zeigte, kein Naturforscher zugeben. GortHES Theorie der Metamorphose war demnach wertlos, weil sie gar nichts erklärte. Sie hatte.nur diese gute Seite, daß sie die Botaniker von neuem auf die von RousseAU, GARTNER und anderen eingeführte Betrachtung der Formen hinwies. II. Es ist allgemein bekannt, daß die Metamorphose der Pflanzen für die Tiere ein Gegenstück fand in der Wirbeltheorie €”), die man auch wohl, aber sehr unrichtig, die des Schädels nennt. Gleich wie alle Seitenanhänge der Pflanze auf das Blatt zurück- geführt wurden, so sollten die Knochen des Wirbeltieres aus Wirbeln hervorgegangen sein. GoETHE selbst hat diese Theorie beim Schädel und beim Brustbein 68) durchzuführen gesucht. Andere sind dann in dieser Richtung viel weiter gegangen und haben solche Vergleichungen sogar auf die Weichteile des Körpers ausgedehnt. Trotzdem sollte man von diesen Forschern nicht behaupten, daß sie GOETHE folgten oder von ihrn beeinflußt wurden. Man hat nämlich in bezug auf diese Wirbeltheorie stets zwei Daten im Auge zu behalten. Das erste Datum ist 1790, das andere 1820. „Im Jahre 1790“ schrieb GoETHE®?) ,,offenbarte sich mir in Venedig der Ursprung des Schädels aus Wirbelknochen.“ An anderer Stelle”) datierte er seine Entdeckung noch weiter zurück: „Die drei hintersten (Wirbel des Schädels) erkannt’ ich bald, aber erst im Jahre 1791 (?), als ich auf dem Sande des dünen- haften Judenkirchhofs von Venedig einen zerschlagenen Schöpsen- kopf aufhob, gewahrt’ ich augenblicklich, daß die Gesichtsknochen gleichfalls aus Wirbeln abzuleiten seien“. Danach hätte GoETHE Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 213 also soiche Gedanken schon vor seinem Aufenthalt in Venedig gehabt. Als das zweite Datum nannte ich 1820, weil GOETHE erst in diesem Jahre seine Auffassung, daß der Schädel aus Wirbeln zusammengesetzt sei, veröffentlichte”!,. Zwischen 1790 und 1820 wurde die Wirbeltheorie aber Gemeinbesitz, so daß ihre Ein- führung in die Wissenschaft nicht GOETHE zugeschrieben werden kann. Wir haben weiter darauf zu achten, welche Tatsachen eigent- lich GoETHE vorlagen, als er diese Theorie bildete. Es ist das diese einzige, „daß das Hinterhauptbein wirklich Ähnlichkeit mit einem Wirbel zeigt, welche in abnormalen Fällen besonders stark hervortreten kann.‘ Es war erlaubt, den Schluß daraus zu ziehen, daß das Hinterhauptbein ein abgeänderter Wirbel sei. Andere Tatsachen lagen nicht vor, das Ganze war demnach eine sehr kühne Hypothese. GoETHE bedurfte aber dieser Hypothese, weil sein Geist überall geistige Grundgedanken, Grundformen suchte, was ihn zur Metamorphosentheorie bei der Pflanze geführt hatte. Für die Tiere gedachte er nun durch die Wirbeltheorie gleiches zu erreichen °°). Wie nun ein zufällig gefundener Schädel GoETHE zu weit- gehenden Schlüssen anregte, so wurden auch andere Forscher in gleicher Weise durch solche Schädelfunde geleitet. Ich fand zwei analoge Fälie in der Geschichte, die hier als Kuriosa er- wähnt sein mögen. Linneus fand auf einer Reise durch Lappland 7’) den Unter- kiefer eines Pferdes und dessen Betrachtung gab ihm Anlaß, um die Zähne zur Einteilung der Säugetiere zu benutzen, welche Auf- fassung viele Nachfolger gefunden hat. OKEN machte 1805, zwei Jahre vor seiner Ernennung zum Extraordinarius in Jena, einen Ausflug auf den Brocken und stieß dort auf den Schädel eines Hirsches. Er kam nun auf den gleichen Gedanken wie GoETHE und benutzte diesen zu seinem Antrittsprogramm: „Über die Bedeutung der Schädelknochen Jenar1307:2). Man hat nun oft darüber gestritten, ob Oxren oder GOETHE die Priorität dieser Entdeckung gehöre. Die Antwort auf diese Frage hängt ganz von dem Standpunkte ab, auf den man sich stellt. Im allgemeinen nimmt man an, daß nur das Datum der Publikation oder das Datum der Einreichung an die Redaktion 14* ian 214 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. oder die Druckerei Ansprüche auf Priorität geben kann. Es kommt aber auch vor, daß Forscher eine noch unfertige Ent- deckung in einem geschlossenen Kuvert bei einer Akademie deponieren. Der Tag der Einreichung dieses Kuverts gilt dann eventuell später als der Tag des Entdeckens. Merkwürdigerweise macht man für GoETHE immer eine Aus- nahme von diesen allgemein anerkannten Regeln. Man sucht eifrig in seinen Briefen und Tagebüchern, wann er zuerst auf diesen oder jenen Gedanken gekommen sei, und bestimmt danach den Zeitpunkt der Entdeckung. Wenn dies allgemein zugelassen wird, dann dürfte manche heute geltende Priorität auf einen anderen Namen zu setzen sein, überhaupt würde diese immerfort schwanken, da irgend ein in den Archiven ruhender Brief, der zufälligerweise ans Tageslicht gezogen wird, andere berechtigte Ansprüche ergeben könnte. Nach allgemein geltenden Regeln muß man also Okens Recht auf Priorität anerkennen”). Man hat auch behauptet, daß OKEx, der den allgemeinen angenommenen Regeln nach vollen Anspruch auf die Priorität hat, diesen Gedanken durch eine mit GOETHE geführte Unterhaltung in sich aufgenommen habe. Der Hirschschädel wäre dann ein erdichteter Anlaß und OKEN ein literarischer Dieb. Ich will nicht auf diese früher viel besprochene Vermutung eingehen und lieber hervorheben, daß auch GoETHE durch ein Gespräch den ersten Anstoß erhalten haben kann. Der große KIELMAYER, der überall bekannte Lehrer der da- maligen Zeit, ein genialer Denker, der seine geistreichen Gedanken aber nur ins Kolleg brachte und sie nicht publizierte, kannte auch eine Wirbeltheorie des Schädels, wenn auch in anderer Weise als GOETHE %). GorTHE kannte KIELMAYER und seinen Freundes- kreis in Stuttgart und Tübingen (AUTENRIETH, JAEGER etc.) sehr gut und könnte also dort KIELMAYERS Auffassung vernommen haben. Außerdem steht fest, daß KıELMAYER an GOETHE Auszüge aus seinen Vorträgen schickte”), Vielleicht würden die hinter- lassenen Manuskripte KIELMAYERS, die sich in der Bibliothek zu Stuttgart befinden, darüber Aufschluß geben können, ob KIELMAYER schon vor 1790 Vergleiche zwischen Schädel und Wirbel angestellt hat. Damit beabsichtige ich natürlich nicht, GoETHEs auf Hand- schriften aufgebaute Priorität zu untergraben, ich wollte nur zeigen, wohin es führt, wenn man andere als gedruckte Daten für Priori- tätsansprüche benutzt. Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 215 Übrigens hat sich GoETHE 1790 seinem eigenen Zeugnis nach auf die Wirbeltheorie des Schädels beschränkt; der erste, welcher den Wirbel zum Urtypus des ganzen Skeletts erhob, war Bur- DIN #) und nicht GoETHE. GoETHE hat diesen Gedanken erst später ausgesprochen oder von anderen übernommen. Eigentlich ist dies alles aber Nebensache, denn es kommt doch nicht darauf an, objemand einmal einen glücklichen (?) Gedanken gehabt hat, sondern ob er diesen Gedanken ausführt und durch dessen Bekanntmachung befruchtend auf die Zeitgenossen gewirkt hat. Das tat GorTHE aber jedenfalls nicht. Wenn seine Zeitgenossen die Anhänger dieser Theorie zusammenstellten, dann nannten sie GoETHE nicht einmal (Cuvier, Carus), konnten ihn ja auch gar nicht nennen, da GoETHE seine Auffassung erst 1820 publizierte, und damals war die Theorie bereits allgemein bekannt. An- erkannt war sie von OKEN (1807), MEcKEL (1808), DUMERIL (1808) ULRICH (1816), Sprx (1815), Carus (1818), Bosanus (1818) und anderen °°). Spix hatte die Kollegien von GEOFFROY SAINT- Hıraıre in Paris besucht und diesen schon in ähnlicher Weise vortragen hören, weshalb Grorrory nach dem Erscheinen des Sprx’schen Buches seinerseits Prioritätsansprüche erhob. Weiter haben wir zu beachten, daß Vergleichungen der einzelnen Körperteile untereinander schon längst und zwar seit 1786 durch Vico D’AzyR8°) eingeführt worden waren und daß er manche Nachahmer besonders auch in KIELMAYER gefunden hatte 81). Solche Vergleichungen waren also beliebt und wurden durch CuviER mit dem Ausdruck „Repetition“ bezeichnet, als Wiederholungen gleicher Teile an demselben Körper. Seine Betrachtungen dar- über sind sehr lesenswert). Es war die Wirbeltheorie also ein Sprosse einer damals herrschenden neuen und darum reiz- vollen Gedankenrichtung. Ihre spezielle Anwendung auf den Schädel wurde dann im Druck zuerst durch FRANK bekannt ge- macht, aber in anderem Sinne wie GoETHE, da er den ganzen Schädel mit einem Wirbel verglich. Die Gleichstellung des Schädels mit mehreren Wirbeln wurde literarisch zuerst durch OKEN eingeführt. Carus, KOELLIKER, MERTENS 88) bezeichnen ihn denn auch als den Vater dieser Theorie8*). Es würde dieser Prioritätsstreit wohl lange vergessen sein, wenn die Gorrueforscher gleichzeitig vergleichende Anatomen wären. Denn dann würden sie wissen, daß die Wirbeltheorie ein- fach unrichtig ist, weshalb es sich nicht lohnt, noch über die 216 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. Priorität zu streiten. Sie ist unrichtig, weil der Schädel bei seiner embryonalen Entwickelung niemals als verschiedene Wirbel angelegt wird, sondern als ein zusammenhängendes Primordial- cranium, welches nichts Wirbelartiges an sich hat, auch keine Metamerie zeigt. Es ist also reine Phantasie, wenn man den Schädel in Wirbeln einteilt. Allerdings könnte man sich, wie GEGENBAUR bemerkte), auch auf den folgenden Standpunkt stellen: Bei dem kopflosen Lanzettfischchen (Amphioxus) zeigt der vordere Körperabschnitt wohl Metamerie und könnten daher auch die unbekannten, also hypothetischen Urwirbeltiere ein metameres Kopfende gehabt haben. Für solch eine Annahme ist aber erstens nötig, daß man den Amphioxus, als der Stammform der Vertebraten nahestehend, hinstellt, überhaupt Deszendenztheoretiker sei, was GoETHE nicht war. Zweitens ist zu bemerken, daß Amphioxus zwar bis an das vordere Leibesende Metamerie zeigt, aber darum noch keine Wirbel. Man könnte also höchstens behaupten, daß der Schädel früher Metamerie gezeigt haben müsse, aber nicht daß er aus abgeänderten Wirbeln aufgebaut sei, und das ist lange nicht dasselbe. Jedenfalls ist die ganze Frage damit auf einen Stand- punkt übertragen, der allen alten Anhängern der Wirbeltheorie vollständig fremd war. Endlich sollte man die Schädelwirbel- theorie nicht an und für sich betrachten, denn sie ist ein inte- grierender Teil von GoETHES Wirbeltheorie des ganzen Körpers, seiner Metamorphosenlehre im Innern des Körpers der Tiere. Dazu mußte der Wirbel den Typus abgeben, er sollte die Ur- form sein wie das Blatt für die Seitenorgane der Pflanze. Es mußte die Wirbeltheorie also für den ganzen Körper gelten und als solche war sie ein reines Phantasiegebilde und führte zu den tollsten Spekulationen, die in den Arbeiten von Carus den Gipfelpunkt erreichten. GoETHE hat Carus manche Zeile der Bewunderung gewidmet und damit anerkannt, daß er gleiche Gedanken hege. So ist er also mitverantwortlich für die Hirngespinste, die aus dieser Theorie, die GoETHE ein würdiges Prachtwerk nannte, hervorgingen. Es rächte sich abermals an GoETHE, daß er die Embryologie und das Mikroskop nicht zu würdigen wußte und immer mit vor- gefaßten philosophischen Ideen an die Natur herantrat. HeLmHoLtz 86) schrieb: „Ebenso hat man der Wirbeltheorie des Schädels nicht mit Unrecht vorgeworfen, sie müsse den Be- — Ti 34 — Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 217 griff des Wirbels so sehr erweitern, daß nichts übrig bleibe, als ein Wirbel sei ein Knochen“. - Da GoETHE sich nun auch an GEOFFROY anschloß, der die Ringe der Insekten und Krebstiere mit Wirbeln verglich 8°?) und an Carus %), der auch in den Weichteilen, den Eingeweiden modifizierte Wirbel sah, so kommt man schließlich zu der Be- hauptung, daß alle tierische Substanz, die irgendwie etwas Kreis- oder Ringförmiges an sich hat, ein Wirbel ist und dann wird allerdings der Wirbel die Urform der Teile des tierischen Körpers®?). Sie deckt sich dann einfach mit der Erfahrung, daß organische Substanz nie Ecken und Kanten hat, oder nie Kristallformen zeigt. Zum Schluß dürfen wir wohl als das Ergebnis unserer Be- trachtungen die Worte HeLmHoLTz®°) folgen lassen: „Wo es sich um Aufgaben handelte, die durch die in Anschauungsbildern sich ergebenden dichterischen Divinationen gelöst werden können, hat sich der Dichter der höchsten Leistungen fähig gezeigt, wo nur die bewußt durchgeführte induktive Methode hätte helfen können, ist er gescheitert“. Anmerkungen. 1) Versuch, die Metamorphose der Pflanzen zu erklären. Gotha 1790. 2) R. Magnus l. c. S. IoI, der dort ein Urteil GEOFFROY SAINT HILAIRES anführt. Gleiches bei H. REICHENBACH: GOETHE u. d. Biologie Ber. SENCKENBERG. Ges. S. 104, 1899. 3) GoETHE schrieb selbst (W. A. XIII. 49, 21), daß „die Acotyledonen außer meiner Gesichtskraft lagen.“ „Mit der GoErHEschen Urpflanze im Allgemeinen ist es aber nichts, weil in einer großen Abteilung des Pflanzenreichs Stengel und Blätter gar nicht vorkommen“ schrieb Scumipr (GoETHES Verhältnis zu den organischen Naturwissenschaften. Berlin 1853. 4) W. A. VI. r19—I21. *) VMC Nileeroms) 18 XII to 6) W. A. VI. 332. 14—24. 7) W. A. VI. 26. 6—14. Vergleiche W. A. VI. 49. 8) Man findet diese bei J, DryAnpER: Catalogus bibliothecae historico-naturalis JosepHI Banks. T. III. p. 402—400. Londini 1797 zusammengestellt. 9) J. Sacus: Geschichte der Botanik. S. 167. München 1875. 10) MaLpicHI. Nach A. Wicanp: Kritik und Geschichte der Lehre von der Metamorphose der Pflanze. Leipzig 1846. 1!) Cur. G. Lupwic: Institutiones historico-physicae regni vegetabilis. Lipsiae 1742 nach Wicanp l. c. 218 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 12) Andere nennen noch J. Juncius: Isagoge phytoscopia. Vergleiche J. Sachs: Geschichte der Botanik S. 67, 1875. Ich lasse ihn fort und verweise auf GoETHE, W. A. VII. 106— 129. 13) Ich gebe diese kurze Zusammenfassung nach Wicanp (l. c.). Einige Zitate und Titel findet man unten in den Anmerkungen 22, 23 und 36. Die Metamorphosis plantarum Upsaliae 1755 erschien in der Amoenit. acad. ed. Schreber. Vol. IV. p. 368 bis 386. Auch in dem weiter unten angewiesenen zweiten Aufsatz über die Prolepsis (Upsaliae 1763) ging er auf die Übergänge zwischen den Blütenteilen ein. 14) Diese Worte über WoLFrs erste Arbeit stammen von A. KIRCHHoFF: Die Idee der Pflanzenmetamorphose bei WoLFF und GoETHE S. 31. 1865. Wir haben in bezug auf Worrr scharf auseinander zu halten, daß seine ersten Schriften weite Verbreitung fanden und ihm dann auch die Professur in Petersburg verschafften, während nur eine, später zu erwähnende unbeachtet blieb. Die ersteren hätte GoETHE schon vor 1790 kennen sollen. So die 1759 in Halle erschienene Theoria genera- tionis, die 1774 eine zweite Auflage erlebte. Ebenso die deutsche Bearbeitung: Theorie von der Generation in zwei Abhandlungen, Berlin 1764. Schon diese drei Aus- gaben beweisen, daß Worrr nicht unbekannt blieb. HALLER referierte sein Buch (GÖTTINGER gelehrte Anzeigen, 143 Stück 1760), HERDER nennt eszweimal im 7. Buch seiner 1785 erschienenen Ideen zur Philosophie der Geschichte. Auch Kanr zitierte ihn in seinen philosophischen Schriften 1763 und 1775. Bonnet verteidigte seine Evolution gegen die Epigenese WoLrrs. J. A. E. GoEzE, der Bonnets Betrachtungen (Contemplation) übersetzte (1773), handelte über WoLrr in vielen Anmerkungen. Auch verteidigte sich HALLER gegen WoLrFr (Elementa physiol. VIII. p. 95. 1766). Er war auch in Holland bekannt wie aus P. BoppaERT: Natuurkundige beschouwingen der dieren Utrecht 1779 (voorrede p. XXVIII) hervorgeht. Rußland berief ihn nach Petersburg. In der Bibliothek von J. Banks in London waren alle drei Auflagen der Theoria generationis vorhanden. Weiter ist bekannt, daß J. DòLLIinGER für ihn schwärmte (Allg. deutsche Biographie), dessen berühmter Schüler Ch. PanpeR Wotrr vielmals zitiert in seiner 1817 erschienenen Dissertation (Historiam metamorphoseos quam ovum incubatum subit). Die Arbeiten WoLFrs sind zusammengestellt in J. G. MensEL (Lexikon der vom Jahre 1750— 1800 gestorbenen deutschen Schriftsteller, Bd. XV, Leipzig 1816). Auch in K. SPRENGELS Geschichte der Botanik 1818—19 wurde Worrr ausführlich besprochen. Man wird doch zugeben müssen, daß dies nicht die Folge war der erst 1817 durch GoETHE geschriebenen Zeilen über WOoLFF. GoETHE lernte ihn kurz nach der Herausgabe seiner Metamorphose der Pflanzen kennen (1817 schrieb GoETHE, er kenne ihn seit mehr ais 25 Jahren). Ein Namensvetter Wozrrs (F. A.) wies GoETHE aufihn hin, aber die Bücher Worrrs erhielt er durch Lover in Jena, der sowohl die deutsche als die lateinische Auflage besaß. Diese lieh er GoETHE, und befinden sich die Exem- plare mit Lopers Namen auf dem Titelblatt noch heute in GorrHes Privatbibliothek. DE CAnpoLLE und SPRENGEL (Grundzüge der wissenschaftlichen Pflanzenkunde 1820) erwähnen Wotrr ausführlich. In der historischen Übersicht, bei der Besprechung der Metamorphose wird GoETHE nicht einmal genannt (S. 154), man erwähnt ihn nur kurz (S. 362) bei den Mißbildungen und -Krankheiten der Gewächse. Wotrr war also durchaus kein vergessener, sondern ein allgemein bekannter Schriftsteller. Um dies zu beweisen, brachte ich hier nur einige Notizen, die ich zufälligerweise aus der Literatur machte. Es ließen sich natürlich viel mehr Beweisstellen finden. 15) H. L. Duzamer pu Monceau: La physique des arbres (T. I. p. 302. Des monstrosites des parties des plantes). Paris 1758. — 509 = Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 21 9 16) A. Jansen: J. J. Rousseau als Botaniker. S. 193 u. 213. Berlin 1885. 17) J. Hirt: Abhandlung von dem Ursprung und der Erzeugung proliferierender Blumen nebst einer ausführlichen Anweisung wie durch die Kultur aus einfachen ge- füllte und proliferierende ausgefüllte gezogen werden können. A. d. Engl. Nürnberg 1768. A method of p.cducing double flowers. London 2®. 1759. The origin and production of proliferous flowers. London 1759. Hirt nahm auch die Embryologie wieder auf: Entwurf eines Lehrgebäudes von Erzeugung der Pflanzen. A. d. Engl. v. G. L. HurH. Nürnberg 1761. Vergleiche seine ,,Botanical facts No. 2. London 1761 Outlines of a system of vegetable generation‘ erst apart erschienen in 1758. J. Hırr: The vegetable system a series of experiments tending to explain... . the formation of the embryo, the construction of the seed, and the encrease from the state to perfection. London 1762. 18) A. J. G. C. BarscH: Versuch einer Anleitung zur Kenntnis und Geschichte der Pflanzen. Halle 1787. BaTtscH war Professor in Jena, GoETHE erwähnt ihn ausführlich (W. A. VI. 199). Aus obigem Buch beachte man besonders das 19. Kapittel: Ausartung der Gewächse. Die im Text zitierte Stelle steht $ 182. S. 178. Man lese weiter S. 46, wo deutlich angegeben wird, wie Teile der Blumen in Blatter übergehen können und Blätter zu Blumentrieben gebracht werden können. . S. 141. Der Stempel kann zum Blatt werden. S. 149. Aus Staubgefäßen werden Blätter in gefüllten Blumen. Die beiden letztgenannten Stellen sind in GoETHEs Handexemplar am Rande angestrichen, so auch S. 247 „Ausartung.“ „Eigentlich können bei den Gewächsen alle Teile und zwar in allen angegebenen Bestimmungen ausarten, und es ist keine derselben so be- ständig, daß nicht aus einigen Tausenden ein Fall vorkommen könnte, der ihr zu- wider wäre.“ S. 249 findet man die Umbildung der Staubbeutel in Blumenbätter ausführlich behandelt. 19) Bei A. L. pe Jussreu finden wir eine Besprechung des Uberganges der Blumen- blätter in Staubfaden. Genera plantarum. S. 13—14 (XII—XIV). Paris 1789. Auch N. J. NECKER kennt keine scharfe Grenze zwischen Kelch und Blumenkrone. Phyto- zoologie philosophique. Neuwied 1790. Aus der Zeit nach 1790 wären natürlich noch manche andere Forscher zu nennen, von denen man nicht behaupten kann, daß sie GOETHES Arbeit gelesen hatten. (DE CanpoLLE, Dupetit-THouars, Turpın, Brown). Sie schlossen sich einfach an die Vor-Goethische Literatur an. 2) A. Wicanp: Kritik und Geschichte der Lehre von der Metamorphose der Pflanzen. Leipzig 1846. 21) P. Lorrinc: Gemmae arborum. Ammoen. acad. Ed. Ill. vol. 2, p. 182. Hier werden nach Biscuorr (Die Botanik. S. 56—57. Stuttgart 1848) nicht allein die Be- deutung und die verschiedenen Verhältnisse und Abänderungen der Knospen und ihrer Teile erklärt, sondern auch manche beachtenswerte Winke über Blütenstände gegeben und sogar schon der Grundsatz ausgesprochen, daß (vom morphologischen Gesichts- punkt aus) „Pflanzen der verschiedensten Tracht als ähnliche und die unähnlichsten Teile aller Pflanzen als ähnliche und verwandte sich ergeben“. 2) Den Ausspruch ,Principium florum et foliorum idem est“ brachte Aucust St. HiLaire (Morphologie végétale, Vol. I. p. 15) wieder in Erinnerung (NEUMANN: Bot. Zeitung 1859. S. 114). Die Stelle lautet in extenso: Principium florum et foliorum idem est, principium gemmarum et foliorum idem est. Gemmae constant foliorum ru- dimentis. Stipulae sunt foliorum appendices. Perianthium sit ex connatis foliorum rudimentis. Derivatio nutrimento ad squamas amenti, destructis flosculis mutantur in Folia. Derivatio nutrimento ad flosculos amenti, fiunt folia Calyces. Luxurians vege” 220 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. tatio folia e floribus continuenda producit.“ Man findet diese Worte in der Philo- sophia botanica und zwar auf S. 407 der von SPRENGEL (1824) besorgten Auflage. Nach Farvre sollen sie auf S. 381 der Gleditschen Auflage stehen. E. Fatvre (Oeuvres scientifiques de GoETHE, Paris 1862, p. 61) gab davon die folgende etwas freie Über- setzung, die vielleicht einigen Lesern angenehm ist: „Les fleurs et les feuilles, les feuilles et les bourgons ont une méme origine. Le péricanthe est formé par la reunion de feuilles rudimentaires. Une végétation luxuriante detruit les fleurs et les transforme en feuilles. Une végétation pauvre en modifiant les feuilles les trans- forme en fleurs.“ Man beachte besonders, daf das Kapitel bei Linneus, welches diese Worte bringt, zur Überschrift trägt: Metamorphosis vegetabilis. SPRENGEL notierte darunter als Parallelstellen: Amoen. acad. vol. 4, p. 368, vol. 6, p. 324, 365 und GOETHE: Von der Metamorphose der Pflanzen. Gotha 1790. Auf Seite 103 der Aus- gabe von SPRENGEL ($ 90) stehen die Worte: „Limites inter Calycem et Corollam absolutos naturam non posuisse, patet ex Daphnide etc. 23) Prolepsis plantarum quam praeside Car. Linnaeo proposuit HENR. ULLMARK Upsaliae 1760. Ammoenitates acad. Vol IV. p. 324—341 Erlangae 1789 und die Fort- setzung von J. J. FERBER l. c. p. 365—393. Upsaliae 1763. Vergleiche E. WINKLER: Geschichte der Botanik, p. 387—90. Frankfurt 1854. 24) C. F. Worr: De formatione intestinorum. Nov. comment. acad. petrop. T. XII. p. 403. 1763. Uber die Bildung des Darmkanals im bebrüteten Hühnchen. Übers. v. J. F. Mecker, Halle 1812. HALLer hat diese Arbeit referiert, Bibliotheca anatomica. Vol. II. p. 558. Vergleiche über WoLrr, C. E. v. BAER: Über den literarischen Nach- laß von C. Fr. Worrr. Extr. du bulletin de la classe physico-mathém. de l’Acad. de St. Pétersbourg T. V. 25) Für J. Hırr siehe W. A. Bd. XIII, 179 und 180. 26) F. Conn: GoETHE als Botaniker. Deutsche Rundschau. Bd. XXVIII S. 39. 1881. 27) J. GARTNER: De fructibus et seminibus plantarum, Stuttgardae 1788. Über Cotyledonen p. CLII, Einheit der Form, p. CLIII, Typenlehre p. CLXXV, natürliches System p. CLXXVI. Die nouv. Biographie univers. sagt von GARTNER: ,G. etablit le premier en principe que les végetaux sont construits sur le m&me plan dans les familles parfaitement naturelles“. F. Coun (GoETHE als Botaniker, Deutsche Rundschau Bd. XXVIII. S. 33. 1881) schrieb: „Bei der Bearbeitung der Metamorphose 1790 be- nutzte GorTHE bereits den 1789 erschienenen Band von J. GÄRTNERS klassischem Werke“. GoETHE zitiert ihn W. A. VI. 74 und in GoETHES Nachlaß fand man aus- führliche Auszüge aus GÄRTNERS Buch. W. A. XIII. 179. 5. 28) Die unrichtige Behauptung, daß GoETHE die vergleichende Morphologie der Pflanzen geschaffen habe, findet sich z. B. bei W. WHEWELL (History of the inductive sciences Vol. III, p. 510, London 1847) und gleiches für die vergleichende Anatomie (l. c. p. 516). So auch bei BreLcHowsky l. c S. 433 und Lewes |. c. 2® edition II. p. Io5 Leipzig 1864, und anderen. Man sollte doch auch nicht aus den Augen ver- lieren, daß die Anfänge dieser Morphologie sich viel weiter zurückführen lassen. So auf MALPIGHI (1675 —86) über den FoNTENELLE in: Tableau du XVIIe siècle schrieb (M. J. FLOURENS: Examen du livre de Darwin p. 13 Paris 1864): „Marcel Malpighi, célèbre par tant de découvertes anatomiques, qui, quelque importantes qu’ elles soient, lui feront encore moins d’honneur que l’heureuse idée qu’il a eue, le premier, d’etendre l’ana- tomie jusqu’aux plantes (Anatome plantarum)“. Dann wären besonders noch zu nennen: N. Grew (1672—85), I. A. Jacoparus (1727), A. van RoyeEn (1728), J. GESNERUS (1743), = 163 — Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 2 to i H. L. pu Hamer pu MoncEAU (1758) und andere. Man vergleiche nur die vielen Titel in dem oben genannten Katalog der Banxschen Bibliothek. Nach K. F. W. Jessen (Botanik der Gegenwart und Vorzeit, S. 463, Leipzig 1864) erschienen bis 1600 vier Arbeiten über Anatomie und Physiologie, von 1601 bis 1700 schon fünfzig und von 1701-1800 sogar 410 Werke. LINNEUS nannte aller- dings die Pflanzenanatomen in seiner Bibliotheca botanica unter den Pflanzenliebhabern, „welche sich mit allerlei beschäftigen, das nicht eigentlich zur Botanik gehört“ (JESSEN l. c. S. 314), allerdings waren die Mikroskopiker seiner Zeit meist nur Liebhaber (Jessen, 1. c. S. 317). So schreibt z. B. Macnus (l. c.): „Im Auslande fielen GoETHEs Ideen über- haupt auf fruchtbaren Boden, JUSSIEU, DE CANDOLLE, ROBERT Brown entwickelten zum Teil ganz ähnliche Vorstellungen“. Das darf man nur schreiben, wenn man beweisen kann, daß die Genannten durch GOETHE inspiriert wurden. Was hatten sie denn aber gemeinschaftlich? Einfach dies, daß Brown, DE CANDOLLE und JUSSIEU überall nach morphologischen Übereinstimmungen suchten, um danach die Pflanzen zu gruppieren wie Rousseau und GÄRTNER. Darum machte NEES von ESENBEcK (Ver- mischte Schriften von R. Brown, übersetzt von NEES v. EsEnBEck, Schmalkalden 1825) aus Brown einen Anhänger der Metamorphose und verglich ihn dann mit GoETHE, worin ihm erst E. Meyer und Jessen (l. c. S. 412) nachfolgten mit Hinweis auf Browns Prodromus von 1810. Diese tolle Vergleichung stammt also von den Natur- philosophen her. Man lese nun aber einmal den Prodomus selbst und man wird nichts darin finden, was an die GorrHesche Metamorphose erinnert. Alle Genannten waren Systematiker, was GoETHE nicht war. Allerdings hat Brown auch die Seitenteile der Pflanze miteinander verglichen, welche Arbeit aber nicht unter den vermischten Schriften vorkommt, auf Grund welcher EsSENBECk Brown neben GoETHE stellte. Aber auch diese Vergleichung der Pflanzenteile untereinander stammt doch auch nicht von GoETHE her, wie wir eben gesehen haben. Von ihm ist nur deren ideelle Verbindung zu einer supernaturalistisch gedachten Metamorphose. Wer das natürliche System auf GoETHE zurückführen will, soll erst seine Beweise bringen und nicht den Leser durch das Nennen einiger glänzender Namen irreführen. Wenn man weiter künstliches und natürliches System in so schroffem Gegensatz zueinander bringt, dann beachtet man nicht, was JESSEN (l. c. S. 313) mit folgenden Worten wiedergab: „Ja die Anhänger beider Systeme standen sich schroff gegenüber und in den heftigen Kämpfen zwischen Jüngern des künstlichen und natürlichen Systems vergaß man völlig, daß ebensowenig LINNES System ein rein künstliches, als Jussreus ein völlig natürliches war.“ GoETHE lernte das „natürliche System“ durch Barscx (W. A. VI. 109) und GÄRTNER (siehe Anm. 27 oben) kennen. 36) Die erste französische Übersetzung der Metamorphose der Pflanzen erschien erst 1829 in Genf durch F. DE Gincins LASSARAZ, die zweite von SoRRET in 1831. Die zweite deutsche Auflage gab GoETHE auch erst 1820. 31) A. Janssen (J. J. Rousseau als Botaniker, S. 202 und S. 213, Berlin 1885) zitiert aus Rousseau: „Die Botanik hat die Erkenntnis der Organisation und Struktur der Pflanze zu ihrem Zweck“. Rousseau benutzte auch gerne das Mikroskop, welches GOETHE gering achtete (Jansen S. 203 mit den Belegstellen), wenn er es auch einmal benutzt hat (Brief an F. H. Jacogr, 12. Jan. 1785). Rousseau machte die Botanik populär wie Burron die Zoologie. Seine botanischen Briefe wurden in viele Sprachen übersetzt und rechneten zur wissenschaftlichen botanischen Literatur (vergl. S. KRUGER: Bibliographia botanica, Handbuch der botanischen Literatur, S. 14, Berlin 222 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 1841 und v. Mırrırz: Handbuch der botanischen Literatur, Berlin 1829). Wieviel Rousseau auch angefeindet wurde, so hatte er doch nicht über die Botaniker zu klagen wie GoETHE, den viele lieber unbeachtet liessen. Rousseaus Briefe kann man heute noch mit Vergnügen lesen. Daf sie zu der Idee „Einheit der Form“ führten, hat GoETHE selbst anerkannt (W. A. VI. 111). DI) Ye ANG Wil Rati, AS). 38) W.A. Bd. VI. Lesarten S. 368. Vergleiche Bd. VI. S. 292. „Morphologie ist Verknüpfung von Naturgeschichte, Naturlehre, Anatomie, Chemie, Zoonomie, Physio- logie.“ So auch Bd. VI. S. 446 Paralipomena: Die Definitionen zeigen, daß GoETHE die Morphologie durchaus als organische Universalwissenschaft aufgefaßt wissen wollte. Mehr im Sinne der heutigen Morphologie sind die Worte GoETHEs über Morphologie Bd. XII. S. 242 und S. 245. 34) Linneus und Worrr als seine Vorgänger: W. A. XIII. 8. Worrr: Entdeckung eines trefflichen Vorarbeiters. W. A. Abt. II. Bd. VI. S. 148-150. Für LINNEUS: W. A. VI. 51, 15. VI. 84, 1-10. VI. 322, 451. In der Prolepsis sah er also ganz entschieden die Absicht, die Erscheinungen zu erklären, auf welchen seine Metamorphose beruhte. Auch wenn H. F. Link (Elementa philosophiae botanicae, Berolini 1824) Goethe auf Linneus folgen läßt, dann beschwert dieser sich gar nicht darüber. (W. A. VI, 261), ebensowenig wenn L. REICHENBACH gleiches tut (W. A. VI. 268—2609); auch KıEsER ist hier zu nennen (W. A. VI. 251). Weiter noch W. A. VI. S.322 und 451. Gleicher Auffassung ist K. SPRENGEL: Von dem Bau und der Natur der Gewächse. S. 487 —88, Halle 1812 (vergl. Ann. 22 oben). Weiter J. D. Hookers Brief an WHEWELL in des letzteren: History of inductive sciences. Supplementary volume of the second edition. p. 139. London 1857. Nach Lewes (II. p. 100—ıo1): findet sich dieser Brief in der dritten Auflage auf S. 553 des 3. Bandes. Diese Auseinandersetzungen Hookers sind besonders lesenswert. Gleicher Auffassung sind: C. H. Scurrz: Die Anaphytose oder Verjüngung der Pflanzen. Berlin 1843. H. F. Linck: Wiegmanns Archiv. Jahrg. VIII. Bd. II. S. 165. 1842. M. SCHLEIDEN: Wiegmanns Archiv. Jahrg. II. S. 289—201. 1837. C. G. Nees v. Esengeck, Handbuch der Botanik. $ 106. 1820. J. Sacs: Ge- schichte der Botanik, S. 168. München 1875. K. SprencEL: Geschichte der Botanik. II. p. 302. 1817—18. Cuvier (MADELEINE DE SAINT Acy): Histoire des sciences natu- relles, unter Goethe. Auch J. F. Schouw, Prof. der Botanik in Kopenhagen : Natur- schilderungen. Kiel 1840. 39) Die älteren Arbeiten Worrrs waren, wie ich oben angab (Anm. 14) allge- mein bekannt, es war nur die Arbeit über den Darmkanal des Hühnchens, welche unbekannt geblieben war. Auf diese wies aber MeckeL 1812 hin (W. A. VI. 157, 18), während GoETHE es erst 1817 tat. Man findet diese irrige Auffassung z. B. bei F. Conn: GoETHE als Botaniker Deutsche Rundschau Bd. XXVIII. S. 47. 1881. und A. Hansen: GoETHE Jahrbuch ROVER Ss ROL 28) Wie A PA DE Mle Bd Vie re, 25: Aber entzifferst Du hier der Göttin heilige Lettern, Überall siehst Du sie dann, auch in verändertem Zug. Kriechend zaudre die Raupe, der Schmetterling eile geschäftig, Bildsam ändere der Mensch selbst die bestimmte Gestalt. Vergleiche W. A. VIII 81, 22ff. u. VIII. 87, 1—5, VI. 45: und andere Stellen Anm. 49 unten. Nach dem in Anmerkung 8 genannten Katalog handelte Linneus über Meta- morphose an den folgenden Stellen: Dissertatio metamorphosis plantarum Resp. Nic. Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 22 Dahlberg Holmiae 1755. Ammoenit. acad. ed. Schreber Vol. IV. p. 368 —386, Con- tinuat. select. ex Am. Acad. Dissertat. p. 208. Fundam. botan., edit. a Gilibert. Tom. I. p. 345. \ #7) Embryologie als Metamorphose W. A. VI. S. 141. 38) Apanson: Examen de la question si les espèces changent parmi les plantes. Mém. de l’Acad. des sc. de Paris p. 31-48. 1769. Ùber Transmutation handeln u. a.: N. MARCHANT: Observations sur la nature des plantes. Mém. de l’Acad. des sc. de Paris p. 59—66. 1719. H. L. pu Hamer pu Monceau: Recherches sur les causes de la multiplication des espèces de fruit. Mém. de l’Acad. des sc. de Paris. p. 338—354. 1719. Ältere Arbeiten sind gesammelt durch J. DryAnper : Catalogus bibliothecae historico-naturalis JosepHı BANKS. Londini 1797. T. III. Transmutatio specierum. LINNEUS, welcher sie erst bestritt, verteidigte sie seit 1744, und später 1749, 175I, 1760. Das Wort Metamorphose zur Andeutung dieser Transmutation oder Deszendenz- theorie benutzten schon ROBINET, BONNET, DE SALES. 39) GoETHE erwähnt diese Metamorphose W. A. VIII. 76, 27, VII. 77. 1—15. Simultane generelle Metamorphose. W. A. XII. 215. 1. Eine Zusammenfassung der verschiedenen Metamorphosen: W. A. VI. S. 451 und VI. S. 26-28. GoETHE ging niemals näher auf diese den heutigen Forscher am meisten interessierende Meta- morphose ein und übersah immer alle Schriften, in denen sie verteidigt wurde. Ich kenne nur eine Stelle in GoETHES botanischen Studien, welche man in dem Sinne auffassen kann, daß GOoETHE auch ernstlich über sie nachgedacht hat. Sie findet sich W. A. VI. 120, 15. „Das Wechselhafte der Pflanzengestalten . . . erweckte nun bei mir immer mehr die Vorstellung, die uns umgebenden Pflanzenformen seien nicht ursprünglich determiniert und festgestellt, ihnen sei vielmehr, bei einer eigensinnigen, genetischen und spezifischen Hartnäckigkeit, eine glückliche Mobilität und Biegsamkeit verliehen, um in so viele Bedingungen, die über dem Erdkreise auf sie einwirken, sich zu fügen und danach bilden und umbilden zu können. Hier kommen die Ver- schiedenheiten des Bodens in Betracht; reichlich genährt durch Feuchte der Täler, verkümmert durch Trockne der Höhen, geschützt vor Frost und Hitze in jedem Maße, oder beiden unausweichbar bloßgestellt, kann das Geschlecht zur Art, die Art zur Varietät, und diese wieder durch andere Bedingungen ins Unendliche sich ver- anderen.“ Das sind die alten Auffassungen Burrons, bei dieser Auffassung blieb GoETHE aber ganz innerhalb der Grenze des Geschlechts (Genus) stehen. Er dringt außerdem nicht weiter in diese Sache ein, sondern geht gleich (S. 121, 19) auf die ursprüngliche Identität aller Pflanzenteile über, seine eigentliche Metamorphose. Bei so vielen anderen Stellen, welche zeigen, daß er an der Konstanz der Species fest- hielt, hat dieser vorübergehende Gedanke nur sehr geringen Wert. Man vergleiche 2 Ves WE ANG VIII 117% *°) Das Wort Metamorphose wurde von vielen im Sinne der Metamorphosen des Ovipius verstanden (W. A. XIII. 8—11), wovon GoETHE selbst einen Fall mit- teilt. Andere sahen darin die Umänderungen organischer Gestalten durch Stilisierung, wie solche in der Baukunst als Ornament benutzt werden. Auch darüber findet man bei GorTHE eine Angabe (W. A. VI. S. 138). Sehr interessante Fälle solcher Stili- sierung, die an die Deszendenzlehre erinnern, teilt F. Houssay (Les idées d’évolution dans l’antiquité et dans le moyen age. Bull. Ass. franc. de l’avanc. sci. 1904. no. 7. 224 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. Supplément p. 117—134) mit und zwar von der Cathédrale Saint Jean in Lyon aus dem XIII. Jahrhundert und von der Kirche Saint Pierre de Moissac dans le Tarn et Garonne aus dem XII. Jahrhundert. Auf griechischen Vasen soll ähnliches vorkommen. GUBLER erwähnt dann eine Zeichnung LEONARDO DA VincIs „en figurant sur la même toile les degradations par lesquelles le type humain peut étre ramené à celui des batraciens dont l’homme procéderait“. (Préface d’une reforme des espèces fondé sur le principe de la variabilité restreinte du type organique. Bull. de la soc. botan. p. 15. Paris 1862). Auch diese Zeichnung war wohl für die Ornamentik bestimmt. Auch in Peru wurden solche Stammbäume zur Inkazeit zu Wanddekorationen benutzt. Dr. VOLLMER: Natur und Sittengemälde der Tropenländer. München 1820, 2. Aufl. 1829, mit deutlichen Abbildungen. J. Spıx nannte dann noch Metamorphose: die Veränderungen, welche der erwachsene Körper durch das Alter erleidet (Geschichte und Beurteilung aller Systeme. Nürnberg 1811. S. 199). H. RATHKE sprach von einer rückschreitenden Metamorphose, um die Rückbildungen bei der embryonalen Ent- wickelung zu bezeichnen (Wolffscher Körper, Urniere, Kiemen). Siehe seine Beiträge zur Anatomie und Physiologie. Neueste Schriften naturforsch. Gesellsch. Danzig. Bd. III. H. 4. S. 120. Danzig 1842. Den gleichen Ausdruck benutzte bekanntlich GoETHE, wenn die höher gestellten Organe (Staubbeutel, Kronenblatt) sich in nieder gestellte (Kronenblatt, Kelchblatt) umbildeten (W. A. VI. 62. 13). Er war aber von Sepa und M. S. Merran (1647 bis 1717) schon verwendet worden für die Froschlarve, welche in Surinam größer ist als der zugehörige Frosch. Man hatte dabei angenommen, daß der Frosch sich hier in eine Larve (Fisch) verwandelt habe statt umgekehrt. (E. Krause: Allg. Weltanschau- ung, S. 238. 1880). So kennen wir ıı Arten der Metamorphose. 41) So urteilte auch Lewes 2€ edition II. p. 99. 1864. 4°) Die Pflanzenmetamorphose hatte ihr Gegenstück bei den Tieren, bei denen er die Metamorphosen der Körperteile untereinander verglich und die Unterschiede zu Entwickelungsreihen verband. W. A. VII. 87. 10—13. Das führte zu der später zu besprechenden Wirbeltheorie. 43) A. P. De CanpoLLE: Théorie élémentaire de la Botanique 3° édition. 1844. In der ersten Auflage soll De CAnDoLLE GOETHE erwähnt haben, in dieser dritten bleibt er fast unbeachtet. #) Wenn Lewes (I. c. II. p. 79) schreibt: „It is now, and has been for some years, the custom to insert a chapter on metamorphosis in every work which pretends to a high scientific character“ dann verliert er dabei ganz aus dem Auge, daß man dabei meist an ganz etwas anderes als an GoETHEs Metamorphosen dachte. Gleiches gilt für die von LEwes zitierten Worte AUGUSTE SAINT HILAIRES (Compt rend. des. sciences de l’acad. VII. p. 437 1838 und Morphologie vegetale Vol. I. p. 15). „Depuis dix ans il n’a peut étre pas été publié un seul livre d’organographie, ou de botanique déscriptive qui ne porte l’empreinte des idées de cet écrivain illustre“. Das gilt nur für echt naturphilosophische Arbeiten. Indem man dann auch noch die Metamorphose gleich Deszendenzlehre stellte, wurde GOETHE ein Vorläufer Darwins und der Gründer der modernen Naturwissen- schaft. Solche Behauptungen findet man nicht nur bei HAEckeEr, sondern auch bei F. Conn (GoETHE als Botaniker. Deutsche Rundschau. Bd. XXVIII. 1881. Die Pflanze. 2. Aufl. 1897), H. REICHEnBAcH (Berichte Senckenberg. naturf. Gesellsch. 1899, p. 124), J. REINER (DARWIN und seine Lehre. 1902) und anderen. 49) A. KircHHOFF I. c. S. 27. Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 225 4) Die Metamorphose nur eine Idee. W. A. VI. 6, 15. VI. 167, 23. Auch nennt GoETHE seine Metamorphose nur einen Versuch, „wie man die Gesetze der Pflanzen- bildung sich geistreich vorzustellen habe“ (VI. ı21). Sein Gespräch mit SCHILLER findet man: Zur Morphologie. Stuttgart 1817. I. S. 94. W. A. Bd. XL S. 16 u. 17. I) jp SNES) lle Cy Sy rel. 48) R. H. Lorze: Allgemeine Physiologie des körperlichen Lebens. S. 535. Leipzig 1851. Man vergleiche A. Wıcanp: Kritik und Geschichte der Lehre von der Metamorphose der Pflanzen. S. 118. Leipzig 1846. A. KircHHorr: Die Idee der Pflanzen- metamorphose bei Worrr und bei GOETHE. S. 26—27. 1865. J. Sacs: Geschichte der Botanik S. 167— 180. C.H.SchuLtz: Die Anaphytose oder Verjüngung der Pflanze. Sy WU, So wees Berlin 1842. 49) W. A. VI. 93. 2—10. Vergleiche VI. 62, 13: „Die rückschreitende Meta- morphose“. In seiner Besprechung Wotrrs VI. 156. 17 wirft er diesem vor: daß er nicht gesehen habe, daß Ausdehnen und Zusammenziehen abwechsele. VII. 81. 17: „Der Kelch, in dem er sich übereilt, kann zur Krone werden, und die Krone kann sich rückwärts dem Kelche nähern“. Wie unbestimmt der Be- griff der Metamorphose war, zeigt am besten das Heranziehen der Metamorphose der Insekten. VIN. 81. 22 ff. wird die Pflanzenmetamorphose mit der der Insekten auf eine Linie gestellt. „Die Verwandlung der Insekten an und für sich genau zu betrachten und mit der Pflanzen-Umwandlung zu vergleichen, wird ein sehr angenehmes Geschäft sein.“ Vergleiche VIII. 87. 1—5. Die Metamorphose der Insekten war für ihn ein integrierender Teil der Metamorphosenlehre. VI. 370. 321. 304. So amen DAL Ss Sy uO, “So: Bs By Sa mic ieh Su Ch dl, So Boh sky 50) C. H. ScHuLTz: Die Anaphytose oder Verjüngung der Pflanzen. S. 1—22. Berlin 1843. ,So kann man auch sagen, das Blatt sei nicht der Grundtypus, sondern die Blume und die Pflanze sei eine metamorphosierte Blume und die Blume der Grund- typus. So werden zwei gleiche Dinge aus einander gegenseitig erklärt, was ebenso viel ist, als ob er sie jedes aus sich selbst erklären wolle“. 51) CH. DARWIN hingegen schrieb mit vollem Recht über die Metamorphose „in my view these terms may be used litterally“. Origin of species. 1. Aufl. p. 436. 52) J. Sachs ]. c. S. 171: „Zwischen rein idealen und genetischen Auffassungen blieb GoETHE beständig hin und her schwanken“. „Für die Geschichte der Botanik blieben diese besseren Regungen jedoch ohne Bedeutung, denn die Anhänger seiner Metamorphosenlehre faßten sie sämtlich im „naturphilosophischen“ Sinne auf und GoETHE hatte selbst gegen die furchtbaren Entstellungen, welche seine Lehre durch die Naturphilosophen erfuhr, nichts einzuwenden.“ 58) H. v. HeLmHoLTZ: Populäre wissenschaftliche Vorträge. H. 1. Über GoETHESs naturwissenschaftliche Arbeiten. S. 44. Braunschweig 1865. 54) Wie sehr verbreitet schon damals dieser Gedanke war, das werde ich in meiner Geschichte der Evolutionslehre zeigen. Hier will ich nur eine hübsche Be- merkung des Botanikers F. C. Mepicus geben, die er gerade in der Zeit machte, als die Metamorphose erschien. Er verurteilt alle Betrachtungen über die Stufenleiter der organischen Wesen und Betrachtungen über deren Ähnlichkeit oder Verwandt- schaft, wenn man nicht kurzerhand annimmt, daß, so wie alle Menschen aus Adam stammen, auch alle Pflanzen von einem oder mehreren Adams hervorgingen. Philo- sophische Botanik, 2. Heft. S. 8—0. Mannheim 1789. 226 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 55) Entdeckung eines trefflichen Vorarbeiters. Wenige Bemerkungen. 1817. Wife Vag Wl So TS TETE 56) KIRCHHoFF l. c. S. 31. 57) C. F. Worrr: Theorie von der Generation. S. 233—243. $ 83— 89. 8) Übrigens bringt $ 30 „Übergang zum Blütenstande“ Gedanken, welche sich denen Worrrs nähern. W. A. VI. 40. 59) M. J. ScCHLEIDEN: Wiegmanns Archiv. Jahrg. 3. S. 289-291. 1837. Beiträge zur Botanik I. p. 86. Grundzüge der wissenschaftlichen Botanik. Ed. II. Bd. II. p. 238. Als Wotrrs embryologische Arbeiten durch Brown fortgesetzt wurden (dessen Ver- mischte Schriften, die zu GoETHES Zeiten in deutscher Übersetzung erschienen), öffneten auch diese GoETHES Auge nicht für die Embryologie. Sogar A. Hansen (GOETHE Jahrbuch XXV. S. 128) muß S. 140 zugeben, daß WoLrr über GoETHE stand. „Die Metamorphose ist bei GoETHE keine bewegende Ursache, sondern bloß eine An- schauung für eine Tatsache“. Er brachte also keine Erklärung. „Seine ganze Be- weisführung beruht demnach nicht mehr auf Untersuckung nach naturwissenschaftlicher Methode, wie sie schon vor GoETHE C. F. WoLrr begonnen, sondern ist in das Reich der Begriffe verlegt, beruht weniger auf einem Vergleich von Dingen als von aus diesen gewonnenen Begriffen“. 6°) Ähnlich klingen die Worte von J. Sachs (l. c. S. 173): „Selbst die besten «deutschen Botaniker jener Zeit, wie LUDOLPH TREVIRANUS, Link, G. W. BISCHOFF u.a. vermochten sich dem Einfluß dieser Art Naturphilosophie nur da zu entziehen, wo sie sich an eine möglichst nüchterne Empirie hielten. Merkwürdig! wo man auf die Metamorphose der Pflanzen zu sprechen kam, verfielen selbst begabte und verständige Männer in namenloses Phrasentum.“ 6) A. Hansen |. c. 141. Will man aber bei der grenzenlosen Dehnbarkeit des Wortes Metamorphose auch die Zellenlehre als solche bezeichnen, dann wurde diese doch erst durch ScHwanN und SCHLEIDEN eingeführt. Für letzteren siehe O. ScHMiDT: GOETHES Verhältnis zu den organischen Naturwissenschaften. Berlin 1853. 62) A. BreLcHowsKy I. c. Bd. II. S. 424. 68) EcKERMANN. Bd. III 2. August 1831. 6%) „Mehr als Gortues wirkliche Leistungen nützen konnten, schadete aber sogar die falsche Richtung, welche er der damals durch die sogenannte Naturphilosophie schon hinlänglich betörten deutschen Wissenschaft vielfach einprägte. Man erinnere sich des argen, mit der Wirbeltheorie getriebenen Mıßbrauches. Weithin verbreitet in den Schriften jener Zeit findet man seine unverkennbare Manier, seine bedenklichen Maximen, seine gereizten Vorurteile.“ E. pu Boys Reyvmonp: Reden. Bd. I. S. 437. Dib SACHS INC SS ise, 66) H. v. HELMHOLTZ l. c. 6) Das geht auch schon daraus hervor, daß GoETHE den ersten Halswirbel kurzweg mit dem Kelch der Blume verglich. W. A. XII. 18, 18, auch VIII. 87. 68) W. A. VIII. 21, 9—19. 6%) W. A. XI. S. 12 und S. 62. Weiter Brief an Frau HERDER aus Venedig vom 4. Mai 1790. Abt. IV. Bd. IX. S. 204. In den Annalen zum Jahre r790 hat 'GoETHE diese Entdeckung dann noch weiter zurückdatiert, indem er sie „jene große früher von mir erkannte Wahrheit“ nannte. W.A. (Tag- u. Jahreshefte) Bd. 35. S. 15. 70) W. A. XI. S. 62. 7) Zur Morphologie. Bd. I. 2. S. 250. 1820. Bd. II. 2. S. 122—124. 1824 Wi Av VILE 168" u, SA 135 u. 331. \ Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. 227 72) W. A. VII. S. 167. 7-14. 73) C. Linné: Lachesis Japponica or a tour in Lappland. Transl. by Smrru. London 1811. 7) ©. Schmidt 1. c. S. 18-19. 7) So urteilt auch Lewes 2€ edition II. p. 116. Man vergleiche weiter was Lewes (I. c. II. p. 96) mit Berufung auf Owen und MarrıcHt über Prioritätsrechte schreibt. 76) „ULRICH, en reproduisant les opinions plus mùrement considérées d’OKEN sur les vertebres du cräne, dit: „KIELMEYERUM praeceptorem pie venerandum quamvis vertebram tanquam caput integrum considerari posse in scholis anatomicis docentem audivi“ R. Owen: Principes d’osteologie comparée ou recherches sur l’archetype 1855. À. L. Urricxs Arbeit lautet: De sensu ac significatione ossium capitis speciatim de capite testudinis. Ein Auszug in Isis 1819. p. 1350—1353. Auch Cuvier war dies bekannt (Anatomie comparée 1835. T. II. p. 715): „M. KieLMEYER, dont les idées ingénieuses, toujours communiqués verbalement malgré les prières de ses amis, et le plus souvent exagérées par ses éléves, ont donné lieu a la plupart des spéculations dont se com- pose en Allemagne la philosophie de la nature, a souvent annoncé que dans une “ vertèbre on pouvrait reconnaître comme une tête entière.” Diesen Worten nach hatte KIELMEYER also den gleichen Gedanken wie P. FRANK: De vertebralis columnae in morbis dignitate. Oratio academica. Delectus opusc. med. Ticini 1792. Vol. XI. p. 8 (nach Cuvier, PAVIE 1791). „In ea semper opinione versatus sum, quamcunque spinali columnae vertebram pro parvo, eodemque transverso cranio esse considerandam“. „Extremo et ex omnibus maxime conspicua mobilissimaque vertebra quam calvariam appellamus.“ (Nach O. Schmipr und VircHow.) PoucHET hat dann noch behauptet, daß ALBERTuUsS Macnus zuerst an die Wirbeltheorie des Schädels gedacht habe (Histoire des sciences naturelles au moyen âge. S. 271. Paris 1853. VırcHow hat in den Werken des ALBERTUS Macnus nichts Derartiges finden können. 77) Fräulein M. VoEGELEn hatte die Güte, mir aus KIELMAvERs Nachlaß einen Auszug aus einem Briefe KIELMAYERS an HUFELAND zu schicken, woraus hervorgeht, daß er den Plan seiner von 1790-93 gehaltenen Vorträge „Über allgemeine Physio- logie“ mit vielen ausführlichen Anmerkungen an GoETHE schickte, auf dessen Wunsch er sie nlederschrieb. — Man vergleiche Kgl. Landesbibliothek in Stuttgart. Cod. hist. Fol. 791. Fasz. IV m. 4. 72) Burpin: Cours d’études médicales. Paris 1803. T. I. p. 16. „Ila considéré la vertebre comme le fondement et l’archetype de tout le squelette et la tete comme la plus élevée des vertèbres (Cuvier).“ 7%) Die erste Arbeit OkEns wurde oben bereits genannt, weiter „Philosophia ossium. Isis 1810“. J. F. MeckEL: Beiträge zur vergleichenden Anatomie. Bd. II. H. 2. p. 74——79. Leipzig 1808. Dumérit (Magaz. encyclopédique. T. III. p. 125. 1808) stand noch auf dem Standpunkt von KIELMEYER und FRANK, den OKEN und MEcKEL verlassen hatten. Sprx: Cephalogenesis sive capitis ossei structura. Monachii 1815. Bojanus in Isis 1818 Nr. 3. p. 501, 1819 p. 1360, 1821 p. 1145. C.G. Carus: Lehr- buch der Zootomie 1818. Erläuterungstafeln zur vergleichenden Anatomie 1826—55. Von den Ur-theilen des Knochen- und Schalengerüstes. Leipzig 1828. GEOoFFRoY Sr. Hmatre: Composition générale de la tête osseuse de l’homme et des animaux. Annales des sciences nat. Oct. 1824. Weder C. G. Carus (Lehrbuch der Zootomie p. 164. 1818) noch Cuvier (Hist. nat. des poissons. T. I. qu. S. 176, Paris 1828. Anatomie comparée II. 710-715. 1835) nennen GOETHE. Sie schrieben ihm also keinen Zool. Annalen V. 15 228 Kohlbrugge, Histor.-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. Einfluß auf die Verbreitung der Theorie zu. Erst in der zweiten Auflage seiner Zoo- tomia nennt CARUS GOETHE. 1834 S. 222. 80) J. V. Carus: Geschichte der Zoologie l. c. S. 584. 81) Vergleiche den handschriftlichen Nachlaß Cuviers „Fonds Cuvier“ im Institut de France. Bündel 94. 82) Histoire des sciences naturelles. Paris 1830—32. 8) C. G. Carus IL. c., A. v. KoELLIKER: Bericht von der Königl. Zootomischen Anstalt zu Würzburg. Zweiter Bericht. Leipzig. S. 37. 1849. L. Mertens, Zur Phy- siologie der Anatomie. Berlin 1841. 84) Cuvier bestritt sie in Lecons d’anatomie comparée, édition posthume, Vol. II. p. 710—715. Paris 1835. So auch Th. Huxrey: On the theory of the vertebrate skull. The coronian lecture. Proc. roy. soc. 1858, auch in Scientific memoirs T. I. p- 538. In den Grundzügen der vergleichenden Anatomie, 1. Aufl. S. 442. Leipzig 1859 stand C. GEGENBAUR noch auf dem Boden der Wirbeltheorie. Er verwarf sie in seinem Buche zur vergleichenden Anatomie. Bd. I. S. 313. 1898. So auch K. C. CLaus— C. GROBBEN : Lehrbuch der Zoologie S. 749. Marburg ıgıo. 85) Vergleichende Anatomie. Bd. I. S. 313. Leipzig 1898. 85) H. v. HELMHOLTZ |. c. | 89) W. A. VII. S. 13 u. 14. GoETHE verglich die ganzen Körperteile. Da er sich später an GEOFFROY ST. HILAIRE gegen Cuvier anschloß, so machte er auch dessen Übertreibung mit. 8) Man vergleiche nur W. A. VIII, 168, 15 „reine Bestreben von Carus“ u. a. a. O. 39) Wie weit GOETHE ging, zeigen die Worte (RIEMER: Briefe von und an GoETHE S. 299, Dezember 1806): „Man kann die Phalangen (Wirbel im Rücken und sonst) als Knoten ansehen bei den Pflanzen. Wie die Pflanze von Knoten zu Knoten wächst, so die Organisation der Thiere. Die Knochen der Arme und Beine sind auch nichts anderes als größere Knoten oder Phalangen“: %) H. v. HeLMHoLTZ: GoETHEs Vorahnungen kommender naturwissenschaftlicher Ideen. Deutsche Rundschau LXXII. S. 132. 1892. — 146 — Bücherbesprechung. H. Stadler, Vorbemerkungen zur neuen Ausgabe der Tiergeschichte des Albertus Magnus. In: Sitzgs.-Ber. K. bayer. Akad. d. Wissensch. Philos.-histor. Klasse. München. Bd. 1. S. 1-57. 1912. Auch in Buchform: München. Verlag von G. Franz (J. Roth). 1912. 57 S. 8°. 3 Tafeln. M 1,60. Wenn auch — wie Carus in seiner Geschichte der Zoologie sagt — ALBERTUS Manus nicht als ein Naturforscher im modernen Sinne des Wortes betrachtet werden darf, so verdienen seine Werke nicht nur historisches, sondern auch zoologisches Interesse. Hat er doch die Werke des ARISTOTELES dem Verständnis seiner Zeit durch Kommentierung näher gerückt und in den letzten 7 Büchern seiner Tiergeschichte viel wertvolle eigene Beobachtungen gebracht. Wie weit er als selbständiger Naturforscher einzuschätzen ist, hat HERMANN STADLER schon 1905 in einem interessanten Vortrage untersucht’). Damals wurde auch, auf Veranlassung von R. Hertwie, der Herstellung einer kritischen Ausgabe der Tiergeschichte des ALBERTUS Macnus nähergetreten. Nunmehr sind die Vorarbeiten soweit gefördert, dass der erste Band in Druck gehen kann. Der Verfasser konnte sich in den vergangenen sieben Jahren der Unterstützung der K. bayer. Akademie der Wissenschaften und des K. bayer. Staatsministeriums erfreuen. In der vorliegenden Arbeit werden von dem Herausgeber in größerer Ausführlichkeit einige Fragen erledigt, die die Praefatio der Textausgabe allzu sehr belasten würden. Das Hauptverdienst STADLERS ist vor allem darin zu sehen, daß er eine Unzahl von Fehlern, die sich im Laufe der Zeit eingeschlichen hatten, eruiert hat. Über den eigentlichen Titel des Werkes sind wir im unklaren, da das Titelblatt in der Originalhandschrift zu Köln fehlt. In den Abschriften, Drucken sowie in den Überschriften der 26 Bücher finden wir teils „liber de animali- bus“, teils ,liber animalium“. Dem Verfasser war also offenbar die Form des Titels ganz gleichgültig, wie er auch in Äußerlichkeiten, z. B. der Rechtschrei- bung und den Anführungen recht launenhaft verfährt. Von den vorhandenen etwa 40 Abschriften hat H. StADLER fast alle durchgearbeitet. Unter ihnen nimmt die im städtischen Archiv zu Köln a. Rhein befindliche in bezug auf Fehlerfreiheit und Klarheit der Darstellung weitaus den ersten Rang ein, so daß der Herausgeber am Schlusse der vorliegenden Arbeit aus hauptsächlich sprachlichen Gründen, auf die hier nicht weiter ein- 1) H. SrapLer, Albertus Magnus als selbständiger Naturforscher. In: Döberl Reinhardstöttner, Forschungen zur Geschichte Bayerns. 1905. Band XIV. p. 95. 230 Bücherbesprechung. gegangen werden kann, zu dem Ergebnis kommt, in der Kölner Handschrift das von dem alten Meister eigenhändig geschriebene Original vor sich zu haben. Gestützt wird diese Annahme noch durch die Tradition: ALBERTUS hielt sich die letzte Zeit seines Lebens mit nur wenigen, ganz kurzen Unterbrechungen im Dominikanerkloster zu Köln auf, wo er auch am 15. November 1280 starb. Um 1487 berichtet PETRUS DE Prussia, der zuverlässigste Biograph ALBERTS, in einer Aufzählung seiner Werke: ,scripsit de animalibus librum divisum in multos libros partiales, qui de manu propria eius conscriptus Coloniae in praedicatorum conventu habetur sicut et super Mattheum.“ Diese beiden Handschriften lagen im Dominikanerkloster zu Köln, der Grabstätte ihres Verfassers, bis zur Aufhebung und Zerstörung des Klo- sters im Anfange des 19. Jahrhunderts. Dann wurden sie verschleudert, aber von WALLRAF wieder erworben und der Stadt Köln vermacht, wo sie nun- mehr im Stadtarchiv aufbewahrt werden und als dessen größter Schatz und stete Erinnerung an Kölns größten Einwohner sorgsamste Hut verdienen und finden. Die untersuchten Handschriften, deren Verfasser in den wenigsten Fällen das Original zum Abschreiben benutzt haben, sind erklärlicherweise von ganz verschiedenem Werte. Die Kölner Handschrift ist fast fehlerfrei und lücken- los, was auch für ihre Echtheit als Originalmanuskript spricht; die anderen alle sind mehr oder weniger gut gelungene Abschriften, in deren schlechtesten die Lücken umfangreicher als der Text sind. In der neuen Ausgabe von STADLER, der die Kölner Handschrift zugrunde gelegt ist, sind alle stilistischen und orthographischen Eigentümlichkeiten im Texte beibehalten worden; nur in einem Punkte ist der Herausgeber von der Vorlage abgewichen: ALBERTUS schreibt nämlich statt ae und oe nur e, also terre, aque, celum; da es aber doch Nichtphilologen, für die ja diese Ausgabe auch bestimmt ist, lästig fallen dürfte, immer aequus und equus, latae und late usw. auseinanderzuhalten, so ist in diesem Punkte im Interesse der leichteren Lesbarkeit die moderne Schreib- art eingeführt worden. Griechische Wörter und Eigennamen sind natürlich in der Weise des Mittelalters umgelautet und verunstaltet; wo es nottut, ist in Fußnoten die richtige Form angegeben worden. ALBERTUS war, was ihm schon sein Zeitgenosse Roger. Bacon vorwarf, sowohl des Griechischen als auch des Arabischen unkundig, ein Umstand, der viele Fehler in seiner Schreib- weise erklärt. Gedruckt wurde die Tiergeschichte des ALBERTUS Macnus einzeln zu Rom 1478, Mantua 1479 und viermal zu Venedig 1490—1519. Den Druck von Mantua, den die K. Hof- und Staatsbibliothek zu München besitzt, hat STADLER geprüft und gefunden, daß er im allgemeinen der niederen Hand- schriftenklasse entspricht, jedenfalls weit besser ist als die Form des Textes in der 1651 in Lyon erschienenen Gesamtausgabe der Werke ALBERTS von Jammy. Der 6. Band dieses Gesamtwerks enthält die Tiergeschichte. Diese hat A. Borener in der Pariser Ausgabe (B. Alberti Magni Ratisbonensis episcopi ord. praed. Opera omnia eqs. Parisiis. 1891. Bd. XI, XII) so mecha- nisch und unverständig abgedruckt, daß der ganze Text durch Auslassungen, willkürliche Änderungen und Lesefehler derartig entstellt ist, daß, abgesehen von mangelhafter Orthographie und Wortstellung, auf die Seite durchschnitt- lich 10 Fehler treffen, also im ganzen Werke etwa 12000! Welcher Wider- sinn aber durch diese Auslassungen entstanden ist, dafür hier einige Proben: Bücherbesprechung. 231 In einer Erörterung über Verdauung und Ernährung heißt es in den Drucken und schlechteren Handschriften: haec igitur est causa diversitatis motus pro- cessivi. Aber nach diversitatis ist einzusetzen: motus nutrimenti et digestivi caloris in augmento, statu et declinatione. haec etiam causa est, woran sich dann das motus processivi gut anschließt. Im zweiten Buche findet sich u. a. folgende Stelle: Sed homo non eicit nisi anteriores [dentes] et non molares, nec etiam aliquod aliud animal eicit molares. Capreoli autem. . ... (Die kursiv gedruckten Worte fehlen in den Handschriften und Drucken und sind nach dem Kölner Manuskript ergänzt.) Ein paar Zeilen weiter ist durch zwei ausgelassene Wörtchen folgender zoologische Widersinn erzeugt worden: Quae autem eiciunt dentes, non eiciunt nis? dentes anteriores sicut ef homo. So wird fälschlich behauptet, die Säugetiere wechselten die Vorderzähne nicht, während tatsächlich und richtig gesagt wird, daß eben diese wechseln, die Molaren aber bleiben. „Die folgenschwerste Auslassung ist wohl Buch XXIII, 24 (26) im Kapitel vom Storch. Haec avis varla est ex albo et nigro colore. EG Invenitur etiam genus ciconiae totum in dorso nigrum et in ventre subalbum. Sed hoc non nidificat in hominum habitationibus, sed in paludibus deserti. Denn das ist nun ganz klar die erste literarische Erwähnung und Beschreibung des schwarzen Storches. Infolge der Auslassung aber konnte diese natürlich niemand erkennen. Auch der Aufenthaltsort ist mit einsamen Sümpfen gut gegeben.“ Außer diesen Auslassungen der Hand- und Druckschriften finden sich noch viele willkürliche Veränderungen, so vor allem die Einführung griechischer Buchstaben und richtiger Formen in den Drucken statt der Transkriptionen und mittelalterlichen Umformungen, die alle Handschriften zeigen. So entstand bei Unkundigen die Meinung, ALBERTUS habe Griechisch gekonnt. Hierzu gehören ferner ganz unnötige Änderungen in der Wort- und Satzstellung u. a. m. Besonders in den Büchern 22—26 zeigen sich in der Ausgabe von Jammy gewaltige Abweichungen insofern, als die Aufzählung der Tiere, die ALBERTUS in diesen Büchern mittelalterlich alphabetisch geordnet gibt, d. h. innerhalb der einzelnen Buchstaben ziemlich frei, dem Herausgeber des Lyoner Werkes ganz und gar nicht behagte, so daß er die ganze Ordnung nach modernen Gesichtspunkten umänderte! Auf die ferner zahlreich vorkommenden Lesefehler legt STADLER besonderes Ge- wicht, „weil die Mehrzahl derselben überhaupt nur erklärbar ist, wenn man die Kölner Handschrift als Grundlage der ganzen Überlieferung annimmt.“ Die angeführten kleinen Proben mögen genügen, um zu zeigen, welche mühevolle verdienstreiche Arbeit H. STADLER bei der kritischen Herausgabe der Tiergeschichte zu leisten hatte. Möge bald das Werk des großen Scho- lastikers in ursprünglicher Reinheit erscheinen. Wenn es auch in erster Linie nur auf Lesefrüchten beruht und zum größten Teil als ein Kommentar zur Tiergeschichte des ARISTOTELES zu betrachten ist, so lafst es doch die eigenen Beobachtungen des weitgereisten Autors nicht vermissen. Das Werk verdient also nicht nur die Aufmerksamkeit der Philologen auf sich zu ziehen, sondern noch viel mehr die der Zoologen, da es doch eines der größten zoologischen Werke des Mittelalters ist und sich bei der angesehenen Stellung seines Autors größter Wertschätzung erfreute. Ferdinand Müller. Loologische Annalen, Band V. Tafel 1. Cephalopode Kohlbrugge, Goethes Teilnahme am Kampf in der Pariser Akademie. Kurt Kabitzsch, kgl. Univ.-Verlagsbuchhändler, Würzburg. Zoologische Annalen, Land V. Tafel II. Mammifère feugsayur eus estomac Figuren, entworfen im Jahre 1830 durch Cuvirr, ausgeführt durch LAURILLARD. Sie sollen zeigen, daß auch das doppeltgefaltene Säugetier ganz anders gebaut ist als die Cephalopoden. Sie wurden angefertigt, um die Auffassung von LAURENCET und MEyYRANx, welche GEOFFROY SAINT HILAIRE stütze, am 22. Februar 1830 zu widerlegen. Die Originale sind im Fonds Cuvier. Institut de,kraniee. Kohlbrugge, Goethes Teilnahme am Kampf in der Pariser Akademie. Kurt Kabitzsch, kgl. Univ.-Verlagsbuchhändler, Würzburg. Überblick über die Geschichte der Haustier- forschung, besonders der letzten 30 Jahre. Von Dr. Max Hilzheimer, Stuttgart. I. Einleitung. Der Aufforderung des Herrn Herausgebers dieser Zeitschrift, einen Überblick über den jetzigen Stand der Haustierforschung zu geben, bin ich um so lieber nachgekommen, als in den letzten Jahren auf diesem Gebiete viel gearbeitet ist. Die Arbeiten sind aber in zoologischen, anthropologischen, geologisch - paläonto- logischen, archäologischen und landwirtschaftlich-tierzüchterischen Zeitschriften und Publikationen der verschiedensten Länder und Sprachen derartig zerstreut, daß es nicht ganz leicht ist, sie zusammen zu finden. Und so hoffe ich den Fachgenossen, die sich ohne große Mühe über dies Gebiet der Zoologie schnell orientieren wollen, einen kleinen Dienst mit den folgenden Aufsätzen zu erweisen. Ich werde mich bemühen, wenigstens in den Literaturverzeichnissen möglichste Vollständigkeit zu er- reichen. Und wenn mir auch hier und da eine Arbeit entgehen sollte, was bei der so zerstreuten Literatur sehr wahrscheinlich ist, so hoffe ich doch wenigstens von den wichtigeren Arbeiten keine übersehen zu haben. Die älteren Arbeiten sind von WıLckens 1885 in vorzüglicher Weise zusammengestellt worden (Biolog. Ctrbl. Bd. 4 u. 5), wenig- stens für die wichtigsten europäischen Nutztiere, so daß ich mich für sie auf diese Zusammenstellung beziehen kann und nicht weiter zurückzugehen brauche. Für einige andere von WILckENns nicht berücksichtigte wird das allerdings nötig sein. Wenn bei meiner Zusammenstellung der Arbeiten eine kritische Sichtung und Würdigung versucht wird, so wird man Zool. Annalen V. 16 N te 234 Hilzheimer, Überblick über die Geschichte der Haustierforschung. das jemandem, der seit Jahren speziell auf dem (Gebiete der Haustierforschung Studien gemacht hat, nicht verübeln. An den Anfang stelle ich ein Literaturverzeichnis, das Werke enthält, die sich mit mehreren oder allen Haustieren beschäftigen. Die darin bezeichneten Arbeiten werden im folgenden mit dem Namen des Autors und der betreffenden Zahl dahinter zitiert werden. Außerdem werde ich jedem Abschnitt ein Literatur- verzeichnis folgen lassen, das nur Arbeiten über die in dem be- treffenden Abschnitt behandelte Art enthält. Die darin genannten Arbeiten werden mit Autornamen und Buchstaben dahinter zitiert werden. Aufgezählt werden in den Literaturverzeichnissen nach Mög- lichkeit alle mir bekannt gewordenen Arbeiten, aber wertlose oder rein kompilatorische Arbeiten wie z.B. die von REINHARDT (1) werden im Text nicht verzeichnet werden. Literatur. ANUTSCHIN, 1. Zur Kenntnis der Geschichte der ältesten Haustiere von Ruß- land (russisch). Arbeiten der 6. archäologischen Versammlung in Moskau. (cf. Studer). BRANDT, J. F. u. Wozrpricx, S. N., 1. Diluviale europäisch -nordasiatische Säugetierfauna und ihre Beziehung zum Menschen. Mem. Acad. imp. Petersburg 1887, 7. Bd. 35. DuersT, J. U., 1. Die Tierwelt der Ansiedelungen am Schloßberg. In: Arch. f. Anthropologie. N. F. Bd. II. 1904. — 2. Wilckens Naturgeschichte der Haustiere. 2. Aufl. Leipzig 1905. — 3. Animal remains from the excavations at Anau and the Horse of Anau in its relation to the races of Domestic Horses. In: Pumpelly. Explorations in Turkestan. Washington 1908. Vol. Il. part. VI. (Kurzes Resümee daraus in®der 4. Flugschrift d. Gesellsch. f. Züchtungskunde.) GLUR, G., ı. Beiträge zur Fauna der Pfahlbauten. Mitteil. naturf.-Gesellsch. Bern 1894. Haun, EDUARD, 1. Die Haustiere und ihre Beziehungen zur Wirtschaft des Menschen. Leipzig 1896. Henn, Viktor, 1. Kulturpflanzen und Haustiere in ihrem Übergang aus Asien nach Griechenland und Italien sowie in das übrige Europa. 7. Aufl. Berlin 1902. À HiLZHEIMER, Max, 1. Die Haustiere in Abstammung und Entwicklung. Stutt- gart 1909. — 2. Geschichte unserer Haustiere. Leipzig 1912. — 3. Die in der Ansiedelung bei Hasenfelde gefundenen Haustierknochen. Prähist. Zeitschr. III. Jahrg. ro11. S. 297-300. KELLER, CoNRAD, 1. Die Tierwelt in der Landwirtschaft. Leipzig (C. F. Winter) ohne Jahreszahl. Hilzheimer, Überblick über die Geschichte der Haustierforschung. 235 KELLER, ConrAD, 2. Die Abstammung der ältesten Haustiere. Zürich 1902. — 3. Naturgeschichte der Haustiere. Berlin 1905. — 4. Die Haustiere als menschlicher Kulturerwerb. In: Hans Kraemer, Der Mensch und die Erde. Bd. I. S. 165—304. — 5. Die Stammesgeschichte unserer Haustiere. Leipzig 1908. — 6. Haustierrelikte aus Asien, Afrika und Europa. Verhdlg. schweiz. nat. Gesellschaft. 31. Vers. 1908. Bd. I. p. 24 und Arch. Sc. phys. nat. Genève 1908. T. 26. p. 551. — 7. Studien über die Haustiere der Mittelmeerländer. Neue Denkschr. schweiz. naturf. Gesellsch. ıgır. Bd. XLVI. Abh. 2. — 8. Afrikanische Elemente in der europäischen Haustierwelt. Globus 1897. — 9. Verwilderte Haustiere in Sardinien. Globus 1899. S. 372—375. KELLER, OTTO, 1. Die Tiere des klassischen Altertums in kulturgeschichtlicher Beziehung. Innsbruck 1887. — 2. Die antike Tierwelt. Leipzig 1909. KRÄMER, HERMANN, 1. Die Haustierfunde von Vindonissa. In: Revue suisse de zoologie. t. 7. 1899. p. 143- 272. LorTET et GAILLARD, 1. La Faune momifiée de l’ancienne Egypte. Arch. Mus. hiseanatt Eyon? =. VII 1963.51: 9,1907. > X, 21909. MÜLLER, ROBERT, I. Die geographische Verbreitung der Wirtschaftstiere. Leipzig 1902. Orto, Aucust, 1. Zur Geschichte der ältesten Haustiere. Breslau 1890. REINHARDT, Lupwic, 1. Kulturgeschichte der Nutztiere. München 1912. SCHOETENSACK, OTTO, 1. Beiträge zur Kenntnis der neolithischen Fauna Mittel- europas. Verhdl. Nat.-Med. Ver. Heidelberg. N. F. VIII. Bd. 1904. — 2. Untersuchung von Tierresten aus dem Gräberfelde der jüngeren Stein- -zeit bei Worms etc. Ebenda. N. F. VI. Bd. 1839. STUDER, THEoPHIL, 1. Die Tierwelt in den Pfahlbauten des Bielersees. Mittl. d. Berner naturf. Gesellsch. 1883 u. Nachtrag dazu 1884. II. Die Hauskatze. (Felis catus L.) Wohl selten ist durch einmütiges Zusammenarbeiten von Zoologen, Archäologen, Ethnologen und Philologen bei der Ge- schichte irgend eines Haustieres ein so schönes Resultat erzielt worden, wie bei der der Katze. In großen Zügen darf sie wohl heute als geklärt gelten. Nur noch wenige dunkle Punkte gibt es aufzuhellen. Die Werke des 18. Jahrhunderts, die unseren Gegenstand behandeln und von denen einige wichtige im Literaturverzeich- nis aufgezählt sind, enthalten meistens wirklich nur „Katzen- historien“. Auch zählen zum Teil unter die Katzenarten Meer- katzen, fliegende Katzen und ähnliche zu ganz anderen Ord- nungen gehörige Tiere. Immerhin entnehme ich Moncrir und 16* 236 Hilzheimer, Überblick über die Geschichte der Haustierforschung. Carpzov (a), daß die Angorakatze 1521 von PIETRO DELLA VALLE aus Chorassan nach Italien eingeführt wurde und ca. 100 Jahre später nach Frankreich kam. Von anderen im ı8. Jahrhundert bekannten Rassen erwähnt Carpzov (a) noch die Cyperkatze und eine meist langhaarige stehohrige Katze aus Peking, die keine Mäuse fange. Vielleicht ist dies auch eine Angorakatze gewesen. Das ist alles, was ich über das Alter der verschiedenen Rassen in Erfahrung bringen konnte. Bekanntlich neigt ja ge- rade die Katze wenig zur Variation in der Gefangenschaft, zur Rassenbildung. Immerhin sind in verschiedenen Gegenden eine Anzahl Rassen entstanden, von denen ich nach MARTIN (a), KELLER (2 u. 3) und ReicHENBAcH (Die Raubsäugetiere. Dresden und Leipzig 1852), der freilich mit Vorsicht zu benützen ist und von dessen ı2 Rassen manche nur Abnormitäten, krankhaft ver- änderte Tiere oder gar Phantasiegebilde, wie seine Marder- und Katzenkreuzung, sind, folgendes feststellen kann: ı. Unsere ge- wöhnliche Katze und als rein gezüchtete Farbenvarietät davon die Karthäuserkatze; 2. die Cyperkatze; 3. die hängeohrige chine- sische Katze; 4. die Siam- oder Maskenkatze; 5. die schwanzlose Katze. Sie lebt auf der Insel Man und Dorsetshire und in Ost- asien etwa von Malakka bis zu den Pribylow-Inseln (abgebildet bei KELLER (2 u. 4) und Boussac (a). Wahrscheinlich ist sie öfters selbständig aus Katzen mit normalen Schwänzen heraus- gebildet. Dies glaube ich wenigstens bei älteren anatomischen Untersuchungen über stummelschwänzige Katzen (und Hunde) und der soeben erschienenen von Bere (a) (s. dort auch die ältere Literatur darüber) entnehmen zu können. Es finden sich danach zwischen normalschwänzigen und stummelschwänzigen alle Über- gänge. Nach Bere (a) weisen die javanischen Katzen alle Uber- gänge von langem Schwanz bis Stummelschwanz auf, zeigen alle japanischen einen stärkeren Grad von Verkürzung des Schwanzes und alle Mankatzen nur eine ganz extreme Verkürzung. Fragen wir nun nach der Herkunft der Hauskatzen, so leitete man sie bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts allgemein von unserer Wildkatze ab, eine Auffassung, die selbst noch Cuvier teilte. | Erst als RijppeL bei seinen Reisen in Nubien und Abessinien Felis maniculata entdeckt hatte, konnte diese Auffassung ge- ändert werden. Und gleich der Erstbeschreiber des neuen Tieres, CrerzscHmMar (Atlas zur Reise im nördlichen Afrika von Hilzheimer, Überblick über die Geschichte der Haustiei forschung. 27 Epuarp RiPPEL p. 1), äußerte 1826 die Ansicht, diese Katze möchte der Stammvater der Hauskatze sein. Ihm schloß sich sofort, noch im selben Jahre Temminck an, welchem 1829 Brenn folgte. Inzwischen hat sich herausgestellt, daß die von CRETZSCHMAR be- schriebene Katze nur eine geographische Form der schon länger bekannten £. /zbyca Olivier (beschrieben 1801) sei und daß sie da- her /. libyca maniculata CRETZSCHMAR heißen müsse. (ANDERSON and Winton. Zoolog. Egypt. Mam. 1902 p. 171.) BLAINVILLE (a) hat dann eine Anzahl ägyptischer Katzenmumien untersucht und unter ihnen drei Arten /. calzgata, bubastes und chaus gefunden. Hiervon schied er /. calıgala wegen Besonder- heit des Milchgebisses aus der Aszendenz der Hauskatze aus. F, chaus mit seinem kurzen Schwanz kann kaum ernstlich in Be-. tracht kommen, so daß nur 7° dbudastes übrigbleibt. Diese ist aber nach Neurine entweder 7, saniculata selbst, oder ein nur wenig veränderter domestizierter Nachkomme von ihr. So Konnte sich IsımoRE Grorrroy St. HiLiare 1861 (Acclimation et domestication des Animaux utiles p. 211—212) auf Grund von Untersuchungen von BLAINVILLE, CRETZSCHMAR und Temminck ganz bestimmt für die Stammvaterschaft von 7. manıculala aussprechen. Damit schien die Zahmung von 7. manzculata in Ägypten sicher gestellt. Wenigstens stimmten ihr, soweit ich sehen kann, zunächst alle Forscher zu, die sich mit dem Gegenstande beschäf- tigten. (REICHENBACH 1852, MARTIN 1877 (a), HARTMANN (a, b, c.) Da erhob VircHow (a) 1889 auf Grund seiner Untersuchungen von Knochen aus Bubastis, unter denen er /. serval, chaus und maniculata fand, Zweifel daran, ob in Ägypten die Katze domesti- ziert sei. Dies führte in der Berliner anthropologischen Gesellschaft zu einer lebhaften Diskussion, an der sich Hartmann (c), Bruascu (a) und Neurine (b) beteiligten. Der letztere hatte Katzenmumien von Bubastis, Beni-Hassan und Siut untersucht. Er fand darunter F. chaus, serval, caligata und maniculata. Jedoch seien die letzten beiden als Mumien schwer zu unterscheiden. Es sei dies höchstens der Größe nach möglich. Für Beni-Hassan und Siut, die der 12.—13. Dynastie angehören, nimmt Neurine als sicher an, daß die Katze domestiziert sei. Die Anzahl der Mumien sei eine derartig große, daß sie nur so erklärt werden könne. Auch fänden sich alle Altersstadien von ganz Jungen mit Milchgebiß an. Gebißabnormitäten kämen ebenfalls vor und schließlich auch Variabilität der Färbung, die zwar immer der Hauptsache nach 238 Hilzheimer, Überblick über die Geschichte der Haustierforschung. gelblich sei, aber von hellgelb bis dunkelbraun alle Schattierungen habe. Weiß und schwarz fehle dagegen. Auch die Ohren seien variabel. Alle diese Katzen erwiesen sich aber durch den schwarzen Sohlenfleck als Nachkommen von £. maniculata. F. chaus, caligata seien wohl gezähmt, aber nicht domestiziert worden. In dem viel älteren Bubastis dagegen, das etwa bis zur 4. Dynastie reicht, seien die Katzen noch nicht domestiziert ge- wesen, auch würden hier ihre Reste von dem des Ichneumon überwogen. Es gingen nämlich ebenso wie in allen anderen Ländern der Katze als Mäusevertilger andere Tiere voraus, bei uns Wiesel, in Ägypten Ichneumon (PLaczex (a), O. KELLER (2 u. a)), welche in dieser Eigenschaft erst später von der Katze ersetzt wurden. Aber es ist nicht etwa die Katze ursprünglich zum Zweck des Mäusever- tilgens domestiziert worden. Überhaupt dürfen wir bei keinem Tiere annehmen, daß die Zähmung ursprünglich zu irgend einem wirtschaftlichen Zweck erfolgt sei. Konnte man doch nicht voraussehen, welche Be- deutung ein Tier im Haushalt des Menschen erhalten würde. Das zeigen Katze und Ichneumon deutlich. Das Ichneumon, das man aus wirtschaftlichen Gründen hielt, wurde kein Haustier. Haustier aber wurde die Katze, deren Beziehung zum Kultus bei keinem Tiere so hervortritt als bei ihr. Aber auch im Kultus hatte sie eine Vorgängerin. Das heilige Tier der Bast war im Alten Reich die Löwin [Praczeck (a), O. KELLER (2 u. a), welche erst im mittleren Reich wohl aus Zweckmäßigkeitsgründen durch die Falbkatze ersetzt wurde. Zwar sind schon aus der 5. und 6. Dy- nastie Katzenbilder, sogar der Name für das Tier, miu, weiblich miut, bekannt geworden [Bruescu (a)]. Die Tiere scheinen auch schon gezähmt worden zu sein. Daß sie aber domestiziert waren, läßt sich. nicht vor der ı2. Dynastie nachweisen. Dann aber muß die Zähmung in Oberägypten erfolgt sein. Auch die neuesten sehr eingehenden Studien GA1LLARDS (1) an ägyptischen Katzenmumien aus Stabl-Antar bei Beni-Hassan, wel- ches wohl die ältesten Katzenmumien sind, Theben, Roda und Sakkara konnten nur dieses Resultat bestätigen. GaıLLarn (1) fand mit Ausnahme eines vielleicht einem Serval gehörigen Unterkiefers unter über 50 Mumien nur A. manzculata, und zwar in zwei Formen einer größeren, der echten wilden 7. manzculata und ER NE eut Hilzheimer, Überblick über die Geschichte der Haustierforschung. 239 einen kleineren 7° manziculata domestica. Sollten sich so NEHRINGS größere /. calıgala und kleinere /. manıcılata, die sonst keine Unterschiede erkennen liessen, erklären ? Interessanterweise konnte GAILLARD feststellen, daß bei der wilden / manıculala die Gesichts- länge größer als die halbe Länge des Schädels ist, bei Haus- katzen einschließlich der altägyptischen aber kleiner oder gleich der halben Schädellänge ist. Diese Verkürzung des Gesichts im Vergleich mit den wilden Vorfahren gilt für alle Haustiere, wurde aber für Katzen hier das erste Mal nachgewiesen. Daß die Ägypter domestizierte Katzen hatten, kann also nicht zweifelhaft sein. Wenn aber auf Grund gewisser Bilder manche Autoren (Hartmann, C. und O. Keuter) angeben, die Tiere seien zum Apportieren bei der Wasserjagd abgerichtet worden, so muss ich sowohl für /. chaus als auch für /: maniculata selbst die Möglichkeit davon energisch bestreiten, wie dies Haun (1) schon für /. maniculata getan hat. Es muss da eine unrichtige Deutung der Bilder vorliegen. Eine Bastardierung von /. manziculata mit F. chaus, die HAHN (1) und C. KELLER(1—5) annehmen und aus der dieägyptische Hauskatze hervorgegangen sein sollte, ist nach diesen osteologischen Unter- suchungen gänzlich von der Hand zu weisen. Sie ist auch physio- logisch nicht sehr wahrscheinlich. Man war früher in der An- nahme von Bastarden und deren Fruchtbarkeit zu weitherzig. Heute wissen wir, daß Artbastarde nur selten volle Fruchtbarkeit besitzen. Und das Vorkommen von Bastarden überhaupt, aber noch mehr von fruchtbaren Bastarden zwischen Arten, die in dem- selben Gebiet Seite an Seite leben, muss als mehr als unwahr- scheinlich erscheinen. Wenn es also nach dem Vorstehenden nicht zweifelhaft er- scheint, daß die Ägypter / manzculata zum Haustier machten, so muß doch gefragt werden, ist Ägypten der einzige Do- mestikationsherd gewesen oder besteht für Europa die Ansicht von der Domestikation der einheimischen Wildkatze zu Recht? Schon 1854 war Buasıus (a) auf Grund eingehender Unter- suchungen an den Schädeln von 10 Wild- und 20 Hauskatzen zu einer Ablehnung der Stammvaterschaft unserer Wildkatze ge- kommen, da er konstante Unterschiede zwischen beiden im Schädel- bau fand. Ihm hatte sich Martin (a) angeschlossen, der mit scharfem Blick erkannte, daß einer der wichtigsten der von BLasius ange- 240 Hilzheimer, Überblick über die Geschichte der Haustierforschung. gebenen Unterschiede die stärkere Wölbung des Wildkatzen- schädels sei. Zur gleichen Ansicht war auch unabhängig IsınorE GEOFFROY St. Hıraıre (Les animaux utiles, Paris 1861) gekommen, wobei er auf einen Färbungsunterschied zwischen Wildkatze und wild- farbener Hauskatze hinwies. Letztere soll ein helles Band über den Hals haben, das ersterer fehlt. Auch Eimer (a) und NEHRING (a) waren durch selbständige Untersuchungen auf Grund der Fär- bung zu der Ansicht gekommen, daß die europäische Hauskatze ‘von /. maniculata abstammte. Ersterer zeigte, daß die Färbung stark gestreifter Hauskatzen mit der von /. manziculata identisch sei. Der letztere wies besonders auf das Moment hin, daß wild- farbene Hauskatzen häufig eine ganz schwarze Sohle haben, eine solche komme aber nur bei /. mamniculata vor, nicht bei F. silvestris, welche höchstens einen kleinen schwarzen Sohlenfleck habe. Wenn aber Eimer an dem Buasıusschen Schädelmerkmal der stärkeren Wölbung des Wildkatzenschädels Anstoß nimmt, so ist er im Unrecht. Wahrscheinlich lagen ihm nicht ge- nügend Schädel zur Untersuchung vor. Denn hier und da ver- sagen einmal die charakteristischen Merkmale, was bei Tieren mit so geringen Schädeldifferenzen, wie zwischen Z° se/vestris und F. maniculata nicht wunderbar ist, zumal wenn die Schädel- charaktere noch durch Domestikation und Verbastadierung ver- ändert werden. Auch müssen wir, wie aus dem folgenden her- vorgehen wird, Eimers Spekulation über einen gemeinsamen in- dischen Vorfahren von £. szlvestris und /. maniculata, auf Grund paläontologischer Befunde zurückweisen, wenn wir auch die ge- meinsame Abkunft beider beibehalten werden. Und neuerdings hat BLasius Behauptung eine weitere Unter- stützung erfahren durch Hamittons Untersuchungen, der feststellte, daß bei der Wildkatze mit zunehmendem Alter der Schädel eine immer stärkere Wölbung bekäme, der der Hauskatze eine flachere. (Ich zitiere nach ScHuster, da mir Hamittons Arbeit nicht zugäng- lich ist.) Die Ansicht von der ägyptischen Heimat der Hauskatze wurde ferner durch negative Tatsachen bestätigt. So fehlt die Haus- katze in der Tierwelt der prähistorischen Ansiedelungen Europas völlig [ScHoETENSACK (1), Duërsr (1)]. Auch in den bisher untersuchten römischen Resten ist sie nicht gefunden, weder in Pompeji [PLaczex (1), O. KELLER (2, a), noch in Vindonissa [Kräuer (1)], noch Sa Si Hilzheimer, Überblick über die Geschichte der Haustierforschung. 241 habe ich sie unter den zahlreichen Knochen des römischen Kastells Cannstatt entdeckt. Das hieraus zu erschließende Fehlen der Haus- katze in Europa wird auch durch die Nachrichten der alten Schrift- steller bestätigt. PLACZEK (a), HEHN(1), in neuster Zeit O. KELLER (2, a) haben sorgfältig alle Nachrichten über die Hauskatze aus dem Altertum gesammelt. Es geht daraus hervor, daß wohl einzelne Griechen und Römer, die wie HERODOT Ägypten besucht hatten, oder wie Cicero besondere Bildung besaßen, die Hauskatze kannten, daß sie aber bis zum Schluß des ersten Jahrhunderts den klassischen Völkern und der Mehrzahl ihrer Schriftsteller fremd war. Erst bei PrurarRcH (Ende des 1. Jahrh. n. Chr.) erscheint sie neben dem Wiesel als Haustier. Und die von Dio Cassius erwähnte Haus- katze, deren Begegnung dem Sesanus (+ 31 n. Chr.) Unglück pro- phezeit haben soll [zitiert nach Reinnarpt(1)|, kann recht gut eine sagenhafte Ausschmückung sein, die der ca. 200 Jahre später schreibende Dıo Cassıus in sein Geschichtswerk aufgenommen hat. Für ein so frühes Erscheinen der Hauskatze in Rom kann diese Stelle nicht als beweisend angeführt werden. Sie zeigt aber, daß schon um 200 n. Chr. die Hauskatze keine ungewöhnliche Er- scheinung in Europa war. Dieses Fehlen der Hauskatze noch um Christi Geburt in Europa, scheint besonders eine bisher, wie ich glaube, nicht genügend berücksichtigte Stelle bei STRABO (lib. 3) zu beweisen. Er sagt nämlich, daß zur Bekämpfung der Kaninchen „feles africe agrestes“ nach Spanien eingeführt seien. Hätte man damals schon Hauskatzen gehabt, so hätte man sich sicher nicht mit dem Fang und Import von Wildkatzen abgegeben. Und StRABO, der von seiner ägyptischen Reise her (ca. 25 n. Chr.) Hauskatzen kannte, sagte gewiß absichtlich „agrestes“. Vom 1. Jahrhundert n. Chr. an läßt sich dann eine allmäh- liche Zunahme der Bekanntschaft mit der Hauskatze bei den Schriftstellern der Griechen und Römer verfolgen. Auch er- scheint sie im ı. Jahrhundert in Asien, wo sie der syrische Grieche Baprios erwähnt. So daß wir also in dieser Zeit die Ausbreitung der Hauskatze annehmen können, nachdem sie fast 2000 Jahre ausschließlich im Nilland gelebt hatte. Es ist merkwürdig, daß diese Ausbreitung so spät erfolgte, während ein anderes gleichfalls afrikanisches Tier, der Esel, doch viel früher nach Asien und Europa kam. Wahrscheinlich erklärt sich das aus der Heiligstellung der Katze in Ägypten, die weder als Ware noch Geschenk profaniert werden sollte. Als aber in- DE > Jet 242 Hilzheimer, Überblick über die Geschichte der Haustierforschung. folge der römischen Herrschaft naturgemäß die Abschließung Ägyptens aufhörte und seine Kulte auch über Ägypten hinaus verbreitet wurden, kamen in ihrem Gefolge wohl auch die Katzen in das Ausland. Der weiteren Verbreitung der Katze in den Mittelmeerländern war wohl zunächst die Weltherrschaft derRömer, dann die Völker- wanderung günstig. Jedoch scheint ihre Ausbreitung nach dem Norden nur langsam vor sich gegangen zu sein. Auch läßt sie sich schwer verfolgen. Ich konnte aus der Literatur folgende An- gaben feststellen. In einem Vandalengrab, das zwischen 350 und 400 anzusetzen ist, wurde auf der Brust eines menschlichen Skelettes ein Katzenskelett gefunden. (Lire, Gräberfelder von Keszthely 23, zitiert nach O. KELLER (2). Ich habe aber nicht fest- stellen können, ob das eine Hauskatze oder eine wilde Katze war. Um 600 wird sie häufiger erwähnt, so vom Diakon JoHannes, dem Biographen Grecors des Großen, von Isipor von SEVILLA, Anonymus Matthaei. Etwa zur gleichen Zeit lebte ja auch Mohammeds Katze. Ums Jahr 1000 wird eine Katze, Mechlempe, im Besitze der Ge- mahlin Constantin Monomachs genannt | Txetzes Chil V, Histor. XII nach Carpzov (a)], eineErwähnung, die zeigt, daß damals in Byzanz die Katze noch selten gewesen sein muß. Auch in England war sie zu dieser Zeit selten, sonst hätte die Gesetzessammlung des Howe Dua ( 948 n. Chr.), die in Wales gegeben wurde, auf ihre Tötung schwerlich so hohe Strafen gesetzt. In Deutschland fehlte sie wohl noch im 8. Jahrhundert, da sie die salischen Ge- setze nicht erwähnten, und scheint selbst im 14. Jahrhundert noch selten gewesen zu sein; denn sie wird besonders unter den Tieren aufgezählt, welche bei Übergabe eines Hofes vorhanden sein mußten [JÄGER (a)]. Merkwürdig ist, daß einige hundert Jahre vor dem Beginne der eigentlichen Einbürgerung der Katze in Europa, aus Groß- griechenland Bilder existieren, wo Katzen alszahme Tiere erscheinen. O. KELLER (2 u.a), der zum ersten Mal darauf aufmerksam gemacht hat, erwähnt derartige Katzenbilder, die dem 5. Jahrhundert v. Chr. angehören, aus Tarent, Regium, Apulien und der Basili- cata (Avella). Da aber diese Bilder, soweit ich nach KELLERS Abbildungen urteilen kann und soweit sie groß genug sind, um eine Beurteilung zu erlauben, wie auch KELLER selbst sagt: „einen etwas wolligen Schwanz“ haben, so scheint es mir zunächst noch zweifelhaft, ob KELLER im Recht ist, der einen mißglückten Im- Hilzheimer, Überblick über die Geschichte der Haustierforschung. 243 portversuch der ägyptischen Hauskatze annimmt, oder ob wir es mit einem mißglückten Zähmungsversuch der europäischen Wild- katze zu tun haben. Auf jeden Fall können diese Darstellungen die Ansicht von der monophyletischen Abstammung der europäisch-afrikanischen Hauskatze von 7° manzculata nicht erschüttern. Trotzdem haben immer wieder Forscher eine polyphyletische Abstammung ange- nommen. Ich übergehe die älteren von Darwin dafür zitierten Autoren, Darwins Stellung selbst ist nicht scharf präzisiert. Wenn er aber darauf hinweist, daß in den verschiedensten Län- dern Bastardierungen zwischen Hauskatze und Wildkatze vor- gekommen sind, so ist das ohne weiteres zuzugeben. Einen wesentlichen Einfluß auf die Gestaltung der Hauskatze haben diese Bastarde aber nicht gewonnen. In neuerer Zeit hat dann MARTORELLI (a u. b) einen polyphyleti- schen Ursprung der europäischen Hauskatze befürwortet. Er hat aus der toskanischen Maremma und Sardinien eine der /. manzculata nahestehende Wildkatze als / mediterranea beschrieben und in ihr einen Teil der Aszendenz der Hauskatze sehen wollen. Ihm ist C. KELLER (2 u. 3) entgegengetreten, jedoch mit wenig Glück, indem er À mediterranea als verwilderte Hauskatze erklärt. Aber er war darin, wie HILZHEIMER (1, 2 a) ausführte, wenig glücklich; denn er kann für seine Ansicht keine Beweise, sondern nur Ver- mutungen bringen. Andererseits liegt in Pliozän Südfrankreichs eine mit /. manı- culata nahe verwandte Wildkatze (KogeLt, Verbreitung der Tier- welt, S. 218), so daß es nicht unwahrscheinlich ist, daß die Vor- fahren der afrikanischen Wildkatze, wie die so vieler anderer afrikanischer Tiere im Tertiär in Europa lebten und auf ihrer Wanderung nach Afrika in Italien und Sardinien Relikte zurück- ließen. Diese europäische Herkunft der afrikanischen Wildkatze erfährt eine weitere Bestätigung durch Scuarrrs (a) Nachweis, daß die jetzt ausgestorbene Wildkatze Irlands zu / Zbyca gehörte. Übrigens sind wir über die sardinischen Wildkatzen noch keines- wegs genügend unterrichtet. Nach Simrotu (Verhdlg. dtsch. Zool. Gesellsch. 1906, S. 175) scheinen die sardinischen Wildkatzen, von denen eine als /. caligata sarda Lat. (also ein zweiter Name!) beschrieben ist, recht variabel zu sein. Bemerkenswert ist aber, daß sie Ohrbüschel haben. Es liegt also in dem Stamm die Fähig- keit, Ohrbischel auszubilden (man vergleiche auch die Wildkatze 244 Hilzheimer, Überblick über die Geschichte der Haustierforschung. der Donauländer) und so kann es uns nicht wundernehmen, wenn sie auch einmal beim domestizierten Tiere ausgelöst wird, wie dies Darwın von einigen Hauskatzenstämmen Englands berichtet. Aber für uns scheint diese /. mediterranca nicht in Betracht zu kommen. Nachrichten darüber, daß sie domestiziert ist, be- sitzen wir nicht. Und da dies doch erst hätte geschehen können, nachdem man in Italien die ägyptische Hauskatze kennen gelernt hat, so wäre doch sicher irgend eine Nachricht von einem Do- mestikationsversuch, der in Italien in Anlehnung an das importierte Tier hätte stattfinden müssen, auf uns gekommen. Noch gegenstandsloser scheint mir Pococks (a) Grund für eine diphyletische Ableitung der Hauskatze zu sein. Dieser Forscher macht darauf aufmerksam, daß es beiihr zwei Färbungsarten gäbe: eine mit einem Rückenstreifen und vertikalen Körperstreifen, und eine mit drei Rückenstreifen und Querstreifen, die spiralige, pferde- huf- oder kreisähnliche Figuren bilden. Diese letztere Zeichnung sei nach Pocock von keiner Wildkatze her bekannt, sie nötige zur Annahme eines unbekannten ausgestorbenen Stammvaters der so gezeichneten Katzen. Es ist nicht recht einzusehen, warum eine solche Zeichnung, deren Entstehungsmöglichkeit Pocock für die Freiheit annimmt, sich nicht auch in der Gefangenschaft bilden konnte. Haben wir doch auch sonst bei Haustieren Zeichnungen, die nicht bei wilden Tieren vorkommen, wie die geapfelten Pferde, die tigerstreifigen und leopardfleckigen Rinder etc. Übrigens hat gerade diese Form der Hauskatze Linné bei seiner Beschreibung vorgelegen (,dorsalibus longitudinalibus tribus; la- teralibus spiralibus“), so daß /. catus L. die Hauskatze bezeichnet. Der Name für die wilde Katze muß der auch z. B. immer von Darwin angewandte /. szlvestris Brisson sein. Ebensowenig kann natürlich für die Siamkatze die besondere Färbung allein ein Grund werden, eine andere Abstammung an- zunehmen, wie dies TrovessaRT allerdings ohne nähere Begründung tut, wenn er schreibt: „A. Æbyca? siamensis Auctorum (Quid? nisi potius /. dada var. domestica).“ (Catalog. Mammalium. Suppl. 1904. S. 273.) Für die Angorakatze hat PaLLas ohne zwingenden Grund, wie schon Darwin hervorhob, den Manul als Stammvater an- gegeben. Er wurde wohl durch die Langhaarigkeit beider dazu veranlaßt. Aber der Manul hat einen derartig eigentümlichen Hilzheimer, Überblick über die Geschichte der Haustierforschung. 245 Schädel, daß Sarunın (Mitlgn. d. kaukas. Museums Bd. IV, 1909 S. 31) es für nötig befunden hat, ein besonders von /els zu trennendes Genus 777chaelurus dafür aufzustellen. Diese Eigen- tümlichkeiten des Schädelbaues müßten auch bei der Domestikation erkennbar geblieben sein. Hier könnten also Schädelunter- suchungen Klarheit schaffen. Vorlàufig scheint mir die Annahme einer selbständigen Gewinnung der Angorakatze nicht nötig zu sein. Auch für die chinesische Katze hat man an eine selb- ständige Gewinnung gedacht. Natürlich käme hierfür nur der Manul in Betracht. Auch hier könnte osteologische Untersuchung zur Gewißheit führen, wenn Material vorhanden wäre. Auch hat Hırzurımer (a) darauf aufmerksam gemacht, daß der Manul als echtes Steppentier den Wald meidet. Unsere Hauskatze sucht dagegen, wenn sie verwildert, mit Vorliebe den Wald auf. Wie verhält sich die chinesische Katze? Das, was wir vorläufig über die Geschichte der chinesischen Hauskatze wissen, zwingt durchaus nicht zur Annahme einer selbständigen Domestikation. Nach HirtH ist ein Wort miao zwar schon im 8. oder g. Jahr- hundert v. Chr. nachweisbar, wahrscheinlich war aber die Katze damals in China noch nicht Haustier. Und das ge- lähmte mao, das im Innern des Hauses Mäuse fängt, steht zwar im Shih-ki (1. Jahrhundert n. Chr.), ist aber nachträglich interpoliert und nicht älter als das 4. Jahrhundert. Außerdem zeigt der Zusatz „gelähmt“, daß es sich nicht um ein Haustier handelt. Mit Sicherheit ist die Hauskatze erst im 6. Jahrhundert n. Chr. im Kommentar der Schamanen Hui-lin erwähnt: „Das mao gleicht dem Tiger, ist aber kleiner; es wird vom Menschen als Haustier gehalten, um Mäuse zu fangen. Das li ist auch eine Art Katze, stiehlt aber gern des Menschen Hühner.“ (Li wohl Wiesel oder Mungo ?) Da also erst so spät in China mit Sicherheit die Hauskatze nachweisbar ist und da sie damals noch so unbekannt war, daß das Wort einer Erklärung bedurfte, so muß die Gewinnung dieses ‚Tieres noch ziemlich neu gewesen sein. Und wenn wir nun be- denken, daß die Hauskatze in Syrien bereits seit dem ı. nach- christlichen Jahrhundert bekannt war und daß zwischen China und Kleinasien ein reger Karawanenverkehr bestand, so ist die Möglichkeit, daß China von dorther die Hauskatze empfing, nicht von der Hand zu weisen. 246 Hilzheimer, Überblick über die Geschichte der Haustierforschung. Vorläufig scheint mir also alles für eine monophyletische Abstammung der Hauskatze zu sprechen, deren Geschichte sich also kurz so darstellen würde: ; Im Pliozän Südfrankreichs lebte eine Wildkatze, die, wie andere heute afrikanische Tiere mit Beginn des älteren Dilu- viums nach Afrika auswanderte, in Norditalien und Sardinien Relikte zurücklassend. Unter den wenig veränderten Lebens- bedingungen Afrikas veränderte sie sich auch wenig; der in Europa zurückgebliebene Zweig paßte sich an das geänderte Klima des Diluviums, vorzüglich an den alluvialen Wald an. Den afrikanischen Zweig, die F. manzculata domestizierten die Ägypter. Von hier trat die Hauskatze im ı. Jahrtausend unserer Zeitrech- nung ihren Siegeszug durch den Norden der alten Welt an, die sie auch in ihre ursprüngliche Heimat, Südfrankreich, zurückführte. Literatur. ANTHONY, Une chatte de Pile de Man. La Nature. 28. Jhrg. 1900. I. p. 148—150. BARTHOLD, (zitiert von W. Schuster, p. 20). Bere, W., Über stummelschwänzige Katzen und Hunde. Zeitschr. f. Morpho- logie und Anthropologie 1912. S. 227—267. Sonderheft II (dort auch die weitere Literatur darüber!). BERDRoWw, Illustriertes Jahrbuch der Naturkunde 1908 (f. W. Schuster, p. 20 —21). BLAINVILLE, Ostéographie pl. XIX (Felis chaus). BLasius, Fauna der Wirbelthiere Deutschlands etc. Braunschweig 1857. p. 169 — 172. Boussac, Hippolyt. Nos animaux domestiques dans la civilisation égyptienne. Le Chat. La Nature 1905. 33. Jhrg. p. 546—549. Bruescu, Zeitschrift für Ethnologie, 21. Bd. 1883. p. 567—570. BUNGARTZ, Illustriertes Katzenbuch. Berlin 1896. Carpzow (Carpzovius, Karpzow), Kattalogia, das ist kurze Katzenhistorie. Leipzig 1716. (Fast dasselbe anonym: Versuch einer Katzengeschichte. In: Histoire des singes et autres animaux curieux. Frankfurt u. Leipzig 1772.) CHAMPFLEURY, a) Les chats. Paris 1860. CoyPEL, a) Histoire des chats. Paris 1727. Darwin, a) Das Variieren der Thiere und Pflanzen etc. Deutsch von Carus. Stuttgart 1868. II. S. 54—60. Ermer, TH., a) Betrachtung der Verwandtschaftsbeziehungen unserer Hauskatze und der Wildkatze, wie sie vorzüglich auf Grund der Zeichnungsverhalt- nisse, dann aber auch derjenigen des Skelettes sich ergeben (zitiert nach Placzek). GERVAIS, a) Histoire des mammifères 1885. p. 89. Hilzheimer, Überblick über die Geschichte der Haustierforschung. 247 HARTMANN, R., a) Die Haussäugetiere der Nilländer. Annal. der Landwirtschaft. XLIII. Bd. S. 281— 288. — b) Versuch einer systematischen Aufzählung der von den alten Ägyptern bildlich dargestellten Tiere. In: Zeitschrift f. ägyptische Sprache und Altertumskunde. 1864. S. 11. — c) Zeitschr. f. Ethnologie. 21. Bd. 1883. S. 552-558. Hamitton, a) The wild cat of Europe. 1896. HILZHEIMER, M. a) Die Geschichte der Hauskatze. Natur ıgıo. S. 315—19. JÄGER, a) Über den Ursprung und die Verbreitung der Hauskatze. Württemb. naturw. Jahreshefte 1848. S. 48—74. KArPzov, s. Carpzow. KELLER, O., a) Zur Geschichte der Katze im Altertum. Mitteilg. d. Kais. Deutsch. Archäolog. Inst. Römische Abt. Bd. XXIII. 1908. S. 40—70. Martens, E. v., a) Zoologischer Garten. II. Jahrg. 1861. S. 224. Martin, Pu. L., a) Das Leben der Hauskatze. Weimar 1877. 2. Aufl. 1883. MARTORELLI, G., a) Osservazioni sui mammiferi ed uccelli fatte in Sardegna Pistoja 1884. — b) Nota zoologica sopra i gatti selvatici e le loro affinità colle razze dome- stiche. Milano 1896. MicHeL, G., a) Das Buch der Katzen. Weimar. MicHELET, a) Les chats. 1904. Mivart, a) The Cat. London 1881. Moncrir, a) Les chats. Paris 1727, verbesserte Aufl. 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Toıpt, K. jr., a) Epidermisstreifen, Haarreihen und Wildzeichnung in der Entwicklung der Hauskatze. Verhdlgn. d. k. k. zool.-bot Gesellsch. Wien 1912. S. (16)—(27). — b) Beiträge zur Kenntnis der Behaarung der Säugetiere. Zool. Jahrb. Abt. f. System. Geogr. u. Biologie der Tiere. 33. Bd. 1912. S. 48—52. Vickers, H. M. a) The origin of the domestic „blotched‘“ tabby Cat. Nature. Pond 19107. 5,228, 231. VircHow, H., a) Altägyptische Hauskatzen. Zeitschr. f. Ethnologie. 21. Bd. 1889. S. 458—462. 248 Hilzheimer, Überblick über die Geschichte der Haustierforschung. III. Die Tylopoden. a) Die Kamele. (Camelus dromedarius L. u. C. bactrianus L.) Die Literatur über die Kamele ist wenig zahlreich, was mit Rücksicht auf ihre große wirtschaftliche Bedeutung wunderbar erscheinen müßte, wenn die Tiere nicht Europa stets fremd ge- blieben wären. Schon das Altertum unterschied scharf zwischen dem zwei- höckerigen baktrischen Kamel, demBaktrian, unddemeinhöckerigen arabischen Kamel, dem Dromedar (0. Keırer.) Da ich den Ausdruck Kamel für die Gattung gebrauche, werde ich hier den ersten für das zweihöckerige Kamel verwenden, ein Vorschlag, den schon Rırter gemacht hat, der aber leider bisher wenig An- erkennung gefunden hat. Die Ansicht des Altertums vom getrennten Ursprung beider Kamelarten blieb bis an das letzte Drittel des vorherigen Jahr- hunderts bestehen, nachdem sie Linné durch seine Bezeichnungen Camelus bactrianus und C. dromedarius gewissermaßen sanktio- niert hatte. Den ersten Widerspruch dagegen finde ich bei H. v. Natuusius 1872 (Vorträge über Viehzucht etc. I. S. 7) „daß aber meine Untersuchungen die Wahrscheinlichkeit ergeben haben, daß beide nur Rassen einer Art sind.“ Leider gelang es mir nicht festzustellen, auf welche Untersuchungen Narausius Bezug nimmt. Wichtiger, weil weiter verbreitet, und einflußreicher auf die Anschauungen waren die Untersuchungen Lomparpinis, der an einem Dromedarfötus nachwies, daß die erste Anlage des einen Höckers des Dromedars eine doppelte ist. Hieraus wurde der Schluß gezogen, daß das einhöckerige Kamel eine jüngere Zucht- rasse des zweihöckerigen sei. Da man ferner Kameldarstellungen aus dem älteren und mittleren Reich Ägyptens nicht kannte, sie ebenso in Mesopotamien nicht vor 1000 v. Chr. abgebildet fand, da aber Nachrichten von wilden Kamelen aus Zentralasien kamen, so gelangte man zu dem Schluß, daß das baktrische Kamel in Zentralasien gezähmt sei und aus ihm bei seiner Wanderung nach Süden irgendwo im Norden von Mesopotamien das Dro- medar gezüchtet sei. [C. KELLER (2—4), Haun (1)]. Dieser ganze Schluß ist durchaus nicht genügend begründet. Er ist nur verständlich unter dem Einfluß der anthropologischen = Id = Hilzheimer, Überblick über die Geschichte der Haustierforschung. 249 Theorien, die die ganze Kultur aus Zentralasien herleiten wollten. Man konnte gegen ihn geltend machen, daß wilde Kamele einst viel weiter verbreitet waren, bis Algier und Südosteuropa, daß die Verschmelzung der beiden Höcker auch eine wilde Form erwerben konnte, und daß nach biblischer Überlieferung mindestens seit 2000 v. Chr. Kamele in Palästina bekannt waren (HıLzHEIMER) (a). Aber nur O. KELLER (1 u. 2) hat an einem diphyletischen Standpunkt festgehalten, indem er sich auf AGATHARCHIDES (um 120 v. Chr.) stützt, der wilde Kamele für Arabien angibt und den Keırer sehr zuverlässig nennt. Die Möglichkeit der Wahrheit dieser Nachricht ist nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, dehnte sich doch in Pleistozän das Gebiet der damals natürlich noch wilden Kamele viel weiter nach Westen aus. Es sind solche beschrieben aus Südrußland (NEHRING) (b), Rumänien | NEHRrinG (b), STEFANESCU (a u. b)], und Algier [Power (a). Und von den letzteren ist eines direkt als Camelus dromedarius fossilis beschrieben worden [Tuomas (a). Überhaupt scheinen diese westlichen Kamele dem Dromedar nahe zu stehen. Auch Camelus alutensis STRFANESCU, nimmt im Gebiß zwar eine primitivere Stufe ein als die rezenten Kamele und gleicht darin Camelus stvalensis (ein Pm in der Reihe mehr), steht aber sonst dem Dromedar nahe (LESBRE). Daß Dromedare in Ägypten weit älter sind, als man bisher annahm, wird nun durch zwei neue prädynastische Funde be- wiesen. Das eine ist ein tönener Kamelkopf, den FLINDERS PETRIE bei Abydos fand (The Egypt. Exploration Found. 24. Mem. 1903. Taf. X. Fig. 224, 1903), das zweite ist eine Kalksteinfigur eines offenbar beladenen Dromedars | HiLzHEIMER (a)|. Gleichalterige oder noch ältere Kamelreste wurden auch aus Cypern bekannt, wo CesnoLa (Cyprus 282, 283) seine Knochen unter den Resten der ältesten Kulturen fand, und daß es sich dabei um das Dro- medar handelte, zeigt eine tönerne Statuette aus der Steinzeit Cyperns |HırzHEmer (1 u. a)]. Wenn wir nun bedenken, daß in diesen beiden Ländern und biblischen Nachrichten zufolge auch in Palästina das Dromedar so früh auftritt, es dagegen im Zweistromland bis zum Jahre 1000 in Kleinasien noch 700, bis Cyrus den Crösus besiegte, unbekannt war, und daß ferner die Assyrer die ersten Dromedare, wie über- haupt das ganze Altertum, aus dem Süden erhielten, so steht nichts im Wege, die alte Ansicht K. Rirrers wieder aufzunehmen, Zool. Annalen V. 17 ee 250 Hilzheimer, Überblick über die Geschichte der Haustierforschung. und die Urheimat des Dromedars in Arabien zu suchen [O. KELLER (1 u. 2)], Hırzueimer (a). Auch eine Annahme von einer Zähmung in Indien ist unannehmbar, da das Tier dem Zeitalter der Veden unbekannt war |O. KELLER (2)]. Anders steht es mit dem baktrischen Kamel; die erste Nach- richt, die wir von ihm haben, stammt von assyrischen Denkmälern aus der Mitte des 10. Jahrhunderts v. Chr., die Salmanassar II zuzuschreiben sind, und diese Baktrians stammten wie auch alle späteren von Norden [O. KELLER (1 u. 2), HıLzHEıMER (a)|. Hier ist also irgendwo ihre Urheimat zu suchen. Aber wo, ist recht zweifelhaft. Duerst (3) hat bei der Untersuchung der Fauna von Anau in Tur- kestan Kamelknochen erst zur Kupferzeit gefunden und nicht unter den älteren Resten oder gar aus der Zeit vor der mensch- lichen Besiedelung, von wo ihm doch soviel Knochen wilder Tiere vorlagen. Er hält es daher für wahrscheinlich, daß das Kamel erst als Haustier nach Anau gekommen sei. Damit wird man aber geneigt sein, die Frage, ob die wilden Kamele des Tarim- beckens ursprünglich wilde oder nur verwilderte Tiere seien, eher in letzterem Sinne zu entscheiden, wenn auch die Befunde von Anau für das Tarimbecken nicht absolut maßgebend sind. Be- kanntlich hatte ja Przewauskı die Tiere für ursprünglich wilde ge- halten (Von Kuldscha nach Tjan-schan und Lob-Noor S. 30—41), aber Sven Hepin (Durch Asiens Wüsten II S. 96) hatte sie für verwildert gehalten, eine Ansicht, der sich auch LiTTLEDALE (a) zuneigt, der eigens zur Erforschung dieser Kamele nach Tibet gereist war. Also über den Ort der Zähmung des baktrischen Kameles können wir nur Vermutungen aussprechen. Er muß aber irgendwo im Norden von Kleinasien und Mesopotamien ge- legen haben. Aber zu weit nördlich dürfen wir ihn auch nicht suchen, denn es bleibt immer beachtenswert, daß zentralasiatische Völker wie Hunnen, Avaren, Ungarn, Cumanen und Bulgaren keine Kamele besaßen [Hann (1)|. Diese diphyletische Auffassung wird noch bestätigt durch die Arbeit von LEsBRE (a), welcher auf Grund seiner sehr eingehenden anatomischen Untersuchungen sich gegen eine nähere, direkte Verwandtschaft von Dromedar und baktrischem Kamel ausspricht, höchstens läßt er eine für beide Arten aber verschieden weite Beziehung zu dem alten pleistozänen Camelus sivalensis zu, das dem Dromedar etwas näher zu stehen scheint. Zwischen den beiden ursprünglichen Verbreitungsgebieten — I == Hilzheimer, Überblick über die Geschichte der Haustierforschung. 251 der beiden Kamelarten muß aber lange eine weite Trennung be- standen haben, die mindestens von den ersten Niederlassungen in Mesopotamien um 2900 bis 950 v. Chr. andauerte,” und erst durch die Eroberungszüge der Assyrer wurden das nördliche baktrische Kamel und das südliche Dromedar zusammengebracht. Trotz- dem hielt aber jedes im großen und ganzen sein ursprüng- liches Verbreitungsgebiet inne. Die Berührung führte nun auch zur Entstehung von Misch- lingen zwischen beiden. Aber entgegen allen früheren Nachrichten sind die Bastarde vollkommen unfruchtbar. Poenon, der franzö- sische Konsul zu Aleppo, schrieb darüber an Lespre (a, S. 138) „Le chameau de Mayeh (arabischer Name des Bastards) est ab- solument infecond comme le mulet. Il ne donne de produit ni avec le chameau à deux bosses, ni avec le chameau a une bosse et il ne se reproduisit pas.“ Hiermit dürfte zur Genüge er- wiesen sein, daß baktrische Kamele und Dromedar zwei Arten sind. Literatur. HILZHEIMER, a) Neues zur Geschichte des Kameles. In: Aus der Natur Jhrg. 1912. KREMER, A. v., a) Ausland 1875. LEHMANN, O., a) Das Kamel, seine geographische Verbreitung und die Be- dingungen seines Vorkommens. Zeitschr. f. wissensch. Geographie. Bd. MNPST89r. sei 3, S93: LESBRE, F., a) Recherches anatomiques sur les Camelides. Arch. du Mus. Hist. Nat. Lyon. T. VIII. 1903. S. 1—192. LITTLEDALE, a) Field-Notes on the Wild Camel of Lob-Nor. In: Proc. Zool. Soc. London 1894. S. 446—448. MÜLLER, Frz. und WEDT, C., a) Beiträge zur Anatomie des Kamels. Wien 1862, LomBARDINI, a) Ricerche sui Camelli. Pisa 1879 (Ref. Kosmos 1879. p. 144). NEHRING, A., a) Fossile Kamele aus Rumänien und der pleistozänen Steppen- zeit Mitteleuropas. In: Globus igor. Bd. 79. S. 264—267. — b) Über einen fossilen Kamelschädel (Camelus Knoblochi) von Sarepta an der Wolga. In: Sitzber. Gesellsch. naturf. Freunde. Berlin 1901. S. 137—144. PomeL, b) Caméliens et Cervides. Algier 1893, Monographies paléontologiques de la carte géologique de l’Algerie (Camelus thomasii). STEFANESCU, G., b) Camila fossila disc Rumania. Annaculu Museului de Geo- logia si de Palaeontologia. Bucaresci 1896. THomas, b) Camelus dromedarius fossilis. Mem. Soc. Geol. III. 1884. p. 38 und Bul. Soc. Géol. XV. 1886/87. p. 140. b) Die Lamas. (Lama lama L. und Lama pacos L.) Noch weniger zahlreich als über das Kamel ist die Literatur über die gezähmten Lamas. Noch 1837 gelang es WacneR is doy 252 Hilzheimer, Überblick über die Geschichte der Haustierforschung. nicht, sich über die verschiedenen Formen dieser Tiere ein klares Bild zu machen. (SCHREBERS Säugetiere, 5. Teil. II. Bd. S. 1788 bis 1836). Nur über Guanako und Lama war er zur Klarheit gekommen. Und er erkannte schon, daß dieses der domestizierte Nachkomme jenes sei. Erst seit TscHup1 (Fauna peruana, St. Gallen 1845/46 und Zeitschr. f. Ethnologie 1885, S. 93) wissen wir mit Sicherheit, daß wir 4 Formen zu unterscheiden haben, zwei wilde, Guanako und Vicunna, und zwei zahme, Lama und Alpaca oder Paco. Tscnupi hielt alle vier für besondere Arten. Aber NEHRING kam auf Grund der einzigen osteologischen Untersuchungen, die bisher unternommen sind, zu der Ansicht, daß das Lama das domestizierte Guanako sei (Neurins: Die Säugetiere. In: Reıss und StüseL. Das Totenfeld von Ancon in Peru 1887. Taf. 117 bis 119 usw. Über altperuanische Haustiere. In Compte rendu du Congrès International des Americanistes. Berlin 1888 S. 8—11.) Ob das Alpaca ein gezähmtes Vicunîia oder ein Kreuzungs- produkt des Lamas mit dem Vicunna sei, läßt er unentschieden. Die erste Meinung hatte pe Linné, DARWIN u.a. vertreten. Schließ- lich wäre auch noch daran zu denken, daß das Alpaca eine Zuchtrasse des Lama sei, was Trovessart (Catalog. Mamm. Suppl. 1904 S. 676) anzunehmen scheint. i Solange jedoch eingehende osteologische Untersuchungen fehlen, scheint es mir unrichtig, irgendwelche Betrachtungen über die zoologische Stellung des Alpacas anzustellen. c) Das Ren. (Cervus tarandus L.) ., Über die Abstammung des Ren ist man niemals im Zweifel gewesen, da in den gleichen Gebieten die wilde Form des Ren- tieres (Rangıfer tarandus) noch in großer Zahl vorhanden ist,“ schreibt C. Kerrer ziemlich gedankenlos Hann nach. Denn daß das zahme Ren von wilden abstammt, ist selbstverständlich. Es fragt sich aber, welche der verschiedenen wilden Formen ge- zähmt sind. Bekanntlich unterscheiden wir bei den wilden Renen zwei Gruppen, das Waldren und das Tundraren, deren jede wieder in Unterarten zerfällt. Nach Lönngere (Taxanomic notes about palaearctic Reindeer, In: Arkiv för Zoologi 1909. Bd. 6 Nr. 2.), von dem allein osteologische Untersuchungen vorliegen, geht das zahme Ren Schwedens und der Kola Halbinsel der Hauptsache nach auf das wilde Bergren (Waldren) Schwedens Hilzheimer, Überblick über die Geschichte der Haustierforschung. 253 Rangıfer tarandus tarandus L zurück. In einigen wenigen größeren Stämmen mag Blut vom Rangi/er tarandus fennicus Lönnberg fließen, einer Tundraform. Über die zahmen nordrussischen und sibirischen Rene fehlen zurzeit osteologische Untersuchungen. Übrigens ist nicht wie C. Ketter meint, das Ren der einzige Cervide, den man zu domestizieren versucht hat. Es liegen auch Nachrichten von zwei anderen vor. Ich erwähne sie hier des- halb, weil sie an Stellen stehen, wo sie nicht leicht gesucht werden und so leicht der Beachtung entgehen könnten. Einmal berichtet Prizenmayer, daß noch im vorigen Jahr- hundert Jakuten Elche als Reittiere benützt hätten (Wild und Hund 26. Jahrg. 1910 S. 183), welcher Gebrauch von der russischen Regierung untersagt wurde. Dann sollen nach Damm x Patacio (Die tierwirtschaftlichen Betrachtungen ALEXANDER von HUMBOLDTS in Mexiko. In: Festschrift Humpotpt, Mexiko 1910. S. 128— 129) die alten Mexikaner eine Carzacus-Art gezähmt haben. Anhang: Ganz kurz sollen hier einige für den menschlichen Haushalt wenig oder gar nicht wichtige Tiere erwähnt werden. Das Frett (Putorius furo) ist ein Albino des Iltis. Die einzige osteologische Angabe darüber finde ich bei Gervais. Hist. nat. des Mammiféres. Paris 1854. II. 112. Über seine Geschichte berichten ausführlich Ep. Hany, O. KELLER (1) und PLACZEK (1) S. a. bei Katze p. 238. Es geht daraus hervor, daß es schon dem Altertum seit Hrronor bekannt war. Das Meerschweinchen /(Cavıa porcellus L.) NEHRING (Säugetiere. In: Reiss und SrüseL. Das Totenfeld von Ankon 1887 und Compte rendu du Congrès international des A méricanistes 1888 S. 11—14) hält auf Grund von Schädeluntersuchungen Cavza cutlero King für den wilden Stammvater des zahmen, womit Peru sein Heimatland wird. Der wissenschaftliche Name muß Cavia porcellus L. lauten, da Cavza cobaya Marcgr. vorlinneisch ist. Zu bemerken ist mit Rücksicht auf W. E. Castıe (The Origin of a polydactylous Race of Guinea-Pigs. In: Publication of the Carnegie Institution of Washington Nr. 49. Cambridge 1906), daß schon bei den alten Peruanern Meerschweinchen mit vorn 5, hinten 4 Zehen vorkamen (cfr. NEHRINE). 254 Hilzheimer, Überblick über die Geschichte der Haustierforschung. Die weiße Ratte scheint nach Suninxisai Hara: (On the Zoological Position of the Albino Rat. In: Biological Bulletin Vol. XII. Nr. 4. 1907) eine Zuchtform von Mus norvegicus ERxL. Die Tanzmaus nach Fortuyn (Über den systematischen Wert der japanischen Tanzmaus (Mus wagneri var. rotans nov. var.) Zool. Anz. 39 Bd. S. 177—190) scheint eine solche von Mus wagneri EVERSM. zu sein. Über die weiße Maus habe ich keine Untersuchung finden können. Das Kaninchen fZepus cuniculus L). Die Frage nach der Abstammung des zahmen Kaninchens ist von Darwın (Das Variieren der Tiere und Pflanzen etc. Kap. 4) in glänzender Weise beantwortet worden. Die Ausbreitung des zahmen und wilden Kaninchens an der Hand historischer Nachrichten hat namentlich E. Haun (1) verfolgt. Das lange angezweifelte Vorkommen von Hasen-Kaninchen-Bastarden, Leporiden, scheint neuerdings eine Bestätigung erfahren zu haben. (Rörıs, G. „Über einen Hasen- Kaninchen-Bastard aus freier Wildbahn. Deutsche Jäger-Zeitung 58 Bd. S. 618—622 und 633— 636.) (Fortsetzung folgt.) Über die neue Nomenklatur. Von Prof. Dr. H. E. Ziegler, Stuttgart. Bei der Bearbeitung der neuen Auflage des Zoologischen Wörterbuchs!) wurde ich auf die überaus zahlreichen und tief- gehenden Änderungen der Benennungen aufmerksam, welche aus den neuen Nomenklaturregeln folgen. Ich wies in der Vorrede des Wôrterbuchs?) und auch in einem Artikel im Zoologischen Anzeiger*) darauf hin, daß die neue Nomenklatur sich bei ihrer Durchführung als ein großes Übel erweist. Ich hatte ferner für die Versammlung der Deutschen Zoologischen Gesellschaft in Halle (im Juni 1912) einen Vortrag über die neue Nomenklatur angezeigt, zog ihn aber zurück, als der Vorstand der Gesellschaft an die Versammlung Anträge stellte, welche im wesentlichen in derselben Richtung gingen*). In Anbetracht der Wichtigkeit der Sache will ich den Vortrag an dieser Stelle veröffentlichen. Zur Zeit, als auf den Zoologen-Kongressen beschlossen wurde, die Priorität der Benennung bis zur 10. Auflage des Linneschen Systema naturae 1758 zurückzuverfolgen, hatte noch Niemand eine Ahnung davon, wie tiefgreifend und ausgedehnt die Ände- rungen werden würden. Erst in der jetzigen Zeit, indem man versucht dieses Prinzip anzuwenden, stellt sich heraus, daß da- durch fast die ganze bestehende Nomenklatur umge- worfen wird. 1) Jena 1911—12. 737 S. 2) Zoologisches Wörterbuch. 2. Aufl. Jena 1912. S. X—XII. 3) Zoolog. Anz. Bd. 38. S. 268—272. 4) Verhandl. der Deutschen Zoolog. Gesellschaft 1912. S. 214—227. — I — 256 Ziegler, Über die neue Nomenklatur. Diese bisherige Nomenklatur ist aber mit der zoologischen Literatur untrennbar verbunden, gerade mit der Literatur der letzten 5o Jahre, auf welcher die moderne Zoologie beruht. Man denke an die Werke der bedeutendsten Zoologen, Darwin, HuxLEy, v. SIEBOLD, LEUCKART, GEGENBAUR, HÄCKEL, WEISMANN, CLaus u. a. Ich weise ferner auf die Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie hin, deren lange Bändereihe ein Vermögen wert ist, auf das Archiv für mikroskopische Anatomie, auf die Zoologischen Jahrbücher, auf die Berichte der Zoolog. Station von Neapel und noch manche andere große Zeitschriften. Um diese wichtige Literatur lesen und verstehen zu können, muß man die bisherige Nomenklatur kennen. Wenn die neueste Zoologie aber auf dem Vorhaben beharren will, die Nomenklatur des 18. Jahrhunderts wieder aus- zugraben und die längst veralteten Namen an die Stelle der bisher üblichen zu setzen, so kann ınan jene wertvollen Zeitschriften- reihen für einige Pfennige als Makulatur in die Papiermühle ver- kaufen; denn die kommende Generation der Zoologen wird sie nicht mehr lesen können, weil sie nicht mehr weiß, was die Namen bedeuten. Bei allen neuen Bearbeitungen einzelner Tiergruppen hat sich gezeigt, daß die neuen Nomenklaturregeln zur Änderung der wichtigsten Namen führen. Z. B. treten bei den Ascidien nach der Arbeit von Dr. HartMEYER folgende Namensänderungen ein: aus Ascidia wird Phallusia, aus Phallusia Phallusiopsis, aus Styela Te- thyum, aus Cynthia Pyura, aus Molgula Caesıra usw. Wenn nun jemand eine systematische, vergleichend-anatomische oder embryo- logische Arbeit über Ascidien lesen will, in welcher noch die bis- herigen Namen gelten, so wird er mit der Nomenklatur in völlige Verwirrung geraten. — Wird das Wort Trichechus in einer ver- gleichend-anatomischen Arbeit genannt, so wissen wir, daß damit das Walroß gemeint ist; die neue Nomenklatur überträgt aber den Namen T7rıchechus auf den Lamantin, der bisher Manatus hieß. — Uryplobranchus heißt bekanntlich bisher der japanische Riesenmolch; die neue Nomenklatur gibt diesen Namen dem Tier, das bisher Menopoma hieß. — Aus .Scolopendrella wird Scati- gerella, aus Lpetra Araneus, aus Phrynus Phrynichus oder gar Tarantula, aus Gamasus Parasitus, aus Unio Lymnium, aus Oc- 7) ROBERT HARTMEYER: Zur Terminologie der Familien und Gattungen der Asci- dien. Zoolog. Annalen. 3. Bd. 1911. Ziegler, Über die neue Nomenklatur. 257 topus Polypus, aus Aplysia Tethys, aus Salpa Thaha oder Da- gysa USW. Viele Namen, die in der vergleichend-anatomischen Literatur eine große Rolle spielen, wie Kehrdna, Hyrax, Dicotyles, Galeo- pithecus, Hapale, Cynocephalus würden einfach verschwinden und durch alte Namen ersetzt werden, die jetzt schon seit mehr als 100 Jahren als veraltet gelten. Da glücklicherweise noch nicht alle Gruppen des Tierreichs nach den Grundsätzen der neuen Nomenklatur durchgearbeitet sind, ist der ganze Umfang der Änderungen zurzeit noch nicht ersichtlich. Es läßt sich aber aus den bisher bearbeiteten Gruppen mit Sicherheit erkennen, daß das Gebäude der bisherigen Nomen- klatur so gründlich zerstört werden wird, daß sozusagen kein Stein auf dem andern bleibt. Da jede Änderung an einer Stelle auch wieder auf andere Gebiete einwirkt!), so wird keiner der jetzt lebenden Zoologen das Ende der Verwirrung erleben, welche die neuen Nomenklatur- regeln verschuldet haben. Nun behaupten aber die Anhänger des Prioritätsprinzips, daß die alten Namen historisch berechtigt seien. Diese Meinung muß ich für einen grundsätzlichen Irrtum erklären und will dies durch Beispiele aus anderen Gebieten deutlich machen. Wenn jemand behauptete, die Rechtsentscheidungen sollten nach den Rechts- prinzipien des 18. Jahrhunderts gegeben werden, weil diese das historische Vorrecht hätten, so würde jeder Jurist bei diesem Gedanken den Kopf schütteln. Oder wenn jemand sagen wollte, man solle die Landesgrenzen wieder herstellen, die am Ende des siebenjährigen Krieges bestanden (1763), so würde man diesen Gedanken geradezu unsinnig nennen. Was im ı8. Jahrhundert gültig war, hat keine höhere historische Berechtigung als was im 10. Jahrhundert galt, denn in der ganzen Weltgeschichte werden die älteren Rechte stets durch neuere Rechtsverhältnisse abgelöst. So hat auch ein Zurückgehen auf die Nomenklatur des !) Nach den neuen Regeln darf ein Gattungsname im Tierreich nur einmal vor- kommen. Ich habe schon früher vorgeschlagen, daß die Wiederholung eines Gattungs- namens in zwei verschiedenen Stämmen zugelassen werden sollte. Man wird z. B. den Hammerfisch Zygaena nicht mit dem kleinen Schmetterling Zygaena verwechseln. 258 Ziegler, Über die neue Nomenklatur. ı8. Jahrhunderts keine historische Berechtigung, es ist vielmehr unhistorisch, rationalistisch!). Das Prioritätsprinzip hat nur insofern einen vernünftigen Sinn, als dadurch unnötige Neubenennungen vermieden werden sollen?); daß man ihm aber eine weithin rückwirkende Kraft ver- leihen will, ist meiner Ansicht nach eine nicht zu rechtfertigende Ausdehnung und Verallgemeinerung eines in gewissem Sinne richtigen Prinzips. Das Streben nach zu weit gehender Verall- gemeinerung eines an sich richtigen Gedankens ist ja auf allen Gebieten des menschlichen Denkens eine Quelle von Irrtümern und Fehlern. Manche Systematiker wollten die Priorität noch über Linné hinaus zurückverfolgen; die Festlegung der 10. Auflage von Linnés Systema naturae (1758) als äußerste Grenze hatte zunächst nur den Zweck, die noch weiter gehenden Prioritätsbestrebungen abzuschneiden. Aber auch diese Festlegung greift viel zu weit zurück. Denn auf Linné folgte eine Zeit großer Fortschritte auf dem Gebiete der Systematik, welche große Umwandlungen der Nomenklatur mit sich brachte. Hätte man also statt des Jahres 1758 etwa das Jahr 1830 als äußerste Grenze angesetzt, so wäre das Unheil bei weitem nicht so groß geworden. Z. B. sind die Namen aus Cuviers Regne animal großenteils damals zur allge- meiner Anerkennung gekommen, ebenso bei den Eingeweide- würmern die Namen von RupotpÒÙi 8), bei den Ascidien die Namen von Savieny usw. Überhaupt sind die Werke aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts fast auf allen Gebieten der zoologi- schen Systematik viel wichtiger als die Schriften des ı8. Jahr- 1) Für ein solches Zurückgreifen auf einen früheren Zeitpunkt gibt es in der Geschichte nur ein einziges großes Beispiel, nämlich die Reformation. Bei dieser mächtigen Geistesbewegung, welcher ja ein hohes Ziel vorschwebte, wollte man unter Verwerfung aller Tradition auf den Standpunkt der Bibel zurückgehen. Aber selbst hier war es nicht möglich, das Prinzip durchzuführen; man mußte vieles aus der Tradition beibehalten, insbesondere das sog. apostolische Glaubensbekenntnis, das be- kanntlich nicht in der Bibel steht, sondern aus einer späteren Zeit stammt. *) Trotz der Prioritàtsbestrebungen hat man auf manchen Gebieten auch neuer- dings noch Neubenennungen zugelassen, z. B. bei den Protozoen. Ohne zu prüfen, greifen viele Zoologen immer nach den neuesten Namen. 3) Z. B. hat Trichocephalus dispar diesen Namen von RuporpHi 1801 erhalten. Obgleich dieser Name also mehr als ein Jahrhundert hindurch unbestritten im Ge- brauch war, mußte er nach den neuen Nomenklaturregeln verworfen werden, weil Linné im Jahre 1771 den Namen Ascaris érichiurus gebraucht hat! — 4 — Ziegler, Über die neue Nomenklatur. 259 hunderts. Wenn man bei der Aufstellung der neuen Nomen- klaturregeln die Folgen genauer ins Auge gefaßt hätte, so würde man bemerkt haben, daß gerade das Zurückgehen in das 18. Jahr- hundert zu den größten Umänderungen und Verwirrungen führen mußte. Die Festsetzung des Jahres 1758 als Grenze der Priorität ist vollkommen willkürlich gewählt. Gewiß hatte Linné eine große Bedeutung für seine Zeit, aber für die moderne Zoologie hat er keine Wichtigkeit, ebensowenig wie etwa ARISTOTELES oder GESSNER. Es ist ein verfehlter Gedanke, Linné als eine Art von Propheten oder Heiligen zu betrachten, dessen Benennungen für alle Zeit Gültigkeit haben sollen. Schon vor 100 Jahren hat man viele Benennungen Linnés als veraltet angesehen. Die großen Systematiker aus der ersten Hälfte des ıg. Jahrhunderts haben die alten Namen keineswegs für bindend erachtet. Sie würden es unbegreiflich finden, wenn sie wissen könnten, daß man jetzt wieder auf die Benennungen des ı8. Jahrhunderts zurückgehen will. Ich bin daher der Meinung, daß die Beschlüsse der Zoologen- kongresse über die neuen Nomenklaturregeln in ihrem Ur- sprung ungenügend durchdacht und in ihren Folgen überaus unheilvoll sind. Ich habe diese Ansicht schon im Jahre 1911 ausgesprochen !}). Inzwischen ist nun die Erklärung der skandinavischen und finn- ländischen Zoologen erschienen, welche in derselben Richtung geht?), und neuerdings hat die Abstimmung, welche die Deutsche Zoologische Gesellschaft veranstaltete, ebenfalls gezeigt, daß die große Mehrzahl der Deutschen Zoologen die strikte Durchführung der Prioritätsregeln für ein Übel erachtet). 1) H. E. ZiecLeR: Uber die neue Nomenklatur. Zoolog. Anzeiger. 38. Bd. ı911. S. 278-272. 2) Zoologischer Anzeiger, 39. Bd. 1912. S. 56. 3) Von 126 Zoologen sind nur 11 für die strenge Durchführung der neuen Regeln eingetreten. Zoologischer Anzeiger. 39. Bd. 1912, S. 365. Die neuen Anträge der Deutschen Zoolog. Gesellschaft sind von 635 Zoologen unterschrieben. Zoolog. An- zeiger 40. Bd. 1912. S. 155. Neuerdings fand in England eine ähnliche Abstimmung statt, welche von dem Zoology Organisation Commitee of the British Association veranlaßt war; von den abgegebenen 112 Stimmen britischer Zoologen traten nur 26 für die strikte Anwendung der neuen Nomenkiaturregeln ein. Zoolog. Anzeiger. 40. Bd. 1912. S. 207. 260 Ziegler, Über die neue Nomenklatur. Wenn also nahezu von allen Seiten zugegeben wird, daß man sich mit den Prinzipien der neuen Regeln auf einem falschen Wege befindet, so erhebt sich die Frage, wie man einen besseren finden kann. Das Beste wäre, daß wir uns von der ganzen Altertümelei grundsätzlich lossagen würden. Wenn ein Tier einen einge- bürgerten Namen hat, so kann es uns gleichgültig sein, ob dieser Name der älteste ist. Die Stabilität des Namens ist die Haupt- sache, nicht sein Ursprung oder seine vermeintliche Korrektheit oder Inkorrektheit !). Wollen wir auch weiterhin ein Verdienst darin sehen, daß sich Jemand beim Antiquar ein altes zoologi- sches Buch aus dem ı8. Jahrhundert kauft und damit dann eine Anzahl uns geläufiger und längst eingebürgerter Namen für un- gültig erklärt? Für viele Gebiete der Zoologie sind die grundlegenden oder die besten systematischen Bearbeitungen erst im 19. Jahrhundert erschienen, zu sehr verschiedener Zeit. An Stelle des unseligen Prinzips, daß stets die ältesten Namen (von 1758 an) gelten sollen, könnte also der bessere Grundsatz treten, daß die hauptsäch- lichsten Bearbeitungen des 19. Jahrhunderts zur Geltung kommen sollen und daß sie die älteren Namen unwirksam machen. So würde der historischen Tatsache Rechnung getragen, daß ein Teil der ältesten Namen schon am Anfang des ı9. Jahrhunderts außer Gebrauch war, oder im Laufe dieses Jahrhunderts außer Gebrauch kam. Daß man diese Namen, die schon längst auf- gegeben sind, nun wieder aus dem Staube hervorziehen und wieder gültig machen will, darin liegt eben der prinzipielle Fehler der neuen Nomenklatur. Beispielsweise hebe ich unter den systematischen Werken der neueren Literatur die Monographien der Zoolog. Station von Neapel hervor; jeder dieser Bände repräsentiert die Arbeit eines halben oder ganzen Menschenlebens. Die meisten Zoologen würden die Tiernamen, welche in solchen großen und zusammen- fassenden Werken enthalten sind, am liebsten erhalten sehen; wenn aber die Nomenklatur von einer Altertumsforschung ab- 1) Aus diesem Grunde bin ich auch ein Gegner der Bestrebungen, die Namen auf ihre orthographische Richtigkeit zu prüfen und nach der Etymologie umzugestalten, wie dies die Entomologen beabsichtigen. Ebenso schlimm ist das Unternehmen, alter- tümliche Formen der Namen wieder in Gebrauch zu bringen, z. B. Zepisosteus statt Lepidosteus, Agchylostoma statt Ancylostoma usw. irn Su Ziegler, Über die neue Nomenklatur. 261 hängig gemacht wird, so werden auch diese wertvollen Werke in 20 Jahren gänzlich veraltet erscheinen. Mein Gedanke ging also dahin, für die einzelnen Klassen, Ordnungen oder Familien die besten Bearbeitungen des ig. Jahrhunderts für autoritativ zu erklären, wobei es gleich- gültig wäre, zu welcher Zeit sie erschienen sind. Für manche Gruppen ist es leicht, ein solches Werk zu bezeichnen, z. B. wird für die rhabdocölen Turbellarien jedermann gern die Benennungen der Grarrschen Monographie anerkennen. Aber bei anderen Gruppen des Tierreichs ist es schwierig, einem einzelnen Werk Autorität beizulegen. Man wird sich vielleicht nur schwer darüber einigen können, welches Werk gewählt werden soll. Ich möchte aber doch empfehlen, für jede Ordnung oder Familie des Tier- reichs ein Werk aus dem 19. Jahrhundert zu bezeichnen, welches die äußerste Grenze der Prioritätsforschung darstellen soll, dessen Benennungen also die älteren Namen ungültig machen. Damit soll aber nicht gesagt sein, daß nun alle in einem solchen Werke vorkommenden Namen Autorität haben sollen. Deshalb befürworte ich auch den Vorschlag des Vorstandes der Deutschen Zoologischen Gesellschaft, daß eine große Anzahl Namen definitiv und unabänderlich festgelegt wer- den soll. Besonders schlimm ist es, daß viele bekannte Tiernamen auf ganz andere Tiere übertragen werden. Z. B. würde das Wort Actınıa der Name für ein Echinoderm, Zolothurra für eine Siphono- phore, Priapus für eine Actinie, Apus für einen Vogel, usw. Man sieht daraus, wie notwendig die von dem Vorstand der Deutschen Zoologischen Gesellschaft vorgeschlagene Bestimmung ist: „Die Übertragung eines Gattungs- oder Artnamens auf eine andere bereits bekannte und benannte Gattung oder Art ist unzulässig.“ Ferner ist zu bedenken, daß über die Anwendung der neuen Nomenklaturregeln verschiedene Meinungen bestehen. Ein Name, welcher von einem Autor auf Grund der Prioritätsgesetze als allein richtig bezeichnet wurde, wird von einem anderen Autor ebenfalls auf Grund derselben Gesetze für unzulässig erklärt. Prof. DÖöDErRLEIN hat für einige Vögel die Namen zusammengestellt, welche in verschiedenen auf dem Boden der neuen Regeln ste- henden Werken enthalten sind. Es zeigt sich, daß für viele Vögel in jedem Buch ein anderer Name enthalten ist. So heißt der Hausrotschwanz ARutıcılla phoenicurus (im Guide of British Mu- 262 Ziegler, Über die neue Nomenklatur. seum 1910), Zrithacus phoenicurus (bei Reichenow), Phoenzcurus ochrurus (bei Hartert 1911); die Stadtschwalbe Cheldon urbica (im Guide of British Museum 1910), Zrrundo urbica (bei Hartert 1911), Chelidonaria urbica (bei Dahl 1912), die Uferschwalbe Cotile riparia (in Guide of British Museum 1910), Rzparia riparia (bei Hartert 1911), Chvzcola riparia (bei Dahl 1912), der Fluß- taucher Podiceps fluviatilis (im Guide of British Museum 1910), Colymbus nigricans (bei Reichenow), Colymbus fluviatılıs (bei Dahl 1912), der Eistaucher Colymbus glacıals (im Guide of British Museum), Uvrznator imber (bei Reichenow), Gavia torquata (bei Dahl 1912). Alle diese Namen machen den Anspruch, nach den neuen Nomenklaturregeln gewählt zu sein. Man sieht daraus, daß diese Regeln keineswegs geeignet sind, die Sicherheit und Stabilität der Benennung zu verbürgen. Es bleibt also nichts übrig, als eine autoritative Feststellung, wie sie von dem Vorstande der Deutschen zoologischen Gesellschaft vorgeschlagen wird!): „Die in einer aufzustellenden Liste enthaltenen Gattungs- und Artnamen unterliegen nicht dem Prioritätsgesetz, dürfen niemals abgeändert oder auf andere schon bekannte und benannte Gattungen oder Arten übertragen werden.“ Aber ich muß den neuen Vorschlägen der Deutschen Zoolo- gischen Gesellschaft noch einige Bemerkungen beifügen, bei deren Aufstellung ich mich der freundlichen Mitwirkung des Kollegen DöDERLEIN erfreute. 1. Jeder Gattungsname, der festgelegt wird, muß mit einem Speciesnamen verbunden werden, sonst könnte der Gattungsname auf andere Tiere übertragen werden; es genügt z. B. nicht, den Namen //ydrophilus festzulegen, sondern es muß der Name //ydro- philus piceus festgelegt werden, sonst wird der Name //ydrophilus, wie dies schon geschehen ist, auf andere Käfer, die bisher //ydrous hießen, übertragen. Der Zweck der Festlegung würde also nicht erreicht. Die Übertragung‘ der Gattungsnamen hat meistens ihre Ur- sache darin, daß die alten Gattungen sehr groß und umfassend waren und in der Folgezeit geteilt werden mußten. Es hat auch immer Uneinigkeit unter den Systematikern darüber bestanden, auf welche der Teilgattungen der alte Gattungsname übertragen 1) Verhandlungen d. D. Zool. Gesellschaft 1912. S. 214—227. SOEs Ziegler, Über die neue Nomenklatur. 263 wird. Dieser Streit wird beendet, wenn wir festsetzen, daß der Gattungsname bei einer bestimmten Species bleiben muß. So ist z. B. die Gattung Phylloxera in neuerer Zeit durch Dr. BoERNER in mehrere Gattungen zerlegt worden. Dabei gab er den Namen Phylloxera gewissen Eichen-Läusen, während er für die Reblaus den Gattungsnamen Perztymbia einführte ’). Nun ist aber der Name Phylloxera für die Reblaus schon so eingebürgert, daß er nicht mehr verdrängt werden kann. Wenn wir jetzt den Namen Phylloxera vastatrix festlegen, so bleibt die wissenschaftlich berechtigte Spaltung der Gattungen bestehen, und der Systematiker muß entweder den Namen ?Æylloxera auf die neue Gattung, welche die Reblaus enthält, übertragen, oder er muß die neuen Gattungen als Unter- gattungen der alten Gattung /%y/oxera bezeichnen. Man würde dann schreiben Phylloxera (Peritymbia) vastatrıx. Die gewählte Species müßte durch ein besonderes Zeichen als festgelegt zu erkennen sein; ich schlage vor, ein f. (fixiert) hinter den Speciesnamen zu setzen. Der Name des Autors wäre dann überflüssig, sofern man nicht durch den Autornamen auf die von ihm gegebene Diagnose der Species verweisen will. Denn für jede festgelegte Species muß eine Diagose als bestimmend und maßgebend angegeben werden’); es kann dies entweder durch den Hinweis auf eine gute Beschrei- bung geschehen oder noch besser durch ein anzulegendes Ver- zeichnis festgelegter Namen mit beigefügten Diagnosen. Es ist dabei gleichgültig, aus welcher Zeit diese Beschreibung stammt, denn sie soll nur eine sichere Definition der Species geben’). In der Diagnose muß auch der typische Fundort an- gegeben werden. Z.B. Zchinus (Parechinus) microtuberculatus f. ist die Mittelmeerform, Zchrnus (Parechinus) miharis f. die Nord- seeform. 1) Von anderer Seite ist der Gattungsname Xerampelus aufgestellt worden und hat auch schon in Lehrbüchern Aufnahme gefunden. Für die Reblaus sind also zurzeit drei Gattungsnamen im Gebrauch! ?) Der Autorname bezieht sich in der Regel auf die erste Beschreibung des Tieres. Es sollte zulässig sein den Namen eines späteren Autors zu verwenden, der eine sichere Diagnose gegeben hat. Mit Recht schrieb Daur (Zoolog. Anz. 39. Bd. 1912, S. 209): „Statt des Autornamens sollte man stets die Schrift nennen, nach der man ein Tier bestimmt hat. Das ist äußerst wichtig; denn allein auf die Bestimmung kommt es an, nicht auf den Namen des ursprünglichen Autors, da sich das Tier in den allermeisten Fällen nach dessen Schrift nicht sicher bestimmen läßt.“ 3) In diesem Sinne stimme ich folgenden Worten Daurs zu: „Bei der Ver- wendung von Tiernamen kommt es in erster Linie auf die sichere Verständigung an. Ein eingebürgerter Name, der in verschiedener Bedeutung verwendet worden ist, hat also nur dann einen Wert, wenn auf eine Monographie verwiesen wird, in welcher Gattung und Art eindeutig und gut beschriebeu sind. Fr. Daur: Thesen über die Festlegung eingebürgerter Namen. Zoolog. Anzeiger, 39. Bd. 1912. S. 462. ON sare 264 Ziegler, Über die neue Nomenklatur. 2. Jeder Gattungsname soll nur auf eine einzige Species festgelegt werden, denn man darf die Zerspaltung der Gattungen nicht unterbinden. Allerdings ist die allzugroße Zerspaltung der Gattungen ebenfalls ein Übel, aber zuweilen stellt sich bei der Forschung heraus, daß in einer Gattung weit verschiedene Tiere vereinigt sind, und dann ist die Zerlegung der Gattung wissen- schaftlich gerechtfertigt und darf nicht gehemmt werden). 3. Es können auch Speciesnamen festgelegt werden ohne Festlegung der Gattungsnamen. Z. B. würde der Gattungsname Hydra festgelegt für //ydra fusca, außerdem wären auch die Speciesnamen grısea und viridis festzulegen. Es wäre dies in der Liste so auszudrücken: Hydra fusca f. Hydra viridis f. Hydra fusca f. Dabei soll das f. bedeuten, daß der fett gedruckte Name fest- gelegt ist. 4. Wird eine Species, welche einen fixierten Gattungsnahmen hat, nachträglich in eine andere Gattung eingeordnet, so muß diese Gattung den Gattungsnamen der erwähnten Species an- nehmen. Würde man z. B. den Namen Cocezdıum oviforme Leuck. festlegen (wozu man bei der Bedeutung Leuckarts und dem langen Gebrauch dieses Namens guten Grund hätte), so könnte der Name durch die nachträgliche Einordnung in die Gattung Eimeria nicht geändert werden; es müßte vielmehr die Gattung ÆErmeria?) Coccidium heißen. Nun mag man gegen diese Reformideen einwenden, daß einzelne Systematiker schon die neue Nomenklatur anwenden und sich nicht mehr werden von diesen Namen abbringen lassen. Infolgedessen bin ich genötigt, einige Bemerkungen über das Verhältnis der Systematik zur Zoologie überhaupt zu machen. Die Zeiten sind längst vorüber, in welchen die Systematik allein die Zoologie ausmachte. In unserer Zeit haben die verschiedenen Richtungen in der Zoologie, die systematisch-biologische, die vergleichend-anatomische, die histologische, die embryologische 1) Z. B. kann man den Gattungsnamen Zelix für die Species Helix pomatia festlegen. Die alte Gattung /Æ/e/ix ist von den Spezialisten in viele Gattungen zerlegt worden. Im Unterricht kann man solche neue Gattungen als Untergattungen ansehen, z. B. Helix (Tachea) hortensis. °) Von AIMÉ SCHNEIDER 1875 aufgestellt. Ziegler Über die neue Nomenklatur. 265 und die entwickelungs-mechanische alle gleiche Existenzberechti- gung, und es wäre unwissenschaftlich, irgend eine dieser Rich- tungen allein als die wissenschaftliche Zoologie zu bezeichnen. So sind auch an der Nomenklaturfrage alle diese Richtungen interessiert, und alle haben das Recht, dabei mitzureden. Ich halte es für weniger schlimm, wenn einzelne Spezialisten ihre neuerdings umgewandelte Nomenklatur beibehalten und da- durch von dem allgemeinen Sprachgebrauch differieren, als wenn alle Zoologen die neue Nomenklatur annehmen sollen, so daß die in den wichtigsten Werken des ı9. Jahrhunderts gebräuch- lichen Namen gänzlich verdrängt werden!). Nicht alles, was ein Spezialist in der von ihm bearbeiteten Gruppe aufstellen mag, ist für die Gesamtzoologie allgemein annehmbar. So kann man sich auch in der Nomenklaturfrage nicht nach jedem Spezialisten richten, um so weniger als die Systematiker untereinander nicht einig sind. Man muß vielmehr das Gesamtinteresse unserer Wissenschaft im Auge haben, welches durch die unbeschränkte Durchführung des neuen Prioritätsgesetzes in der allerschwersten Weise geschädigt würde. 1) Die Interessen der Spezialisten sind häufig andere als diejenigen der übrigen Zoologen. Bei der großen Mannigfaltigkeit der Formen kommen die Spezialisten zur Aufstellung sehr zahlreicher Arten, wobei oft auch Lokalvarietäten als Arten be- schrieben werden. Infolgedessen neigen die Spezialisten zu weitgehender Zerlegung der Gattungen; dadurch wird aber die Übersicht schwieriger, so daß andere Zoologen es vorziehen, die Gattungen nicht zu zerlegen oder die neuen Gattungen als Unter- gattungen anzusehen. Ferner neigen die Spezialisten auch zu einer weitgehenden Zerlegung der alten Ordnungen. So haben z. B. in dem neuen Lehrbuch von GRoBBEN die Insekten 17 Ordnungen, die Vögel 22 Ordnungen. Für den Unterricht braucht man aber eine übersichtlichere Systematik, und ich möchte einen Zoologen nicht für einen guten Lehrer halten, der den Studenten solche lange Reihen von Ordnungen vortragen wollte. Zool. Annalen, V. 13 Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. Von Dr. August Steier, Würzburg. Eine zoologiegeschichtliche Untersuchung, die eine Ver- gleichung des Standes der römischen Zoologie, wie sie in der Naturalis Historia des PLinıus zum Ausdruck kommt, mit den zoologischen Werken des ARisroTeLES zum Ziele hat, wäre unvoll- ständig, wenn sie sich neben der Darstellung der auf die Ein- teilung der Tiere bezüglichen Ansichten sowie der Untersuchung des beiderseitigen Tierbestandes nicht auch auf die Frage er- streckte, welches Bild die Naturgeschichte des Prinıus von den morphologischen, anatomischen, physiologischen und biologischen Ansichten seiner Zeit bietet. Nach der in den früheren Abhandlungen gegebenen Charakte- ristik des damaligen Standes der Zoologie wird man nicht erwarten dürfen, daß die Erforschung des Tierkörpers und seiner Funktionen seit ARISTOTELES große Fortschritte gemacht hat. Die Grundlage des anatomischen und physiologischen Wissens bilden die Forschungsergebnisse, die in den Schriften des ARISTOTELES nieder- gelegt sind. Aber es wäre falsch zu glauben, daß die spätere Zeit in keinem Purkte über seine Ansichten hinausgekommen sei, Wenn es auch nach ihm keinen Forscher des Altertums mehr gab, der eine so umfassende Kenntnis der Tierwelt besaß, so waren doch unter den Epigonen manche, die seine Werke nicht bloß ausschrieben und zerpflückten, sondern angeregt durch manches von ihm gestellte Problem dieser und jener Einzelfrage forschend nachgingen. Nur so ist es zu erklären, daß wir bei Pıınıus da und dort einen Irrtum des ARISTOTELES berichtigt, ein schon von ARISTOTELES 18* are 268 Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. erörtertes Problem von neuen Gesichtspunkten aus bearbeitet, freilich auch manche schon von ihm als falsch zurückgewiesene Anschauung wieder aufgenommen finden. Dem Charakter des Pıinıanıschen Werkes entspricht es, daß solche auf neueren Be- obachtungen fußende Mitteilungen nur als gelegentliche Be- merkungen eingestreut sind, die, selbst wenn sie das Richtige treffen, gegenüber den scharfsinnigen, straff geschlossenen Unter- suchungen und geistvollen Theorien des ArıstoTELEs unbedeutend wirken. Trotzdem dürfen sie nicht fehlen im Bilde der Puiniant- schen Zoologie, das sich eben nur aus solchen abgerissenen Notizen zusammenfügen läßt. ; Anatomie und Morphologie. Die Anatomie hatte seit ARISTOTELES kaum Fortschritte ge- macht, wie die die zweite Hälfte des 11. Buches ($ 121--284) einnehmende Abhandlung des Pzinius über die Körperteile der Tiere beweist, die als ein schwaches Gegenstück zu der Schrift des ARISTOTELES, ‚de partibus animalium‘ ganz auf dessen ana- tomischen Ansichten fußt. So ist z. B. auch der fundamentale Irrtum des ARISTOTELES, der bei den Säugetieren die Stelle der Fußwurzelknochen für das Knie hielt und infolgedessen die An- sicht aufstellte, daß sich die hinteren Gliedmaßen nach hinten beugen, also den Bau der Extremitäten ganz falsch auffaßte, in- zwischen nicht erkannt worden; denn PLinivs gibt diese Ansicht (lb. 11, 248) ohne ein Wort des Zweifels wieder und macht wie ARISTOTELES nur für den Elefanten eine Ausnahme. Bei diesem liegt eben das wirkliche Knie nicht so tief im Fleische verborgen wie etwa beim Pferd oder Rind und wurde darum als solches erkannt. Angesichts der Unkenntnis soich leicht zu beobachtender anatomischer Verhältnisse muß es auffallen, daß sich über die Beschaffenheit der Gehirnsubstanz, des Rückenmarkes und Knochenmarkes eine gegenüber ARISTOTELES fortge- schrittenere Anschauung herausgebildet hatte. Nach der älteren Anschauung, zu der schon ARISTOTELES Stellung nimmt, ist die Gehirnsubstanz gleichartig mit dem Knochen- mark, ein Irrtum, zu dem besonders die unklare Ansicht über das Rückenmark und dessen Zusammenhang mit dem Gehirn ver- leitete. Aus den Ausführungen des ArisroreLEs (de part. II. cap. — 116 — Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. 209 6, 7 Frantzius) geht hervor, daß er seibst die verbreitete An- sicht von der Gleichartigkeit der Gehirnsubstanz und des Knochen- markes nicht teilte, sondern deren Verschiedenheit klar erkannte; das Rückenmark aber hielt er für ein „etwas anders beschaffenes Knochenmark“ (0 évradda uvelos dAhoıöregdg goti), ohne zur Er- kenntnis zu kommen, daß es eine vom Knochenmark gänzlich verschiedene, der Gehirnsubstanz analoge Nervensubstanz ist. In diesem Punkte war man nun zu Pımivs’ Zeit durch Be- obachtungen, die freilich nicht an Tieren, sondern am Menschen gemacht wurden, weiter gekommen und wußte, wie lb. 11, 134: (cerebrum) aliud esse quam medullam eruditi docent, quoniam coquendo durescat, lehrt, nicht nur, daß die Gehirnsubstanz anders geartet sei als das Knochenmark, sondern man hatte auch er- kannt, daß Gehirn und Rückenmark die gleiche Substanz haben, wie aus den Worten des Puimius (lb. 11, 78) klar hervorgeht: eandem esse ei (sc. medullae spinae) naturam quam cerebro !) colligunt, quoniam praetenui eius membrana modo incisa statim exspiretur. Aber auch in der Auffassung der Bedeutung des Gehirns selbst hatte man sich von dem Irrtum des ARISTOTELES freigemacht, der das Herz für den Sitz des Empfindens hielt und dem Gehirn jegliche Empfindung absprach (de part. II. cap. 10); denn bei Puinius findet sich diese irrtümliche Ansicht nicht mehr, sondern er bezeichnet (lb. 11,135) das Gehirn geradezu als den „Sitz der Sinne“ (hanc habent sensus arcem) und den „Thron des Verstandes“ (hic mentis est regimen) und bringt hier offenbar das Ergebnis einer fortgeschritteneren Forschung, die zur späteren Erkenntnis des Zentralnervensystems den Weg bahnte. Ablehnend verhielten sich spätere Autoren auch zu dem von ARISTOTELES aufgestellten „gesetz der Sparsamkeit“, das dieser (de part. III. cap. 2) aus der Beobachtung folgerte, daß die Natur keinem Tiere zugleich ein Gehörn oder Geweih und ein vollständiges Gebiß gegeben habe, sondern daß Tiere, die Hörner tragen, im Ober- kiefer keine Schneidezähne besitzen; „denn was die Natur vom Gebiß (an Substanz) wegnahm, verwendete sie für die Hörner und die für diese Zähne vorhandene Substanz wird für das Wachs- tum der Hörner verbraucht“. 1) Mit dieser Ansicht steht PLinius Ib. 11,214 nicht im Widerspruch; dort sagt er nur, daß die Wirbelsäule (spina dorsi) Mark (medulla) enthalte, macht aber über die Beschaffenheit dieses ‚Markes‘ keine weiteren Angaben. 270 Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. Zu diesem Satze nimmt Puinivs lb. 11, 128, wo er über Hörner und Geweihe handelt, Stellung und erklärt die eben dargelegte Ansicht für unrichtig mit der Begründung, daß die weiblichen Hirsche, trotzdem ihr Gebiß genau so beschaffen sei wie das der männlichen, kein Geweih haben, daß also die Anschauung von der Verwendung der für die fehlenden Zähne bestimmten Sub- stanz zum Geweih unzutreffend sei (qui putant eos [sc. dentes] in cornua absumi, facile coarguuntur cervarum natura, quae nec dentes habent (ut neque mares) nec tamen cornua). Der hier als Gegenbeweis verwertete Hinweis auf die weiblichen Hirsche stammt übrigens nicht, wie es nach der Puinius-Stelle scheinen möchte, von Puinius, sondern ARISTOTELES selbst hatte schon be- merkt, daß das Fehlen des Geweihes bei den weiblichen Hirschen seiner „Regel“ widerspreche. Allein er suchte diesen Wider- spruch damit zu erklären, daß die weiblichen Hirsche ursprüng- lich gleichfalls ein Geweih hatten wie die männlichen, es jedoch verloren haben, weil es ihnen nichts nütze, wir würden jetzt sagen durch Rückbildung. Er stellt ja sogar die Ansicht auf (de part. III. cap. 2), daß das Geweih auch dem männlichen Hirsche nichts nütze, ja durch seine Größe und Vielästigkeit eher hinderlich sei; des- halb habe ihm die Natur als Schutzmittel Coro) die Schnellig- keit gegeben. ARISTOTELES dachte bei der Möglichkeit der Verteidigung des Hirsches offenbar nur an dessen Kampf mit anderen Tieren oder mit dem Menschen, nicht aber daran, daß Hirsch gegen Hirsch in der Brunft um das Tier kämpft und daß hier das Geweih eine notwendige Waffe ist. Doch diese Seite der Frage berührt PLinıus gar nicht, sondern er hielt die von AristorELES versuchte Erklärung des Ausnahme- falles nicht für beweiskräftig und verwarf darum die von diesem aufgestellte „Regel“, die übrigens, wie die Fassung ‚qui putant‘ beweist, von verschiedenen nacharistotelischen Autoren als gültig anerkannt wurde. Eben diese Fassung beweist auch, daß PLINIUS gar nicht wußte, daß diese „Regel“ von ARISTOTELES aufgestellt worden war, sonst würde er ihn nennen. Er hat ihn eben nicht direkt benützt, sondern bringt hier wie so oft aristotelisches Gut, das er aus zweiter und dritter Hand übernahm. Die gleiche Erscheinung zeigt sich in einer Polemik gegen eine andere ,,Regel“, die ebenfalls von ARISTOTELES stammt, von PLINIUs aber mit ,sunt qui — putent‘ eingeführt wird. Es handelt — 18 — Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. 20701 sich um den Satz, daß zwischen der mehr oder minder großen Dicke der Haut und der Intelligenz der Tiere ein Zusammenhang bestehen soll. Eine solche Korrelation hatte ARISTOTELES (de anima II 9, 421% 25.26: où uèv yao onAmgdoagroı dpvels tiv didvorav, ot ‘è ualandoagnoı eùpvets) als ganz allgemein gültig behauptet und gegen ihn richtet sich also die Polemik des PLINIUS, der diesen Satz mit Recht als ungültig ablehnt (lb. 11, 226 sq.). Als Gegen- beweise führt er das Krokodil, das Flußpferd und den Elefanten an, die alle trotz ihrer sehr dicken Haut intelligente Tiere seien. Freilich zerstört er die Wirkung seiner Argumentation sofort wieder durch die Bemerkung, daß die Haut selbst unempfindlich sei (ergo cutis ipsa sensu caret) und nimmt damit die irrtümliche Ansicht des ARISTOTELES (hist. an. 3, 69), der die Nerven als Emp- findungsorgane nicht kannte, wieder auf. Offenbar erblickt er in der vermeintlichen Empfindungslosigkeit der Haut einen Be- weis für die Unrichtigkeit des Satzes von der Korrelation der Hautdicke und Intelligenz und ist der Ansicht, daß die Dicke der Haut, da diese ja doch unempfindlich ist, ohne Einfluß auf den ‚sensus‘d. h. hier Sensibilität und Intelligenz, sei. Während er sich also von einem Irrtum befreit, verstrickt er sich in einen anderen. Mit Recht übernimmt dagegen PLinivs den schon von ARISTOTELES (de part. III cap. 14) ausgesprochenen und von der neueren Forschung im allgemeinen bestätigten Satz, daß zwischen der Länge und Ausbildung des Darmes und der Ernährung der Tiere ein bestimmter Zusammenhang bestehe und daß Tiere, deren Darm wenig gewunden, also kürzer ist, gefräßiger seien. PLINIUS weiß für diese Erscheinung (lb. 11, 202) sogar zwei Beispiele anzuführen, die wir bei ARISTOTELES nicht finden, auf die also erst spätere Autoren den Aristotelischen Satz angewendet haben, näm- lich ‚lupus cervarius‘, wahrscheinlich europäischer Luchs, Felis lynx L., und ‚mergus‘ (ARISTOTELES atJvia), vielleicht eine Raub- möve (Lestris). Auch für einzelne morphologische und anatomische Er- scheinungen fügt PLinius aus der Lektüre anderer Autoren den Angaben des ArisroreLes Ergänzungen bei, die nicht ohne Interesse sind. So liefert er (Ib. 11, 163) von den Giftzähnen der Schlangen eine sehr gute Beschreibung'), die wir bei ARISTOTELES vermissen. 1) Vgl. NIKANDER, Theriaca 182— 185. 272 Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. Er weiß zu berichten, daß das Gift aus zwei Giftzähnen des Oberkiefers, die länger sind als die übrigen Zähne, durch einen die Zähne durchsetzenden Kanal (tenui fistula perforati) ausfließt. Von der Giftdrüse, die den Kanal füllt, wußte er freilich nichts, sondern referiert als Ansicht der ,auctores diligentissimi‘, daß das Schlangengift nichts anderes sei als die Galle der Schlangen, die in Adern unter der Wirbelsäule entlang bis zum Maule ge- leitet werde. Dagegen ist richtig beobachtet, daß die Giftzähne in der Ruhelage in Hautfalten des Maules verborgen liegen, daß sie leicht abbrechen und wieder nachwachsen, lauter Angaben, die bei ARISTOTELES nicht zu finden sind. Ferner kann Punius (lb. 11, 207) der nach ARISTOTELES (de part. II cap. 9, 654° 35 sqq.) gegebenen Beschreibung des menschlichen Brustkorbes, dessen Bedeutung als Schutz der edleren Organe richtig erkannt ist, die treffende Bemerkung beifügen, daß der beim Menschen breite Brustkorb bei den Tieren kielförmig ge- baut und daß diese Kielform am meisten bei den Vögeln und be- sonders bei Schwimmvögeln ausgebildet sei, wobei offenbar die Beobachtung des Brustbeinkammes (Crista sterni) zugrunde liegt. Richtig beschreibt Prinıus (lb. 9. 23) auch die Zunge des Delphinsals beweglich (lingua est his contra naturam aquatilium mobilis, brevis atque lata, haut differens suillae), während ARISTOTELES (hist. an. 4,104) augenscheinlich infolge eines auf der Beobachtung der Fischzunge beruhenden, irrtümlichen Analogie- schlusses behauptet, der Delphin habe keine freie Zunge (adda tiv yAorrav oùx drioleAvusvnv). Ebenso ist seine Angabe (lb. 9, 43) richtig, daß der Delphin unbehaart ist, während ihn ARISTOTELES wie alle Waltiere als behaart beschreibt. In der Beschreibung des oftmals unter den ualaxoorgane (Crustaceen) aufgeführten xdoafos zeigt sich bei ARISTOTELES eine schwankende Unsicherheit, da er dem xdoaßog bald Scheren zu- schreibt (hist. an. 4,19 und 8,25) bald sagt, er habe keine Scheren (hist. an. 4,16). Prinıus erwähnt das gleiche Tier!) als „locusta“ (einmal lb. 9.97 gebraucht er auch den griechischen Namen ,carabus“), übernimmt aber die sich widersprechenden Angaben des ARISTOTELES nicht, sondern beschreibt ,locusta“ stets als 1) Die Identität xdoafos = locusta (= carabus) geht aus der Parallele Plin. lb. 9,96: (locustae) vivunt petrosis locis, cancri mollibus = Aristot. hist. an. 5,85: yivovıaı Ooi pèv ndoaBor Ev vois toayéor nal metowdéowv, où Ö’doranoı êv toig Astorg mit Sicherheit hervor. Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. 273 scherenlos, so daß erst durch seine Beschreibung die Deutung ndo@ßog = locusta als Languste, Palinurus vulgaris Latr., eine feste Stütze bekommt. Die von Punrus erwähnten ,cornua sind die großen Antennen (ARISTOTELES: #éçara), während von Scheren, die bei ARISTOTELES ynAai heißen, bei Prnius keine Rede ist. Ganz in den Bahnen Aristotelischer Methode bewegen sich die vergleichenden morphologischen Betrachtungen über die Fort- bewegung der Tiere, besonders der Vögel, die sich bei Puinius lb. 10, 111—113 finden. Sie sind so treffend, daß man sie ohne weiteres für Aristotelisches Gut halten möchte, und doch stammen sie weder aus ARISTOTELES noch ist überhaupt eine Quelle für sie nach- weisbar. Die Angaben z. B. über das Hüpfen der Sperlinge und Drosseln im Gegensatze zum Laufen der Rebhühner und Schnep- fen sowie zum gravitätischen Stelzen der Störche und Reiher, ferner die Beschreibung der verschiedenen Flugbewegungen ver- raten, daß Puinius hier einen Autor als Quelle hatte, der die Tier- welt mit offenem Auge und scharfer Beobachtungsgabe zu be- trachten verstand. Ebensogut und gleichfalls ohne nachweisbare Quelle ist die vergleichende Zusammenstellung der der Nahrungs- aufnahme dienenden Organe (Zähne, Krallen, Schnabel) sowie der verschiedenartigen Ausbildung und Funktion der Vogel- schnäbel und Füße im Zusammenhang mit der Lebensweise (lb. 10, 196). Mehr äußerlich, aber immerhin brauchbar ist schließ- lich die Ib. 11, 122 gegebene Vergleichung der mit Kämmen, Hauben, Federhollen u. ä. ausgestatteten Vögel, die ebenfalls bei ARISTOTELES nicht zu finden ist. Physiologie. Von den Fragen, welche die Physiologie betreffen, ist es besonders das Problem der Atmung, dessen Erklärung schon vor ARISTOTELES z. B. von Democrit versucht wurde. Auch Prinıus behandelt die ihn offenbar sehr interessierende Frage an mehreren Stellen, übernimmt jedoch die Ansichten des ARISTOTELES nicht, sondern lehnt dessen Atmungstheorie vollständig ab. Um die Polemik des PLinius zu verstehen, ist es notwendig diese Atmungstheorie des ARISTOTELES kurz darzulegen!). Arr 1) Ausführlich ist sie besprochen von J. B. Meyer, a. O. S. 437 ff. 274 Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. STOTELES erblickt den Zweck der Atmung lediglich in der Ab- kühlung der Körperwärme bzw. des Blutes, eine Hypothese, die sich wiederum aus seiner Theorie des Warmen und Kalten erklärt. Je nach der Körperwärme des Tieres erscheint ihm eine mehr oder minder große Abkühlung notwendig. Er folgert dar- aus, daß nur die blutreichen évayua einer besonderen Abkühlung bedürfen und darum eigene Abkühlungsorgane — die Lungen — besitzen). Je blutàrmer und damit kälter das Tier ist, desto ge- ringer ist sein Bedürfnis sich abzukühlen. Auf Grund dieser Hypothese nirnmt ARISTOTELES eine drei- fache Atmung bzw. Abkühlung der Tiere an. ı. Nur für die blutreichen und darum warmblütigen Tiere ist der Eintritt eines abkühlenden Mediums in den Körper, das diesen ieicht durchdringen kann, notwendig und darum kommt eine Atmung im eigentlichen Sinne d. h. die Aufnahme äußerer Luft (œyanveir) nur solchen Tieren zu, welche Lungen besitzen, also den Land- und Wassersäugetieren, den Vögeln, Reptilien und Amphibien. (de part. III cap. 6: cvanvet de ta uèv meld mavra, eva dè nal Ty Evvdewv, olov pahcıva nat delpis nal tà avapvowvra unin mavra und ibidem: ndvra tà dvanveovra éyer AeÖuovg). 2. Eine andere Art der Abkühlung findet bei den Fischen und den anderen, Kiemen besitzenden Tieren statt. Da diese keine Lungen haben, können sie nicht Luft atmen (de part. IV cap. 13: ddUvatov yùo dua tO avrò avanveiv nal Bodyyia YELL), sondern bei ihnen erfolgt die Abkühlung durch das Wasser mittels der Kiemen, die also nach ARrısToTELEs nicht Luft, sondern Wasser aufnehmen und demnach nur insofern als Analogon der Lungen erkannt sind (z. B. hist. an. 8. ı6), als beide Organe der Abkühlung dienen (vgl. S. 25). Da die Fische weniger warm sind als die übrigen évamua, genügt für sie die Abkühlung durch das Wasser. !) Daß ARISTOTELES der irrtümlichen Meinung war, die Atemluft komme auch ins Herz, geht aus mehreren Stellen hervor (hist. an. 1,71 und 77 sq.; de part. II. cap. 3), doch irrt FRANTZIUS (S. 290), wenn er sagt, ARISTOTELES lasse die Luftröhre (Gotnota) ins Herz gehen; vielmehr denkt er sich zwischen Lunge und Herz Ver- bindungsgänge (770000), in denen auf eine freilich nicht näher erklärte Weise von der Lunge die Luft ins Herz kommen soll. Dieser Irrtum muß um so mehr auffallen, als ARISTOTELES (hist. an. 1,71) die Bronchienverzweigung in der Lunge vollkommen richtig beschreibt, und es scheint, daß diese Ansicht lediglich ein aus seiner Atmungs- theorie hervorgegangenes Postulat ist. — OL) — Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. 27 3. Schließlich unterscheidet ARISTOTELES noch eine dritte Art der Abkühlung bzw. Atmung, die für alle @vaiua, also auch für die Insekten gelten soll. Diese nämlich sollen sich lediglich von innen d. h. mittels der schon bei ihrer Entstehung in ihrem Innern vorhandenen Luft (rò oÖugpvrov mvevua) abkühlen, so daß also bei ihrer „Atmung“ kein Austausch mit einem äußeren Medium statt- findet (de part. II cap. 16: mavta TO ovupdry nvebuari tov cmuaros. .. TOÖTO d'orrdoger qÜoer naoı nal OV Ivoadev Erreioaxrov Eorıv). Zu dieser Ansicht mußte ARISTOTELES auf Grund seiner Hypothese kommen, daß eine Abkühlung um so weniger nötig ist, je kälter das Blut ist, so daß ihm für die dvaua das ovupvrov nvedua zur Abkühlung hinreichend erschien. Um diese Atmungstheorie des ARISTOTELES gerecht zu wür- digen, muß man sich von der modernen Ansicht über die Atmung völlig frei machen und man wird dann zugeben, daß sie durchaus folgerichtig ist, wenngleich sich ARISTOTELES in der Grundauffassung der Atmung irrt. Auch die jetzt so seltsam anmutende Ansicht von der „inneren“ Atmung fügt sich seiner Theorie ungezwungen ein; denn wenn die Atmung kein Gasaustausch ist, sondern nur eine Abkühlung, so kann sie auch von innen erfolgen. Als Ver- such ein Problem zu lösen, das bis auf Lavoisier ein Rätsel blieb, ist diese Theorie von großem Interesse, zumal sie jahrhunderte- lang ihre Anhänger fand und noch im Anfange des 17. Jahrhun- derts von Fabricius ab Aquapendente als geltende Lehre vorgetragen wurde (Franzzius. Auch Lewes, der gewiß kein blinder Bewunderer des ARISTOTELES war, sagt über diese Theorie: » Wenn wir ARISTOTELES Theorie der Respiration historisch betrachten, so ist sie bewunderungswürdig. Es wurde in der Tat keine wich- tige Verbesserung gemacht, bis die Entdeckung des Kreislaufs (durch Harvey) den ganzen Anblick des Problems änderte, den dann die Entdeckung der Gase noch weiter modifizieren sollte“. Daß jedoch diese Atmungstheorie schon im Altertum be- stritten wurde!) zeigt eben die Polemik des Puinius, der sich gegen die Behauptung des ARISTOTELES wendet, daß es Tiere gebe, !) Auf Demoxrit, der schon behauptet hatte, daß durch das Atmen gewisse Luftteilchen in den Körper gelangen, welche zur Lebenswärme beitragen, wurde oben hingewiesen. Ob Prınıus die Ansichten des DIoGENES und ANAxacoras, daß die Fische mit den Kiemen Luft aus dem Wasser aufnehmen, gekannt hat, läßt sich nicht fest- stellen, ist aber immerhin wahrscheinlich (vgl. K. Hammerscumipt, Aristoteles als Zoologe. Blätter f. d. bayer. Gymnasialschulwesen Bd. 35, 1899, S. 577). 276 Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. die nicht atmen, und daß die Fische durch die Kiemen keine Luft aufnehmen sollen. So sagt Pıinıus mit direkter Beziehung auf ARISTOTELES lb. 9,16: nec piscium branchias habentes anhelitum reddere ac per vices recipere existimant quorum haec opinio est, nec multa alia genera etiam branchiis carentia, in qua sententia fuisse ARISTOTELEM video et multis persuasisse doctrina insignibus. Dieser Ansicht schließt sich PLinivs nicht an, sondern er steht auf einem gerade entgegengesetzten Standpunkte, den er lb. 9, ı8 in den Satz zusammenfaßt: Accedunt apud me certe efficacia, ut credam etiam omnia in aquis spirare naturae suae sorte. In Übereinstimmung mit dieser Ansicht setzt er auch der von ARISTOTELES verfochtenen und, wie Puinius selbst sagt, von vielen Autoren geteilten Ansicht, daß die Insekten nicht atmen sollen (lb. 11,5 insecta multi negarunt spirare), starke Zweifel entgegen, die sich ihm aus der nüchternen Überlegung ergaben, daß es doch kaum glaublich sei, daß die im Luftmeere schwebenden In- sekten (in ipso spiritu viventia) keine Luft einatmen sollten. Puinius spricht also gegenüber der Atmungstheorie des Arı- STOTELES die richtige Ansicht aus, daß alle Tiere atmen, und ver- sucht sie auch mit seinen Mitteln zu begründen. So weist er gegenüber der Behauptung, daß die Fische keine Luft einatmen sollen, darauf hin, daß auch im Wasser Luft enthalten sei und von den im Wasser lebenden Tieren ausgestoßen werde und daß die Luft ebensogut in das Wasser eindringen könne als in den viel dichteren Erdboden, wo sie doch auch vorhanden sei und die Atmung z. B. des Maulwurfs ermögliche (lb. 9,17). Auch den oben mitgeteilten Einwand für die Atmung der Insekten muß ‚man gelten lassen. PLinivs hat also diese strittige Frage gewiß mit kritischem Urteil durchgearbeitet und ist gegenüber einer mit ge- wichtiger Autorität gedeckten, verbreiteten Lehrmeinung zu einem selbständigen Standpunkte gelangt. Trotzdem dürfte seinen Äuße- rungen nicht die Bedeutung zukommen, die man ihnen auf den ersten Blick zuzuschreiben geneigt sein könnte. Vielmehr hat er offenbar die Atmungstheorie des ARISTOTELES d. h. dessen Meinung, daß die Atmung lediglich eine Abkühlung sei, in ihrem vollen Umfange nicht verstanden oder gar nicht gekannt. Er selbst wenigstens spricht sich nirgends über den Zweck der Atmung aus und be- kämpft auch nirgends die Abkühlungstheorie als solche. Was er bekämpft, ist nur die Behauptung des ARISTOTELES, die er los- gelöst von den Deduktionen über die Theorie, aber noch mit Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. DI dessen Namen gedeckt in manchen seiner Quellen fand, daB nicht alle Tiere atmen. Dieser Satz findet sich bei ARISTOTELES öfters auch an Stellen eingestreut, wo die Abkühlungstheorie nicht weiter behandelt ist z. B. de part. III cap. 1: zö dvanveiv ov ridvrwv xoıvöv, wie es auch von den Insekten oft in verschiedenen Zusammen- hängen heißt: ovdév yao dvanvet avrov (z. B. hist. an. 4,102). Es ist klar, daß solche Sätze, wenn sie ohne Zusammenhang mit der Atmungstheorie entgegentreten, den Widerspruch gerade des Laien, ich möchte sagen, instinktiv herausfordern müssen. Und so erklärt sich wohl auch die Polemik des Puinius, der, gerade weil er die Atmungstheorie des ARISTOTELES nicht kannte, zu dieser Frage viel leichter Stellung nehmen konnte und durch nüchterne Überlegung der Wahrheit näher kam als ARISTOTELES mit seiner spekulativen Forderung, die ihn auf Irrwege führte. Der Eindruck der an sich berechtigten Polemik des PLINIUS wird auch dadurch bedeutend abgeschwächt, daß er die prinzipielle Wichtigkeit der Kiemen als Atmungsorgane der Fische nicht erkannt hat. Zwar sagt er im allgemeinen, daß die Fische Kiemen haben (lb. 9,69: piscium alii branchias multiplices habent, alıi simplices, alii duplices), aber er ist der Meinung, daß es auch Fische ohne Kiemen gibt, und nennt als solche lb. 9,73 murena (oudgauva Arist. = Muräne, Muraena helena L.), die, wie er sagt, weder Flossen!) noch Kiemen habe (aliis nullae (sc. pinnae), ut murenis, quibus nec branchiae). ARISTOTELES dagegen kennt die Kiemen von ouvgava sehr wohl und hat auch den abweichenden Bau ihrer Kiemenbogen beobachtet, da er hist. an. 2,54 sagt, ihre Kiemen seien nicht so deutlich gegliedert wie die der anderen Fische (oiov ouögaıva, ovdè tà Bodyyia dinodemueva duoicog toîg dior tx9vowv). Daß die Kiemenlosigkeit der Muräne bei Punius nicht etwa auf einer flüchtigen und ungenauen Übertragung der Parallel- stelle hist. an. 2,54, worauf eben PLinius lb. 9,73 zurückgeht, be- ruht, sondern daß es sich um eine bewußte Abweichung handelt, geht aus lb. 9,70 hervor, wo PLinius den Fisch adonis (= Exocoetus vgl. S. 83) gleichfalls als kiemenlos (sine branchiis) bezeichnet. Die Ansicht, daß die Muräne keine Kiemen habe, bildeten sich also die Römer entweder auf Grund eines aus der Beobachtung der allerdings sehr kleinen Kiemenöffnung gezogenen Schlusses oder sie hängt mit dem verbreiteten Volksglauben zusammen, 7) Da die Muräne weder Brust- noch Bauchflossen hat, ist diese Behauptung richtig; denn Plinius zählt wie Aristoteles nur die paarigen Flossen als solche. 278 Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. daß sich die Muräne mit Schlangen paare!). Da zudem geglaubt wurde, daß die Muräne auch auf dem Lande lebe (Arist. hist. an. 5,35; de part. IV cap. 13; Punus lb. 9,76: in sicca litora elapsas vulgus coitu serpentium impleri putat), konnte sich die Meinung, der schlangenähnliche Fisch habe wie die Schlangen selbst keine Kiemen, um so leichter festsetzen. Ebenso erklärt sich die An- sicht, daß ,adonis“ keine Kiemen habe, aus der Angabe, daß er auch auf dem Lande lebe. : In Ubereinstimmung mit seinen Zweifeln an der Richtigkeit der Ansicht des ARISTOTELES über die Atmung der Insekten steht PLINIUS auch dessen Angaben über die Hervorbringung von Tönen und Lauten bei Insekten skeptisch gegenüber. Die von ARISTOTELES über die Erzeugung von Tönen bei In- sekten vorgetragenen Ansichten (hist. an. 4,101 sqq.) zeugen von eingehenden Untersuchungen dieses subtilen Problems. ARISTOTELES weiß, daß die Töne mit verschiedenen Apparaten erzeugt werden, nämlich teils durch Reibung der Flügeldecken und Beine teils durch zusammengepreßte Luft. Für die erstere Art der Tonerzeugung führt er die Heu- schrecken (dxgides) an und sagt von ihnen, daß sie ihre Töne durch Reibung mit den Sprungbeinen hervorbringen (ai Ö’dxoideg tots rndaklois TolBovoaı ttorovoe TOY Wogor hist. an. 4,102). Daß es sich so verhält, ist heute allgemein bekannt und wir wissen, daß die Feldheuschrecken ihre Töne erzeugen, indem sie mit dem Ober- schenkel der Hinterbeine, an dessen Innenseite sich eine feine Zahnleiste (Schrilleiste) befindet, an den starken Randadern der Vorderflügel auf- und niederfahren und diese in Schwingungen versetzen. Anders beschaffen ist nach ArRIstoTELEs der Singapparat der Singzikaden (cétteyec). Diese haben (nach hist. an. 4,77 und 102) unter dem sogen. vrrößwua, worunter, wie aus hist. an. 5,133 her- vorgeht, ein Einschnitt zwischen Vorderleib (Metathorax) und Hinterleib (Abdomen) verstanden wird, eine eigene Haut (vum), mit deren Hilfe sie Töne von sich geben. Diese Beschreibung läßt keinen Zweifel, daß ArisroreLes den den Stridulantien eigen- tümlichen Singapparat gekannt hat. Allein er hebt ausdrücklich hervor, daß die den Ton erzeugende Luft nur im Innern sich befinde, nicht aber (als Exspirationsluft, wie es doch tatsächlich Vel genza ON Sa 502: — 126 — Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. 279 der Fall ist) austrete (hist. an. 4,102: wogel de t@ éow nvevuau, ov t@ Ivoate). Er steht eben ganz im Banne seiner Atmungs- theorie, nach der bei den Insekten kein Austausch zwischen innerer und äußerer Luft stattfinden soll. Während nun Punivs die über die Tonerzeugung der Heu- schrecken dargelegten Ansichten ohne ein Wort des Zweifels übernimmt (lb. 11,107), referiert er zwar auch die über den Sing- apparat der Singzikaden vorgetragenen Meinungen des ARISTOTELES (lb. 11, 266), überläßt jedoch die Verantwortung für deren Richtig- keit ausdrücklich dem ARISTOTELES, indem er die ganze Partie mit „Aristoteles putat“ einführt und sich nirgends dessen Ansicht zu eigen macht. Ja der Zusatz, credatur sane’ verrät deutlich genug, daß Prinius selbst die Richtigkeit der ArıstoteLischen Anschauung bezweifelte. Man würde Puinivs hier mit Recht Gedanken- und Kritiklosigkeit vorwerfen, wenn er nach seinen über die Atmungs- theorie geäußerten Zweifeln die Ansicht von der Tonerzeugung durch innere Luft einfach hinnähme. So wie er dort der An- sicht, daß die Insekten nur mit dem „ovupvrov rıweuua“ atmen sollen, skeptisch gegenübersteht, zweifelt er auch hier, ob die Töne der Zikaden wirklich nur mittels innerer Luft (interiore aura, non anima) und nicht vielmehr durch Exspirationsluft erzeugt werden. Puinius hatte nicht die Mittel, der Sache nachzugehen und die Ansicht des ARISTOTELES zu widerlegen, aber er hat den von ihm gegenüber der Atmungstheorie des ARISTOTELES ein- genommenen Standpunkt in konsequenter Weise auf das Problem der Tonerzeugung übertragen und damit ein Beispiel von kriti- scher Überlegung geliefert, die einen Forscher, der ja PLINIUS weder war noch sein wollte, zur Erkenntnis hätte führen können, daß im Singapparat der Zikaden tatsächlich Exspirationsluft aus den Stigmen austritt. Fortpflanzung. Dem Problem der Fortpflanzung brachte ARISTOTELES außer- ordentliches Interesse entgegen und widmete ihm eine spezielle Untersuchung, deren Ergebnisse er in einem eigenen Werke, ‚regt Iywv yevéceug ‘(de generatione animalium) niederlegte. Unter allen naturwissenschaftlichen Werken des ARISTOTELES ist diese Schrift von der Zeugung und Entwicklung der Tiere die geist- vollste. „Sie ist die erste wissenschaftliche Arbeit über die Ent- wicklung der Tiere, welche auf die wahre Quellenschrift der 280 Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. Physiologie, auf die Beobachtung, gegründet ist.“ Aber nicht bloß die Fülle der hier niedergelegten Beobachtungen, die größten- teils in späteren Jahrhunderten und zum Teil erst in neuester Zeit eine glänzende Bestätigung fanden!), macht den Wert dieser Schrift aus, sondern viel höher ist die Tatsache einzuschätzen, daß ARISTOTELES hier bereits Probleme stellt und mit staunenswerter (xeistesschärfe und Geschlossenheit erörtert, die noch heute die Wissenschaft lebhaft interessieren und zum Teil noch heute ihrer Lösung harren. Der Zweck meiner Arbeit verbietet es leider auf alle diese Fragen hier näher einzugehen, doch muß ich die Ansichten des ARISTOTELES über die Fortpflanzung wenigstens kurz wieder- geben, um sie in Vergleich mit denen des Puinius setzen zu können. i ARISTOTELES unterscheidet zunächst eine geschlechtliche Fortpflanzung durch Begattung, die auf der Vereinigung des männlichen und weiblichen Prinzips beruht, auf der Ver- einigung von differenzierten Keimstoffen, die ein Erzeugnis des Blutes, eine Ausscheidung (megirrwua), sind. Während er für die übrigen Tiere, deren geschlechtliche Fortpflanzung er erkannt hat, das Ei als den vom Weibchen gelieferten Keimstoff ansieht, hält er, da er vom Säugetierei natürlich nichts wußte, die Kata- menien für den weiblichen Zeugungsstoff der Säugetiere. Diese werden durch das vom Männchen kommende Prinzip (yovn) ver- anlaßt zu einem den Anfang des jungen Organismus bildenden Keime (xvyua) zusammenzutreten. Das männliche Prinzip aber hat nur eine formative Wirkung, es gibt nur den ersten An- stoß zur Entwicklung, trägt jedoch nichts Stoffliches dazu bei. Abgesehen davon, daß wir jetzt wissen, daß die Befruchtung durch das Eindringen des Spermatozoons in das Ei zustande kommt, sind wir in der Frage, welche Bedeutung das Spermato- zoon für die Entwicklung des Eies hat, trotz der intensiven Be- arbeitung des Befruchtungsproblems und trotz der glänzenden 1) Ich brauche bloß auf die de gen. 3,51 mitgeteilte Beobachtung einer Placenta beim glatten Hai (Mustelus levis) hinzuweisen, die erst 1840 von JOHANNES MÜLLER wieder entdeckt wurde. (J. MÜLLER, Uber den glatten Hai des Aristoteles. Abhand- lungen der Berliner Akademie 1840) oder auf die de gen. 3,78 und hist. an. 5,89 ausgesprochene und später von KoELLIKER (Entwickelungsgeschichte der Cephalopoden. Zürich 1843) bestätigte Tatsache, daß der Embryo von Sepia am Kopf mit der Dotterblase verbunden ist. i Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. 281 Ergebnisse dieser Untersuchungen im einzelnen noch zu keinem endgiltigen Resultat gekommen, sondern auch jetzt noch auf Vermutungen angewiesen, unter denen die Annahme die größte Wahrscheinlichkeit hat, daß es eine chemische Substanz ist, die durch das Spermatozoon in das Ei gelangt und den Anstoß zur Entwicklung gibt. Daß ARISTOTELES ferner hermaphroditische Fische kannte, ist bereits (S. 88) erwähnt, wo die in Betracht kommenden Serranus- Arten besprochen sind. Abgesehen von diesen Fischen zieht er eine Zwittrigkeit als möglich in Betracht bei den Bienen (de gen. 3,86), von deren Fortpflanzung gleich die Rede sein soll. Freilich meinten Ausert- Wimmer (de gen. Einleitung S. 2), man könne die von ARISTOTELES aufgeführten Tiere nicht hermaphroditisch in unserem Sinne nennen, „denn wir verstehen unter Hermaphrodit ein Wesen, welches beiderlei Geschlechtsteile gesondert in sich enthält und beiderlei Geschlechtsprodukte liefert, während ARISTOTELES es ganz besonders betont, daß die beiden Prinzipien nicht getrennt, sondern in Durchdringung verbunden seien“. Was zunächst diese Definition des Zwitters anlangt, so ist sie nach den neueren Untersuchungen nicht mehr haltbar; denn diese haben gezeigt, daß in den sogenannten Zwitterdrüsen sowohl Spermatozoen als auch Eier entstehen und zwar zeitlich getrennt oder aber gleich- zeitig nebeneinander. Es ist also nicht mehr angängig aus diesem Grunde zu behaupten, man könne die von ARISTOTELES über die Zwittrigkeit aufgestellten Ansichten mit den modernen nicht identifizieren. Anders freilich steht es mit der Anschauung des ARISTOTELES über die Art der Fortpflanzung der Zwitter. Er denkt sich diese, wie aus de gen. 1,55 hervorgeht, ausschließlichals eine Selbst- befruchtung, weicht also hierin von den Ergebnissen der neueren Forschung ab, welche auch für die Zwitter die Wechselbefruchtung als Regel nachgewiesen hat. Indes ist in einzelnen Fällen auch die Selbstbefruchtung beobachtet worden. Eine dritte Art der Fortpflanzung, nämlich die durch Knospung läßt sich nicht mit der Fortpflanzungsart, welche wir z. B. beim Süßwasserpolypen (Hydra) so nennen, identifizieren. Sie wird von ARISTOTELES (de gen. 3,109) für die uveg (Miesmuschel, Mytilus edulis) statuiert, welche sich in der Weise vermehren sollen, daß an den Seiten der Muscheln fortwährend kleinere an- wachsen (magaflacravav). Es ist klar, daß es sich hier um keine Zool. Annalen V. 19 ag 282 Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. Knospung handelt, sondern daß die Angabe auf einer irrtümlichen Schiußfolgerung aus der Beobachtung beruht, daß die Mies- muscheln oft zu Tausenden in den verschiedensten Entwicklungs- stadien dichtgedrängt an einem Pfahl ansitzen. Im übrigen nimmt ArisroreLes für alle Muscheln und 00700x0- degua überhaupt wie auch für einige Fische (z. B. den Aal) und Insekten die spontane Entstehung (Urzeugung) aus faulen- den erdigen oder feuchten Stoffen an. Zur Ansicht von der Ur- zeugung, um welche ja noch im 19. Jahrhundert heftig gestritten wurde und die heute wieder, wenn auch in anderem Sinne, ein logisches Postulat der Deszendenzlehre geworden ist, kam ARISTOTELES deshalb, weil er bei gewissen Tieren, deren Befruchtungs- und Fortpflanzungsverhältnisse sich nur mikroskopisch beobachten lassen, keine Geschlechtsprodukte fand und daraus den Schluß zog, daß solche nicht vorhanden seien. Ferner folgerte er aus der Beobachtung, daß sich in vorher ausgetrockneten Teichen nach längerem Regen oft plötzlich eine reiche Lebewelt entfaltete, daß deren Entstehung „spontan“ sein müsse. Einmal von dieser Überzeugung durchdrungen konnte er sie sogar auf Fische an- wenden, da er beim Aal, dessen Fortpflanzung in den Tiefen des Meeres erst in jüngster Zeit erforscht wurde, niemals Geschlechts- produkte fand (hist. an. 6.95). Daß er freilich an seiner vor- gefaßten Meinung auch hinsichtlich der Meerschnecken festhielt, obwohl er deren Laich sah und beschrieb (de gen. 3, 109), zeigt deutlich genug, wie selbst so große Geister durch das zähe Fest- halten am , Dogma“ sich den Weg zur Erkenntnis verlegen können. Die hier kurz dargelegten Ansichten über die Fortpflanzung kehren im allgemeinen bei Pinus wieder, der ja lb. 10, 171—189 einen eigenen Abschnitt ‚de generatione‘ eingefügt hat, in dem freilich nur einzelne Fragen und auch diese zumeist nur in äußer- licher Weise behandelt sind. Die geschlechtliche Fortpflanzung legt PLinivs lb. 9,157 sqq. an den Fischen dar und betont hier, daß die vom Weibchen abgelegten Eier durch das ,vitale virus‘ (die Samenflüssigkeit) des Männchens befruchtet werden müssen, um entwicklungsfähig zu sein. Neben dieser richtigen Anschauung teilt er mit ARISTOTELES die irrtümliche Meinung, daß das bei manchen Fischen zur Laich- zeit zu beobachtende „Liebesspiel“ ein Coitus sei, der ,attritu ventrium‘ stattfinde, doch hat er die unrichtige Annahme des —— I 30 = Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. 283 ARISTOTELES (hist. an. 6,74), daß sich die Eier im Weibchen erst infolge der „Begattung“ bilden sollen !), nicht übernommen. Von dem Wesen der hermaphroditischen Fische hat er wohl keine Vorstellung gehabt. Zwar erwähnt auch er die oben (S. 88 und S. 129) näher besprochenen Fische channa und erythinus und sagt (lb. 9,56) von ihnen, sie seien nur weiblich, und (lb. 9,166) im gleichen Sinne: erythini et channae volvas habere traduntur; auch teilt er vom trochos mit, daß er sich selbst begatten soll (vgl. S. 88 f.), doch lassen diese Bemerkungen nicht das Urteil zu, daß Puintus die Bedeutung dieser Erscheinung erkannt habe. Auch die Begattung der Cephalopoden findet Erwähnung (lb. 9,158), wobei es auffällt, daß Prinius die Funktion des „Hectocotylus‘ viel bestimmter behauptet als ARISTOTELES, wenn- gleich er den Vorgang selbst in unklarer Weise mit den Worten schildert: polypi crine uno feminae naribus (!) adnexo. Daß mit ,crinis unus‘ der zum „Hectocotylus“ umgebildete Tentakel ge- meint ist, kann nicht zweifelhaft sein. Daß ihn ARISTOTELES kannte, ist sicher, doch war er sich nicht vollständig darüber klar, ob er bei der Begattung wirklich eine Rolle spiele; denn während er hist. an. 5,40 diese Beobachtung skeptisch als Meinung der Fischer einführt, stellt er sie hist. an. 4,5 als Tatsache hin, aber de gen. 1,29 weist er die Ansicht, daß ein Arm zum Zwecke der Begattung in den Trichter eingesenkt werde, als „Fischerglauben“ zurück, widerspricht sich also selbst. Es wäre indes sehr voreilig aus der Punius-Stelle den Schluß ziehen zu wollen, Puinius habe über den ,,Hectocotylus“ eine be- stimmtere Ansicht gehabt als ArisroreLEs. Hingegen liegt der Schluß nahe, daß PLINIUS die Stelle aus de generatione nicht ge- kannt hat, so daß ihm überhaupt keine Zweifel kamen. Neu gegenüber ARISTOTELES ist die Darstellung der Entwick- lung der Kaulquappe lb. 9, 159, wo PLinıus mitteilt, daß an den winzigen Fleischklümpchen, die man gyrini (Kaulquappen) nenne, zuerst nur die Augen und der Schwanz zu sehen seien; dann bildeten sich durch Abspaltung aus dem Schwanze die Hinterbeine (pariunt minimas carnes nigras, quas gyrinos vocant, oculis tantum et cauda insignes, mox pedes figurantur cauda findente se in posteri- ores). Daß ArıstoteLes die Kaulquappen kannte, zeigt hist. ') ARISTOTELES sagt übrigens (hist. an. 6,74) auch, daß es Fische gebe, die Eier haben, ohne daß eine „Begattung‘‘ stattgefunden habe (dvev Ôyelas). i 195 — IQ = | 284 Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. an. 6, 79, wo er bei der Beschreibung der Embryonalentwicklung der Fische sagt, sie seien in einem gewissen Stadium ,yvoiv®detg d. h. kaulquappenahnlich. Allein eine Beschreibung der Kaul- quappen selbst finden wir bei ihm nicht. Merkwürdig ist es, daß sich Prius über die Fortpflanzung der Säugetiere nirgends äußert, obwohl er über Trächtigkeits- dauer, Zahl der Jungen, Begattungsstellungen usw. eine Menge Notizen bringt. Anscheinend hielt er es für unnötig, über eine so „selbstverständliche“ Sache zu sprechen. Nur aus lb. 7, 66 geht hervor, daß er wenigstens für den Menschen die gleiche Ansicht hatte wie ARISTOTELES und in den Katamenien die ,materia ge- nerando homini’ sah, welche durch das vom Manne kommende Zeugungsprinzip (germen) wie die Milch durch Lab gerinne und so den Anfang des Körpers bilde. Anders steht es mit dem Problem der Bienenfortpflanzung, das PLINIUS sehr interessierte und das er darum sehr eingehend lb. 11, 46 sqq. behandelt. Da er hierbei mehrfach von den An- sichten des ArısToTELEs abweicht, muß ich dessen Untersuchungen kurz darlegen. Die Schwierigkeit, das Problem zu lösen, lag zunächst in der Auffassung der drei Kasten des Bienenstaates — Königin, Ar- beitsbienen, Drohnen — sowie darin, daß man bei den Bienen keine Begattung beobachtete. An Interesse fehlte es nicht. Denn Puinius teilt mit (Ib. 11, 19), daß sich ArıstomacHus!) von Soli 58 Jahre lang mit nichts anderem als den Bienen beschäftigte, und nach lb. 11,49 ließ ein römischer Konsular auf seinem Landgute eigene Bienenkörbe aus durchsichtigem Material anfertigen, um die Ent- wicklung der Bienen beobachten zu können. So sah man zwar, daß sich die Bienen aus Larven (vermiculi) entwickeln, und man wußte, daß in jedem Bienenstocke dreierlei Formen?) von Bienen vorkommen, die sich durch ihre Größe unterschieden. Ferner war bekannt, daß eine Kaste keinen Stachel hatte und nichts arbeitete (die Drohnen: fuci, sirenes, (serenes Mayh.) ce- 1) Auf ArrsromacHus als Quelle des Hycın, dessen ,,liber de apibus“, in dem wiederum ARISTOTELES stark benützt war, eine Hauptquelle des PLinius bildete, hat hingewiesen: Herm. STADLER, Die Quellen des Plinius im 19. Buche. Prgr. Neuburg a. Donau. 1891, S. 7. 2) Nach Plin. Ib. 11,47 wäre auch ,oestrus‘ ein Mitglied des Bienenstaates, doch handelt es sich hier wohl um Raubbienen, die von manchen Beobachtern angetroffen wurden, wie sie zufällig im Bienenstocke waren. Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. 285 phenes; ARISTOTELES #7q#v) und daß ein Individuum durch seine Größe und bevorzugte Stellung zu den übrigen Bienen besonders ausgezeichnet sei. Allein man befand sich in dem fundamentalen Irrtum, daß dieses ausgezeichnete Individuum (die Königin) ein Männchen (rex, faovdedc), der „König“ eines nach Tausenden von Weibchen zählenden Volkes sei. Wurde aber die „Königin“ als Männchen aufgefaßt, während die Arbeiterinnen die frucht- baren Weibchen und Mütter sein sollten, welche Aufgabe hatten dann die Drohnen? Angesichts dieser Verwirrung des Problems darf es nicht wundernehmen, wenn man in der Urzeugung den Ausweg aus dem Dilemma erblickte. Nach Puinius lb. 11, 46 war denn auch die herrschende Meinung, daß die Bienen spontan in den Blüten der Pflanzen entstünden und von den ausfliegenden Arbeiterinnen, die diese Blüten besuchten, in den Stock getragen und dort aufgezogen würden. Auch Prinıvs neigt dieser Ansicht zu, wie er denn überhaupt in die Richtigkeit der Aristotelischen Ansicht von der Urzeugung nicht den geringsten Zweifel setzt. Aber gerade bei den Bienen nimmt ARISTOTELES keine Ur- zeugungan. Zwar fehlte es auch ihm an Beobachtungen, um das Problem zu lösen, aber die Theorie, zu welcher er infolge der scharfsinnigen Durcharbeitung der verschiedenen Ansichten und Beobachtungen kommt (de gen. 3, 86—101), erhebt sich weit über die Ansichten, welche zu Puimus’ Zeit galten. Denn wenn Arı- STOTELES zu dem Schlusse kommt, daß die Weisel (ryeuûdves, Baoıkeis) Weibchen sein könnten, welche die Mütter sowohl der jungen Königinnen als auch der Arbeiterinnen sind, während die Drohnen die Nachkommen dieser Arbeiterinnen seien (de gen. 3, 96), so sehen wir, daß der freilich nur durch scharfsinnige Spekulation erschlossene Satz in seinem ersten Teil dem wahren Sachver- halt durchaus entspricht. Die zweite Annahme, daß die Ar- beiterinnen die Mütter der Drohnen seien, müssen wir freilich dahin abändern, daß auch die Drohnen „Kinder“ der Königin sind, nicht, wie ARISTOTELES meinte, ihre „Enkel“. Doch ist nicht zu vergessen, daß in weisellosen Stöcken die Arbeiterinnen tat- sächlich Drohnenbrut erzeugen können und so wirklich die Mütter der Drohnen werden (fakultative Parthenogenesis). Von den Drohnen glaubte ARISTOTELES, daß sie zeugungsun- fähig sind, erkannte inihnen also nicht die die Königin befruch- tenden Männchen. Da er der Ansicht war, daß sich nicht nur 286 Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. die Arbeiterinnen, sondern auch die Königin ohne Begattung, also parthenogenetisch fortpflanzen, brauchte er auch für die Be- deutung der Drohnen keine weitere Erklärung. Diese Theorie des ARISTOTELES, welche abgesehen von der Auffassung der Drohnen dem erst von Swammerdam und Reaumur klargestellten Sachverhalt durchaus entspricht, war zur Zeit des Punius völlig vergessen und man hielt trotz des Interesses für die Frage wieder an der schon von ARISTOTELES (de gen. 4, 58) als „ungereimt‘“ (&zorıog) bezeichneten Ansicht fest, daß die Bienen ihre Brut aus den Blüten einholen. Schon. oben wurde erwähnt, daß die Aristotelische Ansicht von der ,Urzeugung bei PLinius keinem Zweifel begegnet. Er berichtet wie ARISTOTELES (hist. an..5, 68), daß die Muscheln: ‚mitulus’ und ,pecten’') spontan entstehen (sponte naturae in harenosis proveniunt lb. 9, 160). Ebenso übernimmter die Angaben über spontane Entstehung der Purpurschnecken, der Stechmücken (culices) und des Aales, von dem er (nach ARISTOTELES hist. an. 4, 122 und 6, 95) sagt, daß es bei ihm kein männliches und weib- liches Geschlecht gebe, sondern daß er spontan entstehe (Ib. 10, 189 vgl. oben S. 130). Nur einmal (lb. 9, 161) findet sich für anguilla’, worunter sonst stets der Aal verstanden ist, die von ARISTOTELES abweichende Angabe, daß sie sich an Steinen reiben und dabei eine Flüssigkeit absondern, aus der die Nachkommen- schaft entsteht. Da es sich hierbei unmöglich um eine wirkliche Beobachtung der Fortpflanzung des Aales handeln kann, die ja in den Tiefen des Meeres erfolgt; so bleibt wohl nur die Annahme übrig, daß hier unter anguilla ein anderer Fisch als der Aal zu verstehen ist oder daß die an einem anderen Fische gemachte Beobachtung irrtümlich auf den Aal übertragen wurde. Anders steht es mit einer Beobachtung an Austern. Während ARISTOTELES für alle Muscheln außer den uvdeg (Miesmuscheln) spontane Entstehung annahm, führt Punius (lb. 9, 161) neben der aus ARISTOTELES (hist. an. 5,68) übernommenen Ansicht, daß 1) Mitulus gehört nach Ib. 32,98 zum ,,genus myacum“ und ist jedenfalls eine Miesmuschel wie die gleichfalls dort genannte myisca; auch myax (wahrscheinlich synonym mit mys) bedeutet Vertreter der Gattung Mytilus. Zumeist ist wohl Mytilus edulis gemeint, die bei ARISTOTELES wög heißt, doch ist nicht zu entscheiden, welcher von den drei bezw. vier Namen bei Prinius auf MW. edulis zu ziehen ist, wenn die Vertreter. der Gattung überhaupt unterschieden wurden. — ,,pecten“ (Aristoteles nteis) bedeutet Kammuscheln, zumeist Pecten jacobaeus (vgl. S. 107). Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. 287 die Austern aus faulendem Schlamm und schmutzigem Schaum, wie er um länger an einer Stelle liegende Schiffe sich ansammelt, entstehen, als eine in Austernteichen gemachte neue Beobachtung an, daß die Austern eine milchige Fortpflanzungsflüssigkeit ab- sondern (nuper conpertum in ostreariis umorem iis fetificum lactis modo effluere). Ohne Zweifel hatte man hier die Sekretion der Samenflüssigkeit gesehen, freilich ohne daß man sich bewußt wurde, welche Bedeutung diese Beobachtung als Argument gegen die Ansicht von der spontanen Entstehung hätte gewinnen können. Bastarde. Ein altes Problem, das auch heute noch nicht völlig geklärt ist, ist die Bastardierung und insbesondere die Fruchtbar- keit der Bastarde. Daß es schon in früher Zeit großes Inter- esse erregte, sieht man aus den Erörterungen des ARISTOTELES, de gen. 2, 125 sqq., wo er zu den Gründen, welche EMPEDOCLES und Democritus zur Erklärung der Sterilitàt der Bastarde Pferd x Esel vorbrachten, Stellung nimmt. ARISTOTELES erwähnt (hist. an. 8, 167 und de gen. 2, 118) Kreuzungen von Hund, Wolf und Fuchs und zwar besonders Bastarde Wolf x Hund und Fuchs x Hund. Bastarde von Hund und Wölfin sind mehrfach auch in neuerer Zeit gezogen worden, waren fruchtbar und zeugten zusammen wieder Junge’). Ebenso kennt man durch vier Gene- rationen fruchtbare Bastarde vom Hund (der ja wahrscheinlich _Schakalblut hat) und Schakal, der vielleicht unter dem ‚Indischen Hunde“ zu verstehen ist, den ARISTOTELES als xdwv "Ivdındg (hist. an. 8, 167 und de gen. 2, 118) erwähnt?), während er ihn sonst als Sg bezeichnet). Als Bedingung für die Möglichkeit einer Kreuzung stellt ARISTOTELES (hist. an. 8, 166 und de gen. 2, 118) den Satz auf, daß die Tiere an Größe einander ziemlich gleich sein und eine gleiche 1) Vgl. AuBERT-WIMMER, Hist. anim. II. S. 197. Für die moderne Problemstel- lung der Bastardierungsfrage kommen diese Fälle freilich nicht in Betracht, weil unser Haushund nicht als reine Art gilt. *) Nach der ersten Stelle sollte es freilich eine Kreuzung ziygıg X udwv sein, woran indes ARISTOTELES, wie die Einführung mit paol tives zeigt, nicht glaubte; auch Prinıvs (lb. 8, 148) überläßt die Verantwortung für diese Angabe den ,,Indern“ (e tigribus eos (sc. canes) Indi volunt concipi). 3) Zur Deutung dws (= thos Plinius) als Schakal vgl. O. KeLLER, Tiere des klass. Altertums S. 187. 288 Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. Trächtigkeitsdauer haben müßten. Besonders häufig seien Kreu- zungen in Afrika, wo an den infolge der Regenarmut spärlichen Wasserstellen sehr viele verschiedenartige Tiere zusammenkämen und so Gelegenheit zur Paarung finden. Nach AristoTELESs (de gen. 2, 119) soll sogar das griechische Sprichwort „dei Außön péoer tt naıvov,“ das PLinıus (lb. 8, 42) in der gleichen Beziehung wieder- gibt (semper aliquid novi Africam adferre), geradezu in der Häufig- — keit solcher Kreuzungen seinen Ursprung haben. Der von ARISTOTELES angeführte Grund für die Häufigkeit von Kreuzungen in Afrika hat gewiß seine Berechtigung, doch wird das Sprich- wort schwerlich nur auf neue, durch Bastardierung entstan- dene Tierformen, sondern auf die sehr reiche Tierwelt Afrikas, die den Griechen nach und nach bekannt wurde und immer wieder Neues bot, zu beziehen sein. _ Während jedoch ArisroreLEs ganz allgemein von den durch die Wasserplatze begünstigten Kreuzungserscheinungen spricht, führt Pzmus (lb. 8, 42 sq.) einen Bastard leo x pardus!) (Löwe X Leopard) an, der durch das Zusammenkommen dieser Tiere an den Wasserstellen entstehen soll. Es ist möglich, daß Primus nur eine Bemerkung des Anrı- STOTELES (hist. an. 8, 165) über das Vorkommen des Löwen und Panthers irrtümlich in diesen Zusammenhang gezogen hat, doch kann es sich auch um die Beobachtung einer wirklichen Kreuzung handeln, die ja gerade bei Raubtieren nicht selten und z. B. für Löwe X Tiger in neuerer Zeit öfters beobachtet ist; sie wurde sogar im Stellinger Tierpark mit Erfolg vollzogen. Eine sichere Beobachtung bietet Puinius (lb. 8,173) für die Bastarde Pferd X Esel und ihre Fruchtbarkeit: est in annalibus nostris peperisse saepe (mulas), verum prodigii loco habitum. Mit dieser Angabe setzt sich PLinius in Widerspruch zu ARısTo- TELES, der der Ansicht war, daß die Bastarde Pferd X Esel, die er ohne erkennbaren Unterschied bald ogeög bald Nuiovog nennt?), !) Nach Prinıus lb. 8,63 wäre pardus das Männchen zu panthera, doch deuten andere Stellen darauf hin, daß mit den beiden Namen verschiedene Arten gemeint sind, die sich jedoch so wenig genau scheiden lassen wie waé@dadig und mdévdne des ARISTOTELES; vgl. AUBERT-WIMMER II. S. 494. ?) Vgl. AUBERT-WIMMER, Hist. an. I. S. 68. Auch bei Plinius (z. B. lb. 8,171) bedeutet mula und mulus sowohl den Bastard asina X equus (Maulesel) als auch den Bastard asinus X equa (Maultier). Es ist also aus der Bezeichnung mula bezw. mulus über die Art der Bastardierung nichts zu entnehmen, doch steht wenigstens fest, daß PLinius Maulesel und Maultiere kannte, während AuUBERT-WIMMER (Arist. de gen. en 136 = Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. 289 sowohl untereinander als auch in Rückkreuzung mit Pferd oder Esel unfruchtbar seien (de gen. 2,120: of 0° ogelg ayovor udvor THY vot- obzwv' ovte yao EE aAAhAwv ove alloıg ur/vbusvor yevvbow; ibid. 121: TOTO tO yEvog Olov Ayovov Eotıw TO THY Nuudvwv, ebenso ibid. 125). Diesen Standpunkt von der absoluten Unfruchtbarkeit der Bastarde Pferd X Esel hält jedoch ArisroreLEs nicht aufrecht, da er (de gen. 2, 139) zugibt, daß das männliche Maultier (bezw. Maul- esel) zeugungsfähig ist und einen sogen. yivvog erzeugt, der ein verkrüppelter fuiovos ist. Ebenso heißt es hist. an. 6, 163 vom ogevs, daß er eine Pferdestute belegen kann und daß diese einen yivvos wirft; yivvog ist also ein Bastard von fuiovos (deeds) X equa, also der gleiche durch Rückkreuzung entstandene Bastard, den Puinius (lb. 8, 74) als ginnus (= mulus X equa) anführt. Allein für den weiblichen #uiovos bzw. ogeës gibt ARI- STOTELES nur zu, daß eine Befruchtung zwar eintreten kann, doch ist es nach seiner Erfahrung (de gen. 2, 138 und hist. an 6, 163) weder beobachtet noch möglich, daß die Frucht ausgetragen wird. Gerade um diesen Fall aber handelt es sich bei Pzinius, der gestützt auf die Mitteilungen der Annalen der Ansicht des ARISTOTELES von der Sterilität dieser Bastarde widerspricht und das freilich seltene Vorkommen von fruchtbaren Maultierstuten (oder Mauleselinnen!) feststellt. Die neueren Beobachtungen geben nun Prinıus recht, da eine Menge von Fällen aus neuerer Zeit bekannt ist, daß Mauleselinnen und Maultierstuten von Pferden gedeckt Füllen geworfen haben. S. 26) für ARISTOTELES sogar zur Annahme neigen, daß er nur den Maulesel oder nur das Maultier gekannt habe und daß damals in Griechenland nur die eine Form gezüchtet worden sei, wie ja auch jetzt in verschiedenen Ländern immer nur die eine oder die andere Sorte getroffen wird. Diese Annahme erhält zwar eine Stütze durch die Bemerkung HeLpREICHS in seiner Fauna von Griechenland ,,Maultier, Equus mulus, vulgar wuovAdgi, Aristoteles uiovos; Maulesel kommt fast nicht vor", allein ab- gesehen davon, daß die beiden Namen öoeds und uiovos auf zwei verschiedene Arten von Bastarden hinweisen, spricht ARISTOTELES de gen. 2,128 ausdrücklich von der Bastardierung Pferd X Esel in ,,beiderlei Formen‘, ARISTOTELES kannte also gewiß beide Bastarde, nur läßt sich nicht entscheiden, welche Kreuzung mit 60e%6, welche mit #uéovoc gemeint ist. Übrigens unterschieden die Römer, wie Plinius lb. 8,172 mitteilt, vor dessen Zeit (antiqui vocabant) die Bastarde genau und bezeich- neten den Mauleselhengst der Kreuzung equus X asina als hinnulus, den Bastard asinus X equa als mulus. !) Da mula beides bedeutet, läßt sich Genaueres nicht feststellen, auch fehlen Angaben über den Beschäler, der ein Maultier- oder Mauleselhengst, ein Pferd- oder Eselhengst gewesen sein kann. 290 Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. Dagegen ist man in der Frage der Fruchtbarkeit der Bastarde Pferd X Esel untereinander sowie der Säugerbastarde über- haupt auch heute noch zu keinem gesicherten Ergebnis gekommen, Die Hengste vom Maultier und Maulesel aber scheinen tatsäch- lich unfruchtbar zu sein, da die Beobachtung gemacht wurde, daß in ihrem Ejaculat die Spermatozoen fehlen oder nur in unausgebildetem und deformiertem Zustande vorhanden sind. Tiergeographie. Das Interesse des ARISTOTELES an der Tierwelt erstreckte sich nicht bloß auf die Anatomie und Physiologie, sondern auch die Beobachtungen charakteristischer Lebensäußerungen nehmen in seinen Schriften einen großen Raum ein. Bei der Sammlung solcher Beobachtungen konnte es ihm nicht entgehen, daß die Verteilung der Tierarten in dem ihm bekannten Faunenbezirk keine gleichartige ist, und so führte ihn das einmal in dieser Richtung angeregte Interesse, dazu der Verbreitung der Tiere und den Gründen für diese bei den einzelnen Arten wechselnde Ver- breitung nachzugehen. Wir finden also bereits hier die Anfänge des Teilgebietes der Zoologie, das in neuerer Zeit zu einer eigenen Disziplin ausgebaut wurde, nämlich der Tiergeographie. In zusammenhängender Abhandlung legt ARISTOTELES (hist. an. 8, 156 sqq.) seine über das Vorkommen und Fehlen verschie- dener Tierformen in verschiedenen Gegenden gesammelten Be- obachtungen dar und gibt hier zwei für die Tierverbreitung und Ausbildung der Formen wesentliche Faktoren an, nämlich die Nahrungsverhältnisse (Too) und das Klima (xg@ois). So weist er z. B. darauf hin, daß der Maulwurf (dorsdAa&!)) um Orchomenos !) Es ist jetzt sicher festzustellen, daß dord/a& bei ARISTOTELES nicht unser Maulwurf, 7alpa europaea L., sondern 7a/fa caeca Savi ist; denn nur auf letzteren paßt die von ARISTOTELES (hist. an. 1,43 und 4,80) gegebene Beschreibung, daß aondAag keine äußerlich sichtbaren Augen habe, sondern daß seine Augen mit einer Haut überzogen seien. Man hielt diese Angabe, da man sie irrtümlich auf Za/pa europaea bezog, für unrichtig, seit aber Savi (Memorie sopra le Talpa. Pisa 1822) die Entdeckung gemacht hat, daß der in Italien gewöhnlich vorkommende Maulwurf eine andere Art ist als unser Maulwurf, bei der tatsächlich, wie es ARISTOTELES be- schreibt, die Lider geschlossen sind und nur eine mikroskopisch kleine Öffnung haben, vermutete man, daß der von ARISTOTELES beschriebene dona/uE eben Talpa caeca sei. Zur Gewißheit ist diese Vermutung geworden, seit HELDREICH in seiner Griechischen Fauna festgestellt hat, daß 7a/pa europaea in Griechenland überhaupt nicht vorkommt, während 7. caeca (vulgar tupAomdvtinos) häufig ist. = 138 A > Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. 291 sehr häufig sei, dagegen in der Gegend des benachbarten Lebadia fehle, ferner daß sich die Hasen auf Ithaka nicht einbürgern lassen, sondern, wenn sie dort ausgesetzt wurden, tot an der Küste gefunden würden, von der aus sie ans Land gebracht worden waren,!) daß es in Afrika (fin) keine Hirsche gebe und daß manche Tiere der gleichen Art in Ägypten größer seien als in Griechenland, z. B. Rinder und Schafe, manche wiederum kleiner wie Hunde, Wölfe, Hasen, Füchse, Raben und Habichte. Daß solche Beobachtungen nicht durchweg von ARISTOTELES selbststammen, sondern ihm teils durch mündliche Berichte teils wohl auch aus literarischen Quellen zugekommen sind, ist klar und so sind sie ein wertvoller Beweis dafür, daß man auch in weiteren Kreisen die Tierwelt aufmerksam beobachtete und diese Be- obachtungen sammelte. Es wird damals nicht viel anders ge- wesen sein wie heute, wo zu tiergeographischen Feststellungen (z. B. die Erforschung der Zugvogelwanderung) gerade die Mit- arbeit des interessierten Laien sehr viel beiträgt. Aber auch in der Zeit des Verfalles der Zoologie als Wissenschaft scheinen solche Beobachtungen fortgesetzt und gesammelt worden zu sein. Denn Punus bietet für die Tiergeographie eine Reihe guter Angaben, die sich bei ARISTOTELES nicht finden. Daß sich je nach der Zuverlässigkeit des Beobachters hier wie dort aben- teuerliche Übertreibungen und Ungenauigkeiten beimischen, kann nicht auffällig sein. 1) Man könnte versucht sein, diese Erscheinung aus der von ERHARD (Fauna der Cykladen S. 22) mitgeteilten und von HELDREICH bestätigten Beobachtung zu erklären, wonach jetzt Hase und Kaninchen auf verschiedenen Inseln und in verschiedenen Teilen der gleichen Insel einander völlig ausschließen; so gibt es im nördlichen An- dros, auf Keos, Melos, Syros, Tenos, Paros und Naxos nur Hasen, im südlichen Andros, ferner auf Kythnos, Delos, Seriphos, Kymolos u. a. nur Kaninchen. Dabei wäre freilich Voraussetzung, daß das aus Spanien über die Mittelmeerländer verbreitete Kaninchen bereits zu ARISTOTELES’ Zeit jene Inseln erreicht hätte. Allein es ist nicht nachzuweisen, daß AristoreLEs das Kaninchen gekannt hat; denn Aayws und daov- z0vs sind synonym und letzteres ein Vulgärname (,„Rauhfuß‘‘) für Aayos (vgl. AUBERT-WIMMER, hist. an. II. Nachtrag von SEILER S. 493). Der Name xövınlos (nach dem lateinischen cuniculus gebildet) findet sich erst im 2. Jahrhundert v. Chr. bei Porysıus, der (lb. 12, 3, 10 ed. Dindorf) das Kaninchen als auf Korsika (Kdvoevos) vorkommend erwähnt. Da kein griechischer Schriftsteller vor dieser Zeit das Kanin- chen nennt, darf der Schluß gezogen werden, daß es den Griechen der älteren Zeit unbekannt war und in Griechenland noch nicht vorkam, so daß sich die von ARr- STOTELES mitgeteilte Beobachtung aus einer Konkurrenz des Hasen mit dem Kaninchen nicht erklären läßt. 292 Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. Am Ende des 8. Buches (225—229) hat Pıinıus den aus ARISTOTELES entnommenen sechs Beispielen für die Verschiedenheit der Tierverbreitung noch elf weitere anzufügen vermocht. Der Siebenschläfer (glis = ¢deudg ArisroreLes = Myoxus glis), sagt Prints, findet sich ‚in silva Mesia Italiae’ (der bewaldete Hügel- strich am rechten Tiberufer, südwestlich von Veji), aber nur in einem bestimmten Teile dieses Waldgebietes. In Lycien über- schreiten die Gazellen (dorcas = doguds ARISTOTELES = Antilope dorcas; nach Keller ist 000x203 — captea — Reh, Cervus capreolus) bestimmte Höhenzüge nicht (montes Sexis vicinos), ebenso gehen die Wildesel (onager = 6vog &yo10g ARISTOTELES, wahrscheinlich Kulan oder Dziggetai) nicht über die Gebirgs- schwelle zwischen Kappadokien und Kilikien, also den Taurus. Auch die Hirsche in den Gegenden am Hellespont haben be- stimmt abgegrenzte Wohngebiete. Der eben mitgeteilten Angabe über das Verhalten der Hasen auf Ithaka fügt Pıinıus als Gegen- stück hinzu, daß sich auf der Pityuseninsel Ebusus das Kaninchen nicht einbürgern lasse, während es im benachbarten Spanien und auf den Balearen außerordentlich häufig sei. Die Frösche (die Art läßt sich nicht feststellen) sollen in gewissen Gegenden quaken, in anderen nicht; in der Kyrenaika gab es, wie Arı- STOTELES mitteilt, früher nur „stumme“ Frösche, PLinivs fügt (aus THeoPHRAsT vgl. lb. 10, 79) hinzu, daß trotz Einführung quakender Frösche in der Kyrenaika sich auch die „stummen“ weiterhin erhalten haben und führt als neuere Beobachtung an, daß es auf der Kykladeninsel Seriphus noch jetzt „stumme“ Frösche gebe; wenn man sie aber anderswohin verpflanze, so quakten sie. Er ist also der Ansicht, daß es vom Aufenthaltsorte abhängt, ob die Frösche quaken oder nicht. Für die Spitzmäuse (mus araneus oder sorex (saurex Mayh.) = wvyakn ARISTOTELES, Sorex-Arten!) die auch Punivs für giftig hielt,*) wird angegeben, daß sie in Italien über den Apennin. 1) Nach KeLLER, Die antike Tierwelt S. 15 kommen in Betracht die Hausspitz- maus, Crocidura aranea, die Wimperspitzmaus, Crocidura suaveolens, und die Wald- spitzmaus, Sorex vulgaris. ?) Wenn die Identifizierung sorex = wvyaAn feststeht, und das scheint nach der klaren Angabe des Corumerra (VI 17,1: Mus araneus, quem Graeci uvye47v appellant) nicht bezweifelt werden "zu können, so ist die Bemerkung KeLLERs (a. O. S. 16), daß die Spitzmaus erst seit der alexandrinischen Epoche (Nikander) für giftig galt, un- richtig, da schon ARISTOTELES h. a. 8,147 sagt, daß durch den gefährlichen Biß der uvyaÂÿ Beulen entstehen. Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. 293 hinaus nicht vorkommen. Der Wolf soll auf dem Olymp!) und auf Kreta fehlen; Kreta habe überhaupt nur ein ‚animal male- ficum’ nämlich ‚phalangium’ (wahrscheinlich Vertreter der Wolf- spinnen, Lycosidae, s. S. 102) und es gebe dort weder Füchse noch Bären. Andere Tiere wie Hirsch, Wildschwein, Igel und der attagen (= «rrayıjv ARISTOTELES) genannte Vogel, der als Haselhuhn (Bonasa silvestris Brehm) oder Frankolin (Fran- colinus vulgaris Steph.) gedeutet wird, kommen zwar auf Kreta vor, aber nur in der Gegend von Cydonea (jetzt Canea), also an der Nordwestküste. Einige andere Angaben betreffen Afrika. Daß dort Wild- schweine und Hirsche fehlen, wiederholt PLINIUs nach A RISTOTELES (hist. an. 8, 158), der seine Notiz wiederum dem Heropor (IV 192) entnommen hatte. Dieser Zusammenhang ist eines der vielen Beispiele, die zeigen, mit welcher Zähigkeit sich solche Angaben durch die Jahrhunderte fortsetzen, bis „Vernunft Unsinn wird“. Denn da Heropot und ARISTOTELES unter 4807, wie die Griechen Afrika nannten, ein ganz anderes, viel engeres Gebiet verstanden als Prinius unter , Africa’, mußten durch die Herübernahme dieser Notiz Schiefheiten und Verquickungen von Falschem und Wahrem entstehen. Wie ein Blick auf eine moderne tiergeographische Karte zeigt, verlaufen die Grenzlinien für das Vorkommen von Hirsch (gemeint ist Cervus elaphus L.) und Wildschwein im nördlichen Afrika so, daß beide Tierformen im nordöstlichen Teile, also im Niltale und den angrenzenden Gebieten bis nach Tripolis, eben in der als Gdn bezeichneten Gegend, tatsächlich fehlen, so daß die Nachrichten der beiden griechischen Autoren richtig sind. In „Africa“ aber sind beide Tiere doch vorhanden, nämlich im nordwestlichen Teile (Marokko und Algerien?)), was zwar HERODOT und ARIsTOTELES nicht wissen konnten, während es für PLinius leicht gewesen wäre die tatsächlichen Verhältnisse in Erfahrung zu bringen. Einem solchen zähen Festhalten an lite- rarischen Nachrichten scheint mir auch seine zweimal (lb. 8, 131 und 228) aufgestellte Behauptung zu entspringen, daß es in Afrika keine Bären gebe. Offenbar hat Puiniuvs diese Angabe 1) Für diese Angabe ist, wie aus AELrAN III 32 hervorgeht, THEOPHRAST die Quelle. 2) Unrichtig ist es, wenn Kerrer, Tiere des klass. Altertums S. 365 sagt, ARISTOTELES leugne das Vorkommen des Hirsches in Numidien; denn ARISTOTELES spricht nur von 87. 294 Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. bei einem ihm sehr glaubwürdig scheinenden Autor (aus ARISTO- TELES stammt sie nicht) gefunden und hält an ihr fest, obwohl er selbst (lb. 8, 131) die aus den Annalen entnommene Nachricht bringt, daß im Jahre 61 v. Chr. hundert ‚ursi Numidici nach Rom zu Zirkusspielen gebracht wurden. Er glaubte offenbar nicht, daß diese Bären wirklich aus Numidien d. h. den Atlas- ländern stammten, und setzt lakonisch hinzu: Miror adiectum Nu- midicos fuisse, cum in Africa ursum non gigni constet. Tatsäch- lich ist die Skepsis nicht berechtigt, denn es kann kein Zweifel sein, daß es der Atlasbar, Ursus Crowtheri, war, den damals die Römer in hundert Exemplaren bestaunen durften. Das gleiche Thema behandelt PLixius (lb. 10, 76—79) auch für die Vögel und weiß hier gleichfalls eine Reihe von Be- obachtungen über deren Verbreitung anzuführen, die ARISTOTELES nicht hat. So sollen sich Eulen (Sammelname: noctuae) auf Kreta!) nicht finden und, wenn sie eingeführt werden, dort nicht fortkommen. Der Adler fehlt auf Rhodos, der Storch am Comer- see; Störche nisten auch nicht im Gebiete von Fidenae (bei Rom) in der Nähe der Stadt. Die im benachbarten Insubrer- lande (Gebiet um Mailand) sehr häufigen Dohlen (graculus — ? xoAorög xogaxiag Arist., wahrscheinlich Fregilus graculus Cuv., und monedula = ? xoAoıög Aduog Arist., Corvus monedula L.) kommen nur bis auf acht Meilen an den Comersee heran, kommen also am See selbst nicht vor. Der „picus Martius“ (wahrscheinlich Schwarzspecht) soll im Tarentinischen fehlen. Als eine Be- obachtung der jüngsten Zeit führt PLinivs (lb. 10, 78) an, daß die Elstern?) erst seit kurzem und noch immer selten vom Apennin her in die Nähe von Rom kommen. Wenig glaubhaft ist die Angabe, daß perdix (Steinhuhn, Perdix graeca Briss. vgl. S. 59 f.) in Attika die böotische Grenze nicht überschreiten soll. In Volaterrae (in Etrurien, jetzt Volterra) wurden alljährlich Schwärme von Ringeltauben (palumbes = garra Arist.) beobachtet, die vom Meere herkamen. 1) Die auffallend häufige Erwähnung von Kreta erklärt sich wohl aus der Be- nützung eines Autors, der in der Art des JusA die Tierwelt im Rahmen einer geographischen Abhandlung berücksichtigte (vgl. S. 13 f.). ?) „nuper et adhuc tamen rara ab Appennino ad urbem versus cerni coeperunt picarum genera, quae longa insignes cauda variae appellantur.‘‘ Unter „pica“ ist sonst wie bei ARISTOTELEs unter xizra: der Eichelhäher, Garrulus glandarius, zu verstehen. Doch scheint hier der Hinweis auf den langen Schwanz auf die Elster zu deuten. Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. 295 Wie diese letzte Notiz so gehen wohl die meisten Vogelbe- obachtungen auf Mitteilungen der Auguren zurück, während die folgenden von Primus (lb. 9, 52) gesammelten Angaben über Fische und andere Wassertiere von Fischern herstammen. Zwar hatte schon ARISTOTELES (hist. an. 8, 89 sq.) Beobachtungen über Wanderzüge der Fische angestellt und die Angabe des Puinıus, daß viele Fische bei ihren Frühjahrswanderungen nicht bis ins Schwarze Meer ziehen, sondern in der Propontis bleiben, stammt aus ARISTOTELES. Allein Prinıus bietet noch eine Reihe detail- lierter Mitteilungen, die ArisToTELEs nicht hat. So sagt er, daß solea (Seezunge, Solea solea L., von ARISTOTELES nicht be- schrieben vgl. S. 85 f.) nicht bis ins Schwarze Meer ziehe, während rhombus (wahrscheinlich Steinbutt, Pleuronectes maximus Cuv.) seinen Zug bis dorthin ausdehne; ebenso ziehe der Kalmar (loligo = revdig und zeüdog Arist. vgl. S. 109) hinein, nicht aber der Gemeine Tintenfisch (sepia = onni@ Arist., Sepia officinalis) sowie die Lippfische (merula = xörzvgog Arist.; turdus = xiyAn Arist.). Die Muscheln (ostreae) seien häufig im Schwarzen Meere, doch fehlten Meerschnecken (conchylia vgl. S. 36 Anm.) Für den Fisch trichias (zeıyieg Arist. unbestimmt, vielleicht Sardine) wiederholt PLinius die Angabe des ARISTOTELES (hist. an. 8, 92), daß er zwar ins Schwarze Meer ziehe, aber nicht mehr zurückkomme, und übernimmt dabei auch dessen geographischen Irrtum, der auch bei SrraBo steht, daß die Donau durch einen Arm mit dem Adriatischen Meere verbunden sei, so daß die trichiae aus dem Schwarzen Meere die Donau hinauf und durch den ver- meintlichen Seitenarm in die Adria schwimmen sollten. Ist der Irrtum für ARISTOTELES noch entschuldbar, so muß es auffallen, daß wir ihn bei Puinius in einer Zeit, wo das fragliche Gebiet längst provinzialrömisch war, immer noch finden. Immerhin scheint es, daß man sich mit der Frage eines Zusammenhanges der Donau mit der Adria doch weiter beschäftigt und herausgebracht hatte, daß kein offener Seitenarm von der Donau zur Adria führt. Zu der Meinung von den unterirdischen Wasserlaufen (venae sub- terraneae) aber, durch die Donau und Adria in Verbindung stehen sollen, gaben offenbar die intermittierenden, unterirdischen Karst- flüsse den Anlaß. Nicht ohne Interesse ist auch der von Puintus (lb. 9, 62) mit- geteilte Bericht über die zur Zeit des Kaisers Claudius (41—54 296 Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. n. Chr.) erfolgte Verpflanzung des Papageifisches (scarus Plin. = oxdgos und wové Arist, Scarus cretensis C. et V.) an die italienische Küste von Ostia südwärts bis nach Kampanien. Nach fünfjähriger Schonzeit hatte sich der sehr geschätzte Speisefisch, als dessen ursprüngliches Wohngebiet Prinius das ‚mare Car- pathium’, also den zwischen den Inseln Rhodus, Astypalaea, Karpathus und Kreta liegenden Meeresteil angibt, bereits so gut eingebürgert, daß man ihn in Mengen für die Tafeln der Fein- schmecker liefern konnte. Eine andere Tiereinführung erwähnt ArisroreLes, der hist. an. 6,185 mitteilt, daß aus Syrien maultierähnliche Tiere, die er zwar auch uiovor nennt, aber ausdrücklich von den Maultieren unterscheidet, unter PHarNaces, dem Vater des PHARNABAZES (eines persischen Satrapen von Bithynien um 400 v. Chr.), in Phrygien eingeführt wurden. Man versteht unter diesen nwlovor den Kulan !) (Equus onager Schreb.), eine in den kleinasiatischen Hoch- ebenen und Gebirgen vorkommende Wildeselart. Nun erwähnt ARISTOTELES weiter, daß von den damals eingeführten Kulans sich bis auf seine Zeit noch drei erhalten hätten, Pinus aber teilt lb. 8,175 mit, daß die „onagri in Phrygia et Lycaonia“ besonders vorzüglich seien. Daß Puinius hier unter onager das gleiche Tier versteht wie ARISTOTELES, nämlich den Kulan, dürfte nicht zu bezweifeln sein und dann könnte der Schluß gezogen werden, daß sich die um 400 in Phrygien eingeführten Kulans vielleicht durch Wiederholung des Versuches später in Phrygien und dem benachbarten Lykaonien so gut eingebürgert haben, daß gerade die aus den beiden genannten Landschaften stammenden ‚onagri’ zu Punts Zeit als besonders brauchbar galten. Denn sie ließen sich leicht zähmen, waren sehr schnell und kräftig und galten als sehr geeignet zur Maultierzucht. Vogelzug. Das Problem des Vogelzuges, das in neuester Zeit wieder so viel an Interesse gewonnen hat, beschäftigte auch die antiken Zoologen in hohem Maße. ArisroreLes bespricht den Vogelzug hist. an. 8, 74—84 und glaubt als Grund des Wegzuges der Vögel die Veränderungen der Temperatur ansehen zu sollen; 1) Vgl. Sunpevarı, Die Thierarten des Aristoteles S. 77 und O. KeLLER, Die antike Tierwelt S. 273. Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. 207 auch den Unterschied zwischen Strich- und Zugvògeln hat er wohl bemerkt. Merkwürdig nimmt sich neben diesen richtigen Ansichten die Meinung des ARrısToTELEs aus, daß es Vögel gebe, welche sich im Winter verkriechen, also einen Winterschlaf halten. Es ist wohl ein alter Volksglaube, der dadurch entstanden sein mag, daß man im zeitigen Frühjahre bei Kälterückschlägen erstarrte Vögel, besonders Schwalben fand, die im warmen Zimmer wieder auflebten und so die Meinung erweckten, als hätten sie an dem Orte, wo sie erstarrt gefunden wurden, überwintert. Gerade auch die Schwalben führt ArisroreLEs als solche Vögel an, die sich im Winter verkriechen. Daß auch später das Interesse für den Vogelzug noch rege war, zeigt eine Reihe von guten Beobachtungen bei Puinius, der insbesondere mehrere Vögel, die nach ARISTOTELES einen Winter- schlaf halten sollen, richtig als Zugvögel beschreibt. So nennt er den Storch (ciconia = medagyds) als Zugvogel, während ARISTOTELES der noch in neuerer Zeit geglaubten Ansicht war, daß er sich im Winter verkrieche. Puinius schildert, wie sich die Störche vor dem Aufbruche zusammenscharen, und gibt der Be- obachtung, daß sie sich bei ihrer Ankunft hoch aus den Lüften auf ihr Nest herablassen, so daß sie meistens erst gesehen werden, wenn sie schon im Neste sind, mit den treffenden Worten Aus- druck: ,nec venire, sed venisse cernimus’. Ebenso erwähnt er die Tatsache, daf man den Aufbruch selbst nicht bemerke, ob- wohl man die Vorbereitungen deutlich beobachten kònne, und kommt deshalb zu dem Schlusse, daß sich ihre Ankunft und Ab- reise in der Nacht vollziehe. Wohin die Störche ziehen, weiß er nicht anzugeben und begnügt sich mit der Feststellung ,in- compertum adhuc est’. Auch die Wildgänse und Schwäne!) zählt er (lb. 10, 63) unter den Zugvögeln auf und schildert genau die Art ihres 1) Nebenbei mag hier erwähnt sein, daß Printus die auch von ARISTOTELES (hist. an. 9,78) geteilte Ansicht vom „Schwanengesang“ des xvxvos (Cygnus musicus Bechst.) als irrtümlich ablehnt und zur Begründung anführt, der Irrtum habe sich durch mehrfache Beobachtung herausgestellt: olorum morte narratur flebilis cantus, falso, ut arbitror, aliquot experimentis. Es ist also hier einer der wenigen Fälle gegeben, wo man zur Klärung schwebender Fragen den uns jetzt selbstverständlich erscheinenden Weg einschlug, nämlich die Natur selbst zu beobachten. Bekanntlich war das nicht immer so, sondern man zog es vielfach vor solche Fragen auf Grund literarischer Angaben zu entscheiden, eine „Methode“, die die Entwicklung der Natur- wissenschaften Jahrhunderte hindurch gehemmt hat. Zool. Annalen V. 20 298 Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. Zuges in Keilform, die es ihnen leichter ermögliche die Luft zu durchschneiden, als wenn sie ,recta fronte’ flögen. Bei A RISTOTELES sind sie überhaupt nicht als Zugvögel erwähnt. Einen Fortschritt bedeutet auch die Erkenntnis, daß die Amseln!) (merula = xértvpos Arist., Turdus merula), Dros- seln (turdus = wahrsch. xiyAn?)) und Stare (sturnus = wWagoe, Sturnus vulgaris) sich nicht, wie ARISTOTELES (hist. an. 8, 108) meinte, verkriechen, sondern Zugvògel*) sind. Als solche bezeichnet sie PLinıus ausdrücklich (lb. 10, 72) und bemerkt dort, daß diese Vögel auch in ihren Winterquartieren beobachtet worden seien. Für die Drosseln nennt er als Winterquartier Germanien, wo diese im Winter häufig zu sehen seien (itaque in Germania hieme maxime turdi cernuntur), Wenn Punius auch nicht geradezu sagt, daß er die Drosseln in Germanien selbst gesehen habe, so legt doch die Fassung (cernuntur!) den Schluß nahe, daß es sich hier um Autopsie handelt. Wir wissen nun freilich nicht, auf welche Gegend Germaniens sich die Bemerkung bezieht, und auffallend ist es auch, daß die Drosseln gerade im Winter in Germanien häufig sein sollen. An die Wachholderdrossel, Turdus pilaris, die ja im Winter vielfach in der Heimat bleibt, zu denken, geht nicht an, wenn es zutrifft, daß sie erst seit etwa 100 Jahren in Deutschland heimisch ist (Breum!), und aus der Stelle den Schluß ziehen zu wollen, daß die ursprünglich im Norden Europas heimische Wachholderdrossel sich schon da- mals, wenn auch nur vorübergehend, in Deutschland eingefunden habe, wage ich nicht. Will man also die Notiz des Primus überhaupt gelten lassen, und ein Grund sie zu bezweifeln ist nicht vorhanden, so kann man wohl nur annehmen, daß es sich 1) Deutlicher als bei ARISTOTELES (hist. an. 9,95) ist von Prinıus der gelbe Schnabel des Amselmännchens, der im Alter heller wird, gekennzeichnet (rostrum... in ebur transfiguratur, dumtaxat maribus). *) ARISTOTELES unterscheidet drei Drosselarten: x/y/n î£086005 (,, Mistelfresser‘), also Misteldrossel, Turdus viscivorus L., tovyds, Singdrossel, Zurdus musicus L., und iAıds (tAAds), worunter vielleicht die Rotdrossel, Turdus iliacus L., zu verstehen ist. Bei PLinius sind die Angaben über ,turdus' so allgemein gehalten, daß keine Deutung der Arten möglich ist; nur eine Bemerkung (lb. 16,247) über die Verbreitung der Mistel durch ‚turdus‘ läßt auf die Misteldrossel schließen. ®) Nach dem Wortlaute ‚abeunt et merulae turdique et sturni simili modo in vicina’ müßte man diese Vögel als Strichvögel bezeichnen, was wohl nur für die Amsel, die übrigens zumeist Standvogel ist, zutrifft. Allein da man über die Länder, in die die Zug- bezw. Strichvögel wandern, wenig oder nichts wußte, wäre es unangebracht unsere moderne Unterscheidung in diese Worte legen zu wollen. no Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. 299 um die Beobachtung eines ausnahmsweisen Vorkommens handelt; denn daß deutsche Zugvögel in gewissen Wintern bei uns bleiben, ist keine Seltenheit. Obwohl nun Pımws in den angeführten Fällen gegenüber ARISTOTELES die richtige Ansicht vertritt, daß die genannten Vögel sich nicht verkriechen, konnte er sich trotz Beobachtung und Erfahrung von der überkommenen Meinung nicht ganz freimachen. Denn von der Turteltaube (turtur (trygon) = revyov Arist., Columba turtur) sagt auch er (lb. 10, 72): verius turtur occul- tatur pinnasque amittit. Er folgt also anscheinend skeptisch (verius!) dem ARISTOTELES, der hist. an. 8, 108 den Winterschlaf der Turteltaube als zweifellose Tatsache hinstellt. Man könnte geneigt sein die Skepsis des Prinıus aus dem Widerstreit eigener Beobachtung mit der traditionellen Meinung erklären zu wollen, würde aber damit zu einem ganz schiefen Urteil kommen. Wenn Pıinıus hier das Verkriechen der Turteltaube nur als „vielleicht möglich“ erwähnt, so kommt das lediglich daher, daß ARISTOTELES in dieser Frage keine sichere Meinung hatte. Denn während er hist. an. 8, 108 und 8, 45 die Turteltaube ausdrücklich als einen Vogel bezeichnet, der sich im Winter verkriecht, nennt er sie im gleichen Buche (8, 82) unter den Zugvögeln. Solch schroffe Widersprüche sind bei ArisroreLes selten, zumal im nämlichen Buche. Jedenfalls geht daraus hervor, daß sich ArisToTELEs nicht im klaren über die Sache war, und die Folge des Schwankens zeigt sich in dem eben zitierten Satze des Puinius, in dem gleichsam die drei Stellen aus ARISTOTELES zusammengeflossen sind. Nur die Kenntnis der ARISTOTELES- Stellen, die wir hier zufällig genau vergleichen können, erklärt also die „Skepsis“ des Pıinıus, dem diese aus ARistoTELES kombinierte Ansicht über die Turteltaube wohl schon in dieser fertigen Form zugekommen ist!). 1) Eine ähnliche Kontamination mehrerer ArISTOTELES-Stelien liegt den Aus- führungen des Prinıus (lb. 10, 25—27) über den Kuckuck zugrunde, der hier wie dort nicht als Zugvogel erkannt ist, obwohl man seine sonstigen Lebensgewohnheiten aufmerksam beobachtet hatte. ARISTOTELES bemerkt (hist. an. 6,41) nur, daß er im Winter nicht sichtbar sei. Von dem alten Volksglauben, daß der Kuckuck ein ver- wandelter ,accipiter' sei, war schon im 1. Teile (S. 19) die Rede. Er ist durch die sperberähnliche Färbung des Kuckucks auf der Unterseite entstanden, wurde aber von ARISTOTELES (hist, an. 6,42) als unrichtig zurückgewiesen und zwar mit Gründen, die auch Prinrus (lb. 10,25) kennt. Da er trotzdem den Kuckuck zu den ,accipitres‘ rechnet, könnte man an eine bewußte Abweichung denken. Allein dies ist nicht der Fall; denn wie der Satz ‚quin et absumitur ab accipitre, si quando una apparuere, sola 20* 300 Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. Außer diesem vermeintlichen Winterschlafe von Vögeln wurde der wirkliche Winterschlaf von Säugetieren, besonders der Bären beobachtet. Als Ursache des Winterschlafes führt Arı- STOTELES (hist. an. 8, 110) die Kälte an, doch läßt er es zweifelhaft, ob nicht auch andere Ursachen mitspielen. Auch PLinivs handelt (lb. 8, 126—129) vom Bären und seinem Winterschlafe, der nach seiner an anderer Stelle (lb. 8, 138) geäußerten Meinung ein Ersatz für die Nahrung ist (aliis pro cibo somnus). Seine Darstellung geht zwar auf ARISTOTELES zurück, ist aber stark überarbeitet und durch eine Reihe von Fabeleien, z. B. daß die alten Bären den noch unförmigen Jungen durch Belecken erst ihre Gestalt geben und daß die Bären im Winterquartiere sich Nahrung aus den Tatzen saugen, „bereichert“. Am auffallendsten jedoch ist seine Bemerkung, daß die Bären, wenn sie im Frühjahre das Winter- quartier verlassen, sehr fett sein sollen. Gerade das Gegenteil ist ja der Fall. Auch Punivs bemerkte den Widerspruch, da er ja selbst kurz vorher sagte, daß die Bären im Winterquartiere nichts fressen. Die Erklärung machte ihm natürlich Schwierigkeiten, auf deren Lösung er schließlich mit den Worten ,cuius rei causa non prompta est’ verzichtete. PLinius ist das Opfer einer unge- nauen Übertragung der ArisroreLes-Stelle geworden, an die seine Bemerkung anknüpft. ARISTOTELES sagt nämlich (hist. an. 6, 177) ganz richtig: „Die Begattung (der Bären) findet im Monat März statt, der Wurf um die Zeit, wo sie sich in Höhlen zurück- ziehen; um diese Zeit werden Bär und Bärin sehr fett (yiyvovzaı uèv ov meol tov yo6vovtodtov ual 1 INAea nal 1 Com ruoraroı). Dieses ,rregè tov yodvov toùtov wurde nun von dem Autor, der Mittelquelle des Puinius war, fälschlich auf das Frühjahr (den Monat März) bezogen und so entstand die Angabe des PLINIUs, die nicht nur zeigt, wie weitwirkend eine einzige Ungenauigkeit sein kann, sondern auch beweist, daß Punius die ARIsroTELES-Stelle nicht selbst eingesehen hat; denn sonst hätte er wohl, da ihm die Ungereimtheit der Angabe auf- gefallen war, die Lösung selbst gefunden. omnium avis a suo genere interempta‘ zeigt, ist dem PLinius die Parallelstelle bei ARISTOTELES (hist. an. 6,42), wo dieser gerade die Beobachtung, daß ein Kuckuck von einem Habicht gefressen worden sei, als Beweis dafür anführt, daß die beiden Vögel nicht von der gleichen Art sind, gar nicht zum Verständnis gekommen, wahrscheinlich weil sie schon in einer Mittelquelle verdorben war. Es liegt also ein bloßes Miß- verständnis vor. Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. 301 Tiergeschichten. Daß die Frage nach der „Intelligenz“ der Tiere weite Kreise interessierte, habe ich bereits im ı. Teil bei der Darstellung der Auffassung, die PLinıus von der Natur der Schwamme!) hatte, betont (vgl. S. 37 f.). Dieses Interesse bezog sich freilich weniger auf die Tiere selbst und entsprang nicht zoologischen Bedürfnissen, sondern die wirklich oder angeblich gemachten Beobachtungen mußten zur Unterstützung philosophischer Doktrinen dienen und wurden namentlich von den Stoikern zu moralisierenden Betrach- tungen benützt und anthropomorphistisch ausgedeutet. Darum ist bei der Beurteilung der Angaben, die sich auf die Sinnes- tätigkeiten und Empfindungen der Tiere und besonders der niederen Tiere beziehen, äußerste Vorsicht und Skepsis am Platze, da nirgends so wie gerade auf diesem Gebiete Naturbeobachtung und philosophische Spekulation verquickt sind. So entstanden die zahlreichen, oft recht seltsamen ,,Tier- geschichten“ der antiken Autoren, deren Vergleichung zwar literarhistorisch interessant ist, für die Zoologiegeschichte jedoch geringe Ausbeute bringt, da meistens ein Autor dem anderen nachschreibt und dessen Angaben höchstens mit einigen Details ausschmückt, an deren Herkunft die Phantasie und Wundersucht oft mehr Anteil hat als die Naturbeobachtung ?). Man wird des- 1) Ich bemerke hier, daß auch für PLurarcH (de sollertia animalium 30, 980 c) die tierische Natur der Schwämme außer Zweifel steht; allein aus der stark über- triebenen Beschreibung ihrer Empfindungsfähigkeit geht hervor, daß er vom wahren Wesen der Schwämme ebensowenig wußte wie PLINIUS. — 2) Einige von PLINIUS mitgeteilte biologische Angaben, die bei ARISTOTELES nicht zu finden sind, mögen hier Platz finden, da sie auf tatsächliche Beobachtungen zurück. zugehen scheinen. Pxinius sagt (lb. 9,84) vom KALMAR (loligo), daß er fliegen könne: Loligo etiam volitat extra aquam se efferens, quod et pectunculi (Kammuscheln) faciunt, sagittae modo. Diese Angabe wird von Lenz (a. O. S. 617) als Irrtum be- zeichnet, neuere Beobachtungen (vgl. z. B. Hesse-DorLEIN, Tierbau und Tierleben I S. 191) haben jedoch die Richtigkeit bestätigt; denn die Kalmare „können sich ähn- lich wie die fliegenden Fische durch schräges Anschwimmen gegen den Wasserspiegel zuweilen bis zu einem halben Meter und höher in die Luft herausschnellen, wobei sie sogar in einzelnen Fällen an Bord von Schiffen kommen“. Ebenso ist die Nachricht des Prius (lb. 8, 133), daß der Igel, über den er viel mehr Angaben hat als ARISTOTELES, sich Obst zusammenträgt, indem er es auf seine Stacheln spießt, von BREHM bestätigt worden. Nicht unerwähnt sei ferner die zwar von Irrtümern nicht freie, aber mit sicht- licher Naturliebe entworfene Schilderung des Ameisenstaates, zu welcher Prrnıus (lb. 11, 108—110) nur wenige Züge dem ARISTOTELES, der nirgends eine zusammen- —_- 149 — 302 Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. halb, obwohl solche Tiergeschichten auch bei Prinıvs einen sehr breiten Raum einnehmen, in einer zoologiegeschichtlichen Unter- suchung keine kritische Behandlung dieser anekdotenhaften Tiergeschichten erwarten, zumal da durch die schon öfters er- wähnte Sammlung von H. O. Lenz gerade nach dieser Richtung hin eine bequeme Vergleichung ermöglicht ist. Nur ein Beispiel von vielen möchte ich herausheben, um an ihm die „Entwicklung“ solcher Tiergeschichten zu zeigen. ARISTOTELES berichtet (hist. an. 5, 68 und 70), daß in einigen Muscheln wie den Miesmuscheln, Steckmuscheln u. a. sehr kleine Krebschen (xagxivor) die sogenannten ruıvvorngaı oder muvvopdiaxec (,Muschelwächter“) vorkommen, die auch wir als Pinnotheres veterum Bosc. (in Steckmuscheln) und Pinnotheres myti- lorum Edw. (in Miesmuscheln) kennen. Während ARIstorELES sich damit begnügt das Vorkommen des Pinnotheres in den Muscheln zu konstatieren und nur bemerkt, daß die Muschelnnach dem Verluste des Krebschens schneller absterben, finden wir bei Prints (Ib. 9, 142) das Verhältnis der beiden Tiefe als regelrechte Symbiose be- schrieben. Nach seiner Darstellung soll der pinophylax (eben der „Muschelwächter‘) der Muschel, die ihm Schutz in ihren Schalen gewährt, dadurch behilflich sein, daß er sie, sobald ein Fischlein in ihren Bereich kommt, kneift. Auf dieses Zeichen hin klappt die Muschel ihre Schalen zu und das gefangene Fisch- lein wird nun gemeinsam von der Muschel und ihrem tüchtigen Wächter verzehrt. Es ist wahrscheinlich, daß man an das hier erwähnte symbiotische Verhältnis schon zu ARISTOTELES’ Zeiten glaubte, da bereits bei ihm der Name _ ,auvopddas’ vorkommt. Allein ARISTOTELES erwähnt nichts von einer Symbiose. Auch Puinius hat diese Deutung natürlich nicht selbst erfunden, sondern sie hat sich in der Alexandrinerzeit zuerst oder vielleicht erst wieder eingeschlichen und zwar scheint es der als Hauptver- treter der Stoa bekannte Philosoph und Vielschreiber CHRYsIPPUS (um 280—207) gewesen zu sein, der zur Verbreitung der Ansicht hängende Schilderung des Ameisenlebens gibt, entnahm. Den Irrtum, die Ameisen- puppen für eingesammelte Getreidekörner anzusehen, teilt PLinius mit PLuTArcH (de soll. anim. 11, 967 f), dessen Schilderung des Ameisenstaates übrigens in weit höheren Maße anthropomorphistisch ist als die des Prınıus. Woher beide Autoren die un- richtige, aber immerhin merkwürdige Ansicht haben, daß die Ameisen die vermeintlich gesammelten Getreidekörner durch Annagen des Keimlings „denaturieren“ und so verhindern, daß sie wachsen, vermag ich nicht zu sagen; bei ARISTOTELES findet sie sich nicht. | Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius, 303 von einer Symbiose beitrug, die ihm als Schulbeispiel für die In- telligenz dieser Tiere diente. Denn PLuTARCH, der ja der Frage, ob die Wassertiere oder die Landtiere geistig höher entwickelt seien, eine eigene Schrift!) gewidmet hat, sagt gelegentlich seiner Ausführungen über den „Muschelwächter“ (de soll. an. 30, 980°), die sich ganz mit der Darstellung- des PLinıus decken, daß Cury- sippus über diese ‚ovußiwoıg‘ des „Muschelwächters‘“ Ströme von "Tinte verschrieben habe und daß sie in dessen Schriften eine Hauptrolle spiele (wv eore nal 0 To mhetotov é&aval@oag Xovotrutov uehav ruvvorhgag, marti nat quo Pıußkiyp ual dud Trooedglav Exwv). Gerade der Zusatz ‚xai 791g‘ macht die Sache verdäch- tig und legt den Schluß nahe, daß die „Symbiose“ nur eine philosophische Konstruktion ist, Es gibt zwar noch heute selbst Zoologen, die an der Richtigkeit einer solchen Deutung nicht zweifeln, allein es konnte bisher nicht einwandfrei nachgewiesen werden, daß das Zusammenleben des PINNOTHERES mit der Muschel eine wirkliche Symbiose ist, von der auch die Muschel einen Nutzen hat. In ähnlicher Weise wurden aus biologischen Eigentümlich- keiten gerne Schlüsse auf die „Intelligenz“ der Tiere gezogen. Für die ,,Wassertiere“ (aquatilia, außer den Fischen sind hier auch andere im Wasser lebende wirbellose Tiere gemeint) im besonderen hat Pıiiıvs (lb. 9, 143) eine Reihe von Fällen zusammen- gestellt, um die noch herrschenden Zweifel?) an deren Intelligenz zu beseitigen. Seine Beispiele stammen zumeist aus dem 0. Buche der Historia animalium, das jedoch nicht von ARrısToTELes selbst herrührt, und sind daraus auch in die eben zitierte Schrift des PLuTArcH übergegangen. Hier wie dort kommt der Zitter- rochen (torpedo = vdexy, Torpedo ocellata Rud.) mit seinen elektrischen Schlägen zum Zuge, ferner der Seeteufel (rana (piscatrix) = Pdtoeayos (dAıeös), Lophius piscatorius L.) mit seinen Lockapparaten, die beide schon hist. an. g, 133 ff. nach dieser Seite hin beschrieben sind. Ebenso beliebt war das Thema ,,Vorahnungen der Tiere“, das Prints (lb. 8, 102 sq.) behandelt, und nicht minder. die Er- 1) PLUTARCH, ,rérega tov Epav poovınazega tà yeouaîa N ru Evvöga‘, ge- wöhnlich unter dem Namen ‚de sollertia animalium‘ zitiert. Vergleiche dazu die Schrift von A. Dyrorr, Die Tierpsychologie des Plutarchus. Prgr. Würzburg 1897. 2) Plinius lb. 9, 143: Quo magis miror quosdam existimasse aquatilibus nullum inesse sensum. 304 Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. örterungen über „Tierfreundschaften und Tierfeindschaften“, zu dem Prius (lb. 10, 203—207) die meisten Beispiele gleichfalls dem (un- echten) 9. Buche der Historia animalium entnahm. Da das Interesse an solch niedlichen Tiergeschichten sehr verbreitet und die Neigung, biologische Beobachtungen anthro- pomorphistisch auszudeuten, sehr stark ausgeprägt war, ist es leicht erklärlich, daß gerade auf diesem Gebiete die antike Literatur reich an Material ist. Die biologische Seite der Tierkunde bot damals wie heute dem „interessierten Laien“ so viel Anregung und Gelegenheit zu spielerischer Beschäftigung, daß es nur be- greiflich erscheint, wenn sich auch damals schon zahlreiche Schriftsteller fanden, die zwar sonst keinerlei Beziehungen zur Zoologie hatten, aber solche Tiergeschichten in populärer Form darzustellen wußten. Die Zoologie als Wissenschaft hat durch diese Schriften nichts gewonnen. Da sich gerade durch die über- mäßige Betonung der biologischen Seite in ähnlicher Weise, wie das heute wieder der Fall ist, die Meinung herausbildete, daß das Interessanteste an der Zoologie diese Tiergeschichten seien, wurde die Naturforschung in eine Bahn gedrängt, die ihrer Ent- wicklung sehr schädlich war. Anatomische und physiologische Fragen traten zurück hinter der Beobachtung der Lebensäuße- rungen und Lebenstätigkeiten der Tierwelt, aus denen man die Intelligenz und Schlauheit der Tiere zu ersehen suchte. Genau so wie heute sind es gewisse biologische Paradebeispiele, die wir mit Sicherheit immer wieder treffen, die jedoch so wenig wie die heutigen durch öftere Auflage an Wert gewinnen. Es bildete sich gewissermaßen ein eiserner Bestand solcher biologischen Fälle heraus, deren Fortleben in der Literatur zu verfolgen eine Aufgabe für sich ware. Aber durch je mehr Hände sie gingen, desto mehr wurden sie entstellt und überwuchert von abenteuer- licher Phantasterei, desto mehr wurden sie zu bloßen Anekdoten, so daß esjetzt oft kaum mehr möglich ist aus all dem Wuste den brauchbaren Wirklichkeitskern, der vielfach darunter steckt, heraus- zuschälen. Dadurch aber verlieren diese Angaben an zoologischem Interesse. Wie auf allen Teilgebieten der Zoologie so ist ARISTOTELES auch in der Beurteilung biologischer Erscheinungen noch am meisten Zoologe. Zwar hat auch in ihm der Philosoph dem Zoologen manchen Streich gespielt und ihn manchmal durch Spekulation und vorschnelle Verallgemeinerung auf Irrwege ge- Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. 305 führt. Zumeist aber erkennt er die Grenzen zwischen Natur- wissenschaft und Philosophie und begnügt sich mit der Fest- stellung des Beobachteten. Und wenn er da, wo die Beobachtung nicht ausreicht, seine Ansichten über die mögliche Lösung dieser und jener Frage darlegt, so betont er fast stets ausdrücklich den hypothetischen Charakter seiner Erörterungen. Wie sehr er die Empirie schätzte, zeigt der von echt naturwissenschaftlichem Denken zeugende Ausspruch, mit dem er (de gen. III 101) seine Untersuchung über die Entstehung der Bienen und über das Verhältnis der drei Kasten im Bienenstaate (vgl. S. 132 f.) schließt: „Man hat darüber noch keine ausreichenden Beobachtungen; sollten aber diese gemacht werden, so muß man den Beobachtungen mehr Glauben schenken als der Theorie und dieser nur dann, wenn sie zum gleichen Resultate führt wie die beobachteten Er- scheinungen“. Wenn man auch in späteren Zeiten von diesen wissenschaft- lichen Grundsätzen und der methodischen Forschung mehr und mehr abkam, wenn sich auch die Beschäftigung mit der Tier- welt mehr und mehr zu oberflächlicher und oft spielerischer Naturbetrachtung veräußerlichte, so dürfte doch die vorliegende Untersuchung zu der Erkenntnis führen, daß in der Zoologie des Puinius, so viele Mängel sie auch haben mag, eine beachtenswerte Summe zoologischer Arbeit der nacharistotelischen Zeit nieder- gelegt ist, die das Bild der Entwicklung der Zoologie von Arr- STOTELES bis PLinius erfreulicher gestaltet, als es nach den bis- herigen Urteilen erschienen ist. | — 153 sas A Bei sketch of Col, George Montagu (1755—1815). English Field Zoologist by Bruce F. Cummings, Zoolog. Depart., British Museum. CONTENTS. . Col. Montagu, the man so far as he is known. . The facts of his life. The Naturalist. His Work: (a) Mammals. (b) Birds. (c) Fishes, (d) Molluscs and Worms. (e) Crustacea. (f) Echinoderms. (g) Sponges. FON dH COL. MONTAGU. The Man so far as he is known. So little is known about Cor. Moxracu, the well-known English ornithologist and marine zoologist, that it seems well to set forth in order such information concerning his life and work as I have lately been able to collect. It is not a difficult matter to write a life of Monracu because the material for a bio- graphical memoir is scanty, being for the most part contained in an article by Wrrrram Cunnincton in the Wiltshire Magazine for 1857. Moreover Moxracu was not a personality requiring any subtle pyschological analysis; there are no questions con- cerning him, hotly debated by critics or enthusiasts, — we have never to decide precisely how much more than a liar or a vaga- bond he was — as the biographer of Rousseau has to do, nor = I — 308 Cummings, A biographical sketch of Col. George Mon'agu. whether he was mad — a difficult decision which must fall to the lot of every biographer of Blake. Monracu was neither a liar, nor a vagabond nor a lunatic. He started no movement, he was the centre of no new culture. The Preraphaelites or the Transcendentalists will not be called into account. Let the dead bury their dead. Cor. GEORGE Moxracu was just an upright simple-minded, English country gentleman — un cœur simple, in the meaning of Frau- BERT — who loved Natural History with a love which imme- diately appeals to all who are naturalists rather than to those for whom zoology is only an academic affectation. Epwarp FirzcERALD wished there were more biographies of the lesser men. It is certainly impossible to claim for Monracu any- thing more. than that he was a painstaking and practical field zoologist who helped to lay the foundations of the Natural His- tory of our country. He is distinctly one of the lesser men in the gallery of English zoologists. He was a decidedly com- mon-place individual, clever but not intellectual, industrious but not very brilliant. There were many men, no doubt, in England, in his day of far greater talents-, witty, able and in- tellectual men, with magnetism of personality and commanding strength of character. Yet none or very few perhaps have left any record behind of their passage through the world. Never a whisper reaches us that ever they lived and died. Fame is uncer- tain and too dependent on the chance play of circumstances ever to occupy the mind of thoughtful men for long. Who ever would have heard of Amie, if he had not formed the diary habit, or of Menper if de Vries, Correns or Tschermak had not rediscovered him? It may perhaps be food for the reflective cynic to be told that nevertheless the memory of Monracu, one of the lesser men, is perpetuated. Yet I am disposed to believe that Monracu was one of those men whom FirzceraLD meant when he said that more biographies of them were very desirable. There is no gainsaying his enthusiasm for zoology, for in 1789 he wrote to GILBERT Wuitre that were he not bound by conjugal attachments he would have liked to ride his hobby into distant parts. The zeal indicated in the letters and proved by the extent of his researches made in the troublous times of the end of the 18th and beginning of the ıgth century perhaps suggest to the reader at first a virtuoso so entirely immersed in his studies as to be careless of the destiny of his country and Cummings, A biographical sketch of Col. George Montagu. 309 ignorant of the perils besetting her — a Nero fiddling while Rome burnt. But nothing is further from the truth. Monracu was sufficiently old fashioned to be a patriot. He was a soldier who fought for his country and believed in the martial axiom that might is right. The fact is he was a Colonel, an upright and honourable man with a mind perhaps a little too conscious of its own rectitude, very susceptible to cutrage and a temperament somewhat irate according to type. Critics before and since the days of the “tartarly Quarterly” were apt to be outspoken and Moxracu's Ornithological Dictionary appears to have received some severe treatment from the reviewers on its first appearance for in the introduction to the Supplement which appeared some years later he concludes with a plea for leniency towards errors caused by a slip of the pen or by typographical delinquencies. Then he goes on, in the grand manner, “From those whose pen sips no other drink but gall, we have no more expectation of favour than from the hand of an assassin continually imbued in blood. Their trades are somewhat congenial, (sic) each stabs in the dark and are too fre- quently actuated by similiar motives.” No one but a Colonel could have written thus. If the truth must be told Monracu was not the master of a very perfect style nor of a very perfect grammar. A reviewer of the Supplement, writing in the Monthly Review for August, 1817, enters a protest against the legitimacy of such modes of expression as: — “it was thought most advantageous to the public to give it in its present state than to wait,” “innumerate,” “ossious,” “delatable,” “feathers which characterizes,” “curviture,’ “the coverts of the ears is,” “a projecting callous,” “its rarity and extreme locality has been,” “where there was scarcely any mem- branous divisions,” “the size and weight is,” “a mucous membrane,” “it should seem the shag is subject to vary in the form of their Occasional crest,” “must be very different in Picardy than in Sussex,” “neither Brisson nor Burron appear to have,” ,“the mottled appearance of old and new feathers are,” “the same indicative of immaturity,’ — whence it appears that the Colonel found the problems of grammar and spelling for more intrac- table than the problems of zoological science with many of which he so ably dealt. So far as the spelling goes he sinned in good company — Dickens and R. L. Stevenson could not spell 310 Cummings, A biographical sketch of Col. George Montagu. to mention only two. And the grammar is excusable when one remembers that Monracu was only 16 years old when he joined the army. He was married by the time he was 18, fighting in America when he was 19 and at the age of 20 he was already a father, so that in early youth, — when all things are possible, — Moxracu was far too much occupied with the more pressing duties of life to be in a position to acquire a pure English style, the development of which means a very different psychological climate from love, marriage and war at the age of 19. Here are some examples of his style: — “In the. month of December, 1805, a small flock of these birds were observed busy in extracting the seeds from the Alder trees, in the South of Devon, several of which were shot.” “With all these reflections formed on the known laws of nature, evinced by daily experience, we can have no more doubt of the identity of these two shrikes as distinct species than we have that they are different from the cinereous shrike..... 2 However, no critical strictures ever brought Monracu to his knees. He never knows when he is beaten. He gaily begins his introduction to the Supplement with the following remarks illustrating the admirable pride he took in his own work: “Since the publication of the Ornithological Dictionary we have con- tinued our observations upon the characters and habits of British birds with the usual ardour and indefatigable research. It might appear arrogant in us to enlarge upon the advantages science may have derived from discoveries we have made but we venture to say that aconsiderable portion of new and interesting matter will be found concerning the economy, habits, changes and variations of species not published before.” A few common- place remarks follow about our common aptness to err and then, jejunely, “Truth is the goal at which we aim. It is the essence of all human knowledge,” which unfortunately is scarcely true. His authoritative biographer, CunnincTon, gives us a few details about his personality and habits. We read that although he was of ancient and honourable descent he founded his claims for respect upon individual merit rather than upon his noble ancestry. He disliked pomp and ceremony of any kind and pre- ferred to live a quiet secluded life spending his days beating — 4 == Cummings, A biographical sketch of Col. George Montagu. FUSI through thick brushwood to identify the song of a Woodwren or collecting seaworms from the mud at Kingsbridge or dredging in Tor Bay. To his favourite pursuit he very rarely alluded in conversation unless it was introduced by others. He was a great talker with a wide knowledge of affairs and extensive general information. He always kept his word, he was always punctual, punctilious over questions of fact, precise in his methods of work, indefatigable in industry and regular in his mode of life. Small as it is, this evidence, is almost overwhelming in its support of the suggestion that Monracu was a good type of the average man of science — accurate, thick-fingered, laborious, practical, excellent. At the close of his career, he bore his sufferings with the “equanimity of a philosopher” and with the “fortitude and resignation of a true Christian.” The Colonel belonged to the old and honourable school of naturalists who were accustomed to work out their researches to a barren conclusion by resigning all they could not understand to the power of the Omnipotent Creator. Their memoirs used to end in a few complimentary remarks to God. Hervey himself said that at one time he thought the circulation of the blood could only he understood by God. The squibs of such “scoffers” as LapLace, VOLTAIRE, HaeckeL and SHaw he would have called blas- phemies for Moxracu was one of the old brigade who accepted the defiant “I am that I am” with a bowed head, studying animal life in the pious opinion of good Sir THomas Browne who wrote, “The wisdom of God receives small honour from those vulgar heads that rudely stare about and with a gross rusticity admire his works. Those highly magnify him whose ..... deliberate research into his creatures returns the duty of a devout and learned admiration.” In conclusion I ought to mention that Montacu was an authority on sport and duelling. Although we have no definite facts to go upon it seems probable that he was an expert duellist. His Sportsman’s Directory contains many curious passages of instruction in the art of fighting a duel. An old friend, the Rev. K. Vaucxan of Modbury (Aveton Gifford) was at his bedside during his last illness. On being asked where he wished to be buried, he replied, calmly, “Where the tree falls there let it lie,’ which shows that he was able to meet even the Last Enemy with a stout heart. 372 Cummings, A biographical sketch of Col. George Montagu. THE FACTS OP HIS LIFE. The life of Monracu was not altogether a long and delec- table picnic. He was born at Lackham House, Wilts, probably in 1755 (CunnincTon) though the Dictionary of National Biography gives the year as 1751. He had 12 brothers and sisters, the children of James Monracu, of Lackham and Elinor, the sole surviving daughter of William Hedges, of Alderton. His mother was the grand daughter of Sir Cuas. Hepces, Queen Anne’s Secretary, while his father was descended from James Moxracu, the third son of Sir Henry MoxraGu, Ist. Earl of Manchester. Lackham House, the fine old family mansion, has since been destroyed by fire but it was at the time full of interesting curiosities. Nothing of his childhood is known but at the age of 16 Monracu entered the army and subsequently started for America when he was 19 years old to fight in the war of the American Colonies. He was promoted to be Captain in the 15th. Regt. of Foot. It was in America, where he probably remained no longer than 12 months, that he first began to shoot and collect birds, a few of which he prepared with his own hands though with no further inten- tion than that of presenting them to his wife when he returned home. He had, when he was only 18, married Anne, the eldest daughter of WiLLiam Courtenay and Lady Jane, his wife, who was one of the sisters of the £a7/ of Bute, Prime Minister to George III. He had four sons and two daughters (Cunnincron). The Dictionary of National Biography states that there were only two sons and two daughters. Three of his sons died abroad, James became a prisoner of war in France, Jon (in the Royal Navy) was killed while on active service and Frepericx fell at Albuera. The later years of his life were much overcast by the loss of his sons. He erected in the Parish Church of Lacock a tablet inscribed with a touching epitaph written, I should think by himself, in memory of his son Frederick’s worth and his father’s grief. It ran: — “To FREDERICK Aucustus Courtenay Montacu, Capt. of the 23rd. Regt. of Royal Welsh Fusiliers and Major in the Portu- guese service. Adorned with the choicest gifts of Heaven, Nature had wreathed the olive branch that so conspicuously flour- ished on his brow as emblematic of his amiable and affectionate Cummings, A biographical sketch of Col. George Montagu. 2013 mind. Patriotism and loyalty that roused him to seek martial glory led him to volunteer his service to his country’s cause at the early age of 16, and after displaying undaunted courage in Holland, in Martinique, in the expulsion of the French from Portugal, and lastly at the age of 26 at the memorable battle of Albuera in Spain, fought on the 18 th. May in the year 1811, he finished his mortal career, pierced through the heart by a musket ball, whilst gallantly leading his men to a charge. He nobly fell leaving the laurels so gloriously acquired to be en- twined round the hearts of his afflicted parents who in commemo- ration of their departed son, erect this monument.” Moxracu lived for sometime at Easton Grey, near Malmes- _ bury, where the last of his children was born. After the death of Mr. Hrepces he went to live at Alderton House where Mrs. Moxracus mother — Lady Jane Courrenay joined them. On receiving an addition to his income on the death of his brother, James, who died unmarried, he was able to resign his commission of Colonel in the Wilts Militia and went to live at Knowle, Kingsbridge, South Devon, where most of his best work was carried on. James Monracu’s will was a disappointing affair as the Colonel expected that the family estates would have been left to him, but he only had “a rent charge of £ 800 a year subject to which the estates were left to his eldest son, George, for life. The sum of £ 25,000 had been borrowed by the testator on bond from the late Lord Chief Justice ErreNBoRoUGH to enable him to complete the purchase of Pewsham Forest adjoining the Lackham estates and a provision was made in the will for the gradual liquidation of the debt. It was out of this document that arose the lawsuit between the Colonel and his eldest son. Father and son were arraigned against each other and from what may be gathered it seems that the son was a very extravagant youth. The prolonged litigation coupled with the young man’s extrav- agance ultimately deprived the family of their estates. The affair was thrown into chancery and the Colonel “had the mortification of seeing” all the fine old timber on the estates which had been estimated at £ 70,000 cut down and “the valuable libraries and books and the collections of relics and curiosities sold and dis- bursed under the decree of the Court.” It is not difficult to imagine how dreadfully outraged the Colonel felt at these cala- mitous events. The whole history is certainly a tragedy, a com- Zool. Annalen V. 21 314 Cummings, A biographical sketch of Col. George Montagu. monplace every day tragedy perhaps, but just such an one as a great modern writer has brought us to see loom out quite as black as one that is obvious, blatant and acclaimed. The whole story of Montacu’s life, his early marriage, so soon after succeeded by a painful separation from his wife to fight in America, his love for his son FREDERICK, his uprightness and patriotism, his simple habits, the mistake of the will, the loss of the timber and estates and the quarrel with GrorcE are all a little reminiscent of the idyllic qualities and atmosphere of the “Vicar of Wakefield.” There was money enough however for Monracu to live in quiet; and at Kingsbridge, the latter years of his life were spent in seclusion and study, broken only by the intermittent excite- ment caused by the presentation of his memoirs to the Linnean Society or by the publication of his books or the staggering dis- covery of a new beast. He died of lockjaw in 1815 after treading on a rusty nail. Mrs. F. M. Crawrorp, his daughter, stated that his collection of birds was disposed of to the British Museum for the sum of £ 3,000 after his death. On the recommendation of Sir Joseph Banks the Sum actually paid was £ 1,200. THE NATURALIST. Monracu is not a star of any magnitude in the firmament of illustrious zoologists who have passed away. I cannot even claim that like Parrick MATTHEw, he anticipated Darwin in the theory of natural selection, or that like SpaLLanzani he made any contri- butions to the classical controversy of spontaneous generation, but English field naturalists have always apportioned him his true value as a man who was among the first to observe and describe with accuracy the many singular and interesting animals inhabiting the British shores and countryside at a time when there were few other workers and they, for the most part, pro- ducing researches of inferior quality. Professor Epwarp Forges wrote of him: — “Monracu’s emi- nence as a naturalist depended upon his acute powers of obser- vation and the perspicuous manner in which he regarded the facts which came under his observations. He excels as a de- scriber and all his accounts of the animals which he noted are eg Cummings, A biographical sketch of Col. George Montagu. 315 clearly and truthfully drawn up. He avoided wordiness yet his descriptions are never so brief as. to be obscure. I have had occasion chiefly to test the observations of Moxracu in cases where marine animals were concerned and have been astonished at the extent, variety and minuteness of his researches, He la- boured at a time when there were few persons who took an interest in marine zoology or who cared to investigate the struc- ture and habits of submarine animals in their native haunts. Montacu however did not shrink from his work because he met few companions or found little sympathy. He steadily pursued his chosen task and laid the foundation of that thorough inves- tigation of the Natural History of the British seas which now forms so distinctive and appropriate a feature of the science of our country. For my own part, I have derived the greatest be- nefit from the work and essays of Monracu and am now happy to be able to record my acknowledgements to one of the most eminent practical naturalists of his age.” YARRELL, RENNIE, FLEMING, SELBY, Day, all bear testimony to the value and ability of Monracu’s work. It is natural to compare Monracu with his more famous contemporary and correspondent, GILBERTWHITE, of Selborne, the association being more by contrast than by similarity, for the difference between the two men is clear and definite. Mownracu possessed the severely scientific habit of mind which mentally photo- graphs and faithfully records phenomena. Wire was a naturalist who loved the birds and when writing about them was able to impart to his work the impress of his own rare personality. Wuire is read by everyone. Mownracu is known only to the few. Ob- livion inevitably waits for the man of science who is only a re- cording machine. A Grecian urn or a lyric by Colonel Lovelace are as fresh and stimulating today as they were at the time of their creation. And the creation of enduring scientific work re- quires as much imagination as poetry or art. Monracu’s work was colourless and that is perhaps its principal deficiency. As that of a sound practical naturalist, his pioneer work can never be ignored by students of the English fauna. Above all he kept burning to the last the altar fires of a grand enthusiasm. And enthusiasm, even for crabs, starfish or patent pills-to use the classification of a latterday cynic—has something in it which is divine. | alli 316 Cummings, A biographical sketch of Col. George Montagu. (a) MAMMALS. Moxracu wrote a pleasant account of the Natural History of the Mouse Harvest (Mus minutus) confirming and elaborating some of GiLsert Wuite’s observations. But his chief contributions to our knowledge of the Mammalia consisted in his observations on Bats, particularly the two species Rhznolophus ‘ferrum-equinum and A. hipposideros which he proved te be distinct species and added to the British list. He discovered a colony of these bats in the famous cavern at Torquay know as “Kent’s Hole” and has written a very careful account of them pointing out their structural characters and mode of life. The Barbastelle (‚S'yzozzus barbastellus) was first discovered by Moxracu in England in 1800 though Sowerly first recorded it in 1804. In the Memoirs of the Wernerian Society of Edinburgh, he figures the skull of a Del phinus which had been caught in the River Dart and was then exhibited at Totnes but which did not reach Monracvu’s hands before it had been boiled down and its bones thrown into the River. A correspondent of Monracu dredged the River and recovered the skull. It is described as a new species, Delphinus truncatus, which is the Zursiops tursio of Gervais (the Bottled nosed Dolphin), — rare on our coasts. (b) BIRDS. It is impossible even for ornithologists to give Monracu anything except praise for his valuable contributions to British ornithology. His fame as a naturalist rests chiefly on his Orni- thological Dictionary published in 1802. In 1831, the second edition was published edited with remarks and introduction by James Renniz, Professor of Natural History at Kings College, London. Many years later Epwarp Newman, one-time editor of “The Zoologist” brought out another edition, rewriting almost the whole of the original work and incorporating the additional species of birds that had been since described by SELBY, YARRELL and others. Professor ALrkep Newron’s Dictionary of Birds is also planned on the same lines as the Ornithological Dictionary but unlike the latter it is devoted not only to the birds of Great Britain but to the birds:of the world. At the time it was written Monracu’s book was an excellent compendium of the knowledge which had Cummings, A biographical sketch of Col. George Montagu. 317 at that time been obtained concerning the structure, life history and habits of our British birds. He strictly attended to the changes in plumage, incidental to age, sex and season and in this way he was able to prove the invalidity of many so called species and on the other hand to confirm the separation of other closely allied birds under different specific names. His work with the birds was not confined to systematic research. The Colonel scoured the woods and fields and made some very careful observations on the habits of all those species which he happened to meet. He also kept a number of birds alive in captivity in order to study the sequence of their plumages. The Monracu Collection of British Birds in the British Museum has caused considerable anxiety as none of the specimens were properly pre- pared, many being attacked by mites and falling to pieces. Quite apart from the ornithological interest of the Dictionary the reader who takes the trouble will find in it many amusing passages. Monracu perhaps is seen at his worst when he is at- tempting to describe such difficult subjects as the song of the nightingale. He writes “The variety of this bird’s notes certainly exceeds all others. Of a still summer night when all is hushed in silence the vocal powers of the nightingale is (sic) most dis- tinctly heard.” However, Isaac Watton who knew how to write of the nightingale’s song better than Monracu was but a sorry naturalist. It in curious to note that, like kings and reviewers, Monracu always speaks in the plural number, as was noticed by a reviewer at the time of its publication. The following is a short summary of some of the more im- portant facts which Monracu brought to light. He proved that the “Crested Cormorant” is only the full plumage of the Common Cormorant (Phalacracorax carbo). He first made known to the scientific world the beautiful Roseate Tern, which he called Sterna dougall! in honour of Dr. M. DovcaLı who first sent him specimens from the Cumbraes in the Firth of Clyde. One of these is still pre- served in the British Museum. Selby subsequently found it bree- ding on the Farne Islands. He carefully separated the Gull-billed Tern (Gelochelidon anglica) from the Sandwich Tern (S¢erna cantiaca) and showed that the “Greenwich Sandpiper” was only one of the many varietes of the Ruff (Machetes pugnax), also that the “Ashcoloured Sandpiper” is the same bird as the Knot 318 Cummings, A biographical sketch of Col. George Montagu. (Tringa canutus). He gives an excellent account of .the Ruff which he kept in confinement for many years. Monrtacu disposes of both the “Brown Tern” and the “Brown-headed Gull” which he shows to be only the young in immature plumage. “The Winter Gull” is also correctly represented as the Common Gull (Zarus canus). The type of the American Bittern (Botaurus lentıgıno- sus) which he made known in 1813, is in the British Museum. Monracu claimed to have been the first to discover the cause of the distemper in chickens known as the “gapes”. It is some- times said that Mrs. Blackburn (“Nature”, 1872, Vol. 5, p. 383) was the first to confirm Jenner’s controverted statements about the Cuckoo’s ejection of the young of the foster parent. But it appears that Montagu corroborated Jenner’s statements as early as 1802 in his Dictionary where he tells us that his own obser- vations were actually made before Jenner’s . He corrected the mistake of “that celebrated author Mr. Pennant” over the “Brown Owl” which was only a variety of the Tawny Owl (Syrnıum aluco). He settled the matter by killing this bird from the same nest as the Tawny Owl. It is interesting to find him writing that the Osprey (Pandıon haliäctus) “seems to be more plentiful in Devonshire than in any other part of the Kingdom” and “has been shot almost every year.” While crossing the River Avon, at Aveton Gifford in 1811 he watched one hawking for fish. He proved that the Scaup Duck (Zubgula maria) previously confused under two species was sexually dimorphic, one “species” being the male and the other the female. On the subject of migration he believed that the majority of Swallows migrated but that some were detained by accident and became torpid and perished before the return of the warmer weather. It is to be observed that he did not embrace GiLBERT Wuire’s heresy of hibernation. The first adequate account of the Dartford Warbler (A/elizophilus undatus), discovered by LarHam in Kent came from Monracu’s pen. He added the Cirl Bunting (Zmberıza cırlıs), the Little White Heron (Ardea garzhetta), the Red-breasted Snipe (Macrorhamphus griseus) and the Little Gull (Larus minutus) to the British list and includes the Great Black Woodpecker (Picus martius) “with considerable doubt.” Monracu was an extremely careful man. One of the best of his contributions to the Wernerian So- — ciety was his paper on the Gannet /Sw/a bassana) in which a Cummings, A biographical sketch of Col. George Montagu. 319 distinct advance on previous work was indicated for Moxracu here proceeds from a study of structure to the study of function and is well on his way to the ideal combination of the two. (c) FISHES. Monracvu’s ichthyological work was almost entirely faunistic but he made known several very interesting new fishes and added a considerable number to the list of British fishes. Day, in his well-known “British Fishes” remarks on the Gurnard that Linnaeus by a slip of the pen describes 7rıgla hırundo as “linea laterali aculeata” which caused Pennant and others to describe the side line as rough and this again doubtless induced Montagu to describe his fish without a rough lateral line as a new species. He called it 7. /aev:s “at once distinguished by the smoothness of the skin” Mownracu’s Sucker (Zrparıs Montagui) was discovered by Moxracu at Milton, on the South coast of Devon. The Gilthead (fagrus auratus) was another of his discoveries specimens being received from Torcross. He made a special study of the Rays and wrote an excellent account of the British species in a paper contributed to the Wernerian society. He took the rare Chagreen Ray (Kara Jullonica) of the South coast of Devon and was the first to de- scribe Raza microcellata. At Salcombe Bay, Monracu captured the first two British species of Cefola rubescens. At Torcross he added the beautiful Butterfly Blenny (Dlennius ocellarıs) to the British list. In his account of a Zeflocephalus he corrects some of Pennant’s descriptive details helping to dispel the scep- ticism which prevailed as to the existence of this fish. His “Sil- very Gade” is a name which he bestowed on what has since proved to be the young of the Threebearded Rockling (I/ozella tricirrata). Blennius galerita was another of his South Devon captures and is now known as “Montagu’s Blenny” in his honour. (d) MOLLUSCA and WORMS. By his indefatigable work and great industry Monracu was able to make very considerable additions to our knowledge of British molluscs. In his Testacea Brittannica, he enumerated nearly 470 species upwards of 100 of which had not been described before or else were then for the first time ascertained to be 320 Cummings, A biographical sketch of Col. George Montagu. British. Recent lists of British Mollusca published by the Conchological Society show that his name stands by no less than 72 species and 16 varieties 7 species, and 4 varieties being non — marine. Turton named the genus Montacuta after him (E. W. Swanton). Sixteen coloured plates accompany his work in which the author adopted the Linnean system, deviating from it in placing many Linnean Helices in the genus 7urbo and arranging all the depressed species of the former with regard to the shape of the aperture. Monracu sensibly, perhaps neces- sarily wrote it in the English language so that he must not be con- sidered as following the Linnean manner of description. Of course he included ‚Serpula and Lefas in his book and thus lost a great opportunity. His researches were not confined to the closet for as he himself says he drew the hidden treasures from their native sites. He also collected a number of Polychaet worms and a posthu- mous paper in the Linnean describes five new species of Zere- bella. He gives an account of the “extraordinary vermis” “Gordius marinus” or Sea Longworm, in the description of which however Borlase, the Cornish historian, precedes him and thus holds the honour of being the first man to describe a Nemertine. Monracu, too, was familiar with the .Stfuzculus which lives in the empty shell of Chenopus pes-pelicant and which lessens the size of the hole by stopping it up with sand. (e) CRUSTACEA. Among the Crustacea Monracu carried on a considerable amount of work. He discovered and described Calhanassa sub- terranea, and also its parasitic Isopod, Zone thoracica. Callanassa did not turn up again for a long time and the Rev. Canon a. M. Norman who visited Monracu’s hunting grounds many years later failed to rediscover it. Since then however, Messrs. SineL and Horner have obtained it at Jersey and it is reported to be not rare at Naples. A very remarkable amphipod, which Monracu dis- covered and described under the name Ozzscus testudo and which is now known as fercionotus testudo (Monracu) up to the time of Canon Norman’s visit to South Devon had not been recorded from any other part of the British coast. Yet in 1875, Canon Norman obtained a specimen where the old British naturalist had procured it 67 years before. Monracu was able to justify the validity of the species of many of “Mr. Pennant’s crabs”, describ- Cummings, A biographical sketch of Col. George Montagu. 321 ing many new species himself, including £0a4a tumefacta. The Pycnogonid Phoxichrlus spinosus is also Monracu’s species. (ff ECHINODERMS. Our author devoted less attention to these fascinating crea- tures than one would have expected. However several Holo- thurians stand to his credit, and also the Ophiuroid, Ophrocnida brachiata (Montagu), Lyman, which Canon Norman obtained again in Salcombe Bay. (g) SPONGES. Monracu’s work in the Sponges is very good as far as it goes. Systematic work on the sponges was however an unfor- tunate choice, as in those days so little was known about the structure and physiology of sponges that systematists as a rule seized upon only the least important of characters, such as size and shape, etcetera. Thus, Moxracu, in his Spongia Brittannica divides the sponges into (1) Branched (2) Digitated (3) Tubular (4) Compact (5) Orbicular. Many of his descriptions are meagre and incomplete though almost invariably accurate as far as they go. From a table prepared by Canon Norman for Vol. IV of Bowersank’s British Sponges it appears that he described in all ır new species of British sponges which must have meant energetic work in such an “occult science” as Monracu called it. Two letters written by Colonel Monracu to Gitperr White of Selborne. Easton Grey, Nr. Tedbury, Gloucestershire. M rst. 1789. Sir. vie Although I have not the pleasure of being personally acquainted with you, yet I flatter myself you will pardon this intrusion of an enthusiastic natu- ralist. I have been greatly entertained by your Natural History of Selborne in the ornithological part of which I find mention made of three distinct species of willow wren. Can you inform me if they are (besides the common) the larger and lesser pettychaps of Latham, neither of which is described by Pennant in his British Zoology. He describes a species with the inside of the mouth red which I cannot make out in this country; those two of Latham’s I believe I have got so far as I can judge from the description that gentleman favoured me with; but his sedge-wren I am at a loss for as he describes the 322 Cummings, A biographical sketch of Col. George Montagu. sedge-bird besides of the “British Zoology”. I should esteem it a particular favour if you have it in your power, if you will favour me with the weight and descriptions of the two uncommon willow wrens. I was induced to take this liberty as you say you are a field naturalist and perhaps may have it in your power to assist me in my present pursuit. I am collecting and pre- serving the birds and eggs of these parts, a provincial undertaking on which I am got forward; and as those of Hampshire and Wiltshire are nearly con- genial (the coast excepted) some species, I presume are more frequently met with about you than with us. Will you excuse my mentioning a few that should they fall in your way you will confer a considerable obligation on me by favouring me with them. The hawks and the owls are difficult to get. Of the former I want all except the sparrow, kestrel and common buzzard; of the latter all the eared and the little owl. The great butcher bird and wood chat, goatsucker, crossbill, aberdevene, siskin and spotted gallinule with many cloven and webfooted water birds together with any of their eggs; and as you mention snipes and teals having bred near you their eggs would be highly acceptable with others not common which you may be able to obtain. And in return, sir, if there is anything in my former or future researches that can afford you any satisfaction I shall with the greatest pleasure com- municate. That amiable and excellent naturalist, Mr. Pennant, has done me the honour to say I have discovered some things to him he was not before acquainted with; and I flatter myself I have other notes in store when I have time to write to him more largely on the subject. This you know is the busy season for the naturalist and the days are not half long enough for me. A fine morning called me from this and on my walk my ears discovered a note I had never before heard. I pursued it into the thick of a wood and with much difficulty killed the bird as it was delivering .its song (if I may so call it) from the branch of an oak tree. It proved to be a willow wren; its note was very different from any I had ever heard before, somewhat resembling the note of the blue titmouse; it was continued without variety like the grasshopper or lark but not quite so quick or shrill nor of so long duration; between each song the pause was conside- rable. The note I confess has staggered me, but its appearance, song, etc. discovered nothing new. The common wren I well know, has very distinct songs. The first after their arrival, before they are paired I considered as their love call the other their soft courting or amatory song. As to the shades of colour and size this species varies considerably: that ot the male is much brighter and stronger than the female and it is considerably larger and even in the same sex there is a visible difference. I last year killed a male and female together when the former was in pursuit of the latter on her first arrival in the spring. (As I suppose you know all our male migrating birds precede the female in their vernal visit.) In these the great disparity in weight and difference of colour would have puzzled exceedingly had I not some time before the barbarous act was committed paid attention to the addresses of the male. I confess I am mot acquainted with the one you de- scribe with the primaries and secondaries tip’t with white and if you are still of opinion that it is a distinct species I should be obliged to you for it. If you should favour me with any small bird at this season it will be advisable = 16 — Cummings, A biographical sketch of Col. George Montagu. 323 to wrap it up in soft paper sprinkled or damped with vinegar, first laying the feathers smooth and then cover with thicker paper wetted with the same: this will preserve the bird moist and defy putrefaction. The larger birds should be carefully opened with a sharp knife from the vent upwards laying the feathers back with damp paper to prevent their being blooded in taking out the intestines; a little alum or nitre should be thrown in and the incision stopped with tow; and if a little of the alum and tow were put into the mouth it would ensure its coming to me in good order. If you have any conveyance to Bath and you will take the trouble of directing a box or basket to me to the care of the Right Honourable Lady Jane Courtney, Milsom St., Bath, I shall get it the day after it arrives there. Notwithstanding my post town is Gloucestershire I live in Wiltshire where I shall be happy to obey any commands from you and remain, sir, Your most obedient humble servant G. Montagu. Easton Grey, June 29th. 1789. Dear Sir. I am exceedingly obliged to you for your polite favour and hope you will excuse the mistake of the address. I am not able to boast of being an ornithologist so long as you though I have delighted in it from infancy, and was I not bound by conjugal attachment should like to ride my hobby into distant parts; yet I agree with you that naturalists in general attempt to explore too wide a field and their researches are too extensive, whereas if persons well qualified were to confine themselves to particular districts the natural history compiled from provincial authors would no doubt throw much light on the subject. I confess myself greatly obliged to your work for the discovery of the third species of willow wren and for the first determined separation of the other two species with whom I was perfectly well acquainted as to their notes but suspected that the same bird might produce both notes promiscuously. Your work produced in me fresh ardour and with that degree of enthu- siasm necessary for such investigations I pervaded the interior recesses of the thickest woods and spread my researches to every place within my reach that seemed likely. I was soon convinced of two distinct species not only in their song but in their size, colour, eggs and materials with wh they build their nests. The third species which you seem to think peculiar to your beechwood I flatter myself I have at last discovered to be an inhabitant of this part but they are very scarce and partial. Three only have I discovered; two of which I brought down with my gun from the top of tall oak trees in a thick grove interpersed with brambles. From the reiterated note somewhat resembling the blue titmouse and their colour being more vivid than the other species I do not hesitate to pronounce it that discovered by you though mine did not possess any white on the tips of the quills or secondary feathers; but the belly was pure white and the action of its wings agrees with your description: besides the note it commonly uses which is somewhat grasshopper- like it produces a shrill note five or six times repeated sounding like the 324 Cummings, A biographical sketch of Col. George Montagu. marshtitmouse. One pair of these birds I only know of about this neighbour- hood now, the nest of which I have not been fortunate to discover; if one should come aeross you it would be an acquisition to me. You are perfectly right in saying the name of the willowwren is very inadequate. I wish you had given them distinct names as I believe you have the merit of the original discovery. Pennant makes no mention of this acquisition to ornithology, as your letter of the 17th Augt., 1768 long preceded his last edition. Do you know. if Latham has adopted them in his “Systema ornithologiae” which is to come before the publick next winter? I am at a loss for your blue pigeon hawk especially as you say its female is brown. From its place of resort I should conceive it to be a hen harrier and that you had not corrected the mistake of other ornithologists and which Pennant fell into in his first ed. where he gives the ringtail for its female. Their habits and manners are nearly the same. Only the latter perches on trees occasionally; its white rump always distinguishes it from all others when skimming over the surface of the earth like the hen harrier: it makes its nest on the ground. Both these species we have not preserved not having been able to procure them being scarce and shy. Perhaps I may be favoured with them from you as well as their eggs another season if not this. If your pigeon hawk should be diffe- rent I should be obliged to you for further explanations as I am not acquain- ted with it by that name. The hobby that I want has been called the blue hawk by some. Its eggs l should be glad of and are no doubt to be found in your extensive woodlands; they are scarce with us. You are surprised at my requesting of you the goatsucker. ’Tis true many parts of this country produce them, but they are not to be commanded; and one bird in the spring or before Augt. is worth twenty after that time as most birds are then out of feather and the young ones are seldom in full or proper plumage until the winter and many until the ensuing spring. In the latter end ot October birds have mostly done moulting and are again fit for preservation; many scarce birds are at all times acceptable until a better supplies its place. Since I wrote I have killed a male goatsucker and as I have seen a female it is pro- bable I may get it, but the egg I despair of in this part. I remain, dr sir, your much obliged and faithful humble servant G. Montagu. The following is a list of Montagu’s publications: 1. The Sportsman's Dictionary, or a Treatise on Gunpowder and Firearms. London, 1792, reprinted 1803. 8°. 2. The Ornithological Dictionary, 1 vol. 8°, 1802. Supplement to the preceeding 1813, printed at Exeter by S. WooLMER. A 2nd. edition publ. in 1831 with remarks and introduction by James RENNIE, Prof. of Nat. Hist., King’s College, London. Subsequently in 1866, EDWARD NEWMAN, at this time Editor of the “Zoologist” brought out another edition, incorporating the additional species described by SELBY, YARRELL and others. Prof. ALFRED Newron’s Dictionary of birds is written in Dictionary form but it treats of the birds of the world and not of Great Britain alone. — 13 — IO. 7% 07 18. Cummings, A biographical sketch of Col. George Montagu. 325 Testacea Britannica or the Nat. Hist. of Brit. Shells, marine, land and fresh water including the most minute, systematically arranged and embellished with figures. 4°, London, 1803. Supplement to the preceeding, 1809. Contributions to the transactions of the Linnean Society of London. 1796, Vol. IV, Descriptions of 3 rare species of Birds. 1802, Vol. VII, Descriptions of several marine animals found on the coast of Devon. 1803, Vol. VII, On species of British Quadrupeds, Birds and Fishes. 1805, Vol. IX, On the Larger and Lesser Horseshoe Bats proving them to be distinct with a description of Vespertilio barbastellus taken in the South of Devon. 1807, IX, On the Nat. His. of Falco cyaneus and Falco pygargus. 1809, IX, On several new and rare animals principally marine discovered on the South Coast of Devon. Ibid. On some new or rare Brit. Marine Shells and Animals. Contributions to the Wernerian Society's Transactions. 1811, Vol. I, Observations on some peculiarities observable in the struc- ture of the Gannet and an account of an insect discovered to inhabit the cellular membrane of that bird. . Ibid. An account of a species of Fasciola which infests the trachea of poultry with a mode of cure. Ibid. An account of 5 rare species of British Fishes. 1818, Vol. II, An essay on Sponges with descriptions of all the species that have been discovered on the coasts of Great Britain. . Ibid. An account of Several new and rare species of Fishes taken in the South coasts of Devon with some remarks on some others of more common occurrence. 1821, Vol. III, Description of a species of Delphinus which appears to be new. Two posthumous papers in the Transactions of the Linnean Society. XIU, 19. On the Black Stork. XII, 2, 340. On 5 Brit. Species of Terebella. IE RCAC INOS A Memoir of Col. Montagu, by William Cunnington, F. G. S., Wiltshire Magazine, 1857, May, p. 87. Dictionary of National Biography. ~ Col. Montagu, by E. W. Swanton, Journ. of Conchology, July, 1908. I am indebted to the Rev. E. H. Gopparp, to Mr. T. A. Cowarp, F. Z. S., and Mr. G Baraursr Hony for their kind assistance to me when collecting the notes for this paper. x zoplogische Annalen Zeitschrift für Geschichte der Zoologie è Herausgegeben von i $ Geh. Reg.-Rat Dr. Max Braun, ‘0, è, Professor der Zoologie u. vergl. Anatomie und Direktor des zoolog. Museums in Königsberg i. Pr, Band V, Heft 1. Inhalt: . .. Steier, Die Tierformen des Plinius. . Schmid, Die angeblichen Gorillas in Hannos Bericht. Schulze, Nomenclator animalium generum et subgenerum. _ Bücherbesprechungen. Würzburg. dadi A Lg Verlag. von Curt Kabitzsch. N oes. | 1912. i RE ple: a oologisc hen Annalen“ erscheinen in | zwanglosen Heften, von denen i | ungefähr vier einen Band von 320 bis 400 Druckseiten gr. 8° zum Subskriptions- a tka preise von Mk. 15.— bilden. Einzelhefte ‘werden nicht abgegeben. ER ae Druckfertige Manuskripte i in deutscher, englischer, französischer oder italienischer Ol i o: 14 Sprache wolle man an Her n Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Max Braun in He ; WAS berg 42 Pra Zooleg.. Museum. ‚einsenden. ti & Verlag von Curt Kabitzsch, Würzburg. Die tierischen Parasiten des Menschen. Ein Handbuch für a und Ärzte ‘von = i Geh. Reg.-Rat Dr. Max I o. ö. Professor für Zoologie und vergl. Anatomie und Direktor des Zoolog. Museums in Königsberg. Vierte verbesserte, durch einen Anhang Orr ere Rte Auflage enthaltend : Die Pathologie una Therapie der tierisch-parasitàren Krankheiten von 2% a BS eh Otto Seifert, a. o, Professor der Universität Würzburg. NEN da BR Oia ie haces ae 40 Bogen mit 325 Abbildungen. À a: Preis brosch. Mk. 15.—, in Halbfranz gebunden Mk. NEN TE „Berl. klin. Wochenschrift‘“: Die neue Autlage trägt den Fortschritten des een VAS Reshanhe: die yy Zahl der Abbildungen wurde um 60 vermehrt. Eine wertvolle Bereicherung stellt der klinisch-therapeutische, È von Seifert verfasste Anhang dar, der das Buch auch den ärztlichen Praktikern in erhöhtem Masse nutzbringend | machen wird. Wir rühmen an dem Braun’schen Buche Klarheit der Darstellung, Vollständigkeit und nie ver- sagende o CAES . Seifert hat die klinische Seite der Parasitologie in recht geschickter Weise geschildert. ; | ©. gez. Zinn-Berlim, 2. Archives de Parasitologie. .. . L’ouvrage est plus que jamais Wee eomaeaneaiial il doit être le quide de tous” ceux qui s’adonnent ‘aux études en, "Les belles figures dont, il est pec le rendent Pa facile. I à consulter et a lire, à RE Zoologisches Zentralblatt... . Die neue Auflage ‘des Benet su Werkes Tian: nur Sn Freude ‘und D k- ph barkeit begrüsst werden... iy à i NET in Königsberg i, Peo È persion | und. Au | A i Dr. M. Line, AS I. Assistent des ‚Instituts, yi Das Buch, auf viehigen Erfahrungen der ete Mai W arasiten zu cen) Bedeutung ia mae: grosse Zahl. ol dig neuer A nahme gefunden, ein SR on stammt. aus ‚dem bre zinischen Fachpresse: En Zeitschrift für Fleisch- SE Milehhygien } Untersuchung der Haupttypen der tierischen Schamrotz Studierenden zu empfehlen ist. |. Berliner klin. Wochensehrift. . .. Was d ‚leiht, ist einmal sein. ausserordentlich. ‚grosser . pendidsester Form, dann aber — und dies. vorzüglich der Untersuchung in der Art, dass jeder, der mit EUR Laboratoriums Bescheid weiss, auch diese zoologische N | führen vermag. . . Der Leitfaden gibt. trefflich * Ank wertvolle Winke | über den Versand von Präparaten. DE, der Seen Me ne zu ‚ermöglic Verlag: von Curt Kabitzsch, Würzburg. ! Trot ce et: ISS ‘Lehrbuch der Histologie und der mikroskopischen Anatomie mit besonderer Beriicksichtigung des menschlichen Körpers ‚einschliesslich der mikroskopischen Technik Arr von a bu Dr. Ladislaus Szymonowicz Par o. 6. Professor der Histologie und Embryologie an der Universität Lemberg, Zweite Auflage ETES vollständig umgearbeitet und ergänzt unter Mitarbeit von CE Bar en Dr. Rudolf Krause Le "a. o. Professor der Anatomie an der Universität Berlin, en 8°, XII und 536 Seiten mit 201 Illustrationen im Text und 125 FRE auf : 60 teils farbigen Tafeln. se Preis brosch. M. 15.—, gebd. M. A7. ntralblatt für normale Anatomie. . Sowohl im Text wie in den Abbildungen weist das Buch zahlreiche Vervollständigungen f, das Bestehenbleibende wurde einer gründlichen. Revision unterzogen. . . . Die Ausstattung des Buches ist eine hervorragend gute, der Preis (M. 15.—) ein durchaus mässiger, gegenüber der Fülle des in Wort uae Bild Gebotenen zu nennen, ER = Verhandlungen der Physikal. -Med. Gesellschaft zu Würzburg. | ‚Neue Folge. Band XLI. dub: pa Die neuesten Ergebnisse der Paläontologie des Menschen ug das Ab- _stammungsproblem der heutigen Menschenrassen. (Sep.-Ausg. Preis M. 1.50.) Schultze, Di Ueber den direkten Zusammenhang von Muskelfibrillen und Sehnen- | fibrillen. Mit 1 Tafel. (Sep.-Ausg. Preis M. 2.80.) Frey, M, Die Wirkungen einfacher Druckempfindungen aufeinander. Sep.-Ausg. Lou T., Zwei Abhandlungen zur Mechanik des quergestreiften Muskels. | M. 1.—. jektionen. Mit 1 Tafel. (Sep. -Ausg. Preis M. 1.30.) Mit 19 Fig. im Text. (Sep.-Ausg. Preis M. 1.—.) Preis M. 1.60.) ss, A., ‘Studien über oi Bakterienflora des Mains bei Würzburg in qualitativer und | quantitativer Hinsi Mit 2 Tafeln. (Sep-Ausg. Preis M. 2. CA Golds ms M, Die F nes des Rhöngebirges VII. (Sep.-Ausg. Preis M. 1. ay Helfreich, Fr., Geschichte der Augenheilkunde in Würzburg. "Preis M. 1.20. er, W., Beiträge zur Physiologie des Calciumoxalates. Preis M. 1.80. mbium. (Preis M. 2.40). ER rats, Nene Folge. Band XLII. : ‚ze. 0. Ct auf Philipp Stöhr. Mit 1 Porträt. Preis M. 1.—. elle nd 11 ‚Abbildungen im Text. Preis M ta, (Enthalten Arbeiten kleineren ‚Umfangs ‘und geschäftliche Notizen.) | Das Weib in anthropologischer Betrachtung. Ga N Von’ Dre. ot en à on a) „Preis, LA 2.20, WA M. Experimentelle Beiträge zur Wirkung. subkonjunktivaler Kochsalzin- Boveri, Th., Ueber das Verhalten der Geschlechtschromosomen bei Hermaphroditismus. Gahlen, ca Le Befund bei Chorioretinitis. Mit 3 Tafeln. (Sep.-Ausg. >, ‚Fr. W., Uber die physiologische Rolle von Kalk, ee Bee te und Phosphorsäure stallographische Untersuchungen am Turmalin aus Brasilien. Mit 4 Tafeln, N: ee Med. Gesellschaft : zu ı Würzburg | Jahrgang 1900 bis 1911 à M.4—. oe À I: und hellenischen ‚Stämme Nord- Griechenlands aufzuklären sucht. | Verlag von Curt Kabitzsch, AUULEBUFR, „Mannus“, Zeitschrift für Vorgeschichte, Organ der uni Gesellschaft für Vorgeschichte herausgegeben von Professor Dr. Gustaf Rossinna. i Jährlich ein Band à 3—4 Hefte im Umfange von ca. 20 Bogen und Lei ah und Abbildungen im Text. Abonn.-Preis Mk. 18.— pro Band (der Bände I—III 4 Mk. 16.—). 3 Bände und 2 Ergänzungs-Bände liegen komplett vor, Band IV im Erscheinen. Mannusbibliothek” herausgegeben von Proiessor Dr. Gustai Rossinna. Neueste Bände: No. 8. SR Die germanischen Stämme und die Kulturen zwischen Oder und Passarge zur römischen Kaiserzeit. Von Dr. Erich Blume-Posen. dd Bogen mit 256 Abbildungen im Text und auf 6 Tafeln und 1 Karte. . Einzelpreis Mk. 8.—, Subskriptionspreis Mk. 6. 40. __No. 9. — D Die deutsche Vorgeschichte eine hervorragend nationale Wissenschaft. Von Professor Dr. Gustaf Kossinna. — | 7 Bogen mit 157 Abbildungen : im Text. BIRD Einzelpreis Mk. 5.—, Subskriptionspreis Mk. ji a i CATO Früher erschien: UND. enr | Die Herkunft der Gerr naner Zur Methode der Siedlungsarchä ologie. Von Professor Dr. Gustaf Kossinna. Sa | 2 Bogen mit einer Karte. Preis Mk. 1. 150, En un. 1.20. __No. 1. _ ” Helenen br pian Von Dr. Georg MRS : Mit 100 Textabbildungen und. 1 a Einzel-Preis Mk. 4,50. : | Subskriptionspreis, wenn auf die ‚ganze Serie. Die vorliegende Studie soll einen Beitrag zur. Lese des “never germanenproblems bilden, indem sie an der Hand der ade Tats 2 se. Vollständige, reich illustrierte te Vern cs Kostenlos, Ä | 4 meri + Valvola Zoologische Annalen ‚Zeitschrift für Geschichte der Zoologie . Geh. Reg.- Rat Dr. Max Braun, o. 6. Professor der Zoologie u, vergl. Anatomie und Direktor des zoolog. Museums in Königsberg i. Pr. { Band V, Heft 2—3. by | — inhalt: Kohlbrugge, Historisch-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. Würzburg. PES Verlag von Curt Kabitzsee., | pee n) len et Kgl. Universitäts-Verlagsbuchhändler 1913. Die „Zoologischen Annalen“ erscheinen in zwanglosen Heften, von denen ungefähr vier einen Band von 320 bis 400 Druckseiten gr. 8° zum Subskriptions- : ‚preise von Mk. 15.— bilden. Einzelhefte werden nicht abgegeben. | Drueifertige Manuskripte i in deutscher, englischer, französischer oder italienischer & pu ka man ‘an Herrn Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Max Braun in ee TR (hei i Pra Zena Museum einsenden. | hdi Come Is Verlag von Curt Kabitzsch, kgl. Univ.-Verlagsbuchhandier, Würzburg. Zum Teil als Sonderdruck aus Bass Noses en Annalen erschien: si y A Historisch- kritische Studien 5 Li | ; N als trish. | 10 Hosen mit 2 Tafeln. | Preis bosch. Mk. 3— I. Goethe als vergleichender Anatom. SIRIO o Er II. War Goethes Naturanschauung teleologisch oder mechanisch | III. Goethes Parteinahme am Kampf in der. gr Y | Jahre 1830. di uri pn IV. Goethe und die Lehre von | der Metamorphose. N V. Goethe und die Geologie als Schlusswort. vr Leitfaden —— . zur Untersuchung tierischer Parasiten des Menschen und der Haustiere. Von Geh. Reg.-Rat Dr. Max Braun, o. è. Professor der Zoologie und vergl. Anatomie und Direktor des Zool. Museums in Königsberg i. Pr. Verlag von Curt Kabi tzsch , kgl. Univ.-Verlagsbuchhändler, Würzburg. À WAR EU 3 ara und Be Privatdozent Dr. M. Lühe, Pa NIE di I. Assistent des Instituts, 12 Bogen mit 100 Abbildungen im Text. Preis brosch. Mk.§5.20,3gebd. Mk. 6.—. Das Buch, auf vieljahrigen Erfahrungen der Verfasser beruhend, will ein Leitfaden sein für Spezialvorlesungen und -Übungen in der Parasitenkunde, der eine beständig * wachsende Bedeutung zukommt, Eine grosse Zahl vollständig neuer Abbildungen hat darin Auf- nahme. gefunden, ein anderer Teil stammt aus dem grossen Braunschen Parasitenwerke. Nachstehend | einige Auszüge aus den sehr anerkennenden Urteilen der tierärztlichen und medi- zinisehen Fachpresse: | Zeitschrift für Fleiseh- und Milchhygiene. . . Eine ausgezeichnete Anleitung zur Untersuchung der Haupttypen der tierischen Schmarotzer, die auch den Tierärzten und . Studierenden zu empfehlen ist, Berliner klin. Wochenschrift. . Was dem Buche seinen grossen Wert ver- ‘. leiht, ist einmal sein ausserordentlich‘ grosser Inhalt und sachlicher Umfang in kom- | pendiôsester Form, dann ‘aber — und dies vorzüglich — das exakte Eingehen auf die Methoden der Untersuchung in der Art, dass jeder, der mit den gewöhnlichen Arbeiten des medizinischen Laboratoriums. Bescheid weiss, auch diese zoologischen Versuche an der Hand des Leitfadens auszu- _ führen vermag, . . Der Leitfaden gibt treffliche Anleitung zur Technik und versäumt auch nicht, wertvolle Winke über den Versand von Präparaten zu geben, um deren Prüfung und die Nach- > prüfung. "x eignen Versuchsergebnisse zu ermöglichen. Ein wahrhaft nützliches Buch. È _ehrbuch der Histologie und der. Longo mikroskopischen Anatomie HD N mit besonderer Berücksichtigung ide des menschlichen Körpers -sinsclesich der mikroskopischen Technik | von. MESIA Dr Ladislaus Szymonowicz 0. è. Professor der ‚Histologie und Embryologie an der Universitat Lemberg. Zweite Auflage ga vollständig ek und ergänzt unter Mitarbeit von Dr. Rudolf Krause N pe o. Professor der Anatomic. an der Universität Berlin. 8, x und 536 Seiten DI, 201 Illustrationen im Text und 125 dessin auf 2 60 teils ‚farbigen Tafeln. on | Preis brosch. M: 15. el de M. ue i i = oe o u de ee wanda einer Pandiches 7 Revision unterzogen, . . . Die Ausstattung des K uches ist eine hervorragend gute, der Preis (M. da pri cin. Misia mässiger, pegenthes: | Sr Fülle des in Wort und Bild Gebotenen : zu ‚nennen, Verlag von Curt Kabitzsch, kgl. Univ.-Verlagsbuchhändler, Würzbu rg. 9 Sexualpsychologische Studien von Havelock Ellis: | EIEZEZEZEZEZEZEZEZEZEIEZEZEGEIESETEZESEIESEZESEI Ein Urteil: sp gut te combos se È „Der Naturarzt*: Wer sich eingehend mit Fragen aus dem Gebiete des Geschlechtsleben be- fassen will, muss vor allem die Schriften von Havelock Ellis, dem unermüdlichen englischen Gelehrten, studieren. Es gibt nichts Besseres auf diesem Gebiete, sowohl was wissensehaftliche Vertiefung, als auch Ernst der Gedanken, Klarheit und Sehönheit der Darstellung anlangt. EAEBSSEBEBEREBEBEHEAEEBEBEBEREBEREBEHEBSSEHEEREBEREHEN EBEHEBEHEHBEHETEHERENEN EREBEBEBENEZ eSESESERESESESESSIER Rassenhygiene und Volksgesundheit. Von Havelock Ellis. Deutsche Originalausgabe unter Mitwirkung von Dr. Hans Kurella, ; 30 Bogen. Broschiert Mk. 5.50, gebunden Mk. 6.50. i Ein Programm sozialhygienischer Reformen! Bietet jedem, der sich für das Gancianohi interessiert oder dem es von Berufswegen angeht, also dem Ärzte, Sozialpolitiker, Stadtvätern, Abgeordneten, überhaupt allen, die über sen Fortschritt und die Entwicklung der Menschenrassen nachdenken, reiche Anregung. Sete here u I E ri Tal Inhaltsverzeichnis: Einleitung. — Individualismus und Sozialismus, — Die Bedeutung del s inkenden Geburtsziffer — Die Änderung in der Stellung der Frauen. — Der gegenwärtige Stand der Frauen- bewegung. — Die Emanzipation der Frauen von der Romantik der Liebe, — Rassenhygiene und Liebe. — Das Problem der Sexualhygiene in der Erziehung, — Die Religion und Erziehung des |. Kindes. — Die Hebung der Sittlichkeit‘ durch Sittengesetze. — Die Wohnung als Milieu- und als ee Selektions-Faktor. — Das Problem einer internat. Sache — Der Kampf gegen den Krieg. — Anhang. Be. Geschlecht und Gesellschaft. a. Soziologie di I. schlechtslebens. | , Von Havel. Ellis. Autorisierte deutsche Ausgabe besorgt von Dr. Hans Kurella. L Bd. brosch. Mk. 4,—, geb. Mk. 5.—. II. Bd, Mk. &.—, geb. Mk. 6.— Inhalt Bd.I.: Mutter und Kind. — Die geschlechtliche Aufklärung, - — Aufklärung und Nacktheit. — Die Wertung der Geschlechtsliebe. — Die Bedeutung der Keuschheit. — Die Enthaltsamkeits-. È frage. — Sexualethik, — Bd.II.: Die Prostitution. — Die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, Ehe und Ehescheidung. — Liebeskunst. — Die Wissenschaft der F ortpflanzung. (Eugenik. Je Mann und Weib. Eine Darstellung der sekundären Geschl | beim Menschen. Von Havelock Ellis. | | . ‘Nach der vierten Aufl. des englischen Originals unter Mitwirk ng des ia her au cui und. 13 Kurven im Text. n broschiert Mk. Pa na Mk. 7. 6 Das den Eine Re) Broschiert Mk, 4. —; dii Mk. DE —, n Geschlechtstrieh und Schamgefühl. Von Dr. Havelock Ellis. mit Unterstützung von Dr. m ‚besorgt von J. E. Kötscher. 3. umgearbeitete Auflage. Brosch, M. auf di ociati I I Die krankhaften Reati Fre Dr. Ernst J Brosch. M. 4.—, geb. M. 5.—. % Die Gattenwahl beim Menschen ; besorgt von Dr. Hans Kurella. Die Weit der Tränme. DI 0 Brosch. Mk. 4.—, gebund. » ‚Träume können wenn sie richtig verstanden werden, un diesen Worten schliesst Ellis das Vorwort zu diesem Werk, das - Traumleben bedeutet, nicht nur fürdie Psychologie, sonder. Leona für die a ehe Ästhetik, namentlich der Musik. X | Dieses Heft bildet den Schluss des V. Bandes. ee. Zoologische Annalen Zeitschrift für Geschichte der Zoologie Herausgegeben von Geh. Reg.-Rat Dr. Max Braun, o. 6. Professor der Zoologie u. vergl. Anatomie und Direktor des zoolog, Museums in Königsberg i. Pr. Band V, Heft 4. Inhalt: Hilzheimer, Überblick über die Geschichte der Haustierforschung be- sonders der letzten 30 Jahre. Ziegler, Über die neue Nomenklatur. Steier, Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. Nee A biographical sketch of Col. George ps ar ta RN Os 3 Wiirzburg. ie He Gi Verlag. von Curt Kabitzsch. » Kgl. Universitits- Verlagsbuchhändler 1913. oologischen An n al en: erscheinen i in zwanglosen Heften, von denen ier einen Band von 320 bis 400 Druckseiten gr. 8° zum Subskriptions- von Mk. 15.— bilden. Einzelhefte werden nicht abgegeben. e ‚Manuskripte i in deutscher, englischer, französischer oder italienischer olle man an Herrn Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Max Braun in Königs- Zoolog. Museum einsenden. Der Verlag behält sich das ausschliess- der Soa und en der in dieser Zeitschrift zum ‚Breidenbach, H., Der Zustand des Mainwassers und der Mainafer: cb nes ‚Gahlen, Fr., Entoptischer Befund bei Ghorioretinitis | Reiss, A., Studien über die Bakterienflora des Mains be ji Goldschmidt, M., Die Flora des Rhöngebir (Ser | Schultze, Gedächtnisrede auf Philipp 5 | Müller, Kristallographische Untersucl 4 Sieber, Fr. W., Ùber die physi Verlag von Curt Kabitzsch, Kgl. Univ.-Verlagsbuchhändler in Würzburg. | we Verhandlungen 71 ‘ Physikaliseh- „Medizinischen "Gesellschaft zu Würzburg. mi; Preis pro Band im Umfang von ca. 25 Druckbogen M. 14— ara 14 Neue Folge. Band XXXIX. va] a Schmitthenner, E., Über histologische Vorgänge bei Okulationen und Kopalationen ‘a (Sep.-Ausg. M. —.60. + Kraus, G., Gynaeceum oder Gynoeceum? und anderes Sprachliche. (Sep. -Ausg. M. 60 a Schmincke, A., Die Regeneration der quergestreiften Muskelfasern bei den Wirbel- oR tieren. Eine vergleichende pathologisch-anatomische Studie. x ie Mit 2 lithogr. Tafeln. (Sep.-Ausg. M. 3.50.) Lüdke, H., Zur Kenntnis der Komplemente. (Sep.-Ausg. M. 2.40) Manchot, W., Über Sauerstoffaktivierung. (Sep.-Ausg. M. —.80.) Sobotta, J., "Die Richtungsteilungen des Säugetiereies, speziell über die Zah der Richtungskörper. (Sep.-Ausg. M. —.80.) | ; Goldschmidt, M., Die Flora des Rhöngebirges VI. (Sep. -Ausg. M. 120) Baltzer, Fr., Über mehrpolige Mitosen bei Seeigeleiern (Sep. "Ausg. M. 420) Neue Folge. Band XL. Beckenkamp, Demonstration einiger neuer Strukturmodelle. (Sep. -Ausg. M. 80). Kraus, Gr., Erfahrungen über Boden und Klima auf dem Wellenkalk. Aus der Pflanzen welt Unterfrankens X. (Sep.-Ausg. M. —.80.) i | halb und innerhalb Würzburgs unter Verwendung chemischer, bakteriologischer | und biologischer Methoden. (Sep.-Ausg. M. 2.40.) Riedinger, n us die Wirkung moderner Eraakale, Mit 14 Tafeln. (Sep. Ausg Preis —.) | Borst, M., Gedächtnisrede auf E. v. Rindfleisch. (Sep. UME Preis M. 1.50) Kraus, Gr., Aus der Pflanzenwelt Unterfrankens XI. (Sep.-Ausg, Preis M. 130) Schultze, 0., Neue Methoden der histologischen, aufhellenden und korrodie renden Technik. Mit 1 Doppeltafel. (Sep.-Ausg. Preis M. 1.50) | “it Lang, H. K., Der Sauerstoffgehalt der natürlichen Wasser i in Warburg und na (DER: Ausg. Preis M. 1.20.) Neue Folge. Band XLL Sobotta, J., Die neuesten Ergebnisse der Paläontologie des M nsch . stammungsproblem der heutigen Menschenrassen. (Sep. Schultze, 0., Über den direkten Zusammenhang von Muskel: fibrillen. Mit 1 Tafel. (Sep.-Ausg. Preis M. — 80.) v. Frey, M., Die Wirkung einfacher Druckempfindungen au Inouye, T., Zwei Abhandlungen zur Mechanik des quergestreiften Stucken, H. M., Experimentelle Beiträge zur Wirkung subkon injektionen. Mit einer Tafel. (Sep. -Ausg. Preis M. 1.30 Boveri, Th, Über das Verhalten der Geschlechtschromosomen i Hen Mit 19 Fig. im Text. (Sep.-Ausg. Preis M. LI Preis M. 1.60.) und quantitativer Hinsicht. Mit 2 ne Helfreich, Fr., Geschichte der Augenheilku Unger, W., Beiträge zur Physiologie de ; im Kambium, | (Preis ‘4: Tabell und 11 Abbil Goldschmidt, | V. DURE Übe nd 1T Verlag von Curt Kabitzsch, kel. Univ.-Verlagsbuchhändler, Würzburg. Als Sonderdrucke aus den Zoolog. Annalen sind erschienen: Historisch-kritische Studien über Goethe als Naturforscher. Von Dr. J. H. F. Kohlbrugge, Utrecht. 10 Bogen mit 2 Tafeln. = Preis brosch. Mk. 3.—. j I. Goethe als vergleichender Anatom. I. War Goethes Naturanschauung teleologisch oder mechanisch ? Ill. Goethes Parteinahme am Kampf in der Pariser Akademie vom Jahre 1830. À IV. Goethe und die Lehre von der Metamorphose. je V. Goethe und die Geologie als Schlusswort. Aristoteles und Plinius si} Studien zur Geschichte der Zoologie Dr. August Steier. Preis broschiert Mk. 4.— INHALT: Die Einteilung der Tiere in der Naturalis Historia des Plinius. — Die Tier- À ‚formen do Plinius. — Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. Fund der | mikroskopischen Anatomie mit besonderer Berücksichtigung er ER des menschlichen Körpers — | einschliesslich der mikroskopischen Technik von ERDE Dr Paden Szymonowicz | fate ö. . Professor der Histologie und Embryologie an der Universität Lemberg. Zweite Auflage vollständig umgearbeitet und ergänzt unter Mitarbeit von : Dr. Rudolf Krause RAIN, di ‘a. 0. Professor der Anatomie an der Universität Berlin. | und 536 Seiten mit 201 Illustrationen im Text und 125 desgleichen auf TR aa Ne Heer, 60 teils farbigen Tafeln. ; TIA ay Preis brosch. M. 15—, M. So 3 B en wards) einer ee Revision. unterzogen. ee | Die E des: ervorragend gute, der Preis (M. 15. —) ein un mässigen, gegenüber a to Vort und Bild Gebolenen; zu Auen tag ia SRO a3 1 Verlag von Curt Kabitzsch, kgl. Univ.-Verlagsbuchhändler, Würzbu rg. Die tierischen Parasiten des Menschen. Ein Handbuch für Studierende und Ärzte von Geh. Reg.-Rat Dr. Max Braun, o. 6. Professor für Zoologie und vergl. Anatomie und Direktor des Zoolog. Museums in Königsberg. Vierte verbesserte, durch einen Anhang erweiterte Auflage enthaltend: Die Pathologie und Therapie der tierisch-parasitären Krankheiten | von Dr. Otto Seifert, a. o. Professor der Universität Würzburg. 40 Bogen mit 325 Abbildungen. Preis brosch. Mk. 15.—, in Halbfranz gebunden Mk. 17.—. Ben: klin. Wochenschrift“: Die neue Auflage trägt den F ortschritten des parasitologischen Wissens Rechnung, die Zahl der Abbildungen wurde um 60 vermehrt. Wir rübmen-an dem Braun’schen Buche Klarheit der Darstellung, Vollständigkeit und nie versagende Zuverlässigkeit. . . . Seifert hat die klinische Seite der Parasitologiein w recht geschickter Weise geschildert. gez. Zinn-Berlin. 1 Archives de Parasitologie. . . . L’ouvrage est plus que jamais recommandable; il doit être le guide de tous — ceux qui s’adonnent aux études parasitologiques. Les belles figures dont xt est orne le rendent origine facile — 4 consulter et a lire. Zoologisches Zentralblatt. . . . Die neue Auflage des Braun’schen Werkes kann nur mit Freude und Dank- | barkeit begrüsst werden... 4 | - Leitfaden : — zur Untersuchung tierischer Parasiten des Menschen und der Haustiere. Von ’ | Fi a ik ; . Geh. Reg.-Rat Dr. Max Braun, Ri dai o. Ô. A der Zoologie und vergl. Anatomie und Direktor des Zool. Museums Kae a in Königsberg i. Br: und È SAPERE, À i 1% Privatdozent Dr. M. Lühe, a RAR N ee I, Assistent des Instituts, BEA A, CA reno atto a A 12 Bogen mit 100 Abbildungen im Text. Vu... 5 Preis brosch. Mk. 5.20, gebd. Mk. 6.—. RENE «°° Das Buch, auf vieljährigen Erfahrungen der Verfasser beruhend, will ein Leitfaden ‘sea für Spezialvorlesungen und -Ubungen in der Parasitenkunde, der eine beständig | wachsende Bedeutung zukommt. Eine grosse Zahl vollständig neuer Abbildungen hat darin Auf- nahme gefunden, ein anderer Teil stammt aus dem grossen Braunschen Parasitenwerke. Nachstehend einige Auszüge aus den sehr anerkennenden Urteilen der tierärztlichen und medi- zinischen Fachpresse: o 4 Zeitschrift für Fleisch- und Milchhygiene. He Nine i Ar Hi zur Untersuchung der Haupttypen der tierischen je | die auch d en Tierärzten ‚un Studierenden zu empfehlen ist. x a Au Ward Berliner klin. Wochenschrift. . . . We dem Buche seinen | leiht ist einmal sein auss erordentlich grosser € ne a Sti # na dee 1 = Y | A na I. Se ET Tara. u } ii Il fi pie i I Vy (4 Ù eh Ù Ip nigh A "ei Li un et te Ss Fe ST er ern „nn == REI SEL er