vor nd ehren è la 5 Sry ei shaded oer Fa M » - : = 7 © u re 1 gir R n : En 7 : nes De I) ChE gh er à i nd i powers grate SR me ‘ x - ‘ Peat Mier’ A x he | N na © a vi agrari Sr Se i of a u te mt Fn ee ee Pur res soir le ne ina wen Bro di dr cip de bs : Shen res a ee AVE ur ET ref € + Artie 2e Peters preneur TRE ge =) : = o sode nti sj Tua oi pe bye ae ga a MAR ra È 2 smetta «4 prit i te Ve tn tm hr ZE ET tn Le een € a ot pi Re Ao DA pira net RA A n Preti te tr RIETI pace tera a tga we ad RE Ho à 0A #1 ii this 2s NANTES rt AN (i PAIN hy ZOOLOGISCHE ANNALEN, ZEIISCHRIET FÜR GESCHICHTE DER ZOOLOGIE HERAUSGEGEBEN VON GEH. REG.-RAT D® MAX BRAUN, ©. O. PROFESSOR DER ZOOLOGIE UND VERGL. ANATOMIE UND DIREKTOR DES ZOOLOG. MUSEUMS IN KÖNIGSBERG I. PR. BAND VII. LEIPZIG UND WÜRZBURG. VERLAG VON CURT KABITZSCH. 1919. Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung vorbehalten. Druck der Universitätsdruckerei H. Stürtz A.G., Würzburg. Inhalt von Hofsten, Nils, Zur älteren Geschichte des Diskontinuitätspro- blems in dai Biogeographie . May, Prof. Dr. Walther, Die asansiischen Mythen der aren Ku völker . j ; Pax, Dr. F., Uber das Lutto der Gattung ‘Darnassus in dln Sudeten CAD ome Bc. Sila Sala Dr. Bi Dei Visa in "Ortsnamen: Sir Bette zur Kennt nis der nino dieses Tieres sowie des Ures im Mittelalter Szalay, Dr. B., Der grimme Schelch. Über ,,Glossentiere und einige Tiernamen, wie Elch, Schelch, Tragelaphus, Bockhirsch, Onager, Waldesel, Brandhirsch, Equicervus Zaunick, Rudolph, Ein kleiner Beitrag zur Geschichee der Urzeugung sek, Rudolph, Nachtrag zu nn Arbeit über Georg Marc- grave Zaunick, Ra mine Biren um tre langer über id i ne des Mittelalters . Bücherbesprechungen. Locy, W. A., Die Biologie und ihre Schöpfer . Hinneberg, Die Kultur der Gegenwart . a a) Seite 197 99 81 97 98 LE = Wy trait Der Wisent in Ortsnamen. Mingbettnac zur Kenneniseden Verbreieune dieses Tieres sowie des Ures im Mittelalter von Dr. B. Szalay in Hermannstadt-N. Szeben, Ungarn. Seitdem der Mensch auf Erden die alleinige Herrschaft über- nommen hat, geht die Tierwelt rapid ihrem Ruin entgegen, und besonders ihre großen Repräsentanten, welche die Aufmerksam- keit der Menschen naturgemäß in erster Reihe auf sich gelenkt haben. Wir würden kaum glauben — wenn die Knochenfunde _ es nicht bezeugen würden —, daß vor nicht einmal sehr langer Zeit unser Land die Heimat des interessantesten Großwildes (Elch, Ur, Wisent, Steinbock etc.) gewesen ist und daß es nur der Mensch war, der als ein schlechter Wirt all diese Herrlichkeit leichtsinnig verschwendete. Die seltsamen Tiere der früheren geologischen Perioden lebten in einer ganz anderen, fremden Welt: das ist nicht unsere heutige Erde! — Viel näher stehen uns schon die Riesen des Diluviums, weil damals der Mensch schon geschaffen war. Uns interessiert aber in erster Reihe die Geschichte und Verbreitung der noch unlängst — im Mittelalter — dagewesenen und seither an den meisten Orten ausgestorbenen Tierarten, weil mit diesen unsere Ahnen schon arge Kämpfe führen mußten: als Beweis sehen wir im Wappenschilde von mehreren den Auerkopf — aus Gegenden, wo wir heute dieses prachtvolle Wild vergebens suchen würden! Dabei möchte ich die Aufmerksamkeit auf den interessanten Umstand lenken, daß die Paläontologie allein heute noch nicht die Verbreitung eines Tieres im Mittelalter festzustellen ver- mag, und wir würden ein ganz falsches Bild gewinnen, wenn wir Zool. Annalen VI. 1 2 B. Szalay, heute nur aus den paläontologischen Funden die Verbreitung eines Tieres vor 800— 1500 Jahren festzustellen versuchen würden, denn wir müßten hundertmal oder tausendmal mehr Material be- sitzen, um dies richtigerweise tun zu können. Heute sind deshalb noch immer die wichtigsten Hilfswissen- schaften der neuesten Paläontologie die alten historischen Quellen, die erhaltenen Kunstdenkmäler — und die Ortsnamen, die durch die Philologie interpretiert werden. WoLreana LA-BAUME war der erste, der es versuchte, durch Vereinigung der paläontologischen Daten ein Bild der Verbreitung des Ures und Wisents vor 1ı— 3000 Jahren in Deutschland zu geben, — und gerade diese wertvolle Arbeit des Verfassers zeigt am besten die großen diesbezüglichen Lücken der genannten Wissen- schaft. La-Baume konnte nämlich in solchen Bezirken, in denen gegen die Mitte des Mittelalters noch bestimmt viele Bisons zu finden waren — Thiiringen, Bayern, Württemberg — keinen einzigen neueren Fund aus der Literatur verzeichnen. Aber sogar in Preußen nicht, wo doch diese Tiere, wie das allbekannt ist, noch vor 11/2 Jahrhundert eine wichtige Rolle spielten '). Ich füge hinzu, daß in Ungarn, wo im Mittelalter mehrere 100000 Wisente verendeten, wo in Siebenbürgen der letzte erst vor ca. ı20 Jahren erlegt wurde, wo aber früher Haut und Hörner des „Auerochsen“ viele Hundert Jahre lang vom Volk und vom Adel verwendet wurden: Auch da besitzen wir nicht ein Atom von diesem Tier — obwohl unsere Museen mit den Resten des Avson priscus gepfropft sind?). Die Kenntnis von diesen Tatsachen ist für den Zoogeographen von eminenter Wichtigkeit. Selbe veranlaßten bei uns einen er- fahrenen, angesehenen Forscher zur Annahme, daß in Ungarn in den letzten Jahrhunderten überhaupt keine Bisons gelebt — ‚und daß man unter dem Namen des „Auerochsen“ verwilderte Rinder gejagt hatte ?). 1) Es handelt sich da immer um Zison europaeus des Alluviums und nicht um Bison priscus des Diluviums. ?) Erst im Jahre ı912 fand man ein ca. tooo Jahre altes Skelett im Banat (südlich von Temesvar im Mittelgebirg) ohne Hörner, das aber noch nicht näher untersucht wurde. 3) Ich werde in einem Aufsatz direkte Beweise für die ehemalige Existenz des Siebenbürger Wisent liefern. Der Wisent in Ortsnamen. 3 In Polen, in der heutigen Heimat des Zubr, wo man massen- hafte Funde aus historischer Zeit voraussetzen würde, hat man meines Wissens kaum 1—2 Knochenfunde des Dison europaeus verzeichnet). All dies beweist zur Genüge, daß die mittelalterliche Ver- breitung dieser Tiergattung heute noch größtenteils nur durch die Geschichte und Philologie festgestellt werden kann, weshalb der Zoologe sich unbedingt für die sprachlichen und historischen Belege für die Verbreitung des Wisentes interessieren und sich mit diesen befassen muß, da dem Auge der betreffenden Sach- forscher vieles entgehen wird, was nur der Zoologe bemerken oder herausfühlen kann. Zu diesem Zwecke sammelte ich seit vielen Jahren die Orts- namen der alten Chroniken (die merkwürdigerweise noch nirgend vollständig zusammengestellt sind), um möglichst das ganze Ma- terial, was sich auf „Wisent“ und „Ur“ bezieht, beisammen zu haben. Das Studium, die Beurteilung und Ordnung der Ortsnamen ist mit unglaublichen Schwierigkeiten verbunden. Wer sie zuerst sammelt und sortiert, hat den Sisyphus’schen Teil der Arbeit bewältigt. Spätere Berichtigungen und Ergänzungen durch Fachforscher, die sich nur mit einem kleinen Teil der Arbeit beschäftigten, sind eine Kleinigkeit — weshalb ich alle Forscher ersuche, durch neue Beiträge diesen wichtigen Gegenstand fördern zu wollen. — In der Literatur ist schon ein Versuch gemacht worden (BRANDT 1867), die ehemalige Verbreitung der Wildochsen in Deutschland auf Grund der historischen Angaben alter Chroniken festzustellen — auf Grund der Ortsnamen ist dies aber noch nicht geschehen, und um so weniger, weil in historisch- zoologischen Werken z. B. bis jetzt von den mit „Wisent“ zu- sammengesetzten Namen immer nur dieselben 2—3 angeführt wurden (Wisontessteiga, Wisuntwangas). Diese wurden so oft wiederholt, daß manche Forscher schließlich zur Annahme kamen, es existierten überhaupt keine anderen. Es ist Tatsache, daß sie sehr selten sind. In der ganzen zoologischen Literatur werden zusammen nur sechs erwähnt (KELLER O.-Th. d. kl. Alt. 1887. 55). Aber auch der erste Spezialist und Fachphilologe FÖRSTEMANN, 1) Eine Zusammenstellung dieser Funde (wenn sie überhaupt auf sicherer Diagnose beruhen) wäre sehr erwünscht und lehrreich. L — 3 — 4 B. Szalay, der fast sein ganzes Leben den Ortsnamen gewidmet hat („Alt- deutsches Namenbuch I Ortsnamen 1859/1872) konnte nur neun hiehergehörige Namen (unter ca. 18000 anderen!) finden, dies sind: 2 Wiesent, 2 Wisontaha, Wisentouwa, Wisontessteiga, Wisantes- dorf, 2 Wisuntwangas. — Die niedrige Zahl obiger Namen beweist am besten den hohen Wert eines jeden einzelnen. In Anbetracht dieser Ver- hältnisse ist man zur Annahme geneigt, daß in Deutschland sehr wenig Bisons gelebt haben, wenn man nur so wenig Orte nach dem wichtigsten begehrtesten grössten Wild betitelte. — Dies steht aber im Widerspruche nicht nur mit den häufigen historischen Erwähnungen des Tieres — sondern auch mit jener Tatsache, daß vom Ur, der nach unserer Auffassung seltener als der Wisent war, — gerade in Deutschland einige Hundert Orts- namen erhalten blieben, von denen meine Sammlung ca. 300 aufzählt. Dieses scheinbar unerklärliche, auffallende numerische Mif- verhältnis — das sich aber bei der Zahl der slawischen Tur- und Zubr-Namen gerade in diesem Sinne wiederholt!! — zwangen mich in erster Linie zum eingehenden Studium dieses Gegenstandes. Die erste Frage, die ich mir stellte, war: Gibt es denn — außer den Fürsremanx'schen neun Wisent-Ortsnamen — wirklich keine anderen ? Die Antwort hierauf findet der werte Leser weiter unten. Damit ich meinen Gesichtskreis erweitere und brauchbare Analogien gewinne, machte ich zuerst die diesbezüglichen Ver- hältnisse Ungarns zum Gegenstand meines Studiums. Die Resultate dieser Forschungen sind auch für andere Länder so wertvoll, daß ich sie hier ganz kurz mitteilen muß. Vor dem IX. Jahrhundert waren im heutigen Ungarn be- sonders slawische Stämme einheimisch, die hier am Gebirg eine Schafwirtschaft betrieben, Dörfer gründeten und selbe be- nannten. Die Ungarn wanderten 895 ein, die Rumänen aber erst im XII. und XIII. Jahrhundert. Beide Völker übernahmen die slawischen Ortsnamen mit geringer Umänderung. Die Ungarn begegneten hier dem Wisent und dem Ur — aber nur noch in den großen Waldungen, meistens im Karpathengebirge Die Ungarn, ursprünglich ein Steppenvolk (Pferdezüchter!) — nahmen mit Vorliebe die Ebene in Besitz und gründeten deshalb nur wenig Gemeinden im Gebirge: Das ist der Grund davon, daß so Der Wisent in Ortsnamen, 5 wenig ungarische Ortsnamen vom Wisent vorhanden sind, zu- sammen zwölf!). Als die Rumänen in die gebirgigen Ostteile von Ungarn ein- wanderten (ca. 1160), fanden sie hier schon wenig Ure — hingegen hielten sich die Wisente bis 1790 in Siebenbürgen auf. Deshalb findet man im Karpathen-Gebirge sehr wenige mit „Bour“ ?) (= Urus) zusammengesetzte Ortsnamen (also umgekehrt, wie in Deutschland), hingegen sehr viele Zimbr — s. (= Zubr, = Bison). — Die Rumänen wohnten meistenteils als Hirten im Gebirge und haben in der ersten Zeit wenig Gemeinden gegründet. Es existiert deshalb im ganzen Lande nur ein Dorf, das ,Zimbro“ lautet (bei Arad, im Gebirge.) ‘Im Anfang richtete auch ich mein Augenmerk, so wie meine zoologischen und philologischen Vorgänger in Deutschland, nur auf die Gemeindenamen, und fand in Oberungarn einige slawische Dorfnamen von der Wurzel Zubr. Bald mußte ich aber die Ein- seitigkeit dieser Methode einsehen. — Die Wildrinder hielten sich nur in früheren Zeiten auf zugänglicheren, für Gründung von Gemeinden geeigneten Orten auf und mußten in den meisten Fällen sich schon frühe auf das Gebirge zurückziehen: Da müssen also die meisten Zimbr-Namen als Bergbenennungen verborgen sein! Und tatsächlich, in Siebenbürgen fand ich ca. 30 hieher- gehörige Namen von Bergen und Schluchten, so daß sich schon auf Grundlage dieser Namen eine Verbreitungskarte des Bison für diese Provinz zeichnen ließ. Es hatte sich herausgestellt, daß hier, so wie auch in Deutschland, besonders jene Gegenden an diesbezüglichen Ortsnamen reich sind, die auch von den Chroniken als die Aufenthaltsorte der wilden Ochsen bezeichnet werden. Hie und da sind auch unwesentliche Verschiebungen zu konstatieren, die aber allerdings nur auf die Unzulanglichkeit der Datenzahl zurückzuführen sind. Die meisten Orte befinden sich im NO Siebenbürgens, im Grenzgebiete zwischen unserm Land und der Moldau; es gibt aber solche auch im Süden, so in der 1) Der Wisent heißt ungarisch heute böleny, sprich: bölehnj; früher hat er belén und bölin (bölind) geheißen, in der alten Orthographie bewlin oder bwlin. — Das ist nichts anderes, als der bei ARISTOTELES schon vorkommende Bonasus-Name: Bolinthos. Siehe „Bolinthos“ vom Verfasser. 2?) Bour = wilder Ochs = das mittellateinische „boulus ferus“ Die Rumänen (Walachen) haben nämlich eine Vorliebe für Diminutiv-Suffixe (Slawischer Einfluß) — es wäre aber ein grober Irrtum, deshalb auf wirklich kleine Gegenstände zu schließen ! 6 B. Szalay Gegend von Kronstadt — Brassö-er Karpathen, ferner im Retyezat- Gebirge, und sogar im Biharer-Gebirg (ca. 800—1700 m zwischen Siebenbürgen und dem übrigen Ungarn) und im waldigen Binnen- hügelland (N.-Enyed). — — In Betracht dieser Verhältnisse ist es ja leicht möglich, daß FÖRSTEMAnN in Deutschland nur darum so wenig Wisent-Namen gefunden hat, weil er sich fast ausschließlich auf Gemeindenamen beschränkt hat und die Flurnamen (die nur wenig zugänglich sind) nicht berücksichtigen konnte. Ich ersuche deshalb alle Natur- freunde in Deutschland (Jäger, Forstleute, Sammler von Flur- namen etc.), die in Wäldern usw. solche Ortsnamen kennen, die mit Ur-, Uhr-, Aur-, Auer-, Our-, Wiesent-, Wiesens-, Weissens- beginnen, diese mitzuteilen, — oder mich bezüglich der Zeitschriften, wo diese veröffentlicht wurden, zu verständigen, damit die geplante Verbreitungskarte der ehemaligen Wild-Rinder in Deutschland möglichst vervollständigt werden könne. Die mit ,,Wisent‘ gebildeten Ortsnamen. Ich gehe nun zu den von mir gesammelten Wisent-Ortsnamen über. Es ist mir nach einer Arbeit von vielen Jahren gelungen, ca. 6o—70 solche Namen zu finden, die hieher zu gehören scheinen. Einige sind allerdings zweifelhafter Natur, die ich aber dennoch nicht außer acht lassen konnte, um anderen Forschern Gelegenheit zur näheren Untersuchung derselben zu geben. 50 gehören aber ganz gewiß zu Wisent!! — und das ist geradezu ein riesiger, ganz un- erwartet großer Fortschritt in dieser Frage: 41 neue Wisent-Namen! Ich zähle nun diese wunderschönen, hochinteressanten, bisher meistens fast ganz unbekannten, uralten Namen, an denen der Hauch der Urgermanen noch zu fühlen ist, hiermit zuerst im sprach- geschichtlichen Alphabet auf, wo nämlich die zweiten Teile der Ortsnamen (also immer das nach Wisunt folgende Substantiv, wie -bach, -berg etc.) als Grundlage dienen, und in erster Reihe die urkundlich erhaltenen Formen maßgebend sind): Übersicht der Ortsnamen. I, Der Stamm ohne Endungen. I. „Wisen“? in Urkunden — Schweiz. 2. Wiesen oder Wissen — Rheinprovinz. 1) Die Fragezeichen deuten den fragwürdigen Wisent-Wert der betreffenden Namen an. Len) fd M } et Sy EN de 18 D 4 SED Bw N + GO N m Oo fF Ww N & D HH O O DI on À Ww Der Wisent in Ortsnamen. 7 Wissen — Rheinprovinz. Wieset? — ein Bach — Mittelfranken. . Wieseth — Gemeinde nd . Wisend — Salzburg. . Wiesend — Nied.-Osterreich. . Wissant — Frankreich. . Wiesent Bach — Oberpfalz. 3 Gem. — x È Bach — Oberfranken. IL Der Stamm mit Endungen. . , Wesende‘ im J. 1290. — Lokalität unbekannt. . , Wiesede“, Ostfriesland; 1450. ,, Wisede“. . „Wisinun“ XII. Jh. — Unbekannt. . , Wiesens‘“ — Ostfriesland. . Visontium — Spanien. ha — Frankreich. 3 — Pannonien. Wiesenten — s. b. „Ihal“ — Wiesatz (statt Wisants) — siehe bei Bach. III. Zusammensetzungen mit aha (= „—a“) = Wasser, Bächlein. . Wiesenta oder Wiesenthau, Bach — Reuß. . „ Wisinta“ in 1072 — Preuß. Sachsen. . „Wisuntaha“ = heute Wiesenthal, Sachs.- Weimar. . Wiesenena — Pr. Sachsen. IV. Mit awa, = owa = Au, Wasser. . ,, Wisintove“ in 1169 = jetzt Wiesenthau in Oberfranken. . Wisendowe XIII. Jh. — Schweiz. | . Pinzgau [= Wi(se)ntsgau] in Salzburg. V. Mit -Bach. . Wiesenbach? — Schwaben — nach O. Keller. . Wissenbach — Hessen-Nassau. . Wissembach — Frankreich — Wasgau. . Wesbach (früher „Wesinbach“) — Schwaben. . Wiesbach? Oberbayern — nach O. Keller. . Wysentzbach, heute Wiesatz, ein Bach in Württemberg. 8 | B. Szalay, VI. Bere. . Wiestenberg — Niederbayern. . Wesenberg? — Meckl. Strelitz. . Wesenberg? — Estland. . Weissensberg (1275: Wissinsperg) — Schwaben. IS Cy) Te) iS VII. Buche (Buchenwald) 1. Wisintespuoh XI. Jh. — Bayern. VINTE JD . Wisantesdorf (i. J. 1011) (jetzt Windorf?) — Niederbayern. . Wisitindorf 862. — (heute Weissendorf?) Steiermark. . Weissdorf (1444 = Weissenstorf) — Oberfranken. . Wizzanesdorf XI. Jh., irgendwo in Bayern. SCO N Dee relia I. ,, Wisentfelt“ 1165 — Thüringen 2. „Wisentfeld“ jetzt Wiesenfeld — Unterfranken. 3. „Wisentsfeld“, jetzt Wiesenfeld bei Lilienfeld Niederösterr. 4. Wiesensfeld — bei Gr. Gerungs, Niederösterr. früher un- bedingt: Wisentsfeld. > ele 1. „Wisentfels“ jetzt Wiesentfels — Oberfranken. XI. — Gich. 1. „Wisentgich“ in 1444, heute Wiesengiech, Oberfranken. SUE dela Vale: I. „Wisentshart“, ,, Wisendishart“ XII. Jh. — jetzt Wiesenhart (Wiesenzart) — Oberòsterreich. 2. Wiesenparz, Oberosterr. (wahrsch. aus , Wisentharz“). — XIII. Heide. 1. Wisenthaid X. Jh., jetzt Wiesentheid — Unterfranken. 2. Wiesenheid — Oberpfalz. 3. Wiesemscheid — Rheinprovinz. NP Ellen 1. Wiesentheim — Tirol. 2. „Wizensheim“ und Wizinesheim IX. Jh., jetzt Wisselsheim, Hessen- Darmstadt. Der Wisent in Ortsnamen. 9 DOV api I. , Wisinthovua Silva“ in 994. — Elsaß. 2. Wisenthof (auch Wiesenhof) — Oberösterreich. 3. Wiesthof — Oberbayern. XVI. Horn (= Horn, oder auch Landzunge). Wizinhorn? 1182, jetzt Weissenhorn — Schwaben. XVII. Loch (Loh = Wald). Wiesloch — Baden — nach O. Keller. XVIII. Rupp oder Trup (Trauben) = Gebiisch. Wissentrup — Lippe Detmold. XIX. See. » Wisensee“ 1360? — jetzt Weissensee, Sachsen. RR Site ne I. „Wisuntesstaiga“ jetzt Wiesensteig — Württemberg. OL, anne, Wiesenthann — Württemberg. XXII Thal. Wiesenthal oder Wesenthal — Unterfranken. , Wiesenten‘ in 1097, jetzt Wiesenthal — Rheinpfalz. (Wiesenthal Hessen Darmst. s. bei -aha). XXIII. Wald. Wiesenwald? — Westpreufen. XXIV. Wang (wanc)= Wiese, campus. 1. Wisuntwangas in 809 = jetzt Wiesendangen, Schweiz. 2. Wisinschwank“ in 1073, jetzt Wiesenschwang, Tirol. DOV Zell (Hütte). Wiesenzell? —- Niederbayern (aus Wisentescella). Die nachträglichen Veränderungen dieser Namen. Im Verlaufe von Jahrhunderten ändert sich die Sprache all- mählich, somit ist es kein Wunder, wenn das sich auch an den Ortsnamen fühlbar macht. Jedes Jahrhundert ist zugleich auch der Sarg von einigen alten Wörtern, deren Sinn in Vergessenheit Io BusSzalasyz, gerät. So versteht das Volk die wirkliche Bedeutung heute von sehr vielen Flurnamen etc. nicht mehr, und sucht dann diese — durch unrichtige Analogien verleitet — mit anderen, heute noch gut bekannten Wörtern zu vereinigen, und ändert dadurch aktiv diese Namen! Das ist die sogenannte Volksetymologie, der arge Feind der Wissenschaft. Solche Verunstaltungen kommen aber auch bei klaren Namen, durch Nachlässigkeit der Aussprache, durch Ignoranz oder Affektation zustande. Das heutige Herzberg wird 1298 Hirzberg geschrieben (Landau 246), sollte also Hirsch- berg heißen. Erlenbach (jetzt auch Ehliche Bach genannt) sollte den schönen Namen Elchbach führen (Landau), weil ihn die alten Akten als „Elchenbach“ anführen. Wir müssen uns deshalb an den Grundsatz halten, daß die ältesten Formen eines Ortsnamens die authentischsten, die relativ ungeändertsten sind. Dabei soll aber nicht außer acht gelassen werden, daß manchmal schon im XIII. — ja sogar schon im IX. Jahrhundert solche Namen auftauchen, die schon in dieser frühen Zeit die sicheren Spuren einer Verderbung aufweisen — und so ist auch diese alte Schreibart nicht immer maßgebend. Zum Glück sind das seltene Ausnahmen. (S. z. B. bei Weissens- berg; Wisentenheide hieß im X. Jh. auch Wiesenheida; Wisenten- steig im X. Jh. Wiesensteig; Wisentwanc i. J. 1155: Wiesen- dangen, etc.) Die mit ‚Wisent‘ beginnenden Namen sind einer starken Wetzung ausgesetzt; aus Wisent bleibt schließlich nur Wis- und so muß man zuerst damit ins Reine kommen, auf welche Wurzeln die mit Wis- beginnenden (oder endenden) Namen im allgemeinen zurückzuführen sind. Es kommen da in Betracht: a) ahd. wisa = Wiese. b) Die mit -wis, -is endenden Personennamen (Alois) stammen von wisan = ducere, regere. Cc) „wis“ = sapiens (weise); wizzan = scire. d) ,,wiz“ == weisz; das alte z ist heute sz, ss. e) Wisunt = Bison, auch Wisant, Wisent, Wisint, Wisand, Wesant geschrieben. f) Andere, unbekannte Stämme. g) Fragwürdige alte Personennamen: Wizd, Wizin, (FÖRSTEM. II. 1630). Am Ende kommt -th sehr selten vor. Ich finde dennoch einen Personennamen: Wisintho (Mon. Ger. Hist.-Necr. II. 756). — In Der Wisent in Ortsnamen. II den alten Glossen ist Wisunt gewöhnlich durch bubalus inter- pretiert; in den Chroniken kommt er aber viel gewöhnlicher als ein Personenname vor DI) Aus diesem — eine für uns wirklich fatale Tatsache — wurden aber wieder durch Zusammensetzung Ortsnamen gebildet (Wisent- heim). Es wäre mithin ganz falsch, alle echten Wisent-Ortsnamen auf das dortige Vorkommen dieses Tieres zu beziehen!! Hieraus geht unsere Aufgabe klar hervor: a) Wir müssen erwägen, ob ein unklarer Ortsname überhaupt auf den philologischen Stamm : Wisunt, zurückführbar ist; und dann: b) ob damit ein Mannesname — oder das Tier selbst gemeint ist. Hiezu ist aber zuerst die Kenntnis jener allgemeinen sprachlichen Änderungen notwendig, die der Erfahrung nach das Wort Wisunt erleiden kann und nachweislich erlitt, denn nur so können wir die veränderten heutigen Formen auf die ur- sprüngliche zurückführen. Dies sind: 1. Wetzungen. Am leichtesten geht das t (d) verloren, und wir lesen dann Wiesen, Wiesens (statt Wisents), Wissen, Weissens, Wisinun (statt Wisintun), Wissena (statt Wisenta), Wisa (für Wisent) etc. In einem Gedicht (Heinr. v. Neuenstadt, i. J. 1300) steht einmal auch Wisen statt Wisent (Tiername). — (Der alte Ort „Fichta“ heißt heute Ficha.) 2. Das —,,n“, —,,en“ kann auch ausfallen, wodurch folgende Formen entstehen: Wiesatz (statt Wisants); Wieset, Wiestenberg (wahrscheinlich aus Wisentenberg); Wiesede (st. Wiesende), Wisitin- dorf (wahrsch. st. Wisintindorf): Wiesloch? Wesbach? 3. Am häufigsten ist aus Wisent auf der breiten Landstraße der Volksetymologie Wiese geworden. Ich zähle da nur die aktenmäßig beglaubigten, in den Chroniken deutlich Wisent geschriebenen 11 Ortsnamen auf: Wisenfelt (Thüringen XII. Jh.), Wiesenthal (SachsenWeimar), Wiesenfeld (Unterfranken; Wiesenheida (Unterfranken X. Jh.), Wiesengiech, Wiesen- steig, Wiesendangen, Wiesenfeld (Nied. Osterr.), ein anderes Wiesenfeld, Wiesenhof (Oberösterr.), Wiesen hart (Oberòsterr.). Das Wort ‚Wiese‘ verbirgt mithin die meisten schönen alten Wisentnamen; dieser Schleier von Sais wird bei den meisten 1) Fast alle Namen der großen Tiere (Bär, Wolf, Ur, Eber, Helfant etc.) werden nämlich sehr häufig als auszeichnende Personennamen geführt. 12 B. Szalay, gewiß nie enthüllt. — Darin ist zugleich eine Hauptursache der kleinen Zahl der Wisent-Ortsnamen zu suchen! 4. Selten wird weiss aus Wisent so in: Weissdorf (früher Weissensdorf, aus Wissentsdorf), dann in Weissenstein (=Wisuntes- staiga, Württemberg); Weissensberg in Schwaben. Man beachte, daß das Wort ‚weisz‘, früher ,wisz‘ lautete! =,,wiz‘. N 5. „Wissent“ muß nach meiner Annahme eine Lokalform von Wisent gewesen sein. Ich führe als Beweis folgendes an: a) In der Rheinprovinz (berühmt durch viele historische Daten über Wildrinder — Karl der Große, Nibelungen etc. —) tauchen vier verschiedene Ortsnamen in der Form „Wissen“ auf — welche die Philologie nicht deuten kann. In Bayern dagegen gibt es 3 ,Wiesent‘-Namen. Das Wort Wissen muß mithin einen früher sehr bekannten Begriff decken. ‚Weisz‘ und ‚Wiese‘ kann es aber unmöglich sein, weil uns die Sprachgeschichte und die Logik lehrt, daß seltene Wörter immer die Gestalt der gewöhnlichen annehmen — und nicht umgekehrt; aus ‚Wissen‘ wird also ‚Wiesen‘ — aber nicht umgekehrt! Somit kann Wissen früher nur Wissent — Wisent gewesen sein. b) Wir kennen sowohl die Form Wisenta als Wissena in einigen Ortsnamen. Mathematisch ausgedrückt Wisenta: Wisent — Wissena: Wissen. c) Ich fand schließlich auch einen direkten Beweis: In der Oberpfalz existiert die Gemeinde Wiesent, die ursprünglich Wisunta(ha) heißen mußte; im J. 731 war der Name Wisunte, im XII. Jh. aber auch Wissena — statt Wissen(t)-aha! — Ferner: Wiesendangen hieß 1155: Wissendanga. — In Hessen-Nassau (Preußen) existiert ein Wissenbach. — 6. Aus W wird manchmal B, deshalb könnte das „Bisinperch- mons‘ in Bayern eventuell hieher gehören. — Besancon in Frankreich hieß früher Visontium. — Pinzgau = Wi(so)ntsgau, weil b = p. (Das heutige Windsheim wurde auch Bindshuem geschrieben). — 7. W = V nur ausnahmsweise als Schreibfehler: Statt Wiesen- hart steht auch Viesenhart, Visnhart. 8. Wisent = Wisa (Wiese = ahd. Wisa) z. B. Wisasteig = Wi- sontessteiga. 9. Die Abwetzung kann so intensiv sein, daß aus dem zweiten Substantiv nichts oder nur ein Buchstabe überbleibt, z. B. Wiesenta Der Wisent in Ortsnamen. 13 in Reuß, statt Wisent-Aha. — Hieher gehören auch jene Formen, die nur aus dem Worte „‚Wiesent* bestehen. Daß hier der zweite Teil des Ortsnamens wirklich fehlt, wird durch ein treffendes Beispiel beleuchtet: Das Wort Wisent ist männlich, und dennoch heißt ein Bach in Oberfranken „Die Wiesent“; früher war der Name nämlich „die Wisent-Aha“ (Aha ist weiblichen Geschlechtes). SCHMELLER, P. 5077. Eine weitere, interessante Gruppe dieser Namen ist die folgende: 10. Elliptischer Genitiv. — Es gibt Ortsnamen in Geni- tivform, z. B. Groß-Gerungs (statt Gerungsdorf), Ruckels (st. Ruckelshof, siehe bei Buck) — ebenso finden wir ein Auers in Tirol und in Schwaben, und ein ‚Wisents‘, wo der zweite Kompo- nent immer fehlt. 11. Alte Schreibarten. Das -on, -in in alten Ortsnamen entspricht meistens dem heutigen -en; wenn wir also auf die Form ,,Wizonstein“ i. 948 stoßen, so entspricht das heute Weissen- stein, und hat mit Bison oder Wisont nichts zu schaffen (z=sz!). „Wison“ ist heute „Wiesen“. Allgemeine Grundsätze. Bei der Beurteilung, ob ein nicht klarer Ortsname auf ,,Wisent“ zurückgeführt werden könnte, weise ich auf folgende Erwägungen: i. Wenn ein Ortsname zwei Formen besitzt, so kann dies für Wisent (oder für slawischen Ursprung) sprechen. In der Rheinprovinz heißt z. B. ein Ort „Wiesen, oder Wissen“. Die Wörter Wiese und Weiß sind aber in der Sprache derart gewöhnlich und geläufig, daß sie immer konstante, schwer variable Elemente darstellen. Aus einem ähnlichen Worte (Wiesel, Wisent etc.) wird also immer Wiese (oder, weiss) — und nicht umgekehrt, wie wir das einmal schon betont haben. Wenn hier ein Ort ursprünglich „Wiesen“ geheißen hat, so kann er nicht die unver- ständliche Nebenform ‚Wissen‘ erhalten — sondern beide müssen auf ein drittes Element, das eben mißverstanden und deshalb variirt wurde, zurückgeführt werden, und das ist in unserem Falle „Wisent“. Der Name dieses Tieres wurde nämlich allmählich vergessen und durch „Auerochs“ ersetzt. Das Volk und die Schreiber deuteten des- halb derartige Namen einmal mit ‚Wiese‘, ein anderes Mal mit ‚Weiß‘ etc. — Das ist der Grund der besprochenen Mehrformigkeit. Wie wir sahen, heißt heute das mißverstandene ehemalige Elchbach. einmal Erlenbach, bald Ehliche Bach. 14. B. Szalay, In diese Gruppe könnten folgende Orte gehören: Wiesenthal, früher Wesenthal in Unterfranken ; Wiesenhof, fr. Wisenthof (Oberôsterr.); Wisselsheim, fr. ,, Wizensheim“ in Hessen- Darmst.; Weissensee, fr. Wisensee in Sachsen; Wiesloch, fr. Wizin- loch; Weissdorf, fr. Weissensdorf in Oberfrank.; Wesbach, fr. Wisinpach in Schwaben; Wiesenburg, fr. Weissenburg inPreußen? 2. Die Formenschwankung spricht aber in slavischen Gegen- den in erster Reihe für einen slavischen Ursprung, z. B.: Wiesenthal, fr. Wisnithal in Pr. Schlesien, das aus dem preuß. Withostowizi entstand. — Wiesenburg alias Weissenburg in Preußen gehört auch eher hieher. 3. Das Genitiv-S in ,Wiesens und ,Weissens‘ kann laut der Sprachlehre nicht zu Wiese und Weiss gehören, deshalb müssen diese als Umgestaltungen eines anderen männlichen Sub- stantives (= Wisents) aufgefaßt werden, wofür wir auch direkte Beweise besitzen: Wiesensfeld, Nied.-Östr., statt urkundl. Wisentsfeld; Wiesens (Ostfriesl.) ; ‚Weissensdorf‘ (heute Weissdorf in Oberfrnk.); Weissens- berg-Schwaben !.) 7 . 4. Wenn bei einem mit ‚Wiese‘ zusammengesetzten Ortsnamen zwischen beiden scheinbar klaren. Komponenten sich ein Buchstabe befindet, der zu keinem der beiden Namenelemente gehören kann, so deutet dies darauf hin, daß der erste Komponent (Wiese) hier ein anderes Wort (Wisent) deckt, z. B. ,,Wiesen(sch)wang* (Tirol) ist nur scheinbar „Wiese--wanc(campus)“, — in der Tat aber: Wisents+hwanc. — Weitere Beispiele: Wiesenparz (gewiß aus Harz) — Oberostr. Wiesemscheid (gewiß aus Heide) — Rheinprov. Wissembach (Ost-Frankreich). — 5. Z nach Wies-, Wiese, steht oft statt ts (Endbuchstaben von Wisents), z. B. in Wiesatz (früher Wysentzbach = Wisantsbach); Wiesenzart = Wisentshart (Hart = Wald). — | 6. Der Sinn des ganzen Ortsnamen. — Orto KELLER macht mit Recht darauf aufmerksam (Privatbrief: 1913. 17/XI.), daß bei manchen Namen die Leseart Wiesen- oder Weiss- auch in dem Falle falsch sein muß, wenn sowohl die korrekte Sprachbil- dung „die richtige Orthographie und die alten Schreibarten schein- 8» 1) Wenn heute eine Herrschaft den Namen „von Weissen“ führt, so könnte daraus heute tatsächlich ein Ortsname in der Form „Weissensdorf“ entstehen. Solche Personennamen gab es aber im Zeitalter der Wisente und der Gründung der Ge- meinden durchaus nicht! Siehe: Socm, Mittelhochdeutsches Namenbuch, 1903. Der Wisent in Ortsnamen. 15 bar alle nur für Wiese oder Weiss sprechen — denn der Sinn des Ortsnamens läßt diesnichtzu. Dassind eben solche uralte Namen, die schon in den ältesten Urkunden (VIII.—XI. Jh.) verändert, volksetymologisch verdorben erscheinen. Dabei muß es sich ge- wöhnlich um ‚Wisent‘ handeln. Wir lesen z. B. schon sehr früh „Wisinwanc“ (Wiesendangen); Wiese = campus, wanc = eben- falls campus: ‚Wiesenwiese‘ hat aber keinen Sinn; andere Urkun- den klären die Sachlage auf, die ‚Wisuntwangas‘ schreiben. Wiesenthann in Württemberg kann auch schwerlich ‚Wiesen- Tanne‘ gewesen sein, denn früher umgaben ein jedes Dorf Wiesen und Tannenwälder, so daß diese Bezeichnung als völlig nichtssagend, zur speziellen Bezeichnung eines Ortes kaum gebraucht werden konnte. Es lautete mithin ‚Wisent-Tann‘ = Wisenten-Tannenwald. — Was soll „Wiesenfels‘‘ sein, ein „Fels mit Wiesen“? Orro KELLER behauptet, Wiesloch in Baden (Loh = Wald) kann auch kaum „Wiesenwald“, sondern viel vernünftiger Wisent-Wald ge- wesen sein. Die Form ‚Wieser‘ soll eigens besprochen werden: et ist ein Kollektivsuffix: (so wie auch — ach, — ich, — ig). Birket, Fichtet, Ulmet, Tannlet, Weidach, Erlach, Birkach bedeuten Örter, die reich an Birken, Fichten etc. sind, (ach ist aber noch öfter aus aha = Wasser, entstanden). — Derart kann das gewöhnliche Auret sich auf eine Gegend, die reich an Uren war, beziehen. — ‚Wieset‘ hätte aber in dieser Bedeutung keinen Sinn, denn ein Ort allein kann nicht aus vieien Wiesen bestehen, denn das wäre dann schon eine ganze Landschaft, mit Wäldern und Wiesen etc. Deshalb ist es leicht möglich, daß Wieset auch zu Wisset = Wisent gehört. — (‚Wiese‘ ist schon an und für sich sozu- sagen ein Kollektivum.) 7. Überhaupt weist auch der zweite Komponent, dem Sinne nach oft auf eine Wildnis, auf Jagdmomente wie: — Wald (Hart, Loch), — Tanne, — Berg, — Buch (= Buchenwald) etc. 8. Es gibt aber auch falsche Wisent-Namen, deren heutige Form uns zur Annahme des ‚Wisent‘ geneigt machen würde — wenn die alten Formen etc. nicht entschieden widersprechen würden. Das sind entweder Namen slavischen Ursprunges (Wiesenthal, Schlesien; Wesenberg — Mecklenb. Str.) — oder aber grobe Verunstaltungen z. B. Wessenberch (früher Waxen- berg, Oesterley 756); Wesendorf in Brandenb., früher Wesildorp (Öst. 756) etc. 16 B. Szalay, Zoogeographischer Teil. a) Historische Gebiete. Wenn man die vorhandenen Wisent- und Ur-Örtsnamen, wie auch die historischen Daten der Chroniken dieser Tiere in Betracht zieht, kann man sich leicht überzeugen, daß diese sich um einige Provinzen, als Zentren, gruppieren. . Ich erwähne die Wisent- und Ur-Daten deshalb zusammen, weil der Ur, als er vom Menschen verfolgt wurde, sich nahe in dieselben Urwälder und Flüchtungsorte zurückzog, wie der Bison, und somit beide in einer Zeit fast denselben Verbreitungskreis in Deutschland auf- zuweisen hatten, mit dem Unterschied, daß der Ur im allgemeinen früher ausstarb, als sein Gefährte, und daß in Westeuropa — wenigstens in dem V.—IX. Jh. mehr Ure (Bubali) als Wisente gewesen zu sein scheinen. Indem ich sowieso die Absicht habe, die historischen Daten von diesen Tieren getrennt, ganz ausführlich zu bearbeiten, so beschränke ich mich hier nur des Zusammenhanges halber auf einige bekanntere Daten. Den sprachlichen und historischen Angaben nach müssen wir in Europa drei Hauptverbreitungsgebiete der Wildrinder unter- scheiden; ein westliches, ein mittleres und ein östliches, die in jeder Hinsicht, sowohl zeitlich als sachlich, voneinander getrennt werden müssen. Im westlichen verschwinden diese Tiere am frühesten, und im östlichen erhalten sie sich am längsten (Ost- preußen, Polen, Siebenbürgen).') I. Das westliche Gebiet wird durch die ältesten fränkischen historischen Daten charakterisiert, die in einer ganz auffälligen !) Der kaukasische Wisent kommt hierbei nicht in Betracht. Er unterscheidet sich auch durch einige Merkmale als subspecies vom lithauischen Bison, hat eine ganz separate Geschichte, und steht auch am äußersten Saum Europas und Asiens, vom übrigen Europa ganz isoliert, näher dem asiatischen Wisent, als dem europäischen. — Bisher behauptete man immer, die letzten europäischen wilden Bisons sind in Lithauen erhalten geblieben. Das ist aber falsch. In Polen wäre der letzte wilde Zubr schon spätestens im XVII. Jahrhundert sicher ausgerottet worden (in Preußen noch früher), wenn die Könige sie nicht mit bewaffneten Hegern gehütet, und aus seiben nicht halbwilde Parktiere gemacht hätten. — Diese degenerierten Tiere, die man im Winter mit Heu füttert, die leicht so weit gebracht werden, daß sie dem Menschen die Hand lecken, vor dem Menschen oft nicht einmal fliehen: das sind keine wirklich wilden Tiere mehr, sondern Parktiere seit dem XVII. Jahrhundert. Die letzten wirklich ganz wilden Wisente hatte Siebenbürgen bis 1790 aufzuweisen! (S. Geschichte des ungarischen Wisents.) Der Wisent in Ortsnamen. 17 Weise fast immer nur vom Ur (Bubalus) berichten. Die Wisente traten damals hier ganz zurück. Die Geschichte dieses Gebietes umfaßt das L— XII. Jh. Tacırus erwähnt schon im I. Jh. die friesischen Ure. Der Bubalus kommt bis vor den Zeiten Karts des Großen auch in Ostfrankreich vor, in der Rheinprovinz aber bis ca. zum XI. Jahrhundert. — Die letzte Erwähnung des west- europäischen Bubalus stammt aus 826 (unter Lupwıc I. dem Frommen, in Cornelimünster bei Aachen). GERARD äußert sich zwar (p. 384) derartig, daß man schließen könnte, daß er auch andere Belege kennt: Dann war aber das Verschweigen dieser niemandem bekannten Daten ein schweres Versäumnis! II. Für das mittlere Wildrindergebiet haben wir nur aus römischer Zeit (Cisar) ausführlichere Nachrichten; charakteristisch ist aber das Fehlen solcher aus späteren Zeiten — sowie die auffallend vielen Ortsnamen, aus welchen auf eine weite und dichte Verbreitung dieser Tiere geschlossen werden muß. Die Geschichte dieses Gebietes erstreckt sich vom I. Jh. v. Chr. — bis XIV. Jh. n. Chr. III Das östliche Gebiet ist dadurch charakterisiert, daß die Angaben der Neuzeit sich alle darauf beziehen. Das ist das bekannteste Gebiet, mit einer sehr großen Literatur, die sich aber rückwärtsgehend sozusagen nur bis zum XI. Jh. erstreckt. Hier begegnen wir auch den letzten Kundgebungen über den Ur, und da stirbt der Bison vor unseren Augen unaufhaltsam aus. — Die gänzlich verschiedenen Typen dieser allgemeinen Hauptgebiete müssen jedem auffallen. — b) Zoogeographische Gebiete. Diesem historischen Rahmen lassen sich aber die eigentlichen zoogeographischen vier Hauptverbreitungsbezirke mit Leichtigkeit einfügen. Diese entstanden ca. dem Vi—VIII. Jh. entsprechend dadurch, daß das am Anfange des Alluviums fast ununterbrochene Verbreitungsfeld der Wildrinder in den ersten Jahrhunderten des Mittelalters durch die sich intensiver verbreitende Bevölkerung in mehr weniger abgegrenzte Gebiete geteilt wurde, die später durch reich bevölkerte Zonen immer stärker voneinander isoliert, ver- kleinert und in mehrere kleinere Inseln geteilt wurden. Dies sind: Westgebiet: I. Wasgau—Ardennen. (Dann die Pyrenäischen und Ostfrieslander Ure.) Zool. Annalen VIL © 2 18 B. Szalay, Mittelgebiet: II. Bayern — mit Thüringen und Österreich (Pannonien), welches anfangs durch den riesigen Bakonyer-Wald (in Westungarn) mit dem Balkan, — und durch die Zentralkarpathen mit Polen und Siebenbürgen in Zusammenhang stand. Dieses Gebiet erstreckt sich zwischen dem oberen Lauf des Rheins und der Oder. Im Süden bildet die Donau seine Grenzen. Da dies das wichtigste Gebiet darstellt, kann es in folgende Unterab- teilungen gesondert werden: Westteil: Schwarzwald (Baden) Nordteil: Thüringerwald, Rhön, Hessen, Erzgebirge (Sachsen). Centralteil: Franken, Württemberg. Südteil: (Unter der Donau): Oberbayern!), Österreich (Pan- nonien), Schweiz. Ostteil: Böhmen, Ungarn westlich von der Donau (Bakonyer Wald), Slavonien. III. Ostgebiet: Preußen, Polen, Rußland, Karpathen, Sieben- bürgen. — Die letzteren Teile standen lange Zeit hindurch mittelst sporadischer Herden mit Südrußland und früher sogar mit dem Kaukasus in Verbindung; gegen Süden wieder mit dem Balkan (Thrazien); durch Galizien mit Polen und durch die Zentralkarpathen (und Böhmen) — mit Bayern. Gerade so, wie Bayern das Zentrum des mittleren Gebietes darstellt, ist Siebenbürgen das Zentrum des östlichen. IV. Thrazien (Balkan) = Südeuropa. Verbindung durch Tauroscythien mit dem Kaukasus. Aus- sterben ca. X. Jh. — Dieser Bezirk ist vom Siebenbürgischen durch die untere Donau getrennt. ; Diese Gebiete werden durch die historischen Belege und die Ortsnamen begründet. Was letztere anbelangt, finden wir z. B. eine auffallende Anhäufung derselben in Bayern (Franken), in Siebenbürgen, in Polen. In der Peripherie hingegen nehmen selbe sukzessive ab. In Belgien sind fast keine, in Brandenburg sehr wenig hieher gehörende Namen. In Frankreich hat nur der östlichste Teil solche aufzuweisen. In den Südteilen Ungarns nehmen selbe auch ab. Interessant sind einige Ur-Namen im Süden Norwegens. — Wir finden fast überall mehr Ur- als Wisent- Namen. Die einzige Ausnahme bildet Oberfranken. Lehrreich ist ferner auch der Umstand, wie sich die Ortsnamen um die be- ') Oberbayern kann als Wisentgebiet von Österreich nicht getrennt werden, weil die Wildrinder dieser Länder oft zusammen erwähnt werden. — 19 — Der Wisent in Ortsnamen. 19 kannten, deutschen Gebirgswälder !) konzentrieren, so z. B. um den Thüringerwald, Rhön-Gebirge, Schwarzwald, Wasgau, die Alpen, Ostkarpathen, Erzgebirge. Dies fand aber beim Harzwald nicht statt. Ein guter Beweis, daß sich der Name Sylva hercynica nicht auf diesen Wald be- ziehen kann. In Süddeutschland waren mehrere Wälder obigen Namens (Harz-Tannenwald; ist eine gewöhnliche allgemeine Be- nennung) — und dieser südwestdeutsche Urwald im allgemeinen, durch welchen CAsar 40 Tage lang marschieren mußte, war der urenreiche Harzwald des römischen Feldherren. In der alten (XV. — XVII. Jh.) Literatur wird der Harz oft als ehemals ein an Wildrindern reiches Gebiet geschildert (Bock) — damit ist aber immer nur die Sylva hercynica gemeint. — Die Quelle dieser Benennung ist vielleicht das Waldgebirge Haardt (Rheinpfalz). Da wir verhältnismäßig die meisten uns interessierenden Ortsnamen in Bayern (Württemberg) antreffen, so ist noch, um das Alter dieser Namen (und damit das Alter unserer zoographischen Karte) richtig beurteilen zu können, — zu erwähnen, daß die Alemannen im Il.—IIL Jh. n. Ch. einen Staat gegründet haben. Im Jh. 213 ist von ihnen das erstemal die Rede in der oberen Gegend des Mains; im Jh. 350 eroberten sie Elsaß, und nach dem Tode von Arrıus auch die Gegend von Köln und Aachen. — Die Bojoaren ließen sich aber erst gegen 500 in der Gegend von Regensburg nieder. Ihr Reich trennte der Lech von Ale- mannien. — Die nächstfolgende Aufzählung bildet also die Ver- breitungskarte des Wisents ca. im IV.—VII. Jh. — Die Reihen- folge der Aufzählung erfolgt in einem jeden Wisentgebiet in der alphabetischen Ordnung der Ländernamen, um das Auffinden leichter zu gestalten. Aufzählung, Deutung und Literatur der (Wisent-) Ortsnamen. AA. Westliches Wisentgebiet. I. Elsaß. Wisinthovua Silva = (Wisentenhof) (Sickert, Mon. Germ. Hist., Dipl. Reg. II. 571.) in einer Schenkungsurkunde Orto III. 1) In Rußland sind die betreffenden Ortsnamen viel gleichmäßiger eingesät. Dieses Land hat auch heute noch die meisten Wälder in Europa, um so mehr war dies vorher der Fall. Dieser Umstand erklärt auch, warum sich die Tiere im früheren Mittelalter überall erhalten konnten. I 20 B. Szalay, für das Kloster Selz, i. J. 994. (im NO-Winkel v. Elsaß) — Die heutige Schreibart der Ortsnamen setzt zwar oft ein h zum t des Wisent = Wisenth —dies kommt aber in alten Urkunden sehr selten vor, deshalb deute ich unsern Namen als Wisent-hovua, obgleich hovua = howa selten! statt des richtigen hova = Hof“ steht (s. FÖRSTEMANN 1859 p. 756). — Owa bedeutet in den meisten Fällen die Au, Wasser (ava) und so kann man den Namen Wisinthovua schließlich auch als „Wisinth-owa“ auffassen. Verel. Wiesenthau in Oberfranken, wo „ouwa“ statt owa steht. (U ist oft = V in alten Akten.) England. Wisset (Suffolk). — Gehört nicht hierher, oder höchstens als ein Personenname. Bezieht sich aber auch dann nur der Form nach und nicht örtlich auf das Tier. I. Brankreich. ı. Wissant (Arrond.: Boulogne, Dep.: Pas de Calais, in der Nähe vom Hafen Calais, — Gr. Artois — neben den Gemeinden Estrouanne und Escalle) ist gar nicht so entfernt von Friesland und den Vogesen, daß das Vorkommen des Bison hier in historischer Zeit unmöglich wäre. — Wird in mehreren Chroniken etc. schon vom J. goo. an (OESTERLEY 776.) erwähnt: a) Wisantum oder Wisanti portus i. J. 1085 —(Willelmus Calculus Gemeticensis Monachus: Hist. Normannorum, Cap. 9. = Bouquet, Recueil, XI. 40.) — b) Wisant i. J. 1156. — (Cronica Roberti de Monte; Mon. Ger. Hist. — Script. VI. 505). — Ze) „Wissant XII Jh. (Mon. Ger, Hise7> Script. ro Jr — in einer franz. Chronik). d) „Witsand“ XII. Jh. = ,, Withsandicum portum“ und ,,juxta_ Witsandum‘“ (Lamberti Ardensis: Hist. com. Ghisnensium; Mon. Ger. Hist. — Scr. XXIV. 599. 608). — Ich glaube, an White- Sand (Weißer Sand) kann man da schwerlich denken. 2. Wissembach Gem. (Dep. Vosges — Wasgau — bei St. Die; siehe Rırrer). — Fragwürdiger Natur. 3. Besancon. Ostfrankreich, Sw. von Elsaß. — Visontium bei ProLemAEUS (Geogr. Lib. II. Cap. IX. — in | Gallia belgica). III. Ostfriesland (Hannover). a) Wiesens (siehe Rirrer, RupoLpH u. EpzARD 303. a), OSO => 20 == Der Wisent in Ortsnamen. 21 von Aurich. — Bildet eine Verstümmlung des Wortes ,, Wisents —...‘ wo der zweite Teil schon verloren gegangen ist. b) „Wisede“ aus 1450. Nach OxsrERLEY (p. 775) ist die Lokalität unbekannt (Mon. Ger. Hist. — Script. II. 116). — Dürfte nach unserer Auffassung mit dem Orte Wiesede identisch sein (Enzarp: Auerochsen in Ostfriesland p. 303. a). — c) Wisaha früher ein Gau in Friesland (OESTERLEY p. 774). — „Wisent“ wurde auch an anderen Orten in Wisa verstümmelt s. Wiesensteig. — ‚Wiesenbach‘ hatte als eine spezielle Benennung wenig Sinn, weil ja ein jeder Bach zwischen Wiesen fließt. TN IR mem Rialzo Wiesenthal, SÖ. von Speier, und ö. v. Philippsburg; im J. 1097: Wiesenten. (FÖRSTEMANN p. 1560, resp. 1632). — C. G. Dimer: Regesta Bad. 1836, Anhang nr. 69. — V. Rheinprovinz (preußisch). Wissen, Gem. (Coblenz) — (RupoLPH) Wissen, Gem. (Cöln) — (RupoLrH) . Wissen, Gem. (Düsseldorf) — (RupoLph) . Wissen = Wiesen (Aachen) — (RUDOLPH) . Wiesemscheid (Coblenz) — (RupoLpH; Ritter). Der Form nach sehr wahrscheinlich aus dem ursprünglichen: Wisentsheid (= Wisentenheide; kommt auch in anderen Provinzen vor). — FÖRSTEMANN führt p. 1237 in der Rheinprov. mehrere Namen mit — ,scheid“ auf (Scheide = Grenze) — nur spricht das „m“ in Wiesemscheid doch dafür, daß hier ursprünglich andere Buch- staben waren, die in ein m verschmolzen sind. Aus der ganz klaren Form ,Wiesenscheide“ kann schwer „Wiesemscheide“ werden — eher umgekehrt. se & N we VI. Spanien. Visontium in Nordspanien — Hispania Tarraconensis — Quellgebiet des Iberus und Duris, Südfuß der Pyrenäen — bei Protomanus Geogr. II. 15,6. (s. auch O. KeLLER, 55). Heute Vinuesa (Bezirk Soria). — Das Auftauchen dieses Wortes in Spanien wird nicht nur durch wandernde gotische Stamme in dieser Landschaft, sondern auch dadurch erklärt, daß das Wort bison, vison, wisont auch bei den keltischen Völkern eingebürgert war (geradeso wie Ur, siehe HoLper: Altkelt. Spr.). 22 B. Szalay, BB. Mittleres Wisentgebiet. Übersicht: I. Baden II. Bayerische Gruppe a) Bayern im allgemeinen . Mittelfranken . Niederbayern . Oberbayern . Oberfranken . Oberpfalz . Schwaben . Unterfranken. III. Hessen-Darmstadt III a. Italien IV. Lippe-Detmold V. Osterreich A. Böhmen . Kärnten Krain Mähren . Niederösterreich Oberösterreich . Salzburg . Steiermark iro! VI. Preußische Gruppe 2th 0OW> a0) (@p) les) [ey] © @) [og A. Hessen-Nassau B. Mecklenburg-Strelitz C. Preußisch-Sachsen. VII. Sachsen VIII. Schweiz IX. Thüringische Staaten. A. Im allgemeinen B. Reuß C. Sachsen-Weimar X. Württemberg. — 22 — Der Wisent in Ortsnamen. 23 I. Baden. Wiesloch, Gem. (S. v. Heidelberg STIELER XI. G. 5.) Loch = loh = Wald; also , Wis . . . wald“. — Orro KELLER be- hauptet, daß die Wurzel ‚Wisent‘ sei. (Das Ausland XXXII. p. 728b) uz. dem Sinne nach’); („Wiesenwald“ gibt keinen rechten Sinn) — obwohl die alten Formen nicht dafür sprechen: Wezin- loch i. J. 965; Wezenloch 948; dann Wizzenloch; Wezzinloch und Wezzenloch i. J. 889 (OESTERLEY, 764) auch Wizinloch, später Wiese- loch; oppidum Wisseloch (JuncKER 428, 211; FÖRSTEMANN p. 1491). Die Form Wisseloch scheint wirklich für ‚Wissenloch‘ d. i. Wissent- loch‘ zu stehen. — Scuuiz (1905 p. 14), der die in dieser Gegend gefundenen römischen Wisent-Statuetten beschrieb, gedenkt auch des Ortes Wiesloch. — FÖRSTEMAnN führt den Namen auf die Wurzel vaz zurück (1872, p. 1564), was aber schon eine weitere Umbildung des vadi (= pignus, pactum) — sei. Nach einem der- artigen ,kombinierten System der spekulativen Etymologie ohne feste Grundlage“ kann aber schließlich ein jedes Wort aus allen beliebigen Sprachen abgeleitet werden. II. Bayrische Gruppe. Bayern im allgemeinen (näher unbestimmt). I. „Bisinberch mons. . . (ubi) venationes bestiarum, cervo- rum, castrorum et lutorum in flumine“ . . . XIV. Jh. (Cod. Tradit. Diessensium — in Oxretius, Rer. Boic. Scriptores II. 699. b). — Fragwirdiger Natur. 2. „Wisintespuoh“ Puoh = Buche; — XI. Jh. Diesen schönen, bis jetzt ganz unbekannten Namen habe ich in einer Schenkungs- urkunde des XI. Jh. entdeckt (Codex Tradit. Eberspergensium): » - - | sylvis, scilicet Pruil, Wisintespuoh— “etc. — mithin ist damit ein Wald gemeint (OnrEtius, Rer. Boic. Sc. 1763, II. 24b). — Die nähere Lage ist mir unbekannt. 3. „Wizzanesdorf“ XI. Jahrhund. — irgendwo in Bayern? Monum. Boica XV. 193. — (FÖRSTEMANN, 1859. p. 1565). — Sehr wahrscheinlich statt: Wissantesdorf. (Wisant = Personenname). — A. Mittelfranken. Wieset, Nebenbach der Altmühl, s. von d. Stadt Ansbach, fließt neben Feuchtwangen, Bechhofen und Ornbau. (ZepLers Lex.) 1) Privatbrief von 1913. XI. 17. 24 B. Szalay, Wieseth Gem. bei Feuchtwangen, ö. neben dem Wald Frankenhöhe; bei Ansbach (Rırrer). — Beide Namen haben mithin dieselbe Quelle. B. Niederbayern. 1. Wiestenberg bei Wegscheid. (Ruporrx.) Der Form nach wahrscheinlich aus: Wis(en)tenberg. — 2. „Wisantesdorf“ wird in Urkunden oft erwähnt so im J. 1011 (zu Bamberg gehörig); Mon. Ger. H. — Dipl. Reg. III. 278; FÖRSTEMANN 1859 p. 1560; Mon. boica XXVIII. a. 435; Österr. neue Beitr. 1824. Heft 4, p. 22. Es wird für das heutige Win- dorf, — oder Wischelsdorf gehalten. (Vielleicht „Witzelsdorf“ in Ungarn s. bei Wisitindorf in Steiermark). Windorf liegt bei Eggen- felden (Vilshofen); Wischelsdorf ist mir unbekannt. (Verschreibung?) Windorf ist bei OESTERLEY aus d. J. 1032 angeführt p. 770, aber nicht als Wisantesdorf. — Beide Annahmen scheinen falsch zu sein. (Wisent = eine Person.) 3. Wiesenzell, Weiler, NO. v. Straubing, O. v. Regensburg, im s. Teile des Bayrischen Waldes. — Zelle, ebenso Selle (Selde) *) — kleines Haus. Das z entspricht oft dem ts, so daß die ursprüng- liche Form „Wisent-sell“ „Wisent-Zell“ und noch früher „Wisentes- cella“ sein konnte. Sell ist manchmal auch soviel wie Sale (Sal- weide): In diesem Fall würde sich dieser Ortsname auf den Bison, — in dem früheren aber auf eine Person („Wisent“) beziehen. C. Oberbayern. 1. Wiesbach: Orto KeLLER (Das Ausland, XXXII 1859 p. 728b) fuhrt diesen Ort ohne nahere Auseinandersetzung als mit „Wisentbach“ identisch an. — Nach Rupozrx gibt es folgende Orte dieses Namens a) ein Dorf in Rheinpreußen b)in Oberbayern: ein Dorf und zwei Weiler. c) ein Dorf in Niederbayern d) Dorf in bayr. Pfalz e) ein Kastell in Salzburg und ein Dorf ebendort. — In ÖEstErLEY finde ich nichts Bezeugendes. 2. Wiesthof, Weiler, bei Erding (Rupozrx.) — Der Form nach sehr wahrscheinlich aus Wisenthof. (Wisent — eine Person). D. Oberfranken. 1. Die Wiesent, ein Bach, unweit von Bamberg, bei Forch- heim; entquillt am Gormberg und fließt nach Holfeld, und Wisent- fels (Gem.); früher war die Schreibart Wisent (ZEDLER LVI. 557) !) Siehe hierzu Buck, p. 226. 257. Der Wisent in Ortsnamen. 25 Mündung bei Forchheim in d. Fl. Regnitz, rechterseits, Östlich (Rırrer). — Nach ScHMELLER stellt der Name eine Abkürzung dar, statt „Wisent-Ach“ — Wisintaha (II. 1032). — 2. Wiesenthau Dorf und Kastell, OSO von Forchheim (Ruporpn) (K. Bamberg), in der Nahe der Mündung der Wiesent in den Fluß Regnitz. (RupoLpH; RITTER). — „Wisentau“ nach SCHMELLER II. 1032. „Wisintove 1169 (Ove =ava = Flusz, Au) — Cod. trad. Reichersb., Urk.-Buch obd. Ens 1,312. (OESTERLEY: 775 sagt zwar, der Ort sei unbekannt, doch wird er dennoch hier gehörig sein.) „Wisentouwa“ 1062: Monum. boica XXIX. a. 150. — Lane C. H: Regesta I, 95. — FORSTEMANN 1859 p. 1560. „Wisentavium“ das alte Nest der gleichnamigen Familie (ZEDLER EVE 582). Von der letzteren siehe z. B. bei FALKENSTEIN II. 79, bei OEFELIUS (II. 458b); WILHELM von WISENTHAwW im J. 1505; bei Grimm (Weisth. VI. 106): WILHELM von WISENTAW 1410. etc. 3. Wiesentfels Kastell, SWW. von Thurnau (Ruporpn; bei Ebermannstadt und Hollfeld (Rirrer) (s. auch ZEDLER) neben dem Bache Wiesent (Hönn, Lex. Top. d. Frank. Kreises 464; auch bei Port, Pers. 1859, 327 und SCHMELLER II. 1032). — Näheres bei Aursess: Gesch. d. Hauses Aursess I. 27. — Früher , Wisent- fels*. — 4. Wiesengiech Ort (K. Scheßlitz, B. A. Bamberg). Die alten Formen in Urkunden sind: „Wiesent“, dann „Wiesint“ und „Wisentgich“ 1444, s. Zug: Beilag, St. Chr. 2, Nürnberg 2,77 f — nach OESTERLEY p. 763. Wiesentheid, bei Bamberg. — ZEDLER führt zwei ver- schiedene Orte dieses Namens an (LVI. 584), die aber wahrscheinlich identisch sind, weil selbe sehr nahe beieinander erwähnt werden. 5. Weissdorf bei Münchberg; 1444 = Weissensdorf“. (Zug, Beilag. — Städte Chron. II, Nürnberg 2, 79,25); — bei OESTERLEY 746. — Liegt am N.-Fuße des Fichtelgebirges. — Die Schreibart „Weissensdorf“ beweist, daß dies schon eine verdorbene Form ist, die in keinem Falle von Wiese oder Weiß stammen kann; und so bleibt nur Wisent übrig, wofür das s (Genitiv) auch spricht: Mithin Weissdorf aus Wissentsdorf. (Wissent = eine Person). I Qoerpitalz 1. Wiesent Dorf (Regensburg, bei Stadtamhof) neben dem gleichlautenden Bach (RirtER und RupoLrn). „Wisunte praedium“ im XIII. Jh. (OEreLIvs, Rer. Boic. Scr. I. 724.) — — 25 — 26 B. Szalay, „Wissena urbe“ XII. Jh., bei Ratisbona. (Ex Vita Salomae. in Mon. G. Hist., — Scr. XV. 847.) „Wysent“ und „Wysint“, St. Chr. 2, Nürnb. 2, 77, 8. (OESTER- LEY p. 764.) , Wisent* (Gut und Burg) ca 1375. (KRETSCHMER 303.) — „Wisunte“ im J. 731. — Monum. Boic. XI. 16, 17. (FÖRSTEMANN 1859. p. 1560, II. Ausg. p. 1632.) — 2. Wiesent, kleiner Nebenfluß der Donau, bei Wörth; heißt auch Wildbach (RITTER). 3. Wiesenheid. (RupoLra). Näheres fehlt. Wiesen und Heide haben nebeneinander keinen Sinn. Hier muß Wisent gemeint sein. F. Schwaben (in Bayern). 1. Wiesenbach, ONO. v. Roggenburg; SO. v. Ulm (RupoLpp). — Daneben fließt der gleichnamige Bach, der bei Schönwalde mündet s. ZEDLER). Nach O, Kerrer (Th. kl. Alt. 55) soll dieser Name als „Wisentbach“ gelten — (Privatbrief 1913. XI. 17), denn nach BAcMEIsSTER soll der Name früher Wysentzbach gewesen sein (Siehe aber , Wiesatz“). 2. Wesbach bei Ottobeuren (Memmingen). „Wisinpach“ 1235. (Chron. Ottenbur., M. G. H. Script. XXIII. 629, 36.) — Dann „Wesinbach“ (Arch. Augsb. II. 67). — Siehe OESTERLEY 19a TI Diesen alten Formen nach wahrscheinlich aus „Wisintpach“. — 3. Weissensberg (bei Lindau). Im J. 1275 = Wissinsperg: Lib. decim. Constant.; Freib. Diöc. Arch. I. 116. (OESTERLEY 747.) — Im XIII. Jh. begegnet man schon sehr oft durch Volksetymologie beeinflußten Schreibarten. „Wissinsberg“ (mit Genitiv-S) kann nicht auf , weisz“ oder „Wiese“ zurückgeführt werden, sondern nur auf den Wisent, der hie und da auch „Wissent“ hieß. Die Grundform war: Wisintes- perga. Weissenhorn. (K. Augsburg). — (OESTERLEY 747) — Obwohl die Annahme von ,Wisenthorn“ sehr nahe liegt, widersprechen die alten Urkunden: 1180: Wizenhorn; 1182: Wizinhorn, XII. Jh.: Wizzenhorn; 1372: Weizzenhorn. (,Horn“ hieß früher auch die Landzunge — Buck, p. 115.) es BG eee Der Wisent in Ortsnamen. 2} G. Unterfranken. I. Wiesenfeld NWW v. Karlstadt (Ruporrx) und so kann Grimm (Weisth. III. 533, VI. 769) unter „Wisenfeld“ (Urkunden aus 1351. u. 1494) nur diesen Ort meinen. — Früher: ,,Wisentfeld“ bei SCHMELLER II. 1032 (Regesta b. II. i1, III. 25. 419, IV. 323). „Wisentfelden“ XV. Jh. (Specimen Diplom. Bojoarici, bei OEFELIUS : Rer. Boi. Sc. IL. 232. b.) — O. KELLER nennt den Ort (1887. p. 55.) nach Grimm. — Ob der bei OESTERLEY angeführte ihm unbekannte Ort gleichen Namens in Thüringen mit unserem nicht identisch sei, bleibt dahin- gestellt. — O. ReLLER hat recht, wenn er behauptet (Privatbrief 1913. XII. 1), daß dieser Name dem Sinne nach auch dann hier aufgezählt werden müßte, wenn die alten Formen unbekannt wären, denn „Feld einer Wiese“ ist ein Nonsens. Wiesenthal bei Wertheim. (ZepLeR LVI. 582.) Da auch die Schreibart Wesenthal vorkommt (Hönn p. 464), so ist der Wisent nicht ausgeschlossen. Beweise fehlen. 3. Wiesentheid Schloß (= Wisentheide). — K. Gerolz- hofen, O. von Würzburg, zw. diesem u. Ansbach. (STIELER 11, G. 7) am W. Fuße des Steigerwaldes. — Bei Ritter falsch! » Wisentheide“ i. J. 1340, bei OESTERLEY p. 764. (Monum. Eberac. 127, 18. f.) — | Erwähnt bei KRETSCHMER (p. 291): eine Herrschaft mit 9 Dörfern, zur Grafschaft Castell gehörig. — SCHMELLER verweist auf einen ähnlich gebildeten Ortsnamen Hirshaid, II. 1032. — » Wisenheida“ im X. Jh. (ZEDLERLVI. 583, 584),auch „Wisenthaid“. Der Familienname „Schönborn — Wiesentheid“ wird oft er- wahnt: FALKENSTEIN: Antiq. Nordgavienses II. 208 (der Graf SCHÖNBORN führt „Büffelshörner“ im Wappen). — Port, Personennamen 1859. p. 327 etc. Ill. Hessen-Darmstadt. I. „Wiesenthal“ — ein Jagdhaus (Rupozrx) (K. Starken- burg, bei Langen und Mörfelden) — wird kaum her gehören. 2. Wisselsheim (K. Friedberg, — Oberhessen) in Urkunden „Wizensheim, Wizzenesheim, Wizinesheim“. — IX. Jahrh. — (OESTERLEY 776.) — („Wiese“ ist da unmöglich) — Am wahr- scheinlichsten aus „Wissentsheim“. — (Aus einem Personennamen). 28 B.Szalay, Italien. Bisentula in Lombardien, erwähnt durch LEO Marsicanus im XI. Jh. (Chronica Monast. Casinensis. — Mon. Ger. H. — Ser. VII. 770.) — „Bisenti“ (ebendort p. 742) aus dem J. 1084. — Heute Cività di Penna (Comitatus Pinnensis) im „Aprutio ulteriore“ am Fuße der Abruzzen, wo wahrscheinlich noch am Anfange des Alluviums Wisente vorhanden waren. (Funde des Dzson priscus in Italien.) Ob beide Namen zu „Bison“ gehören, ist sehr fraglich; dies wäre nur dann möglich, wenn die Urbewohner Italiens sich auch des angeblich keltischen Wortes vison bedient hätten. Die Römer hatten nach dem Wisent in Italien gewiß nichts mit „bison“ benannt, denn als dieser Ausdruck dem Volke unter den Cäsaren geläufig wurde, waren in Italien Wisente in keinem Falle mehr vorhanden. IV. Lippe-Detmold. Wissentrup (Ruporpa). — Schwerlich von Wiese. a) Rup = Raub (Wisentraub). Dabei fallen einem die Leges Alamanorum ein, wo es heißt (Mon. Ger. Hist., Leges III. 81): „Siquis bison- tem... furaverit... “. — b) Rupp — Ruben = rubetum = Busch; ebenso aber Trup = Trauben, mhd. troube = Gebüsch (Buck p. 222, 281), mithin wäre die richtige Form Wisentrupp oder Wisenttrup = Wisentgebüsch. V. Österreich. A. Böhmen. „Wiesenjäger “tschechisch , Luka“, ein Jägerhausneben Mel- nik bei Prag. (Ruporrx.) — Der einheimische Name ist bekannt, und so handelt es sich da nicht um eine Verdeutschung. Die Deutung als „Wisentjäger“ drängt sich förmlich auf — und dennoch (da wir nichts Näheres über die ältere Geschichte des Namens wissen) ist es unwahrscheinlich, daß im Zeitalter der Wisenten bei Prag deutsche Ortsnamen entstanden wären und sich bis heute er- halten hätten. (Wisset, Gemeinde bei Komotau (RITTER). — Gewiß nur die Verdeutschung seines slav. Namens: Vysoka.) Zubri, Dorf, S. von Nassaberg, K. Pardubitz. (RUDOLPH.) M es Der Wisent in Ortsnamen. 29 Zubrnice, deutsch Saubernitz, S. von Aussig, K.: Böhmisch- Leipa. (RuporpH). — In Böhmen finden sich auch viele Turnamen. B. Kärnthen. Zubermühle, bei Wolfsberg (Ruporrn). Wurzel unbestimmt. (Zubri?) Clero! Zubratz, bei Landstraß (1344 erwähnt). — Muchar IX. 473. Nahe an der ungarischen Grenze. D. Mähren. Zubri, Dorf, ONO. v. Neustadtl, B. Brünn (Ruporrx). Zubri, Dorf, WNW. v. Roznau, B. Olmütz (Ruporpa). — Daneben Bach: Zubersky potok. E. Niederösterreich. 1. Wiesend, Kastell (bei Eggenburg). — (RupoLpn). 2. Wiesensfeld, SOS. v. Groß-Gerungs; N. von d. Donau; NO. v. Linz, SO. v. Budweis. (RupotpH.) Kann wegen des Genitivs (= Wiesens-) nicht von „Wiese“ stammen; steht fast bestimmt statt Wisentsfeld. 3. Wiesenfeld: B. Hainfeld, bei Lilienfeld, an der Bahn- strecke Leobersdorf — St. Pölten, SW. von Wien, SW. Teil des Wienerwaldes. — Liegt sehr weit vom vorigen Wiesensfeld, kann damit unmöglich identisch sein. — Nach OEsTERLEY (p. 763) lautet die alte Form: „Wisentsfeld“: Fund. Zwetl., Font. Austr. II, 3, 406f. F. Oberösterreich. 1. Wiesenparz, ein Hammer, bei Waitzenkirchen, S. v. der Donau, W. von Linz (RupoLPH p. 5025). Der Form nach gewiß aus „Wisentharz“ = Wisentwald. Es gibt hiezu gute Analogien. 2. „Wiesenhof alias Wisenthof“! (RupoLph) zur Gem. Strass, bei Frankenmarkt (W. von Vöcklabruck; N. vom Mondsee). — (Wisent = eine Person). — 3. Wiesenhart (Groß- u. Klein-W.) — Gemeinden bei Schärding, S. von der Donau u. von Passau, an der Grenze von Niederbayern, bei St. Marienkirchen. — Auch „Viesenhart“. (RuporLpH p. 4781.) — Peerz führt an (1879 p. 60), die heutige Schreibart wäre Wiesenzart, früher aber Wisenthart. „Wisents- hart“, — Freyb. Samml. III. 209. (ScameLLER II. 1032.) — Als Personenname: „Dietwin von Wisendishart“ XII. Jh. (ZiLLNER, Salzb. Kult. 1871 p. 90.) — „Visnhart“ 1230. — Passau. Urbar. ey 2-9 ia 30 I Szailes, Arch.-Osterr. 53, 279. (OESTERLEY, 763.) — Der Sinn des Wortes ist „Wisentharzwald“, oder noch allgemeiner „Wisentenwald“, s. FÖRSTEMANN p. 671, bei der Wurzel-, hart“. G. Salzburg. 1. Wisend bei Werfen, neben Pfarr-Werfen — S. v. der Stadt Salzburg. (RUDOLPH) 2, Pinzgau (Duxer Thal) wird als Bisongau aufgefaßt; die Buchstaben W, b, p ersetzen sich oft gegenseitig: mithin statt Wintsgau = Wi(se)ntsgau. Bei den Römern: Ambisontes. Bei den Griechen Ambisontioi. (Ptolem. II. 14.) Siehe PEETZ, 1879. 60. 65. (ForcELLINUS VII. p. 252). ZILLNER meint (1871 p. 14), Pinzgau wäre mit dem Visontium des ProLemAus identisch. (Siehe bei Posseg in Steiermark.) H. Steiermark. I. „Wisitindorf“ im Osten von Steiermark (auch „Wisiten- dorf“) wird in Urkunden schon i. J. 865 erwähnt in Pannonien, (Juvavia p. 99-100) siehe bei Mucxar III 267, IL 122, 147, V. 223., ferner NAGt. Deutsch-Ost. Literaturgesch. p. 20. — Wahr- scheinlich aus „Wisintendorf“. — Nach FORSTEMANN (1872. p. 1632) ist es identisch mit „Witzelsdorf“, jenseits der Lafnitz in Ungarn, oder Weissendorf, alias Wieselsdorf in Steiermark SSW. von Graz. (STIELER XV. D. 20.) Zuber (= Zuberberg, — Cuber) Gem. bei Luttenberg. (Ru- DOLPH). — Sollte dahinter nicht das slavische Zubr stecken? Possegg, NO. v. Bruck, N. von Graz, bei Kindberg. Es wird behauptet (HoLDER, Altcelt. Spsch. III. 404), daß Possegg mit dem Visontium Pannoniae superioris der ProLeMAEUS’schen Geographie (II. Cap. 15. Basel 1545, p. 27) identisch sei. MO 1. Wiesenthein, bei Kaltern und Bozen, N. von Trient. (Ruporpn). — Muß „Wisent-heim“ gewesen sein. (Personenname.) 2. Wiesenschwang (Weiler) zur Gem. St. Johann bei Kitz- bühel, SO. von Kufstein. (In der Gegend auch Unter Aurach — vom Ur so genannt). , Wisinschwank“ i. J. 1073 (Mon. Boica I. 354). Siehe FÔRSTEMANN. — Scheint ursprünglich „Wisints-wanc“ — Wisentenwiese gewesen zu sein, um so mehr, da wanc eben- falls die Bedeutung einer Wiese hat, und „Wiesenwiese“ doch zu albern wäre. Der Wisent in Ortsnamen. 31 VI. Preußische Gruppe. A. Hessen-Nassau (preubisch). Wissenbach (K. Wiesbaden, bei Dillenburg). Fragwürdig. (RupoLrH; Ritter). — Wissen steht oft statt Wissent. B. Mecklenburg-Strelitz. Wesenberg, Gem. (STIELER-Atlas 9. C. 9). — Die Wurzel wird nicht Wesent, sondern irgend ein slavisches Wort sein. — Ich bemerke aber, daß das Andenken an die ehemalige Ure in den beiden Mecklenburgen einige echte Tur-Ortsnamen erhalten haben. (Im Wappen dieser Provinz sehen wir einen Ur oder Wisentkopf. —) C. Preußisch-Sachsen. 1. „Wisinta“ i. J. 1072 ein Ort bei Ziegenrück (FÖRSTEMANN p. 1560), s. SCHULTES: Direct. dipl. 1821. p. 190. — Hängt enge mit dem Namen des Wiesenta-Baches (in Reuß) zusammen. 2. Wiesenena(Ruporrx) — K. Merseburg, SWW. v. Delitzsch. Kann als Wisenten-A(ha) = Wisentbach aufgefaßt werden, (s. Wiesenthal in Rhein- Pfalz). 3. Weissenfels (Merseburg) gehört nicht hieher (STIELER XIII. A. 5/6); i. J. 1053 = Wiszenfels; 1188 Wissinfels; dann auch „Wizzenfelsz“. — VII. Sachsen. Weissensee bei Zittau (nahe an Bohmen), Burg; die alte Form ist i. J. 1360 Wisensee (OESTERLEY, 747) — fragwürdiger Natur. (K. Bautzen, bei Zittau). Wurzel slavisch? VIH. Schweiz. 1. Wiesendanyen Gem., Kant. Zürich; NO. v. Winterthur, zwischen diesem und Frauenfeld. (Rirrer; CHEVALIER: Répertoire, p. 3350). — Ein Besitz der Grafen von Kyburg (SCHMELLER II. 1032) „Wisuntwangas“ im J. 809 (Neueart F.: Cod. diplm. Alam. 1701, n. 168.): „In pago Durgauua in loco qui dicitur Wisunt- wangae“. Wisantwangun i. J. 897. (NEUGART, n. 625; siehe FÖRSTE- MANN 1859 p. 1560.) — Nach Vorz auch Wisonteswangun (p. 132). „Wissendanga“ 1155. — Chronicon Constantiense (Pistorius 1607, p. 624). — „Wisendangen 1261. (Kiburg. Urbar, Arch.-Schweiz XII. 169.) — Im J. 1275: Lib. decim. Constant, Freib. Diöz. — Arch. I. 166, f. (bei OESTERLEY p. 763). „Wisenhang“ 1310. (Habsb. : Urbar, — Lit. Ver. XIX. 202, 15.) — „Wysendangen“ 1396, 1464, 32 BZ Szalasy, 1473. (GRIMM, Weisth. I. 122, I. 139, IV. 276). „Wisinwanc“ kommt aueh vor. (Porn: ‚Berss 1359. iG.) Auch in Personennamen „Berchtoldus de Wisendangen, 1300. (Necrologium Einsiedelense = Mon. Ger. Hist. Necrologia I. 362). „Bertholt“ miles de Wisendangen (Schriften der Abtei v. Schaf- hausen — ebenda I. 500). „Lugart“ von Wisendangen, 1383 (Necrl. Tennikonense — ebenda I. 533, 584, 591, 669). — Es gibt auch eine Familie , Wisendanger“. (ZepLeR LVII. p. 1273.) Der Name ist auch in zoolog. und philolog. Werken als Beispiel für den Wisent oft erwähnt (KELLER FERD. 119a; KELLER O. 1887, 55; RÜTIMEYER 1860 p. 38; PFAHLER 705; GRAFF 1834, I. p. 1079. — etc.) ,Wisuntwang“ bedeutete Wisentenwiese, denn wang = wanc = campus. MAYERSTEDT irrt sich, wenn er die Namen EI- wangen (Elchenwang) etc. mit Elchfang (I. 16) wiedergeben will. 2. „Wisendowe“ ein Dorf im XIII. Jh. beim Kloster Sion (Necrologium Sionense, in Mon. Germ. H. Necrol. I. 526). Es ist dort vom Tode der „Sophia domina de Klingen“ (= Klingnau, NW von Zürich, nahe der N. Grenze der Schweiz) und von der Steuer des Dorfes Wisendowe (= Wisentau) die Rede. 3. „Wisen“ (vielleicht die Abkürzung des „Wisent“) in alten Akten ein Ort des damaligen Saanthal-Gaues. (MucHAr II. 36.) Die Saane fließt im Westen der Schweiz (westlich von Bern), mündet in die Aar, liegt im Gebiete der Freiburger Alpen. IT Thürinen sche Staaten) (mw) A. Im allgemeinen. 1. Wisenfelt (ein unbekannter Ort irgendwo in Thüringen, sagt OESTERLEY p. 775). — Trad. Fuld., Dr. 38, 220. — „Wisent- felt“ 1165 (Marq. Fuld., BÖHMER, Font. 3. 169). — Wird auch 1335 erwähnt (Michael. annot. hist. — BÖHMER, I, 456). — Ein Wiesenfeld kommt in Unterfranken vor, aber so weit von Thüringen, daß daran hier nicht gedacht werden darf. 2. Weissensee in Thür. kann nicht hierher gehören. „Wizin- see“ 1203. — (JUNCKER 461). (Es gibt aber ein Urisee in Oberösterr. Jetzt Irr-See). B. Reußält. Linie. Wiesenta, Bach (STIELER, H. Atl. XIII. B. 5) N. von Schleiz; mündet NW. von Burgk in die Saale; Südgrenze von Ziegenrück). ZEDLER schreibt i. J. 1733 „Wiesenthau“ (LVI. 582). Der Wisent in Ortsnamen. 33 C. Sachsen-Weimar-Eisenach. Wiesenthal, Gem. (Kreis Eisenach, bei Fischberg) N. von Kalten-Nordheim, und W. von Schmalkalden, SO. v. Dermbach (STIELER 13. B. 2) zw. Rhön u. Thüring. Wald. „Wisantaha villa“ im J. 795 (FORSTEMANN p. 1560) siehe: DRoNkE, Codex diplom. Fuld. 1850. n. 110; — und Meusen (Beitr. I. 84); Corpus Trad. Fuldensium. (Srruvius III. 558.) „Wisuntahu“ und „Wisendah“ in Urkunden (Juncker p. 289; ZepLer LVII. 1541 und LVI. 582; Hénn, Lexic. Topogr. des Frank. Kreises 434.) — hat dem Gaue Tullifeld (an der Werra, auch Töllfeld) angehört. — Der Sinn ist: Wisentbach (aha — Wasser, Bach). „Wisend- aha“ und „Wisendah“, praedium, (zu Fulda gehörig) XI. Jh. (Srruvius, Rer. Germ. Scriptores III. 644). X. Württemberg. 1. Wiesen Ort (RK. Wangen, Donaukreis) —im J. 1109 , Wison“ — dürfte kaum hierher gehören (OESTERLEY, 763)? 2. Wiesenthann (bei Ravensburg und Fronhofen, Donau- kreis) ein Weiler. Ein interessanter Name (im Ruporrnschen Ortslexikon p. 5026). — Ich finde bei Grimm (Weisthümer I. 809) in einer Urkunde aus 1407 einen Personennamen „coram . . . Hennone dicto Ernst, dicto Wysenhenno“ (Hen Ernst, genannt Wisenhenne). Der Zusammenhang ist sehr fraglich. Wiesenthann wird allgemein als , Wiesen-Tanne“ aufgefaßt (Beispiele: Niederthann, Hohenthann — obwohl FÖrsTEMAnN dabei Bedenken hat) — der zu allgemeine, nichtssagende Sinn (Wiese und Tannen umgaben ja früher jedes Dorf) weist unbedingt auf Wisent-Tanne. Vergleiche den Namen Wisenthart — von derselben Bedeu- tung (Oberösterreich). 3. Wiesatz (Wisatz) ein Bach, der bei Bläsibad (S. v. Tübingen) in den Steinbach mündet. (Schwarzwaldkreis.) Im J. 1484: ,,Wysentzbach* (= Wisentsbach. — Die Auffassung von Buck p. 301 ist durchaus unmotiviert.) — 4. Wiesensteig (Geislingen, Donaukreis, ONO. von Reut- lingen, NW. von Ulm, Srieter, Atlas XI. H. 6.) — beim Ursprung des Baches Vils (]uncKER 270). — Früher ein sehr berühmtes Kloster (gegr. 861) welches zum frühern Pleonungethalgau (heute Blau- Zool. Annalen VII. 3 ERGE n 34 B. Szalay, Thal) gehörte; s. KausLer, Wirtemberg. Urkundenbuch, 1849. n. 136. — „Wisentesteiga‘“ (PERTZ, Monum. Germaniae VI. 393: GERHARD, Vita S. Oudalr.) — „Wisensteiga“ X. Jh. (Die Geschichtsschreiber der deut. Vor- zeit X/4 p. 34.) „Wisuntesstaiga“ (Lex. v. Schwaben II. 1124) auch SCHMELTER ieee: „Wisuntisstaga“ (Peetz, p. 60). „Wisenstaige“ 1275 (Lib. decim. Constant. Freib. Diöc. — Archiv. I. 69). „Wisasteig‘“‘ 1478 (FABER, Goldast 92.) s. bei OESTERLEY: 764. Dieser Name wird sehr oft als Beispiel für den Wisent an- geführt (QUENSTEDT 98; RÜTIMEYER 1860: 38; O. KELLER 1887 p. 55; PFAHLER p. 705; GRAFE, Alth. Sp. 1834, 1. 1079; BAER OS ER 271 — und viele andere). — Merkwürdig ist es, wie VoLz in seinem guten Werke (B. z. Kultg. 1852, p. 132) zu der Behauptung kommt, daß im Worte „Wisentessteiga“ nicht der Bison gemeint sei. — Ich bemerke noch, daß auch ein „Auersteg“ existiert (Rheinprovinz). Wiesensteighof (Jagst-Kreis) — bei Ruporpa. Frag- würdiger Natur. 5. Weißenstein (K. Geislingen; Donaukreis). — ÖESTERLEY bezieht in seinem neuen maßgebenden Werke (p. 747) das alte „Wisentessteiga‘ nicht auf die besprochene Gemeinde — Wiesen- steig, sondern auf Weißenstein (Gerhardi Vita S. Ondalr. — Script. IV. 393, 32, Mon. Ger. His.) CC. Ost-Gebiet. I. Preußen. 1. Wiesenwald, West-Preußen, bei Stargard (Danzig). — (Rirrer) Wisentwald? 2. Wiesenburg oder Weissenburg, eine alte Burg bei Gumbinnen, Ostpreußen (Rupozrx), wird oft erwähnt (Lukas Davin, Preuß. Chronik, 1576, IV. 65.) | Die wesentlich verschiedene Schreibart deutet entweder auf eine slavische Wurzel, oder eventuell auf den Wisent. 3. „Bison castrum“, auch ,,Bisene“ bei Memel (Kônigs- berg) — Ostpreußen. (Scriptores Rer. Pruß. I. 147. II. 811.) Hat mit dem Wisent kaum etwas zu schaffen. Der Wisent in Ortsnamen. 35 4. Wiesenthal, in Schlesien bei Münsterberg (Breslau) (OESTERLEY: 764). Der alte slavische Name lautet: Withosto wizi, und wahrscheinlich entstanden aus diesem die deutschen Urkundennamen: Wisnithal — 1293; Wesintal — 1420. Wesental — 1436; Wiesenthal — heute. — Außerdem kommen in Preußen viele Namen mit dem slav. Thur (für den Urstier) vor — aber merkwürdigerweise nur ein einziger Ort mit Zubr — hier, in der wahren Heimat dieses Tieres!! II. Rußland: Estland. Wesenberg, Gem. — STIELER-Atlas 46, G. 10. Gehört kaum hierher. (Slavisch?) (In Estland sind mehrere Tur-Namen.) — DD. Ortsnamen von unbestimmter Örtlichkeit. „Wesende“ im J. 1290. (OESTERLEY p. 756) Quelle: Possess. Swerin, Veterl. Arch. 1838: 98. (Wesende = Wisente). Wisinun, XII. Jh. (Einsiedel. Urbar, Geschichtsfr. 19, 102) — bei OESTERLEY, 775. Kann weder Wiese noch Weiß bedeuten. Reconstruiert ist die Form durch ,,Wisintun . . .“ wobei das zweite Substantiv, wie so oft, abgewetzt ist. — Das Ausfallen des t kommt sehr häufig vor. — Die Verwertung dieser Namen für zoogeographische Zwecke. a) Von den angeführten Namen sind in erster Reihe diejenigen, in denen der ‚Wisent‘-Wert des ersten Teiles zweifelhaft ist, aus- zuscheiden. b) Der Personenname ‚Wisunt‘ war früher nicht selten. Alle Ortsnamen, die von diesem (und nicht vom Tiere selbst) abgeleitet werden müssen, fallen da selbstredend auch fort. Diese sind besonders dann sofort als solche zu erkennen, wenn der zweite Component des Ortsnamens die Bedeutung eines Hauses, Wohn- sitzes, Gutes etc. hat. Das sind: Dorf (nicht immer), Haus, Heim, Hof (hova), Kirchen (chirichun), Leben (leiba = Wohnsitz, Erbsitz), Münster, Stadt, Weiler (wilare), Zell etc. Nicht zu erkennen sind jene, wo der zweite Component verloren gegangen und unbekannt ist, wie bei den Ortsnamen Wiesens, Wiesent, Wissen. Von diesen wird aber nur ein kleiner Teil hieher gehören, weil sie meistens gr ea 36 B. Szalay, mit -A(ha), und -A(wa) = Au verbunden waren. Dieses kurze -a geht nämlich leicht verloren. c) Was die Statistik der Wisent-Namen betrifft, ist auch zu beachten, daß es wiederholt vorkommt, daß mehrere nahe bei einander liegende Orte von demselben Tiere ihren Namen erhalten haben. Man darf in diesen Fällen aus der Anhäufung der Namen nicht auf das allzugewöhnliche Vorkommen der Wildrinder schließen. Dieser Satz gewinnt hauptsächlich bei den Ur (Auer)-Namen an Bedeutung. Der Bach Wiesenta fließt durch Reuß und Pr. Sachsen. Die Gemeinde Wisinta i. J. 1072 hat aber mit diesem Bache gemeinschaftlichen Ursprung. — Als man neben dem Bache Wiesent in Oberfranken ein Kastell baute, erhielt dies den Namen Wisentfels — wohl aber nur vom Bache — und nicht von neueren Wisenten, usw. II. Ur Die mit Ur- zusammengesetzten Namen. Unser Studium wäre gewiß lückenhaft und einseitig, wenn wir die bis jetzt gesammelten Ur-Namen nicht berücksichtigten. Wir müssen diese, wenn auch nur ganz kurz, dennoch aufzählen und dem Zoologen einige Anhaltspunkte geben, um die Hieher- gehörigkeit der von andern anzuführenden Namen wenigstens in groben Umrissen beurteilen zukönnen. Die eingehende Schilderung halte ich mir aber für ein andermal vor. So wie bei den Wisent- Namen, habe ich auch die Literatur von den mit Ur- zusammen- gesetzten gesammelt und bin gerne bereit jedem, der sich für diesen oder jenen Ortsnamen interessiert, näheren Aufschluß zu SEEN Die mit Ur- beginnenden Namen können im allgemeinen auf folgende Stämme zurückgeführt werden: a) Das alte -Ur ist nach Buck oft nichts anderes, als das heutige aus-, un-, er-, (z. B. in Urlaub). b) Dann das heutige Ur, wie in Ureltern. c) Ist manchmal keltischen Ursprunges wie in Urana. d) Bedeutet das Urrind. e) Uro ist ein Personenname (vom vorigen). f) Die mit Urs- beginnenden sind entweder Genitivformen (Ures = des Urrindes), g) — und lassen sich nur selten auf die lat. Namen Ursus oder Ursula (Ursel) zurückführen, die dann auf einen neueren — gg = Der Wisent in Ortsnamen. 37 Ursprung hindeuten würden. Viel öfter handelt es sich hier um das Wort h) Hros, hors, horse = Pferd wie in Urbach (früher Ursbach)?, Orsingen (Ursingen), Ursen, Ursinpach, Ursinperc, Irschenhausen (Ursinhusen), Uhrsleben (Ursiliebe), Irslingen (Ursilinga) — nach FÖRSTEMANN. i) ‚Uhr‘ hat auch die Bedeutung: Felsenspalte. (Dürfte ge- wohnlich nur im zweiten Teile eines Ortsnamens auftauchen). Wenn man außer dieser Vielwertigkeit der Silbe Ur-, Urs- noch die riesige Zahl der Ur-Namen, und die große Mannigfaltig- keit des mit diesen verbundenen zweiten Komponenten in Betracht zieht, wird es jedem einleuchten, daß die Prüfung und Beurteilung dieser Namen mit viel größeren Schwierigkeiten verbunden ist, als das bei den Wisent-Namen der Fall war. Deshalb hat die Kenntnis jener Ur-Verbindungen, die ein sehr erfahrener Spezialist, FÔRSTEMANN, als nicht zum Urrind oder Uro gehörig, schon aus- geschieden hat, eine besondere Bedeutung. Diese werden wir deshalb später separat aufzählen. Die Veränderungen der Silbe Ur-. Sowie ein Teil der mit Wisent- zusammengesetzten Namen seine Form bis zur Unkenntlichkeit geändert hat — so beobachten wir denselben Vorgang auch bei den Ur-Namen; die Kenntnis der Gesetze dieser Änderungen haben für uns deshalb eminenten Wert. Hierbei kommt in erster Reihe das sogenannte Breiterwerden des „Ur“-, das heißt dessen Umänderung in das Wort ‚Auer‘ in Betracht. In den frühesten Codices kommt die Form ‚Auer‘ nie zum Vorschein. Später lesen wir aber nicht nur immer öfter von ‚Auer‘, sondern es werden auch jene Ortsnamen, die früher Ur- lauteten, mit ‚Auer‘ wiedergegeben. Wenn das Jahrhundert dieser Umänderung bekannt wäre — könnte man leicht aus diesen Schreibarten direkt auf das Alter der Ortsnamen Schlüsse ziehen. Man nahm auch an, daß dieses „Breiterwerden“ sich im XIII. Jh. vollzog. Dies ist aber nur für die Mehrzahl richtig, wir kennen aber vereinzelt schon Auer-Namen sogar aus dem XI. Jh. in gewissen Gegenden. Das Breiterwerden führte mithin zu den Formen Auer, Aur, Euer und selten Our. — Was die eigentlichen Entstellungen dieser Namen während der späteren Jahrhunderte anbelangt, so kommen da in Betracht 38 B. Szalay, I. Ur=Or (z. B. ‚Horbach‘ — statt Urbach) — sehr selten. Hingegen kennen wir keinen einzigen heute mit Ör-, Ur- begin- nenden Ortsnamen, den man auf Ur- zurückführen könnte, aus- genommen Uerikon (Schweiz), 2. Urs = Ures; Genitivform. — Wichtig ist aber, daß auch Ur-See (= ‚Urse‘, ‚Urise‘) in Urs- oder Irsch- gekürzt wird. ,Urs-‘ stammt oft aus horse = Pferd, aber nicht immer (wie FÖRSTEMANN irrig annimmt), denn einige haben einen echten ,Ures‘ (= Urrindes) Wert, und sind analog mit folgenden Bildungen: Wolfespach, Wisuntessteiga, Eberswanc, Hundeszagel, Hundesars etc. Auch darf man nicht außer Acht lassen, daß das ursprüngliche deutliche Ures- manchmal zu Ursi-, Ursen- verdorben wurde, wobei aber die historischen Belege ausschlaggebend sind!); wie Ursiliebe (aus Ureslevo) und Ursenheim (aus Uresheim). — | 3. Ur= Ir, oder Ihr-, Irr-, z. B. Irschsee, Irschdorf (,, Urises- dorf“); Irrendorf („Urendorf“), Ihringen (‚Uringen‘). — Die Namen Irslingen (Urslingen) und Irsingen (Ursingen) gehören aber gewiß nicht zu Ur (FÖRSTEMANN). — 4. Ur=Euer, Eur- urkundlich erwiesen, z. B. Euerbach (,Ur- bach‘ früher) Euerheim (‚Urheim‘); Euren (Uraha), Euerdorf (Ur- dorth) Euerhausen (Urhusen), fast alle in Unterfranken. 5. Ur = Uhr: Uhrbach, Uhrenberg, Uhrendorf etc. 6. Ur= Hur-, Hor- (unorganisches H): Hurbach (= ‚Urbach‘); Horbach = ,Urbach’ — 7. Auer — Au z. B. Aulehen (= ‚Urinleo‘); A'udort (Gruber Uridorf), beide in Oberbayern. 8. Der zweite Komponent kann ganz wegfallen, wie bei Wiesens; (Za Be Adi he VAR), 9. Es können Entstellungen höchsten Grades vorkommen: Roringon — statt ‚Auringen‘ IX. Jh. Voerendael (Holland) st. Urendale (= Urenthal); Jedlersdorf st. Urliugestorf; Fürholzen (Auerholz); Asse statt Ursna; Uerikon (Uringhova); Brünnstadt (Uringosteti); Felheim (Hurfeldun). (Ursna und Urleug gehören nicht zu Ur). 10. Ur und Auer erhielten besonders in Bayern und Österreich oft Diminutivsuffixe: Url-, Auerl- (so wie auch in Aurhäusel, Tannlet, Auerdörfel, Uhrlingergütl etc.). Viele Ortsnamen mit einem -1 bieten aber oft Schwierigkeiten. Urard ist ein Personen- !) Ursi-Ursen- könnten allein nach der Philologie unmöglich zu Ur- gezählt werden. Der Wisent in Ortsnamen. 39 name, sollte damit Urlhart auch analog sein? Uring = Urling? Urau = Urlau? Urlat(ing) = Uret = Auret? Urler kann ein Adjektiv von Url sein (= Urler’- sowie Auers’-) — Es gibt aber entschieden nicht hierher gehörende Beispiele, z. B.: Urloffen hieß früher Urlufheim; Auerl-fing ist eigentlich Aurolf-ing; Urlas entstand aus Urleins, Urlars, Urlau’s, und Urlers — EIN 11. Es gibt Orte, die zwei ganz verschiedene Namen haben oder hatten: St. Gotthard = Ursare, Andermatt = Urseren, Wolfsthal= Urolfestal. (Die zwei ersten sind falsche Ur-Namen.) ı2. Sehr selten steht statt U ein F. Frohsin = Urohsin = Urochsen (PALANDER, 137). Istals Schreib- fehler oder Unverständnis aufzufassen. Es gibt aber auch falsche Ur-Ortsnamen, deren heutige Form das Wort Ur-, Auer- vortäuscht: 1. Durch die Verdeutschung slavischer Gemeindenamen entstanden: Uhryn (Galizien), Uhrazy (Böhmen), Urgarten = Javorina in Oberungarn, unitzi_#Sogorizef in Krain, | Urinau oder Ungersdorf — Uhrinov und Uhrize (Mähren), Urspitz = Corcovize (Mähren), Auer = Javor in Steiermark, und viele andere. 2. Auer- kann manchmal so viel sein als Aue-er, d. i. jemand von der Aue. Neben der Stadt Aue gibt es ein Auerhammer, was wahrscheinlich mit dem Namen der Stadt zusammenhängt. — Man soll sich beim Studium der Ortsnamen überhaupt immer zum Grundsatz machen, die Form der in der Umgebung auf der Karte befindlichen übrigen Ortsnamen auch zu berücksichtigen, weil der zweite Teil des Ortsnamens oft nur hierdurch beleuchtet wird. Es ist z. B. nicht ohne Belang zu wissen, daß neben Urbeis (bei Fulda) auch ein Beisheim existiert etc. 3. Oft werden ganz verschiedene deutsche Wörter zu dem sehr geläufigen „Auer“ verdorben, z. B. Auerstätt (Sachsen) hieß ursprünglich Hogerstatte; Auerberg in Österreich war ,Amserperge“. Auersthal (Österr.) früher _ Abrinteburctal; Ureichschirichen noch früher Adalrichischirchen etc. 40 B. Szalay, 4. Urs = Hors (Pferd). (Siehe früher.) 5. Die mit Urd-, Urt, Uerd- beginnenden Ortsnamen gehoren fast nie zu Ur. 6. FORSTEMANN schied folgende Namen, als nicht zu Ur gehörend, aus, (resp. sind nach seinen Grundsätzen auszuscheiden): Auerstädt (Pr. Sachsen, früher Auartessteten) Uradii Urahheim — Unterfranken ‚Uralanchuson‘, jetzt Oerlinghausen — Lippe-Detmold Urazahu — Urzze Urbach (Ursbach) — Elsaß Urbaresheim (jetzt Urfersheim) Urcechon — j. Uerzig Urcho Urck Urdella = Urtella Urdenbach — Rheinpr. Urdingi (Uerdingen) Urenshausen — Sachs. Weim. Uresheim (j. Ursenheim) — Elsaß Ureslevo (j. Uhrsleben) — Pr. Sachsen Urf (fr. Urpha) — urg Urilingtharpa (eigentlich Frilingthorp) Urithi (j. Uehrde) Uritichon = Uerkheim — Schweiz Urliugesdorf Urlon; heute Urlau, Württ. Urnanstedi (= Arnstedt) Urndrechstorf (j. Untersdorf) — besser Undechestorf Urphar Ur Ursare ‚Ursbach‘, j. Urbach — Elsaß Ursela Ursen (Kärnten) Ursena Ursendorf — Württemberg Ursenheim, fr. Uresheim — Elsaß Urser — Tirol Urseren — Schweiz Der Wisent in Ortsnamen. 41 Ursiliebe — j. Uhrsleben — Pr. Sachsen Ursilingen — j. Irslingen — Württemberg ‚Ursinpach‘ = Ursenbach, Schweiz Ursingen, j. Orsingen — Schwaben Ursinhusen (j. Irschenhausen) — Oberbayern Ursinperg Ursinun Ursleve (j. Uhrsleben) — Preuß. Sachsen Urslingen = Ursilinga Ursprinc Urta Urtella = Urdella Urthunsula Urula (j. Erl) — Niederösterr. Urusa Be NUE — Urazahu)—) Phirmeen Auerstädt (Owerestetten, Hogerstette, Awartesstetten) — Pr. Sachsen. Irschenhausen — Oberbayern (Ursinhusen) Irsee (= ,Ursinun‘) — Schwaben Irsingen (= ‚Ursingin‘) — Schwaben Irslingen (Ursilinga) — Württ. Oerlinghausen (Uralanchuson — Lippe-Detmold Orsingen (‚Ursingen‘) — Baden Uehrde (Urithi) Uerdingen (Urdingi) Uerkheim (Uritichon) — Schweiz Uerzig Uhrsleben (Ursiliebe) — Pr. Sachsen Untersdorf (Undechestorf, Urndrechstorf). — (Die in Klammern befindlichen sind immer Urkundennamen). — 7. Der Auerhahn heißt abgekürzt auch Auer. Es ist dem- nach nicht ausgeschlossen, daßeinige neuere Ortsnamen, besonders am Gebirge, mit der Auerhahnjagd in Zusammenhang stehen. Gewiß aber nur sehr selten. 8. Ich bemerke, daß die alten Codexkopisten oft Schreib- fehler begingen. Manche alte Schriften sind wieder derart abge- nützt, daß wir selbe oft falsch lesen. Auf diese Art können auch falsche Ur-Namen entstehen. — Wir sehen zugleich, daß 42 1}, Szalay, nicht alle, als „Urkunden-Namen“ angeführten, als sichere Belege betrachtet werden können. 9. In Ungarn haben die Deutschen viele Dörfer gegründet. Die daselbst befindlichen und mit ‚Ur‘- beginnenden Gemeinde- namen gehören aber durchaus nicht hierher. ‚Ur‘ ist ein gewöhn- liches ungarisches Wort, und bedeutet „Herr“. — Ortsnamen in Verbindung mit Ur. (Die aus Personennamen entstandenen sind durch gesperrten Druck gekennzeichnet. — Die mit Fragezeichen versehenen gehören nicht zu Ur. Vergleiche dazu die Listen der unechten Ur-Ortsnamen.) I. Westliches Ur- Gebiet. A. Belgien. (Ourthe früher Urta)? Kaum aus Ur. — B. Elsaß. ı. Urbach. 2. Urbeis. 3. Ursenheim (früher Ureshaim u. Urenhaim). 4. Uhrweiler (Uruniwilare). 5. Urus (Vogesen) = 5. Dazu 1 Wisent-Name. Bd nsleınc, © Ouse (i Us), a Ole = 2, D. Frankreich. 1.2. Aure. 3. Vielle-Aure. 4. Uri. 5. Urus.0.Ury. (Gc Uri ID ht) = & Dazu qe a WY, Id, Jalainnower. Olsehriesieangd: 1. Urbach. 2. Auershausen. 3. Auermühle. 4. Aurich. 5. Uhry und 32V. Hea othnimnesens 1 Orville: Gi en I. Urspelt. H: Niederland. 1. Voerendael (fr. Urendale = Urine) = Ip Norwegen, i, ‚Aue, 2. udn. 3, db Auges == dl KO diebus 1, Wimelowice (2, Witelnewissin?) == i. EIRmeinptalz. ı. (Auerbach> RU erba chi Unbachi 2 Dazu ı W. M. Rheinprovinz. 1. Our (ura), >. Auer 3 Euren (ire Ura, Uraha). 4. Uriau IX. Jh. 5. 6. Urbach. 7. Auersbaum (Auer- baum). 8. Freißberg = Uresbracht. 9. Urexweiler (aus Ur-Eck). To. Urfeld. 11. Ursteld. 12, Auerhof. 13. Uhrse;s 74. Auerkopt (Berg), 15. Auersmacher Norte mühle. 18. Auersteg. 19. Urwawern. 20. Ur weiler. 21. Ur- Wels = ar Dazu 5 W. N. Schleswig-Holstein. 1. Uhrendorf = 1. Der Wisent in Ortsnamen. 43 O. Spanien. ı. Visontium (keltisch). P. Westfalen. ı. Auerbeck. 2. Uhrenberg. (3. Averedessun Mano bei Minden?) (4. Asse = ‚Ursna®2).5..Uhren- domo, Ürentrup = 4. II. Mittleres Gebiet. A. Baden. 1. Urach. 2. Ihringen (Uringa in 962). 3. Urnau. 4. Ursaul. 5. 6. 7. Auerbach. 8. Ursbach. 9. Urberg oder Urbi ro; \Uhhrenbühle Mr NUS ho 72.) A werhof. ws Uhrenmühle. 15. Urloffen (bei Offenburg = ,Urlut- beim) — 14. Dazu ı W. basbioyiern Unbestimmte: 1 Ureweting =. Dazu 1. W. Mittelfranken. 1.—4. Aurach. 5. Aueran. 6. Auerbach. 7. Auerbruch (Urbruch). 8 Urshaim 9. Auernheim. 10. Auernhofen = Auerhofen = 10. Dazu 1 W. Niederbayern. 1.—4. Auer. 5.—g. Auerbach. 10. Ursbach. 11.—12. Auersberg. 13. Auretsdobel. 14. Auretsdorf. 15. Ur- metstied. 16, Auerkiel. 17. Auerkoten. 18. Urlasbühel. WeOnansbach, 20, Aurolfing en Urlhart. 22. Url- manning = 22. Dazu 3 W. Oberbayern. 1.—4. Auer. 5.—6. Aurach. 7.—9. Auerbach. 10. Urbis. 11. Auerburg. 12. Auersdorf. 13. Audorf (fr. Uridorf). 14. Auerdörfel, 15. Urfeld. 16. Irschenhausen (fr. Ursinhusen, Urinhusum). 17. Fürholzen (1073: Ourholz), dazu Urholz. 18. Auerlfing (Aurolf, Personenname), 19. Ur- lating. 20. Aulehen (948: Urinleo). 21. Urschalling. 21. Ur- stall. 22. Urthal. Urwies = Urbis = 22. Dazu 1 W. | Oberfranken. 1—2. Aurach. 3. Auerbach = 3. Dazu 5 W. Oberpfalz. 1. Aurach. 2. 3. Auerbach. 4. Auerberg (Aurberger Personenn.) 5. Auersberg. 6. Auermühle. 7. Auersölden=7. Dazu 3 W. Schwaben. 1. Auers. 2. 3. Auerbach. 4. 5. Auerberg. 6. Urs- berg. 6. Felheim („Hurfeldun“ VIII. Jh.) 8. Irsee (fr. Ursen) = 9. Dazu 2 W. 44 Sia B. Szalay, Unterfranken. 1.—3. Aura. 4. Aurach. 5. Euerbach („Urbach‘). 6. Auersberg. 7. Auerberg. 8. Euerdorf (Urdort) (Urah- heim i, J. Son eon Auerhöfe: (voli inse drone Ursingosteti). 11. Euerhausen (Urhusen). 12. Euerheim (Une) = 12, Dazu 3 W. ) Braunschweie. (Wehrde, Urde 2): . Hessen-Darmstadt. ı. Auerbach; (Ursel?) 2. Uhrings- mühle (Sensbach im Odenwalde ,Urtella‘??) = 2. Dazu ı W. . Lippe-Detmold. (Oerlinghausen „Uralanghusen“?). Dazu ı W. . Österreich. Unbestimmte: 1. Auriachalpe. 2. , Uranpach*. > Ont dont ia Böhmen. 1. Auern. 2. Urlau. 3. Anerwiesbauden? = 3. Dazu 1 W.? Namen mit Dur — 26. ” ” i Aa Dalmatien. Tur-Namen = 2. Istrien, Gòrz- Gr. 1. „Urusperch“ (bei Foroiulium). Dazu iur ne ICSrnEeN (nr Arena 1, Dazu 7 Tur. » I Zubr? (Zubermühle). Krain 7. Auerspera.(— Turjak, also) echt) ue (Auritz ist slawisch). Dazu 7 mal Tur. eit) Allon, Mähren. (Urinau, Auerschitz, Uhrschitz, Urwitz sind alle slawisch). Dazu 2 mal Tur Me a eg /ZubE Niederösterreich. 1. Auer: 2. Auern. 3. Auratsberg, 45. Urbach. 6. Uri(-bach). 7. Urn-Bach. 8. Auerbauer; (Jedlersdorf? früher Urliugestorf). 9. Auerseck. 10. Auerhof. 11. Auersthal. 12. Urthal. 13. Wolfsthal (Urolfestale, also Personenn.) = 13. Dazu 3 W. LL Re (Naeh). Oberösterreich. 1. 2. 3. Auer. 4. Auern. 5. 6. Aurach. 7. ır. Auerbach. 12. Ureinberg. 13. Uraundorf. 14. Urharding. 7 Der Wisent in Ortsnamen. 45 15. Auerhäusel. 16. Aurolzmünster. 17. Uhring. 18. Ur- lasberg. 19. Urleinsberg.' 20. Urlhart. 21. Urlingergütl. 22. Auermühle. 23. Irschsee (fr. Urisee) = Irrsee. 24. Urthaler (Urtal). 25. Auersthaler = 25. Dazu = 3 W. Salzburg. ı. Urbais. 2. Irschberg (820: Ur-se’s-berg). 3. Urls- berg. 4. Uhrmetzgerhof. 5. Irsdorf, Irschdorf (Uri-se’s-dorf). OMUrpass 7. Urreiting. 8) Urstein. 9. Urthal/= og. Dazur 223%. und hus: Semlesien. 1. Lure Steiermark. 1, Aueramsteten. 2. „Ursaw“. 3. 4. 5. Auersbach _ (, Auerbach“ slawisch). 6. Urlas. 7. Urlerbau. 8. Auriberg. CU rinpesse io, „Udeseynf, 17.2 Auerline oi Dazu 1 W. ous mal' Tur. È i 7uber („Zuber)) — Tirol. ı. 2. 3. Auer. 4. Auers. 5. Unter-Aurach. 6. Auerbach. 7. suerdort. 8. „Urnidorf. 9. Urdrehen. 10. Auergasse. 11. Auermühle. ı2. Urser (Berg)? = 11. Dazu 2 W. ame Dur G. Preußische Staaten. Brandenburgs. 0. Auras, 2, Aurith — 2. Dazu ı mal Tur. Hessen-Nassau. ı. „Uraha“ Bach. 2. Aura. 3. Auersberg (Berg). 4. 5. Urdorf. 6. Urheim. 7. Auringen. 8. Urlettich. 9. Auroff = 9. Dazu ı W. Mecklenburg. — (1 W.?) und 7mal Tur. Pommern. (Aurose slawisch?) und 7mal Tur. Er alehsen 1. ,Urlahay in 937. 2. ‚Urbach (,,Hurbach’ ), 35 Awersberg — Auerberg (Berg). 4. Urbich. 5. Urleben (Uhrsleben). 6. Auerstadt (= „Hogerstette“ Owerestetten, , Awartesstete“ — also fraglich) —. 8. Örfall (, Urvallen“)?= 6. Dazu 3 W. H. Sachsen. 1. Auerlau. 2—5. Auerbach. 6. Auersberg. 7. Auer- hammer. 8. Auerhaus. 0. Auerschütz. 10. Auerswalde = 10. Dazu 1 W.? I. Schweiz. 1. Uri. 2. Urner-See. 3. Urdorf; (Urseren-Thal?). 4. Uerikon (X. Jh.: Urinhova = Urenhof) 5. Urnäschien) 46 B. Szalay, (= ‚ir. Urnaska) 7; (Utsenbache): * 6. Ursten 277.2, Ürestoliss 8. Urtenen. — (Uerckheim fr. „Uritichon“?). 9. Uhrenthal (Urental) sro: A Uva eis Orsa Dazu 2 W. K. Thüringer Staaten: Urze?? Näher nicht bekannt. Dazu ı W. („Auerochs“ eine Familie in Thüringen 1427). Reuß. 1 W. Sachsen-Weimar. (Urenshausen?) — Dewey iw NN Schwarzburg-Sondershausen. 1. Urbach. IA Wiirttemiblenos* 1. Urach: 72,37 Urbachtas 4m 0 ioni ona Wine burg. 5. Irrendorf (fr. Uredorf). 6. Auernheim. 7. Aurich. 8. Urlau. g. Urler. — (Irslingen = Urslingen?). 10. Auern- talia Urentcups—— (Ursendorie=) Ursenwane))— u: Dazu 3 W. UN, Osigebiet A. Preußen. Ostpreußen. 1.2. Auer. 3. Auerfluß. 4. Auergraben. 5. Auer- nor GA were == 7: Und ı6mal Tur (Tauer). Posen. 12mal Tur und 4 Zubr. Schlesien. ı. Auerfluß. — (Auras?) = ı. Und 8mal Tur. (Wiesenthal ist slavisch). Westpreußen. ı. Auerwald. 2. Urwiese? = >. Dazu (1 W.?) und 7mal Tur und ı Zubr (= Zembrze). — B. Galizien. 21 mal Tur und 7 mal Zubr. IV. Unbekannter Lokalität in Deutschland. 1, Aueralp. 2. Uren: 3. Auersteld: 1158. 4. Urotingen 5. Urkul! 6. Urloe 7. Urwang — 7. Und 2 W. Rußland: Sehr viele echte Tur-Namen in folgenden Bezirken: Jaroslaw, Kharkow, Kiew, Kostroma, Minsk, Nowgorod, Perm, Poltawa, Pskow, Rjazan, St. Petersburg, Tambow, Twer, Witebsk, Wologda, Wjatka, Woronesh in sehr typischen Formen, die sich nur auf das Tier „Tur“ beziehen lassen; — außerdem Zubr-Namen vorhanden. Im Westen des russischen Reiches kennen wir neun Tauras-, Tarw- (= Tur) Namen und vier Subr (= Zubr). — iù = Der Wisent in Ortsnamen 47 Polen: Sehr viele (über 50) Tur-, außerdem viele Zubr-Namen. Ungarn: Außerordentlich viele slavische Tur-Namen; auch einige Zubr-s. — Ich will hier nur ganz kurz bemerken, daß nicht alle mit Tur- beginnenden Orte nach dem Wildrind benannt sind. Nachstehende Formen gehören aber fast ohne Ausnahme hierher: Tura (-e, -i), Turami, Ture-, Turec (nicht aber Tureck), Turen (-in), Turi, Turja (-je, -ji), Turjak, Turzica (-ice), Turaw (-ew, -ow), Turza (-ze, -zo, -zi) aber auch andere, nur muß bei diesen der Fachmann entscheiden. Statistische Übersicht der Wildrinder-Angaben in Ortsnamen: W.O. = das Tier Wisent in Ortsnamen. W.P. = ‚Wisunt‘ Personenname in Ortsnamen. UrO. = das Tier Ur in Ortsnamen. UrP. = ,Uro‘ Personenname in Ortsnamen. Zubr — entsprechend. lor == a . Die in Klammern befindlichen Zahlen beziehen sich auf die ganz evident echten Tur-Ortsnamen, wo wirklich das Wildrind gemeint ist; die Hälfte der übrigen dürfte aber auch hierher gehören — nur sind da noch weitere philo- logische Untersuchungen notwendig. Die verdächtigen Wisent-Ortsnamen habe ich nicht berück- sichtigt. BaMestsebiet: Wn WIE, Or Wile ZUG Rue Bis e e — I 3 England . — 2 Frankreich . 2 6 Hannover-Ostfriesland . 3 — 3 Lothringen . == == Eixemburs... . 2.00 — — I = — Niederlande. . ... Lu. — — I Nonwesen il. — — 4 Didenburoen. 40: 41: 1 — — — Rheinpfalz I 2 Rhemprovinz.. . . . 3 2 14 Schleswig-Holstein — — Spanien. . . . 4 .. — I = == = WMestialen . . . ... — = 3 Summe 10 3 30 15 Ei ze 48 HAMMmibelrebreine Baden Bayern Mittelfranken Niederbayern Oberbayern . Oberfranken Oberpfalz Schwaben Unterfranken BALE Hessen-Darmstadt Lippe-Detmold 6 sterreich Böhmen Dalmatien Istrien . Kärnten Krain Mähren Nieder-Österreich . Ober-Österreich Salzburg . Schlesien . Steiermark Tirol Preußen Brandenburg Hessen-Nassau . Mecklenburg Pommern . Provinz Sachsen Sachsen Schweiz . Thüringen Württemberg . Reuß Sachsen- Weimar . B. Szalay, Schwarzb.Sondershausen — Summe NEO AWERSFUEOTSUTET ZUR I — 8 6 — — I HE J 3 DEL ma I 2 19 3 — — — Ten 0 6 — a + I 3 EX pr FEE 3 Am 5 2 WE ip 2 — 6 I = == 2 I 7 5 — = I I — I — = -- I I I — — I Luis is als = Lal (2A 2 i aE salle mala livres 3 “i 2 26 (17) — — — — — 2:60 a. SE alata I = Dame) des I ar 1, 04) 2 2442) 2 I 10 3 —= à (i) 2 I 20 5 = — 2 -— 8 I — i (a) == I 10 I nf} AS) (()) I I 9 2 et) = 2 -— = (Gi) I — 6 3 — = i Se ne) = we ge (0) 3 nr 5 I Fui ATI ES ites 9 I a Br 2 mer 8 3 = == a I ve ER = are î È oil SD i oh awk cha AR da I Fos so RR: 3 QUE 9 2 LE = 30 I HERE 8 79 (52) Der Wisent in Ortsnamen. 49 I Osfsebiet: NOMME MORO, ume Zubr. Dur Wsiprenbent. . . . . = 6 I — 16 (13) Fees. Veio — == _ AMEN (TO) Senlesien . . . ss. — — I == — 8 (6) Niestpreußen . . . . — — 2 — I 72 (6) Summe | — 9 I SB (35) IV. Unbestimmte 2 — 5 2 — — Endsummen: MMÉSPSEDIELS. ...... vr. 10 3 39 15 — — Mittélmebiet . . . .. 36 Int y 51 8 79 (52) Watacbich . |. 2.2... — = 9 I Bula (Re) Wnbekannt . 2... 2... 2 — 5 2 — — 48 14 230 69 13, 122 (87) 62 299 ig 122107) Das Mittelgebiet besteht aus: Piovene lt. 3. 14 5 63 21 — — Br Österreich . . . 7 4 65 13 OS (AA) c) Übrige Staaten . 15 2 49 17 a (3) 36 Un 1177 51 8 79 (52) Die Wisent- und Zubr-Namen zusammen verhalten sich zu den Gesamtsummen der Ur-Tur-Namen folgendermaßen: W.-Z. Ur-Tur West m 13 54 Mittelgebiet N. far: 55 280 (307) @staebiethi i. > 2.0. 5 BG (52) Unbekannte ine 2 7 75 385 (Hierbei sind nur die sicheren Tur-Namen berücksichtigt.) Resultat: Das Verhältnis der Wisent- und Ur-Ortsnamen ist fast überall = 1:5. — (Nur in Polen, wo bis heute Wisente existieren, ist es für diese Tiere etwas günstiger, ca 1:3, ebenso in Galizien.) — Die mit Ur- gebildeten Ortsnamen im Alphabet des zweiten Komponenten. (Der etwaige dritte Komponent blieb außer acht). I. ,Ur‘-Gruppe. Ur(a) (Urkundenname) = Kanton Uri in der Schweiz (H)ur(a) — siehe Our. | Zool. Annalen. VII. 4 50 B. Szalay, Ure = Kanton Uri Ure = Fluß in York. England Uri — Kanton in d. Schweiz, in den Urkunden: Ura, Urania, Ure, Urenn, Uora, Ury, etc. Uhry — Hannover Url Gemeinde neben dem Url-Bach — Nieder-Österreich. Urler, Weiler — Württemberg. Urlerbau — Hammer — Steiermark Drame = Ur Urn — Bach, Niederösterreich Urenn = Uri Uren = Schweiz (gehört zur Abtei Wettingen) Urner-See — Schweiz, (Vierwaldst. See) UroniatT#Urania Uri Auer zu Wies — Niederbayern Auer im Hof — È Auer I — Gut — OstpreuBen Auer II. — Meierei — ,, wer 15 Oberbayern eo ER à „I a „ IV. — a auch Personenname Auer I, — Niederbayern jie Ee > Auer Rheinprovinz Auer, Weiler, Nied.-Österreich Auer, Oberösterreich Auer — Tirol Auern — Nied.-Österreich Auern — Oberösterreich Auern — Böhmen Auers — Tirol Auers — Bayern, Schwaben Aur — Tırol Aur — See I. — Norwegen si DE it Aure I. Bach — Frankreich yon DE ie da (Dep. Calvados) soos LIE LORO À (Dep. Eure-Loir, Nebenbach der Eure) Der Wisent in Ortsnamen. 51 Vielle-Aure, Bach, Frankreich Our (früher Hura) Bach — Rheinprovinz Uora = Uri, Schweiz Euren siehe Uraha (Dasselbe Alphabet ist auch im folgenden durchgeführt: Ur, Url, Uren, Urs, Auer, Auerl, Auern, Auers, Aur etc., Our, etc. Euer etc. Ir- etc. Bei gleichnamigen Orten folgen diese in geogr. Ordnung, nach den Urgebieten s. dort.) 25 Palio Aueralp — Ort unbestimmt. 3. Aha-Gruppe. (Aha, -ach, -a) -a Ura — Württemberg Ura = Uri, Schweiz Hura, s. Our — Wera»; ,, Aura bei Trimberg = Aura an d. Saale — Unterfranken Aura im Sinngrunde — Unterfranken Aura, Bach — neben d. vorigen; Unterfranken Auramühle, daselbst. Aura, Weiler — Hessen-Nassau (Preußen) Aura, Bach in Norwegen. Auras (fr. Uraz, slawisch) — Preuß. Schlesien Auras — Brandenburg (viell. aus Aurats’ —) -ach Urach, Stadt, Württ. (Uraha in Urkunden) auch Aurach genannt. Urach — Baden Aurach, Dorf — Mittelfranken Aurach I Bach (‚Uraha‘) — Nebenfluß der Regnitz, Mittelfr. Aurach II ,, = > 5 Herzogenaurach, Gem. — Mittelfranken Petersaurach — Mittelfranken. Frauenaurach — EN Aurach, Dorf — Oberbayern = Bach — a (‚Uraha‘) (daneben Aurachbad- stube und Aurachkohlhütte) Aurach — Oberfranken (,Uraha‘) = Unter-Aurach. Münch-Aurach — Oberfranken. 4* = und » B. Szalay, Aurach — Oberpfalz (Nordgau, Urkundenname) Aurach (‚Urawa‘) — Unterfrank. daneben Aurachsmühle Aurach = Urach — Württemberg. Aurach I — Oberösterreich. i II > 5 III Bach Oberösterreich (daneben Aurachkirchen Aurachhäuser). Ober- und Unter-Aurach — in Tirol. Auriach, Alpe, in Österr. (unbestimmt). -aha Urahheim, nicht aus Ur ‚Uraha‘ und ,Ura‘ (jetzt Euren) Rheinprovinz Uraha s. Aurach, Oberbayern » s. Aurach — Oberfranken » Ss. Aura (Sinn) — Unterfranken » — Württ. s. Urach. » Bach — Hessen-Nassau (in der Nähe v. Auersberg) Urlaha i. Jahre 937 (Wimoti Gau) — Preuß. Sachsen. . Au-Gruppe. au Uraundorf — Oberösterreich Uriau — IX. Jahrh. — Ardennen, Rheinprovinz. Urlau — Württemberg Urlau, Meierei — Böhmen Urnau — Baden Ursaul — Weiler — Baden (Diminutivbildung) Auerau — Mittelfranken Auerlau — Sachsen, Erzgebirge -awa, -owa ‚Urawa‘ s. Aurach — Unterfranken ‚Ursaw‘ = ‚Ursowe‘ — Steiermark. . Aueramtssteten — Steiermark. -at, siehe -et. , Baelo. Urbach — Ober-Elsaß (‚Ursbach‘) „ Hannover Urbach I — Rheinprovinz 3 II La daneben ‚Urbachsmühle‘ Der Wisent in Ortsnamen. 53 ‚Urbach‘, (fr. im Nordgau; Familie de-Urbach) Oberfranken ‚Urbah‘, jetzt Euerbach — Unterfranken Urbach I: — Württ. (auch Auerbach) Ba LT: 7 BETT, = Urbach — Hessen-Darmstadt (,Urpah‘) Urbach I. — Nied.-Osterreich ST]. N 3 lay af Urbah, s. Auerbach — Oberösterreich Urbah s. Auerbach — Tirol Urbach — (Hurbach) — Preuß. Sachsen ER — Schwarzburg-Sondershausen Urbah, s. Uhrbach ,Hurbach‘ — jetzt Auerbach — Baden 5 s. Urbach — Preuß. Sachsen Uhrbach (‚Urbah‘) — Rheinpfalz Url-Bach, ein Bach in Niederösterreich Uranpach, Österr. unbest. (viell. der Urn-Bach) Urenbach Familienname in Preußen, viell. aus Urbach in Hannover. Urn-Bach, Nied.-Östr. Ursbach — IX. Jh. — Elsaß Ursbach — Baden » Nied.-Bay. Auerbach, Nied.- und Ober-A. — Rheinpfalz Baden (früher „Hurbach“) ” Auerbach I. Dorf — Niederbayern, auch Familienname „ II. Weiler À ST TEL. > » ne: LV: 5 Unter-Auerbach — Niederbayern Auerbach — Oberbayern Vorder- und Hinter-Auerbach — Oberbayern Auerbach — Wasser — Oberbayern Ms Stadt — Oberfranken (auch eine Familie). — Auerbacher — Familie Auerbach, Stadt — Oberpfalz Mittel-, Ober- und Unter-Auerbach — Oberpfalz Ober- u. Unter-Auerbach I — Bayern, Schwaben 54 B. Szalay, (Awrbach’ — Famil.) Auerbach II — Bayern, Schwaben Auerbach (fr. Urbah, Urebach, Urpah) — Hessen-Darmst, Auerbach I. (fr. ,Auwerbach‘) — Oberösterreich. > IV. 5 Auerbach — Steiermark Auerbach (,Urbah‘) — Tirol Auerbach 1 — Sachsen x II Stadt Sachsen Nieder-Auerbach III — Sachsen Auerbach oder Urbach — Württemberg Auerbacher Schloß — Hessen = Obermühle — Oberpfalz Auersbach I — Steierm. x IT > ® III (Ober- und Unter-) Steiermark. Aurbach Oberòsterr. a Bayern — auch Familienname ‚Awrspach‘ — Steiermark (in Urkunden) Euerbach (früher Urbah) — Unterfranken -bais s. beis — 7. Bauer Auerbauer — Niederösterreich 8. Baum Auerbaum — Rheinprovinz Auersbaum — ai 9. Beck (= Bach) Auerbeck — Westfalen (Preußen). 10. Beis (= Mais, Holzschlag, nach Buck — ?) Urbeis — Elsaß Urbais, Weiler — Salzburg Urbis — oder Urwies — Oberbayern Auerwiesbauden, Böhmen (slawisch ?) 11. Berg Urberg — Baden, auch ,Urburg* Urlsberg — Salzburg Der Wisent in Ortsnamen.‘ 55 Uhrenberg — Westfalen ‚Urinperge‘ — Steiermark (Urkunden-Name) ‚Ureinberg‘ — Oberösterreich — ,, Ursberg (‚Ursperg‘) — Bayern, Schwaben Urusperch (Urus = etwa Ures) — Görz-Gradist, Austria Auerbergsreut — Niederbayern Auerberg — Oberpfalz n, Meierei — Bayern, Schwaben 39 Ka Berg HER 9 Auerberg, Berg — Pr. Sachsen (Harz) (auch Auersberg) Auerberg, Osterr. auch Famil. (s. unter Auersberg). — Auersberg, Weiler — Niederbayern, daneben Auersbergsreut Auersberg — (‚Auersperg‘) — Oberpfalz si Gut, auch in Familienn. — Bayern, Schwaben “a Berg (Groß- und Klein-) — Unterfranken im Sinngrunde. — Auersberg Stadt — Unterfranken 1 (Ruine und Berg) Rhòngebirg — Hessen-Nassau 3 s. unter Auerberg, Preuß. Sachsen (Gebirg) Auersberg, Berg, — Sachsen, Erzgebirge; daneben: Auers- berger-Häuser Auersberg (Turjak slaw.) oder Auersperg, Krain, Famil. — Aurberg — Bayern, Schwaben (Aurberger, Famil.) Aurlberg — Österreich. 7) iaia ie (bio); pigo — Hügel Urbich — Preuß. Sachsen -bis, s. Urbeis 13. Bracht (Brachet = Brachfeld) Uresbracht — Rheinprovinz 14. Bruch Urbruch = Auerbruch, Mittelfranken. 15. Burg Urburg (oder Urnburg) — Württemberg Urburg (oder Urberg) — Baden ‚Uriburch‘ — Bayern? Urnburg, s. Urburg — Württemberg Urneburg — Oldenburg Auerburg — Oberbayern 56 B. Szalay, Auersburg — Schloß Oberbayern ‚Aurburg‘ — Stadt, Bayern? 16. — Bühl (= Hügel) Uhrenbühl — Baden 17. Dorf. ‚Urdorf‘ — Bayern? — auch Fam. Urdorf (bei Fulda) — Hessen-Nassau a bei Zürich. ‚Uridorf‘ — jetzt Ober-Audorf — Oberbayern È » Euerdorf — Unterfranken 5 » Auerdorf — Tirol ‚Urendorf‘ — jetzt Irrendorf — Württemberg Uhrendorf — Westfalen — Holstein, daneben: Uhrendorfer Deich. Dares (bei Muchar) viell. das heutige Uraundorf — Ober- österreich. Uraundorf — s. bei au ‚Auerderf‘ (Peerz) — Bayern? Tirol? Auerdorf, fr. Uridorf — Tirol Auerdörfel — Oberbayern Auersdorf — Oberbayern Euerdorf, s. Uridorf — Unterfranken Irrendorf (‚Urendorf‘) — Württemberg 18. Drehen Urdrehen — Tirol. 19. Eck (egga) Urexweiler — Rheinprovinz Auerseck — (‚im Zagel‘) = Niederösterreich 20. -et, -at, -it. (Collectivsuffixe at = ach). — Urlading — Niederbayern Urlating — Oberbayern Auratsberg — Nied. Österreich Auras in Brandenburg (Aurats? — oder slaw.) Urlettich — Churhessen. Urnetsried — Niederbayern (Riet = Sumpf) Auretsdorf — Nied. Bayern Auretsdobel — Nied. Bayern (Dobel = Schlucht) — Aurith — Brandenburg (Ried-? oder slaw.) Ureseyn, s. -heim SRA Der Wisent in Ortsnamen. 57 21. Orfall (‚Urvallum‘) — Pr. Sachsen (von Ur?) 22. JE Gio Urfeld — Rheinprovinz Urfeld — Oberbayern „Hurfeldun“, jetzt Fellheim — Bayern, Schwaben Ursfeld — Rheinprovinz Auersfeld —- unbestimmt -fing, siehe -olf 23. Fluß Auerfluß, Weiler — Ostpreußen Auerfluß, Gut — Preuß. Schlesien (Ogon’sche Herde) 24. Auergasse — Tirol 25a Graben Auergraben — Ostpreußen 26. Hammer Auerhammer — Sachsen 27. -hard (=a) hart in Personennamen; und b) Wald, in Orts- namen) Urharding — Oberösterreich (Urard, Personenname) Urlhart — Nied. Bayern Urlhart — Oberösterreich 28. Haus Urrelhausen — Oldenburg (= Urel? ob aus Ur?) Auerhaus — Sachsen Auerhäusel — Obz2rôsterreich Auershausen — Hannover (‚Urinhusum‘ oder ,Ursinhusen!, jetzt Irschenhausen — fraglicher Natur?) Euerhausen — (‚Urhusen‘) — Unterfranken 29. Heim (sämtliche aus Personennamen) Urheim — Hessen-Nassau Urenhaim — Elsaß ‚Urenhaim‘, jetzt Auernheim — Mittelfranken ‚Ureshaim‘ oder jetzt Ursenheim — Ober-Elsaf Urshaim (Ursham) — Mittelfranken Ureseyn (wahrsch. aus -heim) — Steiermark Urahheim, — s. aha 58 B. Szalay, ‚Urlufheim‘, jetzt Urloffen — Baden ‚Auernham‘ jetzt Auernheim (Nordgau) — Mittelfranken Auernheim — Württemberg Euerheim (Ober- u. Unter-) Unterfranken 30. Hof. ‚Urinhova‘ auch Uringhova, jetzt Uerikon — Schweiz Urishof — Baden Auerhof — Rheinprovinz Auerhof — Niederösterreich Auerhof — Ostpreußen Auerhof — Baden Auerhofen — Mittelfranken (vielleicht identisch mit Auern- hofen) Auerhöfe — Unterfranken Auernhofen — Mittelfranken 31. Holz (und -olt) ,Urholz‘ — Oberbayern; vielleicht identisch mit: ‚Auerholz‘ (‚Ourholz‘) jetzt Fürholzen — Oberbayern (Urholz = Unholz, ein Wald mit unbrauchbarem Holz; in diesem Sinne aber nicht zu Ur- gehörig). Ourholz — s. früher Auerolzmünster, siehe -olt; Oberösterreich 92. JEIEEE, Herzogauerhütte — Oberpfalz 33. -ich -ig (Kollektivsuffixe) Uhrigs — Rheinprov.; daneben Uhrigsmühle Uhry, s. Uri Aurich — Wiirtt. Aurich Stadt, Hannover — Ostfriesland 34. -ing (Endung; Urinc = Personenname) Uhring — Oberösterreich ‚Uringa‘, jetzt Ihringen — Baden ‚Uringhova‘ jetzt Uerikon — Schweiz Uhringsmühle Hessen ‚Uringosteti‘, jetzt Brünnstadt, Unterfranken (vielleicht statt Turingosteti, FÖRSTEMANN) Auringen — Hessen-Nassau Uhrlingergütl — Oberösterreich — sa — Der Wisent in Ortsnamen. 59 Auerling Kärnthen Auerling — Steiermark Ihringen (fr. ‚Uringa‘) — Baden sities, et. 35. Kiel (Kil = Kugel;?) Auerkiel — Niederbayern 36. Kofen (= Hofen!) Auerkofen — Niederbayern SH Op Auerkopf, Berg — Rheinprovinz 38. Kuh Urku — Ort unbest. Url- s. Ur Urlading s. -at Urla-, siehe Urlas, Urlein, Urler. 39. Land Aurland — (in Vangen) — Norwegen 40. -lar (lari= Leere, Ode) Urlarsbach — Weiler — Niederbayern 41. -las (=-lars; -leins; -lats; -lers) Urlas Steiermark Urlasberg oder Urleinsberg — Oberösterreich Urlasbühel oder Urlasbichl — Niederbayern (Bühel = Hügel) -lau s. au ME be ne leiba — Erbsitz) Urleben (,,Urenleba“) — Preuß. Sachsen Uhrsleben — Preuß. Sachsen 43. -lein Urleinsberg — Oberösterreich Pro Ghd ho teh — Hügel) ‚Urinleo‘, jetzt Aulehen — Oberbayern interes: Url Ur und Urla 45. -lett (=blauer Lehm)? Urlettich — Churhessen (aus Url-et?) -lhart (s. auch -hard) Urlhart. 60 B. Szalay, 46. -ling Uhrling, s. -ing Auerling, s. -ing 47. -loeı — om — Wald) Urloe — Ort unbekannt Urloffen s. -heim Urlmanning s. man. 48. Auersmacher — Rheinprovinz 49. Uhrmetzgerhof — Salzburg? 50. Mühle Uhrenmühle — Baden Auermühle — Oberpfalz Auermühle — Hannover Auermühle — Rheinprovinz Auermühle — Oberösterreich Auermühle — Tirol 51. ‚Ursna‘, jetzt Asse — Westfalen (kaum aus Ur) 52. Urnäschen (,Urnaska‘) Schweiz Auerochs — Familienname in Thüringen Sa coni (= Olt, Cana Jai) Auroff — Hessen-Nassau Urloffen, s. -heim; Baden Auersölden Oberpfalz s. sölden 54. -olf (alles Personennamen) ‚Urolfestale‘ jetzt Wolfsthal — Niederösterreich Aurolfing — Niederbayern Auerlfing — Oberbayern Urofingen — unbestimmten Ortes. 55. -olt (alles Personenn. von Urold) — s. auch hoiz Auerolzmünster — Oberösterreich auch Aurolzm. ‚Uroltesmunster‘ viell. identisch mit vorigem. 56. -ose (=Ochse? oder slawisch ?) Aurose — Pommern 57. -pass (Bachs?) Urpass — Salzburg UÜrspeltisespelt 58. -reit (Reute = Rodung)? Urreiting — Salzburg Der Wisent in Ortsnamen. 59. Ried (Sumpf) Aurith (Aur-riet?) — s. et Urnetsried s. et Urrelhausen s. Haus 60. Urschalling (Urschaling) — Oberbayern 61. Schütz Auerschiitz — Sachsen DISC. ‚Urisee‘ (jetzt Irr-See) — Oberòsterreich, auch: Irschsee (jetzt Irr-See) — Oberòsterreich ‚Urisedorf‘ und ‚Ursesdorf‘, jetzt Irrsdorf — Salzburg Ursenhaim, s. heim. ‚Ursesperg‘ und ‚Urisesperc‘, jetzt Irschberg, — Salzburg 63. Sölden (Selde= kleines Gut oder Haus) Auersölden — Oberpfalz 64. Urspelt — Luxemburg (spildau = ausgießen, Bach) — ? Stadt ‚Uringosteti‘, jetzt Brünnstadt — Unterfranken (Auerstädt in Preuß. Sachsen gehört nicht zu Ur). Urstall s. Thal (Oberbayern) 66. Steig Auersteig — Rheinprovinz 67. Stein Urstein — Salzburg Urstein — Schweiz 68. Urestolfs, unbest. Ortes; in Personennamen. 69. Thal ‚Urtal‘ — Oberösterreich Urthal — Salzburg Urthal — Niederösterreich Urthal — Oberbayern Urthaler — Oberösterreich ‚Urental‘, ‚Urintal‘ — Schweiz, auch in Personennamen ‚Urendale‘, jetzt Voerendael — Niederland Urstall — Oberbayern Urolfestale — s. olf. 62 B. Szalay, Auernthal — Württemberg Auersthal — Niederösterreich Auersthaler — Oberösterreich FO, Iasnınier Urtenen — Schweiz Urestolfs, s. bei st 71. Trup (Trauben = Gebüsch) Urentrup — Württemberg Urentrup — Westfalen 72. Urville s. wil 73. Urwaerfs Schweiz; (Werf, Urwerf = tiefes Wasser — von werfen, gehört nach Buck nicht zu Ur) 74. Wald. Auerwald -- Westpreußen Auerswald — Familie Auerswalde I — Ostpreußen Auerswalde II — Ostpreußen Auerswalde Gemeinde und Familie — Sachsen (= Nieder- und Ober-Auerswalde). — 75. Wang — Campus, Wiese Urwang, unbest. Ortes (Ursenwang gehört nicht zu Ur) 76. Urwawern — Rheinprovinz 77. Weiler (wilare) Urweiler — Rheinprovinz Uhrweiler (‚Uruniwilare) — Elsaß 78. ‚de Ureweting‘, Familie in Bayern, (von Wette = Ste- hendes Wasser ?) 79. Urwelt, Rheinprov., von Wald; oder Wallat == Schanze Urwies s, -bis 80. Wiese (oft slawisch!) Urwiese — Westpreußen Auerwiesbauden, Böhmen 81. Wil Urswil — Schweiz (ob zu Ur?) Urville — Lotharingien. Der Wisent in Ortsnamen. 63 Die Verwertung der Ur-Namen. A. Wie beim Wisent, müssen auch hier, um diese Namen für zoogeographische Zwecke brauchbar zu machen, die aus Personennamen entstandenen ausgeschieden werden, also die- jenigen, die aus dem Mannesnamen Uro und dessen zahlreichen Kompositionen, wie Urolf, Urhard (ad normam Eberhard), Urold, Urinc (Uring), dann Urich, Urinch, Uremar, Urtanc, Urnulf!) ent- standen. Diese sind auch aus dem zweiten Teil des Ortsnamens, der einen Wohnsitz bedeutet, erkenntlich. (Siehe bei Wisent.) Nach FÖRSTEMAnN gehören mithin hierher diese Beispiele: Uringa, Urnaska, Urintal (in = en)?, Urenhaim, Urinhova (Hof), Urinhusum (Haus) Urinleo (Leh = Hügel)’, Urenleba (leba — Wohnsitz), Uruniwilare (Weiler), Uringosteti, Uroltesmunster. — FÖRSTEMANN zählt grundsätzlich alle mit Uren- beginnende Orts- namen zu den aus den Personennamen Urno entstandenen. Das ist aber gewiß eine Übertreibung. In „Oxenwilare“ (Ochsen- weiler) ist doch Ox gewiß kein Personenname. „Bärenwald“ ist der Wald der Bären. „Urin“ steht hie und da statt Urine z. B. in Urinhova (Urikon in der Schweiz). B. Hier ist es noch öfter der Fall, daß sich mehrere Orts- namen von einem einzigen „Ur“-Namen ableiten lassen. Die diesbezüglich notwendige Übersicht wird aber in dieser Hinsicht nur nach Herstellung einer Wildrinder-Karte Deutsch- lands erreicht sein, wozu meine Zeilen eben die erste Grundlage geben wollen. — Beispiele: a) Aurach (Gemeinde), Aurach (Bach), Aurachkohlhütte, Aurachbadstube sind alle nebeneinander in Oberbayern. — b) Ebenso sind auf eine Quelle zurückzuführen: Aura (Gemeinde), Aura (Bach) und Auramühle in Unterfranken. c) Auersberg (Berg) und Auersberg (Weiler) in Unterfranken. d) Irr-See, Irschberg und Irsdorf (Österreich) und viele andere. — — Wie wir sahen, stammen viele von den mit Uring- beginnenden Namen vom Personennamen Urinc (Uring) — aber nicht alle. Ein Teil ist dem Sinne nach nichts anderes, als eine Genitivform des Personennamens Ur, diese stehen also statt ,Ures-“ (FÖRSTE- MANN 1872, P. 905). — 1) Urbar, Urgolf, Urliuc, Urno und Urchilin, Urnulf gehören aber nicht zu Ur = Urstier, ebensowenig Ursilo, Ursino, Ursing, Urso, Urseram, Ursold etc. GE e 64 B. Szalay, In den slavischen Sprachen hieß der Dos primigenius Tur (hie und da aber auch Ur!) (im lithauischen tauras), der Wisent aber Zubr. Die aus diesen in den slawischen Provinzen Öster- reichs und Deutschlands entsprossenen Ortsnamen haben für uns denselben Wert, als die schon besprochenen der deutschen Zunge. Diesbezüglich will ich da nur bemerken, dass es auch solche falsche Wildrinder-Ortsnamen gibt, wo deutsche Namen slavische Tur- oder Zubr-Orte nachahmen. Zuber ist z. B. ein deutsches Wort — wenn es aber, so wie dies tatsächlich der Fall ist (Kärnten, Steiermark) in einer auch von Slaven bevölkerten Gegend als Ortsname auftaucht, können wir, ohne Kenntnis der speziellen alten Geschichte dieses Ortes im Zweifel sein, ob es zum slavischen Zubr zu zählen sei, oder nicht. In Böhmen heißt das Dorf „Durchgang“ czechisch „Turkank“. — Das deutsche „Turn“ in Böhmen erinnert an Tur, obwohl der slavische Name Trnovany dem entschieden widerspricht. — Bei „Zuber“ in Württemberg oder bei Turesbach (auch Duresbach) in der Oberpfalz wird aber gewiß niemand an Zubr und Tur denken. — Es gab mehr Ure als Wisente! 75 Jahre lang währte der Streit von BoJanus an bis WRZES- Niowsky und WıLckEns, ob der Dos primigenius in historischer Zeit in Europa gelebt hat — oder nicht, bis die Ansicht von Puscx schließlich, besonders durch die ganz rezenten Funde des Ures von NEHRInG aus dem Mittelalter endgültig widerlegt wurde. Infolge der Seltenheit solcher Funde und der Hartnackigkeit, mit welcher PuscH seinen Standpunkt zu verteidigen verstand, bildete sich unter den Fachleuten die Meinung, daß es zwar Ure gab, aber nur hie und da als ein seltenes Wild, deren letzte Exemplare seit dem XIV. Jahrhundert in Polen als ein Parktier vor der Ausrottung geschont wurden.... so glauben wir das heute. Ich erlaube mir aber hier eine Reihe von solchen Tatsachen anzuführen, die man allein mit der Annahme erklären kann, daß bis ca. zum VII. Jahrhundert nach Chr. in Mittel- und teilweise Nordeuropa (im germanischen und slawischen Europa, ferner Ungarn — man könnte aber ohne Übertreiben sagen: fast in ganz Europa) bedeutend mehr Ure als Wisente zu treffen waren —, und ich glaube, andere werden durch meine Zeilen auf- a Gute Der Wisent in Ortsnamen. 65 merksam gemacht, die Zahl dieser Belege — die, wie gesagt, in schroffem Gegensatze zur bisherigen Annahme stehen — noch erhöhen können. Das sind: ı. Unter den Kunstdenkmälern, die aus den prähistorischen Kulturperioden und aus dem Altertume stammen, findet man das Bild des Ures bedeutend öfter dargestellt, als dasjenige des Wisents. Einen Teil dieser hat ein eifriger und verdienstvoller Forscher, HiLzHEIMER, zusammengestellt („Wie hat der Ur aus- gesehen?“ 1910). Es ist nun wahr: Im Altertume konnten Kunstwerke nur im Süden Europas geschaffen werden, denn die nördlichen befanden sich noch in einem barbarischen Zustande. Diese Darstellungen beweisen mithin nur soviel, daß damals in Südeuropa mehr Ure als Bisons lebten, was ja eigentlich natürlich ist, weil der Wisent das warme Klima fürchtet und lieber die kühlen Bergwaldungen aufsucht. 2. CAESAR erwähnt von den beiden Wildrinderarten nur die eine. Man folgert aber logisch, daß er gewiß jene namhaft macht, von welchen er öfter gehört, dessen Hörner etc. er öfter ge- sehen hatte, mithin diejenige, die gewöhnlicher war und siehe da — er nennt den Urus! 3. Der Verfasser des Nibelungen-Liedes besingt folgender- maßen die berühmte Jagd Siegfrieds (Ausg. Bartsch p. 152, Str. 937): „Dar nach sluoc er sciere einen wisent und einen elch, starker üre viere, und einen grimmen scelch‘“. Unmöglich kann man diese Zeilen anders verstehen, als daß damals der allgemeinen Auffassung nach am Rhein mehr Ure als Wisente zu treffen waren! — Was würden denn heute unsere waidmannsgerechten Jäger zu einer modernen poetischen Jagd- beschreibung sagen, in welcher der große Jäger X. in Österreich an einem Tag ein Reh — — und vier Luchse geschossen hätte! Ganz Europa würde bedeutungsvoll den Kopf zu dieser Un- erfahrenheit des Dichters schütteln. In dieser Weise konnte sich der Verfasser des Nibelungenliedes gewiß nicht blamieren. — Nein — damals war der Ur am Rhein bestimmt gewöhnlicher! 4. Am besten beweisen dies die fränkischen Chronikverfasser und Kirchenväter des VI.—X. Jahrhunderts, die den Wisent in ihrer Gegend (Elsaß, Ostfrankreich etc.) fast nie erwähnen, wohl Zool. Annalen VII. 5 66 B. Szalay, aber den wilden, großhörnigen Bubalus, das ist den Ur, — so AGATHIAS, (bezügl. 548), GREGORIUS TOURONENSIS (bezügl. 573), die Lebensbeschreiber der hl. Genoveva (VIII. Jahrhundert), CARILEFF’s (840); und des hl. Déodat; dann ERMOLDUS NIGELLUS und Jonas. — Auch in Sachsen und im Thüringerwald!) ist im VIII. und IX. Jahrhundert nur der Ur, nicht aber der Wisent erwähnt. Karl der Große jagte in Bayern immer nur den Bubalus, nicht aber den Bison. (S. „Der Wisent in Brehm“ — Zool. Ann. VI.) 5. Die Wildrinder hatten schönere und breitere Hörner, als das Hausrind, deshalb verfertigte man aus diesen verschiedene Geräte (Puinius XI. 37.), hauptsächlich aber Jägerhörner und Trink- gefäße, deren Namen die Herkunft vom Ur deutlich verrät; so heiBt z. B. lithauisch (tauras = Tur = Wildrind); taure ein Trink- gefäß; taürius heißt der Becherschnitzer; taure ist lettisch das Jägerhorn. Später wurde der Sinn all’ dieser Wörter derart ver- allgemeinert, daß sie auch auf nicht aus Hornsubstanz verfertigte Objekte übertragen wurden. Bugle heißt z. B. im Englischen und Altfranzösischen das Jägerhorn, und auch ein Hornbecher, denn bugle = bufle = bubal d. i. der Ur! (WeE»BsTER 172.) Sogar in der lateinischen und griechischen Sprache heißt das Jagdhorn ebenso Cornu, und ein Gefäß (worin man Wein mischte) Krater (statt Kerater; Keras, — tos-Horn). — In all diesen Wörtern vermissen wir die Stämme Zubr, Bison, Wisent etc., obwohl diese Geräte ebenso auch aus Wisenthörnern verfertigt wurden! 6. Im Mittelalter waren gewisse (ursprünglich aus dem Mithras- Kult stammende —) volkstümliche Spiele bei Slaven, Ungarn, Rumänen etc. sehr verbreitet, die bei den astrologischen Jahres- wechseln, später aber an christlichen Feiertagen (Pfingsten) ab- gehalten wurden. An diesen Festen führten mehrere, in Tiermasken (wie Stier, Hirsch, Ziege etc.) gekleidete Gestalten erzählende Gesänge folk- loristisch sehr interessanten Inhaltes (:,Kolinden“) vor. Die Haupt- gestalt war der Wildstier (tur) und von diesem hießen die Spiele bei den Neuslowenen trjaki, bei den Slowaken Turice (MIKLOsIScH 1886, 404) bei den Südslaven Turica und bei den Rumänen Turca (Sebestyen 392, 411) — aber nie Zubrca! 1) Siehe des Verfassers „Der Wisent im Brehm“, Zool. Annalen VI. Heft 1. LE ee Der Wisent in Ortsnamen. 67 7. Nach den Wildrindern wurden einige Pflanzen und Tiere benannt. Der Holcus odoratus (Honiggras) ist ein Lieblingsfutter beider Wildrinder gewesen, und hieß deshalb in den verschiedenen Provinzen turza trawa und turowka, bei den Lithauern taurele!). — Allerdings nannte man dasselbe im wisentreichen Lithauen auch Zubrowka —, daß das aber nur eine spätere Nachahmung der Turowka darstellt, und daß die letztere der frühere, authen- tische Name war, beweist seine große Verbreitung und sein Form- reichtum. Nach dem Ur und nicht nach dem Wisent wurde auch der Auerhahn benannt. Urogallus ist nur eine Übersetzung aus dem Deutschen (s. des Verfassers ,, Bonasus und bonasa“ Zool. L. 1913, 134). Außer des erwähnten Zubrowka kenne ich nur ein einziges Beispiel, wo das Wort Zubr oder Wisent als Grundlage derartiger Wortübertragungen gedient hätte: Die Neugriechen heißen näm- lich gewisse Dämonen Zumpria (B. ScamIpT), aus Codurgos, Wisent. Die Slaven breiteten sich aber am Balkan erst nach dem VI. Jahr- hundert aus, wo damals in Thracien nur Wisente mehr vorhanden waren — deshalb konnte da eine Benennung vom Tur nicht mehr stattfinden. — Ich möchte noch bemerken, daß nach dem ‚Wisent‘ keine Pflanzen benannt sind. Hingegen finde ich bei PRITZEL (1882) „Auerle“ — Alnus incana — (Auerle ist angeblich soviel wie ‚Erle‘?); „Auerker Blome“ = Chrysanthemum segetum. Ob da das Auerrind gemeint ist, bleibt dahingestellt. 8. Der gleiche Mut und die Kraft der beiden Wildrinder war bei den Alten sprichwörtlich. Deshalb gaben die Russen ihren Helden den Beinamen Tur, oder Buj-tur (‚kühn als ein Ur‘) nicht aber Buj-zubr (BRANDT 234). Die Wildrinder fielen aber auch durch ihre Größe und die dadurch bedingte Unbeholfenheit auf — deshalb hieß ein Mann, der sich durch obige Eigenschaften auszeichnete, Sov£alos oder Bovpalos bei den Griechen (ein oft auftauchender Beiname) denn das war ein uralter Name des Ures beim Volke (S. „Der Bubalus“)?), Ein ungeschickter großer Mensch heißt bei den Franzosen Ureau: diesen Namen führt GERARD (p. 406) auch auf den Ur 1) In Nordamerika wurde eine ganze Liste von Pflanzen nach dem Buffalo benannt. *) Wie wir sehen, stammt unser Sprichwort „ein wahrer Büffel“ aus altgriechi- schen Zeiten, und ist damit ursprünglich nicht der Hausbüffel, sondern der Ur gemeint. Ole 68 B. Szalay, zurück — mithin wieder und immer der Urstier — und nie der Wisent! — In einer Gegend sagt man vom raufenden berauschten Mann: ,,Er benimmt sich wie ein Tur“. — Eine stattliche, blühende Frau wird mit der turzyca (Urkuh) verglichen (Puscx 1837, 120). Im Kleinrussischen heißt der Bräutigam scherzweise tur, und die Braut turica (MiKLosicH 1886, 404). — Aber auch in anderen Beziehungen treffen wir oft auf Er- wähnungen des Tures, — immer nur dieser Wildrindart, — welche von der großen Bekanntheit und der weiten Verbreitung desselben Kunde geben. Wenn der polnische Volksdichter z. B. von einem vortrefflichen Festbraten berichten will, spricht er in einem alten Hochzeitsgedicht (XVII. Jahrhundert) von wohlschmeckenden turzatka (Turkalb), das bald aufgetischt werden soll (Pusca). In den alten slawischen Legenden (z. B. Vita S. Simeonis) ist fast nie vom Zubr, wohl aber vom Tur die Rede. Es ist sehr be- zeichnend, daß MiıkLosıch zwölf Chroniken- etc. Erwähnungen des Tures kennt, den Zubr hingegen fand er nur in der Bibelüber- setzung erwähnt (MıkrosicH 1862, 235, 1015). — All diese Daten werfen aber ein sehr klares Licht auf die riesige Zahl der vorhandenen Tur-Ortsnamen, die immer mehr gerechtfertigt erscheinen muß. 10. Es muß geradezu auffallen, daß in solchen alten (vor dem XIII. Jahrhundert stammenden) Werken, worin nur von einer Wildrinderart gesprochen wird, wir hierbei in den meisten Fällen dem Urus-Bubalus, und nicht dem Wisent begegnen, so zuerst in den Leges Bajuvarorum (aus dem Jahre 800). Es ist auch da im höchsten Grad wahrscheinlich, daß dies deshalb geschah, weil der Ur gewöhnlicher war! Andere Werke: Geschichte des Martyriums der hl. Genoveva (urus); Ermoldus Nigellus (bubalis); Vita Carileffi (bubalum); Vita St. Emmerammi (bubalis); Vita St. Aegidii (bubalus); hl. Otto (Lebensgeschichte — bubalorum); Chronik des Ordericus Vitalis (bubalina cornua); Gedicht des Ebrardus (bubalus) — ferner die fränkischen Chroniken und andere. 11. Als die eine Wildrinderart in Deutschland ausgestorben war, wurde der Name auf die andere übertragen. Darin liegt nichts Merkwürdiges, weil dies sich in der Geschichte der Tier- namen sehr oft wiederholt hat. Es ist aber selbstverständlich, — da nur noch ein Wildrind vorhanden war, — dass dieses den BEN a Der Wisent in Ortsnamen. 69 Namen des bekannteren, gewöhnlicheren Wildrindes erben mußte, und nicht den des selteneren. Und siehe da — der überlebende Wildstier wurde mit dem — bisher für seltener gehaltenen — Namen des Auerrindes be- legt — und hieß von nun an Auerochse! — Das ist wieder ein hervorragender Beweis für die allgemeinere Bekanntheit, für das häufigere Vorkommen des Ures im Vergleich zu dem Wisent. Der Name Wisent wurde inzwischen ganz vergessen, dies beweisen auch die zahlreichen, in Wiese — umgewandelten Orts- namen, außerdem die ganze alte Literatur (s. „Der Wisent in BreHM, — Zoolog. Annal. VI). Es ist aber bezeichnend, dass gerade diese Verhältnisse auch bei dem lateinischen Namen des Bison obwalten. ı2. Es ist geradezu auffallend, wie wenig die mitteleuropäi- schen Schriftsteller des Mittelalters mit der Natur des Tieres Bison oder Bonasus im Reinen waren. In einer Studie (,,300 Namen des Wisents“) werde ich zeigen, mit wie unglaublich mannig- faltigen falschen Namen (Encheiros, Centaurus, tragelaphus etc. etc.) dieses Tier durch die Codexschreiber eben darum betitelt wurde, weil die klassischen Namen unbekannt waren. In Ungarn hieß es amtlich immer Bubalus. — Die große Bekanntheit und Ver- breitung dieses letzteren Namens (bei Primıus-Urus) im Volke, so- wie die Unbekanntheit des ,bison‘, ‚bonasus‘, — sprechen laut dafür, daß der Urus — bubalus ein gewöhnlicheres Wild war. Die Carmina Burana (XIII. Jahrhundert) kennen auch nur den Urus und Bubalus, nicht aber den Bison. 13. Gerade so verhält es sich aber auch mit dem anderen Ur-Namen der lateinischen Sprache, mit dem Wort ,Urus‘, das ein jeder Gelehrte kannte, das überall (in alten Wörterbüchern etc.) anzutreffen ist, das ein jeder versteht. Deshalb wurde es auch bei Linné (freilich falsch) zum wissenschaftlichen Namen des Wisent. Wir rekapitulieren: Die beiden lateinischen Namen des Wisent blieben ziemlich unbekannt (Linné wußte noch nicht, was für ein Tier der bonasus sei!) — hingegen waren beide lateinische Namen des Ures überall verbreitet und stark in Brauch: Sehr auffallende Tatsachen! 14. Der wichtigste Beweis aber dafür, daß es mehr Ure als Wisente gab (wenigstens bis in das VIII. Jahrhundert) ist die ganz enorm, nämlich fünffach überwiegende Zahl der mit Ur- verbundenen Ortsnamen über die Wisent-Namen. (Siehe meine Statistik.) oe 70 B. Szalay, 15. Die Richtigkeit der obigen Statistik wird nicht nur ge- stützt, sondern in auffallender Weise bestätigt und ergänzt, wenn wir das ganz gleiche Verhältnis zwischen den slavischen Tur- und Zubr-Namen in Betracht ziehen, so in Rußland, Polen, Galizien, in den slavischen Provinzen Österreichs und Deutschlands. In Ungarn gibt es Smal soviel Tur- als Zubr-Namen. — Dieses ganz gleiche Verhältnis zwischen den Ortsnamen der Wildrinder sowohl in den deutschen, als in allen nordslavischen Ländern, d. i. diese gleichwertige Statistik beider Länder ist derart auf- fällig, daß man sich gezwungen fühlt, dasselbe unbedingt auf einen gemeinschaftlichen Grund zurückzuführen, nämlich auf die Mehrzahl der Ure. 16. Die keltische Sprache nennt den Wisent vison, den Ur, Taro (auch Ur), tarva, taura. Nach ersteren wurden drei Orte benannt (erwähnt bei PTOLEMAEUS als OdLoovzıov) vom zweiten hin- gegen existieren zahlreiche (meistens Gebirgs-) Namen, wie Tauern, Turicum (Zürich), Thüringen (slavisch: Turinek) Thurgau und sehr viele andere, so daß wir hinsichtlich der keltischen Namen dasselbe Verhältnis beobachten, wie bei den deutschen und slavischen. (Ein Teil der letzteren läßt sich auch auf keltische Wurzel zurückführen.) — Die Kritik der Statistik. Unsere aus der Statistik der vorhandenen Ur- und Wisent- Ortsnamen gewonnene Endfolgerung ist von solcher Wichtigkeit, daß wir uns unbedingt in die Kritik dieser Statistik einlassen, und die, gegen selbe anzuführbaren Gegenargumente — gerade zur Bekräftigung derselben — berücksichtigen und erwägen müssen. Wir zählten 62 Wisent-Namen auf; von diesen können nur ca. 13 auf Personennamen zurückgeführt werden, und so bleiben uns mindestens 4o echte zoogeographisch verwertbare zur Ver- fügung. Hingegen gibt es unter den angeführten 298 — ca. 70 Personennamen des Ures, mithin ist das Verhältnis — 40 Wisent: 200 Ur. Die erste Einwendung, die man gegen diese Aufstellung machen könnte, ist: 1. „Ur‘ und ‚Tur‘ bedeuteten in manchen Gegenden infolge Verwechslung schon in den ältesten Zeiten den Wisent.“ ui er ae Der Wisent in Ortsnamen. 71 Es ist nämlich auffallend, daß gerade in Preußen, in der letzten Heimat der deutschen Wisente, mein Register neben mehreren Tur-Namen, nur einen einzigen Zubr-Namen aufzuweisen hat (allerdings aber auch keinen mit ‚Wisent‘-gebildeten!) — und man doch nicht annehmen kann, daß im frühen Mittelalter da so wenig Zubrs existiert hätten. — Dazu bemerke ich: Meine Sammlung ist allerdings im allge- meinen auch noch nicht vollständig. Es bedarf da der Kräfte von vielen Mithelfern. Dann sind die littauischen Stambr-Stumbr- namen oft so verändert, daß man selbe heute nur schwer erkennen kann. Meine Statistik ist aber speziell deshalb einseitig, weil darin — mit wenigen Ausnahmen — nur die Gemeinde- und Weiler-Namen berücksichtigt werden konnten, nicht aber die wichtigen Bergteil-Namen. (Die Bedeutung dieser letzteren z. B. in Siebenbürgen, habe ich schon hervorgehoben.) In Ungarn findet man z. B. die Zubr-Orte nur im Gebirge, nicht einen aber in der Ebene, wo wieder die Tur-Orte in riesiger Anzahl auf- tauchen. Es ist gewiß, so lange der Mensch seinen Einfluß nicht geltend gemacht hat, hat der Ur mit seinen großen Hörnern, die ihm im Urwalde lästig werden konnten, lieber die grasreichen Ebenen aufgesucht, also jene Orte, die auch zur Gemeindegründung geeigneter waren: daher die vielen Tur-Orte in Preußen. Der Wisent hingegen war immer ein Waldtier (die Rinde von gewissen Bäumen ist ihm unentbehrlich), ja ein Bergtier, und so ist es zu erwarten, daß seine Namen mehr unter den Berg- und Wald- namen Preußens vertreten sein werden. Wahrheitsgemäß will ich aber nicht verschweigen, daß nach meiner Ansicht im Zeitalter der Gemeindegründungen (III—IX. Jh.) Wisente auch in Niederungswäldern noch oft angetroffen werden konnten und so bin ich geneigt, das Fehlen preußischer Zubr- Orte eher dem Zufalle, oder der Unvollständigkeit meiner Samm- lung oder aber andern noch nicht geklärten Umständen zuzu- schreiben. Was nun die Verwechslung der beiden Wildrindernamen an- belangt, so begegnen wir dieser vom XIII. Jh. angefangen, wirk- lich oft, d. h. von jener Zeit, wo der Ur in den meisten Gegen- den auf eine rapide Art ausstarb und wo das eine infolgedessen unbekannt gewordene Wildrind mit dem anderen identifiziert wurde. Diese Verwechslung ist schon bei ALBERTUs Macnus (XIII. Jh.) auffällig, der den Urus mit dem bison, dann wieder 72 B. Szalay, beide mit dem italienischen Büffel durcheinanderwirft. (Er war eben ein Stubengelehrter, und sah selbe nie in der Natur!). Eine derartige Verwechselung war aber — ich hebe dies mit Nachdruck hervor — in früheren Zeiten ganz unmöglich! Damals waren doch Ur und Wisent die größten, aaffallendsten, wertvollsten und begehrtesten Wildarten, sie waren die ruhmvollste Beute des Jägers; von ihnen erzählten die Märchen bei loderndem Herdfeuer. Das waren gewiß gerade die bekanntesten Waldtiere! Wer sie nur einmal gesehen hatte, konnte sie unmöglich ver- wechseln — und damals war noch jeder Mann ein Jäger — und so mußte dieses Wild im Zentrum des Interesses der Bevölkerung stehen. Wir wissen, daß sogar die Römer, die sie nur hie und da im Zirkus zu sehen Gelegenheit hatten, selbe doch sehr genau unterschieden. — Der heutige Bauer verwechselt die Eule auch nie mit dem Habicht — ebenso konnte ein Volk, dessen Haupt- vergnügen die Jagd war, den buckligen, helleren, kleinhörnigen, mähnigen, bärtigen Wisent unmöglich für den dunkleren, glatten, großhörnigen, ochsenartigen, geradrückigen Ur halten, um so weniger, da die Ahnen doch das Prototyp des letzteren in Gestalt des Hausrindes immer vor sich hatten — ein wichtiger Umstand — und so mußten ihnen auch die geringsten Unterschiede zwischen Wisent und Ur um so leichter auffallen. Eine Verwechslung konnte mithin nur nach Aussterben des Ures, wo keine Gelegenheit mehr zum Vergleiche möglich war, stattfinden. 2. „In manchen Provinzen hieß man die Ure: Zubrs, und die Wisente: Tur“. — (Auf diese Art wären dann die preußischen Tur-Orte auf den Wisent zurückgeführt.) — Dies kam auch nur nach dem Aussterben des Tures bei einigen polnischen Schrift- stellern vor, für die I. Hälfte des Mittelalters läßt sich diese Verwechslung aber durchaus nicht beweisen. Daß der Zubr ursprünglich der Wisent war, dafür haben wir mehrere Beweise, so z. B. gebrauchten die Rumänen für den siebenbürgischen Wisent nicht das slawische Wort Turu, sondern Zimbru. Ebenso hießen die Neugriechen den thracischen Bison—Zompros. Es ließe sich noch vieles dafür aus der slawischen Literatur (u. z. aus allen Sprachgebieten) aufführen (Glossen etc. siehe bei MrixLosicH!) — ich will mich aber bei dieser, rein aus der Luft gegriffenen Einwendung nicht weiter aufhalten. Der Wisent in Ortsnamen. He 3. „Aus den zahlreichen Orten, die nach einem Tier benannt sind, darf nicht auf die Häufigkeit desselben geschlossen werden.“ — Bei diesem Einwand könnte man sich dann auf die Ortsnamen- sammlung von FÖRSTEMAnN berufen. In dieser finden wir nämlich in Ortsnamen vertreten den: Bär = 83 mal. Der größere Teil bezieht sich aber auf Per- sonennamen (Bero). Ein Teil von den übrigen stammt vom alt- deutschen ber = Eber, die sich nur sehr selten von den vorigen (= Bär) trennen lassen. Wolf = 76. (Mehr als die Hälfte von Personennamen.) Eber = 53: sehr viele Personennamen; darunter hängen einige mit dem keltischen Worte ebar zusammen. Biber = 40, verhältnismäßig wenig Personennamen. Ur — 33, hievon 11 Personennamen. (Außer diesen noch 3ı mit Ur beginnende Namen, die aber nicht zu Ur(rind) gehören. klirsch — 16. Hund = 15. Meistens Personennamen. Rind (Hrind) — 11. Hase = 10. Wisent = 0. Otter = 6. (keine Person.) Ochs = 4. — Es ist zu beachten, daß von einigen der gewöhnlichen Tiere, wie Hase und Hund, auch Hirsch viel weniger Ortsnamen zu verzeichnen sind, als vom selteneren Biber. (Nach dem seltenen Luchs sind wieder sehr wenig Orte benannt.) Diese Beweisführung ist aber in unserem Falle unanwendbar. Es ist nämlich selbstverstandlich, daß nach alltäglichen Tieren wenig Orte benannt sind, weil das Erscheinen eines Hundes oder Hasens an einem Orte für diesen nicht charakteristisch ist! Hasen sieht man überall, deshalb kann durch Lampe kein Ort Wichtig- keit erlangen. Nur nach den dem Volke oder dem Jäger inter- essanten Tieren werden Orte in den meisten Fällen benannt! — Zwischen Ur und Bison kann aber hinsichtlich des Interessen- grades gar kein Unterschied gedacht werden (beide waren gleich groß, wurden in gleicher Weise gejagt, dienten als Nahrmittel etc.), und somit sind die bezüglichen Zahlen von beiden miteinander unmittelbar vergleichbar, d. i. vollkommen gleichwertig! Das Ver- hältnis ist bei FORTEMANN 33:0. 74 B. Szalay, 4. „Das Wort , Wisent‘ war nur ein nie überall bekanntes Idiom für den Bison — beide Wildrinder hießen eigentlich Auerochsen. Dafür spricht auch der Umstand, daß das Wort Wisent vom XVI. Jh. angefangen vergessen wurde, und daß der Bison noch heute Auerochs heißt.“ — Das ist ganz falsch, Schon die in jeder deutschen Provinz, von Osten bis Westen, von Süden bis Norden vorhandenen Wisent-Orte sprechen laut ein Veto gegen diese Annahme. Die Glosse: ‚Bubalus = Wisunt‘ kommt in allen Codices des ganzen Reiches oft vor, die alten Gedichte erwähnen sehr häufig den Wisent (gewöhnlich neben dem Ur), so daß der für alle deutschen Stämme gewöhnliche Gebrauch des ‚Wisent‘- Wortes aus den alten Schriften leicht dokumentiert werden kann. 5. „Ur bedeutet nicht immer das Urrind“. — FÖRSTEMANN be- merkt bei der Besprechung des Stammes Buche (= Boc), daß es im Vergleiche zu den anderen Baumarten auffallend sei, wie zahl- reich die von der Buche benannten Orte sind, und deshalb ist er — ohne andere Motive — geneigt, noch einen zweiten, ähnlich lautenden, mit der Wurzel boc verschmolzenen (und verlorenen) Stamm vorauszusetzen, der den Sinn ‚Hügel‘ hatte. — Ferner, in Betracht der zahlreichen Biber-Orte, meint er, daß es wahrschein- lich noch ein ähnliches Wort gab, das „Wasser“ bedeutete. „Ebenso müßte man annehmen, daß das Wort Ur noch ein ganz anderes, heute unbekanntes Wort deckt, und daß viele von den herbeigezogenen Ortsnamen da wegfallen müßten.“ Was die Buche anbelangt, so müssen wir doch bemerken, daß in Germanien Tanne und Buche zu den gewöhnlichsten Holz- arten zählten, und so ist es doch gar nicht auffallend, wenn diese mehr Ortsnamen aufzuweisen haben, als z. B. die Ulme etc. — Ich kann mithin der Auffassung FÖRSTEMANNS gar nicht beistimmen. Ebenso ist seine Auffassung von den Biber-Orten irrig. Heute ist dieses Tier freilich selten, früher war dies aber durchaus nicht der Fall, im Gegenteil gewann der Biber dadurch, daß er als Fastenspeise galt (Biber est piscis!), die größte Bedeutung, und so mußte er ein beliebtes Element für Ortsnamen darstellen. Hinsichtlich des Ures hat aber der vielerfahrene Forscher FÖRSTEMANN alle nicht hierher gehörenden Ortsnamen schon (näm- lich 31 unter 64, also die Hälfte!) sorgfältig ausgeschieden und überhaupt nur jene angeführt, für welche Philologie und Geschichte (Urkundenformen) einstimmig haften. Ich muß da auch auf eine meiner Erfahrungen hinweisen. Der Wisent in Ortsnamen. 75 Beim Studium der Ortsnamen des Karpathengebirges ist mir auf- gefallen, wie oft in einem bestimmten Bezirk dieselben Namen auftauchen (wie Prislop, Vertop, Clobucet etc.) — die sich nur auf eine Suggestion, auf die Mode (Gedankenträgheit) zurückführen lassen. Der Bauer kennt z. B. den Flurnamen X. im Wald der Nachbargemeinde. Jetzt gewinnt ein Ort von ähnlicher Gestal- tung oder ähnlichen Charakteren etc. eine Bedeutung und soll benannt werden: Per associationem idearum et locorum fällt ihm der Nachbarname ein und der Ort bekommt denselben Namen. Neben „Wiesenzell“ in Niederbayern findet man noch mehrere Ortsnamen auf -Zell (Gotteszell, Konzell), hingegen in anderen Provinzen eventuell keinen einzigen. — Neben Urbeis liegt Beis- heim etc. — Dies kann in vereinzelten Fällen die Anhaufung von Ur-Namen erklaren — der Wert unserer Statistik wird aber hier- durch kaum beeintrachtigt. 6. „Die Ure sind früher ausgestorben — wohl darum, weil weniger vorhanden waren.“ Das rasche Aussterben einer Tierart ist aber in erster Reihe durchaus nicht von der Menge seiner Individuen abhängig, sondern lediglich davon, in welchem Grade selbe sich gegen die Ver- folgungen des Menschen schützen kann, und zweitens davon, in welchem Grade dieselbe für den Menschen wertvoll erscheint. Vom amerikanischen Buffalo wurden in wenigen Jahren 12000000 Exemplare auf infame Fleischhacker-Art niedergeknallt, und wenn die letzten nicht durch strenge Gesetze geschützt wären, hätten wir schon längst kein einziges Exemplar mehr davon. Hingegen ist der viel seltenere Puma dort an einigen Orten noch in voller Blüte. Eben darum mußte auch der so begehrte Biber in Europa verschwinden. — Der Wisent ist ein besserer Bergsteiger als der Ur war (vergleiche die Lebensweise des kaukasischen und amerik. Wisent), deshalb konnte er sich vor dem Menschen auf wildere Berge zurückziehen, wo auch seine kleinen Hörner ihn im Urwalde nicht hinderten. Hingegen konnte der Wisent nicht gezähmt und als Haustier nicht benutzt werden, um so mehr aber der Ur: Dies erklärt zur Genüge, warum man den Uren überall mit Vor- liebe nachstellte, und warum sie früher aussterben mußten, als der Wisent. Daß wir heute geneigt sind, mehr Wisente als Ure im Mittel- alter vorauszusetzen, kommt eben davon, daß wir unter der 76 B. Szalay, suggestiven Wirkung jenes Umstandes stehen, daß der Wisent noch heute lebt, hingegen der Ur schon längst ausgestorben ist. 7. „Ur-Orte gibt es eben deshalb mehr, weil der Ur seltener war als der Bison“. — Man könnte sich nämlich auf den Stand- punkt stellen: Je seltener eine Tierart ist, um so auffallender ist ihr Auftreten an irgend einem Orte, der dann sofort nach dem Tiere benannt wird; dies führt zu zahlreichen Ortsnamen, woraus aber auf die Seltenheit des Tieres geschloßen werden müßte. — Dieser spitzfindigen Argumentation widerspricht aber die Sammlung FÖRSTEMANNs, welche von mehreren selteneren Tieren auffallend wenig Orte aufweisen kann, so vom Luchs, Otter und anderen, die dort überhaupt nicht vertreten sind. Außerdem habe ich schon betont, daß Ur und Wisent im Auge des Jägers gleichwertig waren. Dann widersprechen dieser Annahme auch die über ganz Deutschland und der Slawenländer an jedem Ort auftauchenden Ur- und Tur-Namen, die laut dafür sprechen, daß dieses Tier überall anzutreffen war. Die Rinder sind gesellig, in Herden lebende Tiere, (die sich z. B. in Amerika früher nach Hunderttausenden zählen ließen) — deshalb war dort, wo ein Ur auftauchte, immer eine Herde vorhanden: Somit kann von einer Seltenheit im Mittelalter. anbetrachts der vielen Ortsnamen unmöglich die Rede sein. 8. „Die mit Ur verbundenen Ortsnamen stammen meistenteils nur von Personennamen — und eine große Zahl derselben ist nur auf diesen Umstand zurückzuführen.“ — Wie wir sahen, spielen gewisse Tiernamen wie Wolf, Bär, ebenso Ur, eine große Rolle als Personennamen, aus welchen dann Ortsnamen gebildet wurden; hingegen ist dies bei Luchs, Biber, Otter im Verhältnis viel weniger der Fall. Man könnte also die riesige Zahl der Ur-Ortsnamen eventuell nur auf diesen Umstand beziehen. — Dies ist aber auch nicht möglich, weil FORSTEMANN die mit Personennamen in Beziehung stehenden 11 von 33 schon ausgeschieden hat. Mithin bleiben noch immer 22 Ur- gegen 6 Wisent-Namen. g. In alten Gedichten wird der Wisent öfter erwähnt, als der Ur, — Ich habe diese alten Belege gesammelt und kam zum folgen- den Resultat: 24 Dichterwerke gedenken der Wildrinder: 14 Dichter erwähnen den Ur zusammen ı7 mal, hingegen ı8 Dichter Der Wisent in Ortsnamen. 767 den Wisent zusammen 28 mal (acht gedenken beider Wildrinder als ganz verschiedener Tiere -— wenn das Puscu gewußt hätte!). — Diese kleine Statistik kann aber bei unserer Frage gar nicht herangezogen werden, denn: a) Sie ist gar nicht vollstàndig, wir kennen gewiB noch viele Belege nicht. Wie einzelne, irgendwoher herausgerissene Falle täuschen können, zeigt gerade das Nibelungenlied, wo wir einen guten Beweis für die Mehrzahl der Ure gefunden haben, ob- wohl gerade da der Ur nur einmal, der Wisent aber an drei Stellen vorkommt. b) Diese poetischen Werke sind durchaus nicht analoge Beweise mit den Ortsnamen, weil sie einem mit 500 Jahren jüngeren Zeitalter angehören, und zwar dem XIII—X V. Jahrhun- dert, als der Urstier schon gerade überall im rapiden Aussterben begriffen, hingegen der Wisent hie und da in Österreich und Bayern noch aufzufinden war. c) Diese Statistik steht auch mit dem oft: wiederholten Satze: „Das Wort Wisent wurde rasch vergessen“ — nicht im Wider- spruch, denn diese Erscheinung tritt erst am Anfange des XVI. Jahrhunderts im allgemeinen zum Vorschein; hingegen sind alle obigen Gedichte viel älteren Datums. (Von diesen, und ihrem interessanten Inhalte werde ich anderorts berichten.) — 10. „Es sind wahrscheinlich mehr Knochenreste des mittel- alterlichen Wisents in unseren Museen vorhanden als Ur-Reste desselben Alters.“ — Das ist aber noch nicht bewiesen. Im Gegenteil, es ist sehr auffallend, daß aus Polen (wo das Tier noch lebt), aus Preußen und Siebenbürgen, wo es noch unlängst gelebt hat, kaum historische Knochenreste bisher beschrieben wurden, hin- gegen sind solche des Ures besonders durch NEHRING öfter ver- öffentlicht worden. Bei Schloßberg zu Burg a. Spree (Branden- burg) fanden sich neben rezenten Ur-Knochen keine vom Wisent. — Man vergesse dabei nicht, daß die Paläontologie schon seit längerer Zeit Ochsen- und Wisentschädel leicht zu unterscheiden vermag, hingegen ist dies bei kleingestaltetem Dos primigenus und Dos taurus primigenius fossils nur seit kürzerer Zeit mög- lich, — und so müssen wir schon a priori mehr rezente Bison-, als Ur-Reste in den Museen voraussetzen. Es würde eine sehr dankbare und nützliche Arbeit sein, wenn sich ein Forscher zur Aufgabe stellen würde, alle aus historischer Zeit stammenden Ur- 78 B. Szalay, und Wisentreste aus den Museen zusammenzustellen, damit wir bezüglich des Verhältnisses beider ein klareres Bild erhalten. 11. Der ,, Tur“ war ein zahmer Stier. — Das Wort tur muß schließlich dieselbe Quelle haben, als das lateinische taurus, was aber den zahmen Stier bedeutet — und so bezöge sich die Mehrzahl der Tur-Namen auf den Hausstier.“ Das stimmt schon deshalb nicht, weil ja der lat. taurus zuerst, als noch keine Haustiere existierten, schließlich auch ein Wildstier sein mußte. VaArınus sagt tatsächlich: Tauros = bos sylvestris! (BRANDT 229). Und da es angeblich Fälle gibt, wo das „Tur“ die Bedeutung von Hausstier hatte (gerade so wie in gewissen Gegen- den der Schweiz das Wort Ur! — BRANDT, 236), so ist dies viel- mehr darauf zurückzuführen, daß es sich da um gezähmte Boves primigenii handelte!!) Die alten Slaven verstanden aber laut vielen uralten Belegen (Glossen, die Bibelübersetzung, alte Chroniken, Kirchengeschichten etc., siehe z. B. in den Werken von MiktosıcH) unter Tur ein wildes Tier. — Vom Worte Ur brauche ich das nicht separat zu betonen. 11. „In den Berggegenden können in Deutschland noch so viel Wisent-Ortsnamen auftauchen, daß selbe die Zahl der Ur- Namen erreichen werden“. — Allerdings ist dieser Umstand von solcher Wichtigkeit, daß er die Aufmerksamkeit auch der weiteren Kreise verdienen würde. Es müßten sich viele mit der Sammlung dieser Gebirgsflurnamen befaßen. Leider ist eine größere Verschiebung zwischen der Perzen- tuation der Wisent- und Ur-Namen schon a priori unwahrscheinlich, zumal — wie wir sahen — die Wisent-Namen meistens durch das Wort Wiese verdeckt sind, und wir nur sehr selten uralte dokumentarische Belege von diesen Flurnamen entdecken können werden. Um so mehr wäre aber das Sammeln dieser !) Daß unter Tur auch ein Haustier‘ zu verstehen ist, hierfür hat MixrosıcH 8 Belege angeführt (1862, p. ror5). Es ist aber leicht möglich, daß er sich bei fast allen arg irrt, denn in jenen, die ich von diesen auch kenne, ist ganz bestimmt von wilden Tieren die Rede, so z. B. im Deuteronomion 14.5 — ich garantiere hierfür. — In der Lebensbeschreibung der Heiligen in Frankreich, Deutschland und in den nördlichen Slavenlandern habe ich so viel Beispiele (s. früher) von Wildrindererwäh- nungen angeführt, daß in den hierhergehörenden der MrkiostcHschen Reihe fast be- stimmt ebenfalls von solchen die Rede sein muß. — MixrosicH war ein Heros der Philologie — bei zoologischen Fragen ist er aber gar nicht maßgebend. a Der Wisent in Ortsnamen. 79 Namen erwünscht, daß wir hierin klarer sehen können. Das- selbe gilt auch für die slavischen Zubr-Namen. Es könnte schließlich der Fall eintreten, daß je mehr Zubr- und Wisent-Namen auf diese Art entdeckt würden, um so mehr und zwar 3 mal mehr Ur- und Tur-Namen würden auch zum Vorschein kommen, so daß das Verhältnis das heutige bliebe. In Oberungarn fand ich auf der Karte 1:75000, wo Tausende von Gebirgs-Flurnamen verzeichnet sind, kaum acht mit Zubr zusammengesetzte, diese kommen mithin fast nur in Dörfernamen vor. Daraus schließe ich aber mit Sicherheit, wofür ich noch anderweitige Beweise habe, daß diese Dorfnamen mit den deutschen Ur-Namen analogen Alters IV.—VIIl. Jh., sind, hin- gegen sind die Bergteil-Namen der Karte teilweise jüngeren Datums. Diese oberungarischen Zubr-Orte sprechen aber wieder dafür, daß die Wisente damals noch sehr verbreitet und an vielen gut zugänglichen Orten zu treffen waren. 12. „Die riesige Zahl der Tur-Namen in Ungarn spricht dafür, daß das Wort tur auch eine ganz andere Bedeutung (kein Tier) haben konnte, — und wir hier teilweise mit einem in Vergessen- heit geratenen Worte zu tun haben, welches durch ‚tur-Wildochs‘ gedeckt wird“. — Dafür sind aber gar keine Beweise vorhanden — eher um- gekehrt, indem z. B. sobor auch soviel bedeutet wie „Kirchen- versammlung; Kathedrale“; der ungar. Ortsname ‚Zobor‘ kann ebensogut aus sobor, wie aus Zubr entstanden sein. Ich muß noch bemerken, daßz.B. die slavischen Turov-Ortsnamen im allgemeinen klarer und durchsichtiger, als die deutschen Ur-Kompositionen . sind, so dafi ein Verkennen hier schwieriger ist, und so er- scheint obige Annahme um so forcirter. Wenn wir nun jene sehr gewichtigen Argumente, die wir für die numerische Überlegenheit der Ure über die Wisente angeführt haben, mit den leicht widerlegbaren Einwendungen zu- gunsten der Wisente vergleichen, kommen wir zu dem Schluß, — dies ist zugleich das wichtigste Ergebnis unserer Arbeit — daß in der ersten Hälfte des Mittelalters fast in ganz Furopa mehr Ure als Wisente vorhanden waren! — Ich weiß nur zu wohl, daß meine Arbeit das wichtige Thema der Ortsnamen bei weitem nicht erschöpft hat. Dies war derzeit schon deshalb nicht möglich, weil bei vielen (besonders Ur-) So B. Szalay, Der Wisent in Ortsnamen. Namen noch weitere Untersuchungen bezüglich des Wertes der- selben notwendig erscheinen, zweitens deshalb, weil die Gebirgs- Flurnamen nicht berücksichtigt werden konnten. Allerdings habe ich aber den Trost, gerade die mühsamste Arbeit, die Schwierigkeiten des Anfanges bewältigt und für weitere For- schungen eine brauchbare Grundlage geschaffen zu haben‘). — Anhang. a) Wenn wir annehmen würden, daß im frühen Mittelalter in einigen slavischen Provinzen ausnahmsweise nur Ure, in anderen nur Wisente vorkamen, und daß man die letzteren aus Nach- lässigkeit auch Ture geheißen hat — könnte damit ein gewisser, aber wohl nur kleiner Prozentsatz der Tur-Ortsnamen erklärt werden — die dreifache numerische Überlegenheit der Tur-Namen (über Zubr) aber in keinem Falle. Dieses kleine Manöver ist aber bei der großen Zahl der deutschen Ur-Ortsnamen nicht anwend- bar, denn es wurde noch nie behauptet, daß der Bison je Ur geheißen habe. b) Wir beginnen erst jetzt mit der statistischen Bearbeitung der gesammelten Fundstellen vom fossilen Los priscus und Dos primigentus. Obwohl das Resultat dieser Arbeit noch nicht fest- gesetzt ist, haben wir schon jetzt den Eindruck, daß mehr Fund- stellen des Los primigentus als des Urwisentes bekannt geworden sind. Es gibt Provinzen, wie z. B. Mecklenburg, wo die letzteren sehr selten, die Ure hingegen sehr gewöhnlich waren. Es steht fest, daß die Wisente früher in Europa auftauchten als die Ure. Am Ende des Diluviums begann schon allmählich der Rückgang der Wisente, wo die offenbar fruchtbareren Ure erst ihre wahre Blütezeit lebten. Diese Blütezeit dauerte noch — wenigstens relativ — am Anfang des Mittelalters, wo die Ausrottung der Wisente sich schon sehr fühlbar machte. Diese Zeilen, die bald durch eine größere Monographie be- stätigt werden sollen (Die Verbreitung des Wisents) mögen als die paläontologische Begründung jener Frage betrachtet werden — warum am Anfange des Mittelalters mehr Ure als Wisente vorauszusetzen sind. !) Die ausführlichen Titel der angeführten Werke siehe in „Die Literatur des Wisent‘, wo über den Inhalt von mehreren Tausend Werken berichtet wird. SINO eye Uber das Aussterben der Gattung Parnassius in den Sudeten. Von Dr. F. Pax, Breslau. Systematische Erörterungen über /armassius-Arten nehmen in der entomologischen Literatur einen breiten Raum ein, nach- dem man in diesem Genus ein besonders geeignetes Objekt zum Studium des Variabilitätsproblems erkannt hat. Alljährlich steigt die Zahl der in der Gattung Zarnassıus neu entdeckten Rassen und Varietäten beträchtlich, ohne daß indessen diese umfangreiche literarische Produktion immer eine wirkliche Vertiefung unserer Kenntnisse bedeutete. Die meisten Autoren — von wenigen Aus- nahmen abgesehen — begnügen sich mit einer deskriptiven Behand- lung des Gegenstandes. Daher konnten wir bisher über die Faktoren der Variabilität keine klare Vorsteilung gewinnen, obwohl schon die Beobachtung der Tiere an ihren natürlichen Standorten zu der Überzeugung führt, daß die Rassenbildung in der Gattung /#7- nassius geographisch bedingt sei. Leider sind aber unsere Kennt- nisse von der Verbreitung der einheimischen /arnasstus-Arten trotz der vorliegenden umfangreichen Literatur außerordentlich lückenhaft, ein Mangel, der deshalb lebhaft zu bedauern ist, weil es in kurzer Zeit nicht mehr möglich sein wird, die geographische Verbreitung dieser Lepidopteren mit Sicherheit anzugeben. In weiten Gebieten Mitteleuropas ist die Gattung Par- masstus heutzutage schon ausgestorben oder in ihrem Bestande bedroht. Der Versuch, das ständig zusammen- schrumpiende Verbreitungsareal kartographisch festzulegen und die tiergeographischen Beziehungen sterbender Rassen aufzu- Zool. Annalen VII. 6 82 We Pas, decken, scheint mir daher durchaus zeitgemäß zu sein, zumal es schon jetzt schwierig ist, das erforderliche Vergleichsmaterial zu erhalten. Dürfen wir doch hoffen, auf diese Weise auch Auf- schlüsse über die Ursachen des Aussterbens zu gewinnen. Obwohl Schlesien zu den entomologisch am besten durch- forschten Teilen Deutschlands gehört, stößt der Versuch, die ehe- malige Verbreitung von Zarnassius apollo L. und Parnassius mnemosyne L. in den Sudeten einwandfrei festzulegen, auf un- gewöhnlich große Schwierigkeiten, weil die Darstellung weniger auf sorgfältige Untersuchungen kenntnisreicher Entomologen als auf unbeglaubigte Berichte von Dilettanten angewiesen ist und Versuche eines Imports fremder Rassen das ursprüngliche Bild der Verbreitung vielfach getrübt haben. Die älteste literarische Quelle, die mir zu Gebote stand, ist v. MùLLERS „Fauna Lepidoptera silesiaca“ (1802), die über Far- nassius mnemosyne berichtet: „In verschiedenen gebürgigten Ge- genden Schlesiens häufig, besonders bei Warta, wie auch im Riesengebirge.“ Ungefähr gleichzeitig (1806) schreibt WEIGEL in seinem „Prodromus Faunae silesiacae“ über Zarnassius apollo: „Wird besonders im tiefen Grund bei Fürstenstein gefunden, und zwar von ansehnlicher Größe.“ Nach einem Bericht von S. und E. J. ScHiLuines aus dem Jahre 1833 kam damals Parnasstus apollo bei Fürstenstein (Waldenburger Gebirge) vor, Parnassıus mmemosyne flog auf den Bergen bei Charlottenbrunn (Waldenburger Gebirge), dem Zobten und dem Glatzer Schneeberg. Übrigens erwähnen die beiden Autoren, daß /. mnemosyne im Glatzer Schneegebirge nicht häufig sei. NrusriApr und v. Kornarzky nennen in ihrem Werke über die schlesischen Lepidopteren (1842) als Fundorte von 2. apollo Kynau, Fürstenstein (Waldenburger Gebirge) und das Rabengebirge bei Liebau, als Fundorte von /. mmemosyne den Zobten und die Bischofskoppe (Altvatergebirge) Aus dem Jahre 1846 liegt folgender Bericht von G. Sranpruss vor, der sich auf ?. apollo bezieht: „Schlesien besitzt diesen Gebirgsbewohner an mehreren Orten, wo er in einer Art von Gesellschaftlichkeit lebt, indem er nur auf einem Raume von geringem Umfange, dort aber in großer Menge, sich aufhält. Ich traf ihn 1840, den 3. August, bei Liebau am Rabenfels!. Es war Nachmittag und 1) Nicht „Liebenau am Rabenfels“, wie PAGENSTECHER Schreibt, dessen grund- legende Untersuchungen über die Lokalformen von Parnassius apollo L. dadurch etwas an Verwendbarkeit einbüßen, daß fast alle Fundortsangaben offenbar durch Druck- | W | Über das Aussterben der Gattung Parnassius in den Sudeten. 83 hatte eben ein wenig geregnet, als ich das Revier betrat. An dem Fuße der Berglehne lagen eine Anzahl Exemplare mit aus- gebreiteten Flügeln regungslos im Grase. Andere saßen, emsig saugend, auf verschiedenen Blumen und vermochten nicht davon zu fliegen. Nachdem sich das Wetter aufgehellt hatte, kamen immer mehr in schwerfälligem Fluge von der Höhe herab und wurden sehr leicht zur Beute. Nur in einem bestimmt begrenzten Raume hielten sie sich an der Berglehne auf; über diese Grenze hinaus, wiewohl der Bergzug noch viel weiter unter gleichen Verhältnissen fortläuft, gingen sie nicht. Auch auf die am Fuße der Lehne sich hinziehende Wiese wagten sie sich höchstens 20 Schritt vor, dann kehrten sie um. Da der Falter sehr leicht in großen Mengen erbeutet wird, auch durch seine Größe und Schönheit die Kinder anlockt (außer den Exemplaren, die ich in kurzer Zeit fing, erhaschten zugleich mit mir vier Knaben etwa 100 Stück, zum Dritteil Weibchen), kann er an einzelnen Orten leicht ausgerottet werden. So scheint es ihm in dem viel be- suchten Fürstenstein ergangen zu sein, das wohl nur auf Grund früherer Nächrichten noch als Fundort angegeben wird.“ NICKERLS Synopsis der Lepidopterenfauna Böhmens (1850) enthält die Be- hauptung, daß /. apollo bei Reichenberg häufig sei, eine Angabe, die bald auf einen Irrtum zurückgeführt werden konnte. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts scheinen die beiden Parnassıus- Arten auch in den Gebirgen der Grafschaft Glatz heimisch ge- wesen zu sein. Wenigstens gibt sie GOTTWALD (1855) aus der weiteren Umgebung von Reinerz an. Die geographischen Daten dieses Autors sind indessen so ungenau, daß wir sie besser unberücksichtigt lassen. AvorF und AuGust SPEYER, deren Werk über die geographische Verbreitung der Schmetterlinge Deutschlands und der Schweiz (1858) eine Fundgrube faunistischer Daten ist, schreiben über das Vorkommen von /urnassius apollo: „Schlesien (nur bei Freiburg am Fürstenstein) jetzt fast ausgerottet, im Schlesiertal bei Char- lottenbrunn, alle Jahre seltener werdend, und im Rabengebirge bei Liebau; Böhmen, bei Reichenberg in großer Menge gefangen.“ Ihr Bericht über P. mnemosyne lautet: Schlesien im Gebirgslande, besonders im Eulengebirge, im Zeisgrunde und auf dem Sattel- oder Schreibfehler entstellt sind. Dahin gehört die zu falschen tiergeographischen Schlüssen verleitende Angabe, daß der bekannte Kurort Reinerz im Altvatergebirge liege. Auf Liebau ist wahrscheinlich auch die Fundortsangabe „Rebau District, Silesia“ zu beziehen, die wir bei RorHscHILD (Novit. Zool. vol. 16) finden. — 3 — 84 Erlass, walde, Glatz sehr selten, auf der Sonnenkoppe bei Silberberg, auf der Bischofskoppe und anderen Punkten des Gesenkes.“ Daß P. apollo bei Reichenberg nicht vorkam, habe ich schon erwähnt. Wesentlich anders lauten die Angaben von Wocke (1872). Nach ihm kam 7. apollo Anfang der siebziger Jahre im Rabengebirge nur noch selten vor, im Schlesiertal war er fast ausgerottet, wäh- rend er im Fürstensteiner Grunde damals schon seit Jahren nicht mehr beobachtet worden war. ? mnemosyne war dagegen noch an vielen Stellen des Vorgebirges häufig. Er bewohnte den Süd- abhang des Zobten, das Waldenburger und Eulengebirge, die Berge der Grafschaft Glatz und die Bischofskoppe bei Zuckmantel. Im Jahrgang 1892 des Entomologischen Jahrbuchs findet sich so- dann eine schon von STEPHAN mit vollem Rechte bezweifelte Notiz, wonach der Apollofalter bei Cosel (Öberschlesien) beobachtet worden sein soll. Zweifellos handelt es sich um ein aus der Gefangenschaft entwichenes oder von einem Züchter absichtlich ausgesetztes Exemplar, da in der Gegend von Cosel alle Be- dingungen für das Vorkommen des Apollofalters fehlen. REBEL und RoGENHOFER verdanken wir eine zusammenfassende Bearbei- tung der in Österreich-Ungarn einheimischen Parnassıus-Arten (1893). In dieser Arbeit wird der Nachweis erbracht, daß der einzig sichere böhmische Fundort von /. apollo bei Semil liegt, daß dagegen die Angaben der älteren Faunisten, die den Apollo- falter bei Reichenberg und Trautenau beobachtet haben wollen, | auf einem Irrtume beruhen. Nach REBEL und RoGENHOFER kam P. apollo Anfang der neunziger Jahre noch bei Freudenthal und Goldenstein (Altvatergebirge) sowie bei Odrau und Meltsch (mäh- risches Gesenke) vor. Von ? mnemosyne werden zwar eine An- zahl bohmischer und mahrischer Fundorte angegeben, aber diese liegen nicht in den Sudeten. In neuester Zeit hat MARSCHNER das Resultat einer Umfrage veröffentlicht, die er in mehreren Tageszeitungen über die einstige Verbreitung des Apollofalters in Schlesien erlassen hat. Leider kann man ihm nicht den Vor- wurf ersparen, daß er durchaus unglaubwürdige Angaben von Dilettanten ziemlich kritiklos in die Darstellung aufgenommen hat. Sicher falsch ist z. B. die Behauptung, daß der Apollofalter ehe- mals auf den Bergen zwischen Möhnersdorf und Hohenfriedeberg heimisch gewesen und ein Exemplar noch 1907 in Johannisbad im böhmischen Riesengebirge beobachtet worden sei, und mindestens verdächtig die allerdings noch von einem Breslauer Sammler be- Über das Aussterben der Gattung Parnassius in den Sudeten. 85 stätigte Angabe, daß ?. apollo einst die Silberlehne bei Kunzen- dorf bewohnt habe. Dagegen könnten einige weitere von MARSCHNER ermittelte Flugplätze eher in das Bild der einstigen Verbreitung von P. afollo passen. Das gilt besonders für das Vorkommen an der Gröditzburg, wo der Falter noch 1888 beobachtet worden sein soll, und zwei Fundorte im Riesengebirge, den Melzergrund und die Schneegruben, wo das letzte Exemplar nach MARSCHNER 1887 die Beute eines gewissenlosen Sammlers wurde, der die Art an diesen Standorten jahrelang zu Hunderten gefangen hat!) Auf genauester Terrainkenntnis beruhen die Ausführungen NIEPELTS über das frühere Vorkommen des Apollofalters um Fürstenstein. Mit vollstem Rechte weist er darauf hin, daß ein Exemplar, das nach MARSCHNER 1889 zwischen Hohenfriedeberg und Freiburg gefangen worden ist, offenbar der Brut entstammt, die im Jahre vorher der Verein für schlesische Insektenkunde im Salzgrunde bei Fürstenstein ausgesetzt hat. Ob der Apollofalter wirklich noch in den achtziger Jahren, wie NIEPELT meint, im Schlesiertal geflogen ist, läßt sich leider nicht mehr mit Sicherheit fest- stellen. Dieser literarischen Ausbeute kann ich noch einige weitere Angaben hinzufügen, die teils auf mündlicher Berichterstattung, teils auf handschriftlichen Notizen in der Sammlung des Breslauer Zoologischen Museums beruhen. Mitglieder des Vereins für schlesische Insektenkunde berichteten mir, daß der Apollofalter noch 1878 im Salzgrunde bei Fürstenstein geflogen sei, ein Samm- ler bestätigte das schon oben erwähnte Vorkommen an der Silberlehne für das Jahr 1882. Ob der Apollofalter früher, wie in Sammlerkreisen erzählt wird, auch an den Abhängen des Reichensteiner Gebirges vorgekommen ist, erscheint mir zweifel- haft, da Belegstücke von diesem Fundorte in schlesischen Samm- lungen nicht existieren. Die letzten Exemplare von P. mnemosyne *) Es ist sehr auffällig, daß außer dem Gewährsmanne MARSCHNERS niemand den Apollofalter in den Schneegruben oder im Melzergrunde beobachtet hat, vor allem auch nicht der um die Erforschung der Lepidopterenfauna des Riesengebirges hoch verdiente Pastor G. Sranpruss, der um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in Schreiberhau wirkte. Da MarscHNER mit der gleichen Sicherheit auch so unwahrscheinliche Be- hauptungen wie die, daß Parnassius apollo noch 1907 bei Johannisbad vorgekommen sei, aufstellt, tun wir wohl gut, seine Angaben ganz unberücksichtigt zu lassen. Ähn- lich apokryphen Quellen entstammt die in den Sitzungsberichten entomologischer Vereine oft wiederkehrende Fundortsangabe ,Warmbrunn‘, die von keinem einzigen wissen- schaftlich arbeitenden Zoologen bestätigt worden ist. 86 ie Dax im Eulengebirge hat Herr Lehrer Werner (Breslau) 1899 am Fuße der Sonnenkoppe zwischen Peterswaldau und Oberlangen- bielau beobachtet. Die im Besitze des Breslauer Zoologischen Museums befindliche Sammlung STREcKFuss enthält 6 Apollofalter, die in den Jahren 1875 und 1876 von A. GÄRTNER im Schlesiertal gesammelt worden sind, sowie ein Exemplar aus Fürstenstein ohne Jahreszahl. In der Sammlung Wiskorr sind 4 Stücke schlesi- scher Herkunft enthalten, von denen eines die Fundortbezeich- nung „Liebau 1851“ trägt. Drei.in meinem Privatbesitz befind- liche Exemplare aus alten schlesischen Sammlungen (Grosser, MrrreLHAUS, PArscHovsky) lassen leider die Angabe des Fund- ortes vermissen. Schließlich standen mir noch zwei Exem- plare des Apollofalters aus der Sammlung NIEPELT zur Verfügung, die der verstorbene Lehrer BEYER 1853 im Salzgrunde bei Fürsten- stein gefangen hat. Unter Berücksichtigung des gesamten vorliegenden Materials erhalten wir folgendes Bild des Aussterbens der Gattung Parnassius in den Sudeten: Ursprünglich wardie Gattung Parnassius in deniSudeten durch dierbeiden I rten, faa poy ont P, mhemosyne, vertreten. Schon um 1840 begann der Apollotalter in Rürstenstein selten (zu werden, um 1870 war er an diesem Fundort fast ausgestorben, wenn auch sanzı vereinzelte „Exemplare nee noch bis 1880 beobachtet worden sind. Nur wenig später erlosch die Art im Schlesiertal und im Raben- gebirge bei Liebau. Am längsten hat sich der Apollo- falter im Altvatergebirge und im mährischen Ge- senke gehalten, woer noch ı892 vorkam. Heutzutage ist die Species in den Sudeten völlig ausgerottet. Parnassıus mnemosyne scheint früher im schlesischen Berglande häufig gewesen zu sein, so vor allem im Waldenburger Gebirge, im Eulengebirge, am Zobten, im Glatzer Schneegebirge und im Altvatergebirge. SchonindensiebzigerJahren des vorigenJahrhunderts starb die Art an mehreren Stellen des Waldenburger Gebirges und am Zobten aus, wahrscheinlich um die gleiche Zeit auch am Glatzer Schneeberg. Um 1900 sind die letzten Exemplare im Eulengebirge gesehen worden. Gegenwàrtig ist Parnassius mnemosyne inden Sudeten auf zwei Fundorte beschrankt: dasHornschloß Su étés Über das Aussterben der Gattung Parnassius in den Sudeten. 87 bei Dittersbach (Waldenburger Gebirge) und die Bischofskoppe bei Zuckmantel (Altvatergebirge). Die Frage, welche Gründe wohl für das Aussterben der beiden Schmetterlinge in den Sudeten maßgebend gewesen sein mögen, läßt sich nur beantworten, wenn man von der Betrach- tung der natürlichen Lebensbedingungen ausgeht. Dort, wo sich der Apöllofalter noch heute zu kräftigen Gestalten entwickelt, findet man ihn stets an Felshangen, die, der Mittagssonne zugewendet, sich blütenreichen Bergwiesen anschmiegen. Im Schatten hochstämmiger Waldung kann dieses Kind der sonnigen Bergwelt nicht freudig gedeihen. Wer heute nach heißer Wanderung auf staubiger Straße im Fürstensteiner Grunde Kühlung sucht, wird die Vorstellung unbeholfen dahinfliegender Apollo- falter nur schwer mit den dichten Kronen der Baumriesen in seiner Umgebung vereinigen können und, nach vergeblicher Um- schau im Schlesiertal, die Lebensbedingungen des Apollofalters am reinsten noch an den Schutthängen des Liebauer Porphyr- gebirges bewahrt finden. So haben die früheren Flugplätze des Apollofalters durch Aufforstung eine sehr wesentliche Umgestal- tung erfahren. Die moderne Forstwirtschaft ist aber nur einer der Feinde, denen die schönste Zierde des schlesischen Gebirges zum Opfer gefallen ist. Nicht der einzige. Die in den ento- mologischen Fachzeitschriften niedergelegten Berichte lassen deut- lich erkennen, daß der vom Forstmann begonnene Vernichtungs- kampf vom Insektensammler zu Ende geführt worden ist. Schmetter- linge, die im Raupenstadium gesellig leben und im Imaginalzu- stande als unwillige Flieger sich nur auf begrenzter Flur tummeln, brauchen nicht einmal in solchen Massen weggefangen zu werden wie Schlesiens Apollofalter, um bald dem sicheren Untergange geweiht zu sein. Zarnassıus mmemosyne ist in seinem Vorkommen zwar nicht an die Felsbildungen unserer Mittelgebirge gebunden, aber unbewaldete Berglehnen mit starker Insolation sind auch für diesen Falter eine unerläßliche Lebensbedingung. Bis vor kurzem war der einzige Fundort von /arnassius mmemosyne in Preußisch-Schlesien eine nach Süden gelegene Wiese am Langen Berge bei Dittersbach in unmittelbarer Nähe des Hor- schlosses. An Stelle der Bergwiese ist seit einigen Jahren eine 3 Meter hohe Fichtenschonung getreten, in der die Art nicht mehr die erforderlichen Existenzbedingungen findet. Infolgedessen ist die Falterkolonie, wie NIEPELT festgestellt hat, ausgewandert. 88 ID Meise, „Nicht weit von ihrem bisherigen Flugplatze hatte sich die 72emo- syne am Hirschtor eine neue Heimat gesucht und gefunden. Der Abhang unter dem Hirschtor, früher dicht mit hohem Walde bewachsen, bildet jetzt nach seiner Abholzung eine freie, sonnige Lehne, einen Flugplatz und Brutplatz, wie er schöner nicht gedacht werden kann. Doch hat auch hier bereits die Auf- forstung eingesetzt, und in zehn Jahren dürfte die mzemosyne abermals von ihrem jetzigen Standort verdrängt sein. Wo wird sich ihr dann wieder eine Zufluchtsstätte auftun?“ Auch hier liegt in dem Massenfang durch gewerbsmäßige Händler eine zweite ernste Gefahr für den Bestand der Art. Noch vor wenigen Jahren sind nicht selten bei günstigem Wetter 1000 Stück an einem einzigen Tage gefangen worden, und als die schlesische Form des farnassius mmemosyne als forma szlestaca mit einem Katalogpreis von einer Mark in den Handel gebracht wurde, nahm das Sammeln der Falter einen derartigen Umfang an, daß die Fürstlich Pleßische Verwaltung nicht nur den Fang der Schmetterlinge, sondern auch das Betreten der Flugplätze ver- bieten mußte. Wie kaum ein anderer einheimischer Falter neigt Parmasszus apollo L. zur Varietätenbildung. Die Unterart, die früher am Glatzer Schneeberge vorkam, haben REBEL und RoGENHOFER als Zarnassıus apollo albus beschrieben und sie mit mährischen Exemplaren identifiziert. Da es mir nicht gelungen ist, in schlesischen Samm- lungen Belegstücke aus der Grafschaft Glatz zu finden, habe ich über diese Frage kein eigenes Urteil, zweifle aber nicht im geringsten an der Richtigkeit der Auffassung dieser beiden Autoren. Als wesentlichste Merkmale des P. apollo albus werden seine beträchtliche, zwischen 67 und 74 mm schwankende Größe, seine rein weiße Grundfarbe und schließlich die Tatsache angeführt, daß die großen Ocellen auf der Oberseite der Hinterflügel fast niemals weiß gekernt, sondern meistens einfarbig rot sind, Eigen- schaften, die wir übrigens, wie ich an anderer Stelle ausführen werde, zum Teil bei mehreren Apo//o-Rassen der Karpathen wieder- finden. Im allgemeinen war unter den Entomologen die Ansicht verbreitet, daß der Apollofalter der Westsudeten der gleichen Rasse angehöre wie derjenige des Glatzer Schneegebirges, bis MARSCHNER für den „Apollo des Riesengebirges“ die Unterart P. apollo sulesianus, NiEPELT für Exemplare aus dem Salzgrunde bei Fürstenstein die Unterart ?. apollo friburgensis aufstellte. a VENI Über das Aussterben der Gattung Parnassius in den Sudeten. 89 Bei einer Prüfung des mir zur Verfügung stehenden Untersuchungs- materials, zudem auch durch das liebenswürdige Entgegenkommen seines Autors die Type von P. apollo friburgensis gehörte, bin ich zu folgender Auffassung gelangt: Die Apollofalter der West- sudeten zeigen niemals eine rein weiße Grundfarbe, sondern sind mehr oder weniger elfenbeinfarben und deutlich grau bestäubt. Ihre Größe ist noch beträchtlicher als die des /. apollo albus. Exemplare aus dem Rabengebirge haben eine durchschnittliche Flügelspannung von 83—85 mm, Individuen aus Fürstenstein eine Spannweite von 81—88 mm. Während die Form der Ost- sudeten unverkennbare Beziehungen zu den Karpathen zeigt, dürfte die westsudetische Rasse an die Unterarten des mittel- deutschen Berglandes anzuschließen sein. In den Westsudeten waren Diiferenzierungsvorgänge sekundärer Natur offenbar noch nicht abgeschlossen, als die Art ausgerottet wurde. Die beiden Unterarten szleszanus Marschn. und /ridurgensis Niep., die meines Erachtens als nicht ganz konstante Formen der westsudetischen Rasse bewertet werden müssen, dürften in diesem Sinne zu deuten sein. Die unter verschiedenen mitteleuropäischen A/ollo-Rassen gelegentlich auftretende forma »ovarae Oberth., bei welcher die schwarze Fleckenzeichnung der Vorderflügel reduziert ist und die Ocellen der Hinterflügel einfarbig schwarz sind, ist übrigens von FELDER zuerst aus Schlesien beschrieben worden. Die Species Farnassius mmemosyne L. gliedert sich in drei Unterarten, von denen eine /. mnemosyne mnemosyne Stich. dem Norden, die beiden anderen /. mnemosyne hartmannı Stdfs. und P. mmemosyne athene Stich. dem Süden unseres Kontinents an- gehören. Freilich handelt es sich hierbei, wie STICHEL mit vollem Rechte betont hat, weniger um Subspecies im strengen Sinne, als um systematische Bezeichnungen für Entwicklungsrichtungen, die an verschiedenen Fundorten mit gleichen oder ähnlichen Existenz- bedingungen unabhängig voneinander eingeschlagen worden sind. Meine Beobachtungen in Schlesien bestätigen diese Auffassung. Die Exemplare des Waldenburger Gebirges, wo die Art noch heute fliegt, sind wegen ihrer grauen Bestäubung zu ?. mnemo- syne hartmanni Stdfs. zu stellen. FRUHSTORFER hat eine besondere Unterart P. mnemosyne silestacus aufgestellt, die im weiblichen Geschlecht durch das Auftreten heller Querstreifen zu beiden Seiten der schwarzen Flecken in der geschwärzten Zelle der 90 If, Na, Vorderflügel charakterisiert sein soll. Tatsächlich kommen solche Individuen im weiblichen Geschlechte nicht selten vor, ja bisweilen flieBen die weißen Querstreifen sogar zu einem Ringe zusammen, der sich als weißer Randsaum scharf von dem schwarzen Kern der Flecken abhebt. Aber diese Zeichnung ist nicht allen weiblichen Faltern eigentümlich, und die Männchen unterscheiden sich nicht im geringsten von Exemplaren anderer deutscher Mittelgebirge. Daher dürfte es sich empfehlen, dieser weiblichen Varietät aus dem Waldenburger Gebirge, wie es STICHEL getan hat, nur den systematischen Rang einer Form zuzuerkennen. Allerdings ist der forma szleszaca Fruhst. insofern ein gewisser geographischer Wert nicht abzusprechen, als sie zwar meines Wissens nicht nur in den Sudeten beobachtet worden ist, dort aber, wenigstens im westlichen Teile des Gebirges, offenbar eine weite Verbreitung besaß. So zeigt ein in der Sammlung des Breslauer Zoologischen Museums vorhandenes Exemplar aus der Umgebung von Preußisch- Albendorf im Rabengebirge gleichfalls die typischen Merkmale der forma sz/esiaca. In der Sammlung Wiıskorr des Breslauer Museums sind ferner zwei männliche Exemplare schlesischer Provenienz vorhanden, die wegen der starken Reduktion der schwarzen Flecken und des gleichzeitigen Auftretens weißer Makeln im Distalfelde der Unterflügel unverkennbare Anklänge an P. mnemosyne athene zeigen. Leider fehlt in dem sorgfältig geführten Katalog Wiskorrs eine nähere Bezeichnung des Fund- orts. Obgleich ich wohl alle bedeutenden schlesischen Samm- lungen aus älterer Zeit aus eigener Anschauung kenne, ist es mir nicht gelungen, Exemplare vom Zobten und aus den Gebirgen der Grafschaft Glatz zur Untersuchung zu erhalten. Es ist daher die Besorgnis durchaus berechtigt, daß derartige Exemplare gegen- wärtig nicht mehr vorhanden sind, daß also diese Rasse ausge- rottet worden ist, bevor sie der wissenschaftlichen Untersuchung zugänglich war. Die Frage nach der systematischen Stellung des in den Ostsudeten an der Bischofskoppe noch heute fliegenden, wenn auch von Jahr zu Jahr seltener werdenden Zarnassıus mmemosyne hoffe ich im nächsten Jahre beantworten zu können. Die heutige Verbreitung der Parnassıusarten lehrt uns, daß wir das Entwicklungszentrum der Gattung mit größter Wahr- scheinlichkeit in den Gebirgen Zentralasiens!) zu suchen haben. !) Über die Entwicklungsgeschichte der Parnassier werden in der entomologischen Literatur die absurdesten Hypothesen aufgestellt. So glaubt ein Autor aus der ver- Über das Aussterben der Gattung Parnassius in den Sudeten. QI Während der Glazialzeit mußten die Parnassier in die eisfreien Tietlander hinabsteigen, und in diese Epoche fällt wohl auch ihre Einwanderung nach Europa. Hier dürften diese wärmeliebenden Bewohner montaner Regionen ihre größte Verbreitung während der postglazialen Steppenzeit erlangt haben. Seit Beginn der quartären Waldperiode hat ihr Verbreitungsgebiet vermutlich eine stetige Einschränkung erfahren, und als Resultat dieser Entwicklung tritt uns das zwar sehr ausgedehnte, aber stark zerklüftete heutige Areal der europäischen /arnassıusarten entgegen. Ihre auffällige Variabilität, die zur Bildung zahlreicher Unterarten und Formen geführt hat, ist ein Produkt der geographischen Isolierung. Auf die relative Kürze dieser Isolation werden wir die Erscheinung zurückführen können, daß manche Rassen als Merkmal der Jugend eine sehr geringe Neigung zur Konstanz zeigen, auf die Wirk- samkeit der Isolierung der einzelnen Flugplätze durch dazwischen gelegene Waldungen und bebaute Felder die Tatsache, daß selbst an nur 35 km voneinander entfernten Standorten, wie NIEPELT zuerst beobachtet hat, eine Differenzierung in Lokalformen ein- setzen konnte. Diese theoretischen Erwägungen sind von größter Bedeutung für die in jüngster Zeit viel erörterte Frage nach der Möglichkeit einer Wiedereinbürgerung des Apollofalters in den schlesischen Gebirgen. Wenn auch der im Jahre 1888 unter- nommene Versuch des Vereins für schlesische Insektenkunde, schwäbische Apolloraupen im Salzgrunde bei Fürstenstein anzu- siedeln, ebensowenig von Erfolg begleitet gewesen ist wie seine Wiederholung durch einzelne Sammler bei Fürstenstein, Reinerz, Seitenberg, ja sogar am Geiersberge bei Zobten, so kann die Möglichkeit eines erfolgreichen Imports doch nicht ernstlich be- stritten werden. Freilich ist die Hoffnung mancher Naturfreunde, den „alten schlesischen Apollo“ wiederzubekommen, unerfüllbar. Die Rasse der preußischen Sudeten ist ausgestorben, und jede fremde Rasse, die man importiert, bringt wesentlich andere An- lagen mit, als die ausgerottete. Es erscheint daher durchaus nicht wahrscheinlich, daß die zu importierende Rasse etwa eine Ent- hältnismäßig geringen Variabilität des Parnassius apollo albus schließen zu sollen, daß wir diese Rasse „als die eigentliche Urform unseres a@fo//o und seine Heimat als das Zentrum zu betrachten haben, von dem aus er sich, mit zunehmender Entfernung je nach den klimatischen Verhältnissen variierend, nach dem übrigen Europa und nack Asien ausgebreitet haben mag“. 92 Plant, wicklung einschlagt, die eine Annäherung an den /arnasszus apollo sulesianus darstellt. Immerhin dürfte sie in dem neuen Milieu gewisse Abänderungen zeigen, und darum sollten alle, die sich mit derartigen Einbürgerungsversuchen befassen, es als eine Pflicht gegenüber der Wissenschaft betrachten, Belegstücke aus der importierten Zucht einem zoologischen Museum zu überweisen, damit später einmal einwandfrei untersucht werden kann, ob und in welcher Zeit sich ein Einfluß der Umgebung auf importierte Parnassıus-Rassen geltend macht. Literatur. FELDER, CAJETAN und Ruporr, Rhopalocera. In: Reise österr. Freg. Novara. Axo. Weil, delle ho, GoTTwALD, Verzeichnis der in der Umgebung von Reinerz vorkommenden Falter. In: Der Curgast in Reinerz. Breslau 1855. MARSCHNER, H., Der „alte“ schlesische Apollo aus dem Riesengebirge. In: Berl. Entom. Zeitschr. Bd. 54, 1909. Marscuner, H., Erwiderung auf „Schlesiens Parnassier“. In: Internat. Entom. Zeitschr. 1913. v. MÜLLER, C. L., Fauna Lepidoptera silesiaca. Breslau 1802. NEUSTÄDT, A. und v. 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WEIGEL, JOHANN ADAM VALENTIN, Faunae Silesiacae Prodromus. Berlin 1806. Wocke, M., Verzeichnis der Falter Schlesiens. In: Zeitschr. Entom. N. F. Bd. 3, 1872. Ein kleiner Beitrag zur Geschichte der Urzeugung. Von Rudolph Zaunick, Dresden. Das ganze 17. Jahrhundert stand noch im Banne der Aristo- telischen Lehre von der Urzeugung, der Generatio spontanea oder aequivoca, wenn auch der toskanische Leibarzt Francesco REDI (1620—1697) in seiner bedeutungsvollen Schrift „Esperienze intorno alla generazione degl’ insetti“ (Firenze 1668. Lateinisch Amstelo- dami 1671. ibid. 16 86 als „Opusculorum pars prior“) auf experi- mentellem Wege den Beweis fiir Harveys These erbrachte: „Ovum est primordium commune omnibus animalibus“!). Ja noch im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts tischt VALENTINUS KRÄUTERMANN, Pseudonym für L. CurisropH von HELLWIG (1663 bis 1721)?) das alte Märchen der Urzeugung in seiner Schrift „Der Curieuse und vernünfftige Zauber-Artzt....“ (Frankfurt und Leipzig 1725) auf. Dort heißt es (S. 25): „Die curieuse Magie dienet zwar zu des Menschen Gesundheit sehr wenig, jedennoch aber ziehet sie die Gemüther der Menschen zur Verwunderung, wodurch des Allerhöchsten Thaten dankbarlich gepriesen werden. Als wenn ein curieus Gemüth weiß, wie es aus dem Basilien-Kraut Scorpionen zeugen könne, welche denen Italiänischen nichts nachgeben. Und dieses geschieht auff folgende Art: Nehmet 1) Exercitationes de generatione animalium. Londoni 1651. p. 21o. *) Vgl. Zeprers „Universal-Lexicon“, XII. Bd., Halle und Leipzig 1735. S. 1290 bis 1293; Just CuristopH Moscumanns ,Erfordia Literata oder Gelehrtes Erffurth“. I. Samml. Sect. 2. Erffurth 1729. p. 135—161. In § 10 fehlt überhaupt unter den » KRAUTERMANN schen“ Schriften die Angabe des von uns benutzten Buches. 96 Rudolph Zaunick, Ein kleiner Beitrag zur Geschichte der Urzeugung. Basilien-Kraut im Monath Julio oder Augusto gesammlet, stosset dasselbige als wenn ihr den Safft daraus pressen wollet. Die zer- stossene Masse, streichet in einen warm gemachten Tiegel dreyer Finger dick, stürtzet einen andern grossen Tiegel darüber, und verstreichet sie beyde mit Erde und Roß-Mist, Leimen oder Thon. Diese beyden Tiegel setze einen Monat lang in den Keller; wenn du nun nach verflossener Frist die Tiegel eröffnen wirst, so werden die lebendigen Scorpionen hervorkriechen. Man gibt auch vor, daß von dem Marck aus Menschen-Knochen, und aus den Haaren einer Weibes-Person, welche ihre Menses hat, wenn es in den Mist vergraben wird, Schlangen wachsen. Wenn Pferde-Haare in die mit Regen-Wasser angefüllte Gruben oder Graben fallen, so werden sie lebendig und in lange Würmer, wie Schlangen ver- wandelt, wie Schottus selbst experimentiret hat.“ An einer anderen Stelle (S. 299) heißt es außerdem noch: „Wenn man einem Krebse die Beine abbricht, und putrificiret, so giebet er auch einen Scorpion, wie Ovıpıus spricht: Concava littoreo si demas bracchia cancro, Caeterea supponas terrae, de parte sepulta, Scorpius exibit, caudaque minabitur unca.“ Bücherbesprechungen. Locy, W. A. DieBiologie und ihre Schöpfer. Autorisierte Übersetzung der zweiten amerikanischen Auflage von E. Nitardy, mit einem Geleit- wort von Prof. Dr. J. Wırnermı. Jena, G. Fischer, 1915. 415 S. 8° mit 97 Abb. im Text. Preis brosch. 7.50 Mk., geb. 8.50 Mk Der Verf. ist zur Abfassung des Werkes durch zahlreiche Zuschriften von Studierenden, Lehrern und Ärzten veranlaßt worden, welche Auskunft über eine Einführung in die allgemeine Biologie erbaten. Er ist den Wünschen dadurch nachgekommen, daß er die Entwickelung der Biologie in allgemeinen Zügen schildert, bis auf die Quellen biologischer Erkenntnisse zurückgeht und auch die Persönlichkeit der einzelnen Forscher berücksichtigt, deren Portraits den Hauptteil der Textabbildungen darstellen. Mit der Schilderung der Entwickelung der Biologie war die Anordnung des Stoffes gegeben, von der nur insofern abgewichen wird, als die Lehre von der Stammesentwickelung in einem besonderen Teile zur Darstellung kommt, dessen Lektüre die Kenntnis des ersten Teiles voraussetzt. Schwierig- keiten bereiteten bei der großen Zahl von Einzelforschungen die Trennung des Wesentlichen vom weniger Bedeutungsvollen, ‚sowie die Unterscheidung zwischen Männern von zeitweiliger und von dauernder Bedeutung. Im großen und ganzen kann man aber mit der Auswahl einverstanden sein, wenn auch, was der Verf. selbst hervorhebt, die Fortschritte, welche Zoologen hervor- gerufen haben, bzw. an Tieren gewonnen wurden, in erster Linie zur Er- örterung gelangen, und was, WILHELM im Geleitwort anführt, die amerikanisch- englische Forschung stark betont wird. Diese nicht wegzuleugnende stellen- weise Einseitigkeit kann leicht in der folgenden Auflage beseitigt werden, wie dies in der vorliegenden Übersetzung bereits mit einem deutschen Forscher (SCHAUDINN) geschehen ist. Dann können auch andere, freilich erheblich geringere Fehler verschwinden wie ALBRECHT VON KÖLLIRER — Statt ALBERT v. K., Juzius von LieBiG statt Justus v. L., BAR statt Barr; auch das Literaturverzeichnis bedarf dringend eine korrektere Ausgestaltung. Die Hauptsache bleibt, daß eine nicht zu umfangreiche und doch das Wesentliche bringende geschichtliche Darstellung der Biologie vorliegt, an der es bisher gefehlt hat; sie ist flüssig geschrieben, liest sich leicht und ist wohl geeignet, Interesse zu erwecken und zu fördern. Wir möchten das Buch in der Hand jedes sehen, der sich mit biologischen Wissenschaften be- schäftigt, der Studierenden sowohl wie der bereits im Berufe stehenden und auch sonstigen Interessenten; sie alle werden es mit hoher Befriedigung be- nützen und reichen Gewinn davontragen. M. Braun. Zool. Annalen. VII. 7 98 Bücherbesprechungen. Die Kultur der Gegenwart, ihre Entwickelung und ihre Ziele, Hrsg. von Paul Hinneberg. Leipzig, B. G. Teubner. (Im Erscheinen). Dieses grofs angelegte Werk, das eine systematisch aufgebaute, geschicht- lich begründete Gesamtdarstellung unserer heutigen Kultur darbieten soll, wird in seinem dritten, auf 19 Bände berechneten Teile die mathematischen, naturwissenschaftlichen und medizinischen Kulturgebiete umfassen. Für die ‚organischen Naturwissenschaften (IV. Abt.) sind vier Bände bestimmt und drei bereits erschienen. Gleich der erste Band dieser Abteilung, betitelt: „Allgemeine Biologie“ (1915) enthält zwei Artikel historischen Charakters von E. RapL und H. SPEMANN. Rapı erörtert in seinem Beitrag: „Zur Geschichte der Biologie von Linné bei Darwin“ den tiefgehenden Einfluß der Darwınschen Lehre auf die ganze Biologie, die hierdurch einen riesigen Aufschwung genommen hat, und schildert zuerst in allgemeinen Zügen den Zustand der Biologie, die sich erst im 18. Jahrhundert von der Medizin zu scheiden begann, in der vordarwini- schen Zeit von LinnE und Burron an. Heute sei allerdings der Glaube an die Allmacht der Darwınschen Prinzipien geschwunden, doch leben viele Ideen dieser Zeit noch immer in den modernen Lehren weiter. Nach Spemann (zur Geschichte und Kritik des Begriffes Homologie) stammt die Unterscheidung zwischen Homologie und Analogie erst von R. Owen (1848); frühere Autoren waren mit dem, was mit und nach Owen unter Homologie verstanden wurde, wohl vertraut, sprachen aber von Ana- logie, zuerst anscheinend P. CAMPER 1778; doch ist die Kenntnis der Er- scheinung selbst erheblich älter, wenn auch bestimmte Bezeichnungen für sie fehlten. Der Verf. lest die Wandlungen dar, die der Begriff Homologie unter -dem Einfluß der Entwickelungsgeschichte und der Deszendenztheorie durch- gemacht hat, und ist der Ansicht, daß jetzt eine weitere Wandlung einzu- treten beginnt, welche durch die Erfahrungen der Entwickelungsmechanik bedingt wird. | M. Braun. Die biogenetischen Mythen der alten Kulturvölker. Von Prof. Dr. Walther May, (Karlsruhe in Baden). JE Die biogenetischen Mythen der Babylonier, Phönizier, Perser, Inder und Chinesen. Die Wiege der Kultur ist Babylonien. Seine religiösen Mythen entstanden vielleicht schon in der ersten Hälfte des dritten Jahrtausends vor unserer Zeitrechnung, als Sarcon I. Babylon gründete. Unter HammuRABI, der diese Stadt um 2250 v. Chr. zum politischen und geistigen Mittelpunkt des geeinten nord- und südbabylonischen Reiches machte, hatten sie bereits die Gestalt angenommen, in der sie von nun an unverändert bis auf die späteste Zeit überliefert werden sollten. Was auf den zahllosen Tontafeln, die hauptsächlich an der Stätte des alten Ninive, des heutigen Kujundschik, aufgefunden wurden, in Keilschrift nieder- geschrieben ist, geht inhaltlich auf mehrere Jahrtausende v. Chr. zurück, wenn auch die Tafeln selbst aus einer weit jüngeren Zeit stammen. Im 7. Jahrhundert v. Chr., als Babylonien unter assy- rischer Herrschaft stand, ließ nämlich der Assyrerkönig Assur- BANIPAL die literarischen Schätze, die in den babylonischen Biblio- theken verborgen waren, abschreiben und brachte so auch die religiösen Mythen der Babylonier zur Kenntnis der Nachwelt. Für die biogenetischen Bestandteile dieser Mythen kommen in erster Linie drei ausführlichere Schöpfungsberichte in Betracht. Der erste bildet die Einleitung zu einer Beschwörungsformel und zeichnet sich dadurch aus, daß er der roheren mythologischen Zool. Annalen VII. 7a — I — 100 Walther May, Züge entbehrt. In ihm treten Marduk, der Gott des Lichtes, und Aruru, eine Erscheinungsform der Muttergöttin Istar, als Menschenschöpfer auf. Sie schaffen den Menschen zum Dienste der Götter: „Um die Götter in Wohlbehagen wohnen zu lassen, schuf er Menschen; Aruru schuf mit ihm Menschengeschlecht.“ Sodann rief Marduk Tiere und Pflanzen ins Dasein: „Tiere des Feldes und Lebewesen im Freien schuf er .... Gras, Halme der Wiese, Rohr und Rankenpflanzen machte er, die Länder, Wiesen und das Schilf. Die Wildkuh, ihr Junges, das Kalb, das Schaf, sein Junges, das Lamm der Hürde, die Gärten und die Haine, Ziegenbock und Gazellenbock ....“ Weit umfangreicher als dieser Schöpfungsbericht, aber in biogenetischer Hinsicht wenig ergebnisreich ist das sog. Sieben- tafelepos, das in den Jahren 1873-—75 in Kujundschik aufgefunden wurde, leider aber nur lückenhaft wiederhergestellt werden Konnte. Es hat den Kampf des Licht- und Frihlingsgottes Marduk mit dem chaotischen Urwasser Tiamat, das sich in Gestalt eines Drachen der Bildung einer geordneten Welt widersetzt, zum Gegenstand. Marduk tötet Tiamat, zerschneidet den Leich- nam in zwei Hälften und bildet aus der einen den Himmel, aus der anderen die Erde. An den Himmel setzt er die Sternbilder und den Mond. Die fünfte Tafel des Epos, auf der die Gestirnschépfung berichtet wird, ist zerbrochen; es fehlen 120 Zeilen, in denen vielleicht von der Schöpfung der Pflanzen und Tiere die Rede war. Der Text der sechsten Tafel beginnt mit der Kundgebung Marduks an Ea, den Gott des Meeres und der Künste, daß er den Entschluß gefaßt habe, den Menschen zu schaffen: „Als Marduk das Wort der Götter vernahm, war er bereitwillig und ersann Listen. Er sprach zu Ea und, was er in seinem Herzen erdacht, gab er ihm kund: Blut will ich nehmen und Bein will ich bilden, ich will hinstellen Menschen .... Ich will machen Menschen, die wohnen in Häusern. Sie sollen tun die Arbeit der Götter, sie sollen Heiligtümer bauen.“ Auf der siebten und letzten Tafel, deren Inhalt von den verschiedenen Namen oder Erscheinungsformen Marduks handelt, wird dieser auch als Schöpfer oder wenigstens als Erhalter der Pflanzenwelt verherr- licht: „Asaru, Schenker der Fruchtbarkeit, der die Ackerfurchen zieht, der das Getreide wachsen läßt und Pflanzen, der das Grün sprießen läßt....“ Ferner wird ihm hier nochmals die Erschaf- Die biogenetischen Mythen der alten Kulturvölker. LOE fung des Menschengeschlechts zugeschrieben: „um die Götter zu befreien, schuf die Menschheit der Barmherzige, der Leben zu geben vermag. Bestehen sollen und nicht abgeschafft werden seine Gebote im Munde der Menschen, die seine Hände geschaffen.“ Eine dritte babylonische Schöpfungslegende ist die des chal- däischen Priesters Brrossos, der im dritten Jahrhundert v. Chr. eine Geschichte Babyloniens verfaßte, die mit dem Ursprung der Welt beginnt. Sie ist uns in Bruchstücken durch den Kirchen- vater Eusrpius überliefert worden, der allerdings nur den Zweck verfolgte, die Unsinnigkeit der chaldäischen Überlieferung dar- zutun, Der Bericht kann daher auf Zuverlässigkeit keinen An- spruch erheben. Er erzählt, der Gott Bel habe, als er die Erde vereinsamt, aber doch fruchttragend gesehen, einem der Götter befohlen, ihm den Kopf abzuschlagen, mit dem herausfließenden Blute die Erde zu mischen und Menschen und Tiere zu bilden, die die Luft zu ertragen vermöchten. Nach einer anderen Fassung hat Bel sich selbst das Haupt abgeschlagen, worauf die Götter das herausfließende Blut mit Erde vermischten und so den Menschen bildeten, der deshalb Verstand und göttliche Vernunft besitzt. Außer Marduk, Aruru und Bel tritt in älteren babyloni- schen Mythen noch Ea als Menschenschöpfer auf. So heißt es in einem aufgefundenen Bruchstück: „Nachdem die Götter in ihrer Schar die Welt gemacht, den Himmel hergestellt, das Erdreich gefügt, Lebewesen gemacht.... Vieh des Feldes, Getier des Feldes und Gewimmel der Stadt gebaut, da Ea heraufkam und zwei kleine Wesen baute, in der Schar des Gewimmels ihre Gestalt herrlich machte.“ Auch auf der vierten Tafel der „Beschwörungsserie von Surpu“ ist Ea der Menschenschöpfer: „Es trete auf Ea, der Herr der Menschheit, dessen Hände die Menschen geschaffen haben.“ Derselbe Gott spielt in der sog. Adapalegende eine große Rolle. Diese Erzählung findet sich auf den etwa aus dem Jahre 1400 stammenden babylonischen Tontafeln, die zu Tel Amarna in Ägypten aufgefunden wurden. Adapa ist der von Ea ge- schaffene Urmensch, der von dem Schöpfer wohl göttliche Weis- heit, aber nicht ewiges Leben erhielt. Die Legende berichtet, wie er durch den Neid Eas der ihm von dem Gott Anu ange- botenen Unsterblichkeit verlustig ging. Adapa waltete als Priester in Eridu, dem Heiligtume Eas. Als er eines Nachts zum Fischfang aufs Meer gefahren war, warf der Südwind sein (a= 102 Walther May, Schiff um, weshalb Adapa dem Winde die Flügel zerbrach, so daß er sieben Tage lang nicht wehen konnte. Anu forderte A dapa zur Rechenschaft vor seinen Thron. Ehe er sich dorthin begab, belehrte ihn Ea, wie er sich zu verhalten habe. Er solle ein Trauergewand anlegen, um das Mitleid der himmlischen Tor- wächter zu erwecken, die sich für ihn bei Anu verwenden könnten. Auch solle er das Feierkleid, das ihm Anu überreichen werde, annehmen und sich mit dem dargebotenen Öle salben, Speise und Trank aber zurückweisen, denn es sei Todesspeise und Todes- trank. Adapa steigt mit dieser Weisung seines Schöpfers ver- sehen zum Himmel empor, und Anu richtet an ihn die Frage: „Wohlan, Adapa! Warum hast du des Südwinds Flügel zer- brochen?“ Adapa antwortet: „Mein Herr! Für das Haus meines Herrn inmitten des Meeres fing ich Fische. Da das Meer einem Spiegel glich, wehte der Südwind daher und tauchte mich unter. Im Zorn meines Herzens zerbrach ich des Südwinds Flügel.“ Anu willnun den Adapa erbarmungslos verurteilen, aber die himmlischen Torwächter stimmen ihn so um, daß er beschließt, dem Menschen zu seinen sonstigen Vorzügen auch noch die Unsterblichkeit zu verleihen: „Speise des Lebens holt ihm, daß er sie esse.“ Aber Eas Rat eingedenk weist Adapa die Lebens- speise und den Lebenstrank zurück, weil er sie für Todesspeise und Todestrank hält, und als Anu verwundert fragt: „Warum hast du nicht gegessen, nicht getrunken, so daß du auch nicht leben wirst?“ antwortet er: „Ea, mein Herr, befahl: iß nicht und trink nicht!“ In einer anderen babylonischen Dichtung, dem Gilgames- epos, das in 12 Gesängen die Taten des babylonischen Herakles behandelt, heißt der erste Mensch nicht Adapa, sondern Eabani und wird von der weiblichen Gottheit Aruru nach dem Ebenbild Anus aus Lehm geschaffen: „Du, Aruru, hast Gilgames ge- schaffen. Nun schaffe auch sein Ebenbild! . . . Als Aruru dies hörte, schuf sie in ihrem Herzen ein Ebenbild des Anu. Aruru wusch ihre Hände, kniff Lehm ab, warf ihn auf das Feld, . .. schuf einen Gewaltigen.“ Dieser erste Mensch war noch halbtierischer Natur: „Mit den Gazellen zusammen frißt er Kraut, mit dem Vieh zusammen sättigt er sich an der Tränke, mit dem Gewimmel des Wassers zusammen ist sein Herz wohl.“ Durch die List eines Jägers, dem er als Freund der Tiere Netze und Fallen zerstörte, wird dem Eabani ein Weib zugeführt, Die biogenetischen Mythen der alten Kulturvölker, 103 das ihn sechs Tage und sieben Nächte von den Tieren fern hält. Als er zu diesen zurückkehrt, fliehen sie ihn. Eabani begibt sich nun wieder zu seinem Weibe und gründet mit ihm eine Stadt; da es aber nur Mühen und Leiden über ihn bringt, so verflucht er es. Dies ist alles, was uns die babylonischen Mythen von dem Weib des ersten Menschen zu berichten wissen. Das Gilgamesepos enthält auch die babylonische Sintflut- erzählung, die Grundlage des für die späteren biogenetischen Spekulationen so wichtigen biblischen Sintflutberichts. Sie hat im wesentlichen folgenden Inhalt: Ea befiehlt dem Utnapisti, dem babylonischen Noah, ein Schiff zu bauen und es mit lebenden Wesen zu bevölkern. Utnapisti kommt dem Befehle des Gottes nach, baut das Schiff und füllt es mit Silber, Gold, Tieren und Menschen. Nachdem er das Tor verschlossen hat, bricht das Unwetter los, dessen Verlauf in dem babylonischen Epos mit lebhaften Farben geschildert wird. Nach Beendigung der Flut strandet das Schiff auf dem Berge Nizir, und Utnapisti sendet nacheinander eine Taube, eine Schwalbe und einen Raben aus. Taube und Schwalbe kehren zurück, der Rabe nicht. Nun ver- läßt der babylonische Noah das Schiff und bringt den Göttern ein Dankopfer dar. — Weit weniger als über die biogenetischen Ideen der Baby- lonier wissen wir über die der Phönizier. Nach dem jedenfalls sehr unzuverlässigen Bericht des Kirchenvaters EuseBIus glaubte dieses Küstenvolk, daß die Lebewesen bei einem gewaltigen Donnerkrachen erwachten, bei dem Lärm erschraken und daß sich so auf der Erde und im Meer Männliches und Weibliches ruhrte. Die beiden ersten Menschen, Aion und Protogonos, sollen durch die Vermischung eines männlichen und weiblichen Prinzips, Kolpiawind und Bau, entstanden sein. — Auch von den alten Ägyptern ist uns keine zusammenhän- gende Schöpfungserzählung bekannt, auch hier sind wir auf ein- zelne Bruchstücke angewiesen. Schöpfer, Erhalter und Ernährer der Welt ist Amon von Theben, der in einem Hymnus also verherrlicht wird: „Oberster aller Götter, Herr der Menschheit, Vater der Götter, der die Menschen machte und die Tiere schuf, der Herr dessen, was da ist, der den Lebensbaum schafft, der das Kraut macht und Fruchtbäume, der das Vieh ernährt.“ Im ersten Buch des sog. Totenpapyrus, der etwa aus dem Jahre 3000 v. Chr. stammt, wird gelehrt, daß der Mensch nach | VI 104 : Walther May, dem Ebenbilde Gottes geschaffen wurde: ,Lob und Preis dem Baumeister, der die Welt zur Heimat des Menschen, des Eben- bildes des Schöpfers machte. Er sieht wie ihr sehet; er hört wie ihr höret; er sitzt wie ihr sitzet.“ Als Menschenschöpfer galt bei den Agyptern auch der Gott Chnum, der den Menschen aus Ton bildete. Auf einem Gemälde im Tempel von Luxor ist dieser Gott dargestellt, wie er auf einer Töpferscheibe zwei menschliche Tonmodelle bearbeitet. Ferner sind in den ägyptischen Tempeln zu Philae und Denderah Nil- götter abgebildet, die Tonklumpen zu Menschen formen. Nach einigen ägyptischen Legenden entstanden Pflanzen, Tiere und Menschen durch eine Art Gärungsprozeß aus dem von der Sonne erwärmten Nilschlamm. Verschiedene Meinungen herrschten auch über den Urzustand des Menschengeschlechts. Während manche glaubten, die ersten Menschen seien vollkommen und glücklich gewesen und erst das spätere Geschlecht sei ent- artet und seines Glückes verlustig gegangen, behaupteten andere, die ältesten Menschen seien tierischer Natur gewesen und hätten sich in unartikulierten Lauten ausgedrückt, bis der Gott Thot sie Sprache und Schrift lehrte. — Einen sehr phantastischen Charakter tragen diesen nüchternen Spekulationen gegenüber die biogenetischen Vorstellungen der Perser, die uns im „Bundehesch“ überliefert sind. Die hier vor- getragene Schöpfungslehre beruht auf alten, verloren gegangenen Traditionen und nimmt an, daß die Weltentwickelung sich in vier Perioden von je 3000 Jahren vollzog. Nachdem in der ersten Periode nur geistige Schöpfungen stattgefunden hatten, schuf Ahuramazda, das Prinzip des Guten, in der zweiten Periode Himmel, Wasser, Erde, Pflanzen, Tiere und Menschen. Der Mensch wurde geschaffen zum König der Tiere, zum Herrn der Welt und zum König der Zeit. In der dritten Periode zerstörte Ahriman, das Prinzip des Bösen, die Schöpfung Ahuramazdas. Durch einen versengenden Hauch vernichtete er die Pflanzen und tötete dann den Urstier, das zugleich mit der Erde entstan- dene Sinnbild der zeugenden Natur, sowie den Urmenschen. Aber aus dem im Mond gereinigten Samen des Urstiers ließ Ahura- | mazda neue Tiere erstehen, aus den Gliedern des Urstiers die Nutz- und Heilpflanzen, und aus dem in der Sonne gereinigten Samen des Urmenschen den Baum des Lebens, Reiva. Aus diesem ging ein doppelgeschlechtiges Wesen hervor, das sich ni es Die biogenetischen Mythen der alten Kulturvölker. 105 in zwei Hälften spaltete, den Mann Meschia und das Weib Meschiana, die zu den Stammeltern des Menschengeschlechtes wurden, dem in der vierten Weltperiode ZARATHUSTRA die neue Heilslehre brachte. — Nicht minder phantasiereich sind die in den uralten „Veden“ niedergelegten Schöpfungslehren der Inder. Pflanzen, Tiere und Menschen gingen nach ihnen gleich allen anderen Dingen aus den verschiedenen Teilen eines tausendköpfigen und tausendfüßigen Urwesens namens Purusha hervor. Die einzelnen Kasten des Menschengeschlechtes waren von Anfang an verschieden, indem die Brahmanen aus dem Mund, die Krieger aus den Armen und die Bauern aus den Beinen Purushas entsprangen. Nach einer anderen indischen Sage wuchs der erste männ- liche Mensch Puru aus dem Erdboden hervor. Zuerst erschien sein Kopf, dann sein Leib. Durch Einhauchen der Seele wurde er ein lebendiges Wesen, ein Ebenbild Gottes. Zuletzt wurde ihm das Weib Parkuti zugeführt. Eine dritte indische Legende erzählt, daß dem Schöpfergott nach Erschaffung des Mannes kein Stoff mehr übrig blieb, um auch das Weib zu bilden. Da nahm er die Windungen der Schlange, das Sichfestklammern der Kletterpflanzen, das Zittern des Grases, die aufrechte Haltung des Schilfrohrs, den Samt der Blume, die Leichtigkeit des Blattes, die Weichheit der Daunen, die Un- beständigkeit des Windes, die Heiterkeit des Sonnenstrahls, die Tränen der Wolke, die versengende Glut des Feuers, die erstar- rende Wirkung des Frostes, die Süße des Honigs, den Blick der Gazelle, die Grausamkeit des Tigers, das Schwatzen der Elster und bildete daraus das erste Weib. Aus weniger ätherischen Substanzen läßt die indische Sint- flutsage das Weib hervorgehen. Die Flut hatte alle Geschöpfe fortgeführt, nur Manu, der erste Mensch, war übrig geblieben. Er lebte betend und fastend, nach Nachkommenschaft begierig, und opferte Butter und Dickmilch. Daraus entstand ein Weib, zu dem Manu sprach: „Wer bist du?“ „Deine Tochter“, ant- wortete das Weib. „Aus jenen Opfergaben hast du mich erzeugt. Ich heiße Segensspruch; wende mich beim Opfer an, dann wirst du reich an Nachkommenschaft und Vieh werden. Welchen Segensspruch du irgend mit mir wünschen wirst, der wird dir ganz zuteil werden,“ Manu lebte mit ihr betend und fastend und erzeugte durch sie das Menschengeschlecht. Welchen Segens- 106 Walther May, spruch erirgend mit ihr wünschte, der ward ihm zuteil. — Diese indische Erzählung steht in wohltuendem Gegensatz zu dem, was der babylonische Mythus über das eheliche Verhältnis der ersten Menschen berichtet. — Auferordentlich wenig scheint sich der mehr auf das Prak- tische gerichtete Geist der Chinesen mit Schöpfungsproblemen abgegeben zu haben. KonrursE begnügte sich mit dem Hinweis, daß alle Wesen mit Einschluß des Menschen durch das Zusammen- wirken von Himmel als Vater und Erde als Mutter erzeugt worden seien. Daneben läuft auch bei den Chinesen die über die ganze Welt verbreitete Vorstellung von der Erschaffung des Menschen aus Erde. So heißt es in einer heiligen Schrift: „Als Himmel und Erde erschaffen waren, fehlte noch der Mensch. Niu-hoa nahm gelbe Erde und bildete daraus den Menschen.“ JUL, Die biogenetischen Mythen der Hebraer. Keine der bisher dargestellten Schöpfungssagen hat einen direkten Einfluß auf die Gestaltung der biogenetischen Ideen in der späteren abendländischen Wissenschaft ausgeübt. Um so be- deutungsvoller sollten in dieser Hinsicht die im alten Testament der Bibel enthaltenen Schöpfungsvorstellungen der Hebräer werden. Jahrhundertelang haben sie das wissenschaftliche Denken der Kulturmenschheit beherrscht und bis in die zweite Hälfte des. 19. Jahrhunderts den biogenetischen Spekulationen die Richtung angewiesen. Sie verdienen daher eine besonders eingehende Würdigung. Nach der Ansicht der meisten Orientalisten ist der Ursprung: der hebräischen Schöpfungsmythen bei den Babyloniern zu suchen. Aus gewissen Übereinstimmungen in den beiderseitigen Erzählungen wird auf die Übernahme der babylonischen Mythen durch die Hebräer geschlossen. Doch soll es sich weniger um eine litera- rische Beeinflussung als um eine solche durch die gesamte geistige Umwelt handeln. Nur darüber, wann die Aufnahme der babylo- nischen Sagen durch die Hebräer stattfand, gehen die Ansichten der Forscher noch weit auseinander. Während die einen an die Zeit des Ursitzes der Hebräer in Urkasdim im 20. Jahrhundert v. Chr. denken, glauben die anderen, daß erst die babylonische Gefan- genschaft der Juden im 6. Jahrhundert v. Chr. Veranlassung zur Na NE Die biogenetischen Mythen der alten Kulturvölker. 107 Übernahme gab. Noch andere verlegen diese in die älteste palä- stinensische Periode der jüdischen Geschichte, mit der Begründung, daß Israel bei seiner Einwanderung in Kanaan ein Land in Besitz nahm, das seit Jahrhunderten unter babylonischem Einfluß stand und in dem die babylonischen Schöpfungsgeschichten schon lange heimisch waren. Bedenkt man, daß auch noch die Zeit der assy- rischen Herrschaft über Juda im 7. Jahrhundert, die des Königtums in Israel im 9. und 8. Jahrhundert, die der Tel Amarnatafeln im 15. Jahrhundert v. Chr. in Anspruch genommen worden sind, so wird man wohl zugeben müssen, daß sich etwas Sicheres über diese Frage nicht ausmachen läßt. Etwas bestimmtere Angaben scheinen über die Zeit gemacht werden zu können, in der die hebräischen Sagen ihre letzte, im alten Testament der Bibel niedergelegte Form erhielten. Vor allem steht hier fest, daß im ersten Buche Moss, der Genesis, zwei verschiedene Schöpfungserzählungen von verschiedenem Alter zu unterscheiden sind, von denen keine Moses zum Ver- fasser hat, die vielmehr beide aus einer viel jüngeren Zeit stammen. Die übliche Bezeichnung „mosaische Schöpfungsgeschichte“ ist daher irrtümlich. Schon seit dem ı2. Jahrhundert haben mehrere Bibelkritiker die Echtheit der fünf Bücher Mose — der Thora oder des Pentateuchs — angezweifelt, und im ı7. Jahrhundert erhob Spinoza in seinem „Theologisch-politischen Traktat“ die Ansicht über allen Zweifel, daß der Pentateuch aus mehreren Quellenschriften besteht, die aus verschiedenen Zeiten stammen und vielleicht nach der Heimkehr der Juden aus der babylonischen Gefangenschaft um 450 v. Chr. von dem Schriftgelehrten Esra zusammengestellt wurden. Höchst bedeutungsvoll für die Beurteilung des Pentateuchs, insbesondere der Genesis und der in ihr enthaltenen Schöpfungs- berichte, wurde eine im Jahre 1753 veröffentlichte Schrift des französischen Arztes AstRuc, eines Mannes, von dem GoETHE sagte, er habe zuerst Messer und Sonde an den Pentateuch gelegt. Er wies darauf hin, daß zwei verschiedene Gottesnamen in den einzelnen Kapiteln der Genesis miteinander abwechseln, indem in den einen Kapiteln der Name „Elohim“, in den anderen der Name „Jahwe“ verwendet wird. Daraus schloß Asrruc, daß der Genesis zwei verschiedene Quellenschriften zugrunde liegen, eine Ansicht, die durch spätere Forschungen nicht nur bestätigt, sondern noch dahin erweitert wurde, daß diese beiden 108 ; Walther May, Schriften außer in der Genesis auch im zweiten, dritten und vierten Buche Mose sowie im Buche Josua zu erkennen sind, und daß außer ihnen noch mehrere andere Quellenschriften in Betracht kommen. Über deren Zahl gehen die Ansichten noch auseinander, was uns hier jedoch insofern nicht berührt, als für die Schöpfungserzählungen der Genesis nur die zwei bereits von Asrruc festgestellten in Betracht kommen: die elohistische und die jahwistische. Von diesen ist die jahwistische die ältere und geht vielleicht bis auf das 9. Jahrhundert v. Chr. zurück, während die elohistische oder Priesterschrift etwa um 500 v. Chr., in der Zeit der babylonischen Verbannung, verfaßt worden sein mag. Betrachten und vergleichen wir nun die beiden Erzählungen mit besonderer Berücksichtigung ihrer biogenetischen Bestandteile! Der elohistische Schöpfungsbericht bildet das erste Kapitel und die Verse 1—4a des zweiten Kapitels der Genesis. Er läßt die Welt in sechs Tagen auf Befehl Elohims entstehen. Die Worte „es werde Abend, es werde Morgen“, die am Schluß jedes Schòpfungsabschnittes wiederholt werden, lassen erkennen, daß die „Tage“ als Zeiträume von 24 Stunden und nicht etwa als größere Perioden, wie vielfach angenommen wurde, aufzufassen sind. Am ersten Tage schafft Elohim das Licht und scheidet Licht und Finsternis. Am zweiten Tage errichtet er die Himmels- feste als Scheidewand der oberen und unteren Gewässer. Am dritten Tage trennt er Land und Meer und erschafft die Pflanzen, von denen jedoch nur die Blütenpflanzen des Landes erwähnt werden, während die blütenlosen Landpflanzen und alle Wasser- pflanzen unberücksichtigt bleiben. Jede Pflanze wird „nach ihrer Art“ geschaffen: „Da gebot Elohim: die Erde iasse junges Grün aufsprossen, samentragende Pflanzen und Fruchtbäume, die je nach ihrer Art Früchte erzeugen, in denen sich Samen zu ihnen befindet auf Erden. Und es geschah so. Da ließ die Erde junges Grün hervorgehen, samentragende Pflanzen je nach ihrer Art, und Bäume, die Früchte trugen, in denen sich ihr Samen befand, je nach ihrer Art. Und Elohim fand, daß es so gut war.“ Nachdem dann Elohim am vierten Tage die Gestirne als Leuchten und Zeitmesser an das Himmelsgewölbe gesetzt hat, erschafft er am fünften Tage die Wassertiere und Vögel, wiederum je nach ihrer Art: „Da gebot Elohim: es soll in den Gewässern Die biogenetischen Mythen der alten Kulturvölker. ‘109 wimmeln von Getier,. lebendigen Wesen, und Vögel sollen über der Erde hinfliegen am Himmelsgewölbe. Da schuf Elohim die großen Seetiere und alle die lebenden Wesen, die sich herum- tummeln, von denen es im Wasser wimmelt, je nach ihrer Art; dazu alle Flügeltiere je nach ihrer Art. Und Elohim fand, daß es so gut war. Da segnete sieElohim und sprach: Pflanzt euch fort, daß ihr zahlreich werdet, und bevölkert die Gewässer im Meere; und auch die Vögel sollen sich mehren auf Erden.“ Der sechste Tag beginnt mit der Erschaffung der Landtiere, die in Vieh, Gewürm und wilde Tiere unterschieden und ebenfalls in getrennten Arten ins Dasein gerufen werden: „Da gebot Elohim: die Erde bringe hervor lebendige Wesen je nach ihrer Art, zahmes Vieh und Gewürm und wilde Tiere je nach ihrer Art. Und es geschah so. Da schuf Elohim die wilden Tiere je nach ihrer Art und das zahme Vieh je nach seiner Art und alle Tiere, die auf dem Boden kriechen, je nach ihrer Art. Da fand Elohim, daß es so gut war.“ Zum Beherrscher aller dieser Wesen wird endlich der Mensch nach dem Ebenbilde Elohims geschaffen: „Da sprach Elohim: Laßt uns Menschen erschaffen als ein Abbild von uns, das uns gleicht, und sie sollen. frei schalten über die Fische im Meere und über die Vögel am Himmel und über die zahmen und alle wilden Tiere und über alles Gewürm, das auf Erden umherkriecht. Und Elohim schuf den Menschen als sein Abbild, als ein Abbild Elohims schuf er ihn; in Gestalt eines Mannes und eines Weibes schuf er sie. Da segnete sie Elohim und sprach zu ihnen: Pflanzt euch fort, daß ihr zahlreich werdet, und bevölkert die Erde und macht sie euch untertan und schaltet über die Fische im Meere und die Vögel am Himmel und über alles Getier, das sich auf Erden tummelt.“ Als Nahrung werden dem Menschen alle samentragenden Pflanzen angewiesen, „die allenthalben auf Erden wachsen, dazu alle Bäume mit samenhaltigen Früchten.“ Viel Kopfzerbrechen hat den Genesisauslegern die Pluralform in der Aufforderung gemacht: „Laßt uns Menschen erschaffen als ein Abbild von uns, das uns gleicht.“ Elohim scheint sich mit diesen Worten an eine Versammlung von Göttern zu wenden, und es ist nicht ausgeschlossen, daß hier noch Spuren der poly- theistischen Anschauungen zu erkennen sind, die den babylonischen Schöpfungsbericht beherrschen. Auch die Gottesebenbildlichkeit des Menschen, der Segensspruch Elohims, durch den dem IIO Walther May, Menschen die Fortpflanzungsfähigkeit und die Herrschaft über die Tiere verliehen werden, sowie das göttliche Gebot, das dem Menschen nur Pflanzen als Nahrung zuweist, sind wahrscheinlich uralte heidnische Züge. Der ganze Charakter der elohistischen Schöpfungserzählung, besonders ihre geläuterte Gottesvorstellung, läßt darauf schließen, daß ihr unbekannter Verfasser ein hochgebildeter Schriftgelehrter war. Dagegen haben wir uns als Verfasser der jahwistischen Erzählung, die den Hauptinhalt des zweiten Genesiskapitels bildet, wahrscheinlich einen jüdischen Ackerbauer zu denken, der sich die Entstehung der Welt nach seinem beschränkten Gesichtskreis zurechtlegte. Gleich der Eingang des Berichts berührt die Interessen des Ackerbauers. Es wird gesagt, daß es noch kein Gesträuch auf Erden gab und noch keine Pflanzen auf den Fluren gewachsen waren, weil Jahwe noch keinen Regen hatte auf die Erde fallen lassen und noch keine Menschen da waren, um den Boden zu bebauen. Diese beiden Bedingungen für den Ackerbau werden aber alsbald geschaffen. Zunächst steigt Wasser aus der Erde empor und befeuchtet allenthalben ihre Oberfläche. Sodann bildet Jahwe den Menschen, d. h. den Mann, aus Erde vom Acker- boden und bläst ihm Lebensodem in seine Nase, so daß er ein lebendiges Wesen wird. Hierauf pflanzt Jahwe einen Baum- garten an in Eden im Osten und läßt dort allerlei Bäume aus dem Boden emporwachsen, lieblich anzusehen und mit wohl- schmeckenden Früchten, dazu auch den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse. In diesen Garten versetzt Jahwe den Menschen, damit er ihn bebaue und bewache und gibt ihm die Weisung: „Von jedem Baume im Garten kannst du nach Belieben essen, dagegen von dem Baume der Erkenntnis von Gut und Böse, von dem darfst du nicht essen, denn sobald du davon issest, mußt du sterben.“ Weiterhin erwägt Jahwe, daß es für den Menschen nicht taugt, allein zu sein, und er will ihm daher einen Beistand schaffen, der ihm entspricht. Man erwartet nun die Erschaffung des Weibes, aber Jahwe formt vorher noch aus Erdreich alle Tiere auf der Erde und alle Vögel unter dem Himmel und bringt sie zum Menschen, um zu sehen, wie er sie benennen würde. Der Mensch gibt nun allen Tieren Namen, findet aber keinen Beistand, der Die biogenetischen Mythen der alten Kulturvölker. TI ihm entsprochen hätte. Jetzt erst schafft Jahwe das Weib aus der Rippe des Mannes. Er läßt den Menschen in einen tiefen Schlaf fallen, entnimmt ihm die Rippe und füllt ihre Stelle mit Fleisch aus. Sodann gestaltet er die Rippe zu einem Weibe und führt es dem Menschen zu, der es für seinesgleichen erkennt mit den Worten: „Ja, die ist endlich Gebein von meinem Gebein und Fleisch von meinem Fleisch; die soll Männin heißen, denn von einem Mann ist sie entnommen.“ i Der Unterschied dieser Erzählung von der elohistischen ist unverkennbar. Jahwe, der jüdische Nationalgott, der mit seinen Händen den Menschen und die Tiere formt, wird viel mensch- licher gedacht als Elohim, der Gott aller Menschen, der die Welt durch sein Wort ins Dasein ruft. Der Elohist umfaßt in seiner Erzählung das ganze Weltall, der Jahwist berücksichtigt nur die nächste Umgebung des ackerbautreibenden Menschen. Elohim schafft die Pflanzenwelt überhaupt, Jahwe pflanzt nur einen Baumgarten im Osten. Nach dem Elohisten wird der Mensch zum Beherrscher. der Erde geschaffen, nach dem Jahwisten nur zum Bebauer des Gartens Eden. Von sechs Schöpfungstagen weiß der Jahwist nichts, ebensowenig der Elohist von einem Baum des Lebens und einem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. Nur der Jahwist erzählt von der Formung des Mannes und der Tiere aus Erde, des Weibes aus der Rippe des Mannes. Nach dem elohistischen Bericht werden dem Menschen alle ef- baren Pflanzen als Nahrung angewiesen, nach dem jahwistischen ist es ihm verboten, vom Baum der Erkenntnis zu essen. Zudem ist die Reihenfolge der Schöpfungsakte in beiden Sagen durchaus verschieden. Nach der elohistischen Erzählung entstehen von den Lebewesen zuerst die Pflanzen, dann die Wassertiere und Vögel, dann die Landtiere und zuletzt der Mensch, und zwar Mann und Weib gleichzeitig. Nach dem jahwistischen Bericht dagegen wird zuerst der Mann geformt, dann der Baumgarten in Eden gepflanzt, dann die Tierwelt und zuletzt das Weib geschaffen. Von den Tieren werden nur die Landtiere und die Vögel erwähnt; die Tiere des Meeres berühren den Ackerbauer nicht. So grundverschieden aber auch beide Erzählungen sind, ein gemeinsamer Zug geht durch beide hindurch: die anthropozen- trische Auffassung. Der Mensch ist Ziel und Zweck der ganzen Schöpfung; und es ist durchaus im Geiste der biblischen Lehre gedacht, wenn es im Talmud heißt: „Es ist jedermanns Pflicht, 102 Walther May, die Überzeugung zu hegen, daß die ganze Welt nur seinetwegen geschaffen ist.“ — In engem nenn mit den biblischen Schôpfungssagen: steht die in den Kapiteln 6—8 der Genesis enthaltene Sintflut- erzählung der Hebräer, indem sie verständlich zu machen versucht, wie die Tier- und Menschenschöpfung vor dem Untergang bewahrt wurde und bis zur Jetztzeit sich trotz der Flut erhalten konnte. Auch hier sind zwei verschiedene, auf die babylonische Sintflut- sage zurückgehende Quellenschriften, eine elohistische und eine jahwistische, zu einer einzigen Erzählung verschmolzen, nur viel inniger als bei der Schöpfungsgeschichte. Nach Kapitel 6 befiehlt Elohim dem Noah: „Für dich aber geht mein Wille dahin, daß du samt deinen Söhnen und deinem Weibe und deinen Schwieger- töchtern in das Schiff hineingehen sollst. Und von allen lebenden Wesen, von allen Geschöpfen, sollst du je zwei von allen mit- hineinnehmen in das Schiff, um sie samt dir am Leben zu erhalten; je ein Männchen und ein Weibchen soll es sein. Von den Vögeln je nach ihrer Art, von den Vierfüßlern je nach ihrer Art, von allem Gewürm je nach seiner Art sollen immer zwei zu dir in das Schiff eingehen, damit sie am Leben bleiben.“ Dieser Befehl wird im 7. Kapitel noch einmal dem Jahwe in den Mund gelegt, aber in durchaus anderer Form: „Da gebot Jahwe dem Noah: Begib dich samt deiner ganzen Familie hinein in das Schiff; denn dich habe ich rechtschaffen vor mir erfunden in dem gegenwärtigen Geschlecht. Von allen reinen Tieren nimm zu dir je sieben, jedesmal ein Männchen mit seinem Weibchen, und von den nichtreinen Tieren je zwei, je ein Männchen mit seinem Weibchen. Auch von den Vögeln unter dem Himmel je sieben, damit allenthalben auf der Erde ein Stamm erhalten bleibe.* Nur der Jahwist macht also den Unterschied zwischen reinen und un- reinen Tieren. Aber auch noch andere Unterschiede finden sich: So hat nur der jahwistische Bericht die Erzählung, daß Noau einen Raben und drei Tauben aussandte, um zu erkunden, ob die Wasser sich verlaufen hätten. Ferner beträgt die Dauer der Flut nach der elohistischen Fassung 375, nach der jahwistischen nur 61 Tage. — Außer dem alten Testament kommen für die biogenetischen Anschauungen der Hebräer und ihrer Schriftgelehrten der Tal- mud, die Midraschim und die Kabbala in Betracht. Der Talmud legte die mündliche Lehre fest, die sich vom 5. Jahrhundert v. Chr. Die biogenetischen Mythen der alten Kulturvòlker. I: bis zum 5. Jahrhundert n. Chr. entwickelt hatte, und wurde im 11. Jahrhundert noch durch den Kommentar des Rabbi RAscHI ergänzt. Das Sammelwerk der Midraschim entstand in den Jahren 30—g00 n. Chr., und die Kabbala enthält die mystische Religionsphilosophie des jüdischen Mittelalters, die aus der älteren Geheimlehre hervorging. Die Talmudisten verbreiten sich mehrfach über die Erschaffung der Tiere. Die Säugetiere sollen aus Erde, die Fische aus Wasser und die Vögel aus dem mit Sand vermischten Wasser, also aus Schlamm, erschaffen worden sein. Nach dieser verschiedenen Art der Entstehung hat sich die Art des Schlachtens der Tiere zu richten. Bei dem aus Erde erschaffenen Hornvieh müssen Speise- und Luftröhre durchschnitten werden. Bei dem aus dem Schlamm geschaffenen Geflügel genügt es, eine der beiden Röhren zu durchschneiden. Die aus dem Wasser geschaffenen Fische bedürfen überhaupt keines Schlachtens. Neue Species sind nach der Schöpfung nicht mehr entstanden, auch das Maultier ist trotz seiner Bastardnatur ursprünglich erschaffen worden. Dagegen sind zwei Tiere vollständig aus der Schöpfung verschwunden: der Schamirwurm und der Tachasch. Jener wurde in der dem sechsten Schöpfungstage folgenden Abenddämmerung geschaffen, hatte die Größe eines Gerstenkornes und vermochte den härtesten Gegenstand zu zerteilen. König SALOMO bediente sich seiner beim Tempelbau zum Spalten der Steine. Mit dem Untergang des zweiten Tempels verschwand der Wurm. Der Tachasch, dessen Haut Moses zum Bau der Stiftshütte benutzte, war ein eigentüm- liches, bloß zu diesem Behuf erschaffenes Tier, das ein Horn auf der Stirne trug. Nicht minder phantastisch als diese Fabeln sind einige, an- scheinend auf PLinıus zurückgehende Angaben des Talmud über die Entstehung einer Tierart aus einer anderen. So soll aus einer männlichen Otter nach sieben Jahren eine Fledermaus werden, aus dieser nach sieben Jahren ein Vampyr und aus der Wirbel- säule des Menschen ebenfalls nach sieben Jahren eine Schlange. Der Skink wird als „Sohn der Riesen“ bezeichnet, weil man ihn aus den Hiern des gewaltigen Krokodils entstanden glaubte. Auch mit Rücksicht auf die Möglichkeit einer fruchtbaren geschlechtlichen Vermischung nehmen viele Talmudisten keine scharfen Grenzen zwischen den einzelnen Tierarten an. Obgleich einige lehren, eine Befruchtung könne weder zwischen reinen und 114 Walther May, unreinen, noch zwischen wilden und zahmen Tieren stattfinden und nur solche Tiere könnten sich paaren, deren Begattungsweise und Schwangerschaftsdauer dieselbe sei, sprechen andere von Kühen, die Pferde oder Kamele gebaren, sowie von der frucht- baren Begattung zwischen Schlange und Kröte, Delphin und Mensch, Eva und der Schlange. Die Sintflutgeneration wird be- schuldigt, zahmes Vieh mit wilden Tieren und diese mit Menschen zur Begattung gebracht zu haben, aus welcher Zeit der Vogel Metuschalmi übrig geblieben sein soll, der sich mit allen Tieren und mit dem Menschen begattete. Während sich für diese Phantastereien keine Anhaltspunkte in den biblischen Schöpfungserzählungen finden, sind die Betrach- tungen der Talmudisten über die zweckmäßige Einrichtung der Lebewesen ganz dem Geist der elohistischen Sage entsprechend, nach der Elohim alles gut fand, was er geschaffen hatte. Die Tiere und Menschen sind nach dem Talmud ihren Lebensbe- dingungen entsprechend gebaut. Jedes der vier Elemente, Erde, Wasser, Luft und Feuer, hat seine eigentümlichen großen Tiergat- tungen, die, wenn sie aus ihrem Element in ein anderes übergehen, sogleich sterben. Die Steppenbewohner haben geschlitzte Augen, damit ihnen der Flugsand nicht in die Augen dringt. Die Füße der Afrikaner sind breit und platt, damit sie nicht in dem sumpfigen Boden ihres Wohnortes versinken. Das Kamel hat einen kurzen Schweif, weil es sich von Dornen ernährt und ein längerer Schweif an diesen hängen bleiben und es arg belästigen würde. Das Rind hat einen langen Schweif, weil es an feuchten Orten lebt, wo es sich die zahlreichen Mücken vom Leibe halten muß. Das Huhn zieht beim Schließen der Augen das untere Lied über das obere, weil es auf dem Dachgebälke schläft, wo der aufsteigende Rauch es sonst blenden würde. Eine Midraschstelle beantwortet die Frage, zu welchem Zweck die lästigen Insekten erschaffen worden sind, mit folgenden Worten: „Du hältst Fliegen, Flöhe und Mücken für überflüssig, und doch haben sie ihren Zweck in der Schöpfung; sie sind Mittel zur Ausführung der Pläne der Vor- sehung.“ Auch werden Beispiele dafür angeführt, daß Bosewichter von jenen Geschöpfen geplagt wurden. Reich sind die religiösen Schriften der Juden an Sagen über die Erschaffung der ersten Menschen, ihre leibliche und geistige Ausstattung. In seiner schönen Arbeit „Schöpfung und Sünden- fall des ersten Menschenpaares im jüdischen und moslemischen Me Die biogenetischen Mythen der alten Kulturvölker. . 115 Sagenkreise“ hat August WÜNSCHE uns mit ihnen bekannt gemacht. Mehrere dieser Sagen beziehen sich auf die Erwägungen, die Gott anstellt, als er den Entschluß gefaßt hat, den Menschen zu schaffen. Er fragt sich, ob er ihn nach der Ähnlichkeit der ‚oberen oder nach der Ähnlichkeit der unteren Wesen bilden soll. Erschaffe ich den Menschen nach der Ähnlichkeit der oberen Wesen, sagt er sich, so lebt er ewig und stirbt nicht; erschaffe ich ihn nach der Ähnlichkeit der unteren Wesen, so stirbt er und lebt nicht ewig. Deshalb beschließt er, ihn sowohl nach der Ähn- lichkeit der oberen als auch nach der Ähnlichkeit der unteren Wesen zu bilden. Der Mensch ißt, trinkt, vermehrt sich und stirbt wie die Tiere; er geht aufrecht, spricht, versteht und sieht wie die Dienstengel. Nach einer anderen Fassung dieser Sage überlegt Gott so: Schaffe ich den Menschen wie die oberen Wesen, so werden diese um ein Geschöpf vermehrt, und der Friede in der Welt ist gestört; schaffe ich ihn wie. die unteren Wesen, so sind diese um ein Ceschôpf vermehrt, und der Friede ist auch gestört. Und deshalb vereinigt er in ihm Eigenschaften der oberen und der unteren Wesen. Eine sinnige jüdische Sage hat den Streit der Dienstengel bei der Erschaffung des Menschen zum Gegenstand. Die einen wollten, der Mensch solle erschaffen werden, die anderen wollten es nicht. Die Gnade sprach: er soll erschaffen werden, denn er wird mildtätig sein; die Wahrheit sprach: er soll nicht erschaffen werden, denn er wird sich der Lüge hingeben; die Gerechtigkeit sprach; er soll erschaffen werden, denn er wird Gerechtigkeit üben; der Friede sprach: er soll nicht erschaffen werden, denn es wird nur Zank und Streit entstehen. Da nahm Gott die Wahr- heit und warf sie zu Boden, und während die Engel noch stritten, nahm er schnell die Erschaffung des Menschen vor und sagte dann zu den Engeln: Was streitet ihr noch, der Mensch ist ja bereits erschaffen. Einige Sagen wollen die kosmopolitische Natur des Menschen verständlich machen. So wird erzählt, der Leib des ersten Menschen stamme aus Babel, sein Haupt aus Israel und seine Glieder aus den übrigen Ländern. Oder es wird berichtet, Gott habe den Staub, aus dem Adam gebildet wurde, aus allen vier Welt- gegenden zusammengetragen, roten, schwarzen, weißen und gelben. Aus dem roten Staub machte er das Blut, aus dem schwarzen die Eingeweide, aus dem weißen die Knochen und Adern und Zool. Annalen VII. 8 116 Walther May, aus dem gelben das Fleisch. Daher kommt es, daß der Mensch überall auf der Erde zu leben vermag. Auch der Verlauf der Menschenschöpfung und der ihr folgenden Ereignisse wird in den jüdischen Sagen ausführlich behandelt. Die Erschaffung des Menschen erfolgte am Freitag. In der ersten Stunde wurde Adams Staub zusammengehäuft, in der zweiten zu einem unförmlichen Klumpen gestaltet, in der dritten erhielt der Mensch die Glieder, in der vierten die Seele, in der fünften stand er aufrecht, in der sechsten benannte er die Tiere, in der siebten wurde ihm Eva zugeführt, in der achten erzeugte er mit ihr zwei Kinder, in der neunten erging an Adam und Eva der Befehl, nicht vom Baum der Erkenntnis zu essen, in der zehnten übertraten sie das Verbot, in der elften wurden sie gerichtet und in der zwölften aus dem Paradiese vertrieben. In glänzenden Farben malen die religiösen Schriften der Juden die körperlichen und geistigen Eigenschaften Adams. Er war von gigantischer Größe und reichte von der Erde bis zum Himmels- gewölbe oder von einem Ende der Welt bis zum anderen. Erst als er gesündigt hatte, verkleinerte ihn Gott durch Auflegen seiner Hände. Nach einer anderen Erzählung fürchteten sich die Dienst- engel vor dem riesenhaften Adam, wurden bei dem Schöpfer vorstellig, und dieser verkleinerte den Menschen aufihren Wunsch. Doch soll Adam nach dieser Verkleinerung noch immer 1000 Ellen gemessen haben. Dieser ungeheuren Größe des ersten Menschen entsprach seine unvergleichliche Schönheit. Adam wurde als kräftiger, zwanzigjähriger Jüngling geschaffen, sein Fußballen und noch mehr sein Antlitz verdunkelten den Glanz der Sonne. Gott hatte ihn mit dem Lichte des ersten Schöpfungstages ausgestattet, mit dem er von einem Ende der Welt bis zum anderen sehen konnte. Erst dem verderbten Sintflutgeschlecht wurde dieses Licht entzogen. Nicht weniger glänzend als die körperliche war die geistige Ausstattung Adams. Er hatte eine herrliche Seele, an die nach kabbalistischer Auffassung alle anderen Menschenseelen, 600000 an der Zahl gebunden waren. Gott ließ ihm bei seiner Erschaffung durch einen Engel ein Buch überreichen, das alle göttliche und menschliche Weisheit enthielt und aus dem er den Zusammenhang der Welt und die Ursache der Himmelsbewegungen erkannte. Auch lehrte Gott ihn alle Handwerke, führte ihn in der ganzen GT = Die biogenetischen Mythen der alten Kulturvölker. 10107 Welt herum und ließ ihn den Verlauf der Geschichte bis an das Ende der Tage schauen. In eigentümlichem Gegensatz zu diesen Schilderungen stehen die talmudischen Angaben, daß Adam geschwänzt war, sich mit den Tieren des Paradieses begattete und Eva aus seinem abge- schnittenen Schwanze erschaffen wurde. Der Bart Adams soll aus dem Schweiß der nachparadiesischen Arbeit hervorgegangen sein. Auch die Erschaffung des Weibes ist von den Juden vielfach sagenhaft ausgeschmückt worden. Die jahwistische Schöpfungs- erzählung hatte die Frage offen gelassen, warum das Weib später erschaffen wurde als der Mann. Nach dem Talmud geschah dies deshalb, weil Gott wollte, Adam solle zuerst das Verlangen nach dem Weibe aussprechen, da er später Klage über es führen würde. Um dieses Verlangen zu erwecken, führte Gott die Tiere paarweise anAdam vorüber, und als dieser jedes Tier mit seinem weiblichen Genossen sah, wollte auch er eine Genossin besitzen. Eigenartig sind die Überlegungen, die Gott darüber anstellt, aus welchem Teile Adams er das Weib bilden solle. Er will es nicht aus dem Kopf erschaffen, damit es nicht hochmütig, nicht aus dem Auge, damit es nicht schaulustig, nicht aus dem Ohr, damit es nicht neugierig, nicht aus dem Munde, damit es nicht geschwätzig, nicht aus dem Herzen, damit es nicht eifersüchtig werde, nicht aus der Hand, damit es nicht alles betaste, nicht aus dem Fuße, damit es nicht auf der Straße herumlaufe. Und so bildete er Eva aus einem verborgenen Teile Adams und sprach beijedem Gliede, das er ihr erschuf: sei ein züchtiges, bescheidenes Weib. Aber die Absicht des Schöpfers verwirklichte sich nicht, indem das Weib alle die Eigenschaften besitzt, die der Schöpfer bei ihm vermeiden wollte: es ist hochmütig, schaulustig, neugierig, geschwätzig, eifersüchtig, betastet alles und rennt überall herum. Gewisse wirkliche oder vermeintliche Unterschiede des Weibes vom Mann erklärt die jüdische Sage aus der verschiedenen Ent- stehungsweise der beiden Geschlechter. Das Weib geht mit aufrechtem Haupt, der Mann mit zur Erde gebeugtem Gesicht. Denn das Weib schaut nach dem Ort seiner Entstehung, und der Mann schaut nach dem Ort seiner Entstehung. Das Weib muß sich parfümieren, der Mann dagegen nicht. Denn der Mann wurde aus Erde gebildet, und die riecht niemals übel; das Weib aber wurde aus einem Knochen gebildet, und wenn man Fleisch auch nur drei Tage ohne Salz liegen lässt, so fängt es an zu 8* Dl gue 118 Walther May, riechen. Der Mann ist leicht, das Weib dagegen schwer zu be- sänftigen. Denn der Mann wurde aus Erde gebildet, und wenn man auf diese auch nur einen Tropfen Wasser bringt, so wird sie sofort weich; das Weib aber wurde aus einem Knochen gebildet, und wenn man diesen auch noch so lange in Wasser legt, so wird er doch nicht weich. Nach einer auf platonischen Einfluß zurückgehenden Sage wurde Eva nicht aus der Rippe Adams, sondern aus der einen Hälfte eines Mannweibes erschaffen. Der Mensch war früher ein doppelgeschlechtiges Wesen und hatte zwei Gesichter. Gott zersägte ihn in zwei Hälften, bildete zwei Rücken und machte aus der einen Hälfte den Adam, aus der anderen die Eva. Nichtjüdischen Ursprungs ist auch die Lilithsage des Talmud. Nach ihr hatte Adam bereits vor Eva eine Gefährtin, die Lilith, ein Mittelgeschöpf zwischen Mensch und Engel, das wie der Mann aus Erde geschaffen war. Sofort nach ihrer Verheiratung mit Adam begann der Streit um die Herrschaft. Keines wollte dem anderen gehorchen, und Lilith berief sich auf ihren gleichartigen Ursprung. Da keine Einigung zu erzielen war, verließ Lilith den Adam und weigerte sich zu ihm zurückzukehren, nahm es vielmehr lieber auf sich, daß an jedem Tage hundert von ihren Kindern sterben. Seitdem führte sie als Dämonin ein unheilvolles Dasein und verwandelte sich später in die Schlange des Para- dieses, die aus Eifersucht den Adam und ihre Nachfolgerin zu verderben suchte. Manche Künstler, wie Hugo van DER Goks, Lukas CranacH der Ältere, MICHEL ANGELO und RAFFAEL, die in ihren Sündenfallbildern die Schlange mit einem weiblichen Kopf oder Oberkörper dargestellt haben, sind vielleicht durch die Lilith- sage beeinflußt worden. Ganz anders wie das Verhältnis Adams zu Lilith faßt die jüdische Sage die Beziehungen zwischen Adam und Eva auf. Als Adam aus seinem Schlafe erwachte und F.va erblickte, umarmte er sie, küßte sie und sprach: „Gesegnet seist du dem Ewigen, bei meinem Gebein! Dir steht es zu, Weib genannt zu werden.“ Gott in eigener Person machte den Brautführer, schmückte die Braut, errichtete die Ehrenbaldachine und sorgte für das üppige Hochzeitsmahl. Nicht weniger wohltuend als diese Erzählung berührt die Antwort des Talmud auf die Frage, warum Gott das ganze Menschengeschlecht von einem Paare abstammen ließ. Wir sollen Die biogenetischen Mythen der alten Kulturvölker. 119 daraus die Lehre ziehen, daB wer nur eïn einziges Menschenleben vernichtet, gleichsam sich an der ganzen Menschheit versündigt, und wer hingegen auch nur ein einziges Menschenleben errettet, die ganze Menschheit vor dem Untergang bewahrt. Auch soll es uns zur Eintracht mahnen und verhindern, daß der eine sich über den anderen, seiner vornehmen Abstammung wegen, erhebe. III. Die biogenetischen Mythen der Germanen, Griechen und Römer. So eingehend und liebevoll die hebräische Kosmogonie den Ursprung der Lebewesen behandelt, so arm ist die nordisch-ger- manische Schöpfungssage an biogenetischem Inhalt. In den ältesten und reichhaltigsten Quellen der germanischen Mythologie, der poetischen und prosaischen Edda, die im 11. und 13. Jahr- hundert auf Island entstanden, berühren mehrere Erzählungen den Ursprung der Welt, ohne aber den Lebewesen besondere Beachtung zu schenken. Da ist zunächst der Gewittermythus von Grimner und Gerrot: Wodan, mit einem blauen Obergewand bekleidet, kommt unter dem Namen Grimner, der Verhüllte, in den Hof des Wetterdämonen Gerrot oder Rotspeer. Dieser nimmt ihn gefangen und setzt ihn zwischen seine feurigen Kessel, die blitzenden Wolken. Der Sohn Gerrots, Agnar, reicht dem Gequälten einen Erquickungstrank, den erlösenden Gewitterregen. Als Dank dafür und um Agnar zu bewegen, auch die Kessel wegzunehmen, belehrt Grimner ihn über die Entstehung und Ordnung der Welt. Himmel und Erde gingen aus den verschiedenen Teilen eines Riesen, namens Ymir oder Urgebraus hervor: „Aus Urge- braus Fleisch ward die Erde geformt, aus seinem Schweiße die See, aus Gebeinen die Berge, die Bäume vom Haar, vom Hirn- schädel der Himmel. Die Brauen setzten sorgende Götter den Menschensöhnen um Mittgart; die wildgesinnten Wolken sind aus dem Hirn im Schädel geschaffen.“ Von den lebenden Wesen werden hier nur die Bäume erwähnt, die aus den Haaren Ymirs entstanden. Von den Tieren und Menschen ist nicht die Rede. Ferner kommt die Erzählung ,Wodan und Wabetrut“ in Betracht, die den Kampf des Sommers mit dem Winter symbolisch 120 Walther May, darstellt. Wodan besucht den Riesen Wabetrut, und beide gehen eine Wette um den Kopf ein, wer von ihnen der weiseste sei. Jeder stellt dem anderen eine Reihe von Fragen; Wodan beantwortet alle, Wabetrut vermag die letzte nicht zu beant- worten und verliert daher den Kopf. Unter den Fragen Wodans ist auch eine über die Entstehung der Weit: „Wabetrut, wenn du die Weisheit dir wahrst, künde mir, kannst du, das Erste: der Ursprung der Erde, des Überhimmels, wie wars damit, wissender Riese?“ Wabetrut antwortet: „Aus Urgebraus Fleisch ward die Erde geformt, das Gebirge aus seinen Grebeinen, der Himmel vom Schädel des schneekalten Riesen, aus seinem Schweiße die See.“ Es wird also hier die Sage von Ymir, dem Urriesen, wiederholt, nur weniger ausführlich als in dem Mythus von Grimner und Gerrot und mit gänzlicher Übergehung der lebenden Wesen. Eine dritte Dichtung, die Kunde der Wala, berichtet wenigstens über die Erschaffung der Menschen. DieWala, die Verkörperung des Erdlebens, kündet Walvaters Wirken von der Schöpfung der Erde und Gestirne an bis zum Untergang und der Wiedergeburt der Welt. Die Entstehung der Pflanzen und Tiere läßt auch sie unerwähnt; von den Menschen weiß sie zu erzählen, daß drei Götter sie aus Ask und Embla, Esche und Erle, erschufen: „Einst gingen auch drei vom Göttergeschlechte, hohe, huldvolle Hallen- beherrscher, und fanden am Strande, der Stärke noch ledig, Ask und Embla, ohne Bestimmung. Nicht Seele noch Sinn besaßen die beiden, nicht Leben, noch Blut noch Lebensfarbe: die Seele gab Wodan, den Sinn gab Häner, das Leben, die Farbe gab Loge dazu.“ — Wie in der nordisch-germanischen, so wird auch in der griechisch-romischen Kosmogonie der Ursprung der Lebewesen, den Menschen ausgenommen, nur wenig beachtet. Hesiod läßt in seiner „Iheogonie“ die biogenetische Frage unberührt und beschränkt sich in seinen „Hauslehren“ auf wenige Andeutungen über die Entstehung des Menschen. Er unterscheidet fünf auf- einander folgende Geschlechter, von denen die beiden ersten durch die Götter überhaupt, die drei anderen durch Zeus allein geschaffen wurden. Zuerst erstand ein goldenes Geschlecht, das den Göttern gleich und vollkommen glücklich war: „Erst ein goldenes Geschlecht der vielfach redenden Menschen Schufen die Ewigen einst, die Bewohner im Haus des Olympos. Die biogenetischen Mythen der alten Kulturvölker. 121 Als die lebten, da war noch Kronos König im Himmel. Und wie die Götter, so lebten sie all, ganz ohne Betrübnis, Weit von Mühe getrennt und Arbeit; klägliches Alter Nahete nicht; sie blieben an Hand und Fuße sich immer Gleich, voll Freud am Mahle, des Übels ledig in allem.“ Sodann folgte ein silbernes Geschlecht, das schon weit unvoll- kommener war als das goldene: „Wiederum aber ein anderes Geschlecht, um vieles geringer, Silbern — schufen hernach die Bewohner im Haus des Olympos, Weder an Wuchse dem goldenen gleich, noch durch die Gesinnung.“ Nach dem Untergang des silbernen rief Zeus das erzene Ge- schlecht ins Dasein, das sich durch seine Wildheit und Kriegslust unvorteilhaft auszeichnete: „Jetzt ein anderes, drittes Geschlecht vielstimmiger Menschen Machte von Erz Allvater, in allem dem silbernen ungleich, Wild und schrecklich mit eschener Lanz und welche des Ares Traurige Werke betrieben mit Unrecht; Früchte der Erde Aßen sie nicht; die trugen von Demant harte Gemüter, Unnahbar; entsetzliche Kraft und schreckliche Fäuste Hingen herab von der Schulter auf mächtigem Gliedergebäude. Dort war jegliche Waffe von Erz, Erz jegliche Wohnung, Erz ihr Ackergerät; noch gabs kein dunkeles Eisen.‘ Besser als das erzene war das vierte, das Heroengeschlecht: „Aber sobald auch das dritte Geschlecht zum Grabe gesunken, Schuf noch ein anderes, viertes, auf vielernährendem Erdreich Zeus, der Kronid, und dies war rechtlicher, edleren Herzens, War der Heroen göttlicher Stamm.“ Zuletzt erstand das ganz verderbte eiserne Geschlecht, dem anzugehören der Dichter lebhaft beklagt: „Drauf — o müsste ich nicht im fünften Geschlechte daheim sein, Stürbe zuvor schon, oder — ich würde erst später geboren! Denn jetzt ist es ein eisernes Volk; und nimmer am Tage Ruhn sie von Arbeitslast und Leid, ja selber die Nacht nie, — Sündiges Volk! Dem senden die Götter beschwerliche Sorgen; Dennoch wird auch ihnen zum Unheil Freude gemengt sein.“ Anscheinend ist es des Dichters Meinung, daß die verschie- denen Geschlechter der Menschen aus den Stoffen gebildet wurden, nach denen sie benannt sind, aus Gold, Silber, Erz und Eisen. Nur der Stoff, aus dem das Heroengeschlecht geformt wurde, wird nicht angegeben. Einen besonderen Ursprung schreibt Hesron der verführerischen Unheilstifterin Pandora zu. Zeus befiehlt dem Hephaestos, sie aus einer Mischung von Erde und Wasser 122 Walther May, zu erschaffen, und mehreren anderen Göttern, ihr bestrickende Reize zu verleihen: Und dem Hephästos gebot er, dem herrlichen, ohne Verziehen Erde mit Wasser zu mengen, die Stimm und Kräfte des Menschen Ihr zu vereinen ; unsterblichen Göttinnen aber an Antlitz Sollte die Jungfrau gleichen an lieblicher Schöne; die Pallas Sollte die Werke sie lehren, am Webstuhl schöne Gewebe, Anmut leihen am Haupt Aphrodite, die goldene Göttin, Unruhvolle Begier und gliederzierende Sorgfalt. Listige Sitt und dreiste Gesinnung sollte zuletzt noch Hermes ihr einflößen, der hurtige Argosmörder. So sprach Zeus, und jene gehorchten dem Herrscher Kronion. Alsbald formt sie von Erde der hinkende Meister Hephästos, - Züchtiger Jungfrau gleich, ganz nach des Kroniden Gebote.“ In derselben Weise wie hier Hephästos die Pandora erschafft, bildete nach Apollodors Erzählung Prometheus, der Sohn des Titanen Japetus, die Menschen überhaupt. Er vermischte Erde und Wasser und formte daraus menschliche Körper, weshalb er von den Alten als bildender Künstler dargestellt wurde, der einen menschlichen Torso zu vollenden im Begriffe ist. Pau- SANIAS berichtet in seiner Beschreibung Griechenlands von zwei großen, lehmfarbenen Steinen am Ufer eines Sturzbaches bei der phokischen Stadt Panopeus, von denen erzählt wurde, sie seien die Überreste des Lehms, aus dem Prometheus das Menschen- geschlecht erschuf. Der Geruch dieser Steine sollte mit dem der menschlichen Haut die größte Ähnlichkeit haben. In einer kleinen Höhle am Fuße eines Hügels bei Panopeus wird noch heute eine rötliche Erde gezeigt, aus der Prometheus den Menschen ge- bildet haben soll. Um sein Geschöpf zu beleben, stieg der Titane zum Sonnenwagen empor, entzündete seine Fackel daran und blies dem Erdgebilde deren Glut in die Brust. Deshalb wird er auch mit der Fackel in der Hand abgebildet, über der ein Schmetterling als Symbol des belebenden Hauches schwebt. — In seinem „Florilegium“ führt SroBius eine Stelle aus dem grie- chischen Dichter PHILEMON an, nach der Prometheus nicht nur die Menschen, sondern auch die Tiere erschuf und zwar jedes mit seinen Eigentümlichkeiten, den Löwen mit Stärke, den Hasen mit Furcht, den Fuchs mit List und Verschlagenheit. Einen Ursprung aus Steinen erkennt die von APoLLODoR berichtete griechische Sintflutsage dem Menschengeschlechte zu. Nach ihr vernichtete Zeus die eiserne Generation durch eine große Flut, aus der sich Deukalion und Pyrrha retteten. Als Die biogenetischen Mythen der alten Kulturvölker. 123 Deukalion dem Zeus ein Dankopfer brachte, schickte dieser den Hermes zu ihm und erlaubte ihm zu bitten, was er wollte. Da äußerte Deukalion den Wunsch, es möchten ihm zur Gesellschaft wieder Menschen entstehen. Zeus gewährte es, und als auf seinen . Befehl Deukalion und Pyrrha Steine aufhoben und sie rück- wärts über ihre Köpfe warfen, entstanden aus den von Deukalion geworfenen Steinen Männer, aus den von Pyrrha geworfenen Weiber. — Bei den Römern fanden diese griechischen Schöpfungsmythen einen dichterischen Ausdruck in Ovips „Metamorphosen“. Der erste Gesang dieser Dichtung hat den Ursprung der Welt aus dem Chaos zum Gegenstand. Nachdem die Entstehung der Erde und des Himmels geschildert worden ist, wird der lebenden Wesen gedacht, zu denen außer den Tieren auch die Gestirne und Götter gerechnet werden. Doch begnügt sich der Dichter mit der Be- merkung, daß sie da sind, ohne näher auf die Art ihrer Erschaffung einzugehen: „Daß auch keinerlei Raum lebendiger Wesen entbehrte, Herrschen Stern auf himmlischer Flur und Gestalten der Götter; Eigen ward das Gewässer den blinkenden Fischen zur Wohnung; Tiere durchstreiften die Erd, und die Luft ein Gewimmel von Vögeln.“ Ausführlicher verbreitet sich Ovıp über den Ursprung des Menschen. Er läßt es dahin gestellt, ob ihn der Vater der Dinge aus gòttlichem Samen erschuf oder ob Prometheus ihn aus befeuchteter Erde bildete, die noch Samen des befreundeten Himmels in sich enthielt: „Aber ein heiligeres, hochherziger denkendes Wesen Fehlt annoch, das beherrschen die anderen könnte mit Obmacht. Und es erhub sich der Mensch: ob ihn aus göttlichem Samen Schuf der Vater der Ding, als Quell der edleren Schöpfung; Oder ob frisch die Erde, die jüngst vom erhabenen Aether Los sich wand, noch Samen enthielt des befreundeten Himmels. Aber Japetus Sohn, mit fließender Welle sie mischend, Bildete jen in Gestalt der allversorgenden Götter. Und da in Staub vorwärts die anderen Leben hinabschaun, Gab er dem Menschen erhabenen Blick, und den Himmel betrachten Lehret er ihn, und empor zum Gestirn aufheben das Antlitz. Also ward, die neulich so roh noch war und gestaltlos, Umgeschaffen die Erde zum Wunderbilde des Menschen.“ Im zweiten Gesang seiner „Metamorphosen“ kennzeichnet Ovip die vier Weltalter, das goldene, silberne, erzene und eiserne, in ähnlicher Weise wie Hesıop, dessen Heroengeschlecht er jedoch 124 Walther May, übergeht. Im vierten Gesang schildert er, wie aus den von Deu- kalion und Pyrrha geworfenen Steinen ein neues Menschen- geschlecht hervorgeht. , Talwärts gehn sie, verhüllen das Haupt und umgürten die Kleider, Heben gebotene Steine und werfen sie hinter den Rücken. Alles Gestein — wer glaubt es, wofern nicht zeugte die Vorwelt? — Legte die Härt allmählich nun ab und die trotzende Starrheit, Schmeidigte mehr sich und mehr, und geschmeidiget nahm es Gestalt an. Bald, als wachsend es schwoll, und mild schon seine Natur sich Äußerte, schien es beinah wie einige, noch unenthüllte Menschengestalt; doch so, wie von angehauenem Marmor, Nicht vollendet genug und roheren Bildnissen ähnlich. Welcher Teil des Gesteins mit etwas Safte gefeuchtet War und der Erde verwandt, der gab dem Leibe die Glieder; Festeres, was unbiegsamer starrt, wird in Knochen verwandelt; Was als Ader erschien, das bleibt gleichnamige Ader. Und nur wenige Frist, so gewann durch Gnade der Götter Alles Gestein, das der Mann aussendete, männliche Bildung, Und dem Wurfe des Weibes entbliinete weibliche Schönheit. Drum sind wir ein hartes Geschlecht, ausdauernd zur Arbeit; Und wir geben Beweise, woher wir zogen den Ursprung.“ — Eine eigenartige Lehre über die Entstehung des Menschen entwickelte im 6. Jahrhundert v. Chr. die aus Thrakien sich nach Griechenland verbreitende Sekte der Orphiker. Dionysos, der Sohn des Zeus und der Persephone, wurde von seinem Vater zam Beherrscher alles Lebens erhoben. Darob entbrannte Hera vor Eifersucht und stachelte die Titanen auf, den Dionysos zu ermorden. Dieser entging seinen Feinden durch mehrfache Ver- wandlungen, wurde aber schließlich in Gestalt eines Stieres von ihnen zerstückelt und verschlungen. Nur sein Herz rettete Athene und brachte es dem Zeus, der es auch noch verschlang. Sodann schleuderte Zeus seinen Blitzstrahl gegen die Titanen und ver- brannte sie zu Asche. Aus dieser gingen die Menschen hervor, in denen daher ein lichtes, dionysisches mit einem dunklen, tita- nischen Element verschmolzen ist. Im Orphismus hatte die auf Phantasie und Dichtung beruhende mythische Weltbetrachtung des Altertums einen Höhepunkterreicht. Die orphische Mystik bedeutete, wie WINDELBAND mit Recht her- vorhebt, eine Gefahr für das intellektuelle Leben der Griechen. Sie wurde jedoch durch das Erstehen einer verstandesmäßigen, das mythische Gewand abstreifenden Philosophie überwunden. Die griechischen Naturphilosophen des 6. und 5. Jahrhunderts LA Die biogenetischen Mythen der alten Kulturvölker. 125 v. Chr. führten die Weltbetrachtung aus der bunten Fabelwelt der religiösen und dichterischen Vorstellungen in das Gebiet der nüchternen wissenschaftlichen Anschauung. Sie schrieben den unpersönlichen Naturkräften zu, wofür man früher die Götter verantwortlich gemacht hatte. Der Mythus wurde durch die Wissenschaft ersetzt. Titta nori Apollodoros, Bibliotheca. Ex recognitione J. Berkeri. Leipzig 1854. Arrhenius, S. Die Vorstellung vom Weltgebäude im Wandel der Pneu 4.6. Aut eeipzic ion, Bergel, J. 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(1898. 204) besprach, fügte er hinzu: „Könnte uns dieser gelehrte und umsichtige For- scher, dessen Ausführungen auch der Philologe mit Vergnügen liest, doch auch einmal eine ähnliche Untersuchung über ,,elch und schelch‘“ vorlegen!“ — Über den „grimmen Schelch“, diesen hochinteressanten Namen eines fragwürdigen Wildes im Nibelungenliede haben schon viele Forscher ihre Ansicht veröffentlicht — und dennoch werden viele dem Wunsche ScHRÖDERS beistimmen — denn die Frage ist noch immer nicht endgültig gelöst. Am eingehendsten hat sich mit dieser — Daums, ein ver- dienstvoller Forscher, befaßt („Der Schelch des Nibelungenliedes“ — Naturwiss. Wochenschrift 1898. 263), der in seinen interessanten und lehrreichen Arbeiten zu demselben Schlusse gekommen ist, wie sein Vorgänger Busack vor 60 Jahren, daß der Schelch der männliche Elch ist. Auf der Arbeit von Daums fußt auch die heutige wissenschaftliche Auffassung in dieser Frage. Wir haben in der letzten Zeit mehrere kleinere Monographien über einige — wenigstens teilweise — völlig unbekannte alte Säuge- tiernamen verfaßt ,Urgul* und „Halpful“ (Archiv f. Geschich. Naturwiss., — Leipzig 1914. 289), „Meerochs“ (Zool. Annalen 1914. 75); dann „Buffalo“, Bubalus (s. Geschichte des Büffels), „Bolinthos“, „Dama“ etc. Während dieser Studien sind auch 128 B. Szalay, wir zu der Überzeugung gekommen, daß der „Scheich“ tatsäch- lich der männliche Elch ist — aber auf einem wesentlich anderen Wege, als unser ausgezeichneter Vorgänger. — Die Veranlassung zu diesen Zeilen gab gerade der eigentümliche Umstand, daß wir gezwungen sind, fast alle jene Beweise, die Daums zur Bekräfti- gung seiner Ausführungen heranbrachte, in Abrede zu stellen, so z. B. folgende: Daß das Wort Elch der Name des Weibchens gewesen sei derart, wie z. B. beim Hirsch das Wort Hinde; daß Onager das Weibchen, hingegen Alces das Männchen des Elches gewesen sei; daß man unter Onager seit Venantius (VI. Jh.), ja seit (GALENUS den Elch verstanden habe; daß das Bindewort vel in dem Ausdruck „elo vel scelo“ einer Urkunde unbedingt gleich- artige Tiere verbinden müßte; daß der Elch in den verschiedenen Provinzen verschiedene Namen gehabt hätte (Meerochs etc.); daß der Hirsch und die Kuh des Elches irgendwo als verschiedene Tiergattungen betrachtet worden seien, usw. Außer diesen werden wir noch mehrere wichtige Umstände erwägen müssen, die bis jetzt bei unserer Frage vernachlässigt, oder ganz außer acht gelassen wurden, und überhaupt alle An- haltspunkte, die hier in Betracht kommen können, berücksichtigen, was bis jetzt nicht geschehen ist. Vorerst ist es aber unumgänglich notwendig, über die Natur gewisser mittelalterlicher Tiernamen im allgemeinen zu handeln, und besonders einige — teilweise sogar für die Wissenschaft neue — Grundbegriffe aufzustellen und zu beleuchten, ohne welche be- sonders die Tiernamen der alten Glossen bis jetzt immer arg mißverstanden wurden. So ist z.B. die Tendenz, in alten Säugetiernamen unbedingt immer eine der modernen Zoologie entsprechende neue Species auffinden zu wollen, entschieden unrichtig. — Ein sehr gediegener Forscher war geneigt anzunehmen, der Troglodytes des PIER- CANDIDO sei die Langhornrasse des Rindes, der Bonachus sei der Banteng, der Cathopleba — die Akeratosrasse des Büffels 4), der Enchires sei der Yak, der Tragelaphus der Edelhirsch. — In Wahrheit aber ist der Troglodytes nur die Troglodide des ALBERTUS, d. i. das Volk der Troglodyten bei Purivs, welches der zerstreute „Große Albertus“ für eine Rinderrasse ansah; der Bonachus ist gar nichts anders, als der Bonasus des ARISTOTELES, 1) Von dieser liest man wiederholt — existiert sie denn wirklich? — Wo? Der grimme Schelch. 129 ebenso der Enchires (durch die Araber aus centaurus verdorben, siehe meine Arbeit ,1000 Namen des Wisents“) — Vergl.: Zool. Annalen 1914. 151. 152. 156 und MARTENS 1858, 144. — I. Glossentiere. Ein Geograph des XVII. Jahrhunderts, Btscurne, zählt die wilden Tiere Siebenbürgens folgendermaßen auf: Da gibt es , Waldesel, d. i. bonasi, Brandhirsche, d. i. tragelaphi, dann Gemsen“ etc. (1788. II. 562). — Bonasus heißt bekanntlich der Wisent, der damals dort gerade im Aussterben begriffen war. Daß Btscuine ihn Waldesel heißt, scheint derart eigentümlich, lächerlich, ja un- begreiflich zu sein, daß die meisten darin nur eine Verschreibung, oder eine pyramidale Unkenntnis erblicken werden, die ja bei alten Schriftstellern oft nachgewiesen wird. — Tragelaphus ist eine außereuropäische Antilope, Brandhirsch aber eine Farbenabart des Edelhirsches: Mithin wieder eine unverständliche Nebeneinander- stellung. Derlei eigentümliche Tiernameninterpretationen finden wir aber massenhaft in der alten Literatur, wie z. B. dama (eigentlich Damhirsch) — der Hamster; onager (Wildesel) = der Elch etc. (Siehe andere Beispiele in meiner Monographie „Geschichte des Damhirsches‘“). Es wäre aber sehr falsch, alle diese Zusammenstellungen — wie dies bis jetzt meist der Fall war — für Äußerungen gewöhn- licher Unkenntnis zu halten. Dagegen spricht schon die riesige Zahl, in der sie in der Literatur vertreten sind. Auf uns machen sie nur deshalb den Eindruck von Albernheiten, weil wir sie nicht verstehen! Mit anderen Worten — es handelt sich nicht um die Unkenntnis der Alten, — sondern um unsere auf dem Gebiet der mittelalterlichen Tiernamenkunde. Ich beabsichtige nun auf diesem Gebiete eine Lücke auszufüllen, die sich bis jetzt stets fühlbar machte und gebe zu diesem Zweck die Umrißlinien einer bis jetzt nicht bekannten Klasse der mittelalterlichen Tiere, die ich Glossentiere nennen will. a) Unter diesem Ausdruck verstehe ich Tiere, zu deren Kennt- nis den Alten nicht die Beobachtung der Natur verhalf, ebenso nicht zoologische Werke oder Chroniken, sondern die primitiven Anfänge der Wörterbücher, die sogenannten Glossen, das sind die in der Form einer kurzen Auslegung zu fremden Wörtern in den Text eingeschriebenen W ortübersetzungen. — 3 —— 130 BeSzalan, Das ist so freilich unklar, ein Beispiel wird die Sachlage aber klären. Das Wort „dama“ ist seit SoLınus (V. Jh.) der Name des Damhirsches, das überall bekannt war. Wir finden dennoch Glossen, die ganz merkwürdigerweise verkünden, daß: dama = ibex, dama = Hinde, dama = Reh u. dergl. sei. Das Eigentüm- lichste ist dabei jener Umstand, daß der Mönch, der die obigen Glossen abschrieb, in keiner Naturgeschichte lesen konnte, daß der Steinbock lateinisch dama heiße, denn sowohl diese, wie die Chroniken und das lateinisch sprechende Volk verstanden unter dama nur den Damhirsch. Wenn wir nun nachforschen, was für Werke und Quellen das sind, in welchen wir oft derartige, der Sachlage widersprechende Glossen antreffen (wie dama = ibex etc.) so gelangen wir zu dem überraschenden Ergebnis, daß es sich immer um die Heilige Schrift und um die dazu geschriebenen Kommentare (Hieronymus etc.) handelt oder ausnahmsweise um einige lateinische Klassi- ker (VERGILIUS, Horatius), die den alten Mönchen als Lieblings- poeten galten. Derartige merkwürdige Glossen wurden etwas später in größeren Glossarien gesammelt (schon seit dem XI. Jh.); von da gelangten sie in die berühmten gedruckten Wörterbücher des X VI. Jahrhunderts, so daß ich ihre Spuren sogar in Werken des XIX. Jahrhunderts nachweisen konnte. (Gesch. d. Damhirsches). Unter Glossentieren werden wir mithin solche verstehen, deren ganz irriger, unpassender Name ursprünglich nur in Glossen anzutreffen ist. Es besteht aber ein wesentlicher Unterschied zwischen ein- fachen, gewöhnlichen irrtümlichen Namensdeutungen und den Glossentieren. Zu ersteren gehört z. B., wenn der erste Bibel- glossator das jüdische akko (= Wildziege) mit tragelaphos (eine Antilope) übersetzt. Solche Irrtümer kommen auch heute oft vor und haben nichts Außergewöhnliches an sich. Aus dem vorigen tragelaphus wurde aber nun durch einen zweiten Bibelglossator ein Glossentier, der nämlich diesen tragelaphus als den Elch ‘ansprach. — Unsere Glossentiere beruhen mithin meistens auf einem zweifachen Irrtum und stellen mithin durch falsche Glossen verursachte Verwechslungen zweiten Grades dar, die sich in der Literatur jahrhundertelang verfolgen lassen. — Der grimme Schelch. 131 Diese große Rolle, die sie spielen, diese Selbständigkeit unter- scheidet sie wesentlich von den einfachen Irrtümern. Es bleibt uns nun übrig eine Aufklärung zu geben, wie diese komischen Glossen und durch sie die „Glossentiere“ entstanden. Den Grund dazu bot das völlige Nichtverstehen der jüdischen Bibeltiernamen. Im Mittelalter war die Bibel die Grundlage jeder Wissenschaft, auch die der Naturwissenschaften. So befaßte man sich z. B. nur mit dem „Studium“ solcher Tiere, welche die Heilige Schrift namhaft machte. Man kümmerte sich dabei aber gar nicht um die Tiere selbst — die eigentliche Zoologie fehlte ganz in diesen Tierkunden — sondern man suchte nur, was für christliche Lehren, was für christlich-symbolische Momente uns die Lebensgeschichte der Tiere bieten kann. So entstand der sogenannte ,Physiologus“, der sich einer großartigen Beliebtheit erfreute. In diesem wurden an die sehr einfältige und lächerliche Geschichte von ca. 25—32 biblischen Tieren symbolische, andächtige Lehren geknüpft. Eine Hauptquelle der falschen Glossen, mithin der Glossen- tiere, bildet jene Stelle der Bibel, wo Moses die den Juden erlaubten, reinen, zum Genießen geeigneten Tiere aufzählt — (V. Mos. 14, 5.—). Von diesen wußte man aber meistens nicht, was für Tiergattungen sie bedeuten. St. Hieronymus (IV. Jh.) deutete sie z. B. in der Vulgata folgendermaßen: „Das sind die Tiere, welche ihr essen sollet: Rind, Schaf, Ziege, Hirsch — ajal (wie es scheint eigentlich der Damhirsch —), Reh, caprea — cebi (richtiger die Gazelle); Bubalus = jachmur (eigentlich die Kuhantilope); Hieronymus versteht aber gewiß das Urrind unter bubalus, was aus seinen Kommentaren sehr klar hervorgeht, s. meine Monographie: Gesch. d. Büffels; tragelaphus — akko (richtiger eine Steinbockart); pygargus = dison (irgend eine große starke Antilopenart — näher nicht zu bestimmen); oryx = theo oder tho (eine starke Antilope; vielleicht der oryx); camelopardalis-Giraffe — Semer oder Samer (eigentlich eine leicht springende Antilopenart). Die jüdischen Tiernamen wurden aber bei anderen Bibelüber- setzungen ganz anders, oft rein nach der Phantasie interpretiert, Zuerst fälschten sie die griechischen, dann die lateinischen Über- setzungen. Als nun die letzteren in die verschiedenen europäischen Sprachen übertragen wurden, so erfuhren die primären und sekun- dären Fälschungen noch weitere, höhere Grade. Einmal nahm man den griechischen, dann den jüdischen Text. als Grundlage, bald Zool. Annalen VII. 9 132 B. Szalay, kombinierte man beide, so daß schließlich derselbe jüdische Tier- name in den Bibeln mit 20 und 30 verschiedenen Tieren identifiziert wurde, und zwar deshalb, weil ein jeder Bearbeiter trachtete, diese fremden Tiere für das Volk verständlich zu machen, und dieselben mit Tieren der eigenen Heimat wiedergab. Bezeichnend ist z. B., daß in der alten slawischen Bibel aus jachmur, akko und dison endlich ein Büffel (buvoliczu), Urrind (tur) und Wisent (zubr) wurden. LUTHER machte aus dem Semer (bei Hix- RonyMus die Giraffe) ein Elend (= Elch). Dagegen macht schon GEISNER Einwendung, p. 1). Bei anderen ist aber meistens der AKKO der Elch, d. i der tragelaphus des Hieronymus. Elch und Wisent sind aber kälteliebende Tiere, die in der jüdischen Zeit unmöglich in Syrien leben konnten. In wie hohem Grade die Deutungen desselben Tieres aus- einandergehen, beweist am besten folgendes Beispiel: Das Tier „theo“ (Esaias 51,20 und V. Mos. 14,5) eigentlich eine starke Antilopenart heißt a) Waldochs in der deutsch-jüdischen Heiligen Schrift, in der lateinischen, der italienischen und in der rumänischen Bibel, ferner in der Calwer-Übersetzung; b) Auerochs bei BENSEw, LANDAU, MENDELSOHN u. a. c) „Uhrochs“ bei ULENBERG; d) Büffel bei Piscator; in d. deut. und der ital. Bibel; e) Oryx bei VITRÉ usw. f) Wilder Ochs in d. chaldäischen und der franz. Bibel; g) Wilder Esel in d. alten russischen Bibel; h) Steinbock bei ULENBERG; i) Gazelle in einer ungar. Bibel; k) Wildbock in einer rumän. Bibel; l) Bergziege bei LiPPERT; m) Hausochs griechisch; n) Hirsch in einer ungar. Bibel; o) Antilope bei Kerr: p) Einhorn in einer anderen rumän. Bibel; q) Eine Vogelart nach Rabbi ABRAHIN (ALDROVANDI 33); r) Rettig in der griechischen und in der cyrillischen Bibel und s) „aebrochene Schüssel“ in einer griechischen und in der chaldäischen Bibel. — Sapienti sat. — Der gewöhnliche sinaitische Steinbock hieß jüdisch ,jaal“; einige übersetzten ihn aber auch mit dama. So entstand dann die Be Ve Der grimme Schelch. 133 Glosse: Dama = „Steingeis“, was an und für sich albern klingt — sofort gewinnen wir aber den richtigen Sinn der Glosse, wenn wir sie auf ihren Ursprung zurückführen: „Der angebliche dama in der Bibel, d. i. der jaal — ist eine Steingeiß“! Das ist die Formel, nach welcher auch die abenteuerlichsten Glossen sofort einen Sinn gewinnen und verständlich werden können. So gelangen wir zum richtigen Verständnis der Glossentiere in den späteren Wörterbüchern, deren Verfasser, wie ich abermals staunend fest- stellen mußte, bei vielen Tiernamen derart vorgingen, als wäre ihre Pflicht nur die Wiedergabe des Sinnes der Tiernamen in der Bibel gewesen. CoLErRus schreibt z. B. (1645. 603) „Dama, damula, Demhirsch, Demlein, Rupicapra, Dorcas, Ibex und jeelim!) sind dasselbe“ — und daneben finden wir die Zeichnung unserer gewöhnlichen Gemse! Es ist uns jetzt klar, daß CoLERUS bei seinem Studium über den Damhirsch überhaupt nur die Bibel berücksichtigte (was er aber verschweigt) und die Übersetzungen des jüdischen Tieres, namens Jaal, in den verschiedenen Bibelausgaben einfach neben- einander schrieb, wie wenn alle diese Wörter dasselbe bedeuteten ! Das Wörterbuch des CALEPINUS (1568 und 1584) weiß auch nichts davon, daß „dama“ ein Hirsch ist, und berücksichtigt auch nur die Bibel, wenn es sagt: „Dama, — das jüdische Tsebi, — wilder Rehbock, Damhirtz oder eine Gembsen-Gattung“. Überall treffen wir in alten Wörterbüchern auf die Tendenz, den Sinn von ungewöhnlichen Tiernamen rein aus der Bibel wiederzugeben, meistens ohne auf diesen Umstand hinzuweisen. Deshalb haben aber diese Deutungen, sowie diejenigen sehr vieler alten Glossen nur aufdie Bibel bezogen eine Gültigkeit, hingegen gar keine, wenn es sich um andere Werke, z. B. Chroniken, Jagdbeschreibungen etc. handelt! Dieser Grundsatz ist aber bei der richtigen Auffassung alter Tierglossen und bei der Deutung der Tiere in den Glossen überhaupt von ganz her- vorragender Wichtigkeit! Nur auf diese Weise ist es zu verstehen, daß z. B. das dama in vielen Glossen des XII. Jahrhunderts ein ganz anderes Wesen ist, als das echte, ungefälschte biedere dama, d. i. der Damhirsch der Jagdgedichte derselben Zeit. — Dama als ibex inter- pretiert ist aber ein nie da gewesenes Ding, ein Phantasieprodukt — 1) Der Plural von jeel, jüdisch der Ibex. 9* 134 B. Szalay, d. i. ein „Glossentier“! (Siehe viel eingehender in meiner „Ge- schichte des Damhirsches“.) — Es muß der riesigen alten Literatur der Bibel zugeschrieben werden, daß nach vorigem Muster die Kenntnis von einer ganzen Reihe solcher imaginären Tiere verbreitet wurde, die als wirklich existierende Wesen aufgefaßt schließlich ihren Weg in die Zoolo- gien fanden und dort eine wichtige Rolle spielten. So und nicht anders entstand z. B. der europäische „Bockhirsch“ — der aber in Wirklichkeit nie gelebt hat. Viele haben sich schon den Kopf zerbrochen, welche zoologische Species wohl der „Bock- hirsch“ der Alten gewesen sein mag. — Hierbei muß ich aber wieder auf die Wichtigkeit der Erkennung der Glossentiere hinweisen, denn es wäre der größte Irrtum und die vollkommene Verkennung der Tatsachen, wenn wir sie mit wirklich existierenden Tieren gleichstellen wollten. Der „Bockhirsch ist z. B. nichts anderes als die Verdeutschung von tragelaphus, d.i. des typi- schesten aller Glossentiere, welches nur die Glossenschreiber ge- schaffen haben, von welchem das europäische Volk mithin nie etwas wußte, das überhaupt nur durch die falsche Auffassung eines jüdischen Bibelwortes entstand. Wie wir schon darauf hinwiesen, ist es ein tiergeographisches Absurdum den Elch des Nordens im heißen Palästina zu suchen. Und dennoch gibt es mehrere Bibeltiere, die durch Elch wieder- gegeben worden sind, so der theo, der samer, der jachmur (bei BERGER DE XIVREY s. Carus 1872. 123), besonders aber der akko. (V. Mos. 14.5). — Im Porraxschen hebräischen Wörter- buch lesen wir: Theo = Wisent, Elch. Bei LuTHER — wie schon erwähnt worden ist, und in der Käldischen Bibel heißt der samer Elch. Deshalb sagt ALpDRovANDI (1642. p. 1041): Der Elch heißt jüdisch zamer. — Das alte englische Corpus-Glossar sagt freilich damma = &ola (= elah, Elch). MEGENBERG (XIV. Jh.) handelt über den Ibex des GALENUS, den er nicht kannte und gibt seiner Meinung in dieser Weise Ausdruck (p. 141): „Ich waen, ez sei das tier, daz ze däutsch älch haizt“. — Es ist möglich, dal ihn gleichlautende Glossen beeinflußt haben. Dieses Beispiel bildet aber schon den Über- gang zu den gewöhnlichen zoologischen Irrtümern, die selbstverständlich ebenfalls eine große Rolle auf dem weiten Gebiete der Konfusionen!) bei alten Tiernamen spielten. 1) Über diese beklagt sich SCALIGER, 1620. 626, 627 — und GESNER. UNO URL Der grimme Schelch. 135 b) Wie die Mönche (Glossatoren) bei den biblischen Tiernamen, ebenso irrten sich nämlich oft auch die „Fachzoologen“ jener Zeit in der Deutung und Auffassung der Tiere bei den griechi- schen und lateinischen Autoren. Wenn z.B. Pinictanus den Platyceros, — in welchem wir heute den Damhirsch sehen — für einen Elch erklärt (GESNER 1620. 308), so ist das ein ganz kleiner Fehler — wenn es über- haupt ein Fehler ist, — denn wir wissen auch heute nicht mehr von diesem Tier, als daß es ein schaufelförmiges Geweih trug. CAESAR beschrieb einen hirschartigen Ochsen, den bos cervi- figura, der uns heute infolge wichtiger Gründe als der Ren- hirsch gilt. Das Ren wird bei den Alten aber fortwährend mit dem Elch zusammengeworfen. Vom letzteren erzählte man sich, daß er keine Kniegelenke besitze (Prinius) Da Purmtus beide Arten der Wildrinder, den Urus und den Bison erwähnt — hin- gegen CAESAR nur den ersten, so kamen einige auf den Gedanken, daß Carsar gewiß den Bison unter seinem Bos cervifigura meine. So kam dann PEROTTI (1496. p. 229 B. a.) zu seiner uns ganz komisch klingenden Behauptung: „Bison, e boum silve- strium genere, cervifigura, — ohne Kniegelenk“ etc.; es folgt dann die weitere Beschreibung des Elches unter dem Namen Bison! Daraus verstehen wir aber auch ZIEGLER, der sich über die schwedischen Elche folgendermaßen äußert 1536. 103: „Bisontes, quos patria lingua dicunt Elg, id est asinos siluestres*. („Die Bisons heißt man dort Elche, d. i. wilde Esel“.) — Diese Worte übernahm GEsNER 1620 p. 129 auch S. MünstER (1559 p. 839) und durch seine sehr gelesene Kosmographie gelangte der Irrtum dann zu einer großen Verbreitung. Diese alten zoologischen Irrtümer erklären den Fehler eines ungarischen Wörterbuches (Czuczor-Fogarasi 1862), wo der Elch als ein mit dem Wisent identisches Tier bezeichnet wird. Und wir lesen zu unserem Staunen noch in dem 1881 verausgabten Deutsch-ungar. Wörterbuche BaALLAGIS (p. 78): „Auerochs = böleny, jahor“ d. i. „Auerochs — Wisent, Elch“. Wie wir später sehen werden, wurde der ,Onager“, der wilde Esel auch nur infolge einer irrigen Vergleichung mit dem Elche vereinigt. Der in Glossen oft auftauchende , Waldesel“ ist aber nichts anderes, als die Übersetzung des Wortes Onager — Onos (Esel) agrios (wild) = asinus silvestris, der in Chroniken als der Elch figuriert. Der Elch aber wurde, wie wir sahen, mit 130 B. Szalay, dem Wisent zusammengeworfen, dessen Name im Griechischen bonasus lautet. So entstand dann als Gipfel der Konfusion die Glosse ,Onager = Wisent“ (STEINMAYER 1879, III. 33, ferner: Glossaria Superioris linguae, und DIEFENBACH 1857. p. 396). Da- mit sind wir aber zu unserem Ausgangspunkte zurückgelangt und verstehen jetzt BÜsCHING genau, warum er die siebenbürgischen bonasi auf deutsch Waldesel nennt. c) Eine dritte Quelle der riesigen Konfusion bei den mittel- alterlichen Tiernamen ist in jenem Umstande zu suchen, daß die verbreitetsten damaligen Zoologien dieselbe Tierart unter vielen, 4—6—8 verschiedenen Namen (so bei den Wildrindern) ganz ge- trennt beschreiben, als wären das verschiedene Tiere. Anabula camelopardus und oraflus sind bei ALBERTUS MAGNUS immer nur die Giraffe. Prinius beschreibt separat den Bison, dann den Bonasus — ohne zu wissen, daß es identische Tiere sind. BARTHO- LOMAEUS ANGLICUS nennt unter den Tieren Böhmens den trage- laphus, — ein Name, der aus der Bibel und den Glossarien in die Naturgeschichten gelangte und der für den Elch gebraucht wurde. Später beschreibt aber unser BARTHOLOMAEUS den böhmi- schen Elch getrennt, unter dem Namen losi, der aber in den Codices die falschen Formen loni, auch loth (WACKERNAGEL 1844. 483), dann bovi und bos annahm (Loß = slavisch Elch): Man stritt sich daher bis PuscH (1837) jahrhundertelang, was für ein Tier das loni bei MaARIGNOLA (der es von BARTHOLOMAEUS übernahm) wohl sein könne? (S. z. B. STERNBERG 1824, 58, 59). — — Nach diesem Hinweis auf die 3 wesentlichsten Fehlerquellen und nach unseren allgemeinen Betrachtungen können wir auf die Besprechung einiger uns hier am meisten interessierenden Glossentiere übergehen, um uns dem wahren Sinne des Wortes „Schelch“ nähern zu können. II. Tragelaphus, Bockhirsch. Die Nichtkenntnis des Begriffes „Glossentiere“ wurde schon oft die Quelle von großen Irrtümern. Die alten Natur- geschichten nennen z. B. den Bockhirsch überall wie ein in Europa einheimisches Tier, eine Hirschart mit einem Ziegenbarte, die zu- gleich einige Merkmale des Bockes aufweise. Die heutige Zoologie weiß aber nichts von der Existenz einer derartigen Tierspecies, so kam man dann auf den Gedanken, sie werde ausgestorben Der grimme Schelch. 137 sein. Existieren mußte sie aber — hieß es — da ihrer doch bei den Alten so oft gedacht wird. | Beton beschreibt seinen Tragelaphus (in seinen Reisen — Observations — am Südbalkan und auf den griechischen Inseln, p. 54 a) — als eine wilde Schafart, die mit dem Mufflon verwandt — aber seither ausgestorben zu sein scheint. Seine Abbildung übernahm auch das Werk Gesxer’s von Beton. Die Benennung tragelaphus, dieses vorne langhaarigen Wildschafes, ist aber ganz willkürlich und nicht zutreffend. Die mittelalterlichen Tragelaphus-Erwähnungen stützen sich alle auf PLisıvs — meint W. SCHERER (Ztsch. österr. Gymn. XVI. 518). Wie wir gleich sehen werden, trifft dies nicht zu. — „Der Tragelaphus scheint nach den alten Beschreibungen eine Elchnatur zu haben. — Bei GEsNER scheint es sich hierbei um den gewöhnlichen Edelhirsch zu handeln. — Nach einer alten Glosse ist Tragelaphus der Elch. Unter diesen Umständen konnte auch der Maler des Prrrus Canpipus über seine Natur keinen Aufschluß geben, und stellt ihn als eine Hirschform vor.“ (Kır- LERMANN Zool. Annal. 1914. 150). — Der Schelch der Alten ist wahrscheinlich der Bockhirsch oder Riesenhirsch — sagt BENECKE (1854. Il/2 93). — Der Schelch war nach dem Nibelungenlied ein elchähnliches Tier, vielleicht der sogen. Bockhirsch — meint SCHADE (1866. 525). — Scelo war eine ausgestorbene Hirschart, die gejagt wurde, wahr- scheinlich der Bockhirsch (ScHADE 1872. 787). — „Der Schelch, der ausgerottete edle Bock- oder Schielhirsch“ (Buck 1880. 235). — Auch SCHELLER, v. HAGEN, BùscHIine und ZEUNE glauben, der Schelch sei der Bockhirsch oder Brandhirsch gewesen. (SCHULZ 1892. 7.) „Viele verstehen unter dem Schelch den Bockhirsch“ (BEGIEBING 1905. 30). „Der Schelch ist der cerf a barbe de bouc“ schreibt DunoyYER 1867. 64. — Man redet also vom Bockhirsch ganz geläufig, wie etwa vom Reh — wie wenn das eine bekannte zoologische Species wäre. In der Tat lebte er aber nie auf dieser Welt, denn der Name Bockhirsch geriet nurals die Übersetzung des griechischen tragela- phos in die alte Naturgeschichte. Der letztere wurde aber nur durch die Bibel bekannt. Wir wollen nun darauf antworten, wie der tragelaphus in die Bibel kam. 138 B. Szalay, Unter tragelaphus (zgdyog = Bock, £lapos = Hirsch) ver- standen die kleinasiatischen Griechen anfänglich eine Antilopen- art. Später wußten jedoch die Griechen in Europa selbst nicht, was darunter zu verstehen sei, und sie bildeten ihn meistens als ein ibexhörniges Wundertier ab und waren überzeugt, daß es. nicht existiere (O. KELLER 1887. 334), derart, daß sich sogar ein Sprichwort bildete: teayeddqovg mlattery = tragelaphos comminisci, „Iragelaphen erdichten“ (bei ARISTOPHANES), was man auf Liige- schmiedereien anwendete. (HADR. Junius 1591. 49). Darauf bezieht sich auch die Rurmussche Ausgabe des ORIGENES (Opera omnia 17334 01,0%, Dev Erineipise VAC In den afrikanischen Kolonien erhielt sich aber der ursprüng- liche Sinn in bezug auf die Antilope, die Dioporus SıcuLus nach Libyen verlegt (II. 51). Der Name wurde besonders durch Puinius (auch Sorınus) bekannt: „Est eadem specie (quam cervus), barba tantum et armorum villo distans, quem tragelaphum vocant, non alibi quam iuxta Phasim amnem nascens“. (VIII. 33.) (Es ist ein Tier, derselben Gattung wie der Hirsch, nur hat es einen Bart und lange Haare an den Schultern. Es kommt nur neben dem Flusse Phasis vor (= in Kolchis, an den Ostufern des Schwarzen Meeres, zwischen dem heutigen Erzerum und Tiflis, d. i. am Süd- abhange des Kaukasus-Gebirges). SoLmus, IsIDORUS, ALBERTUS. Maenus, AVICENNA, VINCENTIUS BELLOVACENSIS U. a., die bei diesem Tiere den Phasis stets erwähnen, reden alle nur nach PLINIUS. Die „Vacca agrestis in Grecia que dicitur Phasidesi“ — bei ALBERTUS II/I. 2 — ist auch unser Tragelaphus. In bezug auf die Heimat des Tieres am Kaukasus wollen manche im tragelaphus den kaukasischen Ibex erblicken (O. KELLER 1887. 334), — ja andere sogar den päonischen Ochsen, d. i. den kaukasischen Wisent (PAPE, Wörterb. 1849. 1112). Ein Mönch des IX. Jahrhundertes heißt in der Tat jenen Zompros (d. i. Wisent), den man dem Kaiser Barbas aus Thrazien nach Konstantinopel brachte, tragelaphus! (MoRELLI 1802. 50.) Indessen wurde der tragelaphus in Europa, und speziell unter den Mönchen durchaus nicht durch die dunklen Zeilen des Prius bekannt, die gar kein Interesse erregen konnten und um die sich nur wenige Gelehrte kümmerten, sondern dadurch, daß alle Geistlichen dieses Wort jeden Tag in der sehr verbreiteten lateinischen Bibel, der Vulgata (unter Moses V. 14. 5) lesen konnten. Das jüdische Alte Testament wurde zuerst in Alexandrien Der grimme Schelch. 139 ins Griechische übertragen. Die Übersetzer wußten, daß das akko ein ziegenähnliches Wild bedeute, und so wählten sie dazu einen schon vorhandenen griechischen Namen tragelaphos. Die spä- tere lateinische Übersetzung übernahm diesen Namen ohne viel Bedenken, und die Bibelinterpretatoren (Isimorus u. a.) reden von dem Tier geläufig — ohne daß in Europa jemand von demselben die geringste Vorstellung gehabt hätte. Als die Bibel nun in den europäischen Sprachen verfaßt wurde, stieß man auf die Schwierigkeit, den tragelaphus gemeinver- standlich zu übersetzen — — ja aber wie? Da mußte der Elch unseren Mönchen aus der Klemme heraushelfen — das war doch eine Hirschart, die auch einen Bart, also das Hauptmerkmal des tragos, des Bockes hatte, und von diesem Zeitpunkt an heißen hundert Glossen den „tragelaphus“ stets „elaho“ (Eich) — siehe STEINMEYER 1879. I. 366 ‚367, 368, 374 (diese aus dem VIII. Jh.!), IV. 259, Ill. 447 und 673. ,Tragelaphus est bestia, quam elcum (Elch) vocamus“ — im Corpus glossar. latin. O. KELLER 1909. 281. — etc. Alle diese Glossen beziehen sich auf die Bibel, und zwar alle auf das Tier akko (V. Mos. 14, 5), gewiß auch die zwei letzten STEINMEYERS, deren Quelle nicht naher angegeben ist. Das Wort tragelaphus wurde zwar selten auch in lateinischem Gewande als — hircocervus — gebraucht, so sagt eine Glosse: „Iragelaphus = hircocervus, alioquid similis est elaho, (V. Mos. 14, 5) — STEINMEYER IV. 261. — Hierher gehört auch die altenglische Glosse bei JORDAN (1903. 180). „Iragelaphus vel platyceros = eolh“ (Elch). — Nach dem Zeprerschen Lexikon ist (1732 I. 1059): „Equi- cervus = Alces. Der Elch hat nämlich etwas vom Hirsch, vom Esel (cf. onager) und vom Bock“. — Auch in einem alten englischen Glossarium (betitelt „A Nomi- nale“ — XV. Jh, s: WRIGHT 1884. 700) lesen wir: „Iragelaphus, hircocervus = parte cervus parte ircus“. — Man sieht, daß der Glossator keine Ahnung hatte, was darunter zu verstehen sei, und nur Wörter interpretierte. Diese Ähnlichkeit mit einem Bock ist zuerst PoLyBIos (und nach ihm Srraso) aufgefallen. Deshalb sagt letzterer: (Lib. IV. Pars. III. Cap. 11): Auf den Alpen lebt ein Tier von Hirschgestalt, nur sind die Haare und der Hals jenen der Ziege!) ähnlich, auch 1) capro similis; in anderen Codices apro (xéxoos = Eber) similis! — 140 B. Szalay, hat es unter dem Kinn einen langhaarigen Knoten von Faustgröße —. Dazu bemerkt PenzeL, der Übersetzer Srrapos (1775. p. 633): „Dieses Tier ist der sogenannte Hirschbock, der noch auf den Alpen gefunden wird“. — Er faßte also den tragelaphus (denn sein Hirschbock ist nichts anderes) auch als ein wirkliches zoolo- gisches Tier auf. Die Glossatoren wußten zwar kaum etwas von STRABO (griechisch verstand keiner), um so interessanter ist es aber, daß ganz verschiedene Quellen unabhängig voneinander immer auf die Bockgestalt des Elches zurückkehrten. Fraxzıus schreibt vom Alce: Similis est capris (ähnlich den Ziegen) quoad externam figuram (1616. p. 106, Cap. X). — Diese Worte wurden oft auch CAESAR zugeschrieben — aber mit Unrecht. In allen guten Texten Carsars heißt es vom Alce: „Consimilis capreis figura“ — „seine Gestalt ist mit jener der Rehen (und nicht Ziegen: capris) zu vergleichen, ebenso der Farben- wechsel seines Felles“. Dieses letztere paßt auf die Ziege gar nicht. Schon GESNER (p. 2 und 4) befürwortet statt capris — cervis oder capreis. — Die lateinische Form capricervus (statt hircocervus) für tragelaphus ist sehr selten. Ich habe sie nur bei CoLERUS ge- lesen. (1645. 599.) Vom XVI. Jahrhundert angefangen begegnen wir in den Naturgeschichten und Chroniken dem Elch sehr oft unter dem Namen tragelaphus. Diese Identifizierung geschah zuerst wahr- scheinlich schon in der gotischen Bibel, weil sonst das so frühe Auftreten der Glosse tragelaphus = elaho — VIII. Jh.! (Codex — Carolsruh. Aug. 99, — STEINMEYER I. 374) — ebenso in dem altenglischen sogen. „Corpus Glossar“ des VIII. Jh. — ,Trage- laphus = elch“ (Wright 1884. 51) — kaum erklärlich wäre — und dennoch gelangte dieser tragelaphus erst im XIII. Jahrhundert in die Naturgeschichte, und zwar wahrscheinlich durch die Ver- mittlung des ALBERTUS, der aber seinerseits den Elch noch Equi- cervus nannte. Equicervus wurde aber bald mit tragelaphus gleichgestellt. Ja, ALBERTUS weist sogar auf die Identität beider Namen dadurch hin, daß er vom Equicervus dasselbe erzählt (II 1:2) was er früher vom tragelaphus mitteilte, daß er nämlich am Phasis zu finden sei: „Inveniuntur etiam isti vacce (d. i. die vaccae agrestes id est equicervi) in Graecia quae dicitur Phasi- desi“, O O VS APRO PETE Der grimme Schelch. I4I Später wird der tragelaphus-Name des Elches sehr gewöhnlich, wie folgende Beispiele zeigen: Die nördlichen Lander ,alunt tragelaphum ex genere cer- vorum“ (1635:92a: NIEREMBERGIUS). yount qui tragelaphum esse existimant alke = Ellend“. (HADRIANIUS Junius, 1591. 41) — ,Tragelaphos, genus Cervorum — barbatorum“ (Jos. Benkò, Transsilvania, Pars spec. 1790, Manu- script). — Er meint die Elche in Siebenbürgen auf dem Gebirge Hargita. Der lateinische Name fiir tragelaphos, d. i. hircocervus, wurde spater durch Gelehrte deutsch mit a) ,geyszen hirscz, b) geisz- hirsch“ wiedergegeben [a) Vocabularius rerum, 1260; Ss. DIEFEN- BACH 1857. 278 — und b) Kirschii Cornucopiae 1723]. Heute heifit die Wissenschaft zwei Tiere Tragelaphus, das Mähnenschaf nämlich (Ows tragelaphus Desm.) und die Schirr- antilope = Waldbock, d. i. der Zragelaphus scriptus Pall. (und seine Verwandten). (Vergl.: KeıL-Deuitzsch: Biblisch. Comment. 1870 I/2:84 — Kapitel: Akko). Im Talmud wird oft des Tieres Khwi „> gedacht (Kewi), das noch nicht bestimmt werden konnte. Es wird z. B. erzählt, daß „die Familie des Hauses Doschai es heerdenweise aufgezogen habe“ (LEwysoun) 1858. 116). Der wilde Widder kann es nicht sein — meint Lewysoun — weil dieser Ajal habar hieß; und so müssen wir es für den Bockhirsch. d. i. den Tragelaphus des Pzinivs halten, und zwar schon deshalb, weil die Zwitternatur des Khwi (Bock und Hirsch) von mehreren Talmuderklärern hervorgehoben wird. (LEwYsoHn). Das deutsche Bockhirsch als Übersetzung von „tragelaphus“ taucht, wenn ich nicht irre, erst 1350 bei MEGENBERG auf: „Tragela- phus möht ze daütsch haizen ain pockhirz“. p. 160. III. Brandhirsch. Die paläontologischen Funde belehren uns, daß in der Nächst- vergangenheit keine andere Hirscharten in Deutschland lebten als die heutigen. So kann sich auch die alte Jagdbenennung Brandhirsch, die besonders durch GESNER-FORER verbreitet wurde (1551— 1583), nur auf eine örtliche dunkle Farbenvarietät des Edelhirsches beziehen, wie das GEsxER selbst bestätigt: Illud etiam cervorum genus, quod aliqui vocant Brandhirtz, Ge. Agricola tragelaphum interpretatur, cornua in summo latiuscula et tanquam 142 B. Szalay, e palmis digitata habet (p. 840: Agricola heißt den Brandhirsch, der eine breitere Krone hat als der gewöhnliche Hirsch, trage- laphus). FORER, der deutsche Bearbeiter GEsnERs, meint: Es gebe mehrere Arten der Hirsche; erstens die gewöhnliche, zweitens „das ander(e) seye nit so wol bekannt, (nämlich) größer dann das erst geschlächt, feiszter, dicker von haar, und schwértzer; werde von den Teütschen genannt Brandhirtz von der farb, so gleych ist dem halb gebranten holtz. werdend in den dicken wilden waelden nach bey Böhem gejagt“. Wie wir in der Einleitung dieser Arbeit dargetan haben, schrieb BüscHIne in seiner merkwürdigen Geographie: tragelaphus sei der Brandhirsch. Wir sind jetzt zu der Erkenntnis gelangt, daß diese Vereinigung einen tieferen Sinn — eine ganze Geschichte hinter sich hat, und es wäre sehr verfehlt, darin nichts Weiteres, als gewöhnliche Unkenntnis zu sehen. (Vergl. ZIMMERMANN 1777 p. 200 — Brandhirsche in Böhmen). An einer anderen Stelle schreibt wieder Gro, AGRICOLA, ein in Chemnitz wohnender Gelehrter: Der tragelaphus ist ein Hirsch mit einem Bockbarte; er besitzt lange Haare unter dem Kinn und an den Schultern. Sonst weicht er nicht von einem Hirsch ab, nur ist er größer und stärker. Seine Farbe ist wie diejenige des Hirsches, nur dunkler, davon sein deutscher Name Brandhirtz. Der Grat seines Rückens ist aber grau, sein Bauch schwärzlich (subniger), wogegen der gewöhnliche Hirsch einen weißen Bauch besitzt; die dunkelste Farbe haben die Haare um die Genitalien. Sonst weicht er vom Edelhirsch nicht ab. Bei uns (d. h. bei Chemnitz, Sachsen) finden sich in den Wäldern beide Hirsch- gattungen, der Brandhirtz kommt aber meistens doch in jenen Wäldern vor, die in der Nachbarschaft von Böhmen liegen. (ALDROVANDI 859; BOCHART 1712. I. 903. — Der letztere heißt das jüdische Tier dison einen tragelaphus). Wir lesen bei LewysoHN (1858. 117): „Brandhirsch wird der Hirsch genannt, wenn er im Alter eine Hals- und Brustmähne erhält, wo er alsdann wild und geiährlich ist (s. Vorer I. 395)“. Gro. Fasririus schreibt über den Hirschen folgenderweise: „Es existiert eine Unterart des Hirsches, die bei den Griechen den Namen tragelaphos, bei ARISTOTELES aber hippelaphos führte. Sie ist größer als der gewöhnliche Edelhirsch, feister, dichter behaart und dunkler gefärbt, deshalb heißen sie die Deutschen — 16 = Der grimme Schelch. 143 den Brandhirtz, den man in den Wäldern um Meiszen (Sachsen), unweit Böhmen, findet. Das Volk sagt, daß er sich in den Wäldern unterhält, wo Kohle vorkommt, deshalb erhält er die dunklere Farbe. Tatsächlich heißt das Volk auch die dunkler gefärbten Füchse Brandfüchse“. Die Zeichnung des Brandhirsches bei GEsNER, FORER und ALDROVANDI wird einen jeden überzeugen, daß es sich hierbei nur um eine Farbenvarietät des Edelhirsches handeln kann. Daß er doch als der tragelaphus hingestellt wird, zeigt eben, daß man durchaus nicht wußte, was dieser letztere sei. Sokam es, daß man schließlich den Brandhirsch mit dem deutschen Bockhirsch gleich machte: ,Tragelaphus — hirco- cervus = hippelaphus, ein gebarteter Hirsch, d. i. deutsch der Brandhirtz, der in Böhmen vorkommt“ — schreibt HADRIANUS Junius 1591. 49. — BaLBINUs BoHUsLAv meint (1679, 139): Trage- laphus = hircocervus = Brandhirsch, böhmisch gelen. — „Trage- laphus = Brandhirsch“ (Thesaur. erudit. a FABRo SORANO 1587, — s. DIEFENBACH 1857. 591). Der Umstand, daß man aus dem Brandhirsch einen trage- laphus machte, und der, daß er nach Böhmen versetzt wurde, stimmten mit den Angaben MarIGNOLAS (1354) vollkommen über- ein, nach welchen der tragelaphus ein in Böhmen hausendes Wild ist („In Bohemia bestie ...innumerabiles: Ursi, apri, cervi, trage- laphi, bubali, bisontes ctc.“); so wurde Böhmen (obwohl eigentlich Aericona und FABRITIUS nur von Südsachsen reden) allgemein als die Heimat des Brandhirsches angegeben. Wir dürfen aber nicht vergessen: MArRIGnoLAs tragelaphus ist nichts anderes als der Elch, der in der Zeit der Quelle Marıcnoras, nämlich in der des BARTHOLOMAEUS ANGLICUS (1260) in Böhmen noch tatsächlich heimisch war. Nach all diesem verstehen wir aber SCHÖNHUT (1847. 478), wie er zu der Behauptung kommt, daß der Riesenhirsch in seiner Zeit die Wälder Böhmens bewohnte! Dies Curiosum verdankt sein Entstehen jenem Umstande, daß nach Scuénuut der Riesen- hirsch der Schelch sei; der Schelch heißt in den Glossen trage- laphus — daß aber dieser in Böhmen zu Hause ist, beweist Marienota — quod erat demonstrandum. Burron schreibt über den Brandhirsch: (HALLERs Ausgabe 1767. VI/1: 232): „Der Brandhirsch ist eine deutsche Hirschvarietat mit dunklerer Farbe (Gesner). Die Franzosen heißen ihn Cerf 144 B. Szalay, des Ardennes. Vorne sind seine Haare länger, deshalb scheint er einen Ziegenbart zu haben — somit ist gerade dies jene Tierart, die bei den Römern den Namen tragelaphus und hippelaphus führte. GEsNER behauptet zwar, der hippelaphus sei der Elch, das ist aber falsch, denn Hippelaphos bei ARISTOTELES und trage- laphus bei Prinius sind dasselbe Tier.“ Cuvier äußerte sich in dieser Frage folgendermaßen (Os. foss. 1835. VI. 45): „Les vieux sujets (des Edelhirsches) brunissent, et prennent des poils plus longs a l’encolure: c’est ce qu’on nomme cerf d’ Ardenne, cerf brûlé”, brand-hirsch etc.“ — „Die Jäger unterscheiden (schreibt FITzINGER 1860. IV. 168) unter dem Edelhirsch 3 Formen, a) den Berghirsch, b) den Landhirsch und c) den Brandhirsch, den sie auch Pferd- oder Roßhirsch nennen, der nur in weit ausgedehnten dichten Wäldern vorkommt, und sich durch bedeutendere Größe und langes schwärzliches Haar am Halse von den beiden anderen Formen unterscheiden soll“, — wovon aber (bemerken wir dazu) weder unsere Jäger noch die Jägerlexica etwas wissen, denn die ganze dritte Art und ihre Beschreibung stützt sich nur auf GEsnER!). Daß aber Jager je einen Edelhirschen Pferd- oder Roßhirsch genannt hätten, ist die Erfindung Firzincrr’s, den die alten Beschreibungen des Equi- cervus — hippelaphos (deutsch übersetzt: Roßhirsch) irregeführt hatten. Siehe das nächste Kapitel! IV. Equicervus-hippelaphus. Wie wir sahen, ist der tragelaphus der Name des Elches geworden. Tragelaphus wurde aber mit hippelaphus als gleich- bedeutend genommen, welch letzteres lateinisch equicervus lautet. Dementsprechend beschreibt ALBERTUS MAGNUS unter dem Namen equicervus einfach den Elch!: „Equicervus est... . quem nos lingua Germana elent vocamus .... Scias quod equicervus est notus valde apud nos et est in figura equi sed altior, et vocatur elent — — etc.“ (Den equicervus heißen wir Deutsche elent. Dies Tier ist bei uns sehr bekannt, es hat eine Pferdegestalt, nur ist es höher.) Vergleiche Buastus 1857, 436; MARTENS 1858. 126, 141; ENTZ 1879. 16; DuERST 1904. 283a u. a. — ALBERTUS (ebenso MAERLANT) redet nach CANTIMPRÉ noch unter den Namen Alches und Aloy vom Elch. 1) Im FORER-GESNER sind ebenfalls 3 Arten des Edelhirsches unterschieden. Dies scheint FITZINGER als Muster gedient zu haben. wa. gg, ee Der grimme Schelch. 145 Wie wir sehen werden, entdeckten alte Schriftsteller im Elch große Ähnlichkeit mit dem Maultier und Esel, und so ist des ALBERTUS Vergleich mit dem Pferd — hiervon der Name equicervus (Pferdehirsch) — ganz natürlich. Ocızey, der den amerikanischen Elch Buffles nennt, beschreibt ihn als ein Wild von einer Gestalt zwischen der des Pferdes und des Hirsches, (ALLEN 1876. 84). — GESNER bildet den equicervus ab (p. 491.): Es ist das bekannte Bild des weiblichen Elchtieres, darauf folgt eine Beschreibung des Elches mit der Bemerkung, daß dies Tier bei andern auch trage- laphus heiße. Die Verdeutschung des equicervus = Hirschpferd, als einer Benennung des Elches, kommt auch — obwohl selten — vor, so bei Bock 1784. IV. 95. Das Wort hippelaphos kommt zuerst bei ARISTOTELES vor (II. 2, 3, 4): Hippelaphos hat eine Mähne über den Bug und diese setzt sich, obgleich kleiner, bis zum Kopfe fort. Er hat auch einen Bart längs der Kehle. Er hat ein Geweih und ge- spaltene Hufe, aber das Weibchen hat kein Geweih. Er ist so groß, wie ein Hirsch, und findet sich in Arachotien (d. i westlich von Nordindien). Sein Geweih gleicht dem des „Dorkas“ (Reh, Gazelle). Nach dieser Beschreibung ist es klar, daß ARISTOTELES eine Hirschart meint, die Cuvier als den heutigen Mähnenhirsch (Cervus-Rusa-hıppelaphus) bestimmte (Ossem. Foss. 1835. VI. 77), BREHM aber für den indischen Sambar = Cervus arıstotels hält. Die frühere Auffassung WIEGMANNS, der im hippelaphos die Antilope picta sah, ist hinfällig. (SUNDEVALL 1863. 68). Daß tragelaphos und hippelaphos ursprünglich identisch ge- wesen sind, ist nicht wahrscheinlich. ALBERTUS Magnus II/I. 2 und nach ihm BARTHOLOMAEUS ANGL. XVIII. 108 heißen den obigen Hippelaphos: Vacca agrestis in terra Parthorum. Wie wenig man vom Hippelaphus wußte, und daß seine Gleichmachung mit Elch nur der Willkür zuzuschreiben ist, be- zeugen z. B. die Worte des gelehrten BELON, der als der französi- sche Vertreter der Grsnerschen zoologischen Schule zu betrachten ist und bisher nicht genügend gewürdigt wurde: „Unter allen Tieren mit Hirschfell hat nur der Ibex, und — wie ich denke — der Hippelaphus einen Bart (1554. p. 14a). — Der französische Konig hatte ein Pferd, dessen hinterer Teil dem eines Hirsches 146 B. Szalay, glich und deshalb glaubten einige, daß es als ein hippelaphus betrachtet werden solle. Das ist aber irrig, denn der Hippela- phus des ARISTOTELES hatte ein Geweih. Nach anderen entstand das besprochene Pferd aus der Mischung eines Edelhirsches mit einer Stute. — Auch das trifft aber nicht zu — sagt BELON p. 54a — denn ARISTOTELES bezeichnet mit hippelaphus eine selbständige Tierart“. — BELoN weiß also vom Hippelaphus nur das, was er im ARISTOTELES gelesen hat — das ist aber nicht der hippelaphus des Mittelalters! Der Maler des PIERCANDIDO bewies auch, daß man im XV. und XVI. Jahrhundert vielfach im unklaren war, was der Equi- cervus eigentlich sei, denn er bildet ihn als eine Kreuzung von Hirsch und Renntier ab. (KiLLERMANN, Zool. Annal. 1914. 150.) Die Behauptung aber, daß Tom. CANTRIMPRÉ und GESNER den equicervus nicht aufgeführt haben, beruht auf einem Versehen. MAERLANT berichtet nur nach CanTIMPRÉ über den „Equiterius“ (= Equicervus), der so groß wie ein Hirsch sei und unter dem Kinn einen Bart habe. (S.: Eelco Verwijs 1878. 85.) Wahr ist es aber, daß mehrere CANTIMPRE-Codices existieren, in welchen einige Säugetiere etc. ausgelassen wurden! — GEsNER berichtet ausführlich über den equicervus — jedoch unter dem Namen Hippelaphus. Aber auch direkt den „equicervus“ erwähnt er wiederholt, so z. B. Ausgabe 1620 p. 492, p. 299 (Kapitel Ca- prea) etc. — V. Onager-Waldesel. Onager ist so viel als wilder Esel (onos Esel, agrios wild). In diesem Sinne wird das Wort auch in der Bibel gebraucht, (Job 39, 5, Jeremias 14, 5 etc.) — wo das Tier unter den jüdischen Namen arod und pere derart charakteristisch geschildert ist, daß die Übersetzer es nicht verkennen konnten, so konnte daraus auch kein Glossentier werden! Wir treffen es oft in ganz kor- rekten Glossen: Onager = Tanesil, Wilderesil, wiltesil (STEIN- MEYER, 1879. I. 447, 448. III. 33. und noch viele, s. PALANDER 98), später Waldesel (Bibl. Naturgesch. Caw 1837. 39). Tannesel und Waldesel sind nur die Ubersetzungen des lat. asinus silvaticus, silvester. Letztere Adjektive werden immer nur von echt wilden Tieren gebraucht — im Gegensatz zu den Haustieren. Tann ist da der Tannenwald, oder richtiger der Wald im allgemeinen. In den Wörterbüchern finden wir den Onager deshalb richtig Der grimme Schelch. 147 interpretiert (,Onager = Waldesel“ bei MoLxR-BEER 1701, auch bei VERANCSICS 1595), weil die Glossen nicht fehlten. Onager war auch der Name einer Belagerungsmaschine, die z. B. ProkoPros erwähnt (I. 21. — MGH. Scr. XVII. 366). — Merkwürdig ist die Glosse: Hiena = elintesel. (STEINMANN III. 355), hierüber später. Eine Glosse etwa, Onager = elaho kommt kaum vor (hin- gegen ist tragelaphus = elaho sehr gewöhnlich), daraus ersehen wir aber, daß der in den späteren Naturlehren und Chroniken so gewöhnliche Gebrauch des Onager für Elch aus den Glossen nicht erklärt werden kann, d. i. onager = Elch kann als Glossen- tier in keinem Fall gelten. Hie und da lesen wir aber: Onager = schelo (XI. Jahr- hundert. STEINMAYER III. 446; FRIEDEL, AA. 1875. 65). — Für ©. KELLER gelten beide Wörter in diesem Zusammenhang als un- verständliche Rätsel (1887. 345). — Scelo = Beschäler war aber der Name des unverschnittenen Rosses und gelegentlich des Wildpferdes — und so ist die Glosse doch klar: Der wilde Esel wird als Wildpferd betrachtet. Scelo kann in dieser Glosse in keinem Fall der Elch sein — s. später. SOLINUS (V. Jahrhdrt.) und nach ihm Dicumvs (i. J. 825) schreiben nur „Est Alce mulis comparanda* — ohne das Wort onager zu gebrauchen. Prius vergleicht nämlich den Elch mit einem Ochsen (Kalb), ‚dessen Hals und Ohren aber länger sind. (VIII. 15:16 = VIII. 30: Alcen, juvenco similem, ni proceritas aurium et cervicis distinguat). Die langen Ohren erinnerten dann Sormus an das Maultier (mulus). Übrigens ist in Prisıus noch eine Stelle, die das Umwandeln «des Elches in ein Maultier begiinstigte. Wir wissen nämlich aus «den Werken des XVI, Jahrhunderts (OLAUS u. a.), wie gewöhnlich die Verwechslung des Elches mit dem Renntier war. PLINIUS sagt nun von diesem seine Farbe stets wechselnden Tarandus (VIII. 34 = VIII. 124): „Tarando villus magnitudine ursorum sed colore asini similis“ — die Farbe der Haare ist ähnlich wie beim Esel. (Beide Zitate finden sich auch bei Vincentius Bellovacensis XIII. Jh. vor). Dasselbe bestätigt aber SCALIGER vom Alce: Habet similem pilum asininum. (Fraxzıus 1616. 106.) Der Vergleich des SoLinus fand bei den späteren Schrift- stellern großen Anklang, so daß keiner es versäumte die Ähn- Zool. Annalen VII. 10 148 B. Szalay, lichkeit mit dem Maultier hervorzuheben — wie z. B. ALBERTUs: (im Cap. Alches). Ja, diese Ahnlichkeit wuchs noch mit der Zeit in den Augen der Schriftsteller —, so schreibt HARTKNOCH (1684. 215a) — der Kopf des Elches sei so groß wie der des Maultieres, dessen Gestalt und Farbe es auch besitze. Nach GILIBERT (1781. 71) ist der Elenkopf mit jenem des Esels zu vergleichen — so wegen der Länge der Ohren. Das Wörterbuch Molnär-Berr’s (1708) weiß vom Elch nur soviel zu berichten: „Das Elendthier ist ein eselförmiges (szamar-szabasu) wildes Tier.“ — Körpern betont in seiner Monographie des Elches (1883. 255), daß das Volk ihn selten mit Geweih sehe; das Weibchen habe überhaupt keins, der Hirsch aber auch nur im Sommer, wann man sich ihm aber nur selten nähern kann. Im Winter sieht man ihn öfter, dann habe er aber kein Geweih. Es wird oft behauptet, daß OLaus Macnus der erste war (1539), der unter Onager den Elch verstand. Ich fand ein Beispiel aus dem XV. Jahrhundert (Diucosz). Tatsache ist aber, daß weder ALBERTUS MAGnus und seine Schule (CANTIMPRÉ, VINCENTIUS, MAER- LANT, MEGENBERG, PIERCANDIDO u. a., die eben die ganze Zoologie bis GESNER vollständig beherrschten) diese Anwendung und die: Epilepsie des Elches kennen, — noch HiLDEGARDIS i. J. 1170, Ebstorfkarte 1284 (MILLER 1896. 47), PETRUS CAnDIDUS 1460, ja BARTHOLINUS PERUSINUS noch 1516 nicht — und so müssen wir feststellen, daß sie vor Ende des XIV. Jahrhundertes unbe- kannt waren, was ich mit Nachdruck hervorhebe! (S. VENAN- TIUS FORTUNATUS später). Von ca. 1500 an finden wir aber in den Chroniken sehr oft. den Gebrauch des onager im Sinne von Elch. Ich wähle da von den vielen nur einige instruktivere Beispiele aus. „Feras silvestres onagrinas et zubrinas, quae (nämlich die ersteren) in Polonico Loszy vocantur“. — Drucosz, 1480; (ad 1410). „Borussia gignit et alces, quos falso silvestres asinos quidam autumant“. — Erasmus STELLA, 1510 (Ausgabe MizLER I. 24). „Bisontes, quos patria lingua dicunt Elg, id est Asinos sil- vestres“ — Die Bisons heißen in der Landessprache Elg, d. i. wilde Esel — ZIEGLER 1536 (Schondia p. 103. a — auch bei MÜNSTER, 1559, 839; ALDROVANDI 1642. 346 und GESNER. — HIBBERT schreibt falsch Elb statt Elg 1831. 122. „Onagri et equi silvestres“ in Litauen. MiEcHow, 1521. (Ausg. Mizler IT. 212). - Der grimme Schelch. 149 „Onagri sive alces velocissime currus per nives trahunt“ (Die Onager laufen rasch mit dem Wagen — Verwechslung mit dem Rentier) — Landkarte von Rußland etc. des OLaus MAGNUS, 1530. (KRAUSE 1808. 390. b; DAHMS 1898. 267 etc.) „Onagri et equi silvestres in Lituania® — MÉÈxSTER . . . .. (1559. 909). — Wenn die wilden Pferde als solche schon als equi silvestres klar bezeichnet sind, kann onager nur Elch sein, Des- halb ist die deutsche Übersetzung Münsters falsch: „In Litauen sind Wildesel und Roß“ (1628 p. 1298). — Vergl. NEHRING 1897 in Globus 88 b. — „Alces sive onagri, quos polonice vocamus Lossie in plurali, in singulari vero Los“: Im Briefe des Bonarus 1561 an GESNER (Gesner 1620. p. 2). „Feras habet Lithuania: Bisontes, uros, alces quos alii onagros vocant, equos silvestres .... Quae fera Lithuanis sua lingua Loss est, eam Germani Elend . . . vocant, Poloni volunt onagrum esse, non respondente forma, sectas enim ungulas habet“: HERBER- STAIN 1556 (Ausg. MIZLER p. 223. 224) = „Das Wild, welches die Litauer loss und die Deutschen Elend heißen, wollen die Polen onager nennen — obwohl dies nicht stimmt, da der Elch gespaltene Klauen hat“. — (Puscu 1840. 55). „Onager vero los appellatur; Alcem hanc esse volunt — de qua scribit PLINIUS“ etc. — CROMER 1578. 39. — Dann wieder: Onagrorum Masovia ferax est“. (PuscH 1840. 103). „Magnum animal (= Elch), quod quidam onagrum vocant, quod longas habeat aures‘‘ — CARDANUS 1582. 562. Derselbe sagt etwas unklar p. 537: „Improprie aedepol vocant asinos agrestes animalia cornibus praelongis armata et jubä, alio- quin deformia, bisontes alias dicti“, d. i. man heißt unrichtig ,, wilde Esel‘ gewisse Tiere (er meint die Elche!) mit sehr iangen Hörnern und einer Mähne, übrigens ungestaltet, die auch bison genannt werden. „Quidam falso Ellend onagrum appellant. Est enim onager solidis ungulis sine cornibus“. —- SCALIGER 1620. 628. — „Elg igitur, aiunt, significare Asinum sylvestrem. Nihil tamen habet asini. . . . hunc esse puto, quem Puintus bisontem vocat (SCALIGER glaubt, der bison des Prinius sei der Elch! — p. 626, 627). — „Alces nostra pilo asinino est“ — p. 627. „Habet similem pilum asininum ut dicit ScALIGER, unde Hel- vetii nominant sylvestrem asinum, alii equicervum‘‘ — FRANZIUS 10* 150 B. Szalay, 1616. Cap. X pag. 106. — Ebenso redet auch SCALIGER vom Elch der Schweiz!: „Suizeri sic (d. i. asinus silvester) appellant animal Elg“ — und später , Ego Alcem Caesaris Elk puto, quae sit alia ab Elg Suizerorum .... Helvetii Elg, quod silvestrem refert asinum, ad bisontem immerito transtulere . . . („Ich halte dafür, daß der Alces des Caesar der Elch sei, hingegen ist der Elg der Schweizer ein anderes Wild; sie nennen nämlich den Bison irrig Elo) Damit sich andere nicht unnötig den Kopf zerbrechen, was für Schweizer Elche da wohl gemeint seien, löse ich gleich das Rätsel: Franzius oder besser seine Quelle ScALIGER schòpfte diese Teile seiner Exercitationes aus Münster, der über die schwedi- schen Elche ZıEGLERs berichtet (MÜNSTER 1559. 839). MÜNSTER heißt die Schweiz Suicia, Schweden aber Suecia — und so handelt essich danur um die Verwechslung dieser sehr ähnlichen Wörter — mithin um schwedische Elche! „ALBETTUS MAGnus schreibt Visent — der gute Mann (näm- lich Albertus) will Bisont sagen, — aber Bisont ist ein gar ander Thier, u. zw. der Waldesel“ — hierauf folgt die Beschreibung des Elches nach der Kosmographie Minsrers. — COLERUS 1645. 603. (Diese Konfusion fußt auf dem Texte ZieGLERS, s. früher.) „Onagri sive asini silvestres, quem cum alce confundit OLAUS Magnus“ (Voss. 1700. ebenso bei Bonannius 1772. 7). „Waldesel (bonasi) und Brandhirsche (tragelaphi)“ in Sieben- bürgen. (Béscuine 1788. II. 562). „Alce, a quibusdam Equicervus . . . etiam Onager septen- trionalis nominatur“ — GROSSINGER (1793. I. 508). In demselben Zeitraum heißen aber andere das europäische Wildpferd onager, so z. B.: In Masovien gibt es „Bisontes, alces, onagros“ — SWIECICKI 1634. (Ausg. MiZLER I 489). Neben alces kann onager nur das wilde Roß sein. Gegen Chersonnesus (Krim) gibt es auf den Steppen keine Tiere außer „nisi ab innumera Onagrorum multitudine habitarentur, qui capti.. . mori malint, quam cicurari“ — das ist nämlich die übliche Beschreibung der Wildrosse. — MAYERBERG et CALVUccIUs, Iter in Moschoviam. 1661. — (MizLEr Il. 425). — STAROVOLSKI redet von der Menge der Cervorum, onagrorum etc. in Polen (1656. 3) und in Livonia berichtet er über Ursos, alces etc. (p. 67) — so daß der onager doch nur das Wildroß sein kann. Pre Der grimme Schelch. 151 Daß der Elch statt onager (= Wildesel, Wildpferd) direkt equus silvester genannt sei, kommt vielleicht (?) bei AENEAs SyL- VIUS (1450) vor — wenigstens nach der Auffassung Puscw’. 1840. 99). Die Stelle lautet: „Multa ferarum venatio; equum sylvestrem praeter cornua Cervo similem edant (sylvae“): „Die Wälder Polens erzeugen das wilde Pferd, weches abgesehen vom Geweih (außer des Geweihes) dem Hirsch ähnelt“. — Bei diesem Konzept kann man aber nicht entscheiden, ob jetzt der Equus silvestris des AENEAS ein Geweih trägt — oder nicht. So kann aber auch das wilde Roß gemeint sein. Allerdings ist der Vergleich des letzteren mit dem Edelhirsch etwas zu gewagt. Interessant ist die Frage, ob der onager im Lobgedicht VENANTIus Fortunatus (VI. Jh.) der Elch sei: Ardenna an Vosagus cervi, caprae, helicis, uri Caede sagittifera silva fragore tonat? _ Seu validi buffali ferit (der tapfere Gogo) inter cornua campum Nec mortem differt ursus, onager, aper. (Mon. Gr. H. — Auct. ant. IV/ı p. 156). — Dans hält den onager für den Elch (1898. 268 a) — hingegen Haun für das Wildpferd. Meinerseits muß ich mich auf das entschiedenste für das letztere aussprechen, und zwar deshalb, weil a) der Elch im Texte schon mit dem Namen helix vorkommt; b) wie ich gezeigt habe, der Name onager erst nach den Zeiten des ALBERTUS auf den Elch tiberging; c) wenn unter helix der Hirsch und unter onager das Tier des Elches gemeint wäre, dann beide unbedingt nebeneinander folgen müßten; ich werde später viele Belege anführen, wo die beiden Geschlechter einer Tierart benannt sind (elo et scelo, cervos et cervas, Hirze und Hinde etc.), und werde beweisen, daß diese immer nebeneinander aufgezählt sind. Selbst im Nibelungenliede, wo Elch und Schelch die letzte reimende Silbe je einer Verszeile bilden, wurde die Nebeneinanderstellung eben durch den stark im Ohre nachklingenden Reim bewerk- stelligt; d) die Wildpferde im Elsaß noch im J. 1576 durch SPECKLE erwähnt wurden. (GERARD, 1871. 277.) Hinsichtlich einer Eigentümlichkeit des Styles alter Schrift- steller ist ein Lobgedicht des Caspar Brrius, eines großen Ver- ehrers von HERBERSTAIN, sehr lehrreich. Unser Dichter zählt die wilden Tiere Nordeuropas folgendermaßen auf: -— 2 5 — 152 B. Szalay, Hic asini atque Boves et Equi visuntur agrestes, Hic Alcen atque Onagros est reperire vagos. In’ quibus . .. . cernitur Urus et =. 2 Bisons": Da jsieht man wilde Esel, wilde Rinder und wilde Pferde, hier trifft man den Elch, und die herumirrenden (d. i. flüchtigen) Onager, dann den Ur und den Bison.“ — Dieser Text wurde als ein Beweis angeführt, daß unter Alces der männliche, unter Onager der weib- liche Elch zu verstehen sei (Naturw. Woch. 1898. 268). Das ist aber aus obigen Zeilen durchaus nicht herauszulesen. Schon das Adjektiv vagus (flüchtig) neben onager paßt viel besser auf das Wildpferd, als auf den Elch — das nur nebenbei. Berivs liefert in obigem ein gutes Beispiel für eine Eigen- tümlichkeit alter Schriftsteller, die darin besteht, daß sie dasselbe Tier, von welchem sie in mehreren Werken unter verschiedenen Namen gelesen haben, ebenfalls unter zahlreichen Namen als verschiedene Tiere aufzählen. Die Boves agrestes (agrestes steht da nur poetisch und wegen des Versfußes statt silvestres — ganz wild: agrestis ist eigentlich halbwild, verwildert, wild gehalten; beide Adjektive werden aber oft verwechselt!) sind ja nichts anderes als die weiter unten detaillierten Urus et Bisons; die asini agrestes sind auch nur die Equi agrestes und die onagri vagi — lauter Tautologien. Alte Schriftsteller haben verschiedene Eigentümlichkeiten, die man kennen muß, sonst versteht man sie ganz falsch. EKKEHARD IV. redet um 1000 von drei verschiedenen Wild- rindern in der Schweiz (1847. 111) vom Vesons corni potens, Urus und vom Bos silvanus. Es wäre aber ganz überflüssig sich den Kopf lange wegen dieses Bos silvanus (Waldochs) zu zerbrechen. Es kann entweder nur das verwilderte Rind (Bos agrestis — im Mittelalter gewöhnlich) gemeint sein, — oder es ist eine Tauto- logie, und identisch mit Urus und Vesons. ADAM v. BREMEN versetzt 1075 die Ure und Büffel nach Schweden, die Bisons nach Rußland (Ibi — in Schweden — capiuntur Uri, Bubali et elaces . . . . ceterum bisontes capiuntur in Ruzzia — MGH. Sc. VII. 382). Wenn da Uri nicht statt Ursi steht, dann sehen wir einfach daraus, daß ApAm irrtümlich den Urus und den Bubalus fiir verschiedene Tiere ansah. Poremius SıLvıus (448 n. Chr.) zählt die Säugetiere wie folgt auf (p. 267): „Biber, visons, urus, bos, bubalus“ — wo aber urus wieder = bubalus. — Dasselbe wiederholt sich bei NIEREMBERG — GO = Der grimme Schelch. 153 (1635. 92. a): Septentrionales regiones alunt urum, bisontem, bubalum“. — STAROVOLSKI erwähnt in Polen „capras, damas et danielos“ (1656. 18, 19), wo aber daniel wieder nichts anderes als der polnische Name des dama ist — usw. So sind auch die Zeilen des Brrıus aufzufassen, der sich übrigens mit dem Studium der Zoologie wenig befasst haben wird, was man schließlich einem Dichter nicht übel nehmen darf. GaLenus (II. Jh. n. Chr.) und nach ihm Arrıos (VI. Jh.), ALEXANDER TRALLIANOs (VI. Jh.) und SERAPIO (XIII. Jh.) behaupten, der Huf des Esels, Onagers (ALDROVANDI 876) sei ein gutes Arznei- mittel gegen Epilepsie. — Dasselbe wird später auch von den Elchklauen erzählt. Auprovanpı und Daums folgern hieraus, daß schon GALENUS unter onager den Alces verstand, (DAHMS 1808. 267.a und 1898, 220 b im Globus; nicht Erasmus STELLA machte obige Folgerung, sondern Aldrovandil) — und daß hiermit der obige medizinische Aberglaube von der Wirksamkeit der Klauen vom Elch auf den Esel überging. — In der Tat geschah dies aber bestimmt gerade umgekehrt. -GALENUS und die übrigen orientalischen Ärzte (Arrıos u. a.) waren praktische Leute, die ihre Medikamente aus den Gegenständen des alltäglichen Lebens, aus bekannten und in der Levante vor- handenen Tieren etc. schöpften und anfertigen ließen. Sie kannten aber den Elch gar nicht und es fiel ihnen nicht im Traum ein, sich um sagenhafte nordische Tiere zu kümmern, sondern meinten einfach den gewöhnlichen orientalischen wilden — resp. «den zahmen Esel, was doch aus der entsprechenden Stelle des DioskorIpes (I. Jh. n. Chr.) der die Quelle des Garenus und seiner Schüler war, klar hervorgeht: „Ungula asini!: Ungularum «asini cinis .... potus proditur comitiales adjuvare“ (De medica materia 1554. p. 121, L. II C. 37. — Morbus comitialis = epilepsia). Bei diesem bescheidenen asinus wird doch niemand an den Elch ‚denken können. Außerdem gebrauchte vor dem XIV. Jh, wie wir schon betont haben, niemand das Wort onager für den Elch. Somit ist aber zugleich dies jener Zeitpunkt, wo die später so verbreitete ‘Geschichte über die Epilepsie des Elens entstanden ist, die durch die Brücke „onager = alces“ auf den Elch übertragen wurde. Hierfür spricht entschieden jener Umstand, daß von der hinfallenden Krankheit des Elches und von seinen heilsamen Hufen weder 151 B. Szalay, CAESAR, Pausanias, noch Pzinius, SOLINUS, CANTIMPRÈ, ALBERTUS, oder Vincentius (XIII. Jh.) etwas wußten, obwohl der letztere in seiner umfangreichsten Enzyklopädie das ganze bis dahin vor- handene geistige Material über Naturwissenschaften aufspeicherte. PausanrAs vergleicht den Elch nicht mit dem Esel, sondern mit einem Kamel: Ein Tier, welches zwischen Hirsch und Kamel steht (Boiotika IX/21: 2). Die amerikanischen Indianer erzählen von ihrem Elch dieselben „epileptischen Geschichten“, und verwendeten seine Hufe ebenso als eine Arznei, wie wir (PENNANT 1787. II. 20. 23). Hierin waren ihre Lehrer gewiß die europäischen Farmer. Die frühesten Nachrichten über die Epilepsie des Elches finde ich bei ERASMUS STELLA (1510): („Ungulis eius comitialem morbum etiam spumantem abigi creditum est“ — s. auch bei GESNER p. 2), bei HERBERSTAIN (1556, — seine Reisen gegen 1520): „Ungulae tanquam amuletum contra morbum caducum gestari solent — in Polonia“ (auch bei GESNER p. 3: 65); — ferner bei JoANNES AGRI- COLA AMMONIUS gegen 1530 — (die Quelle GESNERS, p. 3: 22: Ungulas huius ferae suspensas, ita ut nudam cutem attingant, epilepsiam curare) — und bei Cantzow (Pomerania 1530): „Die Klauen (der Elende) helt man für die fallende sucht gut, darumb macht man Ringe daraus“. Ich bin aber überzeugt, daß die frühesten Spuren dieses Märchens schon in der ersten Hälfte des XV. Jahrhunderts auf- tauchen mußten; wenigstens beweisen die Zeilen STELLAs, daß. die Fabel in seiner Zeit — 1510 — nicht mehr neu war. — Wir müssen noch eine Glosse besprechen, die leicht der Aus- gangspunkt für irrige Folgerungen sein könnte. In einem Codex (XIII. Jh.) des Versus de Bestis steht: ,Onager = wisent“. Da nun der Bison mit dem Elch oft verwechselt wurde, so hat es nach obiger Glosse den Anschein, als ob man im XIII. Jahr- hundert schon unter Onager den Elch verstanden hätte. — Daß hiervon aber nicht die Rede sein kann, und daß das obige wi- sent nur eine Verschreibung statt wildesil ist, beweisen drei andere Codices desselben Werkes, wo an derselben Stelle über- all: Onager = waltesel, waldesel, wildesil — angeführt ist. (StEIN- MEYER III. 33; BENEcKE Ill. 771; Mone IV. 94). Nach all diesem klingt es wirklich seltsam, wenn E. FRIEDEL den Schelch der Nibelungen, ferner den der Glosse „onager — scelo“ und auch den onager der letzteren — für den Riesen- BE LES Der grimme Schelch. 155 hirsch erklärt! Er meint, das Wort onager wolle hier nur an- deuten, daß der Riesenhirsch ein größeres Tier, als der Edel- hirsch sei. (Zeitsch. f. Ethnol. 1873. 71.) Daß das obige scelo der Schälhengst ist, wurde schon erörtert. VI. Das Wort Elch-elahé, alces. Der lateinische Name des Elches alce erlitt im Mittelalter derlei mannigfaltige Veränderungen, daß wir dafür kein zweites Beispiel kennen. Er erscheint wirklich als ein Wortchamäleon. Das Wort Alce war nämlich nicht sehr bekannt, und deshalb latinisierten die Mönche das deutsche elh, helah (= Elch) mit der größten Willkür und dem größten Formenmißbrauch. Die Kenntnis dieser „Krüppelformen“ ist um so notwendiger, als es z. B. erst unlängst einen unserer ausgezeichnetsten Forscher passiert ist, daß er die Form helix bei FoRTUNATUS verkannte. (Jahrb. f. w. u. pr. Tierzucht ıgıo. 50.) Helix entstand aus elch-s, elich-s. (,S“ ist die lateinische Nominativendung, h ist am An- fange des Wortes unorganisch; die Anwendung dieses unor- ganischen h war früher sehr gewöhnlich, so sagte man statt Elen — Hellen, Hellein etc.) Aus elch, elho und alce entstanden folgende lateinische Vari- anten: Helix, elix, eolx, ilcs, ilix, elux, hix (JORDAN 1003. 180), — Elax, alx, flax, (StTEINMAYER III. 447); helles (BLAZE 1840. 31, CHABOT 1898. 96 — französisch); helenes („Alces = lozzi, a Germanis Helenes appellati* = Paurus Jovius 1525. 174; MÜNSTER 1559. 912; SCHADE 1872); alx (Carm. burana 1847. 176 und STEINMAYER III. 714. 80 etc.); elaces (Apam v. BREMEN IV. 31); flanx (PALANDER 103), helim — bei der HrLpecarpis IV/III. Cap. IX. — Alca bei BARTHOLINUS PERUSINUS 1516 (Ausgabe 1726 p. 1216); Elles auf der Ebstorf-Karte i. J. 1284 (BELTZ 1808. 117). Elcus in einer Glosse (Corpus glossar. latin.) Alcus, alte, alalte (DIErENBACH, 1857. 27). Alx vel flanx = elaho — im HeErnrici Summarium (STEINMAYER III 201). — Der englische Harrison 1577 schreibt statt elks — aekes. (WALLACE 1898. 417.) Wir glauben es handelt sich da um einen Lesefehler — statt alkes. Es ist hierbei zu bemerken, daß helix (= Schnecke) bei den Griechen der Name einer schönen Hausrindrasse mit gewundenen Hörnern war (PrAgrorius, ZG. 1874. 461; KOERNER: Arch. Natgesch. 156 B. Szalay, 1880. 36). — O. KELLER sah auf alten Lesboser Münzen unter der Zeichnung eines Zebu den Namen helix (1887. 69). — — Der Name Elch — Elen wird aber, auch fast im vorigen Maße variert. Die auf Volksetymologie beruhende Form Elend ist allbekannt. Marner schreibt (XIII. Jh.) in einem Gedichte El („Diu Tier zesamen kamen: ... Eln und Uren, Wisent und Helfant“ etc.) Ellendt ist ein alter Personenname (Port 1859. 666 — kaum aus Elch). KırLermann, der sich in letzterer Zeit mit schönen Arbeiten um die historische Zoologie verdient machte, wundert sich (1912. 788) wie Dürer den Elch Heillennt heißen kann, — das ist aber ein normaler Variant aus Elend — Hellent (anorg. h); auch HeErespacuius schreibt Eilendt (1571), MÜnsTER SD 1250. Ellollien.d: Alte deutsche Formen sind: elo, elh, elah, elhe, helaho, elicho, heloho, elecho (PALANDER 103) elih (DIEFENBACH 1857. 591) elach — SCHLÖZER 1780, 80). Die Glosse: alx = elaho, heloho, elho, helf, etc. ist sehr gewöhnlich, s. STEINMEYER 1870. III. 17, 33, 53, 55, 80, 293, 442, 443, 446, 447, 672, 673, IV. 56 etc, Überhaupt gilt alx als die normale lateinische mittelalterliche Form, und elaho (daraus elho, elo) als die deutsche. Etymologie. Elch ist identisch mit dem griech. d4x7; EAAog (= junger Hirsch, angeblich aus #4vos — SCHADE 1872. 131. a) soll auch hierher gehören. Mehr phantastisch ist schon. das Her- ziehen des sanskristischen ,ricyas“ = Antilopenbock, rus = wildes Bergschaf im Pamirischen (WercAnD 1909. II. 671). — Das slavi- sche losi (aus urslavisch olsi = alki indogermanisch) soll auch verwandt sein (KLUGE: Et. Wört.) Das deutsche Elen ist identisch mit slavisch jelen, olen, und verwandt mit altslav. lani = Hirschkuh (DIEFENBACH 1830. I. 18). Man brachte es früher mit althochdeutsch ellan (aljan) = Kraft, in Verbindung. Daß das ungarische allat (= Tier) auch hierher gehöre, wie ADELUNG (1774. p. 1648) und SCHWENK (1838. 168) meinten, ist ganz falsch, denn die Wurzel von allat ist all = stehen (das stehende Wesen). Die theologische Richtung der früheren Wissenschaft glaubte freilich auch das Elo aus dem Jüdischen, und zwar aus ail = Kraft ableiten zu müssen (ADELUNG); andere führten es auf das jüdische akko zurück (akko = alke = alce = elch); akko bedeutet trübes Gemüt, was dem deutschen Elend — und der epileptischen Natur Der grimme Schelch. 157 des Tieres wohl wunderbar entspräche (COLERUS; SPERLINGIUS ; vergl. GREVÉ Zool. Gart. 1893. 52). Ich füge noch hinzu: Nach BaumstarK (Übersetzer des Caesar, 1854, p. 181) soll elo im althochdeutschen gelb bedeutet haben, — hiervon der passende (?) Name Elch. Interessant ist die Frage, wann aus Elch und Elen — Elend entstand. Man würde glauben, dies konnte nur nach dem Be- kanntwerden der Fabel von der Epilepsie des Elches geschehen, d. i. wie wir schon festgestellt haben, nach 1400. ALBERTUS Maenus schreibt aber schon elent: Scias autem, quod .... equicervus est notus valde apud nos . . . et vocatur elent (L. II. Trac. I. Cap. 2.) — und später (Caput 3): „Equicervus . . vocatur lingua nostra elent“ — „Equicervus, . . . . quem nos lingua Germana elent vocamus . .“ (Lib. XXII. p. 179). — Meines Wissens sind das die ältesten Belege für diese Form, die wie es scheint aus Elen durch das Dazutreten eines akzessorischen t- ent- stand, wie z. B. anderst statt anders etc. Der Name Elend kann somit die Verbreitung des Märchens von der Epilepsie begünstigt, ja veranlaßt haben. In der merkwürdigen Glosse: Hiena — elintesel aus dem XIII. Jahrhundert (SrEINMEYER III, 355) ist das elint aber in keinem Fall unser Elent. Das -el am Ende des Wortes hat nur der Glossator — volks- etymologisch — dazugetan, weil er den Tiernamen elintes, elentes, (elnte, hellunt sind noch mehr verdorben) wohl aber besser: Elen- deis, felledeis, illitiso, illintiso, d. i. das heutige Iltis nicht verstand. Das ahd. illintiso wird allgemein als Compositum betrachtet: illi- tîsò, — somit gehört das t im „elin-täs“ nicht zu der ersten Hälfte, und kann nicht elint, Elend sein. (Grimm, Wörterb. p. 411.; Pa- LANDER p. 62; DIEFENBACH 1857 p. 277). — VII. Schelch-Deutungen. Eine viel zitierte Zeile des Nibelungenliedes, die den berühmten Schelch besingt, gelangte hierdurch zu einem großen Ruf, und hat bereits eine umfangreiche Literatur: ,,... scluoc er (Siegfried) . einen elch und einen grimmen scelch“ Bis heute war, außer einigen Glossen, nur noch die Urkunde Kaiser Orros als Beleg für den Tiernamen Schelch bekannt. Ich füge nun auch einen dritten dazu. Im Gedichte Reinhart Fuchs (Grimm) (1150 J.) 158 B. Szalay, wird eine Tierversammlung geschildert. Es erscheinen (Zeile 1354): „Der hase und daz wilde swin . . . . der tre unde Künin (Affe), der schele und Baldewin (= Esel) . . .“ etc.) Die Meinungen, was der Schelch eigentlich war, gehen derart auseinander, daß man die Frage auch heute für richt ganz gelöst betrachten muß. SCHULZ (1892. 7) und BEGIEBING (1905. 30), die unlängst die Haupttheorien berührten, wissen keinen Bescheid. Daums, dessen Ausicht heute als maßgebend betrachtet wird (1898), spricht ihn als einen männlichen Elch an. Lange hielt man ihn aber für den Riesenhirsch. Wir wollen nun hier eine kleine Übersicht dieser Deutungs- versuche geben. 1. Schelch = Riesenhirsch — s. später ausführlich — 2, A = Elchhirsch — Lau N . Skelo — zahmer Zuchthengst, „Beschäler“. — Dafür sprechen tatsächlich die meisten alten Glossen. (SCHADE 1872. 787; 1866. 525; PALANDER 1800. 89; Mucx 1880. 67 = Wiener Jagdzeitg.; NEHRING: Verh. Berl. Ges. Anth. 1802, 125.) S. später. 4. Skelo = Wildpferd (wenn von Jagdtieren die Rede ist) — also ‚wilder Schälhengst‘, — „so auch im Nibelungenliede“ (Haun 1892. 121 und WILSER 1808. 306). Nach WILsER ist der grimme Schelch ein ausgewachsener Hengst, hingegen der im Nibelungen- liede besungene Halpful das „halbwüchsige Füllen“. — Daß dies irrig und unmöglich ist, habe ich in einer Arbeit gezeigt: Der Halbful war ein Centaurus (Halpful im Nibelungenliede p. 295. Archiv. f. Gesch. d. Naturwiss. V. Leipzig 1914). Daselbst schrieb ich p. 300 „Das Wort „halb“ weist immer auf eine Mischung von zwei verschiedenen Arten — auf Bastardtiere — nie aber auf ein jüngeres Individuum derselben Art — und so kann Halpful un- möglich ein junges Ful (Fohlen) sein, wie das bis heute immer behauptet wurde!“ Als Beweise machte ich einige Beispiele nam- haft p. 299: Halpvisch, Halpgot, Halptioro, Halbwolf (Bastard zwischen Wolf und Hund), Halhunt — Cerberus. — Gerade die lehrreichsten Beweise kannte ich aber damals noch nicht, — das sind die Glossen des Vocabularius rerum: ,Tragelaphus = halphirtz oder halpbog“ (= Bock) zitiert bei DIEFENBACH 1857. 591, wo der tragelaphus (tragos Bock, elaphos Hirsch) als ein Bastard zwischen Ziege und Hirsch aufgefaßt wurde. Ich erwähne noch: (GS) !) Die Tiere folgen unsystematisch nach einander, so daß gewöhnlich die am wenigsten verwandten nebeneinander gestellt werden! Der grimme Schelch. 159 Halbrind, halff oesz = semibos; Halpmensch, halpesel = Onocen- taurus (DIEFENBACH 525 U. 396). 5. Schelch = der „Cervus — bubalus.“ — Bei ZıLLnEr (Gesch. St. Salzburg 1890. 60) lesen wir folgende merkwürdigen Zeilen: „ALBRECHT VON STADE erzähle (1104), daß im Norischen Lande noch Wisende, Riesenhirsche, Elche oder Schelche hausten. Der letztere sei der ‚cervus-bubalus‘ der alemanischen Gesetze“. Die Alemanischen Gesetze sind nämlich in einer älteren, und in einer jüngeren (= aus der Zeit Karts D. Grossen) Fassung bekannt. Die betreffende Stelle lautet in der alten Fassung: „Si quis bisontem bubalum, si cervum bubalum quod brugit, furaverit, XII solidos componat“. — Die neuere, sogenannte reformierte Fassung lautet hingegen: »Siquis bisontem, bubalum velcervum quiprurigit, furaverit“ etc. (MGH. — Leg. III. 81 und 168). D. i.: „Wer einen Wisent, einen Uhr oder einen Hirsch, der röhrt, stehlen würde, zahlt ı2 Soliden“ (= Schillinge). — Es ist aber sehr zweifelhaft, ob in erstem Texte „cervusbubalus“ und „bisonbubalus“ als zusammengesetzte Sub- stantiva (etwa Wisentstier, Hirschstier) aufgefaßt werden dürfen (ganz unlateinisch und „bubalus — Stier d. i. Männchen“ ganz ohne Analogien). Wenn die Abfassung des alten Textes richtig gewesen wäre, hätte man sie im IX. Jahrhundert nicht verbessert. Der zweite Text beweist für uns aber, wie der erste damals ver- standen wurde! Ich muß übrigens bemerken, daß ZiLLNER durch STADE, der nicht 1104, sondern 1256 seine Chronik verfaßte, manches sagen läßt, worüber sich STADE selbst wundern würde. — Siehe ausführ- licher in meiner Monographie: Wisente in Österreich. 6. „Bubalus = scelaho“ — sagt eine Glosse (HAHN 1802. 123) — aber nur eine einzige — und schon durch diesen Umstand ist diese als ein gewöhnlicher Irrtum gebrandmarkt. Normaler- weise lautet es nämlich: Tragelaphus (= Elch) = scelaho. — Die erste, falsche Glosse kann mithin auf die Norm „Bison = Elg“ zurückgeführt werden, wie dies bei vielen Autoren anzutreffen ist. PEROTTI 1496, 220; ZIEGLER 1536, 103; MÜNSTER 1559, 839; COLERUS 1645, 603; GESNER 1620. 129; BÜscHING 1788. II. 562 — (s. auch „die Namen des Wisents*) — PELLOUTIER; SCHLÖZER 1780, 80; alte ungarische Literatur: Javor (Elch) = bison. 160 B. Szalay, 7. Schelch = der Wisent, und zwar deshalb weil Schelch angeblich unbedingt aus schielen stamme (da liegt der Hund be- graben) und wie bekannt, „habe der Bison einen ausgeprägt schielenden Blick“. (FRANTzIUS, vergl.: HAHN 1892. 122, DAHMs 264 a). Der höchstverdiente O. KELLER, dessen Urteil sonst so klar ist, teilt diese Auffassung und bekräftigt sie mit der Annahme, daß der Name Schelch für Wisent wahrscheinlich darauf zurückzu- führen ist, daß irgend ein altes Gedicht den Bison als den „schelchen, schielenden Wisent“ besungen habe, wobei dann das Adjektiv später zum Namen des Tieres wurde, wie derlei Bei- spiele aus der griechischen!) Sprachgeschichte bekannt sind (1887. 345). Indem Gfrarp sich auf ScHERZ Glossarium bezieht, der be- wiesen haben soll, daß der Schelch ein Wisentstier war, spricht er sein Verwundern aus über Zarncke’s Äußerung, daß Schelch ein unbekanntes Tier sei. (Ger. 1871. 402). 8. Schelch = Cazsars bos cervifigura. (Vergl: Houtz- MANN 1873. 125. — Bos cervifigura soll nach NEES v. ESENBECK der Riesenhirsch sein, s.: PETERS p. 322). — CAESARS Bos ist aber infolge guter Gründe das Rentier (nicht Renntier, wie viele schreiben), welches gewiß nie Schelch hieß. CAESAR nennt seinen Bos ein Einhorn, es ist aber fast komisch, daß jemand den Riesen- hirsch, dieses Tier mit den größten zwei Geweihen der Welt, Einhorn nenne. Nach WeısAnD (II. 671) und KLEMM (1836. 8) soll der bos cervifigura der Elch sein — was schon deshalb ein Absurdum ist, da doch CAESAR gerade einige Zeilen nachher den , Alces“ aus- führlich schildert. 9. Schelch = der „Bockhirsch, mit Bart am Halse, ein mit dem Elch verwandtes Tier, vielleicht identisch mit dem Brand- hirsch in Böhmen“ — nach ScHELLER, v. HAGEN (1820: Der Nibe- lunge Noth), BüscainG und ZEUNE. (Vergl. DAHMS 1898. 264). — Vom Ausdruck „Bockhirsch“ haben wir schon bewiesen, daß er nur die Übersetzung des tragelaphus darstellt, welcher irr- tümlich als ein wirklich lebendes Tier aufgefaßt — (Glossentier) 1) Ich füge hinzu auch aus der ungarischen — und zwar sehr interessante: farkas (caudatus) — Wolf, szarvas (cornutus) = Hirsch, ordas (der Schwarzgraue) — Isen- grim, ravasz (der Schlaue) = Fuchs, erdei (silvaticus) = Wildeber, csikasz (der Hagere) = Wolf, tengeri (marinus) = Mais, s. ,Meerochs, des Verfassers; etc. Der grimme Schelch. 161 und mit dem Brandhirsch in Böhmen (richtiger in Sachsen) gleich- gemacht wurde. 10. Schelch = ein mächtiger alter Urstier. (Franz v. ETzZEL: Mittlg. Vogesenklub 1880. 10; s.: NEHRING p. 125; DAHMS). — PETERs schreibt hierüber: Auch CAESARS hercynisches Einhorn spricht NEEs als Cervus megaceros an „welcher in der Tat ein Ur gewesen sein muß, starknackig und grimm mit Hirschgeweihen und von Hirchgestalt“. (Jahrb. k. k. Geol. R. A. 1855. 322). 11. Schelch = Rentier, — Dieses ist aber nicht ,grimm“, und war in den Jahrhunderten VI—XII in Deutschland nicht mehr vorhanden — s. die Widerlegung DaHms p, 264. a. Es handelt sich da wieder nur um die häufige Verwechslung des Elches mit dem Ren. SCHLOEZER meint sogar (1780. 80), BECKMANN habe endgültig bewiesen, daß der tarandus der Alten der Elch sei, was aber unmöglich ist, 12. Schelch = Ochsenkalb (VECKENSTEDT: „Der Bär“ 1878. 110). — s. im etymologischen Teil. 13. Schelch = ibex (SCHÔNHUT 1847. 478); — widerlegt durch Daums p. 264. a. (Klippenbewohner — was hätte der in Holland gesucht? Vergl. die Urkunde aus Drenthe), 14. Der Schelch könnte schließlich ein fabelhaftes Wesen (wie Griff, Einhorn, Halpful) sein, oder ein Glossentier, etwa ge- rade der biblische tragelaphus, da die Glosse tragelaphus = scelo gar nicht selten ist. Zu den Drachen, Löwen, Centauren des Nibelungenliedes könnte sich ein Zwitterhirsch ganz gut gesellen. — Daß diese Auffassung aber falsch ist und daß der Hirschschelch ein wirkliches Wild der deutschen Wälder war, beweist die be- rühmte Urkunde Kaiser Orros, in der seine Jagd verboten wird. — S. später. 15. Schelch = männlicher Edelhirsch. — Grimms Wörter- buch (1893. p. 2489, „Schelch“) ist der Meinung, daß in der Glosse tragelaphus = scelo nur der „männliche Hirsch“ ge- meint sei. — Auch diese Ansicht konnte nur dadurch entstehen, daß man von der wirklichen Bedeutung und Geschichte des tragelaphus soviel wie nichts wußte. Es ist nur zu bedauern, daß eine so schöne Wissenschaft, wie die historische Zoologie, die sich auf den verschiedensten Gebieten (Zoologie, Weltgeschichte, Philologie, Jagdgeschichte, Forstkunde, Kulturgeschichte etc. etc.) intensiv nützlich machen kann, bis jetzt so arg vernachlässigt wurde! 162 B. Szalay, VIII. Schelch-Etymologie. Die Ergebnisse der etymologischen Auseinanderlegungen des Wortes Schelch sind für den Zoologen nicht ganz befriedigend. 1. Am klarsten ist der Zusammenhang mit dem Zeitwort beschelen (= bedecken lassen, inire equam) und die meisten Glossen lauten auch dem entsprechend: scelo = emissarius, admissarius = Beschäler, Schälhengst, Zuchthengst (STEINMEYER, 1870. III. 441, 443. etc. DIEFENBACH 1857; PALANDER etc.). Hierher gehört auch die Glosse: scelo = burdo, onager (Maultier, wilder Esel), weil beide als „geile Tiere galten“ (PALANDER 89). — (S.: STEINMEYER III. 366, 446; Carus 1872, 180.)!) Daß wir in obiger Glosse, die in 3 Codices auftaucht, unter onager in keinem Falle den Elch, sondern nur einen (zahmen oder wilden) Zuchthengst verstehen dürfen, beweist der Umstand, daß in denselben 3 Codices der Elch schon in der Form alx = heloho (STEINMEYER III. 446) engagiert ist! Mittelhochdeutsch schél = springend, wild; anrd. skala = be- decken (SCHWENCK 1838. 60). — 2. Schelen — schielen, d. i. der Schelch ist ein schielendes Tier, nämlich der Wisent. — Ich muß dabei bemerken, daß der Wisent in alten Werken als ein Tier mit einem ganz anständigen normalen, allerdings etwas zornigen Blick geschildert wird, das angebliche Schielen ist eine relativ neue Erfindung, wovon die Alten nichts wußten. BENECKE, der den Schelch für den Riesenhirsch hält (1854. II/2: 93) stellt sich den letzteren als schielend vor. Buck glaubt dasselbe vom tragelaphus; der Schelch ist bei ihm der „ausgerottete edle Bock- oder Schielhirsch!“ (1880. 235.) Da haben wir also eine ganze schielende Menagerie beisammen. 3. STERNE weist darauf hin, daß in Bayern schelchen = schief und unbeholfen dahinschreiten ist. Es ist nun klar, daß der Riesenhirsch wegen seines riesigen Geweihes nur in dieser Art dahinschreiten konnte, ergo ist Schelch — Riesenhirsch. 4. Schelch ist ein Ochsenkalb, denn im Wendischen bedeutet to schele — ein Kalb (VECKENSTEDT 1878. 110), mithin wäre es ein slavisches Lehnwort (FRIEDEL 1878. 342). 1) Hortzmann beklagte sich 1873. 125, daß ihm kein Naturforscher Aufklärung geben konnte, wie Schelch und onager in den Glossen nebeneinander kommen können. Der grimme Schelch. 163 5. Daß Segh (Ochs und ein elchartiger Hirsch der alten Britten) und Schelch dasselbe Wort sei, wie HIBBERT dies andeu- tet (1831. 123), ist kaum wahrscheinlich. IX. Schelch als Riesenhirsch. Diese Auffassung herrschte lange Zeit in der Literatur. MoLyNEUX war der erste, der den Cervus megaceros für die Wissenschaft 1697 entdeckte und beschrieb. (PETERS 320). Graf Metin hielt ihn noch mit unserem Elch für identisch (Busack 1837. 72). — Es war nur das große Werk Cuviers, welches die Aufmerksamkeit in gebührendem Maße auf den König aller Hir- sche lenkte. Die Phantasie wurde rege, und HIBBERT pries sich glücklich, dieses prächtige Tier in einem Bilde Münsters (1550. 784), das eigentlich 2 Damhirsche darstellt, entdecken zu können und festzustellen, daß es Mitte des X VI. Jahrhunderts in Preußen noch gejagt wurde. (WEAWER; Hisserr: Brewsters Edinb. Journ. of scien. New ser. 1830. n. 4. p. 301 und LEONHARD in Bronns Jahrb. f. Miner. 1831. 121. nicht 131.) Diese Ansicht hat Merman zwar bald darauf widerlegt, in- dem er bewies, daß Münsters Hirsche Elche seien,!) — man nahm aber davon keine Kenntnis. Im Gegenteil, als GoLpruss in den 2oer Jahren den Schelch des Nibelungenliedes für den Riesen- hirsch erklärte (Schriften Leop. Acad. Cur. X/2. p. 455 — auch bei HENSEL zitiert 1853. 244, — erwähnt bei Hisserr) erreichte diese Theorie eine grosse Blüte. Sie wurde auch von BuyacK in vier Arbeiten vergebens zurückgewiesen (1837. 85; 1839. 4; 1837, ı—72 und Preuß. Provinzbl. XVII. 97), denn sie erhielt sich bis zum Anfang des XX. Jahrhunderts, wie die folgende Liste beweist. Nachstehende Schriftsteller sprachen sich nämlich für selbe günstig aus: BÜRDE 1832 p. 102 (Erwähnung der Urkunde ‘Ottos); SERRES 1833, 325 und 1834. 325; PuscH?) 1837, 195. a (Nach HrBBERT und Münster lebte der Riesenhirsch noch vor 300 Jahren; das Nibelungenlied heißt ihn Schelch); SMOLER 1847, p. 6 (schreibt irrtümlich Münsterberg statt Münster); Scuénuur (II. Auflage) 1847. 478: Der Schelch d. i. Riesenhirsch lebt noch in Böhmen; NEES !) Das ist aber auch falsch. — es sind bestimmt etwas verzeichnete Damhirsche (= meine Monographie: Gesch. d. Damhirsches, Cap. Preußen). Schon ScHurz hat MERIAN berichtigt (1892. ı3.) und darauf hingewiesen, daß Münsters Bild weder auf den Riesenhirsch, noch auf den Elch passe. ?) PuscH schreibt zweimal Rhelch statt Schelch — ein Druckfehler. (1837. 209. etc.) Zool. Annalen VII. il 164 B. Szalay, von EsENBECK; Vorz 1852, 130: „Es ist erwiesen, daß der Riesen- hirsch noch vor einigen Jahrhunderten in Deutschland, Frankreich und England lebte; PrerrreR (Germania VI/1861. 225, und auch früher); — PFEIFFER trug sehr viel dazu bei, die irrige Ansicht vom historischen Riesenhirsch zu verbreiten); BENECKE 1854. 93; (bezieht sich auf Preirrer); „Der Riesenhirsch“ (Separatdruck ohne Quelle und ohne Autor p. 1—4. — wie es scheint größten- teils nach PETERS), GIEBEL 1855. 356. MAGERSTEDT 1859. I. 16.; FITZINGER 1860, V. 339 (Anspielung auf die Urkunde aus Drenthe); LUNGERSHAUSEN 1866. 351; BRANDT 1867. 128. (— 96); STRICKER 1868. 64 und GUTHE („Niedersachsen“); K. BARTSCH 1870, 262; MAACK 1869. 121; CARUS 1872, 48 u. 182; STRUCKMANN 1874. 146. FRIEDEL 1874, 100; 18775 2303-19795 3415 3427 1873, 73° SCHÄREHÄUSENZ 1875982045 NAUMANN 1875. 25; FRAAS 1876, AA. 72; STRUCK 1876. 87; WEIN- LAND 1878. 18; SCHULZ 1879. I. 354. PESCHEL 1880, 84; WIEDEMANN 1883. 82, 83 (Der Ortsname Schöllang — Schelch-wang soll vom Cervus euryceros herrühren); GÜNTHER 1888. 582. (Der Riesen- hirsch lebt im XVI. Jahrhundert in Deutschland — so z. B. im Harz! — Scalkaha (Ortsname) von ihm benannt); SCHULZ 1892: 13, 14; HIPPEL 1897. 65; Meyer’s Converst. Lexic.; BEGIEBING 1905. 30 (bedingungsweise); „Im Urwald“. 1915, etc. Man wundert sich wirklich, wie diese Theorie sich so lange aufrechterhalten konnte, da sie doch schon in den 30er Jahren widerlegt worden ist (MERIAN, BuJAck). Selbst in den goer Jahren getrauen sich WOLTERSTORF (1892. 85) und ZirtEL (Palaeont. 1893. 403), ferner noch später BEGIEBING (1905. 30) nur vorsichtig, ohne Entschiedenheit gegen sie Bedenken zu äußern. Die zwei Hauptgründe, die nämlich gegen sie sprechen, sind a) daß der Cervus euryceros am Beginn des Neolith auf dem Kontinent schon ausstarb; er ist in gar keinem alten Werke erwähnt, noch auf einem Kunstdenkmal verewigt, was bei diesem wundervollen Prachttier rein unmöglich wäre, wenn man ihn gekannt hätte. b) Im Nibelungenlied speziell kann er aber des- halb unmöglich auftauchen, weil er ein ausgesprochenes. Steppentier war, welches in den Urwäldern neben dem Rhein mit seinen Riesengeweihen keine Bewegungsfreiheit gehabt hätte. (SOERGEL 1912. 39—41). Viele Forscher haben sich deshalb in diesem Sinne aus- gesprochen und Stellung gegen die historische Existenz des Cervus megaceros genommen so z. B. PuscH 1840, 63 und 133; Der grimme Schelch. 165 Owen 1846, 461; HENSEL 1853, 244: „Wäre der grimme Schelch der wunderbare Riesenhirsch gewesen, der Dichter der Nibelungen würde sicher seinen Helden mehr als einen haben erlegen lassen.“ — Kart Peters: Ub. d. ir. Riesenhirsch, H. d. Geol. R. A. Wien 1855. 318; HOLTZMANN 1873, 125; FRANTZIUS, AA. 1876, 72: „Unser Hirsch stirbt im Neolith aus, und so schweben die Ansichten der Germanisten in der Luft“; M. Mucu (Gaea VI. 216, 284, siehe AA. 1881, 135); NEHRING 1882, 178: Verh. Berl. G. Anthrp.; WAGNER 1884, 124; NEHRING 1890, 205 (Ub. Tundren); ScHuLz 1892. 13. 14.; ScHLosspR AA. 1895, 122; STRUCKMANN 1895, 99; Klaatsch II, 258; DREVERMANN (Ber. Senkenb. Ges. 1910, 8: Der Riesenhirsch war ein Steppentier!); und viele andere wie DuERST, SoERGEL, Haun (Verh. Berl. Ges. Anthr. 1892, 121); Daxms (Naturw. Wochsch. 1898, 263, 343) etc. etc. SCHERER sagt treffend: Der Riesenhirsch lebte im Mittelalter nicht mehr — und so hätte ein damaliger Poet nur durch besondere paläontologische Offenbarung von seiner Existenz wissen können. (Zeitsch. österr. Gymns. 1865, 518). Ernst Martin hatte recht, wenn er den Schelch der Nibelungen als ein — i. J. 1865 — unbekanntes Tier dahinstellte. (Gram- matik u. Glossar z. Nibelunge Not. 1865). Interessant sind auch die übrigen, auf Irrtümern beruhenden „Beweise“, die man gewöhnlich für die historische Existenz unseres Hirsches anzuführen pflegte. — Es ist zwar möglich, daß er in Irland bis in vorhistorische Zeit lebte, daraus kann man aber keine Folgerung auf sein kontinentales Vorkommen ziehen. Außerdem verstrich aber ein riesiger Zeitraum von dieser Periode bis zum wackeren Helden Siegfried oder bis Münster. Ein sagenhaftes Tier, der Segh der alten britischen Jäger, soll angeblich der Riesenhirsch gewesen sein. (SCHAFFHAUSEN 1875. 264). Nach Hisserr „hält auch Wuirracker dafür, .. . denn das Wort Segh bezeichne nach einem alten Glossarium nicht nur einen Ochsen, sondern auch einen elenartigen Hirsch. GoLD- russ hält ihn für den Schelk der alten deutschen Jäger und den Schelch der Nibelungen. Der erloschene irische Wolfshund (= Kibble hound) war der natürliche Feind des Euryceros£ — etc. (HIBBERT 1831. 123). Oft werden die Rippen des Megaceros mit von Menschenhand herrührenden Einkerbungen beschrieben (FRIEDEL 1878. 341). Neuer- dings werden aber diese derart erklärt, daß sie durch Aufeinander- 11* SD 166 B. Szalay, liegen zweier Rippen verursacht wurden (SOERGEL 1912. 39—41). Die angeblichen Lanzenstiche (Hispepr 1831. 123) an den Knochen können auch durch die Geweihspitzen eines Nebenbuhlers ent- standen sein. Es wurde sogar behauptet, daß ein ıı Fuß tief in einem irischen Torfmoore gefundener Menschenkörper in ein Gewand eingehüllt war, das aus den Haaren dieses Tieres ge- fertigt gewesen sei (Archaeologia Brittannica VII. — siehe HisBERT 1831. 122), wohl nicht ohne viel Phantasie der Gräfin v. Moira. Unter den angeblichen historischen Belegen sind zu erwähnen: Cansars bos cervifigura wäre der Riesenhirsch. Hiervon berichteten wir schon, und bestimmten ihn als Rentier. Nach BrenMm-RossmASssLER (1864. I. 36) soll der Machli des Purntus der Megaceros sein. Hiervon ist aber keine Rede. Das Wort Machlis entstand nur als ein Schreibfehler aus Achlis (= Alces, Elch) dadurch, daß ein Kodex irrtümlicherweise das m des vorhergehenden Wortes zum Achlis schrieb (also statt -narratam achlim“ — ,narrata machlim“ — Puinius VIII. 39, siehe ganz klar in der großen SıLLisschen Ausgabe 1852. II. 81). — Aus Machli wurde infolge eines Lesefehlers bei VincENTIUS sogar Inacli. SERRES erklärt (1833. 325), daß unter dem Kaiser GORDIAN nach der Aussage des Junius CArıtoLımus im römischen Circus solche Hirsche aus England zur Schau getragen wurden, die durch Größe ihres Geweihes auffielen. — Obwohl ich diesen Satz gerade in dieser Form in verschiedenen Werken vielleicht zehnmal gelesen habe, muß ich ihn doch als eine Fälschung brand- marken. JuLius CapiroLIinus sagt nämlich nur folgendes von den Spielen unter GORDIAN I: „Im Palaste des Cn. Pompeius ist noch heute ein Gemälde zu sehen, auf welchem jene Tiere veranschaulicht sind, die im Amphitheatrum unter Gorpran I. zur Schau gestellt wurden, wie 200 Hirsche mit handflächenartig breitem Geweih, (= Damhirsche) gemischt mit britannischen Hirschen‘, d. i.: » + +. in qua pictura etiam nunc continentur cervi palmati ducenti mixtis Britannis“ (Gord. Cap. III). — Wie ersichtlich, ist da von „auffallend großen Geweihen“ überhaupt keine Rede. HisBert setzt dennoch dazu (1831. p. 123), daß das 200 Riesenhirsche waren, die wiederholt in großen Mengen im Circus erschienen, und daß gerade diese Einfange für den Circus arg zur Ausrottung des Tieres in England beitrugen. — Dies ist aber nicht alles, denn SERRES ging noch weiter (1834. 325) und behauptete, „Hirbert“ Der grimme Schelch. HO habe in Rom — gegen 1830 — ein Gemälde aus klassischer Zeit entdeckt, auf welchem der „Elenn von Irland“, d. i. der Riesenhirsch!) verewigt ist — als großartigen Beweis für die historische Existenz des Tieres. — Wir müssen jedoch tieferschütterten Herzens fest- stellen, daß dieser „Hirbert“ nur unser Hibbert ist, der aber viel bescheidener war, als ein Gemälde heute zu entdecken, das allem Anscheine nach schon vor ca. 1500 Jahren vernichtet wurde, — Die manchmal etwas zu hitzigen Äußerungen SERRES muß man überhaupt mit Vorsicht aufnehmen. Er behauptet z. B, daß OPPIANUS, ALDROVANDI, JOHNSTON, und MÜNSTER vom Riesenhirschen als von einem lebenden Wild ihrer Zeit reden, und daß die zwei letzteren ihn sogar bildlich darstellen. Es handelt sich dabei aber nur um die besprochenen Zeichnungen des Damhirsches bei MÜNSTER. Der ,euryceros“ des Oppranus (II. Jh.), den früher einige Forscher für den Riesenhirsch hielten (cf: QuenstEDT 1885, 103), ist auch nur unser Damhirsch — s. meine Geschichte des Dam- hirsches. Oppranus sagt nicht mehr und nicht weniger: „Ein anderes Tier (als der Edelhirsch) ist der Eurykeros, der aber in allem dem Edelhirsche gleich ist, ausgenommen sein Geweih, dessen Form sein Name verkiindet“ (Kynegetika II. 293) — eurys heißt nämlich „breit“ und keras = Geweih. — Es gehört doch ein ziemlicher Grad der Phantasie dazu, aus diesem so wenig sagenden Text den Riesenhirsch herauslesen zu wollen. Es ist merkwürdig, wie ALDROVANDI zu dem Schluß gelangte, daß dieser euryceros, dann die cervi palmati des Juzrus CAPITOLINUS größere Schaufelhirsche, als der Edelhirsch waren. Berton sah nämlich (s. weiter unten) im XVI. Jahrhundert riesige Schaufeln — und da dachte sich ALDROVANDI — das waren sicher die Geweihe der cervi palmati etc. — mithin müssen das riesige Hirsche ge- wesen sein. Diese ganze Auffassung schwebt aber in der Luft, und ist nichts anderes als eine Einbildung; denn Oppranus sagt doch klar, daß sein eurykeros sich nicht vor dem Edelhirsch auszeichnet. — Die heutige Wissenschaft nennt den Riesenhirsch zwar nach ALDROVANDI euryceros — obwohl gewiß mit Unrecht, weil ALDROVANDI vom wirklichen Riesenhirsch gar keine Ahnung haben konnte. Die allerinteressanteste Angabe über den historischen 1) In England hielt man früher die Reste des Cervus megaceros allgemein für riesige Elche! 168 B. Szalay, Riesenhirsch, dessen Schleier nun folgende Zeilen zu enthüllen berufen sind, ist folgende: Berton, der berühmte wissenschaftliche Reisende des XVI. Jahrhunderts schreibt (Observat. Lib. I. Cap. 54: Ostenduntur cornua damae ingentis magnitudinis variis locis, qualia sunt ea, quae in gradibus et ascensu Ambrosianae arcis conspiciuntur — bei ALDROVANDI 741, GESNER 1620. 126): „An verschiedenen Orten zeigt man Geweihe von riesenhaften Damhirschen, solche sind z. B. jene, die man im Treppenhaus, d. i. im Aufgange der Ambro- sianischen Burg sieht“. Wie bekannt, sind die Schaufeln unserer Damhirsche von mäßiger Größe, — so daß jene riesigen Geweihe Belons von ähnlicher Form ganz bestimmt nur fossile Riesenhirschgeweihe sein können! Dafür spricht ferner der Umstand, daß wir Belege dafür haben, daß gerade diese fossilen Riesenhirschgeweihe schon vor Jahrhunderten stark bewundert, gesammelt, — und zum Schmuck der Paläste verwendet wurden, — so wahrscheinlich schon unter den Römern! Beachtenswert sind folgende Zeilen Cuvier’s (Oss. foss. 1835. VI. 145): „Pennant ajoute dans son Histoire des quadrupedes p. 98, que ces bois du cerf gigantes- que sont communs dans les cabinets et dans les maisons des gentils- hommes irlandais. — Nous voyons en effet, dans l’ouvrage de M. Parkinson sur les fossiles III. 315, que ’archevéque d’Armagh en avait dans la grande salle de son palais à Dublin, et que l’on en avait présenté un a Charles II. qui fut pendant longtemps ex- pose a Hamptoncourt dans la galerie des Cerfs“. — Auch in Deutschland schmückte man im XVI. Jahrhundert die Paläste gern mit kapitalen Elchgeweihen und Wisenthörnern, wie dies jene Bitt-Briefe beweisen, die an die Herzöge v. Preußen — um gefällige Zusendung solcher Trophäen — von fremden Fürsten massenhaft zugingen. So schreibt MARKGRAF GEORG v. BRANDEN- BURG an ÄLBRECHT, preuß. Herzog 1537: „Da wir nun wissen, daß E. L. sehr schöne und große Elendsgehörne . . . haben, (ersuchen wir) Paar hübsche Elendsgehörne von vier Stangen zu Hülfe uns kommen zu lassen“. Um ähnliches bittet auch Grore Hans Pfalzgraf vom Rhein (Edelhirsch- und Elchgeweihe), ferner Graf Franz v. THURN aus Prag. Auch Erzherzog FERDINAND v. ÖSTERREICH erhielt Elchgeweihe von ALBRECHT (Preußen) für sein Schloß in Prag. Der grimme Schelch. 169 Graf WitH. v. HENNEBERG schrieb 1544 an ALBREBHT: „(Er- suche) daß Eu. L. uns mit zwei Paar großen Auerochsenhörnern, die mit den Hirnschalen ausgehauen wären, und beieinander blieben, beehrten“. (Voiar 1835. 298— 301). — — Die hochinteressante Angabe über die Riesengeweihe der „arx Ambrosiana“ Beton’s haben mir keine Ruhe gelassen — und 2 Jahre lang habe ich nach der Örtlichkeit dieser „arx Am- brosiana gesucht — ohne sie finden zu können. Die Zeilen Br- cons sind in der Literatur nur wenig bekannt und die wenigen, die davon berichten, eilen alle so schnell und kurz über die „arx Ambrosiana“ hinweg (so z. B. HiBBERT, 1831. 123, GESNER, ALDROVANDI u. a.), daß man den Eindruck gewinnt — die große Eile dient nur zur Verhüllung gerade ihrer Unorientiertheit betreffs der „arx Ambrosiana“. — Ich fand die Erwähnung einer „Basilica Ambrosiana“ in Milano, ferner die eines „castrum Ambasiae“ in der alten Literatur, ohne es gewagt zu haben, mit diesen unsere arx Ambrosiana zu identifizieren. Das erwähnte castrum ist die Stadt Amboise in Frankreich (Arrond. de Tours). — Endlich hat es sich doch herausgestellt, daß ohne Zweifel unbedingt das letztere gemeint sein muß — es ist mir nämlich gelungen einen zweiten Faden zu finden, der zur arx des BELON führte. Friese verdanken wir folgende Zeilen (Sitzber. Ges. Isis — Dresden 1870. p. 525): Im königl. Palais zu Moritzburg (Sachsen) befindet sich eine Zeichnung von einem Hirschgeweih riesiger Größe. Das Originalgeweih ist im Schlosse AmBolse in einem Turm noch vorhanden, wie das hier mitgeteilte Zeugnis des dor- tigen Kastellans schwarz auf weiß bestätigt — woran sich übrigens auch Graf SEEBACH, sächsischer Gesandter in Frankreich — mit eigenen Augen überzeugt hat. Nach den Zeilen des Kastellans befanden sich der Sage nach i. J. 764 im Hofe des fränkischen Königs Pırın zwei Edelleute, namens HARIOLPH und CAvoLpH, die eine Reise im Schwabenland unternahmen, wo sie „en Souabe, pays de Virugraud“ — mithin wie es scheint im „Virnegrund“ {s. KRETSCHMER 182) — einen riesigen Elch im Urwalde schossen. Zum Andenken an diese merkwürdige Jagd gründeten die Edel- leute hier ein Kloster. Sie widmeten das kolossale Geweih dem König Pırın. Karu VIII. deponierte es später im Chateau d’Am- boise, wo es noch heute zu sehen ist. — So ist aber M. Prosst im Unrecht, der unter dem Titel „Der 170 B. Szalay, Riesenhirsch von Ellwangen“ (Würt. natw. J. Hefte 1885. 52, — siehe noch AA 1888. 182) sich derart äußert, daß „das Geweih des Tragelaphus“ in Amboise nicht mehr existiere. Nach ihm befinde sich obige Zeichnung vom Geweihe in Dreilinden bei Zehlendorf; dies Geweih, das jenem des Edelhirsches sehr ähnlich sei, sei kein Schaufelgeweih; das Original müsse jedoch ein Riesenhirschgeweih gewesen sein, doch habe man in der un- genauen Zeichnung nur die Dimensionen, nicht aber die Bildung der Geweihe berücksichtigt, und dem Hirsche Edelhirschgeweihe gezeichnet, um sie vielleicht natürlicher, glaubwürdiger erscheinen zu lassen! Man habe nämlich dabei nur riesenhafte Trophäen veranschaulichen wollen, nichts anderes. Chateau d’Amboise ist nach all diesem unbedingt die arx Ambrosiana Betons, und so bestätigt sich die interessante Tatsache, daß jene Riesengeweihe schon Beton besichtigt hatte und daß sie doch Schaufelgeweihe waren. — Leider konnte ich mir das französische Originalwerk BELoNs 1554 — erst vor kurzem verschaffen. Dort heißt die ,arx Am- brosiana“ p. 54. b „chäteau d’Amboise“. Der ganze Text lautet: „Lon faict monstre (= montré) de ces cornes (= Damhirschgeweihe), d’excellente grandeur en divers lieux, comme sont celles qu’on veoit en la montée du chasteau d’Amboise. Lon veoit aussi une effigie entaillee en pierre d’un autre beste de ce genre, a qui l’on a mis les cornes du vray animal, qui les avoit portées, qui m’ont semblé dignes d’en faire mention; car je croy que c’est celuy qu’Aristotea nomme Hippelaphus, attendu qu’il a de la barbe comme le Bouc estain. Quoy qu'il en soit, (c’) estoit un animal moult rare: car je pense que s’il n’eust este veu (= vu) en France, on ne l’eust pas faict representer en effigie de relief avec ces cornes au palais d’un Roy“. — Da haben wir also den Tragelaphus — mit echtem Riesenhirschgeweih — aber nur als ein Phantasie- produkt des Künstlers. In der Literatur liest man manchmal die kurze Nachricht — ohne jede Details — daß der Elch im VIII. Jahrhundert für Bayern belegt sei (GREVÉ: Z. G. 1898, 301; DUERST 1904. 282; REINHARDT 1912. 609; KILLERMANN 1912. 789). Es ist von Vorteil zu wissen, daß es sich hierbei gerade um diese französische Sage aus dem Jahre 764 handelt, die wahrscheinlich in einer kirchen- geschichtlichen Urkunde, da von der Gründung eines Klosters die Rede ist, auch auftauchen wird. — Es ist aber doch seltsam, Der grimme Schelch. 171 daß die Sage von einem Elch berichtet, das Geweih gehörte einem Riesenhirsche, und die Abbildung weist dennoch ein Edelhirschgeweih auf: Da soll man jetzt gescheit werden! Wir würden einem, nach Amboise reisenden Zoologen wirklich verbunden sein, wenn er das berühmte Geweih im dortigen Chäteau besichtigen, und uns sicheren Aufschluß geben würde: ist das ein Elch- oder ein Megaceros- Geweih? — — Der ungeschickteste und ganz unverständliche Beweis, den man für die späte Existenz des Megaceros brachte, war die Berufung auf die berüchtigten Dambilder Münsters. Es ist nicht zu ver- stehen, wie der ohne Gleichen oberflächliche Text HiBBERTS (1831. 121) von anderen so oft ohne Nachprüfung wiederholt werden konnte, denn a) Münster sagt doch klar, daß er vom Damhirsch redet; b) die Zeichnung des Geweihes seiner Damhirsche hat keine Ähnlichkeit mit jenem des Riesenhirsches, dennoch sagt HIBBERT es „stimme ganz mit dem fossilen Hirschen“ (p. 122); c) HIBBERT zitiert den angeblich zu dieser Abbildung gegebenen Text; in der Tat zitiert er aber die nächstfolgende Beschreibung des Elches, was um so merkwürdiger ist, da Mtnsrer doch in diesem, auch durch Hissert zitierten Texte das Tier „Alces, germanice autem vocantur Elend“ sogar in zwei Sprachen mit dem Namen klar benennt. — Die ganze Sache macht den Eindruck der größten Konfusion und Eingenommenheit. X. Der Schelch als (männlicher) Elchhirsch. Da es sich endgültig herausgestellt hat, daß der Schelch kein Riesenhirsch sein kann, wurde die von Busack (1837) inau- gurierte Auffassung, er sei der Elchhirsch, allgemein angenommen. (Puscx 1840, BLasıus 1857. 436, HENSEL 1853. 244; NEWALD und Mvucx: Wiener Jagdzeit. 1879 und 1880; WAGNER 1884. 124; NEHRING 1892. 125; WIMMER 1905. 322, D'UERST und hundert andere). Einige neue Beweise brachte auch Daums in seiner ausführlichen und wertvollen Arbeit. (Naturw. Wochensch. 1898.) — W. SCHERER (1865. 518) hält obiges durch die berühmte Ur- kunde Orros (aus 944) als endgültig erwiesen derart, daß er sich berechtigt fühlte, es rund herauszusagen, daß „wenn der Ver- fasser des Nibelungenliedes den Schelch neben dem Elch als ein besonderes Wild aufgeführt hat, so mußte für ihn das erste ein unbekanntes Tier sein“! 172 B. Szalay, Da aber auch diese Ansicht ihre Haken hat, und da heutzu- tage der klare Blick hauptsächlich dadurch getrübt und even- tuelle Gegenmeinungen scheinbar dadurch gestärkt werden, daß man viele solche Argumente neben der Auffassung Busacks gel- ten ließ, die durchaus nicht stichhaltig sind, so müssen wir uns zuerst mit der Kritik dieser scheinbaren Beweise befassen. ı. Man berief sich oft darauf, daß in der berühmten Urkunde Orto I. die Wörter elo und schelo durch vel „oder“ verbun- den sind, und dieses vel soll die Gleichartigkeit der da- nebenstehenden Wörter auch in zoologischem Sinne bezeichnen (DaumMs 1898. 267. b) — Dieser Satz ist in dieser Form überhaupt zu streichen. | Die betreffende Urkunde Orto I. aus 944 lautet (wiederholt 1006 und 1025): Interdicimus, ut nullus . . . in pago forestensi — in pago Thriente!) vocato, quod est in Comitatu Everhardi, cervos, ursos capreas (in einem andern Codex: ursos aut apros), apros, be- stias insuper que Teutonica lingua elo aut scelo appellantur, venari . . . presumat“. (Monum. G. H. — Dipl. I. 143). — In anderen Codices steht „elo et scelo“. — (Es soll angeblich auch elo vel scelo. vorkommen). Jeder, der viele lateinische Texte des Mittelalters gelesen hat, weiß sehr gut, daß die damaligen Schreiber (scriba) die Feinheiten der klassischen Sprache gar nicht kannten. Die Grammatik sagt: Vel und aut bedeuten so viel wie „oder“, mit dem Unterschied, daß vel gleichwertige, analoge, ja identische Begriffe verbindet, hingegen aut ganz entgegengesetzte, die einander ausschließen („aut Caesar aut nihil“), d. i. im allgemeinen verschiedenartige. Elo velscelo bedeutet so viel, daß elo dasselbe ist wie scelo; elo aut scelo hingegen, daß das erste etwas ganz anderes, als scelo ist. — Das ist ja schön in der Theorie — nur wußten die damaligen Schreiber gar nichts davon und verstießen auf Schritt und Tritt gegen diese Regel, derart, daß man in den lateinischen Texten dieses Zeitalters nie wissen kann, welcher Wert den so oder so verbundenen Begriffen beigemessen wurde. — Dies be- weist in unserem Fall schon jener Umstand, daß der eine Codex- schreiber unwillkürlich, ohne es bemerkt zu haben, zwischen elo und scelo et setzte, wo sein Vorgänger aut (oder nach anderen vel) schrieb. — Anbei einige Beispiele. für den falschen Gebrauch dieser Bindewörter: 1) = Land Drenthe, in den Niederlanden, zwischen Vechte und Ems. — CG bee Der grimme Schelch. 173 „Si quis bisontem, bubalum vel cervum, qui brugit, furaverit . .“ etc. (Leges alaman. — Mon. G.H. Leg. p. 168). „Büffel“ und Hirsch sind sehr verschiedene Dinge, da sollte aut oder et stehen! In einer Urkunde aus 992 steht es gerade umgekehrt als es sein sollte: „Cervum aut cervam, aprum vel apram“, also wie es dem Schreiber gerade einfiel. (MGH. Dipl. II. 509). — Im Jahre 997 wieder: „Cervum aut cervam vel aprum“ — alles umgekehrt — (Ebendort II. 661.) „Ursum aut ursam“ — 1017. (Ebend. III. 469) — „Huic elephantes jungo vel uros“ (Carmina burana, p. 176. BEIN EL)" „Cervum vel capreolum capienti oculi eruebantur“ (Gesetze Wilhelm des Eroberers in England — s. SMOLER 1847, 314). All diese Fälle kann man auch so auffassen, daß das Haupt- gewicht auf das Zeitwort gelegt wurde: „Büffel oder Hirsche dürfen in gleicher Weise nicht gejagt werden, d. i. sie sind in dieser Hinsicht gleichgestellt“, deshalb sind sie mit vel ver- bunden. Demnach kann bei all diesen Fällen das Bindewort (vel, aut) durchaus keine Rolle spielen, es vertritt rein nur die Stelle des „und“, wie wir schon gesagt haben. Hieraus folgt, daß das vel oder das aut in der Urkunde Ottos in unserer Frage vollkommen belanglos ist und in keiner Richtung etwas beweisen kann. 2. Ein zweites Argument pflegt die berühmte, hundertmal zitierte Nibelungenliedstelle zu sein, wo (Siegfrieds Jagd) Elch und Schelch anscheinend inanaloger Weise wie Hirsche uud Hinde aufgezählt werden (XVI. 935): 1. daz er zestodessluoe, ein vil starkez halpful, mit der sinen hant: dar nach er vil schiere einen ungefüegen lewen vant. — ... (937) Dar nach sluoc er sciere einen wisent und einen elch, starker tre vîere, und einen grimmen scelch. .., hirze oder hinden . . . Einen eber grôzen . . .“ (BARTScA). — Es taucht nun die Frage im allgemeinen auf, — ob es anzu- nehmen ist, daß die deutsche Sprache für Weibchen, und Männ- chen der Elche verschiedene Bezeichnungen haben konnte? — Das ist als Möglichkeit in keinem Falle leugbar. — Es ist leicht 174 B. Szalay, zu beweisen, daß die alte deutsche Sprache bei fast allen gewöhn- lichen wilden und zahmen Tieren, wo dies von praktischem Nutzen war, verschiedene Namen für die beiden Geschlechter hatte. So beim Pferd: d Ross, Reinno, Schelch; @ die Kobel (Grimm) — (Stute ist ganz neu!); beim Rind (Stier, Kuh); beim Schwein (Eber, Sau, Bache!); beim Schaf (Widder, Schafbock, ram) — 2 Ou (= Mutterschat); Ziege: (Bock — Geib, Ziege); Hund (Hündin — zöha, s. PALANDER 1899); Rehbock und Ricke (Rehgeiß); Hirsch und Hinde (hinta); Hahn — Henne etc. In den ersten Jahrhunderten war aber der Elch in vielen Gegenden gerade so gewöhnlich und altbekannt, wie der Edelhirsch, so daß eine doppelte Benennung, etwa elch, schelch von vornherein durchaus nicht auszuschließen ist. Ganz anders lautet aber unsere Antwort, wenn wir fragen, ob es wahrscheinlich ist, ob Beweise dafür vorhanden sind, daß eine Doppelnamigkeit des Elches in der Form elo— scelo tatsächlich existierte? Dies müssen wir in gewissem Sinne verneinen! Elch und Schelch werden als mit z. B. Kuh und Stier des Rindes vollkommen analog betrachtet. Gerade diese Analogie fehlt aber. Den einen Unterschied hat WiLser bemerkt (Naturwiss. Wochensch. 1898. 306 a), der betont, daß alle Namen für weibliche Tiere (siehe unsere frühere Aufzählung) ohne Ausnahme weiblichen Geschlechtes sind (Kuh, Ricke etc.) — hingegen wurde Elch im Nibelungenlied als männlich gebraucht. Das ist gewiß ein richtiger Wink, der nicht ohne weiteres von der Hand gewiesen werden kann. _ Der zweite Unterschied aber, den WıLser gewiß nicht kannte, besteht in jenem, in unserer Frage äußerst wichtigen, und noch von niemand berücksichtigtem Umstande, daß das (weibliche) Elchtier noch im IX. und XII. Jahrhundert mehrere eigene deutsche Benennungen hatte: Elahin, Elchin = weibl. Eich (XI. Jh. STEINMEYER 1879. III. 447; PALANDER 103). Ebenso im Angelsächsischen: Eolh = Elch- hirsch, Elha oder eola = Elchtier. (JoRDAN 1903. 180). Dem letzteren ist im Althochdeutschen unbedingt ein elaha voraus- zusetzen. — Diese femininen Bezeichnungen sprechen in zoogeo- graphischer Hinsicht für die größte Verbreitung und Anzahl der damaligen Elche und zugleich liefern sie den unumstößlichen Beweis, daß Elch in keinem Fall der Name des Weibchens, sondern 1) Im XVI. Jahrhundert kam auch „der Bach“ (= Sau) vor (Idiom) — siehe KLUGE. eae es Der grimme Schelch. 175 jener der Gattung war — d. i. Elch ist nicht mit Kuh — (so wie Hinde) — sondern mit dem Worte Rind analog! 3. Daums versucht die Einwendung WiLsers dadurch auszu- gleichen (1898. 343), daß er annimmt — das ist zugleich das Rückgrat ailer seiner Ausführungen und Beweise —, daß Elch ohne weiteres als ein männliches Wort gebraucht werden könnte — weil man darunter eigentlich nicht das Elchtier als das Weibchen des Alces — sondern ein eselartiges Tier (onager) verstanden habe, von welchem man nicht wußte, daß es eben das Weibchen des Elchhirsches ist, und dasselbe als eine verschiedene Tier- gattung betrachtete; elo und scelo, eigentlich weiblicher und männlicher Elch, galten im Mittelalter, gerade so wie die ent- sprechenden onager und alces, als verschiedene Tiergattungen. Diese Auffassung ist aber grundaus verfehlt, — ja absolut unmöglich! Es ist von größter Wichtigkeit hierin klar zu sehen. Wie ich schon betont habe, beweisen die femininen Formen elahin, eola, elha die große Gewöhnlichkeit des Elches im Zeit- alter des Nibelungenliedes und der Urkunde Orros, weil sie aus derselben Zeit stammen. In Norddeutschland war der Elch sogar noch viel später (XV. Jh.) äußerst gewöhnlich — s. hierüber meine Arbeit: Der Meerochs, — Zoolog. Annalen 1014. p. 80. Somit bestätigen aber derlei doppelte Namen, wie elaho-elha, oder meinetwegen elo-scelo (als Elchgeschlechter) unbedingt gerade den Umstand, daß es nur allzu bekannt war, daß sie dieselbe Tiergattung betreffen. Außerdem spricht aber schon die Form- verwandtschaft (elaho-elha, elo-scelo) dafür, daß man mit ihnen gleichwertige, gleichartige Tiere bezeichnen wollte, d. h. daß ihre Zusammengehörigkeit wohl bekannt war. Man darf doch nicht von den heutigen Verhältnissen aus- gehen. Wenn ein Bauer heute irgendwo ein Elchtier, und nach einem Jahr andernorts einen einzigen Elchhirsch zu Augen be- kommen würde, so könnte er sie vielleicht (?) für verschiedene Tiergattungen halten. Im V.—XII. Jahrhundert aber, wo er dieses Wild überall in großen Scharen, Tiere und Hirsche vermischt zusammen sehen mußte, ist vorige Voraussetzung gänzlich un- haltbar. Sie ist überhaupt schwer denkbar bei scharenweise lebenden Tieren, — gerade beim Elch aber am schwersten, da dieses Tier durch ganz ungewöhnliche, merkwürdige Formen, als stark charakteristisches Wesen sich tief ins Gedächtnis einprägt und schwer zu verkennen ist. 176 B. Szalay, Es liegt aber auch durchaus keine Notwendigkeit vor, an der geschilderten, fehlerhaften Theorie festzuhalten. Wie ich gezeigt habe, hießen Stubengelehrte den Elch nur vom XIV. Jahrhundert an ,Onager“. Der Vergleich mit einem Wildesel würde einem Bauer schon deshalb nicht eingefallen sein, weil er den letzteren auch nicht kannte. Außerdem hat der Bauer eine bedeutend bessere Beobachtungsfähigkeit, als daß er einen Hirsch für einen Esel, d. i. Einhufer halten könnte! Es ist aber gar nicht richtig, daß die Stubengelehrten nur das Elchtier einen onager genannt hätten, sondern sie gaben diese Bezeichnung der Gattung selbst, die sie nur sehr selten abgebildet sahen und von welcher sie überhaupt außer einigen nicht charakteristischen albernen Märchen nichts wußten. Davon kann sich jeder überzeugen, wenn er meine früheren Zitate über den Onager sorgfältig überprüft. Setzen wir den Fall, Stubengelehrte hätten im XVI. bis XVIII. Jahrhundert vom Elchhirsch und Elchtier, ,Alces“ und „Onager“ in demselben Werke als von verschiedenen Tiergattungen geredet (obwohl hierfür kaum Belege vorliegen), so bewiese auch dieser Umstand durchaus nicht, daß sie beide Tiere gesehen und sie für verschiedenartig hielten, sondern ganz im Gegenteil, daß sie keines von beiden sahen, und nur einfach — nach be- währten alten Mustern (ALBERTUS: Alches, aloy, equicervus) aus einem älteren Verfasser den Passus über Alces, und aus einem anderen den über Onager ausschrieben, ohne sich weiter darum zu kümmern, wie sich diese zueinander verhalten und ob sie über- haupt zueinander gehören. Ich muß betonen, daß kein einziger Schriftsteller existierte, der den Alces und Onager erwähnend unter dem einen den Hirsch, und unter dem anderen das Elchtier beschrieben hätte — außer Betiusartigen Poeten, die tautologisch rein nur Namen nebeneinander stellen wollten, ohne sich um deren Inhalt zu kümmern. Und so hat die ganze Theorie überhaupt keine sach- liche Basis. Ich wiederhole: Durch die Vergleichung meiner zi- tierten Onager-Texte und anderer wird sich jeder überzeugen müssen, daß die alten Schriftsteller unter den Namen Alces und Onager dasselbe verstanden und zum Beweis beide in ganz gleicher Weise beschrieben und behandelten. Onager hieß nur derjenige den Elch, der ihn wenig kannte. — Wie das Tier aber im XVII. Jahrhundert wirklich bekannt wurde, Der grimme Schelch. NAA tauchten tiberall massenhaft Tadelungen der Benennung Onager auf, siehe meine Zitate. Es fehlt auch jede Analogie, daß beide Geschlechter je eines großen Säugetieres irgend wo als verschiedenartige Tiere betrachtet worden wären, — das ist unmöglich. Als Beweis für meine Auffassung, verweise ich schließlich auf die Zeichnung des weiblichen Elches im Werke GESNERS und FoRERr’s — wo dieses Tier ohne Geweihe nur der onager Daum’s sein kann — und siehe: es besitzt Hoden! 4. Setzen wir den Fall, — elo und scelo bezeichneten tatsäch- lich die beiden Geschlechter des Elches. — Es fällt nun der eigen- tümliche Umstand auf, daß wir in der Urkunde Orros beide Ge- schlechter einer Tierart separat erwähnt finden; im Nibelungenlied geschieht dies sogar zweimal nacheinander: Elo — scelo, hirze — hinde. Ist das rein ein Zufall, oder eine poetische Tautologie, die allein da steht? Wie sollen wir diese Doppelbenennungen über- haupt auffassen? Wenn es sich nämlich herausstellen würde, daß das Mittelalter sie nicht kennt, so würde das für die Ansicht verwert- bar sein, daß scelo doch eher das Wildroß, als ein Edelhirsch war. Mit dieser Frage befaßte man sich bisher nicht, obwohl sie von Wichtigkeit ist. Meine Nachforschungen haben ergeben, daß es im Mittelalter in größter Mode stand, beide Geschlechter der Tiere getrennt zu benennen, so besonders in Deutschland, Frankreich, England, aber auch in Italien und Spanien — viel weniger in Ungarn und Polen. Wir stoßen besonders ın legis- latorischen und Jagdtexten auf lehrreiche Beispiele. Der Ursprung dieser Gewohnheit muß in praktischen Momen- ten gesucht werden. — Cervus heißt der männliche, cerva der weibliche Edelhirsch. Wenn jetzt ein Gesetz, bei der Verbietung der Hirschjagd im Texte nur die Venatio cervorum benannt hätte, so würde man daraus leicht den Schluß gezogen haben — daß die venatio cervarum frei ist! Weil nun der Hirsch zwei Namen hatte, mußte das Gesetz immer beide erwähnen; so entstanden dann die stereotypen Ausdrucksarten wie: venatio cervorum et cervarum, venatio ursorum et ursarum (Bär) etc., die so oft wieder- holt wurden, daß sie schließlich — der Mensch ist ein Gewohn- heitstier — auch dort, rein aus Gewohnheit, Anwendung fanden, wo die Unterscheidung beider Geschlechter ohne Belang war. Dichter bedienten sich ihrer als einer Form der Alliteration. Es ist interessant, mit dieser Eigentümlichkeit alter Texte be- 178 B. Szalay, kannt und vertraut zu werden, deßhalb lasse ich eine kleine Aus- wahl davon folgen: A. Deutschland. a) Nibelungenlied: elch — scelch. b) 5 hirze oder hinden. c) Urkunde Otto I. — 944: elo vel scelo (wiederholt i. J. 1006 — s. Mon. G. H. — Dipl. III. 138). — d) Im Gedichte ,Seelentrost“ aus 1407: König Salemo hatte eine Anzahl „van | rinderen, van wesenden, van elenden, van herten van hinden“. (SCHILLER 1880.) _ e) Orto IL. i. J. 973: Schenkung der Jagd an die erzbischöfliche Kirche in Cöln: ,Confirmamus bannum ... bestias scilicet id est cervos et cervas — —“ etc. (BEGIEBING 1905. 50; Ni G5 isk Io’ JUG Oo). f) Orro III: Schenkung der Jagd an das Bistum Verden: Damus regali munificentia venationem cervorum cervarum- que . . . per pagum Sturmium quo locus Verdensis situs est.“ — 985. — (M. G. H. Kaiserurk. II. 422; wieder- holt 1006 durch Heinrich II. ebendort III. 135). g) Orto III. i. J. 1000: Schenkung der Jagd an das Bistum Würzburg: Nullius hominis magna sive parva persona in eodem foresto venationem aliquam exercere cervum cervam, aprum sive apram, ursum seu capreolum capere presumat“. (Ebend. II. 787.) — h) Konrap [, i. J. 912. Schenkung an das Bistum Eichstädt (MGH. Dipl. I. 4): „Omni anno tres cervos, tres cerfas . . . concessimus“. — Orto III. 992. — (Ebendort II. 505). Verschenkung eines Forstes an der Ahr: „Feram vel bestiam, hoc est cervum aut cervam, aprum vel apram aut « ms — hinnulum . . k) Orto III. 996. Schenkung für das Kloster Elten (Eben- Core Jl 031) „In hiis forestis cervum vel cervam nullus habeat venandi licenciam, nisi verbo abbatisse, et si cervus vel cerva de hiis effugiat forestis, eos in alias silvas sequi sit licencia!“ Der grimme Schelch. a79 1) Orro III. — 997. — Wildbann für den Bischof ARNULF v. HALBERSsTAnDT (Ebendort II. 661): „Cervum aut cervam vel aprum vel suem capere“. — — an) HernrIcH II. — I. J. 1017. — Schenkung für das Bistum Straßburg in UnterelsaB. (Ebendort III. 460): Firmavimus, ita vero ut nullus ibi cervum vel cervam, ursum aut ursam, aprum vel lefam (Sau), capreos vel capreas sine licentia capiat“. — n) Herricy II. — 1023. Schenkung an die bischöfliche Kirche zu Würzburg, (Ebend. III. 632): » Videlicet cervos et cervas, sues atque capreolos“, — ©) HEINRICH III. — 1049: Schenkung für Salzburg (Juvavum). „Ut nullus (mit der Ausnahme vom archiepisc. Baldwinus) in praedicto foresto cervos vel cervas, capreas, apros... venari praesumat“. (Muchar 1844. III 75). — p) 1300. — Der Dichter Hemrıch v. NEUENSTADT führt in seinem Werke „Apollonius v. Tyrland“ die wilden Tiere des Waides in folgenden urnaiven Zeilen an: 10142, p. 162) „Wisenttier und frosch, Puffel, hirsen und hinden, Der per mit seinen Kinden — —“ etc. q) Auch im Gedichte Sanct Brandan (gegen 1180) lesen wir von „Hirzen und hinden* — Z, 1180. r) Me — Der Hochmeister des Deutschen Ordens bestellt für seinen Tiergarten zu Stuhm „Hierzen und tyren“. (NEHRING 1898 — GLoBus 46, a). s) Karm heißt in seiner amerikanischen Reisebeschreibung 1748 — die Bisonherden — wohl nach spanischem Muster (s. später) — „wilde Ochsen und Kühe“. — | B. Französische Literatur. {Biche = bisse =-bieha = Hinde; cier-= cerf-—. Hirsch) a) Pu. Mouskes erwähnt in seiner Reimchronik — als Eigentum des englischen Königs Wilhelm des Roten (1087 — 1100): „Ciers i mist et bisses et dains“. (Du Cange: ,Feramen“). b) PHıLıppE Movuskes (} 1244) beschreibt ferner die Gegend von Aachen unter Karl d. Großen: Zool. Annalen. VII. 12 180 B. Szalay, „Et li pais estoit tous plains de ciers, de bisses et de dains“. (BLaze 1840. 60. MGH. Sc. XXVI. Z. 2395). — c) Eine Verordnung lautet i. J. 1397: „Retinemus nobis . .. plantas cervorum et bicharum espaulam“. (BLAZE 118). d) Die Chronique scandaleuse zahlt die Tiere auf, mit welchen: Louis XI. seine Wildgärten füllen ließ: „Il fut venu querir et prendre audit lieu de Paris tous les cerfs, biches et grues, qu'on y peust trouver, et tout fait mener à Amboise“. — (BLAZE 136). e) Interessant ist folgendes Beispiel, weil es die Gründe, weshalb. weibliches und männliches Wild strenge unterschieden wurde, besonders klar veranschaulicht. Die Gründe bestanden im verschiedenen Werte der Geschlechter. — Nach Azre. RICHARD bezahlte man unter PHILIPPE - AUGUSTE (1180— 1223): für die unerlaubte Erlegung eines Hirsches (d’un cerf) 60. sous und einen Stier; für die einer Hinde (une biche) — 60 sous und ein joincle (Kalb? juvenculus?); ein Wildeber (sanglier) kostete 60 sous und einen Hauseber; die wilde Sau (laie) — eine zahme und 60 sous; ein Reh (chevreuil) — 15 sous und einen Ziegenbock; eine Ricke (chevrette) — 15 sous und eine Geiß‘, (CHABoT 1898. 73). — Viele weitere Beispiele findet man in den altfranzòsischen Artus- und Abenteuer-Romanen (bearbeitet durch E. Bormann 1887). f) „Cers et biches quiert“ — (im: Li Romans dou Chevalier au Lyon 2854. — von Chrestien de Troyes). — a), Besm bisces letisles cerner) mn JBereeyalsple Gallois 1486. — h) „Por cers et bisses regarder“ — Percival 4573. i) Der Wunderwald von Broceliande wimmelt von allerlei Tieren: „La voit on . . . biches et cers, lievres, chevriaux. .“ — in Claris und Laris 3309. — j) „Chivrels ne dains, bisce ne cers“ in Partonopeus de Blois 522.. k) „Plus que chevrex ne cers ne biche“ — in Guillaume de Palerne 4206. (BoRMANN 63, 67.) — U. s. w. 1) Simon LE Mom heißt die Bisons in Amerika: „Grands trou- peaux de bœufs et de vaches sauvages". Boeufs steht da. nur volkstümlich statt Taureaux. (ALLEN 1876. 82). — Der grimme Schelch. 181 Zuletzt noch einige schöne Urkundenbeispiele: m) In den Wäldern der GRAFEN von AnJou befanden sich laut einer Gründungsurkunde folgende Tiere: yotatuimus ut quotannis Abbatissa ... habeat de praefata silva . . . aprum unum cum sua fera (mit einer Sau), cervum cum cerva, damum cum dama, caprum (Reh- bock) cum caprea,“ — aus 1047. (Charta fundat. Abbat. S. Mariae Santonensis, — bei Du CAnge „Fera“ p. 226/7. — n) Der Dichter besang den Wildpark des Königs Purripp Ausust (1180—1223). Darin befanden sich: Comme biches, connils (= lapins) et levros Petit cers et dains et chevros. (La Branche aux réaux lignaiges — nach Norrmoxr I. 85). — o) Westlich von Paris, im Walde bei Marly jagte man i. J. 1226: „Chaciam (= venationem) . . . ad cervum, bicham (bicha — cerva), porcum, capreolum et damam“. (Probat. Hist. Monmorenciacae p. 401 — nach Du Cance „Caciare“ p. 13). C. Spanische Literatur. Die alten spanischen Historiker der Neuen Welt bezeichnen die dortigen Bisonherden mit Vorliebe einfach als „Stiere und Kühe“ ohne näheres, so: a) HERRERA (ca 1600) , Tauri et vaccae* — dann , Tauri vaccae- que (ss ledet)1033))-2805) 301): b) FERNANDEZ (1535): , Tauri, vaccaeque Quivirae regionis*. — c) In der Geschichte der amerik. Expedition EspEios erwähnt LAET(1633.312) wieder: ,, Tauris vaccisqueabundans(regio)“.— D. Italien, Der berühmte Marco Poro (XIII. Jh.) schildert die großen Gestüte des tartarischen Chans Cupar (1671. 57): „Habet armenta magna equorum alborum et equarum albarum 10000“. Der Chan schätzt die weißen Pferde hoch: „Equi albi atque equae in magno habentur honore*. — E. England. a) In der alten englichen Literatur ist oft die Rede von wild gehaltenen Hausrindern (= run wild, auch wild cattle und ranche cattle — bei WALLACE p. 230, 422, 419). Die be- rühmten Parkrinder, schon i. J. 1000 unter König CANUTE 12% o 182 B. Szalay, erwähnt, gehören auch zu diesen. In den Gesetzen Canuts sind sie mit anderen Tieren folgendermaßen bezeichnet: „Equi, bubali, vaccae“ d. i. „Wild horses, Bugalls, wilde Kine“ (= Kühe). (WALLACE 1898. 409. — HARTING 1880. 221). Bugall (eigentlich Ur) und das entsprechende bubalus (auch Ur) bezeichnen da ganz bestimmt diese wildbelassenen Hausstiere (= wild bullockes that have not laboured before — WALLACE 419) — und nichts anderes. Bezeichnend ist, daß Stiere und Kühe wieder getrennt genannt werden. Gerade so heißen auch alte englische Reisende die Bisons in Amerika, z. B. ANDREW WHITE (1677): „Wild bulls und cows“, (ALLEN 1876. 84). — b) In einer Schenkungsurkunde aus der Zeit Epwarp I. (1272—1307): ,Pro uno damo tempore pinguedinis (Feist- zeit) et una dama tempore Ferinesonae (Brunstzeit) Decanò per annum reddendis. (Gul. Prynneus in Libert. Eccles. Angl. III. 674 — bei Du Canes III. 231). Ahnlich auch in einer anderen Urkunde: ,Item Hugo ete. possint capere in praedicto parco (de Blore) unam damam in Fermisona . . . et unum damum in pinguedine. (Charta apud Th. Blount in Nomolexico Angl., — bei Du Cancer). — (Siehe diese letzteren und die französischen Belege näher in meiner „Geschichte des Damhirsches“). — 2 Diese 40 Beispiele sammelte ich nur in der Eile, ihre Zahl könnte aber noch beträchtlich erhöht werden. Sie werfen ein klares Licht auf die Bedeutung und die wirkliche Zusammen- gehörigkeit des „elo et scelo“ in der Urkunde Otros. Wir sehen jetzt noch klarer, daß das Bindewort zwischen elo und scelo ganz nebensächlich ist: Das Wichtige ist allein das Nebeneinandersein beider Wörter, wodurch sie in die Sippe unserer Beispiele ge- hörend erscheinen. Von diesem Eindruck wird sich schwer jemand befreien können. 5. Elo und scelo waren mithin zwei Namen derselben Tier- gattung. Damit daran niemand Anstoß nehme, daß ein Wild in der deutschen Sprache mehrere Benennungen hatte, hat man, ob- wohl dies wirklich überflüssig erscheint, beweisen wollen, daß dies auch in anderen Sprachen, ja sogar in den verschiedenen Provinzen Deutschlands der Fall war. Man sagte: Alces ist doch = gi = Der grimme Schelch. 183 auch der Hirsch, Onager das Elchtier. Daß das falsch ist, zeigten wir schon. Nach KòPPEN (1884. 148, 255) soll ein Bauer bei Nishnij-Now- gorod, wo die Elche selten sind, einmal den Elchhirsch Builo (Büffel) genannt haben, hingegen heißt man dort das Weibchen, das viel bekannter ist, los, oder „wilde Kuh“ (also nicht „wildes Pferd“, wie manche es lieber hören möchten). Dieser Bericht . beruht aber auf Mißverständnis. KÔPPEN vernahm nämlich, daß in der Gegend von N.-Nowgorod im Urwalde Wisente bemerkt worden sein sollen, die das Volk angeblich builo heißen soll. Als er an Ort und Stelle Nachforschungen vornahm, ergab es sich, daß der builo irgend ein fabelhaftes Tier sei, von welchem niemand etwas Sicheres wußte oder wissen wollte und welches nur Körrpen für einen Elchhirsch nahm, weil er beweisen wollte, daß dort keine Wisente sein konnten. Übrigens hat es sich dann schließlich herausgestellt, daß die Geschichte vom builo einfach in die Kategorie des Bauern-Jägerlatein gehöre; das Jagdgesetz verbot nämlich den Abschuss der Elchhirsche — und so suchten sich die dagegen handelnden Wilddiebe damit auszuhelfen, daß sie behaupteten, das Corpus delicti wäre doch kein Edelhirsch — sondern ein „Büffel“ — builo! Auch auf diese Art, entstehen mithin heute neue Tiernamen! — Eins steht aber fest — wenn der Bauer irgendwo den Elchhirsch auch builo, Büffel nennen würde, so kann er dazu verschiedene Gründe haben — er wird ihn aber nie als eine andere Tiergattung ansprechen, als das Weibchen. TREICHEL beging den Fehler, daß er (1897. 61) den mittel- alterlichen Tiernamen Meerochs mit dem Elch vereinigte, ebenso nach ihm auch NEHRING (1898. 46) und andere. Unlängst habe ich gezeigt, daß obiger Name den Zebu bedeute („Der Meer- ochs* — Zoolog. Annalen 1914. 75—111, auch die „Namen des Wisents“), Die Römer hatten keinen eigenen Namen für den Elch, Alces ist nur das deutsche Elch, wie dies schon CLuvErıvs wußte 1631. 707. — Nur aus diesem Alces entstanden die übrigen lateinischen Corruptur-Formen: Achlis (PFAHLER 1865. 608; MÜLLENHOFF 1900; HEYNE 1901. 230), Machlis (HARTKNocH 1684. 215), Maclis und Inacli (Lesefehler bei VINCENTIUS BELLOVACENSIS 1624. p. 1417), Aloy, Alches, Equicervus bei ALBERTUS. Gran-bestia, magna bestia sind nur Gelehrtennamen. CAnTEMIR der das Tier nur nach 184 B. Szalay, Hörensagen in der Moldau beschrieb (s des Verfassers: Geschichte des Elches in Ungarn), heißt es oves sylvaticae (= wilde Schafe, Waldschafe). — SCHLOEZER meint (1780. 79, 80), BECKMANN habe bewiesen, daß der Tarandus der Römer. auch nur der Elch sei, — das ist aber irrig; das Rentier wurde seit uralten Zeiten immer mit dem Elch verwechselt. Der echtdeutsche Name des Elches war Elch, elo, elaho, elho; das spätere Ellen entstand nur unter dem Einflusse des slavischen jelen, olen (Puscx 1840. 95). Die Volksetymologie machte aus diesem dann Elend. Mehrere Werke zählen die Namen des Elches in allen Sprachen auf (PICINELLUS 1695.am Anfang; NEMNICH 1793. 960; KLAPROTH 1831 in den asiatischen Sprachen; BRINCKEN 1826, 72; SCHLOEZER 1780. 80; Lorwıs ZG. 1880. 307, KÖPPEN 1883: 148, 150, 151 und andere; die wissenschaftlichen s. bei TROUESSART 1899); dazu gehören z.B. hirwi (finnisch), breedis (lettisch); alce und gran bestia (ital.), pödder (estnisch), bulan (tartarisch), javor (ungarisch — und nicht jajus, wie HERBERSTAIN — s. GESNER 1620. p. 1. — und nach ihm Bonannius schreibt 1773. 8), los (slavisch). — Es beruht nur auf einem Irrtum, wenn GEsxer den polnischen Namen des Elches powod (1620. p. 1) — und GROSSINGER den slavischen: welblaud 1793. I. 508 — nennt. Velbloud ist aber das Dromedar und povod — „cheval de main“. — Was los anbetrifft, so heißen die Belgier und Engländer nach Junius (1591. 47) den Luchs los, was aber nur die Um- gestaltung des Wortes luchs ist. In Amerika heißt der Elch englisch moose, französisch Ori- gnal, beides Indianernamen. Es ist merkwürdig, daß die Hohe Jagd (1912. 201) den Namen Orignal auf die „originale Form“ des Elches zurückführen will. Nach KòPPEN (1883. 149) ist orefiac im Baskischen Hirsch. Die Spanier heißen nach Rovrin den Elch danta (Wiegm. Arch. 1837. 240), aus dem portugiesisch. anta; dies stammt aus dem deutschen Elant, wo das El — für den Artikel betrachtet wurde: el anta! — Somit können wir feststellen, daß keine Sprache existiert, die zwei ursprüngliche autochthone Namen für den Elch aufzu- weisen hätte; wenn mehrere Namen vorhanden sind, so handelt es sich immer um nachträgliche fremde Lehnwörter, oder um Der grimme Schelch. 185 ganz allgemeine Bezeichnungen, wie dazu ein Beispiel auch Köppen liefert: In Rußland heißt man das Elchtier in einer Gegend maticza, was aber nur das Diminutiv von matka (im allgemeinen Mutter, Muttertier) ist. Derartige Beispiele sind in den verschiedenen ‘(besonders asiatischen) Sprachen sehr gewöhnlich. XI. Schlußfolgerungen. Wir betrachteten in vorigen die Frage des Schelches sorg- fältig von allen Seiten und haben nun die Pflicht, eine ent- schiedene Antwort darauf zu geben, was für ein Tier in den Nibelungen und in der Urkunde Ottos doch gemeint sei? Wir sahen, daß man mit 13 verschiedenen Tieren den Schelch ‚deuten wollte. Hiervon kann man aber für zehn gar keine ernste, stichhaltige Beweise erbringen. Diese Ansichten wurden schon von anderen (Busack, DAHMs etc.) widerlegt, so daß wir uns um sie nicht weiter zu kümmern brauchen. Der Schelch kann nur eine von folgenden 3 Tierarten sein: | 1. ein fabelhaftes Tier, 2. das Wildroß, 3. der Elch. — 1. Setzen wir den Fall, es sei ausgemacht, daß der Schelch der Urkunde Ottos und der des Nibelungenliedes nicht analoge ‘Tiere seien, dann kann der erstere ohne weiteres ein Wildpferd und der Schelch im Nibelungenliede ein fabelhaftes Wesen, wie die Drachen und Centaurus (halpful) daselbst, sein (Ich wieder- hole hierbei, was ich hierüber im Kapitel: Deutungen Nr. ı3 schon mitgeteilt habe) — so gerade unser besprochenes Glossentier, der tragelaphus, der ja auch mit scelo glossiert ist. — Diese Annahme ist aber so gekünstelt, die Analogie hingegen des elo-scelo in beiden Quellen so ins Auge stechend, daß wir uns mit dieser Deutung nicht ernsthaft befassen können. Der scelo in obiger Jagd-Urkunde beweist übrigens, daß es sich da um kein fabelhaftes Tier handeit. 2. Für die Annahme scelo = Wildroß kann man den Umstand geltend machen, daß viele Glossen klar den schelo — einen emissarius, Beschäler, d. i. Zuchthengst nennen. — Man könnte zwar sagen, ein Zuchthengst ist noch kein Wildroß; zwei Glossen sagen aber schelo = onager (PaLANDER 89), wo onager doch ein equus silvestris sein mag. Auch in der Urkunde aus d. J. 1537 (HAHN 1892. 124), die den Hengst des wilden Gestüts „einen scelen“ nennt, handelt es sich eventuell nur um verwilderte \ > 186 B. Szalay, Pferde — das sind aber dennoch keine ernsten Einwendungen : Scelo kann tatsächlich ein Wildpferd sein, und um so mehr, da es feststeht, daß wilde Pferde am Rhein (Elsaß) sogar noch im XIII. Jahrhundert, bei Sachsenhausen aber i. J. 1417 bestätigt: werden. (KRIEGK, Gesch. v. Frankfurt 1871. 37). Die Onager des Fortunatus sind auch nur die Wildpferde der Vogesen. — Mit diesem einzigen Beleg haben wir aber auch alles angeführt, was für scelo = Wildpferd sprechen könnte. 3. Scelo=alter, grimmer Elchhirsch. Wie wir sahen, mußten wir eine ganze Reihe von Argumenten, die für diese Auffassung angeführt worden sind, streichen. Es bleiben nur folgende: a) Die Glosse „tragelaphus = elaho“ ist eine der gewöhn- lichsten, die unbedingt und auf das entschiedenste bezeugt, daß: unter tragelaphus der Elch verstanden wurde. Wenn wir nun in andern, auch nicht seltenen, ebenso guten Glossen, vielfach lesen: tragelaphus — scelo (STEINMEYER Ill. 77, in 7 verschiedenen Co- dices, IV. 261 = Codex Oxoniens lat. 92, ferner bei PALANDER 80. und DIEFENBACH 1857. 591), so ist zugleich unumstößlich der voll- kommen einwandfreie Beweis erbracht, daß unter scelo nicht nur der Zuchthengst, sondern auch der Elch verstanden wurde. Dagegen läßt sich einmal nichts weiter machen! Das ist ein Kardinalbeweis, der bis jetzt bei weitem nicht gehörig gewürdigt wurde und zwar deshalb nicht, weil man nicht genau wußte, was der tragelaphus ist!), da erst unsere jetzigen Zeilen das erstemal ein klares Bild vom tragelaphus entworfen haben. Diesbezüglich berufe ich mich nur noch auf eine erstklassige Quelle, auf Grimms. großes etymologisches Wörterbuch (1893. p. 2489 ,Schelch*) — wo es heißt: Die Glossen „tragelaphus = scelo“ wollen nur den männlichen Hirsch (d. i. Edelhirsch) bezeichnen. — Aber woher? b) Sowohl das Nibelungenlied als Orros Urkunde nennen den „elo et scelo“ im engsten Zusammenhang als Beweis, daß diese Tiere wenigstens in eine zoologische Gruppe gehören müssen — wie STERNE richtig behauptet hat. Aber auch sonst wird es lehr- reich sein, die Art und Weise ins Auge zu fassen, in welcher die Urkunde Orros unseren elo und scelo anführt. Zuerst werden nämlich alle Tiere des Waldes einfach mit dem Namen, ohne 1) Dies betont auch KirLERMANN, (s. Zoolog. Annalen 1914. 150) und schildert: die Verhältnisse lehrreich. NEO Der grimme Schelch. 187 jede Unterbrechung aufgezählt, dann folgt aber eine solche: „be- stias insuper, que Teutonica lingua nominantur“ — und nur nach dieser Unterbrechung folgen ganz getrennt, ich könnte sagen „extra eingerahmt“, ,elo et scelo“ — worauf keine Tiernamen mehr angeführt wurden. Auf diese Art können nur Tiere von den übrigen getrennt hingestellt worden sein, die einen höheren Wert als die übrigen hatten oder unter sich nahe verwandt waren. Das spricht aber entschieden dagegen, daß der scelo hier ein Wildpferd sein könnte. Wie sollen wir aber diese „Verwandtschaft“ auffassen? Da es unmöglich ist, unter scelo ein Reh, einen Damhirsch, Edel- hirsch oder Riesenhirsch zu verstehen, so bleibt uns nichts anderes übrig, als daran zu denken, daß elo und schelo sich entweder ganz so zu einander verhalten, wie hirze und hinde im Nibe- lungenlied — oder daß es sich um irgend eine ähnliche Ana- logie handeln müsse. Diese Annahme wird gerade durch meine Urkundendatensammlung (,cervum et cervam“ etc.) in höchstem Grade bestärkt. c) Daß aber das Wort .Elo nicht vollkommen analog mit Kuh, Hinde etc. ist, ebenso Schelch nicht mit Stier, Eber — darauf wurde schon hingewiesen. Die alte Jagdsprache hatte separate Ausdrücke für besafiders gefährliches altes männliches Wild. Die alten Polen hießen den düsteren alten Wisentstier, der von der Herde sich trennte und niemandem wich, Odiniec, (PuscH 1840. 95) die Deutschen Ein- siedler; drıuayeing war bei den Griechen der böse allein herum- schweifende entflohene Hausstier (GESNER 1620. 126); ebenso hieß der gefährliche alte Keuler Sonderebir, oder urgul und Austrieb (uztrib). (Siehe „Halpful im Nibel.“ des Verfassers, Archiv. f. Gesch. d. Naturwiss. Leipzig 1914. 294 und 301). (Urful ist nur ein Schreibfehler statt urgul). — Ein ähnlicher Name muß auch Scelo für gefährliche, große, grimmige alte Elchhirsche, wenigstens in gewissen Gegenden in der ersten Zeit gewesen sein. Später verallgemeinerte sich aber die Bedeutung und man verstand darunter einfach den Elchhirsch. Das sonst die Gattung selbst bezeichnende Elo gewann nur neben Scelo, also nur relativ und fakultativ die Bedeutung eines Elchtieres. Fast analog erscheint Ziege, ebenfalls ein Name der Gattung und des Weibchens. d) Wie scelo, worunter man meistens und in erster Reihe doch den Zuchthengst verstand, auch die Bedeutung eines N er 188 B. Szalay, grimmen Elchhirsches annehmen konnte, will PALANDER dadurch erklären (p. 89), daß er ad analogiam „schell-hengst“ (üblich in Bayern) ein „schel-elch“ voraussetzt, abgekürzt schelch. — Es ist aber noch eine andere Ableitung möglich. Wie ich an einem anderen Orte darauf hinwies (Halpful p. 294), verstanden die Alten unter gul (Gaul) ein männliches Tier im allgemeinen. Ein Pferd wurde nur später daraus, — ursprünglich war es ein Eber; in Island heißt man aber den Stier gauli. — Im Englischen ist stag nicht nur der männliche Hirsch, sondern in den Dialekten auch Ochs, Hengst, ein junges männliches Tier überhaupt. (JoRDAN: Die altenglischen Säugetiernamen 1903. 188 und EDLINGER 32). Ein derartiges Wort von allgemeiner Natur für männliche Tiere dürfte nach Epiincrer auch Schelch sein (1886. 32) — und nach unserer Meinung um so mehr, als das entsprechende Zeit- wort: beschelen = bedecken auch nur von ganz allgemeiner Be- deutung ist und sich schließlich auf ein jedes männliche Tier an- wenden läßt. Daß die Jäger in gewissen Gegenden ihn gerade auf den Alces übertrugen (schelch = der beschälende Elch), ist nach all diesem nichts Auffallendes. e) Das Adjektiv des Schelches grimm paßt auf den alten Elchhirsch sehr gut, dessen Gefährlichkeit, besonders in Anbe- tracht der früheren unvollkommenen Waffen, von anderen For- schern schon genügend hervorgehoben wurde. Ich will da nur bemerken, daß es aber auf das Wildpferd des Mittelalters durch- aus nicht paßt, denn das letztere wird immer als ein sehr flüchtiges, furchtsames kleines Pferd geschildert, welches man in lächerlicher Weise doch nicht mit dem Epitheton des furcht- barsten großen Wildes versehen konnte. f) Wie steht nun die Wagschale? Was ist das Endergebnis? Was ist scelo im Nibelungenlied ? Für scelo = Wildroß, kann nur die Glosse scelo — emis- sarius angeführt werden, was aber die ebenso gute Glosse scelo = tragelaphus (Elch) vollkommen ausgleicht. Und so bleiben noch für die Annahme scelo = männlicher Elch 5 weitere Be- weise, die durch nichts entkräftet werden können, das sind: 1. Die Gewohnheit des Mittelalters, weibliche und männliche Individuen einer Tiergattung besonders zu benennen. 2. Die analoge Stelle gerade im Nibelungenlied, wo hirze und hinde auch besonders angegeben sind. 3. Der enge Zusammenhang, in welchem elo et scelo immer erscheinen. u Geta Der grimme Schelch. 189 4. Das Adjektiv grimm, welches zum Elch paßt, zum kleinen Wildpferd aber gar nicht. 5. Die Analogie des Wortes Schelch mit Gaul — als Be- zeichnung männlicher Tiere im allgemeinen. — — Hiermit gelangen wir zum Ende unserer Betrachtungen, mit welchem Erfolg wird die Zukunft zeigen. — (Die genauen Titel der hier erwähnten Werke siehe in meiner [noch ungedruckten| großen Zusammenstellung: „Die Literatur des Wisents“.) — Anhang. Der Elch in Brehms Tierleben. Es sei uns schließlich erlaubt, einige Fehler in Breums Tier- leben zu berichtigen, so wie wir das schon für die Kapitel: Wisent, Büffel und Damhirsch getan haben („Der Wisent in Brehm“ — Zoolog. Annalen 1914. 47—67, und: Geschichte des Damhirsches). I. Seite 436. „Einige behaupten, daß das Wort Elch, Elen aus dem alten „elend“ oder ,elent“ gebildet sei und so viel wie stark bedeute“. — Ein fataler Fehler, denn demnach wäre die Benennung Elendtier die ursprüngliche, und unsere Ausfüh- rungen, daß dieser letztere Name nur viel später auftauchen konnte, wären widerlegt. — Kraft —, robur, virtus hieß aber gotisch aljan, althochdeutsch ellan, und nie elent wie Bream sagt, was bei der Beurteilung obiger Namen von Wichtigkeit ist. (GRAFF 16341 202). 2. S. 436. — „Julius Caesar sagt: Alces, den Ziegen in Gestalt und Verschiedenheit der Färbung ähnliche Tiere“. — Daß hier statt Ziegen — Rehen stehen soll, haben wir im Kapitel Tragelaphus schon besprochen. 3. Das Seite 437 (vor dem letzten Absatz) dem alten GESNER zugeschriebene Zitat stammt nicht von ihm, sondern ist aus FORERS Tierbuch (1583. p. XL) entnommen. Man meinte oft, FoRER sei nur der Übersetzer Grsners — dies ist aber ganz irrig. FoRER spricht von GESNER immer nur als von einer Quelle — und hat manches im Texte GESNERS geändert. 4. CAESAR beschreibt seinen Alces als ein Tier „ohne Hörner“. — A. BAUMSTARK übersetzt aber 1854. p. 181 besser „Seine Hörner sind nur ein Stumpf“. — Das Wort mutilus = verstümmelt kann allerdings in manchen Fällen auch einen vollständigen Mangel bedeuten, ob das aber auch hier der Fall ist, ist sehr — @ — 190 B. Szalay, fraglich. Gleich darauf sagt nämlich CAESAR „et crura sine nodis“ ebenso hätte er ja auch sagen können: sine cornibus, statt muti- lae cornibus. 5. „Unter Gordon III. wurden io Elentiere nach Rom ge: bracht“. — Gorpon ist der Name einer schottischen Familie — BREHM meint aber Gorp1Anus III, den römischen Kaiser 1. J. 238. 6. S. 437. Zitat aus dem Nibelungenliede: „... ein Wisent und einen Elk, starker Auer viere und einen grimmen Schelk“. — Alte Zitate müssen unbedingt buchstabentreu sein. Wie nur ein Buchstabe den Sinn ganz verändern kann, sehen wir bei capris— capreis im Texte Carsars. — In der authentischen Ausgabe BARTSCH' steht: y . - einen wisent und einen elch starker üre viere, und einen grimmen scelch“ Es ist geradezu sehr wichtig, daß das Nibelungenlied nicht das Wort Auer (ein Anachronismus), sondern ür gebraucht. Ich verstehe auch nicht, warum man aus dem männlichen Wisent ein sächliches Wort machen müßte. 7. Die Jagd Siegfrieds fand nicht im Wasgaue statt, sondern andernorts. (Besprochen in den Zool. Annalen 1914. p. 50.) 8. Die berühmte Urkunde des Kaisers Orro mit der Erwäh- nung der Tiere elo et scelo stammt nach der unbedingt authen- tischen Ausgabe der Monum. German. Hist.-Dipl. I. 143. nicht, wie überall zu lesen, aus d. J. 943, sondern aus dem Jahre 044. 9.10. In Sachsen wurde der letzte tlen 1.2 1720 Schlesien laut Havewirz i. J. 1776 erlegt“. — Da man unter „den letzten Elch“ logisch nur das letzte Stück der alten, ursprünglichen Bestände verstehen darf, so ist obiger Satz gewiß ganz unrichtig. Die Ausrottung fand viel früher statt. HenseL, der die Geschichte der schlesischen Wildarten aus- führlich behandelte (1853. 247), berichtet, daß dort 1663, 1675, 1725 und 1729 zwar einige Elche erlegt wurden, das seien aber nur Stücke gewesen, die sich aus Polen oder Preußen hin verirrt hätten. Denn der ursprüngliche Bestand wurde schon früher vernichtet. (Etwa Beginn des 17. Jhts.) — Siehe die Elche Schlesiens betreffend die Chronik v. RAKE, ferner die Arbeit Hermanns: Uber einen Elendstierkörper 1729. — GREVÉ (Z. G. XXXIX. 302) weiß von einigen erlegten Elchen im Jahre 1661 und 1743. Das sind aber lauter unkontrollierbare Angaben. NE — Der grimme Schelch. 191 Nebenbei gesagt führte die ausgestorbene schlesische Familie ABSCHATZ im Wappen einen Elchhirsch (SPENER 1690. 245). Wappen dieser Art gehören zu den großen Seltenheiten, weil die ent- sprechenden alten Zeichnungen später, indem man sie als irrig betrachtete, in gewöhnliche Hirschgeweihe umgeändert wurden. So beschreibt der neue SIEBMACHER das ABSCHATZSCHE Wappen- bild schon als einen Edelhirsch. (S. Gesch. des Elches in Ungarn). Interessant ist auch, wie BREHM zu seiner Behauptung kam, der Elch sei erst 1746 in Sachsen ausgestorben, was vielfach wiederholt wurde, so bei GUTHE; STRICKER 1868. 64; Hugos Jagd- zeit. 1882; AA 1885, 152; WIEDEMANN 1883. 80; MangoLD: Z. G. 1895. 158; NEHRING: Globus 1898. 47; REINDL 1906, 44 etc. etc. Noch früher aber bei Kaup I. 162 (Das Tierreich) und VoLz 1852. 130, BERGE wies aber nach (Z. G. 1900, 130), daß Breum’s Quelle Dietrich aus dem Winkell war; dieser redet wieder nach DÖBELSs Jäger-Praktika — Ausgabe 17461)!! — der den Elch als ein nor- disches Wild schildert und durchaus nicht behauptet, daß die Heimat dieses Wildes Sachsen sei, sondern im Gegenteil erwähnt, daß einige Stücke aus Polen und Preußen gebracht worden seien, die man deshalb hie und da auch im Freien antreffen könne. — — Es geschah nämlich nur all zu oft im X VI. und XVII. Jahr- hundert und später, daß derart eingeführte Wisente und Elche zur Probe in großen Wäldern freigelassen wurden. Dies war der Fall z. B. in Brandenburg mit genannten Tieren i. J. 1682: Ein Patent FRIEDRICH WILHELMS untersagt strengstens den Abschuß dieser Tiere (Liscx 1870. 223). Kaiser MAxımILıan erhielt 1569 in Prag vom polnischen König Sicismunp Aucust II 9 Wisente (nicht Ure) und einen Elch. (KòPL 1891. p. XXVI). Im Jahre 1670 schickte der König von Polen dem deutschen Kaiser nach Frank- furt wieder 4 Elche (BruœHIN 1872. 342), und im Jahre 1681 kamen wieder 5 Elche aus Schweden nach GorrorrF (BRUHIN 1873. 264). — Im Jahre 1751 wurde in Frankfurt in einer Wandermenagerie ein Elch zur Schau gestellt (SCHMIDT 1867. 347), s. meine Monographie: Der Wisent im Zwinger. Die Herzöge v. Preußen erhielten viele Bittbriefe, um gefälligste Zusendung von Elchen wie die dies- bezüglich zitierten Briefe bei Vorer (1835. 292—297) folgender hohen Personen beweisen (aus der Zeit zwischen 1530 u. 1566): Graf WoLrGanG v. Eskrsrem, Erzherzog FERDINAND v. Öster- 1) 1746 ist dieselbe Jahreszahl wie bei Brehm. 192 B. Szalay, Der grimme Schelch. reich 1566, WILHELM IV. Herzog v. Bayern 1541, Orro HEINRICH Pfalzgraf v. Rhein 1533, Herzog JoHAnn ALBRECHT v. Mecklen- burg und Bischof Marrın v. Kamin. Die meisten erhielten in der Tat Elche. — WILHELM IV. Landgrafen v. Hessen wurde 1591 ein Elch aus Schweden gesandt, (LANDAU 1849. 205, 206), etwas später bekam er noch mehrere. Im Berliner Jägerhof sind 1725 auch Elche verzeichnet (STRICKER; PLEGEL 1906. 694, KNAUER 1914 etc.). Im Jahre 1726 werden Elche nach London expediert (Bock 1784. 193). Im Wildgarten bei Machern treffen wir gegen 1800 auch Elche an. (WincKELL s. Handbuch v. TscHuDI 1878. II. 602). Aus Menagerien entflohen wiederholt wilde Tiere, wie das auch heute nicht selten der Fall ist. Auf diese Weise war oft Gelegen- heit dazu, daß freigelassene oder durchgebrannte Elche hie und da in fremden Wäldern zur Strecke gelangten. Ein derartiges Exemplar war auch jenes, das man 1630 in Schwaben erlegte (WIEDEMANN 1883. 80) und das ein so großes Aufsehen erregt hatte, daß davon Protokoll genommen wurde, in welchem dieser Elch als ein nie gesehenes Wild geschildert wird. Daraus ist aber wieder klar, daß er daselbst schon längst (XIV. Jahrhundert) ausgerottet war. — Im Jahre 1868 erschienen in den Wäldern des Grafen LancKszonskI in Galizien zwei Elche, wovon der eine auch abgeschossen wurde, ca. 100 Jahre nach der Ausrottung der Gattung daselbst. Sie sollen aus einem russischen Wildgarten entflohen sein. (Vadaszlap 1909. 267). — In Sachsen dürfte die Ausrottung des Elches spätestens im XV. Jahrhundert, in Schlesien aber gegen 1600 erfolgt sein. Nachtrag zu Gudgers Arbeit über Georg Marcgrave. Von Rudolph Zaunick in Dresden. In diesen „Annalen“ (VI, 1914, S. 1—31) hatte GUDGER das Leben MArcGRAvES und sein Verdienst um die erste Erforschung der brasilianischen Landesnatur gewürdigt. Da ich selbst, seit ungefähr vier Jahren, mich mit dem Gedanken trug, das Leben und Wirken dieses jungen sächsischen Gelehrten darzustellen und infolgedessen das so verstreute Material sammelte, fühlte ich mich jetzt auch dazu geeignet, bei einer kurzen Besprechung von GUDGERS Arbeit in den „Mitteilungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften“ (Bd. XV, 1916, S. 35— 36) sie als eine „endgültige“ zu bezeichnen. Es ist aber selbstverständlich, daß einem Amerikaner nicht die gesamte festländische Literatur be- kannt ist, wie es mir genau so — ich gestehe es offen ein — mit der amerikanischen ergangen wäre. Daher fanden sich in meinem Material einige Notizen, die ich zur Vervollständigung hier bringe. Ich will damit durchaus nicht GUDGERS Arbeit herabsetzen. Marceraves Vater wird 1598 in der Wittenberger Matrikel als „Georgius Marggraffe Libstadensis misnicus“ erwähnt!). Er wurde ı609 Pastor in seinem Heimatstädtchen, wo er bis 1620 verblieb, um dann in Döbra die Pfarrstelle einzunehmen). Unsere Kenntnis von GEORGE Marceraves Leben ist recht dürftig. Sein Name wird zuerst im „Diarium biographicum“ (Gedani 1688, sub anno 1644) des Henning Wirte erwähnt. Auf diesen spärlichen Angaben beruhen fast alle späteren bio-bibliographischen 1) Album Academiae Vitebergensis, vol. II, Hallis 1894, p. 450 b. ?) Vgl. A. TH. KùcHENMEISTER, Etwas von Liebstadt, Dresden o. J. [1743], S. 16 u. 21. 194 : Rudolph Zaunick Anführungen z. B. im „Compendiösen Gelehrten-Lexicon“ (Leipzig 1715, S. 1271), in ZEDLERs „Universal-Lexicon“ (Bd. XIX, Halle u. Leipzig 1739, S. 1387), in Kesrtners „Medicinischen Gelehrten- Lexicon“ (Jena 1740, S. 515) und in Jücxers „Allgemeinen Ge- lehrten-Lexicon“ (Bd. III, Leipzig 1751, S. 165). Die einzige aus- führliche biographische Skizze ist in der „Bibliotheca scriptorum medicorum, veterum et recentiorum“ (ILı, Genevae 1731, p. 2628 — 2646) des JOHANN JAKOB MaxGer enthalten, und GUDGER nennt es ein bisher noch ungelöstes „interessantes Problem“, wer der anonyme Verfasser davon ist. Ich glaube die Spur gefunden zu haben. GEORG MARCGRAVE hatte einen jüngeren Bruder CHRISTIAN, der als Mediziner in Leiden lehrte und dort auch ı687 verstarb. In dessen posthumen „Opera medica, duobus libris comprehensa quorum prior morborum naturam et causas inquirit posterior medicamento- rum simplicium praestantiam ac vires, nec non compositorum prae- parationem, usum et dosin declarat“ (Amstaelodami 1715) ist bereits die „Vita Georgii Marggravii, mathematici et medici nobilis, et quondam celsissimi Nassoviae principis, Johannis Mauritii, Bra- siliam Belgicam gubernantis, geographi atque archetecti militaris, nec non Societatis Brasilianae astronomi celeberrimi“ enthalten. Die Vorrede Curistian MARCGRAVES ist datiert „Lugduni Batav. Calendis Februarii A° 1685“!). Die darauffolgende, acht Quartseiten lange Vita Georgii Marggravii ist von MANnGET i. J. 1731 einfach wörtlich abgedruckt worden. Es ist doch wohl dadurch erwiesen, daß CHRISTIAN MARCGRAVE seinem so früh verschiedenen Bruder in der Vita ein Denkmal setzen wollte Da er selbst in den Nieder- landen lebte, ist es erklärlich, daß er genaue Nachrichten von seinem Bruder Georg, vielleicht teils durch Briefe und teils durch sichere Gewährsmänner hatte. Warum er allerdings nicht auch dessen literarischen Nachlaß bearbeitet hat, sondern Jan DE LAET, wird wohl unaufgeklärt bleiben. GUDGER hat die hohen Verdienste MARCGRAVES um die Natur- wissenschaften ausführlich gewürdigt. Ich vermisse nur bei ihm 7) Diese „Opera medica“ des CHRISTIAN MARCGRAVE enthalten zwei schon früher erschienene Schriften: den „Prodromus medicinae practicae“ (Lugd. Bat. 1673; ibid. 1685) und die „Materia medica contracta“ (Lugd. Bat. 1674; Amstelod. 1682). — A. J. L. Jourpatn behauptet falschlicherweise im „Dictionnaire des sciences medicales“ (To. VI, Paris 1824, p. 103), daß eine Erstauflage der „Opera medica“ vom Jahre 1682 ‚existieren soll. Tatsächlich erschienen sie nur einmal im Jahre 1715. Nachtrag zu Gudgers Arbeit über George Marcgrave. 195 die Betonung der Tatsache, daß nicht nur die große Zahl neu beschriebener Tiere Marceraves Forschungen zu den zoologisch wichtigsten der damaligen Zeit gemacht hat, sondern auch der Nachweis — Carus hob dies bereits in seiner „Geschichte der Zoologie“, München 1872, S. 329 hervor —, daß die südamerika- nischen Tiere von den altkontinentalen gänzlich verschieden, wenn auch mit ihnen verwandt sind. In einer Zeit allerdings, in der man von zoogeographischen Gesetzen nicht die geringste Kennt- nis besaß, konnten diese Gedanken noch nicht durchdringen. Aber sie trugen doch dazu bei, den Glauben an einen gemein- samen Schöpfungsherd zu erschüttern. Das bibliographische Verzeichnis GUDGERS ist an manchen Stellen verbesserungs- und ergänzungsbedürftig. Eine Zusammen- stellung der Ausgaben von Jan DE LaeEts „Novus orbis“ findet man bei J. Cur. Brunet (Manuel de libraire, to. III, Paris 1862, p. 741), worauf ich hinweise. Die Zitate von LICHTENSTEINS grund- legenden Arbeiten sind recht mangelhaft. Es muß heißen: Abh. d. Kgl. Akad. d. Wiss. zu Berlin, Phys. KI. 1814/15, S. 201 ff; BRIO Ses SIL 1820/21, Sì 237 ff. und 207 ff; 1826, S. 4o ff Außerdem sind einzelne derselben auch in Oxens „Isis“ abge- druckt, und zwar: 1819, S. 132711; 1820, S. 635ff.; 1824, Lit. TAN RTE Zool. Annalen VII. 13 Druck der Königl. Universitätsdruckerei H. Stürtz A. Gy Wiirzburg. ‘ll Zur älteren Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. Von Nils von Hofsten, Uppsala. I. Das Diskontinuitätsproblem. Solange Forscher und Denker die Verbreitung der Lebe- wesen zu kennen und ihre Rätsel zu entschleiern gesucht haben, solange ist man mit besonderer Vorliebe bei einer Frage stehen geblieben: die meisten Tiere und Pflanzen leben in einem ein- zigen Gebiet von kleinerer oder größerer Ausdehnung, haben eine zusammenhängende Verbreitung; viele jedoch sind auf ver- schiedene, oft weit getrennte Gebiete verteilt. Welches sind die Ursachen dieser Zersplitterung der Heimat, dieser diskontinuier- lichen Verbreitung? Dieses Problem, das Diskontinuitätsproblem, hat von jeher eine zentrale Stellung in der Biogeographie eingenommen. Es ist umfangreich und außerordentlich bedeutungsvoll, schon wenn man bloß die diskontinuierliche Verbreitung der Species ins Auge faßt. Aber es ist noch umfangreicher, noch bedeu- tungsvoller. Denn nicht nur Arten, auch höhere systematische Einheiten sind in großem Maßstabe diskontinuierlich verbreitet; nahe verwandte Arten leben oft in weit getrennten Gegenden; die Species einer Gattung, einer Familie sind auf zwei oder meh- rere Gebiete verteilt usw. Das Diskontinuitätsproblem enthält also, genauer besehen, einige der Grundprobleme der Tier- und Pflanzengeographie ; wer über die Diskontinuitätserscheinungen nachdenkt, wird erst vor dem tiefsten Problem der Biogeographie Zool. Annalen VII. 13a 198 v. Hofsten, Halt machen, der Frage nach den letzten Ursachen zur Vertei- lung der Organismen über die Erde. Die heutige Biogeographie hat erst einen Bruchteil von den Problemen gelöst, die ihr die diskontinuierliche Verbreitung der Arten und Gruppen stellt, sie arbeitet aber in dem Bewußtsein, auf dem rechten Wege zu sein; wie sehr wir über die einzelnen Probleme streiten, wie eifrig wir uns — mit vollem Recht — be- mühen mögen, die direkte Abhängigkeit der Verbreitung von den Außenbedingungen darzutun, über eines sind wir einig: die heutige Verbreitung ist das Resultat einer Entwicklung aus frü- heren Zuständen. Viele Züge in der Verbreitung der Arten, vor allem eben die Zerstückelung der Verbreitungsgebiete, ließen sich früh in diesem Sinne deuten; zu allgemeiner Geltung konnte das entwicklungsgeschichtliche Prinzip erst nach dem Sieg der Evolutionsidee gelangen. Die Geschichte der Tier- und Pflanzengeographie ist ein wenig bearbeitetes Feld; wo man sich nicht mit einer mecha- nischen Aufzählung von Namen und Tatsachen begnügt hat, wurde mit dem soeben erwähnten Zeitpunkt begonnen, als die heutige Betrachtungsweise durchdrang. Eine an sich lobenswerte Ehrfurcht vor den künftighin wichtigen Tatsachen und vor den endlich errungenen Wahrheiten hat im Verein mit einem weniger erfreulichen Mangel an historischem Sinn alles Interesse auf die neuere Entwicklung der Biogeographie vereinigt. Ich bin von ganz andern Gesichtspunkten ausgegangen und bleibe etwa dort stehen, wo andere anfangen. Die neuere Entwicklung der Bio- geographie kann von den wesentlichsten Entdeckungen und Theorien berichten, die jedoch alle auf demselben Grunde ruhen. Wie löste man aber die Rätsel der Verbreitung, als dieser Grund noch fehlte? Welche von unseren heutigen Anschauungen gehen bis in diese Zeit zurück, und welche sind erst aus der Deszen- denztheorie erwachsen? Diese Fragen beabsichtige ich im fol- senden zu beleuchten. Denn ich will nicht eine Geschichte der biogeographischen Entdeckungen, ich will nur ein Kapitel aus der Geschichte der biogeographischen Ideen zu schreiben ver- suchen. Würde man alle Beobachtungen, alle Ideen erwähnen, die mit der Geschichte des Diskontinuitätsproblems zusammenhängen, so würde das Resultat eine unübersehbare Chronik sein. Die Auswahl ist ganz nach subjektiven Gesichtspunkten geschehen; — 2 — Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 199 ich schildere die Entwicklung so, wie ich sie selbst zu sehen ge- lernt habe. Ich habe dabei auch solchen Fragen Aufmerksamkeit geschenkt, von denen es scheinen mag, daß sie mit der Ent- wicklung der Biogeographie nur lose zusammenhängen — die Antipodenfrage, die polygenetischen Theorien in der Anthropo- logie —; der Fehler liegt, glaube ich, nur darin, daß ich diesen Zusammenhang mehr anzudeuten als deutlich nachzuweisen ver- mochte. Daß ich wohl gelegentlich bei solchen Fragen etwas länger verweilt habe, als es für meinen Zweck eigentlich nötig gewesen wäre, dürfte in Anbetracht ihres allgemeinen Interesses verzeihlich sein. Andere Forschungsgebiete, deren Entwicklung ebenfalls mit derjenigen der Biogeographie zusammenhängt, habe ich wegen unzureichender Kenntnisse und wegen der Notwen- digkeit, das Material zu begrenzen, nur oberflächlich berührt; dies gilt vor allem von der Paläontologie. Wenn ich einerseits vieles absichtlich übergangen habe, so habe ich andrerseits zweifellos viele wichtige Tatsachen übersehen. Da ich mich auf mehreren und ganz verschiedenartigen Gebieten des Wissens bewegt habe, kann ich wohl hier auf einige Nach- sicht hoffen. Besonders aus der älteren Literatur waren mir übrigens verschiedene Arbeiten, die vielleicht interessante Ideen enthalten, nicht zugänglich. Auf andere Schwächen meiner Arbeit, auf die mir wohl be- wußte Ungleichmäßigkeit in den Gesichtspunkten, brauche ich nicht selbst die Aufmerksamkeit zu lenken. Ich wollte anfäng- lich nur eine kurze Übersicht der älteren Anschauungen bringen — um die Entwicklung des Reliktenbegriffs zu beleuchten — und bin erst allmählich auf andere Ziele gekommen. Geschichts- schreiber wird man so leicht nicht; ich habe wenigstens verstehen gelernt, wie weit und mühsam der Weg ist, der den Naturforscher zu einem historischen Überblick über die Entwicklung der Ideen führt. Ich muß einige Worte in einer Nomenklaturfrage hinzufügen. Die Ausdrücke „diskontinuierlich“ und „disjunkt“ werden nun- mehr meist in derselben Bedeutung gebraucht. Diese vage No- menklatur ist unzweckmässig und historisch unrichtig. A. DE CANDOLLE, der das Wort disjunkt eingeführt hat, verstand — 1855, in seiner Geographie botanique raisonnée — unter disjunk- ten Arealen solche getrennte Verbreitungsgebiete, zwischen denen 13a* 200 v. Hofsten, jede gegenwärtige Verbindung (Transport der Samen für die Pflanzen) ausgeschlossen ist, und die daher aus „früheren Ur- sachen“ zu erklären sind; er dachte hierbei in erster Linie an einen ehemaligen Zusammenhang, obgleich er für einige Fälle die Möglichkeit eines mehrfachen Ursprungs zuließ (siehe unten im Kapitel „Das Jahrzehnt vor Darwin“). Da die durch mehr- ortige Artentstehung hervorgerufene Diskontinuität gesondert be- trachtet werden muß, empfiehlt es sich, die Bezeichnung disjunkt auf solche getrennte Verbreitungsgebiete zu beschränken, die früher in irgend einer Verbindung miteinander gestanden haben; es kann sich um nicht mehr existierende Transport- oder Wan- derungsmöglichkeiten handeln; öfter ist ein disjunktes Areal ein ursprünglich einheitliches, sekundär durch geographische, klima- tische oder andere Veränderungen zerstückeltes Verbreitungs- gebiet. Wenn die Entstehung der Diskontinuität unbekannt ist oder nichts darüber gesagt werden soll, gebrauche ich stets den Ausdruck „diskontinuierliche Verbreitung“. Für die Entstehung einer und derselben Art in mehreren getrennten Gegenden wurde neuerdings der Ausdruck „polytope Artentstehung“ vorgeschlagen (siehe unten im vorletzten Kapitel). Ich gebrauche denselben Ausdruck auch für die entsprechende ältere Annahme einer mehrortigen Schöpfung. II. Die Tier- und Pflanzengeographie im Altertum. Eine Tier- und Pflanzengeographie konnte erst aufkommen, nachdem einerseits die faunistischen und floristischen Kenntnisse eine gewisse Höhe erreicht hatten, andrerseits ein Bedürfnis zur Erklärung der Verbreitung sich geltend machte. Im Altertum fehlten diese Voraussetzungen fast ganz. Doch hatte man natür- lich beobachtet, daß nicht alle Pflanzen und Tiere dieselbe Ver- breitung haben; aus dieser Erkenntnis erwuchsen die Ansätze zu einer Tier- und Pflanzengeographie. Seit HıppokRATEs wurde die Abhängigkeit der lebenden Natur vom Klima vielfach erörtert; man stellte sich vor, daß die Unter- schiede der Tiere und Pflanzen verschiedener Gegenden direkt durch das Klima hervorgerufen würden; besonders oft wurde an eine Einwirkung auf Körper und Geist des Menschen gedacht). 1) Siehe O. PescHeL, Geschichte der Erdkunde, 2. Aufl, 1877, S. 73 — 74; H. BERGER, Geschichte der wissenschaftlichen Erdkunde der Giniechen 6687-05, 1109510000 11 Ss a5, IW ESS 7085750: — 4 — Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 201 ARISTOTELES gibt Beispiele von Tieren mit beschränktem Vor- kommen, ohne jedoch die Ursachen näher zu erörtern; doch be- merkt er, daß „auch das Klima“ Bedeutung: hat; so ist der Esel in einigen Gegenden klein und „kommt im Lande der Skythen und Kelten gar nicht fort, weil diese Länder zu rauh und kalt sind“1), Vierhundert Jahre später fügte PLinius den von ARIsTo- TELES genannten Beispielen für die Verschiedenheit der Tierver- breitung mehrere weitere hinzu?). Bemerkenswerte Ansätze zu einer Pflanzengeographie findet man bei THEOPHRAsTos. Er hebt wiederholt hervor, daß gewisse Pflanzen in mehreren Ländern wachsen, andere dagegen einzelnen Gegenden eigen sind, und daß verschiedene Gebiete verschiedene Gewächse hervorbringen; er macht auf den Unterschied zwischen Gebirgs- und Flachlandvegetation aufmerksam und betont nicht nur, daß die Pflanzen verschiedene Standorte lieben, sondern gibt auch viele Beispiele von Pflanzen, die am besten oder ausschließ- lich in einem besonderen Klima gedeihen; so kann man gewisse Bäume als „Freunde der Kälte“ ansehen‘). Für die Beobachtung, daß gewisse Tiere und Pflanzen in weit voneinander entfernten Gegenden leben, war die Zeit nicht ge- kommen; wenigstens machte man sich keine Gedanken darüber. Auch die Herkunft der Inseltiere wurde noch nicht erörtert. Die Ansicht war zwar verbreitet, daß viele Insein früher mit dem Festland zusammengehangen hätten; an die Bedeutung solcher Tatsachen für die Fauna dachte man jedoch, soweit ich sehe, nicht. Die Zeit war nicht reif für die Erkenntnis, daß in der Entstehung der Verbreitung ein Problem liegen könne; auch die Vorstellungen von der spontanen Generation und die epiku- 1) ARISTOTELES, Historia animalium, VIII, 156—165. — Nach A. STEIER (Zoologische Probleme bei ARISTOTELES und Prinius; Zool. Annalen, Bd. 5, 1913, S. 290) gibt ARISTOTELES „zwei für die Tierverbreitung und Ausbildung der Formen wesentliche Faktoren an, nämlich die Nahrungsverhältnisse (70097) und das Klima (x@@0:5). Diese Worte erwecken vielleicht den Eindruck, daß er sich ein- gehender über die Ursachen der Verbreitungsunterschiede aussprach, als er es wirklich tat. Über die Nahrung sagt er nur, daß sie von Einfluß auf die Körpergröße sei; auch bei der Besprechung des Klimas denkt er zunächst an diesen Einfluß und fügt dann die oben zitierte Bemerkung hinzu. ?) Siehe STEIER, |. c. 3) THEOPHRASTOS, Historia plantarum (zitiert nach SPRENGELS Ùbers. 1822, Naturgeschichte der Gewächse). Siehe besonders Buch II, Kap. 3, 1-2, mp UO, G, uh un IN ao 2474, Se IB VIE 202 v. Hofsten, reische Lehre, daß alle Lebewesen unmittelbare Erzeugnisse des Bodens sind, trugen wohl hierzu bei. Es gibt aber eine beachtenswerte Ausnahme; ein vereinzelter Fall von diskontinuierlicher Verbreitung wurde schon früh beob- achtet und erörtert. ARISTOTELES hebt in seiner Schrift Vom Himmel hervor, daß Elefanten sowohl in Indien wie in Nordwest- afrika leben; er sagt, dass schon frühere Autoren diese Tatsache für ihre Ansicht von einem Zusammenhange dieser Länder ange- führt haben. Was sie hierunter verstanden, ist unklar; ARIsTo- TELES selbst zieht jedenfalls aus der Verbreitung der Elefanten den Schluß, daß die Entfernung zwischen der Westküste von Afrika und Indien, also zwischen dem Ost- und Westrand der Oikumene, nur klein seit). Diese Darlegung ist sehr bemerkenswert. Wie ARISTOTELES sich eigentlich die Verbreitung der Elefanten erklärte, läßt sich nicht entscheiden. Es ist wohl nicht ganz ausgeschlossen, daß er an einen ehemaligen Landzusammenhang dachte; da er nichts davon sagt, hat man jedoch kein Recht zu einer solchen An- nahme; der geringe Abstand kann ihm ja als hinreichende Fr- klärung erschienen sein. Jedenfalls hat er — wie schon seine unbekannten Vorgänger — auf die diskontinuierliche Verbreitung einer Tiergattung aufmerksam gemacht, und er hat sie unter der Voraussetzung eines einheitlichen Ursprungs der Tiere zu er- klären versucht. Die Sache verliert nicht an Interesse, wenn man bedenkt, daß der spätere Gedanke einer möglichen Um- schiffbarkeit der Erde an diese Ansicht des ARISTOTELES anknüpft und seinerseits wieder auf CoLumgus und seine Zeit wirkte?). So gehört die erste Beobachtung einer diskontinuierlichen Verbrei- tung zu den Ideen, welche im Laufe der Zeit zur Entdeckung Amerikas führten; und diese Entdeckung war es, welche die Tiergeographie ins Leben rief. Im Mittelalter ging das antike Wissen von der Verbrei- tung der Pflanzen und Tiere auf die Araber über und wurde von ihnen wesentlich verbessert; bei mehreren arabischen Schrift- 1) Siehe BERGER, op. cit., II, S. 141— 144; K. KRETSCHMER, Die Entdeckung Amerikas in ihrer Bedeutung für die Geschichte des Weltbildes, Berlin 1892, S. 70 —71. 2) Vgl. KRETSCHMER, op. cit., S. 72—73. MAE Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 203 stellern findet man richtige Angaben über Verbreitungsgrenzen und über die Produkte verschiedener Klimate}), Für die spätere Entwicklung des Diskontinuitätsproblems und der ganzen Biogeographie hatten jedoch die im Altertum und von den Arabern gewonnenen Kenntnisse der Pflanzen- und Tier- verbreitung keine direkte Bedeutung. III. Die Antipodenfrage im Altertum und Mittelalter. Im Altertum und im ganzen Mittelalter wurde der Frage nach der Existenz von Antipoden und andern in fernen Ländern wohnenden Menschen ein lebhaftes Interesse entgegengebracht. Auf den ersten Blick scheint diese Frage ja kaum zur Geschichte der Biogeographie zu gehören; sie hat aber in Wirklichkeit eine nicht geringe Bedeutung für die Geschichte des Diskontinuitäts- problems. Es ist schwer, in aller Kürze ein richtiges Bild von der Entwicklung dieser Frage zu entwerfen; man möge es mir daher verzeihen, wenn ich sie etwas ausführlicher behandle, als es vielleicht, streng genommen, nötig wäre. Schon die älteren Pythagoreer faßten die Erde als eine Kugel auf; spätere Philosophen und Geographen (PARMENIDES, vor allem ARISTOTELES, ferner ERATOSTHENES u. a.) gaben dieser Ansicht eine naturwissenschaftliche Grundlage, und sie wurde bald allgemein herrschend, obgleich sie freilich nie ins Volk drang und auch bei gewissen gebildeten Autoren — EPIKUROS, Lucretius, Tacirus — auf Unglauben stieß’). Es mußte sich dann die Frage erheben, ob auch andere als die im Altertum bekannten Teile des Erd- balls bewohnt seien. Sobald man eine Vorstellung von der Größe der Erde bekam und die Größe des bekannten Landes gegen die übrige Fläche abwog, konnte man ja kaum glauben, daß diese überall von Wasser bedeckt sei. Man war daher allgemein von der Existenz ferner, unbekannter Länder überzeugt und erörterte bereits frühe die Frage, ob es dort Menschen gebe. Schon PyrHAcoras erklärte die Erdkugel ringsum für bewohnt. Die physische Möglichkeit von Antipoden wurde wohl nachher bisweilen bestritten — natürlich besonders von den Epikureern, welche die Scheibengestalt der Erde lehrten, ferner von PLuTARCHOS 1) Siehe PESCHEL, op. cit., S. 154—157.- ?) Literaturnachweise bei KRETSCHMER, Phys. Erdk. (s. unten), S. 35. Siehe auch z. B. ©. PEscHEL, Op. cit., S. 33 ff. 204 . v. Hofsten, —, und der naive Verstand konnte natürlich noch weniger daran glauben als an die Kugelform der Erde (Puinius nannte diese Frage „eine ungeheure Schlacht der Wissenschaft einerseits und der Menge andrerseits“); die Philosophen und Geographen sprachen sich aber bald mehr oder weniger bestimmt für ihre Existenz aus (PLATON, ARISTOTELES — der jedoch das Hauptgewicht auf das Vorhandensein eines bewohnbaren Südlandes legte —, Era- TOSTHENES u. a.), und man dachte sich ein regelmäßiges System aus, nach welchem man Antipoden, Antichthonen usw. unter- schied (diese Lehre wurde besonders von GeEminus und MACROBIUS ausgebildet und verbreitet); diese Spekulationen standen in engster Beziehung zur antiken Zonenlehre, sowie später zur Lehre von der Vierteilung der Erdoberfläche!). Teils im Anschluß an solche Konstruktionen, teils unabhängig davon, äußerten viele Autoren die Überzeugung, daß es mehr oder weniger weit im Ozean ver- schiedene unbekannte, von unbekannten Menschen bewohnte Kontinente oder Inseln gebe; schon PLATON sprach sich in diesem Sinne aus; später, besonders in der augusteischen Zeit, wurden solche Theorien sehr beliebt ?). Ebenso allgemein war jedoch der Glaube, daß ein Vordringen zu diesen unbekannten Ländern unmöglich sei. Diese Uber- zeugung fußte zunächst auf der Zonenlehre. Die von PARMENIDES begründete Vorstellung, daß die „Zona torrida* unbewohnbar und unüberschreitbar sei, war noch in der Zeit des ARISTOTELES uner- schüttert; in der alexandrinischen Periode sah man sich bald ge- nötigt, das unbewohnbare Gebiet einzuschränken, und im 2., be- sonders im ı. Jahrhundert galt diese Lehre ziemlich allgemein für überwunden; doch hatte sich die Vorstellung von der Uner- reichbarkeit der südlichen Länder sehr stark eingebürgert, und mehrere Autoren (Srrason, MAcRoBIUS u. a.) hielten noch an der alten Lehre fest?). 1) Siehe H. BERGER, op. cit. (besonders II, S. 15, 135, II, S. 72. 115); K. KRETSCHMER, op. cit. (Entd. Amer.) (S. 49, 53—60). Über Einsprüche gegen die Antipodenlehre, siehe auch O. ZöckLEeR, Geschichte der Beziehungen zwischen Theologie und Naturwissenschaft, Gütersloh 1877—79, I. Abt., S. 125, 286. ?) Siehe BERGER, op. cit. (II, S. 136, III, S. 70—71 u. a.); PESCHEL, op. cit. (S. 61); KRETSCHMER, op. cit. (S. 59, 71—72); Vivien DE Saint-Martin, Histoire de la Geographie, 1873 (S. 96, 118, 169). 3) Siehe BERGER, op. cit. (II, S. 36—40, 43, 126— 128, III, S. 66-67, 114, 123, IV, S. 18, 50—51, 66); KRETSCHMER, op. cit. (S. 50—53). BR NR Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 205 Ebenso tief eingewurzelt war die Überzeugung, daß die fernen Länder im Ozean ganz unerreichbar seien; STRABON beschreibt die Oikumene als von einem Meer eingeschlossen, „welches man wegen seiner Größe und wegen Mangels an Land nicht mehr be- fahren kann“; Cicero sprach von Völkern, „die so gänzlich von- einander getrennt sind, daß nichts von einem zum andern dringen kann“. Wenn auch einzelne Geister ahnten, daß man die Schwie- rigkeiten überschätzte — berühmt ist ja SEnEcAs Prophezeiung von späteren Zeiten, „wo der Erdkreis weit sich auftut, und das Meer zeigt neue Welten“ —, so tritt dadurch nur die allgemeine Vorstellung von der Unzugänglichkeit der fremden Welten noch schärfer hervor!). Nur in den Abenteuerromanen segelte man nach jenen Ländern. Infolgedessen wurden die Antipoden und andere Bewohner unerreichbarer Länder gewissermaßen nicht als ganz wirklich an- gesehen; man dachte an sie ungefähr mit den gleichen Gefühlen, wie damals und in späterer Zeit an die Bewohner anderer Him- melskörper (man denke an Luxraxos’ „Wahrhaftige Geschichten“, die ja gleicherweise die imaginären Reisebeschreibungen nach unbekannten Inseln und nach dem Mond parodieren). Über den Ursprung der für uns unerreichbaren Völker be- kümmerten sich, wie es scheint, die antiken Schriftsteller gar nicht. Ein Grund dafür läßt sich in dem soeben hervorgehobenen Umstande finden, daß die Existenz solcher Menschen rein hypo- thetisch, beinahe unwirklich erschien. Ein anderer Grund liegt darin, daß die Annahme einer autochthonen Entstehung der Menschen in verschiedenen Gegenden für das Altertum nichts Befremdendes enthielt (auch von den mythologischen Vorstel- lungen abgesehen, nach denen die Menschen Abkömmlinge oder Geschöpfe der Götter waren); ARISTOTELES lehrte ja eine spontane Generation nur von niedrigen Tieren, er dachte sich aber auch, daß selbst Menschen und höhere Tiere „einst aus der Erde her- vorgingen“ ?). Im Mittelalter erhielt die Antipodenfrage eine ganz andere Bedeutung als im Altertum; die neue Weltanschauung gab der Frage eine unvergleichlich größere Tragweite, und übertrug sie mehr oder weniger vollständig vom wissenschaftlichen auf das 1) Siehe KRETSCHMER, op. cit. (S. 72—73); Vivien DE SAINT-MARTIN, op. cit. (S> 218 1710); vgl. auch BERGER, op. cit. (IIS. 7072). *) ARISTOTELES, De generatione animalium, III, 117. — 9 =— 206 v. Hofsten, religiöse Gebiet. Um den Charakter der Kontroverse zu verstehen, muß man sich die Eigenart der mittelalterlichen Wissenschaft vergegenwartigen. Man war einerseits stark vom antiken Wissen abhängig; zunächst schöpfte man Kenntnisse aus römischen En- zyklopädisten (Prinıus, MaAcRoBIUS u. a.) dann aus ARISTOTELES, der ja im ı3. Jahrhundert dem Abendlande allgemein bekannt wurde. Auf dieses Erbe der Alten sind mehrere wesentliche Züge in der Behandlung der Frage zurückzuführen: die Vorstellungen von der tropischen Zone, von der Unmöglichkeit, den Ozean zu überfahren usw. Andererseits war der religiöse Glaube Aus- gangspunkt und Richtschnur alles Denkens; in jedem Problem war die Fragestellung diese: wie läßt sich diese oder jene Theorie mit dem Glauben vereinigen, und was lehrt die heilige Schrift, die ja alles wirklich Wissenswerte enthält? Daß das Antipoden- problem in besonderem Maße solche Fragen erwecken und da- durch eine geradezu beängstigende Wirkung ausüben mußte, wird sofort einleuchten. Die Gegner der Antipodentheorie fanden ihre wirksamsten Waffen in der Bibelexegese; wenn Antipoden existierten, so würden sie, sagte man, in der Bibel erwähnt sein; ferner würde Christus auch unter ihnen das Evangelium gepre- digt haben’). Eine von BuckLE abhängige kulturgeschichtliche Schule hat versucht, den Gegensatz zwischen antiker und mittelalterlicher Weltanschauung bis aufs äußerste zu verschärfen, und dabei mit Vorliebe den Umschwung in den Anschauungen über die Kugel- form der Erde und über die Antipoden betont?) Es ist keine Frage, dass diese Auffassung einseitig und oberflächlich ist. Doch kann man ebensowenig einem Vertreter einer entgegengesetzten Ansicht, dem Theologen O. ZÖCKLER, beistimmen, der in seinem im allgemeinen objektiven Werk den Gegensatz allzu sehr ver- wischen will’). Es läßt sich unmöglich bestreiten, daß mit dem !) Das letzte Argument wurde von Procopius von Gaza vorgeführt; siehe KRETSCHMER, Die physische Erdkunde im christlichen Mittelalter; Geogr. Abh. herausg. v. Pencx, Bd. 4, 1889 (S. 55); Entd. Amer, S. 129. ?) Siehe besonders das bekannteste Werk dieser Richtung: J. W. Draper, History of the Conflict between Religion and Science, 1872 (2. Aufl., S. 63 ff.). 3) Er betont z. B. zu wenig, dass die Lehre von der Kugelform der Erde im Altertum unter den Gebildeten allgemein anerkannt war; andrerseits bekommt man aus seiner Darstellung den Eindruck, als ob sowohl diese Lehre wie die Antipoden- hypothese im Mittelalter von den meisten festgehalten worden wäre. (ZÖCKLER, op. Gils, 45 1B, I, So wee} in Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 207 Siege des Christentums ein fundamentaler Umschwung in der Behandlung eben dieser Fragen eintrat. Für die Ansichten in der Antipodenfrage war natürlich zu- nächst die Auffassung von der Form der Erde maßgebend. Man begegnet nicht selten der Meinung, daß besonders im früheren Mittelalter die Erde fast ausnahmslos als eine flache Scheibe auf- gefaßt wurde. So allgemein galt diese Lehre jedoch nicht. In der ersten christlichen Zeit dachte man sich zweifellos stets die Erde in dieser Weise; Cremens Romanus spricht sich direkt in dieser Richtung aus. Aber schon CLEMENS ALEXANDRINUS und ORIGENES (im Anfang des 3. Jahrhunderts) nahmen Kugelgestalt an. Basmius der Grosse, GREGoRIUS von Nyssa und AMBROSIUS (Ende des 4. Jahrhunderts) hatten trotz einiger Unklarheit die- selbe Auffassung; klarer wurde sie im 5. Jahrhundert von Jo- HANNES PHILOPONOS ausgesprochen. Gleichzeitig hatten sich jedoch, als der Spiritualismus des ORIGENES zurückgedrängt wurde, andere Ansichten rasch verbreitet. Als ein heftiger Gegner der Lehre von der Kugelgestalt ist Lacrantius FırmIanus (Anfang des 4. Jahr- hunderts) bekannt. Die syrische Exegetenschule im 4. und 5. Jahr- hundert betrachtete die Erde als eine flache (meist viereckige) Scheibe, auf welcher der Himmel als Dach ruhe; im Anfang des 6. Jahrhunderts wurde diese Lehre vom bekannten Kosmographen Kosmas INDIKOPLEUSTES weiter ausgebildet. Im Occident fanden solche abenteuerliche Systeme nie grosse Verbreitung, doch hatte die Lehre von der Scheibengestalt bis ins 8. Jahrhundert auch hier zahlreiche Anhänger; Isıporus von SeviLLa (Anfang des 7. Jahrhunderts) zweifelte wohl selbst nicht an der Kugelgestalt, spricht sich aber sehr unbestimmt aus. Im Anfang des 8. Jahr- hunderts trat BepA VENERABILIS entschieden für diese Auffassung ein; später, besonders in der scholastischen Periode, galt sie — auch unter dem Einfluß der Araber — als erwiesen (ALBERTUS MAGNUS, Bacon, THomas von Aquino, VINCENZ VON BEAUVAI, DANTE usw.), | allerdings nur unter den geographisch und astronomisch Gebil- deten !). Die Vertreter der Lehre von der Scheibengestalt leugneten natürlich entschieden die Existenz der Antipoden. Berühmt ist der Angriff des Lacrantius gegen die Antipodenlehre, die ihm !) Siehe PEscHEL, op. cit., S. 96—97, 199; ZÖCKLER, op. cit., I, S. 123—127, 189, 190, 286; KRETSCHMER, Phys. Erdk., Kap. I, 1; Entd. Amer., S. 93 ff. 208 v. Hofsten, als ein nicht ernst gemeinter Scherz der Gelehrten erschien; Kosmas INDIKOPLEUSTES griff sie mit ähnlichen Gründen an). Die mehr oder weniger ausgesprochenen Anhänger der Lehre von der Kugelgestalt gingen in ihren Ansichten im ganzen Mittel- alter stark auseinander. Einigen älteren Kirchenvätern (ORIGENEs, BasıLıus, Amprostus) scheint der ‘Gedanke an Antipoden nicht fremd gewesen zu sein?) (vgl. auch unten). Nachher wurde je- doch diese Vorstellung auch von andern als den Anhängern der Erdscheibe zurückgewiesen, so von IsIDORUS VON SEVILLA, der sich freilich bedenklicher Widersprüche schuldig macht?). BEDA VENE- RABILIS sagt an einer Stelle, daß von den beiden temperierten und bewohnbaren Zonen nur die nördliche bewohnt sei; ein an- deres Mal spricht er von „unseren Antipoden“ jenseits des Ozeans‘). Ein besonderes Interesse bietet die Behandlung, welche Av- GUSTINUS dem Antipodenproblem angedeihen läßt; sie übte einen ungeheuren Einfluß aus, sogar noch auf Autoren des 16. Jahr- hunderts. Aucustin besitzt große klassische Bildung und verwirft daher die Lehre von der Kugelgestalt nicht; wenn er sich ihr nicht direkt anschließt, so ist es vielleicht im Grunde nur deshalb, weil eine Erörterung dieses Problems außerhalb seiner Absichten liegt’). Auch die Vorstellung von Antipoden scheint ihm an sich nicht absurd. Trotzdem leugnet er ihre Fxistenz entschieden. Auch wenn die Erde sphärisch ist, sagt er, so folgt daraus nicht, daß die gegenseitige Fläche frei von Wasser ist; und gibt es dort Ländermassen, so können sie unmöglich bewohnt sein; teils weiß die Schrift nichts von solchen Bewohnern, teils — und dies ist sein wichtigster und der historisch interessanteste Gesichtspunkt — stammen alle Menschen von Noah und Adam ab, und „es wäre doch über die Maßen aberwitzig, zu sagen, einige Menschen hätten über den unermeßlichen Ozean hinüber von dieser Seite 1) Siehe z. B. ZöcKLER, op. cit., I, S. 125—127; Kretscumer, Phys. Erdk., S. 5456; Entd. Amer, S. 120 (ferner DRAPER, op. cit., S. 63-64). ?) Siehe ZöckLER, op. cit., I, S. 123, 127. 3) Siehe PescHEL, op. cit., S. 97; KRETSCHMER, Phys. Erdk., S. 56; Entd. Amer., S. 130. 4) Siehe DE SANTAREM, Essai sur l’histoire de la cosmographie et de la cartographie pendant le moyen-äge, T. I, Paris 1849, S. 24—27. 5) KRETSCHMER (Phys. Erdk., S. 50—51, 55) scheint mir Augustins Schwanken in dieser Frage etwas hart zu beurteilen. Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 209 auf jene schiffen und gelangen kônnen“!)} Augustinus nimmt, wie man sieht, einen ganz antiken Gedankengang auf; aus der christlichen Weltanschauung fügt er den Schluß hinzu, daß die fernen Länder nicht von Menschen bewohnt sein können. Sein Standpunkt in der Antipodenfrage darf kaum als into- lerant bezeichnet werden; so lange die Existenz der Antipoden reine Hypothese war, konnte wenigstens ein gewisser Skepticis- mus wohl berechtigter sein als ein ganz unkritischer Glaube?). Schon von Anfang an waren die Erörterungen über Anti- poden eng mit solchen über hypothetische Länder im Weltmeer überhaupt verknüpft; der Antipodenbegriff wurde dabei oft er- weitert. Bei allen diesen Auseinandersetzungen ist antiker Ein- Huß deutlich. Schon CLemens Romanus sprach von dem „den Menschen undurchdringbaren Ozean und Welten jenseits des- selben“; auch bei Amprosius ist von Völkern „in extremis mundi partibus ... quibus nondum gratia Salvatoris illuxit“ die Rede, bei CLEMENS ALEXANDRINUS und ORIGENES von Ländern jenseits des Ozeans. Diese machte man in den folgenden Jahrhunderten oft einfach zum unzugänglichen Paradies’). Aber auch die Vor- stellung von bewohnten Ländern weit im Weltmeer war schon im frühen Mittelalter verlockend, obgleich sie von der Kirche nicht gerne gesehen wurde; der Bischof Vırcınıus von Salzburg wurde im 8. Jahrhundert wegen. einer solchen Ansicht (,alius mundus et alii homines sub terra“) ernstlich vom Papste zurecht- gewiesen. Die Vorstellungen verdichteten sich mehr und mehr zur Annahme eines bewohnten Südkontinentes; mehrere Kosmo- graphen griffen die antike Legende unverändert wieder auf, nach welcher dieses Land durch die glühheiße Äquatorialzone für uns unzugänglich bleiben müsse (z. B. Lampert von Saint-Omer, etwa 1120; „Zona australis filiis Ade incognita, temperata, anti- podorum“). Diese zählebige Vorstellung wurde zum zweiten 1) Aucustinus, De civitate Dei, lib. XVI, cap. 9. (Übers. nach ,,Ausge- wählte Schriften“, Bd. 3, 1874.) ?) Der Theologe ZöckLER, der die üblichen summarischen Urteile über die Wissensfeindlichkeit der Kirchenväter zurückweist, hat in dieser Hinsicht eine ent- gegengesetzte Auffassung geäußert; nach ihm kann Aucustıns Verwerfung der Anti- poden ‚so wenig wie bei Lacranz entschuldigt werden‘ (op. cit., I, S. 88). 3) Siehe ZôckLer, op. cit., I, S. 127—129; KRETSCHMER, Entd. Amer., S. 124, 125, 130. Über AmBrosius siehe Las Casas, Historia de las Indias (1559, herausg. 1875 - 76), Lib. 1, Cap. X. 210 v. Hofsten, Male widerlegt von ALBERTUS MAGNUS, der einen bewohnten und wenigstens nicht ganz unzugänglichen Südkontinent annahm. Der Glaube an das Australland, an den „alter orbis“, hatte in dieser Zeit viel an Boden gewonnen und war auch nachher sehr ver- breitet, obgleich bald eine heftige Reaktion von seiten der Kirche eintrat (im Anfang des 14. Jahrhunderts fiel in Italien ein An- hänger der Antipodenlehre der Inquisition zum Opfer, ein anderer wurde verbrannt.!) Aber auch unter den Gelehrten war eine gegenteilige Strömung entstanden mit der Lehre, daß die süd- liche Hemisphäre ganz von Wasser bedeckt sei. Diese Vor- stellung war ja schon durch antike Theorien über den Zusammen- hang der Ozeane vorbereitet und zeigt manche Berührungspunkte mit altchristlichen Vorstellungen, daß es keine andere Welt als die von uns bewohnte Erde gebe (Aucustınus spielt ja mit deut- licher Sympathie darauf an); jetzt wurde sie als eine mechanische Notwendigkeit aufgestellt. Aus der aristotelischen Elementen- lehre (nach welcher eigentlich alles Land von Wasser bedeckt sein müßte) entwickelte man die Hypothese von der Exzentri- zität der Erd- und Wassersphare; nur eine einzige Stelle der ersteren könnte als Insel aus der Wasserkugel hervortauchen. Diese Theorie, die ja jeden Gedanken an Antipoden und ferne Länder im Ozean ausschloß, hatte viele Anhänger vom 13. bis in das 15. Jahrhundert hinein’). Wie schon Avucustins Beweisführung zeigt, gründen sich die Angriffe gegen die Antipodenlehre vor allem auf die Überzeugung, daß sie zur Annahme einer zweiten Schöpfung von Menschen zwingen müßte. Ob einige der Antipodenverteidiger tatsächlich dieser Meinung huldigten, scheint nicht bekannt zu sein; wahr- scheinlich haben sie sich dann wohl gehütet, sie öffentlich auszu- sprechen. Soweit aus der von mir benutzten historischen Literatur (und aus den Schriften, die ich im Original zu Rate gezogen habe) hervorgeht, scheinen sie überhaupt die Herkunft der hypo- thetischen Völker nicht erörtert zu haben. Dadurch wird ja die Bedeutung der obigen Darlegungen für die Geschichte des Dis- kontinuitätsproblems gewissermaßen vermindert; ihr Einfluß auf die spätere Entwicklung dieses Problems ist aber nichtsdestowe- *) Siehe KRETSCHMER, Phys. Erdk., S. 56—59; Entd. Amer, S. 122, 130 —13I, 138 —135. ?) Siehe KRETSCHMER, Phys. Erdk., S. 67 ff.; Entd. Amer., S. 136—144. (Auch ZòCKLER, op. cit., I, S. 469.) Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. DH niger bedeutend. Wenn man mehr als tausend Jahre, nachdem AUGUSTINUS die Existenz der Antipoden geleugnet hatte, wirklich Menschen jenseits des „unermeßlichen Ozeans“ entdeckt hat, dann waren es diese Ansichten, von welchen man auszugehen hatte und auch tatsächlich ausging, Die ersten Erörterungen über die Herkunft der amerikanischen Menschen und Tiere knüpfen an diejenigen über die hypothetischen Antipoden an; um jene zu ver- stehen, muß man auch diese kennen. Einen besonders nachhal- tigen Einfluß übte AUGUSTINUS aus, teils durch seine Behandlung des Antipodenproblems, teils, und wohl in noch höherem Grade, durch einige noch nicht erwähnte Überlegungen, mit denen er sich mehr auf dem Boden der Wirklichkeit befand. IV. Augustinus und das Problem der Inselfauna. Augustinus hat nicht nur durch seine Erörterung des Anti- podenproblems indirekte Berührungspunkte mit der Tiergeographie, sondern man muß ihn als einen direkten Vorläufer dieser Wissen- schaft anerkennen; in einer Zeit, da das zoologische Wissen des Altertums in Vergessenheit geraten war, und da noch niemand die Verbreitung der Tiere genauer betrachtet hatte, hat er eine der schwierigsten tiergeographischen Fragen formuliert und zu beantworten versucht, die Frage nach der Herkunft der Inseltiere. In einem besonderen Kapitel des Gottesstaates wirft Au- GUSTINUS die Frage auf, „wie nach der Sintflut Menschen und Tiere auf die Inseln gelangen konnten“!. Wenn doch alle Tiere, die nicht in der Arche waren, durch die Sintflut vertilgt wurden, wie können sich da Tiere auf Inseln finden, „welche nicht in der Pflege der Menschen stehen und nicht wie die Frösche aus dem Boden hervorwachsen, sondern bloß durch Vermischung von Männlichem und Weiblichem sich fortpflanzen, wie z. B. Wölfe und andere Tiere dieser Art“? Sie können ja durch Schwimmen auf einige Inseln gekommen sein, aber nur auf die nächsten, einige dürften von Menschen der Jagd wegen eingeführt sein. Wo solche Erklärungen nicht ausreichen, gibt AUGUSTINUS zwei andere. Erstens „ist nicht zu leugnen, daß sie auf Befehl oder Zulassung Gottes, auch durch Vermittlung der Engel dorthin ge- bracht werden konnten“, Die zweite Erklärung ist die, daß sie wie bei der ersten Schöpfung aufs neue „aus der Erde hervor- He civitate Dei, lib. XVI, cap. 7. 212 v. Hofsten, gebracht“ worden sind. Aucusrtinus äußert sich hierüber folgen- dermaßen: „Wenn sie aber nach Analogie ihres ersten Ursprunges, da Gott sagte: ’Die Erde bringe hervor lebendiges Geschöpf,, aus der Erde entstanden sind, so erhellt noch viel deutlicher, daß in der Arche alle Arten vertreten gewesen sind, weniger um die Tierwelt wieder herzustellen, als vielmehr, um in Rücksicht auf das Geheimnis der Kirche die mannigfachen Völker zu versinn- bildlichen, wenn auf den Inseln, wohin sie nicht gelangen konnten, die Erde viele Tiere hervorgebracht hat.“1) Welche Bedeutung Augustinus der ersten dieser Erklärungen zumaß, geht aus seinen Worten nicht bestimmt hervor; wahrscheinlich wollte er nur eben sagen, daß er diese Möglichkeit nicht zu verneinen wage, und sicher ist jedenfalls, daß er die zweite Erklärung annahm. AUGUSTINUS nahm also eine selbständige Schöpfung vieler Inseltiere oder mit andern Worten eine polytope Entstehung der Arten an. Es war dies etwas ganz anderes als die aristotelische Lehre von der spontanen Generation niederer Tiere, die sich ja bis in das 17. Jahrhundert erhielt und von Aucusrinus als etwas Selbstverständliches aufgefaßt wurde; es war ein origineller und kühner Gedanke, der, als er mehr denn tausend Jahre später wieder auflebte, lange Zeit allgemein als ketzerisch verurteilt werden sollte. Wer seine Darstellung liest, stellt sich zweifellos zwei Fragen: Wie kommt es, daß der berühmte theologische Denker sich für den Ursprung der Inseltiere interessierte; und wie konnte er zu einem solchen Ergebnisse kommen? Diese Fragen sind nur scheinbar getrennt; in der Antwort auf die eine ist gleichzeitig auch die auf die andere enthalten. Wenn man sein Interesse für das Problem aus einem offenen Sinn für die Natur herleitet, so geht man wohl nicht vollständig fehl; obgleich er sich bisweilen direkt wissensfeindlich äußerte, so zeigt er doch auch gelegentlich ein begeistertes Verständnis für die Harmonie des menschlichen Leibesbaus und für die Schön- heit des Weltganzen?). Die Keime zu naturwissenschaftlichem ‘) Das Original lautet: „Si vero e terra exortæ sunt secundum originem primam, quando dixit Deus: Producat terra animam vivam: multo clarius apparet, non tam reparandarum animalium causa, quam figurandarum variarum gentium propter Ecclesiae Sacramentum in arca fuisse omnia genera, si in insulis, quo transire non possent, animalia multa terra produxit.“ Die obige Übersetzung folgt nur teilweise der früher zitierten in den „Ausgewählten Schriften“. ?) Uber diese Gegensätze in AuGustins Weltanschauung vgl. Z6cKLER, op. cit., I, S. 88—00; vgl. auch S. 233. ut FE RES Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 218 Beobachten und Denken, die in ihm schlummerten, wurden jedoch durch die Zeitumstände und durch seine übrige geistige Veran- lagung erstickt. Von größerer Bedeutung war zweifellos der ausgeprägt dialektische Zug, der das Denken dieses großen Grüblers kennzeichnet; mit spitzfindiger Kasuistik wirft er eine Überfülle der verschiedenartigsten Fragen auf, die in einer ganz scholastischen Weise hin und her gewendet werden’). Dabei verfolgt er aber mit der Erörterung dieser Frage einen ganz be- sonderen Zweck; sie ist nicht nur eine Frucht seiner Dialektik, sondern auch seiner Allegoristik. Schon die Worte, mit denen er seine Ansicht ausdrückt, zeigen, worauf er eigentlich zielt; wenn man den übrigen Inhalt desselben und des vorhergehenden Buches von De civitate Dei berücksichtigt, kann kein Zweifel darüber bestehen bleiben. Er untersucht die Berichte von der Sintflut und von der Arche; er zweifelt natürlich nicht an ihrer buchstäblichen Wahr- heit, ist aber ebenso fest davon überzeugt, daß diese Ereignisse auch eine mystische, sinnbildliche Bedeutung haben; diese ist „die Kirche zu versinnbildlichen“?. Auch die Erhaltung der Tiere wird, wie schon die früher zitierten Worte zeigen, in dieser Weise gedeutet und wäre eigentlich nicht notwendig gewesen. Einen Beweis für die Richtigkeit dieser Anschauung findet Av- GUSTINUS nun eben darin, daß die Inseltiere einer selbständigen Schöpfung entstammen müssen. Seine Lehre von der sinnbild- lichen Bedeutung der Sintflut hat ihm sowohl die Frage wie die Antwort eingegeben). Erleichtert und vorbereitet wurde Aucustins Hypothese durch seine ganze Genesislehre. Er zog aus dem Wortlaut des Schöp- fungsberichtes den Schluß, daß bloß der Mensch in einem Paare geschaffen wurde, die Tiere aber in grösserer Anzahl‘). Ferner deutete er die Schöpfung der Lebewesen im Anfang der Welt nicht als eine körperliche Erschaffung, sondern als einen bloß potentiellen Akt; die Pflanzen und Tiere — ja sogar der Mensch 1) Man vergleiche z. B. ZöckLEr, op. cit., I, S. 232 ff. 2) De civitate Dei, lib. XV, cap. 27. 3) Es verdient vielleicht hervorgehoben zu werden, daß auch Aucustins Interesse für die Antipodenfrage ein Ausfluss seiner theologischen Spekulation ist. Dabei hat er vor allem einen apologetischen Zweck; er muß einen Beweis gegen die Existenz der Antipoden aufsuchen, weil der Bibel unbekannte Menschen mitten im Ozean ihm nicht geringen Kummer machen würden. 4) De genesi ad literam, III, 8—12; siehe ZòcKLER, op. cit., I, S. 240. Zool. Annalen VII. 14 — 17 — 214 : v. Hofsten, — seien erst später aus den in die Materie gelegten Urpotenzen hervorgegangen!) Ich habe den Gedankengang des berühmten Kirchenvaters zu analysieren versucht, sowohl wegen seines Einflusses auf eine spätere Zeit, wie in Rücksicht auf das Interesse, das seine An- sicht an sich beanspruchen muß. Der Weg, der ihn zum Nach- denken über die Inseltiere führte, schmälert sein Verdienst kaum, das Diskontinuitätsproblem zuerst aufgestellt und dessen Lösung versucht zu haben. Er ahnte nicht, daß einmal Menschen in ebenso isolierten Gegenden entdeckt werden sollten, und dass es dann naheliegen würde — wie es ja tatsächlich geschah — ihre Herkunft in derselben Weise zu erklären; wie fern ein solcher Gedanke ihm selbst lag, zeigen seine Ansichten in der Anti- podenfrage. Es läßt sich unmöglich leugnen, daß die Tiergeographie — oder, wenn man so will, die Vorläufer dieser Wissenschaft — in einem gewissen Schuldverhältnis zu Aucustin steht. Diese Tat- sache erscheint in einem eigentümlichen Licht, wenn man seinen Einfluß auf die Naturwissenschaft im allgemeinen bedenkt. DRAPER?) hat unzweifelhaft mit seiner Behauptung recht, daß Augustin mehr als irgend ein anderer getan habe, um Wissen- schaft und Religion in Widerstreit zu bringen (obgleich die Schuld wohl mehr seine Nachfolger trifft). Die noch mehr als 1200 Jahre nach seinem Tode allmächtige Lehre, welche die Bibel zu einem Kanon für alles Wissen machte, geht zum großen Teil . auf ihn zurück. V. Der irländische Augustinus. Ein irländischer Mönch aus dem 7. Jahrhundert, bekannt als der irländische Augustinus — oder der irländische (hiber- nische) Pseudoaugustinus — teilt mit dem Bischof von Hippo die Ehre, schon im frühen Mittelalter eine Lösung des Problems der Inselfauna versucht zu haben, fast ein Jahrtausend vor den ersten Anfängen einer wissenschaftlichen Zoologie. In der Geschichte dieser Wissenschaft wird er ebensowenig wie der letztere er- wähnt; wenn er auch nur wenige Worte über die Tierwelt ge- 1) De gen. ad lit.; siehe ZöckLER, 1. c. und S. 275; W. May, Die Natur- teleologie und Biogenie der Kirchenväter; Verh. Naturw. Ver. Karlsruhe, Bd. 20 (1906—07), 1908, S. 56— 58. 4) Ops et, So Ga Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 215 äußert hat, so muß er doch als ein scharfsinniger Vorläufer der Tiergeographie betrachtet werden. Er verfaßte etwa im Jahre 660 ein Werk über die Wunder der heiligen Schrift, in dem er, wie so viele andere Theologen des Mittelalters, die Sintflutgeschichte und die daraus sich erhe- benden Schwierigkeiten zu erklären versucht!). Wie Z6cKLER mit Recht hervorhebt?), erweist sich dieser Mönch als ein „merk- würdig scharfer Naturbeobachter und klarer Denker“, der so weit als möglich die Wunder naturgesetzlich zu erklären sucht. Bei Besprechung der Sintflut — wo er im Gegensatz z. B. zum Kirchenvater AvGusrinus die Möglichkeit einer bloß partikulären Flut nicht ohne weiteres verwirft — erinnert er an das Steigen und Fallen des Meeres; auch weiß er — wohl teilweise durch die antiken Schriftsteller, zweifellos aber auch durch eigene Beo- bachtungen —, daß das Meer die Küsten abnagt, und daß dadurch Halbinseln in Inseln umgewandelt werden können. Hierin findet man, fährt er fort, die Erklärung für das Vorkommen von wilden Tieren auf Inseln. Besonders denkt er hierbei an die Tierwelt seiner Heimatinsel Irland: wie könnte, fragt er, jemand Wölfe, Hirsche usw. dorthin mitgebracht haben)? Die Möglichkeit einer Erzeugung aus der Erde — er denkt natürlich an die Darlegungen des Kirchenvaters AuGustinus — scheint er nicht ganz zu verwerfen (die Äußerungen hierüber sind etwas dunkel); jedenfalls zweifelt er nicht im geringsten an der Richtigkeit seiner eigenen Erklärung. Dieser bescheidene und fast ganz vergessene Mönch hat also eine wahre und bedeutungsvolle, in der späteren Biogeographie außerordentlich fruchtbare Idee ausgesprochen; er ist der erste, der die diskontinuierliche Verbreitung gewisser Tiere durch die Annahme eines ehemaligen Zusammen- hanges zwischen den heute getrennten Gebieten er- klärt hat. Man könnte sagen, daß er nur einen einfachen und nahe liegenden Gedanken aussprach; man vergißt aber dabei, !) De mirabilibus Sacrae Sira iIbrî fees (Di a Cap VIDE S. Aur. August. Opera omnia, Ed. Migne, T. III, 2, Paris 1841 (Patrologiae cursus compl. ser. I, T. XXXV). ?) Op. 'cit., I. Abt., S. 277—279. — Uber den Pseudoaugustin siehe auch May, op. cit., S. 63— 64. 3) „Per quod intelligitur, quod illae ferae quae insularum orbibus includuntur, non humana diligentia devectae, sed in illa divisione insularum a continenti terra repertae esse probantur. Quis enim, verbi gratia, lupos, cervos, et silvaticos porcos, et vulpes, taxones, et lepusculos, et sesquivilos in Hiberniam deveheret ?“ 14* — iG — 216 v. Hofsten, daß auch die uns am natürlichsten erscheinenden Ideen erst durch eine historische Entwicklung so einfach geworden sind. Die konkrete Besprechung des Inseltierproblems, an der Hand eines dem Verfasser gut bekannten Beispiels, zeugt, wie ZÖCKLER in anderem Zusammenhang äußert, „von einem ernsteren und exakteren Anfassen naturwissenschaftlicher Materien, als es sich sonstwo im kirchlichen Altertum findet“. Und er sprach nicht nur eine wahre Idee, sondern auch eine im einzelnen richtige Hypothese aus; auch die moderne Tiergeographie lehrt, daß die irländische Säugetierfauna über eine ehemalige Landverbindung aus dem Kontinent eingewandert ist. Wenn der irländische AUGUSTINUS also das von seinem be- rühmteren Namensgenossen aufgeworfene Problem tiefer, auf jeden Fall richtiger, als dieser auffaßte, so hat er doch im Gegensatz zu ihm keinen Einfluß auf die Forschung ausgeübt. Als im ı6. Jahrhundert das Problem der Inselfauna wieder auf- genommen wurde, da war seine Darlegung ganz in Vergessen- heit geraten; noch ein Jahrhundert später wurde sein Gedanken- gang von einem anderen Engländer wiederholt (siehe unten im Kapitel „Einzelbeobachtungen über Inseltiere im 17. und 18. Jahr- hundert“). Die beiden Ausustine hatten ein Problem aufgestellt, das erst mehrere hundert Jahre später eine wirkliche Aktualität gewann. Ob die Frage in der zwischenliegenden Zeit jemals erörtert wurde — etwa von den Scholastikern — weiß ich nicht. Jedenfalls wurde nichts vorgebracht, was in die spätere Diskussion überging und somit einigen Einfluß auf die Entwicklung der Biogeographie ausgeübt hätte. VI. Die Entdeckung Amerikas — ein Wendepunkt in der Geschichte des Diskontinuitätsproblems (Theorien bis zum Anfang des ı8. Jahrhunderts). Das große Ereignis, das die Frage nach dem Ursprung der Inseltiere und -menschen jedermann aufdrängen mußte, war die Entdeckung Amerikas. Corumgus lebte und starb bekanntlich in der Überzeugung, den äußersten Osten von Asien entdeckt zu haben; dieser Glaube wurde jedoch bald zerstört und damit die Tragweite der Ent- deckung geahnt. Die Menschen des 16. Jahrhunderts fanden sich Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. DI plötzlich vor einem neuen Weltteil mitten im Ozean, mit neuen Tieren und neuen Pflanzen; und in diesem Land lebten Menschen, etwas verschieden von ihnen selbst, aber doch Menschen! Die alten hypothetischen, von den frommen Autoren des Mittelalters geleugneten Antipoden (im weiteren Sinne) waren gefunden!). Die Frage nach dem Ursprung der Menschen, Tiere und Pflanzen von Amerika gehört noch heute zu den wichtigsten und schwie- rigsten der Biogeographie; für die Menschen dieses Jahrhunderts und noch bis weit in das 18, hinein war sie jedoch ungleich be- deutungsvoller, weil sie als ein religiöses Problem aufgefaßt wurde. Angstlich sah man sich nach einer Antwort um, die den herkömmlichen Glauben ungestört ließ. | Die Entdeckung Amerikas fällt, wie oft hervorgehoben wird, in eine bewegte Zeit geistiger Gärung. Die Buchdruckerkunst war erfunden, der Humanismus stand auf seinem Höhepunkt; das geozentrische Weltsystem war seinem Sturze nahe. Die neue Weltauffassung hatte vielleicht keinen direkten Einfluß auf die Spekulationen über die Herkunft der Einwohner Amerikas, in- direkt aber wirkte sie mächtig auf dieses wie auf alle Gebiete des Denkens. Der Vergrößerung der Erde folgte ihre Erniedri- gung zu einem Staubkorn im Weltall?! Und auch von diesem allgemeinen Erwachen des Geistes abgesehen, hatte die Ent- deckung des neuen Landes jenseits des Weltmeers dem Autori- tätsglauben einen schweren Stoß versetzt, sogar ehe das Land als ein eigener Kontinent erkannt war). Doch dauerte es lange, ehe man sich von der gewaltigen Last mittelalterlicher Vorurteile befreien konnte. Besonders schwer und anhaltend drückten die religiösen Vorurteile den Eròrterungen über die Menschen und Tiere Amerikas ihren Stempel auf. Die 1) Vgl. L. DE Gomara, Historia general de las Indias, 1553. Trad. franc. Paris 1578 (und mehrfach). Chap. 4: ,,Qu’il y a des antipodes.“ ?) „Ces deux nouveautés, le monde à la fois agrandi et diminué, ouvert à l’esprit de conquête et d’entreprise, et ravalé aux yeux du philosophe à n’étre qu'un grain de poussière dans l’infini, bouleversaient singulièrement les proportions traditionelles des choses‘ (Petit DE JuLEvILLE, Histoire de la langue et de la littéra- LPS rameaıge, 1607 Is JOU So era) 3) „Sans réaliser encore pleinement l’importance de la découverte, on s’apercoit que les frontières assignées à l’homme par la Cosmographie et la Théologie ont reculé, et l’on commence a soupconner la variété et l’immensité de univers.“ (G. CHINARD, L’exotisme américain dans la littérature francaise au XVIe siècle, Paris 1911, S. 5). 218 v. Hofsten, Frage nach ihrer Herkunft interessierte an sich wohl nur wenige, es galt aber, ihr Dasein mit den kirchlichen Lehren in Einklang zu bringen. Noch mehr, man zweifelte nicht daran, daß eine Antwort in der heiligen Schrift zu finden sein müsse. Im 17. Jahrhundert traten durch die Theorien des Naturrechts neue Ge- sichtspunkte hinzu, und das Interesse für diese Probleme wurde dadurch noch leidenschaftlicher. Es existiert unstreitig ein enger Zusammenhang zwischen den Theorien über die Herkunft der amerikanischen Bevölkerung und dem biogeographischen Problem der diskontinuierlichen Verbreitung; der obige kurze Rückblick über die kulturellen und wissenschaftlichen Voraussetzungen, aus welchen die älteren jener Theorien entstanden, scheint mir daher zu einem vollen Verständnis der späteren Entwicklung erforder- lich. Dagegen hätte es hier keinen Zweck, eine Übersicht der zahllosen zu der genannten Frage geäußerten Ansichten zu bieten; es gibt ja kaum ein Volk, das nicht schon von jemandem als Stammeltern der amerikanischen Wilden angesehen worden ist; schon im 18. Jahrhundert war hierüber so viel geschrieben, dass man nach dem gelehrten Jesuitenpater CHARLEVOIX (1744, siehe unten), „ferait un juste Volume, si on voulait seulement raporter les differentes opinions des Scavans sur ce sujet“!). Die ungeheure auf die Lösung dieses Problems verwendete Mühe war wohl nicht vergeblich — zweifellos wurden historisch wert- volle Tatsachen aufbewahrt —, man ging aber von einer falschen 1) Wegen des soeben erwähnten Zusammenhanges zwischen dieser Frage und den tiergeographischen Problemen dürfte es jedoch angebracht sein, einige Arbeiten zu nennen, in welchen die älteren Ansichten über die Herkunft der amerikanischen Bevölkerung zusammengestellt werden. Folgende Arbeiten geben wertvolle Literatur- hinweise oder eine ausführliche Historik des ältesten Entwicklungsganges der Frage: GREGORIO GARCIA, Origen de los Indios de el nuevo mundo, Valentia 1607, neue vermehrte Aufl., Madrid 1729. — JUAN SOLORZANO Y PEREYRA, Disputatio de Indiarum jure, Madrid 1629; Politica indiana, Madrid 1648 (und mehr- fach) (Lib. I, Cap. V). GeEorcrus Hornius, De Originibus Americanis, Hagae 1652. — XAv. DE CHARLEVOIX, Histoire et description générale de la Nouvelle France, T. 5, Paris 1744. — D. B. WARDEN, Recherches sur les antiquités de l'Amérique du nord et de l'Amérique du sud (LENOIR, WARDEN u. a, Antiquités mexicaines, T. Il, div. 2. Paris 1834). — S. F. Haven, Archaeology of the United States (Smithson. Contr. to knowl., Vol. 8, Washington 1856). — H. H. Bancrort, The native Races of the Pacific States, Vol. 5, London 1876. — Joun T. SHort, The North Americans of Antiquity, New York 1879, 2. Aufl., 1880. — Justin Winsor, The progress of opinion respecting the origin and antiquity of man in America (Narr. and crit. Hist. of America ed. by J. Winsor, Vol. I, 1889, S. 369-412). Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 219 Voraussetzung aus; bis tief in das ıg. Jahrhundert hinein dachte man sich allgemein eine Einwanderung des Menschen, lange auch der Tiere, in mehr oder weniger später, oft historischer Zeit. Die unzähligen Erörterungen über diese Frage bestanden während nahezu drei Jahrhunderten größtenteils aus biblisch-genealogischen und philologischen Auseinandersetzungen; auch die profane Ge- schichte und klassische Autoren wurden vielfach herbeigezogen. Oft fragte man gar nicht nach den Einwanderungswegen, oder man nahm eine Überfahrt über das Meer an, ohne sich um die Tiere zu kümmern (schon PETRUS Martyr D'ANGHIERA, dann THEVET, PosTELLUS usw.). Solche Autoren haben natürlich hier kein In- teresse, Jedoch wurden schon früh auch Ideen laut, die später in die tier- und pflanzengeographische Forschung übergehen und dort eine große Bedeutung erlangen sollten. Schon im Anfang des 16. Jahrhunderts stellte PARAcCELSUS eine Hypothese auf, welche die radikalste von allen je versuchten Lösungen des Problems bildet; er nahm einen „andern Adam“ an!) Ich werde seine Ansicht in anderem Zusammenhang näher besprechen (im Kapitel „Der anthropologische Polygenismus“) und bemerke hier nur, daß hiermit zum ersten Mal die Hypothese vom polygenetischen Ursprung des Menschengeschlechts ausge- sprochen wurde?), über die 300 Jahre später so viel Streit ent- stehen sollte. Er löst das Problem durch dasselbe Prinzip, mit welchem AUGUSTINUS — dessen Auseinandersetzungen er ja ge- kannt haben kann — die Herkunft der Inseltiere erklärt hatte. PARACELSUS, der überhaupt nur an das Problem streift, erwähnt die Tiere gar nicht. Die Hypothese des PArAcELsus wurde von allen Seiten als ketzerisch verworfen; während der folgenden zwei Jahrhunderte wagten es nur ganz vereinzelte Männer, ähnliche Ansichten aus- zusprechen, übrigens ohne sie als eine Lösung des Amerikapro- 1) PaRAcELSUS, Astronomia magna sive tota Philosophia sagax, Pb PACap IT. ?) Nach verschiedenen Autoren spricht PARACELSUS direkt von einem „ameri- kanischen Adam“, vgl. u. a. GARCIA, op. cit.; Hornıus, op. cit., S. 8 (,,Omnium stultitiam Theophrastus Paracelsus exhausit, qui duplicem Adamum, alium in Asia, in America alium creatum asserit ); CHARLEVOIX, op. cit. S 4; BLumenBACH, De Ge- neris Humani varietate nativa (2. Aufl, 1781). An der oben zitierten Stelle (andere Äußerungen finden sich in den mir zugänglichen ParAcELSUS-Ausgaben nicht) spricht er von den Einwohnern entlegener Inseln im allgemeinen; doch ist es deutlich, daß er auf die Neue Welt anspielt. 220 v. Hofsten, blems darzustellen (siehe unten im Kapitel „Der anthropologische Polygenismus“). Man war also genötigt, eine Einwanderung aus der Alten Welt anzunehmen, und zwar nach der Sintflut!). Dies galt auch für die Tierwelt. AuGusrins Hypothese wurde von allen Autoren, die sich eingehender mit der Einwanderung der Tiere beschäf- tigten, als mit der heiligen Schrift unvereinbar verworfen; alle höheren Tiere der Erde müßten von den in der Arche geretteten Paaren herstammen. Schon um die Mitte des 16. Jahrhunderts sah ein spanischer Autor ein, daß eine Einwanderung von der Alten Welt her an- genommen werden konnte, auch wenn sie unter den gegenwär- tigen Verhältnissen unmöglich sei. AUGUSTIN DE ZARATE widmet in seiner Geschichte der Entdeckung und Eroberung von Peru?) ein einleitendes Kapitel der Frage nach der Herkunft der Ameri- kaner („Eclaircissement de la dificulté que quelques-uns font: Comment les Premiers qui ont peuple le Perou ont pü y passer“). ZARATE findet eine Antwort auf diese Frage in dem von PLATON überlieferten Bericht von der versunkenen Insel Atlantis. Er hegt keine Zweifel an der buchstäblichen Wahrheit der Geschichte des ägyptischen Priesters: Atlantis war eine riesige Insel zwischen der Alten und der Neuen Welt; das Festland, von dem PLATON spricht, ist nichts anderes als Amerika; ,aprés ces éclaircisse- mens il ne paroit pas dificile a comprendre que les hommes aient pu aisement passer de cette grande Isle Athlantique & des autres Isles voisines, à ce qu’on apelle aujourd’hui la Terre fermenti Die Entdeckung Amerikas hatte ein allgemeines Interesse für die Atlantissage erweckt, und die Märcheninsel war schon früher in Beziehung zur Neuen Welt gebracht worden; man er- 1) Bis in das 18. Jahrhundert wagten nur vereinzelte kühne Geister, den ameri- kanischen Menschen ein höheres Alter zu geben. Th. Burnet (Theory of the earth, London 1684; Ed. 6, 1726, S. 374—375) glaubte, daß bei der Sintflut Über- reste des Menschengeschlechts in jedem Kontinent gerettet wurden; er wurde der Ketzerei beschuldigt. Über W. WHıstons sonderbare Ansicht siehe WEBER, unten zit. Arb., S. 86. ?) A. DE ZARATE, Historia del descubrimiento y Conquista de la Provincia del Perù, Antwerpen 1555. Ich kenne die alte italienische Übersetzung und die erste franzòsische Ausgabe: Le Historie dello scoprimento et con- qvista del Peru, Vinegia 1563. — Histoire de la découverte et de la conquéte de Pérou, Amsterdam 1700. (Die Zitate nach dieser letzten Auflage.) — 24 — Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 221 klärte diese für die wiedergefundene Atlantis!) (diese Theorie war auch im ı7. Jahrhundert beliebt). ZARATE war jedoch, so weit ich sehe, der erste und auf lange Zeit hinaus der einzige, der eine Einwanderung des Menschen nach Amerika über eine verschwundene Atlantis annahm. Er ist daher auch der erste, der in der neuen Zeit die diskontinuierliche Verbreitung eines lebenden Wesens durch die Annahme eines ehemaligen Zu- sammenhanges zwischen den heute getrennten Ge- bieten erklärt hat. Ein scharfsinniger Mönch, der irländische Augustinus, hatte ja schon im frühen Mittelalter diese Idee aus- gesprochen (siehe obenS. 215), seine Gedanken waren aber ganz in Vergessenheit geraten. Es ist gewiß eigentümlich, daß dieses fruchtbare Prinzip jetzt wieder zum ersten Mal von einem spa- nischen Geschichtsschreiber und praktischen Finanzmann, der sich wenig für die Natur interessierte, aufgestellt wurde?) Natürlich darf man seine Bedeutung nicht überschätzen. Er bespricht nur den Menschen, und seine Beweisführung ist ganz oberflächlich. Dazu kommt, daß die Hypothese falsch ist; man könnte finden, daß sie kaum Kuriositätsinteresse besitze. Das mag bis zu einem gewissen Grade wahr sein; andrerseits darf man jedoch nicht vergessen, daß die Lebenskraft der Ideen nicht von der Richtigkeit der Tatsachen abhängt. ZARATE hat zwar eine un- richtige, schlecht begründete Hypothese, aber eine wahre und bedeutungsvolle Idee ausgesprochen und verdient daher sicherlich einen bescheidenen Platz in der Geschichte der Biogeographie. Siebzehn Jahre später äußerte der als Geograph und Ent- deckungsreisende bekannte Spanier PEDRO SARMIENTO DE GAMBOA ahnliche Ansichten; sein 1572 vollendetes Werk blieb bis in un- 1) KRETSCHMER (Entd. Amer., S. 166) schreibt: „Bereits im Jahr 1553 hat der Spanier GoMARA mit grosser Zuversicht in dem neu entdeckten Festland die Atlantis ‘der Alter wiedererkennen wollen.‘ Dieser Gedanke war jedoch älter. Schon auf Exemplaren von GrynaEUS' Karte 1532 hat Amerika u. a. die Bezeichnung ,,Insula Atlantica“, nachher auf der Amerikakarte in Münsters Kosmographie 1540 (und 1544). ?) ZARATE war ursprünglich Beamter in Kastilien (contador de mercedes, Rech- nungsaufseher). 1543 wurde er von der Regierung nach Peru gesandt, um die durch die Unruhen in Unordnung gekommene Finanzverwaltung zu reformieren. Nach seiner Rückkehr nach Spanien, wo er zum Oberaufseher der Finanzen in Flandern ernannt wurde, ging er an die Ausarbeitung seines wertvollen Geschichtswerkes. (Siehe F. WEBER, Beiträge zur Charakteristik derälteren Geschichtsschreiber über Spanisch-Amerika, Leipzig ıgıo, S. 275 ff. [LAmPRECHT, Beitr. z. Kultur- u. Universalgesch., H. 14]). 222 v. Hofsten, sere Tage als Manuskript verborgen!) und hat daher keinen Einfluß ausgeübt. Eigentlich will er gar nicht das Herkunfts- problem lösen, sondern seine Theorie ist lediglich ein Ergebnis biblisch-genealogischer und historischer Spekulationen. Sie un- terscheidet sich von derjenigen ZARATES — dessen Werk er nie erwähnt, obgleich es ihm wohl nicht unbekannt sein konnte — durch die Annahme, daß die Atlantis mit Amerika zusammen- hing. Nachdem sich die atlantischen Völker dorthin verbreitet hätten, sei der östliche Teil der Atlantis im Meer versunken. SARMIENTO glaubt jedoch, daß später andere Völker nach Amerika kamen (so wäre Neuspanien durch OpyssEus bevölkert). Vielseitiger und tiefer in seiner Behandlung der Frage als ZARATE war der gelehrte Jesuit José DE Acosra?), dessen im 17. und 18. Jahrhundert äusserst verbreitetes und beliebtes Werk über Amerika?) eine ausführliche Erörterung der Frage nach dem Ursprung der amerikanischen Menschen- und Tierwelt ent- halt; die Darstellung ist so charakteristisch fiir die ganze Zeit und hat einen so großen Einfluß ausgeübt, daß eine Zusammen- fassung der wichtigsten Gedanken hier am Platz ist, obgleich eigentlich keine Lösung des Diskontinuitätsproblems geboten wird. Wie fast alle älteren Autoren bringt Acosra zunächst aus- führliche Darlegungen über die Form des Himmels und der Erde, über die Zona torrida, die Antipoden usw.; die antiken und mittelalterlichen Vorstellungen waren zwar erschüttert, sie bildeten aber noch lange die Grundlage aller Erörterungen. Die Frage nach dem Ursprung der Einwohner von Amerika wird in er- schöpfender Weise und mit Berücksichtigung der Tierwelt be- sprochen. Die Darstellung ist etwas überladen, aber klar und 1) Veröffentlicht in der Originalsprache unter dem Titel Geschichte des Inkareiches von R. PretscHMANN 1966 (Abh. K. Ges. d. Wiss. Göttingen, Phil.- Hist. Kl., N. F., Bd. 6); engl. Übers. in den Werken der Hakluyt Soc., (2) Nr. 22, Cambr. 1907. ?) Acosta kam 1571 nach Amerika und begab sich nach einer Reise in Mexiko nach Peru, wo er bald Provinzial seines Ordens wurde. Er beschäftigte sich dort mit eifrigen Studien und literarischen Arbeiten; 1587 kehrte er nach Spanien zurück, um für die Veröffentlichung seines Hauptwerkes zu sorgen (siehe WEBER, op. cit., S. 61—62). Als Geschichtsschreiber war er wohl ,,leichtglàubig und nicht sehr kritisch veranlagt‘ (WEBER); seine Behandlung des uns hier interessierenden Problems zeugt jedoch von einem klaren Verstand und einer kritischen Auffassung. 3) José pe Acosta, Historia natural y moral de las Indias, Sevilla 1590. Zahlreiche Auflagen in mehreren Sprachen. . Zitiert nach der zweiten fran- zösischen Auflage: Histoire naturelle et moralle des Indes, Paris 1598. ED" oe Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 22% logisch; die Möglichkeiten werden mit wissenschaftlicher Ruhe gegeneinander abgewogen. Acosta geht von der Voraussetzung aus, daß sowohl Menschen als Tiere aus der Alten Welt stammen müssen; Aucustins An- nahme einer neuen Schöpfung auf den Inseln wird ausdrücklich verworfen; alle Tiere, die nicht erfahrungsgemäß „aus der Erde“ entstehen, stammen aus der Arche’) Übernatürliche Erklärungen werden fast ironisch zurückgewiesen; er berücksichtigt nur „ce qui est conforme a la raison & a l’ordre & disposition des choses humaines“. Es gibt also, sagt Acosta, nur drei Möglichkeiten, eine Besiedelung durch Schiffahrt, durch Schiffbriichige oder durch Einwanderung über Land. Die beiden ersteren Möglichkeiten werden ausführlich widerlegt; eine Besiedelung durch sturmge- triebene Schiffe sei zwar nicht ganz unwahrscheinlich, erkläre aber die Herkunft der meisten Tiere nicht. Acosta kommt also zu dem Ergebnis, daß Menschen und Tiere über Land einge- wandert sind, und er zieht hieraus den weiteren Schluß, daß die Neue Welt irgendwo mit der Alten zusammenhängt oder daß wenigstens die Entfernung sehr unbedeutend ist, entweder im Norden oder im Süden’). Als eine Stütze seiner Ansicht hebt er hervor, dass weit vom Festland entfernte Inseln unbewohnt seien, und macht besonders darauf aufmerksam, daß die auf dem ameri- kanischen Kontinent häufigen Säugetiere — „Löwen“, Bären, Schweine usw. — auf den Großen Antillen fehlen; von Vögeln findet man dort nur gute Flieger. Zum Schluß wird die Hypo- these einer Einwanderung über die Atlantis zurückgewiesen. Acostas Standpunkt, nach welchem ja eigentlich kein Dis- kontinuitätsproblem vorliegen würde, war beim damaligen Stande der Kenntnisse gesund und berechtigt. Sein unwiderruflicher Schluß ist der, daß die Einwanderung über Land vor sich ge- gangen sein müsse; solange die Möglichkeit einer noch besteh- 1) „Il n’est pas vray-semblable, selon l’ordre de nature, ny n’est pas chose con- forme a l’ordre du gouuernement que Dieu a estably, que les animaux parfaits, comme les lyons, les tigres et les loups, s’engendrét de la terre, comme l’on voit que les rats, les grenouilles, les abeilles & tous autres animaux imparfaits s’engendrent com- munément." Bei all seinem ganz ungewöhnlichen Wirklichkeitssinn und einem oft bemerkbaren Mangel an Autoritätsglauben zweifelt Acosta keinen Augenblick an der Aristotelischen Zeugungslehre ! ?) Die Magallhäesstraße war ja schon längst bekannt, nicht aber die Ausdehnung des Feuerlandes, das in der Tat von vielen lange als der nördlichste Teil der be- rühmten ‚Terra australis betrachtet wurde (siehe KRETSCHMER, Entd. Amer., S. 351— 352, 400 ff.). 224 v. Hofsten, enden Landverbindung nicht ausgeschlossen war, lag es ja am nächsten, eine solche anzunehmen. Doch hat sein System eine Lücke, die später, als die Lage des neuen Weltteils genauer fest- gestellt wurde, die größten Schwierigkeiten hervorrief; er über- sah, daß seine Erklärung nicht ohne weiteres auch für die tro- pischen Tiere genügte. Die Überlegungen Acosras wurzelten nicht bloß in dem Be- dürfnis, den neuen Kontinent in das religiöse Weltgebäude ein- zufügen, sondern vielleicht in noch höherem Grade in einem lebendigen Interesse an der Natur. Seine wertvolle Beschreibung der Tier- und Pflanzenwelt Amerikas erweist ihn als einen feinen, wenn auch etwas nüchternen Beobachter und scharfsinnigen Interpreten der Tatsachen. Besonders beachtenswert ist seine Einteilung der amerika- nischen Tiere. Bis auf Burrons Zeit glaubte man allgemein, daß diese dieselben seien, die man aus der Alten Welt kannte. Ein- zelne Autoren hatten jedoch schon im 16. Jahrhundert erkannt oder sogar ausdrücklich hervorgehoben, daß ganz andere Tiere in Amerika leben (siehe unten im Kapitel , Buffon“). Acosta ging weiter; er unterschied eine Gruppe von Tieren, die der Alten und der Neuen Welt gemeinsam seien (es handelt sich in Wirklichkeit um verschiedene Species), und eine andere von nur Amerika eigenen Arten. Er bemerkt ferner, daß es sich in an- dern Teilen der Erde ebenso verhält; auch in Asien, Europa und Afrika gibt es Tiere, „qui ne se trouuent point en d’autres re- gions, au moins s’il s’en trouue ailleurs l’on recognoist qu'ils y ont este portez de là“. Um diese Tatsachen mit ihrer Herkunft aus der Arche zu vereinigen, muß Acosta annehmen, daß gewisse Tiere sich nach verschiedenen Gegenden begaben, „en aucunes desquelles ils se trouuerent si bien, qu'ils n’en voulurent point partir; ou sils en sortirent, ne se conseruerent“. Er deutet sogar die Möglichkeit an, daß solche Tiere ursprünglich von denen anderer Gebiete nicht verschieden waren, sondern nur durch „differences accidentalles“ getrennt sind; doch findet er, daß die amerikanischen Tiere so verschieden sind, „que c’est appeller l'œuf chastaigne, de les vouloir reduire aux especes cogneues de l’Europe“1), Die von Acosta gebotene Lösung des Problems war nicht ganz neu. Amerika wurde ja zunächst als ein Teil der asia- !) Op. cit., Livre 4, chap. 36. Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 225 tischen Küste betrachtet; dann galt es eine Zeitlang allgemein als ganz selbständiger Kontinent, im dritten Jahrzehnt verbreitete sich aber wiederum die Ansicht, daß es mit Asien (oder sogar auch mit Europa und Afrika) zusammenhange!). Von dieser noch am Ende des Jahrhunderts nicht überwundenen Vorstellung geht der französische Schriftsteller CHAUVETON aus, der in seiner 1579 herausgegebenen Übersetzung einer Arbeit des Italieners BEx- zonı?) die Vermutung äußert, daß die Einwohner Amerikas aus Ostindien stammen („que ie suppose estre contigué & ionte d’un tenant auec l’Indie Occidentale: ou si elle en est retranchée, c’est d’un si petit estroit“ etc.) Diese beilaufige Andeutung hat na- türlich keine größere Bedeutung und wird hier nur erwähnt, weil sie vor Acosta geäußert wurde. Es ist natürlich sehr wohl mög- lich, daß dieser letztere die französische Bearbeitung von BENZONIS Arbeitkannte, obgleich in seiner Darstellung nichts darauf hindeutet; diese Frage ist übrigens von ganz untergeordneter Bedeutung. Acosta übte einen großen Einfluß auf die späteren Schrift- steller aus; seine klare Zurechtlegung des Problems hatte eine sichere Basis für die Diskussion geschaffen. Unter seinen Zeit- genossen verdient GARCILASSO DE LA VEGA („el Inca“, der Sohn eines spanischen Conquistadors und einer Prinzessin des Inka- hauses) eine kurze Erwähnung. Im ersten Teil seines Haupt- werkes?) behandelt er den Ursprung der Menschen und Tiere seines Heimatlandes. Zunächst folgt er treu Acosta, kommt aber zum Ergebnis, daß die Annahme einer Einwanderung sowohl über Land wie über Meer auf unüberwindliche Schwierigkeiten stößt; großes Gewicht legt er dabei auf die Tatsache, daß Tiere, Pflanzen und Menschen verschieden von denen der Alten Welt sind. Unter solchen Umständen seien alle Versuche, die Frage zu lösen, verlorene Mühe. Dieser agnostische Standpunkt war natürlich sehr berechtigt; jede Mahnung zu Vorsicht und Zurück- haltung sollte aber während wenigstens 150 Jahre ungehört verklingen. Auch in einer anderen Hinsicht war GARCILAsso ori- ginell; er fragte nebenbei auch nach der Herkunft der Pflanzen, 1) Siehe KRETSCHMER, Entd. Amer., S. 408 ff. ?) Benzoni, Histoire naturelle du nouveau monde. Extraicte de Pitalien par CHauverow, 1579 (Preface). 3) GaRcCILAsso DE LA VEGA, Prima Parte de los comentarios reales que trata de el origen de los Incas etc., Lissabon 1609 (eine frühere Auflage wurde konfisziert und verbrannt; mehrere spätere Auflagen und Übersetzungen, u. a. in den Works der Hakluyt Soc., Bd. 41, 1869). 226 v. Hofsten, welche sonst als Produkte der amerikanischen Erde angesehen wurden (vgl. unten S. 233). Von den zahlreichen gelehrten und ungelehrten Schrift- stellern, welche — wahrscheinlich durch die Arbeit Acosras an- geregt oder wenigstens in ihrem Gedankengang stark dadurch beeinflußt — am Ende des 16. und am Anfang des 17. Jahr- hunderts über dieses Problem nachdachten, darf der berühmte Philolog und Denker Justus Lipsivs!) nicht vergessen werden. Er folgt Zarate, dessen Ansicht er zweifellos wenigstens aus zweiter Hand kannte, obgleich er sie ebensowenig wie andere frühere Theorien erwähnt; die Schwierigkeiten, welche mit der Annahme anderer Einwanderungsweisen verbunden sind, geben nach ihm ein Zeugnis für die Wahrheit der Atlantislegende ab, In die Fußstapfen Acosras trat der englische Altertums- forscher, Mathematiker und Astronom Epwarp BREREWOOD. Seine Ansicht ist jedoch bestimmter; sowohl Menschen wie Tiere sind nach ihm wahrscheinlich von der „Tatarei“ nach Amerika ge- kommen; der nordöstliche Teil von Asien sei sicher, wenn nicht mit Amerika zusammenhängend, doch nur wenig davon getrennt). Diese Hypothese war ja später, besonders was den Menschen betrifft, lange außerordentlich beliebt. Die aufgeführten Ansichten sind von unserem Standpunkte aus betrachtet sehr oberflächlich; und es könnte überflüssig er- scheinen, sie jetzt wieder hervorzuziehen. Wer aber einige Kenntnis von der überreichen Literatur genommen hat, die in jener Zeit und nachher das Amerikaproblem behandelte, wird eine andere und richtigere Auffassung von Autoren wie ZARATE, Acosta und ihren Geistesverwandten bekommen. Die meisten Spekulationen sind, auch mit dem Maßstab ihrer Zeit gemessen, außerordentlich luftig, obgleich sie mit großen wissenschaftlichen Ansprüchen auftreten; der Leichtgläubigkeit werden nur vom Dogma Grenzen gesetzt?). ') Justus Lirstus, Physiologiae Stoicae libri II, 1604 (Lib. 2, Diss. 19). ?) E. BreRewoop, Enquiries touching the diversity of Languages and Religions, London 1614. Auch in PurcHas his Pilgrimes, First Book, Chap. (12) 13, London 1625. #) Es mag erlaubt sein, einzelne Beispiele herauszugreifen. Der Dominikaner- mönch GARCIA, dessen voluminöse Darstellung (Origen de los Indios, 1607; oben S. 218 erwähnt) früher ein gewisses Ansehen genoß, glaubte in Amerika Abkémm- linge einer ganzen Menge von Völkern nachweisen zu können; er ist bekannt wegen seiner gehässigen Verdammung ketzerisch erscheinender Ansichten; gegenüber solchen Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 22 Auch der berüchtigte Streit zwischen Huco Groris und JOHANNES DE LAET!) bietet für die Geschichte der Tiergeographie kein Interesse; es kam diesen mehr darauf an, mit großer Gelehr- samkeit die Argumente des Gegners umzustoßen, als eine Lösung des Problems zu gewinnen; die Tiere werden kaum mit in den Betracht gezogen?). Die zahlreichen Abhandlungen untergeord- neter Geister, welche im Gefolge dieses Streites entstanden, sind jetzt größtenteils in verdiente Vergessenheit geraten?). Ausbrüchen kirchlicher Intoleranz erscheint die ruhige Urteilsfähigkeit eines Acosta in einem sehr vorteilhaften Lichte. Die freieren Geister waren nicht kritischer. Der vorurteilsfreie Advokat LEscArBorT (Histoire de la Nouvelle France, Paris 1609) ist nicht wenig stolz auf seine Lösung des Rätsels: Noah, dem der amerikanische Kontinent nicht unbekannt sein konnte, muß sich natürlich um die Neubesiedelung dieses Landes bemüht haben; einem so geschickten Baumeister und Seefahrer konnte diese Aufgabe keine Schwierigkeiten bereiten! Der Jesuit CHARLEvoIx, Histoire de la Nouvelle France, 1744; oben S. 218 erwähnt) äußert — mit fast den- selben Worten — die gleiche Auffassung. Noch am Ende des 18. Jahrhunderts sollte eine ähnliche Ansicht einen überzeugten Verteidiger in einem berühmten spanischen Marineoffizier und Amerikakenner finden, Antonio DE ULLoa (Noticias Ameri- canas etc., Madrid 1772; zitiert nach der französischen Auflage Mémoires philo- sophiques etc., Paris 1787). Seine originelle Darstellung verdient eine kurze Be- sprechung, weil er auch die Tiere behandelt und die Frage, wie sie nach Amerika und allen Inseln gelangt seien, in einer Weise beantwortet, die noch niemand gewagt hatte. Da der Schöpfer die Arche zur Rettung der lebenden Wesen bestimmt hatte, wurde ihre Ausbreitung nach durch das Meer getrennten Gebieten wahrscheinlich durch ein ähnliches Mittel vollzogen ; die Menschen bauten ähnliche, obgleich kleinere Fahrzeuge, ,,capables de porter non-seulement des hommes mais méme des animaux de toute espèce". Der brave Offizier ist ganz vergnügt, das Problem so leicht gelöst zu haben, ‚sans s’écarter de l’ordre naturel”. Auch die scholastische Theologie, welche in den Jesuitenschulen wieder auf- blünte, scheint sich dieses Problems bemächtigt zu haben. J. A. pe THou (THUANUS) erzählt in seiner Historia mei temporis (franz. Übers.: Histoire universelle, Basle, T. 9, 1742, S. 717—719), wie i. J. 1604 ein bekannter Jesuit PIERRE CoToN (PETRUS Cotton) dem Teufel — in Gestalt eines besessenen Mädchens — unter andern spitzfindigen Fragen diejenige stellte, ‚par quelle voye les hommes et les animaux sont passés dans les isles depuis Adam‘; der Vorfall erregte großes Aufsehen. 1) Huco Grortius’ Schrift De origine Gentium Americanarum (1642) gab zu einer lebhaften Polemik zwischen ihm und J. pe Laer (Note ad disser- tationem H. Grorm etc., 1643; auch spätere Schriften) Anlass. ?) Grotius betrachtete das Fehlen von Pferden als einen Beweis gegen die Annahme einer Einwanderung aus Nordasien. DE LAET, deran diese glaubte, macht dabei eine Bemerkung von einigem Interesse: Wenn das ,,fretum Aniam‘ existiert, so ist es jedenfalls nicht breit; übrigens gibt es mehrere Beispiele von Meerengen, die im Lauf der Zeiten breiter wurden (Not, S. 93). 3) Der bekannteste Autor dieses Schlages ist GEorcıus Hornius (De Origini. bus Americanis, 1652); die Menschen der Neuen Welt leitet er aus den ver- 228 v. Hofsten, Doch wurden auch in dieser Zeit beachtenswerte oder wenig- stens historisch interessante Ansichten geäußert. Ein holländischer Gelehrter (Sprachforscher, Theolog usw.), ABRAHAMUS My.ius (eigentlich van DER Myr oder Myst) veröffentlichte 1667 eine wenig bekannte Abhandlung‘), die u. a. die Tiere der Inseln und der Neuen Welt behandelt. Er hebt scharf hervor, daß unzählige amerikanische Tiere bei uns fehlen — ein für jene Zeit nicht geringes Verdienst. Daraus schließt er, daß sie nicht aus der Alten Welt stammen, sondern in der Neuen geschaffen worden sind. Eine solche Ansicht war damals kühn (er sagt selbst: „quod fortassis videbitur magnum, maximum paradoxon“); Myutus ist dadurch ein Vorläufer der Lehre von den Schöpfungs- zentren. Er geht aber noch weiter: da also sehr viele Tiere in Amerika geschaffen worden sind, warum sollten es nicht alle (d.h. auch die in beiden Weltteilen lebenden) sein? Ferner glaubt er, daß die Tiere mancher Inseln selbständig geschaffen worden sind. Er ist also ein Nachfolger Aucustiıns und ein Vorläufer der Acassızschen Lehre im 1g. Jahrhundert. Die Menschen der Neuen Welt läßt er jedoch von denen der Alten abstammen?). Die Annahme einer Schöpfung der Tierarten auf der ganzen Oberfläche der Erde bot auch den theologischen Denkern und Naturforschern keine Schwierigkeiten; Myıus’ Ansicht war eine Häresie, nur weil sie zu einer Leugnung des Sintflutdogmas führen mußte. Dies sieht man deutlich in einer schon 1653 ver- faßten, obgleich erst in unsern Tagen entdeckten und gedruckten Arbeit eines gelehrten Jesuiten, BERNABE Cogo*) Dieser Ge- schichtsschreiber, welcher der Naturgeschichte Amerikas ein leb- schiedensten Wurzeln her, die Tiere wenigstens hauptsächlich aus Nordostasien. — Auch in Schweden wurde eine Dissertation hierüber verteidigt (E. P. Ljung, Disser- tatio de origine gentium novi orbis prima, preside D. CLAUDIO ARRHENIO; Diss. Uppsala, gedruckt Strengnäs 1676). Der Verfasser (zweifellos ARRHENIUS) nimmt für Menschen und Tiere eine Einwanderung über Land an und folgt zum großen Teil DE LAET. - 1) Apramamus MyLius, De origine animalium et migratione Popu- lorum, Geneoae 1667. (Deutsch: Merkwürdiger DiskurssvondemUrsprung der Thier und dem Ausszug der Völker, Salzburg 1670). — Ich habe das seltene Buch nicht in Händen gehabt, sondern zitiere es nach einem von ZIMMERMANN (Geogr. Gesch. d. Mensch. etc, Bd. III, 1783, S. 235—236) mitgeteilten Auszug. ?) Wenigstens in seiner Abhandlung Lingua Belgica, 1612, wo er sie von den Kelten herleitet; vgl. Hornius, op. cit., S. 16. 3) BERNABE Cogo, Historia del Nuevo Mundo, Sevilla 1890 (Soc. d. bibliöf. andal.); T. III, 1892, Libro Il. Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 229 haftes Interesse widmete — seine ungedruckten Niederschriften hierüber umfassen zehn Foliobände!) —, kam zu dem Ergebnis, daß nicht nur die Pflanzen, sondern auch die Tiere in verschie- denen Teilen der Welt geschaffen seien, jede Art in dem ihr zu- kommenden Klima. Nichtsdestoweniger erklärt er ohne das geringste Zögern, daß alle heutigen Tiere von den Vorfahren in der Arche stammen müssen, und entwickelt die Ansicht, daß sie durch Engel in alle Teile der Welt gebracht worden seien. Seine Beweisführung ist im Grunde ganz logisch: die meisten „sagrados doctores“ lehren, daß die Tiere durch die Hilfe von Engeln in die Arche gebracht wurden; der Glaube ist daher berechtigt, daß dieselben Engel sie zu den ursprünglichen Wohnorten zurückge- führt haben’). Für den Menschen nimmt Cogo jedoch eine aktive Einwanderung an (über eine Landverbindung aus Nordasien)?). Nachdem die Atlantissage einmal den Gedanken an eine frühere Landverbindung geweckt hatte, lag es nahe, auch an- derswo solche verschwundenen Einwanderungswege zu vermuten. Eine solche Annahme finde ich zuerst in einer 1628 herausgege- benen deutschen Auflage von SEBASTIAN Münsters Kosmo- graphie. Der Verfasser der Auseinandersetzungen über die Be- siedelung Amerikas ist unbekannt (die bei Münsters Lebzeiten herausgegebenen Auflagen enthalten nichts hierüber, auch nicht die mir bekannten Auflagen zwischen 1552 und 1628); natürlich ist es sehr wohl möglich, daß die Darstellung einer mir unbe- kannten älteren Arbeit entlehnt ist. Der Autor folgt zunächst Acosta (schädliche Tiere können nicht auf Schiffen mitgebracht worden sein usw.), fährt aber folgendermaßen fort: „Diesenschweren Fragen nun zu begegnen, muß nohtwendiglich das veste Landt unserer Welt an irgend einem Ort an der newen Welt anhangen, oder doch vor zeiten angehangen, und darnach erst durch das ungestümme Meer abgeschnitten worden seyn, wie auch mit vielen andern Inseln mehr beschehen seyn 1) WEBER, op. cit., S. 64—65. 2) Op. cit., Cap. XII (S. 68—72) (und Cap. XIV). — Diese Ansicht (und der ganze Gedankengang) war nicht neu; man glaubte oft, daß AucustINUS, der ja nur die Möglichkeit nicht zu verneinen wagte, dieser Ansicht huldigte. Vgl. Juan DE ToRQUEMADA, Los veynte y un libros rituales y Monarquia Indiana etc. Sevilla 1615; 2. Aufl. Madrid 1729, Lib. ı, Cap. VIII. HROp: cit, Cap XII (Sì 64): *) Cosmographia oder Beschreibung der ganzen Welt. Durch SEBASTIANUM MuNSTERUM. Jetzo widerumb auffs neüwe ubersehen.... Basel 1628. Zool. Annalen VII. 15 230 v. Hofsten, solle, darüber die Nachkommenen Noe sampt allerley Thieren haben hinüber kommen mögen . .... “ (von mir gesperrt). Drei Wege werden als denkbar erwähnt: von Nordeuropa über die Inseln (also Island-Grönland); von Nordasien; von Südasien über Sumatra und Java. Wenn jemand, fährt der Verfasser fort, dazu noch PLarons Atlantis legen will „und also der Weg in die newe Welt, der zuvor richtig gewesen, in den Wasserwogen be- graben worden... ., so begehre ich auch nicht fast zu wider- fechten“. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts verôffentlichte der be- rühmte und vielseitige Jesuit ATHANASIUS KircHER ein Buch, in dem der Gedanke an ehemalige Landverbindungen gleichsam in ein System gebracht wurde. Er behandelte die in der Arche Noahs enthaltenen Tiere; um den biblischen Bericht aufrecht er- halten zu können, mußte er ihre Ausbreitung über die Erde, vor allem nach Amerika und kleineren Inseln, verständlich machen’). Die Tiere seien teils von Menschen nach den entlegensten Inseln übergesetzt worden; teils können sie vom Festland auf eine nahe gelegene Insel und von dort allmählich nach andern Inseln ge- schwommen sein; oder sie seien über Landbrücken gekommen, denn, sagt er (in Übersetzung), „ich bezweifle nicht, daß nach der Sintflut durch den Willen der göttlichen Vorsehung keine geringe Zahl von solchen übrig blieb“. So seien die Inseln Ceylon und Madagaskar früher mit dem Festland verbunden ge- wesen. Nach Amerika konnten die Tiere teils aus Nordasien, wo „bald nach der Sintflut die Gebiete miteinander verbunden“ waren, teils aus Europa und Afrika über die Atlantis gelangen?). Einen teilweise verwandten, obgleich ganz phantastischen Gedankengang findet man bei Tu. Burner. Nach seiner berühmten Theorie der Erde (1684, siehe oben S. 220) fand sich ursprünglich kein Wasser auf der Erdoberfläche; die Meere entstanden durch die Sintflut, „when the Earth was broken“; die Menschen und Tiere in Amerika und auf andern Inseln sind Reste der ur- sprünglichen Bevölkerung. Auch die nüchterneren Spekulationen RircHers haben na- 1) ArHanasII KIRCHERI e Soc. Jesu Arca Noé. Amstelodami 1675. Lib. II. P. 111, Cap. III. Quamodo Animalia in Universas Globi Terreni Regiones et Insulas devenerint. *) In seinem Mundus subterraneus (1664) hatte KIRCHER die Atlantis aus- führlich geschildert und sogar eine Karte davon gegeben. Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. DEN türlich keinen wirklich wissenschaftlichen Wert; er hatte sehr oberflächliche zoologische Kenntnisse und bringt nur ganz allge- mein gehaltene Auseinandersetzungen, ohne auf die Verbreitung einzelner Tiere einzugehen. Wenn man aber den Gang der Ge- danken seit den frühesten Zeiten zu verfolgen sucht, ehe sie noch Wissenschaft geworden sind, dann ist ein solches Buch nicht ohne Interesse. In der Behandlung des Problems der Inseltiere ist eine Art Kreislauf vollendet. Das Sintflutdogma brachte die Frage in die Welt. Aveustinus legte den Grund, auf dem alle späteren weiterbauten. Nach der Entdeckung Amerikas wandte sich alles Interesse diesem zu; zunächst war auch hierbei der religiöse Dogmatismus die Triebfeder des Forschens; im 17. Jahrhundert traten diese Gesichtspunkte zurück (obgleich sich die Autoren dessen kaum bewußt waren), und gleichzeitig artete die Beschäf- tigung mit der Frage infolge der allgemeinen Geistesrichtung in formelle Gelehrsamkeit aus. KIRCHER hat sich wieder dem Aus- gangspunkt genähert, oder richtiger, für das theologische Denken war die Betrachtungsweise stets ziemlich dieselbe geblieben; auch war bei ihm der Gesichtskreis erweitert, so daf er, wie AUGUSTINUS, die Inselfauna im allgemeinen berücksichtigte. Am Ende des 17. Jahrhunderts erlahmte das Interesse für das Amerikaproblem; es folgte eine nüchternere Periode, welche dauerte, bis die französische Aufklärung einen allgemeinen Ge- schmack an wissenschaftlichen Spekulationen geweckt hatte. Die Atlantishypothese war jedoch nicht vergessen. TOURNEFORT glaubte an die ehemalige Existenz der Atlantis vor dem Eingang des Mittelmeers und erklärte dadurch, obgleich nur im. Vorüber- gehen, die Besiedelung der Kanaren und von Amerika’). Doch kenne ich auch aus dieser Zeit einen Schriftsteller, der sich eingehend mit dem Bevölkerungsproblem Amerikas beschäf- tigt hat und dessen Gesichtspunkte für die Tiergeographie von Interesse sind. Ein gelehrter spanischer Benediktinermönch, 1) J. P. pe TourNEFoRT, Relation d’un voyage au Levant, Paris 1717, T. 2, S. 128—129: ‚Les Isles Canaries, les Acores et l’Amerique en sont peut-être encore des restes, et on ne sera pas surpris qu'elles ayent été peupiées par les des- candans d'Adam et de Noé. — Bruzen LA MARTINIERE (Le grand Dictionarie géographique critique, T. I, 1726, unter: Atlantis) hatte eine ähnliche Ansicht, glaubte aber nicht, daß auch Amerika ein Teil der Atlantis gewesen sei. 15* 222 v. Hofsten, FeiJoo Y MONTENEGRO, konstatiert 1733 in einem achtbändigen Werke!) sehr gemischten Inhalts, daß alle früher versuchten Lösungen des Problems unbefriedigend seien. Die Einwanderung der Tiere muß, fährt er fort, über Land geschehen sein. Eine solche Annahme bietet in der Tat keine Schwierigkeiten, denn das Aussehen der Erdoberfläche, die Verteilung von Land und Meer hat große Veränderungen erlitten; der Verfasser hebt da- bei das Vorkommen von marinen Muscheln weit vom Meere weg hervor und wendet sich — was bei einem Geistlichen jener Zeit ziemlich überraschen muß — gegen die damals noch häufige Deutung solcher Funde als Überreste der Sintflut. Die Atlantis- erzählung wird für ein Märchen erklärt; es sei ein müßiges Unterfangen, auf Karten nach dem Wege zu suchen, auf welchem die Einwohner von Amerika dorthin gelangt seien. FE1soo hat später einigen Spott geerntet wegen seiner stolzen Überzeugung, das Problem endgültig gelöst zu haben („se corta de un golpe el nudo Gordiano, que tantantas plumas tentaron inutilmente de- latar“); aus dem Obigen erhellt jedoch, daß er, besonders was die Tiere betrifft, eigentlich ganz richtige Gedanken ausgesprochen hat; erst tief im 19. Jahrhundert sollte es möglich sein, mit Er- folg nach Weg und Zeit der Einwanderungen zu forschen. Unter den bis zum Ende des 17. Jahrhunderts ersonnenen Hypothesen interessieren uns hier besonders zwei: die Annahme von selbständigen Schöpfungen und die von früheren Landver- bindungen. Die erstere wurde allgemein als ketzerisch ver- dammt; sie geht direkt auf AuGusrinus zurück. Die Hypothese von Wanderungen über versunkene Landverbindungen oder Kon- tinente war bis dahin fast nur in mehr oder weniger direktem Anschluß an die Atlantislegende aufgestellt worden. PLATONS Erzählung, die nichts weniger als naturwissenschaftliche Gesichts- punkte verfolgte, wurde also von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung einer Gedankenrichtung, deren Zusammenhang mit grundlegenden Gedanken der späteren wissenschaftlichen Biogeographie (zunächst durch Vermittlung von Burron und ZIMMERMANN) unverkennbar ist; im folgenden wird sich zeigen, 1) Teatro critico universal o discursos varios en toto genero de materias ... escrito por el M. R. P.M. Fr. Benito Grronymo FEIJoo, Vol. 5, Madrid 1733 (Discurso XV. ,,Solucion de el gran problema historica sobre la pobla- cion de la America“). — 3 = Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 233 daß der Einfluß der Atlantissage noch nachhaltiger war (Kapitel „Die miozäne Atlantis“). Auch von einer anderen Seite her können die Wurzeln dieser Hypothese von früheren Landverbindungen bis in die antike Vor- stellungswelt verfolgt werden. Schon im Altertum war der Glaube verbreitet, viele Inseln seien ursprünglich Teile des Fest- landes gewesen; Spanien habe mit Afrika zusammengehangen usw. (vor allem Srrazon; nach Ovipius hatten schon die Pytha- goräer solche Ansichten). Daß KircBERs Hypothese durch diese antiken Vorstellungen inspiriert wurde, sieht man aus einem an- deren Kapitel seines Buches); auch die übrigen ähnlichen An- schauungen gehen zweifellos direkt oder indirekt darauf zurück. Auch auf die späteren tiergeographischen Hypothesen kann man eine solche Einwirkung feststellen; ein Hinweis darauf dürfte schon hier am Platze sein. Nicht nur die mehr oder weniger dilettantischen Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, welche das Vor- kommen von Tieren in Amerika oder auf kleineren Inseln durch die Annahme ehemaliger Landverbindungen erklärten (CLAVERIGO usw.), sondern sogar ein bedeutender Naturforscher wie ZIMMER- MANN?), weisen zur Stütze ihrer Anschauungen auf die antike Tradition hin. Als in der letzten Hälfte des ı8, Jahrhunderts die Grund- lagen der modernen Tiergeographie geschaffen wurden, hatte man also schon während 200 Jahren mit den Problemen gerungen. Die Entdeckung Amerikas hatte die Tiergeographie ins Dasein gerufen; die Frage nach der Herkunft der amerikanischen Menschen und Tiere beschäftigte die ganze gebildete Welt, und hieraus erwuchs allmählich ein Bedürfnis, die Verteilung der Tiere über die ganze Erdoberfläche zu erklären. i Während dieser Zeit — bis gegen die Mitte des 18. Jahr- hunderts — bekiimmerte sich niemand um die Verbreitung der Pflanzen; auch nach der Herkunft der amerikanischen Flora wurde (mit einer vereinzelten Ausnahme, vgl. oben S. 225) über- haupt nicht gefragt. Man kann also im vollen Ernste den zunächst wohl äußerst eigentümlich, ja unglaublich klingenden Satz aufstellen, daß — vom Altertum abgesehen — die Pflanzengeographie fast 200 Jahre später entstand als die ersten Anfänge der Tiergeographie. WES Noer lib: III, Pil Cap; IL >) Geogr. Gesch. (s. unten), Bd. III, S. 226. 234 v. Hofsten, Die Ursache ist nicht schwer zu finden. Zum Nachdenken über die Herkunft der Tiere (und Menschen) wurden sowohl theo- logische wie profane Schriftsteller ausschließlich durch das Sint- flutdogma bewogen, nach welchem sich ja alle höheren Land- tiere von einem Punkt aus, dem Landungsplatz der Arche, über die ganze Erde ausgebreitet haben müßten. Für die Pflanzen existierte dieser Zwang nicht; bis tief in das ı8. Jahrhundert hinein herrschte daher die Vorstellung, daß die Pflanzen überall geschaffen oder spontan aus der Erde erzeugt worden seien. | Im Kampf zwischen Theologie und Naturwissenschaft dürfte diese Episode ziemlich isoliert dastehen. Ein unstreitig vernunft- widriges, seit dem Ende des 18. Jahrhunderts von der mehr oder weniger vorurteilsfreien Theologie, verlassenes Dogma hat den Anstoß zur tiergeographischen Wissenschaft gegeben; auch grundlegende Ideen in der streng: wissenschaftlichen Biogeogra- phie, wie die Lehre von den Schöpfungszentren und die Theorien von Wanderungen über verschwundene Landverbindungen, ent- standen zunächst unter diesem direkten Einfluß des Sintflut- berichts. Eine sonderbare Ironie des Schicksals! In dem Kampf um den Darwinismus in den Jahren nach 1859 sah es anders aus. Da hatte die Kirche ihren Standpunkt gewechselt und dachte nicht mehr an die Aufrechterhaltung des Sintflutdogmas; sie nahm mit Dankbarkeit die Unterstützung von Louis AGassiz ent- gegen, nach dessen Lehre die Verbreitung aller Tiere seit ihrer Entstehung unverändert bis heute bestanden hat. VII. Einzelbeobachtungen über Inseltiere im 17. und 18. Jahrhundert. Die bisher erwähnten Autoren sannen über Probleme von unübersehbarer Tragweite, zu deren Lösung alle Voraussetzungen fehlten; sie konnten daher wahre Ideen, nicht aber wahre Theo- rien schaffen. Das Problem der Herkunft der Inselfaunen mußte natürlich durch Bearbeitung der Einzelprobleme, durch Berück- sichtigung kleinerer Inseln und einzelner Tiere, in’ Angriff ge- nommen werden; für solche rein naturwissenschaftlichen Fragen war aber noch kein Verständnis vorhanden. Doch gab es schon im Anfang des 17. Jahrhunderts einen Mann, dem sein Interesse für Heimatkunde die Mittel an die Hand gab, ein solches verhältnismäßig einfaches Problem mit einigem Erfolg zu behandeln. — @ = Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 295 Der englische Altertumsforscher RıcHARD VERSTEGAN!) suchte schon 1605 die Annahme eines früheren Zusammenhanges zwischen England und Frankreich wissenschaftlich zu begründen. Er führt teils geologische Tatsachen an, daneben aber auch — vor allem als einen Beweis dafür, daß die Trennung nach der Sintflut statt- gefunden habe — das Vorkommen derselben Raubtiere in Eng- land wie auf dem Festland; „these wicked beasts“ können un- möglich von Menschen mitgebracht worden sein, sondern „did of themselves passe over“. Dieser Gedankengang kann deut- lich auf Aucustinus — zweifellos durch Vermittlung von Acosta oder seinen Nachfolgern — zurückgeführt werden, obgleich die geologischen Kenntnisse des Verfassers ihm eine andere Antwort eingaben. Ein anderer Theologe, der irländische AuGustınus, hatte fast tausend Jahre früher genau denselben Gedankengang wie VERSTEGAN entwickelt; es ist kaum wahrscheinlich, daß der letztere seine Darstellung kannte, obgleich natürlich diese Mög- lichkeit nicht ausgeschlossen werden kann. — Im 18. Jahrhundert wurde dieselbe Überlegung mehrfach angestellt: von Burron?), von dem bekannten Geologen DESMAREST*), von ZIMMERMANN (siehe unten S. 254) und von PENNANT*). Am Ende des 17. Jahrhunderts kam — in einem anderen Teil der Welt — ein anderer Engländer auf demselben Wege zu der Auffassung, eine Insel hätte früher mit dem Festland zu- sammengehangen. Es war ein schlichter Seemann, dessen Blick für die einfachen Probleme durch eitle Gelehrsamkeit nicht ge- trübt war. Im Jahre 1690 segelte ein englisches Schiff durch den Falklandsund; die Seefahrer sahen dabei „Füchse“ (= Pseu- dalopex antarcticus) auf den Inseln. Ein Teilnehmer der Expe- dition, RICHARD Simson, stellte in seinem Bericht — aus welchem erst mehr als hundert Jahre später einige Auszüge veröffentlicht wurden’) — Betrachtungen über die Herkunft dieser Tiere an: 1) RicHarp VERSTEGAN, A Restitution of Decayed Intelligence: In Antiquities. Concerning the most noble and renowmed English nation; Antwerpen 1605. (S. IIO-III). 2) Theorie de la Terre, 1749 (Oeuvres, unten zit. Aufl., T. II, S. 139). 3) NicoLE DESMAREST, Dissertation sur l’ancien jonction del’Angle- terre avec la France, Amiens 1753. — Verschiedene Autoren, wie J. V. Carus (Gesch. d. Zool., S. 535), machen DESMAREST zum Urheber dieser Ansicht. #) TH. Pennant, Arctic Zoology, Introd., 1784 (Ed. 2, S. IV—V). 5) J. A. Burney, A chronological History of the voyage and dis. coveries in the south seaor Pacific ocean; Vol. IV, London 1816, S. 330 ff.: 236 v. Hofsten, „As to the antiquity of these foxes, as they cannot fly, and it is not likely they should swim so far as from America, nor again is it probable that any would be at the pains of bringing a breed of foxes so far as Hawkins’ Island is from any other land, it will follow that there has either been two distinct creations, or that America and this land have been formerly the same con- tinent“. Wenn diese Äußerung auch dem 18. Jahrhundert unbe- kannt blieb, so muß ihr doch ein nicht unbedeutendes Interesse zuerkannt werden. Man hat später angenommen, daß das — jetzt ausgestorbene — Säugetier über das Meer gekommen sei; es ist jedoch nicht unwahrscheinlich, daß es über eine Landverbindung eingewandert ist, obgleich sein Vorhandensein nicht als ein Beweis für eine solche betrachtet werden kann!). Auszüge aus A Journal ofthe Voyage ofthe Welfare, writtenby Capt. STRONG und Observations made during a South Sea Voyage, ... by RICHARD Simson, who sailed in the same ship. 1) Etwa 75 Jahre nach Simson beobachteten Byron (An account of a voyage round the world [1764—66], 1767 und in Hawkesw. Voy., Vol. I, 1773, S. 49) und BouGAINVILLE (Voyage autour du Monde [1766-69], 1771, S. 65) dieses Tier; beide wunderten sich über sein Vorkommen auf so entlegenen Inseln (,, Comment a-t-il été transporté sur les iles?“). Pennant (History of Quadrupeds, T. I, 1771, S. 240), J. R. Forster (in seiner Übersetzung von BouGAmvILLeEs Arbeit; zitiert nach J. H. Mac Curronm, Researches philosophical and antiquarian con- cerning the Aboriginal History of America, Baltimore 1829), BuRNEY (op. cit.) und Mac CuLLoH (op. cit.) nahmen an, daß es auf Eisschollen vom Festland ge- kommen sei, und PescHeL (Physische Erdkunde, Bd. I, 1879, S. 508) neigt derselben Auffassung zu. Schon ein Begleiter BoUGAINVILLES, A J. PERNETTY (Journal historique fait aux Iles Malouines 1763 et 64, Berlin 1769) — der jedoch in diesem Zusammenhang nicht an den Hund denkt —, dann ZIMMERMANN (siehe unten S. 254) und in neuerer Zeit WALLAcE (Geogr. Verbr. d. Tiere, Bd. II, S. 58) und LypEKKER (Geogr. Verbr. d. Säugetiere, Igor, S. 193) nehmen dagegen eine Landverbindung an, und diese Ansicht hat neuerdings eine wichtige Stütze in den Beobachtungen SKOTTSBERGS (A botanical survey ofthe Falkland Islands; K. Svenska Vet.-Akad. Handl., Bd. 50, Stockh. 1913) erhalten; er hat nachgewiesen, daß die Inseln in der Tertiärzeit bedeutend höher lagen als jetzt und findet es wahr- scheinlich, daß dabei eine Verbindung mit Südamerika zustande kam (,a supposition that would at once explain the striking conformity of the floras“). Nach ArLDT (Die Entwicklung der Kontinente und ihrer Lebewelt, 1907, S. 113—114) hatten die Falklandinseln seit der Kreidezeit nie mit dem Festland in Zusammenhang gestanden, doch hätte das Land sich ihnen einmal nach dem Miozän „beträchtlich genahert“. Daß die Einwanderungsgeschichte des Pseudalopex unter allen Um- ständen ein sehr kompliziertes Problem ist, hat ScHARFF (Distribution and Origin of Life in America, 1911, S. 429—431) gezeigt; die von ihm betonte Verwandt- schaft mit nordamerikanischen Formen scheint auf eine Einwanderung schon in der ersten Hälfte der Tertiärperiode hinzuweisen. Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 237 Aus dem ı8. Jahrhundert kenne ich nur eine solche Beob- achtung; sie wurde kurz vor dem Erscheinen von ZIMMERMANNS grundlegender Arbeit bekannt gegeben und hat keinen Einfluß ausgeübt. Als JAMES Cook 1771 St. Helena besuchte, bemerkte er dort eine Landschnecke; er fand es schwer verständlich, wie sie dorthin gelangt sei, wenn nicht „this rock be supposed to have been left behind, when a large tract of country, of which it was a part, subsided“?). VIII. Buffon. Burron wird bisweilen als der Begründer der Tiergeographie betrachtet. Er versuchte jedoch nicht, die Verteilung der Tiere über die gesamte Erdoberfläche zu schildern oder zu verstehen, sondern nur, gewisse allgemeine Gesetze zu ermitteln und einzelne Probleme zu lösen; seine Bedeutung für die Entwicklung der Tiergeographie ist aber so groß, daß eine Schilderung seiner Grundgedanken hier nicht fehlen darf. Die Theorie de la Terre enthält nur einzelne Bemerkungen von tiergeographischem Interesse: Burron findet es nicht unmog- lich, daß die Atlantis sich von Irland über die Azoren nach Amerika erstreckte („car on trouve en Irlande les mémes fossiles, les mêmes coquillages et les mêmes productions marines que l’on trouve en Amérique“)?). Seine Anschauungen über die Verbreitung der Tiere ent- wickelte Burron in der Naturgeschichte der Säugetiere. In der Einleitung zu den Animaux sauvages) gibt er einigen allge- meinen Grundsätzen Ausdruck; die Tiere und Pflanzen sind Pro- dukte des Klimas („comme si la nature eüt fait le climat pour les especes, ou les especes pour le climat“); die Verbreitung ist vom Klima abhängig: „chaque pays, chaque degré de tempera- ture, a ses plantes particulières . . . Ainsi la terre fait les plantes; la terre et les plantes font les animaux.“ Eine eingehende Er- 1) J. Cook, An account of a voyage round the world; Hawkesw. Voy., WO SFG *) Theorie de la Terre, 1749; Oeuvres, Ed. RicHarp, 1833—34, Vol. II, S. 151. Siehe auch Epoques de la nature, 6me époque. 3) Les animaux sauvages; Hist. nat., gén. et part., T. VI, 1756 (Oeuvr., AI Rasen RS SES) Viele auch, z. BO Le Pron.SsHistenat:, “be EX, (1761 (Oeuvr., T. XII, S. 1); jedes Tier „a son pays, sa patrie naturelle, dans laquelle chacun est retenu par nécessité physique“. 238 v. Hofsten, örterung tiergeographischer Probleme findet man in dem Ver- gleich zwischen der Fauna des alten und des neuen Kontinentes!); in den Epoques de la nature?) werden diese Ansichten mit seiner allgemeinen Theorie des Lebens zusammengearbeitet. Burron konstatiert, dal die weitaus meisten Tiere der Neuen Welt ganz verschieden von denen der Alten sind. Er legt großes Gewicht auf diese Tatsache und äußert wiederholt seinen Stolz darüber, sie zuerst entdeckt zu haben („ce fait general, qui d’abord parait tres singulier, et que personne avant nous n’avait même soupçonné“). | Diese Angabe war allerdings unrichtig. Oviepo, der bekannte „Historiador de Indias“, bemerkte schon in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, daß Amerika, wie überhaupt die verschiedenen Teile der Welt, ihre eigenen Tiere beherbergt („muy diferentes en generos las cosas animados en diversas provingias è partes del mundo“)*) Später betonte der hugenottische Geistliche DE LÉRY — ein vorzüglicher Naturbeobachter und interessanter Schriftsteller, als „un Montaigne voyageur“ bezeichnet — noch ausdrücklicher die Selbständigkeit der amerikanischen Tierwelt: yil n’y a bestes à quatre pieds, oyseaux, poissons, ny animaux en l’Amerique, qui en tout & par tout soyent semblables à ceux que nous auons en Europe“). Acosta machte 1590 sogar den Versuch, die Tierwelt Amerikas in zwei Gruppen einzuteilen, solche, die nur dort, und solche, die auch in ‘der Alten Welt leben (siehe oben S. 224); er kannte Ovrepos, dagegen wahr- scheinlich nicht Lirys Buch. Auf seinen Spuren ging GARCILASSO DE LA VEGA (siehe oben S. 225). Im 17. Jahrhundert hob Myxrus kräftig hervor, daß sehr viele amerikanische Tiere in der Alten Welt fehlen (siehe oben S. 228). Die Fachzoologen des 16. und 17. Jahrhunderts, welche Tiere aus dem tropischen Amerika be- schrieben — GESNER, ALDROVANDI, CLusrus, RAY, WILLUGHBY u. a. — wußten natürlich sehr wohl, daß viele dieser Tiere nur Amerika 1) Animaux de l’ancien continent; Animaux du nouveau monde; Animaux communs aux deux continents; Hist. nat, T. IX, 1761 (Oeuvr., T. XD. Vgl. auch Degeneration des Animaux; Hist. nat, T. XIV, 1766 (Oeuvr., T. XIV). a) ra, Saum, 1 1006 3) G. F. pe Oviepo y VaLpés, Historia general de las Indias, 1535. Zitiert nach der Madrider-Ausgabe 1851—53, T. I, Prim. parte, Lib. XII—XV. 4) Jean DE LéRy, Histoire d'un voyage faite en la terre du Brésil, La Rochelle 1578 (ch. X, XIII; Ed. 1594: S. 133, 193). Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 239 angehörten, sie hatten aber kein Verständnis für die Bedeutung dieser Tatsache und sprachen sich nicht näher hierüber aus, gaben nur Amerika als Heimatland an. Am wichtigsten waren die Untersuchungen Marceraves!); durch sie war im Grunde der sichere Nachweis erbracht, daß die südamerikanische Tierwelt von der altweltlichen ganz verschieden ist; doch war es bekannt- lich diesem hervorragenden Naturforscher nicht vergönnt, seine Ideen zu Ende zu führen?). Trotz diesen bemerkenswerten Ansätzen zu einer richtigen Erkenntnis waren jedoch die Vorstellungen sehr dunkel und un- bestimmt. In den meisten Erörterungen über die Herkunft der amerikanischen Fauna war nur von den Tieren im allgemeinen die Rede; wenn Beispiele genannt wurden, setzte man still- schweigend voraus, daß es sich um aus der Alten Welt bekannte Tiere handelte; viele amerikanischen Tiere (z. B. der Puma und der Jaguar) wurden ziemlich allgemein mit altweltlichen identifiziert. Linné beging so schwere Irrtümer nicht; er kannte eine Menge von Tieren, für die er in dem Systema naturae Amerika oder einen Teil davon als Heimatland angab; in seinen allge- meinen Darlegungen (im folgenden Kapitel besprochen) hebt er jedoch den Unterschied zwischen den Weltteilen?) oder zwischen 1) (G. Piso, De Medicina Brasiliensi et) G. Marccrave, Historiae Rerum naturalium Brasiliae libri octo, 1648. 2) Natürlich kannte Burron nicht nur die letzterwähnten Naturhistoriker, sondern er hatte von den mehr theoretisierenden Autoren mindestens das noch in dieser Zeit beliebte Buch Acostas gelesen (er erwähnt diesen Verfasser mehrmals in seinen Tier- beschreibungen). Daß er durch dieses in seinen allgemeinen Anschauungen beeinflußt worden ist, läßt sich durch eine andere bemerkenswerte Übereinstimmung wahrschein- lich machen. Er findet es nicht unmöglich, daß die Tiere der Neuen Welt „im Grunde“ dieselben seien, wie die der Alten, „desquel ils auroient autrefois tiré leur origine" (siehe unten); dieser Gedanke — einer von jenen, wegen derer man BUFFON zu einem Vorläufer der Evolutionstheorie gemacht hat -— ist ja eine Umschreibung der ähnlichen, oben (S. 224) erwähnten Idee Acosras. Auch andere Gedanken finden sich im Keime bei diesem, vor allem einige der an andern Stellen erhobenen Einwände gegen die soeben erwähnte Hypothese, ferner die unten angeführte, gar nicht in Burrons Lehrgebäude passende Annahme, daß alle Tiere sich aus der Alten Welt in ihnen zusagende Gebiete begeben hätten (Degen. d. anim.; Oeuvr., T. IV, S. 217). Hiermit ist natürlich nicht gesagt, daß Burrons Versicherung, den Unterschied zwischen den Weltteilen zuerst erkannt zu haben, nicht aufrichtig sein kann; beim Nieder- schreiben seiner Naturgeschichte wußte er zweifellos oft nicht, woher er einst seine Angaben und Ansichten geschöpft hatte. 3) Bisweilen gab er übrigens auch südliche Tiere sowohl für die Neue wie für die Alte Welt an (Phoenicurus ruber; Syst. nat., Ed. 10, 72). 240 v. Hofsten, anderen getrennten Gegenden mit ähnlichem Klima nie hervor, son- dern denkt nur an die Abhängigkeit der Verbreitung vom Klima; in bezug auf die Flora sagt er sogar direkt, daß Ost- und West- indien dieselben Pflanzen erzeugen, weil das Klima ähnlich ist (siehe unten). An einen zoologischen Vergleich zwischen den Weltteilen hatte noch niemand gedacht. Es ist daher eines der größten Verdienste Burrons — hierin zeigt er sich als ein selbständiger und scharfsinniger Forscher, nicht bloß als ein genialer Naturschilderer und Naturphilosoph —, die Unwissenheit beseitigt und auf die zoologischen Be- ziehungen der beiden Weltteile Licht geworfen zu haben. Er liefert den sicheren Nachweis, daß die Tiere des östlichen und des westlichen Kontinentes in der Regel ganz verschieden sind; die Erklärung findet er darin, daß sie das Klima der nördlichen Gebiete nicht ertragen; im Süden sind die Kontinente ja durch unüberschreitbare Meere getrennt. Es gibt jedoch eine be- schränkte Anzahl von Tieren, welche sowohl in Amerika wie in der Alten Welt leben: es sind dies solche, die ein kaltes Klima ertragen. Aus der Verbreitung dieser Tiere zieht Burron den Schluß — zweifellos unter dem Einfluß älterer Autoren, die aus der Tierwelt überhaupt dieselbe Folgerung ableiteten —, daß die Kontinente im Norden sich berühren oder sich früher berührt hätten. Er war von Anfang an der letzteren Annahme am meisten geneigt‘); als später festgestellt wurde, daß Amerika von der Alten Welt getrennt ist, nimmt er ausdrücklich einen frü- heren Zusammenhang an, jetzt besonders sich auf die ehemalige Verbreitung der „Elefanten“, Nashörner und Flußpferde berufend; wahrscheinlich seien die Tiere aus Asien nach Amerika ge- wandert. Burron hat also die Zirkumpolarität der nördlichen Tiere klar erkannt und eine befriedigende Erklärung für diese Tatsache gegeben. Er mußte aber auch die beschränkte Verbreitung der nur in einem der Kontinente heimischen Tiere erklären. Seine Ansichten können dahin zusammengefaßt werden: Die ersten großen Landtiere sind im Norden entstanden; bei der Abkühlung des Klimas wanderten die meisten in der Alten Welt lebenden gegen Süden; später konnten keine weiteren Tiere in den warmen 1) ,Ils ont autrefois passé de l’un à l’autre continent par des terres du Nord, peut-être encore actuellement inconnues, ou plutôt anciennement submergées“ (Anim. comm. aux deux cont.). Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 241 Ländern von Europa, Asien und Afrika entstehen, weil dort alle „lebenden Moleküle“ — durch deren Zusammentritt nach Burron die Lebewesen gebildet werden — für das Leben und die Fort- pflanzung der großen Tiere in Anspruch genommen waren. In Amerika stieß die Ausbreitung nach Süden auf äußere Hinder- nisse, und die großen Tiere starben aus; die südlichen Tiere der Neuen Welt sind dort entstanden!) und jünger als die der Alten; hier konnten sich neue Tiere bilden, weil ja die organische Ma- terie nicht absorbiert war (doch war sie wegen des ungünstigen Klimas weniger reichlich vorhanden, die Tiere wurden daher kleiner und schwächer ”)). Über die erdgeschichtlichen Folgerungen, welche aus der Verschiedenheit der südlichen Tiere in der Alten und in der Neuen Welt gezogen werden können, äußert sich Burron — wie in so vielen anderen Fragen — sehr schwankend. Oft bekommt man den Eindruck, daß er hieraus den nahe liegenden und von spä- teren Autoren gefolgerten Schluß zog: daß ein Zusammenhang in südlichen Breiten nie stattgehabt habe°); einmal nimmt er jedoch — eben bei Besprechung des erwähnten Verhältnisses — aus- drücklich an, daß Amerika und Afrika ehemals zusammenge- hangen haben („et que les espèces qui s'étaient cantonnées dans ces contrees du Nouveau-Monde, parce qu’elles en avaient trouve la terre et le ciel plus convenables a leur nature, y furent ren- fermées et séparées des autres par l’irruption des mers lors- qu'elles diviserent Afrique de l’Amérique“)“). Burron erkannte, daß es außer den für die Alte und Neue Welt gemeinsamen Tieren auch solche gibt, die verwandt, ob- gleich nicht identisch sind. Am klarsten äußert er sich über die sehr nahe verwandten Formen; er nimmt für sie ohne Zögern ') Epoq. de la nat., 5 me ep. — Ein anderes Mal sagt Burron, daß im all- gemeinen alle Tiere in der Alten Welt entstanden sind und sich dann über die Erde ausgebreitet haben (Degen. d. anim.; Oeuvr., T. IV, S. 217). Bisweilen dachte er sich wiederum die Möglichkeit, daß die amerikanischen Tiere durch „Ausartung“ aus denen der Alten Welt hervorgegangen seien (Anim. comm. aux deux cont, vgl. unten). ?) Hierüber siehe auch Anim. de nouv. monde und Anim. comm. aux deux cont. *) Z. B. wenn er gegen die Annahme eines gemeinsamen Ursprungs von Löwe und Puma anführt, daß Amerika und Afrika durch ein gewaltiges Meer getrennt sind (Gewhionm- LOEuvr M XII, S. 10) *) Degen. d. anim. (Oeuvr., T. XIV, S. 219). 242 v. Hofsten, einen einheitlichen Ursprung an und erklärt die Unterschiede aus der Einwirkung des Klimas!. Burron hat hiermit einen äusserst wichtigen Gedanken ausgesprochen; er hat zuerst auf vikariie- rende Arten aufmerksam gemacht und die Ähnlichkeit aus einem gemeinsamen Ursprung erklärt. Wenn man seine Gesamtan- schauung berücksichtigt, muß sein Verdienst um diese Frage jedoch eine gewisse Einschränkung erfahren; jedenfalls hat er die Korrespondenz zwischen verschiedenen Faunen als ein tier- geographisches Gesetz nicht erkannt. Seine Ansichten von den Arten, deren Verwandtschaft nicht so eng ist, daß er sie für Varietäten erklären konnte, sind unbestimmt und inkonsequent. Meist erklärt er, daß solche korrespondierende Tiere — z.B. die Affen der Alten und der Neuen Welt — unmöglich einen ge- meinsamen Ursprung haben können, und daß nur die amerikani- schen £els- und Dicotyles-Arten mit einiger Berechtigung auf Tiere der Alten Welt zurückgeführt werden können); in den übrigen Fällen wird die Ähnlichkeit unerklärt gelassen. Ein anderes Mal findet er es nicht unmöglich, daß alle amerikanischen Tiere, auch wenn sie keine Ähnlichkeit mit anderen aufweisen, aus solchen der Alten Welt abstammen?). Burrons Theorie — die Widersprüche müssen wohl als ne- bensächlich angesehen werden — bricht mit der herkömmlichen, auf die biblische Autorität gestützten Auffassung, daß alle höheren Tiere sich aus Asien über die Erde ausgebreitet hätten. Er hat hierdurch eine wissenschaftliche Tiergeographie vorbereitet. Doch darf man nicht vergessen, daß MyLIus fast hundert Jahre früher denselben Gedanken ausgesprochen hatte, obgleich die Zeit da- mals dafür nicht reif war; seine Ansicht blieb unbeachtet und war Burron wohl kaum bekannt. Dieser brachte es nicht viel weiter; seine Theorie des Lebens ist phantastisch und unklar, und zur Lehre von den Schöpfungszentren war nur der erste Schritt getan. IX. Die Pflanzengeographie im achtzehnten Jahrhundert. Es läßt sich nicht leugnen, däß die frühzeitige Erörterung tiergeographischer Probleme etwas Ungesundes an sich hat: Die ') Anim. d. l’anc. cont.; Anim. comm. aux deux cont.; Degen. d. anim. 2) Degen. d. anim. 3) Anim. comm. aux deux cont. Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 243 Geschwätzigkeit der Autoren des 16. und 17. Jahrhunderts, ihre Leichtgläubigkeit und ihre allzu oft leere und pedantische Gelehr- samkeit — dies sind ja Züge der Zeit; aber das unnatürliche Moment besteht darin, daß die Fragen nicht aus Wissensdrang, sondern aus der Naturforschung fremden Gründen aufgestellt wurden. Natürlich darf man dieser Entwicklungsperiode ihre Bedeutung nicht absprechen; übrigens gab es ja Männer von naturwissen- schaftlichem Blick und ungewöhnlicher Urteilskraft, und mancher wichtige Gedanken ging in die künftige Forschung über. Die Entwicklung der Botanik nahm einen natürlicheren Ver- lauf, und eine Pflanzengeographie entstand erst als der Stand der Kenntnisse es natürlich oder sogar unvermeidlich machte, über die Verbreitung der Pflanzen nachzusinnen. Früher wurde sogar die Geschichte der Pflanzengeographie allgemein nur bis auf Humsoror zurückgeführt, er hatte jedoch, wie ENGLER’) hervorhebt, einige Vorgänger?), doch nur im achtzehnten Jahrhundert. Linné besaß einen offenen Blick nicht nur für die Unterschiede 1) A. EnGLER, Die Entwicklung der Pflanzengeographie; Humporp1- Centennar-Schrift d. Ges. f. Erdkunde zu Berlin, 1899; siehe auch ENGLER, Pflanzen- geographie in „Die Kultur der Gegenwart“, T. III, Abt. IV, Bd. 4, ror4. 2) Als der erste unter diesen wird von ENGLER (op. cit.) TouRNEFORT genannt, weil er in seiner Relation dun voyage du Levant (1717) Bemerkungen über die regionale Gliederung der Pflanzenwelt des Ararat geliefert habe. Dieselbe Angabe findet man in der älteren Literatur; nach Zinn (Erz. d. Pflanz., siehe unten), Zrmmer- MANN (Geogr. Gesch,, s. unten), WirtpEnow (Kräuterkunde, s. unten), ScHouw (Grundtraek, s. unten) und vielen anderen schildert TouRNEFORT, wie er am Fuß des Gebirges armenische Pflanzen fand, dann französische, dann schwedische und schließlich auf dem „Gipfel“ schweizerische und lappländische Alpenpflanzen. Von einer solchen Schilderung enthält jedoch TourNrrorts Werk nichts; er erwähnt die beobachteten Pflanzen, aber weiter nichts. Es muß also ein späterer Autor sein, der aus den mitgeteilten Tatsachen die erwähnten pflanzengeographischen Folgerungen gezogen hat. Dieser Forscher war Linné; durch ein Mißverständnis seiner Darstellung wurden seine Gedanken TOURNEFORT zugeschrieben. In seiner Abhandlung Rön om Wäxt. Plant. (1739, s. unten) beschreibt er (§ 23), wie TouRNEFORT beim Besteigen des Ararat zunächst armenische, dann französische, dann schwedische Pflanzen und schließlich schweizerische und lappländische Alpenpflanzen beobachtete; in seiner Oratio de tell. hab. (1744, s. unten) weist er auch darauf hin ($ 50), hier aber mit solchen Worten, daß der Leser den Eindruck bekommt, Tournerort selbst habe die Regionen unterschieden. So ist es gekommen, daß TOURNEFORT unverdient eine Ehre zuteil geworden ist, die einem anderen gebührt. Linnf ist der erste, der pflanzen- geographische Höhenzonen zu unterscheiden versucht hat; für die lappländischen Ge- birge nahm er jedoch diese Einteilung nicht vor (nur eine solche von Hochgebirge und Waldgebiet), obgleich er sich stets „genau merkte, auf welcher Höhe jede Pflanzenart dort vorkommt“ (De tell. hab. incr., § 51). 244 v. Hofsten, in der Verbreitung der Pflanzen — man findet bei ihm z. B. schon Angaben über die Verbreitungsgrenzen mehrerer Arten — sondern auch für die Abhängigkeit der Verbreitung vom Klima. Er hebt immer und immer wieder hervor, daß jede Art ihre eigene Heimat hat, deren Lebensbedingungen sie in ihrer Natur und Lebensweise angepaßt ist!); gewisse Arten sind nur an Wärme, andere an Kälte gebunden usw.?) Auf diese allgemeine Bedeu- tung Linnés für die Pflanzengeographie kann ich nicht näher ein- gehen; es ist gewiß keine Übertreibung, wenn man ihn als den Begründer dieser Wissenschaft bezeichnet. Natürlich sah Linné ein, daß auch die Tiere vom Klima abhängig sind?) Ich führe ihn in diesem Zusammenhang auf, weil seine Ideen vorwiegend sich auf die Erscheinungen der Pflanzenwelt stützen, vor allem aber weil er nichts von einer diskontinuierlichen Verbreitung bei Tieren berichtet. Linné gibt mehrere Beispiele von Pflanzen, die weit von ihrer eigentlichen oder früher bekannten Heimat aufgefunden wurden‘), 1) Linnés große Bedeutung als Systematiker und die — teilweise eben unter seinem Einfluß entstandene — Richtung der Zeit erklären, daß sein Sinn für biolo- gische Erscheinungen von seinen Zeitgenossen und Nachfolgern gar nicht beachtet wurde; seine Darstellungen biologischer Phänomene wurden meist gar nicht gelesen. Noch bis in neuere Zeit hat sich der Glaube erhalten, daß Linné „in seinem ganzen Leben keine einzige biologisch wichtige Tatsache entdeckt“ hat (Rapı, Gesch. d. nio WinS@ing Wess Aufl. Sy RAC, 25 All, (So 899 *) Solche Gedanken findet man in zahlreichen von Linnés Schriften, besonders in folgenden: Flora lapponica, 1737 (schwed. Übers. 1905 in „Skrifter af C. v. Linné‘ utg. af K. Sv. Vet. Akad., .— Ròn om Wäxters Plantering, grundat pà Naturen, 1739 (K. Sv. Vet. Akad. Handl. Vol. I; Neudruck in ,,Skrifter,“ IV, 1908). — Oeconomia naturae, 1749; schwedische, veränderte Auflage 1750 (Neu- druck 1906 in ,,Skrifter‘, II; siehe auch ,,Amoen. acad.“, II, Ed. 2, 1762; deutsche Übers. in „Auserles. Abh.‘‘, II, 1777). — Oratio de telluris habitabilis in- cremento, 1744 (auch in ,,Amoen. acad.‘, II; deutsche Übers. [Von der be- wohnten Erde] in „Auserles. Abh.‘, I, 1776; englische in ‚Select dissert. fr. the Amoen. Acad.“, 1781; schwedische in ,,Skrifter“, II, 1906). — Auch folgende Arbeiten sind in dieser Beziehung wichtig: Flora suecica, 1745. — Philosophia botanica, 1751. — Flora alpina, 1756 („Amoen. acad.“, IV, 1759). — Vor- lesungen über die Kultur der Pflanzen, herausg. Uppsala 1907. — Politia naturae, 1760 (,,Amoen. acad.“, VI; engl. Übers. in ‚Select dissert.‘ I, 178r; schwedische in ,,Skrifter‘, II, 1906). — De coloniis plantarum, 1768 (auch in „Amoen. acad.“, VIII, 1785). — Deliciae naturae, 1773 (Neudruck in ,,Skrifter“, II, 1906; lateinisch in ,,Amoen. acad.‘, X, 1790). 3) Besonders Oecon. nat. und De tell. hab. iner. 4) Z. B. Veronica maritima bei Torneà (De tell. hab. incr., $ 75); mehrere Beispiele in Colon. plant. — 48 — Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 245 und kommt wiederholt auf die Erscheinung zurück, daß man die- selben Pflanzen in verschiedenen Gegenden antrifft, wenn nur die Lebensbedingungen ähnlich sind. Mit besonderem Interesse schil- dert er die diskontinuierliche Verbreitung der Gebirgspflanzen. Schon in der Flora lapponica (1737) stellt er fest, daß die meisten Pflanzen der Gebirge „nur in diesen gedeihen und nie in zwischen- liegenden Gegenden erscheinen“, und gibt viele Beispiele von Arten, die für die lappländischen, schweizerischen, pyrenäischen usw. Gebirge gemeinsam sind (Prolegomena, $ 14); in mehreren späteren Schriften kommt er hierauf zurück!). Linné hat also zuerst diese Erscheinung erkannt?), die später eine so große Be- deutung in der Geschichte des Diskontinuitätsproblems erhalten sollte; ein unanfechtbares Zeugnis seines intuitiven Scharfblicks für die ökologische Biogeographie. Wie erklärte nun Linné die diskontinuierliche Pflanzenver- breitung? Wenn man seine Äußerungen hierüber gesondert be- trachtet, könnte man vielleicht den Eindruck bekommen, daß er eine mehrfache Schöpfung annehme. Weit getrennte Gebirge „er- zeugen“ (proferunt) dieselben Pflanzen (Flora lapp., § 14); Ost- und Westindien „bringen ähnliche Pflanzen hervor“ (Oecon. nat, § 20; in der lateinischen Auflage steht jedoch nur „crescunt“). Er hat aber nicht den entferntesten Gedanken daran, sondern will nur sagen, daß die Lebensbedingungen das Wachstum der Pflanzen erlauben; ein Eckstein seines biologischen Systems ist ja die An- nahme der Erschaffung jeder Art in einem einzigen Paare oder Individuum. Die heutige Verteilung erklärt er durch die Aus- breitung der Samen; alle Pflanzen und Tiere iebten einst im Paradies — einer Insel unter dem Aquator, wo ein hohes Gebirge alle klimatischen Bedingungen in einem begrenzten Raume ) Rôn om Wäxt. Plant., § 23; De tell. hab. incr., § 49; Oecon. nat. § 20; Flora alp. | ?) TouRNEFORT hatte schon früher dieselben Alpenpflanzen in verschiedenen Ge- birgsgegenden beobachtet. Er äußert hinsichtlich einiger Funde in Armenien: „Rien ne nous faisait plus de plaisir que de voir de temps en temps des Plantes des Alpes et des Pyrenées“ (op. cit., Ed. 1717, S.385; Ed. 1718, S. 156). Er hat also tatsäch- lich zuerst auf die diskontinuierliche Verbreitung der Alpenpflanzen aufmerksam gemacht; der ganze Zusammenhang zeigt jedoch, daß dies unabsichtlich und unbewußt geschah, und daß er bloß seine Freude am Botanisieren ausdrücken wellte. Auch diese Äuße- rung gibt daher nicht das Recht, TOURNEFORT zu den Pionieren der Pflanzengeographie zu rechnen; trotz seiner ungewöhnlichen Beobachtungsgabe war sein Blick für die Verbreitungserscheinungen verschlossen. Zool. Annalen VII. 16 246 v. Hofsten, darbot — und haben sich von dort über die ganze Erde aus-. gebreitet!). à Es mag verwunderlich erscheinen, daß Linné das Ungereimte in dieser Annahme nicht einsah — auch ziemlich verworrene Köpfe, wie der unten besprochene S. Enger konnten kurz nach- her gute Gründe dagegen anführen —, seine Gedanken bewegten sich aber hier in Bahnen, die ihm von der biblischen Autorität gewiesen waren; daß er hierbei im Gegensatz zu seinen Vor- gängern dieselben Gesetze für Pflanzen und Tiere gelten ließ, war ja ein unleugbares Verdienst. Sein Standpunkt zeigt übrigens hier, wie in anderen Fällen, ein interessantes Gemisch von vor- urteilsfreier Naturbeobachtnng und naivem Glauben an den Wort- sinn der Bibel. Er verwirft das herrschende Sintflutdogma; „ist es wohl glaubhaft“, fragt er, „daß der Urheber der Welt bei der Schöpfung die ganze Erde mit Tieren erfüllt habe, um nicht lange nachher durch die Sintflut alle zu vertilgen, mit Ausnahme eines einzigen Paares jeder Art, das in der Arche aufbewahrt wurde?“ (De tell hab. incr., § 22.) Auch wendet er sich bekanntlich in mehreren Schriften mit Schärfe gegen die Auffassung der Fossilien als Überbleibsel der Sintflut, die er als eine kurze, nur die Para- diesgegend betreffende Überschwemmung betrachtete. Nichts- destoweniger glaubte er ebenso fest wie die in der üblichen Sint- flutlehre befangenen Schriftsteller an die Notwendigkeit, alle Tiere von einem gemeinsamen Ausgangspunkt herzuleiten. Diese Auf- fassung wurzelt zum Teil in einer naturwissenschaftlichen Über- legung. Linné dachte sich, daß „in der Kindheit der Welt“ nur die Paradiesinsel aus dem die ganze übrige Erde bedeckenden Ozean hervorgetaucht wäre — eine Annahme, die. ja eine ge- wisse Ähnlichkeit mit den mittelalterlichen Vorstellungen von der Erdinsel hat — und führte als Beweis für die erst nach der Sint- flut allmählich erfolgte Bloßlegung des übrigen Landes die Be- obachtungen (von CeLsius und ihm selbst) über die Strandverschie- bung an der skandinavischen Küste an, die er aus einem allge- meinen Sinken des Meeres erklärte. Den wichtigsten Beweis für die gemeinschaftliche Urheimat aller Tiere und Pflanzen findet er jedoch in der mosaischen Paradieserzählung; da nach derselben alle Landtiere dem Adam in Eden zur Benennung vorgeführt wurden, so müssen alle Tiere dort gelebt haben, folglich auch die 1) Siehe De tell. hab. incr., wo die Ausbreitungsmittel der Samen ausführlich erörtert werden; für diejenigen der Alpenpflanzen vgl. auch Flora alp. Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 247 Pflanzen (hier kommt wiederum ein naturwissenschaftliches, in Linnés Gedankenwelt fundamentales Moment hinzu, die Abhangig- keit aller Lebewesen voneinander) (De tell hab. incr., besonders $ 9, 16, 19, 20, 27). Durch diese fast spitzfindige Genesisaus- legung, die deutlich an theologische Spekulationen des Mittel- alters erinnert, erhielt LINNÉS biogeographisches System die her- kömmliche Grundlage trotz seiner Heterodoxie in der Sintflutfrage. Es ist lehreich zu erkennen, daß diese offenbare Schwäche in seiner Auffassung zugleich eine Stärke war; sie trug reiche Früchte für die Wissenschaft. Wenn Gmerin die diskontinuier- liche Verbreitung der Pflanzen durch die Annahme selbständiger Schöpfungen erklärte (siehe unten), so war dies eine vorurteils- freie Lösung eines Problems, aber weiter nichts. Als Linné die Verbreitung der Organismen betrachtete, ging er von einem offen- baren Vorurteil aus, und die Antwort war daher im voraus ge- geben; sie mußte aber wissenschaftlich gestützt werden — und dadurch wurde die Verbreitungsbiologie der Pflanzen begründet. Zehn Jahre nach Linnés Flora lapponica veröffentlichte der deutsche Botaniker J. G. GMELIN den ersten Teil seiner Flora sibirica!) in deren Einleitung er die Verbreitung der sibirischen Pflanzen behandelt. Seine Einteilung derselben in mehrere Grup- pen mit verschiedener Verbreitung bildet eine wichtige Stufe in der Geschichte der Pflanzengeographie?); GmeLin denkt jedoch wenig an die Abhängigkeit vom Klima und steht überhaupt an Tiefe der Auffassung weit hinter Linné zurück. In einer Hin- sicht brachte er einen entschiedenen Fortschritt: er dachte .sich. nicht eine Ausbreitung aller Pflanzen von einem einzigen Punkt aus, sondern er glaubte, „daß der höchste Schöpfer gewisse Pflan- zen überall angesiedelt habe“ (die Übersetzung ist etwas frei); andere seien — hier liegt der Hauptgedanke — „einzelnen Gegen- 1) J. G. Gmetin, Flora Sibirica, T.I; Petropoli 1747. (Praefatio, S. XCIV == (MV) 2) GMELIN stellte u. a. die für die spätere Biogeographie fruchtbare Tatsache fest, daß dieselben Arten auf den Ebenen in Sibirien und anderen nördlichen Gegenden und in südlichen Hochgebirgen wachsen (op. cit. S. CXIIT--CXIV). Linné, der ja die sibirische Flora nicht kannte, war diese Tatsache entgangen; Funde von Alpen- pflanzen waren für ihn ein sicherer Beweis für das Vorhandensein von Hochgebirgen (Flora lapp., Proleg., $ 14); doch bemerkt er, daß schwedische Flachlandpflanzen auf den toskanischen Gebirgen wachsen (De tell. hab. incr., $ 52). Nach demEr- scheinen von GmELıns Werk äußert er: ,,Sibiricae plantae magna ex parte sunt alpinae“ (Flora alp.). x 168 248 v. Hofsten, den zugewiesen“ und haben sich von dort nach benachbarten Gebieten ausgebreitet. Diese Auffassung enthält ja den Keim zur Lehre von den Schöpfungszentren. Sie wird aber auch auf die diskontinuierlich verbreiteten Arten ausgedehnt, weil ein Trans- port der Samen ihm ausgeschlossen erscheint; „etiam seminia plantarum eiusdem speciei summum rerum creatorem diversis indidisse regionibus“!), Es ist dies, soviel ich weiß, das erste Mal, daß ein polytoper Ursprung der Pflanzen von einem Fach- botaniker angenommen worden ist. Linnés Wanderungshypothese befriedigte wahrscheinlich wenige Botaniker der Zeit; GmELIns Auseinandersetzungen schienen einen andern Weg zu eröffnen, der jedoch erst dann zu einem gewissen Verständnis der Verbreitung führen konnte, als man den gegenwärtigen Zustand historisch zu betrachten gelernt hatte. Ein in der Geschichte der Botanik fast nirgends erwähnter und jeden- falls nicht bedeutender deutscher Gelehrter, I. G. ZINN, ahnte dunkel diesen Zukunftsweg schon wenige Jahre nach dem Fr- scheinen von Linnfs wichtigsten Abhandlungen. In einem gegen die Ausbreitungstheorie dieses letzteren gerichteten Aufsatz ?) äußerte er unter anderem die Ansicht, daß viele Pflanzen aus nunmehr versunkenen Ländern eingewandert seien; das Studium der Pflan- zenverbreitung führt, so schließt er die ganz allgemein gehaltenen Auseinandersetzungen, zu der Überzeugung, „daß auf unserem Erdboden sich ganz andere Veränderungen müssen zugetragen haben, als bisher von den Naturkündigen angegeben worden.“ ‘Burron habe ich schon oben besprochen. Für die Pflanzen- geographie hatte er keine größere Bedeutung; seine Ideen über die Abhängigkeit der Gewächse vom Klima waren ja nicht neu, sondern früher von Linné ausgesprochen, obgleich die Ehre viel- fach Burron zugeschrieben wurde. Er führte seine Gedanken nie näher aus und lieferte keinen Vergleich zwischen den Pflanzen der Alten und Neuen Welt oder anderer Gebiete. Er kannte die diskontinuierliche Verbreitung der Alpenpflanzen und scheint auch hier einen direkten Einfluß des Klimas auf die Pflanzen anzu- nehmen *). Es kam ihm nicht in den Sinn, daß es sich um das- 1) Op. eit., S. CVI—CVII, CX. ?) I. G. Zinn, Von dem Ursprunge der Pflanzen; Hamburgisches Magaz. od. ges. Schrift. a. d. Naturf. etc., Bd. 16, 1756, S. 339—355. 3) Anim. sauv., Einleit, 1756 (Oeuvres, Ed. RicHarp 1833—34, T. XI, S. 3—8). Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 249 selbe allgemeine Problem handelte, das er für die Tiere in ganz anderer Weise gelöst hatte. Zu den Pflanzengeographen des 18. Jahrhunderts gehört auch ALBRECHT VON HALLER!), der in den schweizerischen Alpen meh- rere Pflanzenzonen unterschied. Die diskontinuierliche Verbreitung der Hochgebirgspflanzen war ihm natürlich wohlbekannt?); eine Erklärung suchte er jedoch nicht zu geben. PaLLas lieferte wichtige Beiträge zur Kenntnis der Pflanzen- verbreitung in Sibirien®), berührte aber die Diskontinuitätsfrage nicht. In dieser Zeit wurde auch zuerst die Beobachtung gemacht, daß nördliche Pflanzen sogar in noch entfernteren Gebieten als in den mittel- und südeuropäischen Gebirgsgegenden vorkommen. Die beiden Forster fanden während Cooks zweiter Reise einige solcher Pflanzen im Feuerland. Schon der ältere Forster bemerkt hinsichtlich dieser Entdeckung, daß „ähnliche Lagen und Himmels- striche“ oft ähnliche Pflanzen hervorbringen*). Der Sohn erklärt ganz bestimmt, daß hier eine selbständige Erzeugung stattgefun- den haben müsse. Diese Ansicht stützt er durch allgemeine natur- philosophische Spekulationen: die Erdoberfläche hat einst überall auf einmal zahlreiche Individuen von jeder Art hervorgebracht; die Pflanzen entstanden „je nach dem Klima entweder in ganz ähnliche oder verschiedene Formen gehüllt“5). Hier wurden also zum erstenmal die Verbreitungserscheinungen im Geist der deut- schen Naturphilosophie gedeutet; FORSTER leitete dadurch eine Richtung ein, die im Anfang des ı9. Jahrhunderts eine gewisse Blüte erreichte. Eine eigentümliche Gestalt ist J.-L. GIRAUD SOULAVIE. Er war in seiner Jugend Abbe und schrieb eine umfangreiche Naturge- schichte von Südfrankreich *); dann spielte er eine gewisse Rolle in 1) A. von HALLER, Historia stirpiumindigenarum Helvetiae, T.II 1768. ?) Er ging weiter auf dem von GMELIN eingeschlagenen Wege und machte darauf aufmerksam, daß diese Pflanzen auch in Spitzbergen und Grönland vorkommen und dort an der Küste wachsen. 3) Reisen. Bd. II, 1776, S. 311—321; Flora rossica, 1784—88. 4) J. R. Forster, Observations made during a voyage round the world, London 1778 (Deutsche Übers. 1783, S. 154). 5) GEoRG Forster, Fasciculus plantarum magellanicum; Comment. Soc. R. Sci. Gotting., T. 9, Class. phys, 1789, S. 13 ff. 5) L’Abbé Souravır, Histoire naturelle de la France méridionale, Paris 1780—84. Hier kommt P. II (Les végétaux), T. I, 1783, in Betracht. 250 v. Hofsten, der Revolution und verfaBite' später zahlreiche politische und ge-. schichtliche Arbeiten. Als Schriftsteller ist er meist wenig günstig beurteilt worden !). In seiner allgemeinen Auffassung der lebenden Natur zeigt er keine Selbständigkeit, sondern spiegelt verschiedene Anschauungen seiner Zeit wieder und ist besonders ein deutlicher Epigone Burroxs?). Doch war er gleichzeitig ein feiner Beob- achter; EnGLER *) betont, daß seine Einteilung in vertikale Vege- tationszonen heute noch Geltung hat. Die Auffassung der Ver- breitung als eines Produkts des Klimas war ja nicht neu‘), Sou- LAVIE führte aber diesen Gesichtspunkt mehr im einzelnen durch). Daher habe ich ihn hier nicht übergehen wollen, obgleich er nicht direkt mit in die Geschichte des Diskontinuitätsproblems ge- hört. Er wußte sehr wohl, daß Alpenpflanzen in weit getrennten Gegenden wachsen; wie die meisten Botaniker bis noch tief in das folgende Jahrhundert hinein war er aber so ganz von dem Gedanken an die klimatische Abhängigkeit‘) absorbiert, daß er ganz vergaß, daß auch die Ausbreitungsgeschichte erklärt werden mußte. 1) „Compilateur indigeste, prolixe, trivial, fastidieux" (siehe Horrers Nouv. Biogr. gén). Seine geologischen Beobachtungen werden jedoch nunmehr mit sroßer Anerkennung genannt; D’ARCHIAC nannte ihn sogar „une des gloires méconnues de la France“ (BERTHELOTS Grande encyclop.). 2) „Ecrivons l’histoire des faits de la nature et ne perdons plus notre temps a étudier les formes semblables ou différentes, selon la méthode des nomenclateurs“ (op. cit., Advertiss.) 3) Entw. d. Pflanzengeogr., S. 5. ') SouLavie wußte nicht, daf diese Auffassung von Linné begründet wurde, sondern kritisierte scharf dessen pflanzengeographische Anschauungen; die Kritik zeigt, daß er Linnés wichtigste Schriften über diesen Gegenstand nicht kannte. 5) SouLavıE betont (in dem Advertissement), daß auch die Verbreitung der Tiere vom Klima abhängig ist, seine Beobachtungen darüber wurden jedoch nie veröffent- licht, obgleich das Manuskript seiner Aussage nach 1783 unter der Presse war. In seiner vorläufigen Mitteilung (La Géographie de la nature; Observ. et mem. s. l. phys., T. 16, P. 2, 1780, S. 63—73) bemerkt er, daß die Ungezieferinsekten des Menschen (Floh, Wanze und Laus) eine verschiedene Vertikalverbreitung haben. 6) Auch andere Forscher lieferten in dieser Zeit Beiträge zur Feststellung der Abhängigkeit der Pflanzen vom Klima: Saussure, Voyage dans les Alpes, 1779 — 1796; Ramonp, Observations faites dans les Pyrenées, 1789; REYNIER, De Vinfluence du climat sur la forme et la nature des végétaux (Journ. d’hist. nat., T. 2, 1792), A. Young, Travels in France in the years 1787-1789, 1792 [2. Aufl. 1794: besonders Vol. I, P. 2, Chap. 3). Der letztgenannte Autor be- handelte nur Kulturpflanzen, deren Nordgrenzen er bestimmte, dürfte aber auch sonst anregend gewirkt haben. Vgl. ENGLER, op. cit. (der jedoch die beiden letztgenannten Autoren nicht erwähnt), Schouw, Grundz. ein. allg. Pflanzeng., 1823, Einl. — 54 == Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 251 a Dies erkannte am Ende des Jahrhunderts der deutsche Bota- niker C. F. WILLDENow, der in seiner Kräuterkunde!), wie ENGLER (op. cit.) hervorgehoben hat, zuerst die Verbreitung der Pflanzen als das Produkt einer Entwicklung ansah (Kapitel VI. Geschichte der Pflanzen). In der ersten Auflage (1792) bemerkt er, daß die Geschichte der Erde mit der des Pflanzenreichs zu- sammenhängt, erklärt aber die jetzige Verbreitung nur aus dem Klima und der Wanderungsfähigkeit der Pflanzen und steht also noch auf dem Standpunkt Linnés; er findet es ganz natürlich, daß die Pflanzen der Polarländer in verschiedenen Hochgebirgen auftreten (man sieht daraus, „daß diese Gewächse nur für kalte Länder bestimmt sind“). In den folgenden Auflagen (1798 usw.; ich habe die 3. Auflage, 1802, benutzt) versucht er, heutige Ver- breitungserscheinungen aus Veränderungen in früheren Zuständen herzuleiten. Er geht von der Hypothese aus, alle Arten seien in verschiedenen Gebirgsgegenden entstanden, von welchen sie sich in die Ebenen ausgebreitet und teilweise vermischt haben?); Europa findet er fünf solche Florenelemente wieder. Auch die diskontinuierliche Verbreitung betrachtet WILLDENOW von ähnlichen Gesichtspunkten aus. Einige Länder, die jetzt durch Ozeane getrennt sind, haben eine ähnliche Flora; man kann daher vermuten, daß sie „vorzeiten Zusammenhang gehabt haben“; so kann der nördlichste Teil von Amerika mit Europa in Verbindung gewesen sein usw. (3. Aufl., § 364, 374). Die Pflanzen der Salz- quellen haben sich vielleicht aus einer Zeit erhalten, als das Meer größere Ausdehnung hatte ($ 363). Die Verbreitung der Alpen- pflanzen wird in ähnlicher Weise erklärt; sie „sind da, wo die Gebirgsketten ehemals Zusammenhang gehabt haben, .... ziem- lich dieselben“ ($ 370); (der Gedankengang ist jedoch etwas un- klar, denn es wird gleichzeitig von einem „ehemaligen Zusammen- hang“ und von einer Verbreitung durch Winde, Vögel u. a. ge- sprochen). In anderen Fällen, wie in bezug auf die europäischen Pflanzen des Feuerlandes, glaubte erallerdings, daß in verschiedenen Gegenden sehr ähnliche Pflanzen entstanden seien ($ 370). WILLDENOw ist also der erste, der in der Pflanzengeographie eine diskontinuierliche Verbreitung durch die Annahme eines — 1) C. F. Wirrpenow, Grundriß der Krauterkunde, 1792. (a. Aufl. 1798; 3. Aufl. 1802 und mehrfach). 2) Diese Ansicht scheint auf Zinn (siehe oben) zurückzugehen, der einen solchen Ursprung für einen ziemlich großen Teil der Pflanzen annahm. 252 v. Hofsten, früheren Zusammenhanges zwischen den Verbreitungsbezirken er- klärt hat. Daß er hierbei im einzelnen nicht das Richtige traf, daß ihm z. B. in bezug auf die Gebirgsfloren der Gedanke an einen klimatischen Zusammenhang nicht kam, darf ihm natürlich nicht zum Vorwurf gemacht werden. In seiner allgemeinen Be- deutung kann er zunächst mit dem etwas älteren Zoologen ZIMMER- | MANN (siehe unten) verglichen werden. Dieser brachte die Tier- geographie viel weiter als WILLDENow die Pflanzengeographie; da- bei muß man jedoch bedenken, daß einerseits in der erstgenannten Wissenschaft die entwicklungsgeschichtlichen Gesichtspunkte nicht neu waren und daß andererseits WILLDENnows Darstellung nur ein Kapitel in einem Lehrbuch ist. Eine Einwirkung von ZIMMERMANN kann nicht nachgewiesen werden; wahrscheinlich beruht die Ähn- lichkeit der Gesichtspunkte darauf, daß in beiden Wissenschaften ein hinreichendes Beobachtungsmaterial gesammelt war, um den- kende Forscher auf ähnliche Pfade zu führen. Besonders in einer Hinsicht steht am Ende des 18. Jahrhun- derts die Pflanzengeographie weit hinter der Tiergeographie zu- rück. Nach den Darlegungen von Burron und vor allem von ZIMMERMANN konnte kein Zweifel mehr darüber herrschen, daß die Verbreitung der Tiere zwar vom Klima abhängig ist, aber doch keineswegs ausschließlich daraus erklärt werden kann; in weit voneinander getrennten Gebieten mit ähnlichem Klima sind die Tiere in der Regel ganz verschieden. In der Botanik hatte GMELIN diese Wahrheit geahnt; sonst faßte man aber, wie aus dem Obigen hervorgeht, die Verbreitung der Pflanzen allgemein als eine direkte Funktion des Klimas auf — daß dieser Gesichtspunkt stärker in der Pflanzen- als in der Tiergeographie hervortreten mußte, ist ja sehr natürlich — und glaubte mehr oder weniger unbedingt, daß Länder mit demselben Klima eine übereinstim- mende Flora beherbergen. Auch WILLDENOW hatte, obgleich er die Verbreitung historisch auffaßte, keine klare Einsicht in diese Frage. Im Anfang des folgenden Jahrhunderts wurde die Wahr- heit rasch erkannt, ohne daß man einen bestimmten Forscher an- geben kann, der hier bahnbrechend wirkte. X. Zimmermann. Linné hatte einige wichtige Grundsätze der klimatischen Tier- geographie erkannt, Burron solchen Gesichtspunkten allgemeinere Anerkennung verschafft — Linné hatte ja in erster Linie die — 6 — Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 253 Pflanzenverbreitung berücksichtigt und war fast nur als Syste- matiker bekannt — und versucht, die tiergeographischen Bezie- hungen zwischen der Alten und der Neuen Welt klarzulegen. Aber noch niemand hatte die Verteilung der Tiere über die Erde untersucht. Der Begründer einer solchen’exakten Tiergeographie ist der deutsche Universitätsprofessor E. A. W. ZIMMERMANN. Er veröffentlichte 1777 eine lateinische tiergeographische Arbeit!), 1778—1883 ein dreibändiges Werk, ausschließlich der Verbreitung der Säugetiere und des Menschen gewidmet?). ZIMMERMANN behandelt in diesem Werk alle damals bekannten Säugetiere. Die Heimat jeder Art wird sowohl im Text wie auf einer „zoologischen Weltkarte“ angegeben; auf der letzteren sind meist nur die Namen innerhalb des Verbreitungsgebietes einge- tragen, in mehreren Fällen hat er jedoch auch Grenzlinien ge- zogen. Ich kann hier nur die allgemeinen Grundsätze und Schluß- folgerungen besprechen; wenn man von allen veralteten Ausfüh- rungen absieht und die heute wichtigen Gesichtspunkte betont, können seine Aufstellungen folgendermaßen zusammengefaßt werden: Die Verbreitung wird durch das Klima geregelt. Wenige Arten sind so ausdauernd, daß sie überall leben können; die üb- rigen sind weniger anpassungsfähig und bewohnen teilweise große Streifen der Erde, die meisten nur kleine Gebiete*), Diese ihre verschiedene Natur beweist, daß sie sich nicht von einem einzigen Mittelpunkt aus verbreitet haben; auch Linnés Annahme eines alle Klimate darbietenden „allgemeinen Tiergartens“ ist mit der heutigen Verteilung unvereinbar. Auf ebenso große Schwierig- keiten stößt die Hypothese Burrons von einer Ausstrahlung von den Polen aus. Alles beweist, daß die Tiere „gleich zu Anfang über die Erde verteilt, jedes in sein ihm zukommendes Klima ge- setzt“, waren; jede Art wurde an einer Stelle — ZIMMERMANN stellt diese Annahme nicht als ein unverbrüchliches Gesetz auf, geht aber stets von dieser Voraussetzung aus —, obgleich keines- 1) E. A. W. Zimmermann, Specimen Zoologiae geographicae Quadru- pedum domicilia et migrationes sistens, Lugd. Batav. 1777. 2) E. A. W. Zimmermann, Geographische Geschichte des Menschen und der allgemein verbreiteten vierfüßigen Tiere, Leipzig; Bd. I, 1778; Bd. II, 1780; Bd. III, 1783. 3) Bd. I, Einleit.; Bd. III, Abt. 2, Abschn. 4 usw. ZIMMERMANN geht so weit, daß er aus den Grenzlinien der Tierverbreitung auf die Temperatur schließt; die Tiere können als ‚lebende Thermometer“ benutzt werden (Bd. III, Abt. 3, Abschn. 4). DIS v. Hofsten, wegs, wie Linné glaubte, in einem einzigen Paare geschaffen. Die Arten haben sich später so weit ausgebreitet, „als es ihre Natur, in Rücksicht des Klimas, erlauben wollte“!. Die Verbreitung wird indessen durch das Klima nicht hinreichend erklärt, sondern ist durch die Geschichte der Erde beeinflußt; die Verbreitung der Tiere gibt Aufschlüsse über die Veränderungen der Erdoberfläche. Wenn zwei jetzt durch das Meer getrennte Länder mit ähnlichem Klima verschiedene Säugetiere besitzen, so müssen sie stets ge- trennt gewesen sein; Amerika hat daher nie mit Afrika oder mit dem südlichen Teil von Asien zusammengehangen. Wenn andererseits getrennte Länder die gleichen Tiere enthalten, so kann man „nicht unbillig“ auf einen ehemaligen Zusammenhang schließen ”). ; ZIMMERMANN bespricht zahlreiche Fälle von diskontinuierlicher Verbreitung, die in dieser Weise zu erklären sind. Viele Inseln weisen Tiere auf, die nur über Land gekommen sein können und sind folglich durch Erdrevolutionen vom Festland getrennt worden; er nennt Sizilien, Großbritannien, Ceylon, Madagaskar, die Sunda- inseln, die Falklandinseln ?) usw. (einige Beispiele sind mehr, andere weniger glücklich gewählt). In derselben Weise läßt sich er- weisen, daß große Länder früher zusammengehangen haben: Europa mit Afrika (er nennt u. a. die Affen auf Gibraltar) und Nordamerika mit Nordasien. ZIMMERMANN hat ferner den Begriff des Reliktendemismus geschaffen; er bemerkt, daß ein kleines Verbreitungsgebiet der Rest eines früher größeren sein kann. Solche Schlußfolgerungen waren ja keineswegs neu. ZIMMER- MANN war nicht der erste, der einzelne Verbreitungsphänomene aus früheren Zuständen herleitete, aber der erste, der solche Ge- sichtspunkte konsequent durchzuführen suchte. Er ist der Be- gründer nicht nur der exakten, sondern auch der entwicklungs- geschichtlichen Tiergeographie. Im allgemeinen kann man sagen, daß ZIMMERMANN die Tiergeographie so weit brachte, wie es die damaligen Kenntnisse und die agenetische Auffassung der Tier- welt erlaubte. Erst als nicht nur das Aussehen der Erde und die 1) Bd. III, Abt. 2, Abschn. 4; Abt. 3, Abschn. 1 („Über die Wanderungen der Thiere“)- y ?) Bd. I, Einleit.; besonders Bd. III, Abt. 3, Abschn. 2 (,,Inwiefern kann die geographische Geschichte der Quadrupeden die Geschichte unserer Erde erläutern ?"). 3) ZIMMERMANN beruft sich hier auf das Vorkommen des ,,Wolfsfuchses‘, wie hundert Jahre früher der Seemann Simson, dessen Aussage ihm ja unbekannt war (vgl. oben.S. 235--236). = 59 — Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 255 Verbreitung der Arten, sondern diese letzteren selbst als etwas historisch Gewordenes aufgefaßt wurden, konnte sich die Frage erheben, ob nicht auch die systematischen Gruppen eine gesetz- mäßige, durch die Erdgeschichte beeinflußte Verbreitung haben. An dieses Problem hatte Burron gestreift. ZIMMERMANN berührte es nicht; die Verbreitung der vikariierenden Arten sucht er nie zu erklären. Dies mag eine Schwäche sein; doch darf man nicht vergessen, daß die Zeit für die Lösung solcher Fragen noch lange nicht reif war und daß eben die nüchterne Beschränkung der Ge- sichtspunkte es ihm ermöglichte, so wertvolle Ergebnisse zu er- zielen. Auf die deutsche Zoologie übte ZIMMERMANN einen nicht un- bedeutenden Einfluß aus; in Frankreich und England — von welchem die späteren entwicklungsgeschichtlichen Strömungen in der Tiergeographie ausgingen — wurde er wenig be- achtet 1), XI. Die Tiergeographie am Ende des 18. Jahrhunderts. Nach ZIMMERMANNs grundlegender Arbeit wurde die Tiergeo- graphie lange hauptsächlich durch die Entdeckung neuer Tat- sachen gefördert; neue Gesichtspunkte konnten nicht geboten werden. Ich kann mich jetzt mehr als bisher auf eine Schilde- rung des Diskontinuitätsproblems beschränken und werde nur die wichtigsten damit zusammenhängenden Züge in der Entwick- lung der ganzen Tiergeographie berücksichtigen. Tu, Pennant”) bekundete viel Interesse für die Verbreitung der Tiere (und Pflanzen), ohne jedoch wichtigere Beiträge zum Verständnis derselben zu liefern. Er ist wohl der letzte einiger- maßen bedeutende Naturforscher, der auf dem orthodoxen, linne- anischen Standpunkt beharrte, nach welchem alle Tiere sich von einer einzigen Stelle (dem Gebirge Ararat) ausgebreitet hätten. Es ist interessant zu sehen, wie er nach ZIMMERMANNS Ausfüh- rungen diese Stellung verteidigte. Gegen seine Logik ist nichts einzuwenden: „Deus est anima brutorum“; er gab den Tieren den Instinkt ein, sich zu ihren jetzigen Wohnorten zu begeben; „his pleasure must have determined their will, and directed several 1) LyeLL erwähnt ihn in seinen Principles nicht. Man lese auch z. B. Swarnsons weiter unten besprochene Arbeit (in Murrays Enc. of Geogr., 1834), S. 247. !) Th. Pennant, Arctic Zoology, 1784—87; Einzelheiten auch in anderen Arbeiten. 256 v. Hofsten, species, and even whole genera, by impulse irresistible, to move by slow progression to their destined regions.“ Wenn südliche Tiere durch nördliche Gegenden wandern mußten, um z. B. nach Südamerika zu gelangen, so wurde jede Generation gegen ein immer kälteres Klima abgehärtet; nach der Ankunft in Amerika gewöhnten sie sich wieder allmählich an Wärme. Die Einwohner von Amerika, sowohl alle Tiere wie die Menschen, ließ PENNANT ausschließlich aus Nordasien eingewandert sein; eine frühere Land- verbindung „would have greatly enlarged the means of migra- ton): P. S. Pauras hatte viel Verständnis für die Beziehungen zwischen der Verbreitung und den klimatischen Bedingungen, ohne jedoch für die allgemeine Tiergeographie etwas wirklich Bedeu- tungsvolles zu leisten. Er suchte genau festzustellen, welche Säugetiere Amerika und der Alten Welt gemeinsam sind; von seinen Erörterungen über ihre Verbreitung interessiert hier nur die Bemerkung, daß eine ehemalige Landbrücke über die Aleuten angenommen werden könnte?). Ein größeres Interesse haben Paras’ Äußerungen über die Meerestiere der asiatischen Binnenseen. Das Vorkommen von Robben im Baikalsee erklart er , durch eine wichtige Veränderung der Fläche des Erdbodens oder durch außerordentliche und seltene Zufälle“. Die marinen Tiere des Kaspischen Meeres seien dort- hin in einer Zeit gelangt, als dieser See mit dem Schwarzen Meer vereinigt war’). Es ist dies zweifellos das erste Mal, daß das Vor- kommen von Meerestieren in Binnenseen als ein Zeichen einer früheren Verbindung mit dem Meere gedeutet wurde. Doch ist zu bemerken, daß die Hypothese einer einstigen größeren Aus- dehnung des Kaspischen Meeres in erster Linie durch geographi- 1) Op. cit., Introd., Ed. 2, S. CCLIX, CCLXVI - CCLXVII. ?) P. S. Patras, Zoographia Rosso-asiatica, Vol. I, Petropoli; erst 1831 gedruckt. 3) Patras, Reisen durch verschiedene Provinzen des Russischen Reiches, Bd. III, 1776, S. 290, 72. Siehe auch die Abhandlung Observations sur la formation des montagnes etc.; Act. acad. sci. Petrop. (T. I), 1777, P. I, S. 62—63; er nimmt hier aus ähnlichen Gründen auch eine frühere Verbindung zwischen dem Aralsee und dem Kaspischen Meer an. Nach CrepNER (Die Relikten- seen; Peterm. Mitteil., Erg.-Bd. 19, 1888, I, S. 57, IL S. 46) und andern hätte PaLLAS wegen des Vorkommens der Robben im Kaspischen Meer eine frühere Verbindung mit dem Eismeer angenommen; einen solchen Gedanken hat er, soviel ich finden kann, nirgends geäußert. Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. ZT, sche und geologische Tatsachen gestützt wurde; über die übrigen Seen äußert sich PaLLAs ziemlich unbestimmt !). Hier kann schließlich eine längst vergessene, hauptsächlich anthropologische Arbeit erwähnt werden, deren Verfasser, der Russe H. FiscHER, ernstlich über die Verbreitung der Tiere nachdachte?). Er sah ein, daß eine Einwanderung der meisten Tiere nach Amerika unter den jetzigen Verhältnissen ausgeschlossen ist, und diskutiert die Möglichkeit, daß sie über versunkene Landverbin- dungen vor sich gegangen sein könne. Diese Annahme scheint ihm jedoch mit unüberwindlichen Schwierigkeiten verbunden, und er kommt daher zu dem Ergebnis, daß jede Tierart in dem ihr an- gemessenen Klima geschaffen worden ist. Damit hat er ja — vielleicht unter dem Einfluß des Botanikers GMELIN (vgl. oben S. 247—248); ZIMMERMANNS Arbeit kannte er wohl wahrscheinlich nicht — den Grundgedanken der Lehre von den Schöpfungs- zentren ausgesprochen. Er geht aber weiter und glaubt (in Über- einstimmung mit GMELIN), daß oft dieselbe Art in getrennten Ge- bieten erschaffen worden ist. In bezug auf den Menschen jedoch verwirft er diese Annahme entschieden. Diese nicht uninteressante Arbeit steht auf der Grenze zu einer Reihe von rein dilettantischen Darstellungen, in welchen teils ähnliche, teils entgegengesetzte Ansichten entwickelt wurden; ich bespreche einige solche unten in einem besonderen Kapitel. XI. Salonwissenschaft und zoologische Dilettanten am Ende des 18. Jahrhunderts. In den letzten Dezennien des achtzehnten Jahrhunderts wurde das faunistische Wissen erheblich vermehrt; durch Burrons phan- tasievolle Spekulationen — sowie durch Einflüsse aus anderen Ge- bieten — war der Boden vorbereitet fiir die theoretische Aus- nützung der Kenntnisse. So konnte in dieser Zeit eine exaktere Tiergeographie erstehen. Aber gleichzeitig lebte die ältere Rich- tung fort, deren Beschäftigung mit tiergeographischen Fragen aus 1) In der Zoographia, wo er das Vorkommen von ,,Phoca canina“ im Baikal-, Oron-, Aralsee und im Kaspischen Meere als höchst merkwürdig hervorhebt, äußert er, daß sie vielleicht ehemals, ‚imo diluvii Noachici tempore‘, dorthin gelangt sei IRIS). *) H. Fischer, Mutmafiliche Gedanken von dem Ursprunge der Amerikaner; Patras’ Neue Nord. Beitr., Bd. 3, 1782; auch schon 1771 gedruckt (St. Petersb. Histor. Calend.). 258 v. Hofsten, historischem oder philosophischem — jetzt weniger aus religiösem — Interesse für die Herkunft der amerikanischen Ureinwohner hervorging. Die Wissenschaft wurde in der Aufklärungszeit populär. Am frühesten und eifrigsten wurden naturwissenschaftliche, dann philosophische, historische, philologische Probleme in weiten Kreisen erörtert; so entstand neben der ernsten Forschung eine Salonwissenschaft. Die enzyklopädischen Tendenzen arteten bei unkritischen Geistern in Vielwisserei aus. Ein solcher, durch vieles Lesen überhitzter Kopf veröffent- lichte i. J. 1767 ein dickes Buch, das dem Titel nach vom Ur- sprung der Menschen und Tiere Amerikas handelt, in Wirklichkeit aber die verschiedenartigsten Gegenstände bespricht. Das Buch erschien anonym‘); Verfasser war ein schweizerischer Vogt und Politiker, SAMUEL ENGEL?) Die Arbeit ist wertlos, aber höchst seltsam und typisch für diese Art Literatur; ich erwähne sie je- doch nicht deshalb, sondern weil der Verfasser zu einem teilweise ähnlichen Ergebnis wie früher ZARATE und Friso kommt (vielleicht ohne sie zu kennen; wenigstens nennt er sie nicht). Aus Gründen, die ich nicht zu erwähnen brauche, ist er nämlich überzeugt, daß die Menschen über jetzt verschwundene Landverbindungen in die Neue Welt gekommen seien, und zwar teils aus Nordasien, teils aus Europa, von wo die Atlantis einen bequemen Übergang dar- bot; die Einwanderung sei vor der Sintflut vor sich gegangen, deren Universalität also geleugnet wird. Die Tiere werden jedoch nicht aus der Alten Welt hergeleitet; EnceL glaubt, daß alle Teile der Erde — auch kleinere Inseln — ihre eigenen Tiere hervorgebracht haben. Es war dies jedoch keine tiergeographische Hypothese, sondern die Reproduktion eines in der Naturphilosophie dieser Zeit nicht allzu seltenen Gedankens; besonders wohl hat Burrons Lehre von den überall verbreiteten organischen Keimen auf ihn eingewirkt. Über die Verbreitung der Tierwelt dachte dieser Viel- schreiber in der Tat gar nicht nach. Im Anschluß an EnGEL kann auch ein späterer Autor, der Mineraloge und Physiker De LA MÉTHERIE genannt werden, der aus ähnlichen Gründen — seine Theorie der Erde ist stark durch den Telliamed beeinflußt — annahm, daß dieselben Tiere und 1) Essai sur cette question: quand et commentl’Amerique a-t-elle été peuplée d’hommes et d'animaux? Par E, B. p’E. Amsterdam 1767. ?) Vgl. Hogrers Nouv. Biogr. gén. mee ae Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 259 Pflanzen in verschiedenen Gegenden hervorgebracht worden seien !). Kurz nach EnceLs Arbeit veröffentlichte der unbedeutende Modephilosoph CorneELIUS DE PAuw eine Arbeit, die ihm wegen ihrer Tendenz gegen die Indianer das Lob VOLTAIRES eintrug und großes Aufsehen erregte?). Seine Ansicht von der Minderwertig- keit der amerikanischen Menschen und Tiere kann auf Burron zurückgeführt werden*), wie auch seine übrige Auffassung; aus der Selbständigkeit der amerikanischen Tierwelt zog er. jedoch den Schluß,. daß Afrika und Amerika im Süden stets getrennt gewesen seien. Wenn ich ihn hier nenne, so ist es haupt- sächlich wegen einer Bemerkung über die Herkunft der Inseltiere: aus dem Vorkommen von Giftschlangen und Tigern auf Java und Madagaskar ersieht man, daß diese Inseln früher Teile des Kontinents waren: ,c’est la l’origine commune de toutes les bétes insulaires, si on en excepte quelques serpents de la petite espèce“ etc. Inwieweit diese Ansicht auf KIRCHER oder andere ältere Autoren zurückgeht, läßt sich nicht entscheiden; der Glaube an diese Entstehung der Inseln war zu jener Zeit allgemein, ob- gleich von anderen nur geographische Gründe angeführt wurden *). Gegen die historischen Ansichten DE Pauws (über den Wert der amerikanischen Tradition) wandte sich der italienische Anti- quar Graf G. R. Carrr5); er kam dabei auch auf den Ursprung der amerikanischen Völker zu reden. Er nahm Einwanderungen : über verschwundene Länder an, teils über die Atlantis, teils über bbc Menem, Iheonier de la Berre, Paris, 2795, LUI NS nog) (Deutsche Übers. Bd. III, 1798, S. 135 — 136.) ?) Recherches philosophiques sur les Américains. Par Mr. de P***, Berlin 1768—69. Neue Aufl. 1772, mit einer Défense des recherches etc. 3) Vgl. oben S. 241. Burron jedoch billigte die aus seinen Darlegungen ge- zogenen anthropologischen und „philosophischen‘‘ Konsequenzen nicht; er wandte sich bestimmt gegen DE Pauw (Variétés dans l’espéce humaine, Addition; siehe Oeuvres, Ed. RıcHARD, 1833—34, T. IX), obgleich er früher selbst den ameri- kanischen Wilden als ein armseliges, durch die ungünstige Natur entkräftetes Geschöpf dargestellt hatte (Anim. comm. aux deux cont.). 4) Man vgl. z. B. Varentus, Geographia generalis, 1664; franz. Übers. 2155 (cap. 18, prop. 12) und Burron, Theor. d. I. Terre, Preuves, Art. 16. RAYNAL äußert in dem bekannten Werk Histoire philosophique et politique des... Indes: ,, Toutes les isles du monde paroissent avoir été détachées du con- tinent“ (Ed. A la Haye 1774, T. IV, Livr. 10, Chap. I). ©) G. R. Carıı, Lettere americane, Cosmopoli (= Florenz) 1780—81, T. II. Deutsche Ùbers. 1783—85, franz. Ùbers. 1788. re 260 v. Hofsten, einen großen Kontinent im Stillen Ozean. Für die Tiergeo- graphie haben die weitläufigen Auseinandersetzungen kein Interesse, denn die Tiere werden kaum berücksichtigt (die amerikanischen Arten seien zwar verschieden, doch oft nur „un peu changées“). | Solche haltlose Spekulationen über ehemalige Landverbin- dungen und Völkerwanderungen waren am Ende des achtzehnten Jahrhunderts beliebt; der Geschmack an Reisebeschreibungen und Schilderungen exotischer Völker wirkte dabei mit. Von dieser Literatur kann noch eine Arbeit des französischen Polyhistors J.-B. pe LA BorpE!) genannt werden; er folgt zum großen Teil CaRLI, neigt aber zu dem Glauben, die Bevölkerung der Alten Welt stamme aus der Neuen statt umgekehrt. Auch die franzö- sischen Philosophen und Enzyklopädisten widmeten solchen Fragen einige Aufmerksamkeit; Diperor fragt in seinem Supplément au voyage de Bougainville?) nach dem Ursprung der Insel- tiere und sagt dann: „Combien d’espaces de terre, maintenant isolés, étaient autrefois continus?“ Auch in den Enzyklopädien findet man Auseinandersetzungen über die Einwanderung der Menschen und Tiere in Amerika, über die verschwundene Atlantis im Atlantischen Ozean usw. Im Anschluß an die obigen Autoren seien schließlich zwei Werke genannt, die einen wirklichen Wert haben, deren Verfasser aber in der Naturwissenschaft Dilettanten waren. Der schottische Geschichtsschreiber W. RoBeRTSON besprach in einer wertvollen Arbeit?) die Herkunft der Menschen und Tiere von Amerika; er schließt sich eng an Burron an, wird daher hier nur nebenbei er- wähnt. Eingehend wurde die Frage von dem spanischen Jesuiten F. S. CLAVERIGO®) erörtert. Er hatte einen klaren Verstand, aber unbedeutende zoologische Kenntnisse; daraus entstand ein eigen- tümliches Gemisch von wahren und falschen Angaben, die in der Geschichte der Tiergeographie ein wirkliches Interesse bean- 1) J.-B. DE La Borne (DE LABorpe), Histoire abrégée de la mer du Sud, Paris 1791 (siehe sowohl T. I wie II). ?) Erst 1796 veröffentlicht (DiDERoT, Oeuvres, Ed. Assézat, T. II, 1875). 3) WırLram Rogertson, The History of America, London 1777 (und mehr- fach; auch deutsche und franz. Übers). 4) Francisco Saverio CLAVERIGO, Storia antica del Messico, Cesina 1780—81, Vol. II. Engl. Übers. 1787 und später; deutsche Übers. 1789—00. = di = Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 261 spruchen dürfen. CLAvVERIGO führt zunächst aus, daß die Menschen und Tiere aus der Alten Welt stammen und über Land einge- wandert sein müssen, und daß folglich beide Weltteile ehemals zusammengehangen haben. Dieser Gedanke war ja schon alt, CLAvERIGO erkannte aber, daß man für die nördlichen Kältetiere und die südlichen Wärmetiere verschiedene Einwanderungswege annehmen muß. Jene iat er mit Burron und anderen aus Nordasien, vielleicht auch aus Europa über Grönland kommen; für die Einwanderung der tropischen Tiere nimmt er eine Land- verbindung zwischen Südamerika und Afrika an. Schon Burron hatte ja zwischen den südlichen und nördlichen Tieren unter- schieden; CLAVERIGO aber war der erste, der einen besonderen Einwanderungsweg für jene annahm. Diese Auffassung enthält ja etwas Richtiges, doch darf man natürlich nicht außer acht lassen, daß CLAVERIGO sie nicht auf tiergeographische Tatsachen stützte; er übersah den Unterschied zwischen den Tieren Afrikas und Amerikas. Seine Ansicht verliert hierdurch nicht alles Inter- esse, auch nicht dadurch, daß sie im Grunde die Konsequenz seiner Dogmentreue war; wie so viele ältere Schriftsteller wurde er durch den Sintflutbericht veranlaßt, über die Verbreitungsmittel der Tiere nachzudenken. Die Schwäche in CLAVERIGOS Aufrassung war ja offenbar und wurde auch von Nichtzoologen erkannt, z. B. von dem auf meh- reren Gebieten wirksamen amerikanischen Forscher B. S. BArToN!). Er glaubte an eine frühere Landverbindung zwischen Amerika und Asien, über welche der Mensch und einzelne Tiere einge- wandert seien; die meisten Tierarten müßten jedoch von einer besonderen Schöpfung in der Neuen Welt herstammen. XIII. Die Pflanzen- und Tiergeographie im Anfang des 19. Jahrhunderts. Die Jahre 1805—1815 waren für die Pflanzengeographie eine Zeit reger Entfaltung und Neubelebung; aus den älteren zaghaften Versuchen erwuchs eine zielbewußte Wissenschaft. Diese Ent- wicklung ist hauptsächlich mit drei Namen verknüpft: A. von HuwmsoLpr, G. WAHLENBERG und R. Brown. Es steht mir nicht zu und hätte hier keinen Zweck, die Tätigkeit dieser Männer zu 1) B. S. Barton, New Views of the Origin of the TribesandNations of America, Philadelphia 1798. Zool. Annalen. VII. 17 262 v. Hotsten, schildern 4); ich beschränke mich auf einige für meinen speziellen Zweck wichtige Bemerkungen. ALEXANDER VON HUMBOLDT?) und GÖRAN oder GEORG WAHLEN- BERG) werden oft als die Begründer der Pflanzengeographie be- trachtet; obgleich man dabei ihre Vorgänger vergißt, so sind doch ihre Einsätze so groß, daß sie mit Recht die Begründer der exakten floristischen und physikalischen Pflanzengeographie genannt wer- den können. Ihre Anschauungen erwuchsen aus Beobachtungen der Natur, ohne daß sie eigentlich voneinander und auch nicht sehr stark von ihren Vorgängern beeinflußt wurden. Es ist leicht erklärlich, daß HumsoLpr eine größere Wirkung ausübte und oft als der alleinige Begründer der Pflanzengeographie bezeichnet wird; die Universalität seines Geistes, sein weites Gesichtsfeld, zu einem nicht geringen Teil auch seine künstlerische Auffassung und Darstellung — man könnte hier leicht sowohl innere wie historische Berührungspunkte mit Burron nachweisen — ver- schafften seinen Ideen einen außerordentlichen Erfolg. Der schwedische Botaniker hatte einen beschränkteren Blick; in bezug auf die von ihm behandelten Florengebiete hat er wohl eigentlich noch Wertvolleres geleistet und beständigere Ergebnisse erhalten. HumBoLprs ganzes Bestreben ging darauf aus, die Abhängig- keit der Verbreitung vom Klima darzutun; er suchte, wie ENGLER‘) hervorhebt, nie die Wirkungen der geschichtlichen Faktoren auf- zuweisen; er übersah sie nicht — in dem Essai bemerkt er sogar, die Pflanzengeographie könne „faire reconnaitre les iles qui, autre- fois réunies, se sont séparées les unes des autres“ —, und wenn er die Versuche, das „jetzige Dasein als etwas Werdendes zu schildern“, für aussichtslos erklärte, so liegt wohl die Ursache zum großen Teil darin, daß er ganz in der physiognomischen Be- trachtungsweise aufging. Er sucht wiederholt sich selbst und A 1) Man sehe hierüber besonders A. EncLER, Die Entwicklung der Pflan- zengeographie in den letzten hundert Jahren; Humb.-Cent.-Schr. d. Ges. f. Erdk. zu Berlin, 1899. ?) A. von Humporpt, Essai sur la Géographie des Plantes (Voyage aux reg. équin., tre Part., rer Vol), 1805. — De distributione geographica plantarum secundum coeli temperiem et altitudinem montium, 1815 (= Nova gen. et spec. plant., Prolegomena; auch separat 1817). 3) G. WAHLENBERG, Flora lapponica, 1812; Tentamen de vegetatione et climate in Hedvetia septentrionali, 1813; Flora Carpathorum prin- cipalium, 1814; aus der folgenden Zeit: Flora suecica, P. 1, 1824. Op mcits 5S: 1095. Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. | 263 andern einzureden, daß die Pflanzengeographie ihre Aufgabe er- füllt habe, sobald die Gesetze der heutigen Verbreitung von ihr erkannt seien. Er kannte jedoch die diskontinuierliche Verbrei- tung von alpinen und anderen Pflanzen gut, sowie die Verwandt- schaft zwischen weit getrennten Floren, und es ist interessant zu sehen, wie ihn diese Erscheinungen in einer eigentümlichen Weise beunruhigen. Wie kann man sich, fragt er, Pflanzenwanderungen zwischen Gegenden vorstellen, die durch unendliche Gebiete mit ganz anderem Klima und durch den Ozean getrennt sind?. „Plus on etudie les répartitions des étres organisés sur le globe, et plus on est porté, sinon a renoncer a ces idées de migration, du moins ane pas les considérer comme des hypothèses entièrement satis- faisantes“!). Seine eigenen Ansichten sind sehr schwankend. Meist hält er solche Fragen für unlösbar; „en combattant des hypo- theses trop légèrement adoptés, je ne m’engage pas à leur en substituer d’autres plus satisfaisantes“; „les causes qui ont restreint chaque espèce dans des limites plus ou moins étroites, sont cou- vertes de ce voile impénétrable qui cache à nos yeux tout ce qui a rapport à l’origine de choses“?). Einmal sagt er, daß die Keime der Kryptogamen, aber keine anderen, „spontanement dans tous les climats“ entwickelt werden’). Später nimmt er ausdrücklich an, daß dieselben Phanerogamen in Nordamerika und in Europa, sowie in der nördlichen und südlichen Hemisphäre ent- standen seien). WAHLENBERG unterschied in der lappländischen Flora ver- schiedene, aus anderen Gegenden eingewanderte Elemente, er- klärte aber die Verbreitung ganz aus den klimatischen Faktoren. Das Vorkommen derselben Pflanzen in verschiedenen Gebirgs- gegenden Europas war ihm daher eine ganz natürliche Erschei- nung; zweifellos dachte er sich eine Ausbreitung unter den jetzigen Verhältnissen. Gleichzeitig führte RoBERT Brown andere Gesichtspunkte in 1) Voyage aux reg. equin. d. nouv. cont., Ire part, Relation histo- rique, T. I, 1814, S. 599 ff. — HumBorptr et VALENCIENNES, Recherches sur les Poissons fluviatiles de ’Amerique équinoxiale (Voyage, Observ. de zool. et d’anat. comp., T. II, 1832, S. 15). Reel hist, Lie.; Peoiss fluv., S. 150. (Vel. auch Rel. hist.: Atlas geogr. et phys., S. 144). essa, S. 20. 4) Nov. gen. et spec., Prol.. S. XX—XXIII (,,zonis frigidis et temporalis amborum continentium quasdam plantas ab initio communes fuisse‘, usw.). Se = & = 264 v. Hofsten, die Pflanzengeographie ein!); er suchte zu ermitteln, „inwieweit die Pflanzen eines Landes zu denen eines anderen in verwandt- schaftlicher Beziehung stehen oder wie weit sich die Areale der einzelnen Verwandtschaftskreise erstrecken?). Er fand teils eine „affinity“ — ohne an genetische Beziehungen zu denken — zwischen verschiedenen Floren der südlichen Halbkugel, teils für z. B. Australien und Europa gemeinsame Arten, doch ohne sich auf diese Tatsache näher einzulassen („the subject hardly ad- mitting of many remarks of a more general nature“). In der Geschichte jeder Wissenschaft gibt es Zeiten, in denen die ersten Forscher vor den schwierigsten und tiefsten Problemen zurückschrecken und nur zunächst erreichbare Ziele verfolgen. Eine spekulative Richtung wird meist gleichzeitig von Forschern zweiten Ranges vertreten, In einer solchen Lage befand sich die Biogeographie im Anfang des 19. Jahrhunderts. Es gab auch da Naturforscher, welche sich nicht mit den von HwumsoLpr und WAHLENBERG nachgewiesenen Gesetzen begnügen wollten oder sogar wenig Verständnis dafür hatten, sondern die ursprüng- lichsten Ursachen zur Verbreitung der lebenden Wesen suchten. Die Versuche schließen sich denjenigen der vorangehenden Au- toren unmittelbar an; einige erhalten ein neues Aussehen da- durch, daß sich jetzt ein Einfluß der Naturphilosophie in der Biogeographie geltend macht. Besonders stark ist dieser Einfluß bei G. R. TREVIRANUS. Seine Biologie?) ist zunächst deshalb von Interesse, weil sie — hierin sich an WırLpenows Kräuterkunde anschließend — ein gutes Bild vom Stand der Pflanzen- und Tiergeographie um die Wende des Jahrhunderts gibt; es hat dabei wenig zu bedeuten, daß die Ansichten des Verfassers sich nicht immer leicht von den übernommenen sondern lassen. Er bringt ausführliche pflanzen- und tiergeographische Erörterungen. In bezug auf die Tiere ver- mag er sich nicht zu einer klaren Übersicht der Verbreitungs- verhältnisse durchzuarbeiten; beachtungswerter erscheint die Zu- sammenstellung der Pflanzenverbreitung, in der er z. B. acht 1) R. Brown, General remarks, geographical and systematical, on the botany of Terra australis; Append. to FLinDERS Voy., II, 1814. ?) ENGLER, op. cit., S. 12. 3) G. R. Trevrranus, Biologie oder Philosophie der lebenden Natur, Göttingen 1802—1822; hier kommen Bd. II (1803) und III (1805) in Betracht. ge Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 265 Hauptfloren der Welt zu unterscheiden versucht!). Die allge- meine, stark naturphilosophisch gefärbte Auffassung läuft darauf hinaus, „daß in der Verbreitung der lebenden Organismen eine ähnliche Gradation wie in der Struktur derselben herrscht“ ?). Er glaubt, daß Ähnlichkeiten in der Tier- und Pflanzenwelt auf einem früheren Zusammenhang der jetzt getrennten Gebiete be- ruhen können; so erklärt er das Vorkommen von Robben in den sibirischen Seen aus einer ehemaligen Verbindung mit dem Meere’). Hierin folgt er seinen Vorgängern; im allgemeinen hat er jedoch eine ganz andere Ansicht von der diskontinuierlichen Verbreitung. Die Organismen entstehen aus „formloser Materie“ — jetzt meist nur Pflanzen und Zoophyten, früher auch die Ur- formen der höheren Tiere*) —, und die bildenden Kräfte haben überall Autochthonen hervorgebracht; wo das Klima und die übrigen Verhältnisse gleich waren, „waren auch diese Autoch- thonen sich gleich, und die Arten, die sich aus ihnen entwickelten, blieben sich ebenfalls gleich, so lange sich die Einwirkungen, denen sie ausgesetzt waren, nicht veränderten“5). Nicht die Ahn- lichkeiten bedürfen daher einer Erklärung, sondern im Gegenteil die Unterschiede zwischen der Fauna und Flora von Ländern mit gleichem Klima (die Ursache wird in der Einwirkung des „kosmischen Galvanismus“ gesucht)f). Diese Annahme einer polytopen Entstehung der Arten ist etwas ganz anderes als derselbe Gedanke z. B. bei GMELIN. TREVIRANUS wird nicht durch die Verbreitungsverhältnisse zu dieser Hypothese gedrängt, sondern sie ist eine Frucht seiner Naturphilosophie; die daraus gewonnene Erklärung der diskon- tinuierlichen Verbreitung ist etwas ganz Nebensächliches. Die meisten Forscher im Anfang des 19. Jahrhunderts, welche nach einer Erklärung der nicht aus dem Klima hervorgehenden Verbreitungsverhältnisse suchten, fanden diese in einer Lehre, zu welcher man lange seine Zuflucht nehmen sollte, der Lehre von den Schöpfungszentren. Man nahm eine ursprünglich gege- bene Verteilung der Arten und der systematischen Gruppen an. 1) Bd. II, Abschn. 2, Kap. 2, § 2. 2) Bd. II, S. 45; vgl. S. 25, 44, 203—205 u. a. 3) Bd. III, S. 221—222. 4) Siehe besonders Bd. II, Abschn. 3, Kap. 1 und 2; die Ansichten sind teil- weise etwas inkonsequent. 5) Bd. Ill, S. 223—224. 5) Bd. II, S. 436—452. 266 v. Hofsten, Dieser vereinzelt schon im ı7. Jahrhundert auftauchende Gedanke war ja deutlich von ZIMMERMANN ausgesprochen worden; WILL- DENOW hatte ihn mit einer speziellen, willkürlichen Hypothese verknüpft; jetzt drang er allgemein durch. Bald dachte man nur an Ursprungsorte der einzelnen Arten; bald verknüpfte man damit die Vorstellung von Zentren, wo die schöpferische Tätig- keit sich besonders stark manifestiert habe und von welchen also viele Arten ausgegangen seien („foci of creation“ in der spä- teren englischen Literatur); das Wort Schöpfungszentrum hat also nicht immer ganz dieselbe Bedeutung. Ich kann hierauf nicht näher eingehen‘), will aber verfolgen, inwieweit man mit dieser Auffassung entwicklungsgeschichtliche Gedanken ver- knüpfte — Wanderungen von den ursprünglichen Zentren an- nahm — und wie man sich zu den Diskontinuitätserscheinungen stellte. i Viele nahmen an, daß die jetzige Verbreitung durch Wan- derungen von den Schöpfungszentren aus zustande gekommen sei, und gingen wenigstens stillschweigend von der Voraussetzung aus, daß jede Art nur auf einer Stelle entstanden seis Bei einigen dieser Autoren treten Ansätze zu einer geschichtlichen Betrach- tungsweise der Verbreitungserscheinungen auf. So nahm J. J. Virey Wanderungen in früheren Epochen mit anderer Verteilung von Land und Meer an’); P. De CAnporLE äußert vorsichtig und ganz im allgemeinen, daß „les habitations pourraient bien avoir été en partie déterminées par des causes géologiques qui n’existent plus aujourd’hui“). !) Mehrere Autoren sprachen die Ansicht von Entstehungsmittelpunkten direkt aus; ich nenne VIREy (1803, s. unten), RupoLpHı (1812, s. unten), L. v. Bucx (All- gem. Übers. d. Flora auf d. Canarischen Inseln, Abh. Akad. Wiss. Berlin a. d. J. 1816— 17 [1810]), Link (1821, s. unten), DEsmouLIns (1822, s. unten). Auch TREVIRANUS (s. oben) hatte eine verwandte Auffassung, obgleich in dunkle natur- philosophische Gedanken gehüllt; hier kann ferner SPRENGEL (1812, s. unten) genannt werden. P. De CanpoLLe (1820, s. unten) versuchte mehr, pflanzengeographische Regionen zu unterscheiden, ging aber dabei von derselben Grundauffassung aus (er spricht von ,,plantes particulières, qu’on pourrait nommer véritablement aborigenes‘“). Dasselbe gilt von ScHouw (1816, 1822, s. unten). 2) J. J. Virey, Nouv. Dict. d’hist. nat., T. 20, Paris 1803; Art. Quadrupédes und Habitation et Migration. — Diese Darstellung der Verbreitung enthält keine neuen Gedanken, verdient aber die völlige Vergessenheit nicht, darin sie sogleich versunken zu sein scheint. 3) P. De Canporre, Essai élémentaire de Géographie Botanique; Dez Sec mat, I i, 1820: Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 267 Der Botaniker H. F. Link gab in zwei Kapiteln eines seiner- zeit viel gelesenen Buches!) eine Darstellung der „Verbreitung organischer Körper“, die von einem gewissen Verständnis für das Zentrale in den Problemen zeugt. Er bemerkt, daß die Arten in einer scheinbar gesetzlosen Weise gemischt sind; dieser Zu- stand, diese „mannigfaltige Verbindung der Gestalten in ähnlichen Gegenden“, muß durch eine historische Entwicklung zustande gekommen sein. Jede Art hat sich von ihrem Entstehungsort nach anderen Gegenden mit ähnlichem Klima ausgebreitet; die Flora — er geht von den Pflanzen aus — einer Gegend „enthält in den Zusammenstellungen der Pflanzen die Geschichte der Gegend in Rücksicht auf das Pflanzenreich, und es ist nur un- sere Schuld, wenn wir diese Geschichte nicht lesen können“?). Wie die früheren Biologen, die einigen Blick für die nur historisch erklärlichen Tatsachen der Verbreitung hatten, schenkte Link der diskontinuierlichen Verbreitung eine besondere Beach- tung; er unterschied „zusammenhängende“ und „sporadische Heimate“. Die Möglichkeit einer selbständigen Entstehung der- selben Art an zwei oder mehreren Orten verneint er zunächst ganz; eine Wanderung von der einen Gegend in die andere er- scheine bisweilen unmöglich, in solchen Fällen müsse man aber bedenken, daß oft „eine Heimat jetzt unterbrochen erscheint, welche vormals zusammenhing“#). Im 2. Teil glaubte er diese Ansicht teilweise einschränken zu müssen und nahm eine mehr- ortige Entstehung niedriger Pflanzen an“), ohne jedoch die allge- meinen Grundsätze zu ändern. Weiter konnte Link nicht gelangen; die Verteilung der na- türlichen Verwandtschaftskreise über die Erde konnte er nicht erklären. Doch ist es interessant und für den ganzen vordar- winschen Teil des Jahrhunderts charakteristisch, wie er fast un- bewußt mit den Schwierigkeiten ringt, wie er zwischen entgegen- gesetzten Ideen hin- und herschwankt und wie er ferne Ziele 1) H. F. Link, Die Urwelt und das Altertum, erläutert durch die Naturkunde, I, II, Berlin 1821, 1822. (I, 2. Abschn.: Verbreitung organischer Körper; II, 2. Abschn.: Zur Geschichte der organischen Schöpfung.) — Links bio- geographische Aufstellungen sind einer wohl nicht ganz berechtigten Vergessenheit an- heimgefallen; in EncLeRs Entw. d. Pflanzengeogr. wird er nicht erwähnt, auch nicht in Carus’ Gesch. d. Zool. : 2) Op. cit., I, besonders S. 92—93, 99; vgl. II, S. 47 ff. 3) I, S. 88, I0o—102. 4) I, S. 49-51. 268 v. Hofsten, der Forschung dunkel ahnt. Eine diskontinuierliche Verbreitung von zwei nahe verwandten Arten erklärt er als ursprünglich); obgleich er ihre selbständige Entstehung als leicht verständlich darstellt, so scheint es mir doch, daß diese Auffassung ihn im Grunde nicht befriedigte. Wenn, die Gebiete solcher Arten an- einander grenzen, nimmt er eine gemeinsame Abstammung an, und er hat wenigstens eine dunkle Vorstellung davon, daß manche Verbreitungserscheinungen durch Umwandlung der Arten erklärt werden können, wie er überhaupt dem Gedanken an eine Entwicklung der Organismen aus wenigen Urgebilden gewogen ist?). Wie tief er trotz allen heterogenen Gedanken bisweilen in das Wesen der Forschung blickte, zeigen einige Bemerkungen, die sich be- sonders auf die „Übergangsverbreitung“ verwandter Arten be- ziehen, aber auch weiter reichen. Die Versuche, die Verbrei- tungserscheinungen zu erklären, sind wichtig, auch wenn sie vergeblich sein sollten, denn sie „führen zu Untersuchungen, welche nicht ohne allen Erfolg sein können“. So sollen wir so weit als möglich die Verbreitung verwandter Arten durch Ver- änderung erklären. Die entgegengesetzte Auffassung „hemmt plötzlich alle Forschung“; es „ist alle Forschung abgeschnitten, sobald man voraussetzt, ein organischer Körper sei dort ur- sprünglich, wo man jetzt ihn findet“). Solche — bei konsequenter Durchführung — unfruchtbare Ideen wurden nun von mehreren Forschern entwickelt. Einige, wie K. SPRENGEL, nahmen kurzweg und ohne durchdachte An- sichten über die Verbreitung zu entwickeln an, daß niedrige Pflanzen selbständig in verschiedenen Gebieten entstehen konn- ten*); dieser Glaube war ja allgemein verbreitet und wurde auch von HuwmsoLpr, später von Link ausgesprochen (s. oben). Bei anderen findet man die Keime einer ganzen Naturauffassung, welche der historischen vollständig entgegengesetzt ist. K. A. RupoLpHI5) war in seinen Ansichten über die Ent- stehung der Organismen durch naturphilosophische Gesichts- 1) I, S. 94, 100, 103. *) I, S. 103—105; II, S. 48—49, 50. i Se near ii, Sy ein, 4) K. Sprenger, Von dem Bau und der Natur der Gewächse, 1812 (Kap. 15, S. 633). 9) K. A. RupoLpHi, Beiträge zur Anthropologie und allgemeinen Naturgeschichte, Berlin 1812 (III. Über die Verbreitung der organischen Körper). Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 269 punkte beeinflußt; in seiner Beweisführung ist er jedoch sehr nüchtern und sucht den Ausgangspunkt mehr in den tatsäch- lichen Verbreitungsverhältnissen. Seine Auffassung derselben flieBt aus der Uberzeugung, daß die Pflanzen und viele Tiere ein sehr unbedeutendes Ausbreitungsvermögen haben. Die gegen- wärtigen Verbreitungserscheinungen sind daher von Anfang an gegeben, und auch dieselbe Pflanzen- und Tierart ist, besonders wenn sie in getrennten Gegenden — z. B. in den lappländischen und schweizerischen Gebirgen oder gar in verschiedenen Welt- teilen — vorkommt, an verschiedenen Stellen erschaffen. Diese Ansicht wird auch — und hierin zeigt sich der naturphiloso- phische Einschlag — durch die Überlegung gestützt, daß nur sie „der Würde der Natur angemessen ist“; Fülle und Reichtum war über die erschaffene Welt ausgegossen; „nur ein Grübler hat die Sparsamkeit der Natur ersonnen“!. — Von besonderem Interesse ist es, daß RupoLPHI diese Ansicht auch auf den Menschen ausdehnt, der an wahrscheinlich „nicht wenigen“ Orten ursprünglich erschaffen ist?). Ähnliche Ansichten wurden kurz nachher von dem später _ berühmten dänischen Botaniker J. F. Scaouw entwickelt?). Er kritisierte die Wanderungshypothesen und kam zu dem Ergebnis, daß jede Pflanzenart in zahlreichen Individuen und an verschie- denen Stellen entstanden ist; „eadem momenta cosmica easdem plantas diversis in locis produxisse“. Für die polytope Entstehung der diskontinuierlich verbreiteten Arten trat er mit Leidenschaft- lichkeit ein; er wird oft als Vater dieser Hypothese genannt, was aber nicht richtig ist. Von einer anderen Seite wird ScHouws Standpunkt beleuchtet in seiner einige Jahre jüngeren, wichtigen und verdienstvollen Arbeit Grundzüge einer allgemeinen Pflanzengeogra- phie‘). Seine Ansichten über das Wesen dieser Wissenschaft werden teils durch Humsponpt, teils durch seine oben erwähnten Anschauungen, teils endlich durch eine gewisse formalistische 1) Op. cit., S. 124— 129, 139, 143—144 U. a. ?) Op. eit., Abschn. 3. Siehe auch Rupozpxr, Grundriß der Physiologie, Berlin, Bd. 1, 1821, S. 50—56. 3) J. F. Schouw, Dissertatio de sedibus plantarum originariis, Havniae 1816. | 4) J. F. ScHouw, Grundtraek hil en almindelig Plantegeographie, Kjôbenhavn 1822; deutsch 1823. 270 v. Hofsten, Veranlagung beeinflußt. Obgleich er zugibt, daß nicht alles in der Verbreitung eine direkte Folge des Klimas ist, man vielmehr „un- bekannte Ursachen“ annehmen muß, wendet er sich doch in einer eigentümlich gereizten Art gegen alle Versuche, die Verbreitung durch Untersuchungen oder Hypothesen über die Geschichte der Pflanzen zu erklären; die Entstehung der diskontinuierlichen Ver- breitung („extensio interrupta“) wird als für die Pflanzengeographie gleichgültig betrachtet?). A. DEsmouzixs ?) schließt sich in seiner allgemeinen Anschau- ung — von hier belanglosen Inkonsequenzen abgesehen — den vorigen Autoren an. Er ist ein noch deutlicherer Vorläufer der Agassizschen Auffassung. Die charakteristische, beschränkte Ver- breitung der verschiedenen Tiere (Säugetiere und Fische) hat stets bestanden — die Annahme von früheren Landverbindungen zwischen den Kontinenten wird sehr bestimmt zurückgewiesen — und mehr: „C’est volontairement et comme par une necessite d’instinct, que cette forme est restreinte dans une région donnée“. Die diskontinuierliche Verbreitung von „analogen“ Tieren war für DesmouLINs ein Beweis für die Unhaltbarkeit der entwicklungs- geschichtlicheu Erklärungsversuche (er dachte wahrscheinlich be- sonders an ZIMMERMANNS Ausführungen); eine solche Verbreitung von einheitlichen Arten wollte er, wie es scheint, kaum anerkennen. Der Malakolog F£russac kam zu dem Ergebnis, daß das all- gemeine Gesetz der Verbreitung in der „Analogie der Standorte“ liegt, „de telle sorte que certains genres et certaines especes méme se reproduisent a de grandes distances“ 5). Es läßt sich nicht leugnen, daß die Opposition dieser Autoren gegen die Wanderungshypothesen, gegen die Annahmen früherer Landverbindungen usw. etwas Berechtigtes enthielt; solange man die Konstanz der Arten voraussetzte, mußte fast ein folgerichtiges Denken zu einer wenigstens teilweise gleichartigen Auffassung führen. Wenn sehr ähnliche, in getrennten Gebieten lebende Arten selbständig geschaffen worden wären, so ständen ja keine !) Op. eit., Einleit., § 1; Hauptabt., § 1, 13, 34. ?) A. DesmouLıns, Mémoire sur la distribution géographique des animaux vertebres, moins les oiseaux; Blainvilles Journ. de Physique, T. 94, 1822, S. 19 — 28. 3) Férussac, Géographie des Mollusques; Dict. class. d’hist. nat, T. 7, 1825, S. 254. Referat vom Verf.: F£russac, Bull. sci. nat., T. 20, 1830, S. 463 (im Referat von MınpınGs unten erwähnter Arbeit). nm U. _ Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. ZN prinzipiellen Schwierigkeiten der Annahme einer solchen Entste- hung einer und derselben Art entgegen. Dies sah RupoLpPHI ein (es ist „beinahe eben so gut, als ob es dieselben Pflanzen wären“) 4) — und zog die Konsequenzen daraus. Auch Links schwankende Stellung dem Diskontinuitätsproblem gegenüber ist auf ein fast unbewußtes, ähnliches Gefühl zurückzuführen. Alle diese Ansichten von einem mehrortigen Artursprung haben natürlich Berührungspunkte mit allgemeinen biologischen Strömungen der Zeit, vor allem mit den Theorien über spontane Generation. Die meisten Zoologen waren mit ihren Ansichten über die Verbreitung sehr zurückhaltend (von den obigen Autoren, welche die Tiere berücksichtigten, waren Link Botaniker, VirEy und DesmouLins Physiologen und Anthropologen; auch der Zoologe RupoLPHI ging mehr von den Pflanzen aus). Die Ursachen liegen teils in dem großen Aufschwung der Pflanzengeographie vor allem durch Humsonpr, teils in den größeren Schwierigkeiten, welche sich in der Tiergeographie gegen manche Theorien zu erheben schienen, teils und vielleicht am meisten in der Neigung zur Morphologie, welche die besten Köpfe anzog. Der Vollständigkeit wegen muß ich hier J. K. W. ILLIGER er- wähnen, der eine umfangreiche Abhandlung über die Verbreitung der Säugetiere?) schrieb. Er machte dort auf manche wichtige Tatsachen aufmerksam, gehörte aber zu den Forschern, welche sich über eine deskriptive Behandlung der Verbreitung kaum er- heben konnten. Einflüsse aus der Naturphilosophie bewirkten eine unklare Auffassung; die Ursachen der Verbreitungsunter- schiede werden durch Reden über „geographischen Zusammen- hang“ und über eine „Stufenleiter“ aus einer Gegend in die andere umschrieben. An die diskontinuierliche Verbreitung der Arten denkt IrLicer fast gar nicht; die Tatsache, daß entfernte Gegenden oft „ähnlich gebildete“ Tiere haben, beweist „noch gar nicht ihre gemeinschaftliche Abstammung“). Op cit, S- 127. 2) J.K. W.ILLIGER, Überblick der Säugethierenachihrer Vertheilung über die Welttheile; Abh. Akad. Wiss. Berlin a. d. J. 1804—11 (1811 vorgelesen, 1815 gedruckt); vgl. auch seine Tabellarische Übersicht der Vertheilung der Vögelüber die Erde; Ibid: f. 1812-13 (1816). SEOp>eit. Se 125, 1140. 272 v. Hofsten, ISIDORE GEOFFROY SAINT-HILAIRE verfaßte einen Aufsatz über die Verbreitung der Säugetiere!), der hauptsächlich von Burrons Ansichten handelt und die tiefsten Ursachen der Verbreitungser- scheinungen nicht berührt; er sah jedoch ein, daß die Verbreitung das Deszendenzproblem beleuchten könnte. Die Entomologen gingen schon in dieser Zeit ihre eigenen Wege oder empfingen Eindrücke nur von der Pflanzengeographie. J. C. Fasricius hatte schon 1778 verschiedene „entomologische Klimate“ zu unterscheiden versucht?). P. A. LATREILLE schrieb die erste rein entomogeographische Abhandlung?). Seine Ein- teilung in ,Klimate“ ist ganz schematisch; die allgemeinen Resul- — tate — der Unterschied in der Insektenfauna getrennter Gebiete mit ähnlichem Klima usw. — sind für die Entomologie wertvoll, obgleich sonst nicht neu. Eine Erklärung aller Tatsachen, die nicht direkt aus dem Klima folgen, sucht LATREILLE nicht zu geben; durch diese Negativität schließt er sich der HumBoLprschen Richtung an. Er macht auf die diskontinuierliche Verbreitung mehrerer Gebirgsinsekten aufmerksam, doch ohne sich darüber zu wundern. Es gab jedoch auch unter den Entomologen Forscher, die den tiefsten Grund zu den Verbreitungserscheinungen aufsuchen wollten. W. Kırsy gab eine rein teleologische Lösung der Schwierigkeiten: das Klima hat zwar einigen Einfluß, doch scheint es, „daß die wirklichen Insekten-Klimate oder diejenigen, in welchen gewisse Gruppen oder Gattungen vorkommen, eher durch den Willen des Schöpfers festgesetzt als durch die Isotnermal- linien reguliert seien“ ?). Die oben besprochene Periode ist das Zeitalter nicht nur eines HumBoLpT, sondern auch eines Cuvirr; besonders im zweiten und I) Mammifères; Dict. class. d’hist. nat., T. 10, 1826; wie es scheint, schon 1824 separat veröffentlicht, unter dem Titel Consid érations générales sur les mammiferes. — Eine spätere Arbeit desselben Verfassers (Essai de zoologie générale. VI. Fragments sur la zoologie géographique; 1841) enthält keine neuen Gesichtspunkte. ?) J. C. Fasricius, Philosophia entomologica, 1778. 3) P. A. LATREILLE, Introduction à la géographie générale des arachnides et des insectes; Mém. Mus. d’hist. nat. Paris, T. 3, 1817, S. 37-67; auch in LATREILLE, Mém. sur div. suj. de l’hist. nat. d. ins., Paris 1819. 4) W. Kirpy & W. Spence, Introduction to Entomology, 1815—26; zitiert nach der deutschen Ubersetzung, Vol. IV, 1833, S. 511 ff. Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 273 dritten Jahrzehnt des 10. Jahrhunderts übte dieser geniale Forscher eine tiefgehende, teilweise umgestaltende Wirkung auf die Zoologie aus; man muß sich fragen, inwieweit dieser Einfluß sich auch auf die Tiergeographie erstreckte. Cuvier glaubte keineswegs, daß die Tiere in ihren heutigen Wohngebieten geschaffen seien, wie er denn überhaupt nie die ihm oft zugeschriebene Lehre von aufeinanderfolgenden plötzlichen Massenschöpfungen aufgestellt hat1). Er dachte sich vielmehr, daß die Tiere — und der Mensch — nach der letzten Erdkata- strophe aus unbekannten und vielleicht untergegangenen Gegenden eingewandert seien; er erkannte klar, daß die Bildung vorüber- gehender Landbrücken und andere geographische Veränderungen zu einem Austausch zwischen den Bewohnern der verschiedenen Festländer führen mußten?). Wenn er also einen tieferen Einblick, als man sich gewöhnlich vorstellt, in die Gesetze der Faunener- neuerungen hatte, so versuchte er doch nie, diese Grundsätze an- zuwenden und Licht über die Wanderungen zu verbreiten). Über die Verbreitung der heutigen Tierwelt dachte er nie nach, und er suchte auch nicht, in die Beziehungen zwischen der Verbreitung lebender und fossiler Tiere einzudringen; er betonte wiederholt, daß man die Verwandten ausgestorbener europäischer Tiere in tropischen, bisweilen auch in kälteren Gegenden antrifft‘), ohne 1) Vel. CH. Depiret, Les transformations du monde animal, Paris 1907. (Deutsche Übers. 1909, S. 10 ff.) ?) G. Cuvier, Discours sur les révolutions de la surface du globe, 1815 (= Rech. s.1.oss. foss., Disc. prél., 1812) (3. franz. Aufl., 1825, S. 129—130; siehe auch S. 138, 283). 3) DEPERET (l. c.) scheint daher die Rolle, welche die Wanderungshypothesen im System Cuviers spielten, ein wenig zu übertreiben. Jedenfalls war ja Cuvier nicht der erste, der an Wanderungen tiber ehemalige Landverbindungen dachte, ob- gleich es natürlich ein wichtiger Fortschritt war, die plötzlichen Faunenwechsel in dieser Weise zu erklären. Seine Ansichten von den Ursachen dieser Erscheinungen waren übrigens nicht ganz konsequent oder richtiger nicht in ein System gebracht. Man kann unmöglich behaupten, daß er nicht gleichzeitig mit den Invasionen auch sukzessive Schöpfungen (obgleich nicht notwendig plötzliche Massenschöpfungen) vor- ausgesetzt habe; er lehrte ausdrücklich, daß wiederholt nach dem Untergange einer Fauna eine neue, höher entwickelte aufgetreten sei (op. cit., S. 108—117, 353). Dieser innere Zwiespalt in Cuviers Auffassung ist DEPERET entgangen; RApL hat, ohne eine nähere Analyse von Cuviers Ansichten zu versuchen, tiefer geblickt; er gewann den Eindruck, „dafs er das Ungenügende der ‚Schöpfungs’lehre den paläontologischen Tatsachen gegenüber fühlte und in der Hypothese der Einwanderungen eine Lösung fand, die ihn selbst nicht ganz befriedigt haben mag“ (Gesch. d. biol. Theor., II, S. 362). *) Op. cit., besonders S. 313, 326—329, 348—351. 274 v. Hofsten jedoch eine Erklärung zu geben. Der Grund hierzu liegt außer in der besonderen Richtung seiner Interessen in seinem in dieser Periode ganz unerschütterten Glauben an die Konstanz der Arten. Vielleicht fühlte er, wie ein tieferes Eindringen in solche Erschei- nungen dieser Auffassung unüberwindliche Schwierigkeiten be- reiten würde, und mied daher mehr oder weniger unbewußt solche Fragen. Wenn man nun fragt, welchen Einfluß Cuvier auf die Bio- geographie und besonders auf die Auffassung der Diskontinuitäts- erscheinungen ausübte, so muß man zunächst konstatieren, daß seine Wanderungshypothese unbeachtet blieb. Die Katastrophen- lehre wurde von d'ORBIGNY zu einer dogmatisch durchgeführten Theorie von zahlreichen aufeinanderfolgenden Massenschöpfungen ausgestaltet!) (wenn man ihn dafür tadelt, so läßt sich doch, wie ich oben angedeutet habe, nicht leugnen, daß hierin nur eine folge- richtige Entwicklung der Cuvierschen Grundsätze lag). Diese Lehre lief ja einer entwicklungsgeschichtlichen Auffassung der Verbreitung direkt zuwider; sie zerschnitt ganz den Zusammen- hang zwischen Gegenwärtigem und Vergangenem, und es war nur ein kleiner Schritt zu der Vorstellung, daß die Verbreitung seit der Schöpfung unverändert bestanden habe. Diese Auffassung wurde ja später besonders von L. AGassiz vertreten (s. unten), der selbst mehrere Massenschöpfungen annahm; einer der zahlreichen Wege, die ihn zu dieser Lehre führten, geht also deutlich von CuvieR aus. Schon bei DesmouLins (siehe oben S. 270) dürfte ein ähnlicher, obgleich wenig deutlicher Einfluß zu spüren sein. Doch kann man keineswegs sagen, daß Cuvier und seine Nachfolger etwa einen verhängnisvollen Einfluß auf die Biogeo- graphie ausübten. Sowohl die entwicklungsgeschichtliche wie die entgegengesetzte Richtung entwickelten sich unabhängig von ihren Lehren (Ruvorpkis S. 269 besprochene Arbeit erschien ja im selben Jahr wie Cuviers Discours); mehrere Forscher — besonders Botaniker — empfingen überhaupt keine tieferen Eindrücke davon; andere (z. B. Linx) zogen keine biogeographischen Schlüsse daraus. CuvieR begründete die wissenschaftliche Paläontologie (BuFFon hatte sie vorbereitet); als unmittelbare Folge seiner Wirksamkeit entstand ein lebhaftes Interesse für die ausgestorbenen Tiere, die ') Siehe hierüber z. B. DEPÉRET, op. cit., Kap. 3. = @ = Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 275 natürlich auch auf die Biogeographie äußerst wohltuend wirken. Man begann, die Verbreitung lebender und fossiler Organismen zu vergleichen, man zog daraus wichtige Schlußfolgerungen (siehe hierüber unten S. 282), und die Zeit wurde reif für die Neubelebung der Biogeographie, welche in der Mitte des Jahrhunderts erfolgte. In den zwei Jahrzehnten nach den späteren der oben be- sprochenen Arbeiten machte die entwicklungsgeschichtliche Rich- tung in der Tier- und Pflanzengeographie nur kleine Fortschritte, und diejenigen, welche nach den letzten Ursachen der Verbrei- tungsverhältnisse fragten, konnten bloß früher gegebene Ant- worten wiederholen. Ich kann daher diesen Zeitabschnitt, die Jahre 1825— 1845, kurz behandeln. Das für mehrere Zweige der Naturforschung und auch für die Biogeographie wichtigste Ereignis dieser Zeit waren CHARLES LyeLLs Principles of Geology!). LyELL untersuchte eigentlich weder die kleinen, noch die großen Züge der Pflanzen- und Tier- verbreitung, war aber bestrebt, diese seinen neuen erdgeschichtlichen Gesichtspunkten einzuordnen. Er stützte sich auf die geläufigen Annahmen von Schöpfungzentren und Wanderungen von diesen aus, betonte aber mit besonderem Nachdruck, daß die jetzige Verbreitung wesentlich durch die geographischen und klimatischen Veränderungen der Erde beeinflußt worden sei?). Der diskonti- nuierlichen Verbreitung schenkte er jedoch keine größere Auf- merksamkeit; nur bemerkte er z. B., daß die Fauna des Kaspi- schen Meeres auf eine frühere Verbindung mit dem Schwarzen Meer hinweist). Es wäre nicht schwierig, die großen Schwächen der LyerLr- schen Auffassung nachzuweisen. Die Gesichtspunkte waren nicht neu und wurden — was ja nicht überraschen kann — vielmehr von einem geologischen als von einem biologischen Standpunkte aus entwickelt; so wurden die Einwirkungen von Veränderungen in der Erdoberfläche und im Klima fast nur an erdachten Bei- spielen erläutert. Deshalb und weil er so ganz von seinen Ge- danken an die Bedeutung der äußeren Veränderungen durch- drungen war, vergaß er fast, daß auch diese nicht die ursprüng- ') Cu. Lyerr, Principles of Geology, Ed. 1, 1830—33; E Ed. 3, 1834, Ed. 4, 1835 usw. 2) Op. cit., Ed. 4 (Vol. 3), Book III, Chapt. V—X. Op eit., Chapt. Wil, 5.66. 276 i v. Hofsten lichen Ursachen der Verbreitung erklären. Die innere Wahrheit der Ideen und die Konsequenz in ihrer Anwendung geben ihm jedenfalls einen wichtigen Platz in der Geschichte der Biogeo- graphie; seine größte Bedeutung hat er durch seinen Einfluß auf Forses, Hooker, DE CanpoLLe und DARWIN, In zoologischen und botanischen Arbeiten aus dieser Zeit findet man wenig Versuche zu einer entwicklungsgeschichtlichen Auffassung der Verbreitungsverhältnisse. Was die Tiergeographie betrifft, ist besonders zu bemerken, daß man jetzt die Verbreitung der Meerestiere zu studieren begann. Man hatte lange geglaubt, daß die Temperatur des Meeres schon nahe unter der Oberfläche überall gleichförmig sei und daß die Seetiere daher überall ver- breitet seien oder wenigstens sein könnten!). PÉRON und LESUEUR erkannten schon 1810, daß die marinen Tiere keineswegs kosmo- politisch sind, sondern eine beschränkte, von der Temperatur ab- hängige Verbreitung haben?); ihre Darstellung blieb jedoch ziem- lich unbeachtet und hat bis in unsere Zeit die ihr gebührende Anerkennung nicht gefunden. Später zeigte A. Rısso, daß die Fische des Mittelmeers in verschiedenen Tiefenregionen leben?); auch diesen Beobachtungen blieb die Beachtung versagt. Allge- meinere Aufmerksamkeit erweckten die Untersuchungen von Aupovin und H. Minne Epwarps 1832‘); sie wiesen überzeugend nach, bald von M. Sars?) (später von Forses und Lovéx) gefolgt, daß die Vertikalverbreitung der Meerestiere bestimmten Gesetzen folgt. Kurz nachher veröffentlichte Henri Mirxe Epwarps eine wich- tige Abhandlung über die Verbreitung der Crustaceen®). Er zeigte hier, daß man im Meer deutlich begrenzte zoologische Regionen !) Siehe ZIMMERMANN, Geogr. Gesch., Bd. III, S. 67 ff., 218- *) F. P£ron et Cu A. Lesurur, Sur les Habitations des Animaux marins; Ann. Mus. d’hist. nat. Paris, T. 15, 1810, S. 287—292. Auch in: PÉRON, Voyage de découvertes aux Terres Australes, T. II; Paris 1816, Ch. XXXVII. 3) A. Risso, Histoire naturelle des principales productions de l'Europe Méridionale, T. III, Paris 1826. (Introd., S. X—XI.) 4) J.V. Aupou et H. MıLne Epwarps, Recherches pour servir al’ histoire naturelle du littoral française, Paris 1832. 5) M. Sars, Beskrivelser og lagttagelser over... Dyr... ved den Bergenske Kyst, Bergen 1835. 5) H. Mrtne Epwarps, Mémoire sur la distribution géographique des Crustacées; Ann. Sci. Nat. (2), Zool., T. 10, 1838, S. 129—174; auch in seiner Arbeit Histoire naturelle des Crustacées, Vol. Ill, 1840. — — Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 2777 unterscheiden kann — als Schöpfungszentren aufgefaßt, von welchen sich gewisse Arten sekundär ausgebreitet hätten — und daß die Temperaturverhältnisse einen gewissen Einfluß auf die Verbrei- tung haben. Von besonderer Wichtigkeit in diesem Zusammen- hang ist der hier zum ersten Mal geführte Nachweis einer dis- kontinuierlichen Verbreitung im Meere. Mizxe Epwarps kannte zwei solche Falle: das Vorkommen von Nephroßs norvegicus im Adriatischen Meer und die Verbreitung von Grapsus messor (Rotes Meer, Mittelmeer und Kanarische Inseln). Er gibt keine bestimmte Erklärung dieser Verbreitungsverhältnisse, neigt aber zu der Annahme, daß sie unter anderen geologischen Verhältnissen zustande gekommen seien; was die erstgenannte Art betrifft, dachte er an die Möglichkeit einer ehemaligen östlichen Verbin- dung zwischen den „skandinavischen Meeren“ und dem Mittel- meer. Diese beiden Fälle betrachtete Milne Epwarps jedoch als seltene Ausnahmen; er fand, daß im allgemeinen die Verbreitung durch die heutigen Verhältnisse erklärt werden könnte. Vielleicht fühlte er, daß ein tieferes Verfolgen der Probleme in mystischen, irrationellen Erklärungen enden müßte, die zu seiner klaren Auf- fassung der Natur schlecht passen würden. Denn so verhielt es sich wirklich; fast alle Forscher dieser Zeit, die ernstlich über die Verbreitungserscheinungen nachdachten, verloren sich in mehr oder weniger mystische Erklärungen oder blieben, wie früher HumBoLpT, sobald er sich über die „ursprüng- liche“ Verbreitung aussprach, bei einem resignierten zgnorabimus stehen. J. Minpine — in einer sehr mittelmäßigen Arbeit — nahm seine Zuflucht zu einer „Schöpfungskraft“, die überall zur Bildung gleichartiger Organismen strebt, von den lokalen Verhältnissen aber derart beeinflußt wird, daß in entfernten Gegenden nur analoge und nicht ganz gleiche Geschöpfe entstehen!). Der jüngere DE CANDOLLE, der schon jetzt, 20 Jahre vor dem Erscheinen seiner Géo- graphie botanique raisonnée, sich mit Pflanzengeographie beschäftigte, begnügte sich mit der Auffassung, daß die „ursprüng- liche“ (also keiner Erklärung zugängliche) Verteilung der Pflanzen die Hauptursache ihrer heutigen Verbreitung sei; das Klima, die Wanderungen usw. „n’ont change que partiellement cette premiere distribution“. In Übereinstimmung damit schließt er sich Scuouws Ansicht einer polytopen Entstehung der diskontinuierlich ver- 1) J. Mie, Geographische Verbreitung der Säugetiere, Berlin 1829; Referat in FERussac, Bull. sci. nat., T. 20, 1830, S. 463. Zool. Annalen VII. 18 — sir ox 278 v. Hofsten, / breiteten Arten an‘). Eine ähnliche Auffassung hatte F. J. F. MeyEN; die ursprüngliche Verteilung der Pflanzen ist nach uns. ganz unbekannten Gesetzen geschehen; „in der Verbreitung der organischen Wesen, über die Erde, ist wohl nichts leichter zu erkennen, als das allgemeine Gesetz, daß die Natur, unter ähnlichen Verhältnissen, stets ähnliche oder vollkommen gleiche Geschöpfe hervorgerufen hat“ ?). Zu ähnlichen Ergebnissen kam für die Insekten J. T. LACORDAIRE; er bemerkte mit Recht, daß die Hypothese der polytopen Entstehung der Arten nur die Konsequenz der damaligen Ansichten über die Schöpfung der Species sei („si la nature créait ainsi des types differens sur plu- sieurs points, pourquoi n’aurait-elle pas repete, dans un endroit, un type qu’elle avait déjà produit dans un autre?“)$#). RICHARDSON erklärte es für aussichtslos, wenigstens beim damaligen Stande der Kenntnisse nach den Verbreitungsgesetzen zu forschen‘). Der seinerzeit berühmte Geologe und Botaniker L. Ramonp sprach schon beim Anbruch des Jahrhunderts von dem „mystere de la dissémination originaire“, durch dessen Einfluß getrennte Ge- biete mit ähnlichem Klima bisweilen die gleichen, bisweilen nur verschiedene Pflanzen aufweisen 5). In den zwanziger Jahren äußerte er sich — ohne im geringsten die Wanderungen der Pflanzen zu verneinen — in demselben Sinn (die vom Klima unabhängige, ursprüngliche Verbreitung beruht auf „des necessites dont il nous est bien difficile de pénétrer le mystère“)f); noch später — dies- mal bei der Besprechung der Süsswasserfische, besonders in un- zugänglichen Gebirgsseen — nimmt er ausdrücklich eine poly- tope Entstehung der Organismen an: „Il n’est pas plus aise de se figurer une creation limitée 4 un seul point, qu’une creation embrassant à la fois tous les lieux semblablement disposés . . . !) A. De CanpoLte, Introduction à l’étude de la botanique, T. II, Paris 1835 (Suites à Buffon, Hist. d. vég.) (Livre 4€: Géographie botanique; S. 297, 308—318, besonders 311, 315, 317, 318); auch Bruxelles 1837 (S. 386, 390—395). ?) F. J. F. Meyen, Grundriß der Pflanzengeographie, Berlin 1836 (S. 107, 118—119, 308). 5) J..T. LacorpaIRE, Introduction à l’entomologie, T, II, Paris 1838 (Chap. XIV, S. 246 ff.). i 4) J. RicHarpson, Report on the Zoology of North America; Rep. Brit. Ass. Adv. Sci. f. 1836 (1837). 5) L. Ramon», De la végétation surles montagnes; Annales Mus, d’hist. nat. Paris, T. 4, 1804 (S. 397—398). 6) L. Ramonp, Mémoire sur l’état de la végétation au sommet du Pic du Midi de Bagnères; Mem. Acad. sci. Paris, T. 6 (1823), 1827 (S. 99—107). RE - Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 279 Dans l’état actuel de nos connaissances, n’est-il pas plus raison- nable de croire qu’au moment ou la puissance créatrice s’est manifestee sur notre planète, elle a répandu à la fois, dans toutes ses parties, des types dont l’organisation est assortie a la condition physique de chaque localite“ }). Der englische Zoologe W. Swainson, der die Verbreitung der Tiere (in erster Linie der Vögel) eingehend besprach, betonte, daß das Klima nur einen sekundären Einfluß habe, und schloß sich der Ansicht von Kirpy (siehe oben S. 272) an, nach welcher die Verbreitung im Grunde durch den Willen des Schöpfers festge- stellt sei”); in einer mir nicht zugänglichen Arbeit scheint er der agnostischen und zugleich mystischen Auffassung der Verbreitung einen noch prägnanteren Ausdruck gegeben zu haben (je mehr wir forschen, um so inniger werden wir überzeugt werden, daß die ersten Ursachen der Verbreitung „für immer der mensch- lichen Forschung verborgen bleiben werden“) ?). Auch O. Herr, der später die Verbreitungsverhältnisse ent- wicklungsgeschichtlich zu betrachten lehrte (siehe unten im Ka- pitel „Die miozäne Atlantis“) — obgleich er stets alle Naturer- scheinungen in idealistischem Sinn deutete —, huldigte in den vierziger Jahren derselben Anschauung und erklärte alle Dis- kontinuitätserscheinungen aus einer „Tendenz zur Bildung gleich- artiger Formen“, die sich teils durch gleiche Gattungen, teils — wie in den verschiedenen Hochgebirgen und in den hochnor- dischen Ebenen — sogar durch gleiche Arten äußert‘). 1) L. Ramonp, Bemerkung in HumBorpt et VALENCIENNES, Poiss. fluv. de PAmer. equin., 1832, S. 150 —151. *) W. Swaınson, Geography considered in relation to the Distri- bution of Man and Animals. In: H. Murray, An Encyclopaedia of Geo- graphy, London 1834, S. 247—268 (besonders S.-248, 258—259). — Der ältere Hooker, der in demselben Werk die Verbreitung der Pflanzen behandelte (S. 227—246), hatte ähnliche, obgleich weniger bestimmt formulierte Ansichten: die Verbreitung ist nur teilweise vom Klima abhängig; „we must frequently be content to study and to admire the amazing variety of vegetable forms which the beneficent hand of nature has scattered over the different parts of our world, without being able to account for these important phenomena“ (S. 228, 239). 3) W. Swainson, A Treatise on the Geography and Classification of animals, London 1835. (Zitiert nach PricHarp, Naturgeschichte des Menschengeschlechts, deutsche Ausg. von R. WAGNER, Bd. I, 1840, Zusatz zum 1. Buch, S. 134— 135, vgl. auch S. 111 — 124.) 4) O. Heer, Uber die obersten Gränzen des thierischen und pflanz- lichen Lebens in unseren Alpen; Neujahrsstiicke d. Zürich. naturf. Ges. f. 1845 (An d. Zürch. Jugend 47. Stück). 18* — 95 = 280 v. Hofsten, R. B. Hinps — ein unselbstàndiger und unkritischer Pflan- zengeograph — fand eine genügende Erklärung aller Verbrei- tungserscheinungen in dem Gesetz, daß die Vegetation der Erde überall und auf einmal entstanden sei, „in accordance with the physical circumstances which prevailed“1); er sagte wohl nie, wie GRISEBACH?) behauptet, „daß dieselbe Pflanze überall, wo sie zu gedeihen vermochte, auch wirklich entstanden ist“, stand aber wenigstens dieser Auffassung nahe. Belehrend über die Rückwirkung der idealistischen Natur- auffassung auf die Biogeographie dieser Zeit sind die Ansichten des hervorragenden schwedischen Botanikers Elias FRIEs; sie verdienen eine kurze Erwähnung, obgleich sie — wegen der Sprache und weil andere Ideen bald in den Vordergrund traten — keinen größeren Einfluß ausübten. Mit einer. ganz idealistischen Auffassung der Lebens- und Formerscheinungen vereinigte er evolutionistische Ansichten; er betrachtete zwar die Gattungen als ursprünglich festgestellte, von Anfang an und für immer voneinander getrennte Typen, glaubte aber nicht nur an die gemeinschaftliche Abstammung der zu einem Genus gehörigen Species, sondern sogar an die Entwicklung einer jeden Gattung aus einer einfachsten Urform, einer Zelle?), Trotzdem oder zum großen Teil eher eben deswegen — ich muß auf eine nähere Analyse des Gedankenganges verzichten — verhielt er sich ab- lehnend gegen die entwicklungsgeschichtlichen Ideen in der Pflanzengeographie. Die heutigen Lebewesen, sagt er, weichen von ihren ausgestorbenen Stammformen so sehr ab, daß diese nie wiedererkannt werden können; da außerdem durchgreifende geographische und klimatische Veränderungen stattgefunden haben, ist es unmöglich, die ursprüngliche Heimat der Arten anzugeben., Alles Forschen nach den Wanderungen der Pflanzen ist nach Fries überflüssig und schädlich; die „vielköpfige Migra- tionstheorie“ und die Lehre von dem einheitlichen Ursprungsort jeder Art bezeichnet er als „Phantasiespiel“. Daher schließt er sich auch ohne Zögern ScHouws Ansicht von der mehrortigen Ent- ) R. B. Hmps, Memoirs on Geographic Botany; Ann. Mag. Nat. Hist. (1), Vol. 15, 1845, S. 11—30, 89—104 (besonders S. 16—22). ? Vegetationslinien d. nordw. Deutschl. (siehe unten S. 315), S. 557. 3) ELias Fries, Botaniska Utflygter, I, 1843: Vexternas Ursprung; II, 1852: Om Naturens perfectibilitet; Nagra ord äfver slägt och art- begreppen inom Växtriket (S. 189—193). —_ egg = Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie, 281 stehung jeder Art an; sie sei nach den Darlegungen des dänischen Botanikers „wohl von keinem Naturforscher bezweifelt worden“), Eine eigentümliche Sonderstellung nimmt der Zoologe A. Wacxer ein, der die Verbreitung der Säugetiere behandelte. Er glaubte, wie Kırpy u. a., daß die Verbreitung „in letzter Instanz auf der göttlichen Anordnung“ beruhe, dagegen nicht, daß sie bei der Schöpfung festgestellt worden sei; statt dessen schließt er sich der seit mehr als 50 Jahren von allen denkenden Forschern aufgegebenen Linnfschen Theorie an, nach welcher alle Tiere von einem Punkt in Vorderasien stammen?) Da er von einer solchen Voraussetzung ausging, konnte er natürlich nichts zum Verständnis der Verbreitung beitragen; die ganze umfangreiche Arbeit ist rein deskriptiv. Alle bisher erwähnten Forscher, welche Fälle von diskon- tinuierlicher Verbreitung durch die Annahme einer früher zusam- menhängenden Verbreitung erklärten, dachten dabei an einen rein geographischen Zusammenhang zwischen den Verbreitungs- gebieten; WILLDENow glaubte an eine Verbindung zwischen heute getrennten Gebirgen, MIıLnE EDWARDS an eine verschwundene Ver- bindung zwischen dem Adriatischen Meer und nördlichen Meeren. Niemand war bisher ein Gedanke an einen klimatischen Zu- sammenhang gekommen. Die Zeit war jetzt reif für solche Theorien; der Boden war besonders durch die paläontologischen Entdeckungen vorbereitet. Es gibt ein Problem, das mit dem biologischen Diskontinui- tätsproblem eng zusammenhängt, dessen Entwicklung ich aber kaum andeutungsweise berühren kann: die Diskontinuität zwischen dem heutigen Verbreitungsgebiet einer Art und den Fundorten fossiler Exemplare; damit steht wiederum die Geschichte der älteren, auf Fossilfunden begründeten Anschauungen über Klima- veränderungen in Zusammenhang?). ROBERT Hooxe scheint der 1) Botan. Utfl., I: Vexternas Ursprung (besonders S. 185—187, 190); Vexternas Fadernesland (S. 311, 315, 323). ?) A. WacnER, Die geographische Verbreitung der Säugetiere; Abh. bayr. Akad. d. Wiss. Math.-phys. Kl., Bd. 4, Abt. 1, 2, 1844—45. (1. Abt., S. I2—21, 23— 24, Fußnote.) 3) Dieses Thema wird in den meisten geschichtlichen Darstellungen sehr stief- mütterlich behandelt. In ZirreLs Geschichte der Geologie und Paläon- tologie werden z. B. die unten besprochenen Arbeiten von SmitH und Lov£n nicht einmal erwähnt. DO DU v. Hofsten, erste gewesen zu sein, der eine solche Ansicht aussprach; aus dem Vorkommen von fossilen Schildkröten und Ammoniten in England zog er den Schluß, daß dieses Land früher ein wärmeres Klima hatte’). Im 18. Jahrhundert wurden solche Ansichten von mehreren Forschern geäußert?). Es handelte sich meist um aus- gestorbene Arten, obgleich man ihnen ähnliche Gewohnheiten wie ihren heutigen Verwandten zuschrieb oder den Unterschied nicht erkannte’). Man begann jedoch wenigstens am Ende des Jahrhunderts solche Theorien durch Funde (in tertiären Schichten) von heute noch in wärmeren Klimaten lebenden Arten mariner Mollusken zu stiitzen*). Dann folgte die Erneuerung der Palä- ontologie durch Cuvier; ich habe oben (S. 272ff.) bemerkt, daß er selbst keine entwicklungsgeschichtlichen oder klimatischen Schluß- folgerungen aus den Tatsachen zog, daß er aber trotzdem die größte Bedeutung für solche Richtungen in der künftigen For- schung hatte. In den dreißiger Jahren begann man mehr und mehr, Hypothesen von Klimaveränderungen auf Fossilfunde zu gründen. Besonders beachtenswert sind die Angaben von LyELL?) und DEsxAYEsé) über tropische Mollusken in den tertiären Ab- lagerungen Italiens als Beweise für die ehemals höhere Tempe- ratur des Mittelmeers. (Hier mag auch bemerkt werden, daß DESHAYES aus den Verwandtschaftsbeziehungen einiger tertiärer Mollusken Italiens den Schluß zog, daß das Mittelmeer früher mit dem Indischen Ozean zusammengehangen habe’).) Viel Ver- ständnis für solche Erscheinungen und ihre Tragweite zeigte H. G. Bronn®). Besonders wurde das Interesse und der Sinn 1) R. Hooxe, Tractatus deterraemotis, 1705 (1688 verfaßt); siehe ZITTEL, Gesch... Geol., S. 23; Lyeır, Prine. of Geol., Vol. I, Chapt. II. 2) Vgl. ZitteL, Gesch. d. Geol. und Lyerr, Prine. of Geol., Vol. I, Chapt. II, IV. 3) So waren ja für Burron (Epoq. d. |. nat.) die Reste von „Elefanten“ und andern „südlichen“ Tieren in Sibirien ein sicherer Beweis für ein früher wärmeres Klima im Norden. *) ForTIS 1793; siehe Ever, Princ. of Geol., Vol. I, Chapt. III. 5) Princ. of Geol. (Ed. 1), Vol. I, 1830, chapt. VI. ) G. P. DesHayes, Observations sur l’estimation de latempérature des périodes tertiaires etc.; Ann. sci. nat. (2), T. 5, Zool., 1836. — De- scription des coquilles fossiles des environs de Paris, T. II, Paris 1837 (S. 768 ff.). 7) Descr. d. coq., S. 776—777: 5) H. G. Bronn, Lethaea geognostica, Bd. II, 1838 (S. 774, 196 ul al). SE Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie, 283 4 für Klimaveränderungen durch Lyerzs Principles entwickelt, der diesem Gegenstand mehrere Kapitel widmete, Die zweifellos wichtigsten Impulse empfing die marine Tier- geographie durch die Funde von Mollusken arktischen und nörd- lichen Gepräges in quartären Ablagerungen an den europäischen Küsten. Der Schluß, daß das Klima in der Zeit, als diese Arten lebten, kälter war als heute, wurde zuerst von J. Smirx in einer nunmehr wenig bekannten, aber wichtigen Abhandlung gezogen!). In Schweden kam Sven Lovin fast gleichzeitig und zweifellos unabhängig zu demselben Ergebnis’). Äußerst anregend wirkten auch die grundlegenden Unter- suchungen von JAPETUS STEENSTRUP über dänische Torfmoore, in denen er Schichten mit verschiedener Waldvegetation entdeckte; er kam zu dem Ergebnis, daß die Flora sukzessiv eingewandert sei, und unterschied bekanntlich fünf Vegetationsperioden (Espen-, Kiefer-, Eichen-, Erlen- und Buchenperiode)?). G. FORCHHAMMER sprach zuerst bestimmt die Ansicht aus, daß man hierin den Beweis einer Klimaveränderung erblicken kann“); auch STEENSTRUP war später dieser Ansicht; ScHouw, der sein Leben lang jeder ent- wicklungsgeschichtlichen Anschauung fremd war, bekämpfte sie 5). Diese lückenhaften Bemerkungen zeigen, wie die Paläonto- logie den Weg für eine neue Richtung in der Biogeographie bahnte, welche Anomalien in der heutigen Verbreitung durch Klimaveränderungen erklärte. Dieser Weg wurde von E. FoRBES betreten; ehe ich die bedeutungsvolle Wirksamkeit dieses Mannes schildere, muß ich jedoch einerseits eine besondere Frage, an- dererseits eine ganz andere Gedankenrichtung besprechen. 1) James SmitH, On the last Changes in the relative Levels of the Land and Sea in the British Islan ds; Mem. Wernerian Nat. Hist. Soc. f. 1837 —38 (Vol. 8), P. 1, Edinb. 1839 (S. 74—75). — SMITH bespricht hauptsächlich die britischen Inseln, bemerkt aber daneben, dafs auch die Funde in Sizilien auf ein kalteres Klima deuten. ?) Lovén bespricht den Gegenstand ausführlich 1846 (De skand. Hafs-Moll. geogr. Utbr., siehe unten S. 306); er bemerkt gleichzeitig (S. 254), daß er schon 1839 seine Beobachtungen über quartäre Mollusken, die auf ein „hochnordisches‘ Klima deuten, der Akademie der Wissenschaften gemeldet hatte. 3) J. Steenstrup, Geognostisk-geologisk Undersögelse of Skovmo- serne Vidnesdam- og Lillemose i det nordlige Sjaelland; K. Danske Vidensk. Selsk. Afhandl., 9, 1842; Sonderabdr. 1841. *) G. ForcHHAMMER, Uber die Bestandtheile des Meerwassers; Amtl. Ber. tib. d. 24. Vers. Deutsch. Naturf. in Kiel 1846; Dansk Tidskr., Bd. 1, 1847. - 3) J. F. ScHouw, Om de tidligere klimatiske Forhold i Danmark; Dansk Tidskr., Bd. 1, 1847. = & = 284 v. Hofsten, XIV. Der anthropologische Polygenismus. Der heftige- Kampf zwischen „Monogenisten“ und „Poly- genisten“, welcher besonders in der ersten Hälfte des 19. Jahr- hunderts die wissenschaftliche Welt erregte, kann hier nicht un- erwähnt bleiben; denn zwischen der polygenetischen Auffassung des Menschen und den Theorien von der polytopen Entstehung der Tier- und Pflanzenarten laufen mehrere Fäden, welche in beiden Richtungen wichtige Einflüsse vermittelten. Natürlich kann ich nur einige allgemeine oder für die Biologie besonders wich- tige Gesichtspunkte berühren. Wenn man vom Altertum absieht, wo klare Darstellungen von einem mehrfachen Ursprung der Menschen wahrscheinlich nicht selten waren (vgl. oben S. 205), so wurden polygenetische Anschauungen zunächst im 16. Jahrhundert ausgesprochen. Es war zweifellos die Entdeckung Amerikas, die die erste polygenetische Ansicht hervorrief. PARACELSUS bespricht in seiner Philosophia sagax!) die Einwohner von fernen Inseln, dabei deutlich in erster Linie auf die Neue Welt anspielend (vgl. oben S. 219). Da die Söhne Adams, sagt er, sich nicht auf entlegene Inseln haben begeben können, so kann man nicht glauben, daß diese Menschen mit uns in Blutsverwandtschaft stehen; sie stammen von einem „andern Adam“ ab?). Diese Hypothese des PARACEISUS ist ein direkter Versuch, ein Diskontinuitätsproblem zu lösen. Sie wird jedoch ziem- lich zusammenhangslos hingestellt, als ein mit seinen mystisch- magischen Ideen wohl vereinbares Paradoxon?). Natürlich rief 1) Paracetsus, Astronomia magnasivetota Philosophia sagax, Lib. I, Cap. II; Opera, Bücher und Schriften . . . durch Huserum, Ed. Straßburg 1603, T. II, S. 345 (Opera, Ed. Genevae 1658, T. II, S. 531). — Paracelsus soll das 1. Buch des Werkes 1537 abgeschlossen haben; gedruckt scheint es zum ersten Mal 1571 worden zu sein (siehe K. SupHorr, Versuch einer Kritik der Echtheit der para- celsischen Schriften, Bd. I, 1894, S. 219, 220). 2) „daß sie von Adam zu seyn geglaubt mögen werden, mag sichs nit befinden, daß Adams Kinder seind kommen auf die verborgenen Insulen: Sonder wohl zu bedencken, daß dieselbigen Leuth von einem andern Adam seind: Dann dahin wirt es schwerlich kommen, daß sie Fleisch und Bluts halben uns gefreundt seyn.“ 8) In anderem Zusammenhang phantasiert PARACELSUS von besonderen Stamm- vätern der — zum Menschengeschlecht gerechneten — Fabelwesen (‚ein besonder geschöpffter Vatter der Monoculorum, ein besonderer der Gnomi, ein besonderer der Zweyfüssigen . . . Dann nuhr seins gleichen hanget an seines gleichen, unnd nichts an ungleichen“) (De Generatione Hominis, Vorrede; Opera, Ed. Strassb. 1603, Ito Jbl Sh al Tag Ge Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 285 diese Ansicht großes Aufsehen!) und noch größere Entrüstung hervor. Noch einmal und diesmal aus ganz anderen Beweggründen wurde in demselben Jahrhundert eine polygenetische Ansicht ge- äußert, nämlich von dem genialen Philosophen und Botaniker CAESALPINUS, der eine Urzeugung von Menschen und Tieren an- nahm?). Er will durch diese Annahme nicht die Verbreitung oder die Rassenunterschiede erklären, sondern sie ist ein Ausfluß seiner aristotelischen Philosophie (er beruft sich direkt auf Arısıo- TELES); sein wichtigster Grund ist die Auffassung der Arten als ewiger, unzerstörbarer Begriffe®). In der Geschichte der Biogeo- graphie verdient diese Auffassung eine gewisse Beachtung; sie hat eine deutliche Verwandtschaft mit der 300 Jahre später von Louis Acassiz vertretenen Lehre. Auch dieser nahm eine Massen- schöpfung (nicht Urzeugung) von Tieren und Menschen an, und auch seine Ansicht wurzelt in der Auffassung der Arten als un- veränderlicher, obgleich nicht ewiger Ideen (siehe unten S. 297 ff.). Acassız kannte wahrscheinlich CAzsarrıns Gedanken nicht; seine Theorie kann aber deutlich auf neue Strömungen derselben Philosophie zurückgeführt werden. CAESALPINS kühne Hypothese machte großes Aufsehen und wurde im ganzen Jahrhundert lebhaft diskutiert. - Sie war ja eine noch schwerere Häresie als die Theorie von PARACELSUS; seine Gegner suchten eifrig, ihn der Inquisition und dem Scheiterhaufen zu überweisen ‘). Während nahezu 100 Jahren hatte niemand den Willen oder den Mut, Zweifel am biblischen Schöpfungsbericht auszusprechen. Da ersann der französische Edelmann Isaac (DE) LA PEYRÈRE, ein origineller und selbständiger Theologe (er wird als Vorläufer der modernen Bibelkritik genannt), seine berüchtigte „Präadamiten- hypothese“. Er lehrte einen mehrfachen und zudem ungleich- zeitigen Ursprung des Menschengeschlechts; nach der Bibel seien 1) vgl. z. B. die oben S. 219, Fußn. 2, zitierte Ausserung von Horntus. ?) ANDREA CAESALPINUS, Questiones peripateticae; Florenz 1569. (Lib. 5, Quaest. 1). E 3) „At species aeternae sunt, generantur autem et orrumpuntur ipsa singularia. Non ergo a singularibus pendere potest specierum aeternitas. Contingere enim possit omnes canes qui nunc sunt corrumpi, aut morbo aut hominum praecepto in omnibus regionibus: corrupta igitur erit species, si alius modus generandi non fuerit quam a semine parentum.“ 4) Siehe Biogr. Lex. hervorr. Ärzte, 286 v. Hofsten, Adam und Eva nur Stammeltern der Juden; alle anderen Völker seien Abkömmlinge von Präadamiten, die schon gleichzeitig mit den Tieren autochthonisch in verschiedenen Ländern entstanden seien!). Diese Theorie wollte ebensowenig wie diejenige CAESAL- pıns naturwissenschaftliche Tatsachen erklären, sondern war eine Frucht von LA PEYRERES Exegetik. Die Ketzerei war dadurch nur um so ärger; die Präadamitenlehre erschien „der Zeitgenossen- schaft so unerhört kühn und verwegen, daß der Urheber als ein Häretiker der schlimmsten Sorte gebrandmarkt wurde“; das Buch wurde zum Feuer verdammt, und der Verfasser mußte seine Lehre abschwören (insgeheim hielt er bis an sein Ende daran fest), die Polemik dauerte aber bis ins 18. Jahrhundert hinein fort?). Es sollte fast ein Jahrhundert verfließen, ehe polygenetische Anschau- ungen frei hervortreten durften °). | Im ı8. Jahrhundert waren Auslassungen über die Rassen, über die Ursache der Hautfarbe usw. sehr in der Mode; die Naturforscher, mit Linné und Burron an der Spitze, kamen aber einstimmig zu dem Ergebnis, daß die Rassenunterschiede sekundäre Wirkungen des Klimas und der Lebensweise seien. In der ersten Hälfte des Jahrhunderts wurden, soweit ich sehe, abweichende Ansichten nur zweimal geäußert. Im Jahre 1732 erschien in England ein anonymes Pamphlet — angeblich aus freidenkerischen Kreisen herrührend —, das die Erschaffung von „Coadamiten“ zu erweisen suchte‘). Einige Jahre später stellte ein französischer 1) (Isaac DE LA PEYRERE [PevRERIUS],) Prae-Adamitae sive exercitatio super Versibus duodecimo etc., 1655. Besonders: Systematheologicorum ex Prae-Adamitarum hypothesi, 1655 (4 Auflagen 1655; wenigstens die mir bekannte mit der ersten Schrift vereinigt). (Siehe besonders Lib. III, cap. 1.) Das Buch erschien anonym. ?) Über La Pryr&res Theorie und ihre Aufnahme siehe G. Frank, Geschichte der protestantischen Theologie (1862-75), Bd. II, S. 67—75; O. ZòcKLER, PEYRERES Präadamitenhypothese, Zeitschr. f. d. ges. luth. Theol. u. Kirche 1877, H. 1, S. 28—48; Derselbe, Geschichte der Beziehungen zwischen Theologie und Naturwissenschaft, 1. Abt., 1877, S. 545 - 548, 749—750. — Eine gute Vorstellung von der Entrüstung, mit der PARACELSUS’, CAESALPINS und LA PEYREREsS Hypothesen von den Rechtgläubigen begegnet wurde, gibt Garcras oben (S. 218, 226) erwähntes Werk über die Herkunft der Indianer. 3 3) Ein vereinzelter Anhänger von LA PEYRÈRE war der englische Deist Cu. BLounT, der (um 1690) eine pràadamitische Lehre aufstellte (siehe ZöckLER, Gesch., S. 548, 750). Nach BarLenstEDT (unt. zit. Arb., Abt. 1, S. 4) gehörte der ratio- nalistische Theologe HERMANN von DER HARDT (1660— 1746) zu den „heimlichen An- hängern‘ der Lehre. *) Coadamidae, oran Essay to provethe two following paradoxes, Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 287 Historiker, S. PELLOUTIER, eine Hypothese auf, die seit langem ver- gessen, aber nicht ohne Interesse ist. Er leugnete, daß äußere Bedingungen so große Unterschiede hervorbringen können, wie sie die Menschen in körperlicher und geistiger Hinsicht aufweisen; man müsse zugestehen, daß es verschiedene Arten von Menschen gebe. Ebensowenig zweifelt er jedoch am biblischen Schöpfungs- bericht. Er rettet sich aus diesem Dilemma durch die Annahme, daß Gott „durch ein Wunder“ die Unterschiede unter den Ab- kömmlingen von Adam und Noah hervorgerufen habe!) Enthält nicht diese naive Theorie, wenn wir das Wunder auslassen, ein Körnchen Wahrheit? Auch heute glauben wir, obgleich aus anderen Ursachen, an den einheitlichen Ursprung der Menschen; auch heute glauben wir an die unüberwindliche Ungleichheit der Rassen. Die französische Aufklärung bedeutete in dieser Frage, wie in so vielen anderen, einen Wendepunkt. Die Theologie ver- suchte wohl Jange noch, den biblischen Schöpfungsbericht aufrecht zu erhalten, und viele bedeutende Forscher folgten ihr hierin; wer eine andere Überzeugung gewann, wagte sie aber von nun an offen auszusprechen. Die Gedankenfreiheit hatte natürlich die wichtigsten Folgen nicht nur in der Anthropologie, sondern auch in der Tiergeographie, wo der Glaube an einen einzigen Aus- gangspunkt aller Tiere rasch verlassen wurde; die Ideen von BUFFON, ZIMMERMANN usw. hätten unter den früheren Verhältnissen nie so frei geäußert werden oder einen solchen Erfolg haben können. Die Aufklärungsphilosophie war ja von den mathematischen Naturwissenschaften abhängig und stand einem biologischen Denken fern. Daraus folgte einmal, daß man nicht viel über den Ursprung der Menschenrassen nachdachte oder eine einheitliche Abstam- mung selbstverständlich fand, andererseits aber auch, daß natur- wissenschaftliche Gründe eine ganz nebensächliche Rolle spielten; eine Folge davon war wiederum, daß die Reaktion gegen die theologische Auffassung viel heftiger wurde als in der Zoologie. Die Lehre von der Einheit des Menschengeschlechts stimmte ja viz. 1. that there were other men createdat the same time with Adam etc.; London 1732. Eine Gegenschrift von J. A. FaBRICIUS wird in der späteren Literatur oft erwähnt. Siehe ZöckLER, Gesch., II, S. 128, 256. 1) S. PeLLoUTIER, Histoire des Celtes; A la Hay (Paris) 1741, (sec. part.) S. 201. 288 v. Hofsten, mit den kirchlichen Dogmen überein und konnte daher leicht ver- dächtig erscheinen. Diese Konsequenz zog vor allem VoLrarreE!). Die Menschen- rassen sind nach ihm vollständig verschieden und selbständig ge- schaffen; „la Providence qui a mis des hommes dans la Norvege en a plante aussi en Amerique et sous le cercle polaire meri- dional, comme elle y a planté des arbres et fait croître de l'herbe“. Die gelehrten Untersuchungen über die Herkunft der Amerikaner betrachtet er mit ironischer Überlegenheit; „on ne devait pas étre plus surpris de trouver en Amerique des hommes que des mouches“?). Natürlich interessierte sich VOLTAIRE nicht im geringsten für die naturwissenschaftliche Seite der Frage; auch versuchte er nicht, seine Ansicht wissenschaftlich zu beweisen. Sein Standpunkt in dieser Frage kann mit seiner Stellung im Streit über die Ver- steinerungen verglichen werden. Er wolite diese nicht als Zeugen einer Wasserbedeckung anerkennen, weil man sie dann als eine Stütze des Sintflutdogmas anführen könnte; in der Rassenfrage verfocht er eine Ansicht, die als eine direkte Widerlegung der Kirchenlehre erscheinen mußte. Hierzu kam noch ein weiterer Umstand, der ihn in dieser Haltung bestärken mußte: seine Ver- achtung für die Naturvölker, seine tiefe Abneigung gegen die rousseauschen Ideen®). Man versteht, daß es ihm eine besondere Genugtuung bereiten mußte, allen „sauvages“, diesen „animaux a deux pieds, marchant sur les mains dans le besoin“, jede Bluts- verwandtschaft mit uns abzusprechen‘). 1) In welcher Ausdehnung seine Ansicht unter den Enzyklopädisten und ihren Anhängern durchdrang, weiß ich nicht. DipeRoT scheint eine einheitliche Abstam- mung angenommen zu haben (siehe die Encyclopédie, art. Humaine espece, von DIDEROT eingeführt). ?) VOLTAIRE, La philosophie de l’histoire, 1765 (Essaisurles moeurs et esprit des nations, Disc. prélim., 1769), Abteilungen Des différentes races d’hommes, De l’Amérique. — Questions sur l'Encyclopédie, 1770—72 (und Dictionnaire philosophique, 1764), art. Homme, besonders art. Amérique. Vgl. auch Histoire de Russie sous Pierre I, 1759, ch. 1. 3) Rousseau äußerte sich, soweit ich sehe, nie direkt über die Rassenfrage; daß er alle Menschen von einer einheitlichen Urbevölkerung herleitete, ist ja fast selbstverständlich und geht aus mehreren Stellen seiner Schriften deutlich hervor (Discours sur l'inégalité; Essai sur l’origine des langues). 4) Natürlich kann ich nicht im einzelnen nachzuweisen versuchen, daß tatsäch- lich beide oben genannten Umstände auf die Ansicht VoLTAIREs eingewirkt haben. Ich erlaube mir nur ein charakteristisches Zitat: ,,Ce qui peut servir d’excuse a ce Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 289 Die neue Philosophie wirkte auch auf Gedankenrichtungen ein, die den Kontakt mit dem kirchlichen Glauben behielten; polygenetische Ideen konnten daher auch in solchen Kreisen Auf- nahme finden. Einen großen Eindruck, obgleich auch viel Wider- spruch, erweckten die Auseinandersetzungen des schottischen Ästhetikers Lorp Kames!). Er suchte gegen Burron zu erweisen, daß die Menschenrassen, ganz wie die Tierarten, verschiedenen Klimaten angepaßt seien; jede Rasse sei „originally placed in its proper climate“ — eine Ansicht die ja deutlich Acassız’ Ideen vorgreift. Er suchte jedoch diese Ansicht mit der religiösen Offenbarung durch eine ähnliche Annahme, wie früher PELLOUTIER (siehe oben S. 287), zu vereinigen; die Rassenunterschiede würden erst aus der Zeit der Sprachverwirrung und Völkerzerstreuung stammen („to harden them for their new habitations, it was neces- sary that they should be divided into different kinds, fitted for different climates“). Es war ja dies im Grunde nur eine weitere Ausbildung der orthodoxen Lehre, die den Sprachenunterschieden diesen Ursprung gab?). Andere, wie der Amerikaner B. Romans, glaubten an eine selbständige Schöpfung der Rassen?). Auch einige deutsche Aufklärungstheologen und Historiker — v. IRwING, CRÜGER, GATTERER — vertraten in den achtziger Jahren polygene- tische Ansichten, teilweise in präadamitischer Fassung 4) — Der bekannte deutsche Geologe FÜcHsEL suchte zu erweisen, daß es ebensoviele Schöpfungspunkte wie ursprünglich getrennte Sprachen gebe?). È système [die Annahme einer Verwandtschaft der Wilden mit uns], c’est qu’il ny a presque point d’ile dans les mers d’Amerique et d’Asie, où l’on n’ait trouvé des jong- leurs, des joueurs de gibecière, des charlatans, des fripons, des imbécilles. C'est probablement ce qui a fait penser que ces animaux étaient de la méme race que nous“ (Quest. s. ’Enc., art. Amérique). 1) Henry Home, Lord Kames, Sketches or the history of man, Vol. I, 1774 (prel. disc.). 2) Noch 1862 entwickelte ein bibelgläubiger Autor, ein gewisser SAGOT, einen ähnlichen Gedankengang (Opinion générale sur l’origine de la nature des races humaines etc., Paris 1862)! Vgl. Vocr, Vorles. üb. d. Mensch. (. unten), II, S. 250. È 3) BERNARD Romans, A Concise Natural History of East and West- Florida, New York 1775. (S. 55: “I think therefore . . ., we do not at all derogate from God’s greatness, nor in any ways dishonor the sacred evidence given us by His servants, when me think that there were as many Adams and Eves... as we find different species of the human genus.”) 4) Siehe ZöckLER, op. cit., II, S. 768—760. °) G. CH. Füchser, EntwurfzurältestenErd-und Menschengeschichte, 290 v. Hofsten, Auch Kant faßte die Rassenunterschiede (in der Hautfarbe) als tiefgehend und erblich auf. Um trotzdem einen einheitlichen Ursprung annehmen zu können, stellte er eine Hypothese auf, die an PeLLouTIERs und Lorp Kames’ Ideen erinnert; die Anlagen zu den vier Rassen fanden sich schon bei dem Urstamm; eine Spaltung wäre „schon in der ältesten Zeit nach dem Bedürfnis des Klima“ eingetreten!). Im Jahre 1775 erschien J. F. corti berühmte Abhand- lung Uber die natürlichen Verschiedenheiten im Men- schengeschlechte?) Man sagt oft, daß diese Schrift den Kampf um die „Einheit des Menschengeschlechts“ einleitete; rich- tiger ist es, zu sagen, daß der Streit dadurch auf ein mehr wissen- schaftliches Gebiet verlegt wurde*); obgleich BLUMENBACH selbst die ursprüngliche Einheit verfocht, gab er den Gegnern Waffen in die Hände. Eine ähnliche Wirkung hatten SÖMMERINGS Unter- suchungen über die anatomischen Unterschiede zwischen Negern und Europäern !). Es dauerte allerdings eine Zeitlang, ehe man allgemeiner die naheliegenden Konsequenzen aus diesen Untersuchungen zog. Die französische Revolution brachte, freilich nur für ganz kurze Zeit, der beginnenden polygenetischen Richtung ein jähes Ende; mit den Grundsätzen der Gleichheit und Brüderlichkeit schien die Annahme einer ursprünglichen Verchiedenheit der Menschen- rassen — die ja der Sklaverei, leicht auch dem Standesunter- schied Berechtigung geben könnte — nicht vereinbar’). nebst Versuch, den Ursprung der Sprache zu finden, 1773. Zitiert nach LvyELL, Princ. af Geol., Vol. I, ch. II. 1) I. Kant, Von en verschiedenen Racen der Menschen, TS = Bestimmung des Begriffes einer Menschenrace, 1785. 2) J. F. BLumEenBAcH, De generis humani varietate nativa, Göttingen 1775 (und mehrfach; deutsche Aufl. 1798). 3) ZIMMERMANNS kurz nachher veröffentlichtes, oben (S. 252 ff.) ausführlich be- sprochenes Werk (Geogr. Gesch. etc., 1778—1783) gehört in der Behandlung des Menschen zur Burronschen Richtung. An einer Stelle (Bd. III, S. 219) spricht er sich eigentümlicherweise ziemlich unverhohlen zugunsten einer polygenetischen Ent- stehung aus, obgleich er sonst stets die einheitliche Abstammung verteidigt. 4) S. TH. VON SOMMERING, Über die körperliche Verschiedenheit des Negers vom Europäer, Frankf. 1785. — SömMmERInG wandte sich sehr bestimmt gegen die Deutung seiner Beobachtungen in polygenetischem Sinne. 5) Daß die Revolutionsideen tatsächlich diese Wirkung hatten, sieht man aus MEINERSs’ unten zitierter Arbeit (Versch. d. Menschennat.); er berichtet (Einl., S. XVIII—XIX), wie man seinen anfänglich günstig aufgenommenen Ansichten von Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 291 Bald änderte sich jedoch die Sachlage — in vielen Fällen wohl nicht ohne Einfluß politischer Stimmungen —, und der Poly- genismus gewann mehrere Anhänger unter den Anthropologen; zu ihnen gesellten sich Biologen, die durch ihre allgemeinen An- schauungen von der lebenden Natur für diese Auffassung prä- disponiert waren. Unter den letzteren habe ich im vorigen (S. 269) Rupozpar genannt. J. J. Virey 4), J. B. M. Bory DE SAINT- VINCENT ?), Pryroux DE LA Corponnifre’) und A. Drsmouuins‘) (der ja auch in der Tiergeographie ähnliche Ansichten äußerte, siehe oben S. 270) vertraten den Polygenismus aus anthropologischen Gründen. Auch die naturwissenschaftlich ungebildeten Kreise waren jetzt, wie es scheint, dieser Auffassung günstiger gestimmt’), In Deutschland hatte die Diskussion einen ganz eigenartigen Charakter. Der seinerzeit sehr bekannte Polyhistor CHRISTOPH MEINERS trat schon seit etwa 1785 eifrig für die prinzipielle Un- gleichheit, später auch für die selbständige Entstehung der Men- schenrassen ein; er war durch naturphilosophische Ideen beein- flußt und stützte sich auch auf die Ergebnisse der Tiergeographie, hauptsächlich jedoch auf andere Wissensgebiete (Anatomie, Ge- schichte, Ethnographie usw.)®). der Ungleichheit der Rassen nach dem Ausbruch der Revolution nur mit Unwillen begegnete; „man hörte nicht mehr, wenn ich bewies, daß die Neger, die Americaner u. s. w. von Natur weit unter den Europäern stünden.“ — Virey (siehe unten) verknüpfte jedoch seine polygenetische Ansicht mit einer ausgesprochen Rousseauschen An- schauungsweise. — Natürlich wurde die polygenetische Spekulation nicht gänzlich unterdrückt. Ein deutscher Theologe Bruns suchte 1795 eine präadamitische Schöpfung in vielen Rassen vor dem Erschaffen des gottbildlichen Adamsgeschlechtes exegetisch zu erweisen (Z6CKLER, op. cit., II, S. 769). 5) Ik de VirEY, Histoire naturelle du genre humain; Paris 18or. 2) J. B. M. Bory DE Sarnt-Vincent, Essai sur les Iles Fortunées, Paris 1804. — Besonders spätere Arbeiten: L’homme; Dict. class. d’hist. nat., T. 8, 1825 (S. 276 ff. 330 ff.) (= L’homme, essai zoologique sur le genre humain, Paris, 3. Aufl. 1836). 3) Peyroux DE LA CoRDonNière, Mémoires sur les sept espèces de lhomme; Paris 1814. 4) A. DesmouLins, Histoire naturelle des races humaines; Paris 1826. 5) Man vergleiche Merners’ oben zitierte Darstellung (S. XIX—XX); seine An- gabe, daß „die besten englischen und französischen Reisebeschreiber“ allgemein von ursprünglich verschiedenen Menschenarten wie von einer unbestrittenen Tatsache redeten, ist zweifellos übertrieben. 9) C. Meers, Untersuchungen über die Verschiedenheiten der Menschennaturen (die verschiedenen Menschenarten), Tübingen 1811 — 1875, (siehe besonders xl. I, Vorrede Sì XII XXI, MS 35-39; dT. Ill, St 7-17 292 v. Hofsten, Ein späterer Vertreter des deutschen Polygenismus im Anfang des 19. Jahrhunderts war der rationalistische Geistliche BALLEN- STEDT, dessen kurioses Buch Die Urwelt mit grossem Interesse aufgenommen wurde!). Er nahm mehrere von der „bildenden Kraft der Natur“ hervorgebrachte Menschenarten an und ver- knüpfte damit auch die Vorstellung von in früheren Perioden lebenden Menschen, dabei bewußt an La PEYRÈRES Ansicht an- knüpfend?). Eine noch wunderlichere Präadamitenhypothese wurde von ©. F. GELPKE ausgesprochen’). Die Ansichten jener Autoren erweckten natürlich, wie man aus ihren eigenen Darstellungen sieht, Widerspruch in verschie- denen Kreisen; MEmERs’ Auffassung wurde nach BALLENSTEDT“) sogar in Romanen lächerlich gemacht. Überhaupt geben die er- wähnten Bücher und die ganze Kontroverse darum herum einen starken Eindruck von dem Spießbürgertum, das die damalige deutsche Wissenschaft beherrschte. In England fanden die polygenetischen Theorien wenig An- klang; auch die Naturforscher waren dort zu stark an den ortho- doxen Glauben gefesselt. Wenn sie durch ihre naturwissenschaft- lichen Anschauungen im Grunde zu solchen Ansichten neigten, entstand ein unbewußter Konflikt. Der oben (S. 279) erwähnte Zoologe Swainson leugnete bestimmt, daß die Rassenunterschiede Wirkungen des Klimas seien, und suchte, wie später AGassiz, die Übereinstimmung zwischen den Wohngebieten der Menschen- rassen und den tiergeographischen Provinzen nachzuweisen. Er löste die Schwierigkeit in derselben Weise wie die ihm zweifel- los nicht bekannten älteren orthodoxen Schriftsteller PELLOUTIER 98—105, 309—326). Siehe auch Metners, Grundriß der Geschichte der Menschheit, 1785, sowie verschiedene Abhandlungen im Götting. hist. Mag., Bd. 1,8, 178792. 1) Nach v. Zrrrez, Gesch. d. Geol. u. Paläont., S. rro. 2) J. G. J. Barzenstepr, Die Urwelt oder Beweise von dem Daseyn und Untergange von mehr als einer Vorwelt, Quedlinb. u. Leipz. 1818 (über die polygenetische Entstehung der heutigen Menschen siehe besonders Abt. 1, S. 232 ff., Abt. 2, V, VI, VII, Abt. 3, II, III). Siehe auch das von B. herausgegebene Arch. f. d. neuest. Entd. a. d. Urwelt, 1819—24. 3) C. F. GeLPKE, Uber das Urvolk oder das Menschengeschlecht vor Adam etc., Braunschweig 1820. Siehe ZöcKLER, op. cit., II, S. 769. — ZécKLER (op. cit., II, S. 762) nennt mit Unrecht Link (Die Urwelt, 1821—22, oben S. 267 besprochen) unter den Vertretern ähnlicher Ansichten. 4) Op. cit. Abt. I, Vorrede, S. X. — = Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 293 und Lord Kames und führte die Rassenunterschiede auf „a super- natural agency“ zurück!). | Auch die Anthropologen konnten einstweilen nur ziemlich unbestimmte und hypothetische Gründe für diese wie jene Auf- fassung anführen. Die polygenetische Theorie erhielt indessen bald eine sachlichere Begründung, zunächst in Amerika durch S. G. Morton?) und seine Schule, und zählte von etwa 1840 an während etwa 20 Jahren zahlreiche Anhänger). Der Polygenis- mus wurde jetzt eine mit strengem Dogmatismus durchgeführte Doktrin; man nahm viele (Morton 32, Norr und GLIDDON 150) Menschenarten an; man dachte sich die Menschen „in ganzen Völkern geschaffen“ und wollte die Wirkung der äußeren Um- stände fast ganz in Abrede stellen‘). Eine äußerst kräftige Unterstützung erhielt die polygenetische Auffassung, als Louis Acassız in den Streit eingriff. Die allge- meinen biogeographischen Anschauungen dieses Forschers werde ich in einem besonderen Kapitel behandeln. Wenn er seine Ansicht von einer polygenetischen Entstehung der Tierarten auch auf den Menschen übertrug, so geschah es vor allem mit der Begründung, daß die Menschenrassen an ganz bestimmte faunis- tische Gebiete gebunden seien?) (diese Ansicht war, wie ich 1) Op. cit., S. 253— 255, 259, 263, 267. 2) S. G. Morton, Crania americana ... to which is prefixed an Essay on the varieties of the human species, Philad. & Lond. 1839 (auch spätere Arbeiten). 3) Es hätte keinen Zweck, diese und ihre Ansichten hier zu nennen; ich ver- weise auf J. C. Norr & G. R. Grippon, Indegenous Races of the Earth, Philad. & Lond. 1857 (S. 411, 415, 456, 458) — ein für gewisse Seiten des Streites, der viel quasiwissenschaftlichen Staub aufwirbelte, sehr typisches Werk; eine frühere Arbeit von denselben Verfassern (Types of Mankind, 1854) ist mir nicht zugäng- lich. Vgl. auch Tu. Waızz, Anthropologie der Naturvölker, Bd. I, Leipzig 1859, A. DE QUATREFAGES, Unité de l’espèce humaine, Paris 1861 (und Rev. d. deux Mondes, T. 30, 31; 1860, 1861), sowie die oben S. 218 zitierten Arbeiten von Haven (S. 72—105), BancrorT (ch. 1), SHORT (S. 156 ff.) und Winsor. — Auch habe ich keine Ursache, auf die Einwände gegen die polygenetische Theorie einzu- gehen; unter den Gegnern nahm QUATREFAGES (op. cit.; auch L’espéce humaine, 1877) die erste Stelle ein. 4) WAITZ, op. cit. S. 248. °) L. Acassız, The Diversity of Origin of Human Races; Christ. Exam. and Relig. Misc. (Boston), Nr. 160, 1850. — Zoological evidence for the diversity of races; Proc. Amer. Ass. Adv. Sci., 3. meet. (1850), 1851. — Sketch of the natural provinces of the animal world, and their relation to the different types of man, 1854 (in Norr & Giippon, Types of Mankind). | Zool. Annalen VII. 19 294 v. Hofsten, soeben bemerkt habe, früher von Swainson Re worden). Der Einfluß biologischer Ideen bei der ee und. Ent- wicklung des anthropologischen Polygenismus ist also deutlich. Ich glaube jedoch, daß gleichzeitig diese Lehre, die Acassiz ja von anderen übernahm, zur Ausbildung seiner biogeographischen Theorien mitwirkte, obgleich die tiefsten Ursachen natürlich in seiner teleologischen Naturauffassung gesucht werden müssen. Der Polygenismus war eine für jene Zeit charakteristische Er- scheinung, die in mehreren Forschungsgebieten Stützen suchte und gleichzeitig auf sie einwirkte; Archäologen, Kulturhistoriker, Philosophen (ScHELLING lehrte einen präadamitischen Polygenis- mus) und vor allem Philologen!) — und natürlich auch Theo- logen — nahmen an dem Streit teil. Auch politische Interessen waren — wie früher besonders nach der französischen Revolution — stark im Spiel. Im Sklavenstreit war die Rassenfrage eine Parteisache?); namentlich der amerikanische Polygenismus war ausgeprägt negerfeindlich und hatte das offenbare Ziel, die Skla- verei zu rechtfertigen. - Um den Charakter der polygenetischen Strömungen zu be- leuchten, möchte ich zum Schluß in Erinnerung bringen, daß A. DE GOBINEAUS berühmter Essai sur l’inégalité des races humaines in diese Zeit fällt — dieses jetzt berühmte Werk, das in unseren Tagen eine tiefgehende Wirkung ausgetibt hat (unter seinen Vorgängern hatte besonders der oben erwähnte Corpon- NIERE ähnliche Gesichtspunkte entwickelt). GoBINEAU stützt seine Theorie von der ewigen Ungleichheit der Rassen unter anderem auch auf anatomische Tatsachen, ist aber auf ganz anderen Wegen dazu gelangt; von den polygenetischen Ideen in der Tier- und Pflanzengeographie empfing er keine Anregungen, Übrigens nahm er keinen mehrfachen Ursprung an; er zeigt unverhohlene Sympathien für diese Anschauung; fand sich aber genötigt, einen einheitlichen Ursprung zu fordern. Die Entstehung der unver- tilgbaren Rassenunterschiede erklärt er dann durch eine An- nahme, die durch Cuviers Kataklysmentheorie angeregt wird: 1) Vgl. z. B. A. F. Port, Die Ungleichheit der menschlichenRassen etc., Lemgo 1856; Norr et Grippon, Indig. Races, Ch. 1. — Auch Acassız ge- brauchte philologische Argumente. *) Siehe z. B. A. DE QUATREFAGUES, op. cit., Intr., S. X—XII, und L’espéce humaine (deutsche Ausg. 1878, T. I, S. 37). u OB) = Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 295 sie seien in einer Zeit hervorgebracht worden, da in der Natur gewaltigere Kräfte wirkten als heute, da die Schöpfung, „emue encore par les dernières catastrophes, . . . était soumise sans réserve aux influences horribles de leurs derniers tressaillements“1), Der Gedanke war ja im Grunde nicht neu; GoBINEAU ersetzt nur den göttlichen Eingriff, zu dem einige ältere, ihm wahrscheinlich nicht bekannte Autoren (PELLOUTIER usw.) ihre Zuflucht genommen hatten, durch eine Naturkraft. Sowohl die monogenetische wie die polygenetische Richtung waren in der Mitte des Jahrhunderts auf einen toten Punkt ge- langt; beide kämpften mit unüberwindlichen Schwierigkeiten. Besonders deutlich sieht man dies in Warrz’ oben erwähnter Anthropologie; dieser Forscher bekämpfte eifrig die polygene- tischen Anschauungen und anerkannte keine festen Rassenunter- schiede; als er aber zur Frage nach der Entstehung der Menschen kommt, glaubt er selbst, daß sie von verschiedenen Schöpfungs- mittelpunkten ausgegangen sind’). Wir wissen ja jetzt, daß die Frage unrichtig gestellt war und nicht gelöst werden konnte, ehe der Forschung frische Kräfte zugeführt wurden; dies geschah zunächst durch Darwin, dann durch die modernen Erblichkeitslehren. Unbefangene Geister ahnten dies schon zu jener Zeit. Der englische Anatom RoBERT Kwox vertrat mit strenger Konsequenz die unbedingte Ungleich- heit der Rassen — seine Ansichten („race is everything“; „the war of race against race“) sind vielfach mit denen GOoBINEAUS verwandt und klingen bisweilen. ganz modern — und doch glaubte er, durch die vordarwinsche Entwicklungsphilosophie beeinflußt, an die gemeinsame Abstammung dieser Rassen?). Eine Bewertung der beiden Richtungen wäre hier nicht am Platz. Beide hatten ja im Grunde recht, beide unrecht. Wer ihre historische Berechtigung beurteilen will, darf nicht ver- gessen, daß die Polygenisten gewissermaßen nur die Lehre von der Konstanz der Arten folgerichtig auf den Menschen anwandten. 1) A. DE Gopineau, Essai sur l’inégalité des races humaines, Paris 1853-55 (T. I, ch. XI, besonders S. 197—199, 226-—236). 2) Op. cit., S. 227 —220. 3) R. Knox, The Races of Men, London 1850 (über die gemeinsame Ab- stammung der Menschen siehe S. 444). i 19* 296 v. Hofsten, Nach dem Durchbruch der Deszendenzlehre wurde der Poly- genismus meist als endgültig widerlegt angesehen), obgleich auch einige der eifrigsten Darwinisten zugaben, daß die Rassen sich vielleicht selbständig aus dem gemeinsamen, sprachlosen Urstamm entwickelt hätten?). In gewisser Beziehung war der Polygenismus natürlich für immer überwunden; niemand dachte mehr an „mehrere Adams“, an selbständige Schöpfungen der Rassen. Doch stand ja noch die Möglichkeit offen, eine poly- genetische Entwicklung anzunehmen. Dieser Weg wurde in der Tat früh betreten. C. Vocr, der schon früher?) ein eifriger Polygenist war, stellte bereits 1863 die — ziemlich oberfläch- lich begründete — Hypothese auf, die Menschenrassen seien von verschiedenen Affen entsprungen®); ich nenne ihn hier, weil er teilweise direkt von dem früheren Polygenismus abhängig ist (in seinem Glauben an die Konstanz der Rassen usw.) Solche Theorien gewannen keine größere Verbreitung. In der letzten Zeit jedoch sind polygenetische Anschauungen aufs neue hervorgetreten. KL4arscx leitet die Menschenrassen ab von Zweigen der „Propithecanthropi“, „deren jeder sowohl Menschen- rassen als auch Menschenaffen hat hervorgehen lassen“); auch der Anthropologe SERGI neigt zu einer polygenetischen Auffas- sung®). Ein Hinweis auf diese neuen Ideen dürfte hier berechtigt sein, obgleich sie historisch unabhängig von dem älteren Poly- genismus sind, wie er von PARACELSUS bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts verfolgt werden konnte. Wahrscheinlich ist der Tag nicht sehr fern, wo man diese Ideen, die noch fast den Charakter einer wissenschaftlieher Para- 1) ZòckLER (op. cit., II, S. 773 ff.) leugnet, daß die Darwınsche Theorie den Monogenismus begünstigte. Diese falsche Vorstellung kommt daher, daß er die poly- genetischen Theorien mit der Annahme einer Menschenentstehung in mehr als einem Paare zusammenwirft. — Einige von demselben Autor (S. 775-777) erwähnte theo- logische Phantasien, welche polygenetische und transmutationistische Vorstellungen zu vereinigen suchen, haben hier kein Interesse. ?) E. Harckez, Natürliche Schöpfungsgeschichte, Vortr. 23 (Wander. u. Verbr. d. Menschengeschl.). 3) C. Voer, Köhlerglaube und Wissenschaft, 1855 (3. Aufl, 1855, S. 49—84). 4) C. Voer, Vorlesungen über den Menschen, Gießen 1863 (Bd. II, S. 280— 285). 5) H. Kraarscx, Die Stellung des Menschen im Naturganzen; Die Abstammungslehre, Jena 1911 (besonders S. 479—481). 0) G. SERGI, Europa. L’Origine dei popoli europei etc.; Torino 1908. ce TOOL — Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 297 doxie tragen, in Beziehung zu den neuen, am Ende dieser Arbeit besprochenen biologischen Anschauungen über polytope Artent- stehung und Parallelentwicklung bringen wird; bisher ist, soviel ich weiß, ein solcher Versuch nicht gemacht worden. XV. Louis Agassiz. Louis AGassiz’ biologische Weltanschauung ist in ihren Grund- zügen allgemein bekannt. Die ganze Natur war für ihn die Ver- wirklichung eines göttlichen Planes. In den systematischen Kate- gorien, inden Arten, Gattungen, Familien, Ordnungen usw. erblickte er den Ausdruck von Gottesideen. Auch in der geologischen Geschichte der Organismenwelt, in der Aufeinanderfolge mehrerer Schöpfungen mit jedesmal vollkommeneren Typen, sah er einen solchen Plan‘). Natürlich darf man, wie RApL?) betont, diese An- sichten nicht mit HAEcKEL u.a. als eine Kuriosität, als unwissen- schaftliche Theologie betrachten. Es war eine idealistische, bio- logische Philosophie; sie war konsequent und führte eben deshalb . zu Inkonsequenzen. Die historischen Quellen dieser Naturauf- fassung kann ich hier nicht untersuchen; ich habe nur die allge- meinen Gesichtspunkte andeuten wollen, von welchen aus AGassiz die geographische Verbreitung betrachtete. AGassiz betrachtet die Verbreitung als eine Eigenschaft jeder Art, wie Bau, Lebensfunktionen usw., also als den Ausdruck eines Gedankens des Schöpfers; er leugnet daher die Bedeutung der äußeren Bedingungen, von Wanderungen usw. („living beings are endowed with their power of, locomotion to keep within general bounderies rather than to spread extensively“). Die jetzige Verbreitung jeder Art ist seit ihrer Schöpfung, die Verteilung der Typen über die Erde seit dem Aufkommen des Lebens gleich gewesen, „proving directly how completely the Creative Mind is independent of the influence of a material world“; „if there is any naturalist left who believes that the Fauna of one continent may be derived from another portion of the globe, the study ot Sac 1) L. Acassız, Essay on Classification, London 1859; auch als Ein- leitung zu dem Werk: ,,Contr. to the Nat. Hist. of the U. S.“, 1857). — Schon in älteren Arbeiten findet man dieselben Gedanken; vgl. z. B. Lake Superior, Boston 1850 (,,the whole creation is the expression of a thought, not the product of physical agents‘). 2) Gesch. d. biol. Theor., II, S. 196, 274. Acassız’ Naturauffassung wird S. 42—44 kurz besprochen. — MOI 298 v. Hofsten, these facts, in all their bearings, may undeceive him“. Jede Art ist nicht nur innerhalb ihres jetzigen Wohngebiets entstanden, sondern über die ganze Ausdehnung desselben, und in großer Anzahl, sogar in durchschnittlich derselben Anzahl von Individuen, die sie jetzt aufweist und die eines ihrer angeborenen Merkmale ist. Dabei ist es ja ganz gleichgültig, ob die Area zusammen- hängend oder diskontinuierlich ist. Natürlich hebt Acassız die diskontinuierliche Verbreitung als eine Stütze seiner Auffassung hervor; doch geht er nicht davon aus, sondern erhält mehr nebenbei eine Lösung des Diskontinuitätsproblems!). Agassiz’ Gedanken über die Verbreitung sind sehr bekannt, weil sie in einem so grellen Widerspruch zu den genetischen Vor- stellungen stehen und daher eifrig von Darwin, HAECKEL und anderen Evolutionisten angegriffen wurden; man glaubt deshalb oft, daß sie neu waren. Das waren sie nicht, oder nur zu einem sehr geringen Teil. Zunächst darf man nicht vergessen, daß der Gedanke, der den tiefsten Gegensatz zur DArwinschen Auffassung bildet, die Annahme einer ursprünglichen Verteilung der Arten und syste- matischen Gruppen über die Erde, für die ganze vordarwinsche Zeit bezeichnend war (denn Lamarck und die übrigen älteren Evo- lutionisten suchten keine Beweise für ihre Theorien in der Ver- breitung); nach ZIMMERMANN gingen ja so gut wie alle von dieser Voraussetzung aus, obgleich viele Forscher spätere Wanderungen von den Entstehungsorten aus annahmen. Aber auch die für Acassız charakteristische Lehre, nach welcher die heutige Verbreitung in allen Einzelheiten von Anfang an gegeben sei und übersinnlichen Gesetzen folge, war früher vertreten, obgleich mehr oder weniger deutlich und in verschie- denen Abtönungen. Schon bei TREVIRANUS könnte man Anknüp- fungspunkte finden (vgl. oben S. 265). RupoLPHI (1812) und ScHouw (1816) behaupteten eine vollständige Abhängigkeit von den äußeren Bedingungen, griffen aber sonst direkt der AGassizschen Auffassung 1) Seine Grundgedanken über die Verbreitung sprach Acassiz schon in seinen älteren Arbeiten aus, wenigstens in den Recherches sur les poissons fossiles, T. V, 1843. Ausführlich wird die geographische Verbreitung in folgenden Arbeiten behandelt: Geographical distribution of Animals; Christ. Exam. (Boston), 1850. Lake superior, Boston 1850 (siehe auch Edinb. New Philos. Journ., Vol. 43, 1850). Essay on Classification, 1857 u. 1859 (die wörtlichen Zitate oben nach dieser letzteren Arbeit, S. 153, 199—200). = 102) = Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 299 vor; beide nahmen, wie mehrere spätere Autoren, eine Entstehung der Arten in zahlreichen Individuen und an mehreren Orten an, und besonders der erstere betrachtete die heutige Verbreitung als ur- sprünglich (siehe oben S. 268ff). DesmouLINs (1822) ging weiter und sah die Verbreitung als unabhängig vom Klima an (siehe oben S. 270); von den späteren Autoren äußerte u.a. A. DE CANDOLLE (1835) ähnliche Ansichten (siehe oben S. 277— 278). Adassız’ Auffassung der Verbreitung als eines Ausdrucks des göttlichen Willens war von KreBy (etwa 1820) und Swainson (1834) vorgebildet (siehe oben S. 273, 279). Bei AGAssiz verschmelzen diese Gesichtspunkte zu einer planmäßig durchgeführten und eingehend begründeten Lehre. Es ist ja wahrscheinlich, daß Acassız einige der oben ge- nannten Autoren gelesen hatte und aus ihnen (besonders vielleicht DesmouLıss) die eine oder andere Idee übernommen hat. Doch glaube ich nicht, daß das Wesentliche seiner Ansichten fremden Anregungen entsprungen ist; sie tragen den unverkennbaren Stempel des Persönlichen. Auch wenn alle Einzelheiten anderen entlehnt wären, ist die Gesamtauffassung selbständig; ich denke, daß sie im Grunde dieselbe hätte werden müssen, auch wenn nie- mand vorher etwas Ähnliches gedacht hätte. Agassız’ Auffassung der Verbreitung ist nämlich eine logische Folge seiner Auffassung der ganzen Natur, und zu dieser kam er nicht durch Nachdenken über die Verbreitung allein, sondern über die gesamten Lebenserscheinungen, vor allem den Bau der Tiere und ihre systematischen Beziehungen. Auch diese allgemeine Natur- und Weltanschauung AGassiz’ hat natürlich ihre historischen Voraussetzungen, und zum Teil hat er zweifellos aus denselben Quellen geschöpft wie die Vorläufer seiner biogeographischen Theorien; damit berühre ich jedoch eine andere Frage, auf welche ich nicht eingehen kann. Einen tieferen Einfluß auf die biogeographische Forschung übte Acassız nicht aus. Die Ursache hierzu liegt teilweise schon in der Natur seiner Lehre, die alles weitere Fragen kurz abschnitt. Auch waren die entgegengesetzen Strömungen allzu mächtig. Von Acassız’ ältesten Vorläufern lebte noch ScHouw. Seine Auffassung war seit dem Erscheinen seiner Dissertation 1816 (siehe oben S. 269) unverändert geblieben; wahrscheinlich ohne AGassiz’ Schriften zu kennen — die wichtigsten waren noch nicht erschienen — ver- teidigte er noch 1847 eifrig die Lehre von einer polytopen Ent- 300 v. Hofsten, stehung der Arten; er wandte sich dabei besonders gegen ForBEs’ Erklärungsversuche, die ihm. ganz mißlungen schienen). Von den übrigen Pflanzengeographen kenne ich nur einen, der agassizsche Gesichtspunkte vertrat, nämlich H. LEcoQ; er nahm zwar keine ursprünglich festgestellte Verbreitung, aber eine polytope Ent- stehung der diskontinuierlich verbreiteten Arten an, und wandte sich direkt gegen ForBes?). Wenn er in der Botanik ziemlich vereinzelt dastand, so beruht dies zweifellos in erster Linie auf dem großen Einfluß De CANDOLLES. Es ist nach dem Obigen nicht überraschend, daß Acassız einen größeren Eindruck auf die Zoologen machte, obgleich er auch unter ihnen keinen bedeutenden Nachfolger fand. Drei amerika- nische Zoologen, BinnEy?), Buanp*) und Dawna®), schlossen sich mehr oder weniger unbedingt den Ansichten ihres großen Lands- mannes an und nahmen eine polytope Artentstehung an. In Europa neigten einige Entomologen zu dieser Ansicht. G. KocH erklärte bestimmt, „daß bei dem größten Teil der Faltergattungen ein gleichzeitiges Entstehen derselben Arten, an verschiedenen Orten stattgefunden haben müsse“). An. u. Aug. SPEYER fanden, daß eine Entstehung an mehreren Punkten oft schwer von der Hand zu weisen sei; Erklärungen, die auf frühere Epochen zurück- greifen (die Verfasser besprechen u. a. das Vorkommen von Ge- birgsschmetterlingen im hohen Norden), seien „nur im äußersten Nothfall gestattet“ ?). 1) J. F. ScHouw, Den nerverende Planteverdens Fremkomst; Förh. Skand. Naturf. 5. Mode Köbenh. 1847 (gedr. 1849), S. rr9—-134; engl. Übers. in Journ. of Bot., Vol. 2, 1850. ?) H. Lecog, Etudes sur la géographie botanique de l'Europe etc. Vol. I, 1854 (besonders S. 123—128, vgl. auch S. ro ff.), Vol. IV, 1855 (S. 251 f.), Vol. IX, 1858 (S. 428 ff.). *) Binney, The Terrestrial Air-Breathing Mollusks of the United States, Boston 1851. *) Tu. Branp, Facts and Principles relating to the origin and the Geographical Distribution of Mollusca; Amer. Journ. Sci. Arts (2), Vol. I4, 1852. 5) J. D. Dana, Crustacea, P. II; U.S. Expl. Exp., Vol. 14, 1853. — On the geographical Distribution of Crustacea; Amer. Journ. Sci. Arts (2), Vol. 20, 1855. (Auch apart, New Haven 1854). °) G. Koch, Die geographische Verbreitung der europäischen Schmetterlinge in anderen Welttheilen, Leipzig 1854 (S. 5, 22). 7) Ap. u. Auc. SPEYER, Die geographische Verbreitung der Schmet- terlinge Deutschlands und der Schweiz, I, Leipzig 1858 (S. 94). Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 301 Ein typischer Ausdruck dieser teilweise von Acassız ab- hängigen Richtungen ist L. Scamarpas großes Werk über die Verbreitung der Tiere, das — wie Bronns Schriften, denen es übrigens viel verdankt — in seinem Mangel an entwicklungsge- schichtlichen und sonstigen allgemeinen Gesichtspunkten klar zeigt, wie wenig die Tiergeographie eigentlich seit ZimmERMANNS Tagen fortgeschritten war; Forsrs’ Ideen wirkten dort viel weniger als in der Botanik. ScHMmArDA nahm zwar Veränderungen in der Ver- breitung an, war aber überzeugt, man müsse „bei weit verbrei- teten durch große Länderstrecken getrennten Tieren .. . not- wendig mehrere Schöpfungsmittelpunkte annehmen“). Auch H. G. Brown, der in seinen paläontologischen Werken deutliche Anklänge an eine entwicklungsgeschichtliche Auffassung zeigt (siehe oben S. 282), hatte als Zoologe ähnliche Ansichten (die Annahme einer polytopen Entstehung derselben Art sei „theore- tisch und faktisch“ einwandfrei, oft unerläßlich) ?). Hier kann zuletzt P. L. SCLATER genannt werden. Seine Ein- teilung der Erde in zoologische (ornithologische) Regionen bildete den Ausgangspunkt für alle späteren solchen Versuche und wird bekanntlich zum großen Teil heute noch aufrecht erhalten; er steht ziemlich deutlich auf dem Standpunkt von Acassız, obgleich er fast keine theoretischen Erwägungen bringt; einmal sagt er ausdrücklich, daß jede Art „within and over“ ihrem heutigen Verbreitungsgebiet geschaffen sein müsse?). XVI. Edward Forbes. Epwarp Forges hielt 1845 — in einem Alter von 30 Jahren — einen Vortrag in der „British Association“ über die Verbrei- tung der britischen Pflanzen‘); im folgenden Jahre veröffentlichte er eine ausführlichere Arbeit über die Flora und Fauna der briti- 1) L. Scumarpa, Die geographische Verbreitung der Tiere, Wien 1853 (S. 63 ff... 2) H. G. Bronn, Handbuch der Geschichte der Natur, Stuttgart 1841 — 1849 (Bd. II, 1843, S. 200 ff). — Allgemeine Zoologie; Stuttgart 1850 (S. 168— 170, 310). *) P. L. Scrater, On the general Geographical Distribution of the Members of the Class Aves; Journ. Linn. Soc. London, Zool., Vol. 2, 1858, S. 130—145. 4) E. Forges, On the Distribution of Endemic Plants, more espe- cially those of the British Islands, considered with regard to Geo- logical Changes; Rep. Brit. Ass., meet. 1845, Trans. Sect. S.67—68; London 1846. 302 v. Hofsten, schen Inseln, die einen Wendepunkt in der Geschichte der Bio- geographie bedeutet‘). Entwicklungsgeschichtliche Ideen waren ja früher von nicht wenigen Biologen vorgebracht worden; dabei handelte es sich jedoch teils um zwar sehr wichtige, aber mehr oder weniger allgemein gehaltene Gesichtspunkte, teils um Pro- bleme von ziemlich begrenzter Tragweite. FORBES begründete eine entwicklungsgeschichtliche Richtung der Biogeographie; er suchte die Geschichte der gesamten Flora und Fauna eines Landes zu schreiben. Es ist kein Zufall, daß der erste solche Versuch von England ausging. Die Sonderzüge der britischen Wissenschaft waren früh ausgeprägt; ihre Schattenseite war eine gewisse Abgeschlossen- heit gegen wichtige — obgleich in der Regel nicht die wichtig- sten — fremde Anregungen, ihr Vorzug ein starkes Interesse für die Heimatkunde Die neue Richtung in der Biogeographie konnte nur dadurch entstehen, daß man die großen allgemeinen Probleme beiseite ließ oder gar übersah und die unmittelbare Herkunft der Flora und Fauna eines begrenzten Gebietes ergrün- den wollte. FOoRBES gewann seine Resultate durch selbständiges Nachdenken über Tatsachen, mit denen er gut vertraut war. Sein Verständnis für die Abhängigkeit der Verbreitung von der geo- logischen Geschichte war zweifellos durch das Studium von LyELLs Principles geweckt worden; dieser hatte aber nur ganz allgemeine Ideen geäußert, und Forges Behandlung seines Themas ist durch und durch original. In der ganzen Abhandlung zitiert er nur teils rein geologische, teils — übrigens bloß in geringer Ausdeh- nung — floristische und faunistische Arbeiten; ich bin fast sicher, daß er weder ZIMMERMANN, noch WILLDENOW, noch LINK oder ver- wandte Autoren gelesen hatte, und daß er keine Ahnung davon besaß, daß diese mehr oder weniger ähnliche Gedanken geäußert hatten. 5 Die speziellen Resultate, welche ForBEs auf diese Weise ge- wann, will ich hier nur ganz kurz, größtenteils überhaupt nicht erwähnen. Auch hätte es hier wenig Interesse zu untersuchen, 1) E. Forges, On the Connexion between the Distribution of the existing Fauna and Flora of the British Isles, and the Geological Changes whichhave affected theirarea, especially during theepoch of the Northern Drift; Mem. Geol. Surv. Great Britain, Vol. 1, London 1846. (Siehe auch: Forges, The Infra-littoral Distribution of Marine Inverte- brata etc.; Rep. Brit. Ass., meet. 1850, S. 192 ff. E. FoRBES & R. Gopwin-AUSTEN, The natural History of the European Seas, London 1859.) — 106 — Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 303 inwieweit sie heute noch aufrecht erhalten werden können, noch strittig sind oder sich als falsch erwiesen haben; diese Aufgabe würde übrigens meine Kräfte übersteigen. Die unrichtigen An- sichten sind zum großen Teil Folgen der damaligen quartärgeo- logischen Anschauungen; die Drifttheorie war herrschend, und man nahm also nicht ein Landeis, sondern ein Eismeer an, das den größten Teil von Nord- und Mitteleuropa bedeckt hätte. Forbes geht von der Voraussetzung aus, daß jede Art sich von einem einzigen Ursprungszentrum, wo sie aus einem einzigen Individuum oder einem Paare entstanden ist, verbreitet hat, und zeigt ferner, daß die britische Flora und Fauna wenigstens ganz überwiegend aus anderen Gegenden stammen muß. Er unter- scheidet darin mehrere Elemente, die in verschiedenen Zeiten und auf verschiedenen Wegen eingewandert seien. An der Bedeutung des Klimas für die Verbreitung zweifelt er nicht; das heutige Klima wird jedoch fast gar nicht berücksichtigt, und er sucht, besonders was die Landorganismen betrifft, fast alles in der Ver- breitung durch die Einwanderungsgeschichte zu erklären. Der Gedankengang ist ganz überwiegend geologisch. Dies war zwei- fellos eine Schwäche — aber eine Schwäche mit den reichsten Früchten. Die Behandlung der Landflora und Landfauna berührt in jedem Punkt das Diskontinuitàtsproblem. Forsrs’ Ansichten darin sind sehr präzis: „Ihe specific identity, to any extent, of the flora and fauna of one area with those of another, depends on both areas ... having derived their animal and vegetable popu- lation by transmission, through migration, over continous or clo- sely contiguous land“'). Das britische Gebiet muß seine Pflanzen und Tiere vor der Isolierung, d. h. über verschwundene Landbrücken erhalten haben; das alpine Element sei jedoch durch Treibeis dorthin gelangt. Die Isolierung des „germanischen“ und der südlichen Ele- mente denkt sich ForBEs als durch geographische Veränderungen — Verschwinden der Landverbindungen — zustande gekommen, und sein Gedankengang enthält also hier prinzipiell nichts Neues; in bezug auf das exklusiv südliche Florenelement („Flora I“, die spanischen Pflanzen in Westirland) nähert er sich dem Begriff der klimatisch bewirkten Diskontinuität, denn er nimmt sowohl das Verschwinden einer Landverbindung (zwischen Irland und Spanien, 1) Op. cit., S. 350, ferner 337 u. a. 304 v. Hofsten, die Azoren einschließend) wie eine Klimaverschlechterung (die Eiszeit; die Flora ist nach Forges älter) an. Bei der Besprechung des alpinen Elementes und in noch höherem Grade der nördlichen Meerestiere nimmt er eine rein klimatische Isolierung an — ein in der Biogeographie neues, für die künftige Forschung außerordentlich fruchtbares Prinzip; der Weg zu dieser Auffassung war, wie ich oben (S. 281 ff.) bemerkt habe, durch die Paläontologie gebahnt worden. Gleichzeitig prägte er unvergleichlich bestimmter und mit schärferem Blick für das Wesentliche als irgend ein früherer Forscher einen nicht weniger wichtigen Begriff, den Reliktenbegriif. An den nördlichen britischen Küsten gibt es, sagt Forges, besonders in tiefen Einsenkungen des Meeresbodens isolierte Flecken („patches“) von ausgesprochen nördlichen Tieren, von einer südlicheren Fauna umgeben. Unter den jetzigen Verhält- nissen können sie sich nicht nach diesen isolierten Lokalitäten ausgebreitet haben. Sie sind Reste, Fragmente der glazialen Fauna, welche einst überall an den Küsten lebte; als das Klima wärmer wurde — und der Meeresboden sich hob —, starb diese Fauna größtenteils aus; einige Arten konnten sich aber in den Tiefenhöhlen erhalten. Sie werden als „northern (oder arctic) outliers“ bezeichnet 4), Ich kann nicht untersuchen, inwiefern diese Erklärung so un- erläßlich ist, wie Forges glaubte; wenigstens mehrere der ange- führten Tiere sind wahrscheinlich nicht so vollständig isoliert, wie es damals schien. Dies ist aber in unserem Zusammenhang un- wesentlich; hier interessiert uns mehr der begriffliche Inhalt: iso- lierte Kolonien von Tieren werden als zurückgelassene Relikte einer Fauna betrachtet, die durch eine Klimaverän- derung größtenteils in der Gegend ausgerottet worden ist und heute erst in mehr oder weniger entfernten Gebieten ihre eigent- liche zusammenhängende Verbreitung hat. In derselben Weise werden die alpinen Floren (und Faunen) nicht nur der britischen Inseln sondern von ganz Europa und Asien als Fragmente der glazialen Flora aufgefaßt. Forges dachte dabei nicht an eine zusammenhängende arktisch-alpine Flora des Flachlandes, weil ja dieses durch das Eismeer bedeckt gewesen wäre, und die britische Gebirgsflora hätte nie eine größere Aus- dehnung gehabt als jetzt (weil nur die Gipfel über das Meer ) Op. cit., S. 387—388, 389 —300, 400. — 108 — ag ie, Arie Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 305 hinausgeragt hätten); der Reliktenbegriff war jedoch auch hierbei vorhanden, denn das Ausbreitungsmittel (durch Treibeis) ist ja „not now in action“ (Forses dachte sich auch die Möglichkeit, daß ein verschwundenes Land nördlich der Inseln die Ausbreitung erleichtert hätte). Für die mitteleuropäische (und asiatische) Alpen- flora nahm er ausdrücklich eine glaziale Verbindung mit dem Norden an („over the snowy hills bounding this glacial ocean“)}). Forges betont im Anfang seiner inhaltsreichen Arbeit, daß die heutige Verbreitung von Pflanzen und Tieren in hohem Grade von ,geological causes“ abhängt. Am Schluß wendet er diesen Satz um: „this diffusion in time and space will, wenn traced, furnish us with a new clue to the determination of the configu- ration of land and water, during the epochs when they existed, and also to the extension or limitation of peculiar climatical con- ditions, during each period, and to the causes which replaced them by others“?. Dieser doppelte Gesichtspunkt zeigt, welch tiefen Einblick er in den von ihm bearbeiteten Zweig der Biogeo- graphie besaß; wenn wir heute nach der unmittelbaren Herkunft der Fauna und Flora eines Landes forschen, so sind Ziele und Wege dieselben. Ebenso fest wie von der einheitlichen Abstammung war er von der Konstanz der Arten überzeugt. Deshalb mußte sein Ge- sichtsfeld begrenzt sein: er konnte nur nach der unmittelbaren Herkunft der Arten fragen. Die Verteilung der Arten und Gruppen über die Erde beurteilte er nicht von denselben entwicklungsge- schichtlichen Gesichtspunkten aus, sondern betrachtete sie als etwas von Anfang an Gegebenes. Seine Gedanken hierüber ent- wickelt er in andern Arbeiten. Die faunistischen und floristischen Provinzen sind Gebiete, in welchen die Schöpfungskraft („Creative Power“) sich in einer besonderen Weise betätigt hat; die charak- teristischen Arten, jede von einem Schöpfungsmittelpunkt („specific centre“) ausgegangen, strahlen gleichsam von einem Mittelpunkt aus, wo sie am zahlreichsten sind; eine ganze Provinz wird daher als ein Schöpfungszentrum („centre of creation“) bezeichnet. In einer Provinz kann man kleinere, sekundäre Zentren unterscheiden; Gattungen und andere Gruppen haben ihre Zentren wie die Arten. Dabei handelt es sich jedoch um eine ganz andere Erscheinung; denn die Arten einer Gattung sind nicht von einem Punkt aus- 1) Op. eit., S. 345, 351—352, 389 (399), 400. 2) Op. cit., S. 403. 306 v. Hofsten, gegangen, ihre Verwandtschaft beruht nicht auf einem gemein- samen Ursprung, sondern auf einem übernatürlichen Gesetz!). Sehr charakteristisch ist die scharfe Unterscheidung zwischen identischen Formen und „representative species“. Wenn ver- wandte Arten in getrennten Gegenden vorkommen, denkt FORBES keinen Augenblick an einen vormaligen Zusammenhang, sondern erklärt alles durch die Annahme von mehreren Entstehungs- zentren?). Diesen Standpunkt hatten ja bisher alle Biogeographen eingenommen, wenn auch nicht immer so deutlich ausgesprochen; eingehender wurde er bald nachher von DE CAnDoLLE begründet. XVII. Das Jahrzehnt vor Darwin (J. D. Hooker, A. De Candolle u. a.) In der Tiergeographie fanden Forges Ideen während etwa ı5 Jahren verhältnismäßig wenig Beachtung; wurden sie auch bisweilen aufgenommen), so war doch niemand da, der sie zu weiterer Entwicklung bringen konnte. Es gab jedoch zwei schwe- dische Naturforscher, die schon in dieser Zeit die skandinavische Fauna unter entwicklungsgeschichtlichen Gesichtspunkten betrach- teten; wenn sie auch keine so wichtigen allgemeinen Ideen wie ForBEs entwickelten, so ist ihr Verdienst doch sehr groß, um so größer als sie ihre Resultate zum großen Teil unabhängig von ihm gewannen. Sven Loy£n hielt 1846 (Anfang September) einen Vortrag über die Verbreitung der skandinavischen Meeresmollusken®). Er erwähnt ForBes nirgends und kannte wohl seine in demselben Jahre erschienene Arbeit’) kaum; jedenfalls erhält man den be- 1) The nat. hist of the Eur. Seas, S.7—11. Siehe auch: Woopwarp, Man. of Moll. Ed. 1, S. 350—g51 (Ed. 2, 1868, S. s1—53). — Forges, On the supposed Analogy between the Life of an Individual and the Duration of a Species; Ann. Mag. Nat. Hist. (2), Vol. 10, 1852, S. 59—62; Brief an J. H. BALFoUR in: Batrour, Sketch of Life of the late Professor Edward Forbes; Ibid. (2), Vol. 15, 1855, S. 45 46. 2) Z. B. On the Connex., S. 336, 351, 352. 3) Siehe z. B. S. P. Woopwarp, A manuel of the Mollusca, or Rudi- mentary Treatise on Recent and Fossil Shells, London 1851—56 (P. II, 1858). 4) S. Lovin, Anmärkningar öfver de Skandinaviska Hafs-Mollus- kernas geografiska utbredning; Öfvers. af K. Svenska Vetensk.-Akad. Förh., 3. arg., 1846 (gedruckt 1846). 5) Das Referat von Forges Vortrag im Rep. Brit. Ass. f. 1845 bespricht nur die Landflora. tino) + Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 307 stimmten Eindruck, daß er das Wesentliche seiner Ansichten selbständig gewonnen hat. Er teilt die skandinavische Küste in zwei Regionen ein und unterscheidet unter den Mollusken drei Hauptelemente, arktische „Ureinwohner“, germanische Arten, die verhältnismäßig früh, und Mittelmeerarten, die in einer späteren Periode eingewandert seien. Von besonderem Interesse in diesem Zusammenhang ist eine Bemerkung über die nördlichen Mollusken des Mittelmeers, die als seit der Eiszeit zurückgebliebene Reste einer nordischen Fauna betrachtet werden. Sonst berührt Lovin das Diskontinuitätsproblem nicht. Im folgenden Jahr sprach Sven Nitsson nicht weniger be- merkenswerte Gedanken über die Einwanderung der skandinavi- schen Landsäugetiere aus!) Er erkannte, daß unsere Fauna erst nach der „Diluvial“-Periode eingewandert sein könne, und daß dies auf zwei Wegen geschehen sei, teils vom Süden (die „ger- manische“ Fauna), teils vom Nordosten (die ,sibirische“ Fauna); er wußte, daß die Tiere zu verschiedenen Zeiten eingewandert sein müssen, ohne jedoch sich weiter darüber zu verbreiten. Hier gehen uns vor allem seine Bemerkungen an, daß unsere „germani- schen“ Tiere nunmehr von ihrem mitteleuropäischen Verbreitungs- gebiet abgeschnitten sind, und daß folglich bei ihrer Einwanderung Schweden mit Deutschland zusammenhängen mußte. Auch NıLsson kannte wahrscheinlich ForBEs’ Arbeit nicht; von Lovins Abhand- lung wußte er nichts; die Beobachtungen des letzteren über die arktischen Mollusken der Muschelschalenbänke, die ihm durch persönliche Mitteilung bekannt waren, hatten wohl einen gewissen Einfluß auf die Entwicklung seiner Ansichten. In Norwegen interessierte sich M. Sars seit langem für die Verbreitung der Meerestiere (vgl. oben S. 276); über die Einwan- derung begann er jedoch erst später, hauptsächlich in den sechziger Jahren, nachzudenken. In einer Arbeit von 1853 behandelt er das isolierte Vorkommen von nördlichen Tieren im Mittelmeer und nimmt mit MıLne-EpwArps (siehe oben S. 277) eine frühere direkte Verbindung mit dem Nordmeer an ?). Andere Untersuchungen über die Meeresfauna bieten wenig beachtenswertes. Von Interesse sind Funde einiger für den Atlan- 1) S. Nırsson, Skandinavisk fauna, D.I, Däggdjuren. Uppl. 2, Lund 1847 (Einleitung). 2) M. Sars, Bemerkninger over det Adriatiske Havs Fauna sammen- lignet med Nordhavets; Nyt Mag. f. Naturv., Bd. 7, 1853. — nr > 308 v. Hofsten, tischen und den Stillen Ozean gemeinsamer Molluskenarten und daraus gezogene Schlüsse über einen tertiären Verbindungskanal durch die Landenge von Panama!) — eine später und noch bis in unsere Zeit eifrig erörterte Frage?). Die entwicklungsgeschichtliche Pflanzengeographie machte in den Jahren nach Forses Arbeit und vor Darwins Origin of Species sehr bedeutende Fortschritte; hauptsächlich suchte man dabei auf den von ForBEs'gewiesenen, teils auch auf anderen Wegen vorzudringen. F. Uneer hatte, wie ENGLER?) hervorhebt, ein tiefes Ver- ständnis für die Beziehungen zwischen Verbreitung und Geschichte der Pflanzenwelt; er betonte wiederholt, daß die gegenwärtige Verbreitung „das Resultat vorangegangener Zustände“ ist‘). Er war jedoch vor allem Pflanzenpaläontologe und versuchte im einzelnen nicht, die Verbreitungsverhältnisse durch Anwendung dieses Prinzips zu erklären’). Schon kurz vorher (1850 und 1851) hatten v. ETTINGHAUSEN und UNGER nahe Beziehungen zwischen der jetzigen Flora von Australien und der eozänen von Europa nachzuweisen versucht und damit einen langen Streit einge- leitet). In den vierziger und fünfziger Jahren begannen die auf pflanzen- und tiergeographischer Grundlage fußenden Spekula- tionen über frühere Kontinente im südlichen Stillen Ozean, welche eine so große Rolle in der Biogeographie und Geologie gespielt haben. Es wird bisweilen behauptet’), daß die Hypothese eines früheren pazifischen Kontinentes zunächst von GouLp (in der unten zitierten Arbeit) ausgesprochen worden sei. Der Gedanke ist jedoch älter, auch wenn man von den Spekulationen im 17. und 18. Jahrhundert absieht (CARLI nahm einen pazifischen Kon- 1) J.C. Moore, On some TertiaryBedsinthelslandsofSan Domingo; Quart. Journ. Geol. Soc., Vol. 6, 1850. — P. P. CARPENTER, Report on the pre- sent State of our Knowledge with regard to the Mollusca of the west Coast of North America; Rep. Brit. Assoc. f. 1856 (1857). ?) Vgl. R. F. Scxarrr, Distribution and Origin of Life in America, London 1911, S. 237—242. 3) Die Entwicklung der Pflanzengeographie, S. 196—190. 4) F. Unger, Versuch einer Geschichteder Pflanzenwelt, Wien 1852. °) Uber Uncers allgemeine biologische Anschauungen sowie über seine Rolle in der Diskussion des Atlantisproblems siehe weiter unten, S. 319-320, 324. °) Siehe Enger, Versuch einer Entwicklungsgeschichte der Pflan- zenwelt, II, S. 149 ff. 7) SCHARFF, Op. cit., S. gar. Le Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 309 tinent an, andere hatten schon früher von einer Landverbindung zwischen Amerika und Südasien gesprochen (siehe oben S. 229— 230, 259— 260). Darwin, der seiner Korallenrifftheorie gemäß den zen- tralen Teil des Stillen Ozeans als ein Senkungsgebiet auffaßte, sah in der floristischen Gleichförmigkeit des Gebiets eine Stütze für die Annahme eines früheren „Archipels oder Kontinentes“1). J. D. Hooker war schon 1847 geneigt, eine früher größere Länderausdehnung in der Südsee anzunehmen?). Einige Jahre später führte er diesen Gedanken näher aus und betrachtete die antarktischen Arten und Gattungen als „the vestiges of a flora characterized by the predominance of plants, which are now scattered thorughout the southern islands“; zu diesem Ergebnis kam er besonders durch Berücksichtigung der diskontinuierlich verbreiteten Pflanzen, nachdem er sich sowohl gegen die An- nahme von „unlimited powers of migration“ wie gegen die einer „double creation“ gewandt hatte?). Überhaupt betrachtet HooKER die Verbreitungsverhältnisse unter den von Forbes inaugu- rierten entwicklungsgeschichtlichen Gesichtspunkten; die Ab- hängigkeit von ihm — und von Lyeııs abstrakteren Prinzipien, daneben auch von Darwins soeben erwähnter Arbeit — ist deut- lich und wird auch von Hooker selbst betont. Ungefähr gleichzeitig kam A. Gourp durch Beobachtungen über die Verbreitung der Landschnecken zur Ansicht, daß die Inseln des Pazifischen Ozeans die Gebirgsspitzen eines früheren Landes bilden‘). Wenn Forges ein bewundernswertes Verständnis für die ent- wicklungsgeschichtlichen Prinzipien hatte, so suchte er sie doch nur für ein kleines Gebiet fruchtbar zu machen; Hooker hatte bisher nur gewisse Erscheinungen ins Auge gefaßt. Zu allgemeinerer Geltung wurden die entwicklungsgeschicht- lichen Prinzipien von dem schweizerischen Botaniker ALPHONSE !) Ch. Darwin, Journal of researches into the geology and natural history of the various countries visited by H. M. S. Beagle, 1840, S. 568— 569. ?) J. D. Hooker, Flora antarctica (1844 —1847) (The Botany of the Ant. Voy. Ereb. a. Terr. 1839-43, I) (S. 210— 211, siehe auch S. 368). 3) J. D. Hooker, Flora Novae-Zelandiae, Introductory Essay, 1853 (The Botany of the Ant. Voy. Ereb. a. Terr., II) (besonders Ch. 2, § 4). 4) A. Goutp, Introduction to the Mollusca of the United States; Moll. and shells, Intr., U. S. Expl. Exp., Vol. 12, 1852. (Auch: Remarks on Mol- lusks and Shells; Edinb. New. Phil. Journ., Vol. 56, 1854). Zool. Annalen VII. 20 — 113 — 310 v. Hofsten, DE CANDOLLE gebracht, der in seiner klassischen Geographie botanique raisonnée!) die Verbreitung der ganzen Pflanzenwelt einer tiefgehenden theoretischen Analyse unterwarf. Auch bei ihm gehen die Ideen vielfach auf LyeLL und Forses (und Hooker) zurück; aber sowohl die mit strenger Logik durchgeführte Ge- samtauffassung wie die Deutung mancher Einzelheiten ist ganz original. In der Geschichte des Diskontinuitätsproblems bildet dieses Werk einen der wichtigsten Marksteine; es ist nicht leicht, ihm in der Kürze, die ich hier einhalten muß, gerecht zu werden. ' DE CanpoLLe schenkt der diskontinuierlichen Verbreitung größere Aufmerksamkeit als irgend ein früherer Verfasser; ja, bis in unsere Zeit hat eigentlich niemand die theoretische Be- deutung dieser Tatsachen so eingehend und mit solch logischer Schärfe klargelegt. Schon 20 Jahre vorher (in einer oben S. 277—278 zitierten Arbeit) hatte De CanpoLLE für das zerstreute Verbreitungsgebiet gewisser Pflanzen den Ausdruck disjunktes Areal (,aire dis- jointe“) eingeführt. Jetzt gibt er eine schärfere Definition dieses Begriffes und bezeichnet als disjunkte Arten („especes dis- jointes“) solche Pflanzen, die in getrennten Gebieten leben, zwischen denen ein Transport ausgeschlossen erscheint (wegen der Struktur der Samen oder der Lebensweise der Pflanze oder der großen Entfernung)?). Eine solche Verbreitung muß also auf „des causes anterieures a l’ordre de choses actuel“ zurückgehen, entweder auf die ursprüngliche Verbreitung oder auf Zeiten mit anderen Verbreitungsbedingungen oder Transportmöglichkeiten. Früher hatte DE CanpoLLE (in der soeben erwähnten Arbeit) nur die erstere Möglichkeit und also mit ScHouw eine mehrfache Ent- stehung derselben Art angenommen. Jetzt findet er diese Mög- lichkeit nicht ganz ausgeschlossen), ist aber überzeugt, daß die 1) A. De CanpoLLe, Géographie botanique raisonnée, T. I-II, Paris 1855. ?) T. II, S. 993 (ferner S. 1023, 1116, 1324 u. a.). #) T. II, S. 993, 1006, 1023 u. a. Die Auffassung ist etwas schwankend und nicht immer ganz konsequent, offenbar wegen der sich allmählich zu immer größerer Klar- heit erhebenden entwicklungsgeschichtlichen Ideen; bisweilen wird — obgleich nur für vereinzelte Fälle — die Annahme einer polytopen Entstehung als ,,l’hypothése la plus probable‘ bezeichnet (S. 1023); am Ende des Buches findet man die allgemeine Behauptung, daß „des créations des mêmes espèces à des distances immenses sont improbables“ (S. 1315, vgl. auch S. 1928). Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. aut Ursache im allgemeinen in einem früher verschiedenen Zustand der Erde liegt: die disjunkten Arten hatten früher eine zusammen- hängende Verbreitung — oder es konnte ein Transport zwischen den jetzt ganz getrennten Gegenden stattfinden —; die Isolierung ist die Folge einer geographischen Veränderung (Zerstörung einer Landverbindung usw.) oder eines Klimawechsels „dans le centre de chaque habitation“! Es hätte hier kein Interesse, die be- sprochenen Beispiele zu diskutieren; ich erwähne nur, daß er die diskontinuierliche Verbreitung der Alpenpflanzen in ungefähr derselben Weise wie ForBzs erklärt?). In demselben Sinne deutet De CAnDoLLE sehr viele andere Verbreitungserscheinungen. Immer und immer wieder kommt er darauf zurück, daß die heutigen geographischen und klimatischen Verhältnisse nur eine „sehr sekundäre Rolle spielen“. Die wich- tigsten Züge in der Verbreitung beruhen auf früheren Ursachen; „partout, dans la distribution des êtres organisés, les causes an- terieures dominent les questions touchant l’état actuel“. Geo- graphische und klimatische Veränderungen haben in hohem Grade auf die Verbreitung eingewirkt; die Vegetation eines Gebietes ist „le résultat d’une serie plus ou moins longue d’evenements géologiques et geographiques“?). Die entwicklungsgeschichtlichen Ideen der vordarwinschen Biogeographie wurden von DE CanpoLLe zum Abschluß ge- bracht. Daher tritt auch die Begrenzung des Gesichtskreises schärfer hervor als bei seinen Vorgängern; sein klarer und lo- gischer Geist nötigte ihn, in die Frage nach den tiefsten Ur- sachen der Verbreitungserscheinungen einzudringen. Natürlich erkannte er dabei, daß auch die geographischen und klimatischen Veränderungen keineswegs alles in der Verbreitung erklären; viele Erscheinungen müssen auf die „ursprüngliche“ Verbreitung, deren Gesetze uns unverständlich sind, zurückgeführt werden; es gibt „une influence mystérieuse, inexplicable, celle de la distri- bution premiere des classes, familles, genres, especes, races“. Am Ende der Arbeit spricht Dr CANDOLLE sogar die Ansicht aus, daß „la loi primordiale des faits“ in dieser ursprünglichen Verbreitung gesucht werden müsse und daß die geologischen 1) T. II, S. 993, 1006, 1116, 1123, 1324, 1328—1329. 2) T. U, S. 1018-1019, 1312— 1314. 3) T.I, Intr. S. XII, 5S. 598—599; T. II, S. 802, 1059, 1068, 1149, 1308, 1310 — I3II, 1339—1340. 20% — IIS — 312 v. Hofsten, - und klimatischen Veränderungen nur sekundäre Modifikationen darin bewirkt haben!). DE CANDOLLE sah sehr wohl ein, daß die Annahme~einer Ent- wicklung der Pflanzenwelt eine ganz andere Deutung der Ver- breitungsverhältnisse ermöglichen würde. Er war jedoch ein entschiedener Gegner von solchen Theorien und fand auch in der Verbreitung der Pflanzen Gründe dagegen. Sehr charakteristisch ist seine Auffassung von disjunkten Gattungen und höheren sy- stematischen Gruppen. Diese Erscheinung ist von ganz anderer Natur und hat andere Ursachen als die Diskontinuität der Arten. Bisweilen, bei nahe verwandten Rassen (nicht „echten“ Arten), ist eine gemeinsame Herkunft nicht ausgeschlossen; in anderen Fällen können, wie bei den disjunkten Arten, geographische Ver- änderungen eine einheitliche Vegetation zerstückelt haben; im allgemeinen zeigt jedoch eine solche Analogie zwischen verschie- denen Vegetationen nur, „que la cause quelconque de la formation des genres a agi dans différentes contrées d’une manière semblable“ ?). Der Gedankengang ist, wie man sieht, derselbe wie bei Forbes. De CAnpoLLes Werk machte einen großen Eindruck auf die einsichtigeren Botaniker der Zeit (die Zoologen kannten es da- gegen kaum). Asa Gray schenkte den disjunkten Arten große Aufmerksamkeit; er war noch unbedingter als DE CANDOLLE da- von überzeugt, daß die Erklärung stets in historischen Vorgängen gesucht werden miisse’). Von großer Bedeutung waren seine Erörterungen über die verwandten, viele gemeinsame Arten auf- weisenden Floren in Ostasien und im nordöstlichen Teil von Nordamerika; er betrachtete diese Floren als Abkömmlinge einer einheitlichen tertiären Flora, welche während der Eiszeit süd- warts gedrängt worden sei, wobei sie nur im Osten von Nord- amerika und von Asien, nicht aber im dazwischenliegenden Gebiet günstige Existenzbedingungen fand*) — eine Hypothese, deren Grundgedanke heute noch gültig ist. 1) T. I, Intr. S. XI, S. 598—599; T. II, S. 1129, 1144, 1149, 1308, 1311, 1334, 1336, 1338, 1339, 1340. 2) T. II, S. 1094—1095, 1098, 1128, 1130, 1297, 1326, 1333—1338. 3) Asa Gray, Statistics of the Flora of the Northern United States; Amer. Journ. Sci. and Arts (2), Vol. (22, 1856 und) 23, 1857, S. 381 ff. *) Asa Gray, Diagnostic Characters of New Species of Phaenoga- mous Plants, collected inJapan... With Observations upon the Rela- tions of the Japanese Flora to that of North America; Mem. Amer. Acad. Arts and Sci. (N. S.), Vol. 6, P. 2, 1859 (Boston). — 116 — a. ee wre. Fr ee PE ee nen se Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 313 Ein Autor, der zwar keine wichtigeren Beiträge zur FoRBES- De Caxpozreschen Richtung lieferte, aber doch Beachtung ver- dient, ist der schwedische Botaniker N. J. ANDERSSON; in seiner Arbeit über die Vegetation der Galapagosinseln!) spricht er sich nämlich — 6 Jahre vor Darwın — für die Deutung dieser Flora im Sinne der Deszendenztheorie aus. Darwin hatte den ameri- kanischen Charakter der Pflanzen und Tiere hervorgehoben, aber noch keine Erklärung gegeben?); Hooker hatte diese Erschei- nung und die Korrespondenz zwischen den Arten der verschie- denen Inseln als ein Mysterium bezeichnet, „which it is my object to portray, but not to explain“®). AmnpERsson betrachtete die Verwandtschaft der endemischen Pflanzen mit amerikanischen Arten als einen Beweis für die Annahme, daß die ersteren vom Festland gekommen seien und sich dann verändert hätten; einige hätten sich mehr, andere weniger von der Stammform entfernt (vorsichtig fügt er kurz nach dem Wort „Beweis“ „möglicher- weise“ hinzu). Über einige in dieser Zeit wirksame Nachfolger von Acassız habe ich schon oben (S. 299—301) berichtet. Um die Mitte des ıg. Jahrhunderts standen also zwei Auf- fassungen einander gegenüber: die FoRBES-DE CAnpoLLESche und die Acassızsche. Beide setzten als tiefste Ursache der Verbrei- tungserscheinungen eine ursprüngliche, nach übersinnlichen oder wenigstens unerklärlichen Gesetzen erfolgte Verteilung der Or- ganismen voraus; die erstere Richtung nahm spätere Verände- rungen an und sah also in der jetzigen Verbreitung das Resultat einer Entwicklung; Acassız betrachtete alle Verbreitungserschei- nungen als von Anfang an gegeben. Ich habe wiederholentlich betont, daß diese beiden Anschauungen weit zurückreichen; auch habe ich (oben S. 270—271) die Meinung ausgesprochen, daß der von Acassız Vorläufern eingenommene Standpunkt eine gewisse historische Berechtigung hatte. Wie fällt ein Vergleich der beiden Richtungen aus, wie sie sich nach konsequenter Durchführung ihrer Prinzipien in der Mitte des 19. Jahrhunderts gestalteten ? 1) N. J. Anpersson, Om Galapagos-öarnas Vegetation; K. Svenska Vetensk. Akad. Handl. f. 1853, Stockh. 1855 (besonders S. 107—114). Deutsche Ubers.: Linnea, Bd. 31, 1862, S. 571— 631. ?) Journ. of research., 1840, S. 474. 3) J. D. Hooker, On the Vegetation of the Galapagos Archipelago; Trans. Linn. Soc., Vol. 20, P. 1, 1856, S. 250. 314 v. Hofsten, Für die Beantwortung dieser Frage kommt natürlich nur die historische Wahrheit der Ideen in Betracht, nicht ihr späteres Schicksal. Die Acassızsche Anschauung hatte den Vorzug einer uner- schütterlichen Folgerichtigkeit; sie beantwortete ein- für allemal alle Fragen. Für ein streng logisches Denken war sie die Kon- sequenz der Schöpfungslehre; wenn alle Glieder der organischen Stufenfolge selbständig entstanden sind, verwandte Formen bis- weilen nebeneinander, bisweilen in verschiedenen Gegenden, warum sollte dann nicht auch jede Art in großen Mengen und an verschiedenen Stellen geschaffen worden sein? Die entwicklungsgeschichtliche Auffassung dieser Zeit ent- hielt einen inneren Widerspruch; sie erklärte gewisse Einzelheiten in der Verbreitung als Resultate einer Entwicklung, schlug dann plötzlich um und führte die wesentlichsten Züge in der Verteilung der Organismen auf einen ursprünglichen, von übersinnlichen Prinzipien bedingten Zustand zurück; sie konnte nicht klarlegen, warum nicht ebensogut alles der Ausdruck dieser geheimnis- vollen Gesetze sei. Die Vertreter dieser Richtung sahen diesen Widerspruch nicht oder nur undeutlich. Doch erkannten sie, daß der Aus- gangspunkt, die Annahme der Schöpfungszentren, im Grunde eine mystische Erklärung sei. ForBes stand ja, so lange es sich um die Arten und ihre Herkunft handelte, im schroffsten Gegensatz zu Agassiz; in seiner Auffassung von der Verbreitung der sys- tematischen Gruppen kam er ihm aber, wie schon das oben ge- gebene Referat seiner Gedanken zeigt, im Grunde recht nahe; ja, er sah die systematischen Kategorien als göttliche Ideen an und erklärte daraus auch ihre Verbreitung: „A genus is an ab- straction, a divine idea. The very fact of the centralisation of groups of allied species, z. e. of genera, in space and time,, is sufficient proof of this“1). DE CANDOLLE nannte die ursprüngliche Verbreitung ausdrücklich „mysterieuse“ (siehe oben S. 311). Auch Lyerr, der in seinen Principles die Verbreitungsgesetze sehr ra- tionalistisch darstellte (vgl. oben S. 275), zog dieselbe Konsequenz; er äußerte 1850 bei Besprechung der Theorie der Schöpfungs- zentren: „But the limitation of peculiar generic types to certain geographical areas now observed in so many parts of the globe points to some other and higher law governing the creation of 1) Brief an Balfour; Ann. Mag. Nat. Hist. (2), Vol. 15, 1855, S. 46. — 18 — Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 285 species itself, which in the present state of science is inscrutable to us, and may perhaps remain a mystery for ever“1). Und doch — die Acassızsche Lehre war eine folgerichtige Entwicklung nicht einer naturwissenschaftlichen Hypothese, son- dern einer apriorischen Annahme, aus der auf deduktivem Wege alles hergeleitet werden konnte. Sie ließ keine weiteren Hypo- thesen, keine Entwicklung der Ideen zu; sie bedeutet daher, wie Link den verwandten Theorien seiner Zeit entgegenhielt (vgl. oben S. 268), ein aller Naturforschung feindliches Prinzip?). FORBES, DE CaAnpoLLE und ihre Vorgänger gingen von der Natur aus und suchten, so weit es ihnen möglich schien, die Erscheinungen aus Naturgesetzen zu erklären. Trotz ihrer Inkonsequenz brachten sie die Forschung mächtig vorwärts; sowohl die wahren wie die unrichtigen Hypothesen eröffneten der künftigen Biogeographie weite Perspektiven. Ein gewissermaßen vermittelnder Standpunkt wurde von A. GRISEBACH vertreten, dessen Ruhm als Führer der Pflanzen- geographie schon in dieser Zeit begründet wurde. Im Prinzip stand er den entwicklungsgeschichtlichen Anschauungen nahe. Er verurteilte die Ansicht derjenigen scharf, welche die Pflanzen als ein unmittelbares Erzeugnis ihrer heutigen Wohnplätze be- trachteten und die Wanderungen leugneten, und nahm eine be- schränkte Anzahl von Schöpfungszentren (= Schöpfungsgebieten) an, von welchen sich die Arten ausgebreitet haben?) Er griff aber Forges’ entwicklungsgeschichtliche Versuche heftig an und wandte sich auch gegen Hooker, weil dieser „den ForBesschen Hypothesen . . . Einfluß verstattet hat“. Die Kritik von Forges’ Methode ist teilweise ganz berechtigt; dieser hatte ja den großen Fehler gemacht, die Abhängigkeit der Verbreitung vom heutigen 1) CH. Lyert, A second Visit to the United States, Ed. 2, London 1850, Vol. I, S. 304. 2) Unter den Zeitgenossen Acassiz’ sah besonders Asa Gray dies ein; er betont (Diagnost. charact., 1859, S. 445), daß die Acassızsche Hypothese ‚would remove the whole question out of the field of inductive science“. Er fragt ferner, wie die ursprüngliche Verbreitung von den Klimaschwankungen hätte unberührt bleiben können; dieser Einwand ist ja ganz berechtigt, trifft aber das Zentrale in der Hypothese nicht. . 3) A. GrIiseBAcA, Bericht über die Leistungen in der Pflanzengeo- graphie während des Jahres 1845; Arch. f. Naturg., ı2. Jhrg., Bd. 1, 1846 (S. 318—322). — Über die Vegetationslinien des nordwestlichen Deutschlands; Göttinger Stud. 1847, 1. Abt. (besonders S. 555— 562). 316 v. Hofsten, Klima fast ganz zu übersehen. GriskBAcH wendet sich aber nicht nur dagegen und gegen die übertriebene Konstruktion von Land- verbindungen, sondern verrät eine deutliche Abneigung gegen die entwicklungsgeschichtliche Methode; Änderungen der Küsten- konfiguration haben nur „in sehr beschränktem Umfange und an engbegrenzten Örtlichkeiten“ stattgefunden; die „aktuellen Natur- krafte“ reichen vollkommen aus, um die Einwanderungen der Flora z. B. nach den britischen Inseln zu erklären!). Wenn die Vertreter der entwicklungsgeschichtlichen Biogeo- graphie auch nicht einsahen, daß ihre Anschauung zu einem un- lösbaren Widerspruch führen mußte, so dürften sie es doch geahnt haben — wie man dies bisweilen tatsächlich aus ihren Worten herausfühlen kann. RICHARD OWEN gestand geradezu den Widerspruch. Eine Ansprache, die er 1858 an die britische Gelehrtenversammlung hielt ?), gibt ein gutes Bild von dem eigen- tümlichen, zerrissenen Zustand der Biogeographie am Vorabend des Darwinismus. Er erklärt zunächst, daß die Lehre von einem einzigen Ursprungszentrum jeder Art eine notwendige Voraus- setzung der Biogeographie sei; ferner betont er, daß die Ver- breitung durch geologische und klimatische Veränderungen beeinflußt worden sei. Eben aus diesem Grund findet er, daß die Lehre von den Schöpfungsgebieten auf unsicherem Boden ruhe; „this analysis of the real meaning of the phrase ‘distinct creation‘ has led me to suggest whether, in aiming to define the primary zoological provinces of the globe, we may not be treaching upon a province of knowledge beyond our present ca- pacities“. Und nach einer Erklärung, „that by the word ‘creation‘ the zoologist means ‘a process he knows not what‘,“ erwähnt er zustimmend Darwins und WALLACEs soeben erschienene, vorläufige Entwürfe ihrer Selektionshypothesen (später griff er bekanntlich diese Lehre heftig an). Die Rede macht einen fast beängstigenden Eindruck. 1) Op. cit. und Bericht über die Leistungen in der system. und geogr. Botanik während des Jahres 1853; Arch. f. Naturg., 21. Jhrg., Bd. 2, 1855 (S. 360). Später verwarf GRISEBAcCH ausdrücklich ,,die Meinung derjenigen, die die alpine Vegetation als die Überbleibsel einer Kälteperiode ... betrachtet haben“ (Der gegenwärtige Standpunkt der Geographie der Pflanzen; Geogr. Jahrb., Bd. 1, 1866, S. 373—402). -?) R. Owen, Adress; Rep. Brit. Ass. Adv. Sci., 28. meet. 1858, London 1859, S. LXXIX—XCIII. cai 2O = Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. an Nicht bloß in den Jahren zwischen Forges und Darwins Origin of Species, sondern schon seit dem Anfang des Jahr- hunderts rang die Biogeographie mit der Bewältigung zweier Arten von Diskontinuitätsproblemen: die diskontinuierliche Ver- breitung von Arten und von Verwandtschaftskreisen. Die erstere Erscheinung wurde, wie aus den letzten Abschnitten meiner Dar- stellung hervorgeht, während der ganzen Zeit auf zwei verschie- dene Prinzipien zurückgeführt; die entwicklungsgeschichtliche Richtung nahm einen gemeinsamen, die entgegengesetzte einen mehrfachen Ursprung an. Die diskontinuierliche Verbreitung von Gattungen war ein komplizierteres, erst nach einer völligen Ver- änderung der biologischen Grundanschauung lösbares Problem. Schon Burron hatte diese Frage gestreift; obgleich er ihre Tragweite nicht erkannte und wenig konsequent war, beant- wortete er sie in einigen Fällen sogar im Sinne der Evo- lutionstheorie (siehe oben S. 242). Die beiden ForsrER (siehe oben S. 249) und dann WILLDEnow deuteten wohl zuerst die Antwort an, mit welcher man sich während mehr als einem halben Jahr- hundert begnügen mußte; warum, fragt der letztere, „sollte auch nicht die Natur unter verschiedener Breite und Länge Arten geformt haben, die sich sehr ähnlich sind“!)? Als später zwei entgegengesetzte Strömungen immer deutlicher in der Biogeo- graphie hervortraten, wurden die „repräsentativen“ oder „ana- logen“ Arten, wie man sie damals nannte (ScHouw sprach schon von „species vicariae“), in fast jeder tier- und pflanzengeogra- phischen Darstellung besprochen. Für die Gegner der entwick- lungsgeschichtlichen Ideen, ob sie nun der in Acassız gipfelnden Anschauung huldigten oder nur an den Einfluß des Klimas dachten, war die Existenz solcher Formen nicht ratselhaft. Man sprach von einem „Gesetz der Stellvertretung“ („law of represen- tation“); vielfach wurde sogar die Stellvertretung als eine allge- meine Regel aufgefaßt; Férussac, MEYEn, Hınps — ich nenne nur einige Beispiele, die mir gerade einfallen — sagten aus- drücklich, daß unter ähnlichen Bedingungen stets ähnliche Lebe- wesen entstehen (vgl. oben S. 270, 278, 280). Diese Erscheinung paßte so gut zur allgemeinen Auffassung dieser Richtung, daß man beinahe den doch schon von Burron festgestellten Unterschied zwischen den Bewohnern der großen geographischen Gebiete vergaß. Aber auch die entwicklungsgeschichtliche Richtung deutete 1) Kräuterkunde, 3. Aufl., S. 504. Zi ea 318 v. Hofsten, die vikariierenden Formen nach demselben Prinzip; auch ForBes und De Canpozre erklärten die Korrespondenz aus einer sich unter ähnlichen Bedingungen in ähnlicher Weise äußernden Schöpfungskraft. Hierin zeigt sich, wie ich wiederholt bemerkt habe, der Widerspruch in ihrer Auffassung besonders klar. Ein Fall von Stellvertretung, der in den fünfziger und sech- ziger Jahren lebhaft erörtert wurde und schon vor Darwin zu einem Bruch mit der orthodoxen Erklärung dieser Erscheinungen führte, wird im folgenden Kapitel besprochen. XVIII. „Die miozäne Atlantis“. Forges!) glaubte an die Existenz eines miozanen Festlandes, das sich von Europa (und Afrika) bis westlich von den Azoren er- streckt hätte und von welchem die atlantischen Inseln Trümmer seien?) De Canporrm) schloß sich dieser Auffassung an. Die um dieselbe Zeit angestellten Untersuchungen über die europäische Tertiärflora brachten neue Stützen für diese Auffassung; man glaubte sogar Beweise für die Existenz einer tertiären Landverbin- dung zwischen Europa und Amerika zu finden. Diese Theorie, die HEER-Ungersche Atlantistheorie, war hauptsächlich auf paläon- tologische Tatsachen gegründet — sie betrifft die Diskontinuitat zwischen einer heutigen und einer fossilen Flora — muß aber wegen ihrer Bedeutung in der Geschichte der Pflanzengeographie und weil sie ja die Wiederbelebung einer in der ältesten Ge- schichte des Diskontinuitätsproblems grundlegenden Hypothese war, hier kurz besprochen werden. Der Begründer der Theorie?) war OswaLp HEER; er ent- 1) On the connex. etc. (1846), S. 348—349, Pl. 7; vgl. oben S. 303— 304. 2) Nach Heer (Ub. d. foss. Pflanz. v. St. Jorge, S. 15, 21; siehe unten) hatte kurz vorher ein gewisser d’ALBUQUERQUE in einer Madeirenser Zeitung (Flor d’Oceano 1840) die Ansicht ausgesprochen, daß die atlantischen Inseln Überreste eines großen Festlandes seien. 3) Géogr. bot. rais. (1855), $ 1318. 4) Ganz neu war der Gedanke nicht, obgleich erst Herr ihn in der Form einer wissenschaftlich begründeten Theorie vortrug. H. G. Bronn äußerte schon 1850 (Allgemeine Zoologie, S. 178—179), daß man wegen der von GERMAR und GöPPERT festgestellten Verwandtschaft der tertiären Insekten und Pflanzen von Europa mit amerikanischen Arten ‚auf einen ehemaligen Zusammenhang zwischen diesen jetzt durch den Ozean getrennten Weltteilen schließen darf‘. Ob diese — von HEER nicht erwähnte — Folgerung von Bronn selbst gezogen oder einem anderen Forscher entnommen wurde, kann ich nicht entscheiden. GöPPERT betonte seit 1845 wieder- holt die Ähnlichkeit zwischen der Braunkohlenflora und der amerikanischen Flora; in Tee — Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 319 wickelte und verteidigte sie mit großer Begeisterung in mehreren Arbeiten!). HEER geht von der Tatsache aus, daß die miozäne Flora Europas sehr große Übereinstimmung mit der heutigen amerikanischen Flora (im Süden der Vereinigten Staaten) zeigt; er erblickt darin einen Beweis für die Annahme, daß Europa und Nordamerika in der miozänen Zeit verbunden waren. Da ferner die Flora und Fauna der atlantischen Inseln teils der heutigen amerikanischen, teils der tertiären europäischen Lebewelt ähnelt, nimmt HEER an, daß in der miozänen Zeit ein großes Festland, eine „Atlantis“, sich zwischen Mitteleuropa und Nordamerika er- streckte, im Norden bis Island, im Süden — in einzelnen Aus- läufern — bis zu den atlantischen Inseln reichend ”). HEER nannte diesen Kontinent eine „Atlantis“, fand es aber zunächst selbstverständlich, „daß diese Atlantis mit der Platoni- schen nichts gemein hat“? F. UnGER, der schon vorher den amerikanischen Charakter der europäischen Braunkohlenflora her- vorgehoben hatte‘), begeisterte sich für Hrers Hypothese und den mir bekannten Arbeiten zieht er jedoch nirgends andere Schlüsse als über das Klima. [GòPPERT u. BERENDT, Der Bernstein etc., in BEREnDT, Die im Bern- stein befindlichen organischen Überreste der Vorwelt, Bd.I, 1845; — Gorpert, Flora der Braunkohlen-Formation; Übers. d. Arb. d. Schles. Ges. 1847, Breslau 1848 (S. 76); Botan. Zeit. 6, 1848 (Kol. 165); Arch. f. Min., Geogn. etc., Bd. 32, 1850 (S. 457); — Monographie der fossilen Coniferen; Naturh. Verh. Holl. Maatsch. Wetensch. Haarlem 2e verz., 6e Deel, Leiden 1850 (S. 251); — Über die Braunkohlenflora des nordöstlichen Deutschlands; Zeitschr. Deutsch. Geol. Ges., Bd. 4, 1852 (S. 485, 496).] H. v. MEYER äußerte 1845 (Fos- sile Säugetiere, Vögel und Reptilien von Oeningen (Zur Fauna der Vorwelt, I): die tertiären Geschöpfe von Oeningen ‚erinnern mehr an das jetzige Japan und Nordamerika . . ., ohne daß sich ein Grund hiezu angeben ließe.‘ 1) ©. Heer, Uber die fossilen Pflanzen von St. Jorge in Madeira; Denkschr. Schweiz. Naturf. Ges., Bd. 15, 1857, Sonderabdr. 1855; — Lettre aA. De Candolle sur l’origine probable des êtres organisés actuels des îles Acores, Madère et Canaries; Bibl. univ. de Genève, Arch. d. sci. phys. et nat. T. 31, 1856, S. 327— 331; engl. Übers. in Ann. and Mag. Nat. Hist. (2), Vol. 18, 1856, S. 183—185; — Flora tertiaria Helvetiae, Bd. III, Winterthur 1859 (§ 6 [durch Druckfehler 8 angegeben], 7); — Das Klima und die Vegetationsver- hältnisse des Tertiärlandes, Ibid. 1860 (aus dem vorigen Werke); — Recher- ches sur le climat et la végétation du pays tertiaire, Ibid. 1861 (Über- setzung und neue Auflage der vorigen Arbeit); — Die Urwelt der Schweiz, Zürich 1865 (S. 584— 585). 2) Siehe die Karte in der Flora tert. Helv. und den Recherches, Tab. I, Fig. 9. 3) Flor. tert. Helv., III, S. 344, Fußnote. 4) Vers. ein. Gesch. d. Pflanzenw. (1852), S. 278. 320 v. Hofsten, neigte sehr bestimmt zu der Auffassung, daß das verschwundene Festland die Atlantis des Timaios und des Kritias sei!) Auch CH. GAUDIN sprach ungefähr gleichzeitig, wie es scheint ohne den Aufsatz UnGErs zu kennen, diese Ansicht aus?); später wurde sie auch von HEER angenommen?). Hierdurch erhielt die „botanische Atlantistheorie“ ein fast sensationelles, die Phantasie von Gelehrten und Laien erregendes Gepräge. Die Atlantislegende war ja früher von großer Bedeutung in der ältesten Biogeographie; in den drei vorhergehenden Jahrhun- derten hatten spekulative Köpfe die Einwanderung von Tieren und Menschen nach Amerika über die versunkene Atlantis ge- schehen lassen. Diese Hypothesen hatten jetzt ihre Rolle größten- teils ausgespielt, ja, man schien sich ihrer nicht einmal mehr zu erinnern; die neue biologische Atlantistheorie stand in keinem direkten Anschluß an die älteren Versuche, sondern knüpfte direkt an die Atlantissage an“. Die Hrersche Atlantistheorie war aber in erster Linie eine rein naturwissenschaftliche, auf sicheren. Tatsachen begründete Hypothese; durch ihre reichen Gesichts- punkte wirkte sie unbedingt fördernd auf die Forschung, auch wenn die Beweisführung keineswegs so bindend war, wie es sich ihre Vertreter vorstellten. Kurz nachher wurden in der marinen Paläozoologie Tatsachen entdeckt, die in dieselbe Richtung deuteten. M. Duncan?) und 1) F. Unger, Die versunkene Insel Atlantis, Wien 1860 (zwei Vorträge, I). 2) Cu. GAupin (et C. Strozzi), Contributionsälaflore fossile italienne, 4 me mém.; N. Denkschr. allg. schweiz. Ges. Naturw., Bd. 17, 1860 (28. März datiert). 3) Recherches, S. 214, Fußnote 4. 4) Schon kurz vorher hatte Anpers Rerzıus (Blick öfver fördelningen af hufvudskälsformerna etc.; Förh. Skand. Naturf. 7. Möde Christ. 1856 [gedr. 1857], S. 94—96; franz. Übers. in Bibl. univ. de Genève, Arch. sci. phys. et nat., 1860, S. 264—266) anthropologische Griinde fiir die Existenz der Platonischen Atlantis zwischen Amerika und der Alten Welt vorgebracht. Auch die alten Versuche, in der Tradition der amerikanischen Völker und in anderen historischen Quellen Beweise für eine solche Auffassung zu finden, waren nicht ausgestorben; ein Abbe BRASSEUR DE BOURBOURG veröffentlichte in den sechziger Jahren gelehrte Abhandlungen hierüber (siehe SHort, The North Amer. of Ant. [oben S. 218 zitiert], S. 142-143). — Diese Bestrebungen waren ganz unabhängig von den biologischen Atlantis-Hypothesen; es ist aber ganz interessant, daß die alten Versuche, die Einwanderung von Tieren und Menschen nach Amerika mit Hilfe der Atlantislegende zu erklären, jetzt gleichzeitig in der Biologie und in den historischen und anthropologischen Wissenschaften aufge- nommen wurden. 5) M. Duncan, On the Fossil Corals of the West Indian Islands; Quart. Journ. Geol. Soc., Vol. 19, 1863, S. 406—458. Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 321 L. Guppy‘) (sowie einige andere Autoren, die keine allgemeinen Schlüsse zogen) zeigten, daß die miozäne Meeresfauna (besonders Korallen und Mollusken) der westindischen Inseln nahe mit der europäischen Miozänfauna und mit jetztlebenden Arten der Mittel- meerregion verwandt ist, und schlossen hieraus auf eine miozäne Verbindung zwischen diesen Gebieten. Sie dachten dabei jedoch nicht an einen großen Kontinent oder eine notwendig kontinuier- liche Verbindung, sondern eher an eine Kette von Inseln (nach Guppy die Reste einer prätertiären Atlantis). Diese Auseinander- setzungen machten weniger Aufsehen als die Hrersche Theorie, waren aber in Wirklichkeit ebenso beachtenswert; sie enthalten unverkennbare Wahrheiten und knüpfen direkt an moderne An- schauungen an (vgl. unten) ?). Die Heersche Atlantistheorie wurde nicht allgemein ange- nommen. Schon die Zeitgenossen sahen vielfach ein, daß die Tatsachen sich in anderer und einfacherer Weise erklären ließen. Asa Gray) gab, ohne die Atlantistheorie zu kennen oder wenig- stens zu erwähnen und ohne die tertiäre Flora näher zu berück- sichtigen, eine andere Erklärung: der Austausch zwischen Nord- amerika und nicht nur Asien (vgl. oben S. 312), sondern auch Europa sei über Asien vorsichgegangen. Diese Ansicht war ja nicht neu, sondern schon von BUFFON, ZIMMERMANN usw. ausge- sprochen worden, obgleich damals auf ganz allgemeine Tatsachen gestützt. Dann hatte Darwin‘) auf Grund der lebenden und fossilen Tiere denselben Schluß gezogen; später — gleichzeitig mit Asa Grays Arbeit — entwickelte er diese Ansicht weiter?) 1) R. J. L.Gurey, On the Relations ofthe Tertiary Formations of the West Indies; Quart. Journ. Geol. Soc., Vol. 22. 1866, S. 570 ff; — Notes on West Indian Geology withremarks onthe existence of an Atlantis; Geol. Mag., Vol. 4, 1867. S. 496 ff. 2) Auch die heutige Flora und Fauna der atlantischen Inseln wurden als Stützen der Atlantistheorie angeführt, teils von HEER, teils von anderen, die teilweise jedoch zu dem Ergebnis kamen, die Atlantis sei eine große Insel mitten im Ozean gewesen (M. J. R. Bourcurenat, Malacologie de l’Algérie, Paris 1864). A. Murray, (The geographical Distribution of Mammals, London 1866, ch. IV) schloß sich nach eingehenden, teilweise etwas unklaren Auseinandersetzungen der Atlantis- hypothese an, doch vorwiegend auf Grund der heute fir Europa und Nordamerika gemeinsamen Tiere (und Pflanzen). 3) Diagn. Charact. (1859) (oben S. 312 zitiert), S. 442, 449. 4) Ch. Darwin, Journal of researches into the Geology and Natural History, London 1840, S. 151. °) Nach Lyerr (Elem. of Geol., 1865, S. 270) hätte DARWIN eine direkte 322 v. Hofsten, und hob besonders hervor, daß die Annahme einer einheitlichen zirkumpolaren Fauna in dem meist zusammenhängenden Lande von Westeuropa durch Sibirien bis Ostamerika während der warmen Tertiärzeit eine Erklärung gibt für die „sonderbare Tat- sache, daß die Naturerzeugnisse Europas und Nordamerikas wäh- rend der letzten Abschnitte der Tertiärzeit näher miteinander verwandt waren, als sie es in der gegenwärtigen Zeit sind“). Die Darwin-Graysche Theorie enthielt so unwiderlegliche Wahrheiten, daß sie großen Eindruck auf die kritischeren Forscher der Zeit machte. Sie wurde von verschiedenen Seiten verteidigt, z. B. von OLiver?) und LyYeLL#); die Atlantistheorie kam allmäh- lich ganz in Verruf und gilt heute noch meist als eine große wissenschaftliche Chimare. Und doch — es ist sehr wahrschein- lich, daß sie, wie die meisten großen Gedanken, nicht nur historisch bedeutungsvoll war, sondern auch einen Kern von Wahrheit ent- hielt. Hrrrs gewaltige Atlantis hat zweifellos nie existiert; viele Tiergeographen sind aber heute der Ansicht, daß in der Tertiär- zeit (nach der gewöhnlichen Ansicht wenigstens hauptsächlich vor der miozänen Periode) eine schmälere Landbrücke Südeuropa mit Nord- und Zentralamerika (Antillenregion, möglicherweise von dort eine Landbrücke nordwärts) verband). Auch Geologen teilen diese Ansicht’). pliozäne Landverbindung zwischen Amerika und Europa angenommen. Diese später von anderen Autoren aufgenommene Angabe beruht auf einem völligen Mißverständnis von Darwins Ansichten. 1) Origin of Species, 1859, ch. XI (Ed. 1, S. 369 ff.). ?) OLiver, The Atlantis Hypothesis in its botanical aspect; Natur. Hist. Review 1862. 3) Elements of Geology, 6. ed., 1865, S. 265—272. *) Siehe R. F. Scuarrr, Distribution and Origin of Life in America, IQII, S. 271—294. Früher hat SCHARFF eine etwas andere Ansicht entwickelt; vgl. seine Abhandlung Some Remarks on the Atlantis Problem (Proc. R. Irish. Acad., Vol. 24, 1903), die, wie die spätere Arbeit, zahlreiche Literaturnachweise ent- hält. — L. Germain (Sur l’Atlantide; C.R. Acad. sci. Paris, T. 153, 1911, S. 1035 — 1037) zieht sogar aus der Verbreitung lebender und fossiler Mollusken den Schluß, daß die atlantischen Inseln Trümmer eines großen, noch am Ende der Tertiärzeit existierenden Kontinentes seien, der westlich bis an die Antillen reichte und östlich mit Nordafrika und der Pyrenäischen Halbinsel verbunden war. 5) Vgl. aus der etwas älteren Literatur, z. B. E. Suess, Das Antlitz der Erde, I, 1885, S. 365 ff.; G. Neumayr, Erdgeschichte, 1887, I, S. 544, 547. Aus der neueren Literatur verweise ich auf E. Hauc, Traité de Géologie (2 me part.; S. 1553, 1558 ff.; Karte Fig. 431) und besonders P. TeRMIER, L’Atlantide (Bull. Inst. Océan. Monaco, Nr. 256, 1913), der zu derselben Auffassung neigt wie — 126 — Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. B28 Die Atlantistheorie war auf Tatsachen aufgebaut, die fiir die damals herrschende biologische Richtung die ihnen zugeschriebene Bedeutung nicht hatten. Die zwei Floren, in deren Ahnlichkeit man den Beweis einer früheren Verbindung sah, bestanden nicht aus identischen, nur aus mehr oder weniger nahe verwandten Arten. Die leitenden Biogeographen, Forses, DE CANDOLLE usw. hatten ja bestimmt die Ansicht verfochten, daß das Vorkommen solcher Arten keinen Zusammenhang erweise oder zu erweisen brauche (vgl. oben S. 306, 312, 317—318). Wenn man aus der Verwandtschaft der europäischen Miozänflora und der amerika- nischen Flora irgendwelche Schlüsse auf eine frühere Verbindung — über eine Atlantis oder über Asien — ziehen wollte, mußte man also diese Ansicht verlassen und einen genetischen Zu- sammenhang zwischen deutlich getrennten Arten annehmen. Ein solcher Zusammenhang zwischen den tertiären (wenigstens gewissen solchen) und den jetztlebenden Organismen wurde auch von HE&ER schon vor Darwin angenommen; die „homologen Arten“ seien Abkömmlinge der tertiären Verwandten (über die Herkunft der weniger nahe mit den tertiären verwandten, „analogen“, Arten äußert er sich unbestimmter)!). HEER wurde später Evolutionist?) (obgleich ein entschiedener Gegner von Darwin, vgl. unten); man sieht in seinen Arbeiten deutlich, wie eben die Tatsachen, die ihm die Atlantistheorie eingaben, mächtig zu dieser Entwicklung beitrugen. Asa Gray äußerte sich sehr vorsichtig über diese Fragen („whether or not susceptible of scientific explanation“); in einer Fußnote erklärt er sich jedoch, nach dem Erscheinen von Darwins und Warraces vorläufigen Mitteilungen 1858, geneigt, anzunehmen, daß nahe verwandte Arten oft einen gemeinsamen Ursprung haben?). UNGER war schon mehrere Jahre vorher zu einer klar evo- GERMAIN, (siehe oben). — GERMAIN und TERMIER suchen sogar zu zeigen, daß das von ihnen angenommene Festland (oder dessen ,,dernier grand debris‘‘) mit Platons Atlantis identisch sein muß. Diese Versuche haben gewiß ein historisches Interesse — die Sachlage ist ja diesselbe wie vor 50 Jahren, als ebenfalls wichtige naturwissen- schaftliche Entdeckungen sofort zu diesem Schluß führten —, sie entbehren aber, wie mir scheint, jeder wissenschaftlichen Begründung; die poetische Form, in welcher der berühmte Geologe seine Ansicht kleidet, vermag ihre sachliche Schwäche nicht zu verdecken. 1) Flora tert. Helv., III (1859), S. 256, 346 ff.; Recherches, S. 55—58, 216. ?) Die Urwelt der Schweiz (1865), Schlußkapitel. 8) Diagn. Charact. (1859), S. 443. 324 v. Hofsten, lutionistischen Anschauung gelangt; er glaubte an einen genetischen Zusammenhang zwischen den Organismen, an eine aus inneren Gründen erfolgte Entwicklung’). Man hat oft — nicht ohne Verwunderung — hervorgehoben, daß die meisten Palaontologen sich der Darwınschen Theorie gegen- über ganz ablehnend verhielten. Mehrere, u. a. Herr, waren, wie RApL?) bemerkt, eigentlich nur der Zuchtwahllehre feind, deren Kultus des Zufalls ihre wissenschaftlichen und ethischen Über- zeugungen beleidigte; viele bekämpften aber auch den Entwick- lungsgedanken selbst. Die Atlantistheorie ist nun auch deshalb von Interesse, weil sie zeigt, daß gleichzeitig — und sogar vor Darwin — andere Ideen sich in der Paläontologie regten. Und auch bei denselben Forschern kämpften entgegengesetzte Anschauungen um die Herr- schaft. Man sah einerseits, wie die paläontologischen Tatsachen immer entschiedener auf einen genetischen Zusammenhang der Organismen deuteten; andererseits führten die Einflüsse der CuvieR- schen Lehren und der ganzen idealistischen Naturauffassung, sowie eigene Beobachtungen über die zeitliche Konstanz der Arten zu ganz anderen Auffassungen. In den Werken von UnGER und HEER tritt dieser innere Zwiespalt deutlich hervor). XIX. Wallace 1855. Alle Welt weiß, daß Darwin und WALLACE 1858 gleichzeitig die Grundzüge der Zuchtwahllehre vorlegten. Auch ist bekannt, daß Darwin damals seit mehr als 20 Jahren über den Ursprung der Arten nachgedacht hatte und daß die Verbreitungserschei- 1) Vers. ein. Gesch. d. Pflanzenw. (1852), besonders $ 89. UNGER war sogar überzeugt, „daß man zuletzt wohl gar auf eine Urpflanze, ja noch mehr auf eine Zelle gelangt, die allem vegetabilischen Sein zum Grunde liegt‘ (S. 340). 2) Gesch. d. biol. Theor., II, S. 362—363. 3) Es ist interessant, wie Uncrers Auffassung sich allmählich veränderte. In den vierziger Jahren hatte er eine gewisse historische Auffassung von den Vegetationsver- haltnissen, dachte sich aber, wie so viele Biologen jener Zeit, die Entwicklung als eine solche der Ideen; er lehrte, daß die Pflanzenwelt einer jeden geologischen Periode durch „Urzeugung nach der Idee des sich stets vervollkommnenden Pflanzenorganismus‘ entstanden sei (ENDLICHER u. UNGER, Grundzüge der Botanik, 1843, S. 460 ff.; Uncer, Chloris protogaea, 1847, S. VI). 1852 (op. cit.) hatte er sich zum Glauben an die Entwicklung der Organismen durchgearbeitet, behielt aber manche an die frühere Auffassung anknüpfende Anschauungen. — Auch HEErs Sympathien gingen in ver- schiedenen Richtungen (vgl. Recherches, S. 56—37; Die Urwelt, Schlußkapitel). — 128 — Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 325 nungen ihm von Anfang an den Gedanken an eine Entwicklung eingaben !), obgleich er — in seiner Reisebeschreibung — nur dunkle Andeutungen hierüber gab. Weniger denkt man daran, daß A. R. WALLACE schon 1855 eine Evolutionstheorie veröffentlichte?). Da er sich in erster Linie auf tiergeographische Tatsachen beruft, hat diese Theorie hier ein großes Interesse. Zunächst muß ich die Frage besprechen, ob sie sicher als eine Deszendenztheorie bezeichnet werden kann. WALLACE formuliert das von ihm festgestellte Gesetz folgender- maßen: „Every species has come into existence coincident both in space and time with a pre-existing closely allied species“. Wie dachte er sich nun die „Verbindung“ zwischen den Arten? Er spricht mehrmals ausdrücklich von einer „creation“; die Arten „have been created on the type of pre-existing ones“, „on the plan of the pre-existing ones“ usw. Trotzdem war seine Auf- fassung zweifellos im Grunde evolutionistisch, oder wenigstens stand er einer reinen Abstammungstheorie äußerst nahe. Er ver- gleicht nicht nur das natürliche System und die sukzessive Ent- stehung der Organismen („the natural arrangement of species and the'r successive creation“) mit einem verzweigten Baume — ein solches Gleichnis kam ja auch die Entwicklung der Typen, der Ideen vorstellen — sondern er spricht direkt von ,antitypes“, aus welchen („from which“) neue Arten gebildet wurden („were crea- ted“), von „modified prototypes“ usw. Auch darf man nicht ver- gessen, daß das englische Wort „creation“ nicht notwendig eine Schöpfung bedeuten muß, sondern daß darin auch der allgemeine Begriff einer Bildung, einer Entstehung liegen kann. Doch zeigt natürlich die vage Ausdrucksweise, daß der Entwicklungsgedanke bei WaALLAcE noch im Werden ist. Er steht mit einem Fuß in der idealistischen, mit dem andern in der mechanischen Naturauf- fassung; er merkt selbst nicht, wie er die Grenzlinie überschreitet und den Gedanken an eine Entwicklung der Ideen in die An- nahme einer Entwicklung der Organismen umwandelt?), 1) Vgl. die beiden erst neuerdings veröffentlichten Essays von 1842 und 1844 (Die Fundamente zur Entstehung der Arten, herausg. von F. Darwın, deutsche Übers. 1911). 2) A. R. Watrtace, On the Law which has regulated the Introduc- tion of new Species; Ann. Mag. Nat. Hist. (2), Vol. 16, 1855, S. 184— 196. ®) Die deutsche Übersetzung von Warraces Aufsatz, welche J. P. Lorzy in seinen Vorlesungen über Descendenztheorien (Bd. II, 1908, S. 615— 623) bringt, erweckt den Eindruck, als ob WArrAcE ausdrücklich und konsequent eine Zool. Annalen VII. 21 326 v. Hofsten, WALLACESs Gedanken blieben unbeachtet; auch DARWIN, der sich ja stets bemüht, seinen Verdiensten um die Deszendenztheorie Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, erwähnt in der Übersicht seiner Vorgänger, welche die späteren Auflagen der Origin of species einleitet, diesen Aufsatz von WALLACE nicht. Die Ursache dieses Schicksals ist zwiefach. Die unbestimmte Formulierung des neuen Gesetzes milderte den Unterschied gegenüber den Schöpfungstheorien und war jedenfalls nicht geeignet, große Auf- merksamkeit zu erregen!). Noch verhängnisvoller für die Theorie war der Umstand, daß sie keine Triebkraft der Entwicklung nannte; WALLACE sucht nur zu beweisen, daß eine Entwicklung stattgefunden haben müsse, ohne noch an die Selektion — diese damals erlösende Idee — zu denken. Als er drei Jahre später selbst diesen Gedanken aussprach, trug er selbst dazu bei, seine älteren Gedanken der Vergessenheit zu überweisen. Sie waren jedoch sehr beachtenswert; der Aufsatz bildet in der Tat eine notwendige Vorstufe und Ergänzung zur Mitteilung von 1858 (in welcher jedoch nicht darauf verwiesen wird); die Selektionslehre beruht ja doch auf der Voraussetzung, daß eine Evolution stattgefunden haben müsse. Aus dem Inhalt kann ich nur hervorheben, daß WALLAcE hier als erster die Verbreitung der Organismen als einen Beweis für die Abstammungstheorie an- führt (ich brauche nicht zu wiederholen, daß er den Entwicklungs- gedanken noch ziemlich unklar ausdrückt). Er macht auf eine Reihe von Tatsachen aufmerksam, die nur durch sein Gesetz der Artentstehung zu erklären sind; es ist interessant zu sehen, daß er hier zum großen Teil dieselben Erscheinungen betont wie später. Darwin: die Verwandtschaft zwischen den Bewohnern jedes Ge- bietes, das Vorkommen von analogen Formen in getrennten Gegenden (m. a. W. die diskontinuierliche Verbreitung von Gat-. tungen und Familien), die endemischen Faunen und Floren auf Inseln, besonders die eigentümlichen Verbreitungsverhältnisse auf den Galapagosinseln. DaArwın war ganz selbständig zu ähnlichen Ansichten ge- kommen, obgleich er sie erst vier Jahre später öffentlich aus- Abstammung angenommen hätte. Es beruht dies darauf, daß die englischen Worte durch solche mit viel bestimmterer Bedeutung wiedergegeben werden (,,created on the type of“ und „formed on the plan of pre-existing ones‘ wird durch „aus den Antitypen gebildet‘ übersetzt; an einer Stelle liest man sogar, daß die Arten „in verschiedene Prototypen umgeprägt wurden‘). 1) Man lese Darwin, Orig. of spec., Ed. 1, S. 355. Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 327 sprach. Auch in der Biogeographie ging die Erneuerung ganz von ihm aus; WaLLAces Auseinandersetzungen wurden, wie eben bemerkt, so ziemlich ganz übersehen. Dies war zweifellos ein wenig ungerecht; doch ist trotz der teilweise fast vollständigen Ähnlichkeit in den Gesichtspunkten der Unterschied groß. DARWINS biogeographische Darlegungen waren nicht nur Bestandteile einer wohl durchdachten und durchgeführten Theorie, sondern auch an sich eingehender gestützt und mit einer überzeugenden Kraft vor- getragen, hinter welcher WALLACE weit zurückbleibt. XX. Darwin. Es waren bekanntlich zuerst tiergeographische Tatsachen, welche Darwin zum Nachdenken über den Ursprung der Arten anregten; aus diesem Gebiet geholte Beweise nehmen in seiner Theorie einen wichtigen Platz ein. Man kann in den biogeo- graphischen Kapiteln der Origin of species!) zwei Gruppen von Überlegungen unterscheiden: teils solche der angedeuteten Art, die nur durch die Deszendenztheorie erklärt werden; teils solche, die auch mit der herrschenden Lehre von den Schöpfungszentren vereinbar waren. Darwin machte eine solche Unterscheidung nicht, was bis- - weilen eine gewisse Unklarheit verursacht; er scheint sich nicht ganz klar gemacht zu haben, welche Erscheinungen mehr oder weniger direkte Beweise für die Abstammungslehre bilden und welche nur ebenso gut mit ihr wie mit der Schöpfungslehre vereinbar sind. Zu den von Darwin erörterten Tatsachen der letzteren Gruppe gehört vor allem die diskontinuierliche Verbreitung der Arten. In seiner Deutung solcher Erscheinungen folgt er ganz den von FoRBES vorgezeichneten Richtlinien, obgleich er die etwas unvor- sichtige Weise, womit dieser und seine Nachfolger bisweilen das entwicklungsgeschichtliche Prinzip angewandt hatten, nicht billigt; so erklärt er die Besiedelung der ozeanischen Inseln durch Trans- port unter den gegenwärtigen geographischen Verhältnissen. Be- sonderes Interesse widmet er der Zerstreuung der arktisch-alpinen Flora und Fauna während der Eiszeit; er versucht Forges Theorie auf die ganze Erde auszudehnen, eine Übertreibung, deren Un- richtigkeit erst durch spätere geologische Forschungen aufgewiesen werden konnte. 1) Ch. Darwin, On the Origin of Species, 1859; chapt. X, besonders XI, XII. Ich folge unten der Originalauflage; die wörtlichen Zitate nach der deutschen Übers. 1876 (6. Aufl.), Kap. 12,13. Vgl. auch dieoben erwähnten Essays von 1842 und 1844. 21* 328 v. Hofsten, Aus den allgemeinen Erscheinungen der Tier- und Pflanzen- verbreitung greift Darwın eine Reihe von Tatsachen, die er als mit der Schöpfungstheorie unvereinbar betrachtet. Er weist aut die allgemeinen Gesetze hin, daß die Bewohner eines jeden Ge- bietes „in geheimnisvoller Weise durch Verwandtschaft mitein- ander wie mit den erloschenen Wesen verkettet sind“, daß wieder- um durch natürliche Schranken getrennte Gebiete ganz verschie- dene Floren und Faunen besitzen, und daß der Charakter der Lebewelt sich bei unüberschreitbaren derartigen Hindernissen ganz plötzlich ändert. Wir müssen zugeben, daß diese Erschei- nungen nicht ganz unvereinbar mit der Theorie der Schöpfungs- mittelpunkte waren, obgleich diese freilich nie eine wirkliche Er- klärung geben konnte. Darwin hebt aber auch Tatsachen hervor, die, wie er mit berechtigtem Nachdruck betont, nach der Schöpfungstheorie ganz unerklärlich sind. Diese haben hier ein besonderes Interesse; es handelt sich um Diskontinuitäts- erscheinungen und andere verwandte Besonderheiten in der Ver- breitung. Hierher gehören Darwins berühmte Auseinandersetzungen über die Fauna und Flora der Inseln: auf weit vom Festland ent- fernten Inseln leben nur Organismen, deren Ausbreitung durch . das Meer nicht verhindert wird (dieser Beweis für die Deszen- denztheorie ist ja eine Entwicklung desselben Gedankenganges, durch welchen im 16. Jahrhundert der Jesuit Acosta seine Ansicht über die Wanderungen der Säugetiere über Landverbindungen gestützt hatte! Vgl. oben S. 223); die Bewohner jeder Insel sind stets mit denen des nächsten Festlandes — oder mit anderen Ge- bieten, zu welchen sie früher in Beziehung gestanden hat — mehr oder weniger nahe verwandt, aber meist nicht mit ihnen iden- tisch; endemische Formen einer Inselgruppe sind näher mitein- ander verwandt als mit irgendwelchen anderen; der Grad der Ver- wandtschaft zwischen der Säugetierfauna einer kontinentalen Insel und dem Festland bzw. einer anderen Insel ist von der Länge des Zeitraumes abhängig, während welcher die Trennung bestanden hat. Zu derselben Gruppe von Tatsachen gehören alle Fälle von Verwandtschaft zwischen der Lebewelt weit getrennter Gebiete oder mit anderen Worten Fälle von diskontinuierlich verbreiteten Gattungen (an höhere systematische Gruppen denkt Darwin hier nicht). Darwin bespricht mehrere solche Fälle: die Verwandt- schaft zwischen der heutigen temperierten Lebewelt von Nord- Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie, 329 amerika und der tertiären (sowie auch heutigen) von Europa (über seine Erklärung siehe oben S. 321—322), zwischen der marinen Fauna an der Ost- und Westküste von Nordamerika, zwischen einigen Tieren im Mittelmeer und im Japanischen Meer (früher von MıtLnE Epwarps erörtert, vgl. oben S. 277), zwischen gewissen Gebirgsfloren und Faunen usw. Solche Probleme waren .es, an denen die frühere entwick- lungsgeschichtliche Richtung scheiterte. Sie war Stückwerk; wohl erklärte sie gewisse Einzelheiten in der Verbreitung der Arten, mußte aber die ganze gesetzmäßige Verteilung der Organis- men über die Erde unerklärt und unerklärbar lassen. Daher muß man ja auch, wie ich wiederholt betont habe, fast zugeben, daß die entgegengesetzte Richtung folgerichtiger war, wenn sie alle Verbreitungserscheinungen auf übersinnliche Gesetze zurückführte; Forges und DE CANDOLLE, um nur die spätesten Forscher zu nennen, hatten ja bestimmt erklärt, daß die diskontinuierliche Ver- breitung von Arten und von Gattungen prinzipiell verschiedene Erscheinungen seien. Erst die Abstammungslehre vermochte diesen Widerspruch zu lösen und damit das entwicklungsge- schichtliche Prinzip durchzuführen. Schon DARWIN zog die bio- geographischen Konsequenzen aus seiner Lehre, die eben zu einem nicht geringem Teil aus dem Versuch entstand, die oben be- sprochenen biogeographischen Probleme zu lösen. XXI. Die Jahre nach Darwin. Der Darwinismus drang — in England und Deutschland — verhältnismäßig rasch durch. Die Ursachen waren mehrfach: all- gemeine geistige Strömungen, die bestechende Einfachheit der Zuchtwahllehre, vor allem die Wucht der Tatsachen; nach der Mitte des Jahrhunderts mußte der Entwicklungsgedanke siegen, sobald nur ein befriedigender modus operandi der Natur ersonnen werden konnte. Diese Tatsachen waren ja teilweise biogeographi- scher Natur. Wie gut der Boden für die neue Deutung der Ver- breitungserscheinungen vorbereitet war, habe ich schon früher angedeutet, besonders im Kapitel „Die miozäne Atlantis“; HEER und Unger nahmen ja in ihrer Atlantistheorie einen gemeinsamen Ursprung von diskontinuierlich verbreiteten Gattungen an (einer- seits miozäne, andererseits rezente Arten) (über diese Forscher sowie über Asa Gray siehe Näheres oben S. 323— 324). Es ist also 330 v. Hofsten, natürlich, daß die Erneuerung der Biogeographie rasch erfolgen konnte !). In der Pflanzengeographie trat der Umschwung schon fast gleichzeitig mit dem Erscheinen von Darwixs Werk ein. J. D. Hooker, der früher — freilich nicht ganz bedingungslos — die selbständige Erschaffung der Arten vorausgesetzt hatte (in seinen oben S. 309 besprochenen Arbeiten), bekannte sich in dem einlei- tenden Essai zu seiner Flora von Tasmanien?) zur Abstammungs- lehre; die Änderung in seinen Ansichten war durch Darwins und Wazraces vorläufige Mitteilungen (1858) verursacht; die Origin erschien erst während der Drucklegung von Hooxers Arbeit, der Inhalt war ihm aber gut bekannt. Zum großen Teil ist diese Darstellung Hookers eine weitere Ausführung der früher von ihm entwickelten, durch LyELL und FoRBEs angeregten Gesichtspunkte; so ist er überzeugt, daß die diskontinuierlich verbreiteten Arten „have found their way across the intervening spaces under condi- tions which no longer exist“. Der Umschlag in seinen allgemeinen Anschauungen bekundet sich natürlich darin, daß er jetzt auch die Verteilung der Gruppen, besonders die diskontinuierliche Ver- breitung von verwandten Floren, unter entwicklungsgeschichtlichen Gesichtspunkten betrachtet 3). Die Auseinandersetzungen sind, soweit ich es beurteilen kann, sehr wichtig für die Entwicklung der Pflanzengeographie. Doch läßt sich nicht verhehlen, daß seine Augen der Bedeutung der Biogeographie für die Deszendenz- !) Natürlich wurden in der Kampfzeit nicht alle Biogeographen zur Deszendenz- lehre bekehrt. GRISEBACH, der ja der vordarwinschen entwicklungsgeschichtlichen Pflanzengeographie verständnislos gegenüberstand, verhielt sich noch 1872 ablehnend gegen alle genetischen Deutungen der Verbreitung. Er erklärte die vikariierenden Arten in der altherkömmlichen Weise als Produkte verschiedener Schöpfungszentren (sie zeigen, ‚wie die entferntesten Vegetationszentren zuweilen in ähnlichen, aber doch nicht identischen Erzeugnissen sich gefallen‘); er leugnete die Abstammung der ozea- nischen Inselfloren von den Kontinenten; die ‚nahe Verwandtschaft‘ zwischen den Erzeugnissen der Galapagosinseln und des amerikanischen Festlandes „kann aus dem Gesetz der räumlichen Analogieen . . . abgeleitet werden“ (Die Vegetation der Erde, Bd. I, S. 311, 542). ?) J. D. Hooker, Introductory Essay to the Flora of Tasmania: On the Flora of Australia, its origin, affinities and distribution, 1859 Dezember) (= Flora Tasmaniae, Introd. Ess., 1860 [The Bot. ofthe Ant. Voy. of Erebus and Terror III]). 3) Hookers Outlines of the Distribution of Arctic Plants (Trans. Linn. Soc. London, Vol. 23, 1861) enthält keine solchen Gesichtspunkte und kann daher hier übergangen werden. Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 331 theorie noch nicht ganz erschlossen waren; er betont zwar, daß die diskontinuierliche Verbreitung von Gattungen durch diese Theorie erklärt wird‘), im allgemeinen sucht er jedoch eher zu zeigen, daß die Verbreitungsverhältnisse mit der Abstammungs- theorie vereinbar sind; die Beweise für diese findet er — wie so viele spätere Autoren — in den Variationserscheinungen und im Selektionsprinzip. Hooker war ja ein hervorragender, gedanken- reicher Pflanzengeograph; wenn sein Gesichtsfeld trotzdem be- schränkt war, so erkennt man daran erst recht, wie tief DARWIN in das Wesen der Verbreitungserscheinungen blickte. A. R. Warrace spielte in der Tiergeographie eine ähnliche Rolle wie Hooker in der Pflanzengeographie, und zwar fast gleich- zeitig und unabhängig vonihm. Wenn seine frühere biogeographische Arbeit unbeachtet blieb (siehe oben S. 326), so hatte er einen um so größeren Einfluß durch seinen bekannten Aufsatz über die Tiergeographie des Malaiischen Archipels, der drei Wochen vor dem Erscheinen von Darwins Origin der Linnean Society vor- gelesen und noch in demselben Jahr gedruckt wurde?) WALLACE geht natürlich von der Abstammungshypothese aus; im Gegensatz zu seiner älteren Abhandlung suchte er jedoch hier nicht — noch weniger als Hooker — die Deszendenztheorie durch die Verbrei- tungsverhältnisse zu stützen. Trotzdem ist der kurze, aber inhalt- reiche und mit bewunderungswürdiger Klarheit geschriebene Auf- satz von grundlegender Bedeutung für die Tiergeographie ge- wesen. Entwicklungsgeschichtliche Gesichtspunkte herrschen darin vor. WALLACE bespricht eine Reihe von Verbreitungsphänomenen, vor allem Diskontinuitätserscheinungen, sowohl in den von ihm untersuchten wie in anderen Gegenden, die nur durch geographische Veränderungen erklärt werden können (an Klimaveränderungen denkt er dagegen nicht); er nimmt hier viel durchgreifendere Umgestaltungen dieser Art an als später, als er ja (besonders in seinem Island Life) ein Hauptvertreter der Lehre von der Permanenz der Ozeane und Kontinente wurde. Von früheren 1) , . |. we do often find a group of species represented in many distant places by other groups of allied forms; . . . the theory that existing species have origi- nated in variation . . . will account for such groups of allied species being found at distant spots; as also for these groups being composed of representative species and genera‘ (op. cit., S. XIV). ?) A.R. Wartace, On the Zoological Geography of the Malay Archi- pelago; Journ. Linn. Soc., Zool., Vol. 3, 1859. 332 v. Hofsten, Autoren haben LyeLL und Hooker (durch seine Einleitung zur Flora von Neu-Seeland) — aber, wie es scheint, kaum andere — stark auf WALLACE eingewirkt. Seit dem Durchbruch der Deszendenztheorie hat die genetische Biogeographie zwei verwandte, aber meist deutlich getrennte Ziele verfolgt. Man hat einerseits die Verteilung der natürlichen Ver- wandtschaftskreise untersucht; als Ziel gilt zu ermitteln, wie das heutige Verbreitungsbild durch Zusammenwirken von zwei ge- schichtlich wirksamen Faktoren entstanden ist: erdgeschichtlichen Veränderungen und der phylogenetischen Entwicklung. Anderer- seits hat man die Geschichte der heutigen Arten zu ermitteln ge- sucht; diese Richtung untersucht die Wanderungen der Species, die Veränderungen in ihrer Verbreitung, die Einwanderungsge- schichte einzelner Floren und Faunen usw. Die erstere Richtung konnte ja erst nach der Anerkennung des Entwicklungsprinzips aufkommen; ich habe oben bemerkt, wie, außer DARWIN, schon im Jahr 1859 WALLACE und HookER diesen Weg einschlugen. Eine Schilderung der weiteren Entwick- lung hätte hier keinen Zweck; ich habe nur zeigen wollen, wie diese Richtung mit einem Schlage aufkam, nachdem zahlreiche ältere Forscher mit den Problemen gerungen hatten. Die diskon- tinuierliche Verbreitung von Gattungen und Familien hat eine große Rolle bei der Entwicklung dieses Forschungszweiges ge- spielt!); die brennendsten Streitfragen haben sich eben darum ge- dreht, in welcher Ausdehnung durchgreifende geographische Ver- änderungen zur Erklärung solcher Verhältnisse angenommen werden dürfen. Viele kühne Hypothesen sind erstanden und wieder ver- schwunden; auch die Irrtümer haben jedoch zur Entwicklung der Forschung mächtig mitgewirkt. Unter den älteren Hypothesen dieser Art, welche die diskontinuierliche Verbreitung einer ganzen Tiergruppe zu erklären suchten, ist besonders SCLATERS berüch- tigte ,Lem@ria“Hypothese?) bemerkenswert. — Natürlich sah man nach Darwins Auseinandersetzungen bald ein (LYELL, HAECKEL, WALLACE usw.), daß aus den Verbreitungserscheinungen ein 1) Will man ein Buch nennen, das in seinen Gesichtspunkten vorwiegend auf die Diskontinuitätserscheinungen eingestellt ist, so wäre dies Wazraces Island Life (1880). ?) P. L. Scrarer, The Mammals ot Madagascar; Quart. Journ. Sci. (Lon- don), 1864. Geschichte des Diskontinuitatsproblems in der Biogeographie. 333 äußerst kräftiges Zeugnis fur die Wahrheit der Abstammungs- theorie gewonnen werden konnte. Die zweite Richtung geht von den Arten als von gegebenen Einheiten aus und ist somit eine direkte Fortsetzung der vor- darwinschen entwicklungsgeschichtlichen Biogeographie. Methoden und Ziele blieben und sind heute noch dieselben wie bei FORBES und seinen Vorgängern. Die Deszendenztheorie hatte für diese Forschung hauptsächlich eine indirekte Bedeutung; sie verschaffte ihr eine wirkliche Berechtigung und einen tieferen Sinn. Es liegt ganz außer meiner Absicht, die weitere Entwicklung dieses bei Darwins Hervortreten schon zielbewußten Forschungszweiges zu schildern. Doch muß ich zur Vervollständigung des vorigen einige besonders wichtige Beobachtungen über disjunkte Arten aus den ersten zehn Jahren nach 1859 besprechen, durch welche der Reliktenbegriff weiter ausgebildet wurde. Es waren Untersuchungen über die Verbreitung der alpinen und arktischen Elemente in temperierten Gegenden, die den Ideenkreis erwei- terten. : Forges, nach ihm De CAanDoLLeE und besonders Darwin hatten die Floren und Faunen der Hochgebirge als Bruchstücke der glazialen Flora und Fauna gedeutet, ihre heutige Isolierung als Folge der Klimaveränderung nach der Eiszeit erklärt. Diese Hypothese wurde allgemein anerkannt und allmählich weiter aus- gebaut, obgleich natürlich mehrere Fragen — nach der Heimat der Organismen usw. — lebhafte Auseinandersetzungen hervorriefen; hierauf will ich aber nicht eingehen. Schon Forges hatte eine nahe verwandte Erscheinung beobachtet und in derselben Weise gedeutet, das Vorkommen von kleinen, isolierten Kolonien*nòrd- licher Organismen, von ihm als arktische „outliers“ bezeichnet. Seine Beobachtung galt der Meeresfauna; dieselbe Erscheinung wurde jetzt bald auch in der Landflora und Landfauna festge- stellt, früher jedoch in der von der bisherigen Tiergeographie ganz vernachlässigten Süßwasserfauna. Der vielseitige und tiefblickende schwedische Zoologe SVEN Lov£n machte im Oktober ı860 der schwedischen Akademie der Wissenschaften die bemerkenswerte Mitteilung, daß einige eigent- lich im Meer, und zwar im Eismeer, heimische Crustaceen in ein- zelnen schwedischen Binnenseen (teilweise auch in der Ostsee) leben; es handelte sich um die nunmehr als marin-glaziale oder arktische marine Relikte bezeichneten Tiere. Lovin gab eine — — 137 — 334 v. Hofsten, von allen Einzelheiten abgesehen — ganz richtige Deutung dieser Tiere, er faßte sie als Überbleibsel der ehemaligen Eismeerfauna auf, als vereinzelte Kolonien arktischer Meerestiere, die sich in tiefen Seen dem Leben im Süßwasser hätten anpassen können!). Lovéns Mitteilung wurde der Ausgangspunkt für einen ganzen Zweig der Tiergeographie und physischen Geographie, der aus dem Vorkommen mariner Elemente in Binnenseen den Nachweis einer ehemaligen Verbindung mit dem Meer zu führen gesucht hat; allzu oft hat man dabei die Methode des schwedischen Forschers vergessen, der von geologisch feststehenden Tatsachen ausging ”). Schon PaLLas hatte ja den Meerestieren der asiatischen Seen diesen Ursprung zugeschrieben (1776, siehe oben S. 256); ihm folgten ZIMMERMANN®) und verschiedene Autoren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, von welchen ich oben LyELL erwähnt habe (S. 275); jetzt wurde die Herkunft der *marinen Elemente des Süßwassers bei den Geographen nicht weniger als bei den Zoologen ein äußerst beliebtes Problem. Auch der Begriff der Glazialrelikte wurde ja hierbei von Lovén klar gefaßt (die Bezeichnung Relikt wurde erst später erfunden). Ein Einfluß von Forges grundlegenden Unter- suchungen ist vorhanden; doch darf man nicht vergessen, daß LovEN selbst unabhängig von diesem entwicklungsgeschichtliche Ideen entwickelt hatte (siehe oben S. 306—307); FORBES Auseinander- setzungen über die arktischen „outliers“ werden nicht erwähnt. Schon vor Forses war ein Fall von inselartig mitten in einer südlichen Fauna auftretenden nördlichen Meerestieren bekannt, nämlich die Kolonie von Nephroßs norvegicus im Adriatischen Meer; man hatte an einen früheren, rein geographischen Zusammen- hang gedacht (siehe oben S. 277, 307). Jetzt gewann dieser Fall neues Interesse; J. R. Lorenz war der erste, der diese Kolonie (und einige andere in derselben Gegend vorkommenden Tiere) in Forges’ Sinne als ,outliers“ einer während der Eiszeit weiter nach Süden verbreiteten Fauna deutete‘). | 1) Sven Lov£n, Om nägra i Vettern och Venern funna Crustaceer; Öfvers. afK. Svenska Vetensk.-Akad. Förh., 18. ärg., 1861. Vgl. auch eine ergänzende Mitteilung, ibid. 19. ärg., 1862 (gedr. 1863), sowie Om Östersjön, Förh. vid. de Skand. Naturf. 9. möte 1863 (1865). ?) Vgl. die bekannte Kritik dieser Richtung durch R. Crepner: Die Relikten- seen; Petermanns Mitteil., Erg.-Bd. 19, 1888 (besonders I, s. 4o ff.). 3) Geogr. Gesch., Bd. III (1783), S. 244, Fußnote b. 4) J. R. Lorenz, Physikalische Verhältnisse und Vertheilung der Organismen im Quarnerischen Golfe, Wien 1863 (S. 328—329). == 138 er Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 335 Lov£w bemerkt im Vorübergehen, daß einige vereinzelt in Südschweden angetroffene alpine Pflanzen wahrscheinlich ein Überrest einer ehemaligen Hochgebirgsflora seien!), Dieser Ge- sichtspunkt wurde kurz nachher von einem schwedischen und einem schweizerischen Forscher weiter entwickelt, die unabhängig voneinander zu sehr ähnlichen Resultaten kamen; Lovéxs Aus- einandersetzungen über die Crustaceen haben auf beide eingewirkt, ‘wie es scheint besonders auf den letzteren, der auch auf den Nephrops des Adriatischen Meeres hinweist. F. W. C. ArescHouG gibt in einer wichtigen, auf dem von ForBEs gelegten Grunde aufgeführten Arbeit verschiedene Bei- spiele von nördlichen und alpinen Pflanzen, die ganz isoliert in Südschweden und Mitteleuropa auftreten, als von ihrem eigent- lichen Verbreitungsgebiet weit getrennte Repräsentanten einer arktischen Vegetation; er deutet sie als „Nachzügler“ einer früher vorherrschenden Flora”). Interessant ist der Gedanke, daß einige ebenso isoliert vorkommende südliche Pflanzen und Tiere sich vielleicht als Überreste aus einer Zeit mit wärmerem Klima heraus- stellen würden’). | Außerhalb Skandinaviens fanden die von O. HEER entwickel- ten, sehr ähnlichen Gesichtspunkte mehr Beachtung. Dieser schon früher (S. 279, 318ff.) in anderem Zusammenhang besprochene For- scher zeigte, daß im schweizerischen Flachland weit von den Älpen, wie auch auf den deutschen Gebirgen, isolierte Kolonien von alpinen und arktischen Pflanzen und Tieren vorkommen, die als zurück- gebliebene Reste, als „verlorene Posten“ der Flora und Fauna der „Gletscherzeit“ betrachtet werden müssen ?). 1) Om nàgra ... Crust., S. 312—313. SEE: W. C. ARESCHOUG, Bidrag till den Skandinaviska Vegetationens Historia; Lunds univers. Arsskr. (Acta Univ. Lund.), T. 3 (1866), 1867 (S. 1—11). Der Abschnitt über die „ältere‘‘ Vegetation wurde schon im März 1863 vorgelesen; die oben erwähnten Gedanken sind also älter als die HEERs, obgleich diese früher veröffentlicht wurden. i 3) Op. cit., besonders S. 89. — Extras Fries hatte früher (Växternas fader- nesland; Botaniska utflygter, I, 1843, S. 313—315) einige solche Pflanzen als Reste einer früher reicheren Flora gedeutet. Er läßt die Möglichkeit offen, daß Klima- veränderungen zu Veränderungen in der Vegetation beitragen können (S. 315), findet aber in dem Einfluß der Kultur eine genügende Erklärung für das Aussterben vieler von den „ältesten“ schwedischen Pflanzen (S. 314, 322—323). 4) O. Heer, Eröffnungsrede; Verh. schweiz. Naturf. Ges., 48. Vers. zu Zürich 1864. Französ. Ubers.: Bibl. univ., Arch. sci. phys. et nat., T. 21, déc. 1864; Ann. sci. nat. (5), Bot., T. 3, 1865. Siehe auch Heer, Die Urwelt der Schweiz» 336 v. Hofsten, Diese Beobachtungen und Schlußfolgerungen ergaben den Grund, auf welchem zahlreiche Forscher bis in unsere Tage weiter gebaut haben. Das Studium der Glazialrelikte — um ein später erfundenes Wort zu gebrauchen — und dann der Relikte aus anderen Zeiten (besonders der postglazialen Wärmezeit) ist für die Biogeographie äußerst fruchtbringend gewesen, obgleich freilich mit Begriffen und Tatsachen viel Mißbrauch getrieben worden ist. Auf diese Forschungen kann ich nicht eingehen. Nur sei be- merkt, daß die Untersuchungen über glaziale Relikte durch Narxorsts Entdeckung einer Glazialflora in Schonen i. J. 18701) und spätere ähnliche Funde einen mächtigen Aufschwung ge- nommen hat. Tierfunde, die in dieselbe Richtung weisen, waren schon früher bekannt; erst jetzt jedoch wandeite sich die Grund- lage, auf der alle Theorien von der Zerstreuung der arktisch- alpinen Flora und Fauna während der Eiszeit ruhen, von einer bloßen Hypothese zur unumstößlichen Wahrheit. XXI. Ein modernes Problem: die Frage nach der polytopen Artentstehung. Für die entwicklungsgeschichtliche Biogeographie ist die Ein- heit der Art stets ein Axiom gewesen; vor Darwin nahm man einen einzigen Schöpfungsmittelpunkt an, nachher eine einheitliche und einmalige Entwicklung aus der Stammform. So wurden die diskontinuierlich verbreiteten Arten stets in derselben Weise auf- gefaßt; es galt und gilt zu zeigen, wie sie sich von der ursprüng- lichen Heimat aus haben ausbreiten können. Für die der ent- wicklungsgeschichtlichen Auffassung feindliche Richtung, welche ihren Höhepunkt in der AGassizschen Lehre erreichte, war die Annahme einer polytopen Schöpfung oder spontanen Erzeugung solcher Arten ein Grundpfeiler. Diese Anschauung wurde durch die Deszendenztheorie endgültig überwunden. Die einheitliche, monotope Entstehung der diskontinuierlichen Arten ist trotzdem nicht ganz ohne Widerspruch geblieben; die erwähnte Theorie ist Zürich 1865, S. 537 —-540, 547 —548. — A. Kerner, (Pflanzenleben der Donau- länder, Innsbruck 1863, S. 247—248) hatte schon ein Jahr vorher solche ,,Alpen- pflanzen-Inseln‘ als Reste einer früher zusammenhängenden Vegetation gedeutet, deren Versprengung jedoch nur als eine Folge der Abnahme der Feuchtigkeit aufgefaßt. 1) A. G. NatHorsT, Om nägraarktiska växtlemningarien sötvattens- lera vid Alnarp i Skäne; Lunds Univ. ärsskr. (Acta Univ. Lund.), T. 7 (1870), 1871. Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 337 durch die der polytopen Entwicklung ersetzt worden, nach welcher eine und dieselbe Art an mehreren Stellen aus einer andern hervorgehen kann. In der Botanik ist diese Ansicht verhältnismäßig alt, obgleich sie erst in neuerer Zeit allgemeinere Aufmerksamkeit erweckt hat. Schon 1872 äußerte WETTERHAN die Vermutung, daß das Entwicklungsagens (nach ihm die Selektion) „auf dieselbe Species an verschiedenen Orten in gleicher Weise einwirken könnte“. In den achtziger Jahren wurde derselbe Gedanke von vereinzelten Autoren ausgesprochen und 1885 von Sarorra und Marion ein- gehender begründet. Später ist J. BRIQUET mit großem Eifer für die Theorie eingetreten (die Bezeichnung polytop rührt von ihm her); er stützt sich vor allem auf die Gebirgsflora von Korsika, deren mit den Alpen des Festlandes gemeinsame Arten sich weder jetzt, noch während der Eiszeit von dort sollen ausgebreitet haben können‘), Nachher hat O. E. ScHuLz einen solchen Ursprung für einige Cardamıne- Arten angenommen (teils handelt es sich bloß um äußerst nahe verwandte Arten, teils aber auch um so ähnliche Formen, „daß unsere Geisteskräfte trotz aller Anstren- gungen nicht mehr imstande sind, Unterschiede zwischen ihnen zu entdecken“) ?). In der Zoologie wurde eine ähnliche Ansicht noch früher als in der Botanik ausgesprochen. ANDREW Murray äußerte schon 1866 die Meinung, daß neue Arten aus allen Individuen der Stammarten, die denselben äußern Bedingungen ausgesetzt sind, entstehen?) (er glaubte an einen durch äußere Einflüsse ausge- lösten inneren Entwicklungstrieb); es war dies jedoch nur ein obenhin aufgeworfener Gedanke, nicht auf Verbreitungserschei- 1) J. Briquer, Recherches sur la Flore du district savoisien et du district jurassique franco-suisse; Englers Bot. Jahrb., Bd. 13, 1891 (S. 67— 70); — Recherches surlaflore des montagnesdela Corse et ses origines; Annuaire d. Cons. & d. Jard. bot. de Genève, 5, 1901 (besonders S. 63-70); — Le développement des Flores dans les Alpes etc.; Res. sci. d. Congr. int. de Bot. Vienne 1905 (1906) (S. 134—136). In diesen Arbeiten auch frühere Literatur. ?) O. E. Scuurz, Monographie der Gattung Cardamine; Engl. Bot. Jahrb. Bd. 32, 1903, S. 310—312. — Ob solche Hypothesen in den letzten Jahren aufgegriffen worden sind, weiß ich nicht. Sehr unklare Äußerungen über das Thema . finden sich bei K. Reiche, Grundzüge der Pflanzenverbreitung in Chile, 1907, S. 313 (ENGLER u. Drupe, Die Veget. d. Erde, VIII). 3) A. Murray, The geographical Distribution of Mammals, London 1866, Ch. 1, besonders S. 13— 14. 338 v. Hofsten, nungen gestützt. Hiervon abgesehen, scheinen solche Ansichten in der Zoologie bis vor kurzem nicht hervorgetreten zu sein, ob-. gleich sie aus gewissen deszendenztheoretischen Anschauungen abgeleitet werden kònnen!). 1908 äußerte A. HANDLIRSCH (in einer später zu erwähnenden Diskussion)?) die allgemeine Überzeugung, daß die Arten aus vielen Stammindividuen „in einem einzelnen oder in mehreren geographisch getrennten Bezirken“ entstehen. Kurz nachher sprach ein Italiener D. Rosa die Hypothese aus, daß jede Art stets aus allen Individuen der Stammart hervor- geht); seine Ansicht, die mit den Ansprüchen einer neuen Des- zendenztheorie („Hologenesis“) auftritt, richtet sich gegen die ganze genetische. Methode in der Biogeographie — denn nicht nur diskontinuierlich verbreitete Arten, sondern auch die Gruppen sollen durch Parallelentwicklung entstanden sein, so z, B. die Gattungen der Dipnoer aus einer Form, die noch kein Dipnoer war —, ist aber ganz oberflächlich begründet; kein Beispiel von polytoper Abstammung einer Art wird ernstlich diskutiert. Ein sehr beachtenswerter Versuch, die polytope Entstehung einer Tierart exakt zu beweisen, ist 1913 von dem schwedischen Zoologen S. EKMAN unternommen worden. Er zeigt, daß die relikte Süßwassercopepode Zimnocalanus macrurus in verschie- denen Seen selbständig aus der marinen Art L. grimaldw her- vorgegangen ist; „die Artbildung bei der Gattung Lzmnocalanus ist somit nicht dem gewöhnlichen Schema der divergierenden, von einem Punkt ausstrahlenden Linien . . . gefolgt, sie kann in mehreren parallelen Linien geschehen, die in ihrem Ursprung von- einander ganz unabhängig sind“ *). Exman betont auch (ohne die 1) Plate (Vererbungslehre, 1913, S. 457) macht auf eine Untersuchung von NEHRING (Sitz.-Ber. Ges. naturf. Freunde Berlin, 1885) aufmerksam, nach welcher einige Hunderassen in Südamerika autochthon entstanden sind; hierbei handelt es sich jedoch nur um Rassen, die den unsrigen ähnlich sind. *) Verh. zool.-bot. Ges. Wien, Bd. 59, 1909, S. 252. 3) D. Rosa, Saggio di una nuova spegazione dell’origine e della distribuzione geographica delle specie (lpotesi della „ologenesi‘); Boll. Mus. Zool. Torino, Vol. 24, Nr. 614, 1909. 4) S. Exman, Artbildung bei der Copepodengattung Limnocalanus durch akkumulative Fernwirkung einer Milieuveränderung; Zeitschr. f. ind. Abst. und Vererbungslehre, Bd. 11, 1913 (besonders S. 99—ı00). Siehe auch die ergänzende Abhandlung Studien über die marinen Relikte der nord- europäischen Binnengewässer, II; Int. Rev. d. ges. Hydrob. und Hydrogr., Bd. 6, 1913. Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 339 botanische Diskussion in dieser Frage zu kennen) die Bedeutung solcher Fälle für die Tiergeographie !). In der Paläontologie hat Koxrn Ansichten geäußert, die mit der Theorie der polytopen Artentstehung verwandt sind. Er nimmt eine „iterative Artbildung“ an; „eine persistente Art treibt nur von Zeit zu Zeit Varietäten, die gleichsam schwarmartig auftreten“; wo die Lebensbedingungen ähnlich sind, ist die „Entstehung des- selben oder in gleicher Weise von der Stammform abweichenden Typus möglich“, sowohl in verschiedenen geologischen Zeiten wie in verschiedenen Gegenden?), Allerdings scheint es sich (aus- schließlich ?) nur um die Wiederholung ähnlicher Formen zu handeln. Die Hypothese der polytopen Artbildung hat ja eine unleug- bare Verwandtschaft mit gewissen älteren Anschauungen; ob- gleich ich in dieser Arbeit nur historische Ziele verfolge, will ich mir doch einige Worte über ihren sachlichen und begrifflichen Inhalt erlauben. Die polytope Erzeugung von Standortsmodifikationen ist eine Tatsache, die nicht erwiesen zu werden braucht, Daher haben alle Fälle von polytop entstandenen „Varietäten“, über deren Konstanz nichts bekannt ist, keine Beweiskraft. Eine Erinnerung hieran wäre eigentlich überflüssig, doch wird z. B. von BRIQUET solchen Fällen eine große Bedeutung zugemessen („il s’agit donc la, non pas d’une théorie plus ou moins hypothétique, mais d’un fait général“), Man muß sich also an Arten oder erblich getrennte Formen halten. Dabei scheint, soweit ich als Dilettant auf dem pflanzengeographischen Gebiet urteilen kann, eine vorurteilsfreie Prüfung das Resultat zu ergeben, daß die bisher vorgebrachten rein biogeographischen Beweise für polytopen Ursprung nicht bindend sind. Die korsikanischen Pflanzen sind in Anbetracht der doch nicht sehr großen Entfernung von den kontinentalen Stämmen wenig glückliche Beispiele; andere Beweisstücke scheinen 1) Schon früher in demselben Jahr hatte ich, was nebenbei bemerkt sein mag, auf die aus längst bekannten Tatsachen hervorgehende Schlussfolgerung aufmerksam. gemacht, daß bei den marin-glazialen Relikten, u. a. Mysis und Limnocalanus, die marine Stammform ‚an mehreren verschiedenen Stellen dieselbe neue Form erzeugt hat“, und die Wichtigkeit von Untersuchungen über die Erblichkeitsverhältnisse betont (v. Horsten, Glaciala och subarktiska relikter i den svenska faunan; Popular naturvetenskaplig revy 1913, H. 1, S. 42). ?) E. Koxen, Die Vorwelt und ihre Entwickelungsgeschichte, 1893, S. 623-624; — Palaeontologie und Descendenzlehre; Verh. Ges. Deutsch. Naturf. und Ärzte, 73. Vers. Hamburg 1901, T. 1, S. 218—219. 340 v. Hofsten, schwererwiegend zu sein, doch müssen jedenfalls weitere Argu- mente abgewartet werden !). Man muß also den Gesichtspunkt ein wenig ändern und Fälle aufsuchen, wo man von einer erweislichermaßen polytopen Ent- stehung einer Form ausgehen kann; wenn man dann erbliche Konstanz nachweisen kann, ist das Problem gelöst. Ein solcher Fall liegt in Lzmnocalanus macrurus vor, wenn nämlich Exmawns Annahme, daß die Süßwasserformen erblich fixiert sind, richtig ist. Leider fehlt der experimentelle Nachweis; der erbliche Charakter der Umbildung ist eine theoretische Schlußfolgerung, die einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit besitzen mag, deren Beweiskraft aber immerhin von umstrittenen vererbungs- theoretischen Voraussetzungen abhängig ist. Daß man aber, auch von diesem wichtigen, obgleich verein- zelten und nicht entscheidenden Fall abgesehen, die Möglichkeit einer polytopen Artentstehung einräumen muß, ist vollkommen klar; „theoretisch wird man zugeben müssen“, sagt PLATE ?), „daß dieselben Idio- und Amphimutationen einer Art überall aufkom- men können“. Nach meinem Dafürhalten müssen sogar rein theoretische Erwägungen das Resultat ergeben, daß es einen solchen Vorgang tatsächlich geben muß. In dieser Richtung spricht schon der unleugbare, obgleich seiner Natur nach unbe- kannte Zusammenhang zwischen Modifikationen und erblichen Mutationen, welch letztere ja durch denselben Reiz, der sonst nur Modifikationen erzeugt, ausgelöst werden können. Und eben in den bestbekannten Fällen von Mutationserscheinungen (z. B. in der Gattung Zepfinotarsa) steht es ja fest, daß die Mutationen mehrfach auftreten, also natürlich unabhängig von der Entfernung zwischen den Wohnorten der Elternindividuen. PLATE (I. c.) glaubt, daß solche Formen in der Regel („in außerordentlich vielen Fällen“) nur an einer Stelle erhalten bleiben. Daß es sich oft so verhält, kann nicht bezweifelt werden, es gibt aber auch keine Ursache, warum die neuen Formen sich nicht unter Umständen in mehreren Gegenden behauptet haben sollten. Wenn in getrennten !) Zur Kritik von BriqueTs jedenfalls sehr interessanten Schlußfolgerungen vgl. A. EncLER, Uber die neueren Fortschritte der Pflanzengeographie; Ener. Bot. Jahrb., Bd. 30, 1902, S. 89—00; Marie JeRoscH, Geschichte und Herkunft der schweizerischen Alpenflora, Leipzig 1903 (S. 13—18); J. P. Lorsy, Vorlesungen über Descendenztheorien, Bd. II, Jena 1908 (S. 484 — 497). ?) Vererbungslehre, S. 458. Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 341 Gebieten die Verhältnisse praktisch die gleichen sind oder wenig- stens das Leben derselben Art erlauben, dann sind auch die Be- dingungen für die Erhaltung einer in beiden auftretenden neuen Form vorhanden. Der Einwand, daß es sich nur um die Veränderung einer einzigen Eigenschaft (vgl. z. B. Jeroscu, 1. c.) — oder, wie wir jetzt sagen, um die Entstehung oder den Verlust einer einzigen Erb- einheit — handelnkann, ist bei unseren heutigen Kenntnissen der Art- bildung nichtstichhaltig. Natürlich werden polytop erzeugte Formen meist als „Rassen“ (Subspecies usw.) der Stammart aufgefaßt werden können; jedenfalls können aber auch Formen entstehen, die wie Zzmnocalanus macrurus als selbständige Arten erscheinen müssen. (Auf die zweifellos für diese Frage wichtigen paläonto- logischen Erscheinungen kann ich nicht näher eingehen.) Der ablehnende Standpunkt, welchen die meisten Biogeo- graphen gegen die Theorie der polytopen Artentstehung einge- nommen haben!), kann also nicht beibehalten werden. Bedeutetdies, wie man bisweilen gemeint hat, einen Schiffbruch der entwicklungs- geschichtlichen Methode in der Biogeographie??) Sicherlich nicht. Wenn die polytope Entstehung ein allgemeines Prinzip wäre und wenn die so aufgekommenen Formen sich in verschiedenen Gegenden allgemein in der gleichen oder in ähnlicher Weise weiter entwickelten (dieselben neuen Gattungen erzeugten usw.), dann würde die genetische Biogeographie auf trügerischem Grund ruhen. Wenn ich mir zunächst einige ganz theoretische Bemer- kungen über die letztere Möglichkeit, die einer Parallelent- wicklung, erlauben darf, so hat man meines Erachtens kein Recht, sie ganz in Abrede zu stellen. Man muß mit einer solchen 1) M. JeroscH findet nach einer eingehenden Diskussion der Frage, daß wir „bei allen florengeschichtlichen Erörterungen am besten tun, einstweilen gänzlich von ihr abzusehen“ (op. cit., S. 18). ENGLER, der früher ,,widerwillig* eine polytope Entste- hung von Varietäten, nicht aber von Arten zugab (Vers. ein. Entwicklungssg., I, S. 71, ror, II. S. 318 ff.), wagt Igor (Fortschr. d. Pflanzeng., S. 89—go) die Möglichkeit einer Parallelentstehung von Arten nicht „ganz zu bestreiten“; seine Hal- tung ist etwas schwankend und nicht vollkommen klar. Unter den Zoologen findet z. B. BRAUER es ausgeschlossen, ‚daß eine und dieselbe Tier- oder Pflanzenform an voneinander weit entfernten Stellen der Erde entstanden ist‘ (Biogeographie; Rulla2d2Gesenw., El, Abt. 4, Bd.4, 1614, S. 183): 2) JERoscH (op. cit., S. 14) findet, „daß die neue Hypothese, wenn sie herrschend würde, einen großen Teil der bisher erworbenen florengeschichtlichen Grundanschau- ungen und Erkenntnis überflüssig machen und in sich zusammenfallen lassen würde‘; schon CHRIST äußerte sich 1866 ebenso scharf, wie aus einem von JERoScH mitgeteilten Zitat hervorgeht. Zool. Annalen VII. 22 342 v. Hofsten, rechnen; es kann vielleicht vorkommen, daß auch eine schein- bar einheitliche Ahnenreihe — um eine moderne paläontologische Redensart zu benutzen — in Wirklichkeit aus zwei (oder mehreren) parallelen Reihen besteht (z. B. a oder eher vielleicht etwa statt ABCDE; die Buchstaben Gattungen, nicht Arten). Ein solcher Fall (der mir erst nach dem Niederschreiben des Obigen bekannt wurde) scheint tatsächlich bei den Cerviden vorzuliegen, wenn die Ansichten der Paläontologen über ihre Phylogenie richtig sind (siehe unten). Eine solche Entwicklung ist natürlich etwas anderes als eine konvergente Entwicklung und auch nicht das, was gewöhnlich unter polyphyletischer Entstehung verstanden wird und werden soll. Ich bin überzeugt, daß man durch genaue Untersuchungen — denn auf solche kommt es natürlich an, obgleich auch eine prinzipielle Klarstellung ihre Be- rechtigung hat — in den meisten Fällen diese Möglichkeit aus- schließen kann; wenn man es a priori tut, so setzt man eben das voraus, was bewiesen werden sollte!). Die Biogeographie darf ihre Probleme nicht nach den Anforderungen der einen oder anderen Deszendenztheorie zuschneiden; solange wir im Grunde nichts über den Entwicklungsmechanismus wissen, muß das wo unabhängig von dem wie untersucht werden. 1) In der Biologie hat man fast einstimmig diesen im voraus und für alle Fälle zu verwerfenden Standpunkt eingenommen oder ist stillschweigend davon ausge- gangen (über Rosa, der die Parallelentwicklung zu einem allgemeinen Prinzip er- hebt, siehe oben). In der Paläontologie sind besonders in den letzten Jahren andere Ansichten hervorgetreten. Schon KokEn hat mit seinen oben erwähnten Anschau- ungen diesen neuen Weg eingeschlagen; manches in ihnen ist unklar; er betont aber, daß ein bestimmter Formenkomplex — eine Gattung — wiederholt und an verschie- denen Stellen aus demselben Grundstock entstehen könne. In einer im November 1908 in der zool.-botan. Gesellschaft in Wien (Sekt. f. Paläozool.) veranstalteten Dis- kussion (Was verstehen wir unter monophyletischer und polyphyle- tischer Abstammung? Verh. zool.-bot. Ges. Wien, Bd. 59, 1909. S. [243]—[256]) richtete ABEL die Aufmerksamkeit auf die sehr merkwürdige Abstammung der Gattung Cervus, die aus zwei sich parallel und unabhängig voneinander entwickelnden Stammes- reihen (Palaeomeryx- Dierocerus - Cervavus- Cervus) hervorgegangen ist; daß es sich hier um eine Parallelentwicklung handelt, wurde in der Diskussion allgemein anerkannt; vgl. auch ABEL, Palaeobiologie, 1912, S. 627 ff. (besonders S. 630—632). Sehr weit geht E. Dacoué (Paläontologie, Systematik und Descendenzlehre; Die Abstammungslehre, 1911, S. 151 ff.); er macht in seinen — sehr abstrakten — Ausführungen den Fehler, nicht zwischen Parallelentwicklung und konvergenter Ent- wicklung (die im großen Maßstabe angenommen wird) zu unterscheiden. = in = Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 343 Ein solches Zugeständnis wird vielleicht gegen die genetische Methode in der Biogeographie ins Feld geführt werden. Ich ge- stehe, ja ich betone, daß diese durch die angedeutete Möglichkeit beeinflußt werden kann‘); noch entschiedener muß ich jedoch be- tonen, daß der Einfluß nicht sehr tiefgehend sein kann. Schon eine oberflächliche Betrachtung der Verbreitungsverhältnisse zeigt, daß eine Parallelentwicklung jedenfalls keine fundamentale Rolle beim Entstehen der jetzigen Organismenverteilung gespielt hat. Es kann nicht meine Aufgabe sein, die Beweise für diese Be- hauptung hier vorzubringen; wer mit der Verbreitung einer Tier- oder Pflanzengruppe vertraut ist, wird deren ein reiches Maß zur Hand haben. Auch die nach der obigen Auffassung fast sicher vorkom- mende polytope Artentstehung vermag das Wesentliche in unseren aus den disjunkten Arealen gewonnenen Schlußfolgerungen nicht zu erschüttern. Natürlich ist die Sachlage etwas verändert; ehe man eine diskontinuierliche Verbreitung als Beweis eines ehe- .maligen Zusammenhanges auffaBt, muß man nicht nur die Mög- lichkeit eines gegenwärtigen Transportes, sondern auch die eines polytopen Ursprunges ausschließen. Wenn eine nahe verwandte Art existiert, und besonders natürlich wenn sie im Zwischengebiet 1) So muß man z. B. bei der Beurteilung des Bipolaritätsproblemes mit der Möglichkeit rechnen, daß die Identität bzw. nahe Verwandtschaft zwischen den nördlichen und südlichen Arten teilweise aus einer polytopen Artentstehung oder Parallelentwicklung hervorgegangen sein könne. THEEL hat schon vor 30 Jahren (und später) dieses Prinzip zugelassen. Er faßt wie mehrere spätere Autoren die bipolaren Arten und Verwandtschaftskreise als ,,Relikte‘ einer kosmopolitischen Meeresfauna auf, vereinigt aber damit die Annahme, daß die Tiere nach dem Aussterben in den Tropen ‚developed slowly and after almost the same plan‘. Er präzisiert seinen Standpunkt nicht näher (die Voraussetzungen dafür sind wohl auch kaum vorhänden), und gibt nicht an, inwieweit er nur ganz unbedeutende oder aber auch tiefergehende parallele Veränderungen annimmt, und ob er sich auch für bipolare Arten eine Parallel- entwicklung oder nur eine Abstammung aus einer sehr nahen verwandten Stammform vorstellt. Hy. THEEL, Report on the Holothurioidea, P. 2; Chall. Rep., Zool. Vol. 14, 1886, S. 260; — Om, bipolaritet‘ihafsorganismernasutbredning; Ymer, Arg. 20, 1900, S. 258—259; — Priapulids and Sipunculids dredged by the Swed. Ant. Exp. 1901—1903 and the phenomenon of bipolarity; K. Svenska Vetensk.-Akad. Handl., Bd. 47, Stockh. ıgrı, S. 15 ff.) Auch PFEFFER (Versuch über die erdgeschichtliche Entwicklung der jetzigen Ver- breitungsverhältnisse unserer Tierwelt, Hamburg 1891, S. 35) bemerkt, daß „die gleiche Ursache . . . — die Abkühlung — auf das annähernd gleiche zoolo- gische Material annähernd gleich wirken musste‘; seine Darlegungen sind jedoch ganz allgemein gehalten, und er scheint nur eine geringfügige Umbildung anzunehmen. 22* 344 v. Hofsten, wohnt, dann muß diese Möglichkeit ernstlich in Erwägung ge- zogen werden, obgleich sie natürlich keineswegs die richtige Er- klärung zu sein braucht. Wenn keine Art bekannt ist, die als Stammform in Betracht kommen kann, dann setzt die Theorie des polytopen Ursprungs voraus, daß die ausgestorbene Stammform im Zwischengebiet gelebt hat, wie das Briquer auch in mehreren Fällen annimmt. Es ist dies natürlich eine willkürliche Voraus- setzung, aber doch keine an sich ungereimte, denn irgendwo muß ja die Stammform gelebt haben (in diesem Falle braucht übrigens nur ein geringer Unterschied zwischen ihr und der Tochterform angenommen zu werden). Überhaupt muß man — wie auch Brıiqver betont, obgleich er der polytopen Entstehung eine „extr&me fre- quence“ zuschreibt — jeden einzelnen Fall untersuchen. Ebenso wichtig oder wichtiger noch ist die Berücksichtigung der Ge- samtheit der identischen Arten zweier diskontinuierlicher Areale. Handelt es sich um eine vereinzelte, in getrennten Gebieten lebende Art, so wird es oft unmöglich sein, eine bestimmte An- sicht über ihre Ausbreitungsgeschichte zu gewinnen; wenn aber zwei Gebiete eine Menge von gleichen Arten aufweisen und wenn dazu die geologischen Tatsachen die Annahme eines früheren Zusammenhanges unterstützen, dann erscheint diese Annahme außerordentlich fest begründet. Eben deswegen bleiben die wich- tigsten unserer entwicklungsgeschichtlichen Errungenschaften auf diesem Gebiet ungefährdet. So können wir z. B. ruhig von der „klassischen“ Hypothese einer Mischung der arktischen und der alpinen Fauna und Flora während der Eiszeit ausgehen, auch wenn einzelne Arten vielleicht polytop aus lebenden oder aus- gestorbenen Wärmearten entstanden sind. Vollständig ausge- schlossen ist endlich ein polytoper Ursprung für alle auf begrenzten Flecken lebenden glazialen Relikte und Relikte aus postglazialen Perioden, die (im Gegensatz zu Zzmnocalanus macrurus) mit der Stammart des Hauptverbreitungsgebiets identisch sind. Ich habe mir eine Ansicht in dieser Frage zu bilden ver- sucht, weil ich das Bedürfnis fühlte, den inneren Zusammenhängen zwischen der Theorie einer polytopen Artentstehung und der von der Deszendenztheorie überwundenen Lehre von einer polytopen Schöpfung nachzugehen. Existiert eine tiefgehendere Ähnlichkeit als die ziemlich oberflächliche, die sogleich in die Augen springt? Ein fundamentaler Unterschied besteht ja darin, daß jetzt eine = 148 = Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. ‘345 Entwicklung — und zwar aus einer einzigen Stammart, also monophyletisch — vorausgesetzt wird. Wenn man aber die Poly- topie eine hervorragende Rolle spielen läßt und dadurch wesent- liche Züge in der Verbreitung der Arten oder gar Gruppen er- klärt, dann läßt sich eine tiefere Übereinstimmung nicht verneinen; dann verzichtet man ja auch heute mehr oder weniger vollständig aufdie entwicklungsgeschichtliche Erklärung der Artdiskontinuität oder der Verbreitung überhaupt. Dieses Gefühl hat wohl R&DL, wenn er die Hypothesen der polytopen Artbildung gegen die seit Darwin herrschende Richtung in der Biogeographie ins Feld fihrt'). Ich habe zu zeigen versucht, daß diese Konsequenzen falsch sind. Natürlich kann und muß man sagen, daß das Dogma des einzigen Artzentrums gefallen ist, und dies ist wichtig genug. Es bleibt aber dabei; die in der einen oder anderen Form agene- tische Auffassung der Verbreitung muß, wie interessant sie auch historisch ist, doch als überwunden gelten; eine Reaktion ist nicht möglich, XXIII. Schlußwort. Indem ich diese Schilderung aus der Geschichte der Biogeo- graphie abschließe, muß ich mich mit einer gewissen Beklemmung fragen, ob ich etwas Besseres zustande gebracht habe, als einelästige Menge von Tatsachen zu sammeln — das gewöhnliche Los des Spezialforschers, der sich in der Geschichtsschreibung versuchen will. Ich habe ein buntes Spiel von Ansichten und Ideen aus verschiedenen Forschungszweigen zusammengetragen und aufge- reiht; habe ich den historischen Zusammenhang anzudeuten ver- mocht, wird jemand aus meiner Erzählung einigen Gewinn ziehen können? Wie dem auch sei, hier am Schluß will ich nicht ver- suchen, den Mängeln abzuhelfen. Ein Rückblick wäre eine Wiederholung; ich will nur auf einzelne wichtige Momente in der Entwicklung zurückgreifen. Die Entdeckung Amerikas gab den Anstoß zur modernen Tiergeographie. Das schon im frühen Mittelalter — vom hl. Au- gustinus und seinem irländischen Namensgenossen — erörterte Diskontinuitätsproblem wurde wieder aufgestellt; das religiöse Dogma, nicht der Forschungstrieb, verlangte dessen Lösung. Und merkwürdig! die entwicklungsgeschichtliche Lösung des 1) Gesch. d. biol. Theor., II, S. 354. 346 v. Hofsten, Diskontinuitätsproblems, die im 109. Jahrhundert so starkem Widerstand begegnete, war dem Denken jener Zeit nicht fremd; nach dem Sintflutdogma mußten die Tiere aller Inseln aus der Alten Welt gekommen sein. Aber das Dogma, das den Anstoß zur Forschung gegeben hatte, versperrte ihr bald den Weg; um weiter zu kommen, mußte man es überwinden. Dies geschah ganz vereinzelt im 17., allgemeiner im 18. Jahrhundert; die Lehre von den Schöpfungszentren brach sich Bahn; am Ende des Jahr- hunderts gab es schon, sowohl in der Zoologie wie in der Botanik, eine von der genannten Lehre ausgehende entwicklungsgeschicht- liche Richtung, die die Verbreitung als etwas Gewordenes be- trachtete und die diskontinuierliche Verbreitung der Arten aus der Zerstückelung einer ursprünglich einheitlichen Heimat er- klärte. Im Anfang des 19. Jahrhunderts wurde die weitere Ent- wicklung dieser Richtung vorbereitet; ihre Blüte erreichte sie in den vierziger und fünfziger Jahren mit ForBes und DE CANDOLLE. Aber gleichzeitig war auch, mit der Lehre von Louis Acassız, eine andere, entgegengesetzte Strömung auf ihrem Höhepunkt angelangt, eine Richtung, die den heutigen Zustand nicht aus früheren herzuleiten versuchte, sondern alles in der Verbreitung als von Anfang an festgestellt ansah. Diese Auffassung war nicht neu. Nachdem seit Aucustinus verschiedene selbständig denkende Geister gewagt hatten, die diskontinuierliche Verbreitung von Tieren und Menschen aus einem mehrfachen Ursprung zu er- klären, gewann sie im Anfang des 1g. Jahrhunderts immer mehr an Boden und erlangte dann (etwa 1830—1845) deutlich das Übergewicht über die entwicklungsgeschichtliche Richtung. In der Mitte des ıg. Jahrhunderts standen nun diese Auf- fassungen unversöhnlich einander gegenüber. Die AGassizsche Lehre war konsequent; Forscher mit offenem Sinne für die Natur konnte sie aber auf die Dauer nicht befriedigen. Die entwick- lungsgeschichtliche Auffassung litt an einem anscheinend unheil- baren Zwiespalt. Da kam die Deszendenztheorie auf; die AGassrz- sche Lehre war auf einmal überwunden, der Widerspruch gelöst, und die entwicklungsgeschichtliche Auffassung der Verbreitung erfuhr eine folgerichtige Ausgestaltung und erhielt einen tieferen Sinn. In dieser summarischen Weise geschildert, erscheint die Ent- wicklung sehr einfach und geradlinig. Sie war aber mit einer fast unüberschaulichen Menge von Beobachtungen verknüpft, und Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 347 mit den verschiedensten Ideen, die mit vielen Gebieten des Wissens zusammenhängen. Die Entwicklung des Diskontinuitäts- problems — und der ganzen Biogeographie — ist natürlich nie isoliert erfolgt; jede Ideenströmung ist aufs innigste mit allge- meinen Bewegungen in der Biologie und in der gesamten Geistes- geschichte verbunden. Ich habe diese tieferen Voraussetzungen der geschilderten Ideen nicht übersehen; doch mußte ich mir Beschränkung auferlegen und hauptsächlich nur die Biogeographie berücksichtigen. In der Tier- und Pflanzengeographie war der Kampf zwischen alter und neuer Anschauung kurz. Acassız überlebte seine Lehre; bei seinem Tode hatte die genetische Biogeographie vollständig gesiegt. Für immer? Ich habe schon im vorigen Kapitel diese Frage beantwortet; eine Rückkehr zur agenetischen Auffassung der Verbreitung wird nie stattfinden. E. Rx, der geniale Geschichtsschreiber der Biologie, glaubt indessen, eine Reaktion gegen die entwicklungsgeschichtliche An- schauung nicht nur in der Frage nach dem polytopen Artursprung — worüber ich schon berichtet habe — sondern in der ganzen Biogeographie zu verspüren. „Langsam aber merklich wird in der letzten Zeit Darwıns und WarLAcEs geographische Methode zur Seite geschoben“; die Wissenschaft fragt nicht mehr nach den Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Tieren und Pflanzen verschiedener Gebiete, sondern verfolgt wieder „die vordarwinsche Richtung, welche nach direkten Beziehungen zwischen den Organismen und dem Milieu forschte“1). Andere haben schon früher einem ähnlichen, obgleich nicht so scharf ausgeprägten Unmut über die genetische Biogeographie Ausdruck gegeben 2), Ein seltsames Mißverständnis! Der meist so tiefblickende Historiker verrät bisweilen, wie mir scheint, einen gewissen Mangel an Verständnis für die Bewegungen seiner eigenen Zeit. Es ist wahr, daß die Darwix-Warracesche Richtung die physikalische und physiologische Tiergeographie vernachlässigte. (DARWIN hat dies, wie FRIEDMANN) bemerkt, selbst zugestanden). Nunmehr 1) Gesch. d. biol. Theor.,II, S. 354 ff. 2) Die von Räpr (1. c., vgl. auch S. 511—512) mit Interesse aufgenommene „Konvergenztheorie‘‘ Frrepmanns (Die Konvergenz der Organismen, Berlin 1904) berücksichtige ich nicht; seine tiergeographischen Auseinandersetzungen scheinen mir ganz bedeutungslos zu sein. ee Ops Cite Sa ere: 348 v. Hofsten, wird dieser Forschungszweig eifrig gepflegt — viel eifriger und seit längerer Zeit als RApL andeutet — und hat reiche Früchte getragen. Wie sollte aber der Umstand, daß man eine Zeitlang sich vorwiegend für die genetischen Probleme der Verbreitung interessierte und jetzt die Augen auch für andere Fragen geöffnet hat, eine Abkehr von der entwicklungsgeschichtlichen Auffassung der Verbreitung bedeuten? Die physikalische Biogeographie ist ein selbständiger Forschungszweig, der seine eigenen Ziele ver- folgt und sich mit der Verteilung der Arten und Gruppen über die Erdoberfläche nicht befaßt. Mit diesem Problem steht es wie vor hundert Jahren: wenn wir nicht auf jede Erklärung ver- zichten oder ein irrationelles Prinzip einführen wollen, so müssen wir den entwicklungsgeschichtlichen Weg gehen. Erst die Des- zendenzlehre gab die Möglichkeit, mehr als einzelne Züge in der Verbreitung der Species unter diesen Gesichtspunkten zu be- trachten; kein Wunder, daß man in der ersten Begeisterung ein- seitig in diesem Studium aufging! Heute sind wir weniger ein- seitig und die genetische Biogeographie kann eben deshalb auf sichererem Grunde aufgebaut werden; jeder Biologe, der im Ge- wirr der kleinen und großen Streitfragen nach den treibenden Ideen sucht, muß mit Freude oder Bedauern anerkennen, daß die genetischen Probleme der Verbreitung aktueller als je sind und mit ungeschwächtem Eifer verfolgt werden. Nicht einem Verfall — einer neuen Blüte geht die entwicklungsgeschichtliche Bio- geographie entgegen. Die Biogeographie scheint mir die schönsten Beispiele für die bisweilen unbeachtete Wahrheit zu liefern, daß in der Wissen- schaft nicht nur feindliche Prinzipien miteinander um die Herr- schaft kämpfen und den Weg zur Wahrheit bahnen; auch andere Ideen tun dies, gleichberechtigte und für die Forschung gleich unentbehrliche. Wenn die eine sich allzumächtig entfaltet, wird sie bald von der anderen, die die Sache von einer etwas ver- schiedenen Seite betrachtet, überholt und in den Schatten gestellt; später fällt wiederum diese eine Zeitlang einseitig bevorzugte Idee demselben Schicksal anheim. DARWIN unterschätzte die Bedeutung des Klimas und anderer äußeren Faktoren; wo er nicht ganz in den genetischen Ideen aufging, war er vom Gedanken an die Abhängigkeit der Lebewesen voneinander, an den „Kampf ums Dasein“, beherrscht. In der Tiergeographie hat man sich in den letzten Jahrzehnten emsig bemüht, die direkte Einwirkung des Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. 349 Milieus auf die Tiere darzutun; man hat mit wechselndem Frfolg nachzuweisen gesucht, wie die Verbreitungsgrenzen jeder Art durch die ihr innewohnende Abhängigkeit von der Temperatur und anderen äußeren Faktoren bestimmt werden. In der aller- letzten Zeit beginnt man schon, mit Geringschätzung von diesen Untersuchungen zu sprechen, und richtet sein Augenmerk auf die Abhängigkeit der Arten voneinander, also auf ein Lieblings- prinzip Darwıns; die Lehre von den Biocoenosen drängt sich an erste Stelle. Wann wird diese neue — bald ultramoderne — Richtung ihren Höhepunkt erreichen, ein Höhepunkt, der unver- meidlich eine Einseitigkeit bedeuten wird; wann wird auch für sie der Tag des Rückgangs kommen? Für manchen wird eine Idee zur höchsten, weil sie gesiegt hat, weil sie das Denken der Mitwelt beherrscht; anderen wird sie aus demselben Grunde verhaßt. Hierüber sollen wir uns nicht entrüsten; eine absolute Wahrheit existiert auch in der Wissenschaft nicht. Doch ist die Wahrheit auch nicht ganz re- lativ; wir müssen uns bemühen, das ewig Wahre in den Ideen zu suchen. „Die heutige Naturwissenschaft wird vom Entwick- lungsgedanken beherrscht“ — diesen Satz hat man so lange und so eindringlich verkündigt, daß viele seiner überdrüssig geworden sind. Gewiß, die Einseitigkeit, teilweise Oberflachlichkeit der darwinistischen Philosophie wird heute kaum von jemand be- stritten; der Entwicklungsgedanke wird aber dadurch nicht be- einträchtigt, seine Tragweite bleibt immer dieselbe. Keine Tat- sachen geben bessere Belege hierfür als die der Tier- und Pflanzenverbreitung. In der Biogeographie waren DArwın und seine Nachfolger weniger als sonst von anfechtbaren Hypothesen abhängig; sie brachten daher auf diesem Gebiet Ideen auf, die lebendiger, unmittelbar wahrer sind als manche ihrer Lieblings- hypothesen. Die Verbreitung ist das Produkt einer Entwicklung — diese Idee gehört zu jenen, die im Wechsel der Theorien unerschüttert dastehen werden. 350 v. Hofsten, Autorenverzeichnis. Ganz beilaufig oder nur wegen Literaturhinweisen angeführte Autoren werden nicht aufgenommen. Bei mehrmals zitierten Autoren sind die Hauptstellen durch fette Ziffern hervorgehoben. Abel, O. 342. Acosta, José de 222ff., 226, 238, 239. Agassiz, Louis 234, 274, 285, 289, 292, 293 f., 297ff., 313 ff., 346. Albertus Magnus 210. d’Albuquerque 318. Ambrosius 207, 208. Andersson, N. J. 313. Areschoug, F. W. C. 335. Aristoteles 201f., 203, 204, 205. Arldt, Th. 236. Arrhenius, C. 228. Audouin, J. V. 276. Augustinus, der irländische, 214 ff., 221. Augustinus, der Kirchenvater, 208f., 210, 2II ff., 215, 219, 220, 228, 229, 231, 232, 346, 347- Ballenstedt, J. G. J. 292. Barton, B. S. 261. Basilius der Große 207, 208. Beda Venerabilis 207, 208. Binney, W. G. 300. Bland, Th. 300. Blount, Th. 286. Blumenbach, J. F. 200. Borde, J. B. de la 260. Bory de Saint Vincent, J. B. M 2ot. Bougainville, L. A. 236. Bourguignat, M. J. R. 321. Brasseur de Bourbourg 320. Brauer, A. 341. Brerewood, E. 226. Briquet, J. 337, 339, 344. Bronn, H. G. 282, 301, 318. Brown, Robert 261, 263 f. Bruns 291. È Bruzen la Martinière 231. Buch, L. von 266. Buffon 232, 235, 237ff., 248f,. 252, 255, 259, 260, 274, 286, 287, 280, 317, 321. 154 Burnet, Th. 230. Byron, J. 236. Caesalpinus, A. 285. Carli, G. R. 259f., 308f. Charlevoix, Xav. de 218, 227. Chauveton 225. Cicero 205. Claverigo, F. S. 233, 260 f. Clemens Alexandrinus 207, 209. Clemens Romanus 207, 209. Cobo, B. 228f. Cook, James 237. Coton, P. Crüger 280. Cuvier, G. 272 ff., 282, 294. Credner, R. 256, 334. 227. Dacqué, E. 342. Dana, J. D. 300. Darwin Ch. 276, 295, 298, 309, 313, 316, 321f., 323, 324f., 326, 327 ff, 330, 332, 333, 347. De Candolle, A. 199, 276, 277f., 299, 306, 309 ff., 313 ff., 318, 323, 329, 333, 346. De Candolle, P. 266. Depéret, Ch. 273. Deshayes, G. P. 282. Desmarest, N. 235. Desmoulins, A. 266, 270, 271, 274, 291, 299. Diderot, D. 260, 288. Draper, J. W. 206, 214. Duncan, M. 320f. Ekman, S. 338f., 340. Engel, Samuel 258f. Engler, A. 341. Eratosthenes 203, 204. Ettinghausen, C. von 308. Fabricius, J. A. 287. Fabricius, J. C. 272. Feijoo y Montenegro 232. Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. Ferussac, A. E. 270, 317. Fischer, H. 257. Forbes, E. 276, 301 ff., 308, 309, 310, 313 ff., 318, 323, 329, 330, 333, 334, 346. Forchhammer, G. 283. Forster, G. 249, 317- Forster, J. R. 236, 249, 317. Friedmann, H. 347. Fries, Elias 280f, 335. Füchsel, G. Ch. 289. Gamboa, P. S. de 221f. Garcia, G. 226f., 286. Garcilasso de la Vega 225f., 238. Gatterer, J. C. 289. Gaudin, Ch. 320. Gelpke, C. F. 292. Geminus 204. Geoffroy Saint Hilaire, Isidore 272. Giraud Soulavie, siehe Soulavie. Gliddon, G. R. 293. Gmelin, J. G. 247f., 252, 257, 263. Gobineau, A. de 294 f. Gomara, L. de 217. Göppert, H. R. 318f. Gould, A. 3o8f. Gray, Asa 312, 321, 323. Gregorius von Nyssa 207. Grisebach, A. 315f., 330. Grotius, H. 227. Guppy, L. 321. Haeckel, E. 296, 297, 298, 332. Haller, Albrecht von 249. Handlirsch, A. 338. Hardt, Hermann von der 286. Heer, O. 279, 318ff., 329, 335. Hinds, R. B. 280, 317. Hippokrates 200. Hofsten, N. von 339. Home, H. siehe Kames Hooke, Robert 281 f. Hooker, J. D. 276, 309, 310, 313, 315, | - 330f., 332. Hooker, W. J. 279. Hornius, G. 227f. Humbold, A. von 261 ff., 264, 268, 269, 271. Hier, J. R. W. 277. Irwing, K. F. von 28g. Isidorus von Sevilla 207, 208. 155 391 Jerosch, M. 341. Johannes Philoponos 207. Kames, Lord 289, 293. Kant, I. 290. Kirby, W. 272, 279, 281, 290. Kircher, Athanasius 230f., 233, 259. Klaatsch, H. 206. Knox, R. 295. Koch, G. 300. Koken, E. 339, 342. Kosmas Indikopleustes 207, 208. Kretschmer, K. 221. Laborde siehe Borde. Lacordaire, J. T. 278. Lactantius Firmianus 207f. Laet, J. de 227. Lamarck, J. B. de 208. Lambert von Saint-Omer 209. La Peyrére, Isaac de 285f., 292. Latreille, P. A. 272. Lecoq, H. 300. Léry, Jean de 238. Lescarbot, M. 227. Lesueur, Ch. A. 276. Link, H. E. 266, 267/f., 271, 274, 305. Linné, C. von 239f., 243ff., 252, 253, 254, 286. Lipsius, Justus 226. TFjune,sE2 BR 228: Porenz Jhb RO 334% Lotzy, Je PR 322. Loven, S. 276, 283, 306f., 333 ff, Lydekker, R. 236. Lyell, Ch. 275f., 282, 283, 302, 310, 321f., 330, 332, 334- Mac Culloh, J. H. 236. Macrobius 204, 206. Marcgrave, G. 239. Marion, A. F. 337. Meiners, Chr. 290 fi. Meyen, F. J. F. 278, 317. Meyer, H. von 319. Milne Edwards, H. 276f., 281, 307, 320. Morton, S. G. 293. Münster, Sebastian 229f. Murray, Andrew 321, 337. Mylius, Abrahamus (van der Myl) 228, 238, 242. 352 Nathorst, A. G. 336. Nehring, A. 338. Nilsson, Sven 307. Nott. C203. Oliver, D. 322. d’Orbigny, A. 274. Origenes 207, 208, 209. Oviedo y Valdes, G. F. de 338. Owen, R. 316. Pallas, P. S. 249, 256f., 334. Paracelsus 2Ig, 284, 296. Parmenides 203, 204. Pauw, C. de 259. Pelloutier, S. 287, 289, 292, 295. Pennant, Th. 235, 236, 255f. Pernetty, A. J. 236. Péron, F. 276. Peschel, O. 236. Peyrere siehe La Peyrére. Peyroux de la Cordonniére 291. Pfeffer, G. 343. Plate 510. Platon 204. Plinius 201, 204, 206. Procopius von Gaza 206. Pythagoras 203. Quatrefages, A. de 293. Radl, E. 244, 345, 347f. Ramond, L. 250, 278f. Raynal, G. Th. F. 259. Reiche, K. 337. Retzius, A. 320. Reynier, J. L. 250. Richardson, J. 278. Risso, A. 276. Robertson, W. 260. Romans, B. 289. Rosa, D. 338, 342. Rousseau, J.-J. 288. Rudolphi, K. A. 266, 268f., 271, 274, 29I, 298. Sagot 289. Saporta, G. de 337. Sars, M. 276, 307. Saussure, H. B. de 250. 156 v. Hofsten, Scharff, R. F. 236. Schelling, F. W. J. von 294. Schmarda, L. 301. Schouw, J. F. 269f., 283, 298, 299, 317. Schulz LOSE 337. States I, IL, Or, 222, Seneca 205. Sergi, G. 206. Simson, Richard 235 f. Skottsberg, C. 236. Smith, James 283. Sömmering, S. Th. von 290. Soulavie, J. L. Giraud 24gf. Speyer, Ad. u. Aug. 300. Sprengel, K. 266, 268. Steenstrup, J. 283. Strabon 204, 205, 233. Swainson, W. 279, 292, 299. Theel, Hj. 343. Theophrastos 201. Thou, J. A. de (Thuanus) 227. Tournefort, J. P. de 231, 243, 245. Treviranus, G. R. 262f., 266, 298. Ulloa, A. de 227. Unger, F. 308, 319f., 323f., 329. Verstegan, R. 235. Virey, Ilo jlo ASO, 275 2017 Virgilius von Salzburg 209. Vogt, C. 296. Voltaire 288 f. Wagner, Andreas 281. Wahlenberg, G. 261 ff, 264. Waitz, Th. 295. Wallace, A. R. 236, 316, 324ff., 330, 331f., 347- Wetterhan, D. 337. Willdenow, C. F. 251f, 264, 266, 281, ITA Young, A. 250. Zarate, A. de 220f., 226. Zimmermann, E. A. W. 232, 233, 235, 236, 252ff., 257, 266, 276, 287, 290, 298, 321, 334. Zinn, J. G. 248, 251. Zöckler, ©. 206, 209. Geschichte des Diskontinuitätsproblems in der Biogeographie. Inhalt. \ I. Das Diskontinuitätsproblem i È | II. Die Tier- und Pflanzengeographie im Ni ; II. Die Antipodenfrage im Altertum und Mittelalter IV. Augustinus und das Problem der Inselfauna V. Der irländische Augustinus . VI. Die Entdeckung Amerikas — ein Wendepunkt in Me ‘Gasoiidiic des Diskontinuitätsproblems VII. Einzelbeobachtungen tiber er im 17. od ra Jahrhundert : VII. Buffon . : IX. Die Pilanzengeographie im 18. fi X. Zimmermann XI. Die Tiergeographie am cane des 18. homes. XII. Salonwissenschaft und zoologische Dilettanten am Ende des 18. Jahrhunderts XIII. Die Pflanzen- und encens | im Arras des 19. elahnelade XIV. Der anthropologische Polygenismus XV. Louis Agassiz . XVI. Edward Forbes ERE XVII. Das Jahrzehnt vor Darwin . XVIII. „Die miozäne Atlantis“ XIX. Wallace 1855 XX. Darwin XXI. Die Jahre ach Daran XXI. Ein modernes Problem: die Frage nach der polytopen Art- entstehung XXII. Schlußwort ütorenverzeichnis Seite 197 200 203 211 214 216 234 237 242 252 255 257 261 284 297 301 306 318 324 327 329 336 345 359 Eine Bitte um Mitteilungen über hand- schriftliche Fischereitraktate des Mittelalters. Wissenschaft ist ein gegenseitiges seliges Geben und Nehmen, ein freudiges Empfangen und Austeilen. Es ist das nobile offi- cium eines jeden Forschers, diejenigen Splitter, die er bei seinen Studien findet, aber nicht in sein wissenschaftliches Mosaik ein- fügen kann, anderen mitzuteilen, welche sie für ihre gelehrten Zwecke so dringend nötig brauchen könnten, aber leider nur zu oft ihre kostbare Zeit beim Quellensuchen verzetteln müssen und denen dadurch nie wieder einzubringende Stunden zum richtigen Quellenfassen und Quellenerschließen geraubt werden. Eine Bitte um Mitteilungen über ältere Fischereihandschriften will jetzt zu den Mitarbeitern der „Zoologischen Annalen“ dringen. Sie wendet sich an alle diejenigen, die bei ihren Studien auf hand- schriftliche Fischbücher und Fischereitraktate aus dem Mittelalter stoßen. Als zeitliche Grenze ist dabei das Ende des 16. Jahrhunderts zu betrachten, da ein gewisser Höhe- punkterst um diese Zeit den Abschluß der mittelalterlichen Fischerei- literatur kennzeichnet, ein Punkt, von dem aus eine ungemein steigende, aber auch oft wieder fallende Linie in die produktions- freudige Hausväterliteratur führt. Die Beziehungen zwischen Zoologiegeschichte und Fischerei- geschichte sind recht eng verknüpfte. Einerseits liefert die Zoolo- giehistorik das eigentliche Substrat für fischereigeschichtliche Forschungen und andererseits erweitert wiederum die Fischerei- geschichte die ichthyologisch-historischen Erkenntnisse nach der ethnozoologischen Seite hin und zwar ,,ethnozoologisch‘ im umfas- — iI — 356 Rudolph Zaunick, sendsten Sinne des Wortes. Es muß doch den historisch geschulten Zoologen besonders stark interessieren, wenn er sieht, mit welch merkwürdig komplizierten und im Grunde so einfachen Ködern man früher die Fische lockte, auf welch mannigfaltige Weise man sie mit Angel, Netz und Speer fing. Es muß ihn anziehen zu erfahren, wie die Fischer ihre Beute zu Markte brachten, wie man sie dort verkaufte oder vorher konservierte, wie man sie endlich zur Tafel zurichtete. Soweit sich überschauen läßt, ist die ganze frühmittelalterliche Kenntnis von der deutschen Bin- nenfischfauna einerklösterlichenKüchenichthyologie entwachsen, und der historisch arbeitende Zoologe, der sich mit der Fischkunde des Mittelalters innig vertraut machen will, : muß sich daher unbedingt in kulturgeschichtlich -fischereiliche Studien versenken. Ich selbst, der ich aus zoologischem Lager komme, habe mich in diese dem naturwissenschaftlich-historischen Forschungsgebiete oft ganz fern liegenden Fragen erst einarbeiten müssen, um ein nach allen Seiten hin begrenztes Bild zu erhalten. Und ich habe da köstliche Ausblicke in ein mir vorher ganz fremdes Land genießen dürfen. Greifbar nahe gerückt ist mir dadurch das pulsierende Leben früherer Jahrhunderte, das Milieu derjenigen Menschen, die — wie wir Modernen — den Fisch zum Objekt der Forschung oder — der Magenfrage machten. Die Zoologiehistorik, nachdem sie sich nun einmal zu einer eigenen Disziplin durchgesetzt hat, kann nicht mehr allein rein zoologische Probleme im Wandel der Geschichte erleuchten, sie muß auch die Geschichte der angewandten Zoologiein ihren letzten ethnologischen und ökonomischen Aus- läufern hell bestrahlen. Erst wenn sie die Rolle eines Tieres oder einer ganzen Tiergruppe in der Kultur- und Wirtschaftsge- schichte einer größeren Epoche nach allen Richtungen hin unter- sucht hat, darf sie sich eines gewissen Abschlusses stolz erfreuen. Diese wenigen Sätze mögen zur Begründung dienen, warum ich mich mit einer Bitte um Mitteilungen über mittelalterliche Fischereihandschriften auch an die Mitarbeiter der „Zoologischen Annalen“ wende, warum ich gerade ihr Interesse für fischerei- geschichtliche Forschungen wachrufen will. In einem Sonderheft des „Archivs für Fischereigeschichte‘“, in der Uhles-Festgabe über „Das älteste deutsche Fischbüch- Eine Bitte um Mitteilungen über handschriftl. Fischereitraktate d. Mittelalters. 357 lein vom Jahre 1498 und dessen Bedeutung für die spätere Lite- ratur‘ (Berlin, bei Paul Parey, 1916), machte ich unlängst den ersten Versuch, die Zusammenhänge der ältesten deutschen gedruckten Fischbücher untereinander aufzudecken. Daß meine dort verzeichnete Bibliographie dieser Drucke noch kleine Lücken aufweisen wird, war mir immer bewußt und wird auch jedem selbstverständlich erscheinen, der die Schwierigkeiten und die Zufälligkeiten beim Auffinden alter, bisher nie beachteter Drucke selbst verspürt hat. Solch historische, bibliographisch-literarische Untersuchungen sind eben zunächst nur Kärrnerarbeit, und es haftet ihnen in ganz besonderem Maße auch das spezifisch Menschliche an — die Unvollkommenheit. Es soll mich nur freuen, wenn noch einige alte Fischbuch- Ausgaben meiner Bibliographie hinzugefügt werden könnten. Ich selbst bin schon einem bisher noch nicht auffindbaren, aber ver- mutlich doch anzunehmenden Heidelberger Druck aus dem Jahre 1490 auf die Spur gekommen. Das von mir ans Licht gezogene Erfurter „Büchlein“ wäre dann nur der erste Nachdruck. Während meines letzten Münchener Aufenthaltes hörte ich auch von dem bekannten Hofantiquar Jacques ROSENTHAL, daß eine mir unbe- kannt gebliebene Straßburger Fischbuch-Ausgabe aus den 30 er Jahren des 16. Jahrhunderts im Privatbesitz wieder untergetaucht ist — für 250 Mark. Uber den Kanal hinüber ist sie nun leider verschwunden! Außerdem gelang mir in der Münchener Hof- und Staatsbibliothek durch die Benutzung des bald ganz vergessenen handschriftlichen Realkataloges von SCHRETTINGER der Fund eines vlämischen ,,Boecxken“ das im neuen Katalog merkwürdiger- weise unter diesem Stichwort fehlt. Es wurde von HEINRICH ECKERT (von Hamburg) 1509 in Antwerpen gedruckt und war bis auf den Tag meines glücklichen Fundes gänzlich unbekannt, fehlt also auch in meiner Bibliographie. Es scheint dies überhaupt das einzige vlämische „Boecxken“ zu sein, das sich in einer der mehr als 300 deutschen Bibliotheken befindet, die dem Berliner Auskunftsbureau angeschlossen sind. In englischen Bibliotheken suchen vorläufig zwei namhafte Schweizer Bibliographen nach den ersten vlämischen Ausgaben. Für Mitteilungen über mir unbekannt gebliebene Drucke von den ältesten Fischbüchern bin ich jeden- falls immer sehr dankbar. Nun läßt mir aber die Frage nach den Quellen der gedruckten Zool. Annalen VII. 93 358 Rudolph Zaunick, Fischbücher keine Ruhe. Welche literarischen Zusammenhänge bestehen überdies zwischen dem deutschen „Büchlein“ und dem vlämischen „Boecxken“? Denn die von mir zunächst nur ver- mutete direkte Abhängigkeit des deutschen Fischbüchleins vom vlämischen halte ich jetzt selbst nicht mehr aufrecht. Es ist wohl eine beiden gemeinsameälterehandschriftliche Fische- reitradition als Quelle anzunehmen, die wahrscheinlich um den Rhein zu suchen ist. Ob diese aber deutsch oder vlämisch ist, muß erst die Zeit lehren. Was Kart SupHorr in der Einleitung zu seinen grundlegenden bibliographisch-literarischen Untersuchungen über „Deutsche medi- zinische Inkunabeln“ (Leipzig 1908, S. XIX) für die Medizinge- schichte gefordert hat, daß dielnkunabelforschung notwen- digwauis@ene ste) mit, dershlrameisechewiitentorschungessder zeitgsienössischen und der der vorherzeihrenden jahr zehnte, Hand in Hand gehen muß, gilt ohne jede Einschrän- kung auch für Untersuchungen über die Geschichte der mittelalter- lichen Fischbücher und Fischereitraktate. Um nur einige Klarheit in diesen Fragen zu gewinnen, ist eine peinliche Durchsicht der Handschriftenschätze aus dem Mittel- alter von nöten. Aber leider hat man sich bisher noch gar nicht um die Fischereitraktate des ı5. Jahrhunderts oder gar die der vorhergehenden Jahrhunderte recht gekümmert. Es ist jedoch nun an der Zeit, daß die Fischereigeschichte die handschriftlichen Grundlagen ihrer ältesten Druckliteratur untersucht, und als nächstes großes Ziel habe ich mir die Aufgabe gesetzt, in zukünftigen „Quellen und Beiträgen zur Geschichte der Fischkunde und der Fischerei in Deutschland bis zum 16. Jahrhundert“ möglichst alle handschriftlichen Fischbücher und Fischereitraktate des Mittel- alters abzudrucken und sachlich-sprachlich zu erläutern. Gleich- zeitig sollen die auf unsere Zeit gekommenen antiken und früh- mittelalterlichen Zeugnisse über die deutsche Fischfauna und die deutsche Binnenfischerei in diesem Buche, das dank der allbekannten Munifizenz des Herrn Geheimrat Unies im Rahmen des „Archivs für Fischereigeschichte“ erscheinen soll, gesammelt werden. Hoffentlich sind auch vollständige Faksimiles aus den seltensten Erstdrucken der Ichthyologisches und Fischereiliches bergenden Frühliteratur in der Weise möglich, wie G. HELLMANN vorbildlich die Denkmäler mittelalterlicher Meteorologie in glänzenden Neudrucken der mo- dernen Wissenschaft wieder allgemein zugänglich gemacht hat. Eine Bitte um Mitteilungen über handschriftl. Fischereitraktate d. Mittelalters. 359 Eine Unmasse Material liegt mir schon jetzt, trotzdem mir seit Anfang des Krieges der Dienst den größten Teil des Tages weg- nimmt, aus den Bibliotheken zu Berlin, Brüssel, Dresden, Erfurt, München, St. Gallen, St. Florian und anderswo teils in mühevollen Abschriften — wobei mich eine getreue Helferin verständnisvoll unterstützt — teils in Photogrammen vor oder harrt noch der Kollationierung. Es ist oft eine ganz hoffnungslos ausschauende Arbeit, die verzwickten lateinischen Abbreviaturen zu entziffern, besonders eine Brüsseler Handschrift des 15. Jahrhunderts, eine Ars piscandi, trotzt spröde meinen heißen Bemühungen. Neben der Riesenarbeit der Kollationierung und wissenschaft- lichen Verarbeitung auch noch die gesamten mittelalterlichen Handschriften der kleineren und kleinsten Bibliotheken zu durch- suchen, geht über die Kräfte eines einzelnen. Wenn wenigstens die zumeist in Miszellanbänden stehenden anonymen Fischerei- traktate in den Registern der Handschriftenkataloge leicht auf- findbar wären, ließe sich die Arbeit trotz des Vergeudens kost- barer Zeit schon ausführen! Wer aber halbwegs die Verzeichnisse und deren verschiedene Systeme kennt, weiß, daß dies nur ein frommer Wunsch ist. Ohne die tätige Mithilfe anderer Forscher kann ich jedenfalls die geplanten ,, Quellen und Beiträge“ nicht erfolgreich zu Ende führen, zum mindesten nicht in dem hohen Sinne, ein grundlegendes fischereigeschichtliches Quellenwerk zu schaffen. Wie oft kommt es vor, daß man eine Handschrift studiert, ohne auf das zu achten, was dem eigenen Interessengebiet fern liegt. Werden sich doch gerade diese Anleitungen, we man fisch fahen soll, oft in Rezeptbüchern verstreut finden. Jeden, der mit alten - Handschriften zu tun hat, bitte ich, nicht achtlos daran vorbeizu- gehen. Eine kurze Notiz über die Stelle, über die Bibliothek oder das Archiv (unter Angabe der Signatur) genügt, um einen neuen Baustein zu einer Geschichte der mittelalterlichen Fischerei- traktate zu liefern. Ich bin für die kleinste Mitteilung dankbar. Wenn natürlich auch Zusammenhängendes über die Fische, ihren Fang, ihre Zucht und ihre Verwendung in der Küche und in der Volksmedizin ungleich wertvoller ist als einzelne Fischköder- rezepte, so sind doch auch die letzteren nicht ohne Bedeutung bei der Entscheidung über die Frage ihres Ursprunges. Im Anschluß an meine persönliche Bitte möchte ich zugleich zur Sammlung der übrigen Handschriften auffordern, die 23* 360 Rudolph Zaunick, Bitte um Mitteilung über handschriftl. Fischereitraktate usw. irgendwie fischereigeschichtlichen Wert besitzen. Es handelt sich hierbei um alte Verzeichnisse von Fischge- wässern (ihre Ausdehnung und ihre Nutzung), um ältere Fische- rei- und Fischmarktordnungen, um Innungsakten und sonstiges. Dieses Material wäre recht erwünscht als kleiner Bei- trag zu einer auf UnLES Anregung von mehreren Fachleuten bereits in die Wege geleiteten „Bibliographie der deutschen fischereigeschichtlichen Literatur“. Fischereigeschichtliche Kreise würden dadurch auf oft wichtige Quellen aufmerksam, die sonst einen Dornröschenschlaf in Bibliotheken und Archiven schlummern. Dresden-N., Bischofsweg 35. Rudolph Zaunick. | Zunlogische Annalen or Geschichte der Zoologie | AN AU | | nl a it) Herausgegeben von RDS PU HR \ i Geh. Reg - Rat Dr. Mix Braun, 0: 8. Britcar der Zoologie u. vergl. Anatomie ini Bee des zoolog. Museums in Königsberg i 14.Pr,: ya | fe Di. umilia 1. Inhalt: za Di i a, Dr. B., Der Wisent im Ortsnamen. i Pax, Dr. F., Über das Aussterben der Gattung Parnassius in den Baden q | Zaunick, Fee Ein kleiner PRE zur Geschichte der RE RT Würzburg. ; ; Verlag von Curt Kabitzsch / I : st Kgl. Universitäts-Verlagsbuchhändler 1915. Die „2 oologischen Annalen“ erscheinen in zwanglosen Heften, von denen un vier einen Band von 320 bis 400 Druckseiten gr. 8° zum Subskriptions- preise von Mk. 15.— bilden. Einzelhefte werden nicht abgegeben. i | Druckfertige Manuskripte wolle man an Herrn Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Max _ Braun in Königsberg i. Pr., Zoolog. Museum einsenden. Der Verlag behält sich _ das ausschliessliche Recht der Vervielfältigung und Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum Erscheinen gelangenden Originalbeiträge innerhalb der gesetz- N Là ‚lichen Schutzfrist vor. Verlag von Curt Kabitzsct 1 Soeben erschien TR DRE im. Text‘ wie in den. nes tt. ae Bach zahlreiche AS but Le Bestehenbleibende wurde. einer ‚gründlichen | Rey ision unterzoge na © Buches ist eine hervorragend gute, der Preis en sehr. _ Wort und Bild, Gebotenen: zu nennen, ea = verbesserte Auflage. Ny ” si ma | Diese wertvolle Ergä ung des chen CIA, Taschenbuchs Lie praktische ÿ Winke ; ant etes Mitteln im er BERNER werden kann und: zwa Au i sie dem RETanı, Arzte zugänglich sind EU FR x 3 | | Preis RER Mk. 3. 60. ‘Ein brauchbares und übersichtliches Büchlein, weiches ‚die > wichtigsten. Vorschriften è zu Präparate, des hipteetestere tain enthält. ; È fi es N an de Leiche. Ein Leitfaden für Shine Von ] Operationstbungen Dr. E. Bennecke. Mit 108 Allen Preis kart.] "Von Dr. =. Frankel. PRE kartoniert Mk 4, 1.80, geben von | Prot. Dr. Guiles ue i La Ri btun; en eed ee führt uns ein in die. ‘yor: und. frügeschichliche Urzeit > er Yost, an Aa Den ‚geschaffen, wurde, . El, Pu am te heit Von Havelock Ach oe Be der 1 Ellis schen Schriften. sendet Er Verlag sat Wunsch kostenlos. a 1! £ dh (RD n von ” Geh. N a o ar Eu. Kille rman n, "Seb, Der Waldrapp. “Gesners “(Geronticus x | bildungen. N May , Prof. Dr. Walther, Di und PAU Mathew LT | Schertel, Dr. Ernst, Schelling. und der Entwicklungsgedanke. EN nl W. Fi Zweihundert ae SET de Tex i me Prof. Da Cal Fas Vo Larmes pin: euro f preussischen Provinz ‚Schlesien. | a 1 Me rte (rt Comming, Bie FO SR Biographien aan of à nani field EINIGER, È sonders der letzten 30 Pirla ; Lat, rugge, J. H. F, ” Toren nn is Go Is Natu orschen + IM 2 on ï a. ’ Dr. haces Die em) de En seri | Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius. DE Ziegler, Prof Dr: Hs He Über die neue ‚Nomenclatu | ri i ii Inhalt des VI. Bandes: dl Codimia gs, "Bruce F, A biographical sketch. DE Col ‘George Mo RR Corrigenda et addenda. N = Gudger, Dr. E. W,, Georg Maregrave (aus. dem Englischen. von | € Ti; Brackwede). h Killermann, Dr. Seb.. Das Lieb uch des ee Candi us geschri en aces im 16. Jahrhundert. Mit 8 Tafeln. ie ne RANG fe «Klunzinger, Dr.C. B., Erinnerungen aus. ‘meinem: eben al i zu Koseir am Roten Meere. ME 15 Ka re en Szalay, | Dr. B, Der Wisent | im Brehm. sind i Der Meerochs. © Bike is Besprechungen. à MIA - Die vollständigen Bände I-VI Lasi Waren den Buchhande zur Ansicht ra werden. fl Zaunick, Rudolph, | | Würzburg. i Matta von Curt Kabitzsch pee Universitits- fosse n NER. a È, à 1916. SAR en An n alen“ erscheinen. in zwanglosen Heften, von denen einen Band von 320 bis 400 Druckseiten gr. 8° zum Subskriptions- |» preise von LE 15. bilden. Einzelhefte werden Ihe abgegeben. i Druckfe tige énigsberg. ii Pr, Zoolog. Museum Sucedten: Der Verlag behält sich eo iessliche Recht der Vervielfältigung und Verbreitung der in dieser schrif m Erscheinen. gelangenden Originalbeiträge innerhalb der gesetz- aay lichen. ‚Schutzfrist vor. u ‚mit besonderer" Bereiche dici des menschlichen Körpers ! “yon ate Tadielaus. os. KR RUES o. 6. ees der Histologie und Embryologie an der Universität ee Dritte, vollständig umgearbeitete und stark vermehrte — XII u. 556 Seiten mit 378 Illustrationen im Text und auf 82° meist ‚farbigen ai ‚Preis brosch. M. 15. <>; gebd. M. 17.50. das Beitchenbloibende wurde einer gründlichen Revision N eine hervorragend gute, der Preis ein sehr aa Ks der Fülle des botenen zu nennen. ap NUR ore fe | Bakteriologisches m gen uch von Fo Dr, . Rudolf 1 Abel een a a, ! Sr aschenformat keno ‘an durchschos: RE und Verben serie Auflage.) È Diese wertvolle Ergänzung des Abelschen bakteriol. Taschenkach, gibt prakti einfachsten Mitteln im Laboratorium gearbeitet werden kann und. zwar auch in so. sie dem prakt. Arzte zugänglich sind. $ ik ih ee x ‚Centralb da Die histologischen Untersachunsameihaien | a E TNT EIRE eee ee Preis gebunden Mk. 3.60. . N bi ae s Ein brauchbares und übersichtliches Büchlein, welche die wichtigsten Vorschriften zur Here e Präparate des Nervensystems enthält. 3 i Die zahnärztlichen Pr men: sd Dr i Fri TOLTO RE RT O OR LE O SI % È AK; Be ee an der Leche. Ein Leitfaden für Studieren en Dr. E. Benneeke, Mit 108 Abbildungen. Pr Die 20 Prüfungsaufgaben der ue Von Dr. M. Frankel. Lies Manonent Mk. Mr ie if er Schnee reis Mk. 4.80. = Cid je MK. 2.— mehr. ——————— t ur sere Pichi nach allen Richtungen erkennen, führt uns ein in die vor- und frühgeschichtliche aoe und nics uns, was ‘schon in i Vorzeit an Kulturwerken gescha fen wurde, — a N BER Grunil Ha vi ini von der Papa Gesellschaft in ail i 1915. Mit È Portrait. Preis 70 Pîg. ir immer denkwürdigen 3 ‘ersten Aufsätze über die Ensdeoking. der Rana ai an ae Ge Fee a jeden de und Me von ae na ‘toniche Pe Von Dr. Oskar Schultze, i | Professor der Anatomie an der ‚Universität‘ Würzburg, Mit 11 Paga — Preis Mk. 2.20. 1 b | el 4 bi pr rea mm von Dr. Max Hirsch, Frauenarzt in Berlin. ee in ae Heften von etwa 6—10 Bee Umfang, Im Erscheinen der IT. Band, an ne n Vol LI ee Von Havelock Ellis. : Eier Sch, Si cane (Gare nti Li aa ER i | Cu es Hales F, x biographical sket hr © Col. ‚Bee È |. english field zoologist. h | Hilzheimer, Dr. Max, Alherbick: über, te Ge EN sonders der letzten 30 Jahre. Mol NL LEA paren Bas 2 an Me : Bieler, Prof. Dr. H. 3, o RSSPIGEUWASER | Si Cummin gs, Bruce pi A biographical = sk x Corrigenda et addenda. Nears Baal, | Gugger, Dr. E. W., ‚Georg Maregrave aus de RE Kun, Brackwede). N | Killermann, Dr. Seb., Das *renbichi des Petrus Candiau ‘im 16. Jahrhundert. ‚Mit 8 ‚Tafeln. i ' Klunzin; er,.DriC.B;,; Erinnerungen aus meinem eben als, Ar t gu Koseir am ‚Roten ner. ae 15 ee L zu Mk. 2.- — käuflich.) ; ÿ - Szali ay, ‘Dr. B, Der Wisent i im Brehm. ora ui i Der Meerochs. a (i if | Besprechungen, RRA rue: ‘ Lod Die vollständigen Bände IVI kb CR ‘durch de) Bue b LIA zur ent Den wer den. ft ft fir Geschichte der Zange > Herausgegeben von Fi | ae > N & À FREE LI Warzburg. EN Merini von Curt ua | LIMO ari | Kgl. Uniyersitäts-Verlagsbuchhändler Î i g ischen An nalen“ erscheinen in zwanglosen Heften, von denen rier einen Band von 320 bis 400 Druckseiten gr. 8° zum Subskriptions- Nhe “akon von Mk. 15.— bilden. Einzelhefte werden nicht abgegeben. ) N ge Manuskripte wolle man an Herrn Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Max n Königsberg i. Pr., Zoolog. ‘Museum einsenden. Der Verlag behält sich sschliessliche Recht der Var ANEUDE und LI der in dieser Ha Verlag von Curt Kabitzsch, kel. Univ.-Verlagsbuchhändiet, Würzburg. | EU en mm m — m m nn a mn Lehrbuch der Histologie und der mikroskopischen A ‘mit besonderer Berücksichtigung È ChE ti des menschlichen Körpers. da einschliesslich der mikroskopischen Technik » + von À . Ladislaus Szymonowicz . | o. 6, Professor‘ der sas und Embryologie an der Universität a NEN, Dritte, vollständig umgearbeitete und stark vermehrte Auflage | — XII u. 556 Seiten mit 378 Illustrationen im Text und auf 82 meist farbigen RE, EN, Prius brosch. M. 15.—, gebd. M. 17. 50. a . Sowohl im Text wie in den Abbildungen weist das Buch zahlreiche Versi ndicagii Sue das Bestehenbleibende wurde einer gründlichen Revision unterzogen, .. ... Die Ausstattung. des Buches ist eine hervorragend gute, der Preis ein sehr we gegenüber. der F iille des in iW OF and Bild Ge botenen zu nennen, NE Bakteriologisches Taschenbuch. Die wichtigsten technischen Vorschriften ao di zur bakteriologischen Laboratoriumsarbeit von Professor Dr. Rudolf Abel, . Geheimem Obermedizinalrat. Du Neunzehnte Auflage. 1916. pres | | Preis gebunden Mk. 2.50. = Re Unentbehrlich in jedem eee Laboratorium. n n IR A Von Geh. Obermed.-Rat Prof, Dr. Rudolf Abel und Prot Dr. M Ficker. ER i mehrte und verbesserte Auflage. - Taschenformat karton. und durchschossen MI Mk. 1.20 Diese wertvolle Ergänzung des DER es Nr Taschen bitches gibt praktische Winke, wie äuch mit wie i einfachsten Mitteln im Laboratorium gearbeitet werden kann und zwar auch in so kleinen Verhältnissen, wie sie dem prakt. Arzte zugänglich sind. Ars apap secre ce far. innere SARA Bai Die histologischen Untersuchungsmethoden des Nervens stems Von Dr. P.G. Rayon Preis gebunden MK. 3.60. % Ein brauchbares und übersichtliches Büchlein, welches die chistes Vorschriften. zur Héros mikroskopischen | Präparate des Nervensystems enthält. Aas Die zahnärztlichen Erin sauf dl Von, Dr. m Foankel, I | Preis ‚kartoniert Mk. 3— | iy an der Leiche. Ein Leitfaden für Studierende. Von res 0 erationsübungen Dr. E, Benneeke. Mit 108 Abbildungen. Preis kart. Mk, Ba i i Die 20 Priifungsauf aben der All emeinen_ Patholo ie. Von Dr. M, Fränkel. Preis kartoniert Mk. 1.80. RA ® | it lem. SE lina und iE ‘Abbilaung im. cue Preis 70 Pig. ae ; denkwürdigen | 3 ersten fee über die Entdeckung der Rönteenstrahlen, mit: i ee trat. Sar de Ar et and “a RR scher von. grösstem nen Bi cher Betrach ung. son, Dr. se cuni È Professor. der ‘Anatomie ‚an der Universität Würzburg. 4 Mit, 11 ns ni Preis Mk. 2.20. ir den Band \ von etwa 30 Bogen BA er Mk. 16.—. a ma eu n DI Von Havelock Ente. à | 3 Schmid, Dr. Georg, Die necbliched Garis! in Hannos Bench Verlag von Curt Kabitzsch, xg 700 | An Zeitschrift für Geschid hte d Herausgegeben von Geh. Reg.-Rat Dr. Max a ‘0. è. Professor der Zoologie und vergl. Anatomie | ‘und ana, des = Zu N Bam) ae, i, ey I pis i ) re bilden. Einzelhefte werden diche pra Die Zidle, ‘welche sich Bin ach. ge steckt hat, beweisen am | besten die nachetehend abgedruckten Inhaltsverzeichniss ji pia A I Inhalt gen Vv. Bandenr i erw Bruce F., A DIR RPG sketch of Col. George Montagu 755- 18 english field zoologist. à Hilzheimer, Dr. Max, Überblick über. die Geschichte der Haustierforsch sonders der letzten 30 Jahre. Sohlbrugge, J. H. F, Historisch- kritische Studien über Goethe : als s Naturforsch Mit 2 Tafeln. Bi Sch ulze, Franz ‚Eilhard, Nomenclatur animalium Bann et subgenerum. Steier, Dr. August, Die Tierformen des Pins. /G/G/G/00°®0 _ Zoologische Probleme bei Aristoteles und Plinius.: ge) Zi ie sich, Prof. Dr. H. E. Über die neue Nomenclatur. SENI) * Besprechungen. | IT TR AU are | Inhalt des VI. Bandes: By SR OE Bruce F., A biographical sketch of ‚Col George Montagu. Corrigenda et addenda. h Gudger, Dr. E. W., Georg. Marcgrave (aus dem Englischen von Dr. w. Breitenb: in Brackwede). di . Killermann, Dr. Seb., Das Terbuch des Petrus Candidus geschrieben N v im 16. Jahrhundert. Mit 8 Tafeln. Klunzin er; Dr Ce Erinnerungen aus meinem Gehe: Lu a und Na fatta zu Koseir am Roten Meere. Mit 15 Textabbildungen. 4 (Auch als En zu Mk. 2.— käuflich) |. N i Poche, Franz, Supplement C. O. Waterhouses Index Zoologicus Nr Szalay, ] , Dr. B., Der Wisent im Brehm. VE Ta Der Meerochs. PMT NaN oe He Ri RS nin An REC EIN pe Die vollständigen Bände I-VI kö önnen on den Buchhandel zur Änsicht bezogen merda); BER SEN “Inhalt des vo. Bandes, Heft ae ib "Gi Szalay, Dr. B., Der Wisent im Ortsnamen. AR Pax, Dr. F., Über das Aussterben der Gattung Pan in ‘den Sudeten, nis cena re Ein ‚kleiner pi zur Geschichte der Le, ang Szalay, Dr. B., Der grimme Schelch. mini) Rudolph, Mede zu Lr Arbeit über Geon Königl. Dresser H, dun x G. 5 rn si h HR A is = È = D = den = x “une “+ ne Oy BO ae yg = —_ na Ji fe = = ra in er = sla = i Pe - cm gere LA nd fa à > - - - 3 7 è as = z = . + = = - ¥ ae » = Rz bi 224 x . 7 vs tale ae u ta - > . 7 À Capa PO, B, Ar i PA Pa cd, 3 © Di u 5 - i Po è; E - = . x = x a … - PE: fa - i n ECS . a si - = - > En. > = ~ ie mad i Pay geese! er = ne