i ial = fy Se at RE en Pele Ae BEI % x LEER hee ate EY. FE ioe 2 Lae ig tis Pea werd 9 in BR = it) DURS 2 ar É : oo me HE = A es = à = r We GE hp en EC |} cé. + So es A = Ne a # Lou . de me hr 7 ‘hy À My a , MI te N Ta u Tec” DT KR es, sis CE ls à u A LRU M i Wades 4 III" tal he | ae | MP 7 : we : a . ee ı sur | 1 Ce: aaa de i A: DEA ‘ if i i A à æ. { Ra: ZOOLOGISCHE JAHRBÜCHER ABTEILUNG FUR ALLGEMEINE ZOOLOGIE UND PHYSIOLOGIE DER TIERE | HERAUSGEGEBEN VON PROF. DR. J. W. SPENGEL IN GIESSEN EINUNDDREISSIGSTER BAND MIT 4 TAFELN UND 98 ABBILDUNGEN IM TEXT JENA VERLAG VON GUSTAV FISCHER 1912 222207 Alle Rechte, Inhalt. Erstes Heft. (Ausgegeben am 12. Dezember 1911.) BECHER, SIEGFRIED, Untersuchungen über nichtfunktionelle Korre- lation in der Bildung selbständiger Skeletelemente. Mit 64 Ab- bildungen im Text ER A EN A Zweites Heft. (Ausgegeben am 11. Januar 1912.) Hoppe, JULIAN, Die Atmung von Notonecta glauca. Mit Tafel 1—2 OETCKE, ERNST, Histologische Beiträge zur Kenntnis der Ver- dauungsvorgänge bei den Araneiden. Mit Tafel 3 und 2 Ab- bildungen im Text Pie CLEMENTI, ANTONINO, Sui ME nn News ae run la Draremine dei Movimenti Locomotorii nei en Con 8 figure nel testo : KOSMINSKY, PETER, Einwirkung iußbese Einflüsse er eier linge. Mit Tafel 4. Drittes Heft. (Ausgegeben am 15. März 1912.) GREIL, ALFRED, Über allgemeine Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems . Seite 189 245 303 IV Inhalt. Viertes Heft. (Ausgegeben am 1. April 1912.) Seite DEMOLL, REINHARD und LUDWIG SCHEURING, Die Bedeutung der Ocellen der Insecten. Mit 23 Abbildungen im Text . . . 519 Hess, C., Untersuchungen zur Frage nach dem Vorkommen von Farbensinn bei Fischen. Mit 1 Abbildung im Text . . . . 629 ZWOLOGISCHE JAHRBÜCHER 4 ABTEILUNG = FÜR : 3 _ ALLGEMEINE ZOOLOGIE UND PHYSIOLOGIE : DER TIERE HERAUSGEGEBEN VON PROF. Dr. J. W. SPENGEL IN GIESSEN EINUNDDREISSIGSTER BAND ERSTES HEFT MIT 64 ABBILDUNGEN IM TEXT JENA VERLAG VON GUSTAV FISCHER 1911 Inhaltsubörsiche BECHER, SIEGFRIED, Untersuchungen über nichtfunktionelle Korre- lation in der Bildung selbständiger Skeletelemente. Mit 64 Ab- 3 bildungen im Text’. 4. +. , Se ee ee Verlag von Gustav Fischer in Jena. Soeben erschien: Vergleichende Physiologie. — August Pitter, Dr. phil. et med., Professor in Bonn. Mit 174 Abbildungen im Text. (VIII und 721 S. gr. 8°) 1911. Preis: 17 Mark, gebunden 18 Mark. Inhalt: Einleitung. Begriff u. Aufgabe der vergleichenden Physiologie. — I. Kap.: Das Substrat der Lebensvorgänge. 1. Die physikalische Beschaffenheit der lebendigen Substanz. 2. Der Stoffbestand der Organismen, 3. Die lebendigen Systeme. — II. Kap.: Der Stoffwechsel. 1. Der Betriebsstoffwechsel. 2. Der Bau- … stoffwechsel. 3. Der Gesamtstoffwechsel. 4. Die Wirkung veränderter Bedingungen auf den Stoffwechsel. — III. Kap.: Die Ernährung. — IV. Kap.: Der Stoffaustausch. — — V. Kap.: Die Lebensbedingungen. — VI. Kap.: Die Energieumwandlungen. — VIL Kap.: Die Reizbeantwortungen. — VIII. Kap.: Die Sinnesorgane. — IX. Kap.: Das Nervensystem. — X. Kap.: Die Vergleichung der Organismen. — Systema- - tisches und Sachregister. Ein Lehrbuch der vergleichenden Physiologie hat bisher gefehlt und es wird daher von allen Beteiligten mit Freuden begrüßt werden, daß Professor Pütter es unternommen hat, die Aufgabe zu lösen. In außerordentlich klarer und faBlicher Darstellung gibt der Verfasser ein Bild der Probleme und der allgemeinen Fragen nach dem Wesen des Lebens, die durch die Methode der Vergleichung ihrer Beantwortung näher gebracht werden sollen. Physiologen, Zoologen, Botaniker und alle übrigen Vertreter der biologischen Wissenschaften werden- diesem Buche das größte Interesse entgegenbringen. Soeben erschien: Tierhaaratlas. > Von = Dr. Hans Friedenthal in Nicolassee bei Berlin. Mit 989 Abbildungen auf 16 mehrfarbigen und 19 einfarbigen Tafeln. > 1911. Preis: 40 Mark. Für die Erforschung der Behaarung hat Dr. Friedenthal bereits eine Reihe — wertvoller Beitrige geliefert. Der neue Atlas gibt das Material zu einer ver- gleichenden Betrachtung. Den makroskopischen Bildern der verschiedenen Säuge- tierordnungen folgen zahlreiche mikroskopische Haarbilder, zusammen in den fast 1000 Abbildungen also ein Anschauungsmaterial, das seinesgleichen noch nicht hat. Zoologen, Anthropologen und Anatomen werden auch dieses neueste Werk des — Forschers mit besonderer Freude begrüßen. \ Nachdruck verboten. Übersetzungsrecht vorbehalten. Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation in der Bildung selbständiger Skeletelemente und das Problem der Gestaltbildung in einheitlichen Protoplasmamassen. Von Dr. Siegfried Becher, Privatdozent und Assistent am Zoologischen Institut in Gießen. Mit 64 Abbildungen im Text.’ I. Einleitung. Uber die verschiedenen Arten von Korrelation und ihre Erklärung. Das Vorkommen von Korrelation in der Gestalt der verschiedenen Skeletelemente eines Tieres ist eine den Biologen seit einem Jahr- hundert geläufige Tatsache. Von der Zeit an, da G. Cuvier (1800 u. 1821) die Einheit der Organisation und die Korrelation der Teile zu Grund- prinzipien seiner allgemein zoologischen Überzeugungen machte und an paläontologischen Funden die Fruchtbarkeit des Korrelations- prinzips in so überzeugender Weise dartat, hat die wechselseitige Abhängigkeit der verschiedenen Teile eines Organismus einen der bedeutungsvollsten Gegenstände von Lehre und Forschung gebildet. 1) Mit Ausnahme der Photographien Fig. A u. B weisen alle 61 übrigen Originalfiguren dieselbe Vergrößerung, 180 : 1, auf. Fig. O ist eine Kopie nach einer Abbildung von WOODLAND. Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Zool. u. Physiol. 1 2 SIEGFRIED BECHER, Auf dem Gebiete der Paläozoologie hat das Korrelationsprinzip seine höchsten Triumphe gefeiert; es fand allgemeine berechtigte Be- wunderung, als man mit seiner Hilfe von der Gestalt weniger Skelet- fundstücke auf das Aussehen anderer Teile und auf den Gesamt- habitus ausgestorbener Tiere schließen lernte und als solche Schlüsse durch spätere reichere Funde bestätigt wurden. Ein Halswirbel konnte durch seine Länge und sonstige Ausbildung Anhaltspunkte für Annahmen über die Ausbildung der Vorderbeine darbieten; denn zwischen Halslänge und Schulterhöhe besteht bei Säugetieren zu- weilen eine enge Beziehung. Der vorderste Halswirbel (Atlas) konnte durch Einzelheiten der Gestalt zu Vermutungen über Kopf- und Körperhaltung Anlaß geben und eventuell sogar Schlüsse über die Ausbildung der hinteren Extremität nahelegen. So wurden schein- bar unwichtige Teile, Zähne, Unterkieferteile, Fußwurzelknochen oder dgl., im Lichte der durch das Korrelationsprinzip geschärften Betrachtungsweise zu hochbedeutsamen Urkunden. Allerdings waren solche Schlüsse nicht selten mehr auf den bekannten „Bauplan“ einer Tiergruppe gegründet als auf eine eigent- lich korrelative Abhängigkeit verschiedener Körperteile. Wenn man aus dem versteinerten Fund einer stark heterocerken Schwanzflosse mit Hornstrahlen schließt, daß der Träger dieses Organs die Haut mit Placoidschuppen besetzt hatte, so gründet sich dieser Schluß auf die Erfahrung, daß die Fische, die eine solche Schwanzflosse haben, einen bestimmten Bauplan aufweisen und unter anderem Hautzähnchen zu besitzen pflegen. Dagegen braucht man an eine besondere Beziehung von Schwanzflosse und Hautzähnchen bei jenem Schlusse gar nicht zu denken. Wenn die Ausbildung des Angular- teiles eines Unterkiefers in uns die Vermutung weckt, daß das Tier, dem der Unterkiefer gehörte, einen Brutbeutel besaß (wenn es ein Weibchen war), so ist der Gedanke einer näheren Abhängigkeit von Angularteil und Brutbeutel ganz sinnlos, und die Annahme gründete sich nur auf unsere empirische Kenntnis von der Organisation der Marsupialier. In anderen Fällen spricht die Sachlage indessen wirklich für eine besondere Beziehung verschiedener Organe. Wenn die Hetero- cerkie sich sekundär in Diphycerkie (Dipnoer), Homocerkie (Tele- osteer) verwandelt, oder wenn das Schwanzende peitschenförmig wird (Holocephalen), so pflegt damit auch das stark ventral liegende Maul des Fisches eine mehr terminale Stellung anzunehmen. Wenn die vordere Extremität bei höheren Wirbeltieren (etwa den Huftiergruppen usw.) Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 3 sich verlängert, so finden wir eine korrespondierende Verlängerung des Halses, was zu so augenfälligen Extremen führen kann, wie sie bei Giraffe, Straußen und Flamingo vorliegen. Wenn die Backen- zähne deutlich Querjoche aufweisen, so läßt sich gewöhnlich eine Verlängerung der Gelenkpfanne für den Unterkiefer nachweisen (Nager) usw. Solche korrespondierende Umänderungen lassen sich nicht selten bei der phylogenetischen Entwicklung kleiner Gruppen finden; sie können sich vollziehen, ohne daß der übrige Bauplan wesentlich geändert würde. Die Vermutung einer besonderen Beziehung der sich entsprechend ändernden Organe erscheint in solchen Fällen gerechtfertigt. Aber schon die obige Überlegung konnte zu vorsichtigem Vorgehen mahnen: es treten nicht selten besondere Eigentümlichkeiten in einem Orga- nismus regelmäßig zusammen auf, die trotzdem nichts Näheres mit- einander zu tun haben. Sollte nicht auch in den scheinbar einwandfreien Fällen von korrelativer Entwicklung der Schein einer direkten Verkettung trügen können? Diese Möglichkeit hat man sich von vornherein deutlich zu machen, wenn man nach der Ursache der seltsamen Beziehung in der Entwicklung oft ziemlich weit entfernter Skeletelemente oder anderer Organe sucht. Fragt man nämlich nach der Ursache der Abhängigkeit verschiedener Teile im Organismus, nach dem geheimen Band, das ihre Gestaltung verknüpft, so ergeben sich zwei Möglich- keiten: I. entweder geht von dem einen Organeine Wirkung aus, die das andere direkt beeinflußt, oder aber II. es liegt gar keine direkte ursächliche Verbin- dung vor, und die scheinbare Abhängigkeit der ver- schiedenen Teile beruht auf Abhängigkeit beider (bzw. mehrerer) Teile von einem gemeinsamen Dritten oder auf einer anderen indirekten Beziehung. Im ersten Falle wollen wir von echter, direkter, un- mittelbarer oder Eukorrelation reden, im zweiten Falle von indirekter, mittelbarer oder Pseudokorrelation. Zunächst sollen einige Worte über die mittelbare Korrelation gesagt werden; denn eine Erörterung der eventuell möglichen in- direkten Vermittlungen zwischen den korrelativen Teilen geht zweck- mäßig auch der Betrachtung jener Korrelationen voraus, bei denen eine solche Zurückführung unmöglich ist. 1 4 SIEGFRIED BECHER, I. Mittelbare Korrelation. Pseudokorrelation. Das Gebiet der mittelbaren Korrelation ist ein außerordentlich ausgedehntes; fast alle jene Korrelationen, von denen die alte Mor- phologie wußte, gehören hierher. Wir sprachen oben von einer beiderseitigen Abhängigkeit der korrelativen Organe, von irgend- einem gemeinsamen Dritten. Dieses Dritte ist häufig in allgemeinen Bedingungen der Umgebung, in irgend- einem Zug der Lebensweiseoder in einem verwickelten Komplex von Funktionen gegeben. Aufrechter Gang beein- flußt einerseits die Ausbildung der hinteren Extremität und andrer- seits durch die geänderten mechanischen Beziehungen von Wirbel- säule und Kopf auch die Gestalt des Atlas. Kaubewegung von vorn nach hinten machte einerseits Querstellung der Schmelzleisten der Backenzähne und andrerseits Verlängerung der Gelenkpfanne für den Unterkiefer notwendige. Die Änderung in Flossenausbildung und Mundstellung bei Fischen steht offenbar auch im Zusammenhang mit der Lebensweise, die andere Schwimmweise und andere Methoden im Ergreifen der Beute mit sich brachte. Jene Fische mit nicht ausgesprochen heterocerker Schwanzflosse hatten auch die Lebens- weise der Hochseeräuber mit dem ventralen Quermaul aufgegeben. Derselbe Komplex von Funktionen oder derselbe Zug der Lebensweise ziehen in solchen Fällen verschie- dene Teile des Körpers in Mitleidenschaft und ver- ändern sie in scheinbar direkt korrelativer Weise. Wegen der offensichtlichen Beziehung zur Lebensweise wollen wir diese Korrelation als öcologische Korrelation bezeichnen. Bei der Abhängigkeit von Vorderbein- und Halslänge scheinen die Dinge etwas anders zu liegen. Die verlängerten Beine machen eine korrespondierende Halsverlängerung notwendig, weil die Tiere ihre Nahrung oft vom Boden aufnehmen müssen. Aber auch hier ist diese Abhängigkeit eine ganz indirekte. Die Beinverlängerung bewirkt nicht direkt die Halsverlängerung, sondern diese Halsver- längerung entsteht sozusagen selbständig hinzu, weil die Lebensweise es erfordert. Die hochbeinigen Huftiere und Strauße mußten als Grasflächen- oder Steppentiere einerseits vom Boden fressen und andrerseits schnelle und ausdauernde Läufer sein. Dementsprechend entstanden jene beiden korrespondierenden Verlängerungen. | Ähnlich liegt es in zahlreichen anderen Fällen. Bei den niederen Wirbeltieren, bei denen der Körper im Wasser schwebt oder beim Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 5 Landleben dem Boden aufliegt, fehlt die Verbindung des Extremi- tätenskelets mit dem Achsenskelet oder sie ist nur eine beschränkte. Wo aber die Extremitäten von bloßen Schiebewerkzeugen zu Trag- werkzeugen werden, da muß ihre Verankerung eine immer festere werden. Beim Becken ist der Unterschied besonders deutlich, man braucht nur an den einen oder an die wenigen Sacralwirbel der Amphibien bzw. Reptilien zu denken und damit die breite Verbin- dung des Beckens mit der Wirbelsäule bei den auf den Hinterbeinen stehenden Vögeln zu vergleichen. Auch hier haben wir denselben Zug der Lebensweise (Laufen mit vom Boden erhobenem Rumpf statt Kriechen), der einerseits die Stärkung und vereinheitlichende Verschmelzungen in der Extremität und andrerseits festere Becken- verbindung nach sich zieht. Es wäre leicht die Zahl solcher Bei- spiele zu vermehren. Das erübrigt sich indessen, denn jeder zo0- logisch Orientierte kann zur Genüge weitere entsprechende Fälle finden. Es muß aber noch darauf hingewiesen werden, daß trotz der erkannten Vermittlung die Art der eigentlichen Verursachung der entsprechenden Entwicklung verschiedener Organe in den an- geführten Fällen ziemlich dunkel ist. Beruht sie auf vererbter Wirkung der Übung, die jener Zug der Lebensweise bei verschie- denen Organen bedingte? Oder hat Selektion dem doppelten Be- dürfnis entsprechend an den verschiedenen in Betracht kommenden Organen angesetzt? Jedenfalls ist die Art, in der die Lebensweise die verschie- denen Teile beeinflußt, sehr kompliziert und in ihren Einzelheiten nicht zu überschauen. Dieser Einfluß muß sich auch auf zahlreiche Genera- tionen erstrecken; er scheint nicht in einer individuellen Entwick- lung, sondern erst im Leben der Art zu erheblichen Resultaten zu führen. L. PLATE (1910, p. 593-595) hat diese Form von Korre- lation daher als phyletische Korrelation bezeichnet. Ganz genau decken sich allerdings die Begriffe der öcologischen und phy- letischen Korrelation nicht. Der großen Verwicklung in dem kausalen Zusammenhang bei phyletischer Korrelation entspricht es, wenn sich von mehrfach zu beobachtenden korrelativen Gesetzmäßigkeiten fast immer auch Aus- nahmen finden lassen. Es kommen bei der komplizierten Verkettung der Lebensweise mit der Ausbildung verschiedener Organe so viel ‚Umstände in Frage, daß die Änderung des einen oder anderen Um- standes und damit die Durchbrechung der gewöhnlichen Korrela- tionsregelmäßigkeit nicht selten sein kann. Auch bei den Rochen 6 SIEGFRIED BECHER, finden wir — um das obige Beispiel wieder aufzunehmen — die Lebensweise der typischen Haie aufgegeben und die Schwanzflosse entsprechend der ganz geänderten Schwimmweise stark rückgebildet. Trotzdem aber hat das Maul seine ventrale Lage beibehalten. Eine ähnliche lehrreiche Ausnahme für die Beziehung von Hals und Vorder- beinlänge bieten die Elephanten. Die Schwere des Kopfes gestattete vielleicht nicht eine starke Halsverlängerung, und so mußte die Be- ziehung des Kopfes zum Boden in anderer Weise gewahrt werden, nämlich durch die Entwicklung des Rüssels. Wenn man von der Korrelation von Organen verschiedener In- dividuen redet, die demselben Zeugungskreis angehören (also von Männchen, Weibchen, „Arbeitern“, „Soldaten“ u. dgl.), so wird die Beziehung noch verwickelter und unbestimmter. Trotzdem aber kann ich PLATE nicht ganz zustimmen, wenn er (1910, p. 607) dafür hält, daß der Begriff der phyletischen Korrelation am besten vermieden würde. Dagegen spricht erstens, daß das Wort Korrelation nur eine wechselseitige „Beziehung“, also etwas sehr weit Dehnbares, und nicht eine direkte kausale Abhängigkeit aussagt. Weiterhin spricht dagegen, daß man mit einer solchen Einschränkung gerade die- jenigen Fälle von dem Geltungsbereich des Wortes ausschließt, auf die dasselbe zuerst angewendet wurde. Entsprechend der größeren Zahl von Abhängigkeiten, die man in der organischen Entwicklung ' immer besser zu unterscheiden lernt, bekommt das Wort Korrelation verschiedene Bedeutungen. Da ist es durchaus notwendig, diese ver- schiedenen Bedeutungen, wie es PLATE unternommen hat, genau zu sondern. Auch kann man diesem Autor nur zustimmen, wenn er zu Vorsicht in dem Gebrauch des Wortes mahnt (l. c., p. 595). Ein neuer Sinn desselben darf nicht auf die alten Fälle übertragen werden. Doch dürfte der Vorsichtsforderung genügt sein, wenn man die 6co- logische Korrelation ausdrücklich zu den mittelbaren Abhangig- keitsbeziehungen, zu der Pseudokorrelation, stellt. Dazu kommt, daß die phyletische Korrelation vielleicht nicht selten sehr enge Beziehungen zu der direkten funktionellen Korre- lation aufweist. Wenn die Vererbung erworbener Eigenschaften wirklich vorkommt, so könnten funktionelle Korrelationen schließlich in phyletische Korrelationen übergehen. Augenbecher und Linse müssen in ihrer phylogenetischen Entwicklung Schritt halten, wenn die Brennweite stimmen und ein einheitlicher optischer Apparat ent- stehen soll. Man könnte hier also von phyletischer Pseudokorre- lation reden. In der Tat kann sich auch bei manchen Tieren (z. B. Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 1 Rana esculenta) nicht nur der Augenbecher, sondern auch die Linse selbständig entwickeln, so daß wirklich nur eine Pseudokorrelation vorzuliegen scheint. Die Erfahrungen an anderen Arten machen aber auch für diese Species die frühere Mitwirkung des Augen- bechers bei der Linsenbildung wahrscheinlich, so daß es nicht aus- geschlossen ist, dab aus der direkten Korrelation erst später eine Pseudokorrelation geworden ist. Endlich scheint. mir die phyletische Korrelation, wenn man nach der mittelbaren oder unmittelbaren Natur der Beziehung urteilt, zu- sammenzugehören mit einer Gruppe von Korrelationen, die zwar seit kurzer Zeit besser bekannt sind als die phyletische und an Hand weniger Generationen genauer analysiert werden können, die aber andererseits genau so mittelbare Korrelationen darstellen wie die phyletische. Ich denke an jene Fälle, von denen PLATE die „idioplasmatische“ oder „determinative Korrelation“ diskutiert hat. Es können mehrere Organe eines Körpers von einem Komplex von Erbeinheiten in der Erbmasse repräsentiert oder da- von abhängig sein. Variiert dieser Komplex, so werden alle jene Organe sich gleichsinnig ändern: Es scheint eine direkte Ab- hängigkeit zwischen ihnen zu herrschen; in Wahrheit aber steckt hier wie bei der phyletischen Korrelation hinter dem Schein eines unmittelbaren Kausalnexus die Abhängigkeit der korrelativen Teile von einem gemeinsamen Dritten: eben jenem Komplex von Erb- einheiten. In diesem Sinne handelt es sich deshalb auch hier um eine mitteibare Pseudokorrelation. Beispiele dieser Form von Kor- relation dürften überall dort zu suchen sein, wo dasselbe Organ in demselben Organismus mehrmals angelegt wird, besonders dann, wenn die Zahl, in der das Organ auftritt, eine unbestimmte ist. Man denke z. B. an Hautsinnesorgane, wie sie bei vielen Tieren in un- bestimmter Anzahl in der Körperwand auftreten, oder an die zahl- reichen Augenflecke oder Augen, wie sie besonders bei Turbellarien, Acephalen und Ascidien anzutreffen sind. Viele Kalkkörper von Holothurien, die in unbestimmter Anzahl an zahlreichen Stellen des Körpers gebildet werden können, liefern gleichfalls treffliche Bei- spiele. Auch bei den zahlreichen statischen Organen mancher Tiefseeholothurien kann man an die Repräsentation durch einen Komplex in der Erbmasse denken. Ferner gehören wahrscheinlich die korrespondierenden Organe von Antimeren und Metameren hier- her, wenigstens dann, wenn die Zahl der wiederholten Stücke eine 8 SIEGFRIED BECHER, unbestimmte ist. In diesem letzteren Falle ist es natürlich (wie bei Heteromorphose) besonders wahrscheinlich, daß es dieselbe erbliche Anlage (der verschiedenen Zellen) ist, die nur an verschiedenen Orten zur Gestaltbildung aktiviert wird. Ich will diese Korrelation als Korrelation mehrfach auftretender Organe bezeichnen. Sie wird schon in der Variation wiederholter Organe hervortreten, wenigstens wenn es sich um Keimesvariationen gehandelt hat. In anderen Fällen wird man durch Vergleich verwandter Arten darauf aufmerksam werden. Bei einer Gruppe hat ein segmental wiederholtes Organ die Form a, bei einer verwandten Gruppe haben alle ent- sprechenden Teile gleichsinnig die Form b angenommen. Man er- kennt, daß nach Art ihrer Entdeckung diese Korrelationen nicht selten als phyletische Korrelationen zu bezeichnen wären; denn sie treten erst bei Beachtung der phylogenetischen Artumwandlung zutage. Hier liegt einer der Gründe, der uns oben den Namen ücologische Korrelation statt ,phyletischer“ Korrelation wählen ließ. Einige andere Formen von idioplasmatischer Korrelation sind durch die moderne Erblichkeitsforschung auf der Basis des MENDEL- schen Gesetzes genauer analysierbar geworden. Prars gebührt das Verdienst, die Ergebnisse der modernen Vererbungsforschung für die Korrelationslehre verwertet zu haben (1910, p. 596—604). PATE unterscheidet auf jener Grundlage 3 verschiedene Formen von Korrelation, von denen die ersten beiden näher zusammen- gehören. Zunächst die „Korrelation durch pleiotrope Er- regungsfaktoren“ Die Erregungsfaktoren sind Erbeinheiten, die ein äußeres Merkmal direkt hervorrufen. Diese Erregungsdeter- minanten stehen in Gegensatz zu den „Konditionalfaktoren“, „welche vorhanden sein müssen, damit ein Erregungsdeterminant wirken kann“) (1. c., p. 597). „Pleiotrop“ heißt in PLare’s Nomenklatur eine Einheit, „wenn von ihr mehrere Merkmale abhängen, die dann natür- lich stets zusammen auftreten und daher als korrelativ gebunden erscheinen“ (l.c.). Nun zeigt sich nicht selten bei Forschungen über Menvev’sche Vererbung, daß von jedem Paarling eines Allelomorphen- paares mehrere äußere Merkmale abhängen. Bei PLates Unter- suchungen an Mäusen waren die Haarfarbendeterminanten Y und y gleichzeitig Erreger der Augenfarbe (Retinapigment). Alle Y-Rassen hatten schwarze, die y-Sorten rote Augen. Pelz und Augenfarbe 1) Die fruchtbare Hypothese, daß das Auftreten einer Farbe von verschiedenen Erbeinheiten abhängt, die zusammenkommen müssen, wenn die Farbe entstehen soll, rührt bekanntlich von CUENOT her. Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 9 ‚zeigen also einen korrelativen Zusammenhang, es handelt sich aber nicht um einen direkten gegenseitigen Einfluß. Auch in diesem Falle liegt daher nach dem oben von uns entwickelten Gesichtspunkt eine Pseudokorrelation vor, eine mittel- bare Abhängigkeit, die in Wahrheit Abhängigkeit von einem ge- meinsamen Dritten ist. Die Beispiele für diesen Typus ließen sich vermehren. Nach DE VRIES und PrArTE hängen auch die zahlreichen Merkmalsände- rungen bei einer Mutation von Oenothera lamarckiana von einer Erregungsdeterminante ab. Die zweite idioplasmatische Korrelation, die PLATE anführt, be- ruht auf der pleiotropen Wirkung von Konditionalfak- toren. Das Vorhandensein derselben Erbeinheit kann Bedingung für das Aktivwerden verschiedener Merkmale durch die verschiedenen Erregungsdeterminanten sein. Miss SAUNDERS kreuzte gewisse weiß- mit cremefarbig-blühenden Matthiola-Sorten, die beide glatte Blätter hatten. Die Bastarde der ersten Generation zeigten purpurne Blüten und filzhaarige Blüten. Purpurfarben- (C) und Reaktionsstofferbein- heit (R) sowie ihre Allelomorphe (Fehlen der Farbe (c) und des Reaktionsstoffes (r)] waren in den Eltern getrennt (Cr bzw. cR). In den Zellen von f, kommen sie zusammen. Die weitere Analyse zeigte aber, daß in den Eltern auch noch HK, d. h. die Erreger der Haarig- keit der Blätter vorhanden waren, aber nicht wirken konnten. Auch sie werden wirksam durch das Zusammenkommen mit CR in f.. Im einfachsten Falle kann also das Auftreten zweier Merkmale an das Vorhandensein ein und derselben Menper’schen Einheit ge- bunden sein. Daher erklärt es sich, daß beide Merkmale — scheinbar korrelativ — zusammen fehlen. Man erkennt unschwer, daß die beiden Formen von pleiotroper Korrelation sehr nahe verwandt sind. Die korrelativen Merkmale hängen in beiden Fällen von einer und derselben Erbeinheit ab. Ob diese Erbeinheit nun als Erregungs- oder Konditionaldeterminante aufgefaßt werden muß, ist relativ gleichgültig. In beiden Fällen müssen Erregungs- und Bedingungseinheit zusammenkommen, und wenn eine von beiden für mehrere Merkmale in Betracht kommt, so werden eben beide Merkmale von jenem dritten Moment ab- hängen. Daher der mittelbare Charakter der Abhängigkeit, die Pseudokorrelation. Man erkennt ferner, daß die pleiotrope Korrelation bei MENDEL- scher Vererbung mit unserer Korrelation mehrfach auftretender Teile 10 SIEGFRIED BECHER, nahe verwandt ist. Auch in den von uns hervorgehobenen Fällen hingen mehrere Bildungen von einer Erbanlage bzw. von einem Komplex von Erbanlagen ab. Nur brauchten Erreger bzw. Be- dingungen jenes einheitlichen Komplexes nicht selbst wieder MENDEL- sche Erbeinheiten zu sein, sondern konnten in den allgemeinen Be- dingungen und formativen Reizen an mehreren Stellen des Körpers (Antimeren, Metameren usw.) gesucht werden. Die dritte Form der idioplasmatischen Korrelation PLATE’S gründet sich auf das Vorkommen von unechter Allelomorphie(Baresows „spurious allelomorphism“). Diese Art steht meiner Meinung nach der direkten Korrelation erheblich näher als die früher angeführten. Auch hier ist freilich keine unmittelbare Beeinflussung der fertigen Merkmale am ausgebildeten Organismus nachzuweisen, und die Ab- hängigkeit ist wiederum eine mittelbare von erblichen Anlagen. Aberindiesem Falle scheint wenigstenseine direktere Beeinflussung zwischenden erblichen Repräsentanten jener Merkmale stattzufinden. Die Sache liegt nämlich so: es mögen 2 allelomorphe Paare Aa und Bb in einem Individuum vorliegen. A und B sollen die dominanten, a und b die entsprechenden recessiven Paarlinge bedeuten. Diese Paarlinge werden nun bei der Geschlechtszellenbildung getrennt, normalerweise so, dab in eine Gamete entweder AB, Ab, aB, oder endlich ab kommen kann. In einigen Fällen aber zeigt das Aussehen der nächsten Bastardgeneration, daß in Wirklichkeit zwei von jenen Möglichkeiten nicht realisiert werden, daß also etwa A und B bzw. a und b nicht in dieselbe Gamete einwandern, gerade als ob sie Allelomorphe wären, und dab nur A und b bzw. a und B in einzelnen Geschlechtszellen zusammen anzutreffen sind. Während sich normalerweise nur die allelomorphen Paarlinge in verschiedene Geschlechtszellen begeben, scheinen sich hier in ähnlicher Weise noch je zwei nicht echt allelomorphe Erbein- heiten zu fliehen. Daraus resultiert dann z. B. das Zusammenvorkommen von A mit b und von a mit B, das dann in den diesen Einheiten entsprechenden Bildungen in den Bastardgenerationen hervortritt. Die Kombination der 2 verschiedenen Geschlechtszellen (Ab und aB) durch die Befruchtung ergibt nämlich für die Erbeinheiten in der nächsten Bastardgeneration die 3 möglichen Zusammenstellungen: 1. Ab Ab 2. Ab aB lab ab; Hier ist schon die Hälfte der Nachkommen homozygot und zwar nur in den Kombinationen A b oder aB. In der anderen, heterozygoten Hälfte sind a und b verdeckt, in der folgenden Generation müssen Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. AE auch dabei wieder A und B bzw. a und b in verschiedene Gameten wandern, so daß wiederum die Hälfte der Nachkommen schon a B oder Ab wird. Bateson (1909, p. 155) hat in der Tat Schläge von Lathyrus odoratus gefunden, in denen purpurblaue Blütenfarbe mit „haubenförmigem“ Fahnenblütenblatt, rote Blütenfarbe dagegen mit „aufrechter“ Fahne zusammen auftrat. Hier scheint also korrelativ „blau“ mit „Haube“ und „rot“ mit „aufrecht“ verbunden zu sein. Die Kreuzung der Bastarde jener 2 Rassen ergab: 1. Haube-blau, 2. (Haube-)blau, aufrecht-(rot). 1. aufrecht-rot, also genau das, was bei dem Schema zu erwarten war, unter der Voraussetzung, daß nicht nur die Allelomorphen, sondern auch auf- recht und blau, bzw. Haube und rot nie in dieselben Gameten gehen bei der Geschlechtszellenbildung und nur durch Bastardbefruchtung zusammenkommen können. Der Name unechte Allelomorphie bezieht sich darauf, daß sich zwei nicht allelomorphe Erbeinheiten immer gerade so fliehen, als ob sie Allelomorphe wären. Diese Korrelation durch unechte Allelomorphie ist von be- sonderer Bedeutung dadurch, daß sie unter bestimmten Voraus- setzungen (Homozygotie der &, Diheterozygotie der 2) vielleicht das korrelative Zusammenauftreten der primären und sekundären Ge- schlechtscharaktere bei manchen Tieren unter einen allgemeineren Ge- sichtspunkt bringt. Sind m und W die Determinanten der direkten, m’ und W’ die der sekundären Geschlechtsmerkmale und sind W und W‘ dominant über m und m‘, so ergibt sich: das homozygote ¢ hat Mn wa mm kann nur Geschlechtszellen mm‘ bilden; das © könnte vier ver- schiedene bilden; durch unechte Allelomorphie von W gegen m‘ und W‘ gegen m ergeben sich aber nur 2 verschiedene Geschlechtszellen W W‘ und mm‘ Durch Befruchtung mit den männlichen Geschlechts- die Formel En das diheterozygote 9 dagegen 74 m m‘ und : 4 zellen ergeben sich in gleicher Zahl ke ; also For- meln für weibliche und männliche Nachkommen. Wegen weiterer Illustrierung der auf Mexper’scher Vererbung basierenden Korrelation muß auf PLare’s Darstellung (1910, p. 596 bis 604) verwiesen werden. Damit haben wir die Fälle von mittelbarer oder Pseudokorrelation erledigt und kommen nun zu einer kurzen Besprechung der direkten, 12 SIEGFRIED BECHER, unmittelbaren Korrelation, die man im Gegensatz zur Pseudo- korrelation als II. Eukorrelation bezeichnen könnte. Bei Eukorrelation verschiedener Teile beruht ihre Abhängigkeit nicht auf Abhängigkeit von einem gemeinsamen Dritten, sondern eine Bildung beeinflußt die andere direkt durch ihre Funktion bzw. durch eine ähnliche Leistung während der Entstehung. Man hat diese direkte Form korrelativer Beeinflussung auch wohl als „Kausalkorrelation“ bezeichnet. Dieser Ausdruck ist an sich recht suggestiv, aber andrerseits muß zugegeben werden, daß auch in den anderen Fällen die Korrelation kausal bedingt ist, nur liegt dort eben nicht ein direkter Kausalzusammenhang vor. Zu der direkten oder Eukorrelation gehört vor allem die so- genannte funktionelle oder physiologische Korrelation. Am geläufigsten sind uns vielleicht Korrelation von Muskelgröße und Knochenansatz u. dgl. Doch gehen diese Formen kaum merk- lich in phyletische Korrelationen über, so daß man häufig nicht weiß, was durch individuelle funktionelle Anpassung allein möglich ist. Besonders klar in bezug auf das Kausalverhältnis liegen einige Ab- hängigkeiten, die auf „innerer Secretion“ beruhen; man denke an die Wirkungen der von Nebennieren, Schilddrüse, Nebenschilddrüse, Thymus, Hypophyse, Zirbel, Pankreas und Duodenum gebildeten inneren Secrete und Hormone sowie an die Korrelation in der Aus- bildung von Uterus und Milchdrüsen, Geschlechtsorganen und Geweih oder Daumenschwielen. Früher hat man die Beziehung von primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen immer für funktionelle Korre- lation gehalten, bis durch neuere Untersuchungen gezeigt wurde, dab bei manchen Tieren primäre und sekundäre Merkmale der ver- schiedenen Geschlechter zusammen auftreten können. In jenen Fällen muß das normale Verhalten auf idioplasmatischer Korrelation be- ruhen. Doch kommt daneben auch echte physiologische Korrelation von primären und sekundären Merkmalen vor. Gerade bei diesen funktionellen Korrelationen entfernter Organe lag ein nicht geringer Teil der Schwierigkeit darin, die Vermittlung der funktionellen Beeinflussung von einem Teil auf den entfernten anderen verständlich zu machen. Bei der idioplasmatischen Korre- lation fällt diese Schwierigkeit fort; denn die direkte Abhängigkeit der Teile ist nur Schein. Für die anderen Fälle aber haben die Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 13 Erfahrungen über „innere Secretion‘ materielle Vermittler zwischen den entfernten und trotzdem abhängigen Bildungen kennen gelehrt. Ein Organ kann — zuweilen neben einer anderen augenfälligeren Funktion — noch ein Secret ins Innere des Körpers absondern. Dieses Secret kann dann auf andere Teile als entwickelnder oder fördernder Reiz wirken. Daß die Wirkung solcher Stoffe eine selektive und keine allgemeine ist, läßt sich unschwer begreifen. Die verschiedenen Gewebe reagieren verschieden, und so können viele Teile von einem Secret unbeeinflußt bleiben, auf das andere Gewebe lebhaft reagieren. Vielleicht werden die Secrete auch selektiv im Körper verteilt; lokale Giftwirkungen (lod) sind seit langem bekannt, und man braucht nur an die große Bedeutung zu erinnern, die das „distributive Moment“ bei Giftwirkungen durch Enrutcn’s erfolgreiche Anwendungen gewonnen hat, um deutlich zu machen, daß auch auf diesem Wege eine selektive Fernwirkung von einem Organ auf ein anderes möglich wäre. Es ist klar, daß jede naturwissenschaftliche Erklärung einer Korrelation entfernter Teile irgendeinen materiellen Vermittler zwischen den abhängigen Organen suchen muß. Bei benachbarten Teilen besteht zuweilen eine ganz grobe Form der Beeinflussung: gegenseitige Abplattung bei Raummangel oder dergleichen. In den meisten Fällen aber zeigt der Einfluß des einen Teiles auf den anderen deutlich die Kennzeichen jener Form organischer Bewirkung, die wir als Reizung bezeichnen. In der Tat hat man die verschiedensten Arten von Reizen herangezogen, um manche Korrelationen zu erklären. Das Bedürfnis nach solcher Erklärung wurde besonders lebhaft, als die junge Entwicklungsphysiologie zeigte, daß neben der Selbst- differenzierung der einzelnen Teile eines Embryos die korrelative oder abhängige Gestaltung in der Ontogenese eine große Rolle spielt. Das wirkliche Schicksal eines Teiles hängt nicht alleın von Ursachen ab, die mit diesem Teil selbst gegeben werden, sondern wird mit beeinflußt durch den Zustand anderer Teile desselben Embryos. Welcher Art ist diese Beeinflussung? Sind es organbildende Stoffe, die die Gestaltung einer Körperpartie in Abhängigkeit von einer anderen bestimmen, sind es chemische Reize, die von einem Teil ausgehen und den anderen treffen, oder Tastreize usf.? Besonderer Beliebtheit erfreuten sich bei nicht wenigen Er- klärungsversuchen die chemischen Reize, wahrscheinlich schon aus dem Grunde, weil diese Vermittler transportfähig sind und so eine Abhängigkeit entfernter Teile erklären können. Die Hypothese der organbildenden Substanzen bietet ein Beispiel. Sie fand ziemlichen 14 SIEGFRIED BECHER, Anklang, hat sich aber — wie mehr und mehr erkannt wird — für die Mehrzahl der Fälle als zu grob erwiesen. Ohne Zweifel kranken noch mehrere Erklärungsversuche, die die Formbildung und ihre Korrelation betreffen, daran, daß sie zu grob sind. Das berechtigte Bestreben, einfache physikalisch-chemische Erklärungen zu finden, verleitet uns nicht selten, die Dinge ein- facher zu sehen, als sie liegen. Es besteht die Gefahr, daß man sich über die wirklichen Schwierigkeiten und die Verwicklung hin- wegtäuscht und sich blind macht gegen die wahre Sachlage. Der Fortschritt unserer Erkenntnis in einigen Fällen, in denen ein gegenseitiges Bedingtsein erst bei Störungen deutlich hervor- tritt, können dafür als Beispiel dienen. Ich denke an die kompen- satorische Hypertrophie und Hyperplasie, die von einigen inneren Organen bekannt sind. Nach Entfernung einer Niere tritt sehr bald eine starke Vergrößerung der anderen ein. Das wird meist so erklärt, daß die bleibende Niere sich vergrößert, weil sie doppelte Funktion zu übernehmen hat. Hier würde also eine zwar mit der Funktion zusammenhängende, aber im Grunde doch indirekte Kor- relation vorliegen. Die eine Niere beeinflußt nach jener Deutung die andere nicht unmittelbar, sondern lediglich dadurch, daß sie der anderen einen Teil der zu leistenden Arbeit abnimmt. Versagt das eine Organ, so muß die ganze Leistung von dem anderen Paarling übernommen werden. Ob man dieses Verhältnis noch als direkt be- zeichnen will oder zu den Pseudokorrelationen rechnen soll, mag dahingestellt bleiben. Uns interessiert, daß jene Erklärung aus der Funktion bei der Hypertrophie sicher nicht immer zutrifft. Es sei nur an die Hyper- trophie erinnert, die bei embryonaler Exstirpation noch nicht funk- tionierender Teile (Milchdrüsen und Hoden) bei den übrigbleibenden Organen gleicher Art eintritt (RIBBERT, 1895). Auch PrzıBram’s (1901, p. 330 ff. ; 1902 u. 1905) schöne Experimente über den Scherenaustausch bei Krebsen, dienach Amputation der größeren Schere an einer Körper- seite die kleinere Schere der anderen Seite entsprechend verstärken, und die verwandten Erfahrungen über den Ersatz eines Operculums durch Auswachsen eines Stummels der anderen Seite bei Hydroides dianthus (ZELENY, 1902; vel. auch 1905) zeigen deutlich, daß verdoppelte Funktion, vermehrte Blutzufuhr u. dgl. sicher nicht in allen Fällen die kompensatorischen Ersatzreaktionen zu erklären vermögen. | Auch in diesen Fällen muß natürlich irgendeine Verbindung zwischen den sich kompensierenden Teilen bestehen. Wenn die Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 15 Vermittlung nicht mit der augenfälligen Funktion zusammenhängt, so darf man vielleicht eine verborgene Funktion (nach Analogie der inneren Secretion) auch bei jenen noch nicht funktionierenden Teilen vermuten. Oder es muß irgendeine andere mehr oder weniger direkte Vermittlung durch Reize stattfinden. Es hat wenig Zweck, sich hier fiktive Möglichkeiten auszumalen. Neben den Korrelationen, deren Vermittlung uns einigermaßen verständlich geworden ist, bleiben eben auch heute noch eine Zahl sehr dunkler Abhängiekeitsbeziehungen. Früher war diese Zahl allerdings erheblich größer. Es gehört zu den Verdiensten von Darwin (1868, Vol. 2, Kap. 25, p. 423—446), auf einige dieser dunklen, rätselhaften Korrelationen hingewiesen zu haben. Sie spielen ihre Rolle bei dem Auftreten gleichzeitiger Variationen und sollten eine Lücke im Gebäude der Deszendenztheorie füllen. Darwın’s Beispiele waren vorwiegend den Erfahrungen bei Haustieren entnommen; die Mehrzahl derselben deutet auf eine un une Natur des Korrelationsverhältnisses hin. Die Unvollkommenheit unserer Kenntnisse über die eigentliche Natur der Vermittlung bei direkten Abhängiekeitsverhältnissen macht eine natürliche Einteilung der Eukorrelationen zurzeit ziem- lich unmöglich. Man könnte dieselben äußerlich in Entwicklungs- korrelationen und Korrelationen ausgebildeter Teile einteilen. Natür- licher würde uns eine Gruppierung nach dem verschiedenen Charakter der Vermittlung erscheinen. Vielleicht bilden die durch „innere Secretion“ erklärlichen Fälle eine solche natürliche Untergruppe. Wenn man gelernt haben wird die direkten Korrelationen nach der Natur der vermittelnden Reize einzuteilen, so wird man auch den weiten Begriff der „funktionellen“ Korrelation damit auflösen. Fast alle Reize, die von einem Teil ausgehen und einen anderen Teil beeinflussen, hängen irgendwie mit der „Funktion“ zusammen, ob- wohl man bei ,funktioneller“ Korrelation gewöhnlich an speziellere Verhältnisse denkt und z. B. meist nicht alle die formativen Reize bei korrelativer Entwicklung darunter begreift. Auch einige ganz grobe mechanisch-räumliche Abhängigkeitsverhältnisse können nicht unter diesen Begriff subsumiert werden. Allerdings tragen diese grübsten Beeinflussungen oft nicht einmal Reiz-Reaktions- charakter und brauchen nicht unbedingt zur Korrelation gerechnet zu werden, obwohl auch auf diese Faktoren manche normale Größen: oder Lagebeziehungen von Teilen bezogen werden müssen. Zu denjenigen Korrelationen,. die man schon jetzt Grund hat 16 SIEGFRIED BECHER, von den funktionellen Korrelationen zu trennen, scheint mir nun auch diejenige Form von Abhängigkeit zu gehören, mit deren Ana- lyse sich die vorliegende Untersuchung beschäftigt. Es handelt sich um Korrelation, die durch Gestältreize vermittelt wird. Man kann natürlich sagen, daß auch die Gestalt durch Funktionen gebildet würde und selbst wieder besondere funktionelle Prozesse bedingte und daß diese Prozesse das Wesentliche darböten bei der Abhängigkeit. In Wahrheit liegt aber das Wesentliche auch bei jenen Prozessen darin, daß sie sozusagen eine Gestalt repräsen- tieren können. Wir hoffen, daß unsere Ausführungen zeigen werden, daß die Verhältnisse bei der Korrelation durch Gestaltreize so eigenartige sind, daß ihnen eine deutliche Sonderstellung neben den übrigen Formen von Korrelation zuerkannt werden muß. Unsere Untersuchungen beziehen sich auf die Entwicklung von Kalkkörpern. Gerade bei Spiculabildung kann man verfolgen, wie man zunächst hoffte, durch einfache grob physikalische Vorstellungen das Wesen des Vorganges zu erfassen, und wie erst eine allmäh- liche Komplikation dieser Vorstellungen eine Annäherung an die Wahrheit mit sich brachte. Man wird sich daher nicht wundern dürfen, wenn nach den im Folgenden mitgeteilten Tatsachen die Schwierigkeit zunächst größer erscheint als zuvor und wenn an Stelle einer vereinfachenden Erklärung nur größere Verwicklung zu treten scheint: Man sollte indessen nicht vergessen, daß trotz der wachsenden Schwierigkeiten in der Überwindung unzulänglicher einfacher Erklärungen ein Fortschritt liegt und daß auch in der Physik die Annäherung an die Wahrheit oft mit der Überwindung oder Komplizierung suggestiv einfacher Gesetze verknüpft war; man denke an das BoyLE-Marıorre’sche Gesetz oder an die Voraus- setzungen der geometrischen Optik. Dazu kommt ein Weiteres. In den letzten Jahren sind in ver- schiedenen Gebieten der Biologie seltsame Tatsachen bekannt ge- worden, die einige Forscher zu einem — wie uns scheint — etwas voreiligen Vitalismus getrieben haben. Zu diesen Tatsachen gehören auch die morphogenen Abhängigkeitsverhältnisse, auf die ich in 1) HAECKER bemerkt einmal über seine eigenen Darlegungen gegen die DREYER’sche Gerüstbildungstheorie: „Die vorstehenden Ergebnisse führen uns demnach wieder etwas weiter von dem Ziele einer causal- mechanischen Erklärung ab und lassen uns zunächst wieder Halt machen vor Verhältnissen, deren weitere Klarlegung dem biologischen Experimente vorbehalten bleibt“ (1905 b, p. 368). Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 17 dieser Arbeit die Aufmerksamkeit lenken möchte Ja wir werden sehen, daß in unserem Falle die Rätselhaftigkeit der Fähigkeiten der lebendigen Substanz eine besonders auffallende ist. Es will uns aber scheinen, als ob jene sonderbaren Züge unter sich nahe Beziehungen aufwiesen und anfingen, sich zu einem einheitlichen Bilde zusammensetzen zu lassen. Es ist klar, daß in jeder Formulierung der komplizierten orga- nischen Fähigkeiten Unbekannte bleiben; eine wirklich erschöpfende Erklärung ist eben zur Zeit unmöglich. Aber darum ist nicht jeder Fortschritt aufgehalten. Es lassen sich ohne Zweifel eine Menge jener Unbekannten aufeinander zurückführen. Wir müssen danach streben, möglichst viele Vorgänge in ihrer Abhängigkeit von möglichst wenigen Unbekannten darzustellen. Wir müssen lernen, mit den Unbekannten so zu rechnen, als ob sie bekannt wären, und versuchen, womöglich alles durch ein einziges x auszu- drücken. Auch das heißt erklären, wenngleich die so gegebenen Erklärungen nicht bis zur letzten Wurzel reichen. Die Verwendung der Menper’schen Erbeinheiten gibt ein gutes Beispiel für die Brauchbarkeit einer solchen Methode. Auch der Reizbegriff ist eine derartige Unbekannte von großer allgemeiner Bedeutung. Die Wir- kungen der Residuen früherer Reize bilden eine andere allge- meine Unbekannte, auf die sich mancherlei zurückführen läßt. Leider sehen viele in solchem sozusagen mathematischen Operieren . mit Unbekannten eine Gefahr, indem sie hinter dem Unbekannten nebelhaften Mystizismus vermuten. Und. doch scheint mir der ein- zige Weg, auf dem wir hoffen können in diesen Fragen weiter zu kommen, darin zu bestehen, daß wir uns nicht durch unzulängliche, einfache, grob physikalisch chemische Hypothesen über die wahren Verhältnisse hinwegtäuschen, sondern uns an unzweideutigen Fällen die Schwierigkeiten in voller Ausdehnung klar machen und dann versuchen, die gemeinsamen Züge in den verschiedenen rätselhaften Fähigkeiten der Organismen herauszufinden. Die von uns vorgeschlagenene Gruppierung der Korrelations- erscheinungen läßt sich in folgender Tabelle kurz zusammenfassen: bo : . Zool. Jahrb. XXXI. Abt: f. allg. Zool. u. Physiol. 18 SIEGFRIED BECHER, Korrelation. I. Pseudokorrelation. Indirekte, mittelbare Abhängigkeit von Körperteilen, die meist nur durch Ab- hängigkeit von einem gemeinsamen Dritten vorgetäuscht wird. 1. Öcologische Korrelation. Ein und derselbe Zug der Lebensbe- dingungen oder Lebensweise bewirkt di- rekt oder indirekt entsprechende Anderung verschiedener Organe. Diese Anderung wird gewöhnlich erst im Laufe von Gene- rationen deutlich, so daß diese Gruppe sich zum großen Teil mit Prare’s phyle- tischer Korrelation deckt. Enge Be- ziehungen zu II, 1. 2. Korrelation von mehrfach auftretenden Organen. Ein uud derselbe Komplex von Erb- einheiten wird (an verschiedenen Körper- stellen) mehrfach ausgelöst. So entstehen Organe, die gleichsinnig von entsprechen- den Keimvariationen beeinflußt werden. 3. Korrelation durch pleiotrope Wirkung von Erregungs- oder Konditionalfaktoren. Ein und dieselbe Erbeinheit kann für mehrere andere Erregungs- oder Be- dingungsfaktor sein. So werden die kom- plex bedingten Merkmale oft zusammen fehlen bzw. vorkommen (cf. Pare 1910). 4. Korrelation durch unechte Allelomorphie. Hier besteht zwar auch keine direkte Beziehung zwischen den „korrelativen Merkmalen“, wohl aber eine Beziehung zwischen Erbeinheiten. Von 2 Paaren können z. B. zwei — wie Allelomorphe — nie in dieselbe Gamete wandern, so daß ein Verhältnis zwischen den übrigbleiben- den resultiert (cf. Pare 1910). 3 und 4 werden von PLATE als „idioplas- matische“ Korrelation zusammengefaßt. Sie beruht auf dem Verhalten Menper’scher Erbeinheiten. II. Eukorrelation. Echte, unmittelbarere, direkte Abhängig- keit, die darauf beruht, daß von einem Teil ein Einfluß irgendwelcher Art aus- geht und sich an einem anderen Teile äußert. 1. Funktionelle Korrelation. Funktion oder Funktionsprodukte eines der korrelativen Organe wirken als mecha- nische, chemische oder ‚sonstige Reize auf das andere Organ. Außert sich so- wohl während der Entwicklung als auch im ausgebildeten Zustand oder unter pathologischen Verhältnissen (Hypertro- phie etc.). Manchmal sind die korrelativen Organe weit ‘entfernt, besonders wenn innere Secretion die verknüpfende Funktion ist. 2. Korrelation durch Gestaltreize. Vel. die Ausführungen der folgenden Teile dieser Abhandlung. 3. Korrelation durch grob mechanische Beeinflussung, Raummangel etc. II. Zur Orientierung über das Objekt der Untersuchung. Das Lokalisationsproblem und überhaupt die Fragen der Form- bildung sind für die Metazoen fast weniger rätselhaft als für die Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 19 Protozoen (DorLeIN 1900, p. 140). Es ist verständlich, daß in einem groben Systeme mehr oder weniger selbständiger Zellen an verschiedenen Stellen mannigfaltige morphogene Bedingungen herrschen; dagegen bietet es größere Schwierigkeiten zu begreifen, daß in der gleichmäßigen Plasmamasse eines Protozoons oder eines Syneytiums die örtliche Verschiedenheit der Be- dingungen entsteht, die als Auslösung der verschie- denen morphogenen Reaktionen gefordert werden muß. Es ist freilich bekannt, daß nach neueren Auffassungen der Organismus einem Syncytium in vieler Beziehung mehr ähnelt als einem Aggregat selbständiger Elementarorganismen (Zellen), und wir werden noch Gelegenheit haben zu betonen, daß auch die Ge- staltbildung in Zellenstaaten vielleicht dieselben Probleme — wenn auch in etwas versteckterer Form — darbietet, die uns bei der Morphogenese in Syncytien am klarsten entgegentreten. Diese allgemeinen Bemerkungen lassen sich ohne weiteres auf die Skeletbildungsfragen anwenden. Die Entstehung eines Röhren- knochens ist ohne Zweifel ein viel komplizierterer Prozeß als die Bildung eines Spongien-, Alcyonarien- oder Echinodermenkalkkörpers, aber wir müssen bedenken, daß jene Komplikation keine neue prin- zipielle Schwierigkeit einzuschließen braucht. Ja diese Verwicklung kann die Grundprobleme der Skeletbildung verdecken, und so werden uns bei der Spiculabildung, also in den auf den ersten Blick ein- facheren Fallen, die eigentlichen biologischen Grundschwierigkeiten -der Formbildung ohne Zweifel am eindringlichsten entgegentreten. Noch mehr. Unter den morphogenen Prozessen, die an einzelnen Zellen oder Syncytien stattfinden, bietet die Spiculabildung die Schwierigkeit wiederum am ungetriibtesten dar. Sehr viele andere Differenzierungen, die einheitliche Plasmamassen zeigen — man denke an ein Infusor oder an eine Schlauchalge —, finden an der Oberfläche statt, also dort, wo wenigstens ein Teil der besonderen Reaktionen auf die Ein- wirkungen der Außenwelt gesetzt werden kann. Man könnte sich ferner leicht vorstellen, daß die Gestaltung eines Teiles der Ober- fläche die auslösenden Ursachen für die weitere Differenzierung be- nachbarter Partien darböte. Solche Anhaltspunkte für ein eventuelles Verständnis der Differenzierung bieten sich in viel geringerem Maße dar bei der Entstehung der Spicula, die in den meisten Fällen innerhalb von Zellen oder Syncytien stattfindet (WoopLann 1907a, p55). | Dx 20 SIEGFRIED BECHER, Man braucht nur über die Ursachen der Differenzierung irgend- eines komplizierter gestalteten Kalkkörvers, der im Innern eines Syncytiums entsteht, nachzudenken, um das Gestaltungsproblem in. ganzer Schwere zu begreifen. Es besteht indessen die Möglichkeit, sich die Entstehung mancher Spicula als eine Art Krystallbildung, die durch Kolloide beeinflußt ist, verständlich zu machen (Woopzaxp a. a. O.). Wir werden darüber noch an anderer Stelle zu sprechen haben. Aber auch diese Theorie — die sich an und für sich mehr als viele andere den Tatsachen anpaßt — schiebt das eigentlich biologische Moment bei der Spiculaformbildung in unberechtigter Weise beiseite. Um aber dieses biologische Moment klar zu erkennen, bedürfen wir eben des Studiums der Korrelation in der Spiculabildung und der Variation der normalen Bedingungen. Es ist nicht leicht ein Objekt zu finden, das überhaupt eine deutliche Korrelation bei Spiculabildung erwarten läßt. Die aller- meisten Spieula entstehen jedes für sich und in beliebiger Lage, andere weisen allerdings eine bestimmte Orientierung zum Körper des Tieres auf und lassen insofern einen Einfluß bei ihrer Ent- stehung erwarten. Nur sehr wenige Formen aber verraten eine gegenseitige Abhängigkeit. Es ist wahrscheinlich, daß sich die Teile eines Radiolarienskelets bei ihrer Anlage korrelativ beeinflussen, und es wäre vielleicht möglich durch Studium von Mißbildungen an solchen Objekten zu Resultaten zu gelangen. Diese Teilehängen aber zusammen und sind zu einem großen Skelet verbunden, so daß ihre Abhängig-- keit nicht so merkwürdig: erscheint wie die Korrelation selbständiger Skeletelemente, auf die wir unsere Aufmerksamkeit richten wollen. Jedenfalls scheint mir, daß sich unter der Unzahl ver- schiedener Kalk- und Kieselbildungen kaum eine auf- finden läßt, die zu dem Studium der Korrelation in der Entstehung dieser Gebilde bessere Aussichtenböte als die vielbewunderten Anker- und Ankerplatten- bildungen der fußlosen Holothurien (Synaptiden). Diese Kalkkörper waren mir von früheren Untersuchungen her, die auf andere Ziele gerichtet waren, ein wohlvertrautes Objekt. Die Körperwand einer Synapta besteht in einem Interradius aus dem inneren Leibeshöhlenepithel, der Ringmuskelschicht, der dicken Cutis, an der man wiederum eine dichte innere und eine lockere äußere Schicht unterscheiden kann, und endlich dem äußeren Epithel. Die Kalkkörper liegen in der Cutis und zwar großenteils in der äußeren, ca - Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. > lockeren Bindegewebslage. Wenn man nun ein Stück der Körper- wand aus dem Tier herausschneidet, entwässert, aufhellt und von der äußeren Fläche betrachtet, so bietet sich ein auffallendes Bild dar (Fig. A). Wir finden bei hoher Einstellung des Mikro- skopes zunächst zahlreiche ankerförmige Kalkkörper, die immer in einem gewissen Abstande voneinander liegen, so daß sie sich nicht ~ en ee Due A Bion Ae Mikrophotographie eines Teiles der Kérperwand von Leplosynapta inhaerens. Links und rechts sieht man als je ein dunkler Streifen 2 Längs-Radiärmuskeln. Die dazu senkrechten kleinen Fältchen, die als dunkle Linien von links nach rechts das ganze Bild überziehen, geben also die Querrichtung in bezug auf die Längsachse des Tieres an. In dieser Querrichtung sind, wie die Abbildung schön erkennen läßt, alle Anker und Platten mit ihrer Symmetrieebene angeordnet. Das Schief- liegen einiger Anker erklärt sich aus ihrer Erhebung und Schrägstellung zur Platte. 22 SIEGFRIED BECHER, berühren, und alle so angeordnet sind, daß ihr Schaft quer zur Längsachse des Körpers liest. Der aus den beiden spitzen und nahe dem Ende oft mit Widerhaken versehenen Armen zusammen- gesetzte Bogen ist jedoch bei den verschiedenen Ankern bald nach der einen und bald nach der anderen Seite gerichtet. Gegenüber der Stelle, mit der der Bogen dem Schaft ansitzt, können auch einige kleine Kalkspitzchen gebildet werden, doch findet man das nur bei ganz großen, vollkommen ausgebildeten Ankern und bei vielen Arten überhaupt nicht. Durch Wechsel der Einstellung läßt sich leicht erkennen, dab der Ankerbogen der äußeren Epidermis 2 . näher liegt und die- | ae selbe bei nicht ganz straffgespannter Kör- perwand oft zu einer Art Tasche vorwölbt (Fig. B). Auf dicken Schnitten durch nicht- entkalkte Haut läßt sich dann genauer Fig. B. feststellen, daß der Mikrophotographie eines Hautstückchens von ZLepto- Ankerschaft mit dem synapta bergensis Man sieht bei einigen Ankern um _. nd fäh die konvexe Seite des Bogens einen dunklen Streifen. CINEN Ende ungelanr Dieser Streifen rührt von der Vorwölbung der Epidermis aufderäußeren Grenze her, von einer Art Tasche, wie sie sich gelegentlich der die Band bei manchen Kontraktionszuständen der Körperwand um O€T dic ıteren Binde- das Bogenende des starren Ankers bildet. gewebslage aufliegt und mit dem Bogen- ende schräg nach außen, d. h. der Epidermis zu gerichtet ist (Fig. ©). Solche Präparate zeigen auch, daß die Ebene des Ankerbogens nicht durch die Achse des Schaftes verläuft, sondern weniger schräg, d.h. der Oberfläche der Haut mehr parallel liegt. Das hat — wie Östkr- GREN (1897, p. 151) trefflich ausgeführt hat — bei starker Spannung und damit verbundener Verdünnung der Körperwand zur Folge, dab sich der Anker flach legt und nun die Spitzen des Bogens nach außen kehrt. Diese freien Enden drücken dann die Epidermis in feine Spitzen vor, und diese Spitzen bedingen das „Kletten“, das die Tiere besonders an straff aufgetriebenen Teilen des Körpers. zeigen und von dem sie ihren Namen (Synapta) erhalten haben. Dieses Kletten ist den Tieren von Nutzen bei der Fortbewegung, Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 23 die bei den fußlosen Synaptiden (abgesehen von den Fühlern) durch Kontraktionen der Körperwand bewirkt wird. Die Anker sind also — wie man seit QUATREFAGES (1842), SEMPER (1868, p. 32) und SEMON (1887a, p. 282) mit Recht annimmt — passive Bewegungs- organe. SEMON erinnert an die Wirkung der Schlangenrippen (1887 a, p- 284). Das Kletten kann zeitweise aufgehoben werden, wohl nicht durch Wirkung von stark secerniertem Hautschleim (SEmon 1887a, p. 282), sondern bei Kontraktion der Körperwand, bei der sich die Anker aufrichten und damit die Armspitzen von der Haut abwenden. Es war nicht zutreffend, daß man früher annahm, die Anker würden im aufgerichteten Zustande als Stemmorgane bei der Fortbewe- gung wirken (QUATREFAGES 1842). Völlige Aufklärung „über die Funktion der ankerförmigen Kalkkörper der Seewalzen“ verdanken wir erst dem so betitelten und bereits oben zitierten wertvollen Aufsatz von ÖSTERGREN (1897). Es ist auch für unserer Zwecke von Be- deutung durch diesen Hinweis auf die Zweckmäßigkeit zu betonen, daß die Spicula der Wirkung von Selektion unterworfen sein können. Obwohl wir weit entfernt sind anzunehmen, daß Selektion das eigent- lich tiefste Problem der Spiculabildung löst, müssen wir WEISMANN (1909, p. 17—19) doch zustimmen, wenn er gerade die Synaptiden- kalkkörper (auf Grund von Osrercren’s Untersuchungen) als ein Beispiel dafür anführt, wie Zweckmäßigkeit sich überall und selbst im Kleinsten an leblosen organischen Produkten nachweisen läßt, die auf den ersten Blick ganz indifferent in bezug auf Nutzen oder Schaden für den Organismus zu sein scheinen.) Es muß daher 1) Bei den Radiolarien, bei denen merkwürdigerweise eine (zunächst freilich lediglich spekulative) kausalmechanische Erklärung des Gerüsts viel energischer in Angriff genommen worden ist (DREYER) als eine Deutung desselben unter dem Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit, hat besonders HAEOKER (1905a; 1905b, p. 338—-356; 1906, p. 33 —37) eine biologische Bedeutung vieler Eigentümlichkeiten des Skelets wahrscheinlich gemacht. So ließen sich in Anpassung an die von Wärme und Salzgehalt abhängige, verschiedene Dichte und innere Reibung des Wassers nachweisen, dab oberflächliche Warmwasserformen kleiner sind als die die kühleren Tiefen bewohnenden Artgenossen oder näheren Verwandten (Challengeriden, Con- chariden, Aulacantha scolymantha, Circoporus sexfurcus). Ferner ließ sich bei den Sagosphaeriden und Aulosphaeriden feststellen, daß ihre Skelet- struktur, speziell ihre Stützstäbe, für die äußere Sarkodehaut demselben Unterschied des Mediums zweckmäßig angepaßt erscheinen, daß nämlich „bei den großen von einer derben Sarkodehaut umhüllten Tiefen- und Kaltwasserformen die Skeletstruktur auf eine Verstärkung und Ver- vollkommnung des Stützapparates abzielt, während bei den 2: ie SIEGFRIED BECHER, widersprochen werden, wenn Woopzanp durch seine an sich be- achtenswerte „Krystallomorphentheorie“ verleitet wird, auszuführen: „there is the additional significant fact that all (except concretions and crystals) these non-spicular deposits (bones, teeth, nails, hairs, scales, feathers, etc.) are, on account of the connection of the secreting cells with the rest of the organism, usually laid down (obviously by inheritance) only in those particular parts of the organism where they are required, the appendicular skeleton, e. g. being formed in the axes of limbs where the greatest stresses exist, dermal bones protect particular viscera in particular places, nails occur on the terminal phalanges where most contact occurs, and so on. Spicules, on the other hand, are not limited in their distribution in this manner, but tend to occur wherever the purely physical conditions permit the wandering cells to secrete them (calcareous spicules, e. g., cannot occur in the vicinity of digestive or other organs where acid solutions abound), and their local adaptations in form to the archi- tecture of the organism are, there is good reason to believe, deter- mined by purely physical causes which influence the scleroblasts during the development of the spicule“ (1907a, p. 66). Ich will dem- segenüber nur an die Tatsachen erinnern, daß bei Cucumariiden der einstülpbare Teil der Körperwand hinter dem Fühlerkranz eine spär- lichere Entwicklung der Kalkkörper aufweist, daß die meisten mit ‚ Stacheln o. dgl. versehenen Kalkkörperchen diese Fortsätze der Haut zuwenden (das gilt besonders von den Molpadiidenkalkkörpern, Ankyroderma-Ankern usw., vgl. ÖSTERGREN 1897, p. 156 ff.) und in ober- planktonischen“ (nach Anm. besser: „phao- und knephoplanktonischen“) , Warmwasserformen die Tendenz zur Oberflächenvergrößerung den bestimmenden Faktor bildet“ (1905b, p, 342). Noch viel auffallender und raffinierter, wie HAECKER sagt (1906, p. 33), ist die Zweckmäßigkeit in der Ausbildung der Schalenränder der Conchariden, mit ihren langen in- einander greifenden Zähnen und doppelten Zahnführungen. Tuscarusa- Arten bilden kleine Kolonien (8) auf Sagenoarium-ähnlichen Gitterschalen, ihr Skelet ist zur Verankerung in diesem Kolonieträger besonders einge- richtet. Bei Conchopsis und Challengeriden sind Linsenform der Schale etc. vielleicht als Anpassungen an einseitigen Wasserdruck bei Tiefenänderungen zu deuten, und Ahnliches gilt vielleicht für Einzelheiten im Bau der Sagenoscena irmingeriana. HAECKER glaubt auch Anhaltspunkte für die Zweckmäßigkeit regelmäßiger Polyederformen und der Stellung von Stacheln in Polyederachsen gefunden zu haben (1906, p. 35—37) und vermutet in der Dicke mancher Schalen von Conchariden und Challengeriden eine An- passung an allseitig wirkenden Wasserdruck (1904 u. 1905b), Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 25 flächlicheren Schichten gelagert zu sein pflegen als glatte Kalkkörper. Ferner machen doch die wie Synapta-Anker wirkenden Haken der Chiridotinen und die „Endscheiben“ der Füßchen bei Holothurien durchaus den Eindruck angepaßter Gebilde. Endlich muß betont werden, daß bei Holothurien auch im Darm (und sogar vorzugsweise in der inneren Bindegewebsschicht) häufig Kalkkörperchen auftreten, so daß deren relative Seltenheit an diesen Stellen nicht dem Vor- kommen saurer Flüssigkeiten, sondern der größeren Schutzbedürftig- keit der Körperwand oder einem ähnlichen öcologischen Moment zugeschrieben werden muß. Zweckmäßigkeit in Form und mmomonuns labt sich also sicherlich nicht in allen Fällen leugnen, und das wirft, wie wir sehen werden, ein ungünstiges Licht auf WoopLaxnp’s ganze Theorie. Fahren wir indessen in der Schilderung von Anker und Platten der Paractinopoden fort. Das dem Bogen entgegengesetzte Ende des Schaftes ist zu der sogenannten „Handhabe“ ausgebildet. Die Hand- habe zeigt an dem der Epidermis zugekehrten Rand Rauhigkeiten, die bei gespannter Körperwand und an die Platte gedriicktem Anker die Haut ähnlich wie die Bogenspitzen vorwölben können. Bevor der Schaft in der Handhabe endet, macht er eine der inneren Binde- gewebsschicht der Körperwand zugewendete verdickte Ausbuchtung, die ich vorschlage den „W ulst“ des Schaftes zu nennen (vgl. Fig.C W). Mit der Krümmung dieses Wulstes liegt der Anker der sogenannten Ankerplatte auf. Die Ankerplatte besitzt ungefähr Schildform; sie liegt nicht schräg wie der Anker, sondern parallel zur Epidermis oder zur Muskelschicht und ruht sozusagen auf der dichteren Binde- gewebsschicht. Der schräg gestellte Anker kann der Platte infolge- dessen nur an einer Stelle anliegen, nämlich an dem spitzen Ende der Platte. Dieses Ende ist wie die ganze Platte ungefähr symmetrisch gebaut und von zahlreichen, (meist) nicht ganz regelmäßigen, kleinen Löchern durchbrochen. Nur seitlich stehen ein paar größere Löcher, von denen jedes durch einen quer über die Platte ziehenden Kalk- „Bügel“ in zwei zerlegt wird. Dieser Bügel kann sich in der Mitte — nur von wenigen Bügelstützen getragen — ziemlich hoch über die Platte erheben (vgl. Fig. Da), bildet aber bei unseren Formen (— unserer Schilderung ist Leptosynapta bergensis zugrunde gelegt —) nur einen Wulst auf dem meist als „Bügelende“ bezeichneten spitzen Teil der Platte. Das Handhabenende des Ankerschaftes be- rührt das spitze Ende der Platte und lehnt sich mit seinem ge- rundeten „Wulst“ an den Bügel an. Unsere Fig. C erläutert, wie 26 SIEGFRIED BECHER, durch diese Anordnung eine Art Gelenk- oder Gleiteinrichtung für den Anker(wulst) auf der Platte entsteht. Bei den oben erwähnten Bewegungen des Ankers bleibt die Platte nämlich im wesentlichen in ihrer Lage. Das größere, freie Ende der Ankerplatte fügt sich dem Bügel- ende an der Seite an, an der der Ankerschaft seinen Bogen trägt. Es ist bei vielen Synaptiden streng symmetrisch gebaut (Fig. Da) und weist bei einem Haupttypus 7 große, ungefähr kreisförmige Durchbrechungen, die „Hauptlöcher“ (Fig. Da Hl) auf (von Fig. C. Fig. D. Fig. ©. Anker und Platte von der Seite, man sieht, wie der gerundete Hand- habenteil des Ankerschaftes, der Ankerwulst (W), auf dem Bügelende der Platte ruht und sich dort drehen kann. D Ankerbogen. S Schaft. Hh Handhabe. fe freies Plattenende. Dge Bügelende. Bg Bügel. Leptosynapta bergensis. 180:1. Fig. D. Zwei Ankerplatten, die die beiden Typen der normalen Ausgestaltung repräsentieren. Durch eingezeichnete schematische Primärkreuze ist die Lage des ursprünglichsten Balkens hervorgehoben. Bei Typus a liegt der Primärbalken senkrecht zum Ankerschaft, und es bilden sich 7 Hauptlöcher (7) im freien Platten- ende (fe). Bei b dagegen liegen Ankerschaft und Primärbalken parallel, und es kommt zur Ausbildung von 4 (bzw. 8) Hauptlöchern (#/). Die Platte b hat wegen der schmalen Gestalt des Bügelendes (Dge), Handspiegel- form“. Figur a gibt eine Ankerplatte von „Synapta vittata“ wieder (so war das Präparat bezeichnet. vittata ist eine unsichere Art. Jedenfalls weist die Platte in die Nähe von Synaptula hydriformis, kefersteinii etc. und besonders von S. recta). Fig. b stellt eine Platte von Labidoplax thomsonii aus dem hinteren Körperende dar. 180: 1. einigen nicht selten hinzutretenden kleinen Löchern am Rande sehen wir ab). Von diesen 7 Löchern liegen 3 in der Symmetrieebene der Platte und je zwei auf jeder Seite, und zwar so, daß sich im ganzen 6 Löcher um ein Zentralloch herumlegen. Diese Löcher sind durch Kalkbalken getrennt, die nach den Löchern zu noch kleine, bestimmt gerichtete Dornen zu tragen pflegen. Die Achsen der Kalkbalken Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. DT, treten immer unter einem Winkel von ungefähr 120° aneinander. Die Löcher selbst haben dementsprechend eigentlich abgerundete Sechsecksform. Der gitterformige Bauplan wird aus der Entwicklungsgeschichte der Platten ohne weiteres verständlich. Diese Kalkgebilde werden wie die meisten Holothurienspicula als Primärkreuz, d. h. als ein Kalkstäbchen angelegt, das sich bald an beiden Enden dichotomisch unter einem Winkel von etwa 120° gabelt (Fig. K u. Na, b sowie Fig. O), Dieses erste Kalkstäbchen finden wir in der fertigen Platte als denjenigen Balken wieder, der das Zentralloch von der dem Hand- habenende am meisten genäherten großen Durchbrechung trennt (Fig. D). Die 4 Arme des Primärkreuzes verlängern sich nun bis zur Ausdehnung des ersten Stäbchens, um sich dann ihrerseits unter einem Winkel von 120° zu gabeln. Es ist leicht einzusehen, wie durch weitere Vergabelung nach diesem Schema ein Maschenwerk mit sechs- eckigen Löchern entstehen muß (Fig. Nc—g). Dieses Maschenwerk wächst aber nicht immer weiter und nicht nach allen Seiten gleich schnell, es hört im wesentlichen auf, wenn die 7 Hauptlöcher des freien Endes geschlossen sind. Zudem verläuft die Ausbildung des Maschen- werkes nur in Richtung des ersten Ausgangsstäbchens fast streng symmetrisch; in der dazu senkrechten Richtung tritt bald die Asym- metrie vom „freien“ und „Handhabenende“ hervor. Schon die beiden seitlichen großen Löcher des Handhabenendes zeigen andere Form als die regelmäßig gestalteten, entsprechenden Löcher des freien Endes, und das äußerste Loch des freien Endes findet endlich sein Äquivalent in den zahlreichen kleinen Durchbrechungen des spitzen Plattenteiles. Die ganze Platte ist nicht rund, wie es bei völlig sleichmäßigem Wachstum ungefähr zu erwarten wäre, sondern in die Länge gezogen (Fig. Da u. Fig. Gc usw.. Das dokumentiert sich schon deutlich bei der zweiten Vergabelung des Primärkreuzes, bei der die (dem freien Ende zugekehrten und) in der Längsrichtung stehenden Fortsätze in der Entwicklung meist weit voraus sind. Das ist auf unseren Figuren (Kc,d; Neu.Re,f) deutlich zu erkennen und für unsere folgenden Betrachtungen von größter Wichtigkeit. Ein Primärkreuz ist doppeltsymmetrisch gebaut. Man kann es durch zwei Schnitte in spiegelbildlich gleiche Hälften zerlegen. Nachdem die oben erwähnten Fort- sätze aufgetreten sind, geht die doppelte Symmetrie verloren, undes bleibt nur ein Schnitt möglich, der uns spiegelbildlich gleiche Hälften liefert. Wegen ihrer 28 SIEGFRIED BECHER, Bedeutung für die Bestimmung der definitiven Sym- metrie werde ich deshalb die beiden Fortsätze als pri- märeSymmetriehörner (2. S. der Figuren) bezeichnen. Wenn man ferner von den benachbarten Enden eines Primärkreuzes die- jenigen als „„gleichnamig“ bezeichnet, die von demselben Punkt aus entspringen, die anderen benachbarten Enden aber als „un- gleichnamig“, so können wir sagen, daß bei unserer Art normalerweise die Symmetriehörner an einem ungleichnamigen Paar auftreten. Dies steht, wie bereits angedeutet wurde, damit in Zusammen- hang, daß die Platte in derselben Richtungindie Länge wächst wie der Anker (mit dem sie die Symmetrieebene teilt), während das erste Stäbchen des Primärkreuzes senkrecht zum Anker liest. Das ist nun nicht bei allen Synaptiden der Fall. W. WooDpLAnD (1907, 7, p. 490 u. 497) hat zuerst als Kuriosum kurz mitgeteilt, daß bei Labidoplax digitata das erste Stäbchen der Platte dem Ankerschaft genau so konstant parallel liegt, wie es bei inhaerens senkrecht darauf steht. Ich habe an anderer Stelle diese Be- obachtung erweitert und ihre Bedeutung für die Systematik und das Verständnis von verschiedenen Ankerplattentypen hervorgehoben (1910a, p. 355— 356). Es läßt sich nämlich zeigen, daß viele Platten nach ihrem Aussehen nur nach Art derjenigen von Leptosynapta inhaerens entstanden sein können (also von quer liegendem Primär- kreuz ausgehen müssen: Typus I), während andere (besonders : Labidoplax-") und Protankyra-Arten) ohne Zweifel aus Primärkreuzen entstehen, die parallel dem Ankerschaft liegen (Typus II). Wie gesagt, läßtsichschon an den fertigen Platten sewöhnlich erkennen, ob eine Synapta zu der einen oder anderen Gruppe zehört wel Mg. Damp, a Wenn eine Ankerplatte ein freies Ende besitzt mitdenregel- mäßigen 7 Hauptlöchern,7 80713617 sich mi Bei ehr es keit dasursprüngliche Stäbchen angeben, und es kann daher bei den zahlreichen Arten mit solchen Platten gewöhnlich kein Zweifel darüber bestehen, daß sie zu der Gruppe mit quer liegendem Primärkreuz gehören. Die aus einem dem Ankerschaft parallelen Stäbchen 1) In der Gattung Labidoplax stehen sowohl Arten mit Platten nach dem I., als auch solche mit Platten nach dem II. Typus. Sie müssen vielleicht getrennt werden. Vgl. BECHER 1910a, p. 356. Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 29 hervorgegangenen Platten weisen gewöhnlich 4 größere Löcher auf, diedas Primärkreuzeinschließen undnach dessen Lage dann erkannt werden Können. Das gilt z. B. von den Platten der Lapidoplax thomsonii, die im hinteren Teile des Körpers gelegen sind (vel. Fig. Ha). Je weiter man nach vorn geht, je unregelmäßiger wird die Platte. Größere Löcher sind endlich nicht mehr wahrzunehmen, und die ganze Platte macht einen (abgesehen Fig. E. Anker und Platten von Labidoplax thomsonii. a vom hinteren, b vom vorderen Körperende. Fig. c zeigt, daß auch die scheinbar ganz unregelmäßigen Platten am vorderen Körperende nach demselben Typus angelegt werden, wie die des Hinterendes. 180:1. vom Handhabenende) gleichmäßig klein gelochten oder von sekun- dären Kalkbälkchen überwucherten Eindruck (vgl. Fig. Ea u. b). Ähnliche klein und zahlreich durchbrochene Gitterplatten findet man nicht selten in anderen Gattungen (Protankyra), so dab man wahr- scheinlich auch diese Formen auf den Typus mit parallelem Primär- kreuz zurückführen kann. Überhaupt scheinen die Platten mit zum Ankerschaft parallelem Primärkreuz weniger zur Gestaltung eines regelmäßigen, mit wenig Löchern versehenen, freien Plattenendes zu neigen: So kommt es, daß unsere Trennung zweier Plattentypen mit der Unterscheidung einer regelmäßigen und unregelmäßigen Platten- hauptform, wie sie Lupwie (1889—92, p. 37) vorgenommen hat, nahe korrespondiert. Vielleicht erhält jene Einteilung durch unsere Dar- legungen ihre tiefere entwicklungsgeschichtliche Begründung. Der Begriff „unregelmäßig“ ist jedoch unscharf, und es muß betont werden, daß es auch Synapten mit querem Primärkreuz gibt, die — be- sonders durch Hinzukommen zahlreicher Randlöcher — unregelmäßige Platten bilden. Bei solchen Platten mit erheblich vergrößerter 30 SIEGFRIED BECHER, Lochzahl (z. B. Leptosynapta macrankyra) pflegt auch die Lage des Primarstäbchens eine wechselnde zu sein. Das setzt den syste- matischen Wert der Primärkreuzlage etwas herab. Bei Platten beider Typen (Fig. F) kommt es vor, daß die groben seitlichen Löcher des Handhabenendes (die oft nur eine dünne äußere Einfassung be- zum Bügelende ein sitzen) nicht | plötzlicher, und die mehr zum Ver- | | Platte gewinnt das Aus- schluß Kommen. sehen eines Hand- Dadurch wird spiegels mit seinem Griff. dann der Uber- Dieser treffende Ver- gang vom freien gleich stammt von Lup- wie (1889—1892, p. 38). Labidoplax buskii und Labidoplax thomsoniv (Fic. Db oi Ba mögen als Vertreter der beiden Plattentypen mit Ausbildung eines Hand- oriffs angeführt werden, Wir halten den Vor- ie m gang der Handgrii- Ankerplatten von Handspiegelform. a von Labido- bildung für nen plax thomsonii, b von Leptosynapta bergensis. Bei Prozeß, der mehrmals der ersteren Art ist die Handspiegelform normal, „uftreten kann, und be- bei b eine gelegentliche Unvollkommenheit. fe freies an Plattenende. Bye Biigelende. Bg Bügel. 180:1. zweifeln dementspre- chend die Berechtigung einer systematischen Zusammenstellung der genannten Arten mit verschiedenen Typen der Plattenbildung. Für eine Begründung dieser Ansicht muß auf frühere Arbeiten verwiesen werden (1906, pP. 906, 207.0. 19102923257 559): Es erübrigt noch mit einem Wort der An kererckmieleler zu gedenken, die für unsere weiteren Darlegungen von geringerer Wichtigkeit ist. Der Anker wird als kleines, quer zur Längsachse des Tieres liegendes Stäbchen angelegt. Dieses Stäbchen wächst in die Länge bis zur Ausdehnung des definitiven Ankerschaftes und ist schon frühzeitig an dem einen Ende leicht knopf- bis keulen- förmig- verdickt. An diesem Ende bildet sich der Bogen, während das andere spitzere Ende die Handhabe aus sich hervorgehen läßt. Der Bogen entsteht durch Gabelung (meist: nicht genau unter 120°) und Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 31 krummes Weiterwachsen der dadurch gebildeten Armstummel. Man hat vielfach den Anker für ein Gebilde gehalten, das in seiner Ferm den übrigen Holothurienkalkkörpern gegenüber eine Sonderstellung einnehme. Lupwic (1889—1892, p. 56), BECHER (1906, p. 508 u. 1908, p. 49 u. 50) und WoopzanD (1907, 7, p. 494 u. p. 497) haben aber ver- mutet, daß die Gabelung des Ankerschaftes der Gabelung eines Primärkreuzes entspräche. Ich habe an anderer Stelle (1910a, p. 348 ff.) meine schon 1906 gemachten und angedeuteten Beobachtungen aus- seführt und an der Entwicklung der Anker meiner Leptosynapta minuta jene Vermutung gerechtfertigt und bewiesen, daß die Arme des Ankers phylogenetisch nicht durch einfaches Krummwachsen (wie z. B. WoopLAann meint, I. c., p. 494) entstehen, sondern ur- sprünglich die inneren Äste einer 3fachen dichotomischen Vergabe- lung darstellen, deren äußere Äste völlig rudimentär sind oder — wenigstens bei Leptosynapta minuta — noch als kurze Auswüchse angelegt werden. Auch die Bildung der Handhabe, die hinter der Entstehung des Bogens zeitlich zurückbleibt, ist als verkümmerte Vergabelung zu deuten. Für eine genauere Darlegung der durch die Entwicklung der kleinen Anker von L. minuta ermöglichten Zurückführung und historisch-phylogenetischen Erklärung der Ankerform muß ich auf meine frühere Darstellung verweisen. Hier soll nur noch betont werden, daß der Anker immer früher angelest wird!) als die zugehörige Platte. Sein Schaft besitzt fast definitive Länge (die Handhabe fehlt noch), und seine Arme sind (wenn auch noch nicht: vollständig) bereits entwickelt, wenn das erste Stäbchen die Entwicklung der Ankerplatte beginnt (vgl. Fig. Ka). III. Die Korrelation in der Entwicklung von Anker und Platte. Wir sind nun genügend vorbereitet, um die Korrelation in der Bildung von Anker und Platte näher zu untersuchen. Daß eine solche Korrelation besteht, läßt sich schon aus dem normalen Ver- halten leicht erschließen. Anker und Platten entstehen fast immer zusammen, und sie nehmen immer eine bestimmte Lage zueinander ein. Nicht nurder Anker, sondern auch die Platte liegt immer quer zur Achse des Synaptidenkörpers; die 1) Uber eine Ausnahme von dieser seit über 50 Jahren (AYRES) be- kannten Regel vel. SLUITER’s (1887, p. 219) Angaben über Synapta psara. 32 SIEGFRIED BECHER, Platte wird so gebildet. daß ihre Symmetrieebene mit der des Ankers zusammenfällt (Fig. A. Ankerhandhabe und Bügelende der Platte liegen immer zusammen. Wer sich mit genauen Messungen an Kalkkörpern beschäftigt hat, würde leicht ein Weiteres für die Korrelation der merkwürdigen Gebilde anführen können: die Größe von beiden — Längen und Breiten — stehen in einem ziemlich konstanten Verhältnis. So pflegt bei Leptosynapta bergensis die Ankerbreite die Plattenbreite um eine Kleinigkeit zu übertreffen, während bei anderen Arten die Platte, regelmäßig breiter ist. Die Konstanz solcher Pro- portionen trotz der Verschiedenheit in der absoluten Größe bei den Platten eines Tieres weist deutlich ge- nug auf eine gegenseitige Abhängigkeit hin (vgl. BECHER 1910a, p. 318 —323). : Aber diese vom normalen Verhalten angedeutete Korrelation ist keine so sehr auffällige oder bedenkliche Erscheinung. Die korre- spondierende Verkleinerung von Platte und Anker könnte von einer gemeinsamen Bedingung abhängen. In der Tat ist man meist an diesen Tatsachen vorbeigegangen, ohne in ihnen etwas besonders Erklärungsbedürftiges zu sehen. Eine viel ein- dringlichere Sprache als das normale Verhalten, das sich leicht auf irgend- eine feste präformierte Ordnung beziehen läßt, pflegen teratologische Be- Hh Fig. G. Benachbarte Anker und Platten von demselben Körperwandstück einer Lepto- synapta bergensis. Der Größenunterschied zeigt, daß dieselbe Form in proportio- naler Vergrößerung bzw. Verkleinerung gebildet werden kann. B Bogen. S Schaft. Hh Handhabe des Ankers. fe bedeutet freies Plattenende, Bye Bügelende. bg Bügel. Hl Hauptlöcher. 180:1. Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 33 obachtungen zu reden. In dem normalen Verhalten sehen wir stereotype Maschinenmäßigkeit, unter den fremden Verhältnissen abnormer Be- dingungen muß die lebendige Substanz zeigen, was sie zu leisten vermag, wenn ihr die altererbten Hilfen und Wegweiser genommen sind. Nachdem die Teratologie sich zurzeit von MECKEL und GEOFFROY St.-HıLaıREe höchster Wertung erfreute, war ihre Einschätzung während des Hochstandes vergleichender ünd phylogenetischer For- schung in der Biologie sehr zurückgegangen. Es ist bekannt, dab die neue Forschungsrichtung, die sich mit Recht — wenn auch nicht mit alleinigem Recht — als die kausale bezeichnet, die Teratologie wieder zu Ehren gebracht hat. Besonders einer ihrer Bahnbrecher, W. Roux, hat überzeugend dargetan, wie Mißbildungen nicht selten ähnliche Schlüsse gestatten und zu ähnlichen allgemeinen und weit- tragenden Anschauungen führen wie das Experiment. In der Tat sehen wir den Organismus in den Mißbildungen bei Wegfall eines Teiles normaler Bedingungen reagieren, so daß wir zu einem Urteil über die kausale Bedeutung der weggefallenen bzw. bleibenden Be- dingungen gelangen können. Ohne Zweifel hat das Experiment alle Vorzüge zielbewußter Arbeit, indem bei ihm gerade diejenigen Be- dingungen mit Absicht ausgeschaltet oder variiert werden, über deren Wirksamkeit die Aufklärung am erwünschtesten ist. Das Experiment kann beliebig gerichtet werden und vermag ganz neue Bedingungen zu setzen, wogegen wir bei den Mißbildungen auf das angewiesen sind, was uns der Zufall darbietet. Aber es darf auf der anderen Seite nicht übersehen werden, daß die veränderten Bedingungen, unter denen Mißbildungen entstehen, dem Organismus viel adäquater sein können, mit geringeren Störungen verbunden sind und in Hebel des organischen Getriebes eingreifen können, die dem immer verhält- nismäßig roh arbeitenden Experimentator völlig unzugänglich sind. Daher muß auch der Experimentator oft anormale Vorgänge bei seinen Experimenten mit benutzen; man denke an Boverr’s schöne Aus- nutzung der anormalen Prozesse béi Dispermie. So wird der ernst- haft analysierenden Teratologie stets eine zum mindesten ergänzende Stellung in der kausalen Biologie neben dem Experiment bleiben. Wegen der Kleinheit und Zartheit der Objekte und aus anderen Gründen sind auch wir auf die Variationen der Bedingungen an- gewiesen, die gelegentlich in der Natur auftreten und bei darauf gerichteter Aufmerksamkeit und ausgedehnter Beobachtung in ge- nügender Zahl gefunden werden können. Auch wird sich ergeben, daß in unserem Falle die Änderung der Bedingungen eine so ein- Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Zool. u. Physiol. 3 34 ; SIEGFRIED BECHER, fache und klare ist, daß das Experiment kaum eine reinere Sonde- rung und Ausschaltung hätte bewirken können. Mißbildungen von Ankern und Platten sind nicht selten be- obachtet worden. So berichtet Lupwıs (1889—1892, p. 36—37) in seinem zusammenfassenden Holothurienwerke darüber folgendes: „Ferner gibt es allerlei Abweichungen von der gewöhnlichen Gestalt der Anker, welche bald normale Vorkommnisse, bald aber auch Mib- bildungen zu sein scheinen. So kennt man Anker mit. Durchlöche- rungen in Schaft und Bogen oder an der Übergangsstelle des Schaftes in den Bogen bei S. tenera Norm. und S. digitata (Monr.), solche mit ungleich großen oder ungleich gekrümmten und manchmal auch noch ungleich geformten Armen bei S. asymmetrica Lupw., S. petersi SEMP., S. verrilli Taken, dann solche mit einem dritten überzähligen Arme bei S. bidentata Woopw. und Barr. und S. aculeata Tuten, ferner Doppelanker, bei denen die Handhabe zu einem zweiten Ankerbogen ausgewachsen ist, bei S. aculeata THéEez; endlich kommen auch Anker vor, deren Schaft sich nahe unter dem Ankerbogen zu einem doppelten (bei S. vittata (Forsk.) und S. orsinii Lupw.) oder selbst dreifachen (bei S. godeffroyi Semp.) Schafte gabelt, von denen dann jeder seine eigene Handhabe besitzt.“ Über das Verhalten der zu so mib- gebildeten Ankern gehörigen Platten finden wir bei Lupwie (1. c., p. 38) die kurze Angabe: „Falls der Anker einen doppelten Schaft (s. oben) besitzt, so ist auch die Ankerplatte entsprechend abgeändert, indem sie zwei nebeneinander angebrachte Bügel ausbildet, je einen für jeden Ankerschaft, z. B. bei S. orsinii Lupw.“ Später hat E. Htrovarp (1902, p. 47ff, fig. 2 u. 3) zwei in- struktive (freilich schematische) Abbildungen von 2 Ankern gegeben, von denen der eine 2, der andere 3 Handhabenenden besitzt. Der Schaft der Anker ist in der Nähe des Bogens einfach, verzweigt sich aber dann in 2 bzw. 3 Enden, die alle gegeneinander einen Winkel von 120° einschließen. Die zu diesen Ankern gehörigen Platten besitzen dementsprechend 2 resp. 3 Bügelenden. Aber auch HérouaArD hat der aus solchen Anomalien sich ergebenden Kor- relation keine weitere Beachtung geschenkt, sondern seine Funde benutzt, um daraufhin eine — wie uns scheint nicht existierende — Homologie der Synapta- und Ankyroderma-Anker zu konstruieren. !) Die Bemerkungen, die H&EROUARD unserem Problem widmet, sind | 1) Eine Kritik der HEROUARD’schen Darlegungen findet man in zwei früheren Arbeiten (BECHER, 1908, p. 49—50 u. 1910a, p. 348—353). Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 35 folgende (1. c., p. 46): „Je n’ai pas dessein d'indiquer dans cette note les causes qui déterminent la correspondance de la symétrie des ces formations calcaires superposées, mais il est intéressant de noter en passant qu'ici, comme dans les formations calcaires super- ficielles des Holothurinées en général, il paraît y avoir dans les teguments des zones successives situées à différents niveaux de paroi, dans lesquelles des réseaux calcaires hexagonaux peuvent se developper parallèlement à la surface du corps de l’animal et que le réseau calcaire développé dans l’une de ces zones est orienté en concordance avec les réseaux qui se développent soit au-dessus soit au dessous de lui dans les zones superposées. Les formations calcaires de la couche profonde de la paroi semblent, au contraire, indépendantes de celles de la couche superficielle.“ Es ist, wie sich aus dem folgenden ergeben wird, sehr unwahrscheinlich, daß das Verhältnis von Anker und Platte ein ähnliches ist wie dasjenige der Kalk- körper verschiedener Schichten der äußeren Zone der Lederhaut. Es ist seltsam, daß Htrovarp die tiefere Bedeutung der beobachteten Anomalien so völlig unbeachtet lassen konnte, daß er einer — freilich biologisch modifizierten — Krystallisationstheorie der Kalkkörper das Wort reden kann. Obwohl vielleicht ein richtiges Element in einer solchen Theorie steht, heißt es doch wohl an den Schwierigkeiten vorbeisehen, wenn man ausführt (1 c., p. 51): „Il y a d’après ce que nous venons d'indiquer, ainsi que d'après bien d’autres exemples que l’on pourrait donner une telle disposition géométrique dans la formation des corpuscules calcaires des Echinodermes qu'il est bien difficile de voir, comme le veulent certains auteurs, autres chose qu’une cristallisation du calcaire pour l'édification des ces formations.“ Später hat noch W. Woopzanp mit Bezugnahme auf HÉROUARD'S Abbildungen bemerkt, daß die Ankerplatten in Verbindung mit dem Anker modifiziert werden können (1907, 7, p. 497). Woopzanp glaubt, daß sich die Platten kaum ohne den Anker zu normaler Gestalt ent- wickeln könnten, und fügt in Klammern eine Bemerkung über ihre ‚Abhängigkeit bei (l. c., p. 495): „It is, indeed, hard to suppose that the plates would assume the normal shape (which is modified in connection with the anchor’) when developed by themselves.“ Diese kurzen Bemerkungen sind, soweit ich sehe, alles Wesentliche, was in der Literatur über unseren Gegenstand vorliegt. Ich gehe nun 1) This is conspicuously shown in the abnormalities figured by HEROUARD (2). ak 36 SIEGFRIED BECHER, dazu über, die von mir beobachteten Anomalien zu schildern. In diesem Abschnitt sollen nur die Tatsachen mitgeteilt werden mit Einschluß der Abhangigkeitsverhaltnisse, die sich daraus ergeben. Die ge- nauere Diskussion muß einem weiteren Abschnitt überlassen bleiben. Da sich der Anker früher anlegt als die Platte, so macht es den Eindruck, daß er die unabhängige Variable in dem Abhängig- keitsverhältnis darstellt. Wir wollen daher immer die Gestalt des Ankers in unserem Bericht voranstellen. Nicht allzuselten findet man Anomalien wie die in Fig. Ha abgebildete. Der Bogen des Ankers ist normal ausgebildet. Vom Ankerschaft ist sozusagen nur die dem Bogen benachbarte Hälfte normal. Dann teilt sich nämlich der Schaft unter ungefähr 120° in 2, von denen jeder einen Wulst und eine ganz normale Hand- habe aufweist. Das rechte dieser Handhabenenden ist etwas kürzer als das linke. Nun die zugehörige Platte. Das freie Ende der Platte ist un- gefähr normal ausgebildet. Das äußerste Loch ist zwar nicht voll- kommen geschlossen — was vielleicht auf die verhältnismäßig ge- ringe Größe oder auf die etwas nach dem Bügelende hin verschobene Lage des Ankers bezogen werden könnte —, indessen sind solche kleine Mängel in der Ausbildung auch unter sonst normalen Ver- hältnissen nicht selten anzutreffen. Im ganzen können wir sagen, daß im vorliegenden Falle dem normalen Bogenteil des Ankers ein normales freies Plattenende entspricht. Dagegen finden wir das Bügelende der Platte entsprechend dem verdoppelten Handhaben- ende des Ankers modifiziert. Vergleicht man die Platte mit der oben (Fig. Gc) wiedergegebenen normalen Ankerplatte, so zeigt sich deutlich, daß nicht in der Symmetrieebene ein spitzes Ende vor- handen ist, sondern daß die Platte am Bügelende in der Symmetrie- linie stumpf endigt, dafür aber seitlich je zwei abgerundete Ecken aufweist. Es ist unverkennbar, daß diese spitzen Enden genau unter den beiden Handhabenenden gelagert sind, und so dürfte es keinem Zweifel unterliegen, daß es sich um 2 Bügelenden handelt. Wir haben also hier den schon von LupwiG erwähnten und von HEROUARD schematisch dargestellten Fall vor uns. Unsere Platte unterscheidet sich allerdings von dem Hérovarp’schen Schema da- durch, daß in unserem Fall der Verzweigungspunkt des Schaftes nicht über dem Zentralloch des freien Endes liegt und daß die Bügelenden weniger ausgeprägt an verschiedenen Seiten ansitzen. Ob dieser Unterschied an Hérouarn’'s Schematisierung liegt oder Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 37 (wie wohl denkbar) in der Verschiedenheit der Objekte selbst be- gründet ist, mag dahingestellt bleiben. Bei genauerem Zusehen sind auch die beiden Bügel leicht auf- zufinden. Sie liegen in der Nähe des siebenten großen, dem Bügel- ende anliegenden Loches. Auf der linken Seite ist der Bügel deut- licher wahrzunehmen, während er rechts (unmittelbar neben dem rechten Schaft) nur angedeutet scheint. Überhaupt ist das linke Bügelende besser entwickelt als das rechte — offenbar in Korrelation zu der entsprechend verschiedenen Ausbildung der Handhabenenden. Dieser Umstand zeigt, daß nicht nur eine Korrelation in großen Zügen besteht, sondern daß die Abhängigkeit eine sehr feine und ins einzelne gehende ist. Um Zufall kann es sich bei dieser Ab- hängigkeit der Größenverhältnisse von Handhaben- und Bügelende nicht handeln; denn ich habe mehrfach ganz entsprechende Anor- malitäten, auch bei anderen Arten, gefunden. Übrigens sind die Mißbildungen durchaus nicht so mathematisch regelmäßig, wie HEROUARD’s beide Zeichnungen erwarten lassen. Der Winkel von 120° spielt zwar bei den anormalen Verzweigungen ebenso eine große Rolle wie bei den normalen Spiculabildungsvor- gängen, indessen kommt ihm durchaus nicht — wie man früher ge- meint hat — ein Monopol zu. Fig. Hb gibt uns eine Mißbildung wieder, die das deutlich beweist. Der kräftige Ankerschaft ist nahe seinem Handhabenende wieder in zwei Äste gespalten, die einen schwachen Wulst und wohlausgebildete Handhabenenden erkennen lassen. Diese Äste divergieren unter einem spitzen Winkel (von un- gefähr 60°). Dementsprechend sind auch zwei schön ausgebildete spitze Bügelenden vorhanden, die wiederum genau unter den Anker- schaftästen liegen. Ich denke, daß diese Tatsachen deutlich senug zeigen, daß das Bügelende in seiner Ausbildung von dem Handhabenende des Ankers beherrscht wird. Es ist unmöglich, sich vorzustellen, daß irgendein Zufall zwei unter 120° divergierende Wachstumsrichtungen in beiden Skeletteilen be- giinstigte; sondern wir sehen, daß die Platte in der Aus- bildung des Bügelendes bei beliebigem Winkel der Verzweigung der Ankermißbildung genau folgt und auch dieGröße des Bügelendes durch die Verhältnisse der korrespondierenden Handhabe bestimmt wird. Auch läßt sich schon deutlich erkennen, daß die hier vorliegende Korrelation unmöglich funktioneller Natur sein kann. Der Wulst des normalen Ankers dreht sich auf der Platte, gegen 38 SIEGFRIED BECHER, Fig. H. Korrelative Doppelbildungen an Anker und Platte. von Handhaben- bzw. Bügelenden (bei Leptosynapta bergensis). e, f zeigen doppelte Bogenenden am Anker und doppelte freie Enden an den Platten (bei Labidoplax thomsonii). Bei b, c, d sind Querfältchen (9) der Körperwand eingezeichnet. 180:1. a u. b zeigen Verdoppelungen Die Figuren c, d, Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 39 den Bügel gestützt. Eine genau entsprechende Bewegung ist un- möglich, wenn zwei stark divergierende Handhabenenden vorhanden sind. Sie ist völlig unmöglich in Fällen, bei denen (wie bei dem von Hérouarp [Fig. 3] abgebildeten) 2 von 3 Ästen des Schaftes dem Bogen zu laufen. Diese Äste können auf der Platte unmöglich ähnlich gleiten wie der normale Schaft. Eine funktionelle Beein- flussung der Platte ist also gänzlich abzuweisen. Das korrelative Verhältnis der Handhaben zum Bügelende ist also nicht so aufzu- fassen, daß durch das Gleiten des Wulstes auf dem Rande der in Entstehung begriffenen Platte die bildende Matrix derselben zu ver- mehrtem Wachstum an der betreffenden Stelle veranlaßt würde. Diese schon hier unwahrscheinliche, aber immerhin erwähnenswerte Erklärungsmöglichkeit wird sich an späteren Stellen als gänzlich unzulänglich erweisen. Doch zurück zu der eben betrachteten Mißbildung (Fig. Hb). Diese beschränkt sich nicht auf das Handhaben- bzw. Bügelende. Auch der Bogen ist gänzlich deformiert. An Stelle zweier regel- regelmäßiger Arme sehen wir mehrere unregelmäßige Hörner. Die Zähnchen dieser Hörner beweisen uns, daß ihre Bildung von der Matrix auch dann noch in typischer Weise geleistet werden kann, wenn die Träger dieser Gebilde und die Architektonik des Ganzen sehr geändert sind. Bemerkenswert ist übrigens, daß auch unter so stark variierten Verhältnissen die Zähnchen wie beim normalen Bogen immer auf der konvexen Seite sitzen und ihre Spitzen von der Spitze des sie tragenden Kalkhornes abwenden. Weshalb?! In der schon vorhandenen Gestalt müssen Bedingungen für das „Wie“ ihrer weiteren Ausbildung gelegen sein. Das soll später genauer erörtert werden. Entsprechend der anormalen Gestaltung des Bogenendes am Anker ist auch das freie Plattenende in seiner äußersten Partie anormal gebildet. Es läßt die gewöhnliche Regelmäßigkeit ver- missen; seine Symmetrie ist gestört. Wie die rechte Ankerbogen- seite zu schwach ist, so ist auch das rechte Plattenende zu kurz gekommen: eines der 7 Hauptlöcher ist auf dieser Seite durch zwei geringfügige Durchbrechungen ersetzt. Schon diese unregelmäßige und ungünstige Mißbildung des Bogenendes läßt darauf schließen, daß auch diese Enden von Anker und Platte in ihrer Bildung voneinander abhängig sind. Das ist insofern interessant, als sich Anker und Platte an dieser Stelle nicht 40 SIEGFRIED BECHER, so nahe liegen wie an dem entgegengesetzten Ende, was wiederum eine funktionelle Beeinflussung völlig unwahrscheinlich macht. Unsere bisherigen Abbildungen bezogen sich auf Leptosynapta bergensis (von Helgoland); die Korrelation von Ankerbogen und freiem Plattenende sollen im folgenden an 4 sehr merkwürdigen Mißbildungen von Labidoplax thomsonii studiert werden (Fig. Hc—f). Die ersten 3 derselben sind sehr regelmäßig. Der Anker- schaft ist auch hier unter etwa 120° gegabelt. Aber der unpaare Teil ist diesmal das Handhabenende. Dagegen ist das entgegen- gesetzte Ende gespalten, und jeder der sehr gleichmäßig ausgebildeten Äste triigt einen wohlentwickelten Bogen. Die Ankerplatten von Labidoplax thomsomii gehören zu denen, die wegen der schmalen Form des Bügelendes Handspiegelform besitzen (Fig. Fa). In unseren Mißbildungen finden wir diesen Handgriff (Bügelende) in ziemlich typischer Ausbildung und in Einzahl unter der unpaaren Handhabe des Ankers. Anders das freie Plattenende! Entsprechend der doppelten Ausbildung der Bogenhälfte des Ankers sind auch deutlich zwei freie Plattenenden zu erkennen. Daß es sich um zwei Enden handelt, sieht man bei Fig. Hc deutlich daran, daß in der Mitte eine Zone mit kleineren Löchern liegt, daß dagegen an jeder Seite die großen etwas unregelmäßigen Löcher sichtbar werden, die in ähnlicher Weise in normalen Platten anzutreffen sind. Unsere Mißbildung zeigt also aufs klarste, daß auch Ankerbogen und freies Plattenende in morpho- genetischer Abhängiekeit stehen. Was die Entstehung dieser Mißbildungen (Fig. Hc—e) angeht, so scheint es mir wahrscheinlich, daß dieselben nicht oder wenigstens nicht alle dadurch entstanden sind, daß sich das Primärstäbchen des Ankers in 2 Bogenenden gabelte, sondern dadurch, daß der Schaft mit einem normalen Bogenende sich gabelte und nun an einem Ast einen zweiten Bogen, am anderen eine Handhabe entwickelte. Da- für spricht einerseits, daß unter einem (dem sekundären) Anker- bogen das entsprechende Plattenende kleiner ist (Fig. Hd und e), und andererseits, daß der Schaft des anderen, also des vermuteten primären Bogens, in normaler Querrichtung zur Körperachse liegt (Fig. He und d). | Im Gegensatz zu Fig. He, d,e gibt die letzte Abbildung (Fig. Hf) eine sehr komplizierte Mißbildung. Die Analyse derselben ist jedoch von hohem Interesse. Wir sehen zunächst einen großen Doppelanker. An der einen Seite trägt derselbe einen Bogen, der in seiner Mitte unnatürlich verdickt und von einem Loch durchbohrt ist. Das andere Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 41 Ende des Schaftes zeigt in seiner Biegung zwar Anklänge an ein Handhabenende, trägt aber auch einen Bogen, dessen einer Arm allerdings nur durch eine kurze Spitze angedeutet ist. Entsprechend diesem Doppelanker haben wir sozusagen eine Doppelplatte, deren Umriß im ganzen ungefähr einer 8 gleicht. Aber wie der Anker aus zwei Bogenteilen zusammengesetzt ist, so besteht die Platte deutlich aus zwei freien Enden. Und wie den beiden Bogen die Handhabe fehlt, so suchen wir an der Berührungsstelle der beiden Platten vergeblich nach einem Bügelende Es ist kaum nötig anzuführen, wie somit dieses Gebilde in seinen positiven und negativen Eigenschaften die Korrelation der Teile von Anker und Platte dartut. Die Sprache, die das Präparat redet, ist aber eine noch deut- lichere. Neben dem Doppelanker, und zwar seinem schwächer ent- wickelten Ende, liegt ein zweiter Anker. Er war in meinem Präparat zerbrochen. Das (vorhandene) Bogenende, das der Ankerplatte fern lag, ist in unserer Figur weggelassen. Das Handhabenende des Schaftes aber liegt über einem Teil der Doppelplatte. Es ist nun erstaunlich und höchst bemerkenswert, daß jene Plattenhälfte genau unter diesem Handhabenende ein kleines, aber charakteristisches Bügelende gebildet hat. Die Entstehungsweise dieser seltsamen Mißbildung ist mir nicht völlig klar. Ist die Doppelplatte aus einem oder zwei Primärkreuzen hervorgegangen? Es könnte sein, daß unter dem Schaft des Doppel- ankers zunächst eine Platte sich zu bilden begann, die dann aber unter dem zweiten schwachen Bogen nicht eine Handhabe, sondern ein zweites freies Ende bildete. Dafür spricht der Zusammenhang beider Plattenhälften. Wahrscheinlicher ist mir, daß sich erst der Doppelanker mit beiden Bogen bildete und daß nun in der Nähe | jedes Bogens ein Primärkreuz angelegt und zu einer Platte aus- gebildet wurde. Diese Platten stießen dann zusammen, und es trat Verwachsung (ohne Bügelenden) ein. Dafür sprechen einige (freilich . auch anders deutbare) Einzelheiten der Zusammenhangsstelle der Plattenhalften. Noch wahrscheinlicher ist — weil keine andere Platte für den zerbrochenen Anker vorhanden ist —, dab die eine Hälfte‘ der Doppelplatte ursprünglich zu dem zerbrochenen Anker gehörte und erst später unter den Einfluß des Doppelankers kam. So erklärte sich das Auftreten des Bügelendes in einfachster Weise. Es würde dann aber wahrscheinlich, daß das über der einen Platte liegende unvollkommene Bogenende durch die schon vorhandene 42 SIEGFRIED BECHER, Platte von der Entwicklung einer Handhabe zur Bildung eines Bogens umgestimmt worden wäre. Da sich die Handhabe gewöhn- lich spat am Anker bildet, so wäre eine solche Rückwirkung der Platte auf diesen Ankerteil nicht ausgeschlossen. Die angeführten Mißbildungen würden vollauf genügen, um die Korrelation von Anker und Platte darzutun. Die Abhängigkeit ist, wie wir fanden, eine sehr spezielle. Und dieser besondere Grad der Abhängigkeit macht es unmöglich, dab es sich nur um eine Vor- täuschung handelt. Wenn nur die Symmetrieebenen von Anker und Platte zusammenfielen (oder dgl.), so wäre es leicht eine andere Er- klärung ausfindig zu machen. So könnten sich beide Teile unab- hängig voneinander nach Querfalten der Haut einstellen. Die spezielleren Abhängigkeiten von Handhabe und Bügel- ende, von Ankerbogen und freiem Ende lassen eine solche Erklärung nicht zu. Hier muß eine wirkliche Bildungsabhängig- keit des einen Teiles vom anderen bestehen. Wie eine solche vorzustellen ist, kümmert uns einstweilen nicht. So will es scheinen, als ob wir die Beweisaufnahme mit jenen Tatsachen schließen könnten. Indessen zeigen alle bisher beschriebenen Verhältnisse einen Nachteil. Sie geben uns alle die Bildungskorrelation aus dem Resultat, aus einem fertigen Zustand zu erschließen. Es wäre aber von vielleicht größerem Interesse, den Einfluß jener als bestehend erkannten Abhängigkeiten in einzelnen Schritten seines Wirkens zu verfolgen. Dieses Ziel scheint nur durch das Experiment erreichbar, das seinerseits aus anderen Gründen unmöglich ist. Es ist mir indessen gelungen in Entwicklung begriffene anormale Ver- hältnisse zu finden, deren Abweichung vom Normalen mit der Präzision des Experiments gesetzt zu sein scheint. Erinnern wir uns, daß bei demjenigen Typus von Ankerplatten, dem diejenigen der Leptosynapta bergensis angehören, das Anlage- stäbchen der Platte regelmäßig quer zu dem Schaft liegt. Bei dem anderen Plattentypus (L. thomsomii) liegt jenes Stäbchen ebenso kon- stant parallel zum Ankerschaft. Von dieser Regel war bisher keine einzige Ausnahme bekannt, obwohl sie für den ersten Plattentypus sehr oft geprüft wurde. Auch Woopuanp, der zuerst die parallele Lage des Stäbchens bei ZL. digitata beschrieb, hebt hervor, daß er unter großen Mengen untersuchter Bildungsstadien keine einzige Ausnahme fand. Ich kann nur bestätigen, daß man bei fast allen Exemplaren die genaueste Konstanz in der angegebenen Regel an- trifft. Unter den zahlreichen darauf untersuchten Hautstücken von Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 43 L. bergensis ist es mir aber doch gelungen einige zu finden, in den Abweichungen nicht selten waren. Später habe ich auch noch bei mehreren anderen Arten Verschiedenheiten in der Lage des Primär- kreuzes zum Anker nachweisen können. Anormalität oder gar völlige Unbestimmtheit in der Primärkreuzlage findet man bei denjenigen Arten, deren Platten starke Tendenz zur Lochvermehrung (wie z. B. L. macrankyra) bzw. sehr reichliche oder unregelmäßige Durchlochung aufweisen. Dabei ist eben die Lage des Primärkreuzes für die Architektonik der ganzen Platte ziemlich oder ganz ohne Belang. Umgekehrt sind z. B. bei L. inhaerens, deren 7 Hauptlöcher noch durch Form- und Grö- ßenverhältnisse indivi- dualisiert sind, Ab- weichungen äuberst selten. Fig. Ja und b geben ein Beispiel für verschiedene Lage des Primärbalkens der Platte. Beim Stadium a liegt der Primär- balken senkrecht zum Ankerschaft, wogegen die Platte von b deut- lich erkennen läßt, daß sie aus einem dem Hier): Anker und Platten bzw. Plattenanlage einer Lepto- synapta duvernaea. (So ist das Präparat bezeichnet, Ankerschaft parallelen Stäbchen hervorge- gangen ist. Diese Ab- weichungen warenschon nach dem die Figuren gemacht sind. L. duvernaea wird jetzt mit inhaerens identifiziert. Es scheint mir aber ausgeschlossen, daß die abgebildeten Kalk- körper von inhaerens sind). Die Fig. a und b ent- stammen demselben Stückchen Körperwand, trotz- dem liegt bei a das Primärstäbchen quer, während die Platte von b aus einem dem Anker parallelen dadurch interessant, dab Primärbalken hervorgegangen ist. 180:1. das Ursprungsstäbchen der Platte bei anormaler Stellung immer!) senkrecht zur normalen Richtung, also parallel zum Ankerschaft lag. Dieser Tatsache kommt 1) Dieses „immer“ ist insofern etwas einzuschränken, als kleine Ab- weichungen von der parallelen oder senkrechten Lage natürlich vor- kommen. Das „Parallelliegen“ oder ,Senkrechtstehen“ ist natürlich kein mathematisch genaues; auch gilt die Regel nicht für Arten, deren Platten ‚sehr reichliche oder unregelmäßige Durchlochung zeigen. 44 SIEGFRIED BECHER, eine gewisse deszendenztheoretische Bedeutung zu: wir haben es hier mit einem deutlichen Beispielvon diskontinuier- licher, sprunghafter Variation zutun. Wenn eine Form mit Plattentypus I in eine solche mit Plattentypus II überging, so drehten sich wahrscheinlich die Anlagestäbchen der Platten nicht all- mählich um einen immer größer werdenden Winkel, sondern die neue Lage wurde plötzlich erreicht. Freilich muß man sich vorstellen, daß zunächst neben den Platten vom alten Typus solche vom neuen Typus auftraten und in den folgenden Generationen immer zahl- reicher wurden. Die Artumwandlung war somit eine allmähliche, obwohl die Variation selbst eine sprunghafte war. Natürlich hätte sich der phylogenetische Übergang von einem Typus zum anderen auch unter Vermittlung einer Periode mit unbestimmter Primär- kreuzlage vollziehen können. Vielleicht bildeten unregelmäßige Durchlochung und unbestimmte Primärkreuzlage auch den ge- meinsamen Ausgangspunkt für die heute getrennten, regelmäßigen Typen. Wir müssen uns nun wiederum früherer Betrachtungen über die normale Entwicklung der Platten erinnern. Dazu sollen uns die Figg. Ka—f behilflich sein. Das Primärkreuz, aus dem die Platte entsteht, ist doppelt symmetrisch. Die Platte selbst aber besitzt nur eine Symmetrieebene, die bei Typus I senkrecht zum ersten Anlage- stäbchen liegt. Die Differenzierung vom freien und vom Bügelende — d.h. die Aufgabe der doppelten Symmetrie — dokumentiert sich nun am Primärkreuz in der Entwicklung dadurch, dab die dem Ankerbogen zugekehrten „ungleichnamigen“ Enden sich zuerst gabeln. Die Äste dieser Gabelung, von denen die inneren am stärksten aus- gebildet zu sein pflegen, hatte ich die „Symmetriehörner“ (innere primäre und äußere sekundäre) genannt. Sie sind in Fig. Ke, d in ihrer normalen Lage schön zu sehen. Die vorhergehende Figur zeigt das Primärkreuz der Platte in dem Stadium, in dem es durch Verdickung der ungleichnamigen, dem Bogen zugekehrten Enden, im Begriff ist seine doppelte Symmetrie aufzugeben. Wie verhalten sich nun die Symmetriehörner bei den abweichend liegenden Primärkreuzen? Treten sie an denselben ungleichnamigen Enden auf wie bei normaler Ent- wicklung? Dann müßte am Ende eine Platte entstehen, deren Symmetrieebene quer zum Anker läge, und wir könnten von Selbst- differenzierung der Platte reden. Oder treten jetzt die Sym- metriehörner an den (gleichnamigen) Enden des Primärkreuzes auf, Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 45 die nunmehr dem Ankerbogen zugekehrt sind. Mit anderen Worten: liegt korrelative Gestaltung der Platte vor? Wir stehen hier vor einer Alternative, die der Biologe dadurch zu lösen suchen würde, daß er ein Primärkreuz künstlich um 90° drehte und die Weiterentwicklung beobachtete. Unsere Funde von Primärkreuzen, die um 90° verlagertsind, ersetzen dieses Experiment in der vollkommensten Weise. Das was der Experimentator der Weiterentwicklung des gedrehten Kalk- stäbchens entnehmen würde, können wir aus einer Reihe verschiedener Entwicklungsstadien von Primärkreuzen, die um 90° gedreht sind, ablesen. Fig. Ka’—f’ stellt eine solche Reihe dar. Unsere Figuren zeigen, wie während der Plattenentwicklung an dem früher ange- legten Anker nur noch die Handhabe und die Dornen des Bogens entstehen. Das früheste Stadium (Fig. Ka) zeigt uns ein Primärkreuz, dessen Hauptstäbchen parallel dem Ankerschaft gelagert ist, während es normalerweise quer liegen müßte. Das kleine Kalkkreuzchen ist noch doppelt symmetrisch, eine korrelative Beeinflussung und Bevor- zugung einer Symmetrieebene hat noch nicht stattgefunden. Man beachte, wie durch die anormale Lage nicht mehr zwei „ungleich- namige“, sondern zwei „gleichnamige“, d. h. von demselben Punkt entspringende Äste dem Ankerbogen zugekehrt sind. Das folgende Stadium (Fig. Kb’) zeigt deutlich, wie diese beiden gleichnamigen, dem Bogen zugekehrten Enden beginnen sich zu verdicken und in der Entwicklung vorauszueilen. Damit hört die Symmetrieebene, die senkrecht zum primären Stäbchen lag und normalerweise die übrigbleibende war, auf, das Kreuz in gleiche Hälften zu trennen. Dagegen wird nun die dazu senkrechte Sym- metrieebene erhalten. Wir können also schon folgern: bei der Ent- wicklung der Platte wird nicht durch Selbstbestim- mung festgelegt, welche der beiden ursprünglichen Symmetrieebenen des Primärkreuzes erhalten bleibt, sondern es wird unbekümmert um die Lage des Primär- kreuzes korrelativ diejenige Symmetrieebene bei- behalten, die mit der des Ankers zusammenfällt! In den folgenden Stadien (Fig. Kc’—d’) wird das noch viel deutlicher. An Stelle der angeschwollenen gleichnamigen Enden sind die (pri- mären) Symmetriehörner getreten. Wenn die Platte völlig durch Selbstdifferenzierung bestimmt würde, so müßten diese Hörner an zwei seitlichen „ungleichnamigen“ Ästen sitzen. Statt dessen sind 46 une | a a! Fig. K. Die oberste Reihe zeigt die Entwicklung eines zum Anker normal gelagerten 'Primärkreuzes (Typus I) von der ersten Anlage bis zur fertigen Platte. In der zweiten Reihe ist eine entsprechende Folge von anormalen Stadien abgebildet, in denen das Primärkreuz um 90° gedreht ist, so daß es dem Ankerschaft parallel liegt. Die primären Symmetriehörner (pS) werden trotz der Drehung: korrelativ an den SIEGFRIED BECHER, Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 47 d’ e’ f Ro dem Ankerbogen zugekehrten Enden des Primärkreuzes entwickelt. Ungeachtet der Drehung: wird die entstehende Platte (f‘) in Symmetrie, Umriß, Bügelende etc. der normalen Platte sehr ähnlich. Nur bilden sich statt der 7 Hauptlöcher der normalen Platte bei der anormalen gerade so wie beim Plattentypus II nur 4 Haupt- löcher (Hl) aus. (Vgl. fu. f‘). sS sekundäres Symmetriehorn. fe freies Plattenende. Bge Bügelende. Bg Bügel. Alle Stadien sind von Leptosynapta bergensis. 180:1. 48 SIEGFRIED BECHER, sie korrelativ zum Anker wieder an denjenigen Stellen hervor- gewachsen, die dem Ankerbogen benachbart sind. Nur der Winkel von 120°, unter dem die Symmetriehörner angesetzt werden, ist bei- behalten. Das führt aber wegen der geänderten Stellung der Primärkreuzarme zu einer Abweichung von etwa 30° gegen die . normale Lage der Symmetriehörner. Die beiden anderen Enden des Primärkreuzes zeigen erst jene Verdickung, die der Verzweigung vorausgeht. Sie sind ungefähr soweit wie die äußeren Symmetrie- hörner, also im ganzen um ungefähr eine Verzweigung zurück. Fig. Ke’ zeigt ein etwas weiteres Entwicklungsstadium: die (inneren) Symmetriehörner zeigen den Beginn weiterer Gabelung, und auch die hinteren Enden des Primärkreuzes stehen in Verzweigung (vel. auch Fig. Ke—e). Auf diesen Stadien zeigt sich, wie die Asymmetrie senkrecht zur Ankerrichtung immer mehr fortschreitet. Es ist nicht zu verkennen, daß die längsgerichteten inneren Symmetriehörner weiter ausgebildet sind als die nach der Seite laufenden, und ebenso sind auf der Handhabenseite die parallel dem Schaft laufenden Fortsätze länger als die dazugehörigen Vergabelungspaarlinge. Die ganze Weiter- bildung der Platte strebt also offenbar einer Streckung in der Richtung parallel dem primärsten Kalkstäbchen zu. Das war wiederum gerade umgekehrt bei der normalen Entwicklung, wo die Platte in der dazu senkrechten Richtung ihre größte Ausdehnung erreichte. Bei anormaler Lage des Primärkreuzes wird also nicht nur die Symmetrieebene nicht mitgedreht, sondern es wird auch die Richtung stärkeren Wachs- tumsin Beziehung zum Primärkreuz um 90° gewendet und sozusagen in der Richtung des Ankerschaftes fest- gehalten. Auch beim Ausgang von einem um 90° gedrehten Primärkreuz wird also die Platte trotzdem in Richtung des Ankers längsgestreckt. !) | Das wird durch Fig. Kf‘ aufs schönste illustriert. Diese Abbildung stellt eine Platte dar, die aus einem (anormal, d. h.) parallel dem Ankerschaft gelagerten Primärkreuz hervorgegangen 1) Ich habe nur einen Anker mit anormal liegendem Primärkreuz gefunden (Textfig. L), bei dem sich die Symmetriehörner an zwei seitlichen „ungleichnamigen“ Enden des Kreuzes bilden. Es handelt sich dabei wahrscheinlich um ein nach Entwicklung der Hörner gedrehtes Primärkreuz. Bemerkenswert — obwohl vielleicht zufällig — ist, daß das dem Bogen zugekehrte Horn die stärkste Entwicklung aufweist. Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 49 und unbekümmert darum zu vollständiger Ausbildung gelangt ist. Nur einer der Ankerarme ist — offenbar später — abgebrochen. Diese Figur stellt die einzige völlig entwickelte Platte solcher Art dar, die es mir gelungen ist zu finden. Es ist von Interesse diesen merkwürdigen Fund etwas näher ins Auge zu fassen. Auf den ' ersten Blick scheint die Platte ganz normal, bei ihrem durchaus nicht mißgestalteten oder pathologischen Aussehen hätte sie leicht übersehen werden können. a Sehen wir aber näher zu, so ist ie es leicht im Innern den Primärstab aufzufinden, der genau in der Längs- ae achse der Platte liegt. Das Primär- vig kreuz ist von 4 primären Löchern ; | umgeben, ganz analog wie bei dem Plattentypus, der immer auf ein dem Ankerschaft parallel liegendes Stäb- chen zurückgeht (vgl. Fig. Db). Ich bitte nun diese Platte mit unserer Abbildung von einer normalen Anker- platte von L. bergensis zu vergleichen a (Fig. Kf). Um die 4 primären Löcher Fig. L. der anormalen Platte zieht ein Kranz Zeigt den einzigen Fall, in dem ich kleinerer Löcher. Von diesen Ir PE en legen sich einige mit dreien kreuz an denselben Enden antraf, you den dem freien ln rande genäherten Primär- Wahrscheinlich handelt es sich um nern zuleiner Gruppe von eine spätere, gewaltsame Drehung. Das obere sekundäre Symmetriehorn 7 Löchern zusammen, die an scheint durch die Nähe des Bogens die 7 Hauptlöcher der nor- sefordert, | Leptosymapta, bergenss, malen Platte erinnern. Esist metriehorn. 180:1. aber klar, daß sie nicht homolog sind. Andere Löcher von dem äußeren Lochkranz liegen an dem Bügel- ende und werden genau so von einem wohl ausgebildeten Bügel über- quert wie bei einer gewöhnlichen Platte. Überhaupt ist die Ausbildung des Bügelendes sehr beachtens- wert! Bringen wir das Primärkreuz einer normalen mit dem unserer anormalen Platte zur Deckung, so würde das Bügelende der letzteren Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Zool. u. Physiol. 4 50 SIEGFRIED BECHER, nach einer Breitseite der normalen Platte weisen! Völlige Selbst- differenzierung würde das Bügelende der Platte also an die Seite gebracht haben. Dagegen wird es in Wirklichkeit korrelativ in der neuen Symmetrieebene der Platte und unter der Ankerhand- habe angelegt! Wir sehen daraus, daß die morphogenen Fähigkeiten durch die anormale Lage nicht gestört sind. Das Bügelende ist so gut wie völlig normal ausgebildet. Der Ort aber, wo sie sich äußern, wird korrelativ, d.h. in einer den neuen Verhältnissen entsprechenden Weise bestimmt. Das ergibt sich auch aus der Bezahnung der Löcher und des Randes der Platte, die nicht nur an den Löchern entsteht, die denen der normalen Platte morphologisch entsprechen, sondern überall dort auftritt, wo ähnliche Verhältnisse sich dar- bieten. Sie fehlen am Außenrand der normalen Platte gewöhnlich dem Bügelende völlig; an der Stelle des Randes der anormalen Platte, die nach den Symmetrieverhältnissen dem Bügelende ent- spricht, sind sie aber vorhanden, fehlen aber wieder dem an anderer Stelle entwickelten Bügelende Die Gestalt eines Platten- teiles bestimmt also seine weitere Ausführung. Wie das zu verstehen ist, wird uns später beschäftigen. Sehr beachtenswert ist auch die äußere Gestalt der anormalen Platte Der Umris: it vollie rar Das ist sehr merkwürdige. Wie ist es möglich, daß trotz der ganz anderen Bildungsweise des freien Plattenendes gleichwohl dasselbe Ziel, derselbe Umriß erreicht wird? Hier liegt in dem normalen und anormalen Verhalten ein merkwürdig „äquifinales* Geschehen -— wie DRIESCH sagen würde — vor, das nur schwer zu verstehen ist. Einstweilen wollen wir festhalten, daß die äußere Form der Platte in Korrelation zu der neuen Symmetrieebene gebildet wird. Das Problem selbst: warum nämlich auch unter den seänderten Bedingungen das Wachstum an den ver- schiedenen Teilen der Peripherie in feiner gegen- seitiger Abstimmung gerade dann aufhört, wenn die alte Form wieder hergestellt ist, muß auf später ver- schoben werden. Die eben mitgeteilten Beobachtungen über die Korrelation während der Entwicklung beziehen sich auf Leptosynapta bergensis, also auf eine Art mit Platten, die normalerweise nach dem ersten Typus gebaut sind. Wir untersuchten die Korrelation, die auftritt, wenn die erste Anlage von einem dem Anker parallelen Stäbchen statt Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 51 von einem zum Anker senkrechten Primärkreuz ausgeht. Es mußte nun für die Fortführung unserer Untersuchung die Aufgabe entstehen, auf dieses Ergebnis sozusagen die Probe zu machen an anormalen Stadien von Platten, dienormalerweisenach demzweitenTypusgebildet werden. Wenn wir dert durch korrelative Entwicklung eine Platte erhielten, die in dem Besitz von 4 Hauptlöchern an den anderen Typus er- innerte, so mußten wir jetzt fragen, ob auch hier eine Platte entstehen kann, bei der das Primärkreuz wie beim ersten Typus senkrecht ;. auf dem Anker steht. if Es ist mir nach langem vergeblichen Suchen gelungen auch diesen umgekehrten Fall zu finden. Fig. M zeigt neben einem normalen Plattenentwicklungsstadium von La- bidoplax thomson (also von Typus 2) 4 fast fertig entwickelte Platten, deren Primärkreuz nicht parallel, sondern senkrecht zum Anker mr? gelesen hat. In diesem Falle ist zunächst ‘ ~~-~i keine korrelative Beeinflussung merklich ge- a Fig. M. Figur a stellt eine normale fast vollständige Ankerplatte vom 2. Typus dar. Der Primärbalken liegt also parallel dem Ankerschaft. Die übrigen Figuren zeigen entsprechende Entwicklungsstadien von Platten aus demselben Präparat, die anor- malerweise aus einem um 90° gedrehten Primärkreuz hervorgegangen sind. Die erste Vergabelung scheint auf unabhängiger Differenzierung zu beruhen, wie aus der Lage der 2 großen und 2 kleinen Hauptlöcher (Al) hervorgeht. Dagegen werden Bügelende (Bye) und Gesamtform korrelativ so augelegt, daß möglichste Annäherung an die normalen Beziehungen zum Anker resultieren. Labidoplax thomsonii. 180: 1. 4% 52 SIEGFRIED BECHER, wesen; denn aus der Lage der 4 Hauptlöcher ist deutlich zu erkennen, daß sich das Primärkreuz in seiner ersten Vergabelung genau so verhalten hat wie in der normalen Lage. Fig. Ma zeigt, daß normalerweise diejenigen 2 Hauptlöcher, die zwischen „gleich- namigen“ Enden des Primärkreuzes eingeschlossen liegen, kleiner sind als die beiden anderen Hauptlöcher zwischen den ungleich- namigen Enden. In den Figg. M b—e finden wir nun bei ge- drehtem Primärkreuz auch die größeren und kleineren Löcher in ganz entsprechender Anordnung: es ist einfach so, als ob der zentrale Teil der anormalen Platte einen um 90° gedrehten Teil der normalen Platte darstellte. Bis dahin ist also keine Korrelationswirkung nachzuweisen. Das erklärt sich offenbar einfach daraus, daß das Primärkreuz immer relativ kurze Arme besitzt, und dieser Umstand äußert sich dann bei normaler wie bei anormaler Lage in dem (srößenunterschied der beiden Lochpaare. Gehen wir aber weiter, sosehenwirauch hier aufsklarste denEinfußkorrelativerEntwicklung. Die Tendenz, das dem Bogen am meisten genäherte Hauptloch durch zwei sich entgegen- wachsende Spitzen zu überbrücken, finden wir in den anormalen Platten korrelativ auf das entsprechend liegende große Loch über- tragen (vgl. besonders Fig. Ma und b). Vor allem aber erfolgt auch hier die Längsstreckung der Platte und das Auftreten des Bügelendes in Korrelation zu der Symmetrieebene des Ankers, und ebenso wie bei Leptosynapta bergensis finden wir auch hier den Um- riß der Platte in auffälligster Übereinstimmung mit der normalen Form. — An diesem Punkt der Untersuchung scheint es wiederum, als ob die Beweisaufnahme genügte. Auch glaubte ich selbst längere Zeit, daß in den mitgeteilten Funden die wesentlichsten Daten für die Beurteilung der vorliegenden Korrelation gegeben seien. Unsere Beobachtungen haben eine unzweifelhafte korrelative Ab- hängigkeit der Platte vom Anker ergeben. Die Mehrzahl der Leser wird ohne Bedenken gewesen sein, auch jene korrelative Festhaltung der Symmetrieebene bei gedrehtem Primärkreuz darauf zurückzu- führen, daß der Anker seine Lage beibehält und daß seiner Richtung entsprechend die Symmetriehörner angesetzt werden — sei es an „gleichnamige“, sei es an „ungleichnamige“ Enden. Trotzdem lassen sich gegen diese Ansicht ernste Bedenken er- heben. Diese tauchten zuerst in mir auf, als ich über die Ent- Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 53 stehung derjenigen Platten nachdachte und Material sammelte, die keinen zugehörigen Anker besitzen. Es ist natürlich die Regel, daß Anker und Platte zusammen vorkommen. Aber man trifft gelegentlich Anker, die einer zuge- hörigen Platte entbehren. Da sich der Anker auch normalerweise fast vollständig ausbildet, bevor die Platte ihre Entwicklung be- sinnt, so ist leicht einzusehen, daß ein Anker sich selbständig ent- wickeln kann. Viel schwieriger ist das (allerdings weniger häufige) Auftreten ankerloser Platten zu verstehen. Woopzanp (1907, 7, p. 495) ist nicht ganz sicher, ob diese Platten nicht doch früher einen Anker besessen haben. Es ist in der Tat schwer verständlich, daß ein Gebilde, dessen Korrelation zu einem anderen bis in Kleinigkeiten bewiesen ist, sich gelegentlich ganz selbständig soll entwickeln können. WoopLanD vermutet, daß diese Platten von ihren Begleitern getrennt wurden. Es ist ja immerhin denkbar, daß einige Anker die Haut durchstechen, dann irgendwo hängen bleiben und aus der Haut entfernt werden. Auch könnte man vermuten, daß zerbrochene Anker bzw. Platten auf- selöst und so ihren Platten geraubt würden. Trotz alledem bleibt meiner Meinung nach die Tatsache be- stehen, daß sich gelegentlich Platten ohne Anker entwickeln. Man trifft auch nicht selten in Entwicklung begriffene Platten an, denen der Anker fehlt. Es wäre zwar möglich, aber es ist doch sehr ge- wagt kategorisch anzunehmen, daß alle diese Stadien ihren Anker besessen haben. Wenn Platten durch Auflösung ihres zerbrochenen Begleiters den Anker verlieren könnten, so müßte man fertige Platten mit Auflösungsstadien von Ankern antreffen. Doch habe ich dafür keine Belege finden können. Um das Herausgezogen- werden der Anker nachzumachen, habe ich bei lebenden Synapten bestimmte Körperpartien mit einem stark anhaftenden Leinentuch gerieben. Ich erzielte starke Verlagerungen von Ankern und Platten, aber keine glatte, störungslose Trennung. Die recht zahlreichen ankerlosen Platten und Entwicklungsstadien, die alle keine Spur von früherer Ankergegenwart und Verlagerung aufwiesen, haben mich mehr und mehr zu der Überzeugung geführt, daß nee Entwicklung von Platten wirklich vorkommt. So scheint es geboten, auch über diese ankerlosen Entwicklungsstadien das mitzuteilen, was unsere obigen Funde angeht. Die Figg. Na—g stellen eine Reihe verschiedener Entwick- lungsstadien einer ankerlosen, aber normal orientierten Platte dar. 54 SIEGFRIED BECHER, Um die Orientierung erkennen zu können, habe ich in die Figuren eine Reihe von punktierten Linien eingezeichnet. Diese stellen zum Teil Quermuskelfasern der Körperwand, z. T. quergezerrte Binde- gewebsfibrillen oder feinste Querfältchen der Haut dar. Da die Anker immer quer zur Längsachse des Tieres liegen, so geben uns die Linien dieselbe Richtung an, die bei den mit Ankern versehenen Platten durch den Schaft angezeigt wird. Fig. Na stellt ein undifferenziertes Primärkreuz dar, das normal liegt. Das etwas weiter entwickelte Primärkreuz der folgenden Figur (Nb) liegt gleichfalls normal. Dementsprechend finden wir die hier schon aufgetretenen Verdickungen, die ersten Anzeichen der Asym- metrie, an einem Paar ungleichnamiger Enden: es beginnen sich bereits die Symmetriehörner zu entwickeln. An dem in der nächsten Abbildung dargestellten Kalkkörper sind die beiden inneren (primären) Symmetriehörner wohlausgebildet, während die äußeren (sekundären) erst in Form kleiner Auswüchse erscheinen. Das Voraneilen der inneren Symmetriehörner deutet schon die Streckung der Platte an. Die folgenden Stadien (Fig. Nd, e, f) nähern sich mehr und mehr der vollendeten Platte. Zunächst wird das obere, dann das auf der anderen Seite des Primärstäbchens liegende Loch geschlossen, und in e und f steht der Verschluß der 5 anderen Hauptlöcher (HZ) nahe bevor. An einer Seite hat an Stelle normaler Vergabelung eine reiche Verästelung stattgefunden. Hier ist das kleingelochte Hand- habenende in Bildung begriffen. Alle diese Bildungsvorgänge sind durchaus normal. An das Ende dieser ganzen Reihe von Stadien haben wir eine fertige, ankerlose, aber normale Gitterplatte (Ng) gesetzt. In der Tat weichen die ankerlosen Platten in nichts von den mit Ankern vergesellschafteten ab. Soweit die normale Entwicklung. Im Gegensatz dazu wollen Wir nun unser Augenmerk auf die in Fig. Na’—2g‘ abgebildeten Kalkgebilde richten. Auch diese stellen Entwicklungsstadien von Kalkplatten dar. Die überall eingezeichneten (quer zur Längsachse des Tieres verlaufenden) Orientierungslinien zeigen uns aber, daß das Primärstäbchen aller dieser Gebilde gegen- über seiner Lage bei normaler Entwicklung um 90° ge- dreht erscheint. Wir finden hier also genau dieselbe Anomalie wie beidenmit AnkerverbundenenPlatten- entwicklungsstadien! Und auch hier müssen wir zunächst Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 55 hervorheben, daß die isolierten Primärkreuze entweder normal liegen oder um 90° gedreht sind, wenigstens ist es mir — abgesehen von kleinen, offenbar zufälligen Abweichungen — nicht gelungen Zwischenlagen aufzufinden. Die Reihe der in Fig. Na’—g‘ abgebildeten Stadien entspricht im wesentlichen der Entwicklung, die die entsprechend gedrehten Primärkreuze in Nachbarschaft der Anker durchlaufen. Fig. Na‘ zeigt ein Primärkreuz mit 2 verdickten Enden. Dies sind aber diesmal nicht „ungleichnamige“ Enden, sondern 2 von demselben Punkt abgehende Aste. Damit wird schon angedeutet, daß trotz der Drehung die den punktierten Linien entsprechende Richtung die definitive Symmetrie beherrscht. In dem folgenden Stadium (Fig. Nb‘) sind die „Symmetriehörner“ gebildet. Die inneren sind lang und fertig, die äußeren erst in Wachstum begriffen. Wir sehen, daß das aus dem Primärkreuz entstehende Gebilde länglich werden wird, aber die Längsachse steht nicht auf dem Primärstäbchen senk- recht, sondern fällt mit ihm zusammen. Fig. Nc’ zeigt ein Gebilde, bei dem auch die beiden zurückgebliebenen Fortsätze des Primär- kreuzes die Verzweigung begonnen haben. Von den Symmetrie- hörnern sind auch die äußeren (sekundären) erschienen. Die nächste Abbildung (Nd‘) erläutert, wie durch fortschreitende Verzweigung die 4 das Primärkreuz umgebenden Löcher dem Ver- schluß nahe sind. Es sind dies wieder jene 4 zentralen Löcher, die uns von den Synaptidenplatten vom 2. Typus und von den früher besprochenen Abnormitäten her schon vertraut sind. Wer sich die Mühe nimmt nachzuzählen, wird finden, daß auch auf diesem Sta- dium die inneren Symmetriehörner (in ihren Deszendenten), mit den entgegengesetzten Fortsätzen verglichen, um eine Verzweigung vor- aus sind. Fig. Ne‘ läßt erkennen, wie sich um die 4 ersten Löcher (Hl) ein Kranz weiterer Durchbrechungen zu bilden beginnt. Die beiden verdickten (den Symmetriehörnern opponierten) Fortsätze des vorigen Stadiums haben jetzt die Bildung des Bügelendes begonnen. Die unregelmäßige Verästelung an jener Stelle würde zu dem klein- gelochten Bügelende führen. Auf dem folgenden Stadium (N f') ist der Bügel selbst schon gebildet, und um das oberste der 4 Haupt- löcher ist ein Kranz weiterer Löcher im Begriff sich zu schließen. Das folgende Stadium (g‘) endlich zeigt die bis auf einen kleinen Defekt am Bügelende vollständige Platte. Diese von anormal ge- lagertem Primärkreuz aus entstandene Platte gibt im Vergleich zu PR 56 SIEGFRIED BECHER, --— .— ~ vee ee er” Fig. N. Die Figuren zeigen den Verlauf der selbständigen Entwicklung von Ankerplatten ohne Anker bei normaler (obere Reihe) und bei um 90° gedrehter Lage des Primär- kreuzes (untere Reihe). Man beachte in der unteren Reihe die korrelative Ande- rung im Auftreten der primären (pS) und sekundären Symmetriehörner (sS) sowie der anderen Verzweigungen des Primärkreuzes und der folgenden Stadien. Bei anormaler Lage des Primärkreuzes entsteht wie bei Gegenwart eines Ankers (vgl. Fig. K) eine Platte, die in der Lage der Symmetrieebene relativ zur Körperachse, Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 57 Fig. N. ferner im Umriß, im Vorhandensein einer Gruppe von etwa 7 Löchern im freien Ende, in der Ausbildung von Bügel (By) und Bügelende (Bge) etc. sehr an die nor- male Platte erinnert. Die geänderte Primärkreuzlage bedingt aber eine Loch- anordnung (4 Hauptlöcher Al) wie bei Plattentypus 2. Zur Orientierung: über die Richtung sind überall quer zur Längsachse des Tieres verlaufende (den Ankern parallele) Hautfältchen oder Quermuskeln eingezeichnet. Alle Stadien sind von Leptosynapta bergensis. 180:1. 58 | . SIEGFRIED BECHER, der normalen (Ng) zu ähnlichen Bemerkungen Anlaß wie die früher besprochene ähnliche Platte, die sich in Gegenwart eines Ankers entwickelte Auch hier haben wir trotz des anormalen Ausgangs- punktes auffallende Ähnlichkeit mit einer normalen Platte. Das Bügelende ist in der Querrichtung des Körpers angefügt, und die Symmetrieebene fällt trotz der anfänglichen Drehung um 90° mit der Querrichtung zusammen. Die Gestalt des äußeren Umrisses ist so durchaus normal, daß man die Platte danach gar nicht als Anormalität erkennen kann. Ja noch mehr: nicht nur das Bügel- ende ist im einzelnen völlig typisch gebildet, sondern auch das freie Plattenende gleicht auf den ersten Blick dem normalen Aussehen aufs genaueste. Schöner noch als bei der Platte Kf tritt hier hervor, daß sich um das obere der 4 Hauptlöcher etwa 6 Löcher herumlegen und nun eine Gruppe von Durchbrechungen bilden, die auf den ersten Blick die täuschendste Ähnlichkeit mit den 7 Haupt- . léchern der typischen Platten darbieten. Nur kehrt: das Sechseck der peripheren Löcher hier dem Bügel keine Spitze, sondern eine Seite zu. Es finden sich also bei der selbständigen Entwick- lung der Platten ganz ähnliche” korrelarive wes. lationen und dieselbe Annäherung an das normale Ziel, wie wir es bei der Bildung von anormalem Aus- gangspunkt aus bei Gegenwart des Ankers ange- troffen haben. Die zuletzt mitgeteilten Beobachtungen bedürfen schon in diesem Kapitel, in dem theoretische Erörterungen beiseite gelassen sind, einiger Bemerkungen. Wird durch den Umstand, daß die korrelative Ver- legung der Symmetrie und Umgestaltung der Platte auch ohne den Anker vorsichgehen, unser ganzes, vor- her gewonnenes Resultat über den Haufen geworfen??) 1) Der sich hier ergebende Widerspruch zweier Gruppen von Funden, von denen die erste korrelative Abhängigkeit der Gestaltung, die zweite Selbstdifferenzierung zu beweisen scheint, erinnert lebhaft an den Gegen- satz der Daten, der sich beim Linsenbildungsproblem ergab, als sich gegen- über den Experimenten von SPEMANN (1901, 1903, 1905) und Lewis (1904), die die Auslösung der Linsenbildung durch den Augenbecher klar zu beweisen schienen, plötzlich neue Tatsachen fanden, die die Möglichkeit unabhängiger, selbständiger Differenzierung von manchen Fisch- Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 59 Wenn wir allerdings annähmen, daß alle jene ankerlosen Platten sich mit Anker entwickelt und ihren Begleiter verloren hätten, so würden jene letzten Beobachtungen nur das früher Gewonnene be- stätigen. Wir sind aber der Überzeugung, daß sich die Platten ge- legentlich selbständig entwickeln, und fragen, wie wir uns unter dieser Voraussetzung zu den Funden zu stellen haben. Halten wir zunächst einmal bei der Unsicherheit, die da- mit unsere Resultate zu befallen scheint, fest, daß die zuerst be- schriebenen Mißbildungen einen korrelativen Einfluß desAnkers auf die Platte völlig außer Zweifel stellen. Es ist von Interesse zu beachten, daß die Abhängigkeit des meeren Plattenendes vom Bogenteil und des Bügel- endes von dem Handhabenabschnitt unabhängig von der Richtung zur Körperachse ist. In unseren letzten Stadien fanden wir eine Orientierung der Plattensymmetrie nach den Querlinien der Körperwand. Sollte nun eine Orientierung nach jenen Linien stattfinden, so beweisen doch unsere Abbildungen H a—e, daß diese Orientierung nicht so stark ist wie die Abhängigkeit der Platte vom Anker: wenn in Fig. Ha der Schaft in der Querrichtung liegt, so bilden die beiden Handhabenenden mit jener Richtung einen Winkel. Es wird aber nicht der Querrichtung entsprechend ein Bügelende, sondern in Korrelation zu den beiden Handhabenteilen zwei spitze Plattenenden entwickelte Fig. Hb beweist in ent- sprechender Weise den dominierenden Einfluß der Handhabe. Die in unserer Abbildung Hc wiedergegebene Doppelbildung zeigt einen Anker, dessen ungeteilter Schaftteil ungefähr 45° mit den Quer- und Längslinien der Körperwand bildet. Unbekümmert um diese falsche Orientierung ist unter der Handhabe ein Bügelende ent- standen, und ebenso haben die fast entgegengesetzt gerichteten 2. Bogenteile die Platte zur Bildung zweier freier Enden gezwungen. Diese Daten (wie auch Einzelheiten jener Figuren und die Stadien Hd—f) beweisen also mit Sicherheit, daß vom Anker ein korrelativer Einfluß bei der Plattenbildung aus- seht und daß dieser Einfluß der dominierende ist. So können wir jetzt sagen, daß die sich selbständig entwickelnden Platten durchaus nicht die Ohnmacht und Amphibienaugenlinsen (Salmo salar, Rana esculenta) sicherstellten (Mexcı, 1903, Kine, 1905, SPEMANN, 1907b, 1908). Vgl. SPEMANN 1907a u. 1907c. Auch die Lösung des Widerspruches ist in beiden Fällen eine analoge. 60 SIEGFRIED BECHER, des Ankers — wenn wir so sagen dürfen — beweisen. Wenn aus einem normal liegenden Primärkreuz auch ohne Anker eine normale Platte wird, so zeigt das nur, daß erstensdieeinzelnen Formcharaktere der Platte wahr- scheinlich nicht vom Anker bestimmt werden, und zweitens, daBdie Architektonik dieser Formelemente auchohne Ankereinfluß zustande kommen kann. Es ist aber sehr wohl denkbar, daß auch bei ganz normalem Verlauf der Plattengestaltung der Anker insofern mitwirkt, als er den auch ohne ihn möglichen Prozeß sicherer ablaufen läßt. (Vgl. den Begriff des „doppelten Bestimmtseins“ bei Roux, 1883 u. 1881). Immerhin würde die selbständige Entwicklung von Platten eine Abhängigkeit der Bildung von den queren Richtlinien der Haut verraten. Dafür sprechen die regelmäßige Orientierung des Primärstäbchens in der Längsachse des Tieres und die richtige Orientierung der ganzen Platte. Wenn aber die Entwicklung ankerloser normaler Platten noch den Eindruck korrelationsfreier Selbstdifferen- zierung macht, so wird das Bestehen und Mitwirken von Korrelation durch die Entwicklung gedrehter isolierter Primärkreuze augenfällig bewiesen. Es muß hier eine ganz ähnliche Orientierung vorliegen wie bei der Ein- stellung zum Anker; denn wir fanden ganz entsprechende Bildungen. Nun wird man nach der Handhabe, nach dem wirkenden Etwas, bei dieser Korrelation fragen müssen. Kein Naturforscher wird zu glauben geneigt sein, daß die Ankerplatte sich ohne irgendeinen Anhalt aus sich selbst (bzw. ihrer organischen Matrix) heraus in der richtigen Lage anlegt und bei unrichtiger Anlage die alte Richtung durch ein modifiziertes Wachstum erreicht. Ich glaube, daß dasjenige Element, zu dem die ankerlosen Platten in Kor- relation stehen, in feinen Querfalten der Epidermis oder in Binde- sewebszügen der Cutis besteht. Als querverlaufende Orientierungs- mittel können sonst nur noch die wenig erforschten queren Inter- radialnerven und die Quermuskelfasern der Körperwand in Betracht kommen. Die Muskelschicht befindet sich aber an der inneren Grenze der Körperwand, also — wenn letztere nicht gespannt ist — weiter entfernt von der Stelle, wo die Ankerplatten liegen und ihre Ent- stehung nehmen. Die Annahme, daß es Fältchen der Epidermis sind oder dergleichen, Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 61 nach denen die Richtung und Umorientierung der ankerlosen Platten stattfindet, würde durch WoopuAnp’s Behauptung gestützt werden, nach der (1907, 7, p. 486, 496 u. tab. 29 fig. 1) die Bildungszellen von Anker und Platte vom äußeren Epithel abstammen. Ich glaube allerdings fast, daß diese Ansicht, die auch schon von SEMPER (1868, p.31 und 166) vermutungsweise ausgesprochen und abgelehnt wurde, irr- tümlich ist +) und daß die Bildungszellen aus dem Mesenchym stammen, wie das sonst immer der Fall ist. Gleichwohl dürfte die Beobach- tung richtig sein, daß die Plasmamasse, die den Ankern und Platten den Ursprung gibt, wenigstens anfänglich dem äußeren Epithel eng anliegt. Somit wäre eine Orientierung nach den feinen Querfältchen der Epidermis schon denkbar, aber es scheint mir auch nicht aus- geschlossen, dab der korrelative Einfluß von den vielfach quer- gerichteten Fasern der äußeren Bindegewebsschicht, von Nerven oder von den Quermuskelfasern ausgeht. Wie dieser Einfluß zu denken ist, soll erst später erörtert werden. Unsere oben an letzter Stelle geschilderten Tatsachen machen die Annahme eines solchen korrelativen Einflusses notwendige. Ich sehe nichts, was dieser Annahme einer solchen Abhängiekeit der Platte widerstreitet, zumal doch der Anker selbst auch wegen seiner konstanten queren Lage einer solchen korrelativen Beeinflussung unterliegen muß. Woon- LAND (l. c., p. 491 u. 497) hat versucht darzutun, daß es die starken Kontraktionen der Körperwand sind, die den Anker und sein Primär- stäbchen mechanisch zwingen sich quer zu legen: „it seems clear that the initial granule of the spicule will elongate in the transverse erooves formed in the body-wall during such contractions. It is only necessary to mount and examine à contracted portion of the body- wall of Synapta to see that rigid structures like the spicules must lie in the grooves so formed, and no objection can be taken to this view on the ground that the outgrowth of the initial granule is appropriately orientated from the very first, since the grooves may be assumed to be quite capable of determining the direction of the initial as well as of the later growth of the spicule“ (1907, 7, p. 491). Auch in diesem Punkte können wir dem englischen Forscher nicht 1) Dieser Zweifel ist auch dadurch gerechtfertigt, daß WOODLAND an einer anderen Stelle eine unzutreffende histologische Angabe macht: zwischen Ringmuskelschicht und äußerem Epidermisepithel läßt er abgesehen von Nerven- auch Muskelfasern (!) verlaufen, ohne die Bindegewebsfasern der Cutis zu erwähnen (l. c., p. 486). 62 Srecrriep BECHER, zustimmen. Das anfängliche Stäbchen des Ankers liegt schon quer, wenn es noch nicht länger ist als das Primärstäbchen der Anker- platte. Wenn nun für dieses letztere die mechanische Möglichkeit besteht sich in die Längsrichtung des Körpers einzustellen, so ist nicht einzusehen, warum nicht etwas Ähnliches für das Ankerstäbchen gelten soll. Es scheint uns dagegen, daß die Orientierung auf weniger grobem Wege bewerkstelligt wird. Wie das zu denken ist, wird uns später beschäftigen. Man möge mich nicht mißverstehen. Ich bezweifele durchaus nicht, daß die quere Lage der Anker und Platten zweckmäßig ist und dab sie — sei es durch Selektion oder sonstwie — diese Stellung im Laufe der Phylogenese wegen der Längskontraktionen erworben haben. Ich bestreite nur, daß die mechanischen Um- stände dieser Kontraktionen noch jetzt direkt: die ersten Anlagen des Ankers in ihre feste Orientierung zwingen. Dagegen wäre es z. B. sehr wohl denkbar, daß die Kontrak- tionen und die sich damit ergebenden Querfalten die geringe seit- liche Ausdehnung der Platte korrelativ beeinflußten. Es scheint mir nicht von vornherein ausgeschlossen, daß Primär- kreuze bei Kontraktionen einem quergerichteten Druck ausgesetzt sein können und daß dieser Druck als Orientierungsmittel bei der Anlage der Symmetrie- hörner eine Rolle spielt. Ich sage Orientierungs- mittel, weil auch hier die Querfalten das seitliche Wachstum durchaus nicht unmöglich machen oder direkt hemmen — sonst müßten ja die Löcher der Platte etwa seitlich zusammengedrückt erscheinen. Wenn man ein Tier während der Kalkkörperentwicklung an jeder Kontraktion hindern könnte, so würde man eine Entscheidung darüber treffen können, ob dieser Faktor mitwirkt oder ob die Ein- stellung und Korrelation nach feinen Epidermisfalten bzw. nach Bindegewebsfibrillen stattfindet. Wir können unsere letzten Ergebnisse dahin zusammenfassen, daß wir sagen: in anormalen Fällen, bei Mißbildungen, Doppelbildungen usw. zeigt sich mit Bestimmtheit, daß der Anker einen korrelativen Einfluß auf die Plattenbildung ausübt. Daher ist es wahrscheinlich, daß der Anker auch beim normalen Geschehen als Orientierungsmittel mitwirkt, obwohl die normalen Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 63 Bildungsvorgänge auch ohne Anker den richtigen Weg zu finden scheinen.!) Wir finden hier wieder die allge- meine Regel bestätigt, daß korrelative Einflüsse, deren Wirkung unter anormalen Verhältnissen klar hervortritt, im normalen morpho- genen Geschehen völlig verborgen bleiben können (vgl. BECHER 1909, p. 523 ff.). Unter der Voraussetzung, daß sich ankerlose Platten wirklich selbständig entwickeln können, wurden wir dann besonders durch die Bildungsvorgänge an gedrehten isolierten Primärkreuzen zu der Annahme geführt, daß neben dem Anker noch andere Orientierungsmittel für die Platten bestehen müssen. Als solche kämen Epidermisfältchen, Bindegewebs- züge, Nerven, Quermuskelfasern und große Querfaltungen (seitlicher Druck oder Enge) inFrage. Die feste Orien- tierung des ersten Stäbchens der Ankeranlage wie auch die gewöhnliche Längslage der Plattenprimär- kreuze bestätigen die obige Annahme. Wieweit jene Orientierungsmittel beim normalen Geschehen zu- sammenwirken, mußten wir dahingestellt sein lassen. Dagegen ließ sich feststellen, daß die korreiativen Einflüsse des Ankers oft entbehrlich sind, anderer- seits aber eine über die Richtung in der Körperwand dominierende Wirkung ausüben können. Mit diesen vorläufigen Uberlegungen schließen wir diesen Ab- schnitt, indem wir uns die genauere Analyse für den letzten Teil unserer Arbeit vorbehalten. 1) Die Möglichkeit, daß zwei (mehrere) formative Reize bei einer Aus- lösung tätig sein können, obwohl einer entbehrlich ist, scheint auf den ersten Blick seltsam und bereitet der selektionistischen Erklärung Schwierig- keiten. Trotzdem ist eine solche „heterogene Induktion“ (NOLL) wahr- scheinlich für nicht wenige entwicklungsphysiologische Prozesse charakte- ristisch. Das gilt z. B. für die Bildung des Operculumloches der Unkenlarven, das trotz selbständiger Anlage — vielleicht darf man sagen „noch“ — durch formative Reize von seiten der vorderen Extremität gefördert wird (Braus, 1906), und für die mehr oder weniger selbständige Differenzierung der Linse, die in verschieden hohem Maß durch die Mitwirkung des Augen- bechers unterstützt wird. (SPEMANN, 1907c, p. 37 und 1908, p. 102—103). Es ist bemerkenswert, daß die Auslösung durch verschiedene auslösende Reize bei den Reproduktionen des Gedächtnisses in einer im einzelnen ganz entsprechenden Weise vorkommt. (Die verschiedenen auslôsenden Reize müssen z. B. zu einem raumzeitlichen Komplex gehört haben.) 64 SIEGFRIED BECHER, IV. Diskussion einiger Tatsachen und Theorien über Spiculabildung. Bei der Analyse verwickelter organischer Vorgänge bietet sich gewohnlich zunächst ein gangbarer Weg für die Untersuchung dar. Dieser Weg besteht darin, daß man versucht in dem Komplex das- jenige zu verstehen, was dabei grob mechanisch oder physikalisch chemisch zu verstehen ist. Man kann diesen Teil des Gesamt- phänomens dann sozusagen aus dem Komplex aussondern, so daß das eigentlich biologische Restphänomen um so reiner hervortritt. Dieser Forschungsweg ist sogar meist der einzige, den man einschlagen kann; er verspricht eben dasjenige, was sich der biologischen Er- scheinung zunächst für ein volles Verständnis abringen läßt. Auch die Erforschung der tierischen Gerüstbildung ist im wesentlichen diesen Weg gegangen. Ja bei diesem Gegenstand der Untersuchung wird der Forscher durch mancherlei Züge des Gegen- standes direkt auf diesen Weg gedrängt. Die nach Regeln der Statik geformte Spongiosa mancher Säugetierknochen scheint un- mittelbar auf eine „mechanische“ Erklärung hinzuweisen, und nicht weniger lebhaft wird dem Forscher durch das regelmäßige Maschen- werk mancher Echinodermenkalkkörper, durch die Drei- und Vier- strahler der Spongien und die geometrischen Gerüste von Radio- larien der Vorgang anorganischer Formbildung bei der Krystalli- sation ins Gedächtnis gerufen. In der Tat ist der Gedanke, dab die Spiculabildung mit der Krystallbildung verwandt ist und daß die Krystallisationsgesetze irgend etwas bei der Spiculabildung zu tun haben, bei fast allen Zoologen anzutreffen, die sich um das Ver- ständnis der Gerüstbildung bemüht haben. !) Das gilt schon in typischer Weise von den Vorstellungen, die sich HAECKEL (1872) in der Monographie der Kalkschwämme von der Spiculabildung gemacht hatte. In diesem Werk führt HAECKEL (Vol. 1, p. 377) aus: „Als viel wichtigeres Secret des Exoderms sind hier aber besonders die Kalknadeln zu nennen, welche das Skelet zusammensetzen. Die erste Entstehung dieses Kalk-Skelets ist phylogenetisch darauf zurückzuführen, dass kohlensaure Kalkerde, 1) In der folgenden Übersicht mußte natürlich auf eine vollständige Wiedergabe aller Daten und Ansichten über Spiculabildung verzichtet werden. Uber die Verhältnisse bei den Nadeln der Spongien, die auch wir häufig heranziehen mußten, kann auf MINCHIN’s schöne Zusammen- fassung (1910) verwiesen werden. Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 65 welche in gelöster Form mit dem ernährenden Wasserstrome auf- genommen war, von der Sarcodine des Syncytium in fester Form, als geformtes Secret, abgeschieden wurde, und als solches zwischen den Kernen des Syncytium sich ablagerte. Hierbei nahm der kohlen- saure Kalk eine halb krystallinische Beschaffenheit an und gestaltete sich unter Aufnahme von Krystallwasser und in Verbindung mit einer geringen Quantität von organischer Substanz zu jenen indi- viduellen, festen (nicht festflüssigen!) Körpern, welche durch die natürliche Züchtung als Spicula zur Skeletbildung benutzt, und späterhin durch die Wechselwirkung von Anpassung und Vererbung im Kampfe ums Dasein auf das Vielfältigste umgebildet und diffe- renziert wurden. Ich betrachte diese Secretion der Spicula als einen ‘Act des Stoffwechsels, welcher der Ablagerung von krystallinischen Secreten (z. B. in den Nieren) bei anderen Organismen an die Seite zu stellen, und zwar nicht als vollständige Krystallisation, wohl aber als Biokrystallisation zu deuten ist; d.h. als eine Combination der krystallisirenden Thätigkeit des kohlensauren Kalks und der organisirenden Thätigkeit der Sarcodine. Die Kalk-Spicula der Calcisspongien wären demnach als Biokrystalle aufzufassen, als Formindividuen, welche ein Mittelding zwischen einem anorganischen Krystalle und einem organischen Secrete darstellen, und deren erste Entstehung auf einem Compromisse zwischen dem Krystallisations-Be- streben des kohlensauren Kalks und der formativen Thätigkeit der verschmolzenen Zellen des Syncytiums beruht“. Das Wachstum der Spieula ist anorganisches Appositionswachstum, und der absolut re- gulare Dreistrahler kann nach Harcker „als eine hemiaxonie Form des hexagonalen Krystall-Systems betrachtet werden“ (1. c.). „Bei der Production der secundären Nadel-Formen ist ausserdem noch der bildende Wasserstrom und die Anpassung an andere, mehr unter- geordnete äussere Existenz-Bedingungen wirksam“ (ibid. p. 482). Haecker’s Gedanke von dem Zusammenwirken von Krystall- bildungsfaktoren mit spezifisch biologischen Einflüssen war zwar etwas leer programmatisch, aber nicht unglücklich. Es zeigte sich in der Folgezeit, daß Harcker’s krystallographische Deutung der Dreistrahlerform sicherlich nur halbrichtig war), während sich auf 1) Maas (1904b, p. 195) fand im Gegensatz zu SoLLAS’ (1885a, p. 381 ff.) und v. EBNER’s Resultaten (1887, p. 75—90, besonders p. 82—83 u. tab. 2 u. 3) bei sehr großen leicht zu handhabenden Nadeln im paral- lelen wie konvergenten Licht, daß in keinem Fall irgend eine Beziehung von Nadelachsen zu Krystall- (bzw. opt.) Achsen vorhanden war. Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Zool. u. Physiol. 9) 66 SIEGFRIED BECHER, der anderen Seite herausstellte, daß ein Kalkkörper in mancher Hin- sicht das Verhalten von typischen Kalkspatkrystallen in einer von HAECcKEL nicht geahnten Weise zeigen kann. Diese Erkenntnis ver- danken wir Souuas’ (1885a) und besonders V. v. Esner’s wichtigen Untersuchungen über die Kalkkörper von Kalkschwämmen und anderen Formen (1887). Dieser Forscher glaubte zunächst auch an die vor- herrschende Bedeutung einer organischen Grundsubstanz der Kalk- körper, wie sie besonders von HAECKEL angenommen worden war. „Es schien das Wahrscheinlichste, dass alle Nadeln geschichtet seien, und dass die Richtung senkrecht auf die Schichtung überall gleich- werthig sei“ (1 c. p. 132). Geht man aber daran, eine Kalknadel in polarisiertem Licht unter dem Mikroskop zwischen gekreuzten Nikols zu untersuchen, „und dreht man dieselbe durch alle Azimuthe, so erscheint sie bei vier Stellungen schwarz, bei vier Stellungen aber im Maximum hell, nach der Dicke in mehr weniger hohen Farben bis zum gleichmässigen Weiss, wie es bei etwas beträchtlicheren Dicken der Substanz immer auftritt. Die Nadeln sind also stark doppelbrechend und ausserdem sind die beiden Schwingungsrichtungen durch die ganze Nadel hindurch wie in einem anderen Krystall eleichgerichtet, denn sonst Könnte man nicht stets vier Stellungen finden, bei welchen die Nadeln absolut schwarz wie das Gesichtsfeld erscheinen“ (1. c. p. 61). Die Substanz der Nadeln ist also doppel- brechend und zwar — wie das Achsenbildverhalten und die Unter- suchung mit dem Viertel-Undulations-Glimmerplättchen zeigt — optisch negativ einachsig. Diese „optischen Erscheinungen an den Skelettheilen der Kalk- schwämme lassen sich in einfachster und nächstliegendster Weise so deuten, dass jeder Skelettheil ein Individuum eines einzigen Kalk- spathkrystalles darstelle. das man sich künstlich aus einem Stücke Doppelspath herausgeschnitten denken könnte.“ Nach der optischen Untersuchung, die nur Parallelität der optischen Achse beweist, könnte freilich auch ein polysynthetischer Zwilling vorliegen. Dock ergaben v. Esner’s Ätzversuche auch eine Parallelität der krystallo- graphisch gleichwertigen Richtungen (l. c. p. 90—111). Die von HAECKEL auf eine organische Grundsubstanz bezogene Schichtung der Kalkkörper und der Zentralfaden — ein echter Zentralfaden (Achsenfaden im Achsenkanal) wie der der Kiesel- nadeln ist, wie Bürscakuı (1901, p. 272, 276, 281; siehe auch bei Maas 1904b, p. 200) im Gegensatz zu anderen neueren Angaben (vgl. Mincuin 1910 p. 195 ff.) bestätigte, nicht vorhanden — werden Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 67 von v. EBneEr anders erklärt. Er wies nach, daß die Spongienspicula außer kohlensaurem Kalk noch Na, Mg, SO, und wahrscheinlich Wasser enthalten (1. c. p. 132). Die Schichtung wiirde sich durch das wechselnde Mischungsverhältnis dieser Fremdbestandteile er- klären, die im allgemeinen vom Innern des Kalkkörpers nach außen zu abnehmen. Nun ist aber nach BRÜGELMANN die gleichzeitige Ausscheidung zweier Salze aus einer Schmelze oder einer Lösung Bedingung für die Bildung von Mischkrystallen (l. e. p. 133), und als Mischkrystalle faßt v. Egxer auch die Kalkkörper auf. „Die Nadeln der Kalkschwämme sind hauptsächlich aus Kalkspath bestehende, keine organische Substanz enthaltende Individuen von Misch- krystallen, deren äussere Form — ohne Begrenzung durch wahre Krystalllächen — von der specifischen Thätigkeit eines lebenden Organismus bedingt ist!) und deren innere Structur, obwohl voll- ständig krystallinisch, durch eine eigenthümliche Vertheilung der Ge- mengtheile mit der äusseren Form in Beziehung steht (im Orig. ge- sperrt, 1. ©. p. 134).“ Brechungsindex und Spaltbarkeit weisen nach v. EBNER auch auf die vorwiegend kalkspatartige Natur der Spongien- spicula hin.*) Heyer hat seine Resultate bei Spongien für Echinodermen, z.B.auch für Anker und Platten, kurz bestätigt. Nun war es den Paläonto- losen schon bekannf, daß sich die fossilisierten eroßkrystallinischen Skeletstücke der Echinodermen wie einheitliche Krystalle verhalten, sowohl in optischer Hinsicht wie auch betreffs der Spaltbarkeit. Das ist sehr seltsam, denn ursprünglich sind die Kalkbildungen bei Echino- dermen nicht kompakt, sondern durch und durch maschig. Diese Maschen sind erst durch die Fossilisation mit kohlensauren Kalk ausgefüllt worden, und trotzdem ist die Richtung der optischen Achse in dem organisch gebildeten und dem anorganisch eingelagerten kohlensauren Kalk dieselbe! Diese Tatsachen fanden nun eine sehr wertvolle Be- leuchtung durch Resultate, die SoLLAs bereits 2 Jahre vor v. EBNER erhalten hatte (1885b, p. 73) Dieser Forscher hatte nämlich nach- gewiesen, daß sich an Spongien-Kalknadeln, die isoliert und in Wasser seleet werden, das gelösten kohlensauren Kalk enthält, eine Kruste von kohlensaurem Kalk ansetzt, deren kleine Krystalle optisch genau 1) Zu ungefähr derselben Auffassung über Material und Form der Kalkschwammnadel ist später WEINSCHENK (1905) auf Grund seiner Unter- suchungen gekommen. | 2) Einige kleine, von v. EBNER vielleicht noch überschätzte Unter- schiede im physikalischen Verhalten (geringeres spez. Gewicht, Auftreten von Gasbläschen im Inneren beim Erhitzen) sind aber vorhanden. HE 68 SIEGFRIED BECHER, so orientiert sind wie die Masse des organisch entstandenen Spi- culums. Die Lage der Rhomboeder zur Oberfläche soll in den Kalk- körpern eine ganz ähnliche sein wie in dem Kalkspat, der die Kammer eines Ammoniten ausfüllt etc. So kommt Sorras zu dem Schluß, daß „we may suppose that the deposition of calcite within the spicule sheath occurred according to just the same laws as those which are followed in the purely mineral world (1885a, p. 389).“ Damit hatte die Krystallisationstheorie ihren Höhepunkt erreicht. Die angeführten Resultate wurden in späterer Zeit mehrfach be- stätigt und präzisiert, so von BrppER (1898, p. 61—71), der auch die Annahme einer Formbestimmung durch die Krystallisation des Materials wieder aufnahm, und von Maas (1904b), der bei den Nadeln etwas geringere Brüchigkeit, aber ebenso schöne Spaltflächen fand wie beim Kalkspat (p. 195); Bürscarı (1901) fand im physikalisch-chemischen Verhalten einige weitere Übereinstimmungen von Kalknadeln und Kalkspat. So zeigte er z. B., dab auch der krystallinische Kalkspat für Kalilauge nicht unangreifbar (p. 272) ist (wie v. EBNER angab l. c. p. 108). Maas (1904 b) hat die Einwirkung von Laugen auf die Nadeln genau nachuntersucht und gefunden, „daß wohl die einheit- liche Beschaffenheit der Nadel als Ganzes, als organisches Gebilde, eine Veränderung erfährt, nicht aber ihr mineralischer Bestand dabei angegriffen wird“ (l. c, p. 196) Z. B. scheint bei Ein- wirkung von Natronlauge die Nadel unter Erhaltung einer Scheide *) vom Rande her angefressen zu werden. Dieses Anfressen be- steht aber nicht in einer Auflösung, sondern in einer ,Desaggre- sierung“ der einzelnen Bestandteile der Nadel, die von außen nach innen unregelmäßig fortschreitet und dabei manchmal auf 1) Die bei der Auflösung zurückbleibende „Scheide“ (Rest) kann nach BÜTSCHLI (1901, p. 275 bis 278) nicht mit der von KÖLLIKER, HAECKEL, v. EBNER und MINCHIN beschriebenen organischen Umhüllung verglichen werden. Die mit Kalilauge isolierbaren sogenannten Scheiden sollen nach BÜTSCHLI nicht nur aus organischem Material bestehen (I. c., p. 278 u. 281). Später (in der Diskussion zu Maas’ Vortrag 1904b, p. 200) leugnet BÜTSCHLI die Exitsenz einer Scheide an isolierten Kalk- nadeln. Auch Maas (1904b, p. 201) findet an isolierten Nadeln keine Scheide und setzt dieselbe „nur auf Rechnung der secernierenden Zelle.“ MINCHIN u. Rein (1908, p. 666ff.) zeigten jedoch, daß an den mit Eau de Javelle isolierten Nadeln eine Scheide erhalten bleibt. Die verschiedenen Autoren scheinen unter ,Spiculascheide“ verschiedenes zu verstehen. Die Frage ist — wie diejenige nach der Existenz eines Achsenfadens und die feinere Histologie der Kalkspicula überhaupt — noch in einem „chaotischen* Stadium, Vgl. WoopLAND 1910 p. 191—197 u. 266. Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 69 einem Stadium ein dünnes axiales Calcitstäbchen allein in dem ursprünglichen Verhalten hervortreten läßt. Bei dieser Desaggre- sierung bleiben die einzelnen Kalkspatteilchen als solche durchaus erhalten, nur ihre übereinstimmende optische Orientierung geht ver- loren. Ähnliche Einzelpartikel kohlensauren Kalks werden auch nach stärkerem Erhitzen sichtbar, und Maas findet (obwohl sich die Bräu- nung beim Erhitzen nicht durch organische Kohleteilchen, sondern durch Auftreten kleiner Gasblasen oder Räume [v. Esxer 1887, p. 118, Bürscazt, 1901, p. 272] erklären läßt) die natürlichste Erklärung für das Desaggregierungsverhalten in der Annahme einer organischen Substanz, „die in feinster Verteilung, etwa als zartes Wabenwerk, sich durch die ganze Nadel ausspannt. Bei Einwirkung von Alkalien quillt diese Substanz und die einzelnen Partikel geraten dadurch aus ihrer Lage“. „Die Annahme einer solchen Substanz auch innerhalb der Nadel hindert nicht daran, die letztere als einheitliches Kalk- spatindividuum zu betrachten, wie es nach der optischen Unter- suchung zweifellos ist. Auch sonst kommt in der Natur der Kalk- spat mit beträchtlichen fremden Beimengungen vor, ohne daß diese seine Kristallisationsfähigkeit und Form stören. Ja es gibt sogar Kalkspate, die mehr fremde Substanz (60°, und mehr Quarz) auf- weisen, als eigne und dennoch in den schönsten großen Rhomboeder- formen auskristallisiert sind“ (I. c. p. 197). Auch der Einwand, daß sich die Krystallbildung schneller voll- zieht als die Spiculabildung, trifft bei den Nadeln der Kalkschwämme nicht zu; im Gegenteil wachsen die jungen Schwammspicula nach Maas (1900b, p.3 u. 1900a, p. 225) sehr schnell und sicher schneller als die Krystalle des so schwer löslichen Kalkspats (1904b, p. 198). Sola8tsichnicht leugnen, da8B eine Reihe unzweifel- hafter Tatsachen fiir die hohe Bedeutung des Krystalli- sationsprozesses bei der Spiculabildung sprechen. Diese suggestiven Tatsachen verfehlten nicht die ganzenAnschauungenüber die Natur der Formbildung bei Entstehung der Gerüste zu beeinflussen und eine Überschätzung derrein anorganischen Faktoren dieses verwickelten Prozesses nach sich zu ziehen. Inzwischen waren aber andererseits Tatsachen') 1) Auch MARSHALL (1876) p. 118—119), RıpLEey u. DENDY (1887, p.XIV) und AREVALO (1906, nach MINCHIN 1910) hielten die Formbestimmung 40 SIEGFRIED BECHER, bekanntgeworden, diegeeignet waren, vor einer Über- schätzung des Krystallbildungsfaktors zu warnen. Diese Tatsachen lagen einerseits in dem Verhalten der Kiesel- spicula, deren Kieselsäure — wie schon seit EHRENBERG und M. SCHULTZE 1860 bekannt ist — nicht in krystallinischem, doppelt- brechendem (MARSHALL 1876 p. 119), sondern in amorphem, kolloidalem (Sozzas, 1877 a p. 254 u. 1885a p. 373—376 und andere) Zustande in den Nadeln vorhanden ist. Darauf hatte besonders Franz E. SCHULZE (1880, p.443, 1887a, p.500 u. b) mehrfach mit Nachdruck hingewiesen. „Ich meinerseits“, sagt dieser Zoologe, „muß mich gegen jeden Versuch aussprechen, die Gestalt der Spongiennadeln, mögen sie nun aus kohlensaurem Kalk oder aus Kieselsäurehydrat bestehen, in Verbin- dung zu bringen mit dem Krystallisationsverhalten dieser Substanzen, oder gar von demselben abzuleiten resp. aus demselben zu erklären. Dagegen spricht zunächst bei den Kieselnadeln der Umstand, daß die Kieselsäure in denselben überhaupt gar nicht in einem krystalli- nischen Zustande, sondern als völlig amorphes Kieselsäurehydrat oder Opal enthalten ist; was sich unter anderem dadurch markiert, daß sie nicht doppelt-, sondern einfach-lichtbrechend ist. Sodann spricht dagegen die Thatsache, daß sich die Form der betreffenden Skeletbildungen nicht auf das Krystallsystem der Substanz, aus welcher sie bestehen, beziehen oder aus demselben ableiten läbt. Ferner vertragen sich die so außerordentlich häufigen und oft recht bedeutenden Abweichungen der Strahlenaxen von dem typischen Winkel, welchen sie miteinander machen sollen, sowie die starken Biegungen der Strahlenachsen nicht mit der Annahme maßgebender Krystallachsen. „Vielmehr muß ich annehmen, daß die Gestalt aller Spongien- nadeln durch die organische Grundlage, in und aus welcher die- selben entstehen, bedingt wird, und daß hier die formativen Kräfte keine prinzipiell anderen sind, als diejenigen, welche überall bei der Formgestaltung des lebenden Organismus und seiner Theile wirk- sam sind. „Wenn wir nun auch von diesen die Form bestimmenden Kräften durch krystallinische Eigenschaften des Materials für unzulänglich; sie glaubten an eine Bestimmung der Spiculagestalt durch den organischen Achsenfaden oder die Grundsubstanz. Die Arbeit von ARÉVALO, C., In- | vestigaciones Opticas sobre espiculas de algunas especies de esponjas españolas, in: Bol. Soc. Espan. Hist. nat., Vol. 6, p. 368—375 u. 3 Textfiguren, 1906 — habe ich nicht gesehen. Vgl. noch O. Scumipr 1870. Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. “at im Allgemeinen noch sehr wenig wissen, so lassen sich doch grade fiir die Skeletbildungen hier und da bestimmende Momente nach- weisen, welche zwar nicht Alles erklären, aber doch Manches ver- ständlich erscheinen lassen“ (1887b, p. 27—28). SCHULZE zieht dann die erforderliche Leistung der Geriistteile heran und fragt, ob sich ein Zusammenhang derselben mit Form und Lage der Spicula wirklich nachweisen läßt. Ist das der Fall, so kann uns das Selektionsprinzip Auftreten und Beibehaltung dieser Skeletformen verständlich machen. . Es ist bekannt, wie SCHULZE (1887 a, p. 500—504 u. b, p. 28—35) eine solche Zweckmäßigkeitserklärung der drei-, vier- und sechs- strahligen Spongiennadeln durchgeführt hat. Zwischen den Poren- kanälen !) in der dünnen Wand der Asconen mußte der Dreistrahler das natürlichste Stützelement darstellen, und ähnlich war der regel- mäßige Vierstrahler diejenige Spiculaform, die sich in dem dickeren Parenchym anderer Schwämme (Demospongien) zwischen den be- nachbarten ungefähr kugelförmigen Geißelkammern den geometrisch entstehenden Zwischenräumen am besten anpabte usw. Aber noch andere Tatsachen mahnten zum Rückzug von der UÜberschätzung des Krystallisationsfaktors. 1) SCHULZE’s Anpassungstheorie wurde durch HAECKEL (1896, Vol. 2, p. 72) und durch MINCHIN (1898, p. 550 u. 558ff.) unterstützt, später von MiıncHin (1905, p. 445—446, 1908) für die rechtwinkligen, drei- achsigen Hexactinellidenspicula für unzulänglich erklärt. Auch die drei- achsigen Kalkkörper sollen ihre Winkel nicht der Anpassung, sondern mole- kularen Kräften verdanken. Nur die vierachsigen Spicula der Demo- spongien werden noch nach SCHULZE’s Theorie erklärt. Allerdings soll auch die Form der primären einachsigen Spicula der Kalkschwämme biologischen Faktoren und dem Anpassungsmoment zugeschrieben werden müssen (1908). Maas (1898, p. 139 u. 1900a, p. 227 u. 226) fand, daß die Dreistrahler im Verhältnis zu den Poren zu gering an Zahl sind und im Anfang keine Beziehung zu den Poren aufweisen; nicht die Form, sondern nur die An- ordnung der Spicula soll durch funktionelle Anpassung an den Schwamm- körper etc. erklärbar sein. Andere Autoren (DELAGE u. HEROUARD, 1899, p. 58; vgl. auch BIDDER 1898, p. 70 u. 71) haben sich auf Grund anti- selektionistischer Überlegungen gegen SCHULZE’s Hypothese ausgesprochen oder bei der Spiculabildung orthogenetische Tendenzen angenommen (Loomis, 1905). Auch WoonpLAnD (1905, 1, p. 278) hat sich gegen Anpassung der Spicula auf selektiver Basis ausgesprochen. Später hat SCHULZE selbst (1897, p. 35—38) auffallende Beziehungen von Hexac- tinellidennadeln zum regulären Krystallsystem gefunden. (Vgl. auch BIDDER 1898, p. 70.) 49 SIEGFRIED BECHER, Das Fehlen der krystallinischen Natur der Spiculasubstanz gilt nicht allein für Kieselnadeln. Es zeigte sich, daß auch derkohlen- saure Kalk in nicht einheitlich-krystallinischer Form zur Spiculabildung "dienen kann “Dag oil MON Alcyonarien-Kalkkörpern (vgi. v. EBNER, 1887, p. 136—137 und WoopzanD, 1907a, p. 68). Weiterhin aber ergaben sich bald Be- obachtungen, die aufs deutlichste darauf hinwiesen, daß sogar bei den typischen doppeltbrechenden und krystallinischen Spongien- Kalkkörpern die Krystallisation mit der eigentlichen Formbildung wenig oder gar nichts zu tun hat. Diese Beobachtungen verdanken wir Mincuin (1898, p, 508, 55811 u. 568: 19081910, ps 239 ime WoopLanDn, 1905, 1, p. 243ff). Minc zeigte, daß die drei Strahlen der Kalkschwamm-Dreistrahler oft getrennt angelegt werden undsicherstnachträglich zusammen- setzen.!) Muincuin (1898, p. 517—523 etc.) und Maas (1898, p. 138, 141; 1900a, p. 226) erbrachten den Nachweis, daß bei Sycon- Vierstrahlern der vierte Strahl erst später auf den Kreuzungspunkt der Dreistrahler aufgesetzt wird, als welche die Vierstrahler hier lange Zeit vorgebildet verharren. Wie sollte die Einheitlichkeit der optischen Orientierung der Einzelteilchen bei diesen getrennt angelegten Kalkkörpern zustande kommen, oder wie sollten die verschiedenen Zellen, die nach Maas die großen Einstrahler bilden (1900a, p. 226), ihre Secretion nach der optischen Orientierungs- bedingung richten, wenn wirklich diese krystallographische Orien- tierung etwas mit dem eigentlich biologischen Formbildungsvorgang zu tun hätte (Maas, 1900b, p. 2 u. 3). Mincam (1898, p. 74T. u. 577 ff.) hat die vorliegende Schwierigkeit durch die weitere Ent- deckung geklärt, dab die ursprünglichen (ume. schmolzenen Teile des Dreistrahlers noch nicht das Kalkspatverhalten unter dem Polarisationsmikroskop aufweisen, also noch nicht einheitlich-krystallinischen kohlensauren Kalk aufweisen. Die spätere einheitliche Krystallisierung scheint von dem Kalk auszugehen, der die Verbindung zwischen den drei Primär- stäbchen herstellt. Maas fand entsprechende Verhältnisse bei den erwähnten Sycon-Vierstrahlern. Der letztgenannte Forscher be- obachtete ferner ein plötzliches Zunehmen des Wachstumstempos, 1) Es ist bemerkenswert, daß MıncHin (1908), zum Teil im Gegensatz , zu seinen früheren Ansichten, die Meinung vertritt, daß Krystallisation eine Rolle spielt bei der Bestimmung der Winkel, unter denen sich die Primärspicula bei Dreistrahlern von Kalkschwämmen zusammensetzen. Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 73 ein „krystallartiges Anschießen“, sobald die Kalkkörper (kleine Ein- strahler) aus den Bildungszellen und dem Gewebe herausragten. Das plötzliche Wachstum der herausragenden Nadeln erinnert an die Erfahrungen von SoLuas über das Weiterwachsen von Kalkspatteilen in der Lösung. Der so entstehende Kalkmantel wird auch von Säuren und Farbstoffen leichter angegriffen als die Substanz der ursprünglichen Anlage !), und so kommt Maas zu dem Schluß: „Es scheint daraus hervorzugehen, dass es sich bei der Bildung der Kalk- nadeln nicht um einen undeutbaren, zwischen organischem und an- organischem die Mitte haltenden Vorgang handelt, sondern daß man zwei zeitlich ?) aufeinanderfolgende Processe auseinanderhalten muß. Der erste, eine rein organische, cellulare Thätigkeit, deren Chemismus sich noch unserer Formulierung entzieht, der zweite, ein anorganischer, ein Krystallisationsprocess, fast durchaus dem in anorganischer Natur vor sich gehenden zu vergleichen; mit anderen Worten, es bildet sich ein erganischer Kern, um den sich eine (allerdings viel mächtigere) anorganische Hülle lagert. Der erste Process bestimmt die Form, der zweite den Inhalt der Gebilde* (1900b, p. 3—4; vgl. 1904a, p. 15; 1904b, p. 194). Eine ganz ähnliche Ansicht einer zeitlichen Zwei- teilung in der Kalkspiculabildung bei Spongien hat BIEDERMANN ?) (1902b, p. 171) ausgesprochen. Maas hat diese Ansicht später (vgl. 19042 p. 8, 11,15 — 17 u. Fig. 4; 1904b, p. 198; 1905, p. 238; 1909, p. 6) 1) Nach BUTSCHLI wird in Kalilauge die „axiale Partie der Nadeln häufig rascher gelöst als die periphere* (1901, p. 276). Vel. auch v. Hepner 1887, p. 125 und BIDDER 1898, p. 66. 2) Das Wort „zeitlich“ wird von Maas (1904a, p. 17) stark einge- schränkt. 3) BIEDERMANN (1902a u. b) hat hauptsächlich die Bildung der Molluskenschale untersucht. Zuerst wird Dicalciumphosphat (Ca HPO,) in Plattchen abgeschieden (1902a, p. 103—110 usw.). Ganz allmählich setzt dann die offenbar kolloidal beeinflußte CaCO,-Abscheidung (in Spaeriten etc.) und damit das optische Verhalten ein- oder zweiachsiger (Perlmutterschicht) Krystalle immer stärker ein (1. c. p. 42—71, 147 ff. usw.). Vgl. B.’s nach- machende Experimente 1902b. BIEDERMANN hat STEINMANN’s (1889, 1899) Theorie, nach der der reichlich im Meerwasser vorhandene Gips mit Hilfe von kohlensaurem Ammoniak durch die Organismen zur Gewinnung von kohlensaurem Kalk benutzt wird, einer scharfen Kritik unterzogen Cis@2a, p. STE u, p. 1491). Maas (19043, p. 5; 1904b, p. 190 u. 191 u. 1905, p. 239; 1906, p. 581 etc.) hat gefunden, daß die Schwämme nicht imstande sind an Stelle des entzogenen CaCO, den reichlich vor- handenen Gips zu benutzen. Dasselbe scheint für Protozoen, Würmer und Mollusken zu gelten (1909, p. 5). | | | | | | | 44 SIEGFRIED BECHER, durch Erfahrungen bei seinen Experimenten über die Entwicklung von Kalkschwämmen in CaCO,-freiem Seewasser bestätigt. Denn es kann einerseits bei vollständiger Kalkentziehung „ein organisches Substrat oder Surrogat“ (1904b, p. 198 u. 192 u. 1904a, p.8 u. Fig. 4)!) und „Schatten“ (1909, p. 6) von Drei- oder Einstrahlern (1906, p. 583 bis 584) gebildet werden, und andererseits entstehen auch bei nach- träglichem Zusatz von kohlensaurem Kalk zu kalkfreien Zuchten, in denen die organischen Faktoren (Zellanordnung und Zusammenhalt) schon stark gestört (1904a, fig. 6) sind, Kalkgebilde, die zwar in der Form entsprechend anormal sind, krystallographisch aber aus regelrechtem Kalkspat bestehen. Das Resultat der vielen Arbeiten, die sich mit dem Anteil des Krystallisationsprozesses an der Spicula- bildung beschäftigten, war also, soweit essich um die Bestimmung der Form handelt, ziemlich negativ. Viele Spicula sind überhaupt nicht krystallinischer Struk- tur, und bei denjenigen, die sich in vieler Richtung wie Krystalle verhalten, ist die Krystallisaguom sicher nicht der formbestimmende Faktor. Trotzdem taucht die Krystallisationstheorie immer wieder auf. So hat neuer- dings WoopLaxp dieser Theorie eine verfeinerte Wendung gegeben. Das Hauptargument gegen die Krystallisationstheorie, das wir schon bei F. E. Scauzze ausgesprochen fanden, lag in der Überlegung, dab die Achsen der Kalknadeln durchaus nicht alle direkt die Krystall- achsen angeben und daß die komplizierten gekrümmten Oberflächen und Gestalten, die wir bei Skeletelementen antreffen, nicht auf die ebenen oder jedenfalls regelmäßigen Flächen und Formen der Krystalle bezogen werden können. Gegen dieses Argument wenden sich Woopzaxp’s neue Vorstellungen (1907a, p. 68—75). Dieser Autor stützt sich auf die Untersuchungen von RAINEY (1858 u. 1861), Harrına (1872), Oro (1872 u. 1879), VogELsang (1875), SLACK (1871), LEHMANN (1888 u. 1889) und Bowman (1906), aus denen hervorgeht, daß die Gestalt eines Krystalls nicht nur abhängt von seiner Substanz, sondern ebensogut von dem Medium, in dem derselbe abgelagert wird. Durch Änderung des Mediums lassen sich die Krystall- formen kontinuierlich in andere Gestalten überführen, 1) Die Menge organischer Substanz scheint in diesen Surrogaten größer zu sein als in den normalen Kalkkörpern (MAAs, 1904a, p. 8). Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 75 und es ist von besonderem Interesse, daß kolloidale Media in dieser Richtung den stärksten Einfluß aus- üben und fast immer komplizierte Gestalten mit ge- krümmten Oberflächen entstehen lassen. Auch können diese Körper eine organische Grundsubstanz besitzen (Harrıng’s Calcoglobulin der Calcosphaerite). Raıney und Orp bezeichnen diese Körper als ,coalescence bodies“; Woontann (19072, p. 69, 72 u. 65) bringt den Namen „erystallomorphs“ für dieselben in Vorschlag. Ein gutes Beispiel von solchen Krystallomorphen woe die reigentümlichen zeknöpften Stäbchen, die von in den Geweben zurückgebliebenem Sublimat öftersin mikroskopischen Präparaten gebildet werden und allen Mikroskopikern bekannt sind. Ähnlich geben Antipyrin, Santonin, Pyrogallol, Salol und gewöhnliches Kochsalz in kolloidalen Medien seltsame und komplizierte Gebilde (Bowman, VOGELSANG). Orp hat die mannigfaltigen und eigentümlichen Formen beschrieben, die phosphorsaurer Kalk (triple phosphate) und andere Phosphate, oxal- und kohlensaurer Kalk und Harnsäure in Eiweiß und Gelatine bilden. Die stalaktitenartigen Krystalle von Triplephosphat „were found turned into rounded rods, bulging at many points into beads and variously bent, twisted, and interwoven, so as to bear some resemblance to the form in which mineral matter is deposited in the skeletons of some of the Echinodermata.“ Kohlensaurer Kalk bildet in Eiweiß kleine mit Dornen besetzte Kugeln (l. c., p. 72 u. 73). In vielen Fällen entsprechen die Krystallomorphen zusammen- gesetzten Krystallen, in anderen scheinen sie mit einem einheitlichen Krystallindividuum vergleichbar (l. c., p. 69). Gelöste krystallinische Körper im Krystallisationsmedium veranlassen nur die Bildung sehr komplizierter zusammengesetzter Krystalle (LEHMANN, 1888 u. 1889), doch ist es nach WoopLaxD wahrscheinlich, dab die Gegenwart solcher geléster Krystalloide in kolloidalen Medien die Bildung hoch kompli- zierter Krystallomorphe begünstigt (l. c, p. 69 u. 75). Das wäre für die Spieulabildung, die sich ja in kolloidalen Medien unter Gegen- wart anderer Salze vollzieht, von Bedeutung. Ferner ist zur Er- klärung der großen Mannigfaltigkeit der Spiculaformen zu bedenken, daß nach neueren physiologischen und medizinischen Forschungen die Eiweißkörper selbst nah verwandter Arten verschieden sind (WOoOoDLAND zitiert GAUTIER, 1886) und daß auch in den verschiedenen Körperzonen eines und desselben Tieres den verschiedenen Spicula- 46 SIEGFRIED BECHER, formen entsprechende Unterschiede im Eiweiß der skeletbildenden Zellen vermutet werden können (l. c., p. 74). (Vgl. Maas’ Angaben über die Verschiedenheiten der Scleroblasten bei Tethya [1901, p. 559 u. 562] und die Zusammenstellung ähnlicher Angaben bei Mınchin, 1910, p. 213— 215.) In den experimentell erzeugten Krystallomorphen handelt es sich um krystalloide Substanzen, so daß es scheint, als ob diese Gebilde nicht zur Erklärung von solchen Spiculaformen herangezogen werden könnten, die wie die zahlreichen Kieselnadeln und -gerüste aus kol- loidalem Material (Opal) bestehen. Woopuanp (l. c. p. 73) weist aber darauf hin, daß typische Kolloide, wie Ei- und Serumalbumin und manche Globulinproteide, gewöhnliche Krystalle und somit vielleicht auch Krystallomorphe bilden können. Die Krystallomorphentheorie der Spiculabildung ist ohne Zweifel beachtenswert. (Vgl. BIEDERMANN’s Urteil über Harrine’s Forschungen, 1902a, p. 147.) Die Möglichkeit besteht, daß eine so modifizierte Krystallbildung bei der Entstehung der Skeletnadeln eine Rolle spielt. Wir wissen ja sicher, daß bei der Spiculabildung einfach mineralogische Faktoren mit am Werke sind; so wird man auch von vornherein nicht Vorgänge aus- schließen, die einen größeren Erklärungswert für das Ver- ständnis der krummen und komplizierten Nadelformen zu bieten scheinen. Ein definitives Urteil in dieser Frage ab- zugeben, ist vorläufig unmöglich; ich hoffe später Gelegenheit zu haben, die Krystallomorphentheorie experimentell zu verfolgen. Mit Sicherheit läßt sich jedoch meiner Meinung nach auch von dieser verfeinerten Krystalltheorie sagen, daß sie zu einer vollen Erklärung kompli- zierter Spiculaformen unzulänglich ist Krystallo- morphenbildung könnte eine der causae efficientes bei Spiculabildung sein, aber sie ist sicherlich nicht die einzige. Dieser eine Bildungsfaktor wird einge- schränkt, beherrscht von anderen Hakvoren, deren Getriebe nicht so einfach zu durchschauen ist. Für die Spicula der Schwämme und für die Kalkkörper eines Alcyonariers mag auf den ersten Blick die Krystallomorphenbildung hinreichende Erklärung bieten. Dagegen ist es völlig unge- reimt, anzunehmen, daß die zwar variablen, aber gleichwohl systematisch außerordentlich charakte- Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. Fun ristischen Skeletelemente, die wir bei Echinodermen and besonders bei Holothurien. antreffen, lediglich die Folge einer durch die plasmatische Eigenart be- dingten Krystallomorphenbildung sein sollen. Die wundervollen ,Stühlchen“ mancher Aspidochiroten, Mmcmmadchen der Auricularia, der Elasipoden, der Chiridotinen und Myriotrochinen und endlich die Anker und Ankerstützgebilde von Ankyroderma und den Synaptinen sind so konstante, komplizierte Ge- bilde von bestimmter Architektur, daß man unmöglich annehmen kann, daß sie im Organismus sozusagen „nebenbei“ als Krystallomorphen entstehen. Es han- delt sich hier um historisch gewordene Gebilde, deren Geschichte sicherlich nicht lediglich in der Wandlung der kolloidalen Natur ihrer Bildungsstellen gegeben ist. Wir bezweifeln durchaus nicht, daß jene kol- Joidale, krystallogen wirkende Natur der Matrix als Mittel vom Organismus gebraucht und historisch modifiziert worden wäre; aber wir glauben hervor- heben zu müssen, daß die Spicula keine im Organis- mus sozusagen als Fremdkörper entstehende Gebilde sind, sondern zu seinem Gesamthaushalt in einem ähnlichen Verhältnis stehen wie Knochen, Zähne, Hörner und andere Hartgebilde. Die komplizierteren Spieula lassen sich sicherlich mit solchen ganz hetero- senen Hartgebilden ihrer öcologischen Bedeutung nach eher vergleichen als etwa mit den auskrystalli- sıerenoden Produkten einer excretorisch tätigen Wanderzelle! | Wir wollen versuchen, das an einer kritischen Betrachtung von WoopLanp's allgemeinen Anschauungen (1907a) noch deutlicher zu machen. Zuvor mag betont werden, dab Woopzanp selbst den von ihm angeführten Ansichten kritisch gegenübersteht (z. B. in einer Korrekturanmerkung (l. €. p. 75—77) selbst eine vielleicht wider- sprechende Tatsache anführt) und daß er seine Darlegungen nur mit Reserve als seine Überzeugungen betrachtet wissen will (L c. u. p. 59). Unsere Kritik soll daher nicht gegen WOODLAND, sondern gegen die von ihm als eine diskutierbare Möglichkeit dargelegten Anschauungen gerichtet sein. Charakteristisch für Woopzanp’s Ausführungen ist die vor- 78 SIEGFRIED BECHER, bereitende Erörterung der Frage: Wird die Spiculaform vererbt (l. c., p. 57—67) Erblichkeit wird als Komplex physi- kalischer Ursachen gefaßt, und dieser Komplex soll sorgfältig von denjenigen ontogenetischen (gleichfalls „physical“) Ursachen getrennt werden, die nicht erbliche organische Strukturen hervorbringen. Nun kann ein Skeletelement als totes Gebilde sich nicht selbst her- vorbringen und daher auch nicht das eigentlich Vererbte sein. „Evidently then to assert that the form of a siliceous or calcareous spicule is inherited implies that the disposition of tke scleroblasts associated with any given type of spicule is that which is inherited, and that the spicule itself, like the bone or diatom-valve, is simply deposited in a mould already formed for it by the scleroblasts“ (l. c., p. 5%. Daran ist richtig, daß die Disposition oder Fähigkeit der Scleroblasten das wirklich Vererbte darstellt. Dagegen ist die in dem letzten Satz des Zitates gezogene Folgerung (vgl. noch ibid., p. 58) durchaus keine damit identische Annahme Hier liegt eine viel zu einfache Vorstellung über den Pro- zeß der Vererbung vor. Auch wenn die Spiculaform echt erblich ist, brauchen die Spicula bei Entziehune des entsprechenden Materiales nicht als „Schatten“, als Matrizen angelegt zu werden. Es ist das sogar nach allem, was wir über die Natur des Vererbungsvorganges wissen, sehr unwahrscheinlich. Was vererbt wird, braucht nicht eine Matrize zu sein, sondern die Fähigkeit, Schritt für Schritt eine Reihe von Reaktionen auszuführen, die mit der Vollendung des Spiculums endigt. Das Scleroblastenplasma braucht nur erblich so befähigt zu sein, daß es durch ein Bildungs- stadium des Spiculums derart gereizt wird, dab als Reaktion derjenige morphogene Akt folgt, der auf dem Wege zum Ziel liegt. Das Resultat dieses Aktes wirkt dann seinerseits als Reiz, der auf Grund der erblichen Veranlagung den nächsten morphogenen Schritt auslöst und so fort bis zur Voll- endung. Wir haben allen Grund, anzunehmen, daß sich der Spicula- bildungsprozeß nach diesem für viele Entwicklungsvorgänge gültigen Schema vollzieht, und wenn das tatsächlich der Fall ist, so ist es kein Wunder, daß bei Entziehung von Baumaterial der ganze Prozeß wenigstens in seinen späteren Stadien unterbleiben muß. Mit der, Entziehung des Materials wird also der ganze Form- bildungsprozeß seiner unentbehrlichen Reihe von morphogenen Reizen beraubt, so daß der an unzähligen Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 79 Stellen gehemmte Prozeß nicht stattfinden kann. K. Hergsr (1892, p. 452 u. 456) und O. Maas (1904a, p. 12; 1904b, p. 191; 1905, p. 238) haben nachgewiesen, dab den Spicula der Echinodermen- larven und Kalkschwämme eine morphogene Rolle, eine formative Reizwirkung in der Entwicklung zukommt: nur wenn diese Skelet- elemente gebildet worden sind, können bestimmte andere gestalt- bildende Prozesse ausgelöst werden. Wenn nun die Spicula für den Ablauf der formativen Prozesse des ganzen Körpers von Bedeutung sind, sollten sie dann nicht die einzelnen morphogenen Elementarprozesse ihrer eigenen Bildungszelle beeinflussen können und zu ihrer Auslösung notwendig sein?! Es ist also, auch wenn die Spiculaform echt vererbt wird, trotzdem gar nicht zu erwarten, daß bei Entziehung des Materiales eine wirkliche Matrize für das Spiculum angelegt wird. Der Formbildungsprozeß eines Spieulums zerfällt nicht in zwei zeitlich getrennte Teile: Bildung der fertigen Matrize und Ausfüllung derselben mit Kalk oder Kieselsäure, so daß der erste Vorgang ungestört stattfinden könnte, auch wenn der zweite unmög- lich gemacht ist. Vielmehr wird der ganze Prozeß aus einer ganzen Reihe ineinander übergehender Vorgänge bestehen, von denen schon fast von vornherein !) das wirkliche Vorhandensein des harten Spicula- bildungsstadiums notwendig ist. Jedenfalls ist das Auftreten echter Matrizen bei Spiculabildung etwas ziemlich Seltenes. Nur bei Radio- larien ist eine weichhäutige Präformierung der Skeletelemente ziem- lich sicher festgestellt. Schon Borcerr hatte auf ein nicht kieseliges Anfangsstadium der Aulacanthidenstacheln und anderer Skeletteile von Tripyleen aufmerksam gemacht (1900, p. 258—259), und später hat Hacker (1905b, p. 364 ff. u. 1906, p. 38ff.) die Art, in der diese Matrizen verkieseln, näher untersucht (vgl. unsere Anmerkung über die Bildung des Radiolarienskelets S. 89—91). WoopzanpD ist aber wohl im Recht, wenn er die von Cuun (1892, p. 473 u. 474 u. 1895) bei den Rädchen der großen Auricularia nudi- branchiata und von THEEL (1882, p. 125) bei Elasipoden (Oneirophanta) beobachteten Matrizen als Entkalkungsprodukte auffaßt (1. c. p. 58 1) Nach Maas [1904a, p. 8, 11, 16; 1904b, p. 198; 1905, p. 238] werden zwar bei Kalkentziehung manchmal zunächst drei- oder einstrahlige Formen gebildet, doch zeigen sich schon bei dieser ersten Anlage beim Fehlen von Kalk häufig Unregelmäßigkeiten. 80 SIEGFRIED BECHER, u. 59 u. 1906, 4, p. 544-546). Man mag ihm auch vielleicht zustimmen, wenn er die von Mincuin (1908, p. 309, tab. 17, fig. 3—5) und ihm selbst (1905, 1, p. 241, tab. 13, fig. 4) bei Kalkschwämmen normalerweise beobachteten ersten hornigen Ablagerungen nicht als Matrizen, in der von der Theorie geforderten Form, an- erkennt, obwohl Maas Grund hat über die von ihm bei Kalkent- ziehung beobachteten kalklosen Spiculaanlagen anders zu denken (vel. 1909,.p. 6; ferner 1904a, p. 8, 11, 16; 1904 b, p. 193; 1905, p- 238): Jedenfalls aber ist es durchaus unrichtig, den Mangel völlig aus- gebildeter Matrizen als Zeugnis für die Nichterblichkeit jener Formen anzuführen. Dazu kommt eben noch, daß nach den ange- führten Beobachtungen von Maas!) wenigstens die erste organische Vorzeichnung der einfachen Dreistrahler- form bei Ausschaltung des Krystallisationsvorganges tatsächlich stattfinden kann, wenn auch vielfach schon die Anfänge der Formbildung ausbleiben oder die Störung erkennen lassen. Die weiteren Überlegungen, die WoopLann gegen die Erblich- keit der Spiculaformen anführt, sind weniger direkte Argumente als vielmehr indirekte Indizien, die sich auf die Absurdität des Gegenteils gründen. Die experimentelle Biologie hat nachgewiesen, daß eine Zelle oder ein Teil des Organismus mit den übrigen Teilen irgendwie zu- sammenhängen muß, wenn er eine Bildung hervorbringen will, die dem Ganzen oder anderen Teilen angepaßt ist (p. 59 u. 62).°) „Now the theory of the inheritance of spicule forms asserts that most scleroblasts (not all, since many spicules are not in any way adapted to the architecture of the organism) are unique in this respect, being able, though having lost connection with the rest of the organism, to give rise to a complicated structure (an organ — the spicule- mould) adapted in shape and function by inheritance to that part of the organism in which it happens to be situated“ (1907a, p. 60) „This hypothesis of the inheritance of 1) WOODLAND bemerkt, daB die Kalkentziehungsexperimente von HERBST und Maas für das vorliegende Problem geringere Bedeutung haben, weil sowohl die Spicula von Plutei wie auch von Kalkschwämmen nicht ganz von Zellsubstanz umschlossen sind (l. c. p. 58). 2) In dieser Form ist der Satz — wie auch WOODLAND nicht ver- kennt, vgl. die Anm. (l. c. p. 62) über einige Vorgänge der Embryogenese — von Balanoglossus und über Pericardbildung usw. bei Perophora (nach LEFEVRE 1898, p. 393) — mancher Erläuterung bedürftig; doch wird das Problem ohne weiteres deutlich. Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 81 the forms of spicules, in fact, either contradicts the ascertained truths of experimental embryology or implies that scleroblasts are not wandering-cells“ (1. c. p. 61, vgl. p. 62). Diese Überlegung trifft genau genommen nicht die Fähigkeit einer Wanderzelle überhaupt ein kompliziertes Spiculum zu bilden, sondern stellt uns die Frage, warum bildet sich das richtige Spiculum am richtigen Ort in richtiger Orientierung. Diese Frage erscheint mir aber nicht so hoffnungslos dunkel!), daß man die Anschauung, auf der sie erwachsen ist, verwerfen müßte. Natürlich würde es sich hier in der richtigen Lokalisierung und Orientierung um ein Wunder handeln, wenn wirklich für die Scleroblasten jede Möglichkeit fehlte, von dem übrigen Organismus irgendwie determiniert zu werden. Mechanist, Vitalist und Psychologe werden gleicherweise einen solchen Indeterminismus des Geschehens verwerfen. Ich bin aber der Ansicht, daß auch für die freien Zellen, für Wanderzellen, Scleroblasten u. dgl. mannigfaltige orientierende Reize im Organismus gegeben werden (vgl. hierüber Herest, 1893, p. 1997); 1894, p. 753—771, sowie 1) Rätselhafter als die Orientierung der selbständigen Wanderzellen ist ihr wundervolles Zusammenarbeiten, z. B. bei der Entstehung des Pluteusskelets, besonders wenn man den regulativen Charakter dieser Zu- sammenarbeit berücksichtigt, wie er durch die Erfahrungen an Embryonen von halber Größe (aus einer isolierten ersten Furchungszelle) hervortritt. Auch bei normalen Embryonen kann die Zahl der Mesenchymzellen eines Pluteus außerordentlich variieren, ohne daß die Spiculaform darunter leidet (PETER 1905, p. 887—888). DRIESCH sagt nicht mitUnrecht: „Die Mesenchymzellen benehmen sich in der Tat, wie sich eine Anzahl von Arbeitern benehmen, welche, sagen wir, eine Brücke zu bauen haben. Jeder von ihnen kann jeden einzelnen Akt beim Baue leisten, jeder von ihnen kann auch jeden beliebigen Platz einnehmen: das Resultat ist immer die fertige Brücke; und die Brücke wird auch dann fertig, wenn einige von den Arbeitern krank sind oder durch einen Unfall getötet werden. Die ,prospektive Bedeutung‘ des einzelnen Arbeiters wechselt eben in solchem Falle. „Ich weiß wohl, daß das nur eine Analogie ist. Die Mesenchymzellen haben nicht gelernt, haben keine ‚Erfahrung‘. Alles das wird uns später beschäftigen. Aber doch liegt Wahrheit in dieser Analogie“ (1909, Vol. 1, p. 154). 2) „Es braucht wohl kaum besonders betont zu werden, dass die in Bezug auf das Wandern der Kalkbildner aufgeworfene Frage im Prinzip in jeder Ontogenese häufig wiederkehrt; und zwar gehören hierher nicht nur jene Vorkommnisse, wo von freibeweglichen Mesodermzellen an einem bestimmten Orte einheitliche Organe gebildet werden, sondern auch solche, wo eine bestimmte Zellengruppe, wie von einer unsichtbaren Macht ge- trieben, auf eine ganz bestimmte Stelle zuwächst.“ Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Zool. u. Physiol. 6 82 SIEGFRIED BECHER, Roux, 1894, Abschnitt V, p.190ff.). Es ist bekannt, daß Blutzellen durch gewisse Reize an besonderen Körperstellen angehäuft werden können, und DrızscH (1896. p 371—373) hat z. B. eine taktische Reizbarkeit der Mesenchymzellen bei Echinus microtuberculatus-Larven wahrscheinlich gemacht. Somit kann man sich leicht vorstellen, daß die Scleroblasten, deren „prospektive Potenz“ auch größer sein wird als ihre „pro- spektive Bedeutung“, nur auf bestimmte Reize hin diese oder jene morphogene Akte ausführen. An denjenigen Stellen des Körpers, an denen Skeletelemente entstehen sollen, werden den Scleroblasten eben auch gerade diejenigen auslösenden Reize geboten werden, die in dem für den Organismus geforderten Sinne auslösend wirken. Diese Reize brauchen durchaus nicht durch Zellbrücken vermittelt zu werden und einen festen organischen Zusammenhang vorauszu- setzen. Sie können vielmehr Druckreize, chemische Reize u. dgl. sein, so daß eine direkte protoplasmatische Reizvermittlung und Reizbahn oft entbehrlich ist. Man kann daher getrost behaupten, daß das Ver- ständnis der Lokalisation bestimmter Spicula an be- stimmten Körperstellen auch dann zu verstehen ist, wenn die Scleroblasten Wanderzellen sind und keinen direkten plasmatischen Zusammenhang mit dem übrigen Körpersyncytium aufweisen. Dazu kommt, daß ein Teil der Lokalisation grobmechanisch durch die Bedingungen der Umgebung verständlich wird. Ein ausgedehntes Spiculum, das an einer Stelle uneehindert entstehen kann, findet an anderen Stellen einfach keinen Platz, oder es handelt sich um sonstige äußerliche Einschränkungen. Das gibt auch Woopzanp zu. Übrigens darf dieser letzte Faktor nicht überschätzt werden. Schwerer verständlich als die Lokalisation be- stimmter Spiculatypen an bestimmten Körperstellen ist die Orientierung einzelner Skeletelemente nach anderen Teilen des Organismus. Hierhin gehört die genau festgeleste Stellung der Spicula bei Echinodermenlarven und z. B. auch die Orientierung der Anker, die immer quer zur Körperachse liegen, sowie die Lage der zugehörigen Platte. Aber schon bei diesen Beispielen ist die Erklärung nicht so unüberwindlich schwer. Die Scleroblasten dieses Pluteus zeigen im Verein mit den erwähnten Mesenchymzellen an sich schon eine bestimmte Anordnung zu der Organisation der Larve. Nun entstehen die Spicula an ganz besonderen Stellen der Scleroblastenreihe, die gerade nach Woon- Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 83 Tann's Untersuchungen (1905, 3, p. 312, tab. 18, fig. 8, 11, 12, 15) eine protoplasmatische Verkettung der einzelnen Zellelemente auf- weist. Es ist also nicht unbegreiflich, daß die erste Orientierung der Spicula nach der bestimmten Anordnung der Scleroblasten geschieht und dab nachträglich, bei dem Weiterwachsen, eine Orientierung nach den Stellen stattfindet, an denen das Spiculum anstößt usw. Man kann hier immer darauf hinweisen, daß der Prozeß, den wir hier Orientierung nennen, in seinem Wesen un- bekannt ist, doch darf auf der anderen Seite nicht vergessen werden, daß er sich dem allgemeinen Schema einer Reaktion auf heme tsi Die erste wichtigste Forderung für das Verständnis, die Tatsache, daß die Scleroblasten das Korrelative ihrer Arbeit nicht in unverständlicher Weise aus der Luft greifen, sondern durch formative memme weleitet werden, ist jedenfalls erfüllt. Etwas schwieriger liest das Problem bei dem anderen oben an- geführten Beispiel. Aber es wäre möglich, hier daran zu denken, daß Anker und Platte durch die Querkontraktionen der Körperwand in ihre quere Lage gezwungen würden. Obwohl die quere Lage offenbar für die Kontraktionen zweckmäßig ist und damit in Zu- sammenhang gebracht werden kann, so halte ich doch einen direkten mechanischen Zwang während der Ontogenese nicht für das Ent- scheidende. Ich glaube vielmehr, daß auch hier die Lagerung schon „vererbt ist“. WoonpLAnp’s eigene Beobachtungen können aber hier weiter helfen. Dieser Autor hat (1907, 7, p. 486, 493) gezeigt, dab das Syncytium, in dem Anker und Platte entstehen, in engem Zu- sammenhang mit dem äußeren Epithel steht.) Hier ist also der geforderte Zusammenhang tatsächlich vorhanden: die an das Epithel gedrängte Plasmamasse kann etwa durch die Fältchen des Epithels gereizt und zur richtigen Ablagerung der Bildungen bestimmt werden. Über das sich hier erhebende Problem betreffs des Charakters dieses Bestimmtwerdens soll erst später geredet werden; hier genügt uns die Feststellung, daß die Voraussetzungen von WooDLAND’s indirekter Argumentation nicht zutreffen. — Auch Mıxcain (1908 und 1910, p. 258) hat sich für andere Objekte gegen die Richtigkeit von WoopzanD’s Auffassung ausgesprochen. Man kann allerdings darauf hinweisen, daß jene orientierenden 1) Über WOODLAND’s Ansicht eines epithelialen Ursprungs jener Scleroblasten vgl. unsere Bemerkungen oben S. 61. 6* 84 SIEGFRIED BECHER, Reize an vielen Körperstellen nicht die für eine Lokalisierung not- wendige regelmäßige Verschiedenheit aufweisen könnten. Dieses Ar- gument ist zwar durchaus nicht bindend; denn man weiß nicht, ob jene Verschiedenheiten, auch wenn sie beständen, sich uns aufdrängen müßten, aber es mag immerhin oft seine Richtigkeit haben. Dem entspricht aber auch, daß bei vielen spiculatragenden Formen an den verschiedensten Körperteilen ganz ähnliche Nadelformen gebildet werden. Woopuanp findet freilich auch in diesem Falle die Leistung der Scleroblasten noch so einzigartig, daß er sie nicht als erbliche Fähigkeit anzuerkennen wagt: „Apart from this very hypothetical case of the scleroblasts I know of no instance of wandering-cells becoming complicated in form at all“ (1907a, p. 62). Der Vergleich mit den Spermatozoen wird — wie mir scheint nicht ganz mit Recht — abgewiesen. Unserer Ansicht nach wird man sich aber besonders auf biologischem Gebiet nicht von der Überlegung überzeugen lassen: „Ihe mere idea of a wandering cell possessing the capacity to form an internal mould of the complexity required for the production of a hexactinellid floricome or onychaster, e. g. seems absurd“) (1. c. p. 62). Das Absurde dieses Gedankens liegt nur in der speziellen Vorstellung, die sich WoopLanp von dem Vorgang gebildet hat, nämlich in der Matrizenbildung. Im übrigen aber kann man wegen gewisser Erklärungsschwierigkeiten organi- schen Gebilden nicht die Kahiekeiten Zabhspzechrenz die die Tatsachen als vorhanden erweisen. Woopuann’s Argument von der Selbständigkeit der Wander- zellen versagt natürlich auch gegenüber den Skeletbildungen der Radiolarien, deren Plasmakörper ganz zusammenhängend ist. In der Tat nimmt unser Autor auch ein erbliche Beeinflussung für die alleemeine Architektur des Radiolarienskelets genau so an wie für die Diatomeenschale; die einzelnen Ornamente und Anhänge der Schale werden aber trotz ihrer Konstanz bei den einzelnen Ärten davon ausgenommen. An sich ist WoopLAnp im Recht, wenn er in der Konstanz der Skeletelemente bei einzelnen Formen kein entscheidendes Argument für die Formerblichkeit erblickt. Sonst könnte man Boverrs, HeErsst’s und anderer Vererbungsexperl- mente an Seeigellarven, bei denen die Spiculaformen eine große 1) An anderer Stelle (I. c., p. 65) sagt WOODLAND: „A scleroblast . in all probability no more produces a spicule-mould, in the sense that a nephroblast produces a nephridium, than a cell of adipose tissue swells out by heredity to produce a spherical oil-drop.“ Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 85 Rolle spielen, ohne weiteres als direkte Beweise für die Erblichkeit der Spiculaformen anführen. Aber hier bleibt eben formal die Möglichkeit, daß durch die fest erbliche kolloidale Beschaffenheit der verschiedenen Plasmaarten entsprechende konstante Krystallomorphenbildung ge- sichert ist. Und Woopzanp (1907 a, p. 64—65) bemerkt mit Recht: „Assuming that the forms of spicules are ‘inherited’ in this sense“ [d. h. durch Erblichkeit der kolloidalen Natur und Architektur des Organis- mus] „is very different to assuming either (A) that every individual scleroblast is guided by some unimaginable means to precisely that position in the organism in which the spicule, which it is alone capable of producing (by a power which no other class of cells is known to be capable of, i. e. by forming an intracellular mould), is adapted to the economy of the organism; or (B) that every individual scle- roblast is capable (in addition to possessing the unique power just mentioned) of producing by heredity various forms of spicules, according to its position in the organism, whilst quite unin- fluenced by the restofthe organism (since it is unconnected with the rest of the organism).“ Wir glauben aber, daß neben der Konstanz der Spiculaformen andere Momente die Erblichkeit derselben sicherstellen. Doch davon später. Endlich macht Woopzanp darauf aufmerksam, dab „excepting crystals, spicules are the only deposits assuming definite (other than spherical or approximately spherical) forms which arise in the in- terior of cells: all other definitely-shaped deposits arise on the exterior of cells, and individually owe their (inherited) form as a whole (though not necessarily their patterns and the like) to that of the cytoplasmatic surface (mould) which produces them“ (1. c., p. 64—65). Der hier angedeutete Unterschied ist in der Tat bemerkenswert senug, aber er kann schließlich nichts an Beobachtungstatsachen ändern! Spicula entstehen im Innern von Zellen, und wenn die Krystallisationstheorien nicht hinreichen, um sie direkt physikalisch zu erklären, so muß man ebendie Sache trotzihrer Merkwürdigkeit anerkennen. Jedenfalls muß man sich hüten eine nicht völlig aus- reichende Theorie deshalb wahrscheinlicher zufinden, weil sie uns über unangenehme Schwierigkeiten hin- wegtröstet. Übrigens ist die intracelluläre Differenzierung der Scleroblasten nicht ohne Analogien. Schon die oft sehr merk würdigen Bildungen in secernierenden oder excretorischen Zellen bieten Ähn- 86 SIEGFRIED BECHER, liches. Noch lehrreicher ist die seltsame Bildung der Nesselkapseln in den Nesselzellen. Auch von botanischem Gebiet ließen sich ähn- liche Fälle anführen. Die Ähnlichkeit von Spicula mit Krystallen und Krystallomorphen wurde bereits oben genauer diskutiert. Woopzanp bemerkt nicht unzutreffend, daß die Annahme der Erblichkeit von Spiculaformen diese Skeletelemente von den Krystallen entfernt und sie zu (im übrigen äußerst unähnlichen) Hartgebilden wie Knochen, Federn usw. in nähere Beziehung setzt. Auch das ist eben unserer Ansicht nach nicht völlie ungereimt. Selbstverständlich darf man die Ähnlich- keit mit Krystallen so wenig aus den Augen verlieren wie die offen- baren genetischen Unterschiede gegenüber jenen komplizierteren Hartgebilden. Aber es wäre eben — wie schon im Eingange unserer Untersuchung betont wurde — sehr wohl möglich, daß dieselben morphogenen Probleme in der Spiculabildung vorliegen wie bei Knochen u. dgl. und daß sogar diese Fragen bei diesen cellularen Bildungen auffallender erscheinen müssen als bei der Entstehung der größeren Gebilde. Abgesehen von den oben betonten Verschiedenheiten, die sich auf das Fehlen oder Vorhandensein des Zusammenhanges der Sclero- blasten mit dem übrigen Körper gründeten, versucht WOooDLAND nun folgenden weiteren Unterschied von Spicula und größeren Hartgebilden zu statuieren: „these non-spicular deposits (bones, teeth, nails, hairs, scales, feathers, etc.) are, on ac- count of the connection of the secreting cells with the rest of the organism, usually laid down (obviously by inheritance) only in those particular parts of the organism where they are required“.... » spicules, on the other hand, are not limited in their distribution in this manner, but tend to occur wherever the purely physical con- ditions permit the wandering cells to secrete them (calcareous spicules, e. g. cannot occur in the vicinity of digestive or other organs where acid solutions abound), and their local adaptations in form to the architecture of the organism are, there is good reason to believe, determined by purely physical causes which influence the sclero- blasts during the development of the spicule“ (1907 a, p. 66). Diese Ausführungen widersprechen z. T. den früheren Darlegungen WoopLanD’s. Die relativ gleichmäßige Verteilung und das zufällige ~ Auftreten der Spicula hängt eben vielleicht mit der verhältnismäßig | groben Selbständigkeit der Scleroblasten zusammen. Wo der Organismus nicht für besondere, lokalisierte auslösende Reize gesorgt hat, bilden Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 87 die Scleroblasten eben überall das, was sie bilden können! Übrigens ist die Darstellung bei WoopLaxp übertrieben oder jedenfalls nicht für alle spieulatragenden Formen zutreffend. Wir haben schon oben darauf hingewiesen, daß auch am Darm bei Holothurien Kalkkörper auftreten können, und haben besonders die zweckmäßige Verschieden- heit der Spicula in verschiedenen Regionen betont. Die Holothurien sind auch in dieser Richtung wohl die lehrreichste Gruppe. In den Füh- lern und Füßchen entstehen gestreckte Stützstäbe, um den Mund die sroßen, feine Anpassungen aufweisenden Kalkringglieder, in der Haut die mannigfaltigen Formen von Platten, runzligen Kugeln, Schnallen, Stühlchen (deren Beine immer nach außen gekehrt sind) und die Stühlchenderivate, ferner Rädchen, .Anker, Ankerplatten, loffelf6rmige Kalkkörper usw. Die Saugscheiben der Füßchen be- herbergen zierliche Endscheibchen, die Radiärmuskeln können be- sondere kleine C-formige Kalkkörper in ungewöhnlicher Menge ent- halten, der After kann wieder von größeren Platten umstellt sein usw. usw Mag sein, daß ein Teil dieser Verschieden- heiten auf direkte Einflüsse der Umgebung zu setzen ist, sicherlich ist ein gut Teil davon auch genau so er- erbte Anpassung und Erfordernis der betreffenden Regionen, wie das nach Woopzanp nur für die kompli- zierteren Hartgebilde gilt. In der vorderen einstülpbaren Körperpartie vieler mit Rückziehmuskeln ausgerüsteten Holothurien sind die Kalkkörper kleiner und spärlicher als in der übrigen, starreren Körperwand. Sie sind, wie wohl zu beachten ist, von vornherein klein und nicht durch die Einstülpung zerbröckelt! Hier liegt also zweifellos Anpassung an die Beweglichkeit vor. In den Teilen der Körperwand, die den meisten Angriffen usw. ausgesetzt sind, liegen die meisten schützenden Skeletelemente, und sie sind bei kriechenden Formen auf der Rückenseite gewöhnlich häufiger oder gar zu groben Platten ausgewachsen! Wiederum unzweifelhafte Anpassung. Die Rauhig- keiten, Aufsätze, Stacheln, Beine der Stühlchen, Spitzen der Anker, der gesägte Rand vieler napfförmiger Rädchen usw. sind immer der Außenwelt zugekehrt, um die Haut von außen hart, stachlig oder klettend zu machen, kurz, um sie bestimmten Bedürfnissen anzupassen. Man braucht nicht zu den Übertreibern der Zweckmäßig- keitslehre zu gehören und in jedem Kalkkörper oder seinerLageunbedingteinenZweckentdeckenzuwollen und muß doch unbedingt anerkennen, daß in vielen Fällen wirkliche und oft recht spezielle Anpassung 88 SIEGFRIED BECHER, vorhanden ist. Man braucht sich nur einmal mit vergleichender Anatomie der Holothurienkalkgebilde zu beschaftigen oder auch nur ÖSTERGREN’s schöne Arbeit über die verschiedene Bedeutung der Anker bei Synapta und Ankyroderma zu lesen, um unvermeidlich zu dieser Konsequenz geführt zu werden. Vor allen Dingen wird dann deutlich, daß die rein äußerlichen ontogenetischen Ursachen, von denen WoopLAnD in dem letzten Satz des obigen Zitates redet, zur Erklärung dieser Zweckmäbigkeit durch- aus nicht hinreichen. Ich neige daher auch [ungleich WooptLannD (1907 a, p. 66)] — obwohl ich im allgemeinen weit entfernt bin in der Selektion den einzigen Zweckmäßigkeit häufenden Faktor zu sehen (vgl. BECHER, 1910b, p. 330ff.) — zu der Annahme, daß Selek- tion auf viele Spicula ihren Einfluß geltend gemacht hat. Wir müssen aber, um nicht voreilig über die Theorie der direkten ontogenetischen Bedingung der Spiculaform abzuurteilen, einen Blick auf den Geltungsbereich dieses Erklärungs- versuches werfen. Am bekanntesten sind in dieser Richtung die Bemühungen von Fr. DREYER (1892) geworden. Obwohl dieser Forscher — wie heute allgemein anerkannt wird — in seinem Vertrauen auf einfache mechanische Erklärungen viel zu weit ging, und obwohl seine Vor- stellung von den ätiologischen Faktoren in schroffem Gegensatz zu der von uns vertretenen Auffassung steht, ist DREYER’s Arbeit nicht gering zu schätzen, nicht nur wegen der energischen Betonung des ätiologischen Moments (vgl. |. c, p. 441) für die Spiculaforschung gegenüber der lediglich phylogenetischen oder öcologischen Betrach- tung, sondern auch deshalb, weil in den verschiedenen Kapiteln eine Unzahl von Versuchen und Anregungen gegeben wird. DREYER hat das Formproblem bei Gerüst- und Spiculabildung einmal wirk- lich mit Energie in Angriff genommen, wenn auch nach seinen grob- mechanischen Erklärungsprinzipien unserer Meinung nach nur eine Reduzierung des eigentlichen verborgeneren Problems erreicht werden konnte. Bei dem ersten Gerüstbildungstypus, der Cuticulaschale, kommt DREYER, wie er selbst zugibt, (l. c, p. 206) nicht zu einer klaren ätiologischen Einsicht. Dasselbe gilt von dem „Achsengerüst“ (vgl. p. 401), obwohl der Gesichtspunkt der funktionellen Anpassung unter Heranziehung von Max ScHuLzEe’s und VERworn’s Beobachtungen über vorübergehende Bildung eines Achsenstranges in Pseudopodien (bei Miliola und Difflugia) bedeutsam genug war. Die Mosaikschalen Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 89 bilden „überhaupt nicht einen kausal-einheitlichen Gerüstbildungstypus“ und lassen sich „noch nicht in be- friedigender Weise auf mechanische Ursachen zurückführen (1 c., p. 389). Auch die Erörterungen über die architektonische Gestaltung des Gesamtskelets (z. B. die Betrachtungen über das Mürrer’'sche Gesetz der Stachelstellung bei. den Acantharien-Radiolarien, über den Gesamthabitus der Thalamophorenschalen usw. kommen zu keinen abschließenden kausalen Aufklärungen (vgl. p. 416 u. 445). Den größten Wert (l. e., p. 207) und definitive Erklärung sieht Dreyer selbst in seiner Ätiologie des weit verbreiteten, modifizier- baren Vierstrahlertypus (1. c., p. 297—388). Der interessante Gedanke, die Gesetze der Oberflächenspannung und die sich danach ergeben- den Formen mit dem Vierstrahler und verwandten lamellösen usw. Gestalten in Beziehung zu setzen, ist durch DREYERr’s suggestive Anwendungen so allgemein bekannt geworden, daß ein näheres Eingehen darauf überflüssig ist, zumal sich die Forschungsmethode: „studium der Flüssigkeitsmechanik, Beobachtung und Untersuchung der Organisationsverhältnisse, ver- sleichende Schlußfolgerung von jenem Gebiet auf dieses“ (l. c., p. 402) später an fast allen Orten als wenig fruchtbar erwies.!) Nur ein Beispiel der Anwendungen, die DREYER von seinem ¢ 1) Auf ihrem eigensten Gebiet, der Erklärung der Radiolariengeriiste, sind DREYER’s Hypothese von HACKER entscheidende Bedenken entgegen- gehalten worden (1905b, p. 357—361 u. 1906, p. 32 u. 33). Diese Theorie ist nicht nur nicht ausreichend, sondern weist nicht einmal auf den richtigen Weg, wie schon aus der Zweckmäßigkeit der Radiolarien- skeletstrukturen hervorgeht (1. c., 1906). Über eine Art, an der die Prüfung genauer durchgeführt wird, bemerkt HACKER zum Schluß: „Zu- sammenfassend können wir sagen, daß die Stachelbildung von Azloceros kein einfacher, durch örtliche Faktoren, nämlich durch die passive Masse der Alveolensubstanz, lokalisierter Abscheidungsprozeß ist, wie dies nach DREYERs Hypothese anzunehmen wäre, sondern daß man es mit einem komplizierten Lebensvorgang zu tun hat, welcher sich aus einerReihevon Wachstums-, Sprossungs- und Sekretions- prozessen zusammensetzt und dessen Produkte ihrer Form nach, soviel wir zur Zeit sagen können, in erster Linie durch spezifische Gestaltungstendenzen des aktiven Protoplas- mas, speziell der plasmatischen Hüllen der „häutigen Stachelanlagen“, bestimmt sind“ (1905b, p. 368). Die wirklichen Ansätze, die jetzt zu einem kausalen Verständnis einiger Skeletbildungsprozesse bei Radiolarien vorliegen, weisen in ganz anderer Richtung. BORGERT (1900, p. 258—259) hatte bemerkt, daß die 90 SIEGFRIED BECHER, Prinzip machte, mag angeführt werden, weil es unseren besonderen Gegenstand, die Synaptidenanker, betrifft. Bekanntlich hat DREYER Radialstacheln der Aulacanthiden und auch manche Schalen von Tripyleen weichhäutig angelegt werden. IMMERMANN beobachtete, daß bei den von ihm zur Gattung Aulokleptes zusammengestellten Arten die Bildung der Radial- stacheln von Diatomeengehäusen ihren Ausgang nimmt. Um diese Fremdkörper sollten Pseudopodien beim Zurückziehen immer eine Kieselschicht ablagern. Von der Form der beim Zurückziehen runzlig werdenden Pseudopodien sollte die Gestalt des definitiven Umrisses abhängen (1903, p. 71—75 u. 1904). Bei den übrigen Aulacanthiden nimmt IMMERMANN in die Länge gezogene Vacu- olen als Ausgangspunkt der Skeletbildung an. HACKER faßt BORGERT’s und IMMERMANN’s Befunde auf Grund eigener Beobachtungen, zunächst an Auloceros, zu einer neuen Vorstellung über den Verlauf der Skelet- bildung bei Radiolarien zusammen. „Als Ausgangspunkt haben wir uns eine längsgestreckte, dünnhäutige, wahrscheinlich mit einer gallertartigen Flüssigkeit gefüllte Blase vorzustellen, welche wir uns mit IMMERMANN als eine in die Länge gezogene ‚Vakuole‘ oder besser ‚Alveole‘ denken können“ (1905b, p. 366). „Die blasige Stachelanlage besitzt nun, wie weiter aus den Bildern in unzweideutiger Weise hervorgeht, das Ver- mögen der terminalen Sprossung und dichotomischen Ver- zweigung“ (l. c., p. 367). „Auf das Stadium der Sprossung der häu- tigen Stachelanlage folgt das Stadium der Verkieselung. Speziell bei großen, reichlich verzweigten Stacheln kommt es auf Grund einer von außen nach innen erfolgenden Abscheidung von Hartsubstanz zunächst zur Bildung einer primären Rinde“ (1. c., p. 367), welche bei manchen Formen durch sekundäre Kieselabscheidung von außen nach innen ganz ausgefüllt werden kann — wobei zunächst ein Zentralkanal und an den Vergabelungsstellen kuglige Hohlräume übrig zu bleiben pflegen. Bei Aulokleptes, wo Diatomeen und, wie HÄCKER findet, auch fremde Kiesel- nädelchen (von Awlacantha scolymantha und Aulographonium ; 1. c., p. 368), den Ausgangspunkt bilden können, ist der Prozeß trotzdem im wesent- lichen derselbe: „Die vom Weichkörper aufgenommene Diatomeenschale wird zunächst von einer Alveole umschlossen, welche samt der sie umschließenden dünnen Plasmaschicht die ‚häutige Stachelanlage‘ darstellt. Dieselbe treibt in ähnlicher Weise, wie dies bei Auloceros der Fall ist, am distalen Ende Sprossen und nun geht, ebenfalls wie bei Auloceros, der Verkieselungs- prozeß schichtenweise von außen nach innen vor sich, so daß schließlich das in der Achse gelegene Diatomeengehäuse von demselben erreicht und mit der abgeschiedenen Hartsubstanz amalgamiert wird“ (l. c., p. 370). Ganz ähnliche Vorstellungen über den Gerüstbildungsprozeß scheinen nun auch für die Aulosphäriden, Sagosphäriden und Castanelliden zu gelten. Auch hier haben wir zwei Hauptentwicklungsphasen, von denen die erste bis zur Bildung der weichhäutigen Präformierung der Schale oder des Skelets führt. Besonders bei Castanelliden ist das weichhäutige Schalen- stadium häufig beobachtet worden (1906, p. 38). An Stelle der Diato- meen bei Aulokleptes und Aulodendron treten hier lange Kieselnadeln Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. O1 versucht, den Geltungsbereich seiner Vierstrahlertheorie nicht nur auf Radiolarien und Spongien, sondern auch auf die Skelete der Echinodermen auszudehnen. Er stützte sich dabei vor allem auf die Beobachtung Semon’s (1887a, p. 289ff.) über den Ursprung der Kalkgebilde der Echinodermen. Die erste Anlage der Skeletelemente eines Pluteus entsteht nach diesem Autor intracellulär als kleines Kalkkörnchen, das bei seiner Vergrößerung Tetraederform !) (mit konkaven Flächen) bekommt und nach weiterem Wachstum aus der Zelle austritt, intercelluläre Lage einnimmt und sich dann durch Auswachsen von 3 Ecken zu einem Dreistrahler gestaltet. SEMON versuchte seiner Beobachtung allgemeine Bedeutung für die Echino- dermen zuzuschreiben: Wir sahen, „dass die Dreistrahler, aus denen sich das Pluteusskelett bildet, ursprünglich von kleinen Tetraedern, also vierachsigen Gebilden abzuleiten sind. Dies scheint nun ein ganz allgemeines Gesetz zu sein, und wenige, wohl nur scheinbare Ausnahmen abgerechnet, glaube ich, sind alle Kalkbildungen der Echinodermen (Larven und entwickelter Thiere) im Grunde von derartigen Tetraedern abzuleiten. Bei einem Theil entwickeln sich alle vier Achsen weiter: in diese Reihe gehören die Rädchen der Auricularien und Holothurien und die Stacheln der Asteriden, Ophiuriden und Echiniden. In einer zweiten Reihe von Fällen entwickeln sich nur drei Achsen, und die vierte tritt zurück. In diesem Falle erfolgt dann das wirkliche Längenwachsthum mit all seinen complicirten Gabelungen und Verzweigungen in einer (Röhren?) oder eine Schar kleinerer Nadeln (siehe die schöne Abbildung von W. J. ScHMipT, 1908, tab. 18 fig. 2), die, wie manche Beobach- tungen andeuten (HÄCKER, 1906, p. 41), für die Architektonik des ganzen Skelets von maßgebendem Einfluß sind und selbst vielleicht durch „richtende Centren“ (1. c., p. 43) eingestellt werden. In der offenbar sehr kurzen ersten Phase müssen wahrscheinlich 3 Prozesse unterschieden werden: „Abscheidung der Primitivnadeln, Abscheidung und Aufquellung der Va- cuolengallerte und Bildung der häutigen Grenzlamelle“ (1. c., p. 41—42). „Es folgt nun die zweite Entwicklungsphase, die Periode der mehr suc- cessive sich abspielenden, etappenmäßig zu verfolgenden Processe. Zu- nächst geht die primäre Verkieselung vor sich. d. h. die Umwand- lung der häutigen Grenzlamelle in eine starre Kieselschicht. Auf dieser Etappe bleibt der SkeletbildungsproceB bei den Aulosphäriden stehen (fig. 4), während er bei den Sagosphäriden und Castanelliden eine Fort- setzung erfährt“ (1. c., p. 42), die bei den ersteren, von außen nach innen fortschreitend, zur Bildung völlig homogen erscheinender Balken führt. 1) Auch nach HÉROUARD sollte bei Holothurien ein intracellulares Tetraeder den Ausgangspunkt der Skeletbildung bilden (1889, p. 552). 92 SIEGFRIED BECHER. Ebene, und nur die bloße Dickenzunahme erfolgt auch in anderen Ebenen. In diese Kategorie gehéren die plattenförmigen Skelett- bildungen sämmtlicher vier Echinodermenordnungen, also bei Weitem die Mehrzahl aller Skelettbildungen bei den Echinodermen überhaupt“ (1887 a, p. 293). An diesen Ausführungen, die sich den Erfordernissen der Blasenspannungstheorie sehr näherten, hält DREYER auch für die Synaptiden-Anker und -Platten fest, obwohl ihm nicht unbekannt war, daß beide Gebilde stabförmig angelegt werden (l. c., p. 305). „Der Anker entspricht einem Dreistrahler, bei welchem ein Stachel stark verlängert, die beiden anderen nach hinten umgebogen sind, analog dem gleichen Verhalten mancher Spongiennadeln“ (p. 306). Wie erklärt nun Dreyer die Ankerbildung nach der Vierstrahler- hypothese: „Bei Spongien und Echinodermen kann man eine Bildung von Skelettteilen an der freien Oberfläche des zelligen Körpers nicht wohl annehmen, die Skelettbildung findet hier wohl stets im Inneren des Gewebskörpers, im Mesenchym oder Sekretgewebe statt, aber auch unter diesen Umständen ist die Entstehung von ankerförmigen Skelettteilen leicht erklärbar. Wir brauchen nur an das Gesetz der Blasenmechanik zu erinnern, daß da, wo kleine Blasen an größere angrenzen, sich die Zwischenwände und mithin auch die Kanten nach dem Hohlraum der letzteren konvex hervorwölben; im Grunde ist ja auch dasselbe Verhalten von an die freie Oberfläche eines Komplexes angrenzenden Blasen nur ein Spezialfall dieses Gesetzes, da wir die ganze Außenwelt in diesem Falle als einen einzigen Blasenhohlraum von unendlicher Größe betrachten können. Es ist nur das Aneinandergrenzen verschieden großer Blasenelemente nötig, so sind auch im Innern eines Gewebskörpers die Bedingungen zur Bildung von Ankern erfüllt“ (l. ce., p. 381). Wir brauchen kaum auszuführen, daß diese Drevyer’sche Hypo- these gegenüber den Tatsachen völlig versagt. Die postulierten Blasen sind hier, wie an manchen anderen Objekten, auf die die Theorie angewendet wurde, einfach nicht vorhanden. Die Krümmung des Ankers erklärt sich, wie ich an anderer Stelle dargetan habe, in ganz anderer Weise (1910a, p. 348ff.. Und endlich bleiben die Anker und Platten während ihrer Entwicklung bis zur Vollendung immer in einem Syncytium liegen. Daß der Dreyer’sche Erklärungs- versuch gegenüber den oben angeführten Beobachtungen über Korre- lation völlig versagt, bedarf wohl keiner näheren Ausführung.) 1) Benachbarte Spicula, die etwa von zwei Seiten derselben Blasen- schicht anlägen, könnten natürlich auch nach DREYER’s Vorstellungen eine Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 03 Ähnliches wie von Dreyerr’s Theorie läßt sich über die ver- wandten Vorstellungen sagen, die sich Htrovarp (1887 und 1889, p. 551—559) über die Entstehung der Holothurienkalkkörper ge- macht hatte. Der durchbrochene Bau der Kalkplatten und ihre regel- mäßigen, sechseckig-runden Maschen brachten H£ROUARD auf den Ge- danken, es handelte sich in den Kalkbälkchen dieser Skeletelemente sozusagen um die durch Kalkbescheidung festgelegten Trennungs- und Abplattungslinien von Wanderzellen, die sich zusammengelegt hätten und von denen später je eine in eine Masche des fertigen Kalk- körpers zu liegen käme (der Kern sollte die Verkalkung in seiner unmittelbaren Umgebung verhindern). Die Bildung beginnt damit, daß sich zunächst 4 Wanderzellen zusammenlegen und ein Primär- kreuz bilden: „le calcaire se depose le long des parois de contact de quatre de ces cellules accolées l’une à l’autre et donne une pro- duction en forme d’x“ (1 c., p.552). Durch Hinzutreten neuer Zellen schreitet dann die Vergabelung der freien Enden des Primärkreuzes fort, die ersten Maschen schließen sich, neue werden begonnen usw. Hérouarp’s Erklärung fand keinen Beifall (vel. Lupwic, 1889 — 1892, p. 241— 243); schon die sehr verschiedene und oft beträchtliche Größe der Maschen mancher Holothurienkalkkörper oder der oft im Ver- eleich zu einer Zelle enorm große Abstand der Aste eines Primär- kreuzes machte das wirkliche Vorhandensein der von HEROUARD an- genommenen Zellen sehr unwahrscheinlich. Ein näheres Eingehen auf HérouarD’s Theorie erübrigt sich aber nach WooDLAnD’s neueren Untersuchungen und seiner Kritik (1906, 4; p. 546-548) völlig. Der letztgenannte Autor kommt zu dem, wie mir scheint, durch die Tatsachen gerechtfertigten Urteile: „In fact I must categorically deny the whole series of M. Hérovarn’s statements. The spicule does not arise as a minute tetrahedron; there are rarely four cells in connection with the terminally bifurcated rod (the more usual number being two), and then they are not hexagonal in form; four newly-arrived cells do not regularly attach themselves to the spi- cule for its further growth, and however many cells may ultimately be associated with the spicule they have by no means, that sym- metrical disposition claimed for them by M. HEROUARD“ (l.c., p. 547). Eine kaum bessere Grundlage von Tatsachen kommt SoLLas einfache Abhängigkeit voneinander aufweisen. Doch fehlen bei Anker und Platte nicht nur die Voraussetzungen der Hypothese, sondern es ist auch die Abhängigkeit beider derart, daß sie mit direkter hydromechanischer Beeinflussung nicht verwechselt werden kann. O4. SIEGFRIED BECHER, Theorie einer Wachstumstendenz der Spicula längs der „lines of least resistance“ (1888, p. LXXV—LXXXII) zu. Sie hat bereits von Mincuin (1898, p. 551) hinreichende Kritik erfahren. Allerdings stehen die flächenhafte oder mehr dreidimensionale Entfaltung eines Kalk- oder Kieselkörpers, ihre Regelmäßigkeit, Größe und Form ohne Zweifel nicht selten in Beziehung zu entsprechendem Habitus und Konfiguration der betreffenden Gewebe oder Körperpartien. Bei kleinen intracellu- lären Spicula muß sich das Gebilde den Raumverhältnissen der Zelle anpassen.!) Nur läßt sich eben bezweifeln, daß die Bedingungen der Umgebung diese Korrespondenz in direkter Weise bewirken. Ein gewisser direkter Einfluß wird ja ohne Zweifel vorhanden sein. Ich bin sogar in der Lage gerade von unserem Objekt einen ge- legentlich auftretenden kleinen Prozeß in der Formbildung anzu- führen, der mit Sicherheit auf die direkte Wirkung von äußeren Bedingungen gesetzt werden kann. Man findet gelegentlich — nicht normalerweise — an den Enden des Ankerbogens einen kurzen Fort- satz, der nicht in Richtung der normalen Bogenspitze weiter zieht, sondern etwa der Handhabe des Ankers zugekehrt ist. An den Figg. Kb‘, d‘, sowie in Fig. Qb sind diese kleinen gelegentlich auf- tretenden Fortsätze deutlich zu sehen. Nun wissen wir, daß von den Ankerspitzen ein protoplasmatischer Strang zu der Ankerhand- habe verläuft, ein Strang, der ein abgetrenntes Stück des ursprüng- lich auch in den Bogenwinkeln des Ankers zusammenhängenden Syncytiums darstellt (Fig. O). Es ist klar, daß diese kleinen Fort- sätze des Ankers einfach in ihrem Wachstum dem Plasmastrang gefolgt und durch seine Richtung die eigenartige Orientierung er- halten haben. Aber im allgemeinen glaube ich, daß die entschei- dendsten Wirkungen der Umgebung meist darauf beruhen, dab sie entsprechende erblich vorbereitete Reaktionen der Scleroblasten lediglich auslösen. ?) 1) O. SCHMIDT hatte schon früher (vgl. 1873 u. 1875) darauf hin- gewiesen, daß die Krümmung der sigmaförmigen Körper von Esperia luci- fera sich dadurch erklären, daß sie auf der Oberfläche einer Kugel oder eines Ellipsoids entstehen (SOLLAS, 1888, p. LX XVI). — WOODLAND, 1905, 1, p. 255ff., 259 u. 274 hat versucht die Zahl und Gruppierung der Scleroblasten und die „saturation of cell-affinities“ für die Bestimmung ver- schiedener Spiculaformen verantwortlich zu machen: in einer Zelle sollten kuglige, bei 2 Zellen (bzw. 2 Kernen) einachsige Spicula entstehen. Für einen Dreistrahler mußten dementsprechend 3 Doppelzellen vorhanden sein. Vgl. die Kritik von MINCHIN, 1908. 2) Im einzelnen nehmen natürlich die grobmechanischen Erklärungs- Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 95 WooprAnp hatin Anschluß an Souias’ Gedanken die [übrigens schon von Dreyer (1892, p. 280 —282) und Immermann (1904) benutzte] Ver- mutung ausgesprochen, daß vielleicht zahlreiche vielgestaltige Fortsätze mancher Spicula mit der pseudopodialen Tätigkeit der Scleroblasten in Beziehung gesetzt werden könnten, und als sicher angenommen, „that the perforate character of most echinoderm plate-spicules and of radiolarian shells is due to the necessity for communication across the area occupied by the spicule or skeleton, and is probably determined ontogenetically in each case, though exactly how it is difficult to say“ (1907a, p. 71). Es hat keinen Sinn, solche Vermutungen ganz und für alle Objekte zu vernachlässigen. Die Frage ist aber, ob das Moment der direkten Beeinflussung im Verein mit demjenigen der Krystallomorphenbildung ge- nügt, um das Formbildungsproblem in seiner ganzen Ausdehnung zu lösen. Das muß nun unserer Ansicht nach durchaus verneint werden. WooDLAnD selbst deutet noch die Möglichkeit eines dritten Faktors an, nämlich „the influence at a distance — actio in distans — of different parts of the or- sanism on the scleroplasm“ (1907a, p. 69). Wir wollen wörtlich anführen, was WoopLAnn über diesen weiteren Faktor der Spiculaformbildung aussagt: „Concerning factor (b) this has been so little considered that, though in all probability it is a very important one from our present standpoint it is impos- sible to discuss it at any length. It is probable that factor (b) (in conjunction with factor [al) has a lot to do with producing that adaptation of the form of the spicule to the architecture of the or- ganism (occasionally it is the reverse) which is often so conspicuous. Crystallomorphs plainly exhibit this feature — the presence of an adjacent though separate object to one side, e. g. clearly modifying the shape of the crystallomorph on that side. Moreover, the or- versuche der Spiculaform und -Orientierung je nach den besonderen Um- ständen der einzelnen Objekte sehr verschiedene Formen an. (Siehe z. B. - WOODLAND, 1905, 1, p. 260—276.) Bei Spongienspicula hat man z. B. melen (HAECKEN, 1872, Vol. I, p. 482; Sounas, 1877b, p. 10-11; WooDLAnD, 1905, 1, p. 239) an einen Einfluß der Wasserströmung ge- dacht. Andere glaubten an eine Abhängigkeit von der Anordnung der Scleroblasten, die sich nach Ansicht von BIDDER (1898, p. 66—67) einem Instinkt folgend in die Linien größter Druck- und Zugschwankungen einstellen sollten. Vgl. die Kritik von MINCHIN (1898, p. 543 ff., 1908) und über weitere Vermutungen in dieser Richtung die Zusammenfassung von MINCHIN, 1910, p. 252 ff. 96 SIEGFRIED BECHER, ganism seems to exert a decided influence on the disposition of the spicules in such cases as in certain Radiolaria, e. g. and therefore similar influences may be at work in more complicated organisms. However, we possess no data as jet in connection with this subject, and beyond making the preceding suggestions it is impossible to say anything about it“ (1. ce. p. 72). In diesen Ausführungen scheint uns richtig zu sein, daß über- haupt noch ein neuer unbekannter Faktor existiert. In der Tat. sagt WooDLAnD auch unmittelbar vorher, daß der grobmechanische Faktor in der Bestimmung der komplizierteren Spiculaformen nur ein Hilfs- faktor sein könnte. Richtig scheint uns auch der Hinweis auf die Formbildung der Radiolarienskelete, bei der jener vor der Hand dunkle Faktor der Gestaltung sich außerordentlich lebhaft aufdrängt und schon Harckez zu bemerkenswerten Äußerungen veranlaßt hatte (1866). !) Dagegen scheint uns der Gedanke einer Fernwirkung keine wirkliche Aufklärung zu enthalten, und auch die Bemerkung über die Beeinflussung der Krystallomorphen ist allzu kurz und un- bestimmt. Wir haben indessen den grobmechanischen Faktor der Formbildung noch nicht erschöpfend berücksichtigt. Ein allgemeines Urteil über seine Mitwirkung oder seine Nebensächlichkeit läßt sich nicht geben oder genügt wenigstens nicht; denn es ist klar, dab seine Bedeutung immer von den speziellen Untersuchungen des ein- zelnen Falles abhängt. Es ist deshalb geboten zuzusehen, was diesem Faktor bei der Bildung von Anker und Platte der Syna- ptiden zugeschrieben werden kann. Wir können in dieser Richtung WoopuLanv’s Betrachtungen folgen. 1) „Eine der wichtigsten, aber am schwierigsten zu begreifenden Er- scheinungen, auf welche wir immer wieder zurückkommen müssen, ist die Thatsache, dass ein formloser festflüssiger Eiweissklumpen, offenbar ledig- lich vermöge seiner specifischen .atomistischen Constitution, die complicir- testen und regelmässigsten festen Formen hervorzubringen vermag; und doch können wir uns von dieser Thatsache an vielen Protisten, besonders den Rhizopoden, ganz bestimmt überzeugen. Die verwickelten und be- stimmt geformten Kiesel- und Kalk-Skelete der Acyttarien und Radio- larien sind das unmittelbare Product einer vollkommen formlosen Plasma- Masse, von deren festflüssigem Zustande uns das bekannte Phaenomen der Sarkode-Strömung in jedem Augenblick den handgreiflichen Beweis liefert. Diese merkwürdigen Erscheinungen werfen auf die formbildende Function des Plasma und der Plastiden überhaupt das bedeutendste Licht“ (1866, -Vol. 1, p. 190. Verwiesen wird auf den Abschnitt über das Wachstum in der Monographie der Radiolarien, Berlin 1862. Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 97 Dieser Forscher hat die Orientierung und die Gestalt des Ankers mit mechanischen Bedingungen in der Körperwand der Synaptiden ‘in Zusammenhang gebracht. Die Anker liegen immer, wie wir oben sahen, mit ihrem Schaft quer zur Längsachse des Tieres (Fig. A), während der Ankerbogen einmal links, ein andermal rechts liegt. Nun wird jeder Anker zuerst als kleines Kügelchen angelegt (das ungefähr in die Ansatzstelle des Bogens eingeht und) das nach einer Seite ein sich mehr und mehr verlängerndes Stäbchen aus sich hervorgehen läßt, (1907, 7 p. 486, 487 und 496; tab. 29 fig. 2—9). Dieses Stäbchen stellt den späteren Ankerschaft dar und ist ganz von vornherein richtig, d. h. quer zur Körperachse, orientiert (l..c., p. 487, 491). Diese Orientierung führt nun Woopranp auf die Querfalten zurück, die in der Körperwand bei den oft sehr starken Kontraktionen der 5 sroßen Radiärmuskeln auftreten (l. c., p. 491 und 497). Auch ich bin, wie schon oben betont wurde, der Meinung, daß es sich in der queren Lage der Anker um eine Anpassung an die Faltenbildung handelt, aber es ist mir doch sehr fraglich, ob diese Querfalten die Lage einfach direkt erzwingen. WooDLAnD geht aber soweit, zu be- haupten, dab auch die Lagerung der ersten kurzen Stäbchenanlage schon durch die Längsfalten der Körperwand erklärbar sei: „it seems clear that the initial granule ofthe spicule will elongate in the trans- verse grooves formed in the body-wallduring such contractions“ ... „and no objection can be taken to this view on the ground that the out- growth of the initial granule is appropriately orientated from the very first, since the grooves may be assumed to be quite capable of determining the direction of the initial as well as of the later growth of the spicule“ (l. c., p. 491). Ich halte besonders den letzten Teil dieser Überlegung nicht für richtig, denn erstens wird die Wirkung der Querfalten um so geringer sein, je geringer die Länge des Stäbchens ist, dessen Lage jenen Falten hinderlich sein könnte. Auf die erste Stäbchenanlage übt daher die Faltenbildung vielleicht gar keinen Einfluß aus. Ferner scheint mir WOoODLAND zu vergessen, daß doch die Primärkreuze der Ankerplatten (bei L. inhaerens usw.) an derselben Stelle wie die ‚Anker nicht quer, sondern parallel mit der Längsachse liegen. Warum sollten nun diese nicht genau so wie das erste Ankerstäbchen durch die Querfalten in Querlage gedrängt werden? Darauf könnte Woopuanp vielleicht noch antworten, daß die Plattenprimärkreuze erst angelegt würden, wenn der Ankerbogen schon vorhanden ist Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Zool. u. Physiol. _ 7 98 3 SIEGFRIED BECHER, und durch seine sperrenden Enden einen gewissen Schutz gegen den Querfaltendruck gewährte. Aber auch diese Uberlegung ist noch nicht entscheidend; denn es gibt zahlreiche ankerlose Primärkreuze von Platten, die in der Längsrichtung des Körpers angelegt werden bzw, diese Lage beibehalten. Wir kommen daher zu dem Schluß, daß die Quer- lage der Anker zwar vielleicht als eine Anpassung an dieLängskontraktionen betrachtet werden kann, aber nicht durch diese direkt erzwungen wird und daß der Organismus imstande ist, je nach erblich festgelegter Forderung unbekiimmert um die Falten ein Primär- kreuz parallel oder senkrecht zu den Falten anzulegen, Dagegen leugnen wir nicht, daß die Falten der Körperwand vielleicht als auslösende Faktoren die Anlage von Anker und Platte beeinflussen. Der zweite Punkt in der Gestaltung des Ankers, den WOODLAND auf direkte Wirkung mechanischer Faktoren zurückführen zu können glaubt, betrifft die Entstehung des Bogens (l. c. p. 492—494 und 497). Freilich soll auch nach WoopzanD bei der Bogenbildung im Anfang noch ein anderes Moment in Betracht kommen, nämlich die Tendenz zur Gabelung, die bei fast allen Holothurienkalkkörpern vor- handen zu sein scheint (l. c., p. 494 und 497). Unter dieser Voraus- setzung läßt sich dann folgende Überlegung anstellen: die Körper- wand der Synaptiden zeigt nicht nur Längskontraktionen, sondern auch Zusammenziehungen in dazu senkrechter Richtung. Sie werden durch die Ringmuskulatur hervorgerufen und bedingen ein Abheben und Längsfaltigwerden der Epidermis (vgl. BECHER, 1907, p. 562), deren absolute Länge natürlich unverändert bleibt und der Ver- kleinerung der Quermuskulatur und des Durchmessers ihres Kreises nicht folgen kann. Die Falten der Haut werden nun in diesem Zu- stande zum Teil durch die Anker mitbedingt. Diese relativ langen unbiegsamen Gebilde drücken dabei die schlaffe Epidermis in Taschen nach außen vor (vgl. Fig. B). In diesen Taschen liegt das Bogen- ende des Ankers, das von Anfang an mit der Epidermis in Zu- sammenhang bleibt (Woopzanp, 1907, 7, p. 495), während sich der Stiel schräg in die Cutis richtet und daher an der Bildung von Taschen keinen direkten Anteil nimmt. Und nun schließt Woopzanp (1 c., p. 493—494): „The knobbed extremity of the anchor supporting a pocket-like protrusion of the dermal epithelium, it seems probable that the lateral extension of Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation, 09 the knob to form the recurved arms of the anchor-bow is, after all, but an illustration of the disposition of skeletal matter in the direction of least resistance.“ Von diesem Gedanken kann man vielleicht wiederum vermuten, daß er insoweit richtig ist, daß in dem Ankerbogen eine Anpassung an die Form der Tasche vorliegt. Für die Anwendung der lines of least resistance Theorie spricht sogar in diesem Falle besonders meine Beobachtung über die ur- sprüngliche Gestalt des Ankerbogens und seine phylogenetische Ent- wicklung. Nach meinen Befunden an Leptosynapta minuta (1910 a, p. 348—353, tab. 21, fig. 4—6) besteht jede Hälfte eines Anker- bogens ursprünglich aus den inneren Armen einer regelmäßigen drei- fachen Vergabelung, bei der die äußeren Gabeläste, also diejenigen, die dem Außenrande der Tasche zugekehrt sind, einfach obliterieren, wie es scheint einfach deshalb, weil sie keinen Platz hatten. Trotzdem befriedigt mich diese Erklärung nicht. Die an- sedeuteten Momente mögen mit in Frage kommen und vor allem vielleicht als auslösende Faktoren ihre Rolle spielen; sicher scheint mir auch hier, daß sie nicht die ganze Erscheinung erklären können. Man bedenke folgendes: die Ankerbogen haben bei verschiedenen Arten charakteristisch verschiedene Form, bei der einen ist der Bogen mehr halbkreisförmig, während er bei der anderen ziemlich unvermittelte Knicke aufweisen kann. Dazu kommt, dab das Ver- hältnis von Ankerspitzenabstand zu Ankerlänge ein bei verschiedenen Arten konstant verschiedenes zu sein scheint. Solche konstante Kleinigkeitenkönnen meiner Ansicht unmöglich in dieser konstanten Weise durch die grob- mechanische Wirkung der „Tasche“ erklärt werden. Die Größe der Taschen könnte zur Not erklären, daß bei der einen Art die Ankerbogen durchweg größer wären als bei der anderen. In Wirklichkeit ist aber das, was zu erklären ist, viel ver- wickelter. Die Größe des Ankerspitzenabstandes selbst variiert innerhalb ziemlich weiter Grenzen bei derselben Art und demselben Individuum (vgl. Fig.Ga,b). Das Merkwürdige ist aber, daß trotzdem das Verhältnis von. Ankerspitzenabstand zu Ankerlänge konstant zu sein pflegt (vgl. unsere obige Darstellung dieser Verhältnisse). Gegen- überdiesenTatsachen scheint mir die grobmechanische Erklärung ohnmächtig zu sein, und das Versagen an diesen Punkten macht uns mißtrauisch gegenüber der Leistung des grob- mechanischen Faktors an denjenigen Stellen, wo auf den ersten Blick eine ausschlaggebende Beteiligung dieses Faktors vermutet werden kann. Vk 100 SIEGFRIED BECHER, Wir sind damit am Ende unserer Betrachtungen über den Er- klärungswert der bisherigen Hypothesen über die Formbildung bei Entstehung der Spicula angekommen. Ich glaube, daß der Leser bei der Verfolgung der angeführten Tatsachen und Forschungen zu der Überzeugung gekommen sein wird, die wir schon im ersten Teile unserer Abhandlung andeuteten. Unsere bisherigen Vor- stellungen über die Faktoren der Spiculabildung sind unzureichend. Es wird das besonders für denjenigen deutlich ‚geworden sein, der sich bei den kritischen Erörterungen des vor- liegenden Abschnittes immer die in dem vorhergehenden mitgeteilten neuen Tatsachen im Gedächtnis gehalten hat. Wir wollen hier noch einmal ausdrücklich hervorheben, daß die Bemerkungen in diesem Abschnitt nicht eine „vernichtende Kritik“ der bisherigen Forschungen über die Formbildung der Spicula be- deuten wollen. In nicht wenigen Resultaten jener Untersuchungen handelt es sich auch unserer Meinung nach um dauernde Fortschritte von bleibendem Wert. Unsere Aufgabe lag lediglich darin, deutlich zu machen, dab der Erklärungswert der bisherigen Ent- deckungen und Hypothesen durchaus nicht ausreicht. um ein richtiges Bild von der Gestaltbildung der Spicula zu geben. Die Übertreibung des grobmechani- schen Erklärungsmomentes und der Anspruch der Krystallisationstheorie, im Verein damit eine aus- reichende Erklärung zu bieten, sind unberechtigt und verführen lediglich dazu, sich über die eigentliche im Formbildungsproblem zugrunde liegende Schwierig- keit hinwegzutäuschen. V. Genauere kausale Analyse der Anker- und Plattenentwicklung unter normalen und veränderten Bedingungen. Das Problem der Gestaltbildungin einheitlichen Protoplasmamassen. Versuch, die Formbildung in Syncytien durch Zu- sammenwirken von Gestaltreizen und erblichen Ge- staltresiduen und durch Selektion überproduzierter Schwankungen der morphogenen Reaktionen zuerklären. Nachdem wir im vorhergehenden Abschnitt versucht haben die Grenzen des Erklärungsbereiches der grobphysikalischen Theorien Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 101 bei der Spieulabildung zu ziehen, können wir nunmehr daran gehen das Restphänomen näher ins Auge zu fassen. Die Krystallisations- theorie hat uns nur über das bei der Formbildung verwendete Material einige Erkenntnisse vermittelt; für das eigentliche Ge- staltungsproblem ergaben sich dabei kaum Anhaltspunkte. Die Krystallomorphentheorie hat vielleicht berechtigtere Ansprüche auf- zuweisen. Es wäre nicht unmöglich, daß dieselbe zufällige Kalk- körperformen (man denke an diejenigen mancher Célenteraten) hin- reichend erklären könnte. Aber auch diejenigen Formen, die bei Krystallomorphenbildung entstehen können, haben wahrscheinlich in den meisten Fällen nur den Ausgangspunkt gebildet und das Material, das nun vom Organismus verwertet und in zweckmäßiger und erb- licher Weise umgebildet wurde. Von dem grobmechanischen Faktor endlich fanden wir, daß derselbe sicherlich als Bedingung bei der Formbildung seine Rolle spielt, daß aber sein direkter Einfluß auf die Spiculaform in den meisten Fällen sehr gering ist. Auch dann, wenn sich ein direkter Einfluß der grobmechanischen Bedingungen dem Beobachter aufdrängt, scheint es sich großenteils nicht um direkte unvorbereitete Wirkungen dieses Einflusses zu handeln, sondern um die Auslösung erblicher morphogener Prozesse. Nach Abzug der nach solchen Prinzipien erklärbaren Er- scheinungen bleibt noch das Wesentlichste des Gestaltungsproblems zurück. Ja wir können sagen, daß das eigentlich biologische Form- bildungsproblem erst dadurch isoliert worden ist. Es ist nun unsere Aufgabe zu untersuchen, ob das Restphänomen in seiner Isolierung Züge aufweist, die einer Betrachtung desselben allgemein biologischen Wert verleihen. Es wäre nicht undenkbar, daß das Restphänomen als ein sehr verwickelter Komplex von Erscheinungen nur eine Er- klärung aus seinen einzelnen uns vorläufig unzugänglichen Elementen gestattete und daß eine Betrachtung desselben vorläufig fruchtlos. bleiben müßte. Eine unklare Ahnung und Zustimmung zu dieser Meinung ist es offenbar, die die agnostische Haltung der meisten Forscher gegenüber solchen biologischen Grundfragen bedingt. Es wäre indessen noch die andere Möglichkeit denkbar, daß das Restphänomen, trotz seiner komplexen Zu- sammensetzung aus vor der Hand unzugänglichen Ele- menten, Züge aufwiese, die esgestatteten, dasselbe zu anderen biologischen Phänomenen in Beziehung zu setzen. Auf diese Möglichkeit zielt unsere Darlegung. Nun wäre es vielleicht angebracht, zunächst einmal alle die- 102 SIEGFRIED BECHER, jenigen Tatsachen noch einmal zusammenzustellen, die auf das iso- lierte biologische Gestaltungsproblem besonders deutlich hinweisen. Wir wollen aber eine solche Übersicht hier umgehen und uns direkt denjenigen Tatsachen zuwenden, die wir oben über die Bildung von Anker und Platte und ihre Korrelation gegeben haben. Diese Funde lassen unser Problem in besonders auffallender Weise hervortreten. Nachdem wir dann das Problem an diesem Objekt kennen gelernt haben, ist es leicht, dasselbe auch dort herauszufinden, wo es weniger hervortritt. Zum Verständnis der folgenden Betrachtungen muß man sich stets die in unserem dritten Abschnitt mitgeteilten Tatsachen genau gegenwärtig halten. Um während der folgenden Betrachtungen gegenüber der ver- wirrenden Zahl der diskutierten Möglichkeiten die Übersicht nicht zu verlieren, wird es von Vorteil sein, sich folgende für den Gang der Untersuchung maßgebende Überlegung deutlich zu machen. Ein volles Verständnis der Formbildung scheint zweierlei zu er- fordern: Kenntnis der auslösenden Reize und ihrer Verschiedenheit an verschiedenen Stellen und Verständnis der ausgelösten Prozesse selbst. Der erste Teil unserer Aufgabe wird also im Suchen nach for- mativen Reizen bestehen. Wir finden, daß die durch die Beobach- tungen festgestellten Beeinflussungen von Querfalten der Körperwand und weiter vielleicht von einer polaren Struktur des skeletogenen Plasmas abhängen könnten. Die weitere Analyse zeigt uns indessen formative Wirkungen, bei denen jene Quellen auslösender Reize nicht mehr genügen und von denen man sich vor der Hand nur schwer eine Vorstellung machen kann, die sich aber besser verstehen lassen, wenn wir Gestaltreize des schon Gebildeten und seiner Teile hin- zuziehen. Wenn die ausgelösten Prozesse selbst wieder Formbildungs- prozesse sind, so würde daraus folgen, daß auch in der erblichen Anlage noch irgendwelche Gestaltrepräsentationen vorhanden sein müssen. Man kann demgegenüber aber versuchen, die ganze Leistung sozusagen den auslösenden Reizen aufzubürden, und danach streben, für jeden Punkt eines Spiculaentwicklungsstadiums einen ganz be- sonderen auslösenden Reiz zu finden, der nun nur zu Kalkablagerung von bestimmter Intensität Veranlassung zu geben brauchte. Damit wäre der eigentliche ausführende Teil, das, was ausgelöst wird, bei der Formbildung sehr einfach und frei von dem Gestaltelement. Auch unsere Deutung gelangt zu diesem Ziel; aber wir überzeugen uns schon vorher, daß damit trotzdem nicht eine extreme Verein- Untersuchung'en über nichtfunktionelle Korrelation. 103 fachung des erblich Vorhandenen angenommen werden kann. Damit wenden sich unsere Betrachtungen von den auslösenden Reizen mehr den erblichen Anlagen zu. Einerseits muß nämlich das kalkbildende Plasma — auch wenn es nachher nichts anderes tut als an den einzelnen Stellen schneller oder langsamer Kalk abzusetzen — dazu noch die Fähigkeit be- sitzen, von jenen zahlreichen einzelnen Gestaltreizen in richtiger Weise beeinflußt zu werden. Es muß sozusagen für jeden beson- deren auslösenden Gestaltreizkomplex disponiert sein. Eine solche Disposition kann man sich aber kaum anders vorstellen als durch die Annahme, daß auch erblich etwas vorhanden ist, das jene Ge- stalten irgendwie repräsentiert. Wir werden dadurch auf den Ge- danken geführt, daß die erbliche Disposition für Gestaltreizung im Grunde Ähnlichkeit darböte mit der Disposition, die Gedächtnis- residuen früherer Eindrücke für die Wirkung späterer Reaktionen darbieten. | Auf der anderen Seite aber dokumentiert sich die kompliziertere Natur und die größere Bedeutung des im skeletogenen Plasma Vor- handenen auch darin, dab im anormalen Geschehen, bei Störungen der normalen Entwicklung, der Anschein entsteht, als ob neben den (veränderten) Gestaltreizen und den letzten Akten der Ausführung, ein Etwas wirksam wäre, das gleichwohl die Formbildung zum normalen Ziele hinzuführen strebte. Wenn dieser Anschein nicht zu der unnaturwissenschaftlichen Annahme einer rätselhaften Wir- kung des zukünftigen Ganzen, des Zieles führen soll, so muß man annehmen, dab jenes „Streben“ zum Ziel sich einfach dadurch er- klärt, daß erbliche Residuen (Engramme) der definitiven Gestalt oder ihrer Teile mit wirksam sind und nur eine Wirkung eines zukünf- tigen metaphysischen „Zieles“ vortäuschen. Unsere weiteren Ausführungen sind dann der Aufgabe gewidmet, deutlich zu machen, wie die Gestaltreize mit den erblichen Gestalt- residuen zusammenwirken und wie sich ihre Wirkung sozusagen an den richtigen Stellen des Kalkkörpers äußern kann. Wir hoffen zeigen zu können, daß sich in den von uns entwickelten Gedanken- sängen kein Schritt findet, den der Naturforscher Grund hätte nicht mit zu tun. Ja wir können die bei unserem Objekt vorliegenden Verhältnisse in engste Beziehung setzen zu den Verhältnissen bei anderen bekannteren Gegenständen der Forschung, besonders zu einigen Problemen der Gehirnphysiologie und zu der „trial and error“- Methode im „Verhalten“ der Organismen. — 104 | SIEGFRIED BECHER, Wir wollen zunächst die Orientierung des Primärstäb- chens von Anker und Platte betrachten. Schon bei der aller- ersten Anlage, wenn die Falten der Körperwand noch keinen ein- fach mechanischen Einfluß ausüben können, sehen wir das kleine Ankerstäbchen in bestimmter Orientierung zu der Körperwand an- gelegt. Dasselbe gilt von dem Primärstäbchen der Platte, wenn sie sich einmal ausnahmsweise ohne Anker entwickelt. Beachtenswert ist ferner, daß die Stäbchen, je nachdem ob aus ihnen ein Anker oder eine Platte wird, (bei Typus I) eine andere Orientierung annehmen. Diese Verschiedenheit der Lage kann aber trotzdem nicht mit dem Habitus des angelegten Stäbchens direkt und unbedingt in Zusammenhang stehen; denn wir sehen einerseits bei anderen Synaptiden die Primärstäbchen der Platten parallel den Ankern angelegt und wissen schon, daß auch bei den Arten vom Typus (1) der Zeptosynapta bergensis und inhaerens das Plattenstäbchen anormalerweise einmal in derselben Richtung wie der Anker angelegt werden kann. Daraus ziehen wir den Schluß, daß die schon in der Anlage von Anker und Platte hervor- tretende Verschiedenheit in erblichen Dispositionen des Scleroplasmas vorhanden sein muß. Schon bei der ersten Anlage eines Primärstäbchens ist die Entscheidung darüber ge- fallen, ob daraus ein Anker oder eine Platte werden soll. Diemechanischen Faktoren der Umgebungkönnen nicht das allein Entscheidende sein; dennsonst müßte z.B. aus einem sich selbständig entwickelnden Primär- stäbchen einer Platte (vom 1. Typus) nach zufälliger Drehung um 90° ein Anker werden, was nicht der Fall ist. Es wird also nicht zunächst ein gemeinsames Grundschema angelegt, aus dem nachträglich noch Anker oder Platte werden kann, sondern die Entscheidung: Anker oder Platte ist in der Tat schon bei der ersten Anlage des Primärstäbchens getroffen. Insofern zeigt die Formbildungschon beidiesem ersten Schritt einen präformistischen Charakter. Daß dieser Präformismus in der Gestaltung kein absoluter ist, wird sich gleich ergeben. Aber auch wenn die Entscheidung darüber, ob ein Anker oder eine Platte gebildet werden soll, von Ursachen getroffen wird, die man zu dem dunklen Komplex der „inneren, erblichen Ur- sachen“ zu rechnen gezwungen ist, so muß wegen der Orientierung der Gebilde zu den Hauptrichtungen des Körpers trotzdem irgend- ein äußerer Einfluß auf das Scleroplasma ausgeübt werden, nach welchem die Orientierung des sich bildenden Stäbchens sich Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 105 vollziehen kann. Auch wenn die Primärstäbchen nicht grob durch die Falten der Körperwand in eine be- stimmte Richtung gezwängt werden, so kann doch das Scleroplasma — so rätselhaft seine Leistung auch sein mag — die richtige Orientierung nicht sozusagen aus der Luft greifen. Die durchgängige gesetzmäßige Bedingtheit aller Vorgänge zwingt eine Ursache der Orientierung anzunehmen, und da die Orientierung sich auf den übrigen Körper bezieht, so muß in dem Körper eine solche Orientie- rungsmöglichkeit gegeben sein. Nun ist diese Schwierigkeit in unserem Falle nicht so groß, wie sie WoopLAND im allgemeinen für Scleroblasten hingestellt hatte. Die Verbindung der Skeletbildner mit Teilen des übrigen Körpers, um die es sich bei dieser Frage natürlich handeln muß, ist in unserem Falle nämlich tatsächlich gegeben. WoonpLAnD selbst hat (1907, 7, p. 486—488 und 496; tab. 29, fig. 1) nachgewiesen, dab das Syncytium, in dem Anker und Platte entstehen, in direktem Zusammenhang mit dem äußeren Epithel steht. Dieser Zusammen- hang ist ohne Zweifel vorhanden, obwohl wir Bedenken tragen, mit WoopLAND einen ectoderm-epithelialen Ursprung jenes Syncytiums anzunehmen. Dagegen scheint gleichfalls festzustehen, dab auch später das Syncytium durch einige protoplasmatische Züge mit dem äußeren Epithel in Verbindung bleibt (l. c, p. 487). Es ist wahrscheinlich, daß durch diesen Zu- sammenhang der die Orientierung vermittelnde Reiz übertragen wird, und diese Folgerung steht in gutem Ein- klang mit der Annahme, zu der wir im 3. Teile unserer Unter- suchung geführt wurden. Dort hatten wir vermutet, daß es entweder Ringmuskelfasern, Bindegewebszüge der Cutis oder feinste Fält- chen der Epidermis sein müßten, nach der die Richtung der jungen Primärstäbchen von Ankern und isolierten Plasten stattfinden könnte. WoopuLAnp’s Beobachtung stützt natürlich die letztere Ansicht. Wir sehen aus unserer bisherigen Erörterung, daß die Erklä- rung der ersten Orientierung auch dann nicht hoffnungslos ist, wenn man die grobmechanische Wirkung der Umgebung nicht heranzieht. Nun entsteht für uns die Frage: wie haben wir uns die Wirkung der feinen Falten der Epidermis (bzw. der Bindegewebszüge usw.) vorzustellen. Wir begnügen uns im wesentlichen mit einer Interpretierung der Tatsachen. Das Syn- 106 À LS EE SIEGFRIED BECHER, cytium hängt zunächst innig mit der Epidermis zusammen. Die Querfalten derselben werden also in dem Syncytium bestimmte Ein- drücke erzeugen. Diese Eindrücke müssen die Ursache für die Orientierung des Primärstäbchens abgeben. Nun ist freilich nicht einzusehen, wieso diese eventuell auftretenden Eindrücke für die Ab- lagerung des kohlensauren Kalkes in dem Syncytium bestimmend werden sollten. Vielleicht wäre es bei Heranziehung der Erfah- rungen über Krystallomorphenbildung noch einigermaßen verständ- lich, dab das Ankerstäbchen jenen Fältchen parallel abgelagert wird, aber dann müßte es um so mehr wundernehmen, wenn andere Primär- stäbchen durch dieselben Faktoren in dazu senkrechte Richtung ge- zwungen würden. Und dazu kommt, daß nicht zufällig etwa ein Stäbchen bald quer bald längs angelegt wird, sondern daß regelmäßig die einen quer, dieanderen, nämlich die von Platten (vom I. Typus), längs angelegt werden, ohne daß doch dieser Unterschied in der Richtung mit dem Habitus des Stäbchens unbedingt zusammenhinge und: in einem damit bestimmt würde (vgl. oben. Aus alledem folgt, daß es sich in der Tat nicht um einen unvermittelten Einfluß der Eindrücke des Syncytiums handeln kann, sondern daß die Einwirkung von der Art jener eigen- artigen Auslösungswirkungen sein muß, die für die Reizwirkung charakteristisch ist. Es muß eine erbliche Verschiedenheit vorhanden sein, durch die bestimmt wird, daß die Ankerprimärstäbchen parallel, diejenigen der Platten senkrecht zu den Falten der Körperwand gebildet werden. Der Eindruck des Syneytiums bietet dann sozusagen das Mittel, durch das diese erblichen, verschiedenen Bestimmungen sich betätigen können. Wenn die Platte erblich bestimmt wird, sich mit einem dem Anker paral- lelen Stäbchen anzulegen, so kann dieser durch die Erbanlagen auf- sedrängten Forderung an der Hand der orientierenden Falten genügt werden. Eben dieSelbstandigkeit der Orientierung gegen- über dem orientierenden Mittel zeigt unverkennbar, daß es sich um einen mittelbaren, nämlich durch die Erbanlagen vermittelten, AuslésungsprozeB, handelt. Wir haben jetzt über die Beeinflussung herausbekommen, dab es eine auslösende Reizwirkung ist, die erbliche Dispositionen vor- aussetzt. Diese Erkenntnis ist schon sehr wichtig; wir müssen jetzt aber noch weiter fragen: wie kann man sich den richtenden auslösenden Einfluß vorstellen; in welcher Weise kann sich die angenommene Einwirkung vollziehen? Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 107 Hier liegt eben noch ein besonderes Problem, das wir zwar nicht restlos lösen können, da wir dazu wohl des Schlüssels zu den Lebens- prozessen überhaupt bedürften, das wir aber trotzdem uns in seiner Eigenart möglichst deutlich machen müssen. Wir haben ein Syn- cytium, einen Protoplasmaklumpen mit Kernen. Auf einer Seite dieser zähflüssigen Masse werden einige Falten eingedrückt. Frage: wie kann dieser eine Richtung festlegende Eindruck für eine andere Richtung bestimmend werden? Durch direkten Kontakt u- dgl. kann die Bestimmung nicht vor sich gehen, dem widerspricht, daß auch senkrechte Orientierung zu den Falten stattfinden kann. Die Sache ist also, daß in dem Protoplasma an einer Seite durch eine Falte ein Reiz gebracht wird, der eine Rich- tung festlegt, und dab nun das Plasma imstande ist, an anderer Stelle seine Bildungen nach dieser Richtung einzustellen. Da das Plasma nicht fest ist und keine sichtbare, das ganze Syncytium durch- setzende, geeignet? Architektonik besitzt (die überdies bei Bewegung des Plasmas gestört werden würde), so ist es schwer, sich davon ein wirkliches Bild zu machen. Nun braucht man nicht zu befürchten, daß ich auf Grund dieser Tatsache mit einer Fernwirkung der einen Richtung auf die andere anrücken und sogleich einen Vitalismus anführen wollte. Das Plasma zeigt ja sicherlich Reizleitung als ganz allgemeine Eigentümlich- keit, so daß für eine Vermittlung von der einen Richtung zu der anderen schon gesorgt ist. Und gegen einen voreiligen Vitalismus mag eine physikalische Analogie (die nicht etwa eine Erklärung sein will!) angeführt werden. Man denke sich einen Stabmagnet und darunter ein Eisenstäbchen. Der Stabmagnet soll horizontal und festliegen, das Eisenstäbchen aber um seine Mitte, die gerade unter der Magnetrichtung liegt, in horizontaler Richtung drehbar sein. Dann oibt es zwei Ruhelagen für das Eisenstäbchen, diejenige parallel und diejenige senkrecht zu dem Magnetstab. Auch diese Analogie hinkt natürlich, denn die eine Ruhelage des Eisenstäbchens würde nur eine labile sein. Es wäre aber ein leichtes, sich einen kompli- zierteren mechanischen oder elektrischen Apparat auszudenken, der so eingerichtet wire, dab bei der bestimmten Stellung eines Hebels ein anderer nur die parallele oder dazu senkrechte Stellung ein- nehmen könnte. ‚Jeder Techniker stellt ohne weiteres eine solche Vorrichtung her, wenn sie — etwa als Sicherheitseinrichtung oder dgl. — gebraucht wird. Auch eine derartige Einrichtung würde dann freilich noch viel Starrer sein als diejenige, die man in dem Sclero- 108 _ SIEGFRIED BECHER, syncytium voraussetzen muß. Aber sie ließe sich beweglicher her- stellen, wenn man mit der nötigen Geduld größere Komplikation an- wendete. Auf diesem Wege könnte man dem organischen Phänomen mit maschinellen Einrichtungen, in der Leistung wenigstens, nach- streben. Ob dieses Nachstreben immer weiter getrieben werden: könnte und ob es die Wissenschaft nicht lieber doch mit einer vita- listischen Annahme versuchen sollte, steht dahin. Wir wollten mit unserer Analogie nur dartun, daß uns die Frage Vitalismus oder Mechanismusbei jenem Problem nicht zu beeinflussen braucht. Nach diesem ersten Zusammentreffen mit einem eigenartigen Problem bei der Erörterung der Orientierung selbständiger Primär- kreuze von Anker und Platte gehen wir jetzt zu der Besprechung einer weiteren Einzelheit unserer Beobachtungen über. Was be- stimmt die Orientierung der Plattenprimärstäbchen indem normalen Fall, in dem sich die Platten immer in Zusammenhang mit einem Anker, und zwar geraume Zeit später als dieser, anlegen? Auch hier könnte, wie schon oben im dritten Abschnitt dargelegt wurde, der bestimmende Reiz von den Falten der Haut ausgehen. Aber wir haben bereits aus- geführt, daß es wahrscheinlicher ist, daß in diesem Falle dieser Reiz wenigstens nicht allein wirkt. Die Tatsache, daß man gelegentlich Anker findet, die nicht genau quer liegen und deren zugehöriges lattenprimärkreuz trotzdem senkrecht auf dem Anker steht, machen es zwar nicht sicher, aber doch etwas wahrscheinlich, daß die Orien- tierung in dem normalen Falle sich nach dem Anker richtet. Es spricht ja auch nichts dagegen, daß sowohl die Falten!) der Körper- wand wie auch der Anker hier als Orientierungsreiz dienen können. Wie ist nun die Abhängigkeit des Primärkreuzes der Platte von dem Anker zu verstehen? Beides sind, wie wir wissen, ge- trennte Teile, und zwar Teile, die tot sind und die aktiv keinen Einfluß ausüben können. Die Richtung des Ankerschaftes muß aber irgendwie wirksam werden. Die Frage hat auf den ersten Blick wegen der Selbständigkeit der beiden Gebilde einen paradoxen Charakter. Dies verliert sich 1) Hierzu ist ferner zu bedenken, daß die Verbindung des Syncy- tiums mit dem äußeren Epithel später nur noch durch einige dünne Stränge beibehalten wird (WOODLAND, 1907, 7, p. 487). Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 109 ‘aber bis zu einem gewissen Grade, wenn wir die in unserem Falle gut bekannten Protoplasmaverhältnisse bei dem Ursprung der beiden Teile in Betracht ziehen. Anker und Platte sind nämlich als Kalk- körper wohl selbständig, aber sie entstehen doch in ein und dem- ‚selben Syncytium. Diese Entdeckung verdanken wir WOODLAND (1907, 7, p. 487—489, 495, 497 und tab. 29 fig. 13— jen Von der Mitte des Ankers wandern, um die Zeit, } wenn dessen Arme ungefähr halbe Lange erreicht haben, etwa 6—10 mit entspre- chender Plasmamasse versehenen Kerne nach der Innenseite des Ankers und bilden dort einen leicht unterscheidbaren, aber doch mit dem anderen Teile des Syncytiums zusammenhängenden Klumpen (Fig. O). In diesem Klumpen entsteht die Platte. Die Wanderung einer Anzahl von Kernen nach der Stelle, wo das Plattenprimärkreuz an- — ‚gelegt werden soll, ist — wie schon Woop- LAND hervorgehoben hat — eine seltsame Erscheinung. Eine Erklärung dafür haben wir vor der Hand nicht. Man könnte ‚denken, daß dieses zweckmäßige Wandern mehrerer Kerne damit zusammenhinge, dab bei der Plattenanlage vor allem Kerne in -der Nähe sein müßten. Obwohl nun zwar SCHAXEL (1910, p. 576—578, Textfig. 7 u. Fig 0. tab. 23 fig. 78—83) beobachtete, daß die AnkerundPlattenprimärkreuz ersten Anlagen der Kalkkörper von (aus von Leptosynapta inhaerens dem Kern emittiertem) Chromatin umgeben en en sind, so spricht doch das Vorhandensein Nach Woopranp, 1907, 7; tab. von nur wenigen Kernen (2) in dem Plasma- ah de überzug komplizierter Holothurienkalk- körper nicht für einen unvermittelten Einfluß der Kerne. Die Kerne liegen oft sehr weit von den Stellen lebhaftesten Wachstums ab, und ihre nähere Umgebung zeichnet sich manchmal eher durch Mangel von Kalkablagerung als durch Steigerung aus. Wenn überall emittiertes Chromatin die eigentlichen Zelleistungen anregte, so wäre ‘dieses Fernsein der Kerne allerdings verständlich. Auf die Bildung des besonderen Plasmaklumpens für die Plattenanlage läßt sich jedenfalls die Tat- 110 SIEGFRIED BECHER, sache zurückführen, daß das Plattenprimärstäbchen immer etwa in der Mitte des Ankerschaftes angelegt wird. Leider ist das, worauf wir zurückführen, die Lokalisation der Kerngruppe, selbst unverständlich. Während der späteren Stadien der Plattenbildung trennen sich dann die beiden Teile der gesamten Plasmamenge immer mehr von- einander ab. Es hängt das, wie WooDLAND vermutet, mit der früher besprochenen Divergenz von Anker und Plattenebene zusammen. „the syncytia of the anchor and of the plate in fact alone remain continuous at the joint formed between the handle of the anchor and the base of the plate“ (l. c., p. 489). Dort bleibt die Verbindung bestehen und trägt wahrscheinlich zu der Fixierung des Drehungs- punktes des Ankers auf der Platte bei. In Anbetracht dieser Tatsachen reduziert sich das obige Pro- blem auf dasjenige, das uns zuerst beschäftigte. Wenn der Anker- schaft durch dasselbe Syncytium verläuft, so ist seine Beeinflussung des Plattenprimärkreuzes offenbar von derselben Art wie der Einfluß jener feinen Epidermisfalten auf die Anlage des Ankerstäbchens selbst. Trotzdem ist dieser neue Fall von Richtungsbeeinflussung insofern noch lehrreicher, als bei ihm die Möglichkeit einer grobmechanischen Erklärung vollkommen fehlt. Die Epidermisfalten waren immerhin Gebilde, die auftreten und verschwinden, die in Bewegung sind und eventuell während ihres Entstehens ein kleines Kalkstückchen fassen und passiv in seiner Lage beeinflussen könnten. Diese Möglich- keit ist zwar, wie wir sahen, sehr unwahrscheinlich, aber esist doch von Nutzen, sich deutlich zu machen, daß sie bei dem toten Kalkgebilde, bei dem Anker- schaft, überhaupt ausgeschlossen ist. Wenn wir hier eine erobmechanische Erklärung suchten, so müßten wir immerhin schon die hydrodynamischen Spannungsverhältnisse zu Hilfe nehmen. Und diese würden es wieder sehr dunkel lassen, weshalb bei der einen Art das Plattenstäbchen durch diese Einflüsse quer, bei anderen längs gedreht wird. Die weitere Analyse anderer Beobachtungen wird uns aber mehr fördern als eine durch keine Tatsachen gestützte mechanische Fiktion über die mögliche Art der richtenden Wirkung, den der Ankerschaft ausübt. Bedenken wir zunächst, daß sich das Primär- stäbchen gabelt und dadurch vier Enden bekommt, die an sich keine Verschiedenheiten aufweisen. Trotzdem geschieht an den 4 Enden Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. LL nachher nicht dasselbe. Normalerweise treten die Symmetriehörner zuerst an 2 ,ungleichnamigen“ Enden auf — wenigstens bei den Platten nach dem Typus (1) der Leptosynapta bergensis. Aber auch, wenn sich die im 3. Abschnitt beschrie- benen korrelativen Verhältnisse offen- baren, treten immer zunächst nur 2 Symmetriehörner auf (vgl. Fig. K,N und die nebenstehende Fig. P) und zwar, wie wir sahen, immer an 2 Enden, deren Verbindungslinie der Längsachse des Tieres parallel läuft. Ferner ist zu be- achten, daß die ersten primären Sym- metriehörner sich etwas gegeneinander wenden (,,innere“ Symmetriehörner sind), wogegen sich normalerweise die äußeren Gabeläste derselben Primärkreuzenden (sekundäre Symmetriehörner) erst eine Kleinigkeit später zeigen. Wir dachten schon daran (vgl. oben S. 63), die Rich- tung der ersten, d. h. der inneren Sym- metriehörner und die dadurch erfolgte erste Andeutung der Längsstreckung der Platte in Beziehung zu setzen mit den D lien der zus us Fe Que Anker- und Plattenentwicklungs- sprechendes Auswachsen in die Breite stadium. Das Primärkreuz ist hinderten. Aber diese einfach mechani- gegenüber der Normallage um os is 90° gedreht. Trotzdem sind die sche Uberlegung würde uns auch an primären Symmetriehörner (pS) dieser Stelle auf falsche Fährte führen; auch jetzt dem Ankerbogen zu- : gekehrt. sSsekundäre Symmetrie- denn kurz nachher beweist das horner. Leptosynapta bergensis. Auftreten dersekundären, äuße- 180 : 1. ren Symmetriehôürner, daß durch- aus keine mechanische Unmöglichkeit vorliegt, gegen die Querfalten hin Fortsätze zu treiben. Das bestätigt sich später durch weitere in Querrichtung abgehende Äste des Kalkkörpers. Allerhöchstens könnte durch seitlichen Druck die Bildung der äußeren Symmetriehörner etwas gehemmt und ver- spätet werden. Ich glaube aber, daß es sich auch in diesem Falle weniger um eine direkte Bewirkung als vielmehr um eine Aus- lösung handelt, die dann allerdings durch irgendwelche äußere Reize vermittelt werden muß. Daß orientierende Momente vor- Fig Pl: 112 SIEGFRIED BECHER, ‘handen sein müssen, geht ja auch deutlich aus der Korrelation hervor. Wenn in normaler Lage (bei weiterer Gabelung eines der 4 Primärkreuzenden) der linke Ast zum voraneilenden inneren Symmetrie- horn wird, so kann bei Drehung des Kreuzes um 90° die Sache gerade umgekehrt werden: nun wird das linke Ende zum kleineren äußeren Horn, und der rechte Gabelast eilt in der Entwicklung voran. Es müssen hier natürlich orientierende Reize vorhanden gewesen sein, die trotz der veränderten Lage die richtige Ausbildung auslösten. Und wenn wir uns nun fragen, woher können diese Reize ge- kommen sein, so müssen wir wiederum zwei Quellen anführen, die wir schon oben anzunehmen genötigt waren. In dem normalen Falle, in dem die Platte mit einem Anker assoziiert ist, könnte die Be- stimmung der Richtung der größeren Hörner vielleicht von dem ge- richteten Ankerschaft (oder dem Bogen) ausgehen. Es ist mir auch wahrscheinlich, daß dessen schon oben erörterter richtender Einfluß tatsächlich vorhanden ist. Manche Stadien scheinen direkt einen wachstumfördernden Einfluß in der Nähe des Ankerschaftes oder -bogens zu beweisen: bei etwas schief liegenden Primärkreuzen findet man nicht selten den dem Ankerschaft genäherten Ast erheblich ver- stärkt (vgl. Fig. Qa und b). Andere auch nicht seltene Fälle, in denen gerade ein dem Ankerschaft entfernt liegender Ast verstärkt ist, sprechen allerdings gegen diese Deutung und schieben diese Vor- Fig. Q. Die Primärkreuze liegen etwas schief, und das dem Ankerbogen und -schaft ge- näherte Ende ist dabei vergrößert worden. Bei c scheinen zwei obere Fortsätze der Platte durch den anormal liegenden Bogen beeinflußt zu sein. Bge Bügelende. sS sekundäres Symmetriehorn. (Leptosynapta bergensis.) 180:1. Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 113 kommnisse in das Reich der zufälligen, d. h. unkontrollierbaren Un- regelmäßigkeiten. Andererseits zeigen aber die sich selbständig ent- wickelnden Platten in normaler wie in der gedrehten Lage, dab der Einfluß des Ankers nicht unbedingt notwendig ist. Es liegt hier ähnlich wie in der Frage nach der Lagerung des Plattenprimärstäbchens. Auch in unserem Falle werden wahrscheinlich die durch die feinen oder großen Querfalten der Körperwand gesetzten Reize den Anker unterstützen und bei den isolierten Platten vertreten können. Bis ‚hierhin erweisen sich also — gleichgültig, woher die orientierenden Reize kommen — die Schwierigkeiten im wesentlichen von derselben Art, wie in den oben diskutierten Fällen. Neben der Frage: warum liegen die großen Sym- metriehörner immerin der Längsrichtung des Tieres, steht aber die selbständige neue Frage: Wie kommt es, daß die Symmetriehörner immer nuran 2 und zwar an 2 benachbarten Enden des Primärkreuzes gebildet werden? Betrachten wir zunächst den normalen Fall, d, h. denjenigen, in dem die sich bildende Platte bei einem zugehörigen Anker liegt. In diesem Falle werden unbekümmert um die Längs- oder Querlage des Primärkreuzes die Symmetriehörner an diejenigen Enden angesetzt, die dem Ankerbogen zugekehrt sind. Man wird infolgedessen schnell mit der Vermutung bei der Hand sein, daß der Bogenteil des Ankers den auslösenden Reiz dafür abgibt, daß die Hörner immer ihm zu- gekehrt sind. Man könnte denken, daß das Syncytium an dem Bogen- ende auseinandergespannt würde und daß dadurch Spannungen in dem Syncytium aufträten, die die dem Bogen benachbarten Primär- kreuzenden wegen ihrer Lage zu stärkerer Bildung reizten. Aber in Wirklichkeit liegt die Sache erheblich verwickelter, obwohl man schon aus dieser Vermutung erkennen kann, daß eine ganz einfache grobmechanische Fiktion in diesem Falle zur Erklärung keinesfalls ausreicht. Die beobachteten tatsächlichen Verhältnisse erschweren aber die Sache noch mehr. In Wirklichkeit reicht die Plasmamenge bei der allmählichen Größenzunahme von Anker und Platte nicht mehr aus, um einen großen Tropfen zu bilden, in dem nun beide Spieula eingebettet lägen. Vielmehr umhüllt das Plasma später die _Kalkkôrper nur noch in ziemlich dünner Schicht. Zwischen Anker- bogen und Haut, wo sich natürlich bei der Ausbildung der Anker- arme zuerst eine Art Plasmahaut ausdehnen muß, bilden sich später 2 große Lücken aus, so daß das Plasma den Anker auch an den Seiten Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Zool. u. Physiol. 8 114 SP SIEGFRIED BECHER, nur noch in dünner Schicht umkleidet und außerdem nur noch 2 Plasma- ‘strange von den Ankerspitzen zur Handhabe als Rest der Haut er- halten bleiben (vgl. Woonzaxn, 1907, 7, tab. 29 u. 30 fig. 18 u. 20— 23, sowie p. 489, 490 u. 497). Ebenso liegt auch das den: -Primärkreuz der Platte nicht mehr in einem rundlichen Protoplasma- tropfen, sondern das Plasma hat sich um die beiden gegabelten Enden der Plattenanlage zu einer dünnen umhüllenden Membran ausgezogen. Die Sache liegt also in Wirklichkeit so: wenn der Ankerbogen auf die beiden ihm benachbarten Enden des Primärkreuzes wirken soll, so muß der Reiz, der von ihm ausgeht, am Ankerschaft vorbei an die Stelle gelangen, wo das Primärstäbchen der Plattenanlageliegtund wo Anker- undPlattenteil des Syncytiums immernochzusammen- hängen. Hier kann der Reiz dann in das Plattenplasma übergehen und muß sich durch den feinen Überzug kalkbildenden Plasmas bis zu seinem Wirkungsort fortpflanzen. Nun ist aber zu bedenken, daß der Weg von der Zusammenhangsstelle der Plasmamassen bis zu den beiden der Handhabe zugewendeten Seiten des Primärkreuzes durch- aus nicht weiter ist als bis zu den dem Anker benachbarten Enden. Es ist somit gar nicht einzusehen, warum der morpho- ‘gene Reiz, der von dem Anker ausgeht, nur an 2 freien Enden wirkt. Man könnte nun natürlich annehmen, daß sich in der umhüllenden Protoplasmaschicht des einen Endenpaares Strukturen fänden, die die Reizleitung dorthin förderten bzw. hemmten. Aber eine solche Annahme würde das Problem doch wenigstens zum Teil nur verschieben, denn man könnte ihr gegenüber mit der Frage ‘nachriicken: woher kommt denn die Verschiedenheit der fordernden “oder hemmenden Differenzierung ? Man erkennt unschwer, daß hier ein Problem fange das Drizsch zuerst gesehen hat. Es ist das Problem der Möglichkeit von Differenzierung in einem „harmonisch äquipotentiellen System“ (vgl. Driesch, 1899, Abschnitt 3, p. 68ff.; 1901, p. 170 bis: 182; 1904, 'p. 115 und 116; 1909, Vol. 1, p: 119-150, 159). "Die vier freien Enden des Plattenprimärkreuzes bilden in der Tat nachweislich ein solches System: jedes Ende der Platte kann je nach den Umständen die spätere ‘normale Leistung eines anderen Endes übernehmen. -Der Inbegriff der an jedem Ende möglichen Prozesse ist weiter als ‚derjenige der wirklich stattfindenden morphogenen Vorgänge. Mit 'Driesch gesprochen: die u: Potenz - ist Me als die Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 115 prospektive Bedeutung. Man darf an der Anwendung des Wortes „prospektive Potenz“ bei den toten Kalkkörpern keinen Anstoß nehmen; denn der Ausdruck bezieht sich natürlich auf die an den Kalkkörpern möglichen Prozesse. Auch liegt in unserem Falle die Sache nicht so, daß man darin einen Beweis oder ein Indizium für den Vitalismus sehen könnte. Denn es ist zwar aus den vorliegenden Tatsachen nicht ersichtlich, wie der Ankerbogen die ihm zugewendeten Primärkreuzenden allein beeinflussen soll, indessen ist eine solche Beeinflussung doch sehr wohl denkbar. Die Wendung, die der Reiz auf seinem Wege zu den vorderen Fortsätzen zu machen hat, könnte einen gewissen Einfluß ausüben oder ähnliche unbekannte Verhältnisse in Betracht kommen. Es hat natürlich kein Interesse, solche Möglichkeiten ‚weiter auszuführen, denn sie sind vor der Hand reine Fiktionen. Nun ist aber ferner zu bedenken, welcher Art denn der vom Ankerbogen zu den Primärkreuzenden gehende Reiz sein kann. Sicherlich muß dieser Reiz fähig sein sich aus- zubreiten; denn es findet eine Vermittlung vom Bogenende zum Plattenkreuz hin statt. Mechanische Einflüsse, Spannung, Zug und dergleichen, können sich beim Vorhandensein vermittelnder Teile übertragen, aber wir fanden es schon oben unwahrscheinlich, daß derartige grobe Verhältnisse im Spiel sind. Es könnte sich ferner um einen chemischen Einfluß handeln, der keine Schwierigkeit hätte sich in dem Plasma auszubreiten. Aber ein solcher chemischer Ein- fluf (etwa eine Substanz, die sich am Bogenende bildete) würde andrerseits der Erklärung besonders große Schwierigkeiten machen. Denn eine solche Substanz würde sich in dem Syncytium gleich- ‚mäßig ausbreiten, und es wäre dabei in der Tat kaum zu erklären, warum sie eine lokalisierte und keine allgemeine Wirkung ausübte. Dazu kommt, daß es schwer begreiflich ist, warum bei der Anlage des Ankerbogens eine besondere chemische Substanz gebildet werden sollte. Die Ablagerung von Kalk ist am Ankerbogen dieselbe wie an anderen Teilen der Kalkkörper, und wenn am Bogen besondere Substanzen gebildet würden, so wäre wahrscheinlich Ähnliches für andere Teile anzunehmen. Wenn aber jeder besondere Formteil eines Kalkgebildes eine besondere chemische Substanz entstehen ließe, so müßte der Gesamtreiz, der vom Anker ausginge, sozusagen ein Gemisch verschiedener chemischer Substanzen darstellen; diese -Substanzen würden sich bei ihrer Ausbreitung mengen, und es wäre ‚kaum vorzustellen, wie trotz einer solchen durcheinandergehenden 8* 116 | SIEGFRIED BECHER, Mischung der Reiz des Ankerbogens sozusagen als etwas Besonderes an besonderen Stellen individuell wirken könnte. Diese Erklärungs- möglichkeit scheint mir also deutlich die Spuren einer künstlichen Erfindung ad hoc aufzuweisen und keine wirkliche Erklärung dar- zustellen. | Exkurs über eine eventuelle Polarität des skeletogenen Plasmas und Kritik dieser Hypothese. Angesichts der offenbaren Unzulänglichkeit solcher Vorstellungen ist man versucht, einmal einen ganz anderen Weg. einzuschlagen, um die Schwierigkeit zu umgehen. Wir könnten die dem Kor- relationstheoretiker naheliegende Frage aufwerfen, ob die Abhängig- keit von Bogen und Symmetriehörnern überhaupt eine direkte ursäch- liche Verkettung dieser Gebilde wirklich beweist und ob nicht viel- mehr hinter dem augenfälligen Schein ein gemeinsames Drittes steckt, das seinerseits sowohl die Ankerorientierung wie die Lokalisation der Symmetriehörner bedingt. Damit wäre eine direkte Wirkung des Bogens auf die Symmetriehörner überflüssig, die Korrelation von Anker und Platte wäre Pseudokorrelation, und die ganzen Schwierig- keiten scheinen wegzufallen. Dieses verborgene Dritte, das von sich aus die Lokalisation von Ankerbogen und Symmetriehörnern bedingte, kann man sich als eine ‘Polarisation des Plasmas in dem Anker-Plattensyncytium denken. Man könnte annehmen, daß sich in Orientierung zu den Fältchen der Epidermis, mit der das Syneytium ja eng zusammenhängt, im skeletbildenden Plasma eine Polarität herausbildete, und könnte sich diese Polarität etwa durch ein Gefälle irgendwelcher Art, etwa in dem Mengen- ‚verhältnis bestimmter Substanzen oder ähnlich vorstellen. Die Rich- tung dieser Polarität müßte mit der Querrichtung der Körperwand zusammenfallen. Diese Lage würde freilich schon eine ganz ähnliche Orientierung zu den Epidermisfältchen voraussetzen, wie wir sie oben für die Anlage von Anker- und Plattenprimärstäbchen annahmen, aber das brauchte noch nicht gegen die Annahme zu sprechen, denn um diese rätselhafte Orientierungsfähigkeit des Plasmas kommen wir doch ein- mal nicht herum. Ankerstäbchen und Plattenstäbchen könnten dann in ihrer Lage anstatt unmittelbar durch orientierende Strukturen, die auf das Syn- cytium wirkten, einfach nach der nun einmal vorhandenen polaren Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. +17 Verschiedenheit angelegt werden. Man müßte sich vorstellen, daß in dem polarisierten Protoplasma ein freies Kalkstäbchen nur in Richtung größten Gefälles oder in einer Richtung gar keines Gefälles möglich ware. So würden denn Anker und Plattenprimärstäbchen sich bilden können. | Die Polarität kann jedoch nicht erklären, warum aus dem einen Stäbchen ein Anker und aus dem anderen eine Platte wird. Wenn die Entscheidung darüber in der Polarität läge, so müßte ein um 90° gedrehtes Plattenprimärkreuz zum Anker werden, was, wie wir sahen, nicht der Fall ist. An den Enden eines gedrehten Primär- stäbchens müssen, soweit die Polarität in Betracht kommt, ganz ähnliche Bedingungen herrschen wie an den Enden eines gleich- langen ebenso gelagerten Ankerstäbchens. Wenn hier trotzdem Ver- schiedenes entsteht, so ist deutlich, daß die Polaritätsannahme hier nicht ausreicht. und daß die Entscheidung in diesem Falle durch andere Momente gegeben werden muß. Welches diese anderen Um- stände sind, soll uns später beschäftigen. Dagegen könnten von der Polarität aus die auslösenden Be- dingungen dafür gegeben werden, daß an dem einen Ende des langen Ankerstabes ein Bogen, an dem anderen Ende dagegen eine Hand- habe entsteht; denn entsprechend der Polaritätsannahme wird an dem einen Ende ein anderer Protoplasmazustand oder wenigstens andere Bedingungen herrschen als an dem anderen. Und diese Ver- schiedenheit der Bedingungen könnte eben die Auslösung der ver- schiedenen morphogenen Prozesse bedingen, die zur Bogen- bzw. Bügelendbildung führen. Vortreffliche Dienste würde die Polaritätshypo- these auch zur Erklärung des Auftretens der Sym- metriehörner tun. Wenn das Plasma des Syncytiums polar orientiert ist, so werden an dem einen Paar der Primärkreuzenden andere Bedingungen herrschen als an dem anderen Paar, so dab wiederum eine Verschiedenheit herrschte, die als Auslösung der verschiedenen Leistungen in Betracht kommen könnte Auch würde. ohne weiteres deutlich werden, daß nach Drehung des Primärkreuzes trotzdem die Symmetrie- hörner an den Enden auftreten müssen, an denen sie nach unseren Beobachtungen wirklich auftreten; denn die durch die Polarität bedingte Verschiedenheit würde dann die 4 Primärkreuzenden in 2 andere Paare sondern. Das Bleiben der polaren Organisation des Plasmas trotz Drehung des Primär- 118 , SIEGFRIED BECHER, kreuzes würde in diesem Falle tatsächlich die Festlegung der Sym- metrieebene des Primärkreuzes in Querrichtung des Körpers hin- reichend verständlich machen. - Auch für die Auslösungen an anderen en als an den 4 Enden des Primärkreuzes könnte man die Polarität mit Vorteil heranziehen. Wenn man z. B. nicht eine einfache Polarisierung der letzten Plasmateile annähme, sondern ein Gefälle irgendeiner Art von dem einen Ende des spiculabildenden Syncytiums zum anderen, so wiirde sozusagen jedem Breitengrade in dem Syncytium ein Zu- stand entsprechen, der als auslésender Reiz fungieren kénnte. Die verschiedenen Kalkenden eines späteren Entwicklungsstadiums liegen nun in bezug auf unsere Polarität in verschiedenen „Breiten“ und könnten dementsprechend zu ihren verschiedenen Leistungen an- geregt werden. Diese Betrachtung ließe sich leicht für die Bildung von Bügel- und freiem Ende der Platte durchführen. Trotzdem hat die Polaritätshypothese große Schwächen. Einige derselben wurden schon oben erwähnt. Vor allem kommt aber in dieser Richtung noch folgendes in Betracht. Die Polaritätshypothese für sich genommen kann nicht er- klären, warum an verschiedenen Kalkstäbchen, diein derselben „Breite“ liegen, trotzdem Verschiedenes gebildet wird Wenn die zahlreichen Kalkstäbchen, die bei der Entstehung eines Bügelendes zuerst auftreten, alle dasselbe ent- stehen ließen, so wäre nicht begreiflich, daß das Bügelende in der Mitte viel länger wird als am Rand. Dazu kommt, daß sicherlich Schwankungen in der Lage des Primärkreuzes wie auch späterer Fortsätze stattfinden, man findet z. B. das Primärstäbchen manchmal dem Bogenende des Ankers mehr genähert als in anderen Fällen. Nach der Polarisationshypo- these wäre es nicht ohne weiteres verständlich, daß solche kleine Schwankungen nicht die auslösenden Reize und damit den ganzen Bau änderten. Eine Ver- schiebung eines Stäbchens in eine andere Breite ändert aber in Wirklichkeit nichts an der Weiterbildung dieses Stäbchens. Weiterhin würde die Polaritätsannahme denjenigen Merk- malen gegenüber versagen, die Anker und Platte zu einem dreidimensional differenzierten Gebilde machen. Ankerbogen und Ankerwulst erheben sich aus der Ebene des Schaftes, und dasselbe gilt für andere Teile, auch von der Platte. Der Bügel der Platte wird immer nach einer Richtung senkrecht von der Platten- Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 119 ebene angelegt, und es gibt Ankerplatten mit nach außen zu kon- kavem freiem Ende, die zudem an ihren Lochrändern Zähnchen tragen, die in ganz gesetzmäßiger Weise nach zwei verschiedenen Seiten aus der Plattenebene herausgerichtet sind (Fig. Da). _ Um diese Verhältnisse zu erklären, müßte man zu der be- sprochenen Polarität des Syneytiums ah eine ähnliche Polarität in der Richtung: ‚äußere Haut — Leibeshöhle annehmen, wodurch die Hypothese schon wesentlich kompliziert würde. | - Aber auch diese komplizierende Hilfsannahme würde die Polaritäts- hypothese noch nicht vollkommen machen können. Sie versagt auch dann noch durchaus gegenüber den in Fig. H dar- gestellten Stadien. Unbekümmert um die Polarität entsteht zuweilen ein doppeltes Bogen- oder Handhabenende an einem Anker. Man könnte demgegenüber vielleicht noch mit der Annahme kommen, dab die beiden gegabelten Ankerenden von Fig. Ha u. b an dem einen Ende des Syncytiums doch ungefähr denselben Bedingungen ausgesetzt wären und daher beide von demselben Polarisationseinfluß zur Handhabenbildung bestimmt würden. Aber diese Annahme ver- sagt völlig bei den anderen in Fig. H abgebildeten Stadien. Hier entstehen Ankerbogen und freie Plattenenden an fast diametral gegentiberliegenden Stellen. Bei Fig. Hf kann man noch einwenden, daß der eine Teil des Gesamtsyneytiums vielleicht erst später hinzu- kam, daß eine Verschmelzung zweier Syneytien stattgefunden haben Ente und daß nun entsprechend der Lage der Anker in beiden Syncytien entgegengesetzte Polarität herrschte und beibehalten wurde. Bei Fig. He, d, e ist dieser Ausweg aber nicht gangbar. Allerhöchstens könnte man hier daran denken, die Polaritätsrichtung verliefe in Richtung des unpaaren Handhabenendes des Ankers und die beiden Bogenenden reichten immer noch etwas in diejenige Sphäre des polarisierten Plasmas, in dem. Bogenbildung ausgelöst wird. Aber auch dieser an sich schon recht gewagte Ausweg kann noch weiter verschlossen werden; denn wir fanden es wahrscheinlich, daß z. B. Stadium d nicht use Vergabelung eines einfach een Hand- habenendes entstanden ist — wie es sein müßte, wenn die Polaritat in Richtung des unpaaren Handhabenendes Hasen sollte —, sondern dadurch, daß zunächst ein Bogenteil des Schaftes angelegt wurde und daß dieser sich dann in ein Handhaben- und ein Bogenende gabelte. Die ursprüngliche Polarisation fällt also, wie auch die orientierenden Hautfalten anzeigen, mit einem der Bogenschäfte zu- sammen und das zweite Bogenende entsteht tatsäch- 120 dr Srscrkien BECHER, — lich an einer Stelle, wo nach der Polarisationshypo- these unbedingt ein Handhabenende erwartet werden müßte! Noch deutlicher zeigt sich die Unzulänglichkeit der Polaritäts- annahme an Stadium Hb. In diesem Präparat sind zahlreiche (6) anormale kleine Bogenenden in ganz verschiedener Größe und Rich- tung ausgebildet. Aber davon abgesehen finden wir auf den ein- zelnen Bogen kleine Zähnchen, die nun trotz der ganz total ver- schiedenen Lage in bezug auf die Polarität des Plasmas alle gesetz-. mäßig wie unter normalen Verhältnissen auf der konvexen Seite der Bogen aufsitzen und ihre Spitzen von der Spitze der sie tragenden Bogen abwenden. Hier zeigt sich mit großer Sicherheit die Unzulänglichkeit der besprochenen Theorie und die Notwendigkeit, eine auslösende Wirkung der Ge- stalt in irgendeiner Form anzunehmen. Ein Indizium für die Unzulänglichkeit der Polaritätshypothese darf man wohl auch in den protoplasmatischen Verhältnissen selbst erblicken. Die Polarität müßte im Plasma schon bei der Anker- bildung vorhanden sein. Nun ist es jedenfalls seltsam, daß bei der Wanderung einer Reihe von Kernen vor Beginn der Plattenbildung keine Polaritätsstörung auftritt. Jedenfalls müßte hier eine neue _ Hilfsannahme eingeführt werden. Außerdem ist es gut sich deutlich zu machen, daß die Polaritäts- annahme auch dort, wo sie am besten zu stimmen scheint, etwa bei der Lokalisation der primären Symmetriehörner, immer doch nur eine Erklärung für die Verschiedenheit der Auslösung gibt. Sie könnte allenfalls deutlich machen, daß an einem Paar der Primäräste etwas anderes geschehen kann als an einem anderen, aber sie erklärt nicht im geringsten, warum nun dort gerade das geschieht, was normaler- weise geschehen muß. Die betreffenden Polarisationszustände mübten mit ganz bestimmten morphogenen Leistungen verknüpft sein, es muB zwischen den auslösenden Bedingungen und den ausgelösten Leistungen eine „Kausalharmonie“ bestehen (Drrescx 1909, Vol. 1, p. 109). Man kann natürlich annehmen, daß eine solche Harmonie tatsächlich vorhanden ist, aber jedenfalls läßt uns die Hypothese der Polarität eine solche Harmonie als etwas Seltsames erscheinen, während wir hoffen, daß nach den von uns später entwickelten Vorstellungen diese Kausalharmonie sich als etwas Natürliches ergeben wird, das in der Wesensverwandtschaft der auslösenden und ausgelösten Pro- zesse seinen Grund hat. | Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 391 Zusammenfassend können wir daher über eine Po- Jaritätsannahme sagen, daß sie für einige Prozesse, besonders für die normale und korrelative Anlage der Symmetriehörner, gut die auslösenden Momente dar- bieten könnte, dab sie aber an nicht wenigen Punkten zweifellosversagt und deshalb sicher nicht den Boden für ein vollständiges Verständnis der Auslösungen, geschweige der Formbildungen selbst darbieten kann. Da die Hypothese eine einheitliche Auffassung aller Auslösungen unter keinen Umständen gestattet, so haben wir sie nach dieser Be- trachtung im Folgenden beiseite gelassen — obwohl sie möglicher- weise eine beschränkte Gültigkeit haben könnte und obwohl eine solche beschränkte Bedeutung mit den von uns weiter unten ent- wickelten Vorstellungen sehr wohl zu vereinigen wäre. Denn auch wir können Querfältchen der Epidermis oder etwas Ähnliches für die ersten orientierenden Reize nicht entbehren und haben keinen direkten Grund zu bestreiten, dab nach diesen ersten orientierenden Reizen erst einmal eine Polarität des skeletogenen Plasmas erzeugt wird und daß diese dann noch etwas länger während der Entwick- lung als orientierendes Mittel von Einfluß ist. Die Unzulänglichkeit der Polaritätsannahme wirft ja ein etwas ungünstiges Licht auch auf ihre Anwendung in denjenigen Fällen, in denen sie genügende Erklärung darzubieten scheint. Festzuhalten bleibt vor allem, dab auch, wenn die — natürlich ganz hypothetische — Annahme einer Polarität des Plasmas richtig wäre, sie doch sicherlich nur einige Verschiedenheiten in den Bedingungen gäbe, die ev. als Auslösungen in Betracht kommen könnten, daß sie aber nicht nur in bezug auf die Auslösungen nicht allgemeine Gültigkeit beanspruchen kann, sondern vor allem auch nichts zum Verständnis der eigentlichen Formreaktionen und der Kausalharmonie von alle Reizen und Reaktionen beiträgt. Die Mitwirkung von Gestaltreizen der schon gebildeten Teile bei der Formbildung der noch zu bildenden. Es bliebe aber eine weitere Möglichkeit. Die Tatsache, daß der Reiz des Bogens fortgeleitet werden muß bis an die Enden des Plattenkreuzes, und zwar durch ziemlich dünne Protoplasmalamellen, erinnert, wie mir scheint, an die nervöse Leitung der Reize. Sicherlich würde auch die verfeinerte Form der Auslösung, wie sie durch nervöse Reize stattfinden kann, mit den Verhältnissen in unserem Falle in 122 SIEGFRIED BECHER, bestem Einklang sein. Auch unter diesem Gesichtspunkt müssen wir aber noch einmal auf die Spezifität des vom Bogen ausgehenden Reizes zu sprechen kommen. Chemisch, als kohlensaurer Kalk, kann der tote Ankerbogen nicht anders wirken als auch der Schaft des Ankers und seine Handhabe usw. Welche Form von Reizen kann überhaupt das tote Gebilde dem umgebenden Plasma mitteilen, wenn wir von der oben diskutierten Hypothese von der Erzeugung kom- plizierter chemischer Gemische absehen? Offenbarkann es sich nur um etwas Ähnliches („ähnlich“ im weitesten Sinne ge- nommen) handeln, als dasjenige, was wir bei höheren Tieren als „Tastreize durch eine bestimmte Form“ be- : zeichnen würden. Wenn der Ankerbogen spezifisch, d.h. in einer anderen Weise wirkt, als etwa der Ankerschaft, so kann höchstwahrscheinlich nur die einzige Be- sonderheit, die eraufweist, nämlich seineForm, dafür verantwortlich gemacht werden. Wir vermuten also, dab es der vom Ankerbogen dem Plasma dargebotene und fortgeleitete Formreiz !) ist, der die bestimmende Wirkung auf die Primärkreuz- enden ausübt. Daß dieser Formreiz als individuelles Ganzes fort- geleitet werden kann, ohne daß sich seine Einzelheiten verwirren, ist eine dunkle Tatsache. Aber wir werden später sehen, daß auch dieser Zug die Ähnlichkeit unseres Phänomens mit besonderen nervösen Prozessen nur bestätigt. Wir kehren nunmehr zu der fortlaufenden Betrachtung der Daten zurück, von der wir bei der Besprechung der Polaritäts- hypothese vorausgreifend abweichen mußten, und gehen zunächst zur 1) Es mag gleich an dieser Stelle scharf betont werden, daß wir die Frage, ob es später gelingen wird die Gestaltreize weiter zu analysieren, offen lassen. Wir behaupten durchaus nicht a priori, daß es nicht vielleicht ge- lingen könnte, die Wirkung einer Gestalt durch Wirkung der zugrundeliegen- den Einzelheiten oder sonstwie physikalisch chemisch verständlich zu machen. Wir wollen lediglich versuchen die Gestaltreize als eine Art Hilfsunbe- kannte einzuführen, in dem Sinne unserer Bemerkungen am Schluß des einleitenden Teiles (S. 17). Wir glauben hier einen Begriff aufzunehmen, der zwar vor der Hand unzurückführbar (und insofern unbekannt) ist, auf den sich aber vieles zurückführen läßt und der deshalb großen Erklärungs- wert besitzt. Auch darf man nicht vergessen, daß eine „Unbekannte“ (im Sinne von etwas Irreduziblem) trotzdem sehr häufig auftauchen und, durch eine große Zahl von Tatsachen sicher fundiert, uns wohl vertraut und in diesem Sinne gut „bekannt“ sein kann. Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 123 Behandlung des Falles über, in dem sich die Platte selbständig ent- wickelt und auch die Symmetriehörner in normaler Weise angelegt werden. Wir sahen schon, welche Momente in diesem Falle als aus- lösende Reize für die Längsausdehnung der Plattenanlage wahr- scheinlich in Betracht kommen. Aber damit ist noch keine Entscheidung darüber getroffen, an welchem der beiden Endenpaare (deren Verbindungslinie der Körper- achse parallel läuft) die ersten Symmetriehörner auftreten. Dies scheint nun auch bei den sich selbständig entwickelnden Platten Sache des Zufalls zu sein. Ebenso wie der Anker mit seinem Bogen nach der einen oder anderen Seite weisen kann, so kann auch die selbständig entstehende Platte bald an der einen bald an der anderen Seite ihr freies Ende und die erste Andeutung davon in den Symmetriehörnern aufweisen. Ist dagegen die Platte mit einem Anker assoziiert, so ist mit der Lage des Ankerbogens auch die Lage des freien Plattenendes fest bestimmt. Aber. wenn die Entscheidung über diesen Punkt auch Sache des Zufalls ist, so bleiben doch einige Fragen. Warum bilden sich z. B. nicht an allen 4 Enden des Primärkreuzes dieselben Symmetriehörner? Diese schon oben an- seschnittene Frage ist für die sich selbständig ent- wickelnden Plattenprimärkreuze besonders schwer zu lösen, denn hier fehlt das orientierende Element: der Ankerbogen. Und weiter: wenn sich einerseits zeigt, daß die Symmetriehörner in beiden Querrichtungen des Tieres sich an das Primärkreuz ansetzen können, warum kommt esdannnicht vor, daß2diametralgegen- überliegende Enden ein Symmetriehorn bekommen oder daß 3 Enden einen solchen Fortsatz erhalten? An Materialmangel kann die Beschränkung auf 2 Enden nicht liegen; denn einerseits könnte dann der Fall eintreten, das 2 diametral segenüberliegende Enden ein Symmetriehorn erhielten, und zweitens wächst die Plattenanlage etwas später ja an viel zahlreicheren Enden. Ich vermag mir — wenn wir die schon oben diskutierte An- nahme einer Polarität des skeletogenen Plasmas beiseite lassen — eine einigermaßen befriedigende Erklärung für diese Tatsachen nur an der Hand der Vorstellungen zu bilden, die wir uns oben von der Ankerbogenwirkung gemacht haben. Ich denke mir, daß zunächst an allen 4 Enden des Primärkreuzes schwache Bildungsprozesse 124 . SIEGFRIED BECHER, einsetzen und daß dann zufällig ein Ende einen Vorsprung gewinnt. Wie wir nun oben einen Formreiz durch die Gestalt des Anker- bogens annahmen, so glaube ich auch, daß die Form des Primär- kreuzes selbst als Formreiz auf die an ihm selbst stattfindenden Formbildungsprozesse einwirkt. Man mag diese Annahme auf den. ersten Blick seltsam finden, aber es ist im Grunde genommen genau dasselbe, was wir bei der Beeinflussung durch den Bogen annahmen. Denn der eine Teil eines und desselben Spicula- individuums steht zu den anderen in ganz ähnlichen Beziehungen wie zu einem selbständigen Spiculumin demselben Syncytium. Damit werden wir zuerst auf dieMöglichkeitaufmerksam, daß auch bei derBildung einzelner Kalkkörper Korrelation eine große Rolle spielte Das Neue wird in Korrelation mit dem schon vorhandenen Alten gebildet. Wenn also in unserem besonderen Falle eines der 4 Enden des Plattenprimärkreuzes einen Vorsprung gewonnen hat, so muß dieser Vorsprung auf 2 von den übrigen Enden hemmend wirken, wogegen dasjenige Ende, dessen Verbindungslinie mit dem ersten Ende in der Längsrichtung liegt, dazu angeregt wird, mit dem ersten gleichen Schritt zu halten. Man könnte auch hier wieder an einen von dem -vorangeschrittenen ersten Ende ausgehenden Reiz denken. Dieser Reiz könnte dann vielleicht an den beiden benachbarten Enden stärker wirken als an dem vierten Ende, das damit ausschalten könnte. Von den beiden nächstliegenden könnte dann vielleicht weiter dasjenige zum Schritthalten mit dem ersten bestimmt werden, welches außerdem von derselben Längsfalte des Körpers berührt wird. Aber man müßte sich dann fragen, wie kann darin, daß es dieselbe Falte ist, die die beiden Enden berührt, etwas Besonderes liegen? Und weiter ist auch zu berücksichtigen, daß es unwahrscheinlich ist, dab die Entfernung. von dem einen vorangeschrittenen Ende ein direkt ausschlaggebendes Moment abgeben soll. Denn die beiden einem Ende benachbarten Enden, also das „gleichnamige“ und „ungleich- namige“, bieten recht verschiedene Entfernungen von demselben be- nachbarten Ende dar! Es scheint mir deshalb vor der Hand unmöglich, die Analyse ohne die Hypothese einer Polarisierung des Plasmas und ohne die Annahme von auslösenden Gestaltreizen weiter zu treiben, und es ist wohl am geratensten, die vorliegenden Verhältnisse mit dem Be- griff des Formreizes genau und einwandfrei zu beschreiben. Es muß Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 125 freilich in unserem Falle noch hinzukommen, daß dieser Formreiz an den verschiedenen Enden des Primärkreuzes in verschiedener Weise wirksam ist, was freilich nur dann möglich ist, wenn eines der Enden schon zufällig in der Entwicklung vorangeeilt ist. Dieses Problem wird weiter unten genauer verfolgt werden. Fernerhin könnte man sich z. B. vorstellen, daß die Falten in der Körperwand von Synapta bald nach der einen, bald nach der anderen Seiten konvergierten und daß dadurch ein zwischen die Falten eingeklemmtes Primärkreuz immer nur an 2 Enden gepreßt und zur richtigen Anlage der Symmetriehörner gebracht würde. Aber auch diese Vermutung halte ich nicht für richtige. Denn ‚wenn sie richtig wäre, so müßte es zahlreichere Anormalitäten bei Platten geben. Wie oft müßte es vorkommen, daß die Falten, an- statt zu konvergieren, parallel liefen und dann alle 4 Enden reizten oder daß bei schiefer Lage des Kreuzes 2 diametral gegenüber- liegende Enden zur Ausbildung der Symmetriehörner gereizt würden. In Wirklichkeit findet man aber derartige Anormalitäten nicht. Wenn wir nun unser Augenmerk auf die Fig. Nd‘—2" richten, so finden wir die soeben angestellten Betrachtungen bestätigt. Wir haben Platten vor uns, die sich ohne Anker weiter entwickeln und schließlich mehr oder weniger normale Form annehmen. Das, was wir oben von dem einen morphogenen Elementarprozeß gesagt haben, nämlich von der Anlage der Symmetriehörner, gilt in ganz ent- sprechender Form für viele der einzelnen Schritte, die aus der ersten ‚Anlage die definitive Platte entstehen lassen. Man kann diese An- nahme überflüssig finden und die Sache so darstellen, als ob Kor- relation, zumal an den späteren Bildungsprozessen, keinen Anteil mehr hätte. Nach der Bildung der primären Symmetriehörner ist ja ein Gebilde entstanden, das für die weitere Ausbildung fast die- selben Ansatzpunkte darbietet, gleichgültig, ob das Primärkreuz ‚parallel oder senkrecht zu der Körperachse liegt. Ja man könnte noch weitergehen und für das Primärkreuz selbst ähnlich argumentieren: ob das Primärkreuz so oder so liege, es werde immer 4 freie Enden darbieten. Die Lage des primären Stäbchens innerhalb dieser 4 freien Enden sei ganz nebensächlich. Äußere Faktoren und nicht das schon Gebildete bestimmten das, was noch hinzugebildet werden "müsse. Aber das kann nicht völlig richtig sein; denn die dem ‘Bogen zugekehrten Aste sind in den beiden Lagen des Primär- kreuzes in Abstand und Richtung verschieden. Und wie kann das Verschiedene, was dementsprechend weiter entsteht, gerade so 126 SIEGFRIED BECHER, werden, wie es werden muß, wenn das definitive Resultat erreicht werden soll? — Warum beginnen gewisse Gabelenden an dem einen Ende der Plattenanlage nach einer gewissen Zeit ein ganz anderes Schema der Verzweigung (nämlich zur Bildung des Bügelendes) an- zunehmen, und warum hört nach einer fast genau festgelegten Zahl der Verzweigungen das Wachstum überhaupt auf? Diejenigen Gabel- äste, die das Bügelende entstehen lassen (Fig. Nd‘), weisen durchaus keine auffallenden Besonderheiten auf, und trotzdem entsteht dort und nirgendwo anders der besondere Wachstumsmodus. Andererseits ist wiederum deutlich, daß dieses besondere Ende nur an jener Stelle entstehen darf, wenn die normale Platte zustande kommen soll. In den Verhältnissen der Enden selbst kann nicht allein die Bestim- mung über das, was an denselben gebildet wird, getroffen werden. Es muß vielmehr wiederum das, was gebildet wird, in Korrelation zu dem stehen, was schon im ganzen gebildet ist. Die schon er- erreichte Form — so können wir vorläufig sagen — muß als Reiz mitwirken und muß an bestimmten Stellen verschieden wirken, und zwar so, daß jeder Teil diejenige Reaktion ausführt, die zu der definitiven Form führt. Das ist eine für das Verständnis notwendige, wenn auch, wie wir bald sehen werden, noch keineswegs hinreichende Annahme. Ein anderes Beispiel bietet die letzte Vergabelung der Äste des freien Plattenendes. Diese Vergabelung zeigt besondere Züge: sie findet unter sehr stumpfem Winkel statt und scheint der Abrundung des Plattenumrisses angepaßt zu sein. Das tritt besonders an den in Fig. M und in Fig. Ne, f und e‘, f abgebildeten Entwicklungs- stadien hervor. Weshalb verzweigen sich diese Äste in der be- sonderen Weise? Polarität, die bei der Orientierung der Bügelenden herangezogen wurde, kann hier keine Erklärung bieten; denn die betreffenden Enden liegen in bezug auf die Polarität in ganz ver- schiedenen „Breiten“. Auch hier muß es das schon Gebildete sein, das das neu zu Bildende in seiner Besonderheit bestimmt. Bei Leptosynapta inhaerens ist das dem Bogen nächste, äußere Loch des freien Plattenendes am größten (vgl. Fig. A [inhaerens| mit einer der von Leptosynapta bergensis abgebildeten Platten). Die Größe dieses Loches beruht auf einer bestimmten Neigung der Stäbchen bei der Verzweigung. Macht nicht auch das Einhalten . dieser Neigungen zu dem Gebildeten irgendeine Abhängigkeit von dem Gebildeten wahrscheinlich? Das gilt zum mindesten, wenn die Polaritätshypothese nicht zutrifft. | | # Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 197 Es ist nicht unmöglich, daß es nur gewisse Elemente in der Form sind, die das entsprechende korrelative Weiter- wachsen der verschiedenen Enden bestimmten. Wir ‘können das im einzelnen nicht entscheiden und geben gern zu, daß der Ausdruck „die schon gebildete Form bestimmt das noch zu Bildende“ eine vorläufige Beschreibung des vorliegenden Geschehens darstellt, die noch weiterer Spezialisierung und Verbesserung zugänglich ist. Wir wollen selbst ‘andeuten, wie man hier auf Grund von Beobachtungen in der Analyse weiter kommen könnte: die Tatsachen, an die ich hier denke, sind in der Entwicklung von Platten gegeben, die sich selbständig bilden und deren Primärstäbchen um 90° gedreht ist (vgl. Fig. N d‘—g’). Bei der Drehung des Primärkreuzes ist seine „Vierendigkeit“ nicht seändert worden, wohl aber die Lage des Primärstäbchens. Für die Lokalisation der Symmetriehörner ist also (abgesehen von den orientierenden Fältchen der Körperwand) wohl nur die Vierendigkeit und nicht die Lage des Stäbchens zwischen den 4 Enden von Be- deutung. Dagegen hängt die feinere Richtung der Symmetriehörner und damit weiterhin der Bautypus des freien Plattenendes mit der Primärkreuzlage zusammen, weil nämlich trotz der Drehung des ersten Stäbchens die Verzweigung unter 120° beibehalten wird. Das führt aber zu einer in bezug auf die Körperachse um etwa 30° verschiedenen Richtung der Symmetriehörner im normalen und anor- malen Verhalten (vgl. die Figg. Ke, d, e und Nb, e mit Ke’, d‘, e’ und Nb‘, c). Die genaue Verwertung aller Beobach- tungen gestattet also auchin diesem Falle der kausal- analytischen Biologie ein Eindringen in Verhält- nisse, die auf den ersten Blick vollständig unzu- sänglich scheinen. Vor allem gibt sie uns die Mög- lichkeit, das Ineinandergreifen von korrelativer Differenzierung und Selbstgestaltung selbst bei so minutiösen Vorgängen festzustellen und genauer zu ‘erkennen. Besonders lehrreich ist in dieser Beziehung das in Fig. Hb dargestellte anormale Spiculum. Wir wissen sicher, daß die kleinen Zähnchen am Anker — ebenso wie die ähnlichen Gebilde an den Rändern der Löcher der Platten — Gebilde darstellen, die in mancher Hinsicht ziemlich selbständig sind, denn sie können an verschiedenen Teilen auftreten, auch dann, wenn die Architektonik des Ganzen sehr gestört ist. Ungeachtet dieser Unabhängigkeit von wichtigen architektonischen Verhältnissen läßt sich aber andrer- 128 k SIEGFRIED BECHER, seits zeigen, wie sehr ihr Auftreten doch an die Erfüllung ganz besonderer Bedingungen geknüpft ist. Betrachten wir nur die Widerhaken, die auf den anormalen, zahlreichen Bogen des Ankers in Fig. Hb zu sehen sind. Wir erkennen deutlich, daß diese Gebilde immer nur auf der konvexen Seite der gekrümmten Enden auf- sitzen, genau so wie in ihrem normalen Auftreten. Noch mehr: die Spitze jedes einzelnen Widerhäkchens ist deutlich von der Spitze des ganzen Armes, dem sie aufsitzen, abgekehrt, wiederum genau so wie im normalen Verhalten. Wir können aus diesen Tat- sachen den sicheren Schluß ziehen, daß die Wider- haken in ihrer Anlage von ihrem Träger korrelativ beeinflußt werden: bei Krümmung sitzen dieselben auf der konvexen Seite, und ihre Spitze ist der Spitze des tragenden Kalk- balkens immer abgekehrt. Krümmung und konische Form der tragenden Kalkstäbchen sind also hier die aus- schlaggebenden (auslösenden) kausalen Momente, die man sich wiederum als Formreize wirksam denken muß. Dieses Beispiel ist noch deshalb von besonderem Interesse, weil es nicht die Komplikation der Bildung einer ganzen Platte oder eines Bügelendes oder dgl. aufweist. Wir zeigten oben, daß durchaus nicht immer alle schon vorhandenen Formelemente für die Auslösung der weiteren Gestaltbildungsprozesse in Betracht zu kommen brauchen. Unser spezielles Beispiel macht aber deutlich, wie man trotzdem auch bei dem bestimmenden Einfluß einzelner Teile immer wieder auf Formreize zurück- greifen muß. Selbstdifferenzierung und Orientierung des Ge- bildeten durch korrelative Einflüsse, die durch Form- reize vermittelt werden, erweisen sich überall als die ausschlaggebenden Momente bei der Spiculaform- bildung. Schon bei der Orientierung des Primärstäbchens und der primären Symmetriehörner fanden wir es wahrscheinlich, dab verschiedene korre- lative Einflüsse zusammenwirken könnten. Die weitere Tatsache, dab die Symmetriehörner einerseits selbständig ohne Anker entstehen können und andrerseits durch den Ankerbogen doch immer in seine Nähe gezwungen werden, zeigte uns zum erstenmal, wie die Selbst- gestaltung der Platte und die korrelative Beein- flussung von seiten des Ankers zusammen arbeiten: daß Symmetriehörner in richtiger Lage und Anord- Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 129 nung angelegt werden, ist eine Leistung der Selbst- gestaltung der Platte. Daß aber diese Symmetrie- hörner, die bei freien Platten bald nach der einen, bald nach der anderen Querrichtung weisen können, bei Gegenwart des Ankers immer nach dessen Bogen hin gerichtet sind, beruht auf der hinzutretenden korrelativen Beeinflussung von seiten des Ankers. Dieses Zusammenwirken!) läßt sich nun an ver- schiedenen Punkten der Anker- und Plattenentwick- lung wiederfinden. Die Anlage von Bügelende und Bügel kann unabhängig vom Handhabenende des Ankers stattfinden. Sie ist insofern Selbstdifferenzierung. Wir sehen aber aus den Anormali- täten mit verdoppeltem Handhaben- und Bügelende, daß dieses der Selbstgestaltung fähige Skeletelement in seiner Lage von der Anker- handhabe beherrscht wird. Genau das Entsprechende gilt von dem freien Plattenende und- seiner Beziehung zu dem Bogenende des Ankers (vgl. Fig. Hc—e). Um das Zusammenwirken von Selbstgestaltung und Korrelation aber vollkommen zu verstehen, müssen wir uns noch ein Weiteres deutlich machen. Wir sahen einerseits, daß die Platte von dem Anker korrelativ beeinflußt werden kann, und erkannten doch andrer- seits, daß sich andere Ankerplatten vollständig selbständig entwickeln. Die Bildung der Platte ist also insofern als Selbst- gestaltung zu bezeichnen. Wir haben aber schon festgestellt, daß im einzelnen die morphogenen Prozesse, die zur Bildung der Platte führen, vom Anker, von anderen Teilen der Platte oder vielleicht von der Polarität des Plasmas beeinflußt werden können. So folgt denn, daß die Selbstgestaltung der Platte als Ganzes nicht ausschließt, daß im einzelnen korrelative Einflüsse eine sroße Rolle spielen. Wir sehen daher hier bei der Spiculabildung eine allgemeine Regel bestätigt, die ich früher einmal mit den Worten formuliert habe: „Wenn auch die Differenzierung eines Körperteiles in ihrer Unabhängigkeit von anderen Körperteilen als Selbstdifferenzierung bezeichnet werden muss, so könnten jene inneren Differenzierungsursachen für kleinere Teile, etwa für die Zellen des betreffenden Organes, doch als äußere Ursachen wirken. 1) Über ähnliche Fälle von Zusammenwirkung von Selbstgestaltung und korrelativem Einfluß bei embryonalen Prozessen vgl. SPEMANN, 1907c, u. unsere Anm, oben 8. 58 u. 63). Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Zool. u. Physiol. 9 130 SIEGFRIED BECHER, Kurz gesagt: die Selbstdifferenzierung eines Körperteiles kann in srößerem oder geringerem Maße auf abhängiger Differenzierung seiner Elemente beruhen“ (1909, p. 513). Das gilt in unserem Falle nicht nur für die ganze Platte, sondern ebenso für einzelne Bezirke derselben. Die ganze Platte kann sich selbständig entwickeln, ihre einzelnen Teile werden aber in Korrelation zuein- ander angelegt. Sind sie einmal angelegt, so können siesich selbständig weiter differenzieren, wobei wiederum die einzelnen Elemente sich korrelativ in richtigen Proportionen, in richtiger Lage usw. bilden. Daß z. B. ein Bügelende sich ohne Rücksicht auf die typischen Beziehungen zu der übrigen Platte an- legen kann, zeigen die Anormalitäten, in denen ein Bügelende unter dem Einfluß einer zweiten Ankerhandhabe an der Seite einer Platte angesetzt wurde. Es ist charakteristisch, daß in diesen Fällen, in denen der Einfluß der Platte nicht in Betracht kommt, auch die normalen Proportionen von Bügelende und freiem Plattenende nicht gewahrt sind (vgl. Fig. Ha u. b). Dagegen zeigt sich eine Ab- hängiekeit der Größenverhältnisse von dem bestimmenden Hand- habenende des Ankers. Die Mitwirkung erblicher Formresiduen. Diskussion ihrer „Ganzheit“ und ihres mnemischen Charak tems Wir müssen indessen noch einmal zu der Entwicklung der selb- ständig gebildeten Platten zurückkehren. Wir waren zu der Über- zeugung gekommen, daß das schon Gebildete das noch zu Bildende bestimmen müßte. Die genauere Betrachtung lehrt uns indessen bald, daß der bestimmende Einfluß des schon Gebildeten auch nicht überschätzt werden darf. Wir sahen, daß auch bei normaler Lage des Primärkreuzes trotzdem eine Platte entstehen kann, die in dem Besitz eines normalen Bügelendes und in der Gesamtform usw. nor- malen Platten außerordentlich nahe steht. Dieses regulatorische Streben zu der normalen Gesamtform kann sicherlich zum Teil auf das Mitwirken von Selbstdifferenzierung zurückgeführt werden. Wenn bei der Bildung der Platte viele Prozesse auf unabhängiger Gestaltung beruhen — d. h. unab- hängig von den betreffenden Umständen —, so werden dieselben auch unter etwas geänderten Bedingungen ablaufen können und durch ihr normales Verhalten die anfängliche Abweichung ziemlich stark verdecken können. Bedenkt man indessen das Problem genauer, so Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 131 wird man zu der Einsicht kommen, daß die Selbst- differenzierungselemente in dem ganzen Prozeß doch nicht hinreichen, um seinen zu einem vorbestimmten Ganzen strebenden Charakter zu erklären. Die Berück- sichtigung der Selbstdifferenzierung kann uns erklären, daß Bügel und Bügelende, feine Zähnchen in den Löchern u. dgl. auch unter anormalen Verhältnissen auftreten. Aber sie vermag meiner An- sicht nach nicht ganz befriedigend deutlich zu machen, warum das Konglomerat der selbstgestaltenden Teile sich dem normalen Ganzen in so hohem Maße nähert. Wenn auch z. B. bei Drehung des Primär- kreuzes die Änderung nicht groß ist, so bedingen der geänderte Abstand und Winkel der Symmetriehörner doch eine etwas andere Architektonik, die trotzdem zu demselben Ziele führt. Auch bei der Annahme von Gestaltreizen bleibt wenigstens der Schein einer Leitung durch das Ganze bestehen. Wir sehen, daß an dieser Stelle das Problem der Mitwirkung des „Ganzen“ auftaucht, eine Frage, die den Biologen aus der Ent- wicklungsphysiologie und dem Studium der Restitutionsvorgänge wohl bekannt ist. „Nach dem Siege der Zellentheorie hat man viel von den ‚Bausteinen‘ des Organismus geredet. Man hat geglaubt, das Gesamtleben sei einfach die Summe der Lebensprozesse der einzelnen Zellen. Man hat zu wenig beachtet, dass diese Verbindung der Reaktionsweisen ganz besondere Probleme einschließt. Später ist dann eine Art Reaktion gekommen. Es wurden Stimmen laut, die es für richtiger erklären, den Einfluß des Ganzen auf die Teilprozesse in den Vordergrund zu schieben, anstatt das Ganze als passives Produkt der Mannigfaltigkeit der Teile aufzufassen. Die Zellen hören auf, selbständige Bausteine im Gebäude, Summanden in der Summe des Organismus zu bilden. Die Regenerations- und Regu- lationsprobleme treten jetzt in den Vordergrund des Interesses; sie sind es ja, die in so augenfälliger Weise ein zweckmäßiges, zum Ganzen drängendes Reagieren offenbaren“ (BECHER, 1909, p. 561). Ich kann mich aber heute so wenig wie früher zu der Annahme einer rätselhaften Wirkung einer vom Orga- nismus angestrebten Ganzheit entschließen. Ich habe schon früher meine Gründe dafür entwickelt. Es ist schon wichtig, sich deutlich zu machen, „dass jene Wirkung des Ganzen auf seine Teile in Wahrheit verhältnismäßig selten vorkommt und daß es sich gewöhnlich um die Wirkung eines Teiles auf einen anderen handelt“ (1. c., p. 562). Bei der Analyse einzelner Fälle läßt sich die 9* 132 SIEGFRIED BECHER, scheinbar wirkende ,Ganzheit“ fast immer entlarven. So haben Boveri seine Studien über Seeigeleier (1901, p. 173—175) und die neuen Studien über „die Potenzen der Ascaris-Blastomeren“ zu dem Schluß geführt, „daß der Begriff einer während der Entwicklung der Blastomeren übergeordneten „Ganzheit“ oder „Einheit“ keine Berechtigung hat“ (1910, p. 211). Man muß sich aber hüten, mit der rätselhaften Wirkung des in der Entwicklung angestrebten „Ganzen“ die sachliche Schwierigkeit einfach beiseite zu schieben. Die Schwierigkeit, der An- schein der Mitwirkung des Zieles, der Ganzheit, ist in der Tat vorhanden. In unserem Falle tritt er besonders deutlich zutage. Es scheint, als ob das Vorbild der normalen fertigen Platte auch bei anormaler Anlage noch alles mögliche täte, um das vorgeschriebene Schema zu erreichen. „Nun entsteht das Problem: wo stecken die Ursachen, die die Wiederherstellung des Ganzen be- dingen können. Hier scheint die Annahme unvermeidlich, dass das Ganze nur durch eine irgendwie vorhandene Repräsentation des Ganzen wiederherstellbar ist“ (BECHER, 1909, p. 561). Dieser für die Restitutionsphänomene gezogene Schluß gilt auch in unserem Falle, der die typischen Züge einer organischen Regulation darbietet. Die Rätselhaftigkeit in der Wirkung des noch nicht erreichten idealen Ganzen während der Entwicklung ist eine ganz ähnliche wie diejenige, die in dem Teleologieproblem vorzuliegen scheint, wo es sich um die Frage handelt, wie der zukünftige, noch nicht er- reichte Zweck trotzdem das zweckmäßige Mittel schon mitbestimmen soll (vgl. Became, 1910b, p: 331). Wie es aber bei vw eck mäßigen Reaktionen zuweilen möglich ist zu zeigen, daß die Wirkung des zukünftigen Sukzedens(Zweck) vorgetäuscht wird durch die Wirkung der vorher- sehenden Residuen von der früheren, gelegentlichen Erreichung desZweckes, somuß die wissenschaftliche Analyse desAnscheinseiner Wirkung von zukünftiger Ganzheituntersuchen, ob die scheinbar wirksame Ein- heit des Zieles nicht in irgend einer Form während der Bildung selbst gegenwärtig sein kann. Bei den Regenerations- und Entwicklungserscheinungen liegt es nahe angesichts dieser Lage des Problems darauf hinzuweisen, dab die zukünftige Ganzheit als erbliche Anlage in den regenerierenden Zellen usw. in irgendeiner Form vorausgesetzt wird. Ich bin der Ansicht, daß auch in unserem Falle das augenfällige Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 133 Streben nach Ganzheit durch die Mitwirkung der erb- lichen Anlage des Ganzen!) zustande kommt. Das, was trotz des modifizierten Ausgangspunktes die Spiculabildung zu dem bestimmten Ziele hinleitet, muß etwas trotz der anormalen Verhält- nisse immer konstant Bleibendes sein. Und da kann wohl nur die erbliche Anlage des Spiculums in Frage kommen. Man muß indessen bedenken, daß damit noch nicht viel gesagt ist. Der Hinweis auf die erbliche Anlage gibt uns ein gewisses Verständnis für den regulatorischen, man kann im beschreibenden Sinne gut sagen „zielstrebigen“ Charakter der Plattenanlage. Aber wir möchten mehr erfahren und gern etwas Licht in der Frage be- kommen: wie kann die Normalgestalt als erbliche Anlage wirken, und wie kann sie überhaupt als Ganzes vorhanden sein ? Wer unseren früheren Auseinandersetzungen aufmerksam gefolgt ist, wird sich über die Schwierigkeit dieser Frage im klaren sein. Ich will deshalb an dieser Stelle nicht wieder darauf eingehen. Viel- leicht wird man aber gleich hier einwerfen, daß nicht die Form als Ganzes präformiert zu sein braucht, sondern nur einzelne Teile der- selben. Das ist zum Teil richtig und wird uns später beschäftigen, aber es ist doch ebenso sicher, daß eine einzelne selbständige erb- liche Repräsentation der verschiedenen Plattenmerkmale — etwa in verschiedenen Chromatinkörnchen — nicht genügt, um die konstant und feste Architektonik des ganzen Gebildes zu erklären, und vor allem nicht hinreicht, um klar zu machen, weshalb die einzelnen Teile der Platte nach modifizierter erster Anlage nicht in augen- falliger Zufälligkeit ohne Rücksicht auf das Ganze angelegt werden. Ich bekämpfe durchaus nicht die Ansicht, daß die Einzeleigenschaften einer Platte einzeln in der Erbmasse repräsentiert sind, und halte es sogar für wohl möglich, daß dieselben sich nach Art mendelnder 1) Der hier vorläufig der Deutlichkeit wegen gebrauchte Ausdruck „Ganzes“ erfährt später eine Einschränkung. Vorlaufig mag die Be- merkung genügen, daß es mit der Ganzheit der erblichen Anlage ähn- lich steht wie mit der Ganzheit bei den Gestaltreizen. So wie nicht immer die ganze Gestalt das Auslösende ist, so braucht auch nicht die ganze erbliche Anlage bei jedem Prozeß beteiligt zu sein. Wie aber auch in der Wirkung einer Teilgestalt das Gestaltreizproblem dasselbe ist, als wenn die ganze Gestalt wirkte, so bleibt auch das „Ganzheitsproblem“ bei der erblichen Anlage im wesentlichen dasselbe, auch wenn sich heraus- stellt, das eben nur Teile des großen Ganzen als „Ganze“ wirken. Übrigens steckt auch in dem Gestalteinfluß dasselbe Problem der „Ganz- heits“wirkung. 134 SIEGFRIED BECHER, Charaktere trennen und umkombinieren lassen können. Aber trotz alledem zeigen die Tatsachen deutlich genug, daß in der erblichen Anlage noch etwas mehr stecken muß: eben etwas, was der Kon- figuration des Ganzen neben den Eigentümlichkeiten der einzelnen letzten Teile dient. Gerade unsere Resultate über die Selbst- gestaltungsfähigkeit der einzelnen Teile macht das um so wahr- scheinlicher. Wenn die einzelnen Elemente der Platte unter be- sonderen Bedingungen sich selbständig an anormalen Stellen anlegen können, so muß eben etwas vorhanden sein, was normalerweise eine solche falsche Orientierung hindert und die richtige Anlage gewähr- leistet. Nun brachte uns die Analyse der Entwicklungsreize, die von dem weiter wachsenden Primärkreuz ausgehen oder sonstwie dabei in Frage kommen, zu der Ansicht, daß diese auslösenden Reize zumal bei der Änderung durch anormale Lage nicht hinreichen, um für sich allein das Streben nach normalem Typ völlig verständlich zu machen. Also muß dieses Etwas, das das Streben zum Ganzen be- dingt, das in der Plattenentwicklung so deutlich zum Ausdruck kommt, nicht in den auslösenden Bedingungen, sondern in der erblichen Anlage gesucht werden. Bei der Besprechung der Polaritätshypothese fanden wir, daß sie nicht genügte, um deutlich zu machen, warum an den einzelnen Stellen eines Plattenentwicklungsstadiums das gebildet wird, was tatsächlich entsteht. Wir neigten deshalb mehr und mehr der An- nahme von Gestaltreizen zu. Diese Gestaltreize machen es schon besser verständlich, daß an einem Kalkbalkenende eines späteren Entwicklungsstadiums etwas anderes entsteht als an einem in gleicher „Breite“ (in bezug auf die Polarität) liegenden Ende eines früheren Stadiums, denn mit der Entwicklung der Gestalt ist der Gestaltreiz ein anderer geworden. Aber wir dürfen uns nicht darüber hinweg- täuschen, daß auch mit der Annahme von Gestaltreizen noch lange nicht alles getan ist. Schon bei dem Primärkreuz trat diese Schwierig- keit hervor. Vor allem muß man fragen: warum wirkt der Gestalt- reiz eines bestimmten Stadiums nicht an allen Enden gleich. Man kann sagen, es käme hinzu, daß die verschiedenen Enden verschiedene relative Lagen einnähmen. Aber ich gestehe, bloß auf der Basis eines Gesamtgestaltreizes nicht einsehen zu können, wie die relative Lage der Enden mit ihm zusammen wirken soll. Man kann sich aber anders helfen und Gestaltreize der einzelnen Teile hinzunehmen. Es ist mir aber sehr fraglich, ob man damit für alle auftretenden Untersuchung'en über nichtfunktionelle Korrelation. 135 Verschiedenheiten ausreicht. Vor allem aber wiederholt sich das Problem für jene Teilgestaltreize. Die konische Form von (über- zähligen) Ankerenden bedingt durch Gestaltreiz, daß Häkchen ge- bildet werden müssen. Warum aber entstehen die Haken nur an der konvexen Seite? Hier müssen wir schon als weiteren lokali- sierenden Teilreiz die konvexe Krümmung der einen Bogenseite hinzunehmen. Aber auch dann wäre noch nicht bestimmt, daß die Häkchen in bestimmtem Abstand auftreten, und die Richtung der kleinen Spitzchen zum Spitzenende des Bogenarmes hin ist gleich- falls noch nicht befriedigend erklärt. | Es bestehen aber auf jeden Fall nur zwei Möglichkeiten: ent- weder gelingt es durch Hinzunahme immer weiterer Teilreize schlief- lich die Auslösungsbedingung für jeden Punkt des Kalkkörpers so spezifisch zu gestalten, daß das Plasma nur noch mehr oder weniger stark abzulagern braucht, damit im ganzen das richtige Wachstum zustande kommt. In diesem Falle besteht fast die ganze erbliche Plattenanlage in der Abstimmung auf alle möglichen Teilgestaltreize, und es erhebt sich die Frage: worin kann die Disposition auf diese Gestaltreize bestehen? Sie ist kaum verständlich, wenn man nicht auch irgendeine erbliche Repräsentierung der Gestalt annimmt. Im anderen Falle aber, d. h. wenn das, was ausgelöst wird, komplizierter bleibt, wenn noch Prozeßkomplexe ausgelöst werden, in denen selbst das Formelement noch steckt, so müssen also mindestens erbliche Gestaltrepräsentanten für kleinere Teile vorhanden sein. Auf jeden Fall müssen wir somit neben den Gestaltreizen noch eine erbliche Repräsentierung der Gestalt annehmen. Wie weit hier aber nur einzelne Teile oder die ganze Gestalt in Frage kommt, braucht uns einstweilen nicht zu beschäftigen. Die Frage bleibt also: wie kann die Gestalt erblich repräsen- tiert sein, und wie kann sie wirken? Es muß zugestanden werden, dab es schwer ist, sich ein Bild einer solchen Repräsentation zu machen. Unwillkürlich wird man hier an den Ausweg erinnert, den WEISMANN einschlug, gegenüber der Notwendigkeit, Erscheinungen, wie die Vererbung von Zebrastreifung, von gesägten Blatträndern u. del. zu erklären. „Schwarze und weiße Determinanten allein können nicht die regelmäßige Abwechslung erklären, und Säge- pangene kann es nicht geben“ (BEcHER, 1909, p. 529). So kommt WEISMANN zu der Annahme einer bestimmten Anordnung der einzelnen Determinanten, eine Annahme, die aber wieder die Teilbarbeit einer solchen festen Anordnung unverständlich macht. Ich habe früher 136 SIEGFRIED BECHER, die Ansicht vertreten: „Wir glauben, dass man dasjenige, was Wers- MANN durch die bestimmte Anordnung der Determinanten erklären will, im Prinzip durch die verschiedenen Bedingungen, denen gleiche Pangene ausgesetzt sind, ersetzen kann. Im einzelnen freilich wird es außerordentliche Schwierigkeiten bieten ....“ (l.c.,p. 530). Auch heute vertrete ich noch die Ansicht, daß in vielen Fällen eine Ord- nung in der Auslösung der Erbanlagen durch die auslösenden Reize in epigenetischer Weise möglich ist. Noch in dieser Arbeit haben wir auf einen diesbezüglichen Erklärungswert der Polaritätshypothese hingewiesen. Aber ich bin durch die in der vorliegenden Unter- suchung mitgeteilten Tatsachen zu der Überzeugung gelangt, daß diese Erklärung nicht in allen Fällen hinreicht. Wir wollen indessen nicht die Konsequenzen unserer Auffassung: für die Formbildung im allgemeinen ziehen, bevor wir unsere spezielle Aufgabe so weit wie möglich erledigt haben. Vielleicht ist es möglich, sich eine Repräsentation derFormin anderer Weise vorzustellen, als es WeEısmann getan hat. Vielleicht könnte man besondere Determinanten für die Art der Verbindung der einzelnen Formelemente annehmen. Aber auch damit wäre nicht allzuviel gewonnen; denn auch in diesem Falle müßten diese Deter- minanten in ihrer Wirkung selbst wieder durch irgendwelche Faktoren orientiert werden. Manchmal brauchen allerdings spezielle Formen nicht in dieser Form repräsentiert zu sein, sondern können in ihrem Wiederauftreten durch gewisse allgemeine Bedingungen garantiert werden. Eine bestimmte Form von Eisblumen kann vielleicht unter genau denselben Bedingungen wiedererwartet werden, und ähnliches darf nach WooDLAnD, wie wir sahen, für Krystallomorphen vielleicht angenommen werden. Aber gerade bei solchen sich epigenetisch, d. h. unter der Mitwirkung äußerer Faktoren vollziehenden Form- bildungen wird das Ganze durch geringfügige Änderungen in den Bedingungen manchmal total verändert, ein typisches Zeichen dafür, daß hier die Garantie für die Form nicht wesentlich in den unver- änderlichen Anlagen gegeben war, sondern in den auslösenden Be- dingungen lag. Diese Analogien treffen eben nicht zu. Nun bestreite ich durchaus nicht, daß sich solche Analogien immer komplizierter machen und weiter treiben ließen. Ich leugne ja keineswegs von vornherein den physikalisch -chemischen Charakter des erblichen Vorganges in unserem Falle Aber ich bin der Ansicht, daß alle jenen Analogien aus der Luft gegriffene Fiktionen sind, die mit wirklicher Erklärung nichts zu tun haben und nur den Zweck Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 137 haben, denjenigen, dem der Vitalismus als eine um jeden Preis zu vermeidende Anschauung gilt, über die drohende Gefahr noch ein- mal zu trösten. Ich gehe daher jetzt ohne weitere Diskussion solcher Analogien dazu über, meine eigenen Ansichten über die Natur der Repräsen- tation des Ganzen und über seine Wirkung darzulegen. Zum Beginn darf ich vielleicht noch einmal auf die Ähnlichkeit unseres Problems mit demjenigen der Regeneration hinweisen. In beiden Fällen zeigen normales und anormales Geschehen eine unver- kennbare Äquifinalität. Bei der Bildung der Platte kommt unter normalen wie unter teilweise veränderten Verhältnissen fast das- selbe Resultat zustande. Bei der Regeneration finden fast dieselben morphogenen Prozesse statt wie in der Ontogenese, obwohl die Be- dingungen sicherlich zum Teil andere geworden sind. Über diese Äquifinalität bei der Regeneration habe ich nun früher folgende Bemerkung gemacht: „Nun ist es Tatsache, dass dieser spätere Reiz- komplex trotzdem die Regeneration zu demselben Ziele führen kann wie die ganze Reizreihe der Ontogenese Daraus ist zu folgern, dass jene ganze Reizreihe nicht notwendig ist, und es ist wahrschein- lich, dass jener spätere Reizkomplex, der ja selbst ein Produkt der Ontogenese ist, die wesentlichen Elemente der früheren Reize in sich enthält. „Man gestatte uns auch hier einen Vergleich. Es ist der normale Weg zur Kenntnis eines Wissenszweiges, dass man Kapitel für Kapitel eines Lehrbuches studiert oder Vorlesung nach Vorlesung hört. Trotz- dem ist es nicht unmöglich, daß man zu demselben Ziele gelangt, wenn man die ersten Kapitel überschlägt, oder die ersten Vorlesungen versäumt. Die einzelnen Kapitel bringen die aufeinander und aus- einander folgenden Gedankengänge; sie gehen auseinander hervor und bilden eine Reihe von Folgerungen, die sich der Kausalreihe der ontogenetischen morphogenen Reize vergleichen lässt. Wie im einen Falle so sind auch im anderen die ersten Glieder nicht unent- behrlich, und wie mir scheint, auch bei der Regeneration deshalb, weil die späteren Reizkomplexe einen hinreichenden Teil der früheren ähnlich enthalten, wie die späteren Kapitel eines Lehrgangs die früheren. Hier liegt also eine Art der Auslösung vor, bei der ein Teil ähnlich wirkt, wie die Wiederholung des ganzen Komplexes von Einflüssen. Wir dürfen nicht versäumen, wenigstens kurz an- zudeuten, dass diese Art der Auslösungen für die mnemischen Repro- duktionen charakteristisch ist“ (BEcCHER, 1909, p. 562—563). 138 SIEGFRIED BECHER, Der Hinweis auf die Ähnlichkeit mit mnemischen Prozessen scheint mir für uns das Wesentliche zu sein. Ich glaube, daß wir das uns beschäftigende Formbildungsgeschehen nicht besser beschreiben können, als wenn wir die Voraussetzung machen, daß die erblichen Anlagen der Gestalt nach Art der (physikochemischen) Gedächtnis- residuen, das ist der Engramme in Semon’s Terminologie, vorhanden sind und beiihrer Ekphorie wirksam werden. Diese Annahme ist sicherlich möglich. R. Semon hat in seinem großzügigen Buch „die Mneme“ (1904 u. 1908) deutlich gemacht, daß man sich die Formbildung während der Entwicklung als eine Aufeinanderfolge von Reaktionen denken kann, die in ähn- licher Weise erregt und ausgelöst werden wie die Residuen des Gedächtnisses. Die Gedächtnisreproduktionen mit Einschluß der da- durch bedingten Reaktionen und das Reproduktionsgeschehen wäh- rend der Ontogenese lassen sich auf dasselbe Schema zurückführen. Diese Möglichkeit bietet schon allgemein viele Vorteile. Die Mannig- faltigkeit der auslösenden Reize (vgl. die Bemerkungen S. 58, 63 usw.), die Tatsache, daß verschiedene auslösende Faktoren ganz heterogener Natur trotzdem dasselbe Ergebnis liefern können, lassen sich in keiner anderen Weise so gut verstehen und treffend beschreiben wie mit Hilfe der von den Gedächtniserscheinungen genommenen Begriffe. Besonders die fundamentale Tatsache, daß die Wieder- kehr nur eines Teiles des normalerweise auslösenden Komplexesdieselbe Aktivierungerblicher Anlagen her- vorbringen kann wie die Gesamtheit, läßt sich in mannig- faltigster Weise im Entwicklungs- und Regenerationsgeschehen nach- weisen und zeigt mit erdrückendem Tatsachenmaterial die Übereinstim- mung, die zwischen gedächtnismäßig-reproduktiv bedingten Reproduk- tionen und Wiederherstellung der Gestalt bei den Organismen besteht. Semon’s Ausführungen würden noch mehr Beach- tung gefunden haben, wenn man nicht vielfach sich gewöhnt hätte, sie in einen gewissen Gegensatz zu den Forschungen über Erblichkeit zu setzen, die von der Beobachtung der Zellverhältnisse und der mut- maßlichen Vererbungsträger ausgehen. Man hat den Eindruck, daß in letzter Linie die Lösung aller Rätsel doch in den zu beobachtenden Strukturen liegen müßte, und hält damit die mnemischen Theorien der Entwick- lung für interessante Umschreibungen, denen kein Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 139 definitiver Wert zukommen kann. Dieses Urteil ist aber sicherlich nicht gerecht und verleitet zur Teilnahmslosigkeit gegen- über einer bedeutsamen zoologischen Einsicht. Die Nichtbeach- tung der mnemischen Gesetzmäßigkeit der organischen Reproduktionsphänomene wäre aber ebenso töricht, als wenn man die Beobachtung und Aufstellung von Gesetzen über Gedächtnis, Reproduktion und Asso- ziation verschieben wollte, bis die entsprechenden Einzelerscheinungen der Gehirnzellen entdeckt wären. Man darf nicht vergessen, daß sich vieles, ja manch- mal das Wesentliche, schon aus größeren Komplexen der letzten Elemente erklären läßt, wenn die letzten Elemente selbst noch gar nicht bekannt sind. Man kann das Wesentliche eines Gemäldes oder einer Maschine verstehen, ohne über die chemische Zusammensetzung der Farben oder über das Material orientiert zu sein. Ferner muß immer wieder scharf hervorgehoben werden, daß Semon’s Bestrebungen mit der Frage „Mechanismus oder Vitalismus“ gar nichts Näheres zu tun haben. Die Reproduktions- phänomene, die dasGehirn vermittelt, sind Tatsachen. Die Erscheinungen der Entwicklung und Restitution sind gleichfalls Tatsachen, und wenn sich überein- stimmende Züge in beiden Gruppen objektiv feststell- barer Vorgänge finden lassen, so ist das von großer Bedeutung, und man muß sich damit abfinden, ob man nun Vitalist oder Mechanist ist. Ein weiterer Grund zur Ablehnung mnemischer Ent- wicklungstheorienliegtinder Meinung, dasGedächtnis seiein hochkomplizierter Vorgang, der seine Voraus- setzunginderkomplizierten Gehirnstrukturhabe, und esseiungereimt,einenso verwickelten Vorgangmitder Auslösung von Reaktioneninundifferenzierten Embryo- nalzellen auf eine Stufe zu stellen oder auch nur zu vergleichen (vgl. O. Hrrrwıs, 1898, p. 251; 1906, p. 587; 1909, p. 661; R. Fıck, 1907, p. 17 ferner H. E. ZıesLer, 1910, p. 38 u. 39). Neuere experimentelle Ergebnisse entkräften aber auch dieses Argu- ment; denn die Versuche von JENNINGS (1902 u. 1910, p. 261 ff., 274— 277, 410ff., 527—529; siehe auch Hopes u. Aıkıns, 1895) und meiner Meinung nach auch die neueren von A. A. SCHAEFFER (1910, p. 113 ff. u. 151) lassen keinen Zweifel darüber, daß die Grundzüge dessen, was 140 SIEGFRIED BECHER, sich bei Gedächtnis objektiv beobachten läßt, auch bei Protozoen festgestellt werden kann. Daraus folgt dann, „dass Reproduktion und Assoziation nicht an Gehirn, Nerven und „Assoziationsfasern“ gebunden sind“ (BECHER, 1910b, p. 328), und daß die komplizierte Faserstruktur des Gehirns nur zur außerordentlichen Steigerung der Verbindungsmöglichkeit der Gedächtnisresiduen, nicht aber zur Ermöglichung der Grunderscheinung des Gedächtnisses not- wendig ist. An anderer Stelle habe ich darüber ausgeführt: „Wie eine Mitteilung auch ohne Telephonleitung, so würde Reproduktion und Assoziation auch ohne ‚Assoziationsfasern‘ möglich sein; wie jene die Möglichkeit der Mitteilung räumlich ausdehnt und viel mannig- faltiger macht, so würden diese die Zahl und Bedeutung der En- srammverbindungen unermeßlich steigern. Unsere Folgerung aus JENNINGS Versuchen würde in gutem Einklang stehen zu den An- nahmen mnemischer Entwicklungstheorien, die ebenfalls die Gehirn- struktur nicht als notwendige Mittel der Ekphorie und Reproduktion ansehen können“ (1911, p. 286 u. 287). Man hatte recht, wenn man sich sträubte, die Reaktionen hoch- entwickelter Organismen unmittelbar mit denen von Embryonalzellen auf eine Stufe zu stellen, aber man kann den Zellen des sich ent- wickelnden Organismus nicht diejenigen Reaktionsfähigkeiten ab- sprechen, die das Experiment bei einzelligen Organismen nachge- wiesen hat (vgl. den ähnlichen Gedankengang bei ZUR STRASSEN, 1909, p. 5ff.). Damit dürfte das oben angeführte Bedenken gegen die Annahme, dab in den Reaktionen der Embryonalzellen ein Zug steckt, der dem Reproduktionsgeschehen des Gedächtnisses wesens- gleich ist, hinfällig werden. Endlich wollen wir noch darauf hinweisen, daß die mnemische Theorie der Entwicklung zwar durch die Annahme der Vererbung erworbener Eigenschaften eine passende Ergänzung und Abrundung finden würde, daß indessen durchaus nicht notwendig beide Annahmen miteinander unbedingt verknüpft sind. So kann man sich vorstellen, daß sich in der Keimsubstanz Engramme finden, die nicht durch Übertragung somatischer Erwerbungen in dieselbe hinein gekommen sind. Es könnte — in einigen, freilich nur in einfachen Fällen — eine Art Keimesvariation der Engramme (z. B. durch direkte Be- einflussung der Keimzellen, „Parallelinduktion“) stattgefunden haben (vgl. Semon’s eigene Bemerkungen darüber 1907, p. 70—71). Wie dem nun auch sein mag, immer wird als Tatsache bestehen bleiben, daß sich viele Vorgänge der tierischen Formbildung nach Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 141 einem von Gedächtnisvorgängen hergenommenen Schema am besten beschreiben lassen. Das gilt nun in besonders auffälligem Maße von dem uns vorliegenden Falle. Wenn man sich die erbliche Anlage, die die Scleroblasten befähigt bestimmte Spiculaformen hervorzubringen, nach Art von Ge- dächtnisresiduen (Engrammen) wirksam denkt, so werden uns viele Züge des von uns geschilderten Vor- ganges bekannt, statt seltsam anmuten. Zunächst wird verständlich, daß der auslösende Reiz an anderer Stelle gesetzt wird als an derjenigen, an der er in Wirksamkeit tritt. Daß der ent- fernte Ankerbogen oder die Handhabe die entsprechenden Enden der Platte beeinflussen, wird uns nicht mehr wundernehmen, wenn wir daran denken, daß auch die meisten Reize die Gedächtnisresiduen auslösen, an anderer Stelle dem Organismus mitgeteilt werden als an derjenigen, wo wir uns vermutlich die Residuen lokalisiert denken müssen. Der Vorgang, der einen auslösenden optischen Reiz von der Retina zum Auge führt, kann uns jetzt als ein bekanntes Vor- bild dienen für die Art der protoplasmatischen Fortleitung des Ge- stalteindruckes vom Anker zur Platte oder von einem Teile einer Platte zum anderen. Die Möglichkeit, sich die Reizübertragung vom Anker zur Platte usw. nach Art der Nervenleitung zu denken, gewährt noch weitere Vorteile Wir stellten uns oben die Frage, wie es möglich wäre, daß der Reiz auf seiner Leitung durch das Plasma keine zufälligen Veränderungen erführe Auch diese Frage können wir jetzt zwar nicht beantworten, aber doch wenigstens mit anderen wohlbekannten Tatsachen in Beziehung setzen. Denn wir haben, wie ich glaube, allen Grund, auch von der Reizleitung zum Gehirn und im Gehirn anzunehmen, daß der protoplasmatische Reizzustand in denjenigen Zügen, die ihn zum Repräsentanten des Reizes machen, bei der Fortleitung keine wesent- lichen Änderungen erfährt oder wenigstens sozusagen mit einem konstanten, individualisierten Index versehen wird. Ob während der Leitung zum Gehirn gleichsinnige Spezifizitätsänderungen aller Reiz- eindrücke vorkommen, läßt sich nicht ohne weiteres sagen; denn es wäre wohl denkbar, daß ein Reiz im Gehirn nicht nach der Art wirkte, wie er in dem nervösen Endorgan aufgegeben wird, sondern entsprechend der Qualität, mit der er im nervösen Zentralorgan ankommt. Jedenfalls ist die Erhaltung des spezifischen, repräsen- tativen Charakters der Erregungen aus einigen Gründen sehr wahr- 142 SIEGFRIED BECHER, scheinlich; denn wir sehen, daß ein und derselbe Reiz an verschiedenen Stellen des Gehirns als „dasselbe“ wirken kann, und daß derselbe Reiz andrerseits, auf verschiedenen Bahnen (etwa von verschiedenen Teilen der Retina aus) derselben Gehirnpartie zugeführt, wiederum dieselbe auslösende Wirkung hervorrufen kann. Ferner ist unter Zugrundelegung des mnemischen Geschehens das Verhalten der Formbildungsvorgänge bei ge- ändertem Ausgangspunkt leicht verständlich: wie bei den mnemischen Prozessen eine teilweise Wiederkehr der auslösenden Bedingungen trotzdem dieselben Reproduktionen veranlassen kann, so werden auch von dem verlagerten Primärkreuz oder von dem anormal gestalteten Anker doch fast dieselben Formbildungsprozesse in Gang gesetzt. Wir fanden, daß beim Primärkreuz manchmal nur die . Vierendigkeit“ wirkte und nicht die Richtung des Primärstäbchens. Wir brauchen jetzt aber nicht mehr die unnatürliche Annahme, daß in dem Gestaltreiz des Primärkreuzes sozusagen der zum Primärstab gehörige Teil fehlte. Wir können jetzt annehmen, daß zwar der ganze Gestaltreiz da ist, daß aber nur ein Teil davon wirksam wird. Die Wiederkehr einer Kleinigkeit kann mir eine ganze frühere Situation ins Gedächtnis zurückrufen und mich zu entsprechender Reaktion veranlassen, sie kann allerdings gelegentlich einmal auch nur einen beschränkteren Teil des früheren Erlebnisses reproduzieren und vielleicht dementsprechend eine andere oder eine Teilreaktion auslösen. Beide Fälle finden wir bei der Formbildung von Ankern und Platten wieder. Das gedrehte Primärkreuz (also der etwas geänderte Reiz) führt fast zu denselben Reaktionen wie das normal liegende Primärstäbchen. Dagegen vermögen die ganz anormal ge- bildeten Ankerbogenenden der Fig. Hb nur noch die normale Auslösung einer Teilreaktion, nämlich die Bildung der Ankerhäkchen, anzuregen. Dazu kommt die Tatsache, daß die Formbildung von Anker und Platte in demselben Hautstück in sehr verschiedener Größe erfolgen kann (Fig. G). Es wäre sinnlos, für jeden Maßstab, in dem diese Bildungen auftreten, eine entsprechende besondere erbliche Anlage anzunehmen. Vielmehr müssen die erblichen Dispositionen durch die Gestaltreize der großen wie der kleineren Kalkkörperanlagen richtig zur Mitarbeit angeregt werden können. Das wird wiederum leicht verständlich, wenn die Dispositionen Engrammnatur haben; denn auch für die Gedächtnisresiduen von Gestalten ist charakteristisch, daß sie sowohl durch größere wie durch kleinere Abbilder derselben Form erregt werden können. Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 143 Damit nähern wir uns dem schwierigsten, aber auch inter- essantesten Problem, der Wirkung des „Ganzen“ Auch in diesem Falle kann uns nur die Analogie zu dem Gedächtnisgeschehen die Möglichkeit bieten, die seltsamen Tatsachen an Bekanntes an- zuschließen. Nehmen wir an diesem Punkte einen Augenblick lang die eigene Erfahrung über unser Psychisches hinzu. Denken wir an irgendeinen Komplex von Engrammen, etwa an ein Gesicht, dessen Vorstellung durch irgendwelche Reize in uns lebendig wird. Dann ist deutlich, daß in diesem Komplex eine gewisse Einheitlichkeit, ein unzweifelhafter Zusammenhang zwischen den Elementen des Ein- drucks besteht. Die einzelnen Elemente des Komplexes stehen nicht völlig selbständig nebeneinander, sondern sie machen den Eindruck der Zusammengehörigkeit zu einem Ganzen. Woher diese Zusammen- eehörigkeit stammt, soll uns hier nicht beschäftigen. Wir wollen noch ein anderes, auf den ersten Blick einfacheres Beispiel anführen: die Vorstellung eines Dreiecks. Auch in dieser Vorstellung steckt etwas mehr als die Vorstellung von 3 Linien, die nichts miteinander zu tun hätten. Auch hier ist ohne Zweifel ein Gesamteindruck, die „Dreieckigkeit“, vorhanden. Die 3 Linien werden in dem psychischen Erlebnis nicht lediglich als selbstän- dige Linien vorgestellt, sondern als Teile eines Ganzen. Auch hier lassen wir die Frage über die Herkunft des Ganzen einstweilen beiseite. Wenn das Psychische, wie die meisten Psychologen und Natur- forscher glauben, nur eine Begleiterscheinung physiologischer Gehirn- prozesse ist, dann muß man wohl annehmen, daß auch jenes Element der Ganzheit, das etwa in der Vorstellung „Dreieck“ liegt, ein physio- logisches Korrelat haben muß. Diese Annahme ist für den psycho- physischen Parallelismus deshalb notwendig, weil dieser Eindruck der Zusammengehörigkeit und Einheit häufig Einfluß auf die Reaktion eines Menschen ausüben kann. Der Eindruck „Dreieck“ kann in mir den Wunsch anregen, mir irgendeinen mathematischen Dreieckssatz zu beweisen. Die Vorstellung dreier selbständiger Linien würde diese Folgen nicht nach sich gezogen haben. Wenn also alle nichtpsychischen Vorgänge eine für sich geschlossene Kausalkette bilden, so muß ein physikalisch-chemi- sches Korrelat jenes Ganzheits-Eindruckesin den Ge- hirnzellen existieren. Ich habe diese Betrachtungen angestellt, um deutlich zu machen, daß der Biologe sich mit dem Problem einer einheitlichen Wirkung 144 SIEGFRIED BECHER, eines Ganzen doch an irgendeiner Stelle auseinandersetzen muß, une um unsere folgende Annahme zu rechtfertigen. Ich glaube nämlich, daß die erbliche Anlage etwa der Platte bzw. ihrer Teile und Entwicklungsstadien nach Art eines Gedächtnis- residuums vorhanden ist und wie ein Engramm auch als (mehr oder weniger) zusammenhängendes Ganzes wirkt. Es ist nicht etwa notwendig anzunehmen, daß die Scleroblasten eine psychische Vor- stellung von der Form haben, die sie bilden sollen, eine Vorstellung, die derjenigen ähnelte, die wir auf Grund des mikroskopischen Bildes davon bekommen. Aber ich glaube, daß ebenso wie in dem Residuum von einem Dreieck mehr steckt als in den Einzelresiduen dreier Linien, auch in dem erblichen Engramm der Ankerplatte die einzelnen Elemente nicht selbständig und unabhängig voneinander bestehen, sondern daß in dieser erblichen Repräsentation auch die- jenigen Momente liegen müssen, die aus den Elementen erst das (Ganze machen. Die Zusammenwirkung der Gestaltreize und Gestaltresiduen. Wenn wir nun annehmen, daß eine ganze Reihe solcher Form- engramme von den Entwicklungsstadien der Platte vorhanden ist, so können wir uns die Entstehung der letzteren folgendermaßen verdeutlichen. Ein bestimmtes Entwicklungsstadium bewirkt durch den durch seine Form ausgeübten Reiz die Erregung des Residuums des folgenden Formstadiums aus dem Latenzzustande, in dem sich die Engramme für gewöhnlich befinden. Der Formreiz des schon Vorhandenen wirkt dann, wie es scheint, mit dem erregten Residuum dessen, was gebildet werden soll, zusammen, und beide veranlassen gemeinsam die Prozesse, die die vorhandene Gestalt in diejenige überführen, deren Residuum erregt worden ist. Das ist zunächst ganz allgemein gesprochen und bedarf näherer Ausführung. Zunächst das Zusammenwirken von auslösendem Ge- staltreiz und von erregtem Gestaltresiduum. Ich spreche hier von einem Zusammenwirken, weil es mir wahrscheinlich dünkt, daß beide in ähnlicher Weise in Verbindung treten, wie das zwischen dem auslösenden Reiz, bzw. der von ihm hervorgerufenen Erregung, und dem erregten Engramm beim Gedächtnis einzutreten pflegt. Ein Beispiel: wir treffen einen Bekannten, den wir vielleicht längere Zeit nicht gesehen haben. Ein großer Zusammenhang von Reizen wirkt auf uns ein und bewirkt die Erregung der Residuen der früheren Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 145 gleichartigen (d. h. teilweise identischen oder aber primär-ähnlichen) Wahrnehmungen. Die Selbstbeobachtung des entsprechenden psy- chischen Vorgangs zeigt uns, daß der neue Eindruck mit den geweckten früheren Eindrücken zu einem Erlebnis zusammentritt, das man als Erkennen bzw. Wiedererkennen bezeichnet. Den physiologischen Elementen des Vorganges, der Reiz- komponente und den Residualelementen, entsprechen also auch psychologisch 2 Integranden, die wir in der Terminologie B. Erpmann’s als „Perceptions-“ und ,Apperceptionsmasse“ unterscheiden können (1886, p. 336 ff., 1901, p. 150, 317—318 u. 465 bis 468). Perceptions- und Apperceptionsmasse addieren sich nicht einfach zu dem resultierenden psychischen Vorgang, sondern wirken derartig zusammen, daß man sie meist in dem psychologischen Er- lebnis nicht unvermittelt nebeneinander empfindet und daß sie sich nur in abstracto trennen lassen. Perceptions- und Apperceptions- masse gehen eine jener für das Psychische so charakteristischen Ver- bindungen ein, die Stuart Mixx nicht unzutreffend durch das Wort „mental chemistry“ charakterisierte. Der Vergleich mit der chemischen Verbindung, die nicht wie die mechanische Mischung die einzelnen Bestandteile noch unverändert zu erkennen gibt, liegt in der Tat nahe. Deshalb reden einige Psychologen von einer Verschmelzung von Perceptions- und Apperceptionsmasse (vgl. B. ErpMmAnn, 1886, ori; 1897, p. 157, 155 — 158; 1901, p. 150, 317 u. 467; H. Hôrpixe, 1889, 1890, 1893 und 1901). Dieser Vorgang der Zusammenwirkung von Perceptions- und Apperceptionsmasse wird als „Apperception“ bezeichnet. Damit ist aber der ganze Prozeß der Reproduktion noch nicht vollständig beschrieben. Es kommt noch hinzu, daß die apperceptiv erregten Residuen, also die Apper- ceptionsmasse,nunihrerseits durch Assoziation andere Residuen in.Erregung versetzen. Diese Erweiterung kann sich auf Grund von Ähnlichkeit vollziehen: der Anblick einer Farben- nuance oder einer Figur kann apperceptiv die Residuen entsprechender früherer Wahrnehmungen wecken, und diese können durch „Ähn- lichkeits-Assoziation“ (besser -Reproduktion cfr. ErpMany, z. B. 1901, p. 318, 440, 467 —468 u. andere; auch Semon) die weitere Reproduktion von Vorstellungen ähnlicher Nuancen bzw. Figuren nach sich ziehen. In den meisten Fällen aber kommt eine „assoziative Ergänzung“ (ErDMaxx, 1901, p. 150, 318) von Perceptions- und Apperceptions- masse dadurch zustande, daß die letztere so gut wie immer nicht ein vereinzeltes, selbständig dastehendes Residuum darstellt, sondern Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Zool. u. Physiol. 10 146 SIEGFRIED BECHER, | in einem „Verflechtungszusammenhange“ vorhanden ist, der unter den betreffenden Residuen besteht, weil die entsprechenden Wahrnehmungen in einem ähnlichen Zusammenhange auftraten. Die Residuen der Apperceptionsmasse ziehen dann also in mehr oder weniger vollständiger Weise die Reproduktion des ganzen Komplexes nach sich — durch Kontiguitätsassoziation oder, besser ausgedrückt, dadurch, daß sie mit diesem ganzen Komplex in ein und demselben assoziativen Verflechtungszusammenhang gegeben sind (B. ERDMANN, 1886, p. 408; 1896, p. 34; 1901, p. 150, 440, 467 usw.). R. Semon hat den großzügigen Versuch gemacht, die Zusammen- wirkung von Wahrnehmungen und Vorstellungen unter einem ver- einheitlichenden, einfacheren Gesichtspunkt darzustellen (1904, 1908, 1909). Er ist der Meinung, daß ein prinzipieller Unterschied von Empfindung (Wahrnehmung) und Vorstellung (soweit das psychische Erlebnis in Frage kommt) nicht besteht (vgl. auch Erpmann’s ent- sprechend erweiterte Definition von „Vorstellung“, 1886, p. 336; 1896, p. 359, 360 u. 1901 p. 465), und bezeichnet daher die ersteren als originale, die letzteren als mnemische Empfindungen (1909, p. 185 — 21). Die psychische Zusammenwirkung von ent- sprechenden Wahrnehmungen und Vorstellungen auf Grund von entsprechenden Reiz- und Residualkomponenten (= Engrammen) wird von ihm als „Homophonie“ bezeichnet (1908, p. 204, 201—209 ff.). Die Milderung des Gegensatzes von Wahrnehmung und Vorstellung legt aber für Semon den Gedanken nahe, daß es nicht nur eine Homophonie zwischen originalen und mnemischen Empfindungen (bzw. Reizen) gibt, sondern ebenso eine Homophonie von ausschließlich mnemischen Empfindungen (bzw. Erregungen) und dab auch ein ganz entsprechendes Zusammenklingen von Originalempfindungen (1909, p. 98 ff.) unter sich möglich sein muß. So werden die Zusammen- wirkung zweier Eindrücke beim binokularen Sehen und beim diotischen Hören unter demselben Gesichtspunkt betrachtet wie die mnemischen Homophonien. Die Homophonie der Originalempfindungen ist experi- mentell am genauesten studiert worden. Semon bestreitet auf Grund mancher Erfahrungen über originale und mnemische Homophonie, daß eine wirkliche Verschmelzung bei der Homophonie stattfindet (1909, p. 270 ff.). In der Tat läßt sich mancherlei dafür anführen, daß die einzelnen Elemente durch den Prozeß ihre Selb- ständigkeit nicht verlieren. Den Vereinheitlichungsvorgang, den die Psychologen mit dem Wort „Verschmelzung“ andeuten wollen, leugnet SEMON indessen nicht, er gebraucht dafür den Ausdruck „Deckung“. Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 147 _ Die Deckung kann bei der Homophonie mehr oder weniger voll- kommen sein. Neben der Deckung zahlreicher, übereinstimmender Elemente, die dadurch eine „Vividitätssteigerung“ (l. c. p. 94 ff., 286 ff.) erfahren, pflegt eine gewisse Inkongruenz in anderen Punkten be- stehen zu bleiben. Diese „ungleichartigen Bestandteile treten bei der Homophonie mehr oder weniger deutlich in Opposition und er- geben dabei häufig Empfindungen besonderer Art, die wir als Empfin- dungsdifferentiale bezeichnen“ (1909, p.258 —259). Tiefenwahrnehmung und Wiedererkennen geben ein Beispiel für ein solches Empfindungs- differential bei originaler, bzw. mnemischer Homophonie. Es kann nun die Aufmerksamkeit bei Homophonie entweder mehr auf die sich deckenden gleichartigen Bestandteile oder aber auf die ungleichartigen gerichtet sein, danach unterscheidet SEMON „nicht differenzierende“ und „differenzierende Homo- phonie“. Die erstere bildet mit ihrer auffallenden Vividitäts- steigerung der übereinstimmenden Teile ähnlicher Empfindungen die Grundlage der primitiven, nicht sprachlichen Abstraktion, die nicht an die Sprache gebunden ist und, wie schon D. Hume andeutete, auch den höheren Tieren zukommt. Die differenzierende Homo- phonie ergibt als Empfindungsdifferential die Bekanntheitsempfindung (Wiedererkennen), die zuweilen mit Ungleichheitsempfindung einher- gehen kann und dann die Grundlage des (bekanntlich äußerst genauen) simultanen Vergleichs wird (1909, Kap. 5, 16 u. 17). Die assoziative Ergänzung wird von SEMON — abgesehen von der ,,Ahnlichkeits-Assoziation“ (besser -Reproduktion), die er für nicht irreduzibel hält — in ähnlicher Weise aufgefaßt wie von B. Erpmann. Auch bei ihm wird die Kontiguitätsassoziation darauf zurückgeführt, daß die einzelnen Erregungen in großen Komplexen zusammengegeben sind und als solche auch engraphisch werden. Vgl. SEMONS „ersten mnemischen Hauptsatz“ der „Engraphie“ (1909, p. 146 u. 371). Nun ist noch einmal zu bedenken, daß diese psychologischen Ausführungen nicht lediglich psychologische Bedeutung haben. So wie B. Erpmann entsprechend der psychischen Perceptions- und Apperceptionsmasse eine rein physiologische Reiz- und Re- sidualkomponente mit Recht annehmen mußte, so braucht auch SEMON in seinen Ausführungen für „Empfindung“ nur „Erregung“ zu Setzen, um wenigstens in den Grundzügen das physiologische Geschehen zu charakterisieren, das mit dem psychischen verknüpft ist. Wir sahen nun oben, daß sich das Grundschema des mnemischen 10* 148 SIEGFRIED BECKER, Reproduktionsgeschehens weit über diejenigen Vorgänge hinaus ver- folgen läßt, die in uns selbst mit oberbewußten psychischen Er- lebnissen verknüpft sind. Wir fanden es weiter wahrscheinlich, daß die erbliche Repräsentation der Form nach Art von Residuen (En- orammkomplexen) von Gestalten am besten verstanden werden kann. Endlich kamen wir zu der Vorstellung, daß wohl eine ganze Reihe solcher Formengramme angenommen werden muß, eine Reihe, deren einzelne Glieder den aufeinanderfolgenden Stadien der Entwick- lung des Kalkgebildes entsprechen. Während der Entwicklung des Spiculums treten nun durch den Gestaltreiz der Entwicklungsstadien die den Engrammen entsprechenden Originalerregungen auf, und wir hatten schon vermutet, daß der Fortschritt der Bildungsprozesse auf eine Zusammenwirkung dieser Originalerregungen mit den ge- weckten Residuen zurückgeführt werden kann. Auf Grund unserer Erôrterungen über den Prozeß der Zusammen- wirkung von Reiz- und Residualkomponente, von originalen und mnemischen Erregungen können wir jetzt diese Andeutung weiter ausführen. Durch den Gestaltreiz eines bestimmten Entwicklungs- stadiums werden das Gestaltresiduum(-engramm) der entsprechenden Form wie auch der folgenden, ähnlichen Form geweckt und ganz entsprechende Vorgänge eingeleitet wie bei dem physiologischen Vorgang bei Apperception und Reproduktion. Es wird, um mit SEMON zu reden, zu mnemischer Homophonie kommen und zu einer Deckung der gleichartigen Bestandteile von Originalerregung (Gestalt- reiz des Entwicklungsstadiums) und den erregten Engrammen. Neben — dem genau entsprechenden Engramm des Stadiums (das wahrschein- lich schon etwas früher erregt wurde) wird aber sehr wahrscheinlich schon das ganz ähnliche Residuum des folgenden Stadiums geweckt werden, und dieses Engramm zeigt neben den übereinstimmenden Merkmalen eine Reihe von Besonderheiten, die nun bei etwas differenzierender Homophonie als „Erregungsdifferential“ bezeichnet werden und in Wirksamkeit treten können. Die Verschiedenheit, das Erregungsdifferential, betrifft nun natürlich gerade diejenigen Stellen, an denen etwas Neues gebildet werden muß; denn an diesen Punkten unterscheidet sich das folgende Entwicklungsstadium gerade von dem vorhergehenden. Wieso es kommt, daß die Verschiedenheit, die die betreffenden Punkte „betrifft“, nun auch gerade an diesen Punkten wirkliche Neubildung veranlassen kann, soll weiter unten verdeutlicht werden. Zunächst bleibt für uns festzuhalten, daß wir den Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 149 &anzen Formbildungsprozeß in einzelne Schritte zer- legen können, von denen jeder zur Beseitigung einer Inkongruenz bei mnemischer Homophonie von Er- regungen dient. Beseitigung einer Inkongruenz bei mnemischer Homophonie ist nun nach den Ausführungen von Semon für das ganze Regulationsgeschehen charakteristisch (vgl. 1908, p. 216 u. 236 ff.). In unserem Falle zeigt sich deutlich, daß das nicht nur für anormalen, sondern in ganz analoger Weise für den normalen Ablauf gilt. Jedes Entwicklungsstadium unserer Kalkkörper bedingt die Ekphorie des ent- sprechenden Engrammes und des folgenden, etwas ab- geänderten Engrammes. Die Inkongruenz der sich da: durch ergebenden Homophonie wird durch Kalkablage- rung, die den Erregungsdifferentialen entspricht, be- seitigt. Dadurch ist aus dem einen Entwicklungs- stadium eines Kalkkörpers ein weiteresgeworden, das nun seinerseits das folgende Gestaltresiduum erregt und mit ihm zu differenzierender Homophonie kommt. Auch diese Homophonie wird durch entsprechende morphogene Elementarprozesse beseitigt, und so geht es weiter, bis endlich die definitive Form und damit auch cdi © Homophonie erreicht ist. Beim regulativen Geschehen liegen die Dinge ganz entspr echénd. Der unter anormalen Verhältnissen auftretende originale Gestaltreiz ist von dem zu dem entsprechenden normalen Reiz gehörigen Re- siduum stärker verschieden als ein normaler Gestaltreiz von dem „folgenden“ Residuum. Beim regulativen Geschehen ist also die Inkongruenz bei der Homophonie beträcht- licher. Gleichwohl selingt es in den meisten Fällen diese Inkongruenz kleiner und kleiner zu machen Wennalleeinzelnen morphogenen Reaktionen so statt- finden, daß sie zur Verminderung der jeweiligen In- kongruenz beitragen, so ist ja klar, daß das von anor- malen Anfangsstadien ausgehende Spiculum sich doch in seiner Weiterbildung mehr und mehr der normalen Form nähern muß. So wird unsere oben mehrfach betonte Be- obachtung: die Ausgleichung der Anormalitäten in Richtung der normalen definitiven Form, verständlich. Daß in unserem Falle die Regulation nicht zu vollständig normalem Ergebnis führen kann, ist aus der Natur der Sache begreiflich: das im Anfang Verbildete bleibt 150 SIEGFRIED BECHER, bestéhen, es ist in festem, unplastischem Kalk einmal da (vel. Fig. K und N); aber charakteristisch ist eben auch für diese Regulationen an starrem Material, daß ein anfäng- licher Fehler nicht „fortzeugend Böses“ — will heißen mehr und mehr Anormales — gebären muß. Dieses augen- scheinliche „Streben“ zum Normalen wird also durch die, auch bei anormalen direkten Reizen immer normal bleibenden, mnemischen Residuen von der normalen Gestalt (und ihren Entwicklungsstadien) bedingt und zwar durch die mnemische Homophonie, bei der die Inkongruenzen, die Unterschiede von dem zu Erreichenden, wie bei zwei zur Deckung gebrachten ähnlichen Figuren hervortreten und nun die notwendigen morphogenen Prozesse bestimmen können. Nebenbei mag bemerkt werden, daß die „Ekphorie“ der einzelnen Residuen in der richtigen Reihenfolge auch bei ziemlich weitgehen- den Störungen gut gesichert ist; denn man muß bedenken, daß einer- seits die originalen Erregungen, daneben aber auch noch die vor- hergehenden Glieder der Residuenreihe selbst ekphorisch auf die folgenden wirken können. Wieweit das allerdings in unserem Falle möglich ist, steht dahin. Ich glaube nicht, daß normalerweise die mnemische Reihe bei unserem Objekt selbständig erheblich weit ab- laufen kann; denn wenn das der Fall wäre, so müßte man gelegent- lich morphogene Teilreaktionen, die gewöhnlich erst später ablaufen, gleichzeitig mit früheren auftreten sehen. Man findet auch solche Heterochronien, aber nur an verschiedenen Teilen eines Kalkkörpers. Dagegen habe ich nicht beobachtet, daß in einer Reihe von morpho- genen Prozessen, ein späterer eher auftreten könnte als ein gewöhn- lich früherer. Das Resultat der Betrachtungen unserer letzten Abschnitte ist also, daß sowohl die Regulation wie die normale Formbildung sich am bestenerklären,d.h. mit anderen Tatsachen in Zusammenhang bringen und derselben Gesetzmäßigkeit unterordnen lassen, wenn wir annehmen, daß die einzelnen Schritte der Form- bildung ausgelöst werden durch die Inkongruenzen, die beidermnemischen Homophonievon den originalen Erregungen und den erregten Residuen auftreten. Bei der Formregulation sind diese Inkongruenzen bedeu- tend, wegen der anormalen Form eines Entwicklungs- stadiums; bei der normalen Bildung von Anker und Platte sind sie weniger beträchtlich, aber bestimmt Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 151 festgelegt. Sie bestehen hier in dem Erregungsdiffe- rential zwischen dem Gestaltreiz eines normalen Ent- wicklungsstadiums (genauer: zwischen der davon herrührenden Originalerregung) und dem erregten Engramm der folgen- den Entwicklungsstufe. Nunmehr kommen wir dazu, das nachzuholen, was wir bereits oben versprochen haben, eine Erörterung der Frage: Warum wirken die Erregungsdifferentiale, die sich bei der Homophonie ergeben, gerade auf diejenigen Teile des in Entwicklung begriffenen Kalkkörpers, andenen die zudem nächsten Stadium führenden Neubildungen anzusetzen haben? Wir sahen schon, daß sich die Inkongruenzen zwischen den ori- sinalen, von dem Bildungsstadium bzw. den Teilen desselben aus- gehenden Erregungen mit dem folgenden Engramm auf diejenigen Stellen „beziehen“, deren Umbildung dann notwendig ist. Aber mit dem Worte „beziehen“ ist für das Verständnis der eigentlichen Aus- lösung der notwendigen Reaktion wenig gesagt. Man kann Resi- duen nicht einfach als Formen betrachten, als Matrizen, die wie ein Schatten das in Bildung begriffene Spiculum umgäben, an einigen Stellen darüber hinausreichten und nun an diesen Stellen die Ab- lagerung von Kalk veranlaßten. So einfache Vorstellungen über die Natur der Engramme geben sicher ein unrichtiges Bild. Wie sollte ein solches Engramm aus den einzelnen Zellen, die das Syncytium von Anker und Platte bilden, hervorgegangen sein! Es ist kaum denkbar, daß es sich stückweise zusammengesetzt hat. Wenn es aber aus einer Zelle stammte und sich später vergrößerte, so muß man weiter fragen, wie konnten alle die Formenschatten in der be- fruchteten Eizelle stecken, oder wie konnten sie sich aus einem einzigen bei den Zellteilungen der Ontogenese hervorbilden, ohne durch diese Teilungen ihre mehrdimensionale spezifische Ausbildung zu verlieren! Man erkennt ohne weiteres, wie eine solche Vorstellung sofort zu den Schwierigkeiten führte, die Driescx (1901, p. 170 ff.) wohl als erster allgemein betont hat. Bekanntlich ist DrıescH durch die Unmöglichkeit, sich die Teilung eines materiellen, dreidimensional verschiedenen Gebildes zu formgleichen Teilen vorzustellen und die Differenzierung harmonisch-aequipotentieller Systeme auf lediglich physiko-chemischer Basis zu begreifen, zu der Annahme gekommen, die in solchen Fällen im Organischen wirksamen Mannigfaltigkeiten 152 SIEGFRIED BECHER, müßten „intensiver“ und nicht „extensiver“ Natur sein (1909, Yolr2 pn 199) ec:). Nun könnte man hier einwenden, daß die Ankerplatte nur ein zweidimensional mannigfaltiges Gebilde sei. Dies ist aber nicht der Fall. Sowohl der sich aus der Ebene erhebende Bügel wie auch die Zähnchen der Platten, die senkrecht zur Plattenebene regelmäßig in verschiedener Richtung weisen können (vgl. Fig. Da), zeigen das Gegenteil. Auch ist der Anker deutlich nach drei Dimen- sionen in spezifischer Weise ausgebildet, und wir sahen schon oben, daß Anker und Platte in einem Korrelationsverhältnis stehen, das ganz dem der einzelnen Teile der Platte untereinander entspricht. Man kann also Anker und Platte in dieser Richtung als ein Ganzes betrachten, als ein Ganzes, bei dem dann natürlich die spezifische Gestaltung in drei Dimensionen besonders auffallend ist. In der Tat läßt sich auch kaum ein anderes Beispiel finden, das die An- nahme einer intensiven Mannigfaltigkeit in ähnlicher Stärke sugge- riert wie die Vorgänge, die wir in dieser Abhandlung verfolgt haben. Wir wollen indessen die Berechtigung solcher vitalistischen An- nahmen beiseite lassen und uns damit begnügen, auf die Notwendig- keit hingewiesen zu haben, die erbliche Anlage der Plattenform bzw. ihrer Teilbezirke nach Art der Formresiduen im Gehirn zu denken. Es ist bei dem jetzigen Stande unserer Kenntnisse schlechterdings unmöglich, etwas Bestimmtes über die Natur der Engramme auszu- machen. Die Ähnlichkeit mit den Gedächtnisresiduen läßt aber den Schluß zu, daß die mnemische Erregung des Residuums ein ähnlicher Prozeß und eine ähnliche Mannigfaltigkeit sein muß wie die originale Erregung von dem Gestaltreiz eines Entwicklungs- stadiums der Kalkplatte. Diese Ähnlichkeit muß sich auch auf das Moment der Ganzheit ausdehnen, das in einem Komplex von Ein-. drücken steckt, auf die seltsame, aber unzweifelhaft gewisse Tat- sache, daß — wie die Beobachtung des eigenen Psychischen zeigt — die Elemente eines Eindrucks nicht nebeneinander liegen, wie man sich Eisenstücke oder Atome nebeneinander liegend denken mag, sondern daß die einzelnen Elemente in einer primitiven Beziehung zueinander bewußt werden, einer Beziehung, die von den bekannteren, sekundär-assoziativen Verbindungen wohl zu unterscheiden ist. Mit dieser Beziehung muß der Naturforscher wegen ihrer Einfluß- nahme auf das objektive Geschehen rechnen, mag er sie nun (wie der Vitalist und Anhänger der Wechselwirkungstheorie) nur dem meta- mechanischen (Psychoid bzw.) Psychischen zuschreiben oder aber (wie Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 153 der Vertreter eines psychophysischen Parallelismus) wohl oder übel im physikochemischen Geschehen des Gehirns suchen müssen. Mehr können wir über die Natur der Residuen nicht sagen. Ich willan dieser Stelle noch einmal ausdrücklich be- tonen, daß ichnichtetwaannehme, dasEngramm zeige eine spezielle Übereinstimmung mit unserer Vor- stellung bzw. dem zugehörigen Residuum von einer Ankerplatte. Unsere Vorstellung geht auf optische Eindrücke zurück. Diese fehlen dem Syncytium voll- ständig, und so können auch die Residuen keine speziell optische Natur aufweisen. Man muß aber wohl bedenken, daß es durchaus nicht der Gesichtssinn allein ist, auf den sich eine Formvorstellung gründen kann. Auch der Tastsinn kann Formreize übermitteln und dadurch auch Formvorstellungen erzeugen. In der Tat ließe sich das Engramm des Syncytiums vielleicht schon mehr mit dem Gedächtnisresiduum vergleichen, das in uns etwa dadurch gebildet werden kann, daß wir eine bestimmte Form, ohne sie zu sehen, mehrfach auf die Hand- fläche drücken. Man denke sich z. B. das Experiment mit einer vergrößerten Nachbildung einer Ankerplatte gemacht. Die Residuen eines solchen Tasteindruckes ließen sich wahrscheinlich schon etwas eher mit den Engrammen in den Anker- und Ankerplatten-Syncytien vergleichen; denn vielleicht ist der Gestaltreiz eines Kalkkörpers nicht ganz unähnlicher Natur. Es ist selbstverständlich, daß auch damit keine nähere Verwandtschaft bestehen kann; denn unser Tasteindruck hängt in seiner Qualität von der Natur mHaserer Tastreizreceptoren in der Haut ab, und die speziellen Bedingungen dieser Aufnahmeapparate fehlen natürlich unserem Syncytium. Die optische Vor- stellung etwa von einem Anker und die Tastvorstellung, bzw. die entsprechenden Residuen, die man etwa nach der oben angegebenen Weise erzeugen könnte, zeigen neben den besonderen Charakteren, die mit der Verschiedenheit der Sinnesgebiete in Zusammenhang stehen, einige gemeinsame Züge, so z. B., daß sie beide einen ein- heitlichen Gestalteindruck darstellen, dessen einzelne Elemente nicht durcheinanderfließen, sondern in fester Anordnung und Beziehung auch in der Erinnerungsvorstellung erhalten bleiben. Diese gemein- samen Züge werden dann, selbst oder in ihrem physiologischen Korrelat, der erblichen Repräsentation der Ankergestalt in den Syneytien schon etwas näher kommen. Natürlich bleiben aber auch 154 SIEGFRIED BECHER, in einer solchen abstrakten Vorstellung bzw. ihrem event. physischen Korrelat immer noch Elemente, die mit den speziellen Bedingungen des menschlichen Nervensystems zusammenhängen. Nur muß ich den vielleicht bei manchem Leser auftauchenden Einwand bestreiten, daß ein von zahlreichen Nervenzellen und Aufnahmeapparaten (der Retina, der Hand und dem Gehirn) vermittelter komplizierter Ge- stalteindruck bei einem zusammenhängenden Syncytium nicht mög- lich wäre. Doch soll dieses Bedenken, über das der Leser schon auf Grund früherer Bemerkungen zu einem richtigen Urteil gelangen kann, erst am Ende unserer Ausführungen noch einmal beleuchtet werden. Aber auch das Wenige, was wir mit einiger Bestimmtheit über die Natur der Formresiduen in dem Anker- und Ankerplatten-Syn- cytium angeben können, genügt, um uns ein Bild machen zu können darüber, wieeskommt, daß die Empfindungs- bzw. Erregungsdifferentiale, die sich auf diejenigen Teile „beziehen“, an denen die Weiterbildungen an- setzen müssen, nun auch wirklich an diesen Stellen den Fortgang’ der Gestaltbildung veranlassen War sahen, daß das auf das erreichte Kalkkörper-Entwicklungsstadium in der Residuenreihe folgende Engramm sich nicht wie ein Mantel um das Spiculum legen kann, als ein Mantel, der nur an den Stellen klaffte, an denen die weitere Kalbablagerung stattfinden muß. Eine so naive Vorstellung würde sicher nicht zutreffen. Aber halten wir fest, daß, wo und wie auch immer das Residuum vorhanden sein mag, jedenfalls immer differenzierende Homophonie zwischen der von der Gestalt des Entwicklungsstadiums herkommenden Erregung und dem erregten Engramm des folgenden zustande kommt. Nun wollen wir einmal beachten, daß fast an der ganzen Oberfläche des Anker- oder Plattenentwicklungsstadiums eine leichte Kalkanlagerung durch Tätig- keit des Plasmas stattfindet. Man kann weiter, ohne allzu hypothetisch zu werden, annehmen, daß in dieser allgemeinen oberfläch- lichen Kalkablagerung fortwährend kleine Schwankungen stattfinden, derart, daß dieselbe bald hier, bald dort voraneilt oder zurückbleibt. Man kann das Vorkommen derartiger Schwankungen sogar sehr wahrscheinlich machen. Ich hatte leider noch nicht Gelegenheit zu versuchen, ob es gelingt, an ein und demselben Kalkkörper während des Lebens des Tieres Schwankungen im Wachstum direkt nach- zuweisen. Ein solcher Versuch stößt sicher auf gewaltige Schwierig- keiten. Indessen läßt sich z.B. an Primärkreuzen ein und desselben Hautstücks zeigen, daß bald das eine, bald das andere Ende gegen- ep) en) | Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. eg Oke! ‘sisuabsag vjdpuhsojdayT UOA puts uaIpeIS ATTY ‘HOUINZ wszpysyojpuspeoug UAISIO Uap Taqnuddes ‘UHIJOIJUE YSIONZ AULT qsuos 9IP ‘IOUIOUOLTJOUUAS usoaewurıd dp PUIS SUT ‘ooV[ULpeTecng Joep JON -119.90.6 18805 pun u9IRWII Uap 19qUU9.696 ToUIOyaTeumkg UstypUNyes Jap moqLaTq -YONINZ, SOYIVIS Ula F 'n 9 UdGlez 10.090 LI ‘MIOUIOUOMUIJSUUAS USIBUII usp JEU 81)19ZU0I9L.6 se] pun sopue -jadug sep aouRyuy ofp SERIEN EJURLAR) JOUR LOUIOY -ILIJIWULAS usıepuny DES UNIES 9 no uy ‘Sue -I0A Puamep -99 WAY 21900 9]4991 Jap yt q up ‘HT -9.0URI0A $S9Z -NOINIBUILIT sap ULV 91990 oyum op ST RU] ‘aovlue -U9}CI4 JP U9GSULIIIZUIL -OJI U9IS19 Joep U9J914 MY wep ur U96 -UNNULAUIS IP 90192 4 ‘SU 6 156 SIEGFRIED BECHER, über einem idealisierten Vorbild voraus ist (Fig. Ra). Solche Ver- schiedenheiten liegen durchaus in dem Bereich des Normalen und machen es sehr wahrscheinlich, daß auch bei ein und demselben Spiculum Verzögerungen und Beschleunigungen bald am einen, bald am anderen Ende auftreten können. Nicht gar zu selten werden solche Abweichungen vom normalen idealisierten Vorbild erheblich größer. Sie liegen aber auch dann meist in Richtung der normalen Plattenbildung und brauchen das Erreichen des richtigen Zieles noch nicht auszuschließen (Fig. Rb, g). Schön demonstrieren lassen sich die vorkommenden zeitlichen Schwankungen in der Anlage durch einen Vergleich der Figg. Re, e und d,f. Bei c sind die sekun- dären Symmetriehörner vor dem Beginn der Bügelendanlage ent- standen (normal), wogegen sie bei e noch fehlen, obwohl das Bügel- ende unverkennbar schon in Bildung begriffen ist. Bei d ist der Verschluß des ersten Hauptloches dem Bügelende voraus, bei f ist die Sache umgekehrt. Dazu kommt auch hier die Verschiedenheit im Auftreten der äußeren Symmetriehörner. Ich glaube, daß das Vorkommen solcher Verschiedenheiten bei verschiedenen Platten und daß ferner das nicht seltene Vorauseilen einer Seite eines Spiculums gegenüber einer anderen Seite desselben Körperchens es sehr wahr- scheinlich machen, daß bei den einzelnen Spiculaindividuen auch: kleine unauffällige Schwankungen in der Wachstumsgeschwindigkeit stattfinden. Diese Schwankungen sind natürlich normalerweise viel kleiner als diejenigen, die wir an Figuren demonstrieren konnten. Die anormalen Ungleichheiten unserer Figuren sind vielleicht nichts anderes als gelegentliche Übertreibungen der kleineren normalen Vorkommnisse. Nun ist klar, daß diese gelegentlichen Schwankungen die Homo- phonie von originaler und mnemischer Erregung beeinflussen müssen. Alle diejenigen kleinen derartigen Schritte der Form- bildung, die nach Ort des Auftretens usw. so beschaffen sind, daß sie die Bildung der Porm im BRichinne der definitiven Gestalt fördern, werden die Inkongruenz der mnemischen Homophonie verringern, während um- gekehrt alle kleinen Schritte, die — ohne über den definitiven Piattenumriß hinauszugehen — diein den Residuen festgelegte richtige Proportionalität der Teile der Entwicklungsstadien stören, die Inkongruenz und Erregungsdifferentiale der Homophonie vergrößern werden. Wir brauchen nun weiter nur noch anzu- nehmen, daß bei dem Auftreten einer deutlichen Ver- minderung der Erregungsdifferentiale alle und be- Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 157 sonders die wesentlich voraneilenden Prozesse ge- fördert und daß umgekehrt bei Vergrößerung der Inkongruenz eine Hemmung der Kalkbildung und besonders der gerade schneller verlaufenden morpho- senen kleinen Teilprozesse stattfindet. Man sieht, daß auf diese Weise eine Hemmung der unrichtigen und eine Förderung der kleinen richtigen Kalkablage- rungen stattfinden muß, die den ganzen Verlauf der Hormbildung immer in der richtigen Bahn hält und zum definitiven Ziele führt. Man könnte einwenden, daß wahrscheinlich mit einem richtigen Teilprozeß in der Kalkablage- rung gleichzeitig an anderer Stelle so und so viele falsche verbunden sein müßten und daß nun mit dem richtigen zugleich auch die ver- kehrten gefördert würden. Dem läßt sich aber entgegenhalten, es sei nicht unmöglich, daß die hervorragenderen Schwankungen nicht so haufig sein werden, daß mehrere zugleich auftreten. Auch kann man sich unschwer vorstellen — diese Vorstellung macht auch der physikochemischen Auffassung keine Schwierigkeiten —, daß de Körderunge oder Hemmung sich ungefähr pro- portional der Größe eines Teilprozesses der Kalk- ablagerung vollzieht. Es würde dann der größeren Schwan- kung, die bei der Homophonie den Ausschlag zur Förderung oder Hemmung gab, auch eine entsprechend stärkere Förderung und Hemmung entsprechen, so daß die kleineren gleichzeitigen fehler- haften Kalkablagerungen dagegen nicht in Betracht kämen. Gegen- über der starken Wachstumsförderung an einem Gabelastende könnte z. B. eine damit verbundene nicht zielmäßige Förderung einer kleinen Schwankung an der Seite einer der Maschen des Gitterwerkes nicht viel schaden. In dem Momente natürlich, wo die Vergrößerung der Inkongruenz bei Homophonie über die gleichzeitigen Verringerungen derselben überwiegt, tritt dann sogleich Hemmung an Stelle der Förde- rung ein, bis die gelegentlichen Schwankungen andere geworden sind. Ich glaube, daß man in der angedeuteten Weise zu einer an- nehmbaren Vorstellung über die Art der Leitung gelangen kann, die von den erblichen Engrammen über die Formbildung ausgeübt wird. Man könnte sich die Sache freilich einfacher machen, wenn man im Sinne von Drizsch das die Entwicklung leitende Etwas als eine „intensive Mannigfaltigkeit“ (1901, p. 192; 1905 b, p. 230; 1909, Vol. 2, p. 137 ff.) auffaBt, die die Fähigkeit besitzt, mögliches Geschehen zu suspendieren und wiederfrei- zulassen (1909, Vol. 2, p. 181ff, 221 ff. usw.) Diese Darstellungs- 158 SIEGFRIED BECHER, weise würde zu den vorliegenden Verhältnissen nicht übel passen, aber sie würde nicht deutlich machen, wie jener Faktor es anfängt, gerade an den richtigen Stellen Geschehen zu suspendieren bzw. freizu- lassen. Es würde nicht klar werden, wie dienicht raum- liche intensive Mannigfaltigkeit die richtige Be- ziehung zu den räumlichen, an bestimmten Stellen er- forderlichen Arbeiten bekommt (vgl. Driescx 1909, Vol. 2, p- 238 11) | Aus diesem Grunde halte ich die von mir gegebene Erklärung für besser als die Betrachtungsweise, die sich aus den Anschauungen von DRIESCH ergibt. Die Auslösung durch Epidermisfalten, Anker und Ge- staltreize der Platte unter demselben Gesichtspunkt betrachtet. Deutung einiger Anormalitäten. Gesamt- residuen und Teilresiduen. Nun müssen wir uns darüber klar werden, daß die Wirkung des Gestalteindruckes der Platte sehr gut mit der Wirkung von Anker und kleinen Falteneindrücken Hand in Hand gehen kann und daß beide Arten der Beeinflussung nicht als heterogene Wir- kungen nebeneinander stehen, sondern sich unter demselben Gesichts- punkt betrachten lassen. Man darf nicht glauben, daß die Platten- engramme ausschließlich durch die vorhergehenden Gestaltreize des betreffenden Plattenentwicklungsstadiums ausgelöst werden könnten. Wahrscheinlich sind gewisse Residuen der Ankerform mit bestimmten Teilen des Plattenengrammkomplexes in assoziativem Zusammenhang gegeben und können nun durch Auftreten des entsprechenden Ori- einalreizes beim Anker mittelbar durch das apperceptiv erregte Ankerengramm mit erregt werden. Wegen des assoziativen Zusammenhanges, der wahr- scheinlich zwischen Anker- und Plattenengrammen be- steht, betrachtet man zweckmäßig beide als Glieder eines einheitlichen Komplexes, der nun durch einen wiederauftretenden Teil des Originalreizes richtig geweckt werden kann. Wir sahen ja schon oben, daß die Wirkung des Ankers auf die Platte diejenigen Züge aufweist, wie die Beeinflussung eines Teiles der Platte durch den anderen. Daß z.B; die ersten Symmetriehörner immer dem Ankerbogen zugewendet sind, erklärt sich dann einfach dadurch, dab ein Totalengrammkomplex von Anker und Platte vorhanden ist und dab während der Entwicklung sofort eine große Inkongruenz der mnemischen Homophonie auftreten Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 159 würde, wenn diese ersten Symmetriehörner an anderer Stelle sich zu bilden beginnen würden. Die Wirkung des Ankers auf die Platten- anlage, auf Bügel- und freies Ende derselben lassen sich also auch nach dem allgemeinen Erklärungsschema verstehen. Ganz Entsprechendes gilt von der Art der Wirkung, die die kleinen Hautfalten bei der ersten Orientierung des Ankers und der Platte ausüben. Der Formeindruck der Hautfältchen ist als Original- reiz immer in Zusammenhang mit den Gestaltreizen der richtig liegenden Primärstäbchen gegeben. Dem entspricht, daß das Re- siduum des Falteneindruckes mit in dem Residuenkomplex der Pri- märstäbchen vorhanden ist. Die Engramme von Falteneindruck und Primärstäbchen (sei es vom Anker oder von der selbständigen Platte) bilden zusammen einen zusammerhängenden Gestaltengrammkomplex, in dem auch die relative Lage, das parallel oder senkrecht dazu Liegen, repräsentiert ist. Durch den Falteneindruck der Körperwand wird dieser Gesamtengrammkomplex erregt, und nun wird uns klar, weshalb das Primärstäbchen des Ankers vom allerersten Anfang an nur in der Querrichtung wächst. Ein anderes Wachstum würde sofort eine starke Vergrößerung der Inkongruenz der mnemischen Homophonie zur Folge haben, und dadurch würde nach den Vor- stellungen, die wir uns gebildet haben, das Wachstum an den zu- fällig bevorzugten Stellen aufgehoben werden. Das beschleunigte Wachstum würde aussetzen, bis gerade die richtigen Stellen des Kalkkörpers im Ansetzen von Kalk vorauseilten, und nun durch die Verringerung der Inkongruenz der Homophonie und das damit ver- stärkte Wachstum die richtige Orientierung des zum Stäbchen an- wachsenden Kalkgranulums bewirkt wird. Nun taucht natürlich wieder die schon oben berührte Frage auf, wie es kommt, daß das Ankerprimärstäbchen immer parallel, das Plattenprimärkreuz dagegen immer senkrecht zu den Hautfalten angelegt wird, obwohl doch beide Lagen, wie wir sahen, möglich sind. Zunächst liegt die Erklärung nahe, daß einfach aus einem parallel wachsenden Stäbchen immer ein Anker, aus einem senkrecht dazu orientierten eine Platte würde. Das ist aber nicht richtig; denn unsere Beobachtungen zeigten uns, daß auch aus einem um 90° gedrehten Stäbchen eine Platte werden kann. Wir bemerkten des- halb oben, daß die Beziehung zur Polarität nicht über das Ein- schlagen der Richtung: Ankerentwicklung oder Plattenentwicklung, entscheiden kann und daß trotzdem diese Entscheidung schon von vornherein getroffen ist. Nun sieht das Ankerstäbchen etwas anders aus als die erste Anlage der Platte, es hat z. B. ein knopfartig 160 SIEGFRIED BECHER, verdicktes Ende. Vielleicht wird ein anfängliches Granulum ein- mal mehr dieses, ein anderes Mal mehr jenes Aussehen gewinnen, je nach den zufälligen Umständen. Und weiterhin könnte dann die zufällige Gestaltähnlichkeit bald den Ausschlag nach der einen, bald nach der anderen Seite geben. Aber selbst wenn sich der Anhänger der Polaritätshypothese zu dieser Anerkennung einer Gestaltwirkung bequemte, so wäre damit noch nicht erklärt, warum bei einem quer zur Längsachse liegenden Stäbchen so oft die Ankerlaufbahn und so selten die Plattenentwicklung bestimmt wird. Auch auf diese Frage können wir jetzt eine klare Antwort geben. Die Entscheidung Platte oder Anker ist in der Tat schon ganz im Anfang gefallen, und sie wird gegeben durch die mehr oder weniger starke Erregung der Anker- oder der Plattenresiduen. Wir fanden, daß Anker- und Plattenresiduen einen großen Zusammen- hang bildeten. Zu diesem Zusammenhang gehört einerseits die Reihe der Anker- und andrerseits die Folge der Plattenresiduen. Wir fanden schon, daß durchaus nicht immer die ganzen Reihen erregt sind, sondern daß die Erregung in diesen Reihen erst im Laufe der Formbildung allmählich fortschreitet. Ähnlich so sind auch im Anfang nicht gleich die ersten Residuen von Anker und Platte zusammen erregt. Normalerweise wird durch den Faltenein- druck nur das erste Ankerengramm erregt werden. Dementsprechend wird normalerweise eben zuerst ein Anker gebildet. Es ist aber eine beim Reproduktionsgeschehen bekannte Tatsache, dab sich ein- mal gelegentlich in dem großen Verflechtungszusammenhang gleich zu Anfang andere Verbindungen als die der normalen Reihenfolge äußern können, und so kommt es denn auch vor, dab gleich durch die Faltenreize der Haut oder durch das auftretende erste, indiffe- rente Granulum die ersten Plattenresiduen (besser Residuen der ersten Plattenentwicklungsstadien) erregt werden. Durch genaue Analyse der Anormalitäten in der Anker- und Plattenbildung kann man in die Natur des großen Engrammkomplexes genau eindringen und zu wohlbegründeten Tatsachenschlüssen über die relative Festigkeit der einzelnen Verbindungen in dem großen Verflechtungszusammenhang gelangen. Es liegt hier ähnlich wie bei der Erbmasse, mit denen sich Bastard- und Chromosomenforschung beschäftigen. Obwohl sie nicht direkt zugänglich ist, gelingt es doch, über ihre Zusammensetzung aus einzelnen Einheiten ganz be- stimmte Anhaltspunkte zu gewinnen. Denken wir in unserem Falle z. B. an die Verdoppelung des Bügelendes der Platte bei ent- Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 161 sprechender Verdoppelung des Handhabenendes beim Anker. Hier zeigt sich, daß die partielle Inkongruenz der Homophonie, die sich ergeben würde, wenn das überzählige Handhabenende des Ankers ohne Bügelende bliebe, mächtiger ist als diejenige, die sich durch das anormale Anwachsen eines zweiten Bügelendes mit den normalen Plattenengrammen bildet. Auch die Anormalitäten von Anker und Platte allein geben mancherlei Anhaltspunkte. Wenn sich ein doppeltes Handhaben- oder Bogenende am Anker zufällig bilden kann, so beweist uns das, daß, nachdem einmal ein zweiter Teil sich angelegt hat, er sich durch Selbstdifferenzierung ruhig weiterbilden kann. Diese ruhige Weiterbildung zeigt aber, daß bei der Fortbildung nicht immer das Gesamtengramm von dem Anker bzw. der Platte wirksam ist, daß.vielmehr bei der Ausge- staltung der einzelnen Teile oft auch die einzelnen wemeneramme mehr und mehr in den Vordergrund mooven Dadurch ergibt sich dann für die Teilbildungs- prozesse der Charakter beschränkter Selbstdifferen- zierung, auf den wir schon oben vielfach Gelegenheit hatten hinzuweisen. Diese relative Selbständigkeit der Teilengramme läßtsich an Fig. R schön demonstrieren. So zeigt Rb ein Plattenentwicklungsstadium, bei dem die ganze rechte Seite in der Entwicklung erheblich voraus ist. Das gilt besonders für das dem Bogen zugewendete Ende dieser Seite. Wenn dieses Ende selbständig so weit vorauseilen konnte, so zeigt das, dab die Gestaltresiduen dieses Teiles selbständig er- reset und wirksam werden können. Man könnte allerdings ein- wenden, daß es sich hier umgekehrt um irgendeine Hemmung der anderen Teile handelte Aber dieser Einwurf gilt sicher nicht für alle ähnlichen Stadien. Wir haben oben schon Fig. Re, d mit Re, f verglichen. Ein solcher Vergleich zeigt, daß die sekundären Sym- metriehörner zuweilen früher, dagegen manchmal später angelegt werden können als die ersten Anlagen des Bügelendes. Hier könnte man vermuten, daß auch die Residuen der nachhinkenden Teile schon erregt waren, dab aber aus irgendwelchen Gründen das Wachstum an den betreffenden Stellen zurückblieb. Es ist mir aber wahrscheinlicher, daß in solchen Fällen die Ekphorie der be- treffenden Teile des Gesamtengrammkomplexes verspätet worden ist. Fig. Rg wird auch wohl am besten in dieser Weise gedeutet. Hier ist die Bügelseite der Platte schon ziemlich vorgeschritten, Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Zool. u. Physiol. 1i 162 SIEGFRIED BECHER, =! während an der anderen Seite noch nicht einmal die primären Symmetriehörner vollständig angelegt sind, die normal immer zuerst erscheinen. — Obwohl daher die normale Entwicklung in einigen Stadien ziemlich deutlich auf eine Erregung des ganzen Engrammkomplexes hinweist, scheinen mir die eben angeführten Tatsachen doch wahr- scheinlich zu machen, daß zuweilen einzelne Teile des Gesamtein- drucks einzeln und zu etwas verschiedener Zeit geweckt werden können. Dies steht übrigens mit der Analogie zum Gedächtnis in bestem Einklang. Auch dort kann ein Erinnerungskomplex, der häufig einheitlich reproduziert wird, in anderen Fällen bloß in ein- zelnen Teilen geweckt werden. Man kann sich an ein ganzes Ge- mälde erinnern, aber zuweilen tauchen nur einzelne Farben oder Köpfe eines Bildes in unserer Erinnerung auf. In unserem Falle sind auch die reproduzierenden Reize für eine Einzelreproduktion ebensogut geeignet. Ein Teil eines Entwicklungsstadiums erregt eben das Residuum des betreffenden Teiles vom folgenden Stadium. Wie beim Gedächtnis so wird auch bei unseren Gestaltbildungsvor- gingen eine scharfe Grenze zwischen Reproduktion selbständiger Teile und einheitlicher Gesamtreproduktion kaum zu ziehen sein. Das geht unmerklich ineinander über. Wenn das Gesamtresiduum sehr kompliziert ist, so wird wahrscheinlich die Ekphorie oft mehr auf selbständiger Reproduktion der einzelnen Teile beruhen — ob- wohl auch dann noch, bei normalem Schritthalten der einzelnen Teil- reproduktionen, eine gewisse Gesamtvereinheitlichung aller geweckten Residuen nicht geleugnet werden kann und z. B. in der Gestaltung des Plattenumrisses sogar wieder sehr deutlich hervortritt. Immer- hin ist es notwendig sich durch eine genauere Über- legung darüber klar zu werden, daß es einer gewissen Einschränkung bedarf, wenn man von Residuen der ganzen Entwicklungsstadien redet, wie wir es der Klarheit der Darstellung zuliebe bisher meist getan haben. Erörterung einiger Bedenken. Vergleich der Arbeit von Syneytium und Gehirn. Gestaltreize und Gestalt- qualitäten. Wenn man aus unseren bisherigen Erörterungen den Eindruck gewonnen hat, daß die hier entwickelten Vorstellungen der Erklärung unseres besonderen Gegenstandes gute Dienste tun, so sind doch sicherlich noch allerhand Bedenken zu beseitigen, die über die Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 163 Fundierung unserer Deutung auftauchen können. So müssen wir noch einmal auf die Verschiedenheit der Bedingungen zurückkommen, unter denen die Engramme im Gehirn und indemAnker- und Plattensyncytium sich befinden. Die Mannigfaltigkeit der Reize, die eine komplizierte Originalerregung und ein entsprechendes Engramm im Gehirn veranlassen, werden fast immer durch eine große Zahl voneinzelnen Receptoren und Nervenfasern vermittelt. Jeder Eindruck, etwa ein optischer, wird sozusagen durch die zahlreichen Receptoren, die an seiner Aufnahme beteiligt sind, in ein Mosaik von an sich einheitlichen Eindrücken aufgelöst. Die ganze Mannigfaltigkeit eines Eindruckes scheint also die Mannigfaltigkeit der Receptoren, die entsprechende Vielheit von Leitungsbahnen und von aufnehmenden Ganglienzellen des Gehirns zur Voraussetzung zu haben. Auch die zusammengesetzte Natur einer Er- innerungsvorstellung müßte demnach auf der Viel- heit der bei der Erregung beteiligten Ganglienzellen oder „Bahnen“ beruhen. Mansieht,daßunterder Voraussetzung der Richtig- keit dieser Auffassung der von uns behaupteten Über- einstimmung der Formengramme des Syncytiums mit den Gedächtnisengrammen der Boden entzogen wird. Wir glauben aber, daß die oben angestellte Betrachtungsweise uns zu einem falschen Schluß. geführt hat. Es unterliegt in der Tat keinem Zweifel, daß die einzelnen Sinneszellen eines großen Sinnes- organs sich auf die Reception eines einfachsten Teileindruckes be- schränken. Sie haben gewöhnlich an der dem Reiz zugekehrten Seite Receptoren ausgebildet, die in besonderem Maße zu der Er- füllung der eingeschränkten Aufgabe geeignet erscheinen. Das legt aber die Vermutung nahe, daß diese Sinneszellen spezialisiertsind, undesbeweist jedenfalls nicht, daß in anderen Fällen Zellen nicht imstande sind einen zusammengesetzten Eindruck aufzunehmen. Es würde architektonische Schwierigkeiten machen eine ausgedehnte Retina aus einem Syncytium herzustellen. Jedenfalls entspricht es der gewöhnlichen morphologischen Arbeit des Organismus viel mehr, ein so ausgedehntes Organ wie die Retina aus einer Menge von Zellen aufzubauen. Daraus aber wird deutlich, daß die Auflösung eines zusammengesetzten Eindruckes in ein Mosaik die einfache 11* 164 SIEGFRIED BECHER, Folge des cellulären Baues war. Ich will natürlich nicht behaupten, daß ein Retinasyncytium eine qualitativ ebenso hohe Ausbildung gestattet hätte, wie es der Weg ermöglicht hat, den die Ent- wicklung wirklich gegangen ist. Ich bin selbst überzeugt, daß der celluläre Aufbau erhebliche Vorteile darbietet. Der wesent- lichste derselben scheint mir darin zu liegen, daß der celluläre Bau die Möglichkeit bot, daß sich jede einzelne Zelle ganz speziell für die möglichst empfindliche Aufnahme eines kleinsten Teiles des Ge- samteindruckes spezialisierte, wodurch natürlich einevielniedri gere Reizschwelle erreicht wurde. Auch kann man nicht direkt be- streiten, daß die Zerlegung ganz komplizierter Eindrücke für deren richtige Aufnahme bessere Gewähr bot als die Aufnahme durch eine einheitliche Plasmamasse, deren Fähigkeit in dieser Richtung gra- duell beschränkt sein wird. Dies alles sind schon Indizien dafür, daß in den komplizierten Sinnesorganen die einzelnen aufnehmenden Zellen einen jener im Organischen gegenüber großen Aufgaben immer wiederkehrenden Differenzierungsvorgänge durchgemacht haben und daß sie uns nicht über die ursprünglichen vielseitigeren Fähigkeiten des Plasmas täuschen dürfen. Eine weitere Überlegung gibt uns aber mehr als bloße Indizien und zeigt uns, daß für das Gehirn im Grunde genommen dasselbe Problem besteht wie für das Anker- und Plattensyncytium. Verfolgen wir einmal die einzelnen Teil- eindrücke eines optischen Formreizes weiter, so sehen wir, daß die- selben ins Gehirn einstrahlen und dort, wie gesagt worden ist, durch „Projektionsfasern auf eine bestimmte Rindenpartie sozusagen pro- jiziert werden.“ Aber mit dieser Projektion ist sicherlich für die Er- klärung noch wenig getan, denn die einzelnen Elemente des Gesamt- eindruckes müssen hierirgendwie in Beziehung treten, denn eine Summe nebeneinander gelegter Einzeleindrücke würde nun und nimmer den Zusammenhang, der in einem Gesamteindruck steckt, hervorrufen können. Jedenfalls müssen wir hier schon zu der Annahme greifen, dab die einzelnen nervösen Elemente, die im Gehirn die Träger des Gesamt- eindruckes sind, in irgendeinem Zusammenhang stehen. Diese Anschauung steht auch mit neueren Auffassungen über den Bau des Gehirns in ziemlich gutem Einklang. Die einzelnen Neuronen sind in verwickelter Weise verbunden, und man kann sich, glaube ich, physiologisch kein besseres Bild von ihrer Zusammenwirkung machen als durch die Annahme, daß sie alle zusammen ein großes Netzwerk Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 165 bilden. Dieses Netzwerk ist viel komplizierter als das Maschen- werk eines Fischernetzes, wir müssen uns vorstellen, daß nicht nur wie bei einem gewöhnlichen Netzwerk die benach- barten Zentren durch Verbindungen verknüpft sind, sondern müssen annehmen, daß außerdem mehr oder weniger entfernt liegende Zentren in mannigfaltiger Weise direkt verbunden sind. Wenn nun in ein derartiges Maschenwerk ein komplizierter Eindruck einläuft, so werden zwar die Teileindrücke zunächst in verschiedene Zellen gelangen, aber von diesen Einlaufsstellen wird sich jeder Teileindruck nach den verschiedenen Seiten ausbreiten und mit den sich entsprechend aus- breitenden anderen Teileindrücken zusammenlaufen. Dieses Zu- sammenlaufen gäbe dann, wenn auch nicht eine klare physio- logische Erklärung, so doch eine notwendige Voraussetzung der Vereinheitlichung. Nun entsteht aber, wie man deutlich erkennt, für den zusammengesetzten Eindruck im Ge- hirn dasselbe Problem wie für den Gestalteindruck desSyneytiums: warum tritt keine Verschmelzung der Meileindriicke zu einer einheitlichen Resultante ein, obwohl zweifellos eindeutlichesIn-Beziehung-Treten festgestellt werden muß? Wiein einem Syncytium, so bDesceht im Gehirn die Möglichkeit einer weitrei- chenden Ausdehnung der einzelnen Reizelemente. Das Merkwürdige ist, daß in beiden Fällen trotzdem dieSpezifizität des Gesamteindruckes gewahrt bleibt. Der Unterschied in Gehirn und Syncytium liegt nur darin, daß in dem Syncytium die Ausbreitung der Reiz- elemente gleichartiger erfolgen wird, wogegen imGe- hirn sozusagen ein Syncytium vorliegt, in dem be- stimmte Ausbreitungslinien bevorzugt sind. Wir sind damit zu einem sehr wichtigen Ergebnis gelangt: der allgemeineGrundtypus der Arbeit des Gehirns gleicht in auffallender Weise dem Geschehen, das wir in unserem Syncytium bei der Formbildung gefunden haben. | In dem letzten Abschnitt haben wir aber. ein Problem ange- schnitten, das noch einige weitere Beobachtungen angebracht er- scheinen läßt, die Frage nach der „Einheitlichkeit“ in den Form- reizen. Wir haben erkannt, daß bei der Anker- und Plattenbildung Gestaltreize eine ganz entsprechende Rolle spielen wie bei den 166 SIEGFRIED BECHER, Eindrücken unseres Gehirns. An diese Gestaltreize sind ganz besondere, schwierige Probleme der Gehirn- physiologie und Psychologie gebunden. Man kann oft eine Gestalt proportional verkleinern '), ohne damit ihre Reizwirkung zu ändern, ferner aus den Elementen eines Gestaltreizes Figuren bilden, die auf uns in ganz verschiedener Weise wirken. So lassen sich, um ein einfaches Beispiel zu nehmen, aus 4 Viertelskreisbogen ganz verschiedene Figuren zusammensetzen, die unseren Organismus in sehr ungleicher Weise beeinflussen, wenn sie etwa als optische Reize aufgenommen werden. Es macht den Eindruck, als ob in der Gestalt etwas mehr steckte als die Einzelwirkung ihrer Bestand- teile. Dieses „Mehr“ ist durch v. EHREnFeLs (1890, p. 260 ff.) als „Gestaltqualität“ bezeichnet worden. Man denke ferner an MEınong’s „fundierte Inhalte“, „Complexionen“ und „Gegenstände höherer Ord- nung“ (1891, p. 253 u. 254 usw.; 1899, p. 191 ff.; 1902, Kap. 5), an v. Kries’ „assoziative Wirkung der Komplexe“ (1901, p. 15) an Wuxprs „schöpferische Synthese“, an verwandte Ausführungen bei CorneLıvs 1897, p. 70 u. 1899, p. 112 ff, J. St. Mitt 1869, Vol. 1, p. 113 ff, Hergarr 1850, Vol. 6, p. 134 ff. und anderen. (Uber die Geschichte des Problems vgl. H. Gomperz 1905, p. 239 ff.) Manche Forscher (siehe z. B. Macx 1906, p. 91 ff.) wollen dieses Mehr durch die Wirkung von psychologischen (bzw. physiologischen) Begleit- vorgängen erklären, so könnten etwa die Muskelempfindungen von den Augenmuskeln und die entsprechenden Residuen, die bei dem Verfolgen verschiedener Konturen auftreten, die aus denselben Ele- menten zusammengesetzt sind, die Verschiedenheit des Eindrucks bedingen. Dagegen würden beim Verfolgen ähnlicher Figuren in verschiedener Größe ähnliche Folgen von Augenmuskel-Empfindungs- komplexen als Begleitvorgänge auftreten bzw. residual mitwirken. Solche Begleitungsvorgänge spielen ohne Zweifel bei der verschie- denen Wirkung ganz ähnlicher Reize eine große Rolle, man denke 1) Das Problem proportionaler Verkleinerung liegt auch bei unserem Objekt vor: Anker und Platte können in demselben Hautstück in sehr verschiedener Größe angelegt werden (vgl. oben S. 32 und Fig. G). Es ist nicht anzunehmen, daß in der Erbmasse eine Repräsentation aller ein- zelnen Ankergrößen vorhanden ist. Man muß also folgern, daß die erb- liche Anlage für die Gestaltreize großer wie auch kleiner Anker und Ankerplatten geeignet ist. Die absolute Größe kann also bei den erblichen Residuen kaum eine entscheidende Rolle spielen, eine Eigentümlichkeit, die diese Residuen mit vielen Gedächtnisresiduen teilen. Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 167 z. B. an die in den psychologischen Diskussionen über das „Tele- erammargument“ gegen die Parallelismustheorie vielbesprochene verschiedene Wirkung der Reize: „Mein Vater tot“ und „Dein Vater tot“, die auf den verschiedenen besonderen Begleitvorgängen beruht, die durch die kleine Verschiedenheit auf Grund unseres Residuen- schatzes in uns erregt werden (vgl. Fr. A. Lange, 1877, Vol. 2, p, 370ff., EHRBARDT, 1897, p. 152 ff.; Busse, 1903, p. 310 ff.; Drrescx, 1905. p. 624. 1905b, p. 220 ff, 1909, Vol: 2, p. 65 f.: Kram, 1906, p. 55—59; E. BECHER, 1907, p. 420 ff; S. BecHer 1911b, p. 229 ff.). Es lassen sich aber schwere Bedenken dagegen vorbringen, daß die Annahme der oben angedeuteten Begleitungsvorgänge wirklich das Vorhandensein von echten Gestaltqualitäten überflüssig macht, so z. B., daß jene Begleitempfindungen wiederum als „ähnliche“ Komplexe oder Folgen trotz ihrer graduellen Veränderung wirksam werden müssen (J. von Krızs, 1901, p. 26—32). Es macht außerordentliche Schwierig- keiten, sich ein physiologisches Korrelat zu dem „Mehr“ vorzustellen, das wir neben den einzelnen Teilen bei der Wahrnehmung einer Gestalt oder einer Tonfolge (Melodieeindruck neben dem Eindruck der einzelnen Töne) erleben. Hier liegen sicherlich ernste Bedenken gegen die Zulänglichkeit der Annahme eines psychophysischen Parallelismus vor — besonders auch für diejenige Form dieser Theorie, die annimmt, Psychisches und Physisches bildeten nur das subjektive bzw. objektive Gesicht eines im Grunde einheitlichen Geschehens (parallelistische Identitätstheorie). Andrerseits darf man gegenüber den dem Vitalismus und der Wechselwirkungstheorie von Psychischem und Physischem günstigen Bedenken nicht vergessen, daß es auch nicht selten im rein physi- kalischen Geschehen vorkommt, daß eine zusammengesetzte Ursache nicht lediglich durch die Einzelwirkung ihrer selbständig gedachten Teile wirkt, sondern durch die räumliche Beziehung, in der die Teile während des Zusammenwirkens gegeben sind. Ein Schlüssel mit einem komplizierten Bart paßt nur dann in ein zugehöriges Schloß, wenn die Teile des Bartes in ganz bestimmter Anordnung zueinander stehen. Man kann einen Schlüssel aus denselben Teilen herstellen und doch schon durch umgekehrte Stellung eines ge- bogenen Fortsatzes im Bart die ganze Wirkung, das Öffnen des Schlosses, total ändern. Man erkennt unschwer die Analogie, die zu der Wirkung eines Gestalteindruckes in unserem Gehirn vorhanden ist. Solche spezifische Ganzheitswirkungen zeigen sich im Anorganischen gewöhnlich dann, wenn präfor- 168 | SIEGFRIED BECHER, mierte Strukturen für die Besonderheiten der Gestalt- ursache vorhanden sind. Die Frage ist, ob die Resi- duen unseres Gehirns, die die Wirkung eines Reizes so sehr beeinflussen, als derartige physikalisch-che- mische Präformationen betrachtet werden können. Wir brauchen indessen auf diese mehr psychologischen Probleme nicht weiter einzugehen, obwohl sie eine fundamentale Bedeutung für die Biologie besitzen, wie in letzter Zeit unter anderen von EHRHARDT (1890 u. 1897) und besonders von Driızsch (1903 L c.; 1904 p. 118; 1905b p. 162; 1909 I. ec. usw.) erkannt und mit Recht hervorgehoben worden ist. Für die Ziele unserer Arbeit ist es ziemlich gleichgültig, ob es schließlich gelingt, den Gestaltquali- täten eine hinreichende, rein physiologische Interpretation zu geben, oder ob man zum Verständnis ihrer Wirkung immer genötigt sein wird, das Psychische (oder dem Psychischen Wesensverwandtes) zu berücksichtigen. Trotzdem will ich hier zum Schluß versuchen das anzudeuten, was sich vielleicht zur weiteren Analyse der Gestaltreize und Gestalt- qualitäten sagen läßt. Bedenken wir noch einmal kurz, was zur An- nahme. von Gestaltreizen führt. Wir haben 2 Enden eines Kalk- körpers, die als Enden völlig gleich sind. Es geschieht aber ver- schiedenes an diesen Enden. In den Enden selbst bzw. ihrem Ein- fluf auf das Plasma kann nicht der Grund der Verschiedenheit liegen. Dagegen sind die Partien, an denen jene Enden ansitzen, verschieden, und diese Differenz könnte den zureichenden Grund für den Unterschied in den Reaktionen darbieten. Es müßte also an jedem der beiden Enden die Gestalt der ganzen Partie mitwirken, an dem sie sitzen. Eine ähnliche Betrachtung läßt sich nicht nur für die auffallenden Enden, sondern ebenso für viele gar nicht auf- fallende Punkte eines Spiculaentwicklungsstadiums durchführen; man denke an unsere Ausführungen über die Lokalisation der Zähnchen des Ankerbogens. | Genau so liegen die Verhältnisse bei Gestalteindrücken im Ge- hirn. Wenn jeder Teil einer zusammengesetzten Figur nur für sich wirkte, so würden alle verschiedene Kombinationen jener Teile gleich wirken müssen, was nicht der Fall ist. Ein aus 4 Viertelskreisbogen zusammengesetzter Kreis () kann auf uns ganzanders wirken, wie die aus denselben Teilen zusammengesetzten Figuren: )~( (= N JS ~~~ usw. Im Ankerplattensyncytium wie im Gehirn scheint bei diesen Reizen mehr in Betracht zu kommen als die einzelnen Teile, nämlich Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 169 das individuelle Ganze, das die Teile bilden. Dies ließe sich wie bei der oben angeführten Schlüsselanalogie erklären, wenn im Syn- cytium Dispositionen für solche bestimmten Kombinationen der Teile vorhanden wären und die Rolle des für die spezielle Schlüsselbart- form passenden Schlosses spielten. Nun ist es höchst unwahrschein- lich, daß in unserem Syncytium sozusagen eine Matrize für die Anker- und Plattenform vorhanden ist, und es ist direkt unmöglich, daß für alle möglichen Gestalteindrücke, die unserem Gehirn zufließen, ähn- liche Dispositionen vorhanden sind. Dagegen wissen wir mit Be- stimmtheit, daß Residuen früherer Reize in unserem Gehirn oft die spezifische Wirkung eines Eindrucks entscheidend beeinflussen, so wenn wir eine Gestalt wieder erkannt haben müssen, ehe wir darauf in be- sonderer Weise reagieren können. Ebenso fanden wir im Syncytium die Mitwirkung erblicher Engramme sehr wahrscheinlich. Wenn also diese Residuen ähnlich wie die Schloßdisposition beim Schlüssel wirkten, so wäre die Annahme naheliegend, daß das Besondere der Gestaltreize wenigstens teilweise eine Folge der Situation wäre; dab ein Teil von einem anderen infolge seiner räumlichen Beziehung ab- hinge. Damit wäre zwar die Bedeutung einer primitiven räumlichen Beziehung vorausgesetzt, aber jedenfalls nicht anders, als man eine solche Beziehung im anorganischen Geschehen auch immer bei Er- klärungen voraussetzt. Man kann allerdings sagen, daß die primitivste räumliche Beziehung eine letzte unzurückführbare Tatsache darstellt und als solche nicht mehr erklärt werden kann (weil der Versuch einer Erklärung selbst diese Möglichkeit räumlichen Gegebenseins schon voraussetzen würde). Es fragt sich aber sehr, ob die Residuen als einfache, räumlich ausgebreitete Dispositionen wirken. Dagegen spricht die ähnliche Wirkung proportional verkleinerter Gestalten. Doch könnte man sich auch für diese ähnliche Wirkung proportional ver- kleinerter Formen noch Analogien bilden. Ähnliche Figuren kann man etwa in einem Lichtbüschel so anordnen, daß sie denselben Schatten bilden. Nun könnte eine Einrichtung bestehen, daß eben jener Schatten und nur dieser eine bestimmte Auslösung bewerkstelligte (etwa durch entsprechend angeordnete Thermosäulen, Selenzellen oder dergl.). Damit wäre allerdings erst eine Analogie für die mathematisch ähnlichen Figuren verschiedener Größe gegeben und die ganze Schwierigkeit noch keineswegs gehoben. Ferner wäre zu bedenken, inwieweit der Eindruck der Wirkung individueller Ganzheit mit der Disposition zusammenhängt und wie- weit ein Ganzheitseindruck auch schon ohne die Disposition beim 170 SIEGFRIED BECHER, ersten Male auftritt. Die Schlüsselanalogie ließ nur den Teil, der durch die Disposition hineinkommt, deutlich hervortreten. Man könnte aber annehmen, daß auch, wenn keine Residuen vorhanden wären, an jenen gleichen Enden des Kalkkörpers, von denen wir oben aus- gingen, schon Verschiedenes gebildet würde. Denn neben den gleichen Plasmavorgängen, die durch die Enden selbst ausgelöst würden, könnten die verschiedenen benachbarten Partien jener Enden verschiedene Prozesse auslösen, und diese Prozesse wären vielleicht derart, dab sie auch in der Umgebung mitwirkten. So würden an jenen an sich gleichen Enden doch im Plasma verschiedene Komplexe von Prozessen auftreten, und auf diese verschiedenen Komplexe müßte dann das Plasma verschieden reagieren. Dieselbe Überlegung ließe sich für Gestalteindrücke im Gehirn anstellen. Daß die Komplexe von Pro- zessen nicht überall gleich wären, könnte dann daran liegen, daß die Wirkung der einzelnen Teileindrücke mit der Entfernung abnähme. Damit würde es auch — freilich nicht befriedigend — verständlich, daß kein völliges Zusammenfließen der einzelnen Reizkomponenten stattfände. Dagegen wäre es wieder nicht so einfach zu begreifen, warum nicht wenigstens in den einzelnen Partien eine Verschmelzung der verschiedenen Eindrücke stattfinden sollte, zumal doch diese Eindrücke alle ziemlich gleichartig sein müßten. So würde es den Anschein gewinnen, daß das einheitliche Moment, das bei komplexen psychischen Eindrücken auftritt, mit jener teilweisen Verschmelzung der Einzelwirkungen des Eindruckes etwas zu tun hätte Auch solche Überlegungen bleiben unbefriedigend, zum Teil verschieben sie das Problem nur auf unkontrollierbarere Faktoren. — Weiter wollen wir daher diese Dinge nicht verfolgen; denn für unser be- sonderes Ziel ist es relativ gleichgültig, ob die Analyse der Ge- staltreize und Gestalteindrücke schließlich mit Erklärungsmitteln gelingt, die in identischer oder vielleicht nur wesensverwandter Form schon der Betrachtung anorganischen Geschehens zugrunde liegen, oder ob wir auf vüllig Heterogenes stoßen. Für uns genügt es, durch unsere Beobachtungen dargetan zu haben, daß, wie die Grundzüge der Re- produktionsphänomene, so auch das in der Wirkung der Gestaltreize steckende Problem der Gehirnphysio- logie schon in der morphogenen Arbeit von einfachen Syncytien angetroffen wird. Die eigentümliche Art, in der Gestalteindrücke und Gestaltresiduen wie Ganz- heiten oder Individualitäten wirken, ist nicht eine Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 171 Besonderheit der Vorgänge des kompliziert gebauten Gehirns,sonderneineFormderBeeinflussung, dieschon bei einheitlichen Protoplasmamassen hervortritt und deshalb zu den allgemeinen Grundeigenschaften der lebendigen Substanz überhaupt gehören muß. Unsere Untersuchungen führen daher zu dem Ergebnis, daß einfache Protoplasmamassen nicht nur unverkennbar jenen Reaktions- typus zeigen, der auf der Zusammenwirkung von Reizen und Re- siduen beruht, sondern ferner, daß diese Residuen von dem eigen- artigen Typus sind, an den sich das Problem der Gestaltreize knüpft. Die „Selektion überproduzierter Reaktionen“ bei der Gestaltbildung und die Analogie zur „Methode von Versuch, und ler tum“ Ein letzter Punkt bedarf jetzt noch der Erwähnung. Die Ähn- lichkeit des von uns beobachteten Geschehens bei der Formbildung in Syncytien mit Gehirnprozessen beschränkt sich nicht auf das Zusammenwirken von Reiz- und Residualkomponente, auf den Vor- gang der Homophonie und auf die Eigentümlichkeit der Gestaltreize und -residuen. Unser obiges Ergebnis über die Ähnlichkeit, die die Formbildung in unseren Syncytien zu der Arbeit des Gehirns auf- weist, bedeutet einen Schritt weiter auf der Bahn, die wir in zwei früheren Abhandlungen betreten haben. Damals suchten wir deutlich zu machen, daß die vorliegenden Experimente gute Anhaltspunkte dafür liefern, daß bei den Protozoen einfachste zweckmäßige „Hand- lungen“ auf dem Boden von Residuen früherer Reize und ihrer Re- produktion stattfinden. Wir zogen daraus den Schluß, daß Assoziation und Reproduktion in ihrer primitivsten Form nicht an Assoziationsfasern und ähnliche Strukturen des Gehirns gebunden sein könnten, und arbeiteten von dieser Seite demselben Ziel zu wie einige neuere Physiologen, die durch Analyse der Gehirnfunktion (von Kriss, 1901; vgl. auch K. Bropmann, 1909) oder auf anderem Wege zu ähn- lichem Ergebnis gekommen waren (SEMON, 1904, 1908; Rienano, 1907). Wir gingen aber schon damals weiter und suchten die noch hypo- thetische Folgerung wahrscheinlich zu machen, daß auch einzelnen Geweben oder Gewebsbestandteilen jener reproduktiv bedingte Re- aktionstypus, den wir als „Handlung“ bezeichneten, vielleicht nicht fehlte. Damit hätte sich für die zweckmäßige Arbeit mancher Organe oder Organteile ein beachtenswerter erklärender Gesichts- punkt ergeben. Damals hoffte ich durch Experimente mit Wander- 172 SIEGFRIED BECHER, zellen oder durch genauere Untersuchungen über die Anpassung der Muskelreaktionen an die auslösenden Nervenreize zu einer Be- stätigung dieser Möglichkeit zu kommen. Wenn solche Experi- mente aber wirklich exakt beweisend sein sollen, so sind sie mit ungeheueren Schwierigkeiten verknüpft. Die meisten physio- logischen Äußerungen einzelner Gewebszellen sind nur sehr schwer genau und gleichzeitig kontinuierlich zu verfolgen. Dies gilt be- sonders von nicht motorischen Reaktionen, und es wäre mir gerade darauf angekommen zu zeigen, daß die zuerst bei den tierischen Bewegungen (dem „behavior“) beobachteten Reaktionstypen auch in anderen Äußerungen der lebendigen Substanz wahrzunehmen seien. Meine damaligen Forderungen werden aber durch die Beobach- tungen und Reflexionen dieser Arbeit zu einem Teile erfüllt. Bei unserem Objekt handelt es sich um diejenigen Leistungen der lebendigen Substanz, die in Formbildungsprozessen ihren Ausdruck finden. Wenn sich hier ähnliche Reaktionsformen finden ließen, so war schon die in meiner früheren Arbeit befürwortete Verallgemeine- rung des reproduktiv bedingten Reaktionstyps auf Teile ganzer Organismen als berechtigt erwiesen. Es kommen noch andere Vor- teile dieses Objektes hinzu: Drıssch bemerkt einmal (1909, Vol. 1, p. 17), daß die Betrachtung der auf die Gestalt bezüglichen Prozesse der Organismen philosophischer und von größerer allgemeiner Be- deutung für die Biologie geworden wären als die übrigen, landläufig „physiologisch“ genannten Vorgänge. In der Tat gestattet auch in unserem Falle die sich langsam bildende Gestalt eine so vollkommene Einsicht in den Fortschritt der Reaktionen; die genau zu be- obachtende Gestalt offenbart die Leistungen der lebendigen Substanz mit solcher Genauigkeit, dab wir an unserem Objekt die Analyse auf gesicherter Basis erheblich weiter treiben konnten, als es die kühnsten Erwartungen bei Experimenten mit Wanderzellen zu hoffen gestattet hätten. Freilich haben wir bei unseren kalkbildenden Syncytien keine auf neue Zwecke gerichteten, eigentlichen Hand- lungen angetroffen, und in dieser Hinsicht geben die vor- liegenden Untersuchungen keine Erfüllung der früher eröffneten Aussichten. Es fehlt der Nachweis der Wirkung von Residuen, die erst im individuellen Leben des Syn- cytiums erworben wurden. Im übrigen aber haben wir das wahrscheinliche Vorhandensein Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 173 aller derjenigen Züge deutlich machen können, die für das Repro- duktionsgeschehen, das ja auch der Handlung zugrunde liegt, charak- teristisch sind. Wir haben originale Reize gefunden und wurden unabweislich zur Annahme von entsprechenden Formengrammen (-residuen) gedrängt. Wie bei der Handlung sahen wir, daß die Reaktion, in unserem Falle also die Gestalt- bildung, durch ein Zusammmenwirken von Reiz- und Residualkomponente von originaler und mnemischer Erregung gerichtet oder geleitet wird. Dazu kommt ein Weiteres. Typische Handlungsreaktionen pflegen sich auf der Basis der „Methode von Versuch und Irrtum“ zu entwickeln. Das „Reagieren aufs Geratewohl“ ist die Vorstufe der Reaktionen nach dem Typus der Handlung. Ansätze zu dem Ge- danken, daß Körperteile bei ihrem regulatorischen Verhalten (auch unabhängig vom Nervensystem) auf dem Wege von „trialand error“ zu der definitiven zweckmäßigen Reaktion gelangen könnten, liegen schon in Hommes’ (1904, p. 275, 280, 298 ff.) Gedanken einer Formregulation auf Grund der „sozialen“ Anlagen der Zellen und dem „social pressure“ ihrer „symbiotischen Gemeinschaft“ verborgen; später hat JENNINGS (1910) in dem Schlußkapitel seines wundervollen Werkes über das Verhalten der niederen Organismen die Regulation des „Verhaltens“ mit der Regulation des Stoffwechsels und der Formbildung ver- elichen und die Möglichkeit darzutun gesucht, daß bei Vorgängen wie bei der durch Pawnow’s Versuche bekanntgewordenen Anpassung der Verdauungsorgane an die Nahrung oder bei der Regeneration die- selbe Probiermethode zur Erreichung des Zieles mithelfen Könnte, die beim „behavior“ der Metazoen wie der Protozoen so deutlich hervortritt. In demselben Jahre 1910 habe ich darauf hingewiesen, daß zweckmäßige Anpassungen in der secretorischen oder morpho- genen Tätigkeit bei Geweben und überhaupt Teilen eines Organis- mus auf Grund der „Versuchs- und Irrtumsmethode“ zustande kommen könnten (1910b, p. 333—335). Ich habe dabei besonderen Nach- druck auf die Behauptung gelegt, daß ein derartiges Reagleren ganz unabhängig vom Nervensystem stattfinden und vielleicht einzelnen Zellen zukommen könnte (1. ¢., p. 332). (Vgl. zu den vorliegenden Pro- blemen die ausführlicheren Bemerkungen in: BEcHER, 1911, p. 294 bis 300 und 312.) In der vorliegenden Untersuchungist nun, so weit ich sehe, zum ersten Male der Versuch gemacht, die Versuch- und Irrtumstheorie für die Formbildungin 174 SIEGFRIED BECHER, selbständigen kleinen Teilen des Organismus im ein- zelnen durchzuführen Wenn es auch nicht gerade einzelne Zellen eines Organismus sind, auf die sich unsere Darlegungen beziehen, so handelt es sich doch um Syncytien, also um Gebilde, für die das Problem im wesentlichen gleich liegt. RT Man erinnere sich der Erklärung, die wir für den Einfluß der Inkongruenzen der mnemischen Homophonie auf die Kalkablagerung gegeben haben. Wir nahmen an, daß die Erregungsdiffe- rentiale, die zwischen der Originalerregung des Reizes und dem erregten Residuum auftreten, inihrer Vergrößerung mit Hemmung, bei Verkleinerung aber mit Beschleunigung des Kalkablagerungsprozesses verbunden wären Diese Annahme trägt durchaus keinen innerlich unwahrscheinlichen Charakter; denn auch 7. B. im chemisch-physiologischen Geschehen läßt sich die Wirkung der organischen Substanz dahin präzisieren, daß von den zahlreichen möglichen chemi- schen Prozessen (durch Aktivierung von inaktiven Zymoscenen zu Nermenten) ‘einige bieschlemmnie ti abaawe sehemmt werden. Diese Beschleunigung oder Hemmung bei Verminderung bzw. Vergrößerung der Inkongruenz der Homophonie äußert sich nun an den fortwährenden örtlichen Schwankungen in der Geschwindigkeit der Kalkablagerung. Man erkennt unschwer, daß diese Schwankungen, d.h. das Vorauseilen oder Nachhinken bestimmter Stellen in der Geschwindigkeit des Wachs- tums, dem „Reagieren aufs Geratewohl“ und dem „Ver- such und Irrtum“ entsprechen. Daß in unserem Falle das Reagieren nicht den aktiven Eindruck von „Versuchen“ macht und sich als passives Wachstum des Kalkkörpers präsentiert, hat nichts zu bedeuten; denn schließlich verdient die Kalkablagerung zu so komplizierten Formen mit ebensoviel oder ebensowenig Recht die etwas unklare Bezeichnung aktiv wie die Arbeit von Muskeln oder zu- sammengesetzten Bewegungsorganen. Gerade wieim „behavior“, so findet nun bei der Formbildung in dem Syncytium eine Art „Auslese der überproduzierten Reaktionen“ statt. Es werden immer nur diejenigen zugelassen oder gefördert, die die Inkongruenz der Homophonie verringernund dadurch, auf dem oben näher beschrie- Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 175 benen Wege, zur Erreichung der definitiven Form hinleiten. Schlußbemerkung. Unsere Beobachtungen beziehen sich auf die Syncytien, die zu einem großen Organismus, in unserem Falle zu einer Holothurie, gehören. Es wäre von Interesse, zu untersuchen, ob bei einzelligen Lebewesen, etwa bei Protozoen, bei denen der Nachweis des Zusammenwirkens von Reiz- und Residualelementen leichter zu führen ist und schon früher geführt wurde, auch die Wirkung von komplizierten Engrammen dargetan werden kann. Aus den Versuchen über Futterauswahl bei Stentor caerculeus von A. A. SCHAFFER (1910) lassen sich, wie ich glaube, schon Anhaltspunkte für diese Ansicht sewinnen. Es kann nicht allzu schwer sein, die Bedingungen solcher Experimente so zu variieren. dab die Wirkung „individualisierter“ Reize deutlich daraus hervorgeht. Von besonderer Bedeutung dürften unsere Ergebnisse für das Verständnis derjenigen Formbildungsprozesse sein, die sich auch bei anderen Organismen nicht durch ungleiche Zellteilungen u. dgl. (vel. Driescx, 1905a, p. 719), sondern in einheitlichen Protoplasma- massen vollziehen. Hierhin gehören die Gestaltbildungsprozesse bei Siphoneen (Bryopsis), die sich trotz fortwährend weiter wandernden Plasmas offenbar unter entscheidendem Einfluß seiner allein ruhenden Hautschicht vollziehen und die für Fr. Nout zu einer wesent- lichen Stütze seiner Darlegungen über ,,Morphasthesie“ wurden. Ich werte Norr’s Entdeckungen und Ausführungen (1903, p. 402 ff. u. einige dort zitierte frühere Mitteilungen) auberordentlich hoch, bin aber mit vielen Ansichten nicht einverstanden. Trotz der un- verkennbaren Ähnlichkeit in den Tatsachen und dem Problem bei Nour’s und meinem Gegenstand, trage ich doch Bedenken, seinen Terminus mit dem ganzen Bedeutungsinhalt zu übernehmen. Einer- seits möchte ich von Gestalt-Reizen (bzw. Erregungen) und nicht von Ästhesien reden, und weiterhin ist zu bedenken, daß auch die Verschiedenheit der tatsächlichen Verhältnisse (man denke zumal an die Krümmuneserscheinungen bei Seitenwurzeln, an Autotropismus etc. wovon Nout zuerst ausging) vor voreiliger Verallgemeinerung warnt. Jedenfalls vollzieht sich die Formbildung bei Siphoneen an der 176 SIEGFRIED BECHER, Oberfläche, in unserem Falle dagegen im Plasma selber, was ungewöhnlicher ist, wogegen oberflächliche Differenzierungen häufig sind (vgl. Nort’s Erklärungsversuch dureh die bei verschiedenen Krümmungen etc. verschiedenen Oberdächenkräfte usw. 1903, p. 403 ff.). In dieser Hinsicht weisen manche Züge der Formbildung im Radiolarienkörper zu der Anker- und Plattenbildung engere Be- ziehungen auf. Die Stacheln der Aulacanthiden und die Radial- stacheln der Aulosphäriden u. a. erhalten „ihre definitive Form durch Wachstum und Sprossung der häutigen Anlagen“ (Hicker, 1906, p. 43—45), einen Vorgang, den HäÂcker als intracelluläre Sprossung bezeichnet. Obwohl sich hier also die Formbildung nicht während der Ablagerung der Hartsubstanz selbst vollzieht, so könnte doch vielleicht dasselbe von uns entwickelte Problem vorliegen. Darauf weist möglicherweise auch eine bei Aulacanthiden „weit verbreitete Erscheinung“ hin. „Verschiedene Arten nehmen mit Vorliebe die Radialstacheln von andern Aulacanthiden aufund verleiben sie, indem sie dieselben in radiäre Stellung bringen, ihrem eignen Skelette ein. Insbesondere sind es zwei Arten, welche sich in dieser Weise mit fremden Federn schmücken, nämlich Aulographis pandora HAECKEL und Auloceros arborescens HAECKEL“ (HÄCKER, 1905b, p. 371—372). Man könnte annehmen, dab diese radiale Einstellung sich grobmechanisch durch Pseudopodien völlzöge, aber ich kann die Vermutung nicht unter- drücken, dab hier dynamische Leistungen des Plasmas vorliegen, bei denen Gestaltreize von schon vorhandenen Teilen oder erbliche Residuen des zu Erreichenden eine Rolle spielen. Vor der Hand verbietet es sich indessen, solche Gedanken zu Hypothesen aufzu- bauschen, zumal ich hoffe, dieses Problem an anderem Objekt durch Beobachtungen fördern zu können. Es bedarf kaum näherer Ausführung, daß unsere Funde mög- licherweise Bedeutung für normalere Typen von Formbildungsvor- gängen beanspruchen können. Nicht selten besteht der Anschein, als ob eine Zelle durch die Form, die sie im Verband mit anderen annimmt, beeinflußt und zu besonderen Reaktionen veranlaßt würde. In anderen Fällen scheint eine ganze Zellengruppe durch ihre ge- meinsame Form in ähnlicher Weise beeinflußt zu werden. Beide Fälle lassen sich den von uns beschriebenen Vorgängen anschließen. Eine Zelle kann vielleicht einen Gestaltreiz durch ihre eigene Form erhalten, und dasselbe gilt mög- licherweise für eine Zellengruppe, sofern die ein- Untersuchungen über nichtfunktionelle Korrelation. 177 zelnen Elemente derselben genügend durch Zellbrücken verbunden sind. Diese Gestaltreize könnten dann mit ent- sprechenden ererbten Residuen zusammenwirken und vielleicht den Fortgang der Gestaltbildung in ähnlicher Weise beeinflussen, wie wir es für die Bildung von Anker und Platte ausführten. Es ist nicht das Ziel dieser Arbeit, solche unbestimmte Möglich- keiten weiter zu verfolgen. Die Generalisation, die unsere Resultate und die von uns gegebenen Erklärungen für die Formbildung kompli- zierter Kalk- oder Kieselkörper anderer Tierformen zulassen, liegt so nahe, daß sie jeder ohne Schwierigkeit ausführen kann, der im- stande ist, die in Frage kommenden besonderen Umstände zu über- blicken und dem Gang der vorliegenden Untersuchung mit Aufmerk- samkeit gefolgt ist. Eine weitere Ausdehnung des Geltungsbereiches der an unserem Objekt gewonnenen Gesichtspunkte soll indessen unterbleiben; denn sie würde es notwendig machen, die enge An- lehnung an eine sichere Basis von Beobachtungen aufzugeben, die wir bei unseren Reflexionen immer beizubehalten bestrebt waren. Februar 1911. Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Zool. u. Physiol. 12 r7 178 SIEGFRIED BECHER, Literaturverzeichnis. 1909. BATESON, W., MENDEL’s principles of heredity, XIV u. 396 Ps 3 Portraits, 6 ib u. 37 Textfigg., Cambridge. 1907. 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Spicule formation in Alcyonium digitatum; with remarks on the histology, ibid., p. 283—304, tab. 16 u. 17 u. 5 Textfigg. —, 3. On the mode of formation of the spicular skeleton in the pluteus of Echinus esculentus, ibid., p. 305—325, tab. 18 u. 19 u. 8 Textfigg. 1906. —, 4. The scleroblastic development of the spicules in Cucumari- idae; with a note relating to the plate-and-anchor spicules of Synapta inhaerens, ibid., p. 533—559, tab. 32—34 u. 4 Textfigg. 1907. —, 5. The scleroblastic development of the spicules in Ophiuroidea and Echinoidea, and in the genera Antedon and Synapta, ibid., Vol. 51 (1907), p. 31—43, tab. 3 u. 4 u. 1 Textfig. —, 6. The scleroblastic development of the spicules in some Mollusca and in one genus of colonial Ascidians, ibid., p. 45—53, tab Opti I Dexbie. —, 7. The scleroblastic development of the plate-and-anchor spi- cules of Synapta, and of the wheel spicules of the Auricularia larva, ibid., p. 483—509, tab. 29 u. 30 u. 6 Textfigg. 1907a. —, A preliminary consideration as to the possible factors con- cerned in the production of the various forms of spicules, ibid., p. 55—79. 1902. ZELENY, CH. A case of compensatory regulation in the regene- ration of Hydroides dianthus, in: Arch. Entw.-Mech., Vol. 13, p. 597—609 u. 3 Textfigg. 1905. —, Compensatory regulation, in: Journ. exper. Zool., Vol. 2, p. 1—102 u. 27 Textfige. 1910. ZIEGLER, H. E., Der Begriff des Instinktes einst und jetzt. Eine Studie über die Geschichte und die Grundlagen der Tierpsychologie. 2. Aufl. Mit einem Anhang: Die Gehirne der Bienen und Ameisen, Jena, VI u. 112 p., 2 tab. u. 16 Textuoe. G. Patz’sche Buehdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Verlag yon Gustav Fischer in Jena. Die geographische Verbreitung der Schmetterlinge. Von Dr. Arnold Pagenstecher. Mit 2 Karten. 1909. Preis: 11 Mark. - Inhalt: Einleitung. Erster Teil. Die Faktoren der Verbreitung. Physische Faktoren. 1. Der Boden. 2. Die Temperatur (Wärme, Kälte, Licht), 3. Das Wasser. 4. Luftdruck und Winde. 5. Vegetation. 6. Symbiose 7. Die ‚Verbreitung der Lepidopteren in horizontaler und senkrechter Richtung. 8. Aktive Wanderungen der Schmetterlinge. 9. Kosmopolitismus bei Schmetterlingen. 10. Saison- dimorphismus und Lokalvarietäten. Organische Faktoren. Geschichte, Eiszeit. 11. Bedeutung der Paläontologie. 12. Innere Faktoren. 13. Feinde der Lepidopteren. - Schlußbetrachtungen. Zweiter Teil. Die Faunengebiete. I. Das Nordpolargebiet. II. Das paläarktische (europäisch-sibirische) Gebiet. Das europäische, mittelländische, sibi- rische und mandschurische Untergebiet. III. Das indische Gebiet. Das indische, ceylonische, indochinesische und malayische Untergebiet. IV. Das australische Faunengebiet. Das austromalayische, australische und polynesische Untergebiet. Neuseeland. V. Das äthiopische Faunengebiet. Das westafrikanische, südafrikani- sche und madagassische Untergebiet. VI. Nordamerikanisches (nearktisches) Gebiet. VII. Südamerikanisches (neotropisches) Gebiet. Das chilenische, brasilianische, mexi- kanische (zentralamerikanische) und westindische Untergebiet (Antillen). VIII. An- tarktische Gebiet. Dritter Teil. Die geographische Verbreitung der Lepidopteren "nach ihren Familien und Gattungen. — Karte der Faunengebiete. Karte des Malayischen Archipels. Aus der Natur, 1909, Heft 13: Dieses Buch, das wir der Arbeitskraft eines unserer bedeutendsten Schmetterlingskenner verdanken, bietet auch dem Zoologen, der nicht speziell Lepidopterologe ist, eine reiche An- regung. . .. Der Autor hat in diesem Werke eine ungeheure Menge von Einzeltatsachen zum - ersten Male zusammengetragen und damit eine Basis: geschaffen, auf welcher alle künftigen Fortschritte, welche die Wissenschaft bezüglich der Lepidopterenverteilung zutage fördern wird, weiterbauen müssen. Das Werk gehört daher zu dem unentbehrlichen Rüstzeug jedes Schmetterlingskenners, soweit er auf Wissenschaftlichkeit Anspruch haben will. Die Bienen Afrikas nach dem Stande unserer heutigen ° Von Dr. H. Friese, Schwerin i. M. Mit 2 kolorierten Kenntnisse. Tafeln, 19 Kartenu.1 Textfigur. (Abdruck aus L.Schultze, Zoologische und anthropologische Ergebnisse einer Forschungsreise im westlichen und zentralen Südafrika, ausgeführt in den Jahren 1903—1905 mit Unterstützung der Kel. Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Band II, Liefe- rung 2.) 1909. Preis: 36 Mark. Naturwissensehaftl. Rundschan, 17. Nov. 1910: ... Wie wohlthuend wirkt es nun, wenn man ein Werk vor sich liegen hat, wie das des Herrn Friese über die Bienen Afrikas. Herr Friese hat die Bearbeitung der von Leon- hard Schultze von seiner Forschungsreise in Südafrika mitgebrachten Bienenausbeute aus- gedehnt zu einer umfangreichen, geradezu musterhaften Bearbeitung der Bienen Afrikas; nicht mit aufgenommen sind die Arten der paläarktischen Region und der madagassischen Subregion. Es sind nicht bloß sämtliche bisher bekannte Arten kritisch gesichtet und ausführlich be- schrieben, größtenteilsauch in Bestimmungstabellen gebracht, sondern es sind auch Betrachtungen über Verbreitung, natürliche Verwandtschaft der Formen, Einwanderungsstraßen, Einfluß von Klima und Existenzbedingungen usw. gebracht; zahlreiche Kartenskizzen und 2 Tafeln in Bunt- - druck sind beigegeben. Das Werk zeigt uns, welche gewaltige Arbeit die Bewältigung einer im Verhältnis artenarmen Gruppe birgt. - Experimentelle Studien zur Soma- und Geschlechts- : . Von Prof. Johannes Meisenheimer. Erster Beitrag: differ ENZIETUNS. Weber den Zusammenhang primärer und a Geschlechtsmerkmale bei den Schmetterlingen und den übrigen Gliedertieren. Mit 2 Tafeln und 55 Figuren im Text. 1909. Preis: 6 Mark 50 Pf. Naturwissenschaftl. Rundschau 1909, Nr. 45, 11. November: . . . Jetzt liegen jene Untersuchungen über die Regeneration der Geschlechtsorgane sowie der Flügel der Schmetterlinge in vortrefilicher Ausstattung zusammengefaßt vor. .... „Kaum können wohl schärfere Beweise, als sie die geschilderten Beobachtungen enthalten, dafür er- bracht werden, daß Ausbildung wie Betätigung der psychischen Sexualcharaktere völlig unab- ‚hängig von einer Beeinflussung seitens der Geschlechtsdrüsen ‚oder anderer Teile des Genital- apparates sich vollziehen. Eine Wechselwirkung zwischen primärem Geschlechtsapparat und Geschlechtsinstinkten besteht in keiner Form und in keinem Grade.“ Am Schlusse behandelt Verf. nach verschiedenen allgemein-biologischen Exkursen die Frage, was nun eigentlich be- stimmend für die Entwicklung der männlichen oder weiblichen primären und sekundären Sexual- charaktere sei, und das Ergebnis ist, die Ursache müsse in der jungen Keimzelle gesucht werden. Damit ist auch ein Berührungspunkt mit der hochinteressanten Frage der Geschlechtsbestimmung, ‚insbesondere mit den Hertwigschen Ideen hierüber gegeben. Obwohl wir noch nicht wissen, mit welchen Fragen sich die folgenden Beiträge Herrn Meisenheimers befassen werden, sehen wir ihnen doch mit Spannung entgegen. V. Franz. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Lehrbuch der Protozoenkunde, Sicnte der Protozoen mit be _sonderer Berücksichtigung der parasitischen und pathogenen Formen. Von Dr. F. Doflein, a: o. Prof. der Zoologie a. d. Universität München. Dritte ~ stark vermehrte Auflage. Mit 951 Abbildungen im Text. 1911. = Preis: 26 Mark 50 Pf, geb. 29 Mark. BER tke. Pit dicta Bi Von F. Doflein, a. o. Prof. de Probleme der Protistenkunde. zooogiea.d. Universität München. I. Die Trypanosomen, ihre Bedeutung für Zoologie und Kolonialwirtschaft. 1909. ~ | | | Preis: 1 Mark 20 Pf. _ II. Die Natur der Spirochaeten. 1911. Preis: 1 Mark 20 Pf, 7 17 . eS, R D . d ih B = Rs a Die Konstitution der Protistenkerne A zeicnice vor Pot Dr. Max Hartmann, Privatdozent der Zoologie an der Universität Berlin. Mit 13 Abbildungen im Text. 1911. Preis: { Mark BO PES Autogamie bei Protisten und ihre Bedeutung für das ; = Von Dr. Max Hartmann, Privatdozent an Befruchtungsproblem. ser Universität Berlin. Mit 27 Abbildungen im Texte: 10909; Preis: 2 Mark 50 Pf. - N Lehrbuch der vergleichenden Entwicklungsgeschichte — ee der wirbellosen Tiere. jé Norell Gest im Inna Allgemeiner Teil, Erste und zweite Auflage. aa Erste Lieferung. Mit 318 Textabbildungen. 1902. Preis: 14 Mark: ~~ Inhalt: I. Abschnitt. Experimentelle Entwicklungsgeschichte. 1. Kapitel, … Der Anteil äußerer Einwirkungen auf die Entwicklung. 2. Kapitel. Das Determi- nationsproblem. 3. Kapitel. Ermittelungen der im Innern wirkenden Entwicklungs faktoren. II. Abschnitt: Die Geschlechtszellen, ihre Entstehung, Reifung und Ver- einigung. 4. Kapitel. Ei und Eibildung. 5. Kapitel. Sperma und Spermatogenese. = Zweite Lieferung. Mit 78 Textabbildungen. 1903. Preis: 5 Mark 50 Pf. = Inhalt: 6. Kapitel. Eireifung, Samenreifung und Befruchtung. Anhang: " Theorie der Vererbung. N. Ar Dritte Lieferung. Mit 104 Textabbildungen. 1909. Preis: 4 Mark 50 PE Inhalt: III. Abschitt. Furchung und Keimblätterbildung. 7. Kapitel. Die Furchung. Be Vierte Lieferung. 1. Hälfte. Mit 217 Textabbildungen. 1910, Be. Preis: 7 Mark 50 Pf. Ng Inhalt: 8. Kapitel. Keimblatterbildung. Vierte Lieferung. 2. Hälfte. Mit328 Abbildg. im Text. 1910. Preis: 11 Mark. Inhalt: 9. Kapitel. Ungeschlechtliche Fortpflanzung. Archiv für Entwieklungsmechanik. XIV, 1/2 (über Lfg. 1): .. Korschelt und Heider ist es nun zu danken, daß die deutsche Sprache es ist, die das erste, die Ergebnisse der drei Hauptabschnitte der jetzigen Entwicklungsmechanik um- fassende, objektiv geschriebene Werk und zwar in vorzüglicher, klarer Darstellung besitzt. Zugleich muß es den Autoren oder dem Autor besonders hoch angerechnet werden, daßervielMühe © und Sorgfalt darauf verwendet hat, vieles bisher beständig falsch Berichtete durch seine Dar- stellung zu berichtigen und manches von den Spezialarbeitern beständig Uebersehene aufzufinden und an der richtigen Stelle dem Ganzen einzufügen. . . Wir dürfen uns von dem wertvollen Werke sowohl eine wesentliche Klärung der Ansichten, als auch eine weitergehende Förderung unserer Disziplin versprechen : nämlich einen Zuwachs an gut informierten Mitarbeitern sowie einen Zu-* wachs an Interesse und Achtung bei den Vertretern der anderen biologischen Forschungsrich- : tungen. Es ist daher dem Buche die weiteste Verbreitung zu wünschen. W. Roux. Archiv f. Rassen- u. Gesellschafts-Biologie. 1905. 1. Heft (über Lig. 2): PRE Jene feinen Prozesse, die zu den subtilsten und schwierigsten Darlegungen der Mikro- ~— skopiker gehören, finden sich hier in klarer und übersichtlicher Weise zusammengestellt und durch zahlreiche Abbildungen erläutert. . . Ein sehr vollständiges Literaturverzeichnis bildetden Schluß dieses für jeden Naturforscher kaum zu entbehrenden Werkes. Dr. v. Buttel-Reepen. — Archiv f. Entwicklungsmechanik f. Organismen. 1909. Heft 2 (über Lfg. 3): ¥ .,. Wir sind froh, daß jetzt diese sorgfältige und eingehende Behandlung des wichtigen Ab- schnittes des ausgezeichneten Lehrbuchs Korschelt-Heiders in unseren Händen ist. W. Roux. Biologisches Zentralblatt 1910, Nr. 19 (über Lfg. 4, D: +} Si Le vorliegende Lieferung des so wertvollen, eingehenden und fur jeden Morphologen NG und experimentell arbeitenden Embryologen unentbehrlichen großen Werkes enthält innerhalb = des vortrefflichen Textes 217 Abbildungen. (0. Schultze, Würzburg). * Diesem Heft liegt “ein Prospekt bei von Gustav Fischer, Verlag in Jena, | : Er, über „Schneider, Einführung in die Deszendenztheorie“ (2. Aufl.). : G. Pätz’sche Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. 4. S. — | ~ ZOOLOGISCHE B JAHRBÜCHER ABTRILUN G FÜR ALLGEMEINE ZOOLOGIE UND PHYSIOLOGIE: DER TIERE HERAUSGEGEBEN VON PROF. Dr. J. W. SPENGEL IN GIESSEN EINUNDDREISSIGSTER BAND - ZWEITES HEFT MIT 4 TAFELN UND 10 ABBILDUNGEN IM TEXT ( SEMPER wis BONIS : » JENA we VERLAG VON GUSTAV FISCHER À 1912 | Inhaltsübersicht. ee Hopper, JULIAN, Die Atmung von Notonecta glauca. Mit Tafel 9 189 OETCKE, ERNST, Histologische Beiträge zur Kenntnis der Ver- dauungsvorgänge bei den Araneiden. Mit Tafel 5 und 2 Ab- bildungen im Text . . ... 2% Be ee eee eg MD 245 CLEMENTI, ANTONINO, Sui Meccanismi Nervosi . che regolano la Coordinazione dei Movimenti Locomotorii nei Diplopodi. Con 8-figure nel testo 4 6 Sea Vee eet ee A KosMINSKY, PETER, Einwirkung äußerer Einflüsse auf Schmetter- | linge. Mit Tafel €." 2a 2 sep ae ee Verlag von Gustav Fischer in Jena. Soeben wurde vollständig: Handbuch der Biochemie des Menschen und der Tiere | unter Mitwirkung der hervorragendsten Gelehrten, herausgegeben von Professor Dr. phil. et med. Carl Oppenheimer in Berlin. Erster Band. Erster Hauptteil. Die ehemischen Baustoffe der tierischen Substanz. — Allgemeine Methodik der Analyse organischer Stoffe. — Physi- kalisch-chemische Methodik in biochemischer Anwendung. — Die anorganischen Bestandteile der tierischen Substanz. — Die Fette und Lipoide. — Die Kohle- hydrate. — Proteine. — Die tierischen Farbstoffe. — Sonstige Kohlenstoff- verbindungen des Tierkörpers. — Die wichtigsten Eigenschaften des kolloiden Zustandes der Stoffe. | Mit 43 Abbildungen im Text. 1909 Preis: 30 Mark, geb. 32 Mark 50 Pf. Zweiter Band. I. Hälfte Zweiter Hauptteil Chemie und chemische Funktion der Zelle. — Biochemie der Zelle. — Spezifische Bindung und Antikörperbildung. Mit 12 Abbildungen im Text. 1910. Preis: 24 Mark 50 Pf., geb. 27 Mark. Zweiter Band. II. Hälfte. Dritter Hauptteil. Chemie und chemische Funktion der Gewebe und Organe — Blut und Lymphe. — Stützgewebe, Integumente und Muskelgewebe. — Nerven- und Sinnesorgane. — Chemie der Neubildungen. Mit 1 Abbildung im Text. 1909. Preis: 14 Mark, geb. 16 Mark. Dritter Band. I. Hälfte. Vierter Hauptteil. Die Drüsen und die Ab- scheidungen. — Sekretorische Drüsen und Sekrete. — Innere Sekretion. — Genitalien. — Exkretorische Drüsen und Exkrete. Mit 6 Abbildungen im Text. 1910. Preis: 27 Mark 50 Pf, geb. 30 Mark. Dritter Band. II. Hälfte. Fünfter Hauptteil. Ernährung, Verdauung und Resorption. — Allgemeine biochemische Grundlagen der Ernährung, allge- meine Zusammensetzung des Körpers. — Die Verdauung. — Die Resorption. — Verdauung und Resorption bei Wirbellosen. 1909. Preis: 11 Mark, geb. 13 Mark. Vierter Band. I. Hälfte. Sechster Hauptteil. Gaswechsel und Stoffwechsel I. — Einleitung. — Die Gase des Körpers und der Gaswechsel. — Umsatz der Nährstofie. — Intermediärer Stoffwechsel. — Allgemeine Theorie des Stoff- wechsels, 1911. Preis: 27 Mark 50 Pf., geb. 30 Mark. Vierter Band. IL Hälfte. Siebenter Hauptteil. Energiewechsel und Stoff- wechsel II. — Energiewechsel. Stoffaustausch zwischen Mutter und Frucht. — Störungen des Allgemeinstoffwechsels. — Spezielle Stoffwechselstörungen. — Gesamtstoffwechsel bei Anämien, Kachexien usw. — Gesamtstoffwechsel der Nichtsäuger, — Physikalisch-chemische Grundlagen der Fermentwirkungen. 1910. Preis: 20 Mark, geb. 22 Mark 50 Pf. 5 PN na: PAPA ; | La ER TOUS se A RN ETES CE NE F Ad à à Le en tr UT aT ee Es RE ie NT Le de Nachdruck verboten. Übersetzungsrecht vorbehalten. Die Atmung von Notonecta glauca, Von Julian Hoppe. (Aus dem Zoologischen Institut der Universität Greifswald.) Mit Tafel 1—2. Inhaltsübersicht. Einleitung. Literaturübersicht. Zahl und Lage der Stigmen. Morphologie des Thorax. Morphologie des Abdomens. Atmung. Technik. Atmung der Larve. I. Morphologische Betrachtungen. Umformungen am Thorax. Mesothorax und das 2. Stigma. Das 1. Flügelpaar. Metathorax. Das 2. Flügelpaar. Das 3. Stigma. Zweckmäßigkeit der Umformungen am Thorax. Morphologie des Abdomens. II. Normale Atmung. Ill. Atmung unter abnormen Verhältnissen. Bau und Wirkungsweise des Analkonus. Einiges über das Auf- klappen der Atemrinne. Putzen der Haare. Anormale Luft- aufnahme durch die Atemöffnung. Versuche. Aufklappen der Atemrinne. Versuch mit Kohlensäure. Atmung der Imago. I. Morphologie des Thorax unter er CS der Wege für die Atemluft. Atemöffnung. Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Zool. u. Physiol. 13 190 JULIAN Hoppe, II. Normale Atmung. III. Atmung unter abnormen Verhältnissen. Versuche. Aufklappen der Atemrinne. Versuche mit Kohlen- säure. IV. Die Ansichten von BROCHER verglichen mit unseren Resultaten. Atmung unter Luftabschluß. Biologische Notizen. Beziehungen zwischen Notonecta und anderen Wasser- wanzen. Einleitung. Die Literatur über die Wasserwanzen oder Hydroceres ist eine ziemlich umfangreiche. Die interessante Familie der Notonectidae und im besonderen Notonecta glauca ist des öfteren der Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen gewesen. Dagegen beschäftigen sich nur wenige Arbeiten ‚eingehend mit der Atmung der Notonecta. Hier und da findet man einzelne kurze Bemerkungen, die zum Teil miteinander in Widerspruch stehen. Im Jahre 1909 ist von BROCHER die Abhandlung: „Recherches sur la respiration des insectes aqua- tiques adultes. La Notonecte“ erschienen, die sich ausführlich mit der Atmung der Imago beschäftigt. Diese Arbeit hat mir manche Anregung gegeben. Meine Untersuchungen kommen in mehrfacher Hinsicht zu anderen Resultaten als die des genannten Autors. Die ‚Atmung der Larve ist bisher noch gar nicht ausführlich behandelt worden. Die kurzen Bemerkungen, die man in der Literatur hierüber findet, sind im allgemeinen recht zweifelhaft. Ich will die Atmung der Notonecta glauca, Larve wie Imago, mit besonderer Berücksichti- gung der anatomischen und morphologischen Verhältnisse zusammen- hangend darstellen. Literaturübersicht. Zahl und Lage der Stigmen. Über die Frage nach der Zahl der Stigmen hat man sich erst in neuerer Zeit geeinigt. Eine ‘oenaue Übersicht über die Literatur findet sich bei HAGEMAN\: „Beiträge zur Kenntnis von Corixa.“ Ich will daher an dieser Stelle nur die Resultate der Forschung wiedergeben. Bei allen Hemipteren finden sich 10 Paar Stigmen. Embryonal werden 2 thoracale Stigmen angelegt, die dem Meso- und Metathorax angehören. Die übrigen Stigmen gehören dem Abdomen an. Es findet nun im Laufe der Entwicklung eine Verlagerung der drei Die Atmung von Notonecta glauca. 191 ersten Stigmen statt. Das erste kommt zwischen Pro- und Meso- thorax, das zweite in den Mesothorax und das dritte in den Meta- thorax zu liegen. Der Einfachheit wegen werde ich die Stigmen im Folgenden fortlaufend numerieren. Nach der vorhergehenden Erörterung müssen wir uns wundern, dab im Jahre 1909 BRoCHER in seiner obenerwähnten Arbeit 3 thora- cale und 7 abdominale Stigmen annimmt. Er gibt sich als Ent- decker des letzten Stigmas aus. Er sagt: „La Notonecte n’inspire que par les stigmates, inconnus jusqu’ alors, de son septième segment.“ Morphologie des Thorax. Eine ausführliche Darstellung der Thoraxmorphologie der Hemipteren findet sich in der „Ein- leitung“ der Arbeit von FIEBER: „Die europäischen Hemipteren 1861“. „In seiner einfachsten Bildung besteht der Thorax aus 3 Hornringen, von welchen der vordere Prothorax in viel freierer Verbindung mit den nächsten beiden fest verwachsenen, dem Meso- thorax und dem Metathorax steht.“ Der Prothorax besteht aus 4 Stücken, dem die Dorsalseite darstellenden Pronotum, dem ventral gelegenen Prosternum, dem Vorderbrustxiphus und einem paarigen Skeletstück, das FIEBER als Omium (Vorderschulterblatt) bezeichnet. Am Mesothorax unterscheidet er zunächst das Mittelrückenstück, Mesonotum, das sich aus 2 Teilen, dem Dorsulum und dem Scutellum (Schildchen), zusammensetzt. Die Unterseite des Mesothorax wird als Mittelbrust bezeichnet. Bei Notonecta besteht sie nach FIEBER aus dem mittleren größeren Mittelbruststück (Mittelbrustbein, Meso- sternum). Zu dessen beiden Seiten befindet sich je eine Scapula, die nach oben mit dem Dorsulum verwachsen ist. An dem. Meta- thorax, der mit dem Mesothorax fest verbunden ist, wird die Dorsal- seite vom Hinterrücken oder Metanotum eingenommen. Die Unter- seite besteht aus der Hinterbrust oder dem Metasternum, dessen hinterer Rand den Xiphus der Hinterbrust trägt. Die Mittelbrust setzt sich wieder aus 2 Teilen zusammen, dem Metasternum und den Pleuren. Einen bedeutenden morphologischen Wert besitzt die Arbeit von Hrymons „Beiträge zur Morphologie und Entwicklungsgeschichte der Rhynchoten 1899“, dadurch, daß auch die embryonale Entwick- lung verschiedener Hydroceres in Betracht gezogen wird. In einem frühen embryonalen Stadium zeigen sich 6 zapfenförmige Vor- sprünge, 3 größere und 3 kleinere. Die ersteren sind die Anlagen der Thoraxbeine, die letzteren die Anlagen der Tergite, der Rücken- 13* 192 Jutian Hoppe, stücke. Die Beinanlagen werden später durch Einkerbungen zu- nächst in vier Abschnitte voneinander gesondert, die Hrymons als Coxa, Femur, Tibia. und Tarsus anspricht. „Später gliedert sich am proximalen Ende des Femur und der Coxa abermals ein weiteres Stück ab. Das erstere ist der bekannte Schenkelring, Trochanter, das zwischen Rumpf und Coxa befindliche Stück bezeichne ich als Subcoxa.“ Die Subcoxa wird dann später zur Bildung der Bauch- seite des Thorax herangezogen. Die Vereinigung zwischen dem Subcoxalgliede und der Sternalplatte kann nun einen verschiedenen Grad haben. Während die Subcoxa im Meso- und Metathorax noch deutlich durch Nähte von den anderen Chitinstücken getrennt ist, hat die Vereinigung im Prothorax derartige Fortschritte gemacht, daß man eine selbständige Subcoxalplatte nicht mehr entdecken kann. Im Prothorax scheint mir die Subcoxalplatte identisch zu sein mit FIEBer’s Omium. Im Mesothorax sind es die Scapulae und im Metathorax die Pleuren bei FIEBER, die den Subcoxalplatten entsprechen. Die zwischen den Beinen gelegene Fläche liefert die entsprechenden Sternite. Die Tergitanlagen sondern sich nach Um- rollung des Keimstreifens in 2 Abschnitte. Der eine Teil ist schmal und liegt lateral von der Ansatzstelle der Extremität. Er liefert den ventralwärts umgebogenen Seitenrand der Rückenplatte. „Dieser Rand beteiligt sich bei der Larve an der Herstellung der Ventral- fläche des Körpers, er entspricht bestimmten Chitinstücken, die auch im Abdomen auftreten und welche ich Paratergite nennen will.“ Der andere Teil der Tergitanlage dehnt sich aus, umwächst den Dotter und vereinigt sich zu der eigentlichen Rückenplatte, dem Tergit. Nachdem sich im embryonalen Leben die Beinanlagen in 4 Teile geteilt haben, treten bald darauf Stigmen auf. Sie liegen am vorderen Rande des Meso- und Metathorax. „Das dem Meso- thorax angehörende Paar nimmt nämlich eine intersegmentale Lage zwischen Meso- und Prothorax ein und gelangt schließlich noch während der Embryonalzeit vollkommen in den hinteren Abschnitt des letzteren. In ähnlicher Weise tritt das dem Metathorax zuzu- rechnende Paar in den Mesothorax. Gewissermaßen als Ersatz da- für schließt sich das erste abdominale Stigmenpaar dem Hinterrande des Mesothorax [gemeint ist wohl der Metathorax. D. Verf.] an“. Das als Pleurit bezeichnete Skeletstück, das bei Corixa und Nepa vorhanden ist, fehlt bei Notonecta ganz. Im folgenden will ich die von Hrymons geprägten Bezeichnungen der Skeletteile benutzen. Morphologie des Abdomens. Nach FIEBER ist die Zahl Die Atmung von Notonecta glauca. 193 der Hinterleibsringe bei den Hemipteren eine verschiedene (6 bis 8). Auch wechselt die Zahl der Schienen des Hinterleibsrückens gegen jene des Bauches. Die Schienen des Rückens, Segmenta dorsalia, sind durch den gleichsam von der Bauchseite auf den Rücken um- geschlagenen Verbindungsrandstreif, Connexivum, mit den Schienen der Bauchseite verbunden. | Im Jahre 1893 erbrachte VERHOEFF in der Abhandlung a gleichende Untersuchungen über die Abdominalsegmente der weib- lichen Hemiptera- Heteroptera und Homoptera“ den Beweis, daß bei den Hemipteren 10 Abdominalsesmente vorhanden sind. VER- HOEFFS „Untersuchungen verfolgen nun keineswegs lediglich den Zweck des Nachweises der Anzahl 10, vielmehr sollen dieselben über- haupt in ihren anatomischen Verhältnissen klargelegt werden ein- schließlich der Annexe, unter denen die Genitalanhänge die wichtigsten sind“. Es werden an jedem Segment (3—7) 4 verschiedenartige Skeletstücke unterschieden. Der Rücken wird von der Dorsalplatte eingenommen, .zu deren beiden Seiten sich die nach unten gebogenen „oberen Pleuren“ anlegen. Auf der Bauchseite findet sich die Ven- tralplatte, die seitlich von den stigmentragenden „unteren Pleuren“ eingefaßt wird. Die „obere Pleure“ ist identisch mit FIEBER'S Con- nexivum. Heymoxs stellt in seiner oben erwähnten Arbeit fest, daß sich beim Keimstreifen 11 deutliche Segmente anlegen. Schon in diesem Stadium treten in den ersten 8 Abdominalsegmenten Stigmen auf. Die Tergite entstehen ebenso wie am Thorax. Auch am Abdomen besitzen die Tergite 2 kleinere laterale Abschnitte, nämlich die ven- tralwärts umgeschlagenen Paratergite, die mit den „oberen Pleuren“ VERHOEFF’s identisch sind. Bei den Imagines finden sich in den Segmenten 3—7 Parasternite, die von den Sterniten deutlich ab- gesetzt sind. VERHOEFF’s „untere Pleuren“ nennt also HEyYmoxs Parasternite. Ferner sind bei Hrymons an Stelle der Bezeichnungen „Dorsalplatte* und ,Ventralplatte“ die Ausdrücke „Tergit“ und „Sternit“ gewählt. „Die Bestandteile des 11. Abdominalsegmentes verschmelzen schon beim Embryo zur Bildung eines kegelförmigen Zapfens, der die Bezeichnung Analkonus führen mag. Tergit und Sternit des 10. Abdominalsegmentes werden zu einem Ring, der den Analkonus umschließt“ (s. Fig. 4). Zwischen Analkonus und dem 10. Abdominalsegment befindet sich eine weite Intersegmentalhaut. Im 8. Segment haben sich die stigmentragenden Lateralteile abge- gliedert. Beim Weibchen verschmelzen sie mit den Paratergiten 194 Jucrax Hoppe, Beim Männchen ist das 10. Stigma in die weiche Bindehaut zwischen Rücken- und Bauchplatte gelangt. Literatur über die Atmung. Von den älteren Autoren ist zunächst Durour zu erwähnen. In seinem Werke: ,Recherches anatomiques et physiologiques sur les Hemiptères. Paris 1833“, spricht er von 6 Paar im Abdomen gelegenen Stigmen, die nach seiner Ansicht zum Gasaustausch dienen. BURMEISTER sagt in seinem Werke: „Handbuch der Entomologie. 1835“ über die Art der Luft- aufnahme folgendes: „Um Luft zu holen kommen sie an die Ober- fläche und stecken die Bauchseite heraus, welche dann zwischen ihren vielen Haaren Luft faßt und mit dieser versehen sucht das Insekt die Tiefe.“ Mit dem Akt des Ein- und Ausatmens beschäftigt sich die von PLATEAU im Jahre 1884 veröffentlichte Abhandlung: „Recherches expérimentales sur les mouvements respiratoires des Insectes.“ Im folgenden kommen wir auf diese Arbeit näher zurück. Eine interessante Beobachtung veröffentlicht S. H. Comstock in der kurzen Notiz: „Note on respiration of aquatic bugs. 1887.“ Er brachte die Tiere unter Luftabschluß ins Wasser und bemerkte, dab von dem Raum unter den Flügeln her eine Luftblase am Bauche auftrat und mittels der Beine gegen das Abdomen gepreft wurde. Diese Tatsache werden wir später ausführlich besprechen. Im Jahre 1891 veröffentlicht ScHMipDT- ScHwept in der Abhandlung: „Kerfe und Kerflarven des süßen Wassers“ einiges über die Atmung der Notonecta, was ich hier wörtlich wiedergeben will. „Zur Atmung steckt er, den Schwimmkäfern ähnlich, das Hinterleibsende aus dem Wasser.“ Er bespricht dann genau die Lage der thoracalen und abdominalen Stigmen. Weiter sagt er: „Die Luft aber wird von dem Hinterleibsende nach diesen Stigmen in eigentümlicher Weise geleitet. Es ist nämlich der Bauch in der Mitte gekielt und wiederum an den Rändern erhaben, so daß 2 seitliche, freilich flache Rinnen entstehen. Über diesen Rinnen stehen je 2 Haarreihen, eine vom Außenrande und eine von der Mitte her und unter solchem Haar- dach wird die Luft in den beiden Rinnen von hinten her zur Brust und zwischen den Haaren weiter zu den Stigmen fortgeleitet. Nicht selten sieht man die Hinterbeine, Geigenbogen vergleichbar, über den Hinterleib hinfahren, um die Luft in der einen oder anderen Richtung fortzuschieben. Hin und wieder klappen auch an der Ober- fläche die Haarreihen auseinander. Die Außenränder der 3 letzten Segmente sind übrigens noch mit nach außen gerichteten Haaren versehen und diese ruhen beim Atmen auf der Oberfläche.“ Die Atmung von Notonecta glauca. 195 Die ausführlichste Arbeit, die sich mit der Frage der Atmung beschäftigt, ist von BRocHER im Jahre 1909 veröffentlicht worden. Durch zahlreiche Versuche sucht der Autor seine Ansicht über die Atmung darzulegen, deren Kern folgender ist. Das Einatmen ge- schieht normalerweise durch das 10. Stigma, das Ausatmen durch die übrigen und im besonderen durch die 3 ersten Stigmen. Über die Luftschicht, die die Notonecta am Bauche mit sich führt, sagt er: „Je conclus donc que chez la Notonecte et probablement chez les autres insectes aquatiques, l’air qui est conservé adhérent au corps est de l’air expiré.“ Nur in besonderen Fällen werden die ab- dominalen Stigmen zum Einatmen benutzt. Näher will ich an dieser Stelle auf die Arbeit nicht eingehen, da ich später BrocHer’s Re- sultate spezieller mit den meinigen vergleichen werde. Über die Atmung der Larven findet man in der Literatur fast gar keine Angaben. BROCHER spricht die Vermutung aus, daß es bei Larven jüngsten Stadiums noch keinen Unterschied zwischen exspiratorischen und inspiratorischen Stigmen gäbe. Er ist dagegen der Ansicht, daß bei älteren Larven die Art der Atmung dieselbe sei wie bei den Imagines. | Technik. Meine Beobachtungen sind zum großen Teil an lebenden Ob- jekten ausgeführt. Zu manchen Zwecken empfiehlt es sich, das Tier zu fixieren. Hierzu klebte ich auf einen Objektträger 2 Glasleisten, so daß das Tier, auf den Rücken gelegt, gerade hineinpaßte. Mit einem Gummibande wurde es dann festgeklemmt. Einen großen Teil meiner Objekte konservierte ich in Alkohol 96°,. Um das Eindringen der Konservierungsflüssigkeit in das Innere des Körpers zu ermöglichen, schnitt ich die Objekte der Länge nach am Rücken auf, oder ich trennte Kopf, Thorax und Abdomen voneinander. Des öfteren schnitt ich auch die Beine ab. Das Alkoholmaterial eignete sich für Totalpräparate und besonders gut für totale Muskelpräparate. Letztere färbte ich durchgehend mit Boraxkarmin. Zu Schnitten verwandte ich oft Objekte, die in Formolchromessigsäure fixiert waren. Ich ließ die Objekte 8 Stunden in dieser Lösung, entwässerte sie dann 24 Stunden lang und führte sie dann allmählich in hochprozentigen Alkohol über. Für Schnitte von Tieren, die ich in dieser Weise fixiert hatte, wandte ich die Färbung mit Eisenhämatoxylin (HEIDENHAIN) an. Alkoholmaterial 196 Juzrax Hopper, scheint sich jedoch für diese Färbungsmethode besser zu eignen. Um das Abschwimmen der Schnitte zu verhindern, wandte ich nach Angaben von SchwABE eine Photoxylinlösung an, in die ich die auf einem Objektträger befindlichen Schnitte nach Auflösen des Paraffins brachte. Zupfpräparate wurden oft an frischen Tieren nach vorauf- gegangener Ätherisierung ausgeführt. Zum Aufsuchen von Stigmen und zur Informierung über den Bau und die Lage der einzelnen Chitinteile, eigneten sich am besten Kalilaugepräparate. Sie leisteten mir sehr gute Dienste, wenn ich sie mit Eisenhämatoxylin färbte. Die hierzu verwendeten Chitinteile wurden vorher gebleicht. Die Färbung wurde in der Weise vorgenommen, daß ich das Chitin 24 Stunden lang in Beize legte und dann 2 Stunden lang in Häma- toxylin. Das zur Bearbeitung nötige Material fand ich reichlich in den Tümpeln bei Greifswald. Atmung der Larve. Im allgemeinen gleichen bei den hemimetabolen Insecten die Larven, abgesehen vom Vorhandensein der Flügel, in ihrer äußeren Körperform den Imagines. Dies ist auch bei Notonecta der Fall. Bei genauerem Zusehen findet sich eine ganze Reihe von Verschieden- heiten und Abänderungen vor. Die Verschiedenheit in der Lage der Stigmen und der Morphologie des Thorax bei den Larven veranlassen mich, die einzelnen Entwicklungsstadien genauer zu besprechen. Da ich in der Literatur keine sicheren Angaben über die Zahl der Larvenstadien gefunden habe (KuHLcATz gibt, wenn ich ihn richtig verstehe, in: „BRAUER, Die Sübwasserfauna Deutschlands, 1909“, 4 Larvenstadien an), so bemühte ich mich, darin Klarheit zu schaffen. Bei Notonecta glauca kommen 5 Larvenstadien vor, deren Größen- verhältnisse im folgenden angeführt sein mögen. | lang: breit hoch Produkt 1. Stadium | 2,5 mm | 1 mm | 0,7 mm = 1,75 cbmm 2. ” 3,0 ” 1,3 ” LL DM ” 3. ” 9,9 ” 2 ” 1,5 Tae a 16,5 ” 4. ” 8 ” 3 ” 2 Nip) ous 48 ” 9 11 5 2,5 — | 137,8 Bilden wir die Produkte aus den drei Abmessungen, so geben sie uns Verhältniszahlen für die Volumina an. Wir finden, daß das Die Atmung von Notonecta glauca. 197 folgende Larvenstadium immer etwa die dreifache körperliche Aus- dehnung des vorhergehenden hat. I. Morphologische Betrachtungen. Umformungen am Thorax. Mesothorax und das 2. Stigma. Betrachten wir den Brustabschnitt einer Larve I auf seine äußere Form hin, so finden wir, daß der Rücken eine starke Wölbung zeigt, die seitlich durch eine scharfe Kante gegen die flache Bauchseite abgetrennt ist. Nehmen wir diese scharfe Kante am Meso- und Metathorax näher in Augenschein, so finden wir an dieser Stelle eine Naht. Es stoßen hier nämlich vom Rücken her die Tergite und die ventral gelegenen, von Hrymons mit den Namen „Paratergite* belegten Chitinstücke zusammen. Nach der Mittellinie des Körpers hin machen die Para- tergite des Meso- und Metathorax eine scharfe Knickung dorsalwärts und gehen dann in die entsprechenden Subcoxalplatten über (Taf.1 Fig. 3a, Pt). Auf diese Weise ragen die Paratergite etwas über die benachbarten Teile des Bauches hinaus. Die nach der Mittel- linie des Körpers zu gelegene scharfe Kante der Paratergite (Pt) 2 und 3 ist mit langen Haaren besetzt. Auf diese Weise wird bei der Larve I eine flache Rinne gebildet. Da diese Rinne zur Leitung der Atemluft am Thorax dient, so nenne ich sie „thoracale Atem- rinne.“ Die Fig. 3a zeigt sie uns im Querschnitt. In ihr liegt das 2. Stigma. Es liegt in der Subcoxa (Sbp) 2 (Fig. 1, St,). Letztere erleidet nun im Laufe der weiteren Entwicklung eine Modifikation, welche die Umlagerung des Stigma 2 bedingt. Bei Larve I ist die Subcoxalplatte des Mesothorax nur wenig gewölbt, so daß die Öffnung des 2. Stigma fast völlig ventralwärts zeigt (Fig. 3a). Die oben geschilderte Atemrinne ist dementsprechend ziemlich flach. Sie ver- tieft sich im Laufe der weiteren Entwicklung erstens durch Empor- wölben der Subcoxalplatten des Meso- und Metathorax und zweitens dadurch, daß der dorsalwärts umgeschlagene Teil des Paratergits 2 eine größere Ausdehnung annimmt. Vergleicht man die schematisch ausgeführten Querschnitte der Larve II und III (Fig. 3b und 3c), so findet man, daß sich die Subcoxa 2 allmählich dermaßen stark empor- wölbt, daß die Stigmenöffnung nicht mehr wie bei Larve I bauch- wärts, sondern schon bei Larve III völlig nach der Seite zeigt. Das Stigma 2 kommt auf diese Weise in eine schmale und tief in den 198 Jurıan Hoppe, Körper einschneidende Rinne zu liegen, die einerseits von der Sub- coxa 2 und andrerseits von dem Paratergit gebildet wird. Die den Paratergiten 2 und 3 aufsitzenden Haare, die bei der Larve I und auch bei Larve II entsprechend der Flachheit der Rinne so lang waren und genau so, wie es bei den Haaren der Atemrinne am Ab- domen der Fall ist, in einer Reihe standen, werden nun kürzer und erhalten eine mehr unregelmäßige Anordnung. Letzteres ist der Grund dafür, daß ich sie in die schematischen Querschnitte der älteren Larvenstadien nicht aufgenommen habe. Wir sehen also, daß eine allmähliche Umlagerung des Stigma 2 durch Emporwölben der Subcoxalplatte des Mesothorax zustande kommt (Fig. 3a bis e). Das 1. Flügelpaar. Blickt man auf Larve I vom Rücken her, so findet man, dab das Tergit 2 an den Seitenkanten in eine durch eine Biegung des Hinterrandes angedeutete Spitze ausläuft, die nach hinten gerichtet ist. Diese Falte, die sich im Laufe der weiteren Entwicklung vergrößert, ist nichts anderes als die Deck- fligelanlage. Die an das Tergit 2 stoßende Seitenkante des Paratergit 2 ist bis zum Ende der genannten Spitze ausgezogen. An der Bildung des Deckflügels nehmen das Tergit und das Para- tergit in gleicher Weise teil. Bei Larve II tritt die Flügelanlage deutlicher hervor (Taf. 1 Fig. 2a). Betrachtet man die seitliche Kante des Körpers, die von den Tergiten und Paratergiten des Meso- und Metathorax gebildet wird, also die Linien AC in Fig. 2a bis d, so nimmt bei Larve II die Flügelanlage */, der ganzen Länge ein. Also AB: AC=1:3 (Fig. 2a). Das Verhältnis der Flügelanlage zu der genannten Kante läßt uns die einzelnen Larvenstadien leicht auseinanderhalten. Bei Larve III ist das Verhältnis AB: AC gleich 1:2 (Pig. 2p). Bet Larve 1V ist AB; AUT 23) Ede Larve V reicht der Flügelansatz bis zum Ende des Metathorax (Fig. 2d). Die bei Larve I am Mesothorax durch das Paratergit gebildete seitliche Begrenzung wird später durch die Subcoxalplatten ersetzt. Es entsteht so eine tief einschneidende Rinne zwischen Paratergit und Subcoxa, die bei der Imago zu einer Trennung führt. Metathorax: Ein etwas anderes Bild geben uns die Verände- rungen am Metathorax. Wir wollen uns zunächst die Fig. 1 vor Augen halten. Die Subcoxa 3 hat eine größere Ausdehnung als die Subcoxa 2. Ihre seitliche dem Paratergit 3 benachbarte Kante nimmt nur die halbe Länge des Metathorax ein. Ihr hinterer Rand Die Atmung von Notonecta glauca. 199 verläuft in einem leichten S-förmigen Bogen in schräger Richtung nach hinten zum Xiphus des Metathorax. Die Tergite und Para- tergite geben bei Larve I im Querschnitt dasselbe Bild wie im Mesothorax. Zwischen Paratergit 3 und Subcoxa 3 schiebt sich ein schmales Chitinband, das von der hinteren und seitlichen Ecke der Subcoxa 3 in einem Bogen nach dem Vorderrande des 2. ab- dominalen Sternits verläuft und sich mit diesem fest verbindet. In ihm liegt das Stigma 3 (Fig. 1, St). Ich komme auf dieses Skeletstück, welches als das Sternit des 1. Abdominalsegments an- zusprechen ist, noch später zurück. Die Fig. lla auf Taf. 2 stellt uns einen Querschnitt durch die hintere Hälfte des Metathorax bei Larve I dar. Hier sehen wir wie das Paratergit 3 in das 1. abdominale Sternit übergeht, um sich in der Subcoxa 3 fortzusetzen. Wie im Mesothorax, so wölbt sich auch im Metathorax die Subcoxa 3 im weiteren Verlaufe der larvalen Entwicklung stark empor, so dab auch hier eine tief in den Körper einschneidende Rinne entsteht. Das 1. abdominale Sternit sinkt auf diese Weise tiefer in den Körper hinein (Fig. 11b und ce). Die Subcoxa 3 erfährt im Laufe der Entwicklung eine Umformung. Ihr Hinterrand wächst nach hinten zu, so daß sie sich immer mehr über die Coxa 3 schiebt. Bei Larve IIL hat sie sich fast bis zum Vorderrand des abdominalen Sternums vorgeschoben (Fig. 10). Diese Ausdehnung der Subcoxa des Metathorax hat bei der Imago eine grobe Bedeutung. Später komme ich darauf zu sprechen. Durch dieses Wachstum hebt sich das Hinterende als freie Falte ab, wie es auf den Querschnitten 11b und 11c zu sehen ist. Das 2. Flügelpaar. Ähnlich wie im Mesothorax, so bildet sich auch im Metathorax die Anlage des 2. Flügelpaares unter dem Paratergit und dem Tergit dieses Brustabschnittes aus. Betrachtet man die Larven von der Bauchseite, so sind bei den Larven I bis IV deutlich zwei voneinander getrennte Paratergite des Meso- und Metathorax zu erkennen (Fig. 1 und Fig. 10). Erst bei Larve V ist die Anlage des 1. Flügelpaares soweit nach hinten gewachsen, daß es das Paratergit 3 vollkommen verdeckt. Die Querschnitte 11b und 11c demonstrieren uns diesen Übergang. Noch bei Larve IV (Fig. 11b) tritt das Paratergit frei hervor. BeiLarve V wird es in seiner Ausdehnung relativ kleiner (Fig. 11c, Pt,;). Während es bei Larve IV noch an der äußeren Körperbegrenzung teil hat und deshalb hier aus ziemlich hartem Chitin besteht, tritt es durch die Überlagerung 1. Flügelpaares in dieser Funktion zurück. Es wird daher weich- 200 | JuLıan Horpe, häutig. Bei einer älteren Larve V, die kurz vor der Häutung zur Imago steht, läßt sich auf dem Querschnitt unter dieser weichen Haut eine Anlage des 2. Flügelpaares erkennen (Fig. 11e, F7,). Das 3. Stigma. Im Anschluß an die Morphologie des Thorax will ich das 3. Stigma behandeln, da dieses eine Umlagerung in den Brustabschnitt erfährt. Bei der Larve liegt dieses Stigma in einem schmalen Bande, das sich wie schon oben erwähnt, an das 2. ab- dominale Sternit anlegt. Dieses Band ist als das Sternit des 1. ab- dominalen Segments anzusprechen (Fig. 1, Ste,a und Fig. 9a und b). An den Seiten ist es in zwei lange Enden ausgezogen, die in den Thorax hinein bis zum Hinterrande des Mesothorax reichen. Trennt man das Abdomen von der Brust, so bleiben diese beiden hornartigen Fortsätze in fester Verbindung mit dem Bauchteil. So kann man sie am besten zur Anschauung bringen (Fig. 9a u. b). Präpariert man bei einer mit Kalilauge behandelten Larve die Rückendecke ab, so kann man diese beiden ausgezogenen Enden des 1. Abdominal- segmentes deutlich in situ beobachten, wie sie zwischen Paratergit und Subcoxa verlaufen. Dieses Chitinstück bildet seitlich einen Rand um die Coxa 3, mit der es durch eine dünne Gelenkmembran (Fig. lla, b, c, G) verbunden ist. Es übernimmt so die Funktion der Verfestigung der Beinansätze Das in diesem schmalen Bande gelegene 3. Stigma wird im Laufe der larvalen Entwicklung an der Kante des dem 2. Abdominalsegment zugehörigen Sternits schräg nach vorn und nach der Seite verschoben. Bei Larve V tritt die erste wesentliche Veränderung auf (Fig. 9b). Hier ist das 3. Stigma schon so weit vorgeschoben, daß es etwa bis zur Hälfte über das Paratergit hinaus nach vorn ragt. Ferner ist auch eine seit- liche Verschiebung des Stigmas insofern festzustellen, als es zum Teil unter die vordere Spitze des 2. abdominalen Paratergits zu liegen kommt, das durch Faltenbildung einen freien Kegel bildet. Behaarung der Coxen und Trochanteren. Eine auf- fallend dichte Behaarung zeigen die Coxen und Trochanteren sämt- licher Beinpaare nach der Mittellinie des Körpers hin. An den Coxen 2 und 3 und an den Trochanteren 2 und 3 finden sich Haare, die gegen ihr Ende stark verbreitert sind (Fig. la, b u.c). Sie sind stellenweise zu dichten Büscheln angeordnet. Diese Bildungen haben die Bedeutung, die Luftschicht an der Ventralseite des Thorax fest- zuhalten. Trotz der mannigfachen Bewegung der Beine wird da- durch ein genügender Abschluß der Luftschicht erreicht und so die Gefahr einer Atemstörung bedeutend herabgesetzt. Die abgeplatteten Die Atmung von Notonecta glauca. 201 und verbreiterten Haare kommen dieser Anforderung in besonders hohem Maße nach. Zweckmäßigkeit der Umformungen am Thorax. Übersehen wir einmal die Veränderung der Luftwege am Thorax, so finden wir, daß sie bei Larve I sehr zweckmäßig angelegt sind, während sie sich durch die Vertiefung der thoracalen Atemrinne bei der weiteren Entwicklung verschlechtern. Es kann zwar nicht von einer relativen Verringerung der anhaftenden Atemluft an der Unterseite des Thorax gesprochen werden, doch leuchtet es ein, dab im Falle einer Störung die Wiederherstellung der beschädigten Stelle schwer wird, da die am Thorax befindliche Luft bei älteren Larven schwer zu dirigieren ist. Bei den von mir angestellten Versuchen konnte ich feststellen, daß bei Störungen bei Larven jüngeren Stadiums infolge des zweckmäßigen Baues der thoracalen Atemrinne die Wiederherstellungsversuche leichter von statten gingen als bei älteren Larven. Die zarten weniger widerstandsfähigen Larven jüngeren Stadiums benötigen in höherem Maße eine gut und leicht dirigierbare Leitung der Atemluft als die älteren. Die Tatsache, daß im Laufe der Larvenentwicklung eine für diese zunächst nicht günstige Umformung der Leitungsbahnen eintritt, erklärt sich nach unserer Ansicht daraus, daß diese Veränderungen einen notwendigen Übergang zu der sehr zweckmäßigen Anordnung der Luftbahnen bei der Imago bilden. Morphologie des Abdomens. Atemrinne. Betrachtet man das Abdomen der Larve von der Bauchseite her, so findet man zwei zum Zwecke der Atmung mit Luft gefüllte Rinnen. Eine solche Atemrinne wird durch eine mulden- förmige Vertiefung der Sternite und Parasternite gebildet. Darüber legen sich lange Haare von der Außenseite des Körpers her, die den Paratergiten aufsitzen. Sie sind sehr biegsam und an ihrer Basis sehr beweglich eingelenkt. Diese Haarreihen sind bei allen Larvenstadien vorzufinden. Außer ihnen spielen noch Haare, die in der Mittellinie der Sternite sitzen, bei der Überdachung der Atem- rinne eine Rolle Die Fig. 14 zeigt uns einen schematischen Quer- schnitt durch die Atemrinne der Larve V. Die Haare zeigen bei den einzelnen Larvenstadien ein verschiedenes Aussehen. Bei Larve I wird die Decke der Atemrinne allein von den seitlichen Haarreilen gebildet (Fig. 1a). Die Haare in der Mitte sind noch nicht vor- handen. Jedoch finden wir feine Härchen regellos über die ganze 202 JULIAN Hoppe, Bauchseite verteilt. Nach der Mitte zu stehen sie etwas dichter (Fig. 1a u. 4). Bei Larve II treten in der Mittellinie des 5. bis 9. Abdominalsegments lange Haare auf. Auf dem 5. Segment sind die Haare in zwei getrennten Reihen angeordnet, in einer linken und einer rechten. Etwa in der Mitte des 6. Segments vereinigen sich die Haarreihen unter einem spitzen Winkel zu einer einzigen Reihe, die bis zu dem Analkonus verläuft. Nur die Haare, die die Schenkel des spitzen Winkels bilden, beteiligen sich an der Über- dachung der Atemrinne, d. h. sie laufen den Haaren der Seitenlinie auf eine gewisse Strecke entgegen, während die übrigen Haare der Mittellinie vorwiegend nach hinten zeigen. Bei den folgenden Larven- stadien bilden sich nun immer mehr zwei deutlich getrennte Haar- reihen in der Mittellinie aus, die nun ebenfalls an der Überdachung der Atemrinne teilhaben. Bei Larve III geht diese Trennung über das ganze 6. Abdominalsegment. Bei Larve IV finden wir auch auf dem 7. Segment eine Trennung vor, die bei Larve V noch voll- ständiger und deutlicher wird. Die Haare, die sich an der Über- dachung der Atemrinne beteiligen, sind in ihrer ganzen Länge gleich dick. Nur am äußersten Ende sind sie zugespitzt. Infolge ihrer dichten Anordnung kommen sie ihrem Zweck, eine Decke für die Atemrinne zu liefern, in hohem Maße nach. Sämtliche Haare zeigen schräg nach hinten. Die einander gegenüberliegenden Haarreihen legen sich mit ihren umgebogenen Enden aneinander. Die Über- dachung durch die genannten Haarreihen reicht nicht gans bis zu den basalen Skeletstücken des letzten Beinpaares. Lange Haare, die auf dem Trochanter 3 sitzen, übernehmen ihre Funktion (Fig. 1a). Diese Anordnung ist notwendig, wenn dem 3. Beinpaar eine größere Bewegungsfreiheit gelassen werden soll, ohne eine Störung der Atem-. rinne hervorzurufen. Bei allen Larvenstadien ist die Bauchseite mit feinen Härchen übersäht. II. Normale Atmung. Die Larven aller Stadien nehmen in gleicher Weise Atemluft auf. Man kann daher kurzhin von der Atmung der Larve sprechen. Will die Larve Atemluft aufnehmen, dann taucht sie, da sie spezifisch leichter ist als Wasser, ohne Eigenbewegungen auf. Dabei ist die Bauchseite nach oben gekehrt. Diese Lage ist, wie BETHE sagt, durch die Gegenwart zweier Elemente von verschiedenem spe- zifischen Gewicht bedingt. Das eine ist die Körpersubstanz, das Die Atmung von Notonecta glauca. 203 andere die an der Bauchseite verteilte Luft. „Es ist also das Gleichgewicht durch die Verschiedenheit des specifischen Gewichtes von Luft und Körpersubstanz garantiert.“ Dieses stabile Gleich- gewicht wird, worauf auch Scumipr-Schwedt und Brocuer hin- weisen, durch den am Abdomenende vor der Körperkante strahlen- formig ausgebreiteten Haarkranz erhöht. Ist das Tier an die Ober- fläche gelangt, dann bringt es das Abdomenende mit ihr in Berührung. Ferner lehnen sich in normaler Atemstellung die Spitzen der beiden vorderen Beinpaare an die Oberfläche an. Das letzte Beinpaar wird gewöhnlich nicht an die Oberfläche angelehnt. (Wie groß die Sta- bilität ist, zeigt sich daran, daß die Notonecta in dieser Atemstellung die erbeuteten Tiere aussagt.) Das Tier bildet nun eine Atem- öffnung, um die atmosphärische Luft aufzunehmen. Es ist zu bemerken, dab besonders die jungen Larven im Gegen- satz zu den älteren Stadien und den Imagines fast nur an der Ober- fläche hängen und nur selten und dann nur auf kurze Zeit unter Wasser tauchen. Von etwa 20 Larven I, die ich in einem Gefäß hatte, befanden sich gleichzeitig höchstens nur 3—4 unter Wasser. Sie tauchten nur selten etwa auf 3—4 Minuten unter, um dann so- fort wieder an die Oberfläche zu kommen. (Dieser Umstand kam mir beim Fang der Larven I zunutze. Ich brauchte nur mit dem Netz an der Oberfläche des Wassers hinwegzufahren, um eine Menge solcher Larven zu fangen.) Bei Larven V beobachtete ich, daß sie sich bis zu 5 Minuten unter Wasser hielten. Daß die Larven sich nicht solange unter Wasser halten wie die Imagines, mag darin seinen Grund haben, daß erstere nicht die Luftmengen mit sich führen wie letztere, die unter den Flügeln Lufträume besitzen. Die Larven halten auch bei Luftabschluß unter Wasser nicht solange aus wie die Imagines. Dies zeigen die Versuche weiter unten. Atemöffnnng. Bei normaler Atemstellung bilden die Larven eine Atemöffnung (Fig. 4), durch die die Luft in die Atemrinne und von dort aus zum Thorax gelangt, wodurch sämtliche Stigmen mit der atmosphärischen Luft in Verbindung treten. An der Bildung der Atemöffnung beteiligen sich die Haare, die einen Kranz um den Analkonus bilden. Den hinteren Rand dieses Kranzes bilden die Haare, die dem 9. Segment in mehreren undeutlich hintereinander gelegenen Reihen aufsitzen. Im übrigen bilden die Haare des 8. Segments, die den Paratergiten entspringen, die Atemöfinung. Die Atemöffnung kommt in der Weise zustande, daß sich die Haare 204 Jucrax Hoppe, gleichzeitig etwas aufrichten und nach außen biegen (Fig. 4). Es ist zu bemerken, daß sie im Gegensatz zu den Haaren der Atem- rinne nicht so stark beweglich sind. Sie klappen nicht vollständig auf, sondern treten nur bei der Bildung der Ateméffnung etwas aus- einander. Befindet sich das Tier unter Wasser, so sind die Haare zusammengeklappt (Fig. la). Das Auseinandertreten der Haare zwecks Bildung der Atemöffnung wird dadurch bewirkt, daß die Larve das Abdomenende etwas über die Oberfläche hebt. Es erfolgt also rein mechanisch (vgl. weiter unten über das Aufklappen der Atemrinne). Auf der mittleren Partie des 9. Sternites sind bei Larve I starke, schräg nach oben und hinten zeigende Borsten an- gebracht (Fig. 4). An diese legen sich die Haare der Atemrinne des 8. Segments. Es wird dadurch verhindert, daß bei der Bildung der Atemöffnung die Haare der Atemrinne in Mitleidenschaft ge- zogen werden. Bei Larve I sind die genannten Borsten nötig, da hier die langen Haare der Mittelreihe noch nicht vorhanden sind, während bei Larven älteren Stadiums die Haare der Lite tee die Funktion der genannten Borsten übernehmen. Der folgende Versuch bestätigt die Richtigkeit der Anschauung über die Art des Auseinandertretens der Haare der Atemöffnung. Man tötet zunächst ein Tier auf irgendeine Art. Drückt man es unter Wasser, so schließen sich die Haare der Atemöffnung. Hebt man das Abdomenende heraus, so öffnet sich die Atemöffnung unter normalen Verhältnissen, sobald die Oberflächenspannung über- wunden ist. Normalerweise ist die ganze Ventralseite mit Luft bekleidet, die am Hinterende erneuert wird. Auf den Akt des Ein- und Aus- atmens komme ich bei der Behandlung der Imago zurück. Im Zu- sammenhang mit der Frage der Luftcirculation steht die nach der Funktion der Stigmen, genauer gesagt, die Frage, ob gewisse Stigmen nur inspiratorisch, andere nur exspiratorisch wirken. Hierauf komme ich noch später zurück. III. Atmung unter abnormen Verhältnissen. Bau und Wirkungsweise des Analkonus. Der Anal- konus spielt unter gewissen Umständen eine Rolle bei der Bildung der Atemöffnung. Sein Bau ist folgender. Von der Ventralseite gesehen ist er nahezu dreieckig (Taf. 1 Fig. 7). Die eine Spitze des Dreiecks zeigt nach hinten. Seine beiden Seiten sind gewölbt. Die Ventral- Die Atmung von Notonecta glauca. 205 fläche wird von einer derben Chitinhaut gebildet, die mit Härchen besetzt ist und die an den Rändern dorsalwärts umschlägt. Die Ventralfläche bildet zusammen mit diesen umgeschlagenen Seiten eine Art Konus. Letztere setzen sich in eine dünne und umfang- reiche Chitinhaut fort, die in das 10. ringförmige Abdominalsegment übergeht. In diesen Konus mündet der Darm in der Weise, dab der Konus nach Art einer Mütze über das Darmende gesetzt ist (vgl. Querschnitt Fig. 6). Die Afteröffnung liegt an der Ventralseite. Sie hat die Form eines gewinkelten Spaltes. Das Tier ist imstande, den Analkonus fast bis zur senkrechten Lage zu heben. Dieses ge- schieht dadurch, daß der Darm gegen den Konus gepreßt wird. Das Pressen des Darmes nach hinten wird wahrscheinlich durch die Muskel, die von den Paratergiten nach den Tergiten verlaufen, be- wirkt. Muskelbündel, die zu beiden Seiten des Konus an den Ecken der umgeklappten Ränder ansetzen und zu den Tergiten in schräger Richtung verlaufen, können den Analkonus in seine Ruhelage zurück- ziehen (Fig. 5 und 7). Wird der Analkonus hochgehoben, so hat dieses ein Auseinandertreten der Haare der Atemöffnung zur Folge. Normalerweise beteiligt sich der Analkonus nicht an der Bildung der Atemöffnung. Nur unter besonderen Umständen setzt ihn das Tier zum Zwecke der Atmung in Tätigkeit. Der folgende Versuch wird uns darüber einigen Aufschluß geben. Bringt man ein Tier in einen Hohlschliff, der mit Wasser gefüllt ist, und legt darüber ein Deckglas, so sieht man nach einiger Zeit, daß das Tier den Anal- konus hochpreßt (zu diesem Versuch eignen sich besonders jüngere Larven). Da es ihm nicht möglich ist, die Atemôffnung in normaler Weise herzustellen, so sucht es durch dieses fortwährende Hochheben des Analkonus zu bewirken, daß die zusammengeklappten Haare der Atemöffnung auseinandergeschoben werden. Der Analkonus dürfte also in der Natur in Wirksamkeit treten, wenn etwa das Wasser mit einem Schmutzhäutchen bedeckt ist oder anderweitig die Her- stellung der Atemöffnung erschwert ist. Einiges über das Aufklappen der Atemrinne. Die Atemrinne ist, wie oben gesagt, mit Luft gefüllt. Unter besonderen Umständen vermag das Tier diese aufzuklappen. Wie geschieht dies? Hebt das Tier das Abdomen aus dem Wasser heraus, so klappt die Atemrinne auf. Taucht das Tier unter, so schließt sie sich naturgemäß. Weder das Aufklappen noch das Zuklappen der Haarreihen wird durch besondere Muskel besorgt, sondern es wird Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Anat. u. Physiol. 14 206 JULIAN HoPPE,, lediglich durch das Heben des Körpers über die Oberfläche resp: durch Untertauchen bewirkt. In gewissen Fällen wird dieses Aufklappen dadurch unterstützt, daß Luft in die Atemrinne ge- preßt wird. Diese Anschauung bestätigt folgender Versuch. Man tötet zu- nächst eine Larve etwa dadurch, daß man sie mit einer Nadel in den Kopf sticht. Drückt man nun das Objekt unter Wasser, so schließt sich die Atemrinne. Hebt man das Tier wieder allmählich heraus, indem man es in schräger Richtung hält, dann klappt die Atemrinne allmählich dem Heben entsprechend auf. Bei lebenden Tieren konnte ich dieses Aufklappen des öfteren beobachten. Dieses geschah z. B. dadurch, daß sich Tiere in der Nähe der Oberfläche scharf hin und her bewegten und dadurch das Abdomen über sie brachten. In diesem Falle war das Aufklappen der Atemrinne ein zufälliges. Zweitens scheint das Aufklappen der Atemrinne bei einem größeren Atembedürfnis zu geschehen. Über letzteres werden wir im Folgenden noch einiges hören. Die Ansicht von Does (1. c. p. 23), das Aufklappen werde durch die Muskel, die von den Tergiten nach den Parasterniten laufen, be- wirkt, ist unzutreffend. Diese Muskel liegen von der Basis der Haare zu weit entfernt, als daß sie einen Einfluß auf das Öffnen und Schließen der Atemrinne haben könnten. Wir haben zunächst die Tatsache festgestellt, daß das Auf- klappen der Atemrinne nur von der Lage des Tieres zur Oberfläche abhängt. Wir wollen jetzt auf die physikalische Ursache des Auf- klappens eingehen. Zunächst will ich die Anschauung BrocHer’s über diesen Vor- gang anführen, die sich im folgenden als haltlos herausstellen wird. Er sagt: „Nous avons déjà signalé que la face externe de ces poils est mouillable, tandis que la face interne appliquée contre le tégu- ment abdominal, est hydrofuge.“ Existiert diese von BROCHER be- hauptete Verschiedenheit? Betrachtet man die Haare der Atemrinne unter dem Mikroskop, so geben sie auf beiden Seiten dasselbe Bild. Es ist absolut keine Verschiedenheit in der Beschaffenheit der Ober- fläche festzustellen. Schneidet man ferner dem Tier die Haare der Atemrinne fort und bringt sie auf einen Wassertropfen, so haften sie an der Ober- fläche. Sie liegen dabei in Büscheln aneinander oder schwimmen auch einzeln umher. Die obere dem Wasser abgewandte Seite ist unbenetzt. Es handelt sich nun darum, die Haare auf die andere Die Atmung von Notonecta glauca. 207 Seite zu legen, um ihr Verhalten auch in dieser Lage festzustellen. Man legt zu diesem Zwecke ein befeuchtetes Deckgläschen auf die auf einem flachen Wassertropfen ausgebreiteten Haare. Hebt man das Deckgläschen wieder ab, so bleiben die Haare zum Teil an diesem haften. Nun dreht man das Deckgläschen um und bringt mittels einer Pipette einen Wassertropfen auf dasselbe. Die Haare sind auf diese Weise umgedreht, wovon man sich besonders durch Beobachtung von Haarbüscheln überzeugen kann. Wieder kann man feststellen, daß die Haare an der Oberfläche schwimmen. Das phy- sikalische Verhalten ist also auf beiden Seiten ein gleiches. Haare, die die Oberflächenspannung infolge eines Stoßes überwinden, sinken in dem Wassertropfen unter. Wir sehen also, daß sich die Haare genau so verhalten wie eine blank geputzte Nähnadel. Auch diese vermag sich an der Ober- fläche zu halten. Erst dann, wenn man sie anstößt, sinkt sie zu Boden. Zieht man sie aus dem Wasser heraus, so fließt es von ihr ab. Es bleiben nur vereinzelte kleine Tröpfchen an ihr haften. In- folge dieses Verhaltens sagt man, die Nadel sei vom Wasser unbe- netzbar. Da nun die Haare der Atemrinne ein gleiches Verhalten zeigen, müssen wir auch ihnen die Eigenschaft der Unbenetzbarkeit zuschreiben. Der Grund für die Unbenetzbarkeit der Nadel und der Haare ist der, daß die Kohäsion der Wassermoleküle größer ist als ihre Adhäsion an die genannten Körper. Um das Folgende leichter verständlich zu machen, muß ich einen Versuch vorausschicken. Man steckt mehrere blank geputzte Näh- nadeln in einer Reihe so in ein Hölzchen, daß nur ein kleiner Ab- stand (etwa !/);, mm und weniger) zwischen ihnen besteht. Das Ganze bringt man unter Wasser. Hebt man es heraus, dann sind zwischen den einzelnen Nadeln Wassermembranen ausgespannt. Das gleiche Resultat erhält man, wenn die Nadeln mit Öl bestrichen sind. An den Flächen, die einer benachbarten Nadel nicht zugekehrt sind, fließt das Wasser ab. Wie läßt sich nun das Vorhandensein der Wassermembran erklären? Das Wasser hat infolge des oben- genannten Grundes das Bestreben, Tröpfchen an der Nadel zu bilden. Da nun die Bildung eines Trépfchens an einer Nadel infolge der unmittelbaren Nähe einer anderen Nadel verhindert wird, so bleibt das Wasser zwischen beiden ausgebreitet und gibt das Bild einer zusammenhängenden Membran. Wenn auch die Adhäsion zwischen Wasser und der Nadel sehr klein ist, so genügt sie doch, um diese kleine Wassermenge zu halten. Eine ähnliche Beobachtung 14 208 Jucran Hoppe, kann man an den Haaren der Atemrinne machen. Man legt ein Tier zwischen Glasleisten, die in der oben beschriebenen Art auf einem Objektträger befestigt sind, auf den Rücken und klemmt es mittels eines Gummibandes in der Thoraxgegend fest. (Dieser Versuch ist mit der Imago ausgeführt worden, da mir zurzeit keine Larven zur Verfügung standen.) Diesen Objektträger stellt man schräg in ein mit Wasser gefülltes Gefäß, so daß das Abdomenende des Ob- jekts nach oben zeigt. Saugt man mittels einer Pipette Wasser fort, so klappt die Atemrinne im allgemeinen ganz auf. Mitunter kann man jedoch beobachten, daß die Haare stellenweise nicht auf- klappen. In einem solchen Falle bietet sich uns dasselbe Bild wie bei dem mit den Nadeln ausgeführten Versuch. Zwischen den Haaren sind feine Wassermembranen ausgespannt. Nur an den ein- ander nicht zugekehrten Flächen der Haare ist das Wasser abge- flossen. Saugt man das zwischen den Haaren vorhandene Wasser mittels Fließpapier fort, dann löst sich der Zusammenhang der Haare untereinander, und sie geraten in Unordnung. Nunmehr kommen wir zu der Frage, wie das Aufklappen der Atemrinne zu erklären ist. Die Kohäsion der Wasserpartikelchen, die sich zwischen den Haaren und an ihrer Außenfläche befinden, mit dem übrigen Wasser wirkt derart, daß sie beim Heben des Ab- domens über die Oberfläche mit diesem in Berührung zu bleiben suchen. Die Kohäsionskraft ist so groß, daß die Haare mitgezogen werden. Um letzteres möglich zu machen, muß weiterhin eine Kraft zwischen Wasser und den Haaren bestehen. Dies kann nur eine Adhäsionskraft zwischen beiden sein. Diese ist zwar sehr klein, genügt jedoch, um die leicht beweglichen Haare mitzuziehen. Die Wirkung der Adhäsion zwischen den Haaren und dem Wasser hatten wir in einem vorhergehenden Versuch demonstriert, bei dem wir die Haare vermittels eines befeuchteten Deckgläschens von einer Wasseroberfläche abhoben. Die Adhäsion ist, wie gesagt, nur gering. Hieraus läßt sich die Tatsache erklären, dab die Atemrinne mitunter stellenweise nicht aufklappt. Putzen der Haare. Wir wollen jetzt folgende Überlegung anstellen. Durch Anlagerung von Fremdkörpern können die Haare der Atemrinne benetzbar werden. Dieser Gefahr sind sie in hohem Mabe ausgesetzt. Zunächst sind im Wasser ständig organische wie unorganische Körperchen suspendiert, die sich leicht an die Haare legen können. Dies kann ferner durch Berührung mit anderen (segenständen und mit der oft verschmutzten Oberfläche des Wassers Die Atmung von Notonecta glauca. 209 geschehen. Wir müssen uns deshalb fragen, ob Einrichtungen be- stehen, die ein Verschmutzen und ein damit verbundenes Benetzt- werden der Haare verhindern. Wir können des öfteren beobachten, daß die Tiere mit den behaarten Tarsen des 3. Beinpaares über die Haare der Atemrinne hinwegfahren. Diese Bewegungen werden dazu dienen, die Haare von Fremdkörpern zu säubern. Nun können wir vereinzelt beobachten, daß das Femur 3 aus seiner zum Körper senkrechten Lage mitunter so weit nach hinten geführt wird, daß er über die Haare der Atemrinne zu liegen kommt. Dies ge- schieht etwa 2 bis 3mal kurz hintereinander. Bei genauer Betrach- tung des Femurs können wir feststellen, daß die der Atemrinne zu- sekehrte Fläche vollkommen glatt ist, während er sonst mit kurzen Borsten übersät ist (Taf. 2 Fig. 8a). Eine derartige glatte Fläche kann unmöglich dazu dienen, etwa Fremdkörper von den Haaren der Atemrinne zu entfernen. Betrachten wir diese Fläche bei starker Vergrößerung, so finden wir, daß sie von zahlreichen Kanälchen durchsetzt ist. Letztere kann man in der Weise deutlich sichtbar machen, dab man von frischem Material ein Glyzerinpräparat an- fertigt. Die Kanälchen sind über die ganze Oberfläche gleichmäßig verteilt. Nur an der nach vorn gelegenen Kante kann man eine stärkere Anhäufung dieser Gebilde wahrnehmen (Fig. 8a). Es lassen sich deutlich zwei verschiedene Typen von Kanälchen unterscheiden, 1. Kanäle, die in ihrer ganzen Länge fast gleich dick sind (Fig. Sc) und 2. Kanäle, die bauchige Auftreibungen zeigen und mit einem ganz feinen Kanälchen ausmünden (Fig. 8d). Erstere sind über die ganze Oberfläche verteilt, während letztere nur an der vorderen Kante gelegen sind (Fig. 8a). Ihrem Aussehen nach sind sie als Drüsenkanäle anzusprechen. Ich muß allerdings bemerken, daß ich die dazu gehörigen Drüsen weder auf Schnitten noch auf Zupf- präparaten habe feststellen können. Ich zweifle jedoch nicht daran, daß solche vorhanden sind. Wir haben nun oben gesehen, daß das Femur über die Haare der Atemrinne hinweggeführt wird. Wenn nun die Drüsen ein Secret ausscheiden, so wird es wahrscheinlich dazu dienen, etwa die Haare einzufetten und dadurch die Gefahr eines Benetztwerdens einschränken. Anormale Luftaufnahme durch die Atemöffnung. Betrachtet man die Larve längere Zeit, während sie sich in der normalen Atemstellung befindet, dann kann man mitunter folgendes beobachten. Das Tier hebt die Coxen 1 weit vom Körper ab. Die Coxen 2 machen diese Bewegung in den meisten Fällen mit. Durch 210 Junttan Hopee, das Heben der Coxen wird der Raum an der Unterseite des Thorax, der für die Atemluft bestimmt ist, vergrößert. Es strömt infolge- dessen durch die Atemöffnung und die Atemrinne eine größere Luftmenge nach der Thoraxgegend. Die verschiedenartigsten Be- wegungen der beiden vorderen Beinpaare pressen die aufgenommene Luft in alle Winkel des Luftraumes an der Unterseite des Thorax. So sieht man z. B., daß das vordere Beinpaar, während die anderen Beine an den Körper gelegt sind, lebhaf tauf und ab bewegt wird. Der Luftraum in der Gegend des 1. Stigmas, der bis zum Kopf reicht, ist dabei prall mit Luft gefüllt. Ferner kann man beobachten, daß durch ein andauerndes Heben und Senken der beiden vorderen Beinpaare eine lebhafte Bewegung der aufgenommenen Luft an der Unterseite des Thorax hervorgerufen wird. Hierbei können auch die Tarsen 2 eine schiebende oder pressende Bewegung ausführen. Das 3. Beinpaar wird dabei meistens in der Ruhelage gehalten. Nachdem das Tier in dieser Art die Luftblase am Thorax hin- und herbewegt hat, klappt es die Coxen herunter, und die Luftblase wird in die Atemrinne getrieben. Die Haarreihen, die die Atem- rinne bedecken, werden infolgedessen aus ihrer gewöhnlichen Lage in die Höhe gehoben und treten etwas auseinander. Diese Be- wegung der Luft nach der Atemrinne zu wird oft durch ein Pressen der Tarsen 2 unterstützt, die die Luft vor sich herschieben. Während das Tier im ersten Falle, wo sich noch die Luftmengen am Thorax befinden, in der normalen Atemstellung liegt, zieht es, wenn es die Luft gegen die Atemrinne preßt, das Abdomen von der Oberfläche weg. Befindet sich die Luft in der Atemrinne, dann fahren oft die Tarsen 3 von vorn nach hinten über die ganze Rinne hinweg und treiben dabei die Luft vor sich her, oder sie machen nach Art eines Geigenbogens streichende Bewegungen, die das Ordnen und Putzen der Haare bezwecken. In einigen Fällen konnte ich beobachten, daß die Luftblase durch Heben der Coxen 1 und 2 aus der Atemrinne wieder nach dem Thorax gezogen, dann wieder gegen das Abdomen bewegt wurde. Dieser Vorgang wiederholte sich mit- unter mehrere Male hintereinander. Das Tier kommt nun mit der Atemöffnung wieder an die Ober- fäche, und die Luftblase wird auf demselben Wege, auf dem sie aufgenommen war, hinausbefördert. Fragen wir uns nach dem Zwecke dieser Art der Luftbewegung. Es scheint, als ob das Tier bestrebt ist, vermittels dieses stärkeren Luftstromes die Luftwege an der Unterseite seines Körpers, die zu Die Atmung von Notonecta glauca. 2 den Stigmen führen, frei zu halten und etwaige Störungen, die in der Natur immer vorkommen werden, zu beseitigen. Es sei noch nebenbei folgendes erwähnt. Kommt die Larve, während sich die Luftblase in der Atemrinne befindet und die Haare infolgedessen etwas hochgehoben sind, zu nahe an die Wasserober- fläche, dann klappt die Atemrinne auf. Das Aufklappen ist also in diesem Falle zufällig, ohne besonderen Zweck. Versuche zur Atmung unter abnormen Verhältnissen. Wir hatten oben ausgeführt, daß das Chitin unbenetzbar ist. Um Mißverständnissen bei den folgenden Versuchen vorzubeugen, muß ich kurz auf folgendes hinweisen. Der ganze Körper des Tieres ist mit feinen Härchen übersät. Besonders zahlreich finden sich diese in der Atemrinne vor. Normalerweise befindet sich zwischen den feinen Härchen und kleinen Erhabenheiten der Atem- rinne Luft, so daß Wasser von ihr abfließt. Diese Luft in der Atemrinne kann nun mittels einer feinen Pipette einem zwischen 2 Glasleisten festgeklemmten Tiere entzogen werden. Die Folge ist die, daß sich Wasser zwischen die Härchen festsetzt. Nimmt man das Tier unter diesen Umständen aus dem Wasser, so fließt das Wasser nicht ab. Bringt man ferner das Tier wieder unter Wasser, so füllt sich die Atemrinne nicht wie unter normalen Verhältnissen mit Luft, weil das anhaftende Wasser dies verhindert. Die physikalischen Verhältnisse zwischen Wasser und Chitin haben sich dabei nicht geändert, d. h. die Adhäsion des Wassers an das Chitin ist kleiner geblieben als die Kohäsion der Wassermoleküle Dennoch will ich im Folgenden für diesen Zustand das Wort ,,benetzt“ ein- führen, obwohl dieser Ausdruck in physikalischem Sinne eigentlich keine Berechtigung haben mag. Wenn ich also im Folgenden von einer benetzten Atemrinne spreche, so meine ich damit, daß die Luft aus ihr verdrängt ist und sich Wasser zwischen den Härchen festgesetzt hat. Die Atemrinne ist, wie gesagt, in diesem Falle nur scheinbar benetzt. Bei Gelegenheit der folgenden Versuche werden wir auf verschiedene Mittel stoßen, die die Atemrinne in unserem Sinne benetzbar machen. Versuch 1. Mittels einer Präpariernadel brachte ich die Haare der einen Atemrinne in Unordnung, während ich die Atem- rinne der anderen Seite unbeschädigt ließ. In normaler Atem- stellung nahm das Tier zunächst durch Heben der Coxen 1 und 2 Luft an die Unterseite des Thorax auf. 212 Jurıan Hoppe, In diesem Falle ging der Weg, den die aufgenommene Luft einschlug, durch die Atemöffnung und die unbeschädigte wie auch die beschädigte Atemrinne nach dem Thorax. Die Luft konnte auch durch die Atemrinne, deren Haare an einer Stelle in Unordnung gebracht waren, gehen, da sie trotzdem ganz mit Luft gefüllt war. Die Larve zog nun das Abdomen von der Oberfläche weg und preßte durch Herunterdrücken der Coxen die Luft gegen die Atemrinne. Es trat dann das 3. Beinpaar in Tätigkeit, das die Luft weiter gegen die beschädigte Stelle preßte und durch streichende Bewegungen der Tarsen die in Unordnung geratenen Haare wieder in ihre alte Lage zu bringen suchte. Eine genauere Beschreibung des letzteren Vorganges folgt in Versuch 3. Versuch 2. Mittels eines mit Äther und Alkohol getränkten Holzstäbchens bestrich ich die Atemrinne der einen Seite, während die andere Atemrinne völlig unbeschädigt blieb. Wie in dem vorigen Versuch führte das Tier in normaler Atemstellung eine große Luftmenge zum Thorax. Der Unterschied vom vorigen Versuch ist der, daß die Larven nur durch die Atemrinne der einen Seite Luft aufnehmen konnte, da die andere benetzt war. Im übrigen ist das Verhalten des Tieres auch bei diesem Versuch dasselbe wie bei dem vorigen. In gleicher Weise wird auch hier die Luft gegen die Atemrinne gepreßt. Es ist zu erwähnen, daß es dem Tier bei dem letzten Versuch sehr oft nicht gelang, die beschädigte Atemrinne wieder herzustellen, da die vom Thorax gegen das Abdomen ge- preßte Luftblase naturgemäß auf der einen Seite einen großen Widerstand fand, während sie auf der anderen Seite ohne solchen leicht in die unbeschädigte Atemrinne gelangt. Versuch 3. Mittels eines mit Äther und Alkohol getränkten Holz- stäbchens bestrich ich dem Tier die Atemrinne beiderseits. Alsdann brachte ich esins Wasser. Luft war in der Atemrinne nicht vorhanden. Das Tier tauchte auf und nahm die gewöhnliche Atemstellung ein. Es versuchte wie gewöhnlich die Atemöffnung zur Luftaufnahme zu benutzen. Dies gelang ihm nicht, weil der Weg zu den Stigmen abgeschnitten war. Es kam nun mit der Thoraxunterseite oder auch mit der ganzen Unterseite des Körpers an die Oberfläche. Mit weit abgehobenen Coxen der beiden vorderen Beinpaare tauchte es unter, nachdem es eine Zeitlang oben gelegen hatte. Dadurch, daß das Tier mit abgehobenen Coxen untertauchte, hatte es den Raum, der für die Luft an der Unterseite zur Verfügung steht, vergrößert. Die besondere Behaarung der Coxen und der Trochanteren (vgl. oben Die Atmung von Notonecta glauca. 213 S. 200) unterstützt das Festhalten einer größeren Luftmenge. Nun- mehr versuchte das Tier die so aufgenommene Luft gegen die Atem- rinne zu pressen. Dies geschah folgendermaßen. Die weit abge- hobenen Coxen 1 und 2 wurden heruntergeschlagen und dadurch der Raum für die aufgenommene Luft verkleinert. Es war dabei eine Bewegung der Luft nach dem Abdomen hin deutlich bemerk- bar. Das schräg hochgezogene Femur des 2. Beinpaares machte eine Bewegung nach hinten, die Luftblase vor sich herschiebend. Gleichzeitig mit dieser Bewegung war eine Bewegung der Tarsen 2 zu bemerken, die gleichfalls die Luft im Bereich der Coxen nach hinten zu pressen versuchten. Diesen Bewegungen folgte nunmehr eine weitere pressende Bewegung der Tarsen 3, durch welche die Luft in die Atemrinne gepreßt wurde. Diese regelmäßige Aufein- anderfolge der pressenden Bewegungen ist jedoch nicht die Regel. Mehrere dieser Bewegungen können mitunter fast gleichzeitig er- folgen, oder eine kann mehrere Male wiederholt werden. Oft wurden die beiden vorderen Coxenpaare wieder hochgehoben und die Luft abermals nach dem Thorax gezogen, um von neuem gegen die Atemrinne gepreßt zu werden. Dies geschah meistens mehrere Male hintereinander. Hin und wieder strich sich das Tier mit den behaarten Hintertarsen die Abdomenunterseite, um die in Unordnung seratenen Haare der Atemrinne wieder in ihre richtige Lage zu bringen. Nachdem es sich in der beschriebenen Art und Weise ab- semüht hatte, kam es von neuem an die Oberfläche und lag eine Zeitlang ruhig da, tauchte dann mit frisch aufgenommener Luft wieder unter. Von neuem begannen die Anstrengungen zum Her- stellen der Atemrinne Nach wiederholten Bemühungen gelang es den meisten meiner Objekte, die Atemrinne in ihren alten Zustand zu bringen. Wir sehen also aus unserem Versuch, daß das Tier im Notfalle mit den thoracalen Stigmen allein atmen kann. Soll jedoch die Atmung in normaler Weise vor sich gehen, so muß die Atemrinne hergestellt werden, um die in ihr gelegenen abdominalen Stigmen für den Gasaustausch freizulegen. Die 3 angeführten Versuche haben das Gemeinsame, daß in ihnen zunächst Luft an die Unterseite des Thorax durch Heben der beiden vorderen Coxenpaare aufgenommen wird, die dann zum Wiederherstellen der Atemrinne dient. Nur die Art, wie die Luft zum Thorax gelangt, ist eine verschiedene. In den Versuchen 1 und 2 vermag das Tier, da nur die Atemrinne der einen Seite beschä- 214 Juriax Horre, digt ist, in normaler Atemstellung Luft aufzunehmen. Das andere Mal ist dieser Luftweg vollkommen verschlossen, und das Tier ist genötigt mit der Thoraxunterseite an die Oberfläche zu kommen. Versuch 4. Es wurde dem Tier die Atemöffnung mit Öl be- strichen. Wurde das Tier nun in das Wasser gebracht, so nahm es zunächst die normale Atemstellung ein. Die Atemöffnung war nun aber nicht gebrauchsfähig. Das Tier zog das Abdomenende von der Oberfläche weg und putzte die Haare der Atemöffnung mit den Tarsen 3. Dann wieder nahm es die gewöhnliche Atemstellung ein. Als sich das Tier eine Zeitlang mit den Putzversuchen abgemüht hatte, kam es mit der Thoraxunterseite an die Oberfläche. Oft _ klappte es auch die Atemrinne auf. So lag es eine Zeitlang: da. Mit abgehobenen Coxen tauchte es unter und preßte in derselben Weise wie beim vorigen Versuch eine Luftblase gegen die Atem- rinne. Dann tauchte es wieder auf. Die Wiederherstellungsversuche dauerten so lange, bis die Atemöffnung gebrauchsfähig war. Aufklappen der Atemrinne. Im Anschluß an diese Ver- suche sei noch folgendes eingeflochten. Wir hatten gesehen, daß das Aufklappen der Atemrinne in gewissen Fällen rein zufällig ge- schehen kann. In anderen Fällen hat aber das Aufklappen wohl einen besonderen Grund. Das Tier ist z. B. genötigt, dies zu tun, wenn die Atemöffnung beschädigt ist, so dab eine normale Luft- aufnahme nicht vor sich gehen kann. Ein ähnliches Verhalten finden wir im folgenden Versuch. Hält man ein Tier längere Zeit unter Abschluß der atmosphärischen Luft unter Wasser und läßt es dann auftauchen, so beobachtet man in den meisten Fällen ein Aufklappen der Atemrinne In einem solchen Falle hat das Tier ein erhöhtes Atembdürfnis, das es veranlabt einen schnelleren Gas- austausch zu bewirken, als es durch die Atemöffnung allein möglich ist. Es geschieht das Aufklappen also auch im Falle der Atemnot und eines größeren Atembedürfnisses. Versuch mit Kohlensäure. Zu diesem Versuche ver- wandte ich eine pneumatische Wanne, in der ein oben geschlossener Zylinder mit Kohlensäure gefüllt wurde und zwar so weit, daß das Wasser im Zylinder auf gleicher Höhe mit dem der Wanne stand. Man bringt eine Larve in den Zylinder. Sie kommt an die Oberfläche, um zu atmen. Gleich beim ersten Auftauchen bringt sie die ganze Unterseite des Körpers an die Oberfläche. Einen Augenblick danach taucht sie unter. Sie macht kurze Bewegungen hin und her, überstürzt sich dabei mehrere Male und fällt zu Boden. Die Atmung von Notonecta glauca. 215 Nachdem sie dort eine Weile gelegen hat, fängt sie an sich zu regen. Die Schwimmbewegungen sind schwerfällig geworden. Sie kommt nochmals an die Oberfläche, tritt von neuem mit der Kohlensäure in Kontakt und fällt wieder unter scharfen Hin- und Herbewegungen zu Boden. Das Tier schlägt hier noch einige Male mit den Beinen. Es vermag oft noch einige schwerfällige Schwimmbewegungen zu machen. In den meisten Fällen bleibt die Larve aber am Boden liegen, um dort zu verenden. Bisweilen kommt es vor, daß die Larve schon nach dem ersten Emportauchen am Boden liegen bleibt. Dieses verschiedene Verhalten wird sich wahrscheinlich nach der auf- genommenen Menge von Kohlensäure richten. In verschiedenen Fällen beobachtete ich, daß das Tier die Atem- rinne aufklappte. Die Atemnot veranlaßt das Tier, durch Freilegen aller Stigmen einen erhöhten Gasaustausch herbeizuführen. Atmung der Imago. I. Morphologie des Thorax unter Berücksichtigung der Wege für die Atemluft. Bei der Imago finden sich wesentliche Unterschiede gegenüber der Larve. Das Pronotum von Notonecta ist ebenso wie bei Corixa derartig stark vergrößert, daß es den vorderen Teil des Metanotums bei gewöhnlicher Lage verdeckt, so daß nur das Scutellum freiliegt. Es entsteht auf diese Weise ein Hohlraum, der dorsalwärts und seitlich durch das Pronotum und ventral durch die etwas über- ragenden Bauchplatten des 1. Brustringes abgeschlossen wird. In diesem Raum und zwar in der Intersegmentalhaut zwischen Pro- und Mesothorax liegt das 1. Stigma. Dieser Bau des Pronotums spielt nach Hagemann bei Corixa eine sehr wichtige Rolle für die Atmung. Das Metanotum stellt eine nach vorn stark gewölbte Platte dar. Ähnlich wie bei Corixa zeigt es vorn an seiner stärkeren Krümmung rinnenförmige Einsenkungen. Ein weiterer für die Atmung sehr wichtiger Unterschied zwischen Imago und Larve ist das Vorhandensein der Flügel bei ersterer. Verfolgen wir den Costalrand des Deckflügels, dann finden wir, daß dieser zunächst auf einer scharfen Kante der Subcoxa 2 auflieet. Der Teil des Costalrandes, der sich an dieses Skeletstück anlehnt, ist nach Art einer Rinne gebildet, so daß ein sicheres Auf- 216 Jurıan Hoppe, liegen des Flügels bewirkt wird. Die Rinne endet in einer an- steigenden Leiste, hinter der sich ein Loch befindet. Am hinteren Rande der Subcoxa 2 findet sich ein Höcker (Taf. 2 Fig. 13), der in das Loch im Costalrande des Flügels hineinpaßt, so daß letzterer in der Ruhelage mit dem Körper des Tieres fest verbunden ist. In seinem weiteren Verlaufe legt sich der Deckflügel derart auf die Subcoxalplatte des Metathorax, daß diese mit dem dorsalen Rande unter die Flügel zu liegen kommt. Zum besseren Verständnis ist der Costalrand des Deckflügels in der Fig. 13 rot angedeutet. Am vorderen Ende des Abdomens legt sich der Deckflügel auf einen leistenartigen Vorsprung des Tergits auf. Die Leiste wird in der Weise gebildet, daß das steil nach der Ventralseite abfallende Tergit kurz vor dem Körperrand eine Knickung nach der Seite macht (Fig. 13). Heben wir die Flügel vom Körper ab, dann erblicken wir am Mesothorax einen Hohlraum, der von dem Tergit und der Subcoxa dieses Brustabschnitts gebildet wird. Durch den Flügel wird dieser Raum nach außen hin dicht abgeschlossen. Wir hatten in einem der früheren Kapitel die Umformung der mesothoracalen Subcoxal- platte besprochen. Wir wollen jetzt von der Larve V ausgehen und uns die Fig. 3e vor Augen halten. Die Figur stellt den Querschnitt einer Larve V dar, bei der schon einige Veränderungen für die Häutung zur Imago bemerkbar sind. Unter der äußeren Chitinwand sehen. wir eine Falte in der Hypodermis entstehen (Fig 8e, Fa). Auf die aus dieser Falte entstehende Kante legt sich bei der Imago am Mesothorax der Costalrand des Flügels. In der- selber Figur kann man auch bemerken, daß sich in der Flügel- anlage der Costalrand schon zu einer Rinne ausbildet. Die Formen, die wir bei Larve V unter der äußeren Körperdecke entstehen sehen (Fig. 3e), finden wir bei der Imago (Fig. 3f) ausgebildet wieder. Auf diese Weise entsteht am Mesothorax ein Hohlraum (Fig. 13 4), in dem das 2. Stigma liegt. Durch das Emporwölben und durch die spätere Faltenbildung der 2. Subcoxalplatte hat eine vollständige Verlagerung des 2. Stigmas von der Ventralseite dorsalwärts statt- gefunden (Fig. 3 a—f). | Auch am Metathorax finden wir einen Hohlraum, der nach außen vom Deckflügel und der Subcoxa 3 und nach innen von der Coxa 3 und dem Tergit gebildet wird (Fig. 114 und 13 H,). In ihm liegt das 3. Stigma. Bei Larve V liegt es noch in dem schmalen Bande, das wir als das Sternit des 1. abdominalen Segments an- Die Atmung von Notonecta glauca. 917. gesprochen hatten. Es tritt nun bei der Imago insofern eine wesent- liche Veränderung auf, als zunächst die Fortsätze des 1. abdominalen Sternits, die bei den Larvenstadien in den Thorax hineinragten, bei der Imago verschwinden, wahrscheinlich in der Bildung des Thorax aufgegangen sind. Das Stigma 3, das sich schon bei der Larve V weiter nach vorn und etwas nach der Seite unter das 2. abdominale Sternit geschoben hat (Fig. 9b), hat bei der Imago eine weitere Verlagerung erfahren. Es liegt hier an der Grenze zwischen der dorsalen und ventralen Begrenzungsfläche des Körpers (Fig. 13 St,). An der Subcoxa 3 tritt keine wesentliche Veränderung auf. Ihr dorsaler wie auch der nach hinten zu gelegene Rand sind frei (Fig. 13 Sbp,). Nur vorn und nach der Mitte des Bauches zu ist sie mit dem Thorax fest verbunden. Sie überdeckt ganz die Coxa 3, hat also eine ziemlich große Ausdehnung. Infolge ihrer Bauart ist sie sehr beweglich. Der mesothoracale Hohlraum steht mit dem metathoracalen - durch die in Fig. 13 angedeutete und mit einem Kreuz bezeichnete Rinne in Verbindung. Vom letzteren gelangt man unter dem freien Ende der Subcoxa 3 nach der Atemrinne. Der rote Pfeil in Fig. 13 deutet uns diesen Weg an. Mit einer Präpariernadel kann man leicht von der Atemrinne aus unter der Subcoxalplatte hinweg in den metathoracalen Hohlraum gelangen. Wir sehen also, daß auf diesem Wege dem 2. und 3. Stigma von der Atemrinne aus Atemluft zugeführt werden kann. Zum 1. Stigma wird die Luft in der Bauch- mitte zwischen den Beinen geleitet. Die Coxen und Trochanteren sind nach der Mitte zu stark behaart. Unter und zwischen diesen Haaren . wird ein Luftweg von der Atemrinne zum 1. Stigma geschaffen. Die Atemrinne wird bei der Imago in gleicher Weise gebildet wie bei der Larve. Am Abdomen finden sich direkte Verbindungen zwischen der Atemrinne und dem Raum unter den Flügeln, die man bei ober- flächlicher Betrachtung leicht übersehen kann. Es sind kleine Kanäle, die über die ganze Breitseite der Paratergite laufen und an der Grenze zweier aufeinanderfolgenden Segmente gelegen sind. ‚Jedes Segment ist in das vorhergehende so hineingeschoben, daß die hintere Kante des vorderen Segments die dahinter liegenden Teile überragt. Auf der erhöhten Kante sitzen nun Haare. Auf diese Weise entsteht eine abgedeckte Rinne, die mit Luft gefüllt ist. Durch diese Verbindungskanäle wird die Circulation der Atemluft an der Außenseite des Körpers erhöht. 218 Jurıan Hoppe, Atemöffnung. Die letzten Abdominalsegmente der Hemipteren erfahren bei der Imago eine sehr weitgehende Umgestaltung. Man bezeichnet sie ihrer Funktion entsprechend als Genitalsegmente. Ihre Morphologie bei Notonecta ist in den Arbeiten von VERHOEFF und Hrymons genau behandelt. Für uns kommen hier im besonderen das 7. und 8. Segment in Betracht, da sie bei der Bildung der Atemöffnung eine Rolle spielen. Über diese schreibt Hrymons: „Bezüglich der Tergite ist hervorzuheben, daß dorsalwärts ihre Seitenteile die Neigung zeigen, von dem mittleren Teile sich ab- zutrennen. Hierdurch bilden sich wieder Paratergite aus; die im 7. und 8. Segment zur Entstehung von flossenförmigen Anhängen Veranlassung geben.“ Das Tergit des 8. Abdominalsegments ist sowohl beim Männchen wie beim Weibchen in der Mitte gespalten (Taf. 2 Fig. 15a u. b). Von der Dorsalseite gesehen bietet sich bei beiden Geschlechtern insofern ein verschiedenes Bild, als das Tergit beim Weibchen in seiner ganzen Länge mit den Paratergiten fest ver- bunden ist (Fig. 15b), während beim Männchen die Paratergite von dem Tergit zum Teil getrennt sind. Diese beim Männchen so weit gehende Trennung ist insofern von Wichtigkeit, als bei ihm der (seschlechtsapparat während der Begattung dorsalwärts so hoch seklappt wird, dai er weit zwischen den Paratergiten hervorragt. Die Ventralseite bietet bei beiden Geschlechtern ein verschiedenes Bild (Fig. 12a u. b). Während das 7. abdominale Sternit beim Weibchen in eine Spitze ausläuft (Fig. 12a Ste,a), bildet beim Männchen das in ähnlicher Weise spitz auslaufende 8. Sternit den Abschluß der Bauchplatten (Fig. 12b Stea). Von besonderem Interesse sind die Paratergite des 8. Abdominalsegments. Dieselben sind schaufelförmig, sehr beweglich und tragen 3 Gruppen von Haaren (Fig. 12a u. b), eine Gruppe von kurzen steifen Borsten, ferner lange, schlanke, nach hinten gerichtete Haare, die den von der Seitenkante des 7. Segments ausstrahlenden gleichen, und schließlich eine Gruppe von Haaren am ventralen Rand, die die Atemöffnung nach hinten und nach der Seite begrenzen. Den nach vorn ge- legenen Rand der Atemöffnung bilden beim Weibchen Haare, die dem 7. Sternit aufsitzen, während beim Männchen die dem 8. Sternit aufsitzenden Haare diese Funktion übernehmen (Fig. 12a u. b A). An ihrer Basis findet sich das letzte stark vergrößerte Stigma. Das Öffnen und Schließen der Atemöffnung ist bei der Imago mehr der Willkür unterworfen als bei der Larve. Die Atemöffnung steht nun in direkter Verbindung mit der Atemrinne. Dies kann man Die Atmung von Notonecta glauca. 219 deutlich erkennen, wenn man das Abdomen des Tieres etwas über die Oberfläche hebt; dann klappen nämlich die Haare der Atemrinne von der Atemöffnung beginnend auf. Wir hatten auf den eigenartigen Bau der Dorsalseite des 8. Segments hingewiesen (Fig. 15a u. b) Das Tergit und die Paratergite bilden hier eine Öffnung, durch die von der Atemöffnung aus Luft unter die Flügel direkt aufgenommen werden kann. In den Figg. 15a u. b soll die rot punktierte Linie die Lage der Deckflügel andeuten. II. Normale Atmung. Obwohl die Aufnahme der Atemluft bei der Larve und Imago fast übereinstimmend erfolgt, so ergeben sich doch infolge des Vor- handenseins der Flügel bei letzterer und infolge der Verlagerung einzelner Stigmen verschiedene Modifikationen, die einer genauen Besprechung unterzogen werden müssen. Ebenso wie die Larve kommt die Imago zum Zwecke des Atmens infolge ihres geringen spezifischen Gewichtes ohne besonderen Kraftaufwand an die Ober- fläche des Wassers. Während der Aufnahme frischer Atemluft ist die Lage der Imago zur Oberfläche dieselbe wie bei der Larve. Das Tier bildet in der oben beschriebenen Art eine Atemöffnung. Durch diese kann die Atemluft zu allen Stigmen gelangen. Betrachtet man das Tier in der Atemstellung, so wird man kurzhin sagen können, daß es im allgemeinen bewegungslos daliegt. Nur hin und wieder führt es kurze Schwimmstöße aus, ohne dabei seine Lage zur Oberfläche zu ändern. Es taucht nach einiger Zeit unter und hält sich an Pflanzenstengeln oder an irgendeinem anderen Gegenstande fest. In dieser Stellung verharrt es fast be- weeungslos. Es wechselt mehrere Male seinen Ort. Nach etwa 30 bis 40 Minuten taucht es wieder auf. Es verharrt also viel länger unter Wasser als die Larve. Wir hatten gesagt, daß das Tier in der normalen Atemstellung im allgemeinen bewegungslos daliegt. Mitunter bewegt das Tier die Coxen der beiden vorderen Beinpaare auf und nieder (dabei werden die beiden Hinterextremitäten an die Oberfläche gelehnt) und be- schleunigt dadurch die Zufuhr frischer Luft zum 1. Stigma. Bisweilen zieht das Tier, das im Begriff war die gewöhnliche Atemstellung einzunehmen, das Abdomen unter Wasser und putzt das Ende desselben lebhaft vermittels des letzten Beinpaares. Dieser Vorgang ist oft mehrere Male hintereinander zu beobachten, 290 JuLIAn Hoppe, bevor das Tier die Atemstellung einnimmt. Dieses Putzen wird dann geschehen, wenn der Haarkranz der Atemöffnung infolge ge- wisser Störungen nicht aufklappt. Es ist naheliegend, daß in der Natur häufig Störungen der Luftwege eintreten werden. Hieraus läßt sich auch das oft sonder- bare Verhalten des Tieres bei sonst normalen Bedingungen erklären. Die kommenden Versuche werden uns im einzelnen hierüber ge- naueren Aufschluß geben. III. Atmung unter abnormen Verhältnissen. Versuch 5. Mit einem Holzstäbchen, das mit Alkohol und Äther getränkt wird, bestreicht man dem Tier die Atemrinne und macht sie so benetzbar. Die Atemrinne setzt man dadurch außer Funktion. Bei diesem Versuch ist darauf zu achten, daß die Haare der Atemöffnung unbeschädigt bleiben. Das Tier kommt zunächst an die Oberfläche und nimmt die normale Atemstellung ein. Nach kurzer Zeit entfernt es das Ab- domenende von der Oberfläche, und einige Momente danach er- scheint eine Luftblase an der Unterseite des Thorax. Vermittels entsprechender Bewegungen des 3. Beinpaares wird nun diese Luft- blase in ganz ähnlicher Weise wie bei der Larve gegen die Atem- rinne gepreßt. Die Wirkung dieses Vorganges ist die, daß die an den Thorax grenzenden Teile der Atemrinne zuerst hergestellt werden und nachher auch die anderen Teile an die Reihe kommen. Die in Unordnung geratenen Haare der Atemrinne werden durch streichende Bewegungen der Tarsen des 3. Beinpaares in ihre ur- sprüngliche Lage gebracht. Meinen Objekten gelang es oft erst nach mehreren Stunden die Atemrinne gebrauchsfähig wiederherzustellen. Woher kommt nun die Luftblase, die an der Unterseite des Thorax auftritt? Wenn sich ein wie oben behandeltes Tier in der gewöhnlichen Atemstellung befindet, dann hebt es, was es sonst nicht tut, das Abdomen etwas von den Flügeln ab. Dadurch ent- steht zwischen den Flügeln und dem Rücken ein Hohlraum, in den durch die Atemöffnung und den oben erwähnten Spalt im 8. Tergit Luft einströmt. Oft geht. dieser Luftaufnahme ein Streichen des Abdomenendes vermittels des letzten Beinpaares voraus. Vielleicht dient dies zum Lockern der Flügel. Hat das Tier in der be- © schriebenen Art die Luft aufgenommen, dann zieht es das Ab- domenende von der Oberfläche weg, oder es taucht tiefer unter. Die Atmung von Notonecta glauca. Baal Jetzt wird das Abdomen wieder an die Flügel angelegt und die auf- genommene Luft nach vorn gepreßt. Sie gelangt unter die Subcoxa 3 und tritt dann an der Unterseite des Metathorax auf, um von da aus gegen die beschädigte Atemrinne gepreßt zu werden. Das Tier bringt während des Versuches hin und wieder die Unterseite des Thorax an die Oberfläche, so daß die im Thorax ge- legenen Stigmen in direkte Verbindung mit der athmosphärischen Luft treten. Was ist der Zweck dieses Verhaltens? Das durch die Anstrengungen ermattete Tier ruht sich aus und atmet dabei durch die thoracalen Stigmen. Hat das Tier eine Zeitlang so da- gelesen, dann taucht es wieder unter, um seine Anstrengungen zum Wiederherstellen der Atemrinne fortzusetzen. Bisweilen geschieht die Aufnahme von Sauerstoff während einer derartigen Ruhepause vermittels des letzten Stigmas in gewöhn- licher Atemstellung. An dieser Stelle wird es vielleicht angebracht sein, auf das ähnliche Verhalten der Imago und Larve hinzuweisen, wenn man beiden die Atemrinne durch Bestreichen mit Äther und Alkohol außer Funktion setzt. Beide sind bestrebt, durch Pressen einer Luftblase die Atemrinne herzustellen. Nur die Art, wie diese Luft- blase aufgenommen wird, ist nicht die gleiche. Sie ist durch die verschiedenartigen anatomischen Verhältnisse bedingt. Versuch 6. Es wurden dem Tier die Haare der beiden Mittelreihen mittels einer feinen Schere fortgeschnitten. Nur die Haare der Atemöffnung blieben unbeschädigt, um sie in ihrer Funktion nicht zu stören. Das Tier kam an die Oberfläche und nahm die normale Atem- stellung ein. In den meisten Fällen wurde auch ein Teil der Haare der Atemrinne aufgeschlagen. In gleicher Weise wie beim vorigen Versuche wurde Luft unter die Flügel aufgenommen und gegen die Atemrinne gepreßt. Tauchte das Tier mit der aufgenommenen Luft unter und hielt es sich in der Weise an Pflanzenstengeln fest, dab das Abdomenende nach oben zeigte, so geschah es beim Anlegen des Abdomens an die Flügel, daß ein Teil der unter die Flügel auf- genommenen Luft in Form eines Bläschens am Abdomenende heraus- gepreßt wurde. Einige Stunden später ging die Aufnahme der Atemluft ganz normal vor sich. Schneidet man dem Tiere die Haare der Mittel- reihe in der beschriebenen Weise fort, so wird die Atemrinne in ihrer Funktion gestört, ohne jedoch dabei gebrauchsunfähig zu Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Anat. u. Physiol. 15 222 JuLıan Hoppe, werden. Während bisher die Haare der Mittellinie gemeinsam mit den Haarreihen der Seitenlinie an der Überdachung der Atemrinne in gleicher Weise Teil hatten, fällt diese Funktion jetzt den Haaren der Seitenlinie allein zu. Der Raum für die Atemluft an der Unter- seite des Abdomens ist verkleinert, so daß der Gasaustausch hier- durch etwas herabgesetzt wird Dies ist vielleicht der Grund, weshalb das Tier oft anfangs die Atemrinne aufklappt. Durch das Hindurchpressen der Luft suchen die Tiere die Atemrinne wieder in den alten Zustand zu bringen. Das Hindurchpressen der Luft geschieht so lange, bis sich das Tier an die neuen Umstände ge- wöhnt und sonstige kleine Störungen die sich beim Vorbereiten eines solchen Versuches nie vermeiden lassen, beseitigt hat. Tat- sächlich finden wir das Tier nach einigen Stunden normal atmend vor. Versuch 7. Es wurden dem Tiere zunächst die Flügelenden abgeschnitten und zwar etwa auf 1, der Länge der Deckflügel. Das Ende des Abdomens auf der Rückenseite wurde vermittels eines feinen, mit schwachem Alkohol getränkten Holzstäbchens be- strichen, so dab die vorhandenen Luftbläschen entfernt wurden und dieser Teil unter Wasser schwarz erschien. In gleicher Weise wurde die Atemrinne außer Funktion gesetzt. Dabei wurde die Atem- öffnung unbeschädigt gelassen. | Das Tier versuchte in normaler Weise Luft aufzunehmen. Es schwamm unregelmäßig umher und tauchte dann gewöhnlich mit dem Rücken nach oben aus dem Wasser, so dab ein Teil des Pronotums und auch ein Teil des Mesonotums herausragte. Waren Pflanzen im Wasser vorhanden, so benutzte das Tier diese, um kriechend aus dem Wasser emporzutauchen. Mehrere Male konnte ich deutlich beobachten, daß das Tier dann das Pronotum etwas vom Mesonotum abhob. Es war so die Möglichkeit vorhanden, daß atmosphärische Luft zum 1. Stigma gelangte In dieser Stellung verharrte das Tier oft ziemlich lange (in einem Falle z. B. 20 Minuten). Das Tier kam auch hin und wieder mit der Thoraxunterseite an die Oberfläche des Wassers. Mitunter nahm das Tier auch die ge- wöhnliche Atemstellung ein. Andauernd putzte das Tier die Atem- öffnung und den beschädigten Teil des Rückens wie auch die Atemrinne. Nach dem Verhalten des Tieres zu schließen, leidet esan Atem- not und versucht, um diese zu beseitigen, eine größere Zahl von Stigmen mit der atmosphärischen Luft in Verbindung zu bringen. Es macht unregelmäßige Schwimmbewegungen oder kriecht heraus. Die Atmung von Notonecta glauca. 225 Ziemlich zufällig ist es, ob es bei diesen Schwimmbewegungen mit dem Rücken des Thorax oder mit der Bauchseite an die Oberfläche kommt. Die veränderten Gleichgewichtsverhältnisse, der Mangel der Luft unter dem Abdomen werden dazu führen, daß das Tier häufiger mit der Riickenseite des Thorax als mit dem Abdomen aus dem Wasser herauskommt. Auch bei diesem Versuch treten Luftblasen an der Unterseite des Thorax auf, um gegen die Atemrinne gepreßt zu werden. Je- doch geschieht dies nicht so oft wie in den vorigen Versuchen. Bei den früheren Versuchen war es dem Tier möglich, durch die Atemöffnung und den Spalt an der Dorsalseite des 8. Abdominal- segments Luft unter die Flügel aufzunehmen. Das Tier bemühte sich bei diesem Versuch allem Anschein nach es zu tun, in- dem es die normale Atemstellung einnahm und mit den Tarsen des letzten Beinpaares das benetzte Ende des Rückens strich. Die Aufnahme der Luft unter die Flügel ist jedoch auf diesem Wege nicht möglich, da die Flügelenden fortgeschnitten sind. Dennoch kann das Tier direkt Luft unter die Flügel aufnehmen. In einigen Fällen konnte ich beobachten, daß das Tier, während es mit der Thoraxunterseite an der Oberfläche lag, das Abdomen von den Flügeln etwas abhob und Luft unter sie strömen ließ, danach dann untertauchte und die aufgenommene Luft gegen die Atemrinne preBte. Nun besteht noch eine andere Möglichkeit für die Herkunft der Luftblase. Es ist sehr wohl denkbar, daß größere Luftmengen aus den thoracalen Stigmen ausgepreßt werden können. Es ist dies insofern bemerkenswert, als dann die Frage nach der Her- kunft der an der Unterseite des Thorax auftretenden Luftblase noch nicht vollständig erledigt wäre. Einigen meiner Objekte gelang es, die Atemrinne herzustellen, andere gingen bei diesem Versuche zugrunde. Der letzte Versuch scheint eine Bedeutung zu haben für die Frage, ob wir es mit rein exspiratorischen und rein inspiratorischen Stigmen zu tun haben. Besonders folgende beiden bei Gelegenheit eines solchen Versuches gemachten Beobachtungen scheinen von Wertzu sein. In 2 Fällen löste sich, als das Tier unter Wasser getaucht war und das Abdomenende nach oben gerichtet hatte, vom Abdomenende eine Luftblase, wobei die Tarsen des letzten Beinpaares das Freiwerden der Luftblase unterstützten. In einem Falle geschah dies zweimal kurz hintereinander. Die Luftblase konnte nur aus dem letzten Stigma kommen, da das Abdomenende außen durch eine benetzte Zone 15* 224 JULIAN Hoppe, von der Luftschicht am Thorax abgeschlossen war. Die Beobachtung: lehrt uns, daß durch das letzte Stigma Luft ausgestoßen werden kann. Die folgende Beobachtung ist besonders in bezug auf die Reihen- folge der verschiedenen Stellungen des Tieres zur Oberfläche wichtig. Das Tier brachte zuerst die Thoraxunterseite an die Oberfläche, dann tauchte es unter und preßte eine an der Thoraxunterseite auf- tretende Luftblase gegen die Atemrinne Die Bedeutung dieser Tatsache kommt später zur Sprache. Versuch 8. Ich schnitt dem Tier zunächst das zweite Flügel- paar fast ganz fort, um den Raum unter den Deckflügeln besser be- netzen zu können. Mit einem Holzstäbchen, das mit schwachem Alkohol getränkt wurde, bestrich ich dem Tier die Rückendecke. Nur ein kleiner Bezirk um das 2. und 3. Stigma blieb unberührt. Ich bestrich ferner auch die Atemrinne mit schwachem Alkohol, ohne dabei die Atemöffnung zu beschädigen. Das Verhalten des Tieres war ein ähnliches wie im vorigen Versuche. Es brachte auch hier abwechselnd das Abdomenende, die Thoraxunterseite und das Pronotum an die Oberfläche, oder es kroch, wenn sich eine Gelegenheit dazu bot, aus dem Wasser heraus. Bei einem Tier, das noch nach 2 Tagen keines der be- schädigten Teile hergestellt hatte, habe ich folgende Beobachtung mit genauen Zeitangaben gemacht. Dauer des Vorganges Lage 3 Minuten a — Pronotum ragt aus dem Wasser LE 5 b= Tier unter Wasser AA | 2 ” 4.0 rE ow © DD © à © © © à © À or = à Die Atmung von Notonecta glauca. 225 Während dieser Beobachtung, die etwa 2°}, Stunden dauerte, brachte das Tier das Abdomenende nie dauernd an die Oberfläche. Ich konnte zwar in einigen Fällen (etwa 4mal) beobachten, daß das Tier infolge seiner Schwimmbewegungen in diese Lage kam. Ich ver- hinderte es jedoch, die normale Atemstellung einzunehmen, da ich feststellen wollte, wie sich die Tiere, auch ohne eines der im Abdomen gelegenen Stigmen zu gebrauchen, verhalten würde Durch die Stellung a an der Oberfläche wurde erreicht, daß atmosphärische Luft unter dem Pronotum zum 1. Stigma und wahrscheinlich auch durch die Luftschicht an der Unterseite des Thorax, ferner unter der Subcoxa 3 zum 2. und 3. Stigma gelangen konnte. Der Gas- austausch kann also nur durch das 1. Stigma, eventuell auch durch die Stigmen 2 und 3 vor sich gegangen sein. Dasselbe Tier fand ich nach einigen Stunden mit der ganzen Bauchseite an der Ober- fläche liegend vor, ein Zeichen, daß die obige Stellung nicht die Regel ist. Das Auftreten der Luftblase am Thorax, welches in den vorigen Versuchen so häufig zu beobachten war, fand hier nur ausnahms- weise statt. Nur ganz selten konnte ich das Auftreten einer größeren Luftblase zwischen Deckflügel und Subcoxa 3 wahrnehmen und diese konnte nur aus dem 2. oder 8. Stigma kommen. In allen beobachteten Fällen (etwa 5) trat die Luftblase nur auf der einen Seite auf. Da sie sich infolge des geringen Raumes unter den Flügeln nicht aus- breiten konnte, wurde sie allem Anschein nach wieder durch eines der genannten Stigmen eingezogen. Für die im letzten Satze aus- gesprochene Beobachtung kann ich mich jedoch nicht verbürgen. Unsere Auffassung über die Art des Gasaustausches macht das Aus- stoßen der Luft aus einem der erwähnten Stigmen wahrscheinlich, da letztere ja ebenso inspiratorisch wie exspiratorisch wirken sollen. Man kann daher mit gutem Grund behaupten, daß die in den vorigen Versuchen so häufig auftretende Luftblase wenigstens zum Teil aus ausgeatmeter Luft bestehen kann. Es wird dies insoweit der Fall sein, als das Tier es nötig hat, verbrauchte Luft auszu- stoßen. Es muß jedoch bestritten werden, daß dies immer der Fall ist. Bei diesem Versuch tritt es deutlich hervor, daß das reichliche Auftreten von Luftblasen an der Unterseite des Thorax davon ab- hängt, ob der Raum unter den Flügeln unversehrt ist oder nicht Das Auftreten dieser Luftblase ist also dadurch bedingt, daß größere Luftmengen unter die Flügel aufgenommen werden können. 226. Juzrax Hopper, Versuch 9. Ich hatte dem Tier das Ende des Raumes unter den Flügeln und die Atemrinne mit schwachem Alkohol bestrichen, ohne die Atemöffnung zu beschädigen. In mehreren Fällen beobachtete ich, daß unter dem Pronotum eine Luftblase hervorgepreßt wurde, die dann wieder unter dem Pronotum verschwand. (Einmal habe ich es auch bei Gelegenheit des vorigen Versuches beobachten können.) Das Auftreten der Luft- blase wurde durch das Anpressen des Pronotums an das Mesonotum hervorgerufen. Es ist also dem Tier die Möglichkeit gegeben, hier größere Luftmengen aufzunehmen. Versuch 10. Die folgende Beobachtung ist mehr zufällig: angestellt. In einem Falle hatte ich ein Tier zwischen Glasleisten fest- geklemmt und so ziemlich lange unter Wasser gehalten. Die Luft in der Atemrinne hatte ich mittels einer fein ausgezogenen Pipette fortgesaugt. Als ich das Tier wieder aus seiner Zwangslage befreite, lag es bewegungslos am Boden. Die Mattigkeit des Tieres mag zum Teil durch das Festklemmen hervorgerufen worden sein. Ich brachte es an die Oberfläche, so daß nur das Pronotum herausragte. Das Tier blieb 1‘, Stunden in dieser Stellung, wobei es sich all- mählich zu bewegen begann. Als ich es wieder !/, Stunde später besah, lag es regungslos am Boden. Es war wohl infolge seiner Bewegungen unter Wasser geraten und hatte nicht mehr die Kraft gehabt, wieder aufzutauchen. Nun brachte ich es noch einmal in. die obige Stellung. Anfangs lag es regungslos da. Nach 1 Stunde konnte ich die ersten schwachen Bewegungen wahrnehmen, die nach der 2. Stunde etwas lebhafter wurden. Nach 3 Stunden waren die Schwimmstöße noch etwas lebendiger. Sie waren jedoch auch hier ziem- lich kraftlos. In demselben Zustande befand sich das Tier noch nach 5'/, Stunden. Als ich es dann mehrere Stunden darauf in Augen- schein nahm, lag es in der erwähnten Stellung tot da. Der Tod dürfte infolge der Behandlung eingetreten sein. Bei einem anderen Objekt beobachtete ich unter ähnlichen Um- ständen, daß es 3 Stunden an der Oberfläche lag, so daß das Pronotum herausragte. Es hielt sich an Pflanzen mit den beiden vorderen Extremitätenpaaren fest und führte mit den Hinterbeinen gleich- zeitig oder abwechselnd schwache Schwimmstöße aus. Ähnliche Beobachtungen habe ich wiederholt angestellt. Die Luft konnte in den beiden beschriebenen Fällen nur unter dem Pronotum aufgenommen werden. Die Tatsache, daß das erste Die Atmung von Notonecta glauca. 227 Tier zuerst bewegungslos dalag und sich dann allmählich zu regen begann, läßt sich nur durch eine Zufuhr frischer Luft unter dem Pronotum zum 1. Stigma erklären. Für ausgeschlossen halte ich es nicht, daß hierbei auch das 2. und 3. Stigma in Betracht kommt. Die im Abdomen gelegenen Stigmen waren in ihrer Funktion ausgeschaltet, da sich keine Luft in der Atemrinne befand und andererseits das Abdomen während der ganzen Beobachtung nie aus dem Wasser kam. Wir können daher mit einiger Sicherheit schließen, daß in diesem Falle die im Thorax gelegenen Stigmen, zum mindesten das 1. Stigma, inspiratorisch wie exspiratorisch wirkt. Aufklappen der Atemrinne. Wir können bei der Imago hin und wieder beobachten, daß sie die Atemrinne aufklappt. Die Bedingungen, unter denen dies geschieht, sind dieselben wie bei der Larve (vgl. p. 214). Hier will ich noch folgenden interessanten Fall anführen. Bläst man dem Tier, wenn es sich in der gewöhnlichen Atemstellung befindet, vermittels einer feinen Röhre Zigarrenrauch durch die Atemöffnung in die Atemrinne, dann nimmt das Tier Luft unter die Flügel auf, taucht dann unter und säubert die Atemrinne, indem es eine Luftblase hindurchpreßt und diese unter Wasser zur Atem- öffnung hinaus fahren läßt. Es kommt dann meistens an die Ober- fläche und öffnet seine Atemrinne. In vielen Fällen tut sie letzteres sofort, ohne erst Luft durch die Atemrinne zu pressen. Der Rauch wird eine unangenehme Reizwirkung haben. Der Versuch zeigt auf experimentellem Wege, daß die Atemöffnung in direkter Verbindung mit der Atemrinne steht. | Versuch mit Kohlensäure. Ich benutzte hierzu ein Aquarium, das etwa bis zu °/, seines Inhaltes mit Wasser gefüllt war. Oben wurde es fast ganz mit einem Glasdeckel abgeschlossen. Die Versuchsobjekte wurden nun in das Aquarium gebracht und Kohlensäure wurde hineingeleitet. Da die Kohlensäure schwerer ist als atmosphärische Luft, lagerte sie sich über die Oberfläche des Wassers und wurde allmählich immer dichter. Das Tier atmete, als sich noch nicht viel Kohlensäure über dem Wasser befand, in ge- wöhnlicher Atemstellung. Als die Luftschicht immer mehr mit Kohlensäure geschwängert wurde, hob das Tier das Abdomen von den Flügeln ab, nahm Luft unter diese auf und preßte sie durch die Atemrinne. Dies geschah des öfteren und meistens unter leb- haftem Putzen des Rückenendes. Dann wieder kam das Tier an 228 JULIAN Hoppe, die Oberfläche, um in der gewöhnlichen Atemstellung Luft aufzu- nehmen. Es näherte sich schließlich, da eine Atemnot eintrat, in dem Maße der Oberfläche, daß die Atemrinne aufklappte Dann wieder tauchte das Insect unter und führte unregelmäßige Schwimm- bewegungen aus. Der Versuch endete meistens damit, daß das Tier mit offener Atemrinne an der Oberfläche betäubt liegen blieb. IV. Die Anschauungen Brocner’s verglichen mit unseren Resultaten. Um meine Anschauungen mit denen von BROCHER zu vergleichen, will ich einen seiner Versuche wörtlich zitieren. An einem wie in Versuch 5 behandelten Objekt stellt er folgende Beobachtungen an: „La Notonecte, appuyée sous et contre la surface, respire tran- quillement. Puis, au bout d’un moment, elle commence à s’agiter, a l’air angoissée, bouge ses pattes, et l’on voit une forte boursouflure aérienne bomber sur le thorax, et quelquefois aussi le long du bord des élytres. L’animal se frotte furieusement le ventre avec ses pattes postérieurs, cherchant, mais en vain, à étendre cet air sur son abdomen. Parfois seulement, il réussit à en détacher une bulle, qui s'échappe. Souveut la Notonecte se retourne subitement et fait émerger sa face dorsale, établissant ainsi, grace à l’espace qui sépare son dos de son prothorax, un contact avec l'atmosphère qui permet a lair expiré qui l'enveloppe de s'échapper. D'autre fois, elle se determine, dans le même but, à appliquer la face ventrale de son thorax contre la surface, en fléchissant les pattes qui l’en tiennent éloignée. Je dois dire que ces résultats me parurent extraordinaires: ‚En effet, l'animal continuait à respirer par son ouverture habituelle, alors que l’air ne pouvait plus arriver à aucun des stigmates, pri- mitivement, grace à elle, en relation avec l'atmosphère, et, de plus, l’animal continuait à expirer de lair,’ sans qu'on püt se rendre compte par où il l’inspirait, puisque ses stigmates avaient été rendus inutilisables.‘ C’est alors que surgit dans mon esprit l’analogie probable qui devait exister entre le système respiratoire de la Nèpe et celui de la Notonecte. La Nèpe aussi, pensais je, a de grands stigmates thoraciques, qui ne servent qu'à l'expiration, et six stigmates qui lui son inutiles, à tel point même qu'ils sont imperfores.“ Der Autor glaubt dann, das letzte Stigma bei Notonecta ge- Die Atmung von Notonecta glauca. 229 funden zu haben. Er fährt weiter fort: „La découverte de ces nouveaux stigmates me permit alors de donner, à la dernière expérience, l'interprétation suivante: ‚La Notonecte n’inspire que par les stig- mates, inconnus jusqu'alors, de son septième segment. [Gemeint ist das letzte Stigma. d. Verf] Elle peut, sans que cela paraisse aucunement gêner son inspiration, être privée de l’usage de ses six autres paires de stigmates abdominaux‘. Cependant, j’observai que les Notonectes, qui avaient subi les opérations précédemment indi- quées, recommencaient néanmoins, au bout de quelque temps, à re- Spirer, sans que l’expiration eût l’air de leur causer beaucoup d'efforts. La seule chose qu'on remarquait était une accumulation d'air, per- manente et anormale, sur leur thorax (ventral); celui-ci était pres- que aussi argenté que c’est le cas pour la partie inférieure d’un Hydrophile. Supposant que l’air expiré, ne pouvent plus passer que par son chemin habituel, sous le toit de poits de l’abdomen, s’échappait, peut-être, en passant sous les élytres, pour de là, par la face dorsale, gaoner l'ouverture respiratoire, je fis une nouvelle expérience.“ Es folgt dann ein Versuch, der in seiner Anordnung mit unserem Versuch 7 übereinstimmt. In der Frage nach der Herkunft der am Thorax auftretenden Luftblase weichen Brocuer’s Anschauungen wesentlich von den meinigen ab. Die Tatsache, daß das Tier die Atemstellung ein- nimmt, daß darauf eine Luftblase an der Unterseite des Thorax erscheint, interpretiert BROCHER dahin, daß das letzte Stigma dem Einatmen diene, während die 3 ersten Stigmen in diesem Falle das Ausstoßen der verbrauchten Luft besorgen. BROoCHER hat die Tat- sache übersehen, daß jedesmal dem Auftreten der Luftblase an der Unterseite des Thorax eine Aufnahme von Luft unter die Flügel in der normalen Atemstellung vorhergeht. Die Luftblase stammt nach meiner Anschauung aus dem Raum unter den Flügeln, in den sie durch die Atemöffnung aufgenommen wird. Zur Begründung meiner Auffassung verweise ich auf die oben (S. 220) mitgeteilten Beobachtungen. Besonders beweisend scheinen mir die Versuche, bei denen die Aufnahme der Luft unter die Flügel verhindert oder erschwert ist. Im Versuch 7 hatten wir dem Tier die Möglichkeit genommen, Luft durch die Atemöffnung unter die Flügel aufzu- nehmen. Die Folge davon war ein weniger häufiges Auftreten der Luftblase als in den Versuchen 5 und 6. Im Versuch 8, bei dem fast der ganze Raum unter den Flügeln benetzt war, trat fast gar 230 JULIAN HOPPE, keine Luftblase auf. In einigen wenigen Fällen beobachtete ich ein einseitiges Auftreten einer Luftblase. Unzweifelhaft stammte sie in diesem Versuche aus dem 2. oder 3. Stigma, aber der Unterschied gegenüber dem Verhalten bei völligem Unversehrtsein des Raumes unter den Flügeln war überaus auffällig. Ich erinnere weiter an ein ähnliches Verhalten der Larve (vgl. Versuche 1—4), die gleich- falls, wenn auch in anderer Weise wie die Imago, die zum Wieder- herstellen der Atemrinne dienende Luft an die Außenseite des Körpers aufnimmt. BROCHER kommt auf Grund seiner Untersuchungen zu dem Resultat. daß man zwischen rein exspiratorischen und rein inspira- torischen Stigmen ‘unterscheiden müsse. Nach seiner Ansicht gibt es „une seule paire de stigmates inspirateurs, celle du septieme segment abdominal. |Gemeint ist das letzte Stigma. d. Verf] Tous les autres stigmates servent & expirer l’air, qui envelloppant le corps d’une couche aérienne ...“ Nur unter besonderen Umständen sollen die abdominalen Stigmen 4—9 dem Einatmen dienen. Ich halte die Frage, ob normalerweise gewisse Stigmen rein exspiratorisch, andere rein inspiratorisch wirken, für außerordentlich schwer zu entscheiden. Es bedarf jedenfalls zur Klärung dieser Frage noch weiterer Unter- suchungen. Meine Beobachtungen sprechen mit großer Wahrschein- lichkeit dafür, daß sämtliche Stigmen sowohl bei der Larve wie bei der Imago unter normalen Verhältnissen ebenso inspiratorisch wie exspiratorisch wirken. Und das scheint auch mit Notwendigkeit aus dem Mechanismus der Atmung zu folgen. In bezug auf den Ein- und Ausatmungsakt vertritt BROCHER die Ansicht von PLATEAU, die ich auch für richtig halte. PLATEAU stellt bei einer großen Zahl von Insecten, so z. B. bei Nepa, Atem- bewegungen am Abdomen fest, über die er sich folgendermaßen aus- läßt. „.. . l'expiration est seule active...“ Sie geschieht durch die Kontraktion der Muskel, die von den Tergiten nach den Para- sterniten verlaufen. „L’inspiration est passive et a lieu sous l’influence de l’élasticité des téguments et des parois trachéennes.“ „On constate que l'inspiration est ordinairement plus lente que l'expiration.“ Ein praktisches Beispiel mag dies näher erläutern. Wenn wir einen mehrfach durchlöcherten Gummiball zusammendrücken und dann ins Wasser legen, so wird er durch alle Öffnungen Wasser einsaugen. Der Vorgang des Einatmens ist zum mindesten am Abdomen ein ähnlicher. Es ist schon aus diesem Grunde nicht einzusehen, dab von den vielen, z.B. in der Atemrinne gelegenen Stigmen nur 2 der Die Atmung von Notonecta glauca. 231 Einatmung dienen sollen, da doch alle mit der atmosphärischen Luft in Verbindung stehen. BROCHER beobachtet bei einem seiner Versuche, bei dem er das letzte Stigma verschließt, daß ein Tier die Atemrinne derart auf- geschlagen hat, daß das 8. und 9. Stigma der einen Seite sichtbar sind. Daraus zieht er den Schluß, daß das Tier vermittels dieser beiden Stigmen allein einatmet. Unsere anatomischen Betrachtungen wie auch das Beispiel des Gummiballes läßt diese Ansicht als un- zutreffend erscheinen. Weiter beobachtete BrocHher bei Tieren, die wie in den Ver- suchen 5 und 6 behandelt waren, ganz richtig, daß die Tiere ins Wasser getan, zuerst die Atemstellung einnahmen [d. h. nach seiner Ansicht ruhig vermittels des letzten Stigmas einatmeten], dann unter- tauchten und eine Luftblase am Thorax hervorpreßten [d. h. nach seiner Auffassung, sich der von den 3 ersten Stigmen ausgeatmeten Luft entledigen wollten]. Zunächst muß darauf hingewiesen werden, daß beide Tatsachen momentan aufeinander folgen. Wenn sich nun BrocHer zu PLATEAU’S Ansicht bekennt, so müßte dem Akt des Einatmens doch immer erst ein Akt des Ausatmens voraufgehen; denn danach muß das Tier zuerst ausgeatmet haben, um einatmen zu können. Es müssen sich also sehr schnell folgen: „Ausatmen — Einatmen“ und nicht „Einatmen — Ausatmen“. Wenn wir also unsere obige Beobachtung nach der Anschauung von BROCHER erklären wollen, so verwickeln wir uns in Widersprüche. Sehr gut läßt sich die Beobachtung nach unserer Anschauung erklären. Das Tier hatte die Atemstellung eingenommen, um Luft unter die Flügel aufzunehmen, war dann untergetaucht und hatte die so aufgenommene Luft gegen die Atemrinne gepreßt. Es sei hier noch einiges angeführt, was gegen die Anschauung von BROCHER spricht. Die Tatsache, daß das Tier (z. B. in Ver- such 7) die Thoraxunterseite an die Oberfläche bringt, hatten wir zunächst dahin ausgelegt, daß das Tier in dieser Stellung mit den im Thorax gelegenen Stigmen atmen kann. BROCHER glaubt, dab das Tier dies deshalb tut, um sich der Luft zu entledigen, die von den 3 ersten Stigmen ausgeatmet ist. Nun hatten wir bei Ge- legenheit des Versuches 7 auf die Reihenfolge folgender Tatsachen hingewiesen: Das Tier bringt zuerst die Thoraxunterseite an die Oberfläche, taucht dann unter und preßt eine Luftblase gegen die Atemrinne Nach BrocHer’s Anschauung über die Art des Gasaus- tausches müßte diese Beobachtung dahin interpretiert werden, daß 232 Jurıan Hoppe, dem Akt des Ausatmens (Thoraxunterseite oben) das Auftreten einer Luftblase, d.h. momentan darauf nochmals ein Ausatmungsakt folgt. Zu Brocazr’s Anschauung würde nur eine umgekehrte Reihenfolge der Tatsachen passen. Nach meiner Auffassung ist die Beobachtung einfach zu erklären. Das Tier brachte die Thoraxunterseite an die Oberfläche, einerseits um zu atmen, andrerseits um Luft in den Raum unter den Flügeln aufzunehmen. Es war dann untergetaucht und hatte die Luft gegen die Atemrinne gepreft. Meine Beobachtungen ergeben — wenigstens bei der Atmung unter abnormen Verhältnissen — einige direkte Beweise dafür, daß gewisse Stigmen, die nach BROCHER rein inspiratorisch oder rein exspiratorisch wirken, sowohi das Einatmen wie das Ausstoßen der verbrauchten Luft besorgen können. In Versuch 7 konnte ich in 2 Fällen beobachten, daß eine Luftblase aus dem letzten Stigma ausgestoßen wurde und sich vom Körper des Tieres loslöste. (Nach BrocHErR wirkt dieses Stigma rein inspiratorisch.) Weiterhin konnte ich des öfteren beobachten, daß ermattete Tiere, die derart mit ihrer Dorsalseite aus dem Wasser tauchten, daß das Pro- und Mesonotum über die Oberfläche zu liegen kam, durch Abheben des Pronotums eine Luftzufuhr zum 1. Stigma ermöglichten. Daß das Stigma in diesem Falle inspiratorisch wirken mußte, geht daraus hervor, dab sich ermattete Tiere erholten, andere in dieser Stellung am Leben blieben. (Nach Brocxer sollen die 3 ersten Stigmen rein exspira- torisch wirken.) | Die Beobachtungen Brocuer’s, die sehr exakt ausgeführt sind, lassen sämtlich eine Erklärung nach meiner Auffassung zu. Ich habe nicht alle anfechtbaren Punkte besprochen, da mich dies zu weit führen würde Nur auf die wichtigsten Momente bin ich in meiner Besprechung eingegangen. Atmung unter Luftabschluß. Die Notonecta nimmt an der Oberfläche des Wassers Atemluft auf, taucht dann unter und hält sich längere Zeit unter Wasser. Ihr Atembedürfnis scheint ein sehr großes zu sein. Die Aufnahme der Atemluft an der Oberfläche spricht mit aller Wahrscheinlichkeit dafür, daß die Tiere bei Luftabschluß unter Wasser nicht existieren können. Über diese Frage bestehen schon ältere Versuche. Hausmann beschreibt in seiner Abhandlung zuerst derartige Untersuchungen. Er brachte Notonecten unter Luftabschluß und - fand, daß schon nach 5 Minuten die Bewegungen der Tiere Die Atmung von Notonecta glauca. 233 schwanden. Als er dann die Tiere wieder aus dem Wasser nahm, erholten sie sich nach etwa 3 Stunden. PLATEAU, der in seiner Abhandlung: „Les Myriopodes marins et la résistance des Arthropodes à respiration aérienne à la sub- mersion. 1890“ vergleichende Untersuchungen über die Lebensdauer der Wasserinsecten und Landinsecten anstellt, findet, daß letztere unter diesen Bedingungen länger leben als erstere. Er begründet es folgendermaßen: „Les Insectes nageurs, qui comme les Coléopteres dytisciens emportent avec eux une couche d’air, resistent moins long- temps à submersion que les Insectes exclusivement terrestres. La cause de cette inferiorite semble résider dans l’activité plus grande des Insectes aquatiques au sein de l’eau, activit& qui determine une consommation plus rapide de la provision d’oxygene.“ Er berichtet, daß Landinsecten bis zu 15 Tagen unter Luftabschluß am Leben blieben. Sehr eingehende Untersuchungen über die Atmung bei Luftabschluß stellt Docs bei Nepa cinerea (p. 48--54) an. Er findet, daß die Larven nicht so lange unter Wasser aushalten wie die Imagines, und erklärt diese Tatsache damit, daß letztere größere Luftmengen mit sich führen als erstere. Weiter stellt er fest, daß die Tiere in gut durchlüftetem Wasser länger leben als in gewöhnlichem Wasser. Er gibt folgende Erklärung für die Atmung unter Wasser: „Es findet ein Gasaus- tausch zwischen Wasser und Luftschicht am Insekt statt. Die aus- geatmete Kohlensäure tritt aus der Luftschicht in das Wasser hin- über, dieses wiederum gibt Sauerstoff an die Luftschicht ab, der dann zum Atmen verwendet wird.“ Interessant ist die Atmung von Corixa unter Wasser, die HAGEMANN (p. 19— 20) beschreibt. Das Tier fächelt sich unter normalen Verhältnissen durch Bewegungen des letzteren Beinpaares frisches Wasser zu. Bei Notonecta sind ähnliche Bewegungen nicht fest- zustellen. Wie verhält sich nun Notonecta bei Luftabschluß? Zu meinen Versuchen benutze ich einen weiten, niedrigen Zylinder, der oben mit engmaschiger Gaze verschlossen war. Dieses Gefäß brachte ich in ein Wasserbecken, so daß es ganz im Wasser stand Wurden nun die Tiere in den Zylinder gebracht, so war ihnen die Möglich- keit genommen, an die Oberfläche zu gelangen. Bei einigen Ver- suchen wurde das Wasser dauernd gut durchlüftet. Es wurde dabei darauf geachtet, daß die im Zylinder befindlichen Tiere mit den Luftblasen des Luftstromes nicht in Berührung kamen. Flügeln benetzt 234 Juan Hoppe, L Ke 2 = . . No. en Objekt Seals Die Tiere leben (in Stunden) und Behandlung | “8 = | 1 4 9 | ue rad | [Seal | 1.| Leitungswasser | Larve I 18 |1|@ 1 3 | 2. 3 Larve II 18 100 | | | 3. . | s 20 110 || 4, 5 Larve III 20 I11I 0 | | ws ie Larve IV 171,1218@e @ | 6.| Leitungswasser 2 20 111868 © | | 3 Tage alt AN En | 7.| Leitungswasser Larve V 20 13] @ 8 ® | 1 Tag alt ae is) | 8.| Leitungswasser à 18 |218 6 @ | | | 4 Tage alt | | | | 9.| durchliiftetes i 17 121868 68 | | | Wasser | Dr 10. | Leitungswasser Imago 13 [11868 8 606 | 11.| durchlüftetes N 11 |1|@ 808898606 | Wasser | | 12. à hs 7 |3llebte 4 Tage, dann Versuch ab- gebrochen 13: HH 5 6 |3Jlebte 16 Tage. Unter den Flügeln befand sich Luft 14.| Leitungswasser a 4—6|1 lebte 1 Woche | | 1 Woche alt (aad 15.| durchlüftetes |Deckfliigel mit Lack} 6 [2168 @ @ 66e | Wasser bestrichen | lea | 16. 5 ee 6 11/898 2 86066666 de a = 6 1218668 8 888988 | 18. ss Kin Deckilügel ab-| 6 |1|@ 0 © 888009006 geschnitten (Tia Ber | 19) 7 a 41, |1}lebte 4 Tage | | 20. =f 1. Flügelpaar ab- | 4 |1|lebte 4 Tage geschnitten ee | 21. a 2. Flügelpaar ab- |4—5]2] Ein Tier lebte 2 Tage, das geschnitten andere 6 Tage 22. 4 is 4 |2] Ein Tier lebte 3 Tage, das andere 6 Tage 23. 5 “ 4 12] Ein Tier lebte 24 Stunden, das andere 27 Stunden 24. # ; 5 |2 [Ein Tier nach 3Tagen bewegungs- los, nach 1 weiteren Tage heraus- genommen, erholte es sich. Das as lebte 1 Tag 25. a Beide Flügelpaare | 6 |1 |e eee oe hae abgeschnitten 26, Raum unter den Joo e cee Bet Ich stellte zuerst derartige Versuche mit Larven an (vgl. Ver- suche 1 bis 9). Ich konnte dabei feststellen, daß die in der Atem- rinne und an der Thoraxunterseite befindliche Luft allmählich schwand. Altere Larven lebten unter ungefähr gleichen Verhältnissen Die Atmung von Notonecta glauca. 235 länger als jüngere Larven. Immer aber gingen die Larven in ver- hältnismäßig kurzer Zeit zugrunde (bis zu 2 Stunden). Zu ähnlichen Resultaten führten Versuche mit Imagines. Wurde eine Imago in den Versuchszylinder gebracht, so versuchte sie zu- nächst aufzutauchen. Da ihr dies nicht gelang, schwamm sie un- ruhig hin und her. Sie tauchte dann so weit auf, als sie es konnte, und putzte ihre Atemöffnung. Dieses Spiel wiederholte sich mehrere Male, bis das Tier sich oben an der das Gefäß abschließenden Gaze festhielt und in dieser Stellung ruhig verblieb. Unter den genannten Umständen wird sich eine steigende Atem- not einstellen. Ich will 3 Stadien der Atemnot unterscheiden. Als 1. bezeichne ich dasjenige, in welchem das Tier noch eine Luft- schicht an der Bauchseite hat. Dieses Stadium dauert in etwas abgestandenem Leitungswasser von 12° C etwa 70 Minuten, in durch- lüftetem Wasser von derselben Temperatur etwa 2—3 Stunden. In diesem Stadium ist das spezifische Gewicht des Tieres geringer als das Wasser. Befreit man es aus seiner Zwangslage, so gelangt es infolge des Auftriebes an die Oberfläche und klappt, da die Atem- not eine gewisse Stärke erreicht hat, die Atemrinne auf. Ein ähnliches Verhalten konnten wir oben (S. 227) feststellen. Als 2. Stadium der Atemnot will ich dasjenige bezeichnen, in welchem die Luft an der Bauchseite geschwunden ist. Das spezifische Gewicht des Tieres ist in diesem Falle größer als das des Wassers. Nur mit einiger Mühe vermag das Tier sich schwimmend aufwärts zu bewegen. Befreien wir es aus dem Zylinder, so hat es oft dann noch die Kraft, an Pflanzenstengeln aus dem Wasser zu kriechen oder mit einiger Kraftanstrengung schwimmend die Oberfläche zu erreichen. Was die Dauer dieses Stadiums betrifft, so deckt sie sich fast genau mit der in der Tabelle angegebenen Lebensdauer. Das 3. Stadium ist dasjenige, in welchem das Tier zu keinen Eigenbewegungen mehr fähig am Boden liegt und dort verendet. Des öfteren nahm ich Tiere, die sich in diesem Stadium befanden, aus dem Wasser und legte sie auf Fließpapier. Sie erholten sich dann meistens nach mehreren Stunden. Bemerkenswert ist es, daß bei diesen Versuchen die in der Atemrinne befindliche Luft sehr bald schwand, während die Luft- schicht unter den Flügeln auch dann noch vorhanden war, wenn die Tiere regungslos am Boden lagen. Das allmähliche Schwinden der Luft in der Atemrinne ist dahin zu erklären, daß ein Gasaus- tausch zwischen Luftschicht am Insect und dem Wasser stattfindet. 230 Jurıan Horrez, Der vom Tier aufgenommene Sauerstoff wird im Körper verbraucht. Die ausgeatmete Kohlensäure ist nun sehr leicht in Wasser löslich, viel leichter als z. B. Sauerstoff. Es ist daher erklärlich, daß die Luftschicht an der Unterseite des Körpers, die sich immer mehr mit ausgeatmeter Kohlensäure schwängert, allmählich schwindet. Die Tatsache, daß die Luftschicht in der Atemrinne sich in durchlüftetem, also sauerstoffreichem Wasser länger hält als in gewöhnlichem Wasser, deutet darauf hin, daß Sauerstoff aus dem Wasser durch Diffusion in die Luftschicht tibertritt. Weshalb bleibt nun die Luft- schicht unter den Flügeln länger bestehen? Zunächst läßt sich nur der Grund anführen, daß diese Luftschicht hermetisch gegen das umgebende Wasser abgeschlossen ist. Ganz andere Resultate erhielt ich bei niederen Temperaturen unter 6° C. Unter diesen Verhältnissen blieb das Tier viel länger am Leben, tage-, ja wochenlang. Auch bei diesen Versuchen schwand die Luftschicht an der Unterseite des Körpers schon innerhalb einiger Stunden, während die Luftschicht unter den Flügeln während der ganzen Dauer des Versuches bestehen blieb. Die längere Lebens- dauer bei niedrigen Temperaturen läßt sich einerseits durch einen herabgesetzten Stoffumsatz im Körper erklären, andrerseits dadurch, daß im kälteren Wasser mehr Sauerstoff gelöst ist als im wärmeren. Die Versuche 12 und 13 in durchlüftetem Wasser und der Ver- such 14 in undurchlüftetem Wasser ergeben keinen wesentlichen Unterschied. Die Tiere können, wie gesagt, bei niedrigen Tempe- raturen unter 6° C wochenlang unter Luftabschluß leben. Wir wollen jetzt der Frage nachgehen, ob eine Sauerstoffzufuhr aus dem umgebenden Wasser stattfindet, d. h. ob das Tier unter den genannten Verhältnissen atmet. Es entsteht ferner die Frage: Wo findet ein Gaswechsel statt? Die Tatsache, daß eine Luftschicht unter den Flügeln bestehen blieb, brachte mich auf die Vermutung, dab diese eine Rolle für den Gasaustausch spielen könnte Ich stellte daher folgenden Versuch an. Es wurden dem Tiere die Deck- flügel leicht mit schwachem Alkohol bepinselt und dann mit Eisen- lack bestrichen. Ich überließ die so behandelten Tiere erst einige Tage sich selbst, um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich zu er- holen. Sie zeigten ein normales Verhalten, ohne durch die Lack- schicht auf den Flügeln gestört zu sein. Wurden die Tiere bei Luftabschluß in Wasser von niedrigen Temperaturen (unter 6° C) gebracht, so gingen sie innerhalb einiger Stunden ein. Meine wieder- holt angestellten Versuche ergaben immer dasselbe Resultat (vgl. Die Atmung von Notonecta glauca. Da Versuche 15—17). Danach halte ich es für erwiesen, daß über- haupt ein Gaswechsel stattfindet, daß dieser ferner durch die Flügel vor sich gehen muß. Obwohl die Flügel wegen ihrer Dicke dazu zunächst ungeeignet erscheinen mögen, so ist die Tatsache eines durch sie hindurchgehenden Gaswechsels auf Grund der eben an- geführten Versuche nicht von der Hand zu weisen. Das Sauerstoff- bedürfnis des Tieres scheint jedoch bei niedrigen Temperaturen ein derart geringes zu sein, daß die durch die Flügel hindurchdiffun- dierende Menge dem Bedürfnis des Tieres genügt. Demnach wäre es auch erklärlich, daß sich die Tiere in undurchlüftetem Wasser bei niedrigen Temperaturen ebensogut am Leben erhalten wie in durchlüftetem Wasser. Nehmen wir als bewiesen an, daß die Sauer- stoffaufnahme durch die Flügel hindurch stattfindet, so scheinen noch zwei Möglichkeiten vorzuliegen. 1. Es findet ein Gaswechsel zwischen der Luftschicht unter den Flügeln und dem umgebenden Wasser statt. Der Sauerstoff würde so den Stigmen 2 und 3 zugeführt werden; oder 2. der Gaswechsel erfolgt zwischen dem Blut, das die Flügel reichlich durchströmt, und dem umgebenden Medium. Schließ- lich wäre es auch denkbar, daß beiderlei Faktoren zusammenwirken. Wegen Materialmangels konnte ich leider nur wenige Versuche an- stellen, die daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit machen. Zur Klarstellung der beiden Fragen schnitt ich den Tieren zunächst einen und dann beide Deckfliigel ab (vgl. Versuche 18—20). Ich überließ die Tiere zunächst einige Tage sich selbst, bevor ich sie zu einem Versuch verwandte. Die so behandelten Tiere lebten im günstigsten Falle (Versuch 20) nur 4 Tage. Bei Versuch 20 war, als das Tier bewegungslos am Boden lag, zwar noch eine Luftschicht unter dem 2. Flügelpaar vorhanden, jedoch beschränkte sie sich auf einige Stellen. Das 2. Flügelpaar hatte die Luftschicht gegen das umgebende Wasser nicht vollständig abzuschließen vermocht. Ähn- liche Versuche stellte ich mit Tieren an, denen das 2. Flügelpaar abgeschnitten wurde. Auch diese blieben nur einige Tage am Leben, jedoch zuweilen länger als die vorher behandelten Objekte (vgl. Versuche 21—24). Auch hier erglänzten am Schlusse des Versuches nicht die ganzen Flügel silbern. Stellenweise war Wasser unter sie getreten. Die Deckflügel allein vermögen also auch keinen dichten Abschluß gegen das Wasser zu bilden. Besonders am hinteren Ende des Körpers ist der Luftraum offen. Schnitt man dem Tier beide Flügel ab, so lebte es nur wenige Stunden unter Wasser. Ich verfuhr bei dem Versuche 25 in der Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Anat. u. Physiol. 16 238 JuLIAN HoPPpE, Weise, daß ich zuerst das 1. Flügelpaar abschnitt und dann nach einigen Tagen auch das 2. Als ich das Tier unter Luft- abschluß brachte, war die Atemrinne unversehrt. Auch dieser Versuch zeigt uns, wie wichtig es für das Tier ist, sich die Luft- schicht unter den Flügeln zu erhalten. Hierzu müssen beide Flügel- paare unversehrt sein. Ein Gasaustausch zwischen dem die Flügel durchströmenden Blut und dem Wasser scheint kaum ins Gewicht zu fallen; denn Objekte, denen ich dadurch die Luftschicht fortnahm, daß ich Wasser unter die Flügel treten ließ, lebten nur wenige Stunden unter Luftabschluß (vgl. Versuch 26) Es wäre wünschenswert, die Versuche in letzterer Hinsicht fortzusetzen. Das Resultat der letzten Versuche läßt sich dahin zusammen- fassen, daß ein Gasaustausch zwischen der Luftschicht unter den Flügeln und dem umgebenden Wasser stattfindet, daß also für die Atmung unter Wasser die Stigmen 2 und 3 herangezogen werden. Bei Gelegenheit der normalen Atmung hatten wir gezeigt, dab sich die Tiere längere Zeit unter Wasser halten. Nun muß nach der vorhergehenden Erörterung ein Schwinden der Luftschicht am Körper stattfinden, da die ausgeatmete Kohlensäure sehr leicht im Wasser gelöst wird. Es läßt sich daher für alle im Wasser lebenden Insecten, die ähnlich wie Notonecta eine Luftschicht an der Außen- seite des Körpers mit sich führen und sich längere Zeit unter Wasser halten, folgender wichtige Schluß ziehen. Das Quantum der an der Oberfläche des Wassers ausgeatmeten Luft ist kleiner als die Menge der frisch eingeatmeten und an die Außenseite des Körpers auf- genommenen Luft. Biologische Notizen. Die Frage nach dem Vorkommen der Larven und Imagines von Notonecta glauca ist, soweit ich mich in der Literatur umgesehen habe, noch nicht ganz aufgeklärt. Die meisten Autoren beschränken sich auf einzelne zum Teil ungenaue Angaben, ohne das Vorkommen im Zusammenhang darzustellen. Vorausgeschickt sei, daß der Winter 1909/10 ein ziemlich milder war. Das Leben in der Natur entfaltete sich in dem darauffolgenden Frühling ziemlich früh. Meinen Erörterungen schicke ich die folgende Tabelle vorauf, die uns das Vorkommen von Notonecta glauca im Jahre 1910 in der Umgebung von Greifswald wiedergibt. Die Atmung von Notonecta glauca. 239 Copuliert und Eier gelegt Anfang April Auftreten von Larve I Mitte Mai a II Ende Mai c LIT Um das erste Drittel des Juni À IV Um das zweite Drittel des Juni ‘ V Im ersten Drittel des Juli Auftreten der Imago Ende Juli und Anfang August Die Angaben der Tabelle sind in der Weise gemacht, daß ich diejenigen Daten festgelegt habe, an welchen das betreffende Stadium am häufigsten vorkam. Natürlich hat jedes Stadium einen gewissen Spielraum. Um vielleicht ein Beispiel anzuführen, kam Larve V auch noch im August vor. Vereinzelt waren Larven IV zu dieser Zeit noch anzutreffen. Von der Eiablage vergeht bis zum Ausschlüpfen der Larven etwa 11}, Monat. KunLearz gibt für diese Entwicklungsperiode 14 Tage an. Diese Zahl ist entschieden zu niedrig gegriffen. Zwischen den einzelnen Larvenstadien ist ein Zwischenraum von etwa 10—14 Tagen vorhanden. Der Zwischenraum zwischen Larve V und den Imagines ist etwas größer. Die Imagines gebrauchen einige Monate, um geschlechtsreif zu werden. Nur selten kommt es vor, daß Tiere noch in demselben Jahre reif werden. Die Regel ist, daß sie erst im kommenden Frühling so weit entwickelt sind, um copulieren zu können. Bald nach der Eiablage sterben die Ima- sines ab. Ussine äußert die Ansicht, daß die Notonecta länger als 1 Jahr lebt. Für unser Klima trifft das nicht zu. Es tritt jährlich nur eine Generation auf. Kunucarz vertritt die Ansicht, dab jährlich zwei Generationen auftreten. Das ist unrichtig. Wie aus der Tabelle zu ersehen ist, verstreicht zwischen der Eiablage und dem Ausschlüpfen der Imagines eine Zeit von etwa 4 Monaten. Wenn man noch bedenkt, daß die Imagines eine gewisse Zeit ge- brauchen, um geschlechtsreif zu werden, so wird es einleuchten, dab jährlich nur eine Generation in unserem Klima vorkommen kann. Vielleicht ist der Irrtum von KuHtLcartz auf eine Vermischung mit Notonecta lutea, zu der ich mich jetzt wende, zurückzuführen. Notonecta lutea kommt in der Umgegend von Greifswald nur selten vor. Ich habe daher meine Untersuchungen über diese Art noch nicht zum Abschluß bringen können. Soviel scheint mir sicher zu sein, daß Notonecta lutea im Spätherbst, also etwa Ende September, zur Eiablage schreitet. Im September fand ich Imagines dieser Art 16* 240 Jurrax Hoppe, in Copula und konnte auch die Eiablage beobachten. Aus den im Aquarium abgelegten Eiern schlüpften, als ich es in ein warmes Zimmer brachte, Mitte Februar die Larven aus. In der Natur wird dies bei Auftreten einer wärmeren Temperatur im Frühling ge- schehen. Die Notonecta lutea ist daher der Notonecta glauca sozu- sagen um 2 Monate in der Entwicklung voraus. Bemerkenswert ist, daß bei der letzteren Art die Imagines, bei der ersteren die Eier überwintern. Folgendes sei noch erwähnt. BROCHER spricht an einer Stelle die Vermutung aus, daß Notonecta glauca sich derart im Fluge er- hebt, daß sie zunächst mit ihrer ganzen Dorsalseite emportaucht. Ich habe dies in einem Falle beobachten können. Noch eine Beobachtung möchte ich hier mitteilen. Ich beob- achtete in verschiedenen Fällen, daß Imagines in der Atemstellung Kot in einem weiten Bogen ausspritzten. Beziehungen zwischen Notonecta und anderen Wasserwanzen. Eine Ähnlichkeit zwischen Notonecta und Corixa besteht zunächst im Bau des Pronotums. Unter normalen Verhältnissen taucht Corixa mit der Dorsalseite auf und nimmt an der Oberfläche des Wassers durch Abheben des Pronotums vom Mesonotum Atemluft auf. Unter besonderen Umständen, die wir oben erwähnt haben, kann auch Notonecta diese Art der Luftaufnahme anwenden. Wir hatten gesehen, dab die Imago von Notonecta bei gewissen Störungen Luft durch die Atemöffnung und einen Spalt auf der Dorsalseite des 7. Abdominalsegmentes unter die Flügel aufnimmt. Nun wird bei den Imagines von Belostoma Luft durch die Atem- öffnung und einen ähnlichen Spalt an der Dorsalseite unter die Flügel aufgenommen und so den thoracalen Stigmen zugeführt. Was bei Belostoma und Corixa das Normale ist, erscheint bei Notonecta als abnormer Vorgang. Es liegt nahe, Notonecta als den Ausgangspunkt für die Entstehung von Formen wie Corixa und Belostoma zu betrachten. Ähnlich wie bei Notonecta finden sich bei den Nepa-Larven auf der Bauchseite des Abdomens 2 Rinnen, die von Haaren abgedeckt werden und Luft enthalten. Diese Verhältnisse sind wiederholt beschrieben worden, zuletzt von Docs, der sie als Atemrinne bezeichnet. Ihr Bau und ihre Funktion zeigen eine weitgehende Übereinstimmung mit Notonecta. Eine Divergenz tritt erst bei der Die Atmung von Notonecta glauca. 241 Imago von Nepa auf, bei der sich — unter gleichzeitiger Ausbildung der Paratergite des 8. Abdominalsegments zu einer Atemröhre — die larvale Atemrinne verändert. Auch bei Notonecta zeigen die Paratergite des entsprechenden Segments eine große Beweglichkeit und tragen an ihrer Basis umfangreiche Stigmen, so daß wir in ihnen mit VERHOEFF und Hrymons einen Vorläufer der Atemröhre von Nepa sehen können. Im Zoologischen Zentralblatt 1910 findet sich ein Referat von Haxpzrescx über ein von KırkALoy neu aufgestelltes System der Hemipteren. Nach dem Prinzip Schiöpre’s werden 2 Hauptgruppen unterschieden: Trochalopoda und Pagiopoda. Bemerkenswert ist, daß Kirkazpy die Nepidae der ersten Gruppe unterstellt, während die Notonectidae, Corisidae, Belostomidae usw. der zweiten Gruppe zugeteilt werden. „Die zur Begründung einer so tiefgehenden Änderung des bisher üblichen Systems unerläßlichen morphologischen und phylogenetischen Ausführungen hat uns der Verfasser vorent- halten. Dafür gibt er aber ein kleines Entwicklungsschema.“ Nach diesem sollen die Nepidae ein Seitenast der Reduviidae sein. Danach würde es sich in der Übereinstimmung zwischen Notonecta und Nepa nur um eine Konvergenzerscheinung handeln. Über die Richtigkeit der Anschauungen von KirKaupy habe ich kein Urteil. 242 Jurıan Hoppe, Literaturverzeichnis. BETHE, A., 1894, Uber die Erhaltung des Gleichgewichts, in: Biol. Ctrbl., Vol. 14, p. 95—104. BROCHER, F., 1909, Recherches sur la respiration des insectes aquatiques adultes. La Notonecte, in: Ann. Biol. lacustre, Vol. 4, p. 9—32, BURMEISTER, A., 1832, Handbuch der Entomologie, Vol. 1 u. 2, Berlin. Comstock, J. H., 1887, Note on respiration of aquatic bugs, in: Amer. Entomologist, Vol. 21, No. 6, p. 577—578. Docs, W., 1908, Metamorphose der Respirationsorgane bei Nepa cinerea, in: Mitt. nat. Verein Neuvorpommern Rügen, Jg. 40; zugleich Diss. Greifswald (mir hat die Diss. vorgelegen). Durour, L., 1833, 1. Recherches anatomiques et physiologiques sur les Hemiptères, in: Mém. Savants étrang. Acad. Sc. Paris, Vol. 4, p. 129—462. —, 1834, 2. 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Flügel Ste Sternit G Gelenkpfanne Ste, Sternit des Mesothorax H, mesothoracaler Hohlraum Ste,a, Ste,a, Ste,a und Stega Ster- H, metathoracaler Hohlraum nite des 1., 2., 7. und 8. Abdo- Pste,a Parasternit des 8. Abdominal- minalsegments segments & T Tergit Pt Paratergit T, und 7, mesothoracales (2) und Pt, und Pt, Paratergit des Meso- (2) metathoracales (3) Tergit und Metathorax (3) 244 Jutian Hoppe, Die Atmung von Notonecta glauca. Tate ss Fig. la. Larve I von der Ventralseite gesehen. (42: 1.) Fig. 1b. Haar auf dem Trochanter des 2. Beinpaares (Larve D). Fig. lc. Haar auf der Coxa des 3. Beinpaares (Larve I). Fig. 2a—d. Dorsalseite des Thorax von Larven. a Larve II. b Darve III. e Larve IV. d'Larve VMC BIC vols 198) Fig. 3a—f. Schematische Querschnitte durch den Mesothorax in der Gegend des 2. Stigmas. a Larve I. b Larve II. c Larve III. d Larve IV. e Larve V. f Imago. Fig. 4 Abdomenende einer Larve I mit normaler Atemöffnung. (30215) Fig. 5. Schematischer Sagittalschnitt durch das Abdomenende einer Larve. Fig. 6. Analconus von Larve IV im Querschnitt. Fig. 7.. Analconus einer Larve IV mit den Rückziehmuskeln von der Ventralseite gesehen. Aa tele? Fig. 8a. Femur des 3. Beinpaares (c und d Drüsenkanäle, vel. Fig. 14c und 14d). Fig. 8b. Querschnitt durch das Femur (nur Chitinteile). Fig. 8c und d. Drüsenkanäle des Femurs bei Fig. 8a in c und d. Fig. 9. Lage des 3. Stigmas von der Ventralseite gesehen. a bei Larve III. b bei Larve V. Fig. 10. Mesothorax, Metathorax und Anfangsteil des Abdomens bei Larve IV von der Ventralseite gesehen. Fig. lla—d. Schematischer Querschnitt durch das hintere Ende des Metathorax. a bei Larve I. b bei Larve IV. c bei Larve V. d bei der Imago. Fig. 12a und b. Atemöffnung der Imago. a beim Weibchen. Das + == Zeichen zwischen Psie,a Pt,a soll bedeuten, daß beide Teile mit- einander verwachsen sind (links ist das 7. Abdominalsegment fortgelassen). b beim Männchen. Fig. 13. Seitenansicht des Thorax der Imago. (Vgl. S. 216.) Fig. 14. Schematischer Querschnitt durch die Atemrinne einer Larve. Fig. 15a und b. Abdomenende der Imago (Dorsalansicht). a Männ- chen. b Weibchen (rot der Flügelrand). Nachdruck verboten. Übersetzungsrecht vorbehalten. Histologische Beiträge zur Kenntnis der Verdauungs- vorgänge bei den Araneiden. Von Ernst Oetcke. (Aus dem Zoologischen Institut der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin.) Mit Tafel 3 und 2 Abbildungen im Text. Material und Methoden. Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist vornehmlich ‚Tegenaria domestica. Sie wurde sowohl in den Sommer- wie in den Wintermonaten konserviert. Die überwinternden Tiere stammen aus Kellern, wo sie in ihrem Netz auf Beute lauerten, welche in Gestalt von Mücken nur spärlich vorhanden war. Die erbeuteten Spinnen wurden einzeln in zylindrische Gläser gebracht, in welchen sie meist in der folgen- den Nacht ein Netz fertigstellten. Manche dagegen unterließen das Spinnen vollständig und ergriffen die ihnen später gereichte Nah- rung im Laufen. Nachdem die Tiere in der Regel 8 Tage lang, vom Zeitpunkt des Fangens an gerechnet, ohne Speise gelassen waren, wurden sie mit je einer unserer gewöhnlichen Stubenfliegen gefüttert und sodann verschiedene Zeiten nach dem Beginn der Nahrungs- aufnahme, bis zu 14 Tagen, konserviert. Ich hoffte, so die verschiedenen Etappen des Verdauungsprozesses 246 ERNST OETCOKE, nacheinander und gesondert zu erhalten. Doch erwies sich leider diese Hoffnung als trügerisch. Denn die Spinnen hatten von ihrer letzten Mahlzeit her, welche ja mindestens 8 Tage zurücklag, in den Epithelzellen der sogenannten Leber Nahrungsstoffe mehr oder minder reichlich aufgespeichert, so daß die verschiedenen Stadien der Verdauung durcheinander liefen. Am günstigsten erwiesen sich die im Januar und Februar gefangenen Tegenarien, da diese sich in den Wintermonaten nur kümmerlich hatten ernähren können. Selbstverständlich wurden auch Spinnen untersucht, welche längere Zeit hindurch sich reichlichster Nahrung erfreut, und solche, die eine längere Hungerperiode ertragen hatten. Im ganzen erhielt ich etwa 50 verschiedene Stadien. Ich habe eine Anzahl von Konservierungsmethoden versucht, ohne ein zufriedenstellendes Resultat zu erzielen; das Material wurde meist so spröde, daß es beim Schneiden zerbröckelte Als Konser- vierungsflüssigkeit von hohem Wert erwies sich endlich folgendes Gemisch: | Alkohol 96 °/, 60 Vol. Formalin 40 °, AG Eisessig DI In diesem Gemisch, welches alle Organe gleichmäßig gut fixiert, wurden die chloroformierten und am Hinterleibsstiel durchschnittenen Spinnen 3—6 Stunden gelassen und alsdann in 93 °%, Alkohol aus- gewaschen und aufbewahrt. Als Zwischenstufe zwischen Alkohol und Paraffin wurde Chloroform angewandt. Es wurden Quer- und Längsschnitte durch das Abdomen angefertigt; am günstigsten sind mediane Sagittalschnitte, weil man auf ihnen außer der „Leber“ auch den Darm in seinem ganzen Verlaufe trifft. Die Dicke der Schnitte beträgt 3—5 u. Solch dünne Schnitte wurden nur erzielt, wenn vor Anfertigung eines jeden die Oberfläche des Paraffinblockes mit Mastixkollodium überzogen wurde. Gefärbt wurden die Schnitte 1. nach van Gızson (Hämatoxylin nach EnarrıcH, Pikrinsäure und Säurefuchsin), 2. mit Eisenhämatoxylin nach HEIDENHAIN (ev. Nachfärbung mit Eosin in absolutem Alkohol) und 3. mit Krause’s Triacid (Orange G, Rubin S und Me- thylengrün). Die besten Resultate lieferte mir die zuerst angeführte Methode. Die Arbeit wurde im Zoologischen Institut der Friedrich-Wil- Verdauungsvorgänge bei den Araneiden. 247 helms-Universität zu Berlin ausgeführt. Herrn Geheimen Regierungs- rat Prof. Dr. F. E. Scuunze sage ich für die Überlassung eines Arbeitsplatzes sowie für die Erlaubnis zur Benutzung der Instru- mente und der Bibliothek meinen gehorsamsten Dank, desgleichen Herrn Prof. Dr. DEEGENER, dem ersten Assistenten, für das liebens- würdige Interesse, welches er meiner Arbeit entgegengebracht hat, und die freundliche Hilfe, welche er mir hat zuteil werden lassen. Bekanntlich nehmen die Araneiden nur flüssige Nahrung zu sich; doch beschränken sie sich nicht darauf, ihrer Beute das Blut auszusaugen. sondern sie verflüssigen mittels der aus ihren Drüsen stammenden Secrete (nach BERTKAU kommen hier die Speicheldrüsen in Betracht) auch deren feste Bestandteile. Es beginnt also bei den Spinnen die Verdauung der Nahrung, bevor diese in den Körper gelangt ist. Das außerhalb des Körpers verflüssigte Beuteobjekt gelangt schnell in die große Mitteldarmdrüse des Hinterleibes, die sogenannte Leber, deren durch die Nahrungseinfuhr verursachte An- schwellung besonders bei hungrigen Tieren auffällt und in welcher die weitere Verdauung vonstatten geht. Unter „Leber“ oder Mittel- darmdrüse versteht man jenes „System von Blindschläuchen, die miteinander und in letzter Instanz mit dem Darmkanal kommuni- zieren“. Es lassen sich „jederseits zwei Hauptstämme unterscheiden, als deren Verästelungen die meisten der übrigen Follikel anzusehen sind; der unter dem Darm gelegene Lappen enthält nur einen Hauptkanal“ (Berrkau) Diese Hauptstämme gehen bald hinter der Stelle ab, an welcher der Darm durch den Hinterleibsstiel in das Abdomen eingetreten ist. Fast der gesamte Hinterleib wird von der „Leber“, welche außer dem Darmschlauch die Geschlechts- und Spinndrüsen einhüllt, erfüllt. Die Follikel werden von einem ento- dermalen Epithel ausgekleidet und durch ein mesodermales Binde- gewebe, in welchem die MarriGarschen Gefäße verlaufen, zu einem einheitlichen Organ verknüpft. Meine Arbeit wird nur auf die im Abdomen sich abspielenden morphologischen Prozesse eingehen und sich zunächst mit dem „Leber“epithel, welches das Hauptinteresse beansprucht, beschäftigen. Das Epithel der Mitteldarmdrüse. Historisches. Die Mitteldarmdrüse der Spinnen ist von den verschiedensten Autoren behandelt worden. Bevor ich über meine eigenen Untersuchungen mit- 248 ERNST OETCKE, teile, sei mir gestattet, kurz anzuführen, was uns in diesem Zusammen- hange aus den früheren Arbeiten interessiert. Die älteren Autoren über- gehe ich an dieser Stelle und beginne mit PLATEAU. Dieser beschäftigt. sich in einer prächtigen Abhandlung mit der Morphologie und besonders der Physiologie unserer Drüse und stellt fest, daß sie ein verdauendes Ferment produziert und damit dem Pancreas der Wirbeltiere näher zu stellen sei als der Leber. Nach ihm liefert BERTKAU eine ausführliche Beschreibung der „Leber“ in morphologischer und physiologischer Hin- sicht. Was ihre Funktion anlangt, so weist er nach, daß ihr Epithel so- wohl secretorisch wie resorbierend tätig ist und ihre Lumina als Auf- bewahrungsort für die Nahrung, als Magen, dienen. Gleichzeitig mit SCHIMKEWITSCH beschreibt er aus dem Epithel zweierlei Arten von Zellen: große keulenförmige, der Tunica mit dem schmäleren Ende aufsitzende, welche allein das Lumen der Drüse begrenzen, und zwischen ihnen kleinere, eiförmige, mit dem breiteren Ende auf der Tunica stehende. Vor den Arbeiten der beiden zuletzt genannten Forscher war nur eine Zellart aus dem Epithel der Mitteldarmdrüse bekannt, und zwar die zuerst genannte. BERNARD gebührt das Verdienst, erkannt zu haben, daß der Inhalt der „Leber“zellen nicht Secrete, sondern aufgenommene Nahrungssub- stanzen sind, welche innerhalb der Zellen verarbeitet werden. Die als Krystalle zurückbleibenden Excrete gelangen in die Drüsenlumina und von dort in den Darm und nach außen. Zuletzt hat BERLESE die Verdauung der Spinnen ausführlich behandelt. Da er sich ebenfalls mit den morphologischen Zellveränderungen während des Verdauungsprozesses beschäftigt hat, doch wohl ohne eine größere Zahl von Fütterungsstadien zu besitzen, und seine Resultate von den meinigen ganz erheblich abweichen, werden wir im Verlaufe der Arbeit häufig mit ihm zu tun haben. BERLESE’s Resultate seien hier in mög- lichster Kürze wiedergegeben. Bemerkt sei noch, daß ihm als Haupt- untersuchungsobjekt ebenfalls Tegenaria gedient hat, auf welche sich auch die Mehrzahl der Abbildungen bezieht. Der Autor kommt zu dem Ergebnis, daß das Epithel der „Leber“ nicht, wie BERTKAU will, dimorph ist, sondern homomorph, daß die kleineren eitörmigen Zellen nur die Jugendstadien der größeren, keulen- förmigen darstellen. Die kleineren Zellen nehmen die verflüssigte Nahrung auf und coagulieren sie zu Kugeln; diese sind in Wasser unlöslich und färben sich mit Eisenhämatoxylin nicht; ihre Eiweißnatur wird durch die üblichen Reaktionen festgestellt. Die in Rede stehenden Zellen bilden solcher Eiweißkugeln mehr und mehr und wachsen damit zu den keulen- förmigen heran. Jetzt beginnt infolge der aus dem „überernährten Kern“ heraustretenden „Enzyme“ eine Peptonisierung der Albuminoide, welche deutlich zu verfolgen ist, da sich die Kugeln mit Eisenhämatoxylin suk- zessive schwärzen. Gleichzeitig werden sie in Wasser löslich. Die Auf- lösung, Verdauung, innerhalb der Zellen geschieht durch in ihnen ge- bildete Fermenttröpfchen, welche speziell bei Tegenaria „kleiner sind, als man sich denken kann“. Die Stoffwechselprodukte treten in Form von Krystallen und Uraten auf. „Leber“zellen, welche ihr Verdauungsgeschäft beendet haben und neben den Excreten auch die verdaute Nahrung ent- Verdauungsvorgänge bei den Araneiden. 249 halten, lösen sich vollständig von der Tunica los und fallen ins Lumen. Hier oder im vorderen Teile des abdominalen Darmschlauches werden noch die Kerne und das Protoplasma durch die in den Zellen befindlichen Fermente verdaut und das gesamte assimilierte Material von den Zellen des dem Colon der Milben entsprechenden Darmes resorbiert. Im hinteren Darmabschnitte sowie in der Cloake finden sich nur noch Urate, weiche mit den aus den MarpiGHrschen Gefäßen stammenden Guaninkrystallen nach außen gelangen. Wir hätten es demnach bei den Spinnen mit einem komplizierten intracellulären Verdauungsvorgang zu tun: die außerhalb des Körpers verflüssigte Nahrung wird von den Epithelzellen der Mitteldarmdrüse re- sorbiert, in zunächst unlösliche Albuminoide, später lösliche Kugeln (Peptone) übergeführt und als solche kürzere oder längere Zeit gespeichert. Intra- cellulär werden die peptonisierten Nahrungskörper verdaut; die aufs neue in Hüssigem Zustande befindliche Masse gelangt mitsamt den Zellen in den Darm, um nochmals resorbiert und erst dann an das Blut abgegeben zu werden. Eigene Untersuchungen. Betrachten wir der einfacheren Verhältnisse wegen zunächst einen Schnitt durch die Mitteldarmdrüse einer Tegenaria, welche im Januar im Keller erbeutet und sofort konserviert wurde, so bietet sich uns folgendes Bild: Auf einer zarten Tunica propria, in welcher an günstigen Stellen längliche Kerne wahrgenommen werden, sitzt ein einschichtiges, scheinbar aus zwei Zellarten bestehendes Epithel. Größere und kleinere Zellen, welche auf den ersten Blick auch in- folge ihres Inhaltes zu unterscheiden sind, alternieren, und zwar so, daß die ersteren den letzteren 4—5mal an Zahl überlegen sind. Wir wollen vorläufig die größeren mit Zeilen A, die kleineren mit Zellen B bezeichnen. Die Zellen A (Fig. 1 A) stellen sich dar als hohe Zellen von meist ausgesprochen keulenförmiger Gestalt; sie sitzen mit dem ver- jüngten Ende der Tunica auf und grenzen sich voneinander durch eine deutliche Membran ab. Apical sind sie ein wenig gewölbt und springen in das Lumen vor. In der Regel erreichen nur diese Zellen das Drüsenlumen. Ihr meist vacuolenreiches Protoplasma läßt sich so gut wie gar nicht färben, bei starken Vergrößerungen erscheint es als ganz außerordentlich feine Granulation; von einem Zellgerüst ist nichts zu erkennen. In den meisten anderen Fällen weisen die Zellen dieses Typus viel mehr Vacuolen {V) auf, als in Fig. 1 ge- zeichnet worden sind. Der im Verhältnis zur Größe der ganzen Zelle nur kleine, ovale oder kugelrunde, nicht allzu chromatinreiche 250 ERNST OETCKE, Kern (x) (Durchmesser 7 u) wird in allen möglichen Zellregionen angetroffen und ist sowohl in der Einzahl wie in der Mehrzahl (2—4) vorhanden. Die Chromatinkörner liegen in regelmäßigen Abständen voneinander der dünnen Kernmembran dicht an und einige wenige Körner in der zentralen Region. Ein in der Mitte des Kernes be- findlicher rosarot gefärbter Nucleolus wird häufig beobachtet.!) Nur selten kommt den Zellen A dieser Tegenaria als Inhalt eine gelb gefärbte, größere oder kleinere Kugel (NX) zu, deren Bedeutung uns vorläufig noch unklar bleibt, sowie kleine, blaßblaue Tröpfchen (f), deren Wesen wir auch erst später erkennen können. Bei Färbung mit Eisenhämatoxylin nehmen die geformten Bestandteile der Zelle eine tiefschwarze Farbe an. Die Zellen B, von BERTKAU zum ersten Male beschrieben, welche, wie vorhin erwähnt, an Zahl und Größe geringer sind, zeigen auf Schnitten meistens eine elliptische Form und stehen mit dem breiteren Ende auf der Tunica (Fig. 1 6). Gewöhnlich nehmen diese Zellen nicht teil an der Begrenzung des Drüsenlumens, sondern die Zellen vom Typus A greifen über sie hinweg. Bedeutsamere Unterschiede zwischen beiden Zellarten liegen in der Beschaffenheit des Plasmas und Kernes. Ersteres fällt sofort dadurch auf, dab es sich immer mit Hämatoxylin färbt; es erscheint hier von blasser Rotweinfarbe. Wir werden später sehen, daß das Plasma eine viel intensivere Farbe annehmen kann. Irgendeine Struktur mit Sicherheit festzu- stellen, war mir nicht möglich. Oft schien mir das Hämatoxylin an feinsten Granula zu haften, und oft glaubte ich, eine faserige Struktur annehmen zu können. Ausgezeichnet ist das Plasma durch eine größere Zahl von Vacuolen, in deren jeder eine homogene Kugel (F) von intensiv gelber Farbe liegt (Durchmesser ca. 12 u). In ein und derselben Zelle sind sie annähernd von gleicher Größe. CLARA HAMBURGER beschreibt in einer Arbeit zur Entwicklungs- geschichte der Argyroneta aquatica diese Gebilde als „runde Körper, deren Zentrum sich mit Säurefuchsin färbt, während der peri- pherische Teil stark lichtbrechend ist“. Ich glaube, daß sich diese Beschreibung decken wird mit einer, welche ich später von den frag- lichen Kugeln während einer Phase ihrer Weiterentwicklung zu seben haben werde. Jedenfalls ist sicher, daß bei Tegenaria diese durch Pikrinsäure gelben Kugeln zu gewissen Zeiten, dann nämlich, 1) Wo nicht anders bemerkt, bezieht sich die Färbung immer auf die nach VAN GIESON. Verdauungsvorgänge bei den Araneiden. 251 wenn ihre Bildung beendet und ihre Umbildung noch nicht begonnen hat, völlig homogen sind. Eisenhämatoxylin färbt sie schwarz. Ich setze hierher, was BERTKAU über ihre chemischen Eigenschaften er- mittelt hat: „Mit Überosmiumsäure bräunen sie sich, aber nicht rascher als die Bestandteile der anderen Zellen. In Äther und Alkohol sind sie unlöslich, in Glycerin und Wasser zerfallen sie sehr rasch.“ Der große, sphärische, stets in der Einzahl vorhandene Kern (N) ist durch den oben beschriebenen Inhalt an die Zellwand gedrückt. Wenn er hier und da von seiner normalen Gestalt ab- weicht oder vergebens gesucht wird, ist dies ebenfalls auf Rechnung der gelben Kugeln zu setzen. Sein Durchmesser hat eine Länge von 10 «. Immer ist der Kern mit einem Hof versehen. Die zahl- reichen Chromatinkörner erfüllen ihn in regelmäßiger Anordnung, der größere Teil liegt in derselben Weise der Membran an, wie wir es schon von den Kernen der Zellen A her kennen. In der Mehrzahl der Fälle liegt ein großer Nucleolus von hellroter Farbe im Zentrum des Kernes. Die Lumina der Mitteldarmdrüse sind fast leer. Wir haben damit die Epithelzellen der „Leber“ einer Spinne beschrieben, welche, wie wir aus dem Folgenden entnehmen werden, einige Zeit ohne Nahrung zugebracht hat. Als nächstes Objekt untersuchen wir eine Tegenaria domestica, welche ebenfails im Januar gefangen, mit einer Fliege gefüttert und 1'/, Stunden nach Beginn der Nahrungsaufnahme konserviert wurde. | Die Zellen A wie die Zellen B haben ihr Aussehen geändert. Es empfiehlt sich, da die Entwicklungszyklen beider verschieden lange dauern und die Darstellung an Einfachheit gewinnen wird, sie ge- trennt zu behandeln und mit den Zellen B zu beginnen. In diesen findet eine Umbildung der gelben Kugeln (F) statt. Zwar war schon bei vereinzelten Zellen des zuerst beschriebenen Stadiums eine Ver- änderung zu bemerken; aber jetzt ist sie allgemein geworden und soll daher hier beschrieben werden: die gelben Körper (F') haben zunächst nur an einzelnen Stellen ihre Affinität zu den Farbstoffen gewechselt, indem sie an der Peripherie sowie in der mittleren Region blaue Flecke und Striche erhalten haben (Fig. 2 F). Die Bläuung geht von der äußeren Partie aus und schreitet ins Innere fort. Ich bin nun der Überzeugung, daß Cuara HAMBURGER derartige Stadien vor sich gehabt hat, als sie den Satz über den Befund der Zellen B niederschrieb. Auch BERTKAU, welcher die Spinnen untersuchte zu 252 Ernst OETOKE, einer Zeit, wo sie reichlich Nahrung zu sich genommen hatten, muß bereits umgewandelte Kugeln vor sich gehabt haben. Er schreibt von ihnen: „deren meiste ganz homogen sind“, „nur hie und da hat die eine, seltener mehrere, einen fein granulierten Inhalt. Mit Hämatoxylin färben sie sich blau, und zwar intensiver als ein anderes Element, mit Ausnahme der Kerne des Bindegewebes“. Tegenarien, welche 1!/),—4 Stunden nach Beginn der Fütterung konserviert wurden, zeigen uns, wie die ursprünglich gelben Kugeln nach und nach ganz blau und auch bedeutend kleiner werden. Die Zelle enthält zuletzt kuglige, intensiv blaue Körper, deren Durch- messer nur noch etwa !/, von dem der gelben beträgt. Gleichzeitig ist auch die ganze Zelle kleiner geworden (Fig. 3 F‘). Eine große Zahl von blauen Tröpfchen hat die Mutterzelle verlassen und findet sich in den benachbarten Zellen A (Fig. 3 f). Ihr Schicksal wird nachher mit jenen Zellen behandelt werden. Einen bestimmten Weg halten die Trépfchen bei ihrem Auswandern nicht inne, sie ver- mögen vielmehr an jeder beliebigen Stelle durch die Zellmembran zu gehen; die Grenzen gegen die anderen Zellen sind viel undeut- licher geworden. Bei den chemischen Veränderungen, welche offen- bar doch die Kugeln (F') erlitten haben, da sie aus acidophilen zu basophilen werden, habe ich keine Beteiligung des Kernes wahr- nehmen können. Nach einiger Zeit haben die blauen Tröpfchen sämtlich die Zelle B verlassen, und diese erscheint so klein, daß ihr unveränderter Kern knapp in ihr Platz hat. Das Plasma färbt sich jetzt stärker als je zuvor. Der nächste Abschnitt im Lebenslauf dieser Zelle wird charakteri- siert durch die Bildung von neuen gelben Kugeln und beginnt mit einer Vergrößerung der Zelle. Zunächst entstehen in dem dichten tiefroten Plasma einer solchen Zelle Vacuolen (Fig. 4). Diese sind anfangs nur winzig und zeigen im Innern eine durch Hämatoxylin schwach rötlich gefärbte Masse. Die Vacuolen werden größer, ihr Inhalt verliert die rötliche Färbung und wird gelb (Fig. 5). Wir haben schließlich die Zelle wieder in derselben Form vor Augen, wie wir sie zuerst kennen gelernt haben (Fig. 1 D). Somit läßt sich das Leben dieser Zellart in zwei scharf von- einander getrennte Perioden zerlegen. Die Aufgabe der ersten be- steht in der Bildung der gelben Kugeln und ist, wenn diese ge- schehen, beendet, und die der zweiten in deren Umbildung in blaue Tröpfehen. Der Anstoß zu dieser letzten Tätigkeit wird durch den Beginn der Nahrungsaufnahme gegeben, was ich immer habe fest- Verdauungsvorgänge bei den Araneiden. 253 stellen können. Bei Spinnen, die ich längere Zeit hindurch täglich stark fütterte, werden die Zellen B in allen möglichen Phasen an- getroffen. Dagegen wenn die Tiere hungern, tritt an den gelben Kugeln die beschriebene Veränderung so gut wie nicht ein. Ich habe Tegenarien bis zu 3 und Zpeira diadematica bis zu 7 Wochen ohne Futter gelassen und die Zellen B in dem zuerst mitgeteilten Zustand gefunden (Fig. 1), ebenso bei einer Tegenaria, welche in der Gefangenschaft Hungers starb und höchstens eine halbe Stunde nach erfolgtem Tode konserviert wurde. Auf diesen Befund mache ich besonders aufmerksam, weil BERLESE bei Tegenarien, welche einige Zeit der Nahrung entbehrt hatten, unsere Zelle A nur sehr selten bemerkt (Si vedono rasissime le piccole, con grosso nucleo) und in einer Figur, welche einen Schnitt durch ein größeres Stück der „Leber“ einer Tegenaria, die nach 20tagigem Hungern einging, darstellt, gar nicht gezeichnet hat. Unter keinen Umständen enthalten diese Zellen jemals andere Bestandteile als die, von welchen im Vorigen die Rede war. Wir haben uns jetzt mit den Zellen A zu beschäftigen und nachzutragen, wie sie sich inzwischen verhalten haben. Die Lumina der Drüsendivertikel jener Tegenaria, welche 11}, Stunden nach dem Beginn der Nahrungsaufnahme getötet wurde, sind mit unverdauter Nahrung erfüllt. Diese erscheint als schwach rote, sehr feine, infolge der Konservierung geronnene Flüssigkeit, in welcher durchaus keine gröberen Bestandteile wie etwa Chitin gefunden werden. Die Zellen A liegen der Speisemasse dicht an und wölben sich in sie hinein.. Ihr apicaler Teil, oft auch schon die Zelle in ihrer ganzen Ausdehnung, ist von derselben erfüllt (Fig. 2 A). Meistens haben sich dann (oder ob infolge der Fixierung?) die Zellen von dem Speisebrei zurückgezogen, was leicht daran festzustellen ist, daß dessen dem Epithel zugewandte Flächen die Konturen der freien Zellenden nach- zeichnen. Die Nahrungsmasse weist innerhalb und außerhalb der Zellen die gleiche Beschaffenheit in Form und Farbe auf. Weder sind auf der Oberfläche der Zelle Öffnungen vorhanden, durch welche sie ins Innere hätte gelangen können, noch sind zu diesem Zweck von der Zelle Pseudopodien ausgebildet worden, sondern man ist zu der Annahme gezwungen, daß die flüssige Nahrung mittels Osmose durch die Membran hindurch diffundiert ist. Innerhalb der Vacuolen, welche die Zellen durchsetzen, . verdichtet sich die aufgenommene Substanz, wodurch eine kräftigere, sich von der Umgebung abhebende Färbung zustande kommt, und gewinnt Kugelform (Fig. 2, »%). Der- Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Anat. u. Physiol. Ws 254 ERNST OETOKE, artige Gebilde kann die Zelle reichlich aufnehmen, doch wird auch beobachtet, daß nur einige wenige, dafür aber besonders umfang- reiche gebildet werden. Noch während die Zellen Material auf- nehmen, finden an den bereits gebildeten Kugeln chemische Ver- änderungen statt, deren Wirkungen auch hier an dem Wechsel des färberischen Verhaltens deutlich werden: sie werden gelb und homogen (Fig. 3 NK). Bei Färbung mit Eisenhämatoxylin läßt sich die Um- bildung der Kugeln besonders schön verfolgen. Nämlich die Nahrungs- masse, die im Drüsenlumen liegt, sowie die frisch in die Epithelzellen aufgenommene nimmt überhaupt keine Farbe an. Wenn die Kugeln älter werden, treten in ihnen schwarze Pünktchen und Striche auf; in diesem Zustande haben viele große Ähnlichkeit mit Kernen. Die schwarzen Flecke mehren und verdichten sich, und der Prozeß geht so weit, daß die Kugeln vollkommen und intensiv schwarz werden. In Fig. 6 habe ich den beschriebenen Vorgang an einzelnen Kugeln gezeichnet. In solcher Form von gelben resp. schwarzen Körpern wird die Nahrung längere oder kürzere Zeit gespeichert. Ihre Größe schwankt (Durchm. bis zu 20 w), in ein und derselben Zelle finden sich größere und kleinere. Auch dann, wenn die Zellen von der letzten Mahlzeit her noch reichlich Nahrungskugeln im Innern ent- halten, wird die verflüssigte Beute der Spinnen in der bekannten Weise gehäuft. Wir wissen jetzt auch, daß die gelben Kugeln, welche uns in den Zellen A bei Beschreibung des ersten Stadiums (Fig. 1 A, NX) auffielen, solche Nahrungskugeln sind. Gewöhnlich füllen diese die Vacuolen ganz aus, so daß von diesen nichts mehr zu sehen ist. Doch nicht immer besetzen die Nahrungskugeln die ganze Zelle, sondern oft bleibt der basale Teil frei, und der apicale und zentrale grenzen sich scharf von ihm ab (Fig. 7). Die Geschichte der Nahrungskugeln läßt sich noch einen Schritt weiter verfolgen. Jedoch bevor wir diesen machen, haben wir der aus den Zellen B stammenden blauen Tröpfchen zu gedenken (f) von denen ich bereits früher mitteilte, daß sie in die Zellen A eingewandert sind. Ihre intensive blaue Farbe haben sie zumeist schon eingebüßt; dieser Vorgang spielt sich sowohl in den Zellen A wie auch in den Zellen B ab und wird begleitet von einer nochmaligen Verkleinerung der Trépfchen. Infolgedessen ist die Zelle A (Fig. 3) von ihnen erfüllt in allen möglichen Größen, darunter kaum wahrnehmbare Pünktchen, und das zu einer Zeit, wo sowohl die Nahrungskugeln soeben aufgenommen als auch schon in feste Form, in die gelben, Verdauungsvorgänge bei den Araneiden. 255 übergeführt worden sind. Die Art und Weise der Abnahme ihrer Färbungsmöglichkeit ist gut zu erkennen. Sie beginnt an der peri- pherischen Zone, so daß die Tröpfchen geschichtet erscheinen, da das Zentrum noch tiefblau tingiert ist. Mit der Zeit büßt die Mittelpartie an Intensität der Farbe mehr nnd mehr ein, und das ganze Tröpfchen ist nur blaßbläulich. Da in manchen Fällen sich die Zellen A zwischen den Nahrungs- kugeln gleichmäßig mehr oder minder schwach mit Hämatoxylin blau färben, sind, so will mir scheinen, die einzelnen Tröpfchen zu- sammengeflossen; zu einer direkten Beobachtung ist es hierbei jedoch nicht gekommen. Festzustellen war dagegen oft, daß eine Anzahl der blauen Tröpfchen in die Drüsenlumina gelangt, aber nicht nach außen entleert wird, da weder in der Cloake noch im Enddarm von solchen eine Spur zu erblicken ist. Höchstwahrscheinlich ist die Fixierung für die Gestalt, in welcher uns die blauen Tröpfchen in den Präparaten erscheinen, mehr oder weniger verantwortlich. Hiermit verlassen wir diese Tröpfchen und wenden unsere Auf- merksamkeit wieder den gelben Kugeln (NA) zu. Ein Teil von ihnen zeigt sich in einem neuen Stadium, auf welches ich oben bereits hinwies. Es treten nämlich in ihnen kleine rötliche Punkte auf, welche den Kugeln das Aussehen von chromatinreichen Kernen geben (Fig. 9). Zu beachten ist, daß nur an den gelb gewordenen Nahrungskugeln diese Erscheinung zu beobachten ist, welche bei Färbung mit Eisenhämatoxylin verloren geht, wie übrigens auch die Umwandlung des Inhaltes der Zellen B. In seiner Arbeit über die Verdauung der Milben deutet BERLESE die Pünktchen als Fermente, welche die gespeicherte Nahrung auf- lösen, verdauen. Bei Tegenaria seien sie von außerordentlicher Klein- heit. Diese Auffasssung ist ja möglich, doch hat es für mich größere Wahrscheinlichkeit, daß es sich in ihnen um Endprodukte des Stoff- wechsels handelt. Beweisen kann ich diese Vermutung leider nicht; denn die Weiterentwicklung der Pünktchen habe ich nicht beob- achten können. Bis hierhin läßt sich das Schicksal der Nahrungsmasse lücken- los verfolgen. Bei wohlgenährten Spinnen treffen wir in den Leber- zellen A alle uns bekannt gewordenen Stadien der Nahrungsstofte, außerdem noch die Excrete. | Auf diese habe ich jetzt einzugehen. Ihre Bildung ist nicht zu verfolgen, ich muß mich daher darauf beschränken anzugeben, wie sie sich präsentieren und nach außen gelangen. Daß sie innerhalb Lie 256 ERNST OETCKE, der Zellen A entstehen, ist ohne allen Zweifel, nie kommen sie in den Zellen B vor. Fast zu allen Zeiten sind die Zellen A mehr oder weniger voll von kleinen, stark lichtbrechenden hyalinen Krystallen, deren meiste tafel- oder säulenförmig erscheinen (Fig. 8 Kr). Es ist schwer, sie zu beschreiben, ich bitte deshalb, sich aus der Zeichnung eine Vor- stellung von ihrer Form machen zu wollen. Woraus diese Krystalle bestehen, ist nicht sichergestellt; Harnsäurekrystalle werden unter ihnen vermutet. BERNARD berichtet, daß die Krystalle am freien Ende der Zelle sich ansammeln und abgestoßen werden. Ich muß gestehen, diesen Vorgang niemals einwandsfrei fest- gestellt haben zu können, obwohl ich, wenn auch in ganz seltenen Fällen, das Lumen der Drüse von ihnen besetzt fand. Niemals haben meine Objekte Bilder ergeben, die der fig. 16 BERLESE’S auch nur im entferntesten glichen. Dort zeigt er, wie sich die mit derartigen Excreten beladenen Zellen mit Kern und verdauter Nahrung von der Tunica loslösen und im Drüsenlumen liegen. Die Tegenaria, von welcher diese Epithelzellen stammen, hat 20 Tage gehungert. Was besonders auffällig ist, ist der Umstand, daß BERLESE niemals die Krystalle in der Cloake gefunden hat, wo sie doch in großer Zahl vorhanden sein müßten. Im Gegensatz zu ihm finde ich in den Ex- crementen innerhalb der Cloake der Spinnen die fraglichen Krystalle vor, ja in einem Falle werden sie nur von diesen gebildet. In der Epithelzelle A der „Leber“ kommen sie nur dann vor, wenn die Tiere verdauend tätig sind; sie fehlen dagegen bei solchen, welche längere Zeit gehungert. haben. Bei jenen Tegenarien, welche im Winter im Keller erbeutet wurden, treten sie erst dann auf, wenn sich die gelben Kugeln in den Zellen A gebildet haben. Das gleiche gilt von den übrigen Stoffwechselprodukten. Besonders bei Spinnen mit lebhafter Verdauungstätiekeit läßt sich an den Epithelzellen A am apicalen Ende eine von der übrigen Zelle scharf abgesetzte Zone unterscheiden, welche durch ihren Reich- tum an dicht beieinanderliegenden Excreten auffällt (Fig. 9). In der Regel haben diese Urate (U) eine braune bis schmutzigrote Eigenfarbe und annähernd kugelförmige Gestalt. Diese Gebilde ver- ursachen die braune oder rote Färbung der „Leber“ von wohlge- nährten Spinnen. Daß diese Produkte in den aufgenommenen Nahrungskugeln entstehen, habe ich besonders an ungefärbten Schnitten konstatieren können. In jeder beliebigen Zellgegend er- Verdauungsvorgänge bei den Araneiden. 257 halten in solchen Fällen die Kugeln, und zwar nur die durch Pikrin- säure gelb tingierbaren, im Zentrum einen rötlichen Fleck, welcher sich nach und nach vergrößert, bis eben die Kugel ganz gefärbt ist. Dabei muß auch eine Verkleinerung derselben eintreten, denn die resultierende gefärbte Kugel hat nicht die Größe der ursprünglich farblosen; man findet auch alle Übergänge. Am freien Zellrande häufen sich diese Stoffwechselprodukte nebst anderen gleich zu be- sprechenden und werden samt einem Teile der Zelle abgestoben. Bei diesem Vorgange kann anch ein Zellkern zugrunde gehen, welcher dann meistens Spuren der Degeneration aufweist. Im Lumen der Mitteldarmdrüse finden sich derartige Brocken einzeln oder schon mit anderen zu größeren Massen vereinigt; durch den Darm gelangen sie in die Cloake. DaB es sich bei diesem Abschnürungsprozeß um eine ganze Zelle handelt, welche etwa durch eine nachwachsende aus ihrem Verbande losgelöst wird, ist nach meinen Beobachtungen ausge- schlossen; stets wird nur der apicale Zellteil betroffen. Dieselbe Ansicht vertritt schon BERTKAU: „Andererseits schnürt sich auch manchmal das stark pigmentierte und kleine Granula enthaltende Endstück der Zelle ab; solche Stücke findet man unter dem Inhalt der Blindschläuche, und sie machen den Hauptbestandteil der in dem Darm befindlichen Excremente aus.“ HENkING berichtet von Trombidium fuliginosum dasselbe. Nach kurzer Hungerperiode bei Zpeira, nach langer bei Scorpio beobachtete BERLESE in den „Leber“zellen Körper, welche als Urate anzusprechen sind und als kleinere oder größere Kugeln mit kon- zentrischer Schichtung beschrieben werden. Bei Tegenaria sehe ich ebenfalls solche Gebilde, welche ich mit jenen identifizieren möchte; doch kommen sie hier auch bei gutgenährten Exemplaren vor (Fig. 7 u. 9 Sph). Sie sind unfärbbar, von schwach gelblicher Eigen- farbe, überall in der Zelle zerstreut und gelangen mit den pig- mentierten Kugeln bei der Abschnürung des apicalen Zellteiles in die Drüsenlumina. Daß sich Guanin in der Form, wie wir es in der Cloake treffen werden, als ganz winzige ungefärbte Kügelchen, innerhalb der Leber- zellen findet und, wie BERLESE berichtet, bei Scorpio in die Drüsen- lumina in solcher Menge austritt, daß die Membran gleichsam perforiert erscheint, ist bei Tegenaria nicht der Fall. Die Zellen A aus der „Leber“ der wohlgenährten Spinnen können alle beschriebenen Körper, von der noch ungeformten Nahrungsmasse 258 Ernst OETCKE, bis zu den Excreten, gleichzeitig enthalten. Meistens sind die Zell- grenzen dann sehr undeutlich, selbst gegen das Lumen hin. Auch wenn die Zellen bereits Nahrungskugeln gespeichert haben und mit deren Verdauung beschäftigt sind, wird doch gegebenenfalls neue Speise aufgenommen, was am besten an den mit Eisenhämatoxylin behandelten Präparaten gesehen wird. Ein ganz anderes Bild gewähren dagegen Tiere, welche längere Zeit ohne Nahrung gelebt haben (Fig. 10). Zunächst sind die Zellen A schlanker und länger geworden. Das Plasma tingiert sich mit Hämatoxylin rötlich und der Kern intensiver als je. Niemals ist sonst eine solche Färbung der Zellen A aufgetreten. Der gesamte Gehalt an Nahrungskugeln ist geschwunden, desgleichen alle Krystalle; vorkommen von uns Bekanntem allein in geringerer oder größerer Masse ganz kleine sepiafarbene Urate (U), welche an jeder Stelle der Zelle anzutreffen sind; oft auch ist eine größere Vacuole (V) mit ihnen erfüllt. Im Lumen der Mitteldarmdrüse sind sie ebenfalls häufig und gewöhnlich in einem abgelösten sphärisch gewordenen Teil der Zelle, welcher auch einen Kern enthalten kann, eingebettet. Darm und Cloake besitzen in reichlicher Menge dieselben Urate. Besonders wird unsere Aufmerksamkeit in Anspruch genommen von Körpern, welche uns bisher noch nicht begegnet sind und deren Vorhandensein für Hungerzellen charakteristisch ist. Innerhalb der Zellen nämlich, am meisten im Kern (Fig. 10a), sind grünliche Kugeln (G) von etwa 4—6 u Durchmesser zu finden, in deren mittlerer Region zumeist einige helle Pünktchen erscheinen. Diese Gebilde bestehen aus Guanin (BERLESE). Es scheint, als ob sie innerhalb der Kerne entstehen; infolge ihrer Größe treiben sie häufig diese ein wenig auf. FAusser glaubt annehmen zu dürfen, daß aus den Chromatin- körnchen degenerierter Kerne Guaninkrystalle entstehen, wenigstens hat er alle Übergänge gefunden. Hier dürfte das wohl kaum der Fall sein, da der Kern, welcher einen solchen grünen Körper ent- hält, im Besitz der Chromatinchondren ist. Geschlechtsreife Spinnen, welche im Sommer lange Zeit hungerten (besonders ist es mir bei Zpeira aufgefallen), haben ihre „Leber“ ungemein reduziert, sicherlich zugunsten der Eier und Spermatozoen. Bei einem Epeira-Weibchen, welches 11, Monate kein Futter er- halten hatte, war der Verlauf des Darmes infolge weitgehendster Reduktion der „Leber“ überhaupt nicht mehr festzustellen. Verdauungsvorgänge bei den Araneiden. 259 Zusammenfassung und Erweiterung der bisherigen Ergebnisse. Im Folgenden will ich zunächst unsere bisher an den Epithel- zellen der „Leber“ gewonnenen Resultate zusammenfassend dar- stellen. Eine Spinne, welche längere Zeit gehungert hat, weist im Epithel ihrer abdominalen Mitteldarmdrüse zweierlei Zellen auf, sroße keulenformige ohne geformten Inhalt und kleinere elliptische, die durch ihr rotes Plasma (Hämatoxylin), ihren großen Kern und ihre in Vacuolen liegenden acidophilen (Pikrinsäure) Kugeln im- ponieren. Wenn solche Spinnen gefüttert werden, gelangt die durch Secrete der Speicheldrüse verflüssigte, vorverdaute Beute schnell in die Mitteldarmdrüse. Die großen keulenförmigen Zellen A be- sinnen die Nahrungsflüssigkeit zu resorbieren, welche sich in den Vacuolen ansammelt und zu Kugeln verdichtet, womit eine chemische Umwandlung verbunden ist, welche durch den Wechsel der Farb- stoffaffinitäten bewiesen wird. In derartige Nahrungskugeln wird die Nahrung überführt, ehe sie innerhalb der Zellen verdaut wird, und in solcher Form aufgespeichert. Inzwischen haben die anderen Zellen (B) ihren Inhalt umge- bildet. Die Umwandlung ist sukzessive zu verfolgen und gibt sich daran zu erkennen, daß die Kugeln ihre Beziehungen zu den Farb- stoffen ändern: sie werden aus acidophilen zu basophilen und außer- dem in ihrer Größe sehr reduziert. Die so umgeformten, jetzt baso- philen Tröpfchen treten aus ihrer Mutterzelle heraus und ergießen sich in die benachbarten resorbierenden Zellen und auch, doch zu geringerem Teile, in das Drüsenlumen. An diesen Prozessen finden wir die Kerne beider Zellarten in keiner Weise beteilist. Während sich in der Folgezeit die ihres Inhaltes verlustig gegangenen Zellen, welche außerordentlich an Größe eingebüßt haben, an die Bildung neuer acidophiler Kugeln machen, wobei die Zellen wieder an Größe gewinnen und der geschilderte Zyklus sich bei guter Ernährung mehrere Male hintereinender abspielt, werden innerhalb der großen keulenförmigen Zellen die gespeicherten Nahrungskugeln verdaut und die Excrete gebildet. Diese treten auf in Form von ihrer Natur nach unbekannten Krystallen und in Uraten. Diese Excrete sammeln sich am apicalen Teil der Zelle an, welcher sich abschnürt und ins Lumen gelangt. Mit dem resorbierten Nahrungsmaterial gehen die Spinnen 260 ERNST OETOKE, eventuell sehr sparsam um. So zeigt eine Tegenaria, welche nach achttägiger Hungerzeit in der Gefangenschaft mit einer Fliege ge- füttert worden war und dann abermals 14 Tage ohne Futter gelebt hatte, nach dieser Zeit die großen resorbierenden Zellen noch mit Nahrungskugeln, wenn auch nicht reichlich, besetzt. Was an diesen die Spinne vor ihrer Gefangennahme in ihrer „Leber“ gehäuft hatte, läßt sich natürlich nicht sagen; aber trotzdem kann man behaupten, daß die Arachniden mit ihrer Speise haushälterisch umgehen. Nach längerem Hungern lassen sich in den großen keulen- förmigen Zellen alle geformten Bestandteile vermissen, wohingegen die kleineren, elliptischen ihr zuerst beschriebenes Aussehen haben (Fig. 1). Nachdem wir uns somit Klarheit verschafft haben über das Ver- halten des „Leber“epithels während der Nahrungsaufnahme und Ver- dauung, können wir entscheiden, ob es homomorph (BERLESE) ist oder dimorph. Wir haben konstatiert, daß in morphologischer Hinsicht die von uns mit A und B bezeichneten Zellen sich in jeder Phase ihres Lebens gut und mühelos voneinander unterscheiden lassen: Immer zeichnen sich die Zellen B vor den anderen aus durch die Größe ihres Kernes, durch die Färbbarkeit ihres Plasmas und durch das Verhalten ihres Inhaltes. Niemals war zu bemerken, daß die Zellen B heranwachsen zu den Zellen A, dagegen stets, dab jene, wenn ihre Vacuolen mit acidophilen Kugeln gefüllt sind, sie diese in basophile verwandeln, sich derselben entledigen und an Größe ab- nehmen, kurz, daß beide Zellarten nichts miteinander zu tun haben. Und mit Rücksicht auf ihre Funktion wurde festgestellt, daß die sroßen Zellen (A) resorbierend, verdauend und excretorisch tätig sind, während die kleinen Zellen (B) an diesen Prozessen Keinen Teil haben. Somit müssen wir das Epithel der Mitteldarmdrüse der Arachniden als dimorph bezeichnen und gegen die Ansicht BERLESE’S Einspruch erheben. In den großen Zellen (A) findet intracellulär die eigentliche Verdauung statt; wir wollen sie von jetzt ab Nähr- zellen nennen. Daß die Spinnen überhaupt intracellular verdauen, konnte nach den Arbeiten BERNARD’s und BERLESE’S nicht mehr bezweifelt werden. Allerdings spielt sich die Verdauung insofern nicht vollständig intra- cellulär ab, als bereits außerhalb des Körpers die Nahrung vorver- daut wird. Auf die Bedeutung der anderen Zellen (B) komme ich nachher zurück. Vorher möchte ich nochmals auf die Arbeit Brr- LESE’S eingehen. Verdauungsvorgänge bei den Araneiden. 961 Nach ihm sind, wie wir schon wissen, die kleinen Zellen B, deren Plasma sich so intensiv färbt und die nur den Kern enthalten, junge Zellen, welche dadurch, daß sie das in der Nahrungsmasse ent- haltene Eiweiß resorbieren, ihren Kern „überernähren“ und heran- wachsen. Das Eiweiß liegt zunächst in feinsten Pünktchen dicht beieinander, besonders dicht in der Nachbarschaft des Kernes, und wird alsdann zu Kugeln coaguliert. Wenn die Zelle von solchen gefüllt ist, wandern aus dem „überernährten“ Kern Chromatinkörner aus, verteilen sich überall in der Zelle und bewirken als „Enzyme“ eine Peptonisierung der Eiweißkugeln. Die nunmehr peptonisierten Kugeln färben sich mit Eisenhämatoxylin; der Übergang ist gut zu verfolgen, da sich die Schwärzung nacheinander vollzieht (Fig. 6). Die Zelle hat jetzt ihre definitive Größe erreicht und ist dieselbe wie unsere Zelle A. Der Kern ist natürlich bedeutend kleiner ge- worden, da er ja viel Chromatin eingebüßt hat. Diese Auffassung BERLESE’s steht zu der meinigen im schärfsten ° Gegensatz, und ich weib nicht, wie BERLESE zu seinem Resultat ge- langen konnte. Ich wiederhole, daß von einem Übergang der einen Zelle in die andere keine Rede sein kann und dab beide Zellarten der „Leber“ stets leicht voneinander durch die Beschaffenheit ihres Plasmas und Kernes zu unterscheiden sind. Es ist auch nicht zu begreifen, wie eigentlich die „jungen“ Zellen, welche das Drüsen- lumen gar nicht erreichen und denen auch durch Auseinandertreten der benachbarten Nährzellen die Nahrungsflüssigkeit nicht zugeleitet wird, diese aus dem Drüsenlumen resorbieren sollen. Oder will man gar annehmen, daß die „älteren“ Zellen (A) für die „jungen“ (B) resorbieren und ihnen die Nahrung zuführen? Das Rätsel löst sich vielmehr so, daß BERLESE beide Zellarten durcheinander ge- worfen hat. In dem jetzt erscheinenden Handbuch der vergleichenden Physio- logie von WINTERSTEIN weist BIEDERMANN darauf hin, wie unwahr- scheinlich der von BERLESE mitgeteilte Vorgang des Enzymaustrittes aus den „überernährten“ Kernen in Form von Chromatinchondren sei. Ich habe meine größte Aufmerksamkeit darauf verwandt, die- selbe Erscheinung wahrzunehmen, doch ist es mir nicht gelungen. Niemals habe ich an dem Kern eine Veränderung gesehen, seine Größe bleibt in allen Stadien der Zellen dieselbe. Nach BerLese sollen sich, wie im historischen Teil meiner Arbeit bereits auseinandergesetzt, diejenigen Zellen, welche die Ver- dauung hinter sich haben und mit Excreten und der verflüssigten 262 Ernst OETCKE, Nahrung gefüllt sind, von der Tunica ablösen, und hauptsächlich im Darmschlauch soll die Nahrung nochmals resorbiert werden. BIEDER- MANN empfiehlt auch dies dringend zur Nachprüfung, und ich muß wieder hervorheben, daß mir eine derartige Beobachtung nicht ver- gönnt gewesen ist. Man sollte meinen, daß bei Spinnen, welche sich üppigster Ernährung erfreut haben, dieser Vorgang häufig zu beobachten sei, doch ich habe nur gesehen, daß sich Zellteile mit- samt den Excreten loslösten. Ja, bei einer Tegenaria sind in den Nährzellen außer Excreten (Krystallen) nur noch frisch gebildete Nahrungskugeln, woraus hervorgeht, dab die excretgefüllte Zelle von neuem resorbiert hat. Die betreffende Spinne ist, nachdem sie nach längerer Hungerperiode 1'/, Stunde gefressen hatte, konserviert worden. Hätte BERLESE recht, so müßte ein solches Verhalten der Epithelzellen unmöglich sein. Es bleibt mir jetzt noch übrig, über das Wesen der Zellen B einige Worte zu sagen. Was für eine Aufgabe haben sie zu erfüllen ? BERTKAU macht in seiner ersten Arbeit auf die morphologische Übereinstimmung der Spinnenleber einerseits und der der Crustaceen und Gastropoden andrerseits aufmerksam und vergleicht „die kleinen, die hellen Kugeln enthaltenden den ‚Fermentzellen‘, die größeren den ‚Leberzellen‘ der Crustaceen und Gastropoden“. Doch ob sie hinsichtlich ihrer Funktion gleichartig seien, konnte er nicht ent- scheiden. In seiner Abhandlung vom folgenden Jahre kommt er zu dem Resultat, daß der Inhalt der elliptischen Zellen „zum größten Teile zur Bildung der Eier resp. Spermatozoen verbraucht werde“, weil „zur Zeit der Winterruhe, noch mehr aber zur Zeit der Fort- pflanzung von den zwei Zellsorten jetzt nur noch die flaschenförmigen erhalten sind, oder vielmehr der die elliptischen in so charakteristi- scher Weise erfüllende Inhalt geschwunden ist“. Er hält demnach diese Zellen für Speicherzellen. Dagegen ist einzuwenden, daß ich bei Spinnen zur Winterszeit und zu anderen Hungerperioden im „Leber“epithel immer die fraglichen Zellen mit dem sattsam be- kannten Inhalt gefunden habe, dagegen bei Tieren mit reichlichem Stoffwechsel dieselben oft zum allergrößten Teile leer. Und ich meine, daß Spinnen zur Fortpflanzungszeit besonders viel Nahrung zu sich nehmen, und deshalb mögen dann die Zellen wohl häufiger inhaltlos erscheinen. Wir haben aber in allen Fällen konstatiert, daß bei wohl- gefütterten Tegenarien unsere Zellen B schnell ihren Inhalt um- formen, sich dessen entäußern und wieder zur Bildung neuer Kugeln Verdauungsvorgänge bei den Araneiden. 263 schreiten und daß sich dieser Prozeß mehrmals hintereinander wieder- holt. Man müßte doch wohl annehmen, daß, wenn es sich in den Zellen um Reservoire handle, diese darauf bedacht wären, möglichst viel Material für schlechtere Zeiten zu häufen und während Futter- mangels davon zu zehren. Außerdem käme dann wieder die Schwie- rigkeit der Erklärung hinzu, wie dann diese Zellen die Nahrung auf- zunehmen imstande seien. Ich bin vielmehr zu der Überzeugung sekommen, dab die Zellen B die eigentlichen Drüsenzellen sind, in welchen das zur Verdauung nötige Secret bereitet wird. SCHIMKE- WITSCH und CLARA HAMBURGER Sprechen in ihren entwicklungsge- schichtlichen Untersuchungen beiläufig dieselbe Vermutung aus, aber ohne den Verhältnissen bei fressenden Spinnen nachgeforscht zu haben. Gestützt wird diese Auffassung dadurch, daß, wie über- haupt von Secreten bekannt ist, auch hier dasselbe die „Reifungs“- erscheinung erkennen läßt, welche eben in dem Wechsel der Affini- täten zu den Farbstoffen besteht, daß das unreife acidophile Secret sich in kleine basophile Tröpfchen auflöst, welche aus der Mutter- zelle austreten und sich in die Nährzellen, in welchen die Verdauung stattfindet, sowie in das Drüsenlumen ergießen. Wie bereits mit- geteilt, zerfallen sie hier noch mehr und fließen, da die Nährzellen sich oft mattblau tingieren, wahrscheinlich zusammen. Merkwürdig ist, daß von sämtlichen Autoren, welche die Spinnen,leber“ zum Gegenstand ihrer Forschung gemacht haben, alle diese mitgeteilten Prozesse übersehen worden sind. Der Grund dafür wird wohl darin zu suchen sein, daß sie eben nicht so methodisch zu Werke ge- sangen sind wie ich, indem ich mir eine Reihe von Fütterungs- stadien verschaffte. Bereits eine halbe Stunde nach Beginn der Nahrungsaufnahme hat die Umbildung der großen gelben Fermentkugeln in blaue kräftig eingesetzt; hungernde Spinnen zeigen nur verschwindend wenige dieser Zellen bei solcher Tätigkeit. Es geht daraus hervor, daß die Secretion nicht durch den Hunger, sondern durch den von der auf- gesogenen Nahrung ausgehenden Reiz hervorgerufen wird. Auf die Drüsenzelle scheint von dem „unreifen“ Secret (den gelben Kugeln) ein großer Druck ausgeübt zu werden, da sie schon während der Entleerung zusammengeschrumpft und nach erfolgter Entleerung nicht viel voluminöser ist, als daß der Kern in ihr knapp liegen kann. Vielleicht färbt sich das Plasma während dieses letzten Zustandes dadurch so intensiv, daß es mehr auf eine Stelle zu- sammengezogen erscheint. 264 Ernst OETCKE, Was das Secret an chemischer Arbeit leistet, kann ich natürlich aus den morphologischen Befunden nicht erkennen. | BERTKAU hatte gefunden, daß in der „Leber“ der Spinnen haupt- sächlich ein Secret bereitet wird, welches Fibrin usw. in Peptone verwandelt, und BERLESE, daß die durch Eisenhämatoxylin nicht schwärzbaren Nahrungskugeln aus Eiweiß bestehen, welche in Peptone übergeführt werden und sich alsdann intensiv tingieren. Von einer secretiven Tätigkeit der Nährzellen habe ich nichts er- kennen können; die in ihnen während ihrer verdauenden Tätigkeit zu beobachtenden, durch Hämatoxylin schwach blau färbbaren Fer- menttröpfchen stammen aus den anderen Zellen, den Drüsenzellen. Ich möchte nicht unterlassen, auf die auffallende Aehnlichkeit hinzuweisen, welche zwischen dem ,Leber“epithel der Spinnen und dem Darmepithel der ebenfalls, wie seit METSCHNIKOFF bekannt ist, intracellulär verdauenden Turbellarien besteht, und beziehe mich dabei auf die neueren Arbeiten von Boumic, UpE und ARNOLD. Das Epithel des Turbellariendarmes enthält zwei morphologisch gut unterschiedene Zellen. Boumic beschreibt sie folgendermaßen: „Die Mehrzahl der Zellen ist von kolbenförmiger Gestalt, gegen die Basis leicht verjüngt und wenig scharf konturiert; die zahlreichen in ihnen enthaltenen Vacuolen werden von verschieden großen und verschieden gefärbten Einschlüssen erfüllt; die rundlichen oder nur wenig ovalen Kerne liegen gewöhnlich basal, eingebettet in ein feinkörniges, va- cuolenfreies Plasma, rücken aber auch bis in die halbe Zellhöhe. Die der zweiten Art sind am reichlichsten in der Nähe des Darm- mundes, spärlicher in den sekundären Darmästen anzutreffen. Sie fallen durch ihre ausgesprochen keulenförmige, schärfer umrissene Gestalt auf; gegen die Basis hin sind sie erheblich stärker ver- schmälert als die früher genannten, fast zugespitzt; hier finden wir auch stets den chromatinreichen, ovalen fast spindelförmigen Kern. Sie enthalten gewöhnlich annähernd gleichgroße, durch Eosin und Eisenhämatoxylin intensiv färbbare, homogene Kugeln; entbehren sie derselben, so sind sie entweder von einem Plasmanetz durch- zogen, dessen Lücken noch die Lage des früheren Inhalts erkennen lassen, oder aber es erfüllt ein feinkörniges, mit Hämatoxylin ziem- lich intensiv tingierbares Plasma die ganze Zelle. Diese Zellen, welche häufig etwas kürzer sind als die sie umgebenden assimi- lierenden, die der ersten Art, entsprechen den Körnerkolben Mınor’s.“ Hinsichtlich der Bedeutung der „Körnerkolben“ kommen die oben genannten Autoren übereinstimmend zu der Ansicht, daß es sich in Verdauungsvorgänge bei den Araneiden. 265 ihnen um secretbereitende Drüsenzellen handelt; allein der zuerst beschriebenen Zellart kommt verdauende Tätigkeit zu. ARNOLD, welcher erst im verflossenen Jahre an der Hand von durch Fütterung gewonnenen verschiedensten Stadien die Verdauung der Planaria untersuchte, fand bei leerem Darm die Drüsenzellen groß und mit gefüllten Vacuolen (wie bei Tegenaria). Bei beginnender Nah- rungszufuhr nehmen sie an Ausdehnung ab (Übereinstimmung mit Tegenaria), weil das Secret, welches zur Verdauung des Fettes ver- braucht wird, entleert wird. Schließlich sind die Secretzellen ganz klein geworden. Eine Viertelstunde nach Anfang der Fütterung füllen sich die anderen, assimilierenden Zellen mit kleinen Fettkugeln, welche in Vacuolen liegen. Zu beachten ist, daß sich die Aufnahme des Fettes ohne Pseudopodien vollzieht und dieses sich erst innerhalb der Zellen zu Kugeln formt. Die Nahrungskugeln färben sich zu- nächst tiefschwarz (durch Osmiumsäure), werden alsdann heller, braun und endlich rot. Die von anderer Seite (v. GRAFF) vertretene Auffassung, dab der Inhalt der Körnerkolben Reservestoffe seien, wird auf Grund von diesbezüglichen Experimenten (Hungern bis zu 8 Wochen) ab- selehnt: die Zellen hatten ihre Kugeln nicht eingebüßt. Wir sehen also, daß zwischen den Epithelzellen des Turbellariendarmes mit denen der Spinnen,leber“ weitgehende Übereinstimmung in morpho- logischer Beziehung wie hinsichtlich ihres physiologischen Verhaltens zu konstatieren ist. | Bindegewebe. Im Anschluß an das Epithel der „Leber“ habe ich das Ver- halten des Bindegewebes, des Darmkanals und der Marrıscarschen Gefäße zu behandeln. Vom Bindegewebe wurde bereits erwähnt, daß es mesodermalen Ursprungs ist, die einzelnen „Leber“follikel miteinander und mit dem Darmkanal verbindet und die Vasa Malpighi einschließt. Beschrieben wurde es zum erstenmal von BERTKAU, nachdem GRUBE Seiner nur kurz und unvollkommen Erwähnung getan hatte. Je nach den ver- schiedenen Ernährungszuständen kann es (d. h. sein Inhalt) einen anderen Anblick gewähren. Im allgemeinen ist zu sagen, daß inner- halb der Zellen des Bindegewebes fast alle Bestandteile angetroffen werden, welche wir bei Behandlung des „Leber“epithels kennen ge- lernt haben. Das Bindegewebe (Fig. 1 Bgb) umspinnt zumeist in 266 ERNST ORTckE, nur dünnen Strängen die einzelnen Divertikel der Mitteldarmdrüse, nur selten wird es in größerer Breite als von zwei Zellen beob- achtet. Es besteht aus polygonalen Zellen, deren Plasma entweder nur als schmaler Randbelag der deutlichen Membran auftritt oder ein weitmaschiges Netzwerk bildet. Der Kern liegt zentral oder an einer Seite und erscheint ähnlich wie die Kerne der Nährzellen, weshalb von einer nochmaligen Beschreibung Abstand genommen wird. Bei hungernden Tegenarien sind die Bindegewebszellen leer von Einschlüssen bis auf grünliche Trépfchen (Fig. 1 G), welche uns schon in den Nährzellen bei stark hungernden Exemplaren aufge- fallen sind und aus Guanin bestehen sollen (Fig. 10 G). Sie finden sich hier in derselben Weise innerhalb wie außerhalb des Kernes. Es scheint demnach, als ob der Kern an ihrer Bildung hervorragend beteiligt wäre. | Wenn aus den Drüsenzellen der ,Leber“ die basophilen Ferment- tröpfchen austreten, so ergießen sie sich nicht nur in die Nährzellen und in das Drüsenlumen, sondern sie gelangen auch, wie mir scheint, „zufällig“ in die Zellen des Bindegewebes, um von hier aus in andere Nährzellen zu dringen. Daß die Membranen jener Zellen sehr durchlässig sind, ist auch andrerseits zur Genüge beobachtet, und wir werden davon gleich weiter hören; zudem handelt es sich noch um wandernde Flüssigkeiten. Das Wort „zufällig“ bedarf einer Begründung, welche ich jedoch erst später bringen kann. Bei gutgenährten Spinnen finden sich innerhalb der Bindegewebs- zellen Nahrungskugeln, aber nur jene durch Pikrinsäure resp. Eisen- hämatoxylin färbbaren, sowie die in Form von Krystallen auftretenden Stoffwechselprodukte (Fig. 8 Kr). Vermißt werden dagegen die braunen resp. roten kugligen Produkte, welche sich in den Nähr- zellen am apicalen Ende ansammeln und ins Lumen entleert werden. Die Nahrungskugeln können natürlich in das Bindegewebe nur aus den Nährzellen gelangen, und ich glaube, daß wir berechtigt sind, auch für die tafel- und säulenförmigen Krystalle, wenigstens für einen Teil, dasselbe annehmen zu dürfen. Letztere finden sich hier, wenn die Nährzellen von ihnen erfüllt sind, oft in größter Menge. BERTKAU, welcher von intracellulärer Verdauung bei Spinnen noch nichts wußte, beobachtete, daß „das Zwischengewebe zur Zeit reichlicher Nahrungsaufnahme dicht mit kleinen Kugeln erfüllt (ist), die sich mit Osmiumsäure rasch schwärzen“. Es ist wohl sicher, daß diese Kugeln aufgenommene Nahrung waren. Verdauungsvorgänge bei den Araneiden. 267 Was geschieht mit den Nahrungskugeln im Bindegewebe ? Wenn wir uns vergegenwärtigen, daß wir außer ihnen dort Fermente und Stoffwechselprodukte antreffen, so sollte man meinen, es würde in den fraglichen Zellen verdaut. Nach reiflicher Prüfung komme ich aber zu dem Schluß, daß davon nicht die Rede sein kann. Folgende Gründe sind für mich maßgebend: 1. erhalten niemals die gelben Nahrungskugeln die uns aus den Nährzellen (Fig. 9) bekannten rötlichen Pünktchen, von denen ich annehme, daß sie unter der Einwirkung von Secreten entstehen, und 2. finden sich innerhalb des Bindegewebes ebensowenig die be- kannten braunen und roten Kugeln, welche Endprodukte des Stoff- wechsels sind (U). Aus diesen beiden Gründen glaube ich mich berechtigt, die An- nahme eines Verdauungsvorganges innerhalb des Bindegewebes ab- lehnen zu dürfen, und bezeichnete das Vorhandensein der Ferment- tröpfchen in ihm als „zufällig“. Bereits BERTKAU war der Ansicht, daß das Bindegewebe der Arachniden den Fettkörper der Insecten vertrete. Und darin hat er vollständig recht. Demnach wäre es als Speicher- und Excretionsorgan aufzufassen. Daß das betreffende Gewebe bei guter Ernährung Nahrungsstoffe aufspeichert, wissen wir, und daß diese hier keiner Verdauung unterliegen, scheint auch sicher. Folglich müssen die Nahrungskugeln wieder zurück in die Nährzellen, wenn sie überhaupt dem Körper nützen sollen. Ver- schwunden sind sie bei hungernden Spinnen. BERNARD, welcher die „Peritonealzellen“ (Bindegewebszellen) leer von Speisestoffen fand (er hatte Spinnen zur Winterszeit unter- sucht), sah jene, auf BertkAau’s Beobachtungen fußend, als provi- sorisches Depot an, in welches während günstiger Ernährungs- bedingungen Nahrung überführt werde; in Hungerzeiten wandere diese wieder ab in die Epithelzellen der „Leber“, um hier verdaut zu werden. Ich huldige derselben Auffassung. Andrerseits hält es BERNARD nicht für unmöglich, daß die Peritonealzellen „normal oder anormal“ die Nahrungskugeln für sich verdauen. Doch dürfen wir hierbei nicht vergessen, daß er hier nur eine Hypothese konstruiert, da er am Material das Verhalten der Nahrung nicht studieren konnte. Daß das Bindegewebe auch der Excretion dient, scheint mir nicht sowohl daraus hervorzugehen, daß sich in ihm die bekannten Krystalle finden, denn diese könnten auch aus den Nährzellen ein- gewandert sein, als vielmehr daraus, daß in ihm innerhalb der Kerne 268 Ernst OERTOKE, die grünen Guaninkugeln entstehen. Es ist auch möglich, daß die Zellen aus den assimilierten Säften die Krystalle (Xr) excernieren. Eine Differenzierung wie beim Fettkörper in (Fett) speichernde und Excretionszellen hat im Bindegewebe der Spinnen nicht statt- sefunden. Bei dem primitiven Verhalten, welches die „Leber“ zeigt, ist das auch nicht zu erwarten. BERLESE nennt das Bindegewebe Matrix, weil er annimmt, daß bei den Arachnidae von ihm aus eine Regeneration des „Leber“epithels ausgeht. Dann würden die ento- dermalen Epithelzellen ersetzt von mesodermalen Zellen. Ich bedauere, über die Regeneration der „Leber“zellen nicht das Geringste mitteilen zu können. Das Verhalten des „Leber“epithels wie auch des Darmepithels während der Häutung konnte ich leider aus Mangel an Material nicht untersuchen. In den wenigen Fällen, welche sich in der Ge- fangenschaft abspielten, fand die Häutung des Nachts statt. Darmkanal und MALPIGHTsche Gefäße. Es bleibt mir nur noch übrig mitzuteilen, welche Veränderungen ich während der verschiedenen Verdauungsetappen an dem Epithel des abdominalen Darmes und seiner Anhänge, der Maupreni’schen Gefäße, gefunden habe. Vorausgeschickt sei eine Beschreibung ihrer topographischen Verhältnisse. Der Mitteldarm, welcher durch den Hinterleibsstiel in das Fig. A. Abdomen eingetreten ist, liegt median (Textfig. A). Er wendet sich zunächst nach der Dorsalseite und zeigt anfangs geringes Lumen, welches sich bald erweitert, und steigt alsdann bei gleichzeitiger Verdauungsvorgänge bei den Araneiden. 269 Verengerung seines Lumens abwärts, am Ende eine große, nach vorn gerichtete dorsale Ausstülpung, den Cloacalsack, bildend. Aus diesem führt ein kurzer Enddarm nach außen. Bevor der Mitteldarm in die Cloake eingetreten ist, hat diese jederseits, links und rechts vom Darmkanal, einen Sammelgang der Mazricarschen Gefäße aufgenommen. Diese selbst sind in dem die Leberfollikel umschließenden Bindegewebe überall zerstreut anzutreffen (Fig. 1 VM); ihr Lumen ist meistens außerordentlich klein. Ihre Abstammung vom Entoderm ist durch neuere entwicklungsgeschicht- liche Untersuchungen sichergestellt. Ich beschreibe im Folgenden zuerst die histologischen Befunde des Epithels von Darm und Mazrréexrschen Gefäßen bei Tegenarien, welche einige Zeit gehungert haben, deren Nährzellen also nur noch wenig Nahrungskugeln enthalten. Der im Abdomen verlaufende Mitteldarm läßt sich in drei Ab- schnitte zerlegen, deren Verschiedenheiten durch das Epithel hervor- gerufen werden. In der Textfigur habe ich jene mit I, IT und III bezeichnet. Der aufsteigende Schenkel des Darmkanals (I) zeigt ein Epithel, welches sich in nichts von dem der „Leber“ unter- scheidet, also Nährzellen und Drüsenzellen enthält, „so daß man auf einer Reihe von Querschnitten oft den Darm vergeblich sucht“ (BEerTKAU). Die Nährzellen überwiegen hier allerdings in noch höherem Maße als in der Mitteldarmdrüse. In diesem Darmteile sowie in dem folgenden etwa an der höchsten Stelle, welche der Darm überhaupt im Körper der Spinne einnimmt, liegen die Mün- dungen der „Leber“ in den Darm. An dem zuletzt bezeichneten Ort hat das Epithel schon ein anderes Aussehen gewonnen; es ist von jetzt ab homomorph, doch sind die Zellen im ct Il = III voneinander verschieden. Das Lumen des Darmkanals hat an der Stelle, weiche der Dorsalfläche am nächsten liegt, einen Durchmesser von 275 w und mehr erreicht und verringert sich im absteigenden Teile ganz er- heblich. Das Epithel des II. Darmteiles (Fig. 11) besteht aus wenig hohen Zellen, welche, da ihre Grenzen ganz verschwinden, einen einzigen Plasmastrang bilden. Die Länge der Zellen beträgt 8—12 u. Das Plasma, welches sich bei den hungernden Tieren schwach gelb- lich färbt‘), erscheint in feinsten Pünktchen und läßt oft deutlich eine Längsstruierung erkennen. Mitunter finden sich im apicalen 1) Färbung hier wie im folgenden nach VAN GIESON. Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Zool. u. Physiol. 18 270 ERNST OETCKE, Teile einige kleine Vacuolen (V). Der Kern liegt der Basalfläche senähert und entspricht dem der Nährzellen aus der „Leber“. Ein Stäbchensaum kommt an keiner Stelle des Darmes vor. Im folgenden Abschnitt (III), dessen größter Teil unter der Cloake liegt, werden die Epithelzellen (Fig. 12) höher und ausge- sprochen cylinderförmig (Länge 40 « und mehr). Nicht immer, aber doch dann und wann, bietet es den von BErTkAU beschriebenen Anblick, daß nämlich auf Querschnitten das Lumen sternförmig ist, weil höhere und niedere Zellen miteinander abwechseln. Die Zell- grenzen sind oft gut zu erkennen. Das feinkörnige Plasma, das sich gelblich tingiert, ist deutlich längsstruiert und weist, besonders am apicalen Teile, reichlich kleine Vacuolen auf. Der basal gelegene ovale Kern ist größer als der aus den Zellen des II. Abschnitts. Sein Längendurchmesser beträgt 9 u, sein Breitendurchmesser 7 u. Im übrigen konstatiere ich zwischen beiden keinen Unterschied. In der Nähe der Mündung in den Cloacalsack ist das Lumen des Darmes so eng geworden, daß sein Durchmesser nur wenig mehr als 20 u mißt. Die Cloake (BERTKAU), Mastdarmtasche (Wasmanx), poche sterco- rale (PLATEAU), also jene dorsale Ausstülpung des Mitteldarmes, ist von ansehnlicher Größe. Bei einer Tegenaria, deren Abdomen 3,3 mm lang und 2,4 mm breit ist, hat der Cloacalsack eine Länge von 1,2 mm und eine Breite von 0,6 mm. Ausgekleidet wird er von einem hohen Cylinder- epithel (Länge ca. 40—50 u) (Fig. 15), welches dem des zuletzt er- wähnten Darmteiles (III) entspricht. Deshalb sehe ich von einer besonderen Beschreibung ab. Es darf nicht verschwiegen werden, daß mitunter das Cloakenepithel von nur geringer Höhe angetroffen wird und Zellgrenzen durchaus nicht erkennen läßt. Eine Beziehung dieses Verhaltens zu bestimmten Ernährungszuständen der Spinnen habe ich nicht aufdecken können. Fast zu allen Zeiten, wenn die Spinnen hungern oder sich eines regen Stoffwechsels erfreuen, ist die Cloake von Excrementen erfüllt und zwar in folgender typischer Weise (Textfig. B): In der Mitte des Lumens liegen in verschieden großer Zahl kleinere und größere, eiförmige Kotballen, von denen jeder von einer blauen, strukturlosen Membran umschlossen ist. Diese Ballen bestehen aus den aus den Nährzellen bekannten braunen und roten Uraten und aus Krystallen. Wir wissen, daß sich die apicalen, excretbeladenen Enden der Nähr- zellen ablösen, ins Lumen der Drüse gelangen und sich dort ver- Verdauungsvorgänge bei den Araneiden. 271 einigen. Der Darm führt sie in die Cloake. Zwischen den Kot- ballen und diesen einerseits und den Epithelzellen des Cloacalsackes andererseits liegt eine dichte Masse von ganz winzigen, kugeligen, stark lichtbrechenden Guaninkörpern, welche zum größten Teile aus dorsal Guanin Epithel des ; Cloacalsackes "= | LG Ballen von + sr Stoffwechselprodukten x = ee PERS 77 CR \ #2 eportemerPumetes |. e_ “a Enddarm Mitteldarm Fig. B. den Maupienr’schen Gefäßen stammen. Nie werden sie zwischen den von der blauen Hülle umgebenen Excreten angetroffen. Daraus geht hervor, wie BERLESE richtig schloß, daß die Membran gebildet sein muß, ehe die Massen in die Cloake gelangen. Auch bereits im Darmkanal und in den „Leber“lumina sind die Excremente von einer Hülle umgeben. Ihre Bildung muß demnach in die Lumina der Mitteldarmdrüse verlegt werden; das Material scheinen die Nährzellen zu secernieren. Leider sind meine Befunde in dieser Beziehung nicht ganz eindeutig. Ich habe schon früher darauf hingewiesen, daß BERLESE die tafel- und säulenförmigen Krystalle aus den Nährzellen in dem Cloacalsack nicht hat auffinden können, wohingegen ich sie hier häufig fand, ja, in einem Falle nichts anderes von der blauen Hülle umschlossen als nur sie. Zu beachten ist, daß die Excremente der Araneiden nur aus Excreten (Endprodukten des Stoffwechsels) bestehen, zwischen welchen keine Fäcalien, die den Geweben nie angehört hätten, vor- kommen. Immer habe ich gefunden, daß der Inhalt der Cloake erst dann entleert wird, wenn die Spinne, mag sie auch noch so lange hungern, wieder Gelegenheit zum Fressen hat. Die Exeremente gelangen durch den kurzen Enddarm ins Freie. 18* 272 ERNST OETCKE, Er beschreibt einen nach der Rückenseite hin offenen Bogen; sein Epithel besteht aus Cylinderzellen, welche dorsal höher sind als ventral. Da ich während aller Stadien die Zellen gleichförmig an- getroffen habe, scheint er zu den Verdauungsvorgängen in keiner Beziehung zu stehen. Mit der Nahrungsmasse kommt er in keine Berührung. Die Matrieur’schen Gefäße bieten auf Querschnitten folgendes Bild (Fig. 1 VM): Auf einer dünnen, kernführenden Tunica sitzt ein kubisches Epithel, welches von nur wenig Zellen gebildet wird. Meist trifft man nur zwei bis drei Kerne an. Die Zellgrenzen sind nicht zu erkennen; das Plasma färbt sich nur schwach. Die Kerne sind oval und in der Art der Kerne der Nährzellen ausgebildet. Immer werden in den Zellen, bedeutend mehr noch im Lumen der Gefäbe, jene aus dem Inhalt der Cloake bekannten Guaninkrystalle angetroffen, welche oft die Gefäße prall füllen (Fig. 1 g) Die vorhin erwähnten Sammelgänge führen sie der Cloake zu. Es ist gleichgültig, ob die Spinnen hungern oder lebhaft ver- dauen, diese Excrete finden sich immer. Daß Guanin excerniert wird, ist seit langem bekannt. Ich komme jetzt auf einige Tatsachen aus der Geschichte des Epithels des Mitteldarmes wie der Cloake während der Verdauungs- vorgänge zu sprechen, welche den Autoren bisher vollständig ent- sangen sind. Wenn man eine Spinne etwa 2 Stunden nach Beginn der Nah- rungsaufnahme konserviert und untersucht, findet man das Darm- epithel des IL und III. Abschnitts (Fig. 13 u. 14 f) besetzt von kleinen, meistens intensiv blauen Tröpfchen, welche sich besonders an den apicalen Enden häufen. Viele von ihnen liegen namentlich in dem unter der Cloake gelegenen Darmteile in den Vacuolen. Das gesamte Epithel hat eine bläuliche Farbe erhalten. Mit Sicherheit habe ich an einer Reihe von Fällen konstatieren können, daß diese Trépfchen aus den Drüsenzellen der „Leber“ stammen; denn manche von ihnen zeigen sich innerhalb des Darmepithels genau so kon- zentrisch geschichtet (blasser Rand und intensiver „Kern“) wie in den Drüsen- und Nährzellen selber. Daß die Fermenttröpfchen aus den Drüsenzellen in die Nährzellen und in das Zwischengewebe gehen, wissen wir, und alle diese sind mehr oder weniger von den Trépfchen erfüllt, wenn die Darmzellen sie enthalten. In diesen sind sie plötzlich da; davon, daß etwa die Zellen des Darmes selber Secret bereiteten, ist durchaus nichts wahrgenommen. Die Därme Verdauungsvorgänge bei den Araneiden. 273 von Spinnen, welche einige Zeit ohne Nahrung gelebt haben, zeigen niemals die Tröpfchen. Stets werden dagegen diese beobachtet, wenn die Drüsenzellen sich ihres Inhaltes entleeren oder schon entleert haben. Die Fermenttrépfchen treten ins Darmlumen aus und ver- blassen. Sie mischen sich mit der Nahrungsmasse, wodurch sie einen bläulichen Ton erhält. Im Cloakensack werden die Tröpfehen stets vermißt. Ich wiederhole, daß ich von einem Secretionsvorgang der Epithelzellen des Darmes (II und III) selber nichts habe bemerken können. Eine andere Frage ist die nach der Resorptionsfähigkeit der Darmzellen. Gewöhnlich kommt die aufgenommene Nahrung nur in Berührung mit den Zellen des I. und II. Darmabschnitts. Im I. verhält sich das Epithel wie das der „Leber“, mit welchem es ja auch morphologisch übereinstimmt, im II. findet eine Resorption, wenigstens in der Weise der Nährzellen, nicht statt, und ebensowenig im II. Und von einer Resorption der bereits gänzlich verdauten Nahrung, welche BERLESE besonders im vorderen Teile des abdominalen Mittel- darmes geschehen läßt, kann keine Rede sein, da diese gar nicht in den Darmkanal gelangt. Dieser scheint mir nach allem jede be- sondere Funktion aufgegeben zu haben und nur noch als Rohr zu dienen, welches die aus der intracellulären Verdauung abgeflossenen Endprodukte des Stoffwechsels aus der „Leber“ in den Cloacalsack führt. Die enorme Ausdehnung der verdauenden Mitteldarmdrüse dürfte auch eine andere Tätigkeit des morphologisch nur kümmer- lich erscheinenden Darmes überflüssig machen. Das Epithel des Cloacalsackes, welchen wir bisher als Depot für die Excremente kennen gelernt haben, erfüllt jedoch eine be- sondere, bislang übersehene Aufgabe. Bei fast allen Tegenarien, mit Ausnahme von solchen, welche eine längere Hungerperiode erlitten haben, finden sich in den Epithelzellen der Cloake in großer Menge jene konzentrisch geschichteten, kugligen, gelblichen Körper (Fig. 15 Sph), welche wir zwischen den Nahrungskugeln in den Nähr- zellen auf Fig. 7 u. 9 antreffen und Urate sein sollen (BERLESE). Sie liegen zum größten Teil in kleinen Vacuolen und treten in das Lumen des Sackes aus, zeigen dann aber die specifische Form der Guaninkrystalle. Das Epithel der Cloake excerniert aus der assimilierten Nahrung die „geschichteten Sphäriten“, und so hätten wir nicht nur der so- 274 Ernst OETOKE, genannten Leber und den Mauriscurschen Gefäßen, sondern auch dem Cloacalsack excretorische Funktion zuzuerkennen. Literaturverzeichnis. 1812. TREVIRANUS, Ueber den Bau der Arachniden, in: Ztschr. Physiol. 1836. Dusks, Observations sur les Aranéides, in: Ann. Sc. nat. (2), Zool., Vol. 6. 1842. GRUBE, Einige Resultate aus Untersuchungen über die Anatomie der Araneiden, in: Arch. Anat. Physiol. 1846. WASSMANN, Beiträge zur Anatomie der Spinnen, in: Abh. naturw. Ver. Hamburg. 1846. MECKEL, Mikrographie einiger Drüsenapparate der niederen Tiere, in: Arch. Anat. Physiol. 1881. SCHIMKEWITSCH, Sur l’anatomie de l’Epeire, in: Zool. Anz. 1882. 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Sämtliche Abbildungen beziehen sich auf Tegenaria domestica. Tafel 3. Fig. 1. „Leber“- und Bindegewebszellen einer im Winter gefangenen, ungefiitterten Tegenaria. Fig. 2. „Leber“zellen einer ebenfalls im Winter erbeuteten Spinne; 11}, Std. nach Beginn der Nahrungsaufnahme. Fig. 3. Wie bei Fig. 2; 3 Std. nach Beginn der Nahrungsaufnahme. Fig. 4 Drüsenzelle kurz nach Entleerung ihres Secrets. Fig. 5. Drüsenzelle bei Neubildung von Secret. Fig. 6. Einzelne Nahrungskugeln; Färbung mit Eisenhämatoxylin. a frisch gebildete Nahrungskugeln, 8—0 solche während der Umbildung in schwarze, & vollständig geschwärzte. Fig. 7. Nährzelle, mit Nahrungskugeln gefüllt. Fig. 8. Nährzelle, mit Krystallen gefüllt. Fig. 9. Nährzellen einer stark gefütterten Spinne. Fig. 10. Nährzelle einer Hungers gestorbenen Tegenaria. Konser- vierung höchstens !/, Std. nach erfolgtem Tode. Ian, UL ; des II. Abschnitts. ie, Woe MEME Fig. 13. Mitteldarmepithel des II. Abschn. | 2 Std. nach Beginn Fig. 14. Mitteldarmepithel des III. Abschn. ies Nahrungsaufnahme. Fig. 15. Epithel des Cloacalsackes. Nachdruck verboten. Übersetzungsrecht vorbehalten. Sul Meccanismi Nervosi, che regolano la Coordina- zione dei Movimenti Locomotorii nei Diplopodi. Ricerche Sperimentali di Antonino Clementi. (Dal Laboratorio di Fisiologia della R. Universita di Roma, diretto dal Prof. L. LucıAnt.) Con 7 figure nel testo. Un’ analisi sperimentale completa della locomozione dei Diplopodi e delle condizioni che regolano il meccanismo della coordinazione dei loro movimenti ambulatori non & stata finora eseguita; eppure quello offertoci dai Diplopodi (Iulidi) à per certo uno dei casi piu tipici di locomozione complessa che possiamo riscontrare tra gli animali a zampe articolate. Ho creduto quindi di non piccolo inter- esse per la fisiologia del sistema nervoso in genere e per la fisio- logia della locomozione in ispecie di fare ricerche sperimentali intese a Indagare i meccanismi nervosi grazie ai quali la coordinazione dei movimenti di locomozione nei Diplopodi avviene Tre fini ho avuto specialmente di mira nel fare le mie esperienze: 1. stabilire il modo con cui la locomozione normalmente si svolge; 2. ricer- care se la coordinazione dei movimenti locomotori permane, dopo che la catena nervosa sia stata in uno o in piu punti interrotta, srazie all esistenza di meccanismi che abbiano una localizzazione 218 ANTONINO ÜLEMENTI, segmentale; 3. studiare infine i riflessi che in rapporto alla lo- comozione insorgono nei singoli segmenti per |’ applicazione di stimoli svariati. Le ricerche sulle funzioni del sistema nervoso centrale dei Miriopodi in genere e dei Diplopodi in ispecie non sono molto numerose.!) Cizp?) trovö che nel Lithobius i fattori necessari ai movimenti coordinati sono contenuti in ogni metamero; ogni segmento di tre metameri puo reagire agli stimoli con movimenti di locomozione. Anche STEINER?) trovö che nel Lithobius, Geophilus e Iulus VY asporta- zione del segmento cefalico non impedisce la locomozione. Il taglio unilaterale della commissura esofagea determina secondo questo autore nel Julus terrestris, movimenti circolari intorno alla parte non tagliata. Caruson*) nei Chilopodi trovö che 1 movimenti locomotori e il riflesso di posizione sono indipendenti dai gangli esofagei poiche gli individui decapitati presentano reazioni uguali a quelle dei normali; essi possono sopravvivere molto a lungo da tre giorni (Scolopendrella) a 12 (Stjlolemus); il Diplopode Zulus, secondo CARLSON si comporta diversamente, se esso viene tagliato nel mezzo del corpo allora la coordinazione dei movimenti della meta posteriore viene turbata. La parte anteriore continua per poco tempo a muoversi; poi dopo dieci o venti minuti la coordinazione sparisce e la morte sopravviene; lo stesso avverrebbe anche quando l’animale & deca- pitato. Il modo in cui si compie la locomozione dei Diplopodi è d’altra parte ancora non sufficientemente noto. Il Larzren®) ha dato su cid qualche cenno di poco conto. Il GAUBERT‘) confessa, che non ha potuto osservare nulla di preciso a causa della rapidità del moto dei piedi, che offre ad una esatta osservazione gravi difficolta. 1) BAGLIONI, S., Handb. vergl. Physiol., Vol. 4, Physiologie der Reizaufnahme, Reizleitung und Reizbeantwortung, p. 301—304, Miriopoda. 2) Cain, The function of the nervous system of the Myriapoda, in: Amer. Natural., 1892. 3) STEINER, Die Funktionen des Zentralnervensystems und ihre Phylogenese, Abt. 3, Die wirbellosen Tiere, Braunschweig 1898. 4) CARLSON, A. Y., Contributions to the physiology of the central nerve cord of Myriapoda, in: Journ. exper. Zool., Vol. 1, 1904. 5) LATZEL, Die Myriapoden der Oesterreichisch-Ungarischen Monarchie, II., Wien, 1882. 6) GAUBERT, Sur la locomotion des Arthropodes, in: Bull. Soc. philom. Paris, 1890. Sistema nervoso centrale dei Diplopodi. 279 Rossi, G.!) è stato il primo a fare una descrizione esatta dell’ ordine con cui nei Diplopodi si muovono gli arti; perd quella sua & una descrizione puramente obiettiva; egli non ricercù i fattori del de- terminismo della speciale disposizione assunta dagli arti. Riguardo ai movimenti che eseguiscono i metameri durante la locomozione, e che io ho potuto osservare, ne il Rossı ne altri che io mi sappia da alcuna notizia. | I. Locomozione dell’ animale normale. Disposizione delle zampe. La descrizione della locomozione normale dei Iulidi che io qui faccio l’ho ricavata da lunghe e pazienti osservazioni. Le zampe numerosissime distribuite in numero di due paia per ogni metamero si presentano, nell’ Julus che si locomove, raggruppate, rispetto alla fase del movimento in cui si trovano, in gruppi di due specie che si succedono e si spostano incessantemente e successivamente ad inter- valli uguali dall’indietro in avanti (Fig. A). Nei gruppi della prima categoria (a) le zampe sono ravvicinate le une alle altre si da venire a contatto colle loro estremitä che non aderiscono al piano di locomo- zione (Fig. B2). Nei gruppi della seconda categoria (b) viceversa le zampe hanno le une rispetto alle altre una direzione divergente, mentre sono aderenti al piano di locomozione (Fig. B). Io credo che molto opportunamente si potrebbe applicare ad essi la stessa denomi- nazione di “Verdickungswelle” e “Verdünnungswelle” rispettivamente, che il FRIEDLANDER?) adoperd nel descrivere la locomozione del Lumbricus, per indicare i diversi aggruppamenti in cui si presentano distribuiti i metameri durante le fasi della locomozione di questo animale. Per conoscere i fattori di una tale disposizione delle zampe durante la locomozione, ho analizzato le fasi essenziali del movi- mento ambulatorio di un singolo paio di zampe; ed ecco quanto ho potuto assodare: in un primo istante le zampe si presentano nella posizione di massima inclinazione dall’avanti all’indietro e sono aderenti al piano di locomozione (Fig. C 1); in questo 1) Rossı, GIOVAnNI, Sulla locomozione dei Miriopodi, in: Atti Soc. Ligust., Anno 12, Vol. 12, 1901. 2) FRIEDLÄNDER, B., Beiträge zur Physiologie des Zentralnerven- systems und des Bewegungsmechanismus der Regenwürmer, in: Arch. ges. Physiol., Vol. 58, 1894, p. 168—206. 280 ANTONINO CLEMENTI, momento le zampe si sollevano e compiono un rapido movimento in avanti acquistando cosi una posizione di massima inclinazione dal- l'indietro in avanti rispetto all’asse longitudinale del corpo, allora 8 AA UE LAON UE OA Lt CELLES ve + 4 i we, wo “ 4. EAN LISTET EL LIST IS AL LIT ET _ à a ° : u ER $ i 73 + ees i 4e i 3 FRE 17327 : j x & é I8/8 F Wad 522 aA ÿ i raid ef #alei i Fig. B. | Fig. C. Fig. A. Julus visto dall’ alto: si osserva la caratteristica disposizione delle zampe durante la locomozione. «a Verdickungswelle. b Verdünnungswelle (Rap- presentazione semi-schematica). Fig. B. 1 Zulus visto di fianco: si possono osservare i caratteristici aggruppa- menti delle zampe a la disposizione dei rispettivi metameri. 2 Un segmento del- l’animale della figura precedente ingrandito. 3 Posizione di due paia di zampe al confine tra due diversi aggruppamenti nel momento in cui arriva l’onda di sposta- . mento Verdickungswelle (semischematica). Fig. ©. Posizioni successive assunte dagli arti durante l’avanzamento di un metamero. 1 Posizione di massima inclinazione dall’ avanti all’ indietro degli arti. 2 Posizione di massima inclinazione dall’ indietro in avanti degli arti, dopo che é avvenuto il riflesso di sollevamento e di avanzamento dei medesimi. 3 Momento in cui il metamero si € avanzato e le zampe hanno acquistato una direzione per- pendicolare all’ asse longitudinale dell’ animale.‘ 4 Ritorno alla posizione di massima inclinazione delle zampe dall’ avanti all’ indietro in seguito all’ ulteriore avanza- mento del metamero corrispondente. si fissano con forza sul piano di locomozione (Fig. C 2); quindi pren- dendo per punto di appoggio il terreno esse esercitano una trazione Sistema nervoso centrale dei Diplopodi. 281 sul metamero corrispondente, che cosi per la loro attivita da una parte e per la spinta dei metameri seguenti e la trazione degli ante- cedenti si sposta in avanti, mentre le zampe in un primo momento sono perpendicolari all’ asse longitudinale e in un secondo momento ritornano alla posizione primitiva di massima inclinazione dall’ avanti all’ indietro (Fig. C 3—4). Cid posto diventa più chiara a compren- dersi la genesi dei raggruppamenti delle zampe di cui abbiamo dapprima parlato. I gruppi di zampe della prima categoria (Ver- dickungswellen) sono determinate dall’ incontro delle zampe che gia sollevate si spostano dall’indietro in avanti e da quelle che si tro- vano nella posizione di massima inclinazione dall’ avanti all’ indietro e cominciano allora a sollevarsi e a spostarsi (Fig. B 3); si com- prende cosi la ragione del contatto delle loro estremita e la dire- zione convergente del loro asse. I gruppi delle zampe della seconda categoria (Verdünnungswellen) sono in rapporto di dipendenza colla posizione che assumono le zampe nelle fasi successive intercorrenti durante lo spostamento dei metameri in avanti, tra la posizione di inclinazione dall indietro in avanti e quella di inclinazione dal- Vavanti all’ indietro; si comprende quindi il perchè della loro dire- zione divergente e della aderenza delle loro estremita al piano di locomozione. Disposizione dei metameri. Parallelamente alla formazione di questi aggruppamenti che presentano le zampe, si presenta spesso nei soggetti più lunghi e più robusti una orientazione speciale:dei metameri corrispondenti nella loro reciproca posizione (Fig. B 1—2); i metameri dei gruppi della prima categoria nel loro insieme descrivono una curva a con- cavita in basso, perchè sono più ravvicinati nella loro meta ventrale, laddove 1 metameri dei gruppi della seconda categoria sono piu ravvicinati nella loro meta dorsale e quindi descrivono una curva a concavità in alto. Il rapporto che esiste tra la posizione dei meta- meri e quella delle zampe corrispondenti à troppo evidente perche io vi debba insistere; è chiaro che tale posizione assunta dai meta- meri è dovuta alla contrazione dei muscoli che regolano l’articola- zione reciproca dei singoli segmenti e che essa ha lo scopo di con- tribuire insieme colle zampe allo spostamento progressivo del corpo. Infatti se noi, mentre un Julus si muove, ostacoliamo la sua progres- sione esercitando una leggera pressione in un punto del corpo nella sua meta anteriore, vediamo che i suddescritti movimenti dei meta- 282 ANTONINO CLEMENTI, meri indipendenti da quelli delle zampe diventano accentua- tissimi e sono spesso essi solo sufficienti a che Il’ animale possa vincere |’ ostacolo. Questi movimenti dei metameri hanno lo scopo di favorire l’azione degli arti nel promuovere la progressione del corpo; ho creduto quindidi applicare ad essi la denominazone ,,Movi- menti Locomotorii Ausiliarii“. In virtü della stessa ragione che la determina, questa distribuzione a gruppi delle zampe e dei metameri deve essere, come si comprende facilmente, dinamica; cioè i gruppi si spostano dall’indietro in avanti ad intervalli uguali e costanti. Inizio della Locomozione. (Juando |’ animale passa dalla posizione di riposo a quella di moto si pud osservare che il movimento si inizia dalle zampe dei metameri anteriori; poi si diffonde successivamente per gradi alle zampe dei metameri seguenti e si ha I’ impressione, come se tale diffusione accadesse in seguito alla trazione esercitata dai meta- meri gia in moto su quelli che sono ancora in riposo. Vedremo come questa osservazione coincida con quanto si puö rilevare durante la locomozione dopo la sezione della catena gangliare. Moto regressivo. Il moto regressivo si osserva raramente: se mentre |’ animale si locomove, gli si afferra per un istante il segmento cefalico, allora si possono vedere insorgere delle onde di movimento delle zampe, in cui il senso del loro spostamento & completamente invertito e opposto a quello da noi descritto: non tarda perd subito dopo a succedere il movimento progressivo che acquista naturalmente la direzione primitiva. Un caso analogo di movimento regressivo si puö osser- vare quando si apra il coperchio della scatola, in cui gl’ [ulidi stanno racchiusi al buio assopiti in posizione di estensione; appena essi sono colpiti dallo stimolo luminoso incurvano 1l capo in basso, come per difendersi da una sensazione molesta e si locomovono per alcuni secondi dall avanti all’ indietro. Il. Effetti della Sezione della catena nervosa sulla Locomozione. In una prima serie di esperienze ho studiato la locomozione dopo che & stata praticata la separazione della catena nervosa Sistema nervoso centrale dei Diplopodi. 283 dall’anello nervoso esofageo. Per raggiungere lo scopo di inter- rompere la conduzione nervosa della catena gangliare mi si pre- sentavano tre possibilitä: o sezionare la catena in un punto limitato del lato ventrale, o sezionare a tutto spessore il corpo dell’animale e unire i due segmenti cosi ottenuti con dei fili, o fare agire in un punto determinato del corpo un narcotico (etere); come si vedrà il primo metodo si è dimostrato il più adatto e il pit semplice all’ ese- cuzione. Tecnica. Nella scelta degli animali & necessario preferire per ragioni ovvie quelli più sviluppati. Gl’ Iulidi di cui mi servii furono spesso raccolti du- rante il periodo invernale, ma rimasero poi a lungo alla temperatura della stanza (18 °—20 ©) per cui il loro stato di letargo veniva sospeso. Per la sezione della catena gangliare & duopo servirsi di forbici a punte sotti- lissime ; asportate le zampe di due o tre segmenti, si avra cura di limitare per quanto é possibile alla sola meta ventrale del metamero corrispondente il taglio e di asciugare con carta bibula il sangue, che fuoriesce abbon- dante per impedire che esso vada sulle zampe e disturbi lo svolgersi normale dei movimenti locomotori. Influenza dell’asportazione delle zampe sulla coordinazione. Mi son assicurato dapprima, che il contatto delle estremita degli arti non rappresenti la condizione stimolante periferica a cui si debba ricondurre il meccanismo della coordinazione dei movimenti ambu- latori, come potrebbe fare pensare la descrizione che noi abbiamo dato della locomozione normale di questi animali. A tal uopo rife- risco dal protocollo la seguente esperienza: Esperienza V. — Dicembre 1909 — Ore 10 — Temperatura 20° — Julus, lunghezza cm 6,5 — diametro cm 0,6. Si locomove spon- taneamente alla luce diffusa della stanza; messo alla penombra tende ad assopirsi. A due centimetri dall’ estremo caudale si asportano le zampe corrispondenti a 9 metameri che si estendono per la lunghezza di 1 cm; l’animale reagisce al taglio con movimenti di contorcimento; ritorna tosto a locomoversi. La coordinazione permane nel senso indicato dalla Fig. D, cioé al movimento in avanti della prima coppia di zampe del segmento posteriore succede immediatamente quello dell’ ultima del tratto anteriore: se si impedisce all’ animale di proseguire in avanti si osservano movimenti regressivi per tutta la lunghezza del corpo. 284 ANTONINO CLEMENTI, Influenza della sezione della catena sulla coordi- nazione. Dall osservazione dei risultati di tutte le mie esperienze di sezione ventrale della catena nervosa risulta un fatto di notevole importanza, cioè la possibilità del permanere della coordi- nazione dei movimenti ambulatori tra il tratto anteriore e il tratto posteriore al punto in emai catena nervosa è stata’ sezionata. In un primo tempo in seguito al taglio si manifesta nelle zampe del segmento posteriore uno stato pill o meno accentuato di atonia, che porta alla lentezza dei movimenti ambulatori e quindi ad uno stato di grande incoordi- hazione e in fine alla loro cessazione completa (Fig. E): cid aveva gia osservato il CARLSON (1. c.) che percid fu indotto a pensare che la possibilita della coordinazione fosse indissolubilmente legata alla integrita della catena nervosa. Io perd ho proseguito ulteriormente Vosservazione ed ho potuto stabilire che il meccanismo della cooordi- nazione non è stato distrutto dal taglio della catena. Se noi infatti esponiamo l’animale a catena sezionata e che presenta gia 1 feno- meni di incoordinazione, alle radiazioni solari (temp. da 20° a 30°), vediamo dopo un certo periodo di tempo (1‘ a 5‘) 1 movi- menti ambulatori del segmento posteriore farsi mano a mano sempre più rapidi ed energici e manifestarsi una coordinazione perfetta nel diffondersi delle onde di spostamento degli arti dal segmento pos- teriore al segmento anteriore, in modo da dare l’illusione che esso sia perfettamente integro. Riporto integralmente dal protocollo la seguente esperienza. Sistema nervoso centrale dei Diplopodi. 285 Esperienza XI. — 30 Dicembre 1909. — Julus lunghezza cm 6,0 — diametro cm 0,6. A due centimetri e mezzo dall’ estremo cefalico si fa l’ablazione delle zampe di due metameri; la locomozione permane; in corrispondenza di uno dei metameri privi di zampe si fa la sezione ven- trale della catena gangliare; fuoriescono sangue e uova. Il movimento delle zampe nel segmento posteriore si presenta disordinato e lento; si espone l’animale alle radiazioni solari (temp. 30°); dopo alcuni secondi i movimenti ambulatori del tratto posteriore si fanno piü rapidi e piü energici e tendono a coordinarsi con quelli delle zampe del segmento anteriore. Dopo dieci minuti le zampe del secondo segmento hanno già acquistato un tono nor- male sicchè le locomozione generale dell’ animale in nulla differisce da quella di un /ulus normale, e non si riconoscerebbe che la catena gangliare € interrotta se non si osservasse in corrispondenza del punto sezionato la mancanza degli arti. Infatti l’onda di movimento degli arti si propaga con perfetta coordinazione oltre il metamero sezionato, sicché appena cessa il movimento di sollevamento ed avanzamento del primo paio di zampe del segmento posteriore comincia quello dell’ ultimo paio del segmento anteriore e si propaga in avanti. Tale movimento coordinato persiste per qualche minuto dopo che l’animale é pervenuto nell’ ombra, fuori d’azione delle radiazioni solari. Dopo 3 ore l’Zulus & trovato in stato di assopimento all’ ombra. Stimolato si locomove; movimenti ambulatori insorgono negli arti del segmento posteriore quando si rende sensibile la trazione determi- nata dal segmento anteriore, ma sono deboli ed incerti sicché la coordina- zione normale più non si verifica. Riporto un’altra esperienza la quale dimostra come anche quando la catena sia sezionata in più punti, la coordinazione dei movi- menti locomotori pud permanere inalterata. Esperienza XV. — 6 Gennaio 1910. — Julus (grande esemplare) lunghezza cm 8 — diametro cm 0,8. — Temperatura 12°. — Si seziona la catena gangliare ventralmente a 3 cm dall’ estremo cefalico (Fig. F 1) e una seconda sezione si fa 1 cm avanti (Fig. F 2). L’animale risulta cosi diviso in tre segmenti i quali non sono fra loro in rapporto per vie nervose (Fig. F a, b,c). Dopo pochi minuti da che l’animale si comincia a muoversi, si pud constatare una perfetta coordinazione della locomozione, estesa a tutti e tre i segmenti. Si decapita (in 3); il segmento a si arresta e tutto l’animale rimane immobile. Allora si espone il medesimo alle radiazioni solari (temp. 20°) e tosto insorgono movimenti di locomozione nettamente coordinati; si pud rilevare che il momento in cui si ha il sollevamento e l’avanzamento delle ultime zampe del seg- mento b coincide col momento in cui quest’ ultimo per l’avanzarsi del Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Zool. u. Physiol. 19 286 ANTONINO CLEMENTI, segmento c & spostato passivamente in avanti. Tengo a fare rilevare, che il caso qui riferito è il solo in cui mi sia riuscito (tra 1 numerosi altri tentativi falliti) di separare in due punti la catena gangliare pur mantenendo in vita l’animale in condizioni tali da poter fare delle osservazioni prolungate. E importante anche rilevare il fatto che, anche quando non si abbia per ragioni non precisabili (dovute forse ad un eccessivo trauma o ad una speciale debolezza dell’ animale in esperimento una vera e propria coordinazione, pure, ogni onda di locomozione delle zampe, che insorge nel primo segmento (cioé a dire, ogni trazione che il secondo segmento subisce per il progredire del primo), determina linsorgere di movimenti di sollevamente e di avanzamento delle zampe degli ultimi metameri del secondo segmento. Esperienza XVIII. — 2 Febbraio 1911. — Julus lunghezza 8 cm — (temp. 20°) — Ore 12,15 — Si fa la sezione della catena gangliare a cm 3,5 dall’ estremo cefalico. Dopo 1’ si abbandona a se l’animale: esso comincia a locomoversi; per 2’ si puö constatare una perfetta coor- dinazione nel propagarsi dell’ onda di sollevamento e spostamento delle zampe da un segmento all’ altro attraverso il metamero sezionato. Alle 12,25 la coordinazione più non si presenta perché le zampe ael secondo segmento diventano lente e deboli nei movimenti; questa lentezza pero si rileva evidente in corrispondenza dei primi metameri di esso pit vicini alla sezione, laddove gli ultimi presentano ancora un tono considerevole quasi vicino al normale; infatti si pud osservare che ad ogni onda di spostamento che insorge nelle ultime zampe del primo segmento ne insorge corrispondentemente una nelle ultime del secondo, che poi si arresta perd a 1 cm dall’ estremo caudale; se il segmento anteriore si arresta, ogni movimento negli arti del secondo segmento sparisce e si ripresenta solo quando il primo si muove nuovamente in avanti. Interpretazione. Il permanere della locomozione dopo la sezione della catena nervosa dimostra che esistono meccanismi locali segmentali, i quali sono capaci di funzionare anche quando oli elementi nervosi centrali locali non si trovano più in diretta comuni- cazione cogli elementi sovrastanti. Mi preme di far rilevare la parte importante che prende nel determinarsi della coordinazione, dopo il taglio della catena, la trazione passiva che il segmento poste- riore al taglio subisce in seguito ai movimenti attivi del segmento anteriore; questo fatto parla in favore della natura riflessa dei suddetti meccanismi ed è spiegato dalle osservazioni che ho potuto fare, come si vedra, nell’ eseguire l’analisi dei fenomeni riflessi degli arti dopo il taglio della catena gangliare. Sistema nervoso centrale dei Diplopodi. 287 Natura dell’azione esercitata dalle radiazioni solari sulla locomozione. L’azione esercitata dalle radiazioni solari nel risollevare l’atti- vita locomotoria degli arti è certo complessa. Senza escludere che le radiazioni luminose possano contribuire nel determinare il feno- meno, certo dobbiamo ammettere che la parte principale é dovuta dalle radiazionitermiche; infatti se si riscalda come io ho fatto il piano su cui l’Zulus si locomove, si pud vedere l’attività locomo- toria delle zampe ripresentarsi nel secondo segmento se prima mancava, e ristabilirsi una perfetta coordinazione nei movimenti locomotori tra le due meta del corpo. Esperienza XXIII. — 15 Febbraio 1911. — Julus lunghezza 8 cm — (temp. 20°) — Ore 9,15; l’animale alla luce diffusa della stanza è assopito e torpido nei movimenti. Si avvicina la fiamma di una candela alla superficie anteriore del piano cui l’Julws si locomove; si puö rilevare subito un aumento della rapidita della locomozione. — Ore : 9,16; si seziona la catena a 3 cm dal capo; i movimenti locomotori della seconda meta del corpo si rallentano e si disordinano, mentre la prima meta la trae dietro a stento con grande lentezza. — Ore 9,18; si riscalda avvicinando la fiamma di una candela il piano su cui & posto l’animale; dopo pochi secondi questo comincia a muoversi più rapidamente; i movi- menti delle zampe di tutto il corpo si fanno più rapidi e più energici, sparisce l’atonia degli arti del segmento posteriore al taglio e una per- fetta coordinazione si stabilisce nel diffondersi dell’ onda di avanzamento deile zampe attraverso il metamero sezionato. Si allontana la fiamma e il movimento ben tosto si rallenta, la coordinazione sparisce e l’animale si avanza lentamente trascinandosi dietro passivamente la seconda meta del corpo. Se si riscalda di nuovo il piano di locomozione, nuovamente si ripresenta un rapidissimo movimento progressivo dell’ animale perfetta- mente coordinato, come se la catena gangliare fosse perfettamente integra, il quale torna a sparire tostoché si allontana l’azione calorifera della fiamma della candela; cosi si pud ripetere per numerose volte la stessa osser- vazione con uguale risultato. Se perd si produce un eccessivo riscalda- mento insorgono contrazioni dei muscoli intermetamerici e contorsioni disordinate generali che disturbano ed impediscono la locomozione. Interpretazione. Quanto al meccanismo per cui lo stimolo termico agisce, possiamo ammettere che esso sollevi l’eccita- bilita delle cellule nervose e quindi risollevi indi- rettamente il tono prima depresso dei muscoli degli arti. Il fatto poi che l’attivita locomotoria si risolleva e sparisce a se- conda che si avvicini o si allontani lo stimolo termico ci dimostra che il disturbo della locomozione non é effetto dello shock, poiche 19* 288 ANTONINO CLEMENTI, questo una volta sparito non dovrebbe piü ripresentarsi; ma piuttosto deve considerarsi come dovuto a un’abbassamento dello stato tonico neuro-muscolare generale. Il.moto regressivo dopo la sezione della catena gangliare. Il moto regressivo, che si presenta raramente nel normale, Vho potuto osservare parecchie volte dopo la sezione della catena sangliare o dopo la decapitazione; quindi dobbiamo escludere che esso sia legato necessariamente all’ attivita dell’ apparecchio gangliare esofageo. Esperienza XXI. — 13 Febbraio 1911. — ulus, lunghezza 5 cm. — Ore 10,10. Si seziona la catena gangliare a cm 1,5 dal capo; man- canza di coordinazione; ad ogni onda di spostamento e di sollevamento delle ultime zampe del primo segmento, ne insorge costantemente una nelle ultime del secondo segmento la quale non si propaga perd in avanti. — Ore 10,13. Si separa con un taglio a tutto spessore, in corrispondenza del punto in cui si esegui la sezione della catena, la prima dalla seconda meta del corpo; in quest’ ultimo subito dopo il taglio insorgono movimenti regressivi degli arti perfettamente coordinati per la durata di 10 secondi, cessati 1 quali succede una completa immobilita. I movimenti Locomotorii dei Metameri, che come vedemmo si accentuano, quando sia ostacolato in qualche modo il movimento pro- gressivo dell’ animale, non si presentano mai dopo che sia avvenuta la decapitazione o la sezione della catena gangliare; quindi essi sono in diretta dipendenza coll’apparecchio gangliare eso- fageo. Esperimenti sull’azione dell’etere e del taglio a tutto spessore del corpo. Invece di interrompere la catena gangliare col taglio ho ricorso in alcuni casi all’ applicazione dell’ etere in corrispondenza della superficie ventrale di alcuni metameri; perd poiché non si pud bene precisare fino a che punto gli effetti osservati sono dovuti alla inter- ruzione della conduzione nervosa locale o all’ azione generale deri- vata dalla diffusione del narcotico, abbandonai questo metodo dopo alcune esperienze. In genere perd potei osservare come effetto quasi costante dell’ applicazione dell’ etere, un turbamento della coordina- zione dei movimenti ambulatori, che si presentava accompagnato Sistema nervoso centrale dei Diplopodi. 289 dalla lentezza dei medesimi nella seconda metà del corpo analoga a quella che si ha in seguito al taglio. Tentai pure molte volte di eseguire l’esperienza gia fatta da FRIEDLÄNDER, !) BIEDERMANN”) sui Lombrici, cioè la sezione a tutto spessore del corpo e la riunione dei due segmenti mediante fill; perd a causa delle posizioni abnorme che sogliono assumere dopo il taglio i segmenti, non & possibile con questo metodo fare delle osser- vazioni esatte e conclusive. Conclusioni. Dalle riferite esperienze risulta: che; I. La sezione della catena nervosa non abolisce la coordinazione dei movimenti ambulatorii degli arti tra i segmenti a separati dal taglio in modo irreparabile. = 1 IL L’azione delle radiazioni solari termiche = —=. fa riapparire la coordinazione dei movimenti degli =, gs arti tra i due segmenti del corpo separato dal taglio. — == 7 III. Nel segmento privato dei rapporti nervosi 4 == =Z coll apparecchio esofageo il movimento regressivo GI delle zampe & possibile; i movimenti loco- = = motorii ausiliarii dei metameri invece non Si == 2 presentano pit. Se SS Ill. Riflessi osservati nei singoli segmenti dopo b la sezione della catena gangliare. Fig. G. In una seconda serie di esperienze ho studiato Movimento n N = - 2 3 5 . comozione eile i riflessi che si destano nell’ animale decapitato 0 zampe del lato a catena nervosa sezionata, in seguito all’ azione pa no 5 . Ë . 3 allo Spostamento di svariati stimoli. dall’ eh allin- dietro di alcune Riflessi della sensibilità articolare e zampe del lato ] sinistro nel punto muscolare. indicato dalla ay = - agi : freccia (riflesso Ho potuto mettere in evidenza l'esistenza di PM Note riflessi delle zampe riferibili alla loro sensibilità muscolo-tendi- . : MEG) ins hl articolare e muscolare. Questo fatto mi sembra BR LE degno di considerazione, poichè nessun autore ha tena gangliare. 1) FRIEDLÄNDER, B., |. c. 2) BIEDERMANN, Studien zur vergleichenden Physiologie der peri- staltischen Bewegungen, in: Arch. ges. Physiol., Vol. 102, 1904. 290 ANTONINO CLEMENTI, finora nettamente dimostrato l’esistenza di una sensibilita articolare negli invertebrati. Essi ci dicono per quale ragione, la coordinazione puo persistere dopo che sia stata sezionata la catena nervosa. Il fatto principale che ho rilevato é rappresentato dall’ insorgere del riflesso della locomozione progressiva in seguito alla posizione di inclinazione verso l’estremo caudale che si faccia assumere passiva- mente agli arti; infatti, spostando o inclinando dall’ avanti all’in- dietro una o più zampe, insorgono costantemente negli arti del lato opposto normali tipici movimenti di deambulazione, i quali si possono anche osservare in quelli dello stesso lato anteriori o posteriori a minore 0 maggiore distanza dai primi (Fig. G). Interpretazione 4 7 pr + 5 ie : « JENA Rz 00.0... VERLAG VON GUSTAV FISCHER | ee 1912 LE. D ” Inhaltsübersicht. Seite GREIL, ALFRED, Über allgemeine Richtlinien des Entwicklungs- und | Peas ae Vererbingeproblems: CON eg Ae u ie Verlag von GUSTAV FISCHER in JENA. Soeben erschien: Die Süßwasserfauna Deutschlands Eine Exkursionsfauna. Herausgegeben von Prof. Dr. Brauer (Berlin). Heft 14: Rotatoria und Gastrotricha. Bearbeitet von Prof. Dr. A. Collin (Berlin), Dr. H. Dieffenbach (Leipzig), Dr. R. Sachse (Leipzig) und Dr. M. Voigt (Oschatz). Mit 507 Figuren im Text. 1912. Preis: 7 Mark, geb. 7 Mark 60 Pf. Verlag von R. Friedländer & Sohn in Berlin N.W: 6, Carlstr. 11. Das Tierreich. Eine Zusammenstellung und Kennzeichnung der recenten Tierformen. Im Auftrage der Kgl. Preuß. Akademie der Wissenschaften zu Berlin herausgegeben von Franz Eilhard Schulze. Soeben erschien: 28. Lieferung. (Hymenoptera.) Apidae I. Megachilinae. Bearbeitet von Dr. H. Friese (Schwerin i. M.). XXVI und 440 Seiten Groß-Lexikon-Oktav mit 132 Abbildungen im Text. Subskriptionspreis Mark 23,50 — Einzelpreis Mark 32,— Früher erschien über Hymenoptera: 24 Lieferung, Cynipidae, be- arbeitet von K. W. von Dalla Torre (Innsbruck) u. J. J. Kieffer, (Bitsch). XXXV und 891 Seiten mit 422 Abbildungen. 1910. Subskriptionspreis Mark 42,—, Einzelpreis Mark 56,— Die Fauna der deutschen Kolonien. Herausgegeben vom Zoologischen Museum in Berlin. Soeben erschienen: Reihe V: Die Schädlinge der Kulturpflanzen. Heft 1: Allgemeine Ubersicht und Anleitung zum Beobachten, Sammeln und Konservieren von Dr. G. Aulmann. 30 Seiten. 1941.: 8. Mark 1,20. Heft 2: Die Schädlinge des Kaffees von Dr. G. Aulmann u. Dr. W.La Baume. 98Seiten mit 62 Textfiguren. 1911. 8. Mark 2,40. Nachdruck verboten. Übersetzungsrecht vorbehalten. Über allgemeine Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. Beiträge zur allgemeinen Physiologie der tierischen Entwicklung. Von Alfred Greil, Innsbruck. Miisset im Naturbetrachten Immer Eins wie Alles achten. Goethe. Wie vor nahezu vier Dezennien, als EK. Harckez die Vorrede zu seiner Gasträatheorie schrieb, so macht sich auch heutzutage in der modernen biologischen Literatur immer mehr das Bestreben geltend, alte und bewährte Bahnen, klare und leitende Gedanken der Pioniere der biogenetischen Forschung zu vernachlässigen und zu verlassen, um auf neuen Wegen alte Ziele zu erreichen. Die kausale Erkenntnis der Formgestaltung und Organisation war schon von PANDER und C. E. v. Baer, den Pionieren der embryologischen Forschung, welche mit den beschränkten optischen Hilfsmitteln ihrer Zeit den schwierigen Anfang der Klarlegung der einzelnen Etappen und Erscheinungen dieses Geschehens in vollendeter Weise bewältigten, als das Ziel der Forschung erfaßt. C. E. v. BAER, der Altmeister der Entwicklungs- geschichte, erkannte in der Entwicklungsgeschichte „den wahren Lichtträger für die Untersuchung organischer Formen“ und definiert die Entwicklungsgeschichte als eine durchaus physiologische Wissen- schaft, als „die Geschichte der wachsenden Individualität in jeglicher Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Zool. u. Physiol. 20 304 ALFRED GREIL, Beziehung“. Harckez wies darauf hin, daß „die blosse Anatomie ohne die Entwicklungsgeschichte keiner wahren wissenschaftlichen Existenz fähig ist“ und die Entwicklungsgeschichte — die Ontogenie — eine. historische Wissenschaft sei und „die Erkenntnis der physi- kalisch-chemischen Ursachen“ der Entwicklung — der Ontogenese — zum Ziele habe. „Wenn wir zu letzterer gelangen wollen, wenn wir also die Morphogenie wirklich kausal begründen wollen, so müssen wir notwendig auch an die Physiologie der Entwicklung uns wenden.“ Hazcker gelangt zu dem, nur absichtlich mißzuverstehenden Satze: „Die Fortpflanzung ist eine Ernährung und ein Wachstum des Organismus über das individuelle Maß hinaus, welche einen Teil desselben zum Ganzen erhebt.“ In diesem Nachsatze liegt der Kern- punkt des Phänomens: das Wachstum der Keimzellen, welches ein neues, von einer Zelle repräsentiertes Individuum schafft. C. E. v. BAER, HAECKEL wiesen auch den Weg, wie die entwicklungsgeschichtliche Forschung, „das Fundament der ganzen Biologie“ rationell diesen Zielen zustreben kann: den allumfassenden Vergleich der Entwick- lungsformen der Organismenwelt, der großen gemeinsamen einheit- lichen Entwicklungsbahnen, ihrer Leitwege und Varianten. ©. E. v. BAER zeigte bereits in meisterhafter, stets vorbildlicher Weise, wie „Be- obachtung und Reflexion“ in einen unmittelbaren harmonischen Ein- klang zu bringen, wie eingehende, vorurteilsfreie Erwägungen über empirisch gemachte Befunde anzustellen sind. Er zeigte, dab Re- flexionen sich aus der Beobachtung ergeben müssen und nicht in der induktiven Eruierung von Denkmöglichkeiten bestehen, wie also die durch eingehende Beobachtung geschöpfte Erfahrung bereits die angestrebten, das Wesen und die Bedingungen des Geschehens be- treffenden Schlußfolgerungen ergebe und zur Reflexion berechtige. Der Vergleich der zahllosen Varianten der fundamentalen Ent- wicklungsprozesse, welche uns die Natur bei ungestörtem Geschehen — wie in einer endlosen Versuchsreihe — offenbart, wird auch die Lösung der allgemeinen Grundprobleme der Entwicklung ergeben und zugleich wichtige Beiträge zur Zellforschung liefern. Die mühsame deskriptive Detailarbeit, die sorgfältige Klarstellung des Ermittelten deckt, indem sie insbesondere beim Abzeichnen der Präparate, bei der Führung des Stiftes das Auge des Forschers auf alle die vielen Einzelheiten lenkt, auch schon bereits die Bedingungen auf, unter deren Zwang sich die Entwicklung vollzieht, womit die kausale Er- kenntnis gewonnen ist. Diese Methodik, die gewissenhafte Deskription wird für alle Zeiten das souveräne Mittel der Forschung bleiben, Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 305 denn Reflexion läßt sich von der Beobachtung nicht trennen. — Nach Abstrich der speziellen Entwicklungsbedingungen treten dann die allgemeinen Bedingungen der gemeinsamen Entwicklungsbahnen in ihrer Variationsbreite hervor und repräsentieren das allgemeine Entwicklungsproblem. HaAEcKEL hat mit weit ausschauendem Blick erkannt, daß die Fundamente zu solchem Vergleiche durch die Unter- suchung freilebender Entwicklungsformen pelagischer Wirbelloser ge- legt werden müssen. Nimmer müde hat er auf seinen Forschungsreisen den Strand von Helgoland, der kanarischen und dalmatinischen Inseln, die norwegische Küste, den Hafen von Smyrna und den felsenreichen Strand von Ajaccio abgesucht, um das kostbare Material für seine vergleichenden Forschungen zu gewinnen. Diese Untersuchungen haben zur Aufstellung der Gasträatheorie geführt, welche die Leitlinie für die schwierige Erforschung der ersten Entwicklungs- stadien der Wirbeltiere abgibt, deren Ausbau und Vollendung nur in der von HAECKEL in genialer Konzeption und geistvoller Intuition erschlossenen Weise möglich ist. Auf diesem breiten und gesicherten Wege einer umfassenden und gründlichen, vergleichenden, messenden Analyse des ungestörten Geschehens strebte HAEcKEL danach, in dem unermeßlich weiten, unbebauten Felde der Biogenie, mit FRITZ MÜLLER - Desterro auf der Darwin’schen Theorie fußend, die Er- kenntnis der formbildenden physiologischen Funktionen der Vererbung und Anpassung zu gewinnen. In seiner Einleitung zur Gasträatheorie erkannte er, dab die Befriedigung des wissenschaftlichen Kausalitäts- bedürfnisses bei der Erforschung der Biogenie erst dann zu erhoffen sei, wenn der direkte und kausale Zusammenhang zwischen der Phylogenie und der Ontogenie voll erkannt sein werde. Die Ent- wicklung rezenter Formen wird erst dann voll erfaßt und verstanden werden, wenn auch der phyletische Erwerb und der Wechsel des Bedingungskomplexes, welcher dieselbe beherrscht, in den Grundzügen klargelegt sein wird, wozu der allumfassende Vergleich der Onto- genese rezenter Formen vollauf ausreichende Anhaltspunkte gewährt. In vollendeter Vielseitigkeit ist HAEcKEL auch zum Pionier und Be- grinder einer rationellen experimentellen Forschung geworden. In seiner Siphonophorenarbeit hat er das Muster einer methodisch voll- endeten Untersuchung gegeben und die Triangulierungspunkte zur Erforschung jener großen unbekannten physiologischen Funktionen, der sich epigenetisch ergebenden Bedingungskette der Entwicklung ausgenutzt. Auf den Vergleich der die Norm repräsentierenden einzelnen Entwicklungsstadien einer Species folgt die Untersuchung 20* 306 ALFRED GREIL, der Variationen und Mißbildungen; der 3. Triangulierungspunkt ist der Vergleich der Species der Familien- und Ordnungscharaktere, und als ein 4, überzähliger kontrollierender Triangulierungspunkt reihen sich dann die experimentell erzeugten Abweichungen der Entwicklung an. Diese müssen indes meist durch grobe und brutale Eingriffe mit schweren Störungen und unbeabsichtigt veränderten Entwicklungsbedingungen erkauft werden; sie schaffen Variationen, Veränderungen und Mißbildungen, die sich hinsichtlich der Subtilität und Exaktheit der Reaktionen niemals mit dem Materiale messen können, welches die ungestört entstehenden mannigfachen Varianten, die Miß- und Doppelbildungen darbieten. Mit diesen Experimenten sind die sogenannten „entwicklungsmechanischen oder analytischen Experimente“ gemeint, welche der Erforschung der Entwicklung, d. i. der Entstehung und Organisation eines bestimmten Zellenstaates dienen. Eine zweite, ungleich viel wichtigere und grundlegende Aufschlüsse darbietende Kategorie von Experimenten betrifft die Cellularphysiologie, das Leben und die Leistungen der Einzel- zelle im gesunden und pathologischen Zustande. Diese Eperimente bilden das Fundament der Entwicklungslehre, welche die Anwendung der (uni)cellulären Leistungen beim Aufbaue und der Gliederung des vielzelligen Organismus zu erforschen hat. Die Versuche der Ge- brüder Herrwie über den Teilungsvorgang der tierischen Zelle sind Richtlinien für die Erforschung der den Metazoenstaat begründenden und ausbauenden Funktionen der Einzelzellen. So wie nun der Embryologe die Zelle als etwas Gegebenes hin- nehmen muß und voll in Anspruch genommen ist, wenn er die Leistungen dieses Elementarorganismus im Laufe der Entwicklung verfolgt und nur mit allem Vorbehalte über die Herkunft desselben, über die Bedingungen zur Synthese solch ungeheuer komplizierten Materials grobe Vorstellungen gewinnen kann, indem er den Chemiker zu Rate zieht, so hat sich auch die biogenetische Forschung zunächst nicht mit der Herkunft des Lebens der Einzelzelle, sondern mit der unermeßlichen allseitigen Komplikation des Lebens der Einzelzelle und im Zellenstaate in erster Linie zu befassen. Diese beiden Extreme sind nun so groß, daß die Untersuchung dieser Entwicklungsreihe wenigstens relativ die Erscheinungen einer Bio- genesis aufdeckt. Die Forschung wird erst dann auf dieses stolze Wort vollen Anspruch haben, wenn auch die allererste Entstehung des Lebens und dessen ursprünglich nahe Beziehungen zu den Er- scheinungen, welche sich an der nicht organisierten Materie ab- Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 307 spielen, erkannt sein werden. Die physiologische Erforschung der Art und Weise, wie das Leben im Zellenstaate zu solcher Vollendung gesteigert wurde, welche die höheren Organismen zeigen, ist nicht minder auf die exakte vergleichende Analyse des ontogenetischen und phylogenetischen Werdeganges angewiesen als die Embryologie, wenn das Ziel, die Erkenntnis der Lebensvorgänge in vollendetem kompliziertem Organismus voll erreicht, wenn das Gewordene auch im Werden erfaßt sein soll. Die Entwicklungsgeschichte ist also eines der wichtigsten Binde- glieder zwischen der anatomischen und physiologischen Forschung. Die vergleichende Embryologie vertieft als eine physiologische Disziplin in erster Linie das Verständnis der unicellulären Leistungen; was die Protozoen an Arbeitsteilung und vollendeter Differenzierung einer Einzelzelle darbieten, zeigen in einerseits vermindertem, andrerseits gesteigertem Maße die Geschlechtszellen der Metazoen. Was bei jenen die Einzelzelle in uneingeschränkter und auf allen Linien gesteigerter Universalität vollführt, konnte der Zellenstaat mit einem immensen Aufgebote von Individuen in reicher Gliederung und funktioneller Anpassung zu höchster Vollendung bringen. Der Vergleich zeigt den allmählichen Werdegang dieser Organisation und erbringt auch für das Leben und die allgemeine und einseitige Leistungsfähigkeit der Einzelzelle ungemein wertvolle Aufschlüsse an den Variationen. Stets muß das physiologische Prinzip in der embryologischen Forschung über dem streng morphologischen stehen. Erst wenn die Bedingungen des Werdens erkannt sind, wird der Vergleich der unter ihrem Zwange entstandenen Gestaltung ein- setzen können. Es ist verfehlter Dogmatismus, wenn das Getriebe der Entwicklung durch die Brille einseitiger, vorgefaßter morpho- logischer, auf Homologisierung abzielender Bestrebungen betrachtet und alles um jeden Preis in eine Schablone gezwängt wird. Für eine vorurteilsfreie und aussichtsvolle Verfolgung der Entwicklung, der Formbildung und der Histogenese gibt es nur eine verläßliche Basis: die Cellularphysiologie. Die Schwierigkeiten der Beschaffung und der Verarbeitung des Materials haben es im natürlichen Werdegange der Forschung mit sich gebracht, daß die Embryologie ein viel jüngeres Kind der zoologischen Wissenschaft ist als die vergleichende Anatomie, deren kardinale, allumfassende Gesichtspunkte GEGENBAUR eröffnet hat. Die vergleichende Anatomie steckt der Entwicklungslehre die morphologischen Ziele und beantwortet selbst unzählige Fragen, 308 ALFRED GREIL, welche den Erwerb der Organisation und Formbildung älterer Ent- wicklungsformen betreffen. Der vergleichende Anatom gleicht dem Geographen, der Embryologe seinem treuen Berater und Genossen, dem Geologen. So wie keiner von beiden des anderen entraten kann, wie insbesondere kein Geograph auf die Mithilfe des Geologen verzichten kann, wenn er die Gestaltung des Antlitzes der Erde, deren Einzelcharaktere er in allen an der Oberfläche sichtbaren Befunden vergleichend dargestellt hat, auch in ihrem Werden voll zu verstehen trachtet, so ergänzt und erklärt auch der Embryo- loge das Werk des Anatomen, indem er die ontogenetisch und phylogenetisch zurückgelegten Stadien des Werdeganges aufdeckt. Was die vergleichende Anatomie an Anpassungserscheinungen dar- bietet, ist nur die letzte komplizierteste Etappe eines gewaltigen Prozesses, den die vergleichende Ontogenie von bescheidenen An- fängen an entwickelt. Vielen erscheint auch beim heutigen Stande der Forschung die Einsicht, welche sich bei der Vollendung der späteren Entwicklungsprozesse an den leichter zugänglichen und zu untersuchenden älteren Stadien, den unmittelbaren Vorstufen der vollendeten Organisation ergeben, nicht ausreichend genug, um ver- allgemeinerte Rückschlüsse auf das Prinzip des Geschehens zu wagen. In strenger Selbstkritik beschränken sie sich bei diesen so dring- lichen Untersuchungen zunächst auf den exakten Vergleich, begnügen sich in der Darstellung damit, kleine Bausteine zum gewaltigen Ge- bäude der biogenetischen Forschung beizutragen. Es ist maßlose Geringschätzung und ein Beweis des Unvermögens kritischer Be- wertung und Sichtung des Beobachtungsmateriales, wenn von seiten der Entwicklungsmechaniker, die sich allein als die vollwertigen „kausalen Analytiker“ betrachten, eine getrennte Buchung solcher deskriptiver Ergebnisse vorgeschlagen oder die Prüfung derselben gar als ein „Armutszeugnis“ betrachtet wird. Gerade die exakten Ermittelungen über die Gestaltsveränderungen in den späteren Stadien, welche von immer komplizierter werdenden und schließlich kaum übersehbaren Bedingungen beherrscht werden, sind für so manche entwicklungsmechanische Theorie ein harter und unbequemer Prüfstein. Diese Ermittlungen sind aber für die erste Orientierung bei der Beurteilung der anatomischen Befunde eine so dringliche Forderung, daß die Vorarbeit auch dann abgeschlossen werden muß, wenn jene großen unbekannten Funktionen, die allgemeinen Ent- wicklungsprinzipien, welche bei Unkenntnis der vorhergehenden früheren Stadien nicht mit voller Sicherheit festzustellen sind, an so Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 309 winzigen und komplizierten Ausschnitten des Gesamtbildes erst in groben Umrissen erkannt sind. Für die Erschließung der gewaltigen und vielverzweigten Kette der Entwicklungsbedingungen ist die lückenlose Untersuchung aller Veränderungen, welche, mit dem Eiwachs- tum beginnend, bis zur Vollendung des Somas einander folgen, die un- erläßliche Vorraussetzung. Die Schwierigkeiten, solchen Materiales habhaft zu werden und es in vollendeter Weise zu untersuchen, sind groß genug, um das langsame Tempo des Fortschrittes dieser Untersuchungen zu rechtfertigen. Nur auf diesen schwierigen, aber vollauf gesicherten Bahnen der Forschung wird die vergleichende Anatomie jene Grundlage erlangen, welche durch den Vergleich der weitverzweigten Bedingungsketten der Ontogenese der betreffenden Formationen zu erringen ist. Dies zeigt sich besonders deutlich an einem der vornehmsten Probleme dieser Art: am Kopfprobleme, dessen Lösung die Erkenntnis der Bedingungen des ersten phyletischen und ontogenetischen Erwerbes einer Cephalogenese zur unerläßlichen Voraussetzung hat. — Diese so mühevoll zu erringende, eine Be- herrschung aller Triangulierungspunkte, welche das natürliche Ge- schehen darbietet, voraussetzende Arbeit der Forschung erscheint je- doch manchem zu beschwerlich, der rascher zum Ziele zu kommen glaubt, wenn er die Keimzelle und ihre Komponenten mit allerlei entwicklungsphilosophischen Spekulationen überschüttet, mit Anlage- substanzen rubriziert und nun das rascharbeitende „analytische Ex- periment“ als einziges Mittel zum Zwecke preist und hastig, blind- lings tastend und variierend verwendet, um Beweise für jene Denk- möglichkeiten zu erlangen, in vielen Fällen es wohl auch mißbraucht. Zum Experimentieren gehört nur dilettantische Kunstfertigkeit; exakte Programme aufzustellen und das so Gewonnene zu deuten ist Sache eines erfahrenen formalen Analytikers. Hinsichtlich der allgemeinen Forschungsart besteht eine anschauliche prinzipielle Übereinstimmung mit der geographischen Erforschung des Erdballes. Die großen, ausgedehnten, weiben, un- bekannten Felder der Karten werden in rastloser Arbeit von allen Seiten her eingeschränkt, mühsam und unter Gefahren — wie bei der Sammlung exotischen Materiales — werden Terrainschwierig- keiten aller Art überwunden. Keinem Geographen fiel es ein, den beschwerlichen, aber sicheren Pfad am Erdboden durch eine luftige Ballonfahrt nach weit entfernten, nur im Dunst und Nebel, in un- scharfen Umrissen sichtbaren fernen Erhebungen voreilig abzukürzen oder zu ersetzen. Die Gefahr, im steuerlosen Schiffe verschlagen zu 310 ALFRED GREIL, werden, ist auch bei der auf entwicklungsphilosophischer Basis auf- gebauten Forschung eine nicht minder imminente. Der Biogenetiker wird nur dann, wenn er ohne vorgefaßte Meinung, lediglich auf der Basis der Cellularphysiologie fuBend, den epigenetischen phyletischen Werdegang seinen Bestrebungen zum Vorbilde nimmt, in rationeller Weise die Lösung allgemeinerer Fragen erreichen. Das die Laien- welt so sehr beschäftigende Vererbungsproblem gehört in die Domäne der Embryologie. Seine Lösung darf nicht forciert werden, sondern wird sich, wenn eine genügende Vergleichsbasis geschaffen ist, auch schon bei exakter Analyse des ungestörten Geschehens von selbst ergeben. Wer selbst mit Hand anlegt, sich intensiv mit der ~ embryologischen Forschung beschäftigt und bei mehreren Formen vorurteilsfrei die Entwicklung verfolgt, Miß- und Doppelbildungen auf die Bedingungen ihrer Entstehung untersucht hat, wird in An- betracht der Schwierigkeiten, welche heutzutage noch der Lösung dieses Problems entgegenstehen, etwas vorsichtiger vom Vererbungs- problem sprechen als diejenigen, welche ohne embryologische Schulung mit kühnen Hypothesen und Überlegungen in gefahrvollem Sprunge den gewaltigen weiten Weg von der Keimzelle zur fertigen Organi- sation durchmessen wollen und in schematischer Weise mit allen „Denkmöglichkeiten“ ausgerüstet, die Keimzelle mit allen möglichen Vererbungsstoffen und mystischen Specifica für die am vollendeten Soma bestehenden Formationen bedenken. Andrerseits werden ge- schulte Embryologen auch wenig das Bedürfnis empfinden, das reiche, bisher auch nicht annähernd gesichtete, so subtile und exakt durch- gearbeitete Material, welches uns die Natur bei ungestörtem Ge- schehen in mannigfacher Variation darbietet, durch unvollkommenes, experimentell gewonnenes Material zu ergänzen, zumal diejenigen Experimente, welche die formale Analyse des ungestörten Geschehens vorschreibt, meist nicht durchführbar sind. Die formale Analyse des ungestörten Geschehens, z. B. der Längenentwicklung, ergibt eine kaum zu bewältigende lehrreiche Fülle rein entwicklungsmechanischer Probleme, an denen die „kausalen Analytiker“ bisher achtlos vorüber- gegangen sind. An höheren, während ihrer Entwicklung dem Ex- perimente unzugänglichen Formen existiert jener 4, überzählige Triangulierungspunkt nicht, die Analyse des ungestörten Geschehens kann daher voll und ganz ihre Leistungsfähigkeit erweisen. So wie es nun auf aussichtslosen Wegen, die in Sackgassen führen, am geratensten erscheint, den Rückzug anzutreten und die von bewährten Forschern eröffneten und gesicherten Bahnen wieder Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 311 aufzusuchen, von ihnen aus neue Vorstöße ins unbekannte Gebiet mit möglichster Einhaltung der von jenen aufgedeckten Richtung zu wagen, so erscheint es auch bei der Erörterung des Entwicklungs- problems als dringlichste Forderung, von den gesicherten Erkennt- nissen des von den Pionieren der morphologischen Forschung Er- mittelten auszugehen. Von dieser gesicherten, auf exakte Be- obachtung gegründeten Basis ausgehend, soll der Versuch gemacht werden, in der Fortsetzung alter Wege alten Zielen näherzukommen. Die folgenden Darstellungen sind auf formal-analytischer Basis entstanden und bilden das allgemeine Resumee und vorläufige Mit- teilungen einer größeren Untersuchung über die Entstehung der _Wirbeltierembryonen, eine Zusammenfassung von Randbemerkungen, die ein deskriptiver Mikroskopiker beim Abzeichnen der Bilder und bei der Schilderung der sich in der Embryonalentwicklung voll- ziehenden Vorgänge als allgemeinere Abstraktionen neben die Dar- stellung der konkreten Befunde setzt. Sie sind aus der Praxis ent- standen und für dieselbe berechnet. Wiederholungen und Variationen der Darstellung — sofern es nicht galt, eine Erscheinung von mehreren Seiten zu beleuchten — mögen nachsichtig beurteilt werden. IE GEGENBAUR hat als erster in den 60er Jahren des verflossenen Jahrhunderts erkannt, daß die Eier der Wirbeltiere und der Wirbellosen trotz aller Komplikationen und Leistungen, welche der von ihnen begründete Zellenstaat schafft, einfache Zellen sind. E. HAEcKEL hat in den lapidaren Worten des biogenetischen Grundgesetzes die Leistungen dieser Keimzellen im Laufe der Ontogenese auch durch den Hinweis auf die Stammesgeschichte kausal zu erklären versucht. Damit war das Programm der biologischen Forschung mehrere Menschenalter klar umrissen, welche die in senialer Konzeption erfaßten, nur an wenigen Formen glänzend er- probten Worte für die Allgemeinheit der Organismenwelt, für die unendliche Mannigfaltigkeit der Formen zu begründen hatte. Die breite Basis für die biogenetische Forschung muß die Er- kenntnis der Bedingungen des ontogenetischen und phylogenetischen Werdeganges liefern. Die Erkenntnis, das Gewordene begreift nur, wer das Werden erfaßt, gilt nicht minder für die Ontogenese selbst. Nur der stete Rückblick auf die Vergangenheit, die Frage, ob das, was wir bei der Verfolgung der ae ALFRED GREIL, Keimesgeschichte vergleichend ermitteln, im Prinzipe auch auf die Stammesgeschichte anwendbar ist, schützt uns vor exponierender Einseitiekeit. Das Werk der Vergangenheit ist so gewaltig, andrer- seits das, was uns die Entwicklung der höherstehenden rezenten Species darbietet, so kompliziert, daß diese letzte Phase eines un- ermeßlichen Werdeganges und das Durchgangsstadium für die phy- letische Weiterentwicklung nur bei dem allumfassenden, von HAECKEL inaugurierten Vergleiche niederer und höherer Formen einen Ein- blick in das Getriebe der Entwicklung gewähren kann. In diesem Vergleiche wurzelt das biogenetische Grundgesetz, die Lehre, dab die Entwicklung der rezenten Formen eine kurzgedrängte Wieder- holung der kardinalen Formveränderungen ihrer Vorfahrenreihe sei. Am Prüfstein der Vergangenheit fällt die Entscheidung über unsere Vorstellung vom Entwicklungsgeschehen, über einen Kampf, der seit mehr als 150 Jahren zwischen den Evolutionisten und Epigenetikern besteht. Nach der Evolutionstheorie ist in der Eizelle bereits der fertige Organismus vorgebildet, en miniature er- halten und wird durch die Entwicklung nur entfaltet. Die Vertreter der Epigenesislehre hingegen behaupten, daß die Keimzelle eine ein- fache Zelle sei, die durch Teilung und Wachstum mit relativ ein- fachen unicellulären Mitteln neue Mannigfaltigkeit schafft. Die ‚alten Epigenetiker, welche mit den beschränkten optischen Hilfs- mitteln ihrer Zeit die Keimzellen als ein Klümpchen unorganisierter Materie betrachteten, waren ebenso aufrichtig wie die modernen, denn in keiner Keimzelle ist bisher irgend etwas entdeckt worden, was sie in direkte Beziehungen zu Keimblättern oder einzelnen Formationen des Organismus, zu den Werken eines Zellenstaates bringen, was ihrem namentlich im Vergleiche mit hochdifferenzierten Gewebszellen des Körpers einfachen Zustand einer Einzelzelle wesent- lich komplizieren würde. Jede der beiden Theorien muß durch die Brille ihrer Zeit beurteilt werden. Ebenso wie die alten Evolutio- nisten, die in den Keimzellen die einzelnen Organe en miniature zu sehen glaubten, können nun auch die modernen Neoevolutionisten jene ultramikroskopischen, wie sie meinen, hochdifferenzierten „An- lagesubstanzen“ für die einzelnen Organe und die feinsten individuellen Züge des Organismus nicht sehen, jene mystischen Gebilde, die sie als organbildende, morphoplasmatische, formative Substanzen, als deter- minierende Qualitäten, Plassonten usw. bezeichnen, von deren Ent- stehung und Verteilung sowie Aktivierung bei der Organbildung die Mosaiktheoretiker ebensowenig eine Ahnung haben wie von Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 313 deren phylogenetischen Erwerb. Die Aufstellung dieser Theorien kommt einem Verzichte auf die Erklärung der bei der Analyse des Geschehens sich darbietenden Erscheinungen gleich. Nachdem diese dem ultramikroskopischen Gebiete angehörigen mystischen Sub- stanzen nicht dargestellt werden können, so wurde das „analytische Experiment“ erfunden, um sie zu isolieren und in ihrer Wirksamkeit zu erproben. Aber auch dieses versagt in Hinsicht auf jene zu er- probenden Voraussetzungen, wie eine exakte formalanalytische Prüfung und Revision der meist kritiklos vorgebrachten Befunde ergeben hat, über die an anderer Stelle ausführlich und eingehend berichtet werden soll. Die Evolutionstheorie wurde modernisiert; Aufgabe der Forschung ist es nun, auch die Epigenesislehre exakt auszugestalten, die organi- satorische Kraft ©. L. Wourr’s, den nisus — oder besser gesagt usus — formativus wissenschaftlich zu ergründen. Von der Entscheidung in jenem Streite hängt also die Be- eründung oder die Widerlegung des biogenetischen Grundgesetzes ab. Wenn die Eizelle mit allen möglichen Anlagesubstanzen voll- sepfropft, geschwängert und rubriziert ist, dann kann sie. wie O. HertTwiG mit aller Konsequenz dargelegt hat, nicht mehr der Ur- ahnenzelle der Metazoen entsprechen, dann wird das wichtige funda- mentale Stadium der einfachen Zellen in der Ontogenese nicht rekapituliert. HAEcKEL, der Begründer des biogenetischen Grund- vesetzes, ist, indem er den Blick auf die Vergangenheit gewendet hielt, aus dem Lager der Epigenetiker hervorgegangen. Auf breit angelestem Vergleiche fußend hat er mit GEGENBAUR-die Anpassungen und Reaktionen auf äußere und innere Bedingungen, insbesondere den Einfluß der Funktionen auf die Gestaltung zu erkennen getrachtet. Mit wenigen Worten, klar und eindeutig hat Harcken das Wesen der Epigenesis gekennzeichnet: „die Umbildung gleichartiger Teile zu ungleichartigen“. Was die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft lehrt und an ihren jüngsten Gliedern täglich offenbart: die differenzierende Arbeitsteilung. welche durch einseitige Speziali- sierung aus gleichartigen Urmenschen und gleichbefähigten Kindern verschiedene Individuen hervorgehen läßt, zeigt der phyletische Er- werb der Keimzelle und deren ontogenetische Tätigkeit nach den- selben Prinzipien. „Gebrauch und Übung“ hat Hazcker als leitende Momente der Differenzierung, der „Hervorbildung ungleichartiger _ Teile aus gleichartiger Grundlage“ erkannt. Dies ist es ja, was uns die volle Bewunderung der ungeheuren epigenetischen Machtfülle der Natur abringt. Die Einschränkung dieser Gewalt durch deter- 314 ALFRED GREIL, minierende, alles schon im voraus bestimmende Gängelbänder muß für den denkenden Naturforscher eine schwere und bittere Ent- täuschung bedeuten. Der Aufdeckung des epigenetischen Werde- ganges widmet der wahrhafte Naturforscher sein Leben und nicht der Verfolgung evolutionistischer dogmatischer Vorgänge. Möglichst wenig an Veranlagung zum Erwerbe und nichts an Präformation anzunehmen, ist seine Pflicht — und sein Stolz! — Der Phylogenetiker frägt sich bei der Beurteilung neoevolutionistischer Theorien stets: Sollten vielleicht die Urahnenzellen der Metazoen auch schon die Anlage- substanzen für die rezente Organismenwelt enthalten haben? Was aber den Urahnenzellen im Laufe ungezählter Generationen in epi- genetischer Entwicklung gelang, das mußte zum mindesten auch den von früheren Entwicklungsstadien an freilebenden, im Kampfe ums Dasein stehenden Keimen primitiver Wirbelloser möglich sein. Von diesen aber führen alle graduellen Übergänge zu höher organisierten Formen. Die Entstehung und graduelle Änderung der Bedingungen für die Erreichung fundamentaler Organisation hat uns zunächst — wenn auch nur in den groben Umrissen — zu beschäftigen. Der gemeinsame Ausgangspunkt des gewaltigen Reiches der vielzelligen Tiere (Metazoen) und der einzellig verbliebenen Protozoen war die Zelle Wo und wann immer dieser Elementarorganismus aus kernlosen Vorstufen (Moneren, HAECKEL) hervorging, ist von nebensächlicher Bedeutung. Dieses Gebilde hat bereits eine lange Geschichte hinter sich, die bei keiner rezenten Form wiederholt wird; sie ist das Werk der fundamentalen Arbeitsteilung eines Ele- mentarorganismus. Der Deszendenztheoretiker stellt sich, soweit die Stammesgeschichte des Reiches der Metazoen in Betracht kommt, unter der Urahnenzelle etwa eine Zelle vom Range einer Amöbe mit einer besonderen Eigenschaft, nicht aber ein „strukturloses Protoplasmakügelchen“ vor. Niemand wird von einem modernen Elektrotechniker verlangen, daß er seine Lebensarbeit mit der Er- findung einer VouTta’schen Säule beginne und nun alle Errungenschaften, die sich daran in Laufe der Dezennien schlossen, von neuem erwerbe. So ist also die einfache Zelle mit den Gebilden des Kernes und Proto- plasmas das Erbe, welches derMetazoenstaatvon derVergangenheit über- nahm, die es in unzähligen Generationen unter dem fortwährenden Einflusse innerer und äußerer Bedingungsänderungen assimilations- tüchtiger und dauerfähiger machte. Auf dieser Basis mit diesem gegebenen Elemente wurde und wird nun weiter gebaut. — Zu den primitivsten besonderen Fähigkeiten einer Einzelzelle vom Range Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 315 der Urahnenzelle der Metazoen gehört die Fähigkeit, sich zu teilen und assimilierend zu wachsen. Die Eigenart dieser Teilungsfähig- keit einer Metazoenzelle, welche sie von der Protozoenzelle unter- scheidet, besteht darin, daß hierbei der Verband der Zellen ober- flächlich gesichert bleibt. Diese durch jenes fortwährende Variieren errungene besondere Eigenschaft ist die Kardinalbedingung zur Be- eründung eines Zellenstaates. Die Teilung schafft gleichartige Ele- mente, die unter Bildung und Vollendung einer Ring- und Gewölbe- konstruktion schließlich eine Zellenblase (Blastula) liefern. Die eine gallertartige Flüssigkeit mit osmotisch wirksamen Sub- stanzen abscheidenden Zellen dieser Blase ziehen zunächst aus diesem, ziellos als eine Folge des Erwerbes jenes Znsammenhanges ent- standenen Verbande wenig Vorteile. Sie haben an freier respirieren- der Oberfläche eingebüßt, strecken nun kontraktile Fortsätze aus, welche die Oberfläche abwechselnd vergrößern. In funktioneller An- passung wird nun eine Fähigkeit, die ganz im Rohen jeder Zelle, auch den primitivsten Protozoen zukommt, gesteigert. Aus dem plumpen Fortsatze wird ein feines, pendelnd schlagendes Wimper- haar. Die Gesamtheit dieser Wimperhaare sichert den Wechsel des Atemmediums, welches in Anbetracht der Einschränkung der freien Oberfläche der einzelnen Zellen eine der wichtigsten Lebens- bedingungen des primitiven Zellenstaates ist. Diese erste Organi- sationsstufe, der Verband vollkommen gleichartiger und gleich- beschäftigter Zellen wird bei allen Metazoen und als bewimperte Blastula bei vielen Wirbellosen und auch als Zellenblase (Célo- blastula) noch beim Amphioxus und niedrigen Wirbeltieren wiederholt (Neunaugen, Amphibien, Lungenfische). So lange die be- wimperte Blastula als Blastäa (C. E. von Barr) kuglig ist, bewegt sie sich purzelnd fort und erreicht keine weitere Gestaltung. Ein einziger Teilungsschritt in irgend einem Areal, ein ungleichmäßiges Vorwachsen im Ringen der Zellen genügt aber bereits, um eine Achse zu schaffen und damit weiterhin eingreifende Formverände- rungen herbeizuführen, die eine ei- oder birnförmige Blastula schaffen. Damit wird nun auch die Bewegung geändert und in eine rotierende umgewandelt. Diese Veränderung der Bewegungsart bringt es mit sich, daß Strömungen an der Oberfläche entstehen und kleine Nahrungspartikelchen am unteren bzw. hinteren Pole zusammengewirbelt werden. Dadurch kommen die daselbst gelegenen Zellen unter günstigere Ernährungsbedingungen und zeigen daher ein regeres Teilungswachstum. Nun ist eine fundamentale Wachs- 316 ALFRED GREIL, tumsdifferenz geschaffen, die in der strengen Architektonik einer Blastula am hinteren, fiir die Fortbewegung unwirksamen Pole. Diese führt zu einer Ausbuchtung oder Einbuchtung. Unter besonderen Be- dingungen, wenn z.B. beim Teilungswachstum dieser Zellen die Flüssigkeit in der Zellenblase intensiver resorbiert wird, findet eine Vergrößerung der Zellen nach dieser Seite statt, was die Einbuch- tung (Invagination) zur Folge hat. Diese hat nun das weite Feld der Organisation des Zellenstaates, die Metazoenorganisation eröffnet. HAECKEL hat diese wichtige Formation als Gastraea be- zeichnet. In dem Maße, als dieser Becherkeim weiterwächst, findet eine Arbeitsteilung statt; die eingebuchtete Wand wird zum Ur- darm, empfängt durch den Urmund, der zugleich als After dient, Nahrung und verarbeitet dieselbe. Das äußere Keimblatt (Ecto- derm) besorgt nach wie vor die Bewegung, ernährt sich anfangs noch selbst, empfängt aber dann durch die Vermittlung der Flüssig- keit im Innern (der Leibeshöhle) vom Überflusse des inneren Keim- blattes (Entoderm). Beide Blätter verhalten sich etwa wie der Garçon zu seiner Haushälterin. Die Zellen der beiden Blätter können bei dieser Arbeitsteilung von der bescheidenen Universalität einer Einzelzelle manche Fähigkeiten nicht ausnutzen, während sie andere in einer Weise steigern können, die einer Einzelzelle vom Range jener Urahnenzellen nicht möglich war. Ectodermzellen wimpern intensiver, Entodermzellen obliegen immer mehr, und schlieB- lich ganz und gar der Fähigkeit, verdauende Säfte abzuscheiden und die Nahrung aufzunehmen. Dementsprechend ist auch die Größe und Struktur der Zellen in funktioneller Anpassung eine verschiedene geworden. Es ist erst der Anfang einer Arbeitsteilung gemacht, welche hochgezüchtete Protozoen, die sich neben dem Metazoenbaume in unermeßlichen Zeiträumen entwickelt haben, im bedeutend gestei- gertem Maße unter Wahrnng aller Fähigkeiten einer Einzelzelle dar- bieten. Sie haben eben nicht die Fähigkeit erworben, einen fest- gefügten Zellenstaat zu gründen, welcher diese Arbeitsteilung in unabsehbarer Weise steigern kann. Überblicken wir den kurz ge- schilderten Entwicklungsgang, der, entsprechende Lebensdauer einer Urahnenzelle vorausgesetzt, sozusagen in einem Anlaufe von einem einzigen Individuum erreicht werden könnte, so entrollt sich uns bereits das Bild fundamentalen epigenetischen Geschehens. Die Urahnenzelle ist als einfache Zelle an die Arbeit gegangen. Sie hatte weder ein ectodermbildendes (Ectoplasma) noch ein ento- dermbildendes (Ento-)Plasma. Ihre Abkömmlinge im Zellenstaate Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 317 unterscheiden sich nicht von ihr, denn alle die wenigen Fähigkeiten, welche sie besitzen, kamen auch bereits der Stammzelle zu. Eine Reihe von Bedingungen hat sich allmählich ergeben, und mit den primitiven Mitteln der Einzelzelle hat der Zellenstaat bereits eine fundamentale Organisation erreicht. Nichts von alledem, was sich ereignet hat, war in der Stammzelle vorherbestimmt, und es er- schiene wohl absurd, wollten wir für die Entstehung des Urdarmes eine besondere „organbildende, formative“ Substanz in jener Einzel- zelle annehmen. Wenn nun unter dem gegenseitigen Drängen und Pressen, beim Ringen der einzelnen Zellen in der geschlossenen Architektonik des jungen Zellenstaates die eine oder die andere Zelle des Becher- keimes, sei es nun des Außenblattes oder der Urdarmwand, nach außen abgedrängt, frei wird, sich unter dem Einflusse der Ober- flächenspannung abrundet, so wird sie als einfache Zelle das Werk der Begründerin des Mutterzellenstaates unter denselben Bedingungen in durchaus derselben epigenetischen Weise von vorn beginnen. Damit war die Wiederholung der Bildung des Zellenstaates ohne organbildende spezifische Erbmasse und ohne ultramikroskopische Vererbungssubstanzen gesichert. Wir müssen uns nun fragen, worin bestand nun die ursprüng- liche Sicherung der phyletischen Deszendenz der Stamm- zellen, ehe es zur Bildung eines Zellenstaates kam, wie erfolgte die Fortpflanzung in jenen langen Zeiträumen, die zur phyletischen Entstehung der Gastraeaden führten? Aquale Teilungen der Einzel- zellen ergaben eine immense Vermehrung gleichaltriger Elemente, welche unter denselben Außenbedingungen gleichzeitig dasselbe Schicksal teilten. Auf die Hälfte verkleinert, wuchsen die Zellen wieder heran, bis sie dieselbe Größe erreichten wie die Mutter: zellen. Dann erfolgte neuerliche Teilung, in unzähliger Generations- folge wiederholte sich dasselbe Spiel, welches bei so intensiver assimilatorischer Tätigkeit stets Gelegenheit zur Veränderung des Chemismus darbot. Der Erfolg war die Steigerung der Dauer- fähigkeit und der Erwerb der Fähigkeit, eine nachgiebige, aber der Teilung Widerstand leistende Exoplasmaschicht auszubilden, womit der Zellenstaat begründet wurde. Damit ändert sich nun mit einem Schlage die Situation. Die Teilungsenergie, welche bisher freie, selbständige Zellen schuf, der Vermehrung der Einzelindividuen diente, verliert diese Eigenart, sie schafft mit denselben Mitteln den Zellenstaat, welcher als solcher nur beschränkte Massenentfaltung 318 ALFRED GREIL, einen gewissen Grad der Einschränkung der freien Oberfläche der Einzelzelle gestattet, nach dessen Erreichung (und auch unter dem Einflusse anderer Faktoren) der Staat als Ganzes früher oder später zugrunde gehen muß. Die Entstehung des Zellenstaates bedeutet also eine wesentliche Einschränkung der freien ungeschlechtlichen Fortpflanzung. Bei freier Teilung ist die Zahl der lebenden und dauerfähigen Generation unbeschränkt, der Stammbaum der Ein- zelligen kann sich ins Unermeßliche verzweigen. Wenn aber ein geschlossener Zellenstaat entsteht und dieser zugrunde geht, so ist dessen ganze Zukunft mit einem Schlage sistiert und vernichtet. Bei geschlossener Teilung ist also nach relativ wenigen Generationen der Untergang des ganzen, die Unterbindung der gesamten Nach- kommenschaft eine imminente Gefahr. Unzählige solche kleine Zell- kolonien werden als Blastaeaden zugrunde gegangen sein, ohne eine Nachkommenschaft zu hinterlassen; nichts sichert an einer Blastula die Ausstoßung von Einzelzellen. Später entstandenen Generationen von Urahnenzellen erging es nicht anders. Milliarden von Zellen- staaten gehen wohl auf solche Weise, ohne phyletische Nach- kommenschaft zugrunde, was einen enormen Verlust an lebendiger Substanz bedeuten würde. Unter solchen Umständen wäre also der Erwerb der Teilung im Verbande geradezu ein Unheil gewesen. Diese Situation müssen wir uns vergegenwärtigen, um die Be- deutung jener Momente zu ermessen, als die Vervollkommnung der Arbeitsteilung an den einzelligen eine intensivere Assimilation er- möglichte, als der Zellenhaushalt ein länger andauerndes Wachstum, eine Vergrößerung der Zellen und vielleicht auch schon die mito- tische Teilung zuwege brachte. (Gremästete vergrößerte Einzelzellen, Zellen, die sich vor Begründung eines Zellenstaates längere Zeit dem Wachstum hingegeben haben, werden vom Teilungsmechanismus etwas schwerer bewältigt. Inäquale Teilungen erfolgen leichter; so kam es zur Bildung von kleineren Knospenzellen, welche relativ um so kleiner werden, je mehr die Zellen sich mästen. Diese in- äqualen Teilungen sind nicht vollkommen geglückte Debuts, Folgen übermäßigen Wachstums. Damit werden nun Altersunter- schiede geschaffen; neben Mutterzellen leben kleine heran- wachsende Tochterzellen. Die durch die rasch wiederholte Ab- knospung entstandene Verkleinerung, der gleichzeitig gesteigerte Stoffwechsel ermöglichen dann äquale Teilungen der Mutterzelle, welche, wenn sie unter Erhaltung eines oberflächlichen Verbandes erfolgen, zur Begründung eines Zellenstaates führen. Ihre äqualen Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 319 Tochterzellen wachsen in derselben Kernprotoplasmarelation nach jeder Teilung heran, so daß in kurzer Zeit eine ansehnliche Zell- kolonie zustande kommt, welche schließlich erschöpft zugrunde geht. Während dieser Zeit werden nun jene kleinen abgeknospten Zellen, die ersten Abkömmlinge der Mutterzellen, größer, sie wachsen und furchen dann ebenfalls in geradezu reaktionärer Weise zunächst kleine Zellen ab und begründen dann wiederum durch äquale Teilungen im Verbande einen hinfälligen Zellenstaat, der keineswegs Zellen abwerfen mußte. Damit war nun aber die phyletische Deszendenz der Ahnen- zellen, wenn auch unter erheblichen Verlusten an lebender Substanz beim Zerfalle der Zellenstaaten gesichert. Diese primäre ganz ziel- und richtungslos zustande gekommene Sicherung der Deszendenz war wohl der Vorläufer der Bildung orößerer Zellenstaaten und mußte als zwangsläufiger Vorgang sich auch an den von diesen abgeworfenen Einzelzellen wiederholen, so- bald diese, frei geworden, ihre dadurch vergrößerte respirierende Oberfläche ausnützend, herangewachsen waren und dann sich zu- nächst nur inäqual teilen konnten. Die Abgabe von indifferenten Zellen von seiten des Zellenstaates erfoletnunalszweitesekundäre Sicherung der Deszendenz. So erscheint also die Entstehung von Knospenzellen vor Begründung eines Zellenstaates als ein re- aktionäres Phänomen des Zellenlebens, welches nicht von teleologi- schen Gesichtspunkten aus beurteilt werden darf, sondern als ein Momentbild zu betrachten ist. Die Vorgänge, welche die primäre Sicherung mit sich brachten. sind als ein Beitrag zur Cellular- physiologie zu bewerten. Ziellos wurde diese unicelluläre Erscheinung erworben, richtungslos, sozusagen als Begleiterscheinung bot sie die eroßen Vorteile der primären Sicherung der Deszendenz, und so wurde sie durch die Selektion gezüchtet. Ebenso ziellos und richtungslos wie die primäre Sicherung der Deszendenz kam auch die sekundäre Sicherung derselben zustande. Der Zellenstaat wirft da und dort schlecht passende Bausteine ab; srobmechanische Bedingungen veranlassen zwangsläufig dieses Ge- schehen. Was weiter mit diesen Zellen geschieht, darüber entscheiden nun andere, sich ebenso epigenetisch ergebende Bedingungen. Der Zellenstaat handelt — anthropomorph ausgedrückt — etwa so wie ein unverständiger Sammler, welcher sein wertvollstes Stück als un- brauchbar zum Fenster hinauswirft. Die Ausstoßung von Einzelzellen aus dem Verbande eines Zellen- staates bot nun der phyletischen Entwicklung einen immensen Vorteil, Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Zool. u. Physiol. 21 3920 ALFRED GREIL, der darin besteht, daß diese Zellen an den Errungenschaften des Zellenstaates partizipieren. Je größer der Staat wird, je intensiver die Bewimperung, die Tätigkeit des Urdarmes und anderer Funk- tionen der Gesamtheit werden, um so mehr werden die primitiven Fähigkeiten der Einzelzellen gesteigert und diese phyletisch leistungs- und dauerfähiger. Ein weiterer folgenschwerer Wandel trat ein, als vom Urdarm oder vom Ectoderm durch lokale ganz minutiöse Bedingungen, durch Wachstumsdifferenzen eingeleitet, Einzelzellen, kleine Zellverbände oder Divertikel in die primäre Leibeshöhle, oder zwischen diese Zell- blätter, wenn sie eng einander anliegen, vordrangen und dort eine gewisse Sonder- und Ruhestellung einnahmen. Im Zellenstaate gab es keine Müßiggänger. Alle Zellen mußten ans Werk und diejenige ihrer primitiven Fähigkeiten entfalten und in funktioneller Anpassung steigern, welche tauglich, passend und nützlich war. Die Zellen des Ectoderms obliegen infolge der fundamentalen Arbeitsteilung anderen Verrichtungen als jene des Innenblattes, des Entoderms. Jene zwischen den beiden als mittlere Schichte (Mesoderm) gelagerten Zellen oder Elemente größerer in die Leibeshöhle vorgedrungener divertikelförmiger Verbände, unter Umständen auch vereinzelte Ectoderm- und Entodermzellen, aber wurden zu Schmarotzern des Zellenstaates. Ohne in die Arbeitsteilung einzutreten, zogen sie aus dem Stoffwechsel des Organismus Vorteile. An dem gemeinsamen Tische, den die Urdarmzellen gedeckt, nehmen sie immer mehr Stoffe für sich in Anspruch, was diese zu intensiverer Tätigkeit anspornt. Sie bilden und formen aus dem Rohmaterial, das sie dem Organismus entnehmen, Nahrungsreserven und werden so als große Keimzellen ausgestoßen. Mit reicher Mitgift treten sie in die Entwicklung ein. — Haben sie nun durch diese graduell, sukzessive erfolgende Ver- mehrung ihrer Reserven ihre einfache Zellnatur eingebübt? Im Gegen- teile, die intensivere lukullische Betätigung dieser Zellen führte dazu, dab nach ihrer langen Wachstumsperiode, auch durch ihre Massen- zunahme eine ihrer fundamentalsten Fähigkeiten, die Teilung, ganz dar- nieder liegt. Die Zellen sind nicht entwicklungsfähig, sie sind zu Ei- zellen geworden. In dem Maße, als dieses Extrem erreicht wurde, haben sich ihrer Herkunft nach entsprechende Zellen desselben oder eines anderen Individuums weniger beladen und intensiver geteilt. Verschiedene Teilungsintensität der Somata war der Anfang zu dieser sexuellen Differenzierung der Propagationszellen, in denen die Eigenart des Zellenstaates in der bündigsten, konzen- Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 321 triertesten Form zum Ansdrucke kommt. Die von Organismen mit orôBerer Teilungsfrequenz der Zellen stammenden Samenzellen steigern ihre primitive Fähigkeit der Kontraktilität, sie differenzieren Locomotions- und Bohreinrichtungen, werden in Unmenge nach außen abgestoßen, umschwärmen nun ihre gemästeten, immobilisierten Partner, dringen in sie ein und ersetzen ihnen dasjenige, was in der langen Wachstums- und Approvisionierungsperiode geschwächt wurde. Ihre Hauptfunktion ist die Erregung der Teilung. So ermöglicht eine Arbeitsteilung, die sexuelle Differenzierung und die nachfolgende Befruchtung jene immense Approvisionierung, die bei der Bildung des Dotters der Meroblastier extreme Grade erreicht hat. Darin besteht die Bedeutung der Befruchtung, welche eine schrankenlose sexuelle Arbeitsteilung und Differenzierung eröffnet hat. Das Wesen der Befruchtung besteht darin, daß sie die hochgradige Einseitigkeit, welche die Folge solcher Arbeitsteilung ist, wieder ausgleicht. Je weitgehender diese Arbeitsteilung wird, um so besser erscheint die nachherige Befruchtung gesichert. Nichts stand dem äußersten Extrem solcher Divergenz entgegen, sofern nur, wenigstens für ganz kurze Zeit, das Zellenleben nicht gefährdet wurde. Nach längerer Zeit gehen beide Zellen unfehlbar zugrunde, keine von beiden vermag einen Zellenstaat zu begründen. Die Ei- zellen haben sich weniger weit von der mittleren Linie entfernt. Die natürliche und die, eine notdürftige Entwicklung einleitende künstliche Parthenogenese (durch Schüttelung, Erwärmung oder Be- handlung mit hypertonischem Seewasser, Wasserentziehung und nach- träglicher Wasseraufnahme, wodurch das Plasmagefüge ebenfalls mechanisch erregt, gereizt wird) — die von LoEB so sehr in den Vordergrund gedrängten Verhältnisse der Nucleinsynthese sind gewiß nicht das ausschlaggebende Moment —-, zeigen, welch minimaler Impulse es bedarf, um die beim Eiwachstume geschwächte Kontrak- tilität derart zu steigern, daß das Ovocentrum wieder seine volle Herrschaft entfalten kann. Versuche dieser Art sind wertvolle Bei- träge zur Physiologie der Kontraktion, Dokumente zur Cellular- physiologie, und es ist unbescheidene Übertreibung, wenn auf Grund solcher Ermittlungen bereits von einer Beherrschung und Erregung der Entwicklung gesprochen wird, welche doch noch von ganz anderen Faktoren geleitet wird! Nur rasche Teilung rettet also der, die denkbar kleinste respirierende Oberfläche darbietenden Eizelle das Leben. Durch die Vermehrung der Zellen werden die Oxydations- und andere Prozesse derart gesteigert, dab das „divide et impera“ 21* 322 ALFRED GREIL, voll zur Geltung kommen kann. Andrerseits findet die protoplasma- arme, ganz einseitig differenzierte Samenzelle, welche sozusagen ganz in Bewegung aufgeht, in der Eizelle den Mutterboden für die Ent- faltung ihrer unicellulären Funktionen. So ist also die Befruchtung geradezu eine wechselseitige zu nennen. Die Eizelle gewährt in quantitativer und qualitativer Beziehung den Spermatozoen weit mehr, als dieses ihr bietet. Die Eizelle muß den Spermakern und das einseitige differenzierte Protoplasma des Spermatozoons mit in Kauf nehmen, wenn sie das für sie lebensrettende Spermocentrum empfängt. Auf Kern- und Protoplasma des Spermatozoons könnte sie verzichten, wie bereits die cytologischen Untersuchungen Boverrs lehren und wie es die kontrollierenden Versuche bestätigt haben. Das meist ein besonderes Mittelstück des Spermatozoons bildende Spermato- centrum ist das eigentliche Befruchtungselement. Der Eintritt eines Spermocentrums würde vollauf genügen, um bei geschlechtlicher Fortpflanzung einen Vertreter der Species zu schaffen. Individuelle Unterschiede sind bereits durch minutiöse Variationen im Eibau ge- geben, verschiedene Intensität des Spermocentrums, eine Veränderung seines Stoffwechsels kann bereits ganz beträchtliche, phylogenetisch bedeutsame individuelle Verschiedenheiten auslösen. Die Entstehung individueller Variationen kommt erst in letzter Linie in Betracht. Die Mitwirkung des Spermakernes bei den Leistungen ist will- kommen, aber keineswegs dringlich nötig. Die Eizelle niedriger Formen braucht nur geschüttelt (massiert) zu werden (Asteriden), um sich parthenogenetisch zu entwickeln; das vom Protoplasma geradezu entblößte Spermatozoon geht, isoliert, unfehlbar und unrettbar zugrunde. Beide Zellen ergänzen also einander und ersetzen dasjenige, was sie bei ihrer einseitigen Differenzierung bis zur Verzichtleistung ver- nachlässigt haben. Von der auf solche Weise kompensierten Arbeits- teilung zieht nun der Zellenstaat enormen Nutzen. Was die unge- schlechtliche Keimzelle allein niemals zustande gebracht hätte, ohne abortiv zu werden, wird in schrankenloser Divergenz von zwei ge- trennt sich differenzierenden und dann viribus unitis gemeinsam schaffenden Zellen bewältigt. Aus zwei Wurzeln schöpft die neue Einheitskeimzelle ihre Kraft. Die bei der ungeschlechtlichen und geschlechtlichen Sicherung der Deszendenz aufgestappelten Nahrungsreserven kommen bei der Zellenteilung allen Abkömmlingen zugute, welche dadurch von der Außenwelt unabhängiger werden und rascher bauen können, als die Zellen der hungrigen sozusagen von der Hand in den Mund Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 393 lebenden Blastäaden und Gasträaden. Beim Wachstum der Keimzellen wird die Kernprotoplasmarelation relativ wahrscheinlich nur wenig verändert, diese beiden Komponenten wachsen in gemeinsamer Ar- beit heran — um so erheblicher jedoch die Kernplasmarelation, welche sich von jener nicht scharf unterscheiden läßt. Nachdem das Protoplasma mit konzentrierten Nahrungsreserven erfüllt ist, die Zelle erheblich vergrößert erscheint, so spielt sich die Restitution, das Wachstum des Kernes und des Protoplasmas nach jeder Teilung auf Kosten der Nahrungsreserven sozusagen intra muros ab, es erfolgt keine Vergrößerung der Tochterzellen, wie bei den dotterlosen, frei- lebenden Ahnenzellen, sondern vielmehr eine sukzessive Verkleine- rung des Gesamtvolumens, eine Aufteilung der Reserven, wobei die Kernprotoplasmarelation absolut gleichfalls eingeschränkt wird, wenn auch nicht in so rapider Weise wie die Kernplasmarelation. Schließ- lich wird, wenn die Reserven aufgezehrt sind, eine der Leistungs- fähigkeit der somatischen Zellen entsprechende Normalgröße erreicht, und dann muß der Zellenstaat, — so wie einst — Nahrung von außen aufnehmen. Die weitere Entwicklung geht dann viel lang- samer vor sich, und die enormen Vorteile, welche die Approvisionierung für den raschen und gesicherten Ablauf der Formbildung ergibt, treten markant in Erscheinung. Es bedeutet einen ganz erheblichen Gewinn, wenn die Zellen sich eine Zeitlang vermehren können, ohne funktionell erheblich beansprucht zu werden, und die funktionelle Auslese und Anpassung erst dann einsetzt, wenn bereits größere noch indifferente Komplexe gebildet sind. Diese Periode des Ab- baues der Nahrungsreserven währt bei der Zunahme der sexuellen Divergenz immer länger und umfaßt schließlich bei hochstehenden oviparen, daher meroblastisch gewordenen Formen die gesamte Ent- wicklung. Dieser Erwerb ist eine der kardinalen Bedingungen zur Erreichung höherer Organisation. Die Befruchtung schafft nun zum mindesten hinsichtlich der Kernmenge ein Übermaß. Sie verdoppelt die Kernmenge, den Chromatinbestand. Diese Summation wirkt nun namentlich dann, wenn sie in einigen Generationen wiederholt wird, während der sanzen Entwicklung nach, sie steigert die Kernplasma- und Kern- protoplasmarelation im ganzen Zellenstaate und beeinflußt dann re- aktionär auch die Wachtumsperiode der Urgeschlechtszellen. Dieses führt, wie bei jenen heranwachsenden Knospenzellen bei primärer Sicherung der Deszendenz, zu jenen sozusagen miBglückten inäqualen Teilungen, den sogenannten Reifungs- oder besser Richtungs- 324 ALFRED GREIL, teilungen, welche in rascher Folge zweimal meist unmittelbar nacheinander eintreten; dann ist die Ohnmacht der Eizelle, einen Zellenstaat zu begründen, evident. Diese stürmischen, der Menge der Nahrungsreserven gegenüber aber machtlosen, lange Zeit hindurch verhaltenen Kontraktionserscheinungen sind unaufhaltsame, zwangs- läufige Folgen des Eiwachstumes, die sich unter allen Umständen, ob eine Besamung stattfindet oder nicht, abspielen. Die abgeworfenen Tochterzellen werden relativ um so kleiner, je erößer die Eizelle wird. Sie sind nicht abortive Eizellen, sondern Urkeimzellen, das heißt, sie haben zunächst noch nicht den vollen Rang der Oocyten erster Ordnung. Wenn sie unter günstigen Nahrungsbedingungen stünden (wenn wir sie z. B. in das Epithel eines Ovarialschlauches implantieren könnten), so würden sie wie die freilebenden abgeknospten Urahnen- zellen eine primäre Sicherung der Deszendenz bedeuten. Eizellen sind herangewachsene, gemästete weibliche Geschlechtszellen, mithin können die vor einer solchen Wachstumsperiode stehenden winzigen Knospenzellen nicht abortive Eizellen sein. Bei nachträglicher Ein- schränkung der Dotterbildung (beim Ubergang zur intrauterinen Ernährung) wird die Inäqualität geringer, die abortiven abgefurchten Zellen relativ und absolut wieder größer, kommen aber trotzdem nicht in Gelegenkeit, die Deszendenz primär zu sichern. Ob also eine von einer Gastraea ausgestoßene Zelle im Meerwasser heran- wächst, oder ob der Abkömmling eines Zellenstaates in einem Fol- likel sich mästet — omnes eodem coguntur —, sie alle können sich bei der ersten Teilung nicht äqual teilen, und nur sekundäre Um- stände haben dieser zwangsläufigen Erscheinung die Bedeutung einer primären Sicherung der Deszendenz zum größten Vorteile der Phy- logenese beraubt. Stets handelt es sich um zwangsläufig verlaufende unicelluläre Erscheinungen. Die durch die Befruchtung hervorgerufene Vermehrung des Chromatinbestandes hatte nun auch noch eine zweite Reaktion in dieser Teilungsperiode zur Folge. Es vollzieht sich eine Paarung der einzelnen, beim Erwerbe der mitotischen Zellteilung gesonderten Kern- sesmente. Auch bei jener fundamentalen Arbeitsteilung in der Zelle herrscht das „divide et impera“. Diese Konjugation der Chro- mosomen ist indeß durchaus nicht unbestritten, sie soll an dieser Stelle nur in Kalkulation gezogen werden. Ob nun eine solche, stets paarweise erfolgende Sättigung gewisser während der langen Wachstumsperiode gesteigerter Affinitäten im Ruhezustande der Segmente (Caryomeren), welch letztere in ihrem Grundstocke Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 325 als permanente oder wenigstens sukzedierende Komponenten des Zellkernes zu bezeichnen sind, weil sie sich wie die Centriolen ver- jüngen, — während oder nach Vollendung der Kontraktion der- selben zu Chromosomen erfolgt, ist eine Frage von nebensächlicher Bedeutung. Das Meritorische besteht darin, daß nur bei einer der beiden, meist ziemlich rasch aufeinanderfolgenden Teilungen die mitotische Längsspaltung der Chromosomen erfolgt, bei der anderen aber diese nicht gefestigte Paarung bei der Kontraktion der Seg- mente wieder gelöst wird. Die Folge davon ist eine Reduktion der Zahl der Kernsegmente auf die Hälfte. Diese Reduktion ist infolge der ungenügenden Nucleinsynthese zwischen den beiden geradezu stürmisch aufeinanderfolgenden Teilungen zugleich auch mit einer erheblichen Verringerung des Chromatinbestandes verbunden. Da- durch wird die Kern(Chromatin.)plasmarelation der Eizelle, ob sie nun befruchtet wird oder nicht, zuungunsten des Chromatins um die Hälfte erniedrigt. Sowohl die beiden mißglückten Teilungen wie diese Begleiterscheinungen sind zwangsläufig sich einstellende Re- aktionen auf das Eiwachstum, es entstehen dadurch die Pol- oder Richtungskörperchen, welche nach Verlust ihrer ursprünglichen Bedeutung insofern von Interesse werden, als sie die ersten Re- aktionen auf dem Eibau, das Eiwachstum, sind; die Stelle, an welcher sie abgefurcht werden, gestattet Rückschlüsse auf den Eibau, die bei den ersten Teilungen dann wesentlich erweitert werden. Alles, was sich also vor der Befruchtung abspielt, ist in jeglicher Hinsicht das Werk einer Einzelzelle. Diese Dokumente der Cellularphysiologie dürfen nicht mit Rücksicht auf den daraus hervorgehenden Zellen- staat beurteilt werden. Es wäre vorteilhaft, die Bezeichnung Reifungsteilungen, die von einer gewissen teleologischen Nebenbedeutung nicht frei zu machen ist, durch den Ausdruck Richtungsteilungen zu ersetzen. Auch die Oocyte zweiter Ordnung ist, unter die entsprechenden Bedingungen gebracht, zweifellos bei allen Formen entwicklungsfähig. Die natür- lichen Parthenogenese lehrt dies in allen möglichen Varianten. GAR- BOWSKY gelang es bei Asteriden, die zweite Richtungsteilung äqual zu bekommen. Die Folge war, daß sich die beiden so entstandenen Eizellen wie zwei erste Furchungszellen parthenogenetisch weiter ent- wickelten. Es kann nun keinem Zweifel unterliegen, daß, wenn es gelänge, die Teilungsfähigkeit der Oocyte nach der langen Wachs- tumsperiode derart zu heben, daß das Ovocentrum seine volle Herr- ‚schaft über die ganze, solange gemästete Zelle entfalten kann, auch 326 ALFRED GREIL, ihr erster Teilungsschritt, die erste Richtungsteilung, zu einer ersten Furchungsteilung umgewandelt, die Oocyte also zu einer Keimzelle gemacht werden kann. Es bedarf also prinzipiell nur minutiöser gradueller Bedingungsänderungen, welche lediglich den Kontraktions- mechanismus betreffen, um die herangewachsene Oocyte vollkommen entwicklungsreif zu machen, die primäre, ohnedies bereits bedeutungs- los gewordene Sicherung der Deszendenz völlig aufzuheben, die Ein- seitigkeit der sexuellen Differenzierung zu kompensieren. Daß nach dem Eindringen des Spermatozoons vor Vollendung der Richtungs- teilungen keine Kernvereinigung und erste Teilung durch das Spermo- centrum stattfindet, ist lediglich darauf zurückzuführen, daß jene zwangsläufigen Reaktionen auf das Eiwachstum die stürmischen ersten Teilungsversuche der Oocyte nicht aufzuhalten sind. Damit, dab sie ihre Ohnmacht, sich selbständig zu teilen, geoffenbart (und einen guten Teil ihres Kernmaterials verloren) hat, ist die Oocyte nicht reifer, sondern im Gegenteile meist geschwächt worden. Die Situation verhält sich etwa so, wie wenn ein kräftiger Mann einem schwankenden, geschwächten Weibe seinen Arm bietet, indem dieses sich nur lose einhängt und noch zweimal mit dem Aufgebot aller ihrer geringen Kräfte versucht, sich aufrecht zu halten. Dann faßt sie der kräftige Begleiter, er kompensiert ihre physischen Schwächen und ermöglicht ihr die volle Entfaltung ihrer unge- schwächten Leistungsfähigkeit. So verhält es sich auch bei der Eizelle, welche hinsichtlich ihrer kardinalen und für eine lange währende erste Periode der Entwicklung ausschließlich in Betracht kommenden und auch in den korrespondierenden Stadien der Phylogenese den Zellenstaat begründenden Funktionen durch die Richtungsteilungen nicht gestärkt und damit nicht ,gereifter“ wird. Es erscheint da- her mit Rücksicht auf die stets nachweisbare Lokalisation, in welcher die Teilung stattfindet, und diese stets prägnant ablaufende Reaktion auf das Eigefüge angemessen, von Richtungsteilungen zu sprechen. Sie sind in vielen Fällen bei anscheinend gleichartigem Eibaue das erste Zeichen, welches uns bei Ergänzung der Befunde beim Ei- wachstum eine Polarität des Eibaues offenbart. An den Samenzellen erfolgt dasselbe unicelluläre Phänomen: sowohl die 2malige rasche Teilung nach der Wachstumsperiode wie die als Reaktion auf die in der vorhergehenden Generation er- folgte Befruchtung aufzufassende Paarung der Kernsegmente und daher die Reduktion des Chromatinbestandes. Die sexuelle Ditie- renzierung hat jedoch die Inäqualität dieser Teilungen aufgehoben. Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 327 Es entstehen 4 gleichalterige und gleichgroße Zellen. Auch damit ist die ursprüngliche Bedeutung dieser primären Sicherung der Deszendenz verloren gegangen. So wie die äqual sich teilenden Urahnenzellen das- selbe Schicksal teilten und keine Sukzession ihres Materials möglich war, so repräsentieren auch die 4 Spermatiden mangels jener Altersunter- | schiede, welche die Sukzession begründet hat, nur eine einzige Alters- stufe. Die durch die immense Vermehrung der Ursamenzellen ge- gebene Sicherung der Befruchtung wird so auf das Vierfache erhöht. Die Befruchtung gleicht nun auch die als zwangsläufige Folge des Wachstums der Geschlechtszellen entstandene Reduktion des Chromatinbestandes aus und schafft eine annähernd „normale“ Kernprotoplasmarelation. Alle diese Erscheinungen gehören ins Gebiet der Cellularphysiologie. Sie sind richtungslose und ziel- lose Reaktionen des Zellenlebens und dürfen nicht teleologischen Gesichtspunkten und gewissen Dogmen von der Summierung der Ver- erbungsstoffe und Erbmassen unterworfen werden. Die Merogonie und die Vergewaltigung der Eizelle durch doppelte Befruchtung lehren, dab Reduktion oder Erhöhung des Chromatinbestandes für die Vollendung eines Somas belanglos ist. Summiert sich eine Doppelbefruchtung bei Wiederholung solcher Varianten, dann werden um so sicherer in den Geschlechtszellen des betreffenden Somas die Wachstums- vorgänge der erhöhten Kernplasmarelation entsprechend gesteigert sein und dann als zwangsläufige Reaktion jene intimen Vorgänge an den Kernsegmenten auftreten; um so gewisser werden jene beiden nacheinander folgenden Richtungsteilungen und die paarweise Sät- tigung erhöhter Affinitäten, die Zellenreduktion der Kernsegmente, erfolgen. So wirkt also die durch die Befruchtung geschaffene Kern- plasmarelation durch die ganze Entwicklung und die weitere Lebens- dauer bis auf das Eiwachstum nach, welchem bei vollem Kern- bestande, bei der Einwirkung eines Vollkernes auf das Protoplasma, auch intensivere, stürmisch ablaufende Richtungsteilungen folgen. Gelänge es, künstlich eine parthenogenetische Vollentwicklung solcher Eier zu erzielen, so dürfte die Einschränkung des Kernbestandes schließlich in einem heranwachsenden weiblichen Individuum auch das Eiwachstum und die Kontraktilität der Eizellen derart beein- flussen, daß die zweite Richtungsteilung entweder unterbleibt oder auf halbem Wege sistiert, nachträgliche Verschmelzungen des zweiten Polkörperchens eintreten, wie dies für die Parthenogenese charakteristisch erscheint. Dadurch wird zwar der Kernbestand auf- recht erhalten. Das Unterbleiben der Befruchtung, der mangelnde 528 ALFRED GREIL, Einfluß eines teilungskräftigen Spermocentrums, die mangelnde Auf- frischung durch neues, an allen Vorgängen beteiligten, insbesondere auch bei der Zellteilung durch den Stoffwechsel das Protoplasma beeinflussendes Kernmaterial wirken bis zum Eiwachstum und den Richtungsteilungen nach. Das Unterbleiben oder die Unvollkommen- heit der zweiten Richtungsteilung wäre demnach an sich als ein Schwächezustand zu betrachten, die Bildung zweier Richtungs- körperchen ist die letzte Reaktion des Teilungsmechanismus auf eine Vollbefruchtung. Auch das von äuberen Lebensbedingungen abhängige Eiwachs- tum kann die Teilungs- bzw. Entwicklungsfähigkeit der Eizelle be- stimmen, obgleich beide Erscheinungen nur Symptome eines das ganze Soma betreffenden Zustandes sind. Aphiden, Daphniden u. a. legen im Sommer viele und kleine, sich rasch parthenogenetisch ent- wickelnde, im Winter träge, nach typisch weiblicher Art arbeitende, große, der Befruchtung bedürfende Eier ab. In diesen Eiern spiegelt sich der ganze Zustand des Somas in beiden Jahreszeiten wieder. Das kurzdauernde, quantitativ und qualitativ die Teilungsfähigkeit der Ureier weniger schwächende Eiwachstum hat Parthenogenese zur Folge. Ob ein oder beide Richtungskörperchen abgefurcht werden, ob schon nach der 1. oder 2. Teilung durch die bei diesen Kontraktionsvor- gängen entstandenen Stoffwechselprodukte, insbesondere des Kernes, der schlummernde Teilungsmechanismus schon so entfacht wird, daß er das ganze kleine Ei voll beherrscht, ist einerlei. Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um eine katalysatorische (BERCELIUS-OSTWALD- Los) Tätigkeit des Kernes, die erst allmählich die zur vollen Ent- faltung des Teilungsmechanismus nötige Intensität, die Reaktions- schwelle erlangt. Die schwertälligen, wie Lasthebel arbeitenden Wintereier sind ohnmächtig, bilden ihre Richtungskörperchen aus, gehen unfehlbar zugrunde, weil sie sich nicht teilen und einen Zellen- staat begründen können. Auch wenn das vollkräftige Spermocentrum mit der Spermakerne eintritt, bedarf es meist einiger Zeit, ehe die nur zum Teil katalytische Einwirkung voll zur Geltung kommt und die Teilung, die Entwicklung beginnt (Dauereier). Ein Mittel- ding repräsentieren diejenigen parthenogenetisch sich entwickelnden Hier, welche nach einer oder zwei Richtungsteilungen in die Ent- wicklung eintreten, Keimblätter bilden, dann aber erlahmen. Der Teilungsmechanismus der Zellen und auch andere Leistungen der- selben, die durch die männlichen Elemente gesteigert werden, er- weisen sich zu schwach, um die Entwicklung zu Ende zu führen. Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 329 Die Befruchtung wirkt in erster Linie als eine Entfachung, eine Steigerung der Teilungsfähigkeit der Eizelle, und wohl erst in zweiter Linie steht die Erhöhung anderer unicellulärer Fähigkeiten. Während die Bildung zweier Richtungskörper oder die mangelhafte Ausbildung des zweiten an sich als ein Schwächezustand aufzufassen ist, bedeuten diejenigen Fälle, in welchen nur ein Richtungskörper- chen gebildet wird und die zweite Teilung äqual erfolgt und eine Parthenogenese einleitet, ein ursprünglicheres Verhalten, gewisser- maben einen sexuellen Indifferentismus, der in der Phylogenese der Vorläufer der sexuellen Arbeitsteilung war. Die Ureier mästen sich und wachsen heran. Ihre erste Teilung versagt und wird hoch- gradig inäqual, äußere Bedingungen machen sie abortiv, Die Stoff- wechselprodukte, welche bei dieser Tätigkeit entstehen, genügen, um das Plasmagefüge derart zu kräftigen, daß die folgende Kontraktion die ganze Zelle beherrscht. So bedeutet also die Abkürzung und Einschränkung des Eiwachstums bei solchen parthenogenetisch sich vermehrenden Formen entschieden einen sehr ursprünglichen, sexuell indifferenten Zug. Die Eier erscheinen wieder als Keimzellen. Gäbe es bei solchen Formen keine Männchen, dann wären die Weibchen als ungeschlechtlich zu bezeichnen. Der Vergleich der sich partheno- genetisch und aus befruchteten Eiern vollziehenden Entwicklung, der aus Sommer- und aus Wintereiern entstehenden Tiere zeigt nebst dem tiefgreifenden Einfluß äußerer Entwicklungsbedingungen die ‚eminenten Vorteile, welche die sexuelle Differenzierung und die deren Einseitigkeit ausgleichende, diese Arbeitsteilung einheitlich gestaltende und vollendende Befruchtung ermöglicht hat. Wir müssen diese Dinge so beurteilen, wie sie zustande gekommen sind, als unicellu- läre Erscheinungen, die sich spontan, blindlings in den Tag hinein abspielen, komme nun, was kommen mag. Die übrigen Reaktionen auf das Eiwachstum, der ganze Entwicklungsgang sind Probleme für sich und werden hierdurch nur in untergeordneter Weise be- einflußt. Die Keimzelle hat durch alle diese unicellulären Funk- tionen nichts von ihrer Einfachheit eingebüßt — wie es GEGENBAUR lehrte —, sie muß alles dies als eine unaufhaltsame Folge- erscheinung ihres Wachstums mit in Kauf nehmen und absolvieren, ehe sie in die Entwicklung eintritt, sozusagen frei wird, sich mit dem Spermatozoon beschaftigen kann. Es ist verfehlt, bei diesen ‚Phänomenen von Tendenzen und von Zwecktätigkeit zu sprechen. Alle diese Erscheinungen gehören ganz und gar ins Gebiet der Cellularphysiologie. Es handelt sich nicht darum, eine Summation 9390 ALFRED GREIL, von micellaren Erbmassen und ultramikroskopischen Vererbungssub- stanzen zu verhüten, denn solche Dinge existieren nicht. Wir können sie nicht sehen, und nichts zwingt uns, sie anzunehmen. Was sich vor Beginn der Entwicklung abspielt, kann in solcher Hinsicht nicht ‚anders beurteilt werden als die mannigfachen Copulationserschei- nungen bei Protozoen, von denen einige auch bereits die Anfänge von sexueller Differenzierung zeigen. Diese Vorgänge werden als wertvolle Beiträge zur Cellularphysiologie betrachtet. Wir können doch unmöglich im einzelnen voraussehen, was die rezenten Ein- zelligen, wenn sie vielleicht einmal die Fähigkeit, sich im Verbande zu teilen, erlangt haben werden, im einzelnen für Formationen aus- bilden werden, welche Erbmassen dabei ev. zu unterdrücken wären. Sie könnten es aber jederzeit, sobald diese einfache Bedingung er- füllt ist. Sollen sie für diese Eventualität vielleicht jetzt schon organbildende Substanzen mit sich führen? Alle rezenten Metazoen zeigen sexuelle Differenzierung und fügen sich dem Zwange der durch das Wachstum der Urgeschlechtszellen geschaffenen, vom Soma beherrschten und bestimmten Bedingungen. Vom Cnidarier bis hinauf zum Menschen, bei Hoch und Nieder werden prompt die Pol- oder Richtungskörperchen abgefurcht, welche ausnahmslos ihre ursprüngliche Bedeutung der primären Sicherung der Deszendenz eimgebüBt haben. Was die Entwicklung bringen wird, wie groß und wie gestaltet das Soma ist, in dem die Geschlechtszellen schma- rotzen, ist mit Rücksicht auf diese Reaktionen ganz belanglos, weder die Dottermenge, noch die Differenz der sexuellen Differenzierung steht zur Organisation in einem bestimmten Zusammenhange. Die befruchtete Keimzelle tritt als ein einfaches Zellindividuum in die Ontogenese ein, gleichviel, ob daraus eine Gastraea oder ein Mensch wird, im wesentlichen so, wie die Urahnenzellen das Metazoenreich gegründet haben. Nicht Präformation, sondern Prävalenzen uni- cellulärer Fähigkeiten, insbesondere des Teilungswachstums und die Bedingungen zu ihrer Entfaltung bestimmen die ersten Unterschiede. Auf die Gastraea folgte in der Phylogenese wahrscheinlich schon unter obengenannter sekundärer Sicherung der Deszendenz, unter Förderung durch die Keimzellenbildung in zwangläufigem, spon- tanem, planlosem Weiterbau eine Form, die dadurch ausgezeichnet war, daß der erweiterte, sich mit Nahrungspartikelchen füllende Urdarm nach irgendeiner Seite hin sich umbog, mit dem Aufen- blatte in Verbindung kam und dann unter besonderen mechanischen Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 331 Bedingungen durchbrach. So entstand das Darmtier (Enterozoon). Die neugebildete Öffnung wurde zum Munde, der Urdarm blieb als After bestehen. Damit wurden der weiteren Entwicklung neue Bahnen, eine weitere Perspektive eröffnet. Das Enterozoon konnte kuglig bleiben. In dieser Form konzentrierte sich die Bewimperung in funktioneller Anpassung auf eine äquatoriale Gürtelzone, während an dem, dem After gegenüberliegenden oberen (vorderen) Pole der Achse die locomotorisch nicht beanspruchten Cilien zu langen Geißeln auswachsen, die zunächst als Steuer dienen. Auch der Darm konnte sich in beengtem Wachstume in einzelne Teile gliedern und diese wiederum enge Divertikel liefern, welche nicht mit der Nahrung direkt in Verbindung kamen und so zu Drüsen wurden. Auf solcher Stufe sind im wesentlichen gewisse Rädertiere, abgesehen von speziellen Abänderungen, stehen geblieben. Sie bilden rezente Belege für die primitive Organisation eines aus einer rundlichen Gastraea hervorgegangenen Enterozoons. Die freilebenden Vorfahren höher- stehender Wirbelloser und der Wirbeltiere brachten es nur deshalb so weit, weil sie schon frühzeitig, vielleicht schon als Gastraeaden und sicherlich aber im Enterozoonstadium ein intensives axiales Längenwachstum eingeschlagen haben, welches die Enterozoon- organisation vollends auszunützen gestattet. Bei den Vorfahren der Wirbeltiere und des Amphioxus sowie einiger höherer Klassen der Wirbellosen war eine kardinale Errungenschaft die Bildung paariger Darmfalten, die zu beiden Seiten der durch die Mundbildung ge- schaffenen Symmetrieebene — wie später noch erörtert wird — durch minutiöse Wachstumsdifferenzen entstanden und in die weite Leibes- höhle vordrangen. Ihre erste und wichtigste Verwendung war wohl die Bildung der Keimzellen, die an einem in der Nähe des Darmes, der Nahrungsquelle gelegenen günstigen Orte vor sich ging. Dieses Feld nahm jedoch nur einen kleinen Teil der Falten in Anspruch, deren Wachstum zunächst keine Schranken gesetzt waren. Auf beiden Seiten wurde der Darm umwachsen, auf Rücken- und Bauch- seite bilden die zusammenstoßenden Ränder der Falten Aufhänge- bänder, während derselbe Prozeß an deren Entstehungsstelle am Darme zur Abschnürung führte. So entstand ein epitheliales mittleres Keimblatt, welches eine neue Leibeshöhle einschließt, die dem Darme und seinen Derivaten eine gewisse Bewegungsfreiheit gewährt (enterocöles Darmtier). An dem reichen Zellenmaterial des Mittelblattes war nun mannig- fache Gelegenheit zur funktionellen Auslese und Steigerung der primi- 332 ALFRED GREIL, tiven Fähigkeiten, des Gemeingutes aller Zellen gegeben. Während Zellen des äußeren Keimblattes den primitiven Locomotionsapparat, die Wimperbewegung versahen, wurden sie von benachbarten, oder der Innenlamelle angehörigen Zellen des mittleren Keimblattes da- durch unterstützt, daß diese ihre kontraktile Fähigkeit in den Dienst der Allgemeinheit stellten und unter Verzicht auf andere Fähigkeiten diese eine Fähigkeit in funktioneller Anpassung steigerten und so zu Muskelzellen wurden. Stentor und andere Pro- tozoen zeigen, wie in funktioneller Anpassung die unicelluläre Funk- tion der Kontraktilität gesteigert werden kann. Diese Entfaltung hielt mit der Zunahme des Längenwachstums gleichen Schritt. Den Vorfahren des Amphioxus und der Wirbeltiere war nun ein weiterer Erwerb gemeinsam, der sich zu den Chordoniern machte, womit bereits die Basis der Wirbeltierorganisation erreicht ist. Eine Wachstumsdifferenz und Beengung an der, dem Rücken zugekehrten Darmwand ließ dort eine mittlere Längsrinne entstehen, die dann bei fortgesetztem Wachstum in der gegebenen Architektonik der (sesamtheit zwangsläufig abgeschnürt wurde. Die primären Be- dingungen dieser Wachstumsdifferenz werden später berücksichtigt werden. Dieses axial gelegene Rohr wurde zu einem soliden Strang, die Zellen schieben sich keilförmig zwischeneinander, und so entsteht eine geldrollenartige Zellensäule, die den primitiven elastischen Stütz- apparat, die Chorda dorsalis, darstellt. Die schlängelnden Be- wegungen des Körpers haben an diesem axialen, isolierten Gebilde cine besondere primitive Fähigkeit, die einzige, die an dieser Stelle überhaupt zu entfalten ist, gesteigert. Es entstehen und sammeln sich Flüssigkeitstropfen (Vacuolen), deren Kompressibilität und Be- weglichkeit den Ausgleich der Gestaltsveränderung bei großer Biegungs- festigkeit bewirken. Eine derbe Cuticularbildung entsteht und sichert den Zusammenhalt. Cuticularbildungen, Chitin u. dgl. abzusondern, ist, wie z. B. die Nematodeneier zeigen, eine Fähigkeit des gesamten Eizelle und daher auch aller ihrer Abkömmlinge. Das beengte Längen- wachstum hat im epithelialen Mesoderm die Bildung von Querfalten zur Folge, womit dem Wachstum neue Bahnen gewiesen werden, die dann zwangslaufig zur Durchschnürung der queren Ringfalten, zur Sesmentierung führen. Nachdem diese Schranken erreicht waren, bot sich dann seitwärts an der Chorda an der Abschnürungsstelle Gelegenheit zu profusem Wachstum dieser ventromedialen Abschnitte der Segmente zur Bildung freier Mesodermzellen. Schrankenlos, allenthalben vordringend, breitet sich das auf solche Weise freige- Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 333 wordene Zellenmaterial zwischen den einzelnen Formationen aus und liefert dann in funktioneller Auslese und Anpassung das Skelet- und Blutgefäßsystem. Die übrige mediale Wand der Segmente bleibt epithelial. Der gesamte Zellenstaat und insbesondere ihre Nachbar- schaft geben ihr Gelegenheit, die Kontraktilität zu steigern und Muskelfibrillen zu differenzieren. Andere Fähigkeiten dieser Meso- dermzellen können an dieser Stelle nicht entfaltet und müssen daher vernachlässigt werden. — Die schlängelnde Bewegung treibt der nahe dem Vorderende gelegenen Mundöffnung Flüssigkeit und Nahrung zu. Dadurch wird insbesondere der vorderste Darmabschnitt unter besonders günstige Assimilationsbedingungen gestellt, die ein inten- siveres Wachstum zur Folge haben. Es entstehen Wachstums- differenzen zwischen dem Vorderarme und der Umgebung, die im Rahmen der Architektonik des Ganzen zu aufeinanderfolgenden Faltenbildungen an der seitlichen Wandung führen. So wie nun im Prinzipe derselbe Vorgang die Mundöffnung und das Enterozoon ge- schaffen hat, so schafft er nun das Darmkiementier. Es ent- stehen im Vorderdarme aus jenen Falten seitliche Spalten, die Kiemen- spalten. Das mittlere Keimblatt dieses Gebietes, dessen, an be- stimmten Stellen intensiveren Wachstums auswandernde Zellen zum Vermittler zwischen dem Darm und dem Körper werden, indem sie das Blutgefäßsystem aufbauen, entfaltet dann in dem zwischen den Kiemenspalten gelegenen Bogen die Kiemengefäße. So würde in großen schematischen Zügen aus der Gastraea das Enterozoon, das enterocöle Darmtier der Chordonier und ein Urfisch. Es galt, nur in groben Umrissen, auf Grund der bei zahlreichen rezenten Wirbellosen und den Chordoniern sich darbietenden Be- funde den epigenetischen Werdegang dieses fundamentalen stammes- geschichtlichen Entwicklungsganges freilebender Formen darzulegen, um zu zeigen, wie aus ganz einfachen Ausgangssituationen sukzessive, durch die Kette der sich epigenetisch ergebenden Bedingungen ge- leitet, die Grundform der Wirbeltierorganisation entstand. Die nur flüchtig skizzierten Momente werden anderen Orts ausführlich er- örtert werden. Der geschilderte Zyklus hätte, eine entsprechende Dauerhaftigkeit der Urahnenzelle vorausgesetzt, zum Teil von einem einzigen Individuum durchlaufen werden können. Wie könnte man nun behaupten, daß „alle“ die Bedingungen zur Erreichung des Fischtypus bereits in der einfachen Ausgangszelle gegeben sind ? Dies wäre etwa so, wie wenn man behaupten wollte, dab an einer menschlichen Keimzelle nicht nur die individuelle Organisation des 334 ALFRED GREIL, Säuglings determiniert sei, sondern auch die Art und Weise wie das Kind heranwächst, wie es heranreift, sich in die menschliche Ge- sellschaft einfügt und an welchen Alterserscheinungen es sterben werde. Daß die Urzelle nicht den ganzen Zyklus der Entstehung eines Urfisches als ein Individuum durchmacht, sondern eine unge- zählte Reihe von Generationen (Ontogenien) sich vermittelnd, sozu- sagen auffrischend und die Dauerfähigkeit steigernd und neue Be- dingungen schaffend einschieben, ändert an dem Prinzipe des epi- genetischen Werdeganges nichts. In diesen Generationen wurde durch sukzessive Steigerung der wenigen primitiven Zellfunktionen, durch die Approvisionierung der ersten Entwicklungsstadien Schritt für Schritt unter riesiger Mehrung der Individuen in derselben Weise der Fischtypus erreicht. Auch die Eizelle der letzten Gene- ration unterscheidet sich lediglich durch die Steigerung ihrer wenigen cellulären Funktionen, vor allem des Teilungswachstums (der Appro- visionierung) und durch die Dauerhaftigkeit ihrer Abkömmlinge von der Urahnenzelle, wodurch jedoch ihr einfacher Zellcharakter nicht im mindesten verändert wird. Die rege Assimilationstätigkeit, die Aufnahme, Umarbeitung und Aufstapelung von Rohmaterial be- sorgen Eizellen nicht anders als Protozoen. Oft genug zeigen die Oocyten der Wirbellosen nach der Vollendung ihrer Wachstums- periode intensive amöboide Bewegungen und führen gewaltige Evo- lutionen aus, welche die Amöben an Massenentfaltung in Schatten stellen (Eier der Kalkschwämme, von Aydra, Rhynchelmis, Nematoden u.a.). Sie betätigen auch als Dauerkeimzellen lediglich unicelluläre Fähirkeiten. Die von GEGENBAUR und HAEcKEL inaugurierte Er- kenntnis dieses Prinzips ist mit der Annahme von den Anlage- substanzen unvereinbarlich. KERSCHNER hat 1887 in seiner lehrreichen, die Quintessenz ratio- neller Entwicklungsphilosophie darstellenden Schrift über „Keimzelle und Keimblatt“ mit philosophischer Eleganz Gedankengänge über die Fort- pflanzungs- und Organisationsverhältnisse der Lebewesen veröffentlicht, welche wertvolle Richtlinien für die allgemeinen Probleme enthalten. Der Autor geht von der Tatsache aus, daß die Keimzellen des Somas direkte Abkömmlinge der Keimzelle sind, welche das Soma begründet haben. Diesen Keimzellen steht, was celluläres Massenwachstum anlangt, jedes Infusor unter günstigen Bedingungen zum mindesten nicht nach. Die un- geschlechtliche Fortpflanzung der Protozoen wird mit der Bildung der Metazoen verglichen und die Unterschiede festgestellt. Bei den Protozoen sınd die einzelnen Zellen frei und gleichartig, bei den Metazoen sind sie verbunden und ungleichartig (oder vielleicht richtiger, sie sind verbunden and werden ungleichartig, sobald sie im Zellenstaat der funktionellen Aus- Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 335 lese und Anpassung verfallen). „Eben so wie die Theilstücke eines einzelligen Wesens diesen gleichen, weil sie ja Theilstücke desselben sind, eben so gleicht auch die von einer Eizelle eines mehrzelligen Wesens erzeugte polymorphe Kolonie derjenigen, aus der die Eizelle stammt, darum, weil diese ein unveränderter Theil jener Eizelle ist, aus welcher der Mutter- organismus stammt.“ Innerhalb des Organismus vermehren sich die (Ur-) Keimzellen nur durch reguläre Teilung, und die Produkte dieser müssen wir als durch und durch gleichartig ansehen. Die „unreifen“ Keimzellen verhalten sich zu den reifen eventuell mit Dotter überladenen so wie der Hungerzustand eines einzelligen Wesens zu den vollständig gesättigten, L. KERSCHNER trat bereits damals mit aller Entschiedenheit der Annahme entgegen, daß in der Eizelle eine präexistente Differenz der Bestand- teile (oder der Muttersubstanzen) vorhanden sei, „welche die morphologische und physiologische Eigenart der differenzierten Abkömmlinge der Eizelle bedingen“. ...„Eiben so wenig nun als wir das Plasma der Eizelle durch das Auftreten des Deutoplasma, das sich ja schon für unsere Hilfsmittel als sekundärer Einschluss zu erkennen gibt, für specifisch verändert halten können, eben so wenig dürfen wir im Plasma der dotterhaltigen und dotter- losen Nachkommen der Eizelle einen qualitativen Unterschied vermuthen. Wir müssen vielmehr in allen, morphologisch noch sehr verschiedenen Furchungskugeln die qualitative Gleichheit des wirksamen Plasmas an- nehmen und die morphologische Verschiedenheit als den Ausdruck eines verschiedenen Funktionszustandes ansehen...“ Diese wohldurchdachten und weite Konsequenzen eröffnenden Worte hätten sich vor allem als richtungs- gebende Programmpunkte entwicklungsmechanischer Bestrebungen ge- eignet — leider sind sie lange genug ungehört verhallt —-, sonst hätte die Mosaiktheorie nicht solche „Blüten“ treiben können. I. Wir haben bisher in erster Linie die epigenetische Entwicklung freilebender Formen im Auge gehabt. Wie vollzieht sich nun dieOnto- genese innerhalb der Eihülle, die im Laufe der Stammes- geschichte, gleichzeitig mit der Zunahme der Approvisonierung, immer derber und dauerhafter wurde, den Keim auf immer länger währende Perioden von der Außenwelt und gewissen, direkt wirkenden Be- dingungen, welche diese für diese Entwicklung schafft, fern hält? Je intensiver und andauernder nun die Approvisionierung wird, um so mannigfaltiger wird die Art und Weise, wie sie sich vollzieht. Damit ist nun eine ganze Reihe von inneren Bedingungen und Varia- tionen des Eiwachstums eröffnet, die sekundär an Stelle der primären im Freileben wirkenden äußeren Bedingungen die Entwicklung beein- flussen und vermöge ihrer Mannigfaltigkeit eine weite Divergenz der Organismen einleiten. Nicht die sich hierbei zunächst als Be- gleiterscheinung ergebende verschiedenartige, ehemische Konstitution Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Anat. u. Physiol. 22 330 | ALFRED GREIL, sondern die rein physikalischen Momente der Aufnahme und Anord- nung der Rohstoffe und die dadurch bedingte grobe Veränderung des Eibaues, der von der Organisation der Muttertiere abhängige Bau der Keimstätten, das Werk letzter epigenetischer Entwicklungs- akte des Muttertieres kommt hierbei in erster Linie in Betracht. Die einfachste Variante ist eine geringe Exzentrizität in der An- häufung der Nahrungsreserven. Es müßte mit ganz sonderbaren Dingen zugehen, wenn bei so langem Wachstume und so mächtiger Vergrößerung eine vollkommen gleichmäßige Tektonik der Eizelle gewahrt bliebe Die Vermehrung der Nahrungsreserven, minimale Lageveränderung des Kernes, der am Aufbaue aller Reserven inten- siv mitbeteiligt ist und bei der Vergrößerung der Zelle stets eine gewisse Minimaldistanz von der Oberfläche einhält, bedingen bereits eine dauernde Exzentrizität desselben. Das Ei wird dadurch polari- siert. Daß die Meridiane der ersten Teilungen dadurch bestimmt werden, ist in vielen Fällen ein nebensächliches Moment. Immerhin bieten die sich hierbei ergebenden intimen Reaktionen des Teilungs- mechanismus, die Art und Weise, wie das dynamische Gleichgewicht der Strahlungen erreicht wird, wie sich der Teilungsmechanismus mit den eingelagerten ihn behindernden Zellprodukten abfindet, wert- volle Anhaltspunkte zur Ermittlung des Eibaues und zugleich lehr- reiche Beiträge zur Lehre des Teilungsvorganges. — Bei Inäqualität der ersten Teilungen kann schon frühzeitig ein physikalisches, quantitatives Überwiegen einer Seite zustande kommen, welches, wie zahlreiche Wirbellose lehren, die weitere Entwicklung in ganz ent- scheidender Weise beeinflussen, eine ganz andere Herkunft des Zell- materials für gewisse Keimblätter (Mesoderm) und Organbildungen bedingen kann. Diese simple, graduelle Inäqualität der ersten Furchungszellen, die doch mit spezifischen Anlagesubstanzen gar nichts zu tun hat und die durch einseitige oder allgemeine Behinde- rung des Teilungsmechanismus entsteht, kann unter der Wirksam- keit der epigenetisch sich ergebenden Bedingungskette Erscheinungen zustande bringen, die an einem „regulären“ freilebenden Enterozoon unmöglich erworben werden konnten. Wenn die Inäqualität erst bei einer dritten, meist latitudinalen Teilung zur Geltung kommt, dann spielt die richtungslos erworbene Ungleichartigkeit der Eizelle bei geringem Grade meist keine zwingende weitere Rolle. Die ungleiche Größe der ersten animalen und vegetativen Zellen wird unter Um- ständen im Blastula- und Gastrulastadium bei der weiteren Zell- vermehrung vollkommen ausgeglichen, hinterläßt manchmal als solche Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 337 keine weiteren Folgen. Schließlich werden die Reserven gleichmäßig verteilt. Erfolgen auch die ersten Teilungen äqual, so ist deren Riehtung für die weitere Entwicklung ohne Belang, so wie ursprüng- lich die Zahl und die Lagerung der Zellen der Blastäa belanglos waren. In der Blastula als Ganzes äußert sich nun die Polarität der Ei- zelle. Auf viele Zellen verteilt kommen in diesen graduelle Ver- schiedenheiten hinsichtlich der quantitativen Verteilung, der Kom- ponenten der Nahrungsreserven, ob sie nun die ersten Teilungen beeinflußt haben oder nicht, sowie hinsichtlich der Assimilations- tüchtigkeit, der Aufnahmefähigkeit zur Geltung. Reichlicher mit Dotter beladene Zellen sind größer, beanspruchen bei den Teilungen mehr Platz, können auch länger von ihren Reserven zehren und — gleich Lasthebeln arbeitend — sich intensiver teilen und wachsen. Damit ist bereits innerhalb gewisser Grenzen an der vollendeten Blastula jene fundamentale Wachstumsdifferenz gegeben, welche die . Zellen der vegetativen Kalotte zu etwas regerem Teilungswachstum befähigt. Die ringsum von oben her andrängende, vorwiegend animale Nachbarschaft, eine äquatoriale Ringzone, beengt die vegetative Zellenplatte, deren plumpe Elemente sich in einschichtiger Anordnung senkrecht zur Oberfläche teilen. So muß diese unter einer gewissen Ringspannung durch Ein- oder Ausbuchtung sich vergrößern. Auch protoplasmareichere, kontraktilere, rascher arbeitende Zellengruppen können unter Umständen Vorsprünge gewinnen, Wachstumsdifferenzen schaffen und in beengtem Wachstum mancherlei Formbildungen hervorrufen, welchen die Epigenesis bei der funktionellen Auslese, Anpassung und der Steigerung ihrer Fähigkeiten dann neue Bahnen eröffnet. Damit sind nun sozusagen intra muros dieselben Wachstums- bedingungen gegeben, welche an freischwärmenden Blastäaden durch die Zusammenwirbelung der Nahrungsstoffe und andere Umstände am hinteren Pole einer eiförmigen Zellenblase bestanden. Auf solche Weise kommt also innerhalb der Eihüllen durch minutiöse Wachstums- differenzen, lediglich durch ein Mehr oder Weniger derselben Sub- stanzen, nicht aber durch spezifische Anlagesubstanzen bedingt, die Urdarmbildung zustande. Die beim gesteigerten Wachstum er- folgende intensivere Resorption von Blastocölflüssigkeit, in anderen Fällen [der Außendruck der Eihüllen zwingt die vegetative Zellen- platte oder die am raschesten wachsenden Abschnitte derselben zur Invagination. Bei dotterreichen Holoblastierkeimen, deren große, bei der Furchung mit der Hauptmenge des Dotters beteiligte vegetative 22* 338 . ALFRED GREIL, Hemisphäre durch paratangentiale Teilungen vielschichtig, zum Entoderm massiv wird, spielt sich das Ringen, sobald ein solcher Ausweg dem Wachstum eröffnet ist, in etwas anderer Weise ab. Jene erste Reaktion auf gesteigertes, ungleiches und daher beengtes Wachstum, welche an der einschichtigen hohen vegetativen Platte des Amphioxus-Keimes bereits die Invagination schafft, wird durch die Gewinnung der vielschichtigen Anordnung abgeschwächt und von der Oberfläche abgelenkt. Die freie Oberfläche des Entodermmassivs wird dadurch relativ immer kleiner, während sie bei Einschichtigkeit zunimmt. Das Entodermmassiv hat infolge der Eröffnung jenes Ausweges nach innen an Widerstandsfähigkeit eingebüßt, es weicht dem Andrängen der, wie Geschwindigkeitshebel arbeitenden, in ge- schlossener Anordnung an der Oberfläche vorwachsenden Micromeren. Die Zusammenschiebung des Entodermmassivs kann indeß nicht als Überwachsung bezeichnet werden, weil es sich um einen oberfläch- lichen Wachstumsausgleich, um eine Verringerung der freien Ober- fläche und der senkrecht zu dieser erfolgenden Teilungen handelt. Es bleiben relativ immer weniger Zellen an der Oberfläche, das Micromerenfeld gewinnt absolut und relativ auf Kosten der vorwiegend schräg und paratangential sich teilenden Macromeren an Oberfläche Auch bei den Ctenophoren werden z. B. die Macro- meren nicht von den Micromeren überwachsen, sondern nur ihre freie Oberfläche, unter welcher der Kern liegt, eingeengt und dieser geren den vegetativen Pol hin verschoben, woselbst dann die dritte Micromerengeneration abgefurcht wird. Es wird bei dieser in strenger Abhängigkeit erfolgenden Wanderung der Macromerenkerne und ihrer Plasmahöfe die intercelluläre Fläche vergrößert, die freie eingeengt. Dies ist für die Epibolie charakteristisch. Bei einer Überwachsung müßte der Kern und sein Hof überlagert werden. — Das breite Beschreiten des Ausweges nach innen zu bringt es nun mit sich, daß das Entodermmassiv der holoblastischen Anamnier — zu einer Zeit, in welcher bei einschichtiger Anordnung bereits die Gastrulation vollendet wäre und die Längenentwicklung der Gastrula einsetzen würde — von den in letzterem Prozeß selbständig ein- tretenden Micromeren an der Oberfläche immer mehr eingeengt wird. Es setzt also die Längenentwicklung des Ectoderms vor der In- vagination ein, weil eben die Macromeren in jenem kritischen Momente einen anderen, für die Formbildung weniger vorteilhaften Weg betreten mußten. Es erzwingt dann erst die Ausbreitung der Micromerendecke — sonst ein Akt des Längenwachstums — in einer Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 339 zweiten Etappe jenen Grad der Anstauung, Spannung und Beengung in der Übergangszone, welcher eine Einsenkung der nun das Dach der Urdarmhöhle bildenden, sich anstauenden Übergangszone und zum Teil auch deren freie Überwerfung als einen die Invagination einleitenden Akt zur Folge hat. Das Entodermmassiv bildet den Ur- darmboden und nützt nach innen strömend den neu eröffneten Aus- weg in strenger Abhängigkeit von der Urdarmdecke aus. Sobald die Einsenkung entstanden, sozusagen bei einem zweiten Anlaufe ein kritischer Punkt überwunden ist, erscheint dem Ringen eine neue Situation eröffnet, die mit aller Beharrlichkeit immer mehr ausgenützt wird Der Weg nach innen wird soweit als möglich verfolgt. Bei meroblastischen Anamniern sind diese Verhältnisse des Ringens der Randzone mit dem Keimsyncytiumrest, dem „Dotter“, noch viel markanter ausgesprochen. Die Gastrulation ist stets der breiteste Ausweg der Situation; bei geringerer Reaktionsschwelle, bei geringerer Wachstumsdifferenz und -intensität entsteht an Wirbel- tierkeimen prostomales Mesoderm. Alle diese Modifikationen der Gastrulation innerhalb der Eihüllen haben das Gemeinsame, dab das Eiwachstum durch die exzentrische Anordnung des Depots den Grund zu den Wachstumsdifferenzen legt, indem die aus dem Haupt- laboratorium des Plasmas hervorgehenden Blastomeren und Zellen anfangs zu gesteigerter Assimilation, also zu erhöhtem Teilungs- wachstum befähigt erscheinen. Diese Veranlagung zu ungleichem Wachstum, die erste Position im Ringen ist meist sehr fein abge- stimmt — genau so wie auch das Eiwachstum feine Abstufungen in periodischer und räumlicher Hinsicht aufweist. Die erste, grobe Reaktion ist die Inäqualität der Furchung, eine zweite die Exzen- trizität der Furchungshöhle, bei holoblastischen Anamniern die all- mähliche Zunahme der Wanddicke gegen den vegetativen Pol, die nächste die Invagination an der Stelle der größten Beengung, das Aufeinanderprallen der beiden Partner in der äquatorialen Zone, womit dann dem Ringen neue Wege gewiesen sind. Es ist eine bei länger andauerndem Eiwachstum unausbleibliche Begleit- und Folgeerscheinung, daß bei steter Größenzunahme der Oocyte der an allen Synthesen so lebhaft beteiligte Eikern nicht genau in der Polachse zentriert verbleibt. Hierbei ist stets zu be- achten, ob beim Eiwachstum die Zufuhr des Rohmaterials nur von einer Seite (Stieleier) oder von mehreren Seiten und in welcher In- tensität erfolgt. Auch die Richtungsteilungen, die Bewegungen des Spermatozoons geben reichlich Gelegenheit zur Lageveränderung des 340 ALFRED GREIL, Kernes, welche der Protoplasmahof nur bis zu einem gewissen Grade mitmacht. Damit werden aber dann bei der Furchung, wenn die Sektoren des Protoplasmas auf Zellengruppen verteilt werden, zwischen diesen wiederum graduelle Wachstumsdifferenzen geschaffen, welche in kritischen Momenten, wenn die Reserven etwas ausgenützt zu werden beginnen und die Leistungsfähigkeit der Zellen voll bean- sprucht wird, im kleinen Zellenstaate zur Geltung kommen müssen. Es werden also, wenn außer der Polarität auch noch eine die Bilateralität bedingende Exzentrizität nach irgend einem Meridian hin besteht, nach dieser Seite hin ebenfalls sekundäre Wachstums- differenzen entstehen. Nicht immer ergeben sich schon bei den ersten Teilungen Reaktionen auf diese, bei länger andauerndem Ei- wachstum nicht ausbleibenden, unvermeidlichen, zwangsläufig sich einstellenden Begleit- und Folgeerscheinungen im polar bilateral ge wordenen Eibaue. Häufig äußern sie sich in einer Inäqualität einer der beiden Kreuzfurchen. Bei einer und derselben Species kommt Äqualität und Inäqualität vor. Dies hängt davon ab, ob das Spermocentrum das Protoplasmagefüge derart beherrscht, daß es sein dynamisches Gleichgewicht bei Zentrierung in der Polachse gewinnt, der Kern und sein Plasmahof gewissermaßen aus der exzentrischen Anordnung in seinem Meridian hervorgeholt, in dieser Polachse eingestellt werden. Gelingt dies aber nicht, ist auf der einen Hälfte das Plasma durch vermehrte Dottereinlagerung geschwächt, so daß die Kontraktion der anderen Seite das Übergewicht erhält, so tritt inäquale Meri- dionalteilung mit ihren Folgeerscheinungen in der nächsten Phase ein. Dies sind vor allem cellular-physiologisch zur Ermittlung der Wirksamkeit des Teilungsmechanismus interessante Erscheinungen. Besonders markant ist die Reaktion dann, wenn die beiden ersten Längsfurchen inäqual sind und im Vierzellenstadium alle vier ver- schieden groß und ein Blastomer an Größe die anderen weit über- trifft (D-Quadrant). Auf dieses scheint dann die Hauptmasse des Dotters übergewälzt, der Teilungsmechanismus, die Kontraktilität der Zelle ist in diesem am meisten behindert worden. Diese Inäqualität oder besser Inäquantität der ersten Blastomeren schafft dann bereits sehr grobe Dispositionen zu ungleichem Wachstum und ungleicher Beengung, womit dem Ringen ganz charakteristische Bahnen und Richtungen, bindende, sich epigenetisch ergebende Wege vorge- schrieben werden. Bei der Ausbreitung der Micromerendecke, der Größe der sukzessive sich abfurchenden Micromerengenerationen kommt die Reaktion in sehr sinnenfälliger Weise zur Geltung. — Aber Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 341 auch dann, wenn die ersten Meridionalteilungen keine Spur der Bilateralität erkennen lassen, bleibt die Reaktion auf das Eiwachs- tum und den Eibau nicht aus, sie manifestiert sich nur etwas später, wenn der Dotter immer mehr aufgeteilt und aufgebraucht wird, das vielzellige Blastulastadium der holoblastischen Anamnier z. B. er- reicht ist. Dann kommt die feine, intime Reaktion an jener Stätte des Ringens und der Beengung, an der Grenz- oder Übergangszone der trägen, wie Lasthebel arbeitenden Macromeren und der flinken Micromeren und ihrer Abkömmlinge zum Durchbruche In dem- jenigen Quadranten, welcher bei Eiwachstum durch längere Zeit das Hauptlaboratorium barg, wo reichlich assimiliert und gearbeitet wurde, Kern und Plasma vereint tätig waren, besteht auch trotz der völligen Zentrierung der ersten Teilung in der Polachse noch ein Rest dieser Prävalenz, welcher die Abkömmlinge jenes Eiplasma- abschnitts zu erhöhter Assimilation, zu größerem Teilungswachstum befähigt. Dadurch wird jener Quadrant zur Dorsalseite, in ihm er- reicht das Drängen zuerst jenen, zur Invagination führenden Höhe- punkt, in ihm ist die Gastrulawand auch nach diesem ersten Akte zu gesteigertem, ungleichem Wachstum veranlagt. Damit kommen die im Blastulastadium latenten oder nur durch Viel- und Kleinzellig- keit der Wandung in den betreffenden Quadranten der Übergangs- zone sich äußernden Begleiterscheinungen des Eibaues zur vollen Geltung und eröffnen im Ringen eine weite Perspektive. — Stets setzt bei Wirbeltierkeimen die Urdarmbildung an der teilungs- kräftigeren Seite früher ein. Die Gastrulawand wächst dann in beiden Keimblättern auf dieser Seite etwas rascher, und so entstehen die z.B. an der Amphioxus-Gastrula besonders klar zu überschauenden durchaus epigenetischen Bedingungen für jene beengten Längsfalten- bildungen, aus denen dann die Cölomsäcke, das mittlere Keimblatt, die Chorda dorsalis und auch eine besondere Bildung des äußeren Keimblattes, die Neuralplatte, hervorgehen. Aus letzterer entsteht dann das Zentralnervensystem. Vielleicht verdanken diese Chordonier auch in der Phylogenese einer solchen Variante des Eiwachstums, die sich bei der Vergrößerung des Eies von selbst ergibt und neue Bahnen eröffnet, ihre Entstehung. Was die Keimzelle als solche zu dieser fundamentalen Organisation beisteuert, ist ein äußerstes Minimum von quantitativen Prävalenzen und Dispositionen, welchem nur durch den Rang als erste Bedingung eine gewisse Bedeutung gesichert ist. Jene aus lediglich graduellen quantitativen Verschie- denheiten in der Aufspeicherung der Reserven und der Assimilations- 342 ALFRED GREIL, arbeit sich ergebende Polarität und Bilateralität ist alles. Nur in dieser Hinsicht können die Vorgänge, welche sich an der Eizelle ab- spielen, schöpferisch, originell geradezu formbildend wirken. Auch dadurch wird der einfache Zellcharakter der Keimzelle nicht verändert. Diese graduellen Differenzen kommen doch erst im Rahmen des Zellenstaates, in der Architektonik einer Gastrula, in der epigenetisch sich ergebenden Bedingungskette der Wachstums- differenzen zur Geltung. Diese sich immer mehr verdichtende und verzweigende Bedingungskette, gleichfalls das Charakteristikum einer Zellengemeinschaft, bestimmt und leitet die weitere Formbildung und Differenzierung. Der Urdarm, die Chorda, das Mesoderm und die Neuralplatte entstehen doch alle mit denselben Mitteln und haben in der Eizelle dieselbe Ausgangsbedingung, nämlich einheitlich jene bilaterale Polarität. „Die“ Bedingungen ihrer Entstehung bestehen in der Eizelle im einzelnen noch gar nicht; sie sind z. T. das Werk des Zellenstaates. Wie könnte man also behaupten, daß „alle Be- dingungen“ zum Aufbaue dieser grundlegenden Formation der Wirbel- tierorganisation sogar mit allen individuellen Variationen in der Eizelle gegeben sind und sich darin die Eizellen unterscheiden ? Sollten etwa Urdarm-, Chorda-, Mesoderm- oder Kiemenspalten bildende Substanzen in der Eizelle deponiert sein? So läßt sich also bereits an den ersten Verästelungen der Organisation des Zellen- baumes die Unrichtigkeit der Ansicht darlegen, daß in der Eizelle sogar „alle Bedingungen vereinigt sind“, daß daraus eine bestimmte Species mit all ihren individuellen Charakteren hervorgehe. Jene Polarität und Bilateralität der Keimzelle hat genügt, um im Vereine mit anderen Bedingungen das Wachstum so zu leiten, daß bei Ab- schluß der Außenwelt jene ersten kritischen Momente überwunden werden, die durch den Ausfall von Außenbedingungen bei der Ur- darmbildung innerhalb der Eihüllen gegeben war. Auch die weitere Differenzierung, die funktionelle Auslese des Zellenmaterials vollzieht sich in derselben Weise, wenn auch etwas später, und darin liegt der große Vorteil gegenüber einer frühzeitigen Indienststellung und Differen- zierung, welche das Teilungswachstum hemmt und schließlich sistiert. Die Einschränkung der die Urdarmbildung veranlassenden äußeren Entwicklungsbedingungen und die Vergrößerung des Kom- plexes und der Sukzession der inneren Entwicklungsbedingungen sind zwei stammesgeschichtliche Prozesse, die miteinander in rezi- proken Verhältnisse steben. Die Etablierung der inneren Bedingungen vollzog sich ganz allmählich unter der Sicherung der äußeren ur- Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 343 sprünglichen Bedingungen. Die exzentrische Anordnung des Dotters hat die Invagination ebenso ziel- und tendenzlos, aber zwangsläufig als Reaktion der Epigenesis zur Folge gehabt und gesichert, wie der Erwerb der Teilung im Verbande den Metazoenstaat begründete oder das Eiwachstum die Conjugation der Kernsegmente bedingte. Zu den klassischen Beispielen, um die Wucht der Epigenesis, die aus Gleichartigem Ungleichartiges schafft, zu zeigen, gehört in erster Linie auch die Entwicklung der Nematoden, in welcher die durch das Eiwachstum gegebene Disposition sowie der Einfluß der vom Ei selbst abgeschiedenen Eihülle auf die Entwicklung überaus markant in Erscheinung tritt. Äußere und innere Entwick- lungsbedingungen eifern sozusagen um die Wette, indem sie das Ringen der ersten Blastomeren entscheidend beeinflussen. Die Unter- suchung dieser überaus interessanten und lehrreichen Verhältnisse hat in erster Linie mit der Ermittlung der Bedingungen des Ei- wachstums zu beginnen, welche namentlich bei Ascariden (Rhachis- eier), aber auch bei Rhabditiden (infolge des Heranwachsens in den engen Eiröhren) dem Ei eine ganz bestimmte Polarität verleiht. Bei den Rhachiseiern ist dieser Umstand, so wie bei anderen Stiel- eiern, auch noch durch die mechanische Beanspruchung des Plasma- sefüges kompliziert, wozu: dann noch die einseitig streng lokalisierte Zufuhr des Nährmaterials durch die Rhachis kommt. So wird über die Verteilung des Hauptlaboratoriums und des Depots in der Ei- zelle entschieden. Diese beiden Momente beeinflussen nun das Plasma- serüst in eigenartiger Weise. Wir können den Dotter nicht aus- pinseln, um die durch das Eiwachstum herbeigeführte Modifikation des Eibaues darzustellen, und erwarten mit um so größerer Spannung die ersten Reaktionen auf den Eibau bei den ersten Teilungen, welche stets hinreichend Rückschlüsse auf den Eibau gestatten, das Studium des Eiwachstums also ergänzen. Da zeigt sich nun, daß die erste Spindel wie bei allen anderen Formen zuerst latitudinal eingestellt ist, das Strahlensystem sein Gleichgewicht findet, als käme es zu meridionaler Teilung. Alsbald aber schwenkt die Spindel- achse um 90° in die Polachse des Eies um, und eine latitudinale erste Teilung, welche ein animales und ein vegetatives Blastomer sondert, ist die Folge. Wie ein Holzstäbchen, welches spreizend zwei nebeneinander gespannte Gummifäden auseinanderdrängt, in dieser Situation in labilem Gleichgewichte ist und bei der geringsten Be- wegung parallel mit den hierbei zusammenstrebenden Gummifäden eingestellt wird, so zeigt auch die Kernspindel und das gesamte 344 ALFRED GREIL, übrige Strahlensystem in latitudinaler Einstellung eine ungemein labile Gleichgewichtslage, und erst durch die Drehung in die Pol- achse wird ein harmonisches, dynamisches Gleichgewicht erlangt. Dieses Spiel wiederholt sich nun bei den weiteren Teilungen der vegetativen Blastomeren, die wiederum latitudinal erfolgen, während an den animalen Zellen die Tochtercentren bei ihren folgenden Teilungen auf kürzestem Wege auseinanderweichen, so daß Meridional- teilungen die Folge sind. Dasselbe gilt auch für die von den vege- tativen Blastomeren abgefurchten mittleren Blastomeren. Diese Ver- schiedenheit der animalen und vegetativen ersten Blastomeren sind auch noch auf die Einseitigkeit des Wachstums der Stiel- oder Rhachiseier zurückzuführen und erscheinen als Probleme der Cellular- physiologie des Teilungsmechanismus. Wir müssen diese Verhältnisse als solche aufklären, als wüßten wir gar nicht, was folgt, denn die Annahme, daß sie zum „Zwecke“ hätten, spezifische, organbildende Substanzen frühzeitig zu sondern, kann doch wohl nicht ernst ge- nommen werden. — Im Acht- und Sechzehnzellenstadium beginnt nun innerhalb der engen Eikapsel, die so zäh und undurchdringlich ist, daß sich die Keime einige Tage lang in absolutem Alkohol entwickeln können, das Ringen der in ihrer Ausdehnung beengten Blastomeren. Namentlich ist es die Beengung in der Längsrichtung, die nach Er- reichung der T- und der pilzförmigen Gruppierung zu mancherlei Drehungen des vertikalen T-Schenkels dazu führt, daß die mittleren Blastomeren ihren Anteil an der späteren Dorsalseite völlig aufgeben müssen und ventralwärts ausweichen. Dieses minutiöse Ringen, auf dessen weiteren Verlauf wir in der Hauptarbeit ausführlicher zurück- kommen, bildet ein ungemein fesselndes Schauspiel für den Epi- genetiker, der das spontane, planlose, ziellose in-den-Tag-Hineinbauen unter sorgfältiger Analyse der ganzen Situation des Ringens, aller sich epigenetisch ergebenden Bedingung verfolgt. Wir können die sanze Nematodenentwicklung grobmechanisch aus jener einfachen, die ganze Zelle, nicht kleinste Teilchen einer Intimstruktur, betreften- den Ausgangssituation und der Beengung der von der ganzen Keim- zelle — was immer aus den einzelnen Territorien hervorgehen möge — abgeschiedenen Eihülle geradezu restlos erklären, wenn wir die Entwicklung als einen Ringkampf verfolgen. An dieser Stelle werfen wir nur die eine Frage auf: was würde geschehen, wenn wir die Eihülle entfernen könnten, wenn wir diesen Faktor, der in allen Stadien entscheidend eingreift, die Blastomeren da und dort zum Ausweichen zwingt, damit die Gruppierung und Verwendung Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 345 des Blastomerenmaterials indirekt bestimmt, eliminieren könnten ? Sei es, daß wir dem Ascaris-Weibchen und damit dem Eiwachstum das Nahrungsmaterial zur Schalenbildung entziehen oder die Schale entfernen? Die Entwicklung der Ascaris-Riesen (aus Doppeleiern) vermag uns nur eine schwache Vorstellung davon zu geben. Die Ausschaltung dieser einen äußeren Bedingung — der Eihülle — würde eine ganz andere Furchungsweise, eine langgestreckte Tonnen- form mit regulärer Alternativfurchung, eine Koordinatenfurchung zur Folge haben, die ganze Anordnung und Verwendung des Zellen- materials würde eine gänzlich verschiedene sein. Wollen wir dann dieser äußeren Bedingung, die genau so wirkt wie so viele, viele andere, eine direkte mesodermbildende usw. organbildende Wirkung zuschreiben — etwa wie dem abgekappten Dotterlappen von Den- talium-Keimen, oder wollen wir die Erreichung dieser Organisation als Epigenesis erkennen? Was würden die Keimblätter und organ- bildenden fiktiven Stoffe in diesem Falle ohne Eihülle nützen? Eine andere Frage wäre die, was denn geschehen würde, wenn wir die dem vegetativen Pol entstammenden sog. Propagationszellen, die nach der letzten Latitudinalteilung eine Ruheperiode durchmachen und, von den Nachbarzellen überwachsen, ins Innere gedrängt werden, ins Ectoderm transplantieren und durch eine Ectodermzelle ersetzen würden? Wir haben keinen Grund, daran zu zweifeln, daß die ehe- maligen Propagationszellen unter den neuen Bedingungen zu recht- schaffenen Ectodermzellen würden und die genau in die Anordnung der Propagations- oder Urgeschlechtszellen gebrachten Eetoderm- zellen, unter genau dieselben Bedingungen gesetzt, auch dasselbe, nämlich die Keimschläuche, liefern müßten. Wir haben a priori an der Gleichartigkeit der ersten Blastomeren und aller indifferenten Zellen, am Bestehen von graduellen und quantitativen Unterschieden im Zellengefüge festzuhalten und würden die Entwicklung in ein Zerrbild verwandeln, wenn wir in den ersten Blastomeren gemischte Organanlagen und mystische Attraktionssysteme vermuten wollten, die beim weiteren Fortgange der Furchung isoliert, gesondert würden, um ihre märchenhafte Tätigkeit zu entfalten. Was bliebe also von der „Mosaikarbeit“, von der „determinierten Furchung“ übrig, wenn wir die Eihülle entfernen könnten? Diese eindringliche Frage haben wir uns stets bei der Verfolgung der Nematodenentwicklung zu vergegenwartigen. Könnten wir andrerseits ein nacktes, hüllen- loses Ei vom Bau jenes Rhachiseies in eine so enge Eihülle zwängen, so würde auf dem Wege der Mutation eine ganz andere Verwendung 346 ALFRED GREIL, des Zellenmaterials, eine neue Art entstehen, falls das Neugewonnene sich behaupten kann. | Unzählige andere, sich bei unbefangener, beim Eiwachstum aus- sehender, die Reaktionen des Teilungsmechanismus, die weiteren Folgeerscheinungen des Eiwachstums im Geäste des Zellenstamm- baumes prüfender formaler Analyse sich ergebenden Befunde ließen sich hier noch anführen; auf das eine oder andere Beispiel wird noch gelegentlich zurückzukommen sein. Es gibt nur zwei Gesichts- punkte, um die bei der mikroskopischen Untersuchung der Keim- zellen nicht darstellbare und nicht sichtbare Eigenart des Eibaues hinsichtlich der Formbildung zu erkennen: die Verfoleung des Ei- wachstums und die Ermittlung jener Kette von Reaktionen auf dasselbe, welche sich bei der primitiven Betätigung unicellulärer Fähigkeiten, vornehmlich des Teilungswachstums, im Laufe der Ent- wicklung ergibt. Die erstere Untersuchung zeigt uns die Bedingungen, unter denen der Eibau zustande kommt. Das Soma verhält sich zur schmarotzenden Oocyte wie ein Stück Außenwelt. Meist zeigt das Studium des Eiwachstums ungemein deutlich den Erwerb der Veranlagung zu ungleichem Wachstum oder von Prävalenzen des kontraktilen Plasmagefüges. Damit werden innere Entwicklungs- bedingungen bereits analysiert. Die Entwicklung zeigt dann die Reaktionen darauf. Nicht durch Rubrizierung mit fiktiven Anlage- und organbildenden Substanzen, sondern durch eine das Gebiet der Cellularphysiologie ganz wesentlich erweiternde Untersuchung des Eiwachstums und des Eibaues, seines Erwerbes und seiner Reaktionen im jungen Zellenstaate wird der Grundstein zur Entwicklungs- und damit auch zur Vererbungswissenschaït gelegt. Wenn sich lokale Färbungen als eine besondere, z. T. auch von äußeren Bedingungen abhängige unicelluläre Leistung beim Eiwachstum ergeben, so ist diese Begleiterscheinung zunächst auf ihre Konstanz zu prüfen; wenn farblose Keime oder solche, welche z. B. bei Strongylocentrotus den Pigmentring ganz abseits und schräg verschoben zeigen (GARBOWSKY), sich ebenso entwickeln wie gefärbte, so mahnt uns dies zur Vorsicht. Es ist sehr fraglich, ob die Pigmentierung als äußerer, sinnenfälliger Ausdruck der Veranlagung zu grundlegenden Wachstumsdifferenzen gelten kann — um etwas anderes in solcher Hinsicht kann es sich nicht handeln, denn es ist geradezu absurd, lokalisierte Pigment- bildung an der Eioberfläche mit Organbildung in Zusammenhang zu bringen. Wenn man den Bedingungen nachspürt, unter denen diese Pigmentierung während des Eiwachstums zustande kommt, wird Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 347 man der Harmlosigkeit dieser von den Entwicklungsmechanikern in Ermangelung anderer sinnenfälliger Anhaltspunkte so aufgebauschten cellularen Sondererscheinung gewahr. Wir können leider nicht aus einer Keimzelle den Dotter so auspinseln, wie aus einer Milz die Blutkörperchen, um das kontraktile Plasmagerüst und seine, beim Eiwachstum erworbenen Verstärkungen darzustellen. Wir können auch nicht durch Massage eine gleichmäßige Verteilung des Dotters in der Keimzelle erzwingen, die bilaterale Polarität aufheben und damit so grobe Veranlagung zu Wachstumsdifferenzen und alle Folge- erscheinungen und Reaktionen eliminieren, die Entwicklung aufheben. Das Experiment ergibt andrerseits, daß isolierte erste Blastomeren, sofern sie noch den Schwellenwert jener Veranlagung zu Wachstums- differenzen besitzen, ihre Quadranten annähernd die groben Massen- verteilungen, welche diese simple Disposition gewährleisten, zeigen, Vollentwicklung eingehen. Der Vergleich des den so mannigfach variierten Erscheinungen dieser Art Gemeinsamen läßt uns jedoch in dieser ganz groben, durchaus nicht feinste Teilchen und schematische Intimstrukturen betreffenden, polaren Bilateralität des Gesamtbaues den wichtigen, das Ringen, die Formbildung einleitenden, die Epi- genesis eröffnenden Faktor erkennen. Durch diese grobe Situation werden grundlegende Prozesse (Gastrulation) und alles, was sich an diese Situation schließt, nicht nur „beeinflußt“, sondern direkt ge- schaffen, erzwungen. Immer feiner und vielseitiger werden die Reaktionen auf diese Ungleichheit und Inäquantität, im Vergleich zu denen die Gastrulation als ein grobes erstes Phänomen erscheint. Unvoreingenommen durch die Erfahrung an älteren Stadien — etwa wie bei der progressiven Untersuchung unbekannten Materials — müssen wir diese Reaktionen verfolgen und dem epigenetischen Erwerbe Rechnung tragen, als wüßten wir nicht, was kommen werde. Die Erfahrungen an älteren Stadien fördern die Untersuchung jüngerer Stadien nur insofern, als sie die ersten Situationen, an denen ein neues Ringen, eine neue Divergenz den Ausgang nimmt, durch regressive Verfolgung auf die allerersten, ganz unscheinbaren Anfänge dieser Separierung im Zellenstaate, den ersten Beginn der Bildung von Staaten im Staate deutlicher erkennen und so die Aufdeckung der Bedingungen dieser, stets nur unvollkommenen Sonderungen leichter ermitteln läßt. Wenn nun ein junger Zellenstaat nach mancherlei Reaktionen auf die beim Eiwachstum und weiterhin sich ergebenden Bedingungen, als Gastrula oder als junger Chordonier die Eihüllen sprengt, sein 348 | ALFRED GREIL, Freileben beginnt, so tritt nun die weitere Entscheidung "heran, welche cellulären Fähigkeiten die in verschiedenen Schichten und Situationen angeordneten noch indifferenten Zellen, die bisher nur der Teilung oblagen, im Kampfe ums Dasein verwenden und steigern werden. Hierbei ist es gleichgültig, ob der noch unbeholfene Organis- mus noch Dottermitgift besitzt oder seine bescheidendsten Lebens- bedürfnisse ganz aus der Außenwelt deckt, sich demgemäß langsamer weiter entwickelt. Es frägt sich also, wie die Arbeitsteilung in dem kleinen, bereits vielgestaltigen Staate erfolgt. Hierbei kann es keinem Zweifel unterliegen, daß prinzipiell genau dieselben Vor- eänge stattfinden, dieselben Entscheidungen getroffen werden, welche uns vollendete Organismen in wechselndem Milieu darbieten. Die funktionelle Auslese und Anpassung der jeweils tauglichen und vorteilhaften Fähigkeiten des cellulären Repertoires macht sich an den von allem Anfange an freilebenden und den bereits mit geringer Organisation ins Freileben eintretenden Formen in derselben Weise geltend wie an hochorganisierten längst im Freileben stehenden Formen. Inall diesen Fällen der Differenzierung, die noch in einem besonderen Abschnitte berücksichtigt werden soll, bei den einfachsten wie den kompliziertesten Verhältnissen können wir uns doch stets fragen, was denn die Formationen, deren erste Entstehung und weitere Entwicklung wir verfolgen, unter den jeweiligen Verhältnissen und Bedingungen im Zellenstaate Anderes oder Besseres leisten könnten. Soll die zwangsläufig, grobmechanisch durch völlige Ausnützung des Ausweges, der sich dem beengten, graduell gesteigerten Wachstum durch die Abfaltung ergeben hat, zustande gekommene Chorda viel- leicht Muskelfibrillen oder secernierende Darmepithelien hervor- bringen? Sind denn klägliche Gängelbänder von organbildenden Substanzen, „Mesoplasma“, ,Rippenplasma“ bei Ctenophoren (nach Fischer), Skeletchromosomen bei Echiniden nötig, um als Funktion der Gelegenheit per exclusionem diejenige Gestaltung und Differen- zierung zu veranlassen, diejenige Fähigkeit des bescheidenen Re- pertoires einer Einzelzelle zu steigern, welche möglich verwendbar nnd entfaltbar ist? Nicht von spezifischer Befähigung, sondern von der Unpassendes ausschließenden Verwendbarkeit, von exklusiver Differenzierung sollte die Rede sein, wenn die ersten und auch die folgenden Schritte der Organisation des Zellenstaates untersucht werden. — Von den zahllosen Dokumenten durchaus epigenetischer Gestal- tung soll aus den fundamentalen Entwicklungsvorgängen an einem Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 349 Wirbeltierembryo die Entstehung der Leber und der Schild- drüse angeführt werden. Fast in der ganzen Wirbeltierreihe entsteht an der Stelle, wo sich das im weiten Gebiet der Area vasculosa mit Nahrungsstoffen beladende, unter Umständen auch mit Sauerstoff versehene Blut im Sinus venosus sammelt, und dort, wo derselbe Blutstrom, an die ventrale Wand des Kiemendarmes anprallend, sich entzwei teilt, eine lokale, überaus lebhafte Proliferation des Darm- epithels. Es liegen hinsichtlich der ersten Bedingungen dieses Ge- schehens ganz ähnliche Verhältnisse vor wie bei der Invagination freischwärmender Blastäaden. Lokale Steigerung des Teilungswachs- tums, durch überaus günstige Assimilationsbedingungen schrankenlos gefördert, schaffen Wachstumsdifferenzen mit der nicht unter so giinstigen Bedingungen stehenden, daher im Wachstume zurück- bleibenden Nachbarschaft. Das beengte Wachstum führt zu lokaler zirkumskripter Zellenvermehrung, zur Divertikelbildung an der Epithelschichte. Daß unter den gegebenen Verhältnissen die Zellen an ihrer basalen, in die immer reichlicher strömende Nahrungsquelle eintauchenden Seite sich vergrößern, der Komplex sich hier vor- wölbt und balken- und zapfenförmig oder als gegen das Darmlumen offenes Divertikel in die Blutbahn hineinwächst, ist doch die un- mittelbarste Folge jener günstigen Ernährungs- und Assimilations- bedingungen, welche epigenetisch zustande kommen und Wachs- tumsdifferenzen auslösen. Was da geschieht, vollzieht sich zwangsläufig, als eine Kette spontaner Reaktionen sozusagen als das Werk der Augenblicke. Jeder Zellenkomplex, gehöre er dem Ectoderm, dem Entoderm oder der Subgerminalschicht an, müßte unter solchen Umständen sich genau so gestalten. Sollten hierzu nun organbildende Plassonten. determinierende Kräftequalitäten, ultramikroskopische Anlagesubstanzen, spezifische Fermente, Atom- verkettungen und andere Gängelbänder einer durchaus epigenetischen Entwicklung nötig sein? Wie sollten diese „leberbildenden“ Sub- stanzen in der Keimzelle lokalisiert sein, wenn z. B. bei den Vögeln der ganze Abschnitt des Epithels, welcher unter so überaus günstigen Bedingungen zu zirkumskripter und beengter Proliferation angeregt wird und den sich weiterhin ergebenden speziellen Bedingungen fügen muß, von einem ganz winzigen Abschnitte der Subgerminal- schicht gebildet wird, der im Millionenstaate der Keimscheibe, noch beim Auftreten des ersten Dorsalsegments,. vielleicht von einem halben Dutzend Zellen repräsentiert wird? Zur Zeit der Entstehung der vorderen Darmpforte bildet doch etwa ein Dutzend Zellen das 300 ALFRED GREIL, Material, aus dem das ventrale Epithel des gesamten von der Rachen- haut bis zum Ductus omphaloentericus reichende Intestinaltractus und aller seiner Derivate entsteht. nachdem die von His und anderen postulierte ventrale Darmnaht nicht stattfindet! Wie sollten in jenen Zellen Plassonten und organbildende Stoffe für die Schild- drüse, die Lungen, die Leber, die ventralen Pancreasabschnitte, die Speiseröhre und die Magenwand lokalisiert und aktiviert werden? Wie kann man dieses durchaus epigenetische Geschehen mit der Mosaiktheorie vereinbaren? Jene Zellen der mittleren Abschnitte der ebenso epigenetisch, infolge des beengten Längenwachstums ent- stehenden vorderen Darmpforte sind wiederum die nächsten Ver- wandten der über ihnen liegenden Zellen der Germinalschicht, welche im Laufe der weiteren Entwicklung Elemente der Hirnwand bilden werden. Es wäre also dann im Furchungsstadium die über- raschende und eigenartige Kombination von Leber-, Schilddrüsen- und Ganglienzellen bildenden Substanzen oder deren Protofermenten und dergleichen in einer Zelle anzunehmen, die dann wohl erst durch qualitative Zell- und Kernteilung gesondert und durch mystische Einwirkungen des Ganzen auf seine Teile an den richtigen Ort des Zellenstaates gebracht werden müßten. So führt also die Mosaik- theorie bei ihrer Anwendung auf die Entwicklung der höheren Wirbeltiere auf ganz ergötzliche Weiterungen, die es wohl begreiflich erscheinen lassen, daß der die Situationen und Bedingungen des Ge- schehens beschreibende Embryologe diesen „Erfolgen“ der Entwick- lungsmechanik sehr skeptisch und ablehnend gegeniibersteht. Daß aus jenen, durch zirkumskripte Proliferation entstandenen Diver- | tikeln, Balken und Zapfen die Leber bzw. die Schilddrüse wird, ist ebenso das Werk der Epigenesis wie deren erste Entstehung. Beide Formationen steigern diejenigen ihrer Fähigkeiten, welche schon bei ihrer ersten Entstehung durch die überreiche Ernährung gefördert werden. Beide werden zu ungemein blutreichen Organen, sie reißen gewissermaßen den Blutstrom an sich. Die späterhin verschiedene Zusammensetzung des in sie eintretenden, vom Darme sich sammeln- den bzw. des arteriellen Blutstromes bedingt eine erhebliche Diver- senz in der Art ihrer Zelltätigkeit und Secretion. Alles erfolgt in innigster Abhängigkeit von den sich weiterhin durchaus epigenetisch ergebenden, inneren, in der Keimzelle noch nicht bestehenden Ent- wicklungsbedingungen. Noch niemand hat in weiterer Ausführung der Mosaiktheorie Amnion- oder Allantois-bildende formative Substanzen ange- Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 351 nommen, obgleich die Entstehung dieser Formationen unter keinen anderen Wachstumsbedingungen erfolgt als diejenigen fundamen- taler Organanlagen des Embryos. Allerdings sind in diesen Fällen die sich durchaus epigenetisch ergebenden Bedingungen, die doch ganz unmöglich schon in der Keimzelle im einzelnen festgelegt sein können, geradezu handgreiflich, — obgleich eine genaueste Feststellung der Bedingungen, unter denen die Längenentwicklung eines Em- bryos, in der Wölbung der Keimscheibe, in welcher alle Sectoren der Gastrulawand einander hemmend entgegenwachsen, statt wie beim Amphioxus miteinander frei und ungehindert sich zu entfalten, erfolgt, die unerläßliche, bisher noch nicht voll gewürdigte Voraus- setzung solcher Untersuchungen ist. Die Ausgestaltung des Herzens ist gleichfalls ein präg- nantes Beispiel der Epigenesis. Die erste Entstehung des Herz- schlauches ist von inneren Bedingungen abhängig, die nicht von der Funktion diktiert werden. Beengtes Wachstum, das sich epigenetisch ergebende Ringen der Teile unter beengten Verhältnissen, bei Amnioten z. B. das Ringen des paraxialen mit dem vorgelagerten, in derselben Schicht und in einer ganz flachen Wölbung sich aus- breitenden prostomalen Mesoderm führt grobmechanisch jene Falten- bildungen herbei, die sogenannten Herzfalten, deren Entstehung namentlich beim Kaninchen in ihren Bedingungen leicht zu über- blicken ist. In die Herzfalten und auch unter die benachbarte, viscerale Mesodermlamelle dringen schon vorher zur Disposition stehende freie Mesodermzellen. vor, die vorwiegend dem prostomalen Mesoderm entstammen. Nur in den Herzfalten finden diese Gelegen- heit, weite Gefäßröhren zu bilden. Sie liefern winzige Bläschen und Rohrabschnitte zwar auch unter dem nachbarlichen Seitenplatten- abschnitte neben dem Herzschlauche, doch bilden sich diese später zurück, weil sie nicht verwendbar sind. Die großen Gefäßbahnen sind eine Auslese der verwendbaren günstig gelegenen Gefäßabschnitte. So wie beim Callus wird viel mehr angelegt, als später ausgenützt und verwendet werden kann. Den sich innerhalb der Herzfalten rege vermehrenden prostomalen Mesodermzellen schließen sich auch von vorne her eindringende freie Mesodermzellen, die meist dem paraxialen Mesoderm entstammen, an. Alsbald nützt das Wachstum der Peri- cardialsäcke — bei Anamniern und Sauropsiden noch vor Entstehung der Herzschläuche — den Faltenraum der vorderen Darmpforte aus, welche durch beengte Längenentwicklung der dorsalen Gastrulawand zustande kommt, indem letztere sich über die nicht gleichen Schritt Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Zool. u. Physiol. 23 352 ALFRED GREIL, haltenden oder gar entgegenstehenden Gastrulawandabschnitte hin- wegschiebt und so ihre Freiheit gewinnt. Die vordere Darmpforte erscheint dann wie ein Locus minoris resistentiae, von dem die Pericardialsäcke Besitz ergreifen, indem sie von beiden Seiten her eindringen, sich ausdehnen und die Pforte — ohne Nahtbildung — nach hinten zu vordrängen. Dann erst setzt, durch günstige Er- nährungsbedingungen eingeleitet, an der Darmpforte sowie an an- deren, in strenger Abhängigkeit entstandenen Faltenbildungen in Ausnützung der Gelegenheit freies aktives Vorwachsen ein. Bei der Entstehung der Herzfalten, die auf beengtes und lokal durch günstige Ernährungsbedingungen gesteigertes Wachstum zurückzuführen ist, entscheiden minutiöse Bedingungen über den entlastenden Faltenwurf, vor allem, ob ein oder mehrere Fältchen zustande kommen, d.h. ob später ein einfaches Herz oder eine Multiplicitas cordis entsteht. Die Formation von Bläschen und Röhren, die Verbindung mit dem extra- embryonalen Gefäßnetz sind die ersten, noch ohne funktionelle An- passung lediglich als abhängige Wachstumserscheinungen entstehenden Formationen. Ist aber einmal dieser Anschluß zustande gekommen, tritt in die Herzfalten die reich mit Nahrungsstoffen versehene Flüssigkeit ein, entstehen in dem zarten elastischen Rohrsysteme Flüssigkeits- bewegungen, kommen Ansammlungen zustande, die eine Ausdehnung der Wand bewirken, welche von Kontraktionen beantwortet werden, beginnen die Herzfalten einmal zu pulsieren, dann ist alles, was folet, das Werk funktioneller Anpassung. Rapides, unter den günstigsten Stoffwechselbedingungen erfolgendes Wachstum im beengten Raume setzt ein, die Schleifenbildung ist die nächste Folge. Unaufhaltsam nützt das Wachstum die Konkavität der infolge beengten Längen- wachstums der Dorsalseite entstandenen vorderen Darmpforte aus, die Vereinigung der Pericardialsäcke und der an diesen Locus minoris resistentiae vordrängenden Herzfalten ist die Folge. Die Schleifenbildung des von so trefflicher Ernährungsflüssigkeit durch- spülten Schlauches nimmt rapid zu; wie an einem Echinidenurdarme oder am beengt in die Länge wachsenden Hirnrohre entstehen Er- weiterungen und Verengungen, womit auch der Gestaltung des Endocards und des Myocards der Weg gewiesen erscheint. Die funktionelle Auslese und Anpassung der unicellulären Fähigkeiten der Cölomwand hat die Entstehung kontraktiler Fibrillen zur Folge, womit die Differenzierung der Herzmuskulatur eingeleitet wird. Lokale Vermehrung der Endocardzellen an den verengten Stellen, welche weniger ausgedehnt werden und bei der Kontraktion unter Stauung Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 353 stehen, leiten die Ausbildung des primitiven Ventilapparats ein, aus dem dann durch die Wirkung der regurgitierenden Blutwelle der primitive Klappenapparat zustande kommt. Alsbald folet in funktioneller Auslese und Anpassung des sich ansammelnden in- differenten Bindegewebes die Ausübung der tauglichen und förder- lichen Differenzierungsweise der Chondriosomen des Protoplasmas, die Entstehung elastischer, collagener Bindegewebsapparate, von Knorpel und Knochen. Auch die Architektonik des Trabekelsystems erfolgt unter dem unmittelbaren Einflusse der funktionellen An- passung, gefördert durch die treffliche Ernährung des Muskelgewebes, welches mit der Zunahme der Blutflüssigkeit immer mehr bean- sprucht wird. Dem Herzschlauche sowie der Leberanlage steht die crême de la crême der in der Area vasculosa, im Nährboden des Em- bryos aufgenommenen Stoffe zur Verfügung. Alles, auch die erste Entstehung, ist das Werk der Epigenesis. Nie und nimmer kann behauptet werden, daß „alle* Bedingungen zu diesem Geschehen in der Keimzelle gegeben wären. Anfänglich hat das Ringen gleich- artiger Teile hinsichtlich der Beschaffenheit der Zellen noch gleich- artige Formationen geschaffen. Erst die funktionelle Anpassung hat diese Formationen hinsichtlich der Verwendung und Ausniitzung der cellulären Fähigkeiten der sie zusammensetzenden Zellen ungleich- artig gemacht. Das Cölomepithel, welches das Myocardium unter dem Zwange solcher Bedingungen schafft, war anfänglich genau so beschaffen wie dasjenige, welches nachher das abgeplattete parietale Pericardepithel und subseröses Bindegewebe bildet. Minutiöse Be- dingungsänderungen entscheiden darüber, ob die erfahrungsgemäße Verwendung auch eintritt, ob jene seitlichen Abschnitte nicht kleinere Nebenherzschläuche liefern und zu einer Multiplicitas cordis den Grund legen. Diese Entscheidung erfolgt jedoch vollkommen spontan, sie ist nicht von langer Hand durch irgendwelche mystische Determinationen, Qualifikationen und Spezifikationen einzelner „Teilchen“ der Keimzelle vorbereitet. Könnten wir zugreifen und die durch gesteigertes, aber beengtes Wachstum entstehende Falten- bildung beeinflussen — nicht anders als beim Faltenwurf eines Tuches — so läge es in unserer Hand, experimentell und zwar auf Grund exakter Formanalyse eine Multiplicitas cordis zu schaffen. Sowohl die Bedingungen der Entstehung wie der Ausbildung und Gestaltung des Herzens sind somit durchaus epigenetisch; es wäre ein Absurdum, hierzu irgendwelche mosaiktheoretische Annahmen zu machen. — Die Art und Weise, wie die Approvisionierung ausgenützt 2a 354 ÄLFRED GREIL, wird, wie die treffliche Ernährungsgelegenheit anfangs gleichartige Zellenkomplexe schafft, welche dann in funktioneller Anpassung sich differenzieren und in den Dienst des Embryos stellen und dann als Dottersack und Eihüllen abortiv werden, sind nicht minder ein- dringliche Beispiele der Leistungsfähigkeit, der Wucht und des Zwanges der Epigenesis, die sich darin nicht minder prägnant äußert als an den freischwärmenden und freilebenden Formen. Wie am Amphioxuskeim, so ist auch zur Urdarmbildung und zur Entstehung der axialen Formationen der Wirbeltier- embryonen und aller Folgeerscheinungen lediglich eine minimale, geringe, durchaus quantitative, die einzelnen Komponenten des Plasmas und der Nahrungsreserven betreffende Prävalenz einer Eiregion nötig, welche das Protoplasma der aus ihr hervor- sehenden Zellen assimilationstüchtiger und aufnahmsfähiger macht. Eine gewisse Polarität und Bilateralität des Eibaues ist alles, wo- mit ein durchaus ökonomischer Erklärungsversuch der Bedingungen jener Entwicklungsperioden und alles dessen, was sich daran schließt, sein Auslangen finden kann. Durch eine solche bilaterale Polarität waren bereits jene fundamentalen Wachstumsdifferenzen geschaffen, die bei Anamniern zur freien Invagination, bei den Amnioten zunächst zur Entstehung der Primitivplatte und des Primitivstreifens führen, von welchem das unter überaus günstigen Ernährungsbe- dingungen stehende Material in allen Radien unter der Germinal- schicht abströmt. Im engeren Kreise bedingen dann Wachstums- differenzen und von der Nachbarschaft beengtes Wachstum das seit- liche Hervorbrechen des paraxialen Mesoderms und die Isolierung jener mittleren Längsfalte der dorsalen Urdarmwand, die zur Chorda dorsalis wird. Das einem viel größeren Areal der prävalierenden Region der Germinalschicht entstammende Ectoderm gewinnt und bestimmt alsbald die Hegemonie der Dorsalseite des Chordonier- keimes, und die von einem winzigen Zellenkomplexe gebildete Urdarm- wand gelangt ins Hintertreffen. Obgleich sie Gewaltiges leistet, hält sie dennoch bei der Längenentwicklung nicht gleichen Schritt. Ein- krümmungen sind die unausbleibliche Folge, während die Dorsal- seite und insbesondere das dominierende wachstumskräftige Hirnrohr durch Eigenkrümmungen, bleibende und transitorische Fältelung der Wandung in beengtem Wachstum die Gestaltung des Gehirns gewinnt. Diese Längenentwicklung, bei welcher sich das Ectoderm als das führende Keimblatt erweist, ist nur einer der Wege, welche einen Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 355 Ausgleich der Wachstumsdifferenzen und des Wachstums überhaupt er- öffnen. Die Entstehung der vorderen und derhinteren Grenz- falte und Darmpforte sind weitere Auswege, welche sich die Dorsalseite erzwingt, indem sie die Fesseln, welche die in gleicher Wölbung gelegenen Abschnitte der Keimscheibe bilden, durchbricht. Wir müssen uns doch immer vergegenwärtigen, welche Hindernisse die Dotterzunahme, der meroblastische Furchungstypus oder die Aus- dehnung einer Säugerkeimblase der Längenentwicklung der Gastrula geschaffen hat, die sich beim Amphioxus ungehindert und frei voll- zieht. Krümmungen und Biegungen sind besonders auffällige Zeichen, wie sich die dorsale Gastrulawand von der nicht gleichen Schritt haltenden, immobilisierten ventralen Wandung frei macht und ihr prävalierendes Wachstum durchsetzt. Die Beengung, welche die Ausbreitung des paraxialen und prostomalen Mesoderms in der flachen Wölbung einer Keimscheibe erfährt, führt zu einer scharfen Konkurrenz zwischen diesen beiden Mesodermabschnitten. In dem Gebiete, wo dieser gegenseitige Druck am ärgsten ist, entsteht das Cölom zuerst; Faltenbildungen der besser ernährten Splanchnopleura und das Vordringen in den Ausweg, den die vordere Darmpforte er- öffnet hat, sind weitere Folgeerscheinungen, die sich durchaus epigenetisch ergeben und, wie wir oben gesehen haben, zur Ent- stehung des Herzens führen. So manches andere Organ verdankt diesem Ringen gleichartiger, aber zu lebhaftem Wachstum in be- engtem Raum befähigter Zellenkomplexe auch phyletisch seine erste ‘ Entstehung. So ergibt sich eine Situation aus der anderen — wie bei einem Ringkampfe. Die Ausgangssituation, jene bilaterale Polarität der Keimzelle, genügt vollends, um dieses gewaltige Ringen, das mit der Erhöhung des Teilungswachstums durch bessere und an- dauernde Ernährung immer länger währt und intensiver wird, in Gang zu setzen. Alles andere ergibt sich epigenetisch. Die Bildung der Blastula, der Gastrula, die Prävalenz der dorsalen Gastrulawand leitet bereits die gewaltige Entwicklungsbahn eines Chordoniers ein. Damit sind schon so viele einzelne Bedingungsketten für die weitere Ent- wicklung eröffnet, so daß schon auf mehreren Linien die Epigenesis gleichzeitig Neues schafft. Aber auch schon die Entstehung dieser Grundformationen ist das Werk der Epigenesis. Mit der Wachstums- prävalenz einzelner Eiabschnitte ist es nicht getan, der Zellenstaat, die Epigenesis entscheidet darüber, zu welchen Erscheinungen und Formbildungen diese Prävalenz in der Gesamtarchitektonik Veran- lassung gibt, wie das damit eingeleitete Ringen zur Austragung gelangt. 356 ALFRED GREIL, Es ist keine treffende präzise, wissenschaftliche, das Wesen der Epigenesis kennzeichnende Ausdrucksweise, wenn behauptet wird, die Entwicklung verlaufe deshalb epigenetisch, weil ein Stadium dem anderen folgt, ein Stadium die „Ursache“ des folgen- den sei. Nicht von Stadien, sondern von Einzelsituationen und Gesamtsituationen, von Bedingungsketten ist zu sprechen, eine Situation, eine Gelegenheit schafft ferner nur einzelne Bedingungen für die nächste, wobei der eigentliche Motor, die Hauptbedingung, zunächst das Teilungswachstum ist. Der Ausdruck Stadium, die zeitliche Gliederung der Gesamtentwicklung ist deshalb ungünstig, weil es sich, wie bei der Verästelung eines Baumes, um allmählich sich verzweigende und komplizierende Bedingungsketten handelt, welche das epigenetische Werden beherrschen. Diese Ketten sind wie das Geäste eines Baumes für sich zu verfolgen. Ihre Kontinuität darf nicht durch eine Stadieneinteilung zerrissen werden. Aus den Bedingungen, welche die Keimzelle bietet, sind die sich weiterhin ergebenden Bedingungsketten abzuleiten. Schon frühzeitig kommen im Geäste einzelne Formationen von lokaler Bedeutung zustande, welche der weiteren Entwicklung unter dem Einflusse der unmittel- baren Nachbarschaft bestimmte Wege weisen. Im Ringen der Teile entstehen immer neue Auswege und Situationen, die wiederum zu Bedingungen für die folgenden werden. Es müssen aber auch zahl- reiche andere, innere und äußere Bedingungen andauernd erfüllt werden, so daß nicht eine Bedingungsgruppe als Ursache gelten kann. Die Keimzelle enthält, abgesehen von Dispositionen zu cellu- lären Differenzierungen, nur die wichtigsten Bedingungen für die ersten Formationen und ihren polaren, bilateralen Bau mit den ver- schiedenen Variationen des allgemeinen Chemismus, der Teilungs- fähigkeit, und anderen unicellulären Fähigkeiten kann daher nicht eine formative oder differenzierende Bedeutung für die Organbildung zu- erkannt werden, weil dies das Werk des Zellenstaates, einer Zell- semeinschaft ist. Die Epigenesis bildet und differenziert. Es gehört zu den wichtigsten, anregendsten und interessantesten Problemen, sukzessive zu verfolgen, wie lokal mit einheitlichen Mitteln, durch quantitative Veränderung der Zusammensetzung des Eiplasmas oder durch die während der Entwicklung sich ergebenden lokalen Steigerung der Assimilation erhöhtes Wachstum förmlich auf Auswege aus beengten Situationen lauert und wie es die sich im Laufe der Epigenesis sich bietenden Breschen sozusagen mit eiserner Konsequenz bis aufs äußerste ausnützt. Das Wachstum Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 357 begnügt sich nicht mit Pyrrhussiegen. Unzählige Falten- und Divertikelbildungen schaffen die Grundlage zu Formationen, welche anfänglich aus indifferenten und gleichartigem Zellenmaterial bestehen; zum mindesten haben wir gar keine Veranlassung eine spezifische und qualitative Ungleichartigkeit der ersten Zellen und Formationen anzunehmen, weil diese erst dann entsteht, wenn die funktionelle Auslese und Anpassung ihre Feile anlegen und, unter Ausschluß der unpassenden cellulären Fähigkeiten, jeweils das Förderliche differenzieren. Wie schon PAnDErR und K. E. v. Barr festgestellt haben, ist also während der Embryonalentwicklung in besonders auffälliger Weise ungleiches Wachstum eine der ersten und fundamentalen Erscheinungen, welches alle grundlegenden Formationen schafft. Faltungen, Eindellung, Invagination, Abschnürung, Spaltung und Aus- einanderweichen von Zellenschichten spielen in der ganzen Metazoen- welt eine hervorragende formbildende Rolle. Alle diese Erscheinungen sind Reaktionen auf ungleiches und durch eine nicht gleichen Schritt haltende Nachbarschaft beengtes Wachstum. Die Bedingungen dieses ungleichen Wachstums zu ermitteln, ist eine der vornehmsten und wichtigsten Aufgaben der formalen Analyse, welche aus der Fest- stellung der Erscheinungen und Vorgänge in den meisten Fällen auch schon auf die Bedingungen schließen läßt. Äußere Bedingungen (z. B. bei der freien Urdarmbildung) und mannigfache andere funk- tionelle Anpassungen, meist aber innere Bedingungen, beherrschen diese fundamentalen riehtunggebenden Formgestaltungen. Wir haben oben darauf hingewiesen, wie der einfache polare und ins- besondere der polarbilaterale Eibau durch die Exzentrizität des Kernes und des Plasmahofes beim Eiwachstum oder durch nach- folgende Verschiebungen bei den Richtungsteilungen zustande kommt. Auch bei den Bewegungen und Drehungen der Eizellen in den Ei- leitern (was vielleicht beim Hühnerei eine Rolle spielt, dessen durch die Chalazen gekennzeichnete Rotationsachse meist senkrecht auf der späteren Medianebene steht, so daß die Exzentrizität der prä- valierenden, kleinzelligen Bezirke der Keimscheibe in äquatorialer, paratangentialer Richtung erfolgt) sowie bei den Bewegungen männlicher Elemente bei der Befruchtung können solche Verände- rungen in der Verteilung des Dotters entstehen, die grundlegende Dispositionen zu ungleichem Wachstum schaffen. Das Teilungs- centrum (Spermocentrum) kann die bilateral gebauten Zellen voll- kommen beherrschen, trotz der langandauernden meridionalen Exzen- 358 ALFRED GREIL, trizität des Plasmahofes äquale erste Teilungen hervorrufen — in anderen Fällen treten schon bei den ersten Teilungen Reaktionen (Inäqualität) ein. Auch inäquale Teilungen des Spermocentrums können zu ungleichem Wachstum disponieren. Bei den Chordoniern, an denen die polare Bilateralität so wichtige Konsequenzen ergibt, bleibt die Bilateralität oft lange Zeit latent und äußert sich erst zur Zeit der Gastrulation, wenn die Zellen kleiner geworden, ihr Ringen intensiver wird —, indem sie die ersten Formveränderungen durch ungleiches und beengtes Wachstum schafft, dem nur der Weg nach innen freisteht. So kommt die Urdarmbildung als das Werk der Epigenesis zustande, gleichviel, ob von einem kleinen Zellenstaate solid oder bei überschäumendem Wachstum in Form profuser Proliferationen. Die Art der Eindellung oder eines Faltenwurfes, die Stellung der Kernteilungsfiguren gestattet in der formalen Analyse bereits bindende Rückschlüsse auf die Wachstumsrichtungen, auf die Art und den Grad der Beengung. Die Höhe der Falten, die Zahl der Kernteilungsfiguren gestattet Rückschlüsse auf die Wachstums- intensität, wobei lokale sich epigenetisch ergebende Steigerungen der Ernährung und des Stoffwechsels von großer Bedeutung sind. So sind diese Formveränderungen biologische, morphogenetische Experimente von vollendeter Eleganz, welche die Natur bei un- gestörtem Geschehen vollzieht und die bei Massenuntersuchungen in allen Phasen dargelegt werden können. Sobald wir aber in progressiver und regressive: Verfolgung dieser Vorgänge an den ursprünglichen Bedingungen angelangt und die ganze Kette der sich epigenetisch ergebenden Situationen verfolgt haben, ist die betreffende Gestaltung formalanalytisch und zugleich auch schon ursächlich erklärt. Kein Experiment könnte mehr leisten. — Ohne exakte, ausgreifende formale Analyse keine Erklärung! Sind aber einmal z. B. an einer Chordoniergastrula mit einseitiger Prävalenz eines hierdurch zur Dorsalseite werdenden Wandsektors — in abhängiger Gestaltung bei beengtem Wachstum die paarigen Längsfalten im Ectoderm und die drei Längsfaltenbildungen an der Urdarmwand — seien diese nun offen oder geschlossen — entstanden, so wird eigentlich schon sehr viel präjudiziert und der Epigenesis schon ganz erheblich vorgegriffen, wenn erfahrungsgemäß diese Falten als Medullar-, Chorda- und paraxiale Mesodermfalten be- zeichnet werden. Das müssen sie erst werden; sie müssen erst bei ihrem fortgesetzten Wachstum bei der funktionellen Auslese Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 359 unter solche Bedingungen gelangen, daß sie das Angegebene und nichts anderes werden. Sobald einmal der kritische Moment des ärgsten Drängens der größten Beengung des lokal gesteigerten Wachstums überwunden, die sozusagen erlösende Faltenbildung zustande gekommen ist, dann sind mit einem Schlage dem allenthalben stets bereiten Wachstum neue Situationen und Auswege eröffnet. Eine weite Perspektive steht der Epigenesis offen. Langsam, aber unaufhaltsam schieben sich die immer größer werdenden Falten über- und nebeneinander vor. Zwangsläufig führt dieser Prozeß in weiterer Beengung zum Ab- schlu8 und zur Ablösung der Falten, was eine äußerste Ausnützung der gegebenen Situation bedeutet. An den Ablösungsstellen, an den Nahtstellen, an diesen Schranken, die dem Wachstum erstanden, bricht dann meist (z. B. am Medullarrohr und am paraxialen Mesoderm) das allenthalben lauernde Wachstum hervor und erzwingt sich wieder neue Bahnen. — Die Entstehung der Ursegmente (besser gesagt Dorsalsegmente, weil die Ursegmente des Amphioxus eine totale Segmentierung des Mesoderms bedeuten) ist eine weitere Folge beengten Wachstums. Das Auftreten, die Anordnung, der Verlauf der Querfalten lassen die Art und die Richtung der ärgsten Kom- pression in der Längsrichtung erkennen. Der quer oder schräg verlaufende Faltenwurf erscheint so als eine intime Reaktion auf Wachstumsvorgänge, welche den vollen Wert eines Versuchsergeb- nisses hat. Die Vermehrung der segmentierenden Querfalten legt dann Zeugnis von der andauernden Beengung des von der teloblasti- schen, terminalen, hinteren unsegmentierten, immer kürzer werdenden, sich immer mehr erschöpfenden Wachstumszone apponierten paraxialen Mesoderms ab. Zu alledem ist in letzter Linie nur vorzügliche Ernährung des Zellenmaterials, eine rege Synthese in den Ruhepausen der Zellteilung und die so überaus einfache und unscheinbare, in ihren Folgen un- absehbare Polarität und Bilateralität des Eiwachstums nötig! Die Zahl und Größe der Zellen, die allgemeine Intensität des Teilungs- wachstums, der Grad der Inäqualität der ersten 8 Blastomeren, die Art der Beengung sind Faktoren, welche die unermeßliche Mannig- faltigkeit der Reaktionen in der Metozoenreihe bestimmen. Kläglich und bequemlich erscheint es, wenn, statt die sukzessive sich ergebenden Bedingungen und Situationen aus der einfachen richtunggebenden und teilungskräftigen Ausgangsposition zu verfolgen und die übrigen in Betracht kommenden Bedingungen zu ermitteln, ein 360 ALFRED GREIL,, „Mesodermmaterial“, „Entodermpartikel“, ein „Chorda- und Neuro- plasma“ und andere Qualitäten für die Entstehung der grundlegenden Formationen eines Chordoniers angenommen werden. — Und wenn dies schon am grünen Holze geschieht — wie sollen dann erst die komplizierteren späteren Formationen erklärt werden? Dieser ver- hängnisvolle Mißgriff der Mosaiktheoretiker und Entwicklungsmecha- niker lähmt geradezu die Forschung — und bedingt förmlich ein Wühlen im Irrtum. So schafft also die Epigenesis unter Ausnützung des Teilungs- wachstums und der diesem zur Disposition stehenden Reserven, ge- leitet durch die beim Aufbau dieser Reserven sich als Begleit- erscheinung ergebenden Art der Anordnung — Polarität, Bilateralität — den jungen Zellenstaat. In rascher Komplikation und Verästelung der Bedingungskette, in hartem Ringen und Drängen auf allen Linien, entstehen auch weiterhin in kaum übersehbarer Weise die grund- legenden und wichtigsten Formationen, deren Zellen dann unter den durch diese Anordnung gewonnenen Bedingungen bei der funktionellen Auslese und Anpassung zur Steigerung verschiedener ihrer anderen Fähigkeiten verwendbar sind und auf anderes verzichten müssen. Darin liegt also die Wucht und der Zwang der sich epigenetisch ergebenden Bedingungen des Wachstums. Sind die lokalen Steige- rungen, die passiven Beengungen, mit den durch sie bedingten Re- aktionen, ferner die sich im weiteren Verlauf ergebenden Schranken und die Überwindung dieser Schranken von seiten des stets bereiten und unaufhaltsam vordringenden Wachstums erkannt, dann ist die ursächliche Ableitung der Phänomene gesichert. Immer komplizierter wird im Laufe der Entwicklung das Ringen der Zellenkomplexe auf allen Linien. Prinzipiell müssen auch die kompliziertesten Form- bildungen bei kontinuierlicher Verfolgung der Entwicklung aus dem Einfachsten heraus erklärt werden können. Alles hängt von der Exaktheit der formalen Analyse ab. Die Entwicklung gleicht somit einem Ringkampfe — sowohl in den groben Verhältnissen des Wachstums und der Formbildung wie in den minutiösen Entscheidungen bei der nachher erfolgenden Auslese der jeweils passendsten, tauglichen unicellulären Fähigkeiten. In letzterer Hinsicht, namentlich bei der Entscheidung über die Wirksamkeit der Chondriosomen, des differenzierenden Arbeitszeuges der Zelle, bestehen Analogien mit den groben und kardinalen Ent- scheidungen bei der natürlichen Zuchtwahl. — Besonders auffällig ist aber das Ringen bei der Formbildung. Das Ringen des Teilungs- Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 361 mechanismus mit dem Dotter leitet die Situation ein, es ringen Micromeren mit Macromeren und ihre Abkômmlinge, es ringt die Micromerenhaube mit dem mächtigen ,D“-Macromer. Ein Ringen in der äquatorialen Übergangszone leitet bei holoblastischen Anam- niern die Invagination und damit die Organogenese ein, es ringt hierauf die dorsale Gastrulawand mit der trägen, immobilisierten, nicht gleichen Schritt haltenden Ventralseite bis zur Vollendung der Schwanzbildung. Es ringt die Neuralplatte mit der sie immer mehr passiv beengenden, passiv resistenten Nachbarschaft, es ringt die dorsale Gastrulawand auch nach beiden Seiten hin, was die charak- teristischen Längsfaltenbildungen bei den Chordoniern zur Folge hat. Ähnliche Auswege der Faltenbildung erzwingt sich das Ringen im paraxialen Mesoderm der Länge und Quere nach (Segmentierung und Isolierung der Dorsalsegmente). Am Vorderdarm tritt in beengtem Wachstum die Schlundtaschenfältelung ein; es ringt das prostomale mit dem paraxialen Mesoderm usw. Stets sind die Bedingungen der Steigerung und jene der Beengung des Wachstums zu ermitteln. Wenn der Vergleich mit dem Ringkampfe hinkt, so gilt dies vor allem in der Hinsicht, daß sich ringende Paare nicht so rasch ver- doppeln, vermehren können, das Ringen nicht so schnell auf genea- logische, sich etwas sondernde Linien sich verbreiten und so schließlich an vielen Stellen zugleich in der jeweils eigenartigen, durch die besonderen Bedingungen vorgeschriebenen Weise ausgetragen werden kann. Würden die beiden Ringer schon in der Ausgangssituation genau äqual geteilt werden können — besitzen also die beiden ersten abgerundeten getrennten Blastomeren dieselben Dispositionen zu Wachstumsdifferenzen, denselben polarbilateralen Bau — dann wird von Anfang an in zwei Gruppen gerungen, was in freier Natur vielleicht innerhalb einer etwas elastischeren, die nach der Teilung erschlafften Blastomeren nicht so zusammendrängenden, gegeneinander abplattenden Eihülle geschehen kann. Petromyzon-Blastomeren geben gelegentlich ein Beispiel hierfür. Bei allen holoblastischen Anamniern würde es nach völliger, temporärer Entfernung aller Eihüllen während der ersten, symmetrischen Teilung gelingen, die Abkugelung der ersten Blastomeren und die nachfolgende Kreuzfurchung, also Doppelbildung, zu erreichen. Bei dauernder Nacktheit würde sich der große Vorteil des Erwerbes der Eihülle, welche die Blastomeren zusammenhält, dem Ringen straffe Zucht vorschreibt, zeigen. Es käme bei völlig ungebundener freier Entwicklung enthüllter Keime, die eine andere Teilungsweise als nackte Keimzellen und Urahnenzellen zeigen, wohl 362 ALFRED GREIL, kaum eine Blastula zustande; die Zellen würden sich voneinander lösen und wohl nie in die Gelegenheit kommen, ihre Reserven und unicellulären Fähigkeiten auszunützen, sie gingen bestenfalls, so wie Dauerkeimzellen, nach geraumer Zeit zugrunde Gelingt es, im Blastulastadium oder Gastrulastadium zwei Systeme mit gleicher Ver- anlagung zu Wachstumsdifferenzen zu schaffen, so entstehen zwangs- laufig Doppelbildungen. Stets hängt also das Ringen, die Austragung der beim Eiwachstum erworbenen Dispositionen zu ungleichem Wachstum von zahlreichen, nebenbei vorhandenen oder sich erst ergebenden Bedingungen ab, genau so wie bei jenem Vergleiche. Das Wachstum kann auch durch sich epigenetisch ergebende günstige Ernährungsbedingungen gefördert werden. Das durch eine nicht gleichen Schritt haltende Nachbarschaft oder sonstwie beengte Wachs- tum lauert förmlich darauf, wo sich in der Architektonik der Gesamtheit irgendeine schwächere Stelle ergibt, an der es hervor- und durchbrechen kann. Ist dann unter diesen inneren Entwicklungsbedingungen eine Bresche gelegt, dann folgt unaufhaltsam weitere Zellvermehrung und Wachstum, bis sich im ziellosen Ringen, das nur ein Vorwärts kennt, wieder Schranken ergeben und die neugeschaffene Situation wieder neue Wachstumsrichtungen und Dispositionen eröffnet. Jede Ein- dellung und Faltung kann zwangsläufig bei Fortsetzung des Wachs- tums zur Abschnürung und Ablösung führen. Die formale Analyse hat in erster Linie die Bedingungen der ersten Momente dieses W achstums- ausgleiches festzustellen, das weitere Ringen der Zellenkomplexe folgt den durch die besondere Art des Ausgleiches bereits vorgezeichneten Bahnen, die bis an ihr Ende durchlaufen werden. Die Abschnürung des Neuralrohres, der Hörblase, des Linsensäckchens, der Herzfalten, des Darmrohres der Wirbeltiere sind Beispiele hierfür. An gewissen derartigen Schranken des Wachstums, die sich epigenetisch ergeben, so z.B. an der Ablösungsstelle des Neuralrohres, der Dorsalsegmente der Wirbeltierembryonen kommt es bei lokal andauernd gesteigertem Stauungswachstum zur Durchbrechung des epithelialen Gefüges. Ein Schwarm von freien Zellen strömt hinaus, durchflutet schrankenlos in den nächsten Bahnen die Spalten zwischen den Keimblättern und den Formationen des Embryos. So kommen die Ganglienleiste, die Angiosclerotome zustande, beim prostomalen Mesoderm verhält es sich ähnlich, während an der Ablösungsstelle der Dorsalsegmente von den Seitenplatten in geschlossenem Wachstum — also bei lang- samen Ausgleiche — die Myotomfortsätze vortreten und lange Zeit schrankenlos weite Gebiete durchsetzen können. An der Ablösungs- Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 363 stelle der Seitenplatten findet das etwa weniger intensive Wachstum unter Nachwirkung der Segmentierung Gelegenheit, die Nieren- kanälchen hervorzutreiben und das dorsale Gekröse zu bilden. So ergibt also im Ringen der Zellenkomplexe eine Situation durchaus epi- genetisch, ohne jegliche Präformation die andere. — Wenn Epithel- bezirke von ihren Nachbarn überholt werden und ins Schlepptau derselben geraten, in voller Abhängigkeit sich ihnen anpassen, mit ihnen weiterwachsen müssen, so kommt es häufig vor, daß ihr auf solche Weise angeregtes, eingeleitetes intensiveres Wachstum mit Überschuß auf diese Beanspruchung reagiert. Diese ziemlich unver- brauchten, neue Gelegenheit ausnützenden Bezirke arbeiten dann gewissermaßen wie Geschwindigkeitshebel und können der Gestaltung ganz charakteristische Züge erteilen. Die erste Reaktion ist die Verdickung des Epithels, d. h. die weitestgehende Flächenausnützung unter Verlängerung der senkrecht zur Oberfläche sich einstellenden Zellen. So verhält es sich z. B. an der vorderen und hinteren Darm- pforte der Amnioten, wenn die Subgerminalschicht sämtlicher Sauropsiden oder das Dotterentoderm einzelner Säuger bei jenem Faltenwurf, durch den die beengte, dominierende dorsale Körper- wand sich nach vorn und hinten freie Bahn bricht, zunächst als eine Schwelle aufgeworfen, dann taschenförmig mitgezogen und ausgeweitet wird. Das auf diese Weise entfachte Wachstum ant- wortet darauf mit solchem Überschuß, daß im Kopfdarme seitliche Verbreiterung zustande kommt, die sich nun mit dem paraxialen Mesoderm abzufinden hat. Es werden quere Seitenfalten vorgetrieben, die parallel der Ausbreitungsweise des Mesoderms eingestellt, zu- nächst einen mächtigen vorderen Abschnitt als Mandibularbogen vom hinteren trennen, das Ectoderm erreichen, welches sich unter ganz ähnlichen Bedingungen verdickt. So kommen die ersten Schlund- taschen zustande. Bei andauernder Wirkung des veranlassenden Momentes kommt bald darauf eine zweite und eine dritte Parallel- falte zustande, die das vorgelagerte Mesoderm genau so durchbrechen, wie die teloblastische apponierende Wachstumstrecke des paraxialen Mesoderms bei Vogelembryonen das von ihm in späteren Stadien der Längenentwicklung umscheidete, anfangs vorgelagerte prostomale Mesoderm durchbricht und in die sogenannten Urwirbelkerne sondert. Der Parallelismus dieser Vorgänge äußert sich auch in der all- mählich eintretenden Erschöpfung des Wachstums, wenn in Ab- hängigkeit von der Nachbarschaft die hinteren Schlundtaschen kleiner werden und näher beieinander stehen. Andrerseits umgeht das 364 ALFRED GREIL, Wachstum die durch die Anlagerung ans Ectoderm gesetzten Schranken durch die Austapezierung der ectodermalen Innenseite der Kiemen- bogen, durch die Bildung der Kiemenknôtchen, durch die Aus- bildung der zu den Thymusknötchen und anderen branchialen Deri- vaten werdenden Fortsätze, während das Ectoderm die Schlundtaschen von außen durchteilt usf. Ohne jene von der rascher wachsenden, jenen Faltenwurf bedingenden, dorsalen Gastrulawand gegebenen Anregung und Gelegenheit würde diese ganze Sukzession des Ringens der Zellenkomplexe nicht erfolgen. Der formale Analytiker vermeidet es aber, von formativen Reizzen zu sprechen — um die sich ander- wärts darbietenden wirklichen Reize in ihrer Bedeutung nicht einzu- schränken. Aus freien Stücken hätte die Subgerminalschicht niemals die Schlundtaschen gebildet, ebensowenig würde sie bei Vögeln, Cheloniern und Marsupialiern am hinteren Ende die Allantoisbucht bilden, als welche irrtümlicherweise auch heute noch die kleine, einen Ausgleich der Längenentwicklung ermöglichende, durchaus passiv und abhängig entstandene hintere Darmbucht angesehen wird. (Die Be- trachtung der Allantoisbildung bei Sauriern und manchen Placentaliern sollte davor warnen!) — So ergeben sich also die Bedingungen für den Beginn und die Fortsetzung des Ringens der Zellenkomplexe im jungen Staate und auch in den älteren Stadien vorwiegend erst im Laufe der Gestaltung und können nicht schon in der dotterfreien oder dotterarmen Keimzelle determiniert sein. Schon aus diesem Grunde ist die Annahme einer Bevormundung der Entwicklung der Keimblätter, d. h. der primordialen sowie der erst später auftretenden Organe durch Keimblätter- oder organbildende Substanzen oder durch die Gängelbänder der formativen Stoffe eine durchaus verfehlte Spekulation. Lokale Steigerung und Beengung des Wachstums und die daraus sich epigenetisch ergebenden Reaktionen sind die kardi- nalen Erscheinungen der Formbildung. Je länger ein Ringkampf oder ein Schachspiel dauert, um so mehr tritt die Ausgangssituation an Bedeutung zurück. Dasselbe gilt auch von der Verlängerung und Komplikation der Ent- wicklung. Je länger und verzweigter die epigenetisch sich er- sebende Bedingungskette wird, um so einfacher erscheint relativ die Keimzelle. Es besteht daher zwischen der Veränderung, welche die Approvisionierung und die Steigerung weniger unicellulärer Fähig- keiten und der Dauerhaftigkeit in der Keimzelle schafft, und der Komplikation der Ontogenese kein Parallelismus, sondern vielmehr eine in der Erreichung höherer Organisation immer größer und auf- Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 365 fälliger werdende Divergenz, welche den Kausalnexus zwischen Keim- zelle und Organisation relativ immer mehr einschränkt. Es können daher schon aus diesem Grunde die befruchteten Eizellen der ver- schiedenen Tierarten in ihrem Wesen nicht in demselben Maße voneinander verschieden sein wie die ausgebildeten Individuen. Diese Verschiedenheit muß vorwiegend den sich epigenetisch er- gebenden Bedingungskomplex betreffen, denn oft bestehen nur minu- tiöse graduelle Veränderungen des Baues der Keimzellen. Welche Reaktionen muß z. B. schon eine Steigerung der Teilungsenergie und Dauerfähigkeit auf der ganzen Linie jener dadurch auch er- heblich vergrößerten Bedingungskette bei den verschiedenen Wachs- tumsdifferenzen zur Folge haben! Der Kausalnexus zwischen der Wucht der epigenetisch sich ergebenden Bedingungen und den hier- durch erreichten Resultate ist ein so gewaltiger, in der Epigenesis- theorie und im biogenetischen Grundgesetze so scharf umschriebener, daß es nicht der Aufstellung besonderer, Binsenwahrheiten über Ge- bühr in den Vordergrund drängender Gesetze bedarf. His hat den Versuch gemacht, das schon von C. E. v. BAER er- kannte Prinzip des ungleichen Wachstums, des Stauungswachs- tums (bei lokaler Steigerung und nicht gleichen Schritt haltender Nachbar- schaft), für die Entwicklung des Hühnchens näher auszuführen. Er hat ein System von sich kreuzenden Berg- und Talfalten, von durchgehenden Grenzmarken angenommen und über die Entstehung der Extremitäten, die Gestaltung des Gehirns in höchst bedenklicher „roher und oberfläch- licher“ Auffassung Theorien dargelegt, welche HAECKEL mit Recht aufs schärfste bekämpft hat. HAECKEL fordert stets kausale Ableitungen, er- kennt bei Hıs das Bestreben zur Ermittlung der Physiologie des Wachs- tums an, bemerkt jedoch: „Wodurch aber diese Faltenbildungen und das sie zunächst verursachende, ungleiche Wachstum der einzelnen Keim- scheibenteile eigentlich bewirkt wird, erfahren wir bei Hıs kein Wort“ (zum mindesten kein wahres Wort). His spricht zwar von „verschiedener Wachstumserregung“, ist aber durch seine aprioristischen Vorstellungen über die orgaubildenden Keimbezirke derart befangen, daß er annimmt, die „Wachstumserregung“ für alle Organe und Körperteile müsse schon in diesen Bezirken des eben befruchteten Eies gegeben sein. Nach seiner Rubrizierung der unbefruchteten Eizelle, welche ganz und gar mit den einfachsten Ermittlungen über die Ontogenese des Hühnchens im Wider- spruche steht und dem auf dem Boden der Gasträatheorie Stehenden durch- aus widersinnig und wahnwitzig erscheinen muß, sollen z. B. Nacken-, Damm-, Lunge-, Leber- usw. bildende Territorien vorhanden sein, die eine besondere Wachstumserregung bei der Ablösung von Mutterorganismus als Mitgift unter individuellen Vererbungserscheinungen mitnehmen. Die ur- sprüngliche Ausdehnung dieser organbildenden Keimbezirke und die ihnen innewohnende Wachstumserregung soll die Entwicklung der betreffenden 366 ALFRED GREIL, Organe bestimmen. So ist His in gänzlicher Verkennung des epigene- | tischen Grundprinzips der Entwicklung und unter Verspottung der histo- rischen Betrachtungsweise, welche ihn vor schweren Irrtümern bewahrt hätte, durch eine auf die Spitze getriebene Retroprojektion der Organe auf die Keimzelle und gar auf das unbefruchtete Ei zu ganz irrigen Vor- stellungen über die tatsächliche Anwendung der schon vom Altmeister der Entwicklungsgeschichte erkannten Prinzipien geführt worden. Wir werden noch zu zeigen haben, daß die rückläufige Verfolgung der Gestaltung der Organe und Körperabschnitte niemals über gewisse Stadien hinausgehen darf und nach Überschreitung dieser förderlichen Grenzen zwangsläufig zu durchaus verfehlten Spekulationen führen muß. HAECKEL hat schon . beizeiten diese verhängnisvollen Mißgriffe auf das schärfste verurteilt und dennoch nicht verhindern können, daß sie zur Basis moderner sogenannter „entwicklungsmechanischer“ Spekulationen, zu einer der Grundlagen der Me geworden sind. Die Physiologie des Wachstums hat die Ermittlung der Bedingungen desselben zu erforschen. Die gesamte Entwicklungslehre beruht auf der Erkenntnis des Teilungsmechanismus der Zelle. Haben die Zellen einmal die Fähigkeit erworben, sich im Verbande zu teilen, dann besteht bei historischer, von HAECKEL gelehrter Betrachtungsweise die erste Aufgabe darin, die Bedingungen festzustellen, unter denen der Teilungsmechanismus sein dynamisches Gleichgewicht findet, wie sodann die Gewölbekonstruktion der Blastula zustande kommt. Das Eiwachstum erzwingt mannigfache reaktive Variationen der ersten Schritte des Wachstums. — Es schafft in extremen Fällen jenen meroblastischen Furchungstypus, indem es der Zell- teilung immense Widerstände bereitet, so daß sich die Furchung wie ein Ringen mit dem Dotterballast ausnimmt. Man freut sich geradezu der ersten schrägen und paratangentialen Teilungen, welche die Zellen von den Fesseln des Produktes der Eizelle befreien. So wird das Wachstum der Eizelle bestimmend für das Teilungswachstum ihrer Abkémmlinge. Je größer die Eizelle wird, um so sicherer stellen sich schon infolge des Um- standes, daß die Kernplasmarelation zunimmt, der an allen Verrichtungen beteiligte Kern nicht allenthalben in derselben Intensität wirken kann, minimalste Ungleichheiten, graduelle quantitative, die Prozentverhältnisse der Komponenten der Nahrungsreserven betreffende Differenzen ein, welche auch durch die aktiven Bewegungen bei den Richtungsteilungen und der Befruchtung gefördert werden. Bewegungen schaffen so epigenetisch wiederum Bewegungen. Um dies zu ermitteln, sind, nebenbei bemerkt, keine Versuche nötig. Minutiöseste Ungleichheiten, die an sich noch nicht als Ungleichartigkeiten zu betrachten sind, weil sie eben nur die Prozentverhält- nisse betreffen, bleiben mehr oder weniger lange latent, insbesondere so- lange noch alle Zellen von reichlichen Reserven zehren. Gehen diese aber zur Neige, dann werden die Abkömmlinge derjenigen Eiregionen, welche weniger behindert, assimilations- und teilungskräftiger sind, wie Geschwindig- keitshebel arbeiten, ein Minimum voraus, einen kleinen Vorsprung haben. Dies bedingt bereits ganz grobe Reaktionen, ungleiches Wachstum. Was geschieht, hängt vor allem von der Gesamtheit des Zellenstaates, beispiels- weise von der Architektonik der Blastula ab, ferner auch davon ab, auf Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 367 welcher Seite die zum Teilungswachstum nötige Flüssigkeitsaufnahme er- folgt. So wie das Teilungswachstum, der allgemeine Motor der Entwick- lung, so ist differentielles Wachstum nur eine der Grundbedingungen lo- kaler spezieller Formbildung. Die Abhängigkeit von der Umgebung, welche erst die vorangehenden Entwicklungsphasen schaffen, bestimmt in durch- aus epigenetischer Weise, in welcher Art die Reaktion, sozusagen die Ausnützung der Prävalenz, erfolgt. Dies kann im einzelnen nicht schon in der Eizelle bestimmt sein, nicht einmal bei den einfachsten Formbildungen, die sich oft schon nach wenigen Teilungsschritten einstellen. Wir haben bereits oben einige Beispiele dafür angeführt, wie auch im Laufe der weiteren Entwicklung, wenn einmal das Blutgefäßsystem entstanden ist, durch lokale Steigerung der Ernährung der einzelnen Zellenkomplexe an Konzentrationspunkten des Blutstromes ungleiches Wachstum in durchaus epigenetischer Weise entfacht wird, wie die Art und Weise der Entfaltung dann in durchaus abhängiger, ebenfalls epigenetisch sich ergebender Weise sich vollzieht. Aus diesen mannigfachen Anpassungserscheinungen, deren immense Bedeutung für die Gestaltung HAECKEL als einer der ersten voll erkannt und gewürdigt hat, aus der Erkenntnis, wie die Epigenesis „aus Gleichartigem Ungleichartiges“ schafft, ergibt sich bereits, wie widersinnig es ist, für alle Organe und Körperteile spezifisch lokalisierte , Wachstums- erresungen“ in der unbefruchteten Eizelle anzunehmen. Die volle Wucht und “unbedingte Herrschaft der Epigenesis zeigt sich bei der mit Differen- zierung verbundenen, unter dem Einflusse „von Gebrauch und Übung“ — wie HAECKEL sich ner — zustande kommenden alesmeln An- passung (Roux), deren Mannigfaltigkeit bereits die vergleichende Anatomie enthüllt.. Die Bedingungen des Wachstums während der Entwicklung im Ei zu erforschen und aufzudecken ist die vornehmste und schwierigste Auf- gabe der Ontogenie, welche nie und nimmer durch das Zerrbild der organ- bildenden Keimbezirke und. der prädeterminierten Wachstumserregungen zu einer kläglichen „Schneiderarbeit“ — wie sich HAECKEL treffend aus- drückte — degradiert werden darf. Wie „die Natur im Schaffen lebt“, wie das Wachstum immer wieder neue Situationen ergibt und diese ausnützt, wie im Ringen der Zellenkomplexe, durch minimalste, große Eiabschnitte betreffende Prävalenzen eingeleitet, im Laufe der Epigenesis immer feinere Reaktionen bedingt werden, ist zu verfolgen. Was die Eizelle an Form- bestimmung beisteuert, ist ein Minimum, der Ausgangssituation eines Ring- kampfes vergleichbar. Die Konsequenzen, welche sich daraus ergeben und so weitgehend sein können, bestimmt der Zellenstaat, die Gemeinschaft, die Epigenesis. HE Wir haben im Vorstehenden verfolgt, wie ein Zellenstaat durch die Austragung von Wachstumsdifferenzen, durch ein Ringen gleich- artiger, lediglich graduell und quantitativ, in ihren Bestandteilen, manchmal nicht einmal der Größe nach verschiedener Zellen zustande- kommt und wie sich dann bei der auf solche Weise erworbenen Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Zool. u. Physiol. 24 308 ALFRED GREIL, Vergrößerung und Gliederung des Zellenstaates in einzelne Komplexe, Schichten und Formationen die Bedingungen und die Gelegenheit zur Differenzierung, zur Auslese und Steigerung der einzelnen uni- cellulären Fähigkeiten der anfangs gleichbeschäftigten Zellen durch- aus epigenetisch ergeben. Die in verschiedenen Schichten ange- ordneten und in verschiedenen Beziehungen zur Außenwelt stehenden Zellenkomplexe können ihre ursprüngliche bescheidene Universalität, welche Protozoen in vollendeter Weise zeigen, nicht einheitlich aus- nützen. Sie sind nicht mehr allseitig verwendbar und können nur einige ihrer bescheidenen Fähigkeiten pflegen und steigern, müssen aber die anderen vernachlässigen und schließlich auf sie verzichten. Letztere Verhältnisse, die Bestimmung, erbliche Übertragung dieses Erwerbes der Vergrößerung und Verfeinerung des Repertoires an Differenzierungsweisen soll uns nun zunächst beschäftigen. Die Aus- lese und Anpassung der cellulären Funktionen erfolgt in einer der natürlichen Zuchtwahl entsprechenden Weise, indem nur diejenige Seite der Universalität des vor allem durch die Chondriosomen des Protoplasmas (Mitochondrien, Chondrioconten) reprasentierten cellulären Arbeitszeuges gepflegt und gebraucht wird, welche jeweils tauglich und anwendbar ist. Die Entfaltung anderer Differenzierungsweisen, sowohl animaler (Fibrillenbildung aller Art, Intercellularsubstanzen) wie vegetativer (Sekretkörner, Pigmente usw.), müssen die Chondriosomen vernachlässigen, sie können sich nur einer Differenzierungsweise bis aufs äußerste widmen. Wenn wir auch hinsichtlich der Konstitution des Chemismus und der Wirkungsweise der Chondriosomen im einzelnen mit Unbekannten rechnen müssen, so ergibt die Verfolgung der Ontogenese dennoch mancherlei Aufschlüsse über diese, durch Arbeitsteilung in der Zelle entstandenen Gebilde. — So wie sich ein vollendeter, freilebender Organismus an das Milieu, an die Gesamt- heit der Außenbedingungen anpassen muß, so findet auch bei der Differenzierung der Zellen eine situationelle und funktionelle An- passung statt. Darin besteht die Funktion der Gelegenheit, welche alle lokalen Bedingungen der Arbeitsteilung umfaßt. Eine Zelle der Urdarmwand kommt nicht in die Gelegenheit ihre Kon- traktilität voll auszunützen, sie ist mit der Resorption und der Abschei- dung von Verdauungssäften voll beschäftigt. Eine Ectodermzelle kann nicht Muskelfibrillen differenzieren, sondern scheidet eine Cuticula ab oder bildet Cilien und Sinnesborsten. Daß alle Zellen hierzu fähig wären, beweisen jene Keimzellen, die an ihrer ganzen Oberfläche, gleichviel welche Formationen aus den einzelnen Arealen hervorgehen, Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 369 eine Cuticula, derbe Eihüllen, als künstlich gezüchtete Dauerkeim- zellen, auch Cilien bilden können (Chaetopterus). Mesodermale Zellen werden ihr Abscheidungsvermögen steigern, Kalkskelete etc. bilden und, wenn sich günstige Verbindungen ergeben, Muskelfibrillen differen- zieren, ihre Kontraktilität steigern können. Der Zellenstaat fördert und vollendet diejenigen der unicellulären Fähigkeiten seiner Kom- ponenten, welche möglich, nützlich und ersprießlich sind, und unter- drückt die anderen. Die Differenzierung der menschlichen Gesell- schaft erfolgt ohne Beamten, Schuster, Schneider etc. bildende Sub- stanzen in genau derselben Weise. Dieser Einfluß der funktionellen Auslese und Anpassung ist somit eine Erfahrung des täglichen Lebens und besteht nicht in mystischen und rätselhaften Fern- und Nahwirkungen des Ganzen auf seine Teile. So wie nun die menschliche Gesellschaft nicht nur die Leistungen universeller Einzelmenschen durch die Arbeitsteilung erhöht, sondern an ihren Individuen auch besondere, spezialisierte Einzelleistungen neu hervorgebracht, ermöglicht hat, die jene bei voller Universalität nicht vollbringen konnten, so gewinnt und erwirbt auch der Zellen- staat hinsichtlich spezieller Differenzierungen Eigenschaften und Fähigkeiten, die für ihn charakteristisch, nur ihm möglich sind, weil der Einzelzelle die Bedingungen zu solcher Vervollkommnung und Spezialisierung des Zellenlebens fehlen. Solche Leistungen sind als multicelluläre Leistungen, als Erwerb eines Zellenstaates, den primären, unicellulären Leistungen gegenüberzustellen. Sie vergrößern das Gesamtrepertoire der Differenzierungsleistungen des Zellenstaates und beeinflussen schon durch die so gewonnene, allsemeine Steigerung des Zellenhaushaltes die unicelluläre Differen- zierungsbereitschaft schmarotzender Urgeschlechtszellen. Auch die all- zemeine und spezielle Steigerung des Teilungswachstums ist eine solche Rückwirkung multicellulärer Leistungen und Erwerbungen. Die sich daraus epigenetisch ergebenden Formgestaltungen, die Kompli- kation des Zellenstaates schaffen erst die Bedingungen, unter denen dann bei der Arbeitsteilung Differenzierungen und Anpassungen speziellerer Art zustande kommen, die an der Einzelzelle nicht möglich sind, nur von Zellen eines Staates geleistet werden können. Das weitestgehende Repertoire an unicellulären Leistungen einer Einzelzelle repräsentieren die Protozoen. Niedrige Metazoen zeigen dieselben Leistungen in einem Zellenstaate verteilt, nicht von einer Einzelzelle besorgt (Cilien, Excretions-, Secretionserscheinungen, Skelete, kontraktile Fibrillen u. dgl). Höhere Metazoen zeigen dann | 24 310 ALFRED GREIL, diese Leistungen weiter spezialisiert, andere Abscheidungen, quali- tativ andere Produkte, zu deren Entstehung nur ein Zellenstaat die Möglichkeit schaffen kann. Das Vermögen der Abscheidung besaßen wohl auch schon die Ausgangszellen, sie hätten es sicherlich betätigt und gesteigert, wenn sich ihnen die Gelegenheit hierzu geboten hätte. Insofern besteht also auch in dieser Hinsicht, betreffs des Diffe- renzierungsvermögens, kein essentieller, sondern nur ein gradueller Unterschied zwischen der Protozoen- und Metazoenzelle. Das Gebiet der unicellulären Leistungen umfaßt somit alle Errungenschaften der Protozoen und die ihnen entsprechenden Leistungen der Metazoen, zu denen auch die von Metazoenahnen erworbene Fähigkeit der Teilung im Verbande gehört. Was nur ein Zellenstaat erwerben kann, gehört in die Kategorie der multicellulären Leistungen. Was die Zellen im jungen und im älteren Zellenstaate leisten, ist somit die Funktion der Gelegenheit und der Verwend- barkeit. Es hängt von den sich epigenetisch ergebenden Bedin- sungen ab, welche unicellulären Fähigkeiten in den einzelnen durch differentielles Wachstum geschaffenen Formationen gesteigert und welche vernachlässigt werden. Wird diese Bedingungskette früh- zeitig geändert, dann ergeben sich zwangsläufig auch Verschieden- heiten in der Verwendung des voll leistungsfähigen Zellenmaterials. Die physiologische und experimentell erzeugte Heteromorphose legt davon beredtes Zeugnis ab. Es liegt kein Grund vor, diese Grade des Leistungsvermögens durch die metaphysischen Ausdrücke pro- spektive Bedeutung und prospektive Potenz zu kennzeichnen; statt dessen wäre von einer engeren und weiteren Verwendbar- keit des autonomen Zellenmaterials zu sprechen, je nachdem der Be- dingungskomplex der Formbildung, Gestaltung, der funktionellen Aus- lese und Steigerung der unicellulären Fähigkeiten enger oder weiter gesteckt ist. Von „entwicklungsmechanischer Potenz“ zu sprechen ist überflüssig, denn daß das Entwicklungsvermögen zwangsläufig sich äußert und von einem Bedingungskomplex beherrscht wird, ist eine Binsenweisheit, welche, für den formalen Analytiker wenigstens, als selbstverständlich zu gelten hat. Im Sprachgebrauche besteht ferner ein Unterschied zwischen den Ausdrücken Anlage und Veranlagung. Die Anlage, das Ange- legte ist immer etwas direkt Bedingendes, meist wenn auch nur in groben Zügen Fertiges, Bestimmtes, im Prinzip ausgeführtes, Mate- rielles, während die Veranlagung eine Befähigung, etwas viel Ein- facheres, die Eignung zum Anlegen und Ausführen bedeutet, deren Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 371 Realisierung stets von weiteren Bedingungen abhängig ist. Wenn die Keimzelle als Ganzes polar bilateral gebaut ist, so ist dies noch nicht die Anlage einer Chordoniergastrula, es ist damit nur die Be- fähigung, die Veranlagung gegeben. Diese Disposition zur Entstehung von Wachstumsdifferenzen im jungen Zellenstaate besteht unter den aus jenen durch graduell verschiedene Wachstumsbefähigung ausge- zeichneten Abschnitten des Eiplasmas hervorgehenden Blastomeren und Zellenkomplexen. Die geringste Anderung der bestehenden osmo- tischen Druckverhältnisse, des Chemismus, der chemischen Konstitution, der Abscheidung von Blastocölflüssigkeit, die Ausweitung des Blasto- cöls, welches der Urdarm dann nicht ausfüllt, würde eine ganz andere Austragung jener Differenzen zur Folge haben, und niemals käme daraus ein Chordonier zustande Nur in hochgradiger Beengung entstehen jene Faltenbildungen der dorsalen Gastrulawand. Es besteht somit lediglich eine Befähigung, eine Veranlagung zu un- eleichem Wachstum, nicht aber eine Anlage zur Gastrulation in der Keimzelle, denn über die Art und Weise, wie die Wachstumsdiffe- renzen im Laufe der Entwicklung allmählich ausgetragen werden, welche Folgeerscheinungen eintreten, entscheiden stets sich erst epigenetisch, während des Ringens ergebende Bedingungen. Die Veranlagung zu Wachstumsdifferenzen, die einzige, aber sehr be- deutungsvolle Rolle, welche der polar bilaterale Eibau bei der Form- bildung spielt, kann also niemals mit Organbildungen und Form- bildungen überhaupt in direkten Zusammenhang gebracht werden. Genau dasselbe gilt für die Veranlagung zu besonderen Differen- zierungen. Keine Entscheidung über Gewebsbildung ist schon in der Keimzelle gefällt, denn wie insb. der Vergleich mit dem, was z. B. bei künstlicher und natürlicher Duplicitas anterior geschieht, lehrt, hängt dies von der Epigenesis ab. Minutiöse Bedingungsände- rungen im Längenwachstum, kleine Widerstände der Nachbarschaft haben eine ganz andere Verwendung der einzelnen Zellen zur Folge, die daher nicht die Anlage und Austeilung von spezifischen Leistungen enthalten können. Erst die Situation im Zellenstaat entscheidet darüber, welche unicellulären Leistungen jeweils gefördert und welche unterdrückt werden. Es kann nur von einer — in letzter Linie auf die durch Generationen hindurch wirkenden und ver- ändernden Außenbedingungen zurückzuführenden — Veranlagung zu besonderer Entfaltung und Nuancierung und Variation gewisser uni- cellulärer Fähigkeiten, speziell des Abscheidungsvermögens, gesprochen werden. Diese hängt von der chemischen Konstitution des Plasmas 3702 ALFRED GREIL, selbst und des ihm dargebotenen Rohmaterials ab und ist daher materiell begriindet, niemals aber kann der spezielle und lokalisierte Erfolg und Effekt unter dieser Veranlagung gemeint sein. Die Mannigfaltigkeit der Veranlagung für Differenzierungen, welche die Keimzellen niedriger und höherstehender Formen auszeichnet, kann als intensive Mannigfaltigkeit bezeichnet werden. Als extensive Mannigfaltigkeit der Veranlagung wäre in der Organismenreihe jene durch das Eiwachstum erworbene, im groben Eibau in der Zelle als Ganzes, durch die Anordnung der Reserven repräsentierte Veran- lagung zu den Wachstumsdifferenzen zu betrachten, die teils zu Ein- buchtungen, Einfaltungen und Abschnürungen, aber auch zur Fortsatz- bildung und freier Auffaltung führt. Wir weichen im Gebrauche dieser Worte von den philosophischen Darlegungen DrizscH’s ab, welcher die intensive Mannigfaltigkeit als Entelechie betrachtet, während wir darunter die Veranlagung zur gesamten Differenzierungs- weise des Zellenstaates, also zu den in den Einzelzellen sich ab- spielenden Differenzierungsvorgängen betrachten. Als extensive Mannigfaltigkeit, welche Drrescx aberkennt, betrachten wir somit die von Zellenverbänden geleistete Mannigfaltigkeit der Formbildung. Der Erwerb der intensiven Mannigfaltigkeit ist von der Registrierung des mütterlichen Stoffverkehres, von der unicellulären Veranlagung, wie sie auch Protozoen zeigen, und von dem übrigen während der Entwicklung dargebotenen Materiale, also von äußeren und inneren Entwicklungsbedingungen abhängig, die stets veränderlich sind. Es ist also die Gesamtleistung der Differenzierung gemeint, nicht jedoch deren besondere Austeilung auf Zellenkomplexe oder die Plasma- abschnitte, von denen sie stammen. Die auf Grund der formalen Analyse der Entwicklung zu schöpfende Erkenntnis macht auch die mystischen Vorstellungen von Entwicklungsreizen, vom Wechsel der Entwicklungsreize, die Anschauungen von der Verinnerlichung von Entwicklungsreizen, wie sie SCHULTZ in seinen Prinzipien der rationellen Embryologie ver- tritt, vollkommen überflüssig. Es ist doch viel einfacher, von Ent- wicklungsbedingungen, welche die Entfaltung unicellulärer Fähig- keiten und Leistungen bestimmen, vom Bedingungswechsel, von der Festigung, der Stabilisierung von Entwicklungsbedingungen, vom Eiwachstum, der Polarität und Bilateralität der chemischen, die Differenzierungen beeinflussenden Konstitution zu sprechen. Die Embryonalentwicklung läuft so glatt, so ruhig und meist ohne Störungen ab, daß es keinerlei besonderer Reize oder stürmischer F7 Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 373 Stimuli bedarf, die auf besonders intensiv und jäh einwirkende Außenbedingungen zurückzuführen sind, oder sollte die im ganz groben Eibau begründete Veranlagung zu Wachstumsdifferenzen ein Entwicklungsreiz, ein mnemisch festgehaltener Stimulus zur Gastru- lation sein? — Was aber für die Gastrulation gilt, ist auch für alles andere, sich im epigenetischen Werdegang Anschließende anzu- wenden. — Auch das so vielgebrauchte Wort „Determination“ drückt immer eine gewisse, unmittelbare Zielstrebigkeit, eine spezielle Vor- herbestimmung aus, die der bescheidenen, richtunggebenden Anfangs- situation und den Reaktionen, welche die Entfaltung unicellulärer Fähigkeiten insbes. des Teilungswachstums auf diese Situationen er- geben, nicht entspricht. Es ist mit diesem Worte viel zu viel gesagt. Determiniert sind nur die ersten einleitenden Wachstumsdifferenzen, die erste Position im Ringen. Wie diese Wachstumsdifferenzen ausgetragen werden und alles übrige hängt von den sich weiterhin ergebenden und den als latente Begleiterscheinungen innerer und äußerer Art bereits bestehenden Bedingungen ab. Wir müssen stets das aus solch einfachen Situationen erfolgende, blindlings. spontan dem Zwange der jeweils beeinflussenden Bedingungen unterliegende Geschehen, das In-den-Tag-Hineinbauen verfolgen, um die Entstehung der Formationen zu erklären. Auch die Fähigkeiten zur Differen- zierung sind, wie wir noch sehen werden, durchaus nicht im einzelnen, sondern nur im allgemeinsten determiniert. Das Programm der einzelnen Nummern des Konzertes ist im einzelnen nicht festgelegt; es sind nur die Stücke bekannt, aber nicht die Reihenfolge und auch nicht. die besondere Art, in der sie vorgetragen werden. Weder das „Wo“ noch das „Wie“ ist in der Keimzelle präzis festgelegt, alles könnte auch noch anders werden. Es empfiehlt sich also, den Gebrauch des Wortes Determination für die Deskription erheblich einzuengen und, was speziell die Formbildung anlangt, nur vor der beim Eiwachstum erworbenen Determination, oder aber viel besser von Disposition oder Veranlagung zu ungleichem Wachstum zu sprechen. Im übrigen bedeutet Determination etwa so viel wie erfahrungs- eemäße, unicelluläre, spezielle Leistungsfähigkeit und dann im Zellen- staat unter den jeweiligen Verhältnissen FETE Verwendbarkeit des indifferenten Zellenmateriales. Schon nach den ersten Teilungen tritt das gegenseitige Ab- hangigkeitsverhaltnis der jungen Glieder des Zellenstaates markant in Erscheinung. Diese Abhängigkeit ist das Charakte- ristikum des Zellenstaates, sie ist das Opfer, welches die Einzelzelle 314 ALFRED GREIL, den Vorteilen, welche ihr der Gesamtstaat bietet, bringt. Diese gegenseitige Abhängigkeit ermöglicht die Organisation. Es ist noch kein Fall bekannt geworden, in welchem eine Zelle jüngerer oder älterer Zellenstaaten, vollkommen aus dem Verbande gerissen und frei gemacht, genau dasselbe in derselben Weise geliefert hat, was sie im Verbande geleistet hätte. Es erscheint daher müßig, von Selbstdifferenzierung und abhängiger Differenzierung zu sprechen oder gar eine scharfe Grenze zu ziehen. Die unicellulären Mittel und das Material, das synthetische Ver- mögen, bringt jeder Abkömmling der Keimzelle mit. Die Betonung solcher Selbstdifferenzierungsfähigkeit der Keimzelle, d. h. der Fähig- keit zur Entfaltung unicellulärer Leistungen und dieses Vermögens der Gesamtheit ihrer Abkömmlinge des Somas als Ganzes ist wohl überflüssig, weil dies selbstverständlich ist. Über die Verwendung jener Mittel und Fähigkeiten sowie jenes Rohmaterials, über die Gruppierung der Zellen und Art der Differenzierung entscheidet jedoch stets die Gesamtheit. Darin besteht von allem Anfange an unbedingte Abhängigkeit der Glieder des Zellenstaates. Die Diffe- renzierung ist eine Funktion der Gelegenheit, mithin im Zellenstaate schon von vornherein ein abhängiger Akt. Die Verwendung des Ausdruckes „Selbstdifferenzierung“ und „abhängiger Differenzierung“ ist auch deshalb bedenklich, weil sie zu innig mit den Vorstellungen über organbildende, eine gewisse Unabhängigkeit schaffende Sub- stanzen und andere Varianten der Mosaiktheorie, mit der Annahme mystischer Fernwirkungen verknüpft sind, als daß sie unbefangen gebraucht werden könnten. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß jede einseitige Diffe- renzierung den gesamten Haushalt der Zelle, die chemische Konsti- tution und den Chemismus aller ihrer Komponenten verändert. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Gewebszellen voneinander. Spezifische Veränderungen einzelner Kernsegmente anzunehmen und diesen gar besondere Prädispositionen zu solchen zuzuschreiben, liegt jedoch gar keine Veranlassung vor. Hat sich aber einmal ein Zellen- komplex, seiner Anordnung im ganzen entsprechend, in bestimmter Weise differenziert, zeigt er ein organotypisches Wachstum (R. Hertwie), dann vermögen seine Glieder nur unter besonderen Umständen, wenn sie unter hierzu günstige Bedingungen gebracht sind, diejenigen Fähigkeiten, auf die sie bereits einmal verzichtet haben, wieder zu gewinnen und auszunützen. Es tritt in solchen Fällen cytotypischen Wachstums eine Entdifferenzierung ein — oder, vielleicht besser Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 375 gesagt, Indifferenzierung — in extremen Fällen können sogar funktio- nierende Muskelzellen die Fibrillen auflösen und zu Spermatogonien werden (Moniezia, nach Curup, 1906). In anderen Fällen üben der- artige, beschäftigungslos gewordene Zellen, welche dem Staate als Müßiggänger und Schmarotzer zur Last fallen und durch keinerlei besondere Differenzierung in Anspruch genommen sind, ihre primi- tivste Allgemeinfunktion, das Teilungswachstum, in schrankenloser Weise aus und geben dann Geschwülsten den Ursprung. Nur die Keimstätten halten sich bei der Arbeitsteilung im Soma schon von vornherein abseits, sie engagieren sich zu keiner dem Soma nütz- lichen Funktion, weil sie gemäß ihrer Anordnung hierzu nicht be- ansprucht werden. Sie bewahren alle ihre bescheidenen Fähigkeiten; Kern und Chondriosomen bleiben universell, bis die sexuelle Arbeits- teilung auch sie erreicht und in einseitiger Weise differenziert. KERSCHNER (1887) hat in jener gedankenreichen Schrift „Keimzelle und Keimblatt“ die Frage aufgeworfen: „Wozu die Differenzirung, was leistet der vielzellige Organismus, welcher mit all dem Aufwand von Zeit und Material zu Stande kam? Die Erhaltung seiner selbst, und dadurch die der Art; da aber letztere durch die Keimzellen vermittelt wird, ist seine wichtigste Leistung die Erhaltung der Keimzellen!“ [Setzen wir hinzu: Die Steigerung dieser Leistungsfähigkeit der Keimzellen, so ist auch das phyletische Moment gewürdigt.| In trefflicher Weise führt KERSCHNER jenen Gedankengang aus. Die Erhaltung des Lebens der Keimzelle durch mannigfache Schutz- und Ernährungsapparate, ferner „die Erhaltung ihrer Indifferenz und Fortpflanzungsfähiskeit* sind die leitenden Prinzipien. Bei dem Protozoon ist jede Zelle imstande, selbständige freie Individuen zu schaffen. Als der Zellenstaat begründet und immer weiter ausgestaltet wurde, sich vergrößerte und differenzierte, wurde der zur Fortpflanzung befähigte Zellenkomplex zum Teile eines Ganzen und immer mehr relativ als ,Gonoblast“ eingeschränkt. Bei der Entstehung der primären Organe bzw. der Keimblätter wird er in die Tiefe versenkt, und die sterilen sich differenzierenden Körperzellen gewinnen die Oberhand. (Wir weisen darauf hin, daß diese Einschränkung nur eine relative ist, daß die Komplikation des Zellenstaates eine immense Vermehrung der zur Fortpflanzung be- fähigten Zellen geschaffen hat.) Die differenzierten Körperzellen be- trachtet KERSCHNER „als durch mechanische Verhältnisse an der Fort- pflanzung gehinderte, im gewissen Sinne degenerirte, notwendigerweise geduldete Individuen des Zellstaates. Die Keimzellen selbst sind die eigentlichen, ewigen, einzelligen Wesen, gleichgültig welche Individualitäts- stufe das sie schützende und nährende Individuum einnimmt.“ „Uebrigens ist ja die Ernährung und Erhaltung steriler Gewebszellen vom Standpunkte der Keimzellen ein nothwendiges Uebel, das möglichst beschränkt werden muss.“ „Der Fortschritt, die Erlangung einer höheren Organisationsstufe ist gleichbedeutend mit dem Weiterschreiten der Differenzirung: diese 376 ALFRED GREIL, fällt aber bei den Mebrzelligen mit der Einschränkung der Fertilität der Elemente zusammen.“ „Bei den Vielzelligen ist der absolute Verlust an Keimmaterial die Zahl der zur Erhaltung der Keimzellen geopferten Generationen.“ „Die Person ist ein Prüfstein, ein Beleg für die ver- schiedenartigen einseitigen Leistungen, die Anpassungsfähigkeit der ge- züchteten Keimzellen.“ Der Embryo ist mit Rücksicht auf die Keimzelle ein Fortpflanzungsprodukt, im Hinblick auf die erfahrungsgemäß aus ihm hervorgehende Form ein Fortpflanzungskörper der Keimzelle. „Erhaltung der Indifferenz der Keimzellen ist die Endleistung jeder Differenzirung, also auch derjenigen der Keimblätter.“ So kommt KERSCHNER zu dem „nur absichtlich misszuverstehenden Satze: omne vivum, omnis cellula — ovum.“ Für die Phylogenese steht das Soma im Dienste der Keimzelle, indem es deren Leistungstähigkeit erhält und steigert: Dies ist eine der kardinalsten Bedingungen höherer Organisation. Die Art und Weise, wie sich aber die Keimzelle des Somas bemächtigt, ist ein Gewaltakt; die Propagationszellen sind im Soma die schlimmsten Schmarotzer. Wenn wir, wie es KERSCHNER empfiehlt, die einzelnen phyletischen und ontogenetischen Entwicklungsstadien als das be- trachten, was „sie im Augenblicke sind“ bzw. waren, so erscheint die Art und Weise, wie die Sonderung der Keimzellen zustande kommt, als ein ganz planlos erlangter Erwerb. Die sekundäre Sicherung der Deszendenz war anfänglich der Effekt grobmechanischer Momente; hilflos wurden Epithelzellen nach außen abgestoßen und konnten nun dasselbe Leben und Treiben beginnen, welches den Mutterstaat begründet hat. Als dann die intensivere Formgestaltung des Zellenstaates Komplexe schuf, die gemäß ihrer Anordnung im Ganzen bei der funktionellen Auslese und Anpassung zu nichts anderem zu brauchen waren, fanden diese treffliche Gelegenheit vor, besonders intensiv zu assimilieren, am Zellenstaate zu saugen und nun wahllos dessen Stoffverbrauch zu registrieren. Schließlich trat das Soma ganz in den Dienst der Keimzelle. Seine Errungenschaften waren nicht umsonst und boten die Basis zu unabsehbarer Kompli- kation und Vollendung. — Zugleich ergaben sich seinen immer un- verschämter werdenden Schmarotzern die Bedingungen und Gelegen- heit, es zu verlassen und gestählt im Kampfe ums Dasein von dem aufgenommenen Material Nutzen zu ziehen. Sie haben an den Er- rungenschaften des Zellenstaates partizipiert und diese ausgenützt, ohne ihm Opfer zu bringen. Die Entwicklung und Gestaltung der menschlichen Gesellschaft bietet leider auch für diese Erscheinung mancherlei Beispiele. Es ist für den einzelnen Zellenstaat ein grau- samer Egoismus, wenn die arbeitenden und tätigen Mitglieder zu- Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 37 erunde gehen und diejenigen, welche für ihn nichts geleistet haben, wenigstens zum Teil in den unzähligen Generationen unvergänglich sind. In ihrer Art haben die letzteren allerdings nicht minder intensiv gearbeitet. Ein kleiner Zweig im immer gewaltiger werdenden Geäste des Zellenbaumes, des Somas, stellt sich in den Dienst der Phylogenese. Je größer der Zellenstaat wird, um so mehr verbraucht er, und je mehr Zellen unter dem Zwange der Gesamtheit diejenige ihrer bescheidenen Fähigkeiten steigern und ausbilden, welche in den einzelnen Zellenkomplexen möglich sind, um so mehr spezialisiert sich auch der gesamte Stoffwechsel. Nach dem Verbrauche richtet sich aber auch die Aufnahme, die Tätigkeit der Darmwand. Je reich- . haltiger der Stoffwechsel wird, um so mehr Substanzen nimmt dann auch die diesen Stoffbedarf des Mutterorganismus gewissermaßen registrierende Eizelle in sich auf und wandelt sie — der Leber- zelle ähnlich — in flüssige, gelöste und korpuskuläre (Dotter) Nahrungsreserven um. Bei diesen Vorgängen des Eiwachstums ist nicht nur das Protoplasma, sondern auch der Kern in ganz hervor- ragender Weise beteiligt. Dies ist schon daraus zu ersehen, daß an den ganz jungen Oocyten holoblastischer und meroblastischer Formen die ersten Dotterkörner in der Nachbarschaft des Kernes auftreten und von da aus das Dottermassiv aufgebaut wird. Auch bei größerer Zunahme des Dotters liegt die Region, in welcher der fein- und grob- körnige Dotter entsteht, größtenteils im Bereiche der Wirkungssphäre des Kernes. Bei allen übrigen Vorgängen, welche die Einseitigkeit der Differenzierung der Oocyten mit sich bringt, ist der Kern eben- falls in hervorragendem Maße beteiligt. Diese Vorgänge bilden ein physiologisches Problem für sich, gehören in erster Linie ins Gebiet der Cellularphysiologie, sind aber andrerseits von den Entwicklungs- mechanikern sehr summarisch oder überhaupt nicht berücksichtigt worden, wenn sie das Ei meist als den Effekt einer vollzogenen Tat- sache, als etwas Gegebenes hinnehmen und hastig dem Experimente überweisen. Denjenigen Forschern, welche bei oft so mühsamer Arbeit die Vorgänge des Eiwachstums ermittelt haben, kam es be- _rechtigterweise gar nicht in den Sinn, die unicellulären Erscheinungen welche sich ihnen darboten, ins Joch entwicklungsmechanischer Theorien und Spekulationen zu zwängen und die sich abspielenden Vorgänge als eine Synthese von spezifischen, organbildenden Anlagesubstanzen, Plassonten, Vererbungssubstanzen für individuelle Formationen oder 318 ALFRED GREIL, als Rohmaterial für formative Stoffe zu betrachten. Sie würden als die allein maßgebenden Berater eine solche Beurteilung in Anbetracht der unüberwindlichen Schwierigkeiten, welche dem Versuche der praktischen Durchführung jener Spekulationen im Wege stehen, mit Recht als eine Absurdität erachten. Während Formgestaltungen aller Art, von der einfachen Invagination bis zu dem Ringen auf allen Linien, welches zu den kompliziertesten Formationen führt, das volle Werk der Epigenesis sind, die lediglich mittels des Teilungswachstums aus einer einfachen richtunggebenden, von einem Zellenstaat geschaffenen vor allem polar bilateralen Ausgangssituation zustande kommen, liegen die Dinge bei den Differenzierungen, bei der Ausübung anderer uni- cellulärer Fähigkeiten, etwas anders. Der Erwerb besonderer Diffe- renzierungen, welche das Protozoon nicht leisten kann, ist das Werk des Zellenstaates. Wird nun anter denselben Bedingungen der Erwerb wiederholt und so gesteigert, dab dadurch der gesamte Chemismus, der Stoffwechsel beeinflußt wird, so kann bei der Registrierung des- selben die Keimzelle eine Dispositon zur Wiederholung von Leistungen gewinnen, die das Werk eines Zellenstaates ist. So- wohl der Erwerb dieser Disposition wie die Ausnützung, der Ge- brauch derselben ist nur in einem Zellenstaate möglich. Damit gewinnt aber die Keimzelle eine graduelle Komplikation, welche die Protozoen und auch die ersten Metazoen noch nicht besaßen. Ihr Chemismus wird auf besondere Leistungen eingestellt, deren Er- füllung von einer kürzeren oder längeren Reihe sich epigenetisch ergebender Bedingungen abhängig ist. In solchem Erwerbe einer Disposition zu speziellen Differenzierungen unterscheidet sich somit die Keimzelle der Metazoen von Protozoen. Die erste grundlegende Disposition für multicelluläre Leistungen ist der Erwerb der Teilung im Verbande, welcher an sich als eine von Einzelligen erworbene Fähigkeit die ganze Formenwelt der Metazoen eröffnet hat; in zweiter Linie stehen Dispositionen zu Varianten anderer unicellulärer Lei- stungen, die in solcher Weise nur in einem Zellenstaate ausgenützt werden und auch von solchen erworben worden sind. Wenn auch alle diese Varianten der chemischen und physikalischen Konstitution im Rahmen der Unicellulären liegen, so repräsentieren sie doch be- reits das Fundament und das Erbe des Zellenstaates, Dispositionen zu multicellulären Leistungen, das Charakteristikum einer Keimzelle, welches diese vom Protozoon graduell unterscheidet. Auf der einmal betretenen Bahn, welche der Erwerb der Teilung im Verbande Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 379 eröffnet hat, können diese Dispositionen für besondere multicelluläre Leistungen in weitestgehendem Maße gesteigert werden. Dies gilt namentlich für ovipare Formen, welche den vollen mütterlichen Stoff- bedarf und -ersatz beim Eiwachstum registrieren, sei es durch direkte Einverleibung oder durch besondere Umwandlung und Konzentration des Rohmaterials. Die Entfaltung und Ausnützung dieser Disposition ist jedoch stets das Werk der Epigenesis. Je reichhaltiger nun die Nahrungsreserven werden, um so mehr werden dann auch die an sich primitiven Fähigkeiten im jungen, neuen Zellenstaate gefördert, wenn das Rohmaterial hierzu schon reichlich vorhanden ist. Darüber aber, von welchen Zellenkomplexen des jungen, wachsenden Zellenstaates diese Fähigkeiten später ge- steigert werden, entscheidet die Gesamtheit und die Epigenesis. Die verschiedene Verwendung des Zellenmaterials bei Doppel- und Mib- bildungen gibt, sofern die minutiösen Bedingungen ihrer Enstehung erkannt sind, in dieser Hinsicht die wichtigsten Anhaltspunkte. Auf diese Weise, durch die Registrierung des miitterlichenStoff- verkehrs und -bedarfs wird also die Disposition zur Wie- derholung erworbener Differenzierungen und Gestal- tungen vererbt. Diese Tatsache können, wie HAECKEL mit Recht bemerkt hat, nur diejenigen nicht anerkennen, die sozusagen den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen oder voreingenommen das Geschehen betrachten! Wie sollte aber auch dieses Geschehen erklärt werden, wenn auf Grund vorgefaßter Meinungen erst eine „Implikation“, d.h. eine moderne Zusammenfaltung, eine Rückverwandlung des Ent- wickelten ins Unentwickelte, dann eine „Translation“, eine Über- tragung dieser mystischen Gebilde auf das Keimplasma und zwar gerade an die richtige Stelle seiner impliziten Struktur, dann schließlich eine „Explikation“, eine moderne Auseinanderfaltung des Unentwickelten ins Entwickelte gefordert und postuliert wird? Die Übertragung erworbener Eigenschaften spielt sich in der Natur doch als eine durchaus epigenetische Erscheinung und in ganz anderer Weise ab als unter jenen einseitigen entwicklungsphilosophischen Voraussetzungen der Entwicklungsmechaniker! Wie kann ein fertiges Organ eine vollendete Differenzierung, irgendeine Formation des Zellenstaates unter Erhaltung der Spezifität ins Unentwickelte ver- wandelt werden? Solche abenteuerliche, so ganz und gar nicht der Praxis entnommene und daher auch nicht für konkrete Fälleanwendbare Vorstellungen, die an Kompliziertheit, Unklarheit und gekünsteltem Aufbaue den Entelechiebegriff weit übertreffen, werden durch die 380 ALFRED GREIL, exakte Analyse des Geschehens, der sie in störender Weise vor- greifen, nie bestätigt werden. Eine der fundamentalsten, das Meta- zoenreich erweiternden Einrichtungen darf nicht einem Dogma unter- worfen, nicht an einem Dogma geprüft werden. Nie und nimmer können spezifische Werke eines Zeilenstaates, einer Zellengemeinschaft, von Zellenverbänden geleistete und vervollkommnete Formationen in irgend- einer Weise auf eine Einzelzelle übertragen und von dieser repräsen- tiert werden, sondern es kann sich lediglich um Veränderungen, Steigerungen unicellulärer Funktionen und Dispositionen handeln. Nur diese, nicht aber das Werk unicellulärer Leistungen, also irgend- eine organisierte Form oder ihre individuellen Varianten sind als solche vererbbar. Die Epigenesis schafft mit unicellulären Fähig- keiten den Zellenstaat und seine Formationen. Sobald diese Richtung außer acht gelassen wird, muß jeder Versuch der Erklärung der Ver- erbungserscheinungen in eine Sackgasse führen, aus der es nur einen Ausweg gibt: die Cellularphysiologie. Unsere Kenntnisse über die Vorgänge, welche sich bei speziellen Differenzierungen und Abscheidungen im Zelleibe abspielen, sind noch zu gering, um entscheiden zu können, in welcher Weise und in welchem Grade durch die Mitgift der Disposition zur Entfaltung besonderer nurineinem Zellenstaate mög- licher Leistungen die essentiellen Komponenten der Zelle be- einflußt werden. Unter allen Umständen müßte die Konstitution sowohl des Kernes wie des Protoplasmas bzw. ihrer in Arbeitsteilung entstandenen Formationen verändert sein, weil beide bei all diesen Leistungen in innigsten Wechselwirkungen stehen. Es ist schwer abzuschätzen, inwieweit im Laufe der Entwicklung Anpassungs- erscheinungen sich ergeben, d. h. inwieweit ein einfacherer, uni- verseller Zellhaushalt dann, wenn sich Gelegenheit hierzu bietet, das in der Mitgift, dem aus dem mütterlichen Soma registrierten Rohmaterial, Bereitstehende verarbeitet und so wie die Gewebszellen des Muttertieres in funktioneller Anpassung ausnützt. Dann würde ein guter Teil der Disposition nicht nur im Kern und Proto- plasma, sondern auch im Rohmateriale des Deutoplasmas bzw. bei den viviparen Formen in der Art der intrauterinen Stoffzufuhr ge- geben sein, die (Keim)-Zelle als solche entlastet, einfacher und ur- sprünglicher erscheinen. Wahrscheinlich trifft dies in weitgehendem Mabe zu; warum sollte denn auch der Elementarorganismus der Keimzelle nicht dasselbe Anpassungsvermögen einer indifferenten, universellen, aber bescheidenen Konstitution besitzen wie die Pro- Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 381 tozoenahnen und rezente Protozoen? Auch bei den groben Anpassungs- erscheinungen der Metazoenformen tritt die Wucht der Epigenesis, die aus Eintachem Kompliziertes, aus Gleichartigem Ungleichartiges schafft, deutlich genug zutage, so daß gar keine Nötigung vorliegt, die Keimzelle mit allzuviel bevormundenden Qualitäten zu überladen und das Werk der Epigenesis zu schmälern. Wenn sich so günstige Bedingungen, so treffliche Gelegenheit zum epigenetischen Erwerbe besonderer Leistungsfähigkeit — im Teilungswachstum und in der Differenzierung ergeben, dann kann sich wohl auch eine einfachere, in ihren essentiellen Komponenten noch nicht auf jene Spezialitäten abgestimmte Zelle unter Verzicht auf ihre Universalität und allge- meine Bereitschaft dem raschen Erwerbe besonderer Leistungen widmen. Sicherlich ist die Keimzelle namentlich höherer Formen in ihrem Chemismus als Abkömmling einer solchen Form für die Dis- position zu solchem Erwerbe im allgemeinen bereits geeigneter ; äußere Entwicklungsbedingungen spielen hierbei eine eminente Rolle. Zur Akquisition von speziellen Dispositionen dürfte jedoch die Stoffzufuhr und andere sich epigenetisch ergebenden Bedingungen der Verwend- barkeit den Ausschlag geben. Die Aufgabe der Forschung besteht nicht darin, in die Keimzelle unter Mißbrauch unserer Erfahrungen an älteren Stadien möglichst viel an Qualitäten hineinzulegen, sondern vielmehr nach dem Vorbilde der Phylogenese möglichst einfache Verhältnisse vorauszusetzen und die Wucht der Epigenesis, alle die Anpassungserscheinungen, die „aus Gleichartigem Ungleichartiges“ schaffen, zu erkennen. Protozoen zeigen, was eine Zelle als Einheits- individuum unter voller Erhaltung ihrer individuellen Universalität zu leisten vermag. Was muß eine Zelle erst leisten können, wenn ihre dringende Lebensfunktionen im Zellenstaate erleichtert, wenn sie entlastet wird im Kampfe ums Dasein und unter den günstigsten Bedingungen sich besonderen Verrichtungen hingeben kann? Der kleine Schritt, welcher beim frühzeitigen Ausschlüpfen primitiver Organismen aus der Eihülle zwischen der Ernährung des Keimlings mit den beim Eiwachstum aufgespeicherten Reserven und der Aufnahme von Nahrung aus der Außenwelt vermittelt, wird bei der Zunahme des Dottererwerbes immer später getan. Der Umstand, daß auch ausgebildete, höherstehende Organismen sich von ihren eigenen, abgelegten Eiern nähren (z. B. hungernde Tritonen), lehrt uns weiterhin, daß dem beim Eiwachstum wahllos einverleibten, in konzentrierte Substanzen synthetisch umgewandelten Rohmateriale, diesem Extrakt an Rohmaterial, welches der mütterliche Organismus 382 ALFRED GREIL, zum Ersatz des Verbrauchten benötigt, nicht die mystische Bedeutung von Anlagesubstanzen zuerkannt werden kann. Ob das Nahrungs- mittel direkt von außen aufgenommen wird oder in konzentriertester Form dem lebhaft wachsenden Keimling dargeboten wird, ist prin- zipiell einerlei. Hinsichtlich der Differenzierungsweise und der Aus- teilung des Rohmateriales macht es keinen Unterschied, ob wir ein Kind mit gewöhnlicher oder mit hochkonzentrierter Kost ernähren. Noch niemand hat in den Nährpräparaten Anlagesubstanzen für be- stimmte Organe, deren Wachstum durch sie gefördert werden soll, erblickt. Darüber, wo und wie dieses Rohmaterial ausgenützt wird, entscheidet erst der Zellenstaat. — Andererseits hat aber bereits Darwin den immensen Einfluß der Nahrung auf den Körperbau dargetan; unzählige Beobachtungen am Freileben und biologische Versuche haben dies in vielseitigster Weise für die Entwicklung bestätigt. Es hängt also in letzter Instanz ganz und gar von den Außenbedingungen ab, wie das grobe, universelle Arbeitszeug der Zellen, die Bereitschaft der Chondriosomen (Mevzs) ausgenützt und gesteigert wird. Nichts von dem, was das Muttertier zum Ersatz des Verbrauchten, zu weiterem Wachstum und den eigenen Diffe- renzierungen benötigt, wird dem alles wahllos registrierenden und einverleibenden, umwandelnden Eiwachstum vorenthalten. Dies be- fahigt dann den Keimling zum epigenetischen Erwerb derselben Leistungen. Alles muß aber auf die unicelluläre Note gebracht werden. Ein seine Eier fressender Triton nimmt nicht muskel- bildende usw. Substanzen zu sich, sondern ein Rohmaterial, welches sich zur Differenzierung von Muskelfibrillen usw. eignet, hierzu ver- wendbar ist. Wo und wie dies geschieht, darüber entscheidet die Epigenesis; ohne Rohmaterial aber keine Differenzierung. Nachdem nun aber jeder Organismus, jeder Vertreter einer Species auch sein eigenes chemisches Leben führt (HuprerT) und sein ganzer Zellen- haushalt auf diese Note abgestimmt ist, so erscheint sowohl die uni- celluläre Bereitschaft wie auch das aufgestapelte Rohmaterial der Keimzelle auf diese Note abgestimmt. Beide Faktoren sind in manniefaltigster Weise veränderlich, sowohl das bereitstehende Roh- material als die ausübenden Organe der Zelle, und beide gemeinsam können eine individuelle Note aufprägen. Beide sind aber hierbei ganz und gar dem Zwange der sich erst epigenetisch ergebenden Bedingungen unterworfen. Alle unicellulären Fähigkeiten, vor allem aber das Teilungswachstum können auf diese Weise eine individuelle, unicelluläre Note ins Ungemessene vergrößern, eine kaum wahrnehm- Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 383 bare Nuance auf weite Flächen projizieren. Dies bedeutet einen breiten, sicheren Weg der Vererbung. Jeder Erwerb eines ausgebildeten Somas, jede Steigerung einer Differenzierung und der Arbeitsteilung, jeder intensivere Gebrauch eines Organs muß auch im Stoffwechsel registriert werden, denn die Aufnahme und der Stoffumsatz richtet sich stets nach dem Verbrauche. Da nun aber die Keimzelle diesen Stoffverbrauch und -umsatz wahllos registriert, so stellt sie gewissermaßen, namentlich bei oviparen Formen, einen Extrakt des Somas, aller somatischen Zellen dar, und _ jede geringste Änderung des Gesamtstoffwechsels kommt im neu- begründeten Zellenstaate zur Geltung, sobald in der epigenetisch sich ergebenden Bedingungskette das betreffende Glied ersteht, so- bald die Formationen des Zellenstaates die Gelegenheit zu einseitiger Differenzierung in bestimmter Richtung ergeben. Dadurch wird dann eine intensivere Zellvermehrung oder eine Steigerung der Differen- zierung, eine mächtigere Entwicklung derselben Organe hervorgerufen werden, welche diese Steigerung im Muttertiere zeigten. Diese Registrierung betrifft sowohl das zugeführte wie das revehente Material der Muttertiere. Die Registrierung der Stoffzufuhr zu den Organen ist zweifellos die ältere Form, sie genügt vollauf, um den Erwerb und den Ausbau der großen Organisationen zu ermöglichen und zu sichern. Die Registrierung des revehenten Materials, d. h. der Stoffwechselprodukte, sofern diese nicht als Schlacken des Zellen- lebens abgeführt werden, ist zweifellos ein Erwerb der höheren Organisation. Hierbei spielt die innere Secretion eine hervor- ragende Rolle. Steigerung oder krankhafte Einschränkung der inneren Secretion beeinflußt den gesamten Chemismus und muß daher ge- treulich auch in der Ei- und in, absolut genommen, geringerem Grade auch in der Samenzelle verzeichnet sein. Fortschritt und Rückgang dieser Art erscheinen erst im Laufe der Epigenese als reaktionäre einseitige Betätigung einzelner unicellulärer Fähigkeiten. Auch die Erscheinungen, welche die innere Secretion der Geschlechts- drüsen auslösen, die Entstehung der sekundären Geschlechtsmerk- male, sind durchaus epigenetischer Art und betreffen lediglich eine sraduelle Steigerung des Teilungswachstums und der anderen jeweils verwendbaren unicellulären und multicellulären Fähigkeiten. Weder Kehlkopf- und Becken- noch Achsel- und Schamhaare bildende An- lage- und formative Substanzen werden in den Geschlechtsdrüsen produziert — auch nicht im Rohzustande —, sondern es wird die Assimilationsfähigkeit, das Wachstum des Gesamtorganismus erhöht, Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Zool. u. Physiol. 25 384 ALFRED GREIL, welches an den noch besonders ausbaufähigen Organen, die daher intensiver auf diese Steigerung reagieren, in einem letzten, epigeneti- schen Entwicklungsakte eine weitere Vollendung erreicht. Im Zyklus der Vererbung spielt also eine einfache Zelle, welche ausschließlich über unicelluläre Veranlagung und Fähigkeiten verfügt, deren einseitige graduelle Steigerung sowohl den Chemismus der integrierenden Komponenten der Zelle wie das aufgestapelte, registrierte und umgearbeitete Rohmaterial betrifft, eine von Soma zu Soma vermittelnde Rolle. Der Stoffwechsel des Muttertieres ist ein zweites Bindeglied, welches bei viviparen Formen eine bedeutsame Dauerrolle spielt. Der väterliche Kern und sein Spermocentrum haben trotz ihrer minimalen Mengen als konzentrierteste und intensiv wirkende Elemente genug Einfluß, um väterliche Eigenart im Laufe der Entwicklung, insbesondere im Entwicklungstempo, der Teilungs- frequenz, aber auch bei allen anderen Wechselbeziehungen mit dem Plasma zur Geltung zu bringen. Nachdem aber diese Reaktionen erst im Laufe der Epigenese erfolgen können, erst ein Zellenstaat die Gelegenheit zu mehr oder weniger intensiver Entfaltung der einen oder der anderen Fähigkeit bieten kann, so ergibt sich, dab man streng genommen nicht von einer Vererbung erworbener Eigen- schaften, sondern von einer Vererbung der Disposition zur Wiederholung des Erwerbes von Eigenschaften (For- mationen und Differenzierungen) sprechen sollte, die das Werk des Zellenstaates, der Epigenesis ist. Niemals kann aber einer der durch Arbeitsteilung entstandenen Komponenten der Zelle allein die nötigen Dispositionen bedingen, denn alle stehen in innigsten Wechsel- beziehungen, in gemeinsamer Arbeit und Abhängigkeit. Was die Jetztzeit auch bei forcierten Versuchsreihen an Wieder- holungserscheinungen der vom Soma erworbenen Eigenschaften dar- bietet, ist nur ein winziger Ausschnitt, eine letzte minutiöse Etappe eines gewaltigen Vorganges, der sich in Äonen von Jahren abge- spielt hat und das Mittel zur Schaffung der Mannigfaltigkeit der Metazoenorganisation geworden ist. Zu einem so bedeutsamen und vielgestaltigen phyletischen Prozesse, dessen letzte Glieder allent- halben die Entwicklung in reicher Variation offenbart, experimentelle Beiträge zu liefern, heißt für den Embryologen Eulen nach Athen tragen. Nichtsdestoweniger ist das auf diesem Wege mühsam Ge- wonnene ein wertvoller Beitrag für die embryologische Forschung, Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 385 von dessen völliger Ausnützung und Verwertung wir aber noch weit entfernt sind. An der Möglichkeit solcher Wiederholung zweifeln, heißt sich fundamentalen Ergebnissen der entwicklungsgeschicht- lichen Forschung verschließen. Die Unbeständigkeit, mit welcher individuelle Charaktere vererbt oder, besser gesagt, die Dispositionen zu solchen wiederholt werden, die Labilität jener minutiösen, von der Eizelle registrierten individuellen Veränderungen des Stoffver- brauches weist darauf hin, wie oft die nunmehr beständig gewordenen, in Anpassung an verschiedene Faktoren als Varianten erworbenen Abänderungen wiederholt und gesteigert werden mußten, ehe die Charaktere der Species und Rassen sowie der großen Verzweigungen im Geäste des Metazoenbaumes gefestigt wurden. Der individuelle Einfluß der beiden Geschlechtszellen als der registrierenden Vertreter der beiden elterlichen Somata spielt bei der Bestimmung des Geschlechtes eine erhebliche und ent- scheidende Rolle. Eine Keimzelle, ein Zellenstaat mit intensiver Teilungsfähigkeit wird in dem kritischen Momente der epigenetischen Entwicklung, in welchem das Keimepithel und die indifferente An- lage der Geschlechtswege am Scheideweg der sexuellen Differen- zierung stehen, leicht jene höhere Teilungsfähigkeit und Zellver- mehrung aufbringen, welche die intensivere Entwicklung der männ- lichen primären Geschlechtscharaktere ermöglicht und erfordert. Auch das gesamte übrige Soma, dessen sexuelle Charaktere sich sozusagen in dieser Hinsicht in den Urkeimzellen widerspiegeln, wird die sekundären Geschlechtsmerkmale in ihrer für das männliche Ge- schlecht so charakteristischen gesteigerten Intensität schaffen. Ge- ringere Teilungsfähigkeit, die Neigung zu intensiverer assimilatorischer Tätigkeit, zu luxurierender Überernährung wird die charakteristischen Formationen des weiblichen Geschlechtes, vor allem auch hinsichtlich der Zahl der Geschlechtszellen und der in reziprokem Verhältnisse zu ihnen stehenden Dauer und Intensität der Approvisionierung hervor- bringen. Diese korrelative Entscheidung kann wohl auch von der Intensität des Spermocentrums oder den insbesondere auch die Teilung beeinflussenden unicellulären Funktionen des väterlichen Kernes be- einflußt werden. Aber auch das weibliche Soma kann die Entschei- dung des Geschlechtes in beiderlei Sinne beeinflussen, sofern der Stoff- wechsel, welcher bei oviparen Formen bereits registriert ist, bei viviparen Formen im Laufe der Entwicklung sukzessive registriert wird, derart beschaffen ist, daß die Teilungsfrequenz gesteigert er- scheint und in jenem kritischen Momente als zwangsläufige Reaktionen 25* 386 ALFRED GREIL, ein intensiverer, die männlichen Charaktere liefernder Ausbau der indifferenten Formation ausgelöst wird. Diese Steigerung oder Ent- scheidung muß bei viviparen Formen durchaus nicht in der Eizelle schon festgelegt sein, er kann, sofern der Stoffwechsel und dessen Registrierung in dieser Richtung verändert wird, auch noch während der Entwicklung verändert werden, was wohl nur in den selteneren Fällen zutreffen dürfte. Andrerseits können äußere Einflüsse, welche das Weibchen während der Vermehrung der Ureier (Oogonien) und während des Wachstums der Oocyten treffen, die Teilungsfrequenz und damit die in reziprokem Verhältnisse hierzu stehende Ap- provisionierung beeinflussen, so daß die Zahl der Embryonen und demgemäß auch deren Entwicklungsgrad bei der Ablage, sowie die Beschaffenheit der Hüllen, verändert erscheint. Die Disposition für den Wiedererwerb von Eigenschaften kann auch durch äußere, das gesamte Soma und mit diesem auch die Geschlechtszellen treffende Einflüsse geschaffen werden. Intensive Belichtung, Erhöhung der Temperatur, veränderter Salzgehalt des Meerwassers, kurzum alles, was den gesamten Körper und dessen Stoffwechsel direkt beeinflußt und verändert, muß auch die Registratur in der Keimzelle verändern. Diese Einwirkung kann so nachhaltig sein, daß sie auch noch bei der nächstfolgenden Generation be- merkbar wird, obgleich die zweite Generation wieder unter geänderter bzw. bei künstlichen Veränderungen unter der normalen Lebens- bedingung steht. Die Teilungsintensität (Teilungsfrequenz, Ent- wicklungstempo) vermag in dieser Hinsicht allein bereits ganz ge- waltige, sich im Laufe der epigenetisch sich ergebende Komplika- tionen, lawinenartig vergrößernde Divergenzen auszulösen, für die feineren in dieser Hinsicht zur Beobachtung gelangten Farben- etc. Reaktionen sind erst noch genauere cytologische, histogenetische und Stoffwechseluntersuchungen als Vorarbeit nötig, ehe das vorläufig nur zu registrierende Beobachtungsmaterial in dieser Hinsicht wissen- schaftlich verarbeitet und als wichtiger Triangulierungspunkt für die Ermittlung des normalen Geschehens verwertet werden kann. Jede Veränderung des Somas ist, soweit sie den Stoffwechsel, den Haushalt des Zellenstaates beeinflußt, imstande, bei der Re- gistrierung dieselbe Disposition für die nächste Generation zu er- möglichen. Auch Verstümmelungen müßten, falls diese Be- dingung zutrifft, auf jenem Umwege vererbbar sein. Wenn sie es nicht sind, so ist dies ein Beweis dafür, daß sie den Stoffwechsel des Individuums nicht alteriert haben. Dieser Einfluß könnte nur Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 387 dann vollends und prägnant bestehen, wenn es gelänge, sämtliche Leistungen einer der unicellulären Fähigkeiten, z. B. die Schalen- bildungen, Kalkskelete, gewisse Abscheidungen des Ectoderms voll- kommen zu exstirpieren und dann einen Ersatz unmöglich zu machen. Dadurch müßte der Stoffwechsel derart verändert werden, dab das Rohmaterial zu diesen Differenzierungen in geringem Maße und schließlich gar nicht mehr aufgenommen und umgearbeitet, registriert wird. Wenn dies in mehreren Generationen fortgesetzt würde, dann müßte sich wohl auch eine Sicherung dieser Einschränkung erzielen lassen. Dasselbe wäre vielleicht der Fall, wenn es gelänge, Organe mit einer spezifischen inneren Secretion, deren Ausfall den Stoff- wechsel einschneidend verändert, in mehreren Generationen zu ent- fernen. Es würden dann die betreffenden Differenzierungsweisen ausbleiben. Auch in all diesen Fällen werden eigentlich nicht die Verstümmelungen, sondern nur die Disposition zur Einschränkung der normalen Vollentwicklung vererbt. So wie es niemals Keim- blätter- und organbildende Substanzen gab und geben wird, weil die Epigenesis im Vergleiche zur Prävalenz so immens überwiegt, so können auch nicht besondere Veränderungen dieser Art als solche vererbt werden. Die in der Phylogenese allmählich erworbenen Einschränkungen gewisser Formationen, oder richtiger der Bedingungen zu deren Ausbau, die zur Bildung der rudimentären Organe geführt hat, ging in unzähligen Generationen, in unermeßlichen Zeiträumen unter dem Zwange der funktionellen Anpassung vor sich. Diese Bedingungen wurden für die eine, ältere Formation in dem Maße eingeschränkt, als sie für die mit ihr konkurrierende und funktionell an ihre Stelle tretenden Formation (oder auch ohne direkten Ersatz beim Ausfall gewisser Funktionen) gesteigert wurden, was manchmal bis zur völligen Unterdrückung und Ausschaltung der Disposition zur Bildung phylogenetisch älterer Formationen führt. Je weiter die Organisation fortschreitet, je komplizierter, länger und verwickelter der Komplex der inneren Entwicklungsbedingungen wird, je vielseitiger der Einfluß äußerer Entwicklungsbedingungen auf bereits kompliziertere Formationen sich äußert, um so schwieriger erscheint es, das „durch die Vererbung Festgehaltene“ zu analysieren. Durch Vererbung erscheint im allgemeinen dasjenige festgehalten, was unter dem Zwange derselben Bedingungen zustande kommt bzw. wiederholt wird. Das ganze Vererbungsproblem löst 388 ALFRED GREIL, sich in die Frage nach den unicellulären Dispositionen der Keim- zelle und der allgemeinen Sukzession der sich epigenetisch er- gebenden Bedingungen der einzelnen Entwicklungsakte auf, deren Lösung eine völlige Vertrautheit mit den Erscheinungen des unge- störten Geschehens und dessen Varianten, also eine embryologische Vorbildung zur unerläßlichen (eigentlich doch selbstverständlichen !) Voraussetzung hat. Die Aufstellung von Vererbungsregeln, die Er- mittlung dominierender und rezessiver Merkmale kann auch dem Laien überlassen werden. Sofern das Material lexikographisch gut gesichtet wird, ist die Arbeit des Embryologen wesentlich erleichtert, und unter Umständen können schon ohne weiteres in einfacheren Fällen wertvolle kasuistische Beiträge zur Erforschung der Ent- wicklung gegeben werden. Es handelt sich ja meist um die Ent- stehung individueller Variationen, wobei wir stets trachten müssen, die Entwicklung „aus sich selbst heraus“ zu verstehen, d. h. als das Werk einer einfachen Keimzelle mit gesteigerten unicellulären Fähig- keiten zu begreifen. Präformation der Werke eines Zellenstaates erscheint ausgeschlossen; die Ermittlung jener minutiösen Prävalenz, welche den individuellen Chemismus charakterisiert, ist die Aufgabe der Forschung. Hierbei sind die ersten Furchungszellen mit Rück- sicht auf ihren gesamten und individuellen Chemismus als etwas Gleichartiges zu betrachten, aus dem durch die Epigenesis Ungleich- artiges entsteht. Die Phylogenese, in welcher dasselbe Prinzip der Vererbung äonenlang geherrscht hat, ist uns auch hierin die ver- läßlichste Beraterin. Sie zeigt, wie die mit gesteigerten unicellulären Fähigkeiten und mit prächtigen Reserven ausgestattete Keimzelle der höheren Formen entstanden ist, sie lehrt, wie das Soma zustande kam, welches solche Keimzellen und so überaus günstige Ernährungs- bedingungen dem heranwachsenden Zellenstaate bieten konnte. Die immense Steigerung des Teilungswachstum steht immer obenan, denn es ist die Grundbedingung, das wichtigste Betriebskapital (abgesehen von den Erhaltungsfunktionen) für die Ausnützung und Vollendung anderer Fähigkeiten, die nur in großen und größten Zellenstaaten möglich ist. Der Rückblick auf die Vergangenheit lehrt somit, wie aus Einfachem, Gleichartigem das komplizierte Gleichartige der ersten Furchungszellen entstanden ist, aus welchem die Epigenesis in weit- gehendster Ausnützung und Steigerung unicellulärer Fähigkeiten kompliziertes Ungleichartiges, komplizierte Organismen geschaffen © hat. In dieser Erkenntnis wurzelt das Vererbungsproblem, insbes. die Lehre von der Entstehung und Wiederholung individueller Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 389 Varianten, von der Disposition zur Wiederholung erworbener Eigen- schaften rezenter Formen, welche einen winzigen Ausschnitt, eine gegenwärtige Phase der Phylogenese repräsentiert. Die Art und Weise, wie durch das Eiwachstum oder durch äußere Ernährungs- bedingungen die allgemeine Leistungsfähigkeit und Dauerfähigkeit, das Teilungswachstum erhöht und dadurch die Sukzession und Komplikation der epigenetisch sich ergebenden Bedingungskette ge- steigert wird,stehtimmerim Vordergrunde des Problems. Meist handelt es sich ja um die letzten Phasen der Ontogenese, deren oft schwierige Beurteilung die Kenntnis des gesamten, die Erscheinungen beherrschen- den ontogenetischen Bedingungskomplexes zur Voraussetzung hat. Ehe wir z. B. wissen, unter welchen Bedingungen die Entstehung und Gliederung einer Extremität oder die Gestaltung (Zähne- lung usw.) eines Blattrandes erfolgt, können wir auch nicht die Faktoren erkennen, welche eine Steigerung dieses Prozesses termi- nalen Wachstums, die Polydactylie oder die dichtere Zähnelung des Blattrandes beherrschen. Solange wir nicht den Einfluß des Gesamt- chemismus auf die Färbung der Haare und des Gefieders oder auf die Blütenfarbe kennen, lassen sich auch nicht die Kombinationen solcher Einflüsse verstehen. Die Ontogenie ist noch weit davon entfernt, über letztere Fragen bereits Aufschlüsse zu geben, sie ist viel zu sehr von der Chemie abhängig und hat mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Das eine wissen wir aber, daß dieser Chemismus oder diese Steigerung oder Abschwächung der Wachstums- erscheinungen das Gemeingut des ganzen jungen Zellenstaates sein müsse, dab gar kein zwingender Grund vorliegt, in den Keimzellen oder im jungen Zellenstaate eine spezifische Prälokalisation und formative Determination anzunehmen und damit das Vererbungs- problem künstlich in chaotischer Weise zu komplizieren. Die be- treffenden individuellen Varianten sind das Werk einer Epigenesis, die aus Gleichartigem Ungleichartiges schafft, indem im jungen Zellen- staate nur diejenigen Komplexe in die Lage kommen als Funktion der Gelegenheit die betreffenden unicellulären, individuell gesteigerten Eigenschaften zu entfalten, die betreffende Variationen erzeugen, während in anderen bei demselben Chemismus diese Eigenschaft latent bleibt. Die Verwendung und Differenzierung erfolgt per ex- clusionem des Unpassenden und Unverwendbaren, und dieser Zwang macht als ein Werk der Epigenesis die Annahme einer Prälokalisation überflüssig. So wie die Situation, welche diese Entscheidung bringt, das Werk der Epigenesis ist, so wird auch der Vorgang selbst, die 390 ALFRED GREIL, situationelle, funktionelle Auslese, Anpassung und Steigerung durch die sich epigenetisch ergebenden Bedingungen beherrscht. Daran, daß jede Zelle des jungen Zellenstaates, an die betreffende Stelle gebracht, selbst oder durch ihre Abkömmlinge die betreffenden individuellen Variationen hervorbringen, zur selben Differenzierung gezwungen werden kann, ist nicht zu zweifeln. Diese Errungenschaft der embryologischen Forschung, welche — wie schon das Studium der Bedingungen, unter denen Miß- und Doppelbildungen entstehen, ergibt — eine gewisse Gleichartigkeit des indifferenten Materials mit minimalen graduellen Prävalenzen und lediglich quantitativen Unterschieden in der Kombination der einzelnen chemischen Kompo- nenten voraussetzt, bedeutet auch für das Vererbungsproblem bereits eine wesentliche Vereinfachung, weil sie verhindert, daß die Keim- zellen in ganz unnatürlicher Weise mit organbildenden Substanzen und deren individuellen Variationen geschwängert werden, und der- artige Denkmöglichkeiten und Annahmen schon von vornherein aus- schließt. Jene wichtigen Triangulierungspunkte ergeben, daß über die Verwendung des Zellenmaterials erst im letzten Augenblick ent- schieden wird, daß nichts von langer Hand vorbereitet ist, nicht ein erdrückender Ballast von Determinanten mitgeführt wird. An den indifferenten, sowohl dem paraxialen Mesoderm wie der Neuralleiste entstammenden (neurogenen) freien Mesodermzellen, die bei innigstem Verwandtschaftsverhältnisse die verschiedensten Differenzierungen ‘knapp nebeineinander leisten, lassen sich jene die Epigenesis bevor- mundenden und ausschaltenden Theorien wohl am besten ad absurdum führen. Und eine einfache Medianschnürung im Blastula- oder Gastrulastadium genügt, dab später die Abkömmlinge ganz anderer Zellen dieselben Leistungen vollbringen! An das Heinzelmännchen- spiel des Reserve-Idioplassons kann doch kein formaler Analytiker glauben, durch solche graue Theorien wird ja nur die Erklärung auf die lange Bank geschoben und durch Umschreibung auf die Erklärung verzichtet. Die Steigerung cellulärer Fähigkeiten, die individuelle Variation des Gesamtchemismus der Keimzelle und nicht die Belastung einzelner Teile mit Spezifika und Vererbungssubstanzen ist auch die Forderung des biogenetischen Grundgesetzes. Damit erscheint das Vererbungsproblem auf seine natürliche Basis gestellt. Die Ver- folgung des epigenetischen Werdeganges hat also zu erweisen, wie aus dem individuell Gleichartigen der ersten Elemente des Zellen- staates das individuell Ungleichartige der vollendeten Organisation zustande kommt. Die Verfolgung der ganzen Entwicklung ist hierzu Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 391 für die Lösung solcher letzter Fragen unerläßlich, denn nur der allgemeine und umfassende Einblick in die Getriebe der Entwicklung, die Erkenntnis der Gewalt der Epigenesis, der Herrschaft innerer und äußerer Entwicklungsbedingungen vermag vor mosaiktheoretischen und evolutionistischen Spekulationen zu bewahren, die einem Ver- zichte auf die Erklärung gleichkommen. Die Anschauung von der Scheidung und vollkommenen Trennung des somatischen und des Keimplasmas, die Unterscheidung einer in der Keimzelle untergebrachten Erbmasse und Vererbungssubstanz, die neben oder in den essentiellen Zellbestandteilen liegen, diese bei ihren Leistungen dirigieren sollen, führt zu falschen Vorstellungen. Der Zellenstaat hat eine republikanische Verfassung. Der formale Analytiker hat nie Veranlassung jenen Ausdruck zu gebrauchen. Es gibt nur ein indifferentes, zu allen unicellulären Leistungen gleich oder mit verschiedenartiger — auch lokaler — Steigerung befähigtes Zellenmaterial und ein bereits differenziertes, einseitig beanspruchtes und verbrauchtes Plasma. Keine Differenzierung kann, sofern die Zelle dauer- und teilungsfähig erhalten wird, das gesamte Plasma bean- spruchen, immer muß ein Rest indifferenten Plasmas als eine indiffe- rente, die allgemeinen Funktionen des Zellenlebens, den Betrieb des Zellenhaushaltes besorgende Konstante erhalten bleiben. Kann eine Differenzierung rückgängig gemacht, solche Produkte aufgelöst, die Einseitigkeit der Differenzierung aufgehoben werden und das restie- rende indifferente Plasma an den Stoffwechsel angeschlossen, wahllos denselben registrieren, dann ist einer solchen Zelle wie der Keimzelle die Fähigkeit, einen neuen Zellenstaat mit indifferenter Ausgangs- situation und allmählicher Arbeitsteilung zu begründen, eröffnet. Auf diese Weise können, wie bereits oben bemerkt wurde, schon differen- zierte Muskelzellen von Moniezia (Cuinp) indifferenziert und nach Auflösung der Fibrillen zu Spermatogonien werden. Würden diese indifferent bleiben, so könnten sie zweifellos einen, wenn auch beengten Entwicklungsgang einschlagen, einen Zellenstaat begründen. Sie brächten es wohl mangels einer Approvisionierung nur zur Bildung einer Blastula, denn sie sind im freien Kampfe ums Dasein zu wenig gestählt und wären wohl auf die primäre Sicherung der Deszendenz angewiesen, um sich fortzupflanzen. Immerhin wären so bescheidene Erfolge der Indifferenzierung historische Dokumente von grobem Werte. Kämen solche Zellen in die Lage, am Mutterorganismus zu schmarotzen, dessen Stoffverbrauch längere Zeit zu registrieren, dann wären die ehemaligen Muskelzellen wohl befähigt, ein neues Soma 592 | ALFRED GREIL, aufzubauen, d. h. die nach ihrer Isolierung sich epigenetisch er- gebende Bedingungskette zu verlängern. Bei den Erscheinungen der ungeschlechtlichen Fortpflanzung, der Regenera- tion und, wie bereits oben erwähnt, der Entstehung der Ge- schwülste bietet eine ganz ähnliche Einschränkung und Auf- hebung der einseitig ausgelösten Steigerung unicellulärer Funktionen oder eine durch andere Faktoren bedingte Indifferenzierung gleich- falls die Grundlage zu erneuertem Wachstum, welches bei Ge- schwülsten meist geradezu wütet. Wenn aber durch eine Verletzung ein Zellenkomplex funktionsunfähig geworden ist und seine Differenzierung rückgängig gemacht, die ursprüngliche und volle Indifferenz wieder hergestellt wird und schon aus diesem Grunde am sonst nicht spe- zifisch beschäftigten Material unter neuen, epigenetisch entstandenen Bedingungen intensiveres Teilungswachstum einsetzen kann, so erfolgt die Formbildung und Differenzierung des so geschaffenen Komplexes unter dem Zwange derselben epigenetischen Bedingungen und Funktionen der Gelegenheit und Verwendbarkeit, wie es diejenigen waren, unter denen der entfernte Körperteil sich entwickelt hat, als das Vollindividuum entstand. In solchen Fällen erscheint somit der indifferente Grundstock, den jede nicht allzu einseitig — dann meist unter Verzicht auf die Teilungs- und Dauerfähigkeit — diffe- renzierte Gewebszelle besitzt, wieder erheblich vergrößert. Es liegt jedoch keine Veranlassung vor, diesen indifferenten Grundstock des Zellenmaterials als Keimplasson oder als Reserve-Idioplasson zu be- zeichnen, ihn in scharfen Gegensatz zu einem vermeintlichen soma- tischen Plasma zu stellen. Noch niemand hat an Jugendformen der Protozoen ein Keimplasma unterschieden, kein Histologe hält in- differente Zellen für keimplasmareicher als hochspezialisierte Was man Keimplasma nannte, bildet einen integrierenden Teil des Plasmas einer Einzelzelle, der volle unicelluläre Leistungsfähigkeit besitzt. Alles, was nun die Eizelle aufgespeichert, könnte sie auch als Einzelzelle verbrauchen. Ihre Lebensfähigkeit ist durch Mästung erheblich beeinträchtigt worden. Ihre kuglige Gestalt bietet ihr die denkbar kleinste und auf die Dauer vollkommen ungenügende re- spirierende Oberfläche dar. Nur durch rasche Teilung, durch inten- sive Vermehrung des als Oxydationszentrum wirkenden Kernes kann sie sich die Existenz sichern. Gelänge es aber die Oxydations- und andere lebenswichtige Prozesse künstlich zu steigern, die über- reife Eizelle als solche am Leben zu erhalten, ohne daß sie sich teilt, so daß sie als Einzelzelle (Dauerkeimzelle) alle die Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 392 Früchte, die sie während der Wachstumsperiode gezeitigt, selbst verzehren könnte, und insofern unabhängig von der Umgebung wird, dann würden wir sehen, wie alle die Reserven abgebaut und auf- gebraucht werden, wie die Eizelle, die bestenfalls Wimpern und Vacuolen erzeugen kann, immer kleiner und kleiner wird, um schließlich als einfache Zelle zu enden, die von jedem hochstehenden Protozoon (z. B. Vorticella, Stentor) weit überragt wird. Die Evo- lutionisten würden dann mit Erstaunen sehen, wie alle die mystischen Plassonten, ,Anlagesubstanzen“ und die übrigen „keimblätter- und organbildenden“ und formativen Stoffe, mit denen sie die Eizelle bedenken, sozusagen im Magen einer Einzelzelle verschwinden, die sich mit konzentrierten mannigfachen Komponenten des Stoffwechsels eines Zellenstaates beladen hat. Betrachten wir den Kannibalismus, welcher im Uterus eines trächtigen Alpensalamanders stattfindet. Von 20—25 voll- reifen Eiern, welche beiderzeits in den Uterus eintreten, wird nur je eines der untersten, ältesten befruchtet und entwickelt sich voll, während die übrigen unbefruchtet bleiben oder nur ganz vereinzelt eine kurz- dauernde abortive Entwicklung beginnen. Die dominierende Keim- zelle bildet eine elastische Eihaut aus, der perivitelline Spalt wird durch Flüssigkeitsabscheidung enorm vergrößert, bietet dem inmitten der andrängenden Eier heranwachsenden Embryo eine prächtige Taucherglocke, in welcher derselbe bereits Kiemen entwickelt, ehe die Eihülle platzt. Inzwischen haben die übrigen Eier ihre Zell- natur eingebüßt, ihr Zellenleben beendigt und erscheinen zu einem Ei- oder Dotterbrei umgewandelt, in welchen die junge Larve nach dem Platzen der Eihülle eintritt. Zuerst dienen die Kiemen außer dem Gaswechsel auch zur Nahrungsaufnahme, dann, wenn der Mund durchgebrochen ist, setzen energische Schluckbewegungen ein, und die Larve verzehrt nun buchstäblich die übrigen Eier restlos. Die Larve ernährt sich fast ausschließlich von diesem Eibrei. Das Studium der Lebensbedingungen lehrt, daß sich Salamandra atra sanz der geringen Feuchtigkeit, dem Mangel an stehendem Wasser im Hochgebirge, in welchem das Niederschlagswasser rasch bergab fließt, angepaßt hat; finden wir doch im Hochsommer die Weibchen meist unter großen Steinen, Baumstrünken und dgl, woselbst sie wochenlang verweilen und erst bei andauerndem Regen — meist viel später als die Männchen — frühmorgens zögernd hervorkommen. Die Bodenfeuchtigkeit, der Tau und versickernde Niederschläge sowie die animalische Nahrung sind in Trockenperioden ihre spärlichen 394 ALFRED GREIL, Wasserquellen. So hat sich ihre Körperkonstitution an eine weit- gehende Wasserökonomie angepaßt, und dadurch wird auch das Ei- wachstum beeinflußt. Die Eier sind sicherlich relativ — namentlich im Vergleiche mit denen von Salamandra maculosa — wasserarm, was offenbar die Befruchtungsfähigkeit und den Teilungsmechanismus beeinträchtigt. So wie wir in trockenen Sommern an den Früchten eines Baumes, an den Trauben und Dolden neben vielen zurück- gebliebenen nur wenig zur vollen Reife gelangte Einzeltrüchte sehen, die unter etwas günstigeren Verhältnissen, die übrigen benachteiligend, heranwuchsen, so ist Ähnliches auch an den Ovarien des Alpensala- manders der Fall. Übrigens hat BATAILLON auch experimentell er- wiesen, daß z. B. bei Petromyzontenkeimen Wasserentzug die Teilung des bereits befruchteten Eies unmöglich macht. 1 °/, NCI genügt, um einen solchen osmotischen Überdruck der Umgebung zu schaffen, dab das kontraktile Plasmagerüste den eingedickten Inhalt nicht mehr zu bewältigen vermag. Also nur wenig Wasser, und alle Eier von Salamandra atra werden befruchtungs- und teilungsfähig ge- macht — demnach wäre also bei kurzsichtiger Auffassung der Sachlage Wasser eine ,entwicklungserregende“ Substanz. Diese erste Folge- rung ergibt sich schon daraus, daß Alpensalamander, welche in niedrigeren Regionen leben, bei Wasserreichtum bis zu vier Em- bryonen liefern, während hochlebende Feuersalamander, die sonst dem Wasserreichtum angepaßt sind und bis zu 70 Larven gebären, eine wesentliche Einschränkung ihrer Fertilität zeigen. Die Wasser- einschränkung bedingt also die so weitgehende Abortivität der Eier bei Salamandra atra, welche im übrigen vollreif sind. — KAMMERER ist es durch zielbewußte Züchtung gelungen, den auf unseren Bergen und Almen lebenden Salamander unter solche Lebensbedingungen zu setzen und zu gewöhnen, dab er seine Brut gleich dem Wassersala- mander in einem viel früheren Entwicklungsstadium absetzt und auch der Kannibalismus immer mehr eingeschränkt wird. Mehrere und schließlich theoretisch alle Eier bewahren ihre volle Entwick- lungsfähigkeit, welche ihnen nach vollendeter Reifung unter allen Umständen zuzusprechen ist. Die Viviparität wurde also immer mehr eingeschränkt und die Ovoviparität erzwungen. — Der Kannibalismus beim Alpensalamander erinnert an die Vorgänge im Eifollikel der Ascidien. Auch hier hängt es von minutiösen Bedingungen ab, welche der Ureizellen jenen minimalsten Vorsprung gewinnt, der ihre souveräne Stellung erkürt, während die übrigen a priori ebenso wachstumsfähigen Zellen zu Nahrungszuträgern, Follikelzellen Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 395 degradiert werden. Bei Ascidien geht dies so weit, dab die innersten Follikelzellen als Testazellen von der Eizelie aufgenommen und resorbiert werden. Auf die weiteren Folgen, welche dieses ganz eigenartige Eiwachstum bedingt, indem es eine oberflächliche Ei- schicht schafft, deren Abkömmlinge ganz besonders zum Teilungs- wachstum befähigt sind, während die nach Isolierung der ersten Blastomeren freiliegende Innenseite nicht in solchem Maße befähigt erscheint, soll hier nur nebenbei hingewiesen werden; solche graduelle Unterschiede spielen auch bei den Ctenophoren eine große Rolle. Es hängt also in diesen Fällen eines kannibalischen Ei- wachstums oder einer kannibalischen Entwicklung nur von minutiösen Bedingungsänderungen ab, welche Zellen zur Herecschaft gelangen, befruchtet werden und sich teilen können; denn alle Ur- seschlechts- und Eizellen sind vor diesem kritischen Momente äquipotent. — Ehe nun die Salamanderlarve in die Lage kommt, sich vom Brei der übrigen Eizellen zu ernähren, hat sie aber bereits ihre Organisation schon sehr weit ausgebaut und ist gleich einer Triton-Larve desselben Stadiums bereits voll funktions- und lebensfähig. Wenn nun jener Eibrei von 20 oder 25 Exemplaren Plassonten für das Rechts und Links, für das Vorn und Hinten, Mesoplasma, Entoplasma, Chordoplasma, Skeletchromosomen, formative Substanzen für alle Organe, Vererbungssubstanzen für den individuellen letzten Ausbau der Organisation und andere ultramikroskopische Spezifika aller Art enthalten soll, dann kommt dieses Chaos zum Teil wohl post festum, denn jene Formationen und Entwicklungsakte, deren klägliche Gängelbänder sie sein sollen, sind doch schon längst ge- bildet und abgelaufen, oder sollten sie für die nächste Generation im Keimplasma aufbewahrt werden? Und dennoch wird alles restlos aufgezehrt. Was soll nun mit den bereits überholten Anlage- substanzen geschehen, soll ihre ultramikroskopische Struktur um- sewandelt werden, eine Umdifferenzierung stattfinden, oder sind sie vielleicht unbrauchbar und werden dann später entleert, oder sind nur die gewaltigen Reserve-Idioplassonten verwendbar? Kein Natur- forscher hat bisher beim Verzehren einer Eierspeise daran gedacht, dab er nun Keimblätter, Leber, Lunge, Damm usw. bildende Anlage- spezifika zu sich nehme, sondern daß er das von einer Zelle auf- gespeicherte Rohmaterial gewinnt, welches seine Darmzellen ebenso zu verarbeiten und nutzbar zu machen haben wie das Protoplasma und der Kern der Elemente des jungen Zellenstaates. Aus dem verdauten und der Allgemeinheit zugänglich gemachten Rohmaterial 396 . ALFRED GREIL, nehinen dann die einzelnen Zellen des jungen Organismus dasjenige auf, was sie jeweils in Funktion der Gelegenheit bei der funktionellen Auslese und Anpassung brauchen können, und überlassen das übrige anderen Zellen. Das Plasma kann nur über celluläre Leistungen verfügen. Im Rahmen dieser cellulären Leistungsfähigkeit müssen sich auch alle Unterschiede zwischen den Keimzellen der ver- schiedenen Formen abspielen. Demjenigen, der laienhaft frägt, warum aus einer Keimzelle des Frosches kein Säugetier wird, geben wir fürs erste zu bedenken, daß ein jugendlicher Arbeiter bei der Aufbesserung seiner Kost (quantitativ und hinsichtlich der Konzen- tration und Kombination der Komponenten) sowie unter günstigen Atmungs- und Temperaturverhältnissen viel mehr und in epigeneti- scher Vervollkommnung ganz anderes leisten wird als ein Arbeiter bei karger, schwer verdaulicher, nur langsam abbaufähiger Kost, bei niedriger Temperatur und unter relativ ungünstigen Atmungs- verhältnissen. Bis zum Beweise des Gegenteils müssen wir also auf Grund historischer Momente sowie der Kenntnis des Eiwachstums und der vor Beginn der Furchung sich abspielenden Veränderungen daran festhalten, daß jeder Eiplasmateil von der Größe der Blastulazellen und von allem enthalte, was die Eizelle bei der Registrierung des mütterlichen Stoffverkehrs aufgespeichert hat, dab ferner jedes Kernsegment auch den übrigen gleiche. Nur die quan- titativen Verhältnisse bei der Kombination der einzelnen, gelösten, flüssigen, kolloiden und korpuskulären Komponenten des Eiplasmas, also deren prozentuale Zusammensetzungen in einzelnen Eiab- schnitten mögen verschiedene sein und zunächst Wachstumsdifferenzen schaffen. Mit dieser durchaus ökonomischen und wohlbegründeten Annahme muß bei der Aufklärung des epigenetischen Charakters der Formentwicklung das Auslangen gefunden werden. Es müssen die Brücken abgebrochen werden, welche zum bequemen Rückzug unter das behagliche Dach der Mosaiktheorie, der morphoplasmatischen Stoffe, der formativen organbildenden Substanzen verleiten. Ge- naueste Formanalyse ist unumgänglich notwendig, sie allein bedeutet den breiten gesicherten Weg der Forschung. Die bereits oben dis- kutierte Hıs’sche Annahme von einer Verteilung organbildender Keimbezirke am unbefruchteten Vogelei ist geradezu eine Absurdität zu nennen. Auch am befruchteten Ei kann davon keine Rede sein. Wenn man bedenkt, daß am Beginne des Gastrulastadiums kaum ein Dutzend Zellen die sämtlichen Derivate der dorsalen Urdarmwand, Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 397 alle die axialen und paraxialen Formationen des gesamten Körpers liefern und ein gleich winziger Abschnitt der Subgerminalschicht vikarierend eintritt und alle entodermalen Formationen von der Rachenhaut bis zum Ductus omphaloentericus liefert, wie sollen dann Nacken, Darm, Leber und Lungen bildende Keimbezirke vor- handen sein? Die rückläufige Verfolgung und die Retroprojektion der Organentwicklung muß sich in Anbetracht der allmählichen Ver- dichtung des Komplexes der epigenetischen Bedingungen in gewissen Schranken halten. Es lassen sich unmöglich alle Etappen mit Über- springung gewaltiger Perioden im einzelnen auf die Keimzellen be- ziehen. His ließ Dursy’s exakte Ermittlungen unberücksichtigt und hat durch die Aufstellung der Konkreszenztheorie ganz irrige und unhaltbare Vorstellungen von der phyletischen und ontogenetischen Entstehung unserer Körperform erweckt. Die Verfolgung der Organ- entwicklung kann, wie auch das Beispiel der Schilddrüsen und Leber- entwicklung gezeigt hat, erst von gewissen Stadien an aufgenommen werden, in welchen sich die Bedingungen hierzu epigenetisch er- geben. Die weitere Zurückverfolgung führt alsbald auf eine Zelle des Millionenstaates der Keimscheibe. Was soll damit gewonnen sein, wenn dieser die Anlagen für alle möglichen Formationen zu- eemutet werden? Die Erkenntnis der epigenetischen Faktoren läßt solche mystische Spekulationen, welche HAEcKkEL schon vor vielen Jahren treffend verurteilt hat, vollkommen absurd erscheinen. Wir verweisen nochmals auf die markanten Beispiele aus der Reihe der Wirbellosen, welche die Nematoden darbieten, deren Keime, infolge des eigenartigen Eiwachstums, eine derartige An- ordnung ihres Plasmagefüges gewonnen haben, daß mehrere Lati- tudinalteilungen senkrecht zur Ei- (bzw. Rhachis-)achse einander folgen. Dazu kommt, daß die Keimzelle in Betätigung einer ihrer wenigen Fähigkeiten schon frühzeitig eine derbe beengende Hülle ausscheidet. Diese beiden mechanischen Faktoren beeinflussen nun jeden Teilungs- und Entwicklungsschritt in so zwangsläufig be- stimmter Weise, daß die gesamte Keimblätterbildung und insbe- sondere auch die Entstehung der Keimbahn in allen ihren Phasen seradezu grobmechanisch erklärt werden kann. Jede Etappe der Entwicklung ist physikalisch ein Problem für sich. Jede teilungs- kräftige gut versorgte Zelle müßte unter jenen beiden Bedingungen zwangsläufig dieselbe Enterozoenform mit denselben mesodermalen Formationen zuwege bringen. Andrerseits zeigen die einzelnen Ver- treter der Nematoden im Verlaufe des Ringens der Blastomeren ganz 398 ALFRED GREIL, minutiöse Unterschiede in der Teilungsfrequenz, welche durch lediglich quantitative graduelle, aber minimalste Differenzen in den Keimzellen hervorgerufen werden können und die weitere Verwendung des Zellen- materials in einschneidender Weise beeinflussen. Von minutiösesten, sich durchaus epigenetisch ergebenden Bedingungen, die wir leider nicht ändern können, hängt es ab, ob ein neostomales oder neoproctales Enterozoon entsteht, ob eine Zellengeneration äußere Haut oder Meso- derm liefert. Eine einzige frühzeitigere Teilung — was doch unmöglich schon in der Keimzelle im einzelnen bestimmt sein kann — verändert in eingreifendster Weise die ganze Gruppierung und Vermehrung des Zellenmaterials. Könnten wir, so wie es die formale Analyse des ungestörten Geschehens vorschreibt, zugreifen, dann läge es in allen entscheidenden Entwicklungsphasen ganz in unserer Hand, über die Formbildung und die Verwendung des Materials zu verfügen. Nicht minder prägnant sind die Fortschritte der funktionellen Auslese und Steigerung der unicellulären Fähigkeiten an den einzelnen Zellen- verbänden des jungen Staates zu verfolgen. Zu solch einfachem epigenetischem Schaffen sind doch wahrhaftig keine Gängelbänder organbildender Substanzen nötig! Protozoen zeigen dasselbe Re- pertoir an Fähigkeiten in einer einzigen Zelle vereint, und niemand hat bisher von organbildenden Stoffen in einer Infusorienzelle ge- Sprochen. So läßt sich also die Organisation hinsichtlich der Form- gestaltung und Differenzierung des Nematodenkörpers in den Grund- zügen vollkommen als das Werk der Epigenese, des Zwanges der sich sukzessive ergebenden Entwicklungsbedingungen aus einer ganz bescheidenen Ausgangssituation, die von hochstehenden Protozoen in den Schatten gestellt wird, verstehen. Die Approvisionierung unter jener eigenartigen Modifikation. die Fähigkeit, sich im Verbande zu teilen und die Steigerung der Fähigkeit, Cuticularbildungen auszu- scheiden, wozu das Rohmaterial von der Keimzelle bei der Regi- strierung des mütterlichen Verbrauches gebildet und deponiert wurde — sind das Erbe der Vergangenheit. Graduelle Unterschiede in diesem Komplex genügen vollkommen, um die Unterschiede der Individuen und Species herbeizuführen. Besonders interessante Beiträge zur Entwicklungsphysiologie liefern, sowohl hinsichtlich der epigenetischen Formbildung wie der Differenzierungsweise, abgesehen von den Ctenophoren, Rota- torien und anderen primitiven Formen, Wirbellose, deren Keimzellen den Spiraltypus der Furchung und neben Polarität auch eine geringgradige, lediglich durch quantitative Unterschiede in der Ver- Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 399 teilung und Konzentration der Nahrungsreserven hervorgerufene Bi- lateralität zeigen. Diese Besonderheiten sind in der Keimzelle oft kaum sichtbar, die Art des Eiwachstums und die Reaktionen während der Furchung lassen sie aber stets erschließen. Es zeigt sich nun, daß solche Varianten des Eiwachstums direkt schöpferisch wirken können, indem sie eine ganz neue Gruppierung des Zellenmaterials, eine früh- zeitige Entstehung und Sonderung einzelner Komplexe einleiten und so der Entwicklung ganz neue Bahnen eröffnen, welche dann bei der Auslese und Anpassung der Zellfunktionen zu gewaltigen Divergenzen führen. Die auf solche Weise entstehende Hegemonie des sogenannten D-Quadranten des vierzelligen Keimes der Mollusken und Anneliden und die daraus entspringende Entstehung von Urmesodermzellen und des neoproctalen Enterozoons, dessen Urmund nicht zum After, sondern zur Mundöffnung wird oder zu keiner von beiden Öffnungen in Be- ziehung steht, sind solche Erscheinungen. Wir würden nun die Entwicklung in ein Zerrbild verwandeln und auf die Lösung der sich darbietenden Probleme der Epigenesis verzichten, wenn der Versuch gemacht würde, auf dem ungeheuerlichen Umwege der organbildenden Substanzen solche grobmechanischen Reaktionen der Furchung und Keimblätterbildung auf minutiöse, an sich aber in ziemlich grober Weise die Teilungen der daraus hervorgehenden Zellenkomplexe beeinflussende Veränderungen zu erklären. Nie und nimmer kann in der Keimzelle die Ursache für eine Gruppierung und nachfolgende Differenzierungsweise eines Zellenkomplexes, z. B. des Mesoderms. etwa in Form eines spezifizierten und lokalisierten Mesoplasmas oder der Mesodermpartikel C. RABL’s vorher bestimmt sein, dies ist das Werk der Epigenesis. Die polar-bilateral gebaute Keimzelle kann die Teilungsfrequenz in den einzelnen Quadranten beeinflussen, Wachstumsdifferenzen schaften, ein Ringen einleiten, hierzu sind aber keine Spezifika für die Keimblätter und Organbildungen, sondern manchmal nur eine minimalste Veränderung in der Verteilung in seinen einzelnen Komponenten qualitativ desselben Materials nötig. Die Keimblätterbildung und die folgenden Formationen werden alle mit denselben Mitteln des Teilungswachstums hervorgebracht, welches bereits durch ein Mehr oder Weniger der Approvisionierung, der Ansammlung korpuskulärer, gelöster und flüssiger Substanzen sowie ebensolcher gradueller Unterschiede in der Menge, der Kon- traktilität und Assimilationstüchtigkeit des Protoplasma verändert wird. Auch inäquale Teilungen des Centrosomas sind zu berück- sichtigen. Das bisher arg vernachlässigte Studium des Eiwachs- Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Zool. u. Physiol. 26 400 ALFRED GREIL, tums klärt bereits so manches auf, denn die Keimzelle darf nicht als etwas Gegebenes behandelt und dem Experimente überantwortet werden, sondern sie muß stets ais etwas Gewordenes betrachtet und erforscht werden. Die Art der Furchung ist stets die erste Reaktion auf die beim Eiwachstum sich ergebenden Begleiterscheinungen. Sie wird von der Art des Eiwachstums bestimmt. Direkt vererbt wird nur jene bescheidene Ausgangssituation, die ganz und gar im Rahmen des Unicellulären liegt und erst dann zur Geltung kommt, wenn Teilung im Verbande einen Zellenstaat liefert. An Einzelligen würde sie weiter- hin vollkommen latent bleiben oder nur unscheinbare Variationen bedingen. Alle diese Erscheinungen des Eiwachstums sind wiederum Reaktionen auf den Bau der Keimstätten und Geschlechtswege, auf die letzten epigenetischen Akte im Muttertiere, bei welchen die Registrierung des mütterlichen Stoffverkehrs eine große Rolle spielt. Der Kreis wird dadurch geschlossen, daß die so gewonnene Eigenart alle die unzähligen Phasen des Ringens und der Differenzierungen beeinflußt und schließlich dieselbe Konstitution im allgemeinen und der Keimstätten im besonderen schafft. Diese im Eiwachstum zum bündigen Ausdrucke kommende Eigenart, welche dann in der Ent- wicklung in die intimsten Reaktionen aufgelöst wird, kann nach Art der Mutationen sprunghaft zustande kommen, ganz neue Situationen der Entwicklung eröffnen. Vererbt wird also jene besondere Dispo- sition zu eigenartigem Eiwachstum, welches von so vielen äußeren und inneren Bedingungen abhängig ist. Hier müssen die Hebel der Forschung angelegt werden, hier liegen die Wurzeln des Vererbungs- problems. Die Reaktionen, welche dann bei der Ausübung uni- cellulärer Fähigkeiten, vor allem des Teilungswachstums, sowie bei der situationellen und der funktionellen Auslese und Anpassung der Bereitschaft zur Differenzierung sich ergeben, stehen in zweiter Linie, sie erfolgen in strenger Abhängigkeit von der beim Wachs- tum der Geschlechtszellen wiederauftretenden Beeinflussung des Zellenhaushaltes der Keimzellen. Daß diese Begleit- und Folge- erscheinungen die bei diesen, vor allem einen Vertreter der Species schaffenden Vorgängen einherlaufen und ihnen eine so mächtige individuelle Note erteilen, so wirkungsvoll sind, ist in erster Linie der Fähigkeit der Teilung im Verbande oder den dies sichernden Bedingungen zuzuschreiben. Die geringsten Änderungen in der langen Kette der bereits bestehenden und der sich epigenetisch ergebenden Bedingungen werden ganz andere Reaktionen zur Folge Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 401 haben, deren Mannigfaltigkeit die reiche Verästelung des Metazoen- baumes bedingt. _ Das Eiwachstum hat in der Phylogenese, bei der Schaffung neuer Mannigfaltigkeit zweifellos eine viel bedeutendere Rolle ge- spielt als die Spermatogenese, denn dem Eiwachstum bietet sich viel mehr Gelegenheit zur Variatiou und zu sprunghaften Verände- rungen, den Mutationen. Es kann die vom mütterlichen Organismus erworbenen Veränderungen im Stoffwechsel viel getreuer, intimer und nachhaltiger registrieren, als es die Spermatogenese nach Ein- schränkung des Dottererwerbes, der noch bei Nematoden besteht (Glanzkörper), vermag. Das Spermatozoen ist das befruchtende Ele- ment, sein Spermozentrum steht stets im Vordergrunde. Bei der Eizelle jedoch ist es die eigenartige Note des Roh- und Nährmaterials und des dieselbe schaffenden Zellhaushaltes, welche die Besonder- heit der Entwicklung in so nachhaltiger Weise vermittelt. Das Sper- matozoon kann wohl in unzähligen kleinlichen, sich in Generationen summierenden, individuellen Zügen Veränderungen herbeiführen; die großen, für die Phylogenese und ihr rasches Fortschreiten bedeut- samen Varianten werden jedoch durch das Eiwachstum, die Bildung der Eihüllen und aller, vom mütterlichen Soma bestimmten, in der Ontogenese so wirksamen Veränderungen der Entwicklungsbeding- ungen zuwege gebracht und gesichert. Die angeführten Beispiele mögen genügen, um darzutun, wie als richtungslose und ziellose Begleiterscheinungen und Varianten des Eiwachstums erworbene, lediglich graduelle Veränderungen in der Verteilung der Nahrungsreserven, die nur in einem Mehr oder Weniger nach dieser oder jener Richtung bestehen, in der Archi- tektonik des Zellenstaates, indem sie an sich minimale Wachstums- differenzen schaffen, eine führende Rolle spielen können. Unter dem 'Einflusse der sich weiterhin anschließenden, epigenetischen Sukzession der Bedingungskette entstehen bei fortgesetztem Wachstume lawinen- artig sich vergrößernde Divergenzen, wenn das Material der Aus- lese und Anpassung der cellulären Fähigkeiten verfällt. Wiederholt sich das eigenartige Wachstum der Eizelle zwangsläufig immer in derselben epigenetischen Weise, so erscheint dadurch ein bestimmter Entwicklungslauf gesichert. So wird das Eiwachstum zum A und Q, zu einem Kardinalproblem der Entwicklung. Dies gilt für Hoch und Nieder. Der polar-bilaterale Eibau — eine der einfachsten Be- gleiterscheinungen des Eiwachstums — stellt sich auch bei den 26* 402 ALFRED GREIL, winzigen, ganz oder nahezu dotterfreien Eiern der Placentalier, bei so hochgradiger Einschränkung des Dottererwerbes ein und hat, wie an anderer Stelle zu zeigen sein wird, ebenso zwangsläufige Reaktionen bei der Gruppierung und dem Teilungswachstum der ersten Zellgenerationen zur Folge wie die durch grobe Dotter- verteilung hervorgerufenen regionären Prävalenzen dotterreicher Keime. Die Reaktionen verlaufen bei den Säugetieren viel intimer und nachhaltiger, geben schon in jungen wenigzelligen Keimen große bedeutungsvolle Ausschläge, weil das Zellenmaterial schon von vorn- herein zu erhöhtem Teilungswachstum befähigt, sozusagen empfind- licher ist, also bei ungleichem Wachstum die Differenzen im Ringen der Zellen viel auffälliger und markanter werden. Andererseits hat bei den Placentaliern die Einschränkung der Dotterbildung, welche im gleichen Schritte mit dem Erwerb und der Ausbeutung der intrauterinen Ernährung erfolgte, wieder jene be- scheidenen Größenverhältnisse der Keimzellen herbeigeführt, wie sie wohl die primitiven, kleinen Zellenstaaten begründenden Ahnenzellen der Metazoen aufgewiesen haben. Durch die Einschränkung der beim Eiwachstum entstehenden Zellprodukte tritt die einfache Zell- natur wieder markanter in den Vordergrund, die Richtungsteilungen verlieren hierbei allerdings, je mehr sie sich der Äqualität nähern, ihre ursprünglichste Bedeutung. In der Keimzelle tritt sozusagen das Laboratorium, die Fabrik in den Vordergrund, je mehr die Depots eingeschränkt werden. Was das Eiwachstum in einer vermittelnden Zwischenträgerrolle nur ganz unvollkommen besorgen Konnte, indem es, den mütterlichen Stoffwechsel und Chemismus registrierend, das Rohmaterial aus den Körpersäften erst aufnehmen, umarbeiten, in korpuskuläre, flüssige und gelöste Stoffe umwandeln mußte, um die Reserven in konzentriertester Weise transportfähig zu machen und in den Rahmen einer Zelle einzufügen, wird bei intrauteriner Ernährung sukzessive vom mütterlichen Organismus, von außen aufgenommen, so daß der Parallelismus mit der Entwicklung freischwärmender niederer Formen in dieser Hinsicht deutlicher hervortritt als bei dotterversorgten und nach kurzer Zeit die Embryonalentwicklung beendigenden Keimen. Dann werden die mütterlichen Säfte im Embryo und Fetus genau so verwendet wie im mütterlichen Körper selbst. Nehmen wir für den Embryo Anlagesubstanzen an, dann müssen wir sie auch für das Muttertier zum Ersatze des Ver- brauchten annehmen. Das Rohmaterial wird durch Vermittlung des prostomalen Mesoderms, das frühzeitig erstehende Blutgefäßsystem Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 403 oder durch die Tätigkeit der Subgerminalschichte (insbesondere bei Nagern) den Keimblättern und dem Embryo nutzbar gemacht, dort aufgenommen und in seinen einzelnen Komponenten verwendet, wo es das Wachstum die Auslese und Anpassung der Zelltätigkeit sowie andere Umstände gestatten. So gewinnt also die Keimzelle durch den Verlust des Dotters entschieden sehr an Ursprünglichkeit; auch Protoplasma und Kern werden bei dieser Einschränkung der Kern- plasmarelation erheblich reduziert, und ein winziges Mäuseei leistet mit viel geringerer Kern- und Protoplasmamenge an feineren Diffe- renzierungen viel mehr als ein meroblastisch sich furchendes Ei, dessen Kern mit der Produktion von Reserven bei erhöhter Bean- spruchung in funktioneller Anpassung größer wurde. Der unmittelbare Anschluß an den mütterlichen Nährboden, die dauernde Ausnützbar- keit desselben hat einerseits an Energien und Arbeit gewaltige Er- sparnisse, andrerseits eine viel vollkommenere Ausbeutung des Muttertieres gestattet als das Eiwachstum. In dem ursprünglichen Zustande, mit dem die Keime dieser hoch- stehenden Formen in die Entwicklung eintreten, gleichen sie einer Fabrik, die aus den kleinsten, bescheidensten Anfängen sich all- mählich entwickelt, immer mehr an Ausdehnung gewinnt, sich immer vielseitiger spezialisiert, ihren Betrieb durch Arbeitsteilung vergrößert, so daß sie schließlich imstande ist, intra muros mit Benützung von wenig und einfach gestaltetem Rohmaterial nicht nur die zur Ver- srößerung und Spezialisierung nötigen Maschinen selbst anzufertigen, sondern auch das Rohmaterial und alle seine Komponenten voll aus- zunützen, so dab es fast keine Abfälle von diesem gibt. Je größer der Betrieb wird, um so ökonomischer wird er; die eine Komponente des Rohmaterials wird in diesem, die andere in jenem Abteil der weit- spezialisierten und dennoch universellen Idealfabrik verwendet. Schon von allem Anfange an herrscht innigste gegenseitige Abhängigkeit, und auf dem Zusammenwirken beruht die Möglichkeit einer immer weiter gehenden Arbeitsteilung und der Erfolg des ganzen Unter- nehmens, welches harmonisch gebaute, aus verschiedenen, ganz hetero- senen Materialien zusammengesetzte Erzeugnisse liefert. Die Epi- genesis hat aus den bescheidenen Anfängen, aus der kleinen be- schränkten, aber stets universell arbeitenden Anlage das gewaltige Werk geschaffen. Zuerst wurden mehrere einfach arbeitende und auch Einfaches erzeugende Maschinen geschaffen, Abänderungen in mehrfacher Hinsicht schufen dann Spezialmaschinen, die besonderen Aufgaben genügen konnten und immer leistungsfähiger wurden. Das A04 | ALFRED GREIL, einigende Band der Arbeitsteilung kommt in der Zusammenstellung der auf den verschiedenen Maschinen erzeugten Stücke zur einheit- lich wirkenden, großen, vielseitigen Maschine zur Geltung. Das Etablissement arbeitet zunächst nur für sich selbst, sozu- sagen zum Hausgebrauch; wases durch Arbeitsteilung erreicht, die Ver- besserung seiner eigenen Maschinen und Werkzeuge, kommt bei ent- sprechender Ausnützung des ihr von außen zur Verfügung stehenden Rohmaterials selbst zugute. Je mehr Sonderetablissements mit speziellen Betrieben und Maschinen entstehen, um so mehr hebt sich das Ganze. Wenn wir nun den so vollendeten Komplex mit der kleinen Hütte und den kleinen universellen Werkzeugen und Maschinen der ersten Anlage vergleichen, so tritt genau derselbe Unterschied entgegen wie bei Vergleichen der Urahnenzellen der Metazoen mit der heutigen Metazoenwelt und beim Vergleiche der Keimzelle mit dem vollendeten Soma. Die Epigenesis hat aus Gleichartigem Ungleichartiges ge- schaffen und der ganze Komplex dieser ungleichartigen Glieder re- präsentiert, eine höhere, aber nur graduell verschiedene, durch alle Übergänge ausgeglichene Stufe dessen, was die Ausgangssituation in ihrer bescheidenen Vielseitigkeit darbot. Die geschlossene Vermehrung der Elemente, das einheitliche Zusammenwirken hat so weitgehende Arbeitsteilung und solche Förderung der Universalität im ganzen ‚ermöglicht und bei dieser Universalität noch die besondere Steigerung einzelner Leistungen herbeigeführt. Die in allen Phasen dieses Werdeganges gesicherte gesamte Leistungsfähigkeit hat Sonder- leistungen ermöglicht, deren Zahl und Ausführung. die Höhe des Produkts bestimmt. Der Fabrikant hat aus bescheidensten Anfängen sein Werk begonnen und günstige Konjunkturen auszunützen ver- standen. Er hat Material, an dem andere vorbeigegangen sind, in seinem Betriebe verwertet. — Die unter Körpertemperatur rasch arbeitenden, teilungskräftigen Keimzellen der Säugetiere und ihre Abkömmlinge nützen den sich ihnen darbietenden, eminenten Nährboden unersättlich aus und damit indirekt auch die Nahrung des Muttertieres, denn der Verbrauch regelt das Angebot. Das anhaltende Teilungswachstum allein ist schon ein Betriebskapital ohnegleichen, ein unschätzbares Erbe der Vergangenheit. Jene Auslese des Materials zeigen pelagische Formen in aller Mannigfaltigkeit, bei intrauteriner Entwicklung besorgt dies das mütterliche Soma. Wenn die dotterhaltigen Zellen einer Holoblastierlarve alles mögliche Rohmaterial in ihrem Plasma aufgespeichert haben, welches Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 405 erst viel später im Zellenstaate voll ausgenützt werden kann, den Teilungsmechanismus beschwert und behindert, so tritt die Aus- gestaltung und Vervollkommnung der Fabrik nicht so markant in den Vordergrund wie dann, wenn deren Depot an Rohmaterial ge- sondert liegt und erst sukzessive abgebaut, verarbeitet und ausge- nützt wird. Der Zusammenhang von Angebot und Nachfrage kommt bei den Placentaliern viel deutlicher zum Ausdruck. Die ersten Zellgenerationen brauchen nur wenig; die bescheidene Mitgift, welche das Eiwachstum schafft, reicht völlig hin, auch in den ersten Phasen der intrauterinen Ernährung nützen sie diese nur wenig und ganz einseitig aus. Erst wenn Differenzierungen einsetzen, werden auber den zum gewöhnlichen Haushalt der Zelle sowie zur Kontraktilität, zum Teilungswachstum, zur gesteigerten Assimilation nötigen Ma- terialien auch noch besondere Stoffe verwendet und zwar genau dieselben, welche auch der mütterliche Organismus verbraucht. Bis zu diesem Zeitpunkte sind die gleichartigen Zellen recht bescheidene Elemente. Der Appetit kommt aber mit dem Essen; erst wenn der Zellenstaat größer und vielseitiger wird, wenn der mütterliche Nähr- boden immer mehr erschlossen wird, wenn die Gelegenheit sich ein- stellt, werden die Fähigkeiten gesteigert; dann erst gewinnt in epi- genetischer Arbeitsteilung die Einzelzelle ein höheres Niveau, indem sie sich spezialisiert, und die Summe dieser Steigerungen bestimmt dann die Wertigkeit des Zellenstaates, des Somas. Die Keimzelle ist jedoch als einfacher Arbeiter in diese Werkstätte eingetreten, durch eigene Arbeit haben ihre Abkömmlinge ihre Leistungsfähigkeit so beträchtlich erhöht. Kein Großindustrieller, der sich vom einfachen bescheidenen Handwerker zum Millionär emporgearbeitet, seine Fabrik sukzessive vergrößert und ausgestaltet hat, wird die kleine Werkstätte, in der er begonnen, damals als die determinierte Anlage des Etablissements bezeichnet, die zuerst angefertigten Maschinen zu Anlagematerial für die komplizierten Riesenmaschinen des vollendeten Betriebes be- trachtet haben. Im Vertrauen auf seine Fähigkeiten als Einzel- mensch, ohne zu wissen, was die Zukunft im einzelnen bringen werde, ganz und gar der Epigenesis ergeben, ging er an sein Werk, indem er seine Fähigkeiten ausnützte und seine Leistungen steigerte, immer Neues hinzu erwarb. — Wir mibbrauchen geradezu unsere an älteren Stadien gewonnenen formalanalytischen Erfahrungen, greifen dem epigenetischen Werdegange mit aprioristischen Deutungen vor, wenn wir die Keimzellen oder die jungen Formationen schon als 406 ALFRED GREIL, die diskrete Anlage eines Tieres oder einzelner Organe bezeichnen. Wir verlassen vüllig den Boden der Tatsachen, wenn wir gar diese Anlage in micellare, ultramikroskopische Anlagesubstanzen auflösen. Die englische Sprache kennt kein solches, zu so groben Mißdeutungen verleitendes Wort. Die Anlage des Stamm- und Betriebskapitals der Keimzelle ist ihr Repertoire an cellulären Fähigkeiten, mit den sraduellen und einseitigen Dispositionen für die intensivere Ent- faltung der einen oder anderen derselben und mit den ersten ein- leitenden und richtunggebenden Dispositionen zu Wachstumsdiffe- renzen. Dies entspricht der bescheidenen Werkstätte jenes erfolg- reichen Arbeiters. Alles andere, die Art und Weise, wie dies aus- genützt und weitergeführt wird, muß sich erst allmählich und epi- eenetisch ergeben. Wie viel Material muß erst von den Zellen auf- genommen und verarbeitet werden, und wie viel hängt von der Be- schaffenheit dieses Rohmaterials ab! Niemals ist eine Gestaltung präformiert und durch Substanzen determiniert, nur Differenzierungen können bereits im allgemeinen determiniert sein, wo und in welchem Grade sie ausgeübt werden, darüber entscheiden ebenfalls sich epi- genetisch ergebende Bedingungen. So kann also die von der Keim- zelle repräsentierte Anlage mit keiner einzigen Erscheinung, die im Organismus zustande kommt, in unmittelbare, sondern nur in eine ganz entfernt mittelbare Beziehung gebracht werden. Die Ausgangs- situation der Keimzelle beherrscht und determiniert nur die ersten Furchungserscheinungen, das Ringen des Teilungsmechanismus mit den aufgestapelten Reserven. Schon die Entstehung der Blastula und gar jene der Gastrula steht mit der Ausgangssitaation im weiteren einseitigen Beziehungen. Schon auf diesem kurzen Ent- wicklungswege könnte alles noch ganz anders werden, ohne daß die Keimzelle verändert würde. So muß also der Kreis dessen, was als. Anlage bezeichnet wird, auf das engste eingeschränkt und stets der große Vorbehalt des Eintreffens zahlloser äußerer und innerer, sich epigenetisch ergebender Bedingungen gemacht werden. Die Retroprojektion der Organanlagen darf nie die förderliche Grenze, nämlich die diskret unterscheidbare Formbildung extensiver Mannigfaltigkeit überschreiten. Nur eine bestimmte Situation mit ihren Dispositionen und die nächsten, schon fast unabänderlich eintretenden Sonderbedingungen können als Anlage für das Fol- gende gelten. Sobald die Bedingungskette größer, länger und verzweigter wird, übersteigt die Retroprojektion die förderliche Grenze. Daß solche Situationen und auch die Keimzellen nicht in Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 40% Anlagesubstanzen aufgelöst werden können, ergibt sich von selbst. Die Zellen als Ganzes mit ihren Leistungen und Dispositionen re- präsentieren die Anlage, und der Embryologe hat ebensowenig Ver- anlassung, den Zellbau in ein Chaos von micellaren und ultramikro- skopischen Anlagesubstanzen aufzulösen, wie ein Cellularphysiologe, ein Histologe oder ein Protozoenforscher auf solche Grübeleien ver- fällt, die ins Gebiet der Mosaiktheorie zu verweisen sind und eine Verkennung des Waltens der Epigenesis zur Voraussetzung haben. Unicelluläre Strukturen werden nicht besser verstanden, wenn die Zelle als ein Konglomerat von Anlagesubstanzen betrachtet wird. Die Keimzelle bildet mit ihren unicellulären Prävalenzen und Dis- positionen nur das erste Glied einer ins Unermeßliche ausdehnbaren Kette von epigenetisch sich ergebenden Bedingungen der Entwick- lung. Sie leitet nur das Ringen der Blastomeren ein, dessen Fort- setzung jedoch die Epigenesis bestimmt. Der determinierende Ein- fluß der Epigenesis ist daher viel größer als jener der Keimzelle, die hinsichtlich der Gestaltung nur die erste Richtung angibt, hin- sichtlich der Differenzierung jedoch weitergehende Einflüsse besitzt. Der nur ganz wenig hinkende Vergleich der Keimzelle mit einem ersten Menschenpaare — wie es gewisse, der Mosaiktheorie an die Seite zu stellende Dogmen voraussetzen — oder mit einem aus. einem einfachen Arbeiter sich emporarbeitenden Großindustriellen bietet noch immer die besten Anhaltspunkte, um die Wucht der Epigenesis sowie die Bescheidenheit und Einfachheit der von der Keimzelle vertretenen Potenzen bildlich vor Augen zu führen. Dem- nach können wir die landläufige Definition der Vererbung, als die Übertragung von Eigenschaften auf dem Wege der Fortpflanzung entwicklungsgeschichtlich enger fassen, indem wir als Vererbung den durch die Fortpflanzung begründeten epigenetischen Wieder- erwerb von Eigenschaften und Merkmalen vorhergehenden Gene- rationen bezeichnen. VE Die vortreffliche Approvisionierung, das andauernde Wachstum der Eizellen und die dadurch bedingte Steigerung des Teilungs- wachstums und seiner Ungleichheit, ferner der Lebensfähigkeit und Dauerfähigkeit (Roux) des jungen Zellenstaates bringen es mit sich, daß kardinale Sonderungen desselben, primitive, ehedem lebenswich- tige Organe, die im Freileben langsam im Kampfe ums Dasein in funktioneller Anpassung erworben worden sind, zunächst als in- 408 ALFRED GREIL, differente Zellenkomplexe entstehen. Als Vergleichsobjekt dient hierbei stets die Urdarmbildung freischwärmender Blastulalarven der Cni- darier, die, wie HEIDER gezeigt hat, im Wasser befindliche Karmin- partikelchen am hinteren Pole zusammenwirbeln, wobei hervorzuheben ist, dab unter den günstigeren Stoffwechselbedingungen die Ab- plattung und Eindellung in funktioneller Abhängigkeit und An- passung zustandekommt — ein Paradigma aus dem Protozoenreiche ist das Hineinstrudeln von Nabrungspartikelchen in die Mundgrube der Paramaecien, was ebenfalls durch ins Wasser eingerührte Karminpartikel veranschaulicht werden kann — und andererseits die Bildung des funktionslosen Urdarmes der höheren Formen z. B. der Reptilien. Die bei freilebenden Gastrulaformen alsbald ein- setzende, besondere funktionelle Anpassung des Urdarmes, die Arbeits- teilung unterbleibt, die Zellen werden nicht einseitig beansprucht, und so kann auch ihr Wachstum rascher vonstatten gehen. Der weiteren Entwicklung ist damit ein viel größeres Feld eröffnet. So entstehen Primitivorgane wie der Urdarm und der Urmund funk- tionslos. Die beiden Schichten der Gasträa treten so als Keim- blätter auf. Aus dem Urmund ist das Prostoma einer Gastrula, einer Embryonalform, geworden. HAECKEL hat bereits darauf hin- gewiesen, daß das Mesoderm wahrscheinlich nicht zu den primor- dialen Organen gehöre, sondern als ein von solchen abstammen- des Keimblatt entstehe. Für Formen mit Urmesodermzellen, für die Enterocölier und insbesondere die Chordonier u. a. trifft dies zweifellos zu, denn die Ascendenten dieser Formen haben nur das Eetoderm und Entoderm in funktioneller Anpassung erworben, dann nach jenem Bedingungswechsel, innerhalb der Eihüllen unter dem Zwange innerer Bedingungen wiederholt. Das Mesoderm ist jedoch sicherlich in vielen Fällen die Reaktion auf die durch das Eiwachs- tum geschaffenen minimalen Prävalenzen in dem Teilungswachstum einzelner Zellenkomplexe des jungen Zellenstammbaumes. Es ist von allem Anfange an als Embryonalgebilde an wohlversorgten Keim- lingen entstanden, die noch nicht im Kampfe ums Dasein standen. Diese frühzeitigen Sonderungen sind palingenetische Akte von großer Bedeutung, die weite Perspektiven, rasches Wachstum und eine vielseitigere Verwendbarkeit des auf solche Weise sich ansammeln- den Zellenmaterials ermöglicht haben. Die zeitlichen Verhältnisse dieser Erscheinungen der Ontogenese sollen uns nun zunächst be- schäftigen. | Das späte Eintreten der funktionellen Gestaltung und Differen- Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 409 zierung, jener von HAECKEL vollerkannten und gewiirdigten morpho- genetischen Faktoren ist das für die Embryonalentwicklung charakteristische Moment. In der Organisation des Embryos tritt diese Phase an dem einen Zellenkomplex früher, an dem anderen später, hauptsächlich beim Übergang ins Freileben ein. Wir haben oben gesehen, daß lebenswichtige Formationen (Gefäßsystem und die zur Verarbeitung, Verdauung und der Resorption der den Nahrungs- reserven dienenden Zellenkomplexe) schon früh der funktionellen An- passung verfallen, wenngleich deren Entstehung stets ohne diese aus gleichartigem Material zustande kommt. Die Keimblätter bestehen aus gleichartigem Material. Ectoderm, Mesoderm und Entoderm sind lediglich hinsichtlich der Wachstumsintensität und -richtung sowie durch die gemäß ihrer Anordnung gegebene Beschränkung der Verwendbarkeit ihrer Zellen verschieden. Wir können leider nicht gewisse Transplantationsversuche machen, um dies noch ein- dringlicher zu beweisen, als es bei ungestörtem Geschehen dem un- voreingenommenen Beobachter sich offenbart. Wenn nach künst- lichen Amputationen und Exstirpationen auch bei niedrigen Formen kein Ersatz der entfernten Formation eintritt, so ist dies noch lange kein Beweis für die qualitative Spezialisierung der betreffenden Zellenkomplexe für ihre Leistungen. Wenn der vernarbte Stumpf eines Echinidenurdarmes keine neuen Cölomsäcke produziert oder 1}, Blastomeren keine Vollkeime schafft, so ist dies den durch Mangel an Zellenmaterial, die Einschränkung von Wachstumsdifferenzen, vor allem aber die zu geringe Zahl der Zellen bedingt — denn jede Kon- struktion ist nur innerhalb gewisser Grenzen en miniature ausführ- bar —, ferner auf die übrige Veränderung der Gesamtbedingungen der betreffenden Entwicklungsphase, aber nicht auf einen Mangel an cölomsackbildenden Substanzen, mesenchymbildender Substanzen, Skeletchromosomen und dergleichen Mystica zurückzuführen. Die graduelle, beim Eiwachstum erworbene Disposition zu ungleichem Teilungswachstum schafft an sich in der Keimzelle nicht Ungleich- artigkeit, sondern nur Verschiedenheiten ganz gradueller Art, welche extensive Mannigfaltigkeit erzeugen. Wir können nicht künstlich Wachstumsdifferenzen schaffen, lokal die Assimilation steigern; wäre dies möglich, dann gäbe es eine Fülle von Neuerscheinungen. Die übrigen unicellulären Fähigkeiten sind entweder noch auf alle Ab- kömmlinge gleichmäßig verteilt, oder es bestehen — namentlich bei Stieleiern — auch in dieser Hinsicht, wie beim Teilungswachstum, graduelle, die Eigenart der Differenzierungsbereitschaft betreffende 410 ALFRED GREIL, Unterschiede, welche z. B. bei isolierten Echinidenblastomeren deut- lich zutage treten, aber keine diskrete Determination zu Form- bildung bedeuten. Trotz der Reaktionen auf jene Prävalenzen, die das Eiwachstum als Begleiterscheinungen mit sich brachte, liegt in jeder Hinsicht gleichartiges Zellenmaterial vor, dessen Komponenten in vollem Ringen miteinander begriffen sind und so neue Formationen aus gleichartigem Material erzeugen, aus denen dann erst die An- passung an die Situation und Funktion Ungleichartiges schafft. Wir können somit in der Entwicklung der rezenten Metazoen zwar nicht durchgreifend nach Stadien, aber doch im allgemeinen gliedern und eine Einteilung gemäß dem Fortschritte im Aus- bau des Zellenstaates an den einzelnen Zellen, den sich sondernden Zellkomplexen und Organen vier Perioden der durch die Appro- visionierung der Keimzelle oder des Keimlings bedingten, raschen Entwicklung durchführen. Im Groben ließe sich eine Periode der Gestaltung der Zellverbände mit gleichartigen, indifferenten Strukturen von einer solchen mit ungleichartigen, sich differenzierenden Struk- turen oder, kurz gesagt, die Periode der strukturell indiffe- renten Gestaltung und jene der differenzierenden Ge- staltung sondern. Die erstere ist dadurch gekennzeichnet, daß die Zellen des heranwachsenden Keimlings im Vollbesitze ihrer uni- cellulären Fähigkeiten bleiben, noch nicht einseitig beansprucht werden und außer ihrer Erhaltung nur dem im großen und ganzen stets ungleichen Teilungswachstum, dem Ringen sich widmen. Nur dieser Mechanismus und Prävalenzen dieser Art bestimmen die Archi- tektonik, die Formgestaltung des jungen Zellenstaates, das Ringen einzelner Komplexe, die zu verschiedener Wachstumsintensität befähigt sind, nichtsdestoweniger aber aus gleichartigen Elementen bestehen. Unter andauerndem Teilungswachstum und fortgesetztem Ringen immer zahlreicher werdender Partner treten die Formationen in die lange, zweite Periode ein, an welcher wir bei eingehender Analyse drei aufeinanderfolgende Phasen unterscheiden können, die wir als Perioden s. st. zur ersten hinzuzählen. Planlos und spontan setzt an den aus gleichartigen Zellen bestehenden Formationen die erste Phase (zweite Periode s. st.) ein, die für sie infolge ihrer trefflichen Versorgung in der Embryonalentwicklung keine so dringliche Existenz- frage ist wie an hungrigen, freilebenden, jeden Vorteil, den ihnen der Zellenstaat bietet, ausnützenden Tieren. Nachdem die von reich- lichen Reserven zehrenden Zellen kürzere oder längere Zeit sich ausschließlich dem Teilungswachstum und dem einfachen Betriebe Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 411 ihres Haushaltes hingegeben haben, melden sich sozusagen auch andere Potenzen, auch andere Strukturen zum Worte. Lange genug blieb ihre Differenzierungsbereitschaft latent und ungenützt. Schon hat das ungleiche Wachstum, das andauernde Ringen zahlreiche Situationen, eine extensive Mannigfaltigkeit der Gruppierung und Anordnung der Zellverbände eröffnet, die verschiedene Gelegenheit zur Betätigung anderer Zellfunktionen schaffen und so zur zweiten Periode überleitet. Es beginnt die im vorhergehenden Abschnitt erörterte Anpassung an die Situation, an die Gelegenheit, die Aus- lese der jeweils verwendbaren Differenzierungsweisen der universellen cellulären Bereitschaft. An jeder einzelnen Zelle bestimmt die ab- hängig erworbene Form und Anordnung, ferner das Verhalten der Nachbarschaft, Druck und Spannung, Beengung, sowie die Gesamtheit der Stoffwechselbedingungen, wie die Differenzierungsbereitschaft einseitig ausgenützt wird. Wie die Zellen selbst sich teilen und wachsen, so wachsen auch ihre in Anpassung an die Situation, als Funktion der Gelegenheit auserlesen geschaffenen Produkte und Derivate teils durch selbstätige Vermehrung, teils durch beständigen Anbau heran. Diese auf Anpassung an das Milieu beruhenden Ent- scheidungen werden in allen Zellen früher oder später im einzelnen getroffen. Sind auf diesem Wege einmal die Differenzierungen ent- standen, so übernehmen sie die hierdurch gewährleistete, ermöglichte Funktion; die hervorgestreckten Cilien beginnen zu schlagen, Fibrillen der Myotome beginnen sich zusammenzuziehen usf. — Der Appetit kommt mit dem Essen, und so leitet sich denn die zweite Phase bzw. dritte Periode s. st. ein, nämlich die unter dem Zwange dieser Funktion erfolgende weitere Differenzierung. Die Zellen werden unter dem Zwange der Funktion zu fortgesetzter differen- zierender Tätigkeit angespornt. Intracelluläre und extracelluläre Zellprodukte wachsen an. Dies ist die Periode der Anpassung an die Funktion. Die schon in der vorhergehenden Periode in Anpassung an die Situation auserlesenen cellulären Funktionen werden nun unter entsprechender Ausübung und Ausnützung ihre Wirksamkeit gesteigert. Roux hat daher diese Erscheinung als funktionelle Anpassung bezeichnet. Diese Beanspruchung der Zellen führt bei gesteigerter Intensität dazu, daß sich die Zellen ganz dieser einseitigen Be- schäftigung hingeben, die Teilung einstellen. So vermittelt also die Epigenesis zwischen den beiden Extremen in der Embryonalent- wicklung: dem Teilungswachstum unter Verzicht auf Ausübung der 412 ALFRED GREIL, Differenzierungsbereitschaft mangels giinstiger Gelegenheit bei aus- schließlicher Ausübung der Betriebsfunktionen im Zellenhaushalt und andererseits das vüllige Aufgehen der Zellen in die in strenger Abhängigkeit und Anpassung auserkorene, verwendbare Kompo- nente ihres Repertoires unicellulärer Fähigkeiten und Strukturen. Sind einmal Gruppen von einzelnen Zellen des heranwachsenden Staates funktionell angepaßt, so beginnt die vierte Periode (s. st.), die funktionelle Anpassung und Gestaltung der Zellverbände. Haben sich Zellenkomplexe unter dem Zwange gleicher Bedingungen in gleicher Weise differenziert, so beginnt ein geschlossenes, harmonisches Zu- sammenwirken der so gebildeten Einheiten, die vereinte Arbeits- leistung, welche die Details der Differenzierung und Anordnung der einzelnen Elemente beeinflußt und bestimmt. Nachbarliche, entweder nur angrenzende oder dicht verflochtene, von verschiedenen Orten stammende, verschiedene Wachstumsrichtung und -intensität auf- weisende sowie verschiedene Wachstumswege betretende, daher unter verschiedenen Bedingungen stehende, unter sich aber einheitliche Zellenkomplexe vereinen sich dann mit jenen ergänzend und fördernd zu gemeinsamer Arbeit; so entsteht die höhere Einheit durch die funktionelle Anpassung der aus verschiedenen Geweben bestehenden Zellenverbände, das Organ. Von allem Anfange an wirken die unter verschiedenen Bedingungen verschiedenen, celluläre Fähigkeiten in Arbeitsteilung aufs höchste steigernden Einzelorgane unter Erhaltung des zellenstaatlichen Betriebes genau so zusammen wie die be- scheidenen Funktionen der Einzelligen oder künstlich gezüchteter Dauerkeimzellen. Die Organe bilden in harmonischem, ergänzendem und förderndem Zusammenwirken als Vollendung der vierten Periode den Organismus. Das gestaltende Zusammenwirken der unter gleichen und verschie- denen Bedingungen in funktioneller Anpassung an den Einzelzellen ausgebauten Differenzierungen und die hierdurch bedingte Steigerung derselben charakterisiert somit die vierte Periode. Die extensive Mannigfaltigkeit der Formbildung, die ungleichen Bedingungen des Ringens der Zellen, die Verschiedenheit der er- reichten Situationen und Gelegenheiten bringen es an den wohlver- sorgten, andauernd wachsenden Zellenstaaten mit sich, daß im einen Zellenkomplex früher, im anderen später die Auslese in seiner Diffe- renzierungsbereitschaft erfolgt. Das Ectoderm der Amphibienlarven bildet z. B. schon sehr frühzeitig Cilien aus und zeigt dieses uralte, an freischwärmenden Blastulalarven oder an künstlich gezüchteten Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 413. Dauerkeimzellen (Chaetopterus) eintretende erste Symptom der An- passung an das Milieu, welche den Wechsel des Atemmediums oder wenigstens eine Zirkulation desselben schafft. Die Zuchtwahl hat das frühzeitige Eintreten dieser lebenswichtigen Funktion gefördert und Generationen ausgemerzt, deren Embryonen nicht diese unicellu- läre Fähigkeit schon frühzeitig betätigten. Die Splanchnopleura der Pericardsäcke kommt auch schon frühzeitig, — gleichviel ob ein Herzschlauch oder eine Multiplicitas cordis entsteht — in die Gelegen- heit, die Kontraktilität des Protoplasmas besonders zu betätigen, funktionell zu steigern, und kaum entstehen die Fibrillen, so werden sie auch schon beansprucht, in funktioneller Anpassung vermehrt und ausgebaut. Die Vorniere bietet, wenn wir die Bedingungen der Ent- stehung ihres Kanalsystemes und des Glomerulus sowie die Wechsel- beziehungen beider und die das Wachstum der Kanalsysteme fördern- den Bedingungen analysieren, ebenfalls ein Beispiel dafür, wie Formationen, kaum entstanden, schon der zellenstaatlichen Funktion überantwortet und dann rasch ausgebaut werden. So war es in den frühen Stadien der Phylogenese, so ist es an freischwärmenden Jugendformen und Larven vieler Wirbelloser, in deren Zellenstaaten strenge Abhängigkeit und einheitliches Zusammenarbeiten im Kampfe ums Dasein herrschen. Mit der Zunahme der Approvisionierung, mit dem Erwerb der schützenden Einrichtungen, mit der Steigerung‘ andauernden Teilungswachstums und der Vielseitigkeit des Ringens kam es schließlich dazu, daß bei höheren Formen z. B. einzelne Sinnesorgane in den drei ersten Perioden vollkommen ausgebaut werden, die vierte erst mit der Geburt einsetzt und am vollentwickelten Organe entweder gar keine oder nur nebensächliche Änderungen vornimmt, vielmehr vorwiegend der Erhaltung der reichen, extensiven und intensiven Mannigfaltigkeit dient. Bei höheren Formen und länger andauernder Embryonalentwicklung waltet somit die differen- zierende Auslese auch ohne den Einfluß der Funktion. Es differen-. zieren sich funktionell noch gar nicht beanspruchte Zellenkomplexe. Am bewegungslosen Keimlinge entstehen z. B. die verschiedensten Formen des Stützgewebes und komplizierte Bewegungsapparate. Die Erkenntnis der Bedingungen dieser Differenzierung per exclusionem des Unpassenden und der unverwendbaren, unicellulären Fähigkeiten ist bei den höheren Formen ein besonders interessantes Problem. An niederen Formen erscheint dieses Phänomen leichter zu über- schauen und ist durchaus das Werk der Epigenesis. Daß es auch bei höheren so sein müsse, können wir, ganz abgesehen von der 414 | ALFRED GREIL, Phylogenese, welche allmählich diese Periode verlängerte, aus der gänzlich anderen Verwendung des Materials erschließen, welche bei Doppel- und Mibbildungen sowie nach künstlichen Eingriffen sich einstellt. Dieses Ergebnis bestärkt uns in der Zuversicht, daß es bei exakter formaler Analyse gelingen werde, den Komplex der dieses Geschehen beherrschenden Bedingungen in den einzelnen Fallen der epigenetischen Determination festzustellen. Die Epigenesis schafft somit nicht nur aus Gleichartigem Un- gleichartiges, sondern zunächst aus Gleichartigem cellular Gleich- artiges — hinsichtlich der Struktur der einzelnen Zellen, doch nicht der Anordnung der Zellenkomplexe — in jener ersten Periode der Embryonalentwicklung, deren Bedingungen bei sorgsamer Analyse leichter aufzudecken sind. Diese Ersclreinung galt in der Phylo- genese nur fiir die Entstehung der Blastula, die noch aus gleich- artigen Zellen besteht. Die Urdarmbildung schuf bereits die Arbeits- teilung und damit die erste strukturelle Ungleichartigkeit. In der Ontogenese wurde dann dieses Charakteristikum der Epigenese suk- zessive auf immer spätere Stadien verlegt, indem die Periode der indifferenten Gestaltung aus ganz oder nahezu strukturell gleich- artigem Material immer mehr verlängert wurde. — Die Periode der indifferenten Gestaltung hat durch die geringe, ‚spezielle funktionelle Beanspruchung des Zellenmaterials das Teilungs- wachstums desselben in außerordentlichem Maße gefördert und dabei das Zellenmaterial geschont. So kommt es, daß fundamentale Keim- blätter und auch andere Formationen sehr frühzeitig und rasch ent- stehen, im Zellenstammbaume schon nahe dem Stamme große und wichtige Abzweigungen sich sondern, was im Freileben, bei viel- seitiger funktioneller Beanspruchung der Zellen, nie möglich wäre. Das Sprichwort „Zeit gewonnen, Alles gewonnen“ hat auch in der Ontogenese seine volle Berechtigung. Kommt schon frühzeitig ein Zellenkomplex zur Sonderung, sei es daß er von den Nachbarn ab- gedrängt wird oder durch intensiveres prävalentes Wachstum sich freie Bahn bricht, so ist damit sehr viel an Energie gewonnen, wenn bestimmte Wege schon frühzeitig eingeschlagen werden. — Diese Erscheinung kann als Proigenese (nach dem griechischen nowios frühzeitig) bezeichnet werden. Die Entstehung und der mächtige Ausbau der „Keimblätter“ ist das Werk des Wachstums der „Keimzelle“ und erfolgt proiblastisch. Das Wachstum der Ei- zelle hat, indem es anfänglich als Begleiterscheinung die Disposition Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 415 zu den ersten Wachstumsdifferenzen schuf, eine immense Verlängerung und Komplikation der sich epigenetisch ergebenden Bedingungskette eingeleitet, die über die weitere Anordnung und Differenzierung des Materials entscheidet. Die andauernde Approvisionierung brachte es mit sich, daß die Eizelle die Veranlagung für die Proigenese der Fun- damentalorgane schafft. Insofern kommt dem Eiwachstum und dem Eibau bei der Formbestimmung eine hervorragende Rolle zu. Das Spermatozoon beeinflußt im epigenetischen Laufe der Entwicklung jedoch alle die Reaktionen auf jene Prävalenzen des Teilungswachs- tums, kann die dadurch hervorgerufenen Wachstumsdifferenzen fördern, steigern, aber auch schwächen und unterdrücken. Sein Chemismus hat dann auch bei der Verwendung des Materials, bei der Diffe- renzierung entscheidenden Einfluß. Doch spielt das Teilungswachs- tum, welches die indifferenten, der funktionellen Auslese und An- passung verfallenden Formationen schafft, stets die bedeutendste Rolle. | Je besser die Keimzelle mit Nahrungsreserven versorgt wird, um so länger dauert die Entwicklung innerhalb der Eihüllen, die Embryonalentwicklung. Immer komplizierter werden die von strukturell indifferenten Zellen aufgebauten, als solche zunächst funktionslosen Formationen, deren Entstehung auf die Erhöhung des Teilungswachstums und die Verlängerung der epigenetischen Bedingungskette, das weitere Ringen der durch ungleiches Wachs- tum zustandegekommenen Zellenkomplexe zurückzuführen ist. Alle graduellen Übergänge leiten von der Entwicklung innerhalb dünner, alsbald berstender Eihüllen zur Entstehung derber (manchmal chitinôser) Eihüllen, welche der Embryo bereits als weitentwickelte Larve verläßt, bis schließlich die Vollendung dieses Prozesses, der Versorgung, die intrauterine Entwicklung ein vollwertiges, einer durchaus selbständigen Existenz fähiges Individuum dem Kampf ums Dasein überantwortet. So wird die Embryonalentwicklung verlängert, denn die ursprüngliche Bedeutung Embryo ist nach dem Griechischen 10 &vrog ig yaoteos Povov. Eust., das, was sich im Mutterleib entwickelt. HaArEcKEL hat dies auch auf die Entwicklung innerhalb von Eihüllen jeglicher Art ausgedehnt. Die den freischwärmenden Larven vergleichbaren Zustände höherer Formen, welche die Vollendung der embryonalen Entwicklung be- treffen, werden als fetal bezeichnet. Die immense Steigerung der inneren Entwicklungsbedingungen, die Fortsetzung des Ringens der einzelnen, miteinander in Konkurrenz tretenden Formationen, welche Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Zool. u. Physiol. 27 416. ALFRED GREIL, eine glänzende Versorgung ermöglicht hat, bereitet der Untersuchung älterer Stadien besondere Schwierigkeiten, wenn nicht an primitiveren Formen, an denen die Herrschaft innerer Bedingungen kürzere Zeit. währt und die äußeren Bedingungen noch erheblicheren Anteil an der Gestaltung haben, das epigenetische Prinzip voll erkannt ist. Wirbel- lose zeigen, welch eingreifenden und leitenden Einfluß das Eiwachstum auf die Furchung und Keimblätterbildung besitzt. Doch reicht die Approvisionierung meist nicht über wenige Tage, so daß der un- mittelbare Einfluß der äußeren Bedingungen nach Sprengung der Eihülle schon alsbald einsetzt. Das Wimperkleid, die primitiven Fortbewegungsorgane, Skelet- und Schalenbildungen sind die ersten Errungenschaften. Bei so primitiven Formen tritt die Wirkung der züchtenden Auslese alsbald zutage. Je vielseitiger und intensiver die funktionelle Anpassung sich äußert, je leistungsfähiger das Soma, wird, um so mehr erscheinen auch die von ihm ausgestoßenen Keim- zellen in ihrer unicellulären Bereitschaft gekräftigt. um so reicher werden diese approvisioniert, um so dauerhafter ist der junge Keim, und um so intensiver kann in dessen Freileben die Auslese und An- passung der unicellulären Funktionen und Strukturen der einzelnen Formationen wirken, um so leistungsfähiger wird die neue Generation. In unzähligen Generationen fortgesetzt hat die bessere Ausstattung mit Nahrungsreserven und die Erhöhung und Steigerung des Teilungs- wachstums und der einzelnen unicellulären Fähigkeiten die Keim- zellen rezenter, höherstehender Formen geschaffen. Was sich bei Wirbellosen in kleinem Maßstabe vollzieht, hat nach demselben Prinzipe den dominierenden Chordonier- und Wirbeltierstamm be- gründet, dessen Ausgangssituation, das enterocöle Darmtier, wahr- scheinlich einer als Begleiterscheinung des Eiwachstums entstandenen, polaren Bilateralität unter bestimmten Nebenbedingungen seine Existenz verdankt. Diese schuf im Verein mit anderen günstigen Bedingungen eine Cüloblastula und eine Invaginationsgastrula mit prävalierender Dorsalwand, deren beengtes Wachstum jene Längs- falten zustande brachte, welche der Organisation so weitgehende Perspektiven eröffnet haben. Die rasche, frühzeitige, mit geringem Zellenmaterial zustandekommende Urdarmbildung beim Amphioxus ist eine mit der langsamen, schwerfälligen Invagination der Cnidarier- blastulae in Vergleich zu stellende Erscheinung der Proigenese. Als ein weiteres Beispiel der Proigenesis ist die frühzeitige Entstehung und Entfaltung des vom Urmundrand aus- strömenden prostomalen Mesoderms zu nennen, welche dem Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 417 Amphioxus noch fehlt und eine Errungenschaft der dotterreicheren Keime der Cranioten darstellt. Bei allen Cranioten kommt im außer- dorsalen Bezirke des Urmundrandes eine derartige Wachstums- beengung zustande, daß das Zellenmaterial, genau so wie an der Nahtstelle des Medullarrohres, in radiären Richtungen abströmt. Auch hinsichtlich der späteren Verwendungsweise bestehen übrigens zwischen dem prostomalen Mesoderm und den neurogenen (der Neural- leiste entstammenden) freien Mesodermzellen in mancher Hinsicht auffällige Analogien, die dem Zwange einzelner, gleicher Bedingungen im epigenetischen Werdegange zuzuschreiben sind. Wenn nun, wie z. B. bei holoblastischen Anamniern, im Blastulastadium ein vege- tatives Zellenmassiv vorhanden ist, dessen dorsale Hälfte auch hin- sichtlich der Bedingungen der Entstehung dem Primitivstreifen der Amniotenkeime entspricht, so erscheint die an der Amphioxusblastula bereits zur Invagination einer einschichtig bleibenden Zellenplatte führende erste Reaktion auf die durch die Polarität des Eiwachs- tums hervorgerufene Situation abgeschwächt. Durch paratangentiale Teilungen kommt eine Mehrschichtigkeit zustande, und der erste Impetus einer fundamentalen Wachstumsdifferenz ist in unvorteil- hafter Weise abgelenkt, die Oberfläche zeigt keine Eindellung. Das kleinzellige, räsch wachsende Material der Übergangszone des Ur- mundrandes staut sich aber an der Grenze des andrängenden prosto- malen Ectoderms sowie am Entodermmassiv und erzwingt sich den einzigen, offenstehenden Ausweg, das radiäre Vorwachsen unter der Ectodermdecke. Es kann vorkommen, daß es sich bei der Hast dieses Prozesses nicht sogleich vom Entodermmassiv, mit dem es in breiter, primärer Verbindung steht, freimacht, daß erst später eine Trennung dieser beiden, unter ganz verschiedenen Bedingungen stehenden, eine andere Wachstumsintensität und -richtung auf- weisenden Zellenkomplexe kommt, die jedoch nicht als Delamination aufgefaßt werden darf, weil sie, obzwar paratangential zum groben Umriß, so doch senkrecht auf die Oberfläche der beiden Komplexe in deren Grenzlinie erfolgt, während eine Delamination stets durch eine paratangentiale Flächenspaltung eines Epithels zustande kommt. Bei vielen Holoblastiern wächst der zum prostomalen Mesoderm werdende Zellenkomplex schon von allem Anfange an frei zwischen Ectoderm und Entodermmassiv vor. Je intensiver nun die Beengung des sich stetig verkleinernden Urmundrandes wird, um so frühzeitiger sind die Bedingungen zum Beschreiten jenes Ausweges gegeben, um so frühzeitiger entsteht — proiblastisch — das prostomale Mesoderm. 27* 418 ALFRED GREIL, Unter maximaler, allgemeiner Steigerung des Teilungswachstums, die an Primatenkeimen ihren Höhepunkt erreicht, kann es zu jenem profusen Abströmen des Zellenmaterials kommen, noch ehe an der Dorsalseite in geschlossenem Wachstum die Invagination eingesetzt hat. Das abundant hervorbrechende Zellenmaterial durchsetzt dann frühzeitig, rasch und schrankenlos die infolge der geringen Größe des Dottersackes so geräumige, als Rest der Furchungshöhle per- sistierende Keimblasenhöhle und gewinnt am ganzen Umfange, zum größten Vorteile der Ontogenese, Beziehungen zur Uteruswand, wobei dann die am günstigsten gelegenen Abschnitte die Oberhand gewinnen. Das prostomale Mesoderm kommt fast bei allen Wirbeltieren schon frühzeitig in die Lage, die Nahrungsreserven dem Embryo nutzbar zu machen. Es liefert zunächst Blutzellen und Gefäße, welche z. B. bei den oviparen Amnioten unter Bruttemperatur suk- zessive verflüssigtes, verdautes Roh- und Nährmaterial aufnehmen, in immer steigenden Maße dem Embryo zuführen. Die frühzeitige und rasche Proliferation dieses bei letzteren Formen vom Primitiv- streifen abströmenden, in seinem Teilungswachstum geradezu über- schäumenden Zellenmateriales ist auch bei den Amnioten in den Be- dingungen des Entstehens leicht zu überblicken. Nicht nur lokale Steigerung des Teilungswachstumes, welche durch lokale Prävalenz in der Eizelle hervorgerufen wird, sondern auch bereits eine kurze Kette epigenetisch sich ergebender innerer Entwicklungsbedingungen veranlassen die Entstehung dieser Zellenschichte in der Architektonik des jungen Keimes. Das prostomale Mesoderm ist geradezu ein Grad- messer für die Organisationshöhe des Muttertieres. Es tritt bei den Amnioten, insbesondere aber den Säugetieren und unter diesen wiederum bei den hochstehenden Formen in einer Intensität auf, welche die uralten primären Formation des Urdarmes weit in Schatten stellt. Meist schon zu Beginn der Gastrulationsperiode entstanden, breitet es sich so rasch aus, erinnert in dieser Hinsicht an die Urmesodermzellen Wirbelloser und verfällt schon so frühzeitig der differenzierenden Auslese und Anpassung, daß die Sonderung der Blutzellen und der Gefäßzellen sowie der Cölomwand schon in vollem Gange ist, während das phyletisch viel ältere paraxiale, zu beiden Seiten an der dorsalen Urdarmwand hervorsprossende Meso- derm weit zurückbleibt, obgleich dessen infolge der Wachstums- intensität und der überaus günstigen Ernährung solide Anlage und rasche Ausbreitung im Vergleich mit den Verhältnissen am Amphioxus bereits proiblastisch zu nennen ist. Das prostomale Mesoderm ist Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 419 früher am Platze und bereitet infolge dieses Vorsprunges dem paraxialen Mesoderm eine harte Konkurrenz. — Ähnlich verhalten sich übrigens bei vielen Wirbellosen die ebenfalls proiblastisch ent- stehende Urmesodermzellen gegenüber den älteren Mesodermforma- tionen, so daß sie manchmal den Platz allein behaupten — sofern sie überhaupt die zweite Mesodermformation sind. Bei den Vertebraten und speziell den Amnioten gelingt es dem prostomalen Mesoderm unter dem paraxialen Mesoderm centripetalwärts vorzudringen, auch Gefäße des Körpers, die Aorten, Cardinalvenen z. B. auszubilden, ehe noch die Segmente des paraxialen Mesoderm an der Nahtstelle (Ab- schnürungsstelle) in Proliferation getreten und die Angiosclerotome produziert haben. Die Bedingungen hierzu ergeben sich erst ein wenig später. Auch an die Cölomwand sowie an Bindegewebszellen leistet das prostomale Mesoderm einen namhaften Zuschuß insbesondere auch bei der Bildung der hinteren Extremitäten. Hinsichtlich der anderen Komponenten (z. B. Myotome) und Leistungen des paraxialen Mesoderms bleibt dessen Domäne jedoch unangetastet. Diese Er- scheinungen haben Hıs zur Parablasttheorie verleitet, welche, soweit die konkurrierenden Zellen vom Follikelepithel oder vom Dotter abgeleitet werden, HAECKEL in treffender Weise verurteilt hat. Die Tatsache, daß bei den Amnioten — leider war das, wie HAECKEL mit Recht bemerkt, „gefährliche und schwierige Objekt“, das Hühnchen, ohne ausreichende Vergleichsbasis untersucht worden — Zellen von der Peripherie in die dorsale Körperwand einwandern, bleibt be- stehen, es handelt sich aber um das von den beiden Seiten des Primitivstreifens, des zentralen Urdarmmassivs abstammende prosto- male Mesoderm, welche bei holoblastischen Anamniern noch in seiner Gesamtheit einen integrierenden Teil des Körpers bildet. Je mehr Dotter und andere Reserven aufgestapelt werden, je größer die Keim- blase wurde, um so größer wurden auch die in den Dienst des Embryos sich stellenden, später abortiven Teile des prostomalen Mesoderms und anderer Keimblätter, doch ist es durchaus verfehlt, das prostomale Mesoderm in Bausch und Bogen als extraembryonales Mesoderm zu bezeichnen. Wenngleich das prostomale Mesoderm bei den Amnioten schon frühzeitig extraembryonäre Cölomabschnitte liefert, die dem Embryo innerhalb beengender Eihüllen eine freie Entfaltung gewähren und sichern, so werden doch nicht unbedeutende Abschnitte des Cöloms des Embryos von prostomalem Mesoderm ge- liefert, welches dem paraxialen (gastralen) Mesoderm eine erhebliche Konkurrenz bereitet. 420 ALFRED GREIL, Während bei den Reptilien das zentrale Urdarmfeld, als ein- heitliche engumschriebene Primitivplatte proliferiert — das periphere Urdarmmassiv ist die Area opaca —, das prostomale Mesoderm in enggeschlossener sichelförmiger Anordnung streng radiär abströmt, zwischen Germinal- und Subgerminalschichte hinausflutet und das Urdarmsäckchen nur als ein kleiner Sektor diese Kreisfläche schließt, tritt bei den Vögeln und Säugetieren schon frühzeitig ein be- trächtliches Längenwachstum der korrespondierenden Abschnitte ein. Es entsteht der Primitivstreifen, dessen Enden nun durch be- sonders intensives Wachstum ausgezeichnet sind und gewissermaßen Emanationsherde darstellen. Das Mittelstück des Primitivstreifens liefert relativ weniger prostomales Mesoderm als das hintere Ende, welches eine Kreisfläche von kaum mehr als 180° ausbildet. So kommt es, daß die proiblastische Entstehung des prostomalen Meso- derms am hinteren Ende des Primitivstreifens bei Säugetieren und Vögeln schon ungemein frühzeitig einsetzt, dann erst von dem vorderen Abschnitte des als freiliegendes Urdarmfeld zu bezeichnen- den Primitivstreifens das überschäumende Zellenmaterialabschließt und die seitlichen Abschnitte des prostomalen Mesoderms sowie dessen flügelförmige, vorn die Area vasculosa schließenden, das mesoderm-. freie Feld begrenzenden Fortsätze bildet. Diese stammen somit nicht, wie angenommen wurde, vom hinteren Emanationsbezirke des prostomalen Mesoderms ab. Was den vom vorderen Ende des Primitivstreifens abgehenden Urdarmstrang oder Urdarmkanal von dein in gleicher Schicht hinausflutenden prostomalen Mesoderm unter- scheidet, ist zunächst nur die anhaltende, beengte, gedrungene, solide Art des Wachstums und wahrscheinlich auch eine schon auf das Eiwachstum zurückzuführende weitere Steigerung desselben, die auch im benachbarten Ectoderm in der Entstehung der Medullar- platte voll zum Ausdrucke kommt. Das prostomale Mesoderm ar- beitet sozusagen rascher, es gleicht einem Geschwindigkeitshebel, flutet rasch hinaus, überragt an Masse und Zellenzahl alsbald den Urdarmstrang und seine Derivate, die erst später ihre dominierende Stellung gewinnen. Das prostomale Mesoderm arbeitet hastig und ungeordnet. Unregelmäßig verteilte, vorgeschobene, ausgestreute Zellenansammlungen schaffen unter überaus günstigen Ernährungs- verhältnissen die Blutballen. Bei der Bildung des Cölomepithels bleiben viele Zellen unbenutzt liegen, die unter den gegebenen Um- ständen zunächst nichts anderes als Gefäße bauen können. In hartem Ringen muß das aus der Urdarmwand, also aus zweiter Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 491 Hand entstehende paraxiale Mesoderm, welches mit dem prostomalen in einer Schicht liegt, nicht scharf von ihm abgegrenzt werden kann, von ihm wie zwingenförmig eng umfaßt wird, sich seinen Platz er- kämpfen. Wenn nicht, wie z. B. bei Sauriern und Ophidiern, schon frühzeitige Auskrümmungen der axialen Formationen zu- standekommen, die der dorsalen Gastrulawand eine gewisse Wachs- tumsfreiheit gewähren, oder wie z. B. beim Kaninchen eine unge- hinderte Ausdehnung nach vorn möglich ist, so kommt es zwischen der zurückweichenden hinteren, teloblastischen, unsegmentierten Wachstumszone insbesondere des paraxialen Mesoderms und dem bereits vorhandenen, den Platz streitig machenden, in einer Ebene gelegenen prostomalen Mesoderm zu argen Kollisionen, die zu einer ‚Verdrängung und Umscheidung des prostomalen Mesoderms durch das paraxiale Mesoderm, zur Entstehung der sog. Urwirbelrinde und der „Urwirbelkerne“ führen — lange ehe noch die Angiosclerotome in Tätigkeit treten. So bereitet also die proiblastische Entstehung des sich rasch ausbreitenden prostomalen Mesoderms, die durch die frühzeitige Entfaltung der Intendanz dem Keim unermeßliche Vor- teile schafft, dem paraxialen Mesoderm, also phyletisch viel älteren Formationen, arge Hindernisse. Das Ringen der Keimblätter und ihrer Derivate wird schon frühzeitig sehr intensiv. Das geschlossene lang- same Vorgehen des paraxialen Mesoderms äußerst sich auch hierbei. Langsam entstehen die die Segmentierung und die Abgliederung der Seitenplatten bedingenden Faltenbildungen. Geschlossen wachsen die Myotomfortsätze aus, den Angiosclerotomen nnd dem Dermal- blatt eröffnet sich ebenfalls eine schrankenlose Wachstumsgelegen- heit, so daß der ganze junge Organismus diesen Zellenkomplexen dann freigegeben erscheint. Die frühzeitige Amnionbidung bei den Placen- taliern ist ebenfalls ein klassisches Beispiel der Proigenese, welches deren große Bedeutung für die Weiterentwicklung treffend illustriert. Wie bei allen anderen Metazoen, so hat das Eiwachstum auch bei den Placentaliern als unumgängliche Begleiterscheinung minutiöse, rein graduelle, die Wachstumsintensität derselben betreffenden Ver- schiedenheiten im Gefolge, die ausschließlich den Zelleib betreffen. Diese an sich minimalste Ungleichartigkeit kann bei den ersten Teilungsschritten vollkommen latent bleiben; die ersten Zellen sind gleichgroB, teilen sich auch annähernd zu gleicher Zeit. Sie werden durch die Zona pellucida zusammengehalten, sind sonst in ihrem Verbande wenig gesichert, Verschiebungen, eine tetraederförmige 422 ALFRED GREIL, Anordnung der vier ersten Zellen kommen häufig vor. Die Änderung äußerer Bedingungen hat allmählich Varianten des cellulären Struktur gestattet, die das Unterbleiben der an freischwärmenden Formen so überaus wichtigen Erscheinungen des Grenzsaumes (Hammar) be- dingten. — Manchmal zeigen aber schon die ersten Furchungszellen verschiedene Größe, Färbbarkeit und strukturelle, jedoch nur gra- duelle Unterschiede Eine erste, Konstant auftretende Reaktion auf die verschiedene Assimilations- und Teilungsfähigkeit sind Unterschiede in der Zellenzahl der aus den ersten Blastomeren hervorgehenden Abkömmlinge. Die einen Zellen teilen sich rascher, vermehren sich derart, daß sie die sich langsamer teilenden, schon deshalb größeren und auch helleren anderen Zellen umwachsen. Die Zellengruppen arbeiten wie Geschwindigkeits- und Lasthebel. Die zentralen Zellen bleiben immer mehr im Hintertreffen, die rascher sich teilenden meist kleineren und dunkleren Zellen um- schließen sie wie mit einem Mantel; beim Kaninchen u. a. ergeben sich Situationen, welche den Anschein erwecken, als ob zentrale und oberflächliche Zellen wie eine geschlossene Ringfalte konzentrisch sich zusammenschlieBen würden. Die Stelle, wo der Schluß erfolgt und die oberflächliche Zellenschicht komplet wird, ist z. B. beim Kaninchen, wie van BENEDEN gezeigt hat, manchmal durch eine kleine Einsenkung gekennzeichnet und wurde als Blastoporus be- zeichnet, denn der ganze Umwachsungsvorgang sieht doch einer epibolischen Gastrulation täuschend ähnlich. Wären in anderen Entwicklungsbedingungen nicht so durchgreifende Änderungen in unabsehbarer Generationenfolge im Laufe der Phylogenese ein- getreten, wäre das ganze Zellenleben noch so ursprünglich, im Kampfe ums Dasein gestählt, dem Aufenthalt im Wasser, dem Freileben an- gepaßt und vorteilhafter approvisioniert, wären die Zellen nicht so verwöhnt und als Abkémmlinge eines hochstehenden Somas so: anspruchsvoll, dann würde dieser Vorgang tatsächlich Ectoderm und Entoderm geschaffen, den Urmund zur Obliteration gebracht haben. Nicht die prospektive Bedeutung, nicht die Überladung mit Anlage- substanzen, sondern die Hilflosigkeit und Hinfälligkeit der mit wenig Dotter ausgestatteten, des Freilebens und der Bewegung (Cilien- bildung) unfähigen, auf beständige konzentrierte Nahrungsaufnahme bei konstanter Körpertemperatur eines Warmblüters und andere eünstige Lebensbedingungen angewiesenen Zellen haben es vereitelt, daß aus dieser Gruppierung eine Gastrula hervorgeht, die beiden Zellenkomplexe nicht zum Ectoderm und Entoderm werden und kein Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 493, Blastoporus fungiert. Der unermeßliche phyletische Werdegang hat jene neuen Situationen und Bedingungsänderungen geschaffen, unter denen uralte, simple, im Freileben voll verwendbare Zellen- sruppierungen eine ganz andere Verwendung des Materiales, eine immense Steigerung seiner Leistungsfähigkeit, seiner unicellulären Fähigkeiten erfahren haben. Auch die folgenden Vorgänge bringen nichts Neues. In dem soliden Zellenklumpen der Morula wird Flüssigkeit abgeschieden, auch hıerbei treten wiederum die umwachsenden, agileren Zellen zuerst in Aktion. Ob zuerst intracellulär in ihnen kleinste Tröpfchen wie der Schleim in Becherzellen entstehen, die dann nach innen auf dem Wege der Secretion ausgeschieden werden; ob dieser Prozeß. rascher und ergiebiger vonstatten geht, ob wenig oder viel osmotisch wirksame Substanzen abgeschieden werden, die so entstandene Keim- blasenhöhle langsamer oder rascher sich vergrößert — einerlei, der Prozeß spielt sich cellularphysiologisch als solcher nicht anders ab. als die Vergrößerung des Blastocöls oder des Lumens in einem ge- schlossenen Urdarme freischwärmender, noch mit Dotter approvisio- nierter Zellenstaaten oder die Entstehung des Cöloms in geschlossen angelegten Mesodermfalten. Der auch in dieser Hinsicht rück- ständige, überwachsene zentrale Zellenkomplex ist dadurch exzentrisck selagert, wandständig geworden. Wenn nun die Flüssigkeits- abscheidung rasch zunimmt, erheblichere osmotische Druckdifferenzen zum Ausgleich kommen, die Keimblase rasch wächst, wird dieser als Embryonalknoten bezeichnete Zellenkomplex ausgebreitet, abgeflacht, zur Calotte einer großen Kugel, während die ihn be- deckenden Zellen der oberflächlichen Schicht dem Untergang ver- fallen; alsbald erfolgt in Anpassung und Ausrichtung an beiderlei Oberflächen — in der Mehrzahl der Fälle — eine Sonderung des Zellenmateriales jener Calotte in zwei‘Schichten, eine alsbald in be- engten intensiven Wachstum hochcylindrisch werdende Germinal- schichte, welche die übrige Keimblasenwand ergänzt, und die tiefe, langsamer wachsende, frei endigende, die Furchungshöhle begrenzende Subgerminalschichte, das sog. Dotterentoderm. Damit sind nun die- selben Verhältnisse zustande gekommen, welche meroblastische Am- niotenkeime insofern darbieten, als die Germinalschicht frei an der Oberfläche, in ganz flacher Wölbung ausgebreitet liegt, die Wand- abschnitte der Gastrula in dieser Wölbung vorwachsen müssen, was. allenthalben zu Kollisionen führt. Die erste Reaktion beengten und gesteigerten Wachstums ist die Entstehung des Primitivstreifens, 424 ALFRED GREIL, des Urdarms und des prostomalen Mesoderms. Bei der Langen- entwicklung siegt die dominierende Dorsalseite in diesem Ringen, schafft sich bei der Längenzunahme Platz, indem sie einen Faltenwurf er- zeugt. Durch aktives Wachstum der auf diese Weise passiv ent- standenen Falten kommt dann die Taucherglocke des Amnions zu- stande, die dem Embryo terrestrischer Formen freie Entfaltung er- möglicht. Dies spielt sich indes, wie bei Sauropsiden, erst in späten Stadien ab, wenngleich wie z. B. beim Chamäleon dieser ausgleichende Faltenwurf ringförmig und schon vor der Gastrulation proiblastisch eintreten kann. Bleibt aber der Embryonalknoten erhalten, so tritt auch in ihm eine Flüssigkeitsabscheidung auf, unter ganz ähnlichen Bedingungen wie die Keimblasenhöhle, oder wie die Lichtung in einem soliden Urdarme, ‘oder Linsenknötchen, oder in einer soliden Allantoisknospe eintritt. — Uralte weitverbreitete Erscheinungen führen auch an diesem eng- geschlossenen Zellenkomplexe zur Umwandlung in ein Bläschen, womit dem weiteren Wachstum viel günstigere Bedingungen eröffnet werden. Inmitten einer großen Blase wandständig ein kleineres, von hohem einschichtigem Epithel begrenztes Bläschen — Nil novi. Ein ab- gesackter Urdarm inmitten einer Ectodermblase wäre vergleichs- weise an die Seite zu stellen. Absackung, vorübergehende Isolierung des Urdarmes mit nachfolgender Wiedervereinigung und Durch- bruch, solche Cenogenesen sind in der Reihe der Wirbellosen nicht selten. Auch diese Erscheinungen werden durch sich epigenetisch ergebende Bedingungen zwangsläufig beherrscht und haben nur ein cesteigertes Teilungswachstum wohlversorgter, nicht im Kampfe ums Dasein stehender Zellen zur Voraussetzung. An einer vollprovian- tierten, unter Umständen noch dazu in engen KEihüllen sich ent- wickelnden Blastula führt polare Einwucherung ebenso zur Bildung eines geschlossenen Urdarmes, wie an einer wohlversorgten Gastrula das Flächen-(Längen-)wachstum den Urmund konzentrisch oder exzentrisch verschließen kann — genau so, wie an anderen derartigen Falten- bildungen dem Wachstum erst nach Vereinigung und Trennung der Faltenblätter Schranken erstehen. Drängen sich nicht andere Zellen vor und lösen die beiden aufeinanderliegenden Epithelien, so hat deren dichte Aufeinanderpressung fast immer eine derartige Be- engung und meist auch eine Veränderung des Stoffwechsels zur Folge, daß eine Veränderung der Wachstumsrichtung eintritt. Wenn Epithel gegen Epithel stößt, so kommt es an der dem Stoffwechsel entzogenen Berührungsfläche zur Durchbrechung des epithelialen Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 495 Gefüges, zu einer Verkeilung der sich dann in allen möglichen Richtungen teilenden Zellen. Wenn die Spannung im Innern zu- nimmt, im Außen- und Innenblatt Zerrungen eintreten oder an der Verwachsungsstelle eine Ringkonstruktion entsteht, so erfolgt dann im Zentrum der Verwachsung ein sekundärer Durchbruch. — Es ‚braucht nur an Balanoglossus und Antedon erinnert zu werden. Die Wand der Proamnionhöhle der Mäuse bricht am Ectoplacentarkonus unter ähnlichen Bedingungen nach außen durch. Nur die Begleit- umstände, die sich weiterhin epigenetisch ergebenden Bedingungen, nicht aber etwa ein Konglomerat von Anlagesubstanzen und forma- tiven Stoffen, entscheiden über das, was aus dieser Situation wird. Wäre der Zellenkomplex jenes Placentalierkeimes freischwärmend unter ursprünglicheren Bedingungen im Wasser bei niedrigerer Temperatur, etwas mehr mit den allernötigsten Reserven versehen, alsbald würde die Innenblase nach außen sich öffnen, den unteren Pol bilden. Das dem Freileben nicht so sehr entwöhnte Zellenmaterial würde im Ectoderm und an dem so eröffneten Entoderm alsbald Cilien ausbilden; uralte unicelluläre Fähigkeiten kämen schon viel früher zur Anwendung und Steigerung, als es an dem verwöhnten, hilflos auf den Uterus angewiesenen Zellenkomplex erst viel später geschieht. Die differenzierende Auslese und Anpassung wird erst später beansprucht. — Leider können wir nicht das Erbe der Ver- gangenheit zu seiner ursprünglichen Selbständigkeit im Kampfe ums Dasein heranzüchten, die Zellen zu frühzeitiger selbständiger Arbeit anhalten, um zu zeigen, von welchen Bedingungen, die sich epigenetisch ergeben, es abhängt, was aus ihnen wird. Mit großer Spannung verfolgen wir das weitere Geschehen, welches sich im Uterus, bei glänzender Approvisionierung, fast möchte man sagen, bei solcher Verzärtelung, bei so gekünstelter Aufzucht am Zellenmaterial abspielt. Während die äußere Zellenschicht als Trophoblast in funktioneller Anpassung mit der Uteruswand, dem Nährboden in intimere Beziehungen tritt, für den jungen Zellen- staat die Rolle des Urdarmes übernimmt und auch die Höhlung im Embryonalknoten größer wird, verdünnt sich dessen wandständiger Abschnitt, während der dem Zentrum zugewendete Teil hoch und einschichtig bleibt. Schon frühzeitig hat sich an dieser Seite von dem noch ungeordneten Embryonalknoten eine Zellenschicht, die Sub- germinalschichte oder das Dotterentoderm der Autoren, abgespalten, indem sie in Begrenzung des Keimblasenlumens ein epitheliales Gefüge annahm. Auch letzteres gehört zu verbreiteten Erscheinungen, 196 ALFRED GREIL, die unter denselben Bedingungen immer und wo immer wiederkehren. Beim Schaf lassen sich zwar im Morulastadium intimere, genetische Beziehungen dieser Schicht zu der in der Keimblase gegenüberliegenden Wand nachweisen, und der Vergleich mit den Befunden beim Opossum stützt die Auffassung, daß diese Schicht, das sog. Dotterentoderm. der Grundschicht der Area opaca, des peripheren Entodermmassivs. der Sauropsiden zu homologisieren sei und die dünne Keimblasen- wand, die mit ihr nun die Keimblasenhöhle begrenzt, der Deckschicht der Area opaca. Auch bei den Vögeln wird der Spalt zwischen beiden Schichten erheblich ausgeweitet und dient dann dem prosto- malen Mesoderm und der Allantois zu weiterem Vordringen. Bei Lacertiliern hingegen bleiben die Beziehungen dieser beiden Schichten der Area opaca, die man bisher ganz irrigerweise als Ectoderm und Entoderm bezeichnet hat, stets gewahrt. Das prostomale Mesoderm und die Allantois müssen sich ihren Weg durch die aus der Grund- schicht der Area opaca hervorgehenden, den Dotter aufnehmenden Zellenmassen bauen. Beim Opossum ist bei hochgradiger Dotter- einschränkung nur mehr die sog. vegetative, der Area opaca der Sauropsiden entsprechende Hälfte der Keimblase zweischichtig ge- blieben, die obere Hälfte ist, so wie an der Keimblase das Amphi- oxus, bereits einschichtig geworden, obgleich damit nicht gesagt sein soll, daß sie ihr völlig homolog sei. Die Einschränkung des Ei- wachstums hat wieder uralte Zustände hergestellt, die bei einzelnen Placentaliern durch den intramuralen Flüssigkeitserguß in das peri- phere Entodermfeld die alte Eigenart eingebüßt haben, verändert erscheinen. So steht also in solchen Fällen das Dotterentoderm phylogenetisch und ontogenetisch nur in losen Beziehungen zum Embrvonalknoten, der, seinen weiteren Leistungen nach, der Area pellucida der Sauropsiden entspricht. Doch trifft dies sicherlich hin- sichtlich der Subgerminalschichte für die meisten Säuger, bei denen der dünne, der Area opaca entsprechende Teil der Keimblasenwand einschichtig bleibt, nicht zu. Die Dottereinschränkung hat in dieser Hinsicht einen eingreifenden Bedingungswechsel mit sich gebracht, der beim Opossum eine gewisse Eigenart zeigt. Wie nun die noch flach ausgebreitete Germinalschichte der Sauropsidenkeime und jene der sroßen Keimblase des Kaninchens, des Hundes, des Schweines usf., so zeigt auch die Bodenschicht des blasenförmigen Embryonalknotens jene Verdickung, die durch beengtes, die Fläche voll ausnützendes Wachstum des wie ein Lasthebel, langsam und wuchtig arbeitendsn Zellenkomplexes zustandekommtund densog.Embryonalschild bildet. Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 497 ed Eine Verlängerung des Schildes in Birnform bietet auch bei Keimen mit Proigenese des Amnions ein weiteres Symptom, eine zweite Entlastung des beengten Wachstums. Dadurch wird das zentrale Feld in einen Streifen ausgezogen. Schon während dieses Vorganges stellt sich jene charakteristische Reaktion auf das einseitige Präva- lenzen schaffende Eiwachstum ein. Andauerndes, zähes Teilungs- wachstum des zentralen Feldes, beengt und abhängig von der Ge- samtplatte, durchbricht die Schranken des Epithels und bildet so den Primitivstreif, das zentrale Urdarmfeld. Welcher Art die Beziehungen desselben zum Embryo auch sein mögen, der von C. E. v. BAER eingeführte Ausdruck ist auch heute noch der treffendste. So wie an der Amphioxusblastula die Entstehung der vegetativen Platte eine fundamentale Phase der Entwicklung einleitet, so be- deutet die Entstehung des Primitivstreifens gleich der polaren Ein- wanderung an den Planula von Aequorea den Eintritt einer der wichtigsten Phasen der Embryonalentwicklung, der Gastrulation. Damit sind dem lokal entlasteten Wachstum unter der prolife- rierenden Schicht nach allen Radien freie Bahnen eröffnet. Schranken- los flutet das Zellenmaterial hinaus. In der Art und Weise, wie dies geschieht, äußert sich nun die letzte und intimste Reaktion auf das Eiwachstum, bzw. auf die durch dasselbe geschaffenen Präva- lenzen zum Teilungswachstum der Zellen. Immer engere Kreise zieht das prävalierende Wachstum. Wie bereits oben erwähnt, hat die Verlängerung der Primitivplatte zum Primitivstreifen zwei Endgebiete geschaffen, die sich hinsichtlich des von ihnen ab- strömenden Materiales verschieden verhalten. Vom hinteren Ende flutet das Material rasch in lockerer Anordnung hinaus und wird dadurch zu prostomalem Mesoderm. Am vorderen Ende herrscht intensiveres, gedrängtes, geschlossenes Wachstum, das vordere Ende arbeitet gewissermaßen wie ein Lasthebel langsam und andauernd, der hintere und dann auch in derselben Weise der durch die Verlängerung etwas entlastete mittlere Abschnitt wie ein Ge- schwindigkeitshebel, rasch und flüchtig. Der Unterschied zeigt sich auch in dem vorn nachbarlichen Areal der proliferierenden Keim- schicht, welches sich in beengten, die Schranken des Epithels aber nicht durchbrechenden Wachstume verdickt und die Medullarplatte (Neuralplatte) bildet. In geschlossener Anordnung, dicht gedrängt, wächst das unmittelbar angrenzende, die dorsale Urdarmwand bildende vorderste Ende des Primitivstreifens vor, gleichviel, ob als geôffneter oder sich alsbald öffnender Kanal oder als solider Urdarm- 428 ALFRED GREIL, strang. In diesem winzigen Zellenkomplexe herrschen nun dieselben Verhältnisse vor wie am Urdarme der Amphioxusgastrula. Die Funktionslosigkeit des Urdarmes hat diese Variante der Diminution und der soliden Entstehung des Urdarmstranges gestattet. Ubrigens ist, absolut genommen, kein wesentlicher Unterschied in den Größen- dimensionen zu konstatieren, die relative Einschränkung betrifft die entodermale Komponente der Urdarmwand, welche ebenfalls dem Primitivstreifen entstammt. Der ganze Urdarmstrang oder Kanal erscheint nur wegen der so mächtigen Entfaltung der übrigen, ecto- dermalen und entodermalen Teile einer Amphioxusgastrula ent- sprechenden Abschnitte der Keimblase so unansehnlich. In der dor- salen Urdarmwand herrscht aber dasselbe beengte Wachstum wie an der Amphioxusgastrula. Es kommt auch dieselbe Entlastung zustande, es entstehen Längsfalten, gleichviel, ob solid oder offen. Das immens gesteigerte, profuse Wachstum bedingt so intensive Zellenvermehrung,. daß die Schranken des Epithels durchbrochen werden; nach beiden Seiten drängt das paraxiale Mesoderm hinaus, welches nun mit dem prostomalen Mesoderm, in seiner Ausbreitung behindert, in scharfe Konkurrenz zu treten hat. Bei Amphioxus ist es noch der Herr der Situation. Die allgemeine und spezielle Steigerung des Teilungs- wachstums, die treffliche Approvisionierung hat das profuse, über- schäumende Wachstum der übrigen Urmundabschnitte ermöglicht, die, wenigstens z. T. proiblastisch, jenes mächtige prostomale Mesoderm liefern, welches erst durch die Art seines Wachstums zu diesem Keimblatte wird. So bildet also — genau wie an der Amphioxusgastrula — die besondere Prävalenz des zur dorsalen Gastrulawand werdenden Sektors die letzte, intimste, anhaltendste und folgenschwerste Reaktion auf das Eiwachstum. Damit ist sozusagen der engste Kreis des einseitig prävalierenden Dauerwachstums gezogen. Lange bleibt diese subtile Prävalenz latent. Es entsteht eine Gastrula, die grobe Re- aktion — der Primitivstreifen. Erst in der Art des Wachstums, in der gesteigerten, beengten, geschlossenen Proliferation des nach vorn vom Primitivstreifen abströmenden Materials und des darüber ge- legenen Ectodermabschnittes kommt dann jene intime Reaktion zur Geltung, der die Chordonier ihre Existenz verdanken. Damit ist ein Ringen auf mehreren Seiten eröfinet, dessen nächste Etappen die z. T. von der Mesodermvermehrung unterstützte Auffaltung der Medullarwülste, die Ausbreitung und Gestaltung des Mesoderms, die Abfaltung der Chorda sind. Alles dies geschieht an gleichartigem, Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 499 zu minimal abgestuftem Teilungswachstum befähigtem Material. Wie sich dieses Ringen gestaltet, hängt von der beengenden Nachbarschaft, vom Grade der Wachstumsdifferenz und anderen, im Zellenstaate, in der Gesamtarchitektonik sich bietenden Entscheidungen ab. Nicht die frühzeitige Aktivierung von Anlagesubstanzen und organbildenden Qualitäten, sondern der durch die allgemeine Steigerung des Teilungs- wachstums und der durch das Eiwachstum als Begleiterscheinungen geschaffenen Prävalenzen, die Verfeinerung bedingte, größere Aus- schlag der Prävalenzen und der raschere Ablauf der Reaktionen auf dieselben ist das für die Proigenesis charakteristische Moment. Alle die geschilderten Erscheinungen und die weitere Entwick- lung der Keimblätter zum Embryo spielen sich am Boden jener im Embryonalknoten entstandenen Höhlung ab, die somit zur bleiben- den Amnionhöhle wird. Die großen Vorteile, welche diese frühzeitige Entstehung einer Taucherglocke für die Entwicklung bietet, liegen auf der Hand. Terrestrische Formen gewähren so den zum Embryo werdenden Abschnitten des Keimes schon frühzeitig jene — wenn auch noch immer beschränkte — Freiheit der Ent- faltung, die innerhalb weiter und nachgiebiger Hüllen sich ent- wickelnde Anamnier in vollem Maße genießen. In dieser Hinsicht wären vor allem die Verhältnisse, die bei der viviparen Salamandra atra bestehen, zum Vergleiche heranzuziehen. — Die beträchtliche, rückenkonkave Krümmung, die bei Nagern, Affen und vorübergehend auch an menschlichen Keimen besteht, weist darauf hin, daß sich die prävalierende Dorsalseite, die axialen Gebilde bei ihrer Längen- entwicklung trotz alledem die Freiheit des Wachstums erst erringen müssen. Der eminente Vorteil, den die frühzeitige Amnionbildung schafft, liegt vielmehr darin, daß dadurch ein Terrain der Uterus- wand, welches bei anderen Placentaliern dem sich entwickelnden Embryo und den erst allmählich bei beengtem Längenwachstum ent- stehenden Faltenbildungen (Amnion) anliegt, nunmehr der Serosa, dem Trophoblast schon von den jüngsten Stadien an freisteht, und gerade dieser, in unmittelbarer Nachbarschaft des Keimlings insb. der Ursprungsstätte des prostomalen Mesoderms gelegene Ab- schnitt erscheint dadurch ganz besonders prädestiniert, die innigste Verbindung mit der ernährenden Uteruswand herzustellen, wobei das hier so mächtige prostomale Mesoderm in jeder Hinsicht eine leitende Rolle spielt. Im Bereiche der hinteren Emanationsstelle des prostomalen Mesoderms, rings um den sog. Bauchstiel, liegt die Wurzel der Placenta. So erscheint es denn begreiflich, daß diejenigen 430 ALFRED GREIL, Formen, bei denen die proiblastische Amnionbildung gelingt und nicht durch eine frühzeitige Ausdehnung der Keimblase wieder ver- eitelt wird (unter Ausbreitung und Abflachung des Embryonalknotens), bei denen ferner das prostomale Mesoderm so frühzeitig und mächtig: entsteht, sich so frei und ungehindert zwischen dem winzigen Dotter- sacke und der Trophoblastschale ausbreiten kann, gerade die höchst- stehenden, die höchstgezüchteten sind. Die Affen und der Mensch zeigen. diese Erscheinung in typischer Weise, sie hat nebst anderen, durch sie geförderten oder unabhängig von ihr erstandenen Be- dingungen wesentlich zu einer so weitgehenden Ausnützung der intrauterinen Ernährung beigetragen. Pteropus und Cavia zeigen hinsichtlich der proiblastischen Amnionbildung ähnliche Verhältnisse, und die lange Reihe der Placentalier bietet alle möglichen Zwischen- stufen regressiver Vorgänge dar und legt Zeugnis ab von der Labilität dieser Situation, die in erster Linie von der Menge und den osmo- tischen Druckverhältnissen der abgeschiedenen Flüssigkeit abhängt sowie vom Verhalten der Uteruswand. Richtungslos, in planlosem, spontanem Bauen, durchaus epigenetisch, unter dem Zwange allmählich sich stabilisierender, günstiger Bedingungen, bei vorteilhafter Kon- stellation und Sukzession derselben wurde die proiblastische Amnion- bildung auf verschiedenen Wegen erworben. Wird sie beständig, dann ist mit wenig Zellen schon im groben Geäste des Zellenstammbaumes eine Sonderung vollzogen und ein Werk angelegt, welches bei späterer Amnionbildung von Hunderten von Zellen langsam geliefert wird. Deshalb dürfte es sich empfehlen, den Embryonalknoten als Embryoamnioblastem zu bezeichnen. Es entspricht dem inner- halb der Firste der Amnionfalte eines Sauropsiden gelegenen Teiles der Germinalschicht. Ob die frühzeitige Amnionbildung gelingt oder nicht, es bildet stets den Embryo und das Amnion — bei Nagern sogar noch mehr, nämlich den Ectoplacentarkonus. So sagt also der Ausdruck Embryonalknoten zu wenig und schafft falsche Vorstellungen; mit dem Ausdrucke Embryoamnioblastem soll indes durchaus keine besondere, durch irgendwelche Spezifika und mystische Qualitäten bedingte Sonderung oder spezifische, qualitative Deter- mination gemeint sein. Ist dieser Zellenkomplex aber einmal ge- sondert, dann ist ihm unter erfahrungsgemäß zu erwartenden Be- dingungen der Weg zu anderen Leistungen wie abgeschnitten, der Zellenstammbaum hat sich in definitiver Weise verästelt. | So erscheint uns denn der Blastoporus van BENEDEN’s nun tat- sächlich als ein Amnioporus; es handelt sich um die Verschluß- Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems 431 und die Abschnürungsstelle des Embryoamnioblastems, wobei die Art und Weise, wie sich dies vollzieht, ganz und gar an die Obliteration eines Urmundes erinnert. Daß nicht ein Urmundnabel, sondern ein Amnionnabel zustandekommt, ist lediglich die Folge von begleitenden Bedingungen insb. der Art und Weise, wie der Zellenkomplex unter- gebracht, ernährt und verwöhnt wird. Daß also die im Embryo- amnioblastem entstehende Höhle zur Amnion- und nicht zur Urdarm- höhle wird, ist vornehmlich, namentlich in phyletischer Hinsicht, dem Zwange äußerer Bedingungen zuzuschreiben. So wie bei den Echiniden und Enteropneusten der Grund des Urdarmes in der Architektonik des Ganzen zu besonderen Leistungen befähigt ist, Cölomblasen und das Wassergefäßsystem bildet, wie der dorsale Urdarmabschnitt bei Cranioten unter anderen Bedingungen ein intensives Wachstum nach vorn zeigt und mit dem Ectoderm den unsegmentierten vorderen Kopfabschnitt liefert, so zeigt auch der Grund, die Bodenschicht der Amnionhöhle eine ganz besonders ge- steigerte Wachstumsintensität. Langsam und träge, aber andauernd und ausgiebig, wie ein Lasthebel arbeitend, tritt das Embryonal- schild hervor, ein winziges Gebiet in der großen Keimblase, und in diesem Gebiete ist wiederum ein winzigstes Areal unter be- sonderen Bedingungen dazu befähigt, durch intensivstes Wachstum die Hegemonie über das Ganze an sich zu reißen und dieses aus- zubeuten, einen Embryo zu liefern. Wer weiß, was geschehen würde, wenn selbst noch während des Auftretens des Embryonalschildes und des Primitivstreifens der Keim dem Freileben überantwortet werden könnte und dieser noch anpassungsfähig genug an längst überholte primitive Lebensbedingungen wäre, wenn die noch nicht festgesetzte Blase sich mit Cilien bedecken, der Amnioporus sich wieder öffnen, die Amnionhöhle wieder als Urdarm fungieren, sich ausdehnen und durch rasches Wachstum des Urdarmes jene Präva- lenzen der Bodenschichte seines Fundus in ganz anderer Weise zum Ausgleich kämen, der Primitivstreifen vielleicht zu einer Mesenchym- produktionsstätte, wie bei Asteriden und Crinoiden, würde? Es brauchte wahrhaftig nur ein wenig Anpassungsvermögen, ein wenig Stählung im Kampfe ums Dasein und Freizügigkeit, um unter dem Zwange anderer äußerer Bedingungen aus dem an treffliche Er- . nährung und glänzende Existenzbedingungen gewöhnten Säugerkeime uralte primitive Formen zu machen und van BENEDEN’s Blastoporus wieder volle Geltung zu verschaffen. Wir haben keine Münchhausniade erzählt — was sich bei einem solchen historischen Experimente voll- Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Zool. u. Physiol. 28 432 ALFRED GREIL, ziehen würde, unterscheidet sich nur graduell von jenem, auf Helgoland von Hergst gefundenen ÆEchinus miliaris, der statt zum Pluteus zu werden, eine uralte Gastrulaform mit äquatorialem Wimperkranze bei ganz anderer Verwendung des Zellenmaterials wiederholt und als solche weitergelebt hat. Man hat diese minutiöse Schwächung des allgemeinen Wachstums, die an gewissen Labilitätslagen versagt und das Einfachere wählt, als Mißbildung bezeichnet, was wohl nur vom klassifizierenden Standpunkte zu rechtfertigen ist. Der Unter- schied im Vergleich mit dem unter normalen Bedingungen sich Voll- ziehenden mag gro und in die Augen springend sein; wer aber den Einfluß äußerer und innerer Bedingungen auf die Entwicklung und die Verwendung des Zellenmaterials sowie die Wucht der Epi- genesis richtig einschätzt, die lawinenartig sich vergrößernden Folgen minimaler Bedingungsänderungen sich stets vergegenwärtigt, sich die Beobachtungen und Erfahrungen der vergleichenden Anatomen, der Zoologen, Botaniker, der Züchter und Gärtner zunutze macht, die unzähligen Versuche, weiche die Natur bei ungestörtem Geschehen und künstlich gezwungen präsentiert, beachtet, wird die Möglichkeit, daß auch ein Säugerkeim, wenn seine Einzelzellen unter primitiveren, uralten Bedingungen existenz- und anpassungsfähig wären, ganz etwas anderes leisten, seine Wachstumsdifferenzen in ganz anderer Weise austragen könnte, nicht leugnen können. Es ist aber für die gesamte Chordonierreihe charakteristisch, daß die durch das Ei- wachstum geschaffenen, einseitigen Prävalenzen zu gesteigertem Teilungswachstum der Abkömmlinge eines Teiles des Zelleibes stets unter solchen Bedingungen zur Entfaltung und zum Ausgleich kommen, daß jene Längsfalten eines Gastrulasektors erstehen, die den Chordoniertypus, diese eigenartige Hegemonie der Dorsalseite, begründen. Die züchtende Auslese hat diesen einzigen Weg zur Erreichung höherer Organisation freigehalten. Ob relativ frühzeitig: oder spät und überholt von proiblastischem prostomalem Mesoderm, ob an der kleinen Amphioxusgastrula oder am meroblastischen Anamnier- und Amniotenkeim oder aber am freiliegenden Embryonal- schilde oder im Grunde der proiblastisch entstandenen Amnionhöhle der Primaten, — stets hat der Zwang uralter, sich als einfache Begleiterscheinungen des Eiwachstums, beständig und unumgänglich, spontan ergebender Prävalenzen und Dispositionen zu gesteigertem Wachstum unter bestimmten Neben- und Außenbedingungen zur Folge, daß die Reaktionen im wesentlichen in derselben Weise die Chordonierorganisation begründen. Auch die Proigenese bedeutet \ Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 433 nur eine Beschleunigung dieser Reaktionen, indem sie das auf ver- schiedenen Seiten losbrechende Ringen der Zellengruppen kompliziert und in anderer Weise kombiniert. — So wirken also die Vorteile, welche die Proigenesis bietet, auf die Geschlechtszellen des durch sie in der Entwicklung so sehr geförderten Somas und sichern die Wiederholung dieser Erwerbe und Errungenschaften. “Die Proigenesis soll ja nicht von teleologischen Gesichtspunkten aus beurteilt werden, sie stellt sich ebenso spontan und blindlings als eine Reaktion auf Prävalenzen im Eiwachstum und epigenetisch sich ergebenden Förderungen und Bedingungen ein wie die Ent- wicklung der übrigen Formationen, welche z. T. auf diese. Weise überholt werden. Die Proigenese bedeutet lediglich ein durch die Gunst der Verhältnisse, die Konstellation äußerer und innerer, allge- meiner Entwicklungsbedingungen ermöglichtes, frühzeitiges Eintreten von speziellen Sonderungen und Reaktionen, welche im einfachsten Falle bereits durch eine lokal intensivere Assimilation, durch eine Erhöhung des Teilungstempos oder durch intensiver wirksame Be- engung prävalenter Abschnitte gefördert wird. Es bestehen somit ursächlich lediglich graduelle Unterschiede, vornehmlich in der Schnelligkeit der Entwicklung, in der Folge der sich epigenetisch ergebenden Bedingungskette des Geschehens. Es handelt sich nicht etwa um die frühzeitigere Abspaltung und Aktivierung von Anlage- substanzen einer mystischen Erbmasse, eines fiktiven Erbgutes, sondern alle Befähigung der Keimzelle besteht in einem bescheidenen, unicellulären Rahmen. Alle Erscheinungen sind formal-analytisch auf diese Note zu bringen; es ist zu verfolgen, wie sich das Ringen der Zellen und Zellenkomplexe von allem Anfange an intensiver ge- staltet und sich schon frühzeitig unter bestimmten Außenbedingungen auf mehreren Linien verzweigt. Wie immer sind bei der formalen Analyse dieser Erscheinungen nicht einzelne Stadien und Etappen des Ringens willkürlich herauszugreifen; dasselbe ist in seiner ganzen Kontinuität und Wucht von den richtunggebenden Ausgangssituationen aus zu verfolgen — namentlich, da es in so beschleunigtem Tempo erfolgt, — wenn die Bedingungen der Entstehung der Formationen und Organe in ihren Wurzeln erkannt werden sollen. Die Proigenesis ist eine Begleit- und Folgeerscheinung der be- sonderen Steigerung unicellulärer Fähigkeiten der Keimzellen und der günstigeren äußeren Entwicklungsbedingungen, — insbesondere aber der Veranlagung zu gesteigert ungleichem Wachstum, sie ist eine lediglich durch den Vergleich ermittelte Erscheinung von klassi- | 28% 434 ALFRED GREIL, fikatorischer Bedeutung. Die Embryonalentwicklung arbeitet zwar mit denselben Mitteln, die sie aber viel intensiver, rascher und er- giebiger ausbeutet als die freie Entwicklung, welche sich sozusagen in voller Verantwortung, in stetem schwerem Kampfe ums Dasein vollzieht. Der treffliche, andauernde und gleichmäßig versorgte Keim, der seine Reserven in immer steigerndem Maße beanspruchen kann, entwickelt und entfaltet — sofern ihm dieselben nicht hinderlich sind — viel behender und universeller seine cellulären Fähigkeiten. Das überschäumende, stürmische, manchmal geradezu personifizierbare Wachstum kennt keine Schranken, es überwindet spielend alle Hindernisse. Schon im groben Geäste des Zellenstammbaumes be- sinnt das Ringen, es treten Wachstumsdifferenzen auf, die viel größere Ausschläge ergeben, in ihren Wirkungen viel anhaltender und folgenschwerer sind als die erst in späteren Stadien an einzelnen Komplexen stattfindenden derartigen Erscheinungen. So kommen schon frühzeitig Sonderungen und Formationen zustande, die im Freileben entweder gar nicht oder mit großen Schwierigkeiten zu erringen sind. Wir dürfen nie vergessen, daß die Hegemonie der Derivate des D-Quadranten der Anneliden und Mollusken oder jener der dorsalen Gastrulawand der Chordonier sowie der gewaltige Erwerb der Craniogenese das Werk der Embryonalentwicklung sind, dessen gegenwärtige Vollendung in der Phylogenese proiblastisch gefördert wurde. Die für die phyletische Progression ungemein vorteilhaften und bedeutsamen Erscheinungen der Proigenese sind die hochgezüchteten Extreme zeitlicher Verschiebungen, die unter dem beständigen Wechsel der Bedingungskonstellation und -sukzession zustande kommen. Ihr Erwerb wird durch den Vergleich der Ent- wicklungsgrade der Organe aufgedeckt, welcher von OPPEL und KrıBeL zur Ermittlung „die Bindungen der einzelnen Organ- anlagen“ und zur Lösung der „Frage von der Korrelation in der Entwicklung der Wirbeltiere angestrebt“ wurde. Dies wird jedoch erst gelingen, wenn die Bedingungen, unter denen die Organisation zustande kommt, wenn das epigenetische Prinzip der Entwicklung erkannt ist. — Der ausgebildete Organismus mag hinsichtlich der Beziehungen seiner einzelnen Organe mit dem Getriebe einer Ma- schine verglichen werden, wobei stets das physiologische Moment des Zusammenarbeitens im Vordergrunde steht. Die Entwicklung aber sollte mit einem so starren, vollendeten, geschlossenen, nur in engen Grenzen variierbaren Systeme nicht verglichen werden, sie Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 435 gleicht, wie wir oben ausgeführt haben, der allmählichen und zwar epigenetischen Entstehung eines großen Fabriketablissements, in dem weitestgehendste Arbeitsteilung und reiche, vielseitige Produktion herrschen. Strengste gegenseitige Abhängigkeit in der Entstehung aller Formationen ist das Charakteristikum der Entwicklung; mag auch die bereits entstandene Formation in ihrer weiteren Ausbildung zum Organ ein paar kleine Schritte in einer gewissen, doch stets be- schränkten Unabhängigkeit tun, die den Eindruck der Selbstdifferen- zierung erwecken, alsbald wird die Abhängiekeit wieder in engere Schranken treten, wenn auch nicht in so auffälligem Maße wie bei der ersten Entstehung aller Formationen. Die Verfolgung des Ringens, der Vergleich mit dem Ringkampfe tritt bei der form- bildenden Austragung der Wachstumsdifferenzen doch markant genug hervor. Die epigenetische Fortsetzung des Ringens, die Nachspiele, welche sich aus jenen fundamentalen, in der Polarität und Bilateralität des Eibaues bedingten Differenzen ergeben, lehren deutlich genug das Abhangigkeitsverhaltnis, welches bei der differenzierenden Aus- lese und Anpassung ganz besonders in Erscheinung tritt. Es entspricht daher nicht den Prinzipien der Epigenese, wenn behauptet wird, daß die Entwicklung „aus einer Reihe neben- einander ablaufender Prozesse "besteht, die durch phylogenetische Beziehungen geregelt sind“, wenn die „Austeilung der organbildenden Bezirke“ als ein selbständiger Vorgang aufgefaßt wird. Die „Re- gelung durch phylogenetische Beziehungen“ muß näher analysiert ‘ werden, wenn der Schwerpunkt auf dieses zurückliesende Gebiet verlegt wird. Die Art und Weise, wie die Organe von den rezenten Formen erworben werden, gibt, wenn das Problem an seiner Wurzel erfaßt und vom Wachstum der Eizellen ausgegangen wird, bereits erschöpfende Anhaltspunkte, um die „Regelung durch phylogenetische Beziehungen“ zu definieren. Die Art des Eiwachstums, die im polar bilateralen Kibau begründete Veranlagung zu Wachstumsdifferenzen und der bei höheren Formen vom Muttertiere bestimmten äußeren Entwicklungsbedingungen, die celluläre Konstitution, der Chemismus der Geschlechtszellen, in welchem sich jener des ganzen Somas, dem sie entstammen, widerspiegelt, alle diese im Ringen entscheidenden Momente repräsentieren die phyletischen Beziehungen, das Erbe der Vergangenheit, welches die Entwicklung in ganz bestimmte Bahnen lenkt, den Erwerb während der Entwicklung vorschreibt. Dabei ergibt sich allerdings nichts, was als Bindung zwischen vorgebildeten „Organanlagen“ oder als „Fernwirkung“ zwischen solchen erscheinen 436 ALFRED GREIL, könnte. Die Wechselbeziehungen im Ringen sind die wichtigsten „Bindungen“. Der epigenetische Erwerb beruht von allem An- fange — von jener richtunggebenden Ausgangssituation im Ringen an auf strengster gegenseitiger Abhängigkeit der zu verschiedenem Wachstum befähigten Kontrahenten, deren Ringen sich bei be- ständiger Vermehrung — nur darin hinkt der Vergleich — auf viele sich verzweigende Linien fortpflanzt, so dab immer mehr Zellen- komplexe zugleich und auch gegenseitig abhängig miteinander ringen. Gerade diese letzteren Beziehungen sind es, die in der Embryonal- entwicklung, bei mangelnder organfunktioneller Beanspruchung der Zellenkomplexe, allmählich etwas gelockert werden, so daß in morpho- genetischer Hinsicht die einmal entstandenen Formationen eine ge- wisse, aber durchaus nicht uneingeschränkte Selbständigkeit erlangen. Starre Außenschranken umfassen sozusagen das varlierbare Ge- plänkel der einzelnen Zellenkomplexe und Formationen. Die formale Analyse ermittelt also die Entstehung der Einzel- und der Gesamtbindungen zwischen den sich verzweigenden, im Wachstum ringenden Zellenkomplexen, die in ungleichem Wachstum die Formbildung immer mehr spezialisieren. Es bestehen Bindungen in den Beziehungen und den Bedingungen, es bestehen Korrelationen der Bedingungen, des Wachstums und der Differenzierungen; es ist der Erwerb des Bedingungskomplexes der Entwicklung festzustellen, wobei diese Korrelationen offenkundig werden. Von „Organanlagen“ sollte in diesem Belange nur cum grano salis gesprochen werden; es ist die Konstellation der Bedingungen des Zustandekommens solcher Effekte zu prüfen und bei den verschiedenen Formen in ihrem zeitlichen Eintreffen zu vergleichen. Blindlings, spontan als der Effekt der sich sukzessive, manchmal geradezu gelegentlich (um nicht zu sagen zufällig) einstellenden Sukzession der Bedingungs- kette, als Reaktion auf solche Bedingungen, in Anpassung an un- günstige Umstände und unter Ausnützung günstiger Gelegenheiten schreitet das Wachstum auf allen Linien des Ringens unaufhaltsam vorwärts und schafft die Anlagen der Organe. Was so zustande kommt, sind noch indifferente Formationen, die zu allem möglichen fähig wären und über deren Schicksal erst die Epigenesis ent- scheidet. Der Epigenetiker bringt der übersichtlicheren Darstellung und raschen Orientierung in der Schilderung der Befunde ein schweres Opfer, wenn er die in so strenger Abhängigkeit entstan- denen Formationen bereits in einer der erfahrungsgemäßen späteren Verwendbarkeit und Organfunktion Rechnung tragenden Weise be- Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 437 zeichnet, der Epigenesis vorgreift, den Anschein einer Determination erweckt. Was würde z. B. aus einer kleinen Leberbucht werden, wenn der Blutstrom abgeleitet und die in Anpassung an die prächtige Ernährung hervorgesproßten Knospen sozusagen im Trocknen liegen würden? Sicherlich keine Leber. Die Anlage repräsentiert also nur einen Komplex von Vorbedingungen zum Erwerbe In den Er- mittlungen der Bedingungen solcher Art liegt der Schlüssel zum Verständnis der Korrelationen, deren Analyse der Deskription erst die wissenschaftliche Dignität verleiht, die Vollendung der formalen Analyse bedeutet. Wenn nun z.B. „Auge, Ohr und Nase“ sich in ihrem Ent- wicklungsgrad zu bestimmter Entwicklungszeit untereinander nahe- stehen und eine „besondere zeitliche Konstanz zeigen“, so ist dies a priori noch kein Beweis für ihre gegenseitige Korrelation. Erst müssen die Bedingungen für die Entstehung dieser Formationen er- kannt werden, die auf gesteigertes und beengtes Wachstum, auf günstige Situationen und Gelegenheiten in einer gewissen Etappe der Craniogenese zurückzuführen sind, und dann ergibt sich erst der Kausalkonnex, die Gemeinschaft in der zeitlichen Erreichung der Reaktionsschwelle von Wachstumsdifferenzen, welche bei diesen drei Formationen die Einbuchtungen der Epithelblätter, die Grüb- chenbildung an der freien Seite auslösen. Sobald dieser kritische Moment überwunden ist, bringt die Fortsetzung des Wachstums, des Ringens auf den neu eröffneten Bahnen in strenger Abhängigkeit jene Formationen zuwege. . Was z. B. die Entstehung der Riechplatte oder, richtiger gesagt, der unter den sich weiterhin epigenetisch ergebenden Be- dingungen zum Riechepithel werdenden Ectodermplacode am Vorder- kopfe anlangt, so ist mit dem bloßen Hinweis auf das zeitliche Zusammentreffen mit der „Bildung des Auges“ noch nichts erklärt. Es wäre darauf hinzuweisen, daß durch das Vortreten der Augen- blasen, d. h. mit dem Beschreiten eines seitlichen Ausweges von seiten der vorn im weiteren Wachstum beengten Hirnplatte und bei der unter weiterer Ausnützung dieser Gelegenheit zur Abschnürung führenden Augenblasenbildung zwischen diesen Ausladungen und dem Vorderhirnbläschen eine tiefe Furche, manchmal ein freier Raum entsteht. Über diesen schlägt sich das Ectoderm hinüber. Wenige freie neurogene Mesodermzellen sammeln sich, von oben her kommend, als äußerste Glieder einer sich vorwälzenden Phalanx in diesem Zwischenraume an. Das allenthalben auf Gelegenheit zum Hervor- 438 _ ALFRED GREIL, brechen lauernde Wachstum benützt sofort diese Situation, die im epigenetischen Werdegang entstanden ist, was zunächst zu einer zirkumskripten Verdickung bei äußerster Oberflächenausnützung führt. Die basale Oberfläche wölbt sich dann halbkugelig in jenen Raum, die gegebene Konvexität vergrößernd, vor und füllt diesen mit den freien Mesodermzellen alsbald aus. Damit ist ein kritischer Punkt im epigenetischen Ringen überwunden, eine neue Situation ist er- standen. Auch der weitere Weg des Wachstums, die Bildung des Riechgrübchens und Riechbläschens ist damit bereits im groben ab- gesteckt. Daß aus jener Epithelplatte das Geruchsorgan wird, ent- scheiden die in der Fortsetzung des ringenden Wachstums sich diesem ergebenden Bedingungen. Eineiige Zwillinge, alle Fälle von Duplieitas anterior, seien sie nun auf natürliche Weise entstanden oder künstlich erzwungen, bilden, sofern sie in den frühzeitig ein- tretenden Bedingungen ihrer Entstehung erkannt sind, willkommene Triangulierungspunkte für dieses Geschehen. Sie lehren, daß weder das Idioplasson noch das Reserveidioplasson ein mystisches Heinzel- männchenspiel aufgeführt haben, sondern daß es sich um simple Reaktionen auf epigenetisch erstandene Situationen des Wachstums, in letzter Linie auf die in Beengung entstandene, vordere Ver- breiterung der Hirnplatte handelt. Hinsichtlich der Entstehung der Riechplatte besteht ein auf- fälliger Parallelismus mit der Entstehung der Linse. Unter dem Zwange gleicher, letzter Bedingungen kommen ganz ähnliche For- mationen zustande, die nur graduell und durch ihre weitere Ver- wendungsweise, durch die folgenden Glieder des Bedingungskomplexes sich voneinander unterscheiden. Sobald die Augenblasen als seit- liche Ausladungen der vorn sich anstauenden Hirnplatte oder des Hirnrohres eine gewisse Größe, eine Kugelgewölbekonstruktion erlangt haben und nach außen und hinten zu in Ausnützung des einzigen freistehenden Auswegs, in strenger Anpassung an die Umgebung vorgewachsen sind, indem sie das Ectoderm vortreiben und zum Mitwachsen anspornen, kommt früher oder später eine ähnliche Situation zustande wie an einer innerhalb enger Eihüllen gastru- lierende Blastula. Es kommt in Beengung durch das vorgetriebene Ectoderm zu einer Abplattung der rasch wachsenden Blase, und am Scheitel, an der Stelle der Beengung durch das ihr dicht anliegende Ectoderm entsteht eine der vegetativen Platte der Amphioxus blastula entsprechende Formation. In äußerster Raumausnützung wird die am meisten beengte laterale Wand der Augenblase immer Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 439 höher, mehrzeilig, und zugleich wird der freistehende Ausweg nach innen, in den Blasenhohlraum, immer breiter betreten. Auf diese Weise werden die Schranken, die sich bei freier Vorwölbung ergeben haben, umgangen. Die Verdickung nimmt zu und führt zur Bildung einer Eindellung, einer Gewölbekonstruktion. Sobald dieser Ausweg beschritten ist, geht die Vertiefung der Delle, die Bildung des Augen- bechers und der Becherrinne unaufhaltsam weiter. Dadurch wird nun aber das die Augenblase behindernde Ectoderm — wie dies namentlich an Amphibienembryonen besonders klar zu verfolgen ist — . dessen Widerstand die Bedingung der Invagination geworden ist — eine freie, unbedeckt vortretende Augenblase würde sich wohl nie invaginieren können — entlastet. Genau so wie nun zwischen den Augenbechern und dem Vorderhirnbläschen nützt auch an dieser Stelle das Wachstum die frei gewordene Gelegenheit prompt aus; sozusagen ex vacuo erfolgt eine zirkumskripte Proliferation; das Epithel wölbt sich gegen die Becherbucht vor, und genau so wie an vielen anderen derartigen Situationen führt der weitere Wee zur Bläschen- oder Knotenbildung und schließlich zur Abschnürung. Wiederum lehren Fälle von Duplicitas anterior, in denen minutiöse, zum Teil grobmechanisch zu erzwingende Abänderungen der Einheits- entwicklung, eine Bifurcation der Längenentwicklung geschaffen haben, oder Fälle von Cyclopie, daß das Material als solches, auch im Neurulastadium, in keiner Weise zu jenen Leistungen spezifisch determiniert sein konnte. Wir können leider nicht die Linsen- platte und die Riechplatte vertauschen, auch nicht das noch flache Ectoderm vor Beginn jenes- Ringens, vor Eintreten jener giinstigen Situationen transplantieren, um zu allem Uberflu8 auch noch experimentelle Beweise für diesen speziellen Fall des epigene- tischen Charakters jener Entscheidung über die Entstehung, das spätere Wachstum und die Verwendungsweise der Formationen zu er- bringen. Auch nicht besondere Berührungs- oder „formative Reize“, sondern das epigenetische Eintreten einer günstigen, z. B. durch Entlastung bedingten Gelegenheit zu lokalem Wachstum schafft die Formation. In jener Situation ist lediglich das betreffende Glied im Bedingungskomplexe in der epigenetischen Sukzession der Be- dingungen zustande gekommen, erworben worden, wodurch der Fort- sang des ringenden Wachstums geleitet wird. Nicht die Beschaffen- heit des Materiales, sondern die Konstellation, die Bindungen der Bedingungen des Wachstumes entscheiden über die Leistung des in jenen Zuständen noch vollkommen indifferenten, auch anderweitig in 440 ALFRED GREIL, vollendeter Weise anpassungsfähigen und verwendbaren Materiales. Von solchen Gesichtspunkten aus muß der Vergleich der Entwick- lungsgrade der Organe zunächst durch exakte Analyse an den einzelnen Formen begründet und dann die Variationen der Kon- stellation des zeitlichen Eintreffens der Bedingungen, der Situationen des Ringens in der Wirbeltierreihe ermittelt werden. Ehe aber an den einzelnen Species unter Berücksichtigung der Er- scheinungen bei Miß- und Doppelbildungen der Bedingungskomplex des normalen Geschehens ermittelt ist, kann der weitere Vergleich nicht auf solider Basis durchgeführt und weitere Trangulierungs- punkte nicht mit vollem Vorteil verwertet werden. Es bedeutet einen waghalsigen Umweg, wenn erst durch den Vergleich der Ent- wicklungsgrade die Bedingungen, unter denen die Organe entstehen, ermittelt werden sollen; dies muß für die einzelnen Formen bereits in den Grundzügen vollendet sein, ehe sie einander gegenübergestellt werden. Der Vergleich, die Ermittelung der Variabilität der Be- dingungen und Reaktionen, die immer wiederkehrende Formbildungen schaffen, kontrolliert und erweitert jene Ermittelungen insofern, als die Nebenerscheinungen und -bedingungen schärfer von den die Ge- staltung bestimmenden Kardinalbedingungen gesondert werden können, die nicht unumgänglich nötige Beeinflussung des Geschehens durch die ersteren ermittelt wird. Erst muß ein Versuch in seinen Prin- zipien festgestellt sein, ehe er variiert werden kann — und was im Vergleiche der Entwicklungsgrade der Organe sich darbietet, sind doch nur mannigfache Varianten von Kardinalversuchen, welche die Zuchtwahl als vorteilhaft und tauglich auserlesen hat. Wie weit die rein empirische Zusammenstellung, der wahllose Vergleich der zu gleicher Zeit, nebeneinander ablaufenden Vorgänge führt, ist daraus zu ersehen, daß z. B. der Schluß des Amnions mit der Allantoisbildung in eine „kausale Beziehung“ gebracht wurde (OppEL). Dem die Bedingungen des Geschehens analysierenden Epi- senetiker kann dies gar nicht in den Sinn kommen. Ehe Amnion und Allantois auf ihre Entwicklungsgrade, ihre „Bindungen“ unter- sucht werden, müssen doch die Bedingungen ihrer Entstehung bekannt sein. Es muß erkannt sein, wie unter den allgemeinen Bedingungen des im Eibau begründeten gesteigerten Wachstumes eines mittel- ständigen Keimschildes an freiliegenden, eine ganz flache Kalotte bildenden Keimscheiben die Beengung des Längenwachstumes der dorsalen Gastrulawand besteht. Die Betrachtung dieser Situation zeigt dann, wie die dorsale Gastrulawand das Hindernis umgeht, wie Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 441 zuerst vorne ein halbmondförmiger Faltenwurf in der extraembryo- nären Region zustandekommt, der durchaus passiv entsteht, eine Erlösung und Befreiung für das Längenwachstum der Dorsalseite bedeutet. Die in strengster Abhängigkeit entstandene Falte kann dann unter Ausnützung der Gelegenheit zu freiem Wachstum selbst- ständig weiterwachsen, sich exzentrisch schließen und wird bei manchen Formen durch einen ebenso passiv und abhängig entstandenen Faltenwurf an der Hinter- (späteren Ventralseite) ergänzt. Auch die Entstehung dieser Formation ist in letzter Linie auf das beengte Längenwachstum der dorsalen Gastrulawand und zwar der hinteren, teloblastischen, die sich segmentierende Körperzone verlängernde Terminalstrecke der Dorsalseite zurückzuführen. Diese drängt, nach hinten beständig zurückweichend, den Rest des Primitivstreifens vor sich her und erzwingt so durch dessen Vermittlung jenen Faltenwurf in der Area extraembryonalis, überwirft schließlich den Primitivstreifenrest, der so zur ventralen Wand des Schwanzdarmes wird. So sprengt das intensive Längenwachstum der dorsalen Gastrulawand allmählich die Fesseln, welche die flache Anordnung der Keimscheibe (Gastrula- wand) bedingt, indem sie die Amnionfalten und zugleich mit dieser die vordere und hintere Darmpforte schafft. Andere Bedingungen bestimmen es, wann diese Auswege und in welcher Breite sie betreten werden. An der so entstehenden vorderen und hinteren Darmbucht herrscht dann, wie an der ebenso passiv entstandenen Amnionfalte, reges Wachstum, dem durch diesen Prozeß neue Wege eröffnet sind. Es werden nun die Bedingungen ermittelt, welche diesem Wachstum in der vorderen Darmbucht den Weg zu beiden Seiten, die Bildung der Schlundtaschen anweisen, deren Entstehung durch beengtes und gesteigertes Wachstum sie in einen gewissen Parallelismus mit der Fältelung und Segmentierung des paraxialen Mesoderms bringt. Es wird darauf hingewiesen, daß die hintere Darmbucht ebenfalls, jedoch ohne Sekundärfältelung den Ausweg nach beiden Seiten ergreift und zwei mächtige, sich aber nicht weiter gliedernde seitliche terminale Ausladungen schafft und zugleich bei vielen Formen am Boden der hinteren Darmbucht ein dritter Ausweg betreten wird, womit die zur Allantois werdende Aussackung entsteht. Das Wachs- tum lauert doch überall auf sich epigenetisch ergebende Gelegen- heiten, um hervorzubrechen. Dabei ergibt sich, dab sowohl die Entstehung der hinteren Amnionfalte, Darmpforte wie der Allantois von einer gemeinsamen Bedingung abhängig sind, vor deren Erfüllung das beengte Längenwachstum des Keimes nicht diese Entlastung des 442 ALFRED GREIL, freien Vorwachsens nach hinten gewinnen kann: es muß das prosto- male Mesoderm bereits ein Cölom gebildet haben und damit eine Entspannung, eine gewisse Nachgiebigkeit und Freizügigkeit in der Area intermedia gewährleistet sein. So mächtig ist das Andrängen nicht, daß hinten ein Proamnion gebildet wird, wie bei den- viel dringlicheren und intensiveren Vorgängen am Vorderende. Also ohne Célom keine hintere Amnionfalte, keine hintere Darmpforte und auch keine von der hinteren Darmbucht (also der Subgerminalschicht) oder vom Primitivstreifen aus freiziigig vorwachsende Allantois! Daraus ergibt sich, daß die Allantoisbildung von der Entstehung der hinteren Amnionfalte ganz unabhängig ist. (Die vordere Amnionfalte und der Amnionschlu8 kommen überhaupt nicht in Betracht.) Wenn nur ein Cölom im prostomalen Mesoderm vorhanden ist und eine hintere Darmpforte entsteht, die ausgebuchtet werden kann, so wird bei reichlichem Wachstum auch die Allantois entstehen. Der Wachs- tumsausgleich im Ectoderm kann auch ohne Bildung der hinteren Amnionfalte erfolgen. Wir sind auf die experimentelle Bestätigung dieser formalanalytischen Deduktion nicht angewiesen. Die Ent- wicklung der Schildkröten und Hatteria erbringt ihn. So deckt also die formale Analyse die wichtigsten Bindungen der Beziehungen auf. Diese Bindung besteht insbes. auch für diejenigen Fälle, bei denen die frühzeitige Ausweitung des im prostomalen Mesoderm ent- stehenden Cöloms, welches auch dem hinteren Primitivstreifenende, d. h. dem freiliegenden Entodermmassiv selbst, Gelegenheit gibt, vorzu- wachsen. Namentlich bei Formen mit langgezogenem zentralen Urdarmfelde (Primitivstreif) erscheint dessen Wachstumsintensität besonders deutlich auf das Vorder- und Hinterende konzentriert, insbes. aber am Vorderende. Ein der Urdarmbildung analoger Prozeb spielt sich indes — allerdings unter anderen Nebenbedingungen und daher auch mit anderen Folgen — am Hinterende des Primitiv- streifens ab. In solchen Fällen braucht die hintere Darmbucht gar nicht vorhanden zu sein, wenn nur das Cölom offen ist; meist be- einnt indes um diese Zeit ihre abhängige Entstehung, wodurch das Colom erweitert wird. Saurierkeime, die in diesen Stadien die Primitivplatte zum Primitivstreifen eingeengt zeigen, ferner unter den Placentalierkeimen z. B. die Nagetiere, auch das Schwein, bilden recht deutlich jene kolbenförmige, frei ins Cölom oder auch wand- ständig vorwachsende Knospe aus, welche von der schon von vorne- herein am Ursprunge verdickten Cölomwand umgeben wird und die echte entodermale Allantois darstellt. Sie entsteht in der Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 443 Regel solid, höhlt sich dann genau so wie der aus dem Vorderende des ursprünglichen Primitivstreifens hervorgesproßte Urdarmstrang aus, bzw. gewinnt eine Gewölbekonstruktion, worauf dann ein Durch- bruch gegen die hintere Darmbucht eintritt. Durchbrüche können aber auch in cenogenetischer Weise gegen das Célom und gegen die Amnionhöhle hin erfolgen, spontan und planlos, wie alles, sind aber nicht von Dauer. — Minimale, durch die Ungunst der übrigen Be- dingungen vereitelte, blinde Anläufe in dieser Hinsicht zeigen fast alle Formen mit Primitivstreifen, indem die bekannten hinteren Verlängerungen derselben zustande kommen, welche indes nicht ins Cölom vorragen, daher auch keine Allantois bilden. Eine minimale Steigerung des Wachstums am hinteren Primitivstreifenende (nach Bildung des prostomalen Mesoderms, des ersten großen Abflusses beengten Wachstumes) könnte wohl auch bei diesen Formen eine entodermale Allantois schaffen. Es hängt ganz von dritten Be- dingungen ab, ob die gemeinsame Gelegenheit zur Entstehung von Amnion und Allantois auch gleichzeitiges Auftreten und gleichmäßige Weiterentwicklung bedingt, so dab auch dieses, sich erst epigenetisch ergebende Moment in Erwägung zu ziehen ist, ehe Kalkulationen über die „kausalen Konnexe“ der beiden Erscheinungskreise angestellt werden. Gleichzeitig, selbst nebeneinander auftretende Formationen müssen also durchaus nicht in gegenseitiger Abhängiekeit entstehen, sie können aber von einer gemeinsamen Bedingung abhängen. Gerade bei der Erörterung über die Entstehung jener doch ganz und gar von den Vorgängen der Embryonalentwicklung abhängigen Forma- tionen des Amnios und der Allantois erweist es sich als zweideutig, wenn von einer „Anlage der Allantois“ und des „Amnios“ gesprochen, sei es, daß damit der Vorgang oder das Substrat gemeint wird, und nach Bindungen zwischen diesen doch in so strenger Abhängigkeit ent- stehenden „Organanlagen“ gefahndet wird. Unter der von einem teleologischen Beigeschmack nie freizubekommenden „Anlage“ solcher Organe kann sich der Uneingeweihte so vieles Ungereimtes vor- stellen, daß es doch vorzuziehen ist, von der „Entstehung“ dieser Formationen zu sprechen und den epigenetischen Erwerb der Be- dingungen dieses Geschehens zu analysieren. Jene Knospe mub doch erst zur Allantois werden. Ganz und gar abhängig, ohne Aktivierung von Anlagesubstanzen, planlos, blindlings wie jene Durchbrüche, schafft sie das lauernde Wachstum. Beim Vergleich der Schild- kröten- und Opossumentwicklung zeigt sich ganz deutlich, von welchen Bedingungen es abhängt, welche Gestalt und Ausdehnung und welche 444 ALFRED GREIL, Funktionen diese als Funktion der Gelegenheit entstandene Formation gewinnen, erwerben wird. Erst wenn für alle Formationen, deren Entwicklungsgrade bei den einzelnen Wirbeltieren in Vergleich gezogen werden, die Be- dingungen der Entstehung, deren Variation und Wechsel, deren Kombinationsmöglichkeit ermittelt ist, wird die Lexikographenarbeit, welche bei der tabellarischen Zusammenstellung dieser Erscheinungen eeleistet wird, wissenschaftlich verwertet werden können und tiefere Einblicke in die Wucht der Epigenesis und in deren Anpassungs- fähigkeit und Variierbarkeit gewähren. Die Ermittelung der Variationsbreite wird in so über- sichtlicher Weise namentlich dann, wenn sie durch Medianschnitt- bilder und andere Profile ergänzt wird, wesentlich zur Erkenntnis der inneren und äußeren Bedingungen, des Geschehens vor allem des Ringens, und ihrer Variierbarkeit beitragen. Wenn wir z. B. 100 Photogramme von Hühnerkeimscheiben aus dem Gastrula- und Neurulastadium bei derselben Vergrößerung vergleichen und messen, so müssen wir den ganzen Bedingungskomplex, an dem sich die reiche Variation äußert, bis auf seine letzten bzw. ersten Glieder zurückführen, den all- mählichen Erwerb dieser Variation feststellen. Mit dem bloßen Messen und Vergleichen ist es nicht getan; auf diesem Wege lassen sich nur flüchtig orientierende Zusammenstellungen gewinnen. Erst wenn wir wissen, unter welchen primären und sekundären, sich epigenetisch ergebenden Bedingungen die miteinander in ungleichem Wachstum ringenden Formationen, die wir messen, zustandekommen, wird die Anlegung der Meßinstrumente planmäßig erfolgen können, und wir werden davor zurückgehalten, Messungen von Dimensionen vorzunehmen, die für sich allein betrachtet zu Trugschlüssen über die Wachstumsverhältnisse führen. FıscHer hätte z. B. beim Ver- gleiche von Medianschnitten oder Konstruktionen von solchen ganz andere Einblicke in die Prinzipien und die Variabilität des Längen- wachstums der Entenkeime gewonnen, das Ringen, welches sich bei diesem gesteigerten und beengten Wachstume in den Hauptdimensionen abspielt, in ganz anderer Weise beurteilt als bei seinen einseitigen, nur an Keimscheibenbildern vorgenommenen und verglichenen Messungen. Diese Variationsstatistik darf nicht „als Mathematik“, sondern muß „mit Mathematik“ behandelt werden, um einen sehr treffenden Aus- druck JOHANNSEN’S zu gebrauchen. — Der Vergleich des Entwicklungsgrades der Organe wird also erst dann wissenschaftlich behandelt werden können und Einblicke Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 445 in das Wesen und die Vorteile der Proigenese ergeben, wenn er das jeweilige Endglied einer vergleichenden formalen Analyse der Be- dingungen der Entwicklung sein wird. Erst wenn die unermeßliche Mannigfaltigkeit, welche das Eiwachstum und andere innere sowie die äußeren Entwicklungsbedingungen darbieten, in ihren Reaktionen, in ihrer Veränderlichkeit und Kombinationsfähigkeit während der Entwicklung erforscht sein werden, wenn alles auf den unicellulären Rahmen der Keimzelle zurückgeführt, in seinem Erwerbe, in seinem Werden erkannt sein wird, dann erst wird der Vergleich der Re- aktionen, die sich während der Entwicklung auf Varianten und Änderungen ergeben, einsetzen und unseren Einblick in die Allmacht der Epigenesis, die aus „Gleichartigem Ungleichartiges schafft“, ver- tiefen. Dann wird uns auch der Vergleich der Entwicklungsgrade der Organe dem Ziele der vergleichenden entwicklungsgeschichtlichen Forschungen näherbringen, unsere Erfahrungen wesentlich bereichern und die Erkenntnis des biogenetischen Grundgesetzes vertiefen. — Die Dokumente, welche der Vergleich der zeitlichen Verhältnisse der Entstehungsweise, des Entwicklungsgrades der Organe, der Kombination ihres Auftretens bei nahe verwandten und entfernteren Formen erbringt, erweitern den Einblick in den beständigen Wechsel der veränderlichen Beziehungen und Bedingungen, welche die Onto- genese beherrschen, auf welche prompt und blindlings das Zellengefüge und die Zellenkomplexe reagieren. Auch dies dient der von O. HERTWIG wesentlich geförderten Erkenntnis der Korrelationen der Zellen und Organe sowie der Abhängigkeit der Gestaltung und Differen- zierung der Elemente eines Zellenstaates. Die Untersuchung der Bedingungsänderungen, unter denen Doppel- und MiSbildungen ent- stehen, ergibt beim Vergleiche sehr wertvolle Kontrolldokumente für die Mechanik der normalen Entwicklung. Wir suchen aber stets noch weitere, bei ungestörter Entwicklung sich darbietende Beweise dafür, daß die Entwicklung tatsächlich aus strukturell gleichartigen Furchungszellen Ungleichartiges schafft und gleich- artige Komplexe als Funktion der Gelegenheit bei der funktionellen Anpassung und Steigerung unicellulärer Fähigkeiten in verschiedener Weise verwendet werden, ehe wir ans Experiment schreiten. Nicht die Aufdeckung bevormundender qualitativer Spezifikationen und formativer Stoffe, sondern die Erkenntnis der Epigenesis spielt bei der Verfolgung der Entstehung des Zellenstaates die führende Rolle. Dem unvoreingenommen nachspürenden Untersucher bietet die Ent- wicklung freilebender Formen auf Schritt und Tritt Zeugnisse der 446 ALFRED GREIT, Epigenesis, die Phylogenie überschüttet ihn mit solchen und enthebt ihn der Annahme der Mosaiktheorie. Zur vollen Sicherung dieser Erkenntnis der schon von HAECKEL eingehend gewiirdigten funk- tionellen Anpassung, die aus Gleichartigem, Indifferentem Ungleich- artiges schafft, sind indes besondere Beweise erwünscht, welche außer dem Vergleich der Varianten, Doppel- und Mißbildungen auch noch die historische Betrachtungsweise der Entstehung der Primordial- organe, der Keimblätter und ihres Ersatzes sowie späterer Formationen bringen kann. Sie bestehen darin, daß Zellenkomplexe tatsächlich unter phyletisch geänderten Bedingungen etwas ganz anderes zu leisten imstande sind als die ihnen homologen, d. h. in der Art der Entstehung und Anordnung, hinsichtlich der Herkunft überein- stimmenden Formationen, unter anzunehmenden, zu erschließenden, früheren — den primären, ursprünglichen — Bedingungen geleistet haben. Homologe Zellenkomplexe können die ursprünglichen Leistungen nachbarlicher oder entfernterer Komplexe übernehmen. Solche Er- scheinungen sind unter den von LoEgB zu eng definierten Begriff der Heteromorphosen zu subsumieren und als physiologische den künstlich erzwungenen Heteromorphosen gegenüberzustellen. Zwischen beiden steht der große, lehrreiche Komplex der Mehrfach- und Miß- bildungen. Physiologische Heteromorphosen haben also immer historischen, phyletischen Charakter. Sie zeigen, daß homologes Zellenmaterial ursprünglich in bestimmter Weise benützt, sekundär zu besonderen Leistungen herangezogen werden kann, welche von jener ganz verschieden sind. Ein Beispiel dieser phyletischen Heteromorphose haben wir bereits oben kennen gelernt. Wenn prostomales Mesoderm bei seinem raschen Wachstum und seiner Ausbreitung proigenetisch einen solchen Vorsprung gewinnt, daß es statt des paraxialen Mesoderms, insbesondere der an dessen Ablösungs- und Nahtstelle hervorsprossenden Angiosclerotome, die Aorten aufbaut, aiso eine uralte Leistung des paraxialen Mesoderms an sich reißt, so ist dies ebenso eine Heteromorphose, wie sie die proigenetische Entstehung der Urmesodermzellen bei solchen Wirbel- losen mit Sptralfurchung bedeutet, an deren Ascendenten in phyle- tischen, zurückliegenden Perioden ein etwas größerer Zellenstaat eine andere Mesodermformation ausgebildet hat, die dann bei der Kon- kurrenz mit den Urmesodermzellen unterlegen ist. Ein anderes Beispiel. Bei Anamnier- und Amniotenembryonen lösen sich die äußersten ectodermalen Zellen der Kopf- ganglienleisten, welche an der Nahtstelle des Hirnrohres oder Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 447 schon vor der Medullar- und Hirnnaht nach beiden Seiten hin vor- treten, ab, indem das Wachstum sich hier einen Ausweg schafft, nachdem durch die Naht und andere Umstände Schranken entstanden sind. Diese Zellen gesellen sich zu den benachbarten freien Mesodermzellen des paraxialen Mesoderms und differen- zieren sich wie diese in Stützelemente und bindegewebige For- mationen, welche ehedem sicherlich das paraxiale Mesoderm voll- kommen allein geliefert hat. Bei gewissen Formen (Anuren) über- nimmt der Komplex neurogener freier Mesodermzellen im Vorderkopfe als Ectomesoderm fast die ganze Lieferung des Stützgewebes dieser Region. Ihre Schwesterzellen und nächsten Verwandten bilden Hirnganglien und Nervenfasern, Scawann’sche Zellen, was wohl die ursprüngliche Gesamtleistung dieser Zellenkomplexe war. Ein drittes Beispiel einer phyletischen Heteromorphose bietet sich bei der Entstehung des Darmepithels der Amnioten dar. Bei den Sauropsiden entsteht, wie bereits oben erwähnt, in der Area pellucida durch paratangentiale Teilungen von seiten der Germinalschicht und des subgerminalen Syncytiums eine Subgermi- nalschicht, welche ganz irrigerweise als primäres Entoderm bezeichnet wurde, womit die Durchführung der Gasträatheorie, die Homologi- sierung der Keimblätter des Amphioxus mit denen der Amnioten vollkommen vereitelt würde. Germinalschicht, Subgerminalschicht und subgerminales Syncytium sind Schichten eines Wandabschnittes einer Blastula zu homologisieren. Eine der Furchungshöhle des Amphioxus homologe Cavität müßte im Innern des Dotters gelegen sein, wenn sie existieren würde. Der subgerminale Spalt ist also intramural, zwischen Schichten der Blastulawand gelegen. Das Ringen des Teilungsmechanismus mit dem Dotterballast hat diese eigenartigen Verhältnisse gezeitigt, auf die andernorts noch eingehender zurück- zukommen sein wird, als dies bereits 1908 geschehen ist. Der ceno- genetische Durchbruch der Bodenschicht des invaginierten Urdarmes, des Urdarmsäckchens der Reptilien (ebenfalls in einer jeden Ver- gleich in falsche Bahnen leitenden Weise als Mesodermsäckchen be- zeichnet) oder des Urdarmkanales und des unter hochgradiger Re- duktion des Entoderms sich verlängernden Urdarmstranges der Vögel bringt nun die Subgerminalschicht in innige Beziehungen zum invaginierten Entoderm des zentralen Urdarmbezirkes, der Primitivplatte bzw. des Primitivstreifens. Bei den meisten Vögeln bricht nur der vorderste, bei wenigen auch der hinterste Abschnitt des Urdarmstranges durch, in der langen Zwischenstrecke verliert Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Zool. u. Physiol. 29 448 ALFRED GREIL, sich das spärliche Entoderm des Urdarmstranges bei der Konstitution der Chorda in einzelne Zellen, während darunter die Subgerminal- schicht intakt erhalten bleibt. Findet ein Durchbruch statt, dann ersetzt die nachbarliche Subgerminalschicht und gegebenenfalls er- halten gebliebene Abschnitte des so erheblich reduzierten Urdarm- entoderms das Verlorengegangene. Den Locus minoris resistentiae ausnützend, wachsen sie, allzeit bereit, medialwärts vor, und der Vorgang der Ausschaltung des paraxialen Mesoderms und der Chorda vollzieht sich unter ihrer Beihilfe. Alsdann produziert die ehemalige Subgerminalschicht alles, was sonst das Urdarmentoderm geleistet hätte. Ob also ein Durchbruch stattfindet oder nicht (viele Vögel), in beiden Fällen ersetzt die Subgerminalschicht das hochgradig reduzierte Entoderm des ganz rudimentär angelegten, funktionslosen Urdarmes und nimmt großen Anteil am Aufbaue des Epithels des Intestinaltractus. Ein ganz winziger Abschnitt der Subgerminalschicht wird z. B. infolge des beengten Längen- wachstums der Dorsalseite bei den Vogelkeimscheiben als vordere Darmpforte aufgeworfen und bildet dann — ohne Nahterscheinungen (die jeder frontal geführte Längsschnitt ausschließen läßt) — die ge- samte, von der Rachenhaut bis zum Ductus omphaloentericus reichende Strecke mit allen ihren Derivaten — darunter unter den oben- genannten Bedingungen auch die Schilddrüse und die Leber aus. Die Ausdehnung des cenogenetischen Durchbruches bei den Reptilien entscheidet — sicherlich unter erheblicher individueller Variation —, in welchem Ausmaße dieser Ersatz stattfindet, was späterhin eine ganz verschiedene Verwendung des Materials zur Folge hat, wie dies z. B. auch bei der Entstehung der Omphalocephalie von minutiösen, sich durchaus epigenetisch ergebenden Entscheidungen in gewissen labilen Situationen abhängt. Bei einzelnen holoblastischen Säugetieren entsteht aus einem Abschnitte der Keimblase, welcher, wie sich beim Opossum mit besonderer Exaktheit nachweisen läßt, der Area opaca der Sauropsiden entspricht, aus einem peripheren Entodermfeld, eine innere Zellenschicht, welche sich schließlich an der gegenüber- liegenden Stelle, woselbst im zentralen Urdarmfeld die Invagination einsetzt, schließt. Bei einzelnen Placentaliern führt die frühzeitigere Abspaltung und das Auftreten der Flüssigkeit zwischen den beiden Schichten dazu, dab die tiefe Schicht, das Dotterentoderm oder das Dottersackepithel, schon im Keimblasenstadium (Blastulastadium) unter dem sich invaginierenden zentralen Urdarmmassiv liegt. Auch bei den Placentaliern entstehen unter hier nicht näher zu erörtern- Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 449 den Wachstumsdifferenzen ausgedehnte Durchbrüche der Bodenschicht des Urdarmes, denen fast dessen ganzes Entoderm zum Opfer fällt. Das allzeit disponible Dottersackepithel tritt auch hier ein und ersetzt ausgedehnte Strecken. Formationen, die nebeneinander liegen, werden von einem Zellenmateriale gänzlich verschiedener Herkunft gebildet; dies trifft sicherlich auch für den späteren Aufbau einzelner Forma- tionen zu, ohne daß in der weiteren Gestaltung und Differenzierung irgendwelche Unterschiede bestünden. Von den Embryonen der Anuren wird angegeben, dab eine Zeitlang keine scharfe Grenze zwischen dem Mesodermflügeln und dem Entodermmassiv besteht und das Mesoderm von dieser Seite aus Zuschuß erhält. In Anbetracht der Widerstände, welche das sich ausbreitende Mesoderm zwischen dem dotterbeladenen Entodermmassiv und dem Ectoderm einzwängend zu überwinden hat, sind die innigsten nachbarlichen Beziehungen zum ersteren unausbleiblich. Wenn das rasch wachsende, zellenreiche Mesoderm Dotterentodermzellen vor sich her wälzt, sich ins Ento- dermmassiv eindrängt, so kann es doch vorkommen, daß solche Zellen, mitgehangen — mitgefangen, sich dem Mesoderm angliedern und mit ihm differenzieren. Damit ist in die die Erkenntnis der Wirbeltier- organisation erschließende Cölomtheorie der Gebrüder Herrwic noch lange keine Bresche geschlagen. Was unter dem Zwange be- sonderer Bedingungen und Gelegenheiten möglich wird und geschieht, muß auch dementsprechend beurteilt werden. Daß solche Erschei- nungen für den Mosaiktheoretiker unbequem sind und alle möglichen mit unvorhergesehenen Fällen rechnenden Sonderannahmen nötig machen, liegt auf der Hand. In allen diesen Fällen einer physiologischen Heteromorphose handelt es sich um eine ganz andere Verwendung homologen Materiales bzw. um eine Entstehung gleicher Formationen, aus anderen Zellenkomplexen als bei den Ascendenten. Spontane, sich erst während der Entwicklung ergebende Bedingungsänderungen ergeben oft Ausschläge von großer Tragweite und entscheiden über das Ausmaß der andersartigen Beanspruchung. Sollten diese sich epigenetisch ergebenden Bedingungsänderungen auch die Keimzellen, etwa das Keimplasma des Eikernes, beeinflußt haben? Nie und nimmer; schon eine Veränderung äußerer Entwicklungsbedingungen sowie ganz allgemeiner, die Quantität des Eiwachstumes, das Teilungs- wachstum betreffender innerer Bedingungen konnten sie herbeiführen. Die Kette der sich epigenetisch einschiebenden, bestimmenden, spe- ziellen Faktoren, welche solche Heteromorphosen bedingen, ist so 29* 450 ALFRED GREIL, sroß und verzweigt, daß die Keimzelle unmöglich bereits auf solche spezielle Erscheinungen im einzelnen abgestimmt sein kann. Zahl- reiche andere Änderungen an verschiedenen Entwicklungsstadien und Formationen werden durch dieselbe allgemeine Änderung der Ausgangssituation bedingt. — Solche Fälle bilden für die Mosaik- theorie harte und schwerwiegende Prüfsteine, an denen ihre ganze Absurdität voll zur Geltung kommt. Ganz heterogene Qualitäten und Substanzen müßten beim phyletischen Erwerbe solcher Hetero- morphosen unmittelbar nebeneinander gebildet, dicht neben Pancreas bildenden das Rückenmark bildende Stoffe u. dgl. angenommen werden, ein Chaos von formativen morphoplasmatischen Substanzen wäre durch- einander gewürfelt, ehe die Sonderung der Keimblätter beginnt. Wie sollte dann erst die Sonderung dieser „Substanzen“ geschehen, wie sind Verirrungen etc. ausgeschlossen — oder sollten in solchen Fällen versprengte Keime, versprengte morphoplasmatische Depots pathogenetisch wirken ? Nur mangelnde Erfahrung und geringe Einsicht in die Be- dingungen der phyletischen und ontogenetischen Vorgänge konnte aus der Epigenesis ein solches Zerrbild machen und solche Speku- lationen fördern. Es ist verlorene Liebesmühe, sie schon angesichts der Vorgänge, welche die physiologische Heteromorphose gezeitigt hat, aufrecht zu halten und mit weiteren Denkmöglichkeiten über das Reserveidioplasson und Regulationsmechanismen zu stützen. Die Schwierigkeiten sind nicht zu umgehen. Die Mosaiktheorie und ähnliche Spekulationen versagen vollends, wenn wir sie auf das doch so einfache Getriebe der ersten Entwicklungsstadien höherer Formen anwenden wollen, an denen die Wucht der Epigenesis nicht minder deutlich sich zeigt, wie bei niederen Formen, an denen falsche Voraussetzungen, irrtümliche Annahmen und Beurteilungen und einseitige Fragestellung scheinbare, bei genauer Prüfung aber gänzlich versagende Stützen für die Mosaiktheorie ergeben haben. Die Untersuchung von Miß- und Doppelbildungen zeigt ebenfalls, von welchen minimalen Entscheidungen es in gewissen labilen Stadien abhängt, wie das Zellenmaterial verwendet wird. Es brauchte wahr- haftig nicht der künstlich, experimentell geschaffenen Heteromorphose, um das Maß der gegen die Mosaiktheorie an- zuführenden schweren Einwände voll zu machen. Die klassischen Versuche Lorp’s an Ciona und Cerianthus, die Exstirpation der Linse bei Urodelen haben neue Prüfsteine von großer Exaktheit ergeben. Los hat, offenbar in Unkenntnis der bei ungestörter Entwicklung Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 451 sich abspielenden mannigfachen Erscheinungen dieser Art, unter Heteromorphose nur den künstlich erzwungenen Ersatz verloren- gegangener Teile durch andere in Lage und Funktion verschiedene Gewebe verstanden. Das Experiment steht auch in diesem Falle an zweiter Stelle. Was durch Cenogenese in der phyletischen Entwicklung und auch in der Ontogenese zugrunde geht und durch nachbarliches Zellenmaterial ganz anderer Herkunft ersetzt wird, kommt an erste Stelle. Das Experiment kann sich, was Exaktheit und Eleganz der Ausführung, was Eindringlichkeit des Resultates anbelangt, nie mit den zahllosen, bisher nur zu wenig in den Vordergrund gestellten, den Entwicklungsmechanikern meist unbekannten, dem Morphologen aber wohlbekannten und seine Stellungnahme gegen die Mosaik- theorie begründenden, wenn auch nicht besonders bezeichneten Erscheinungen messen, welche die Natur in der Phylogenese und Ontogenese bei ungestörtem Geschehen uns darbietet. Unzählige andersartige Versuche, welche die Natur bei der Entstehung von Terata und Doppelbildungen vollzieht, zeigen, dab es von einem be- stimmten Moment der Entwicklung und nicht etwa von der Keimzelle abhängt, wie deren celluläres Arbeitszeug ausgenützt wird, und dab alles unter anderen Bedingungen ganz anders werden kann. Diese Er- scheinungen schaffen den Übergang zu jenen mörderischen Phänomenen, welche sich abspielen, wenn die Gewebszelle des Somas unter noch nicht völlig aufgeklärten, sich aber ebenfalls epigenetisch ergebenden Be- dingungen ein erhöhtes und immens steigerungsfähiges Teilungs- wachstum gewinnt, alle oder viele ihrer unicellulären übrigen Fähig- keiten vernachlässigt und sich ausschließlich der Teilung hingibt, zur malignen Tumorzelle wird. Diese betritt damit ganz neue Bahnen, die in mannigfachster Weise durchaus epigenetisch variieren und doch unmöglich schon in der Keimzelle determiniert sein können. In dieser Hinsicht besteht zwischen der Entwicklung und solchen pathogenen Erscheinungen kein Unterschied. Der Verzicht auf die Entfaltung und Steigerung anderer unicellulärer Fähigkeiten, wozu so- zusagen keine Zeit und Gelegenheit sich bietet, indem die Bedin- gungen immer ungünstiger werden, bedeutet einen Indifferentismus, welcher nur graduell vom Ausgangszustande des Somas verschieden ist. In jener einseitigen und für die maligne Tumorzelle spezifischen Steigerung der Teilungsfähigkeit besteht der Unterschied. Diese Zellen zeigen primitive ursprüngliche Fähigkeiten wie plasmareiche, amöboide Cladocerenspermien oder wie die Eizellen der Kalkschwämme, wenn sie wieder amöboid werden, sie gleichen Ascaris-Rieseneiern, wenn ihre 452 ALFRED GREIL, Tochterzellen miteinander und mit anderen Zellen verschmelzen, wozu auch die Verschmelzung der Protoplasmaleiber während der Furchung von Ilyanassa oder Dentalium oder unter den Wirbeltieren bei Belone acus an die Seite zu stellen wäre, oder wenn die Zellen Fermente aus- bilden und auf andere Weise die Nachbarzellen angreifen — so wie sich die jüngeren Keime höchststehender Säuger in die Uterusmucosa einnisten und hineinfressen. Es ist auch die Änderung der Außen- bedingungen, welche das überhastete, überschäumende Teilungs- wachstum der malignen Tumorzelle in Bahnen lenkt, welche die Entstehung eines geordneten Zellenstaates oder die Einfügung in einen solchen unmöglich machen, so daß schließlich der Organismus seinen an ihm schmarotzenden und wuchernden Abkömmlungen zum Opfer fällt. Essentiell sind jedoch diese Erscheinungen nicht von den normalen verschieden, und die mannigfachsten Übergänge ver- knüpfen sie mit diesen. Die ungeregelte Verwendung und die schrankenlose Steigerung einzelner unicellulärer Fähigkeiten be- dingen die graduellen Unterschiede mit den ungleich viel gewaltigeren, im wesentlichen mit denselben cellulären Fähigkeiten, aber unter anderen und geregelteren, ebenso epigenetisch sich ergebenden Be- dingungen entstehenden somatischen Formationen. Der Schritt ins Pathologische ist oft nur sehr klein, eröffnet aber epigenetisch die weitesten Perspektiven. Der Blick auf die Phylogenese bringt weitere Vergleichspunkte für diese so lehrreiche, unheilvolle Erweite- rung des Zellenstaates. Alles, was wir über die Differenzierungsweise, über die Er- scheinungen der phyletischen und künstlich erzwungenen Hetero- morphose sowie insbesondere an den bei Doppel- und Mißbildungen erhobenen Dokumenten der Epigenesis ermitteln, führt uns zur vollen Erkenntnis der Tragweite jener von Harckren eingeführten das Wesen der Epigenesis so trefflich charakterisierenden Definition. Aus gleichartigen, nur geringen Inäquantitäten und graduelle Ab- stufungen der Protoplasmaleistungen zeigenden Blastomeren, aus völlig gleichartigen Zellen und Zellengruppen entsteht Ungleichartiges verschiedener Art in extensiver und intensiver Mannigfaltigkeit, je nach den herrschenden, sich epigenetisch ergebenden, verschieden varlierbaren Bedingungen, denen sich celluläres Leben und celluläre Arbeit fügen müssen. Unter verschiedenen Wachstums- und Diffe- renzierungsbedingungen wird aus Gleichartigem Ungleichartiges, könnten wir ergänzend hinzufügen. Die formale Analyse der Ent- wicklung ist also eine Analyse der inneren und äußeren, vor allem Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 453 der sich epigenetisch ergebenden, die celluläre Arbeitsleistung leiten- den Entwicklungsbedingungen, und insofern setzt der Embryologe das Werk Lamarcx’s und Darwın’s fort. Ve Ganz allmählich hat sich in der Stammesgeschichte an voll- endeten Formen und in den ontogenetischen Reihen Glied an Glied der Organisation gereiht, sukzessive entfernte sich der Körper von der Einfachheit und Schlichtheit der Ausgangssituation. Sollte es in der Ontogenese der höherstehenden und höchstge- züchteten Formen anders sein? Sollte das bei der Entstehung der primären Keimblätter, bei der fundamentalen Organisation der Embryonen und Larven niedrigerer Formen ermittelte epigenetische Prinzip nicht auch bei dem durch eine vortreffliche Ernährung, bei höheren Formen auch noch durch eine konstante höhere Entwick- lungstemperatur gesteigerten Entwicklungstempo gelten und durch Neuerzeugung von Mannigfaltigkeit aus einer relativ ganz primitiven Ausgangssituation ein so komplizierter Körper entstehen können? Sollte ein vergrößerter Zellenstaat mit unicellulären Fähigkeiten nicht auch wuchern können? Je weiter die Ontogenese fortschreitet, um so unabhängiger wird sie in gewisser Hinsicht von unmittelbar einwirkenden eroben Außenbedingungen, deren fundamentaler Einfluß sich schließlich bei Placentaliern nur mehr auf die Stoffzufuhr und den Stoffwechsel konzentriert. Innere Entwicklungsbedingungen treten in den Vordergrund, welche in der Phylogenese bei der Ent- stehung niederer Formen auch die ersten Entwicklungsstadien ent- scheidend beeinfiußten. In den kugelrunden, gestreckten oder anders- artig geformten freilebenden Enterozoen herrschten nicht minder die sich sukzessive bei der Vermehrung der Zellen und der Vergrößerung des Zellenstaates intra muros ergebenden inneren Bedingungsketten wie an den von der weiten Außenwelt abgeschlossenen, intrauterin rasch wachsenden Embryonen höherer Formen. Schon diese grobe Überlegung lehrt, daß es hinsichtlich des Entwicklungsprinzips zwischen der Stammesgeschichte und der Keimesgeschichte keinen essentiellen Unterschied geben kann. So wie frei schwärmende primitive Formen aus einer ganz einfachen Ausgangssituation ohne spezifische Anlagesubstanzen die fundamentale Organisation erreicht haben, so muß in derselben Weise auch deren weiterer Ausbau bei gesteigertem Wachstum, bei Fortsetzung des Ringens und der Be- reicherung der Differenzierungsgelegenheit in steter Anpassung epi- 454 ALFRED GREIL, genetisch erreicht werden können. An primitiven Wirbellosen müssen wir in die Schule gehen, um den gewaltigen Komplex, der sich erst im Verlaufe der Ontogenese ergebenden inneren Entwicklungsfaktoren zu überschauen. Je rascher die Entwicklung fortschreitet, je mehr Gelegenheiten zum Ringen und zu speziellen Differenzierungen sich epigenetisch ergeben, um so schwieriger sind die Bedingungen zu erfassen, und über diese Schwierigkeit hilft keine voreilige und kurz- sichtige neoevolutionistische, mit morphoplasmatischen Stoffen und Anlagesubstanzen u. dgl. manipulierende Hypothese hinweg, die exakter wissenschaftlicher Untersuchung hemmend vorgreift. Es eilt, Schritt für Schritt in der Keimesgeschichte der einzelnen Formen die gemeinsamen Bedingungen des Entwicklungsgeschehens und deren Variationen zu erforschen. Blindlings tastend, so wie sie zustande kamen, müssen sie auch verfolgt werden, als wüßten wir gar nicht, was daraus werde. Von der Erkenntnis des gesamten Komplexes solcher epigenetisch sich ergebender Bedingungen der Entwicklung höherer Formen, namentlich der späteren Entwicklungsstadien, sind wir zur- zeit noch weit entfernt. Niemand hat aber von VourTa verlangt, dab er einen Elektromotor baue, und so möge man vom Embryologen nicht erwarten, dab er schon heutzutage, wo erst die Fundamente zu solcher Erkenntnis gelegt sind, über die letzten Fragen der Ver- erbung individueller Variationen des menschlichen Körpers Aufschluf gebe und schon mit dem Baue der Kuppel des stolzen Gebäudes beginne. Andererseits zwingt die Erkenntnis der Lücken in der Erforschung des Entwicklungsgeschehens den formalen Analytiker noch keineswegs, sich dem Dogma und der aprioristischen Voraus- setzungen der Entwicklungsmechaniker zu unterwerfen, welche den Mangel an eigener vergleichend formalanalytischer Erfahrung mit Eruierung von Denkmöglichkeiten zu verdecken streben. Das Phantom der Mosaiktheorie, der Plassonten, der formativen und organbildenden Spezifika hat ohnedies genug Arbeitskräfte der exakten Erforschung der Epigenesis entzogen, welche nur durch das altbewährte Mittel, die Verfolgung des Entwicklungsganges und die Aufdeckung der sich sukzessive ergebenden Bedingungen, erreicht wird. Dieses Prinzip der Forschung und Erklärung steht fest: es ist zu untersuchen, wie aus Gleichartigem Ungleichartiges wird. Erst müssen wir ferner von der Entwicklung einer Wirbeltier- species einmal wissen, unter welcher Bedingungskette ein Wirbeltier und dessen Stammeseigentümlichkeiten zustande kommen. Die Fundamentalbedingungen der Wirbeltierorganisation sind zu Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 455 ermitteln. Hierbei ergeben sich bereits die Abzweigungen, welche in den parallel mit dem Zellenstammbaume sich verästelnden Sonder- bedingungskomplexen die Klassen und Ordnungen bestimmen. Die Entstehung der Art- und individuellen Charaktere wird den Schluß bilden, nach welchem die Laienwelt so ungestüm verlangt. ‘ Der Embryologe arbeitet als Entwicklungsanalytiker bescheiden im Stillen, seine Wissenschaft sucht keine Sensationen. Er mißbraucht das Experiment nicht, um fiktive Anlage- und Vererbungssubstanzen zu sondern, er blendet die Öffentlichkeit nicht mit voreiligen Ver- erbungstheorien, die vor dem Forum der Wissenschaft nicht ernst zu nehmen sind. Variationen, Doppel- und Mißbildungen, die Er- scheinungen der Regeneration lehren im Vereine mit experimentell sewonnenen kasuistischen Beiträgen bei streng analytischer Prüfung, beim Vergleich mit dem ungestörten Geschehen, was die ersten Generationen des Zellenstammbaumes leisten können, wenn die epigenetisch sich ergebenden Bedingungen nur ganz wenig, meist nur grobphysikalisch geändert werden. — Wenn wir die allmähliche Proliferation des Keimepithels, die Entstehung des immensen Zellenaufgebotes bei der Follikelbildung, die allmähliche einseitige Steigerung unicellulärer Fähigkeiten der ca. 500 in den beiden Ovarien eines Menschen heranwachsenden, sich mit Nähr- und Baumaterial für die Assimilation und die Ditfe- renzierungen beladenden Oocyten verfolgen und berücksichtigen, was mit den beim Menschen sich vielleicht auf rund 100000 belaufenden Ureiern wird, die so wie verkümmerte Beeren einer Traube zurück- bleiben, der Konkurrenz unterliegen, anfänglich aber im epigenetischen Ringen vollbefähigt sind, ins Eiwachstum einzutreten, was ferner mit den ungezählten Abkömmlingen der nächsten Verwandten der Ureier, der Follikel- und Nährzellen wird, deren Stammzellen im hohen Keimepithel potentia dieselben Fähigkeiten besaßen wie ihre so mächtig werdenden Nachbaren, bei deren, manchmal kannibalischen Wachstume sie die Zuträgerrolle spielen müssen, so können wir doch nicht jedem Elemente dieses ungeheuren, zum größten Teile unver- wendeten Zellenkomplexes auf Grund der Mosaiktheorie spezifizierte formative Stoffe für den Aufbau aller einzelnen Organe eines Somas und dessen individuelle Variationen, ferner nur ultramikroskopisch sichtbare micellare Anlagesubstanzen aller Art, sei es auch nur in einem unbekannten rätselhaften Roh- und Urzustande vindizieren. Eine derartige, in Anbetracht der minutiösen Bedingungen, welche die Hegemonie der zu Ureiern werdenden Zellen bestimmen, durch 456 ALFRED GREIL, und durch unökonomische Annahme würde eine ganz beispiellose Vergeudung gewaltigster Energien an dem nach Beendigung der Geschlechtstätigkeit verkümmernden Zellenmaterial voraussetzen. Wie sollten dann die heranwachsenden Ureier die formativen Stoffe bilden? Welch immense Vergeudung hochkompliziertesten Anlage- materiales würde erst die enorme Verlustziffer bei dem abgelegten Eimaterial oviparer, wasserlebender Formen und an den Samenzellen fast aller Metazoen bedeuten, wenn nicht Zellen zugrunde gehen, welche, wenn sie einen Zellenstaat begründen können, erst alle Fertigkeit und Mannigfaltigkeit erwerben müssen? Alle Geschlechtszellen gehen, wenn sie nicht in die Gelegenheit kommen, ihre cellulären Fähigkeiten epigenetisch zu steigern, als einfache Zellen zugrunde. Der ganze Vorgang des Eiwachstums und der sich hierbei ergebenden Arbeitsteilung läßt sich auch bei den höchsten Formen nur als uni- cellulärer, cellularphysiologischer Akt verfolgen und begreifen, jede Verquickung desselben mit den Formationen, Differenzierungen und Leistungen eines Zellenstaates, mit der Bildung von Anlagesubstanzen für Organe hüllt diesen phyletisch ganz ohne „Tendenzen“ und „Zielstrebigkeit“ erworbenen Vorgang in ein mystisches Dunkel. Bedenken wir, daß zur Zeit, wann ein Vogelkeim oder der Keim des Menschen den Urdarm zu bilden beginnt, Millionen von Zellen bereits am Werke der funktionellen Anpassung sind, in funktioneller Differenzierung die Nahrungsquelle bereits ausnützen, während ein winziger Komplex von Zellen, die doch derselben Keimzelle abstammen und gleichaltrig sind mit jenen Zellen des Trophoblasts, den Zellen- stammbaum des Somas repräsentiert und daß ferner in diesem Stadium noch gar nicht entschieden ist, ob ein ein- oder ein doppelköpfiges Individuum daraus wird — könnten wir zugreifen, so ließe sich dies auf Grund der Erhebungen der formalen Analyse des ungestörten (Geschehens experimentell in jeder beliebigen Abstufung der Ver- doppelung ganz willkürlich, epigenetisch entscheiden —, so erscheint die Anwendung jener neoevolutionistischen Theorien so absurd, und die Überzeugung von dem einfachen, durchaus cellulären Charakter der Keimzelle und ihrer universellen ersten Abkömmlinge auch der höchsten Formen wird so zwingend, daß das biogenetische Grund- sesetz auch für die Amnioten in diesem fundamentalen epigenetischen Belange die volle Erkenntnis gewährt. Wir können leider nicht an irgendeinem ganz jungen Wirbeltierembryo, z. B. einem holo- blastischen Anamnierembryo, ein Stückchen indifferenten, noch hohen Cölomepithels der ventrolateralen Rumpfwand an diejenige Stelle Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 457 transplantieren, wo noch ebenfalls indifferentes Cölomepithel dann später zum Keimepithel wird, und umgekehrt. Fälle von Duplicitas anterior, deren Bifurkation durch das Wachstum der Innenhälften noch nachträglich in caudaler Richtung vergrößert wird, geben bei der Bildung innenständiger Ovarien auch hierüber Aufschlüsse, genau so, wie etwa die Bildung innenständiger Augen- und Riechgrübchen über den durchaus epigenetischen Charakter der Entstehung dieser Formationen aufklärt. Das Experiment läßt uns jämmerlich im Stiche, wo es zu beweisen gälte, daß es lediglich von günstigen Ernährungsverhältnissen und der Steigerung des Teilungswachstumes abhängt, ob eine noch indifferente Epithelzelle und ihre Abkömm- linge zur Serosa des Bauchfelles wird oder ob sie mehrere Somata liefern werde. Wenn wir dies also auch nicht an einem und dem- selben Individuum experimentell beweisen können, so haben wir dennoch mit dieser Möglichkeit stets zu rechnen. Sie berechtigt uns, die Erfahrungen an niederen Formen auch an höheren Formen anzuwenden, an der Gleichartigkeit indifferenter Zellen junger Em- bryonen und ihrer vollen cellulären Bereitschaft zum Erwerbe höchster Leistungen, welche die Urgeschlechtszellen vollführen können, fest- zuhalten. Die Urgeschlechtszellen sind einfache Arbeiter, die vom Beginne des Eiwachstums an unter der Gunst äußerer Bedingungen mit ihren ausschließlich cellulären Mitteln eine so enorme Arbeits- leistung vollführen. Stets sind wir bei den für direkte Eingriffe unzugänglichen Placentalierkeimen auf der Suche nach den durch Doppel- und Mif- bildungen repräsentierten Kontrollobjekten, um morphologische An- haltspunkte für die Beurteilung der einfachen Zellnatur sowie der für die betreffende Art charakteristischen cellulären Totipotenz der Keimzellen, der Blastomeren und aller indifferenten, noch nicht ein- seitig angepaßten Zellen zu finden. Solche ergeben sich bereits in den frühesten Entwicklungsstadien. Schon die Frage nach der Entstehung der eineiigen Zwillinge des Menschen entrollt ein für die Prüfung und Anwendung der entwicklungs- mechanischen Theorien sehr lehrreiches Bild. Wir haben allen Grund zur Annahme, daß so wie bei allen Placentaliern auch der Keim des Menschen im Morulastadium eine exzentrische Höhlung gewinnt (durch secretorische Abscheidungsvorgänge, die möglicher- weise mit electiver Filtration verknüpft sind) und auf diese Weise jener solide wandständige Zellenkomplex erhalten bleibt, welcher als ,Embryonalknoten“ beschrieben worden ist und das Embryo- 458 ALFRED GREIL, amnioblastem repräsentiert. Die Befunde an den jüngsten mensch- lichen Keimen lehren mit zwingender Bestimmtheit, daß in diesem Zellenkomplex — wie bei Affen-, Fledermaus- und Pteropus-Keimen, bei Nagern und anderen Säugetieren — durch denselben Abscheidungs- vorgang eine Lichtung entsteht, die zur Amnionhöhle wird. Die rasch wachsende Wand wird zu einer Blase, an derem Grunde der Embryo entsteht. Dieser Hohlraum erhält sich bei diesen Formen dauernd als Amnionhöhle Der Vorgang der Blasenbildung ent- spricht durchaus der Art und Weise, wie sich ein solid angelegter Urdarm oder solides paraxiales Mesoderm aushöhlt und ein Lumen sewinnt. Genau so wie am Cölom, so zeigt sich auch an dem Embryonalknoten (Embryoamnioblastem) der Fledermaus nach van BENEDEN’s grundlegenden Untersuchungen, daß zunächst mehrere kleine Höhlungen auftreten, welche dann zu einer einheitlichen Höhle konfluieren. Was geschieht aber, wenn zwei größere, nebeneinander liegende Höhlungen nicht konfluieren, die trennende Zellenschicht erhalten bleibt und zwei Amnionhöhlen entstehen? Es werden am Grund dieser zwei Höhlen auch zwei Embryonen entstehen, es: sehen daraus eineiige Zwillinge hervor. Für den Menschen ist. genau dieselbe Entstehungsart eineiiger Zwillinge als sicher an- zunehmen. Von ganz minutiösen, sich durchaus epigenetisch er- sebenden Bedingungen der Flüssigkeitsabscheidung, der Spannung hängt es ab, ob ein Embryonalknoten (Embryoamnioblastem), also eine kleine Zellengruppe einer bereits weit vorgeschrittenen Gene- rationenfolge, einen Embryo oder eineiige Zwillinge liefert. Minu- tiöseste Veränderungen dieser z. T. grobphysikalischen Momente bestimmen die Entscheidung in diesem kritischen Moment, der über so durchgreifende Verschiedenheit in der Verwendung des Zellen- materials verfügt. Es klingt geradezu wie ein Hohn auf die tat- sächlichen Verhältnisse, wie ein bequemer Verzicht auf die Er- klärung, wenn schon in die Keimzelle die Entscheidung über diesen Moment, in dem der Zellenstammbaum sich schon so ansehnlich ver- ästelt hat, verlegt wird. Von welch minutiösen Bedingungen hängt es doch ab, ob eine winzige, am Boden der Amnionhöhle zentral ge- legene Gruppe von wenigen Zellen einen Menschen aufbaut oder ein Stückchen des hinfälligen Amnionectoderms und umgekehrt! Könnten wir zugreifen und willkürlich sondern, so würden wir ebenso wie bei Tritonen durch Umschnürung in der ersten Furche (HrrLıtzKA) es nach Gutdünken bestimmen können, ob ein oder zwei Menschen ent- stehen, ob jener winzige Zellenkomplex so enorme, unübersehbare Unter- Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 459 schiede in seinen Leistungen, seiner Verwendbarkeit gewinnt. Was uns die Natur bietet, ist ein so minutiös und exakt, mit solcher Eleganz durchgeführter Versuch, daß das stümperhafte Experiment nie und nimmer den Wert des natürlichen Experiments gewinnen kann. Sollten nun gemäß der Mosaiktheorie die wenigen den Embryo liefernden Zellen des Bodens der Amnionhöhle nun wirklich mit allen möglichen Plassonten, keimblätter- und organbildenden Stoffen in genauer Lokalisation und Spezifikation (und sei es nur im Ur- zustande als Protofermente u. dgl.) versehen sein, dann wäre es doch eine beispiellose Vergeudung kostbarsten Materiales, wenn es von einem — sit venia verbo — Zufalle abhängt, ob dieses Anlagematerial mit all den Vererbungssubstanzen und Atomverkettungen für die individuellen Züge zu einem Stückchen Amnionectoderm degradiert und abgeworfen wird Wie sollte ferner das Reserveidioplasson für die eventuelle Doppelbildung beschaffen sein, und wie soll die Aktivierung dieses märchenhaften Stoffes vonstatten gehen? Viel- leicht unter mystischen Fernwirkungen ? Solche Überlegungen lehren, daß die Zellen des Embryonal- schildes gleichartig sind und nur graduelle Prävalenzen aufweisen. Wir brauchen sogar dem kleinen Zellenkomplex am Grunde der Amnionhöhle, welcher den Menschen aufbaut, im Blastulastadium nicht mehr essentielle Fähigkeiten und unicelluläre Bereitschaft zu- zuschreiben als einer Zelle, deren Abkömmlinge später Amnion- ectoderm liefern. Wir können leider nicht äquatorial gelegene Zellen des noch hohen Epithels der Hohlkugel des eben entstandenen Embryoeamnioblastems mitten in das später intensiver wachsende, den Embryoalschild bildende Polfeld transplantieren und umgekehrt, um die celluläre Totipotenz von beiderlei Zellen zu beweisen. Es bestehen lediglich graduelle Unterschiede im Plasmamateriale, genau so wie in der polar bilateral heranwachsenden Oocyte, die als Urei sicherlich vollkommen gleichartig gebaut war. Unter den Kernen sind überhaupt keine Unterschiede anzunehmen; diese ergeben sich erst bei den Wechselwirkungen mit prävalierenden Plasmaabschnitten. Die Abkömmlinge einer Zelle des Embryoamnioblastems, welche erfahrungsgemäß in der Einheitsbildung zu flachem Amnionectoderm wird, würden, wenn diese frühzeitig ins Zentrum des Bodens der Amnionhöhle versenkt würde, dort — mitgehangen, mitgefangen — in Anpassung an ihre Nachbarschaft und alle übrigen, neuen, für sie geltenden Bedingungen genau dasselbe erfahren und leisten, sich ebenso differenzieren wie die entfernte, ins Amnionectoderm trans- 460 ALFRED GREIL, plantierte Zelle, welche dort gewiß keinen Primitivstreif liefern wird. Ihr vielleicht etwas gesteigertes Teilungswachstum würde im großen Amniongewölbe alsbald zum Ausgleich kommen. — Alles was sich bei der Entstehung eineiiger Zwillinge weiterhin ergibt, ist das Werk der Epigenese, welches durch überaus günstige Ernährungs- verhältnisse gefördert und gesteigert wird. Diese gestatten dem Zellenmaterial schon frühzeitig, mit seinem bescheidenen Repertoire an Fähigkeiten, mit dem Pfande, dem Erbe der Vergangenheit zu wuchern. Intensives Teilungswachstum ist das erste Phänomen. Die Zellen des Bodens der Amnionhöhle, welche zwischen zwei Nähr- böden, der abgeschiedenen Amnionflüssigkeit und der im Dotter- sack enthaltenden Flüssigkeit, liegen und schon von der Eizelle her zu geschlossenem, gesteigertem Wachstum disponieren, geraten in besonders intensives Wachstum, während die rasche Zunahme der Ausscheidung mit einer Verdünnung der übrigen Wandabschnitte einhergeht. Daß im Zentrum der Bodenschicht unter dem Drängen der sich verdickenden, zum Ectoderm werdenden Zone in einem schmalen Streifen das Wachstum die Schranken des Epithels durchbricht und dieses zum Primitivstreifen wird, von dem aus das überschäumende Zellenmaterial nach allen Seiten hin zwischen Dottersack und Ecto- derm hinausflutet, dazu sind ebensowenig primitivstreifen- und urdarmbildende Substanzen oder mesoplasmatische Spezifika nötig wie bei Mollusken oder irgendeinem anderen Keim. Diese zwangs- laufigen Reaktionen auf die sukzessive sich ergebende Beengungen und Gelegenheiten müssen an den Doppelbildungen ebenso wirksam sein wie an der einheitlichen Amnionblase Erwägungen über die epigenetische Entstehung von eineiigen Zwillingen geben speziell auch für die Bildung des Primitivstreifens in den beiden Hälften des geteilten Embryo-Amnioblastems wertvolle Aufschlüsse. Sie lehren, daß das Auftreten des Primitivstreifens, welches neue Wachs- tumswege erschließt, ein Sympton maximaler Anstauung und Be- engung ist, die im Zentrum des halben, abgerundeten Amnionbodens, in der kleineren Gewölbekonstruktion ebenso prompt eintritt wie am großen Einheitsgewölbe. Der Primitivstreif entsteht nicht minder epigenetisch, d. h. unter den sich erst allmählich ergebenden Be- dingungen, wie die in Anstauung und unter Ausgleich verschiedenen Wachstums zustandekommende Hirnplatte, die Augenblasen oder, um ein besonderes passendes Beispiel zu nennen, die locker gefügte Neuralleiste, welche ebenfalls die Schranken des Epithels durchbricht, weil eben innerhalb derselben der Wachstumsausgleich nicht möglich Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 461 ist. Alle diese und die anderen Formationen entstehen bei der Bildung von eineiigen Zwillingen aus ganz anderen Zellen des Amnionbodens als bei der Einheitsbildung. Mit bescheidenen Fähigkeiten der Einzel- zellen treten die ersten Zellgenerationen des Ectoderms und des durch ihre Anordnung zu anderem Erwerbe befähigten Urdarmstranges und des Mesoderms in die Entwicklung ein. Was sie schaffen, besteht nicht in der Aktivierung organbildender Substanzen, sondern ist die als Funktion der Gelegenheit sich vollziehende Steigerung der uni- cellulären Leistungen, vor allem des Teilungswachstums. Die Ge- samtanordnung regelt das ringende Wachstum, dessen Verlauf wie ein Ringkampf zu verfolgen ist. Was sich am Trophoblast abspielt, ist nicht minder die zwangsläufige Reaktion auf die sich ergebenden Situationen und Gelegenheiten wie die Urdarmbildung freischwärmen- der Blastulae. Hier wie dort ist die Epigenesis am Werke und schafft mit den einfachsten Mitteln, dem Gemeingut aller Zellen, unter situationeller und funktioneller Auslese und Anpassung die vollendetsten Formationen. Was am rasch wachsenden funktionslosen Urdarme zu verfolgen erschwert ist, tritt uns an dem ihn funktio- nell ersetzenden Trophoblast, in welchem übrigens das ganze periphere, der Area opaca der Sauropsiden homologe Entoderm ent- halten ist, um so deutlicher entgegen. Wie immer diese homologen Beziehungen gestaltet sein mögen, wie groß der Wandel sein mag, den die einzelnen Abschnitte der Blastulawand im Laufe der Phylo- genese durchlaufen haben, die einheitliche, funktionelle Beanspruchung zwingt ectodermale und entodermale Bestandteile zu gleicher Arbeit, indem sie den Trophoblast erzeugt. Und so geht es fort und fort; eine Situation ergibt die andere, eine Reaktion löst als Funktion der Gelegenheit die andere ab. Das Zellenmaterial ist aber, bevor es dieser differenzierenden Auslese verfällt, als solches totipotent, d. h. es hat noch das ganze bescheidene, aber uneingeschränkte Repertoire von unicellulären Fähigkeiten, die für die betreffende Spezies charakteristische Differenzierungsbereitschaft; unverbraucht, unter den glänzendsten Ernährungsverhältnissen geht es an die Arbeit. Es stammt von einem Individuum mit vollendetster und weitest- gehender Arbeitsteilung im Zellenstaat, hat während des Eiwachs- tums unter Mithilfe der Follikelzellen den mütterlichen Stoffverbrauch bis zu einem gewissen Grade registriert und entnimmt während seiner Entwicklung dauernd dem mütterlichen Körper sukzessive dasjenige, was dieser selbst verbraucht, sobald der junge Zellenstaat soweit gediehen ist, um dies da und dort ausnützen zu können. Die 462 ALFRED GREIL, Steigerung des Teilungswachstums steht stets an erster Stelle. Die sich hierbei im Laufe der Entwicklung, bei der Vergrößerung des Zellenstaates sich ergebenden Beengungen, Schranken, Hindernisse und Widerstände, andererseits die Auswege und Breschen, welche dem ringenden Wachstum sich ergeben, zu verfolgen, ist die erste Aufgabe der exakten entwicklungsmechanischen Erforschung der Ontogenese der hochstehenden Formen; das Ringen der Zellen und der Zellengruppen nimmt in erster Linie unsere Aufmerksamkeit ge- fangen und läßt uns gar nicht Zeit, an organbildende Spezifika und ultramikroskopische Plassonten, Fermente, Protofermente usw. zu denken. Unicelluläre Fähigkeiten sind die Mittel der Entwicklung, alles andere ergibt sich sukzessive im Zellenstaate. Wenn auch hierbei mit gewissen unbekannten Größen gerechnet werden muß, welche durch die Mangelhaftigkeit der Cellularphysiologie bedingt sind, so kann mit diesen Konstanten dennoch das Problem der Ent- wicklung bis zu einem gewissen Grade gelöst werden. An der Erklärung der Alternative zwischen der Entstehung eines Einzelindividuums und der eineiigen Zwillinge des Menschen zeigt sich nun wieder einmal die ganze Hilflosigkeit, Einseitigkeit und Unsicher- heit derjenigen entwicklungsmechanischen Spekula- tionen, welche auf die Mosaiktheorie und andere nicht auf embryo- logische Erfahrungen begründete Denkmöglichkeiten aufgebaut sind. Wie kann die unbeholfene Mosaiktheorie, welche sich die Lehre von den organbildenden Keimbezirken kritiklos zu eigen gemacht hat, jene Tatsachen erklären? Das „analytische Experiment“ kann höchstens bestätigen, daß es von minutiösesten grobphysikalischen Bedingungs- änderungen abhängt, ob das Zellenmaterial einen Menschen aufbaut oder als ein Stückchen Nachgeburt abgeworfen wird. Hier gilt es, an die exakte formale Analyse des ungestörten Geschehens zu gehen, das Experimentieren beiseite zu lassen und an den Schnittserien zu lernen. Nicht mit Denkmöglichkeiten zu jonglieren, sondern exakt zu arbeiten ist das Ziel des Strebens nach Wahrheit. Mit Untersuchungen über Fermente, Protofermente und Autokatalysatoren wird man wohl der Cellularphysiologie wertvolle Beiträge schenken, aber für die entwicklungsgeschichtliche Forschung, d. h. für die am Zellenstaate sich abspielenden Wachstumsvorgänge und Formbildungen, ist mit solchen als organbildende Spezifika gedachten Stoffen nichts anzu- fangen! Solche Spekulationen nötigen dem Embryologen ein horri- bile dietu ab. Es ist auch dagegen Stellung zu nehmen, daß die Wider- legung solcher pseudoentwicklungsmechanischer Theorien einen Fort- Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 463 schritt der Wissenschaft bedeutet. Solche Theorien sind auf un- wissenschaftlicher Basis entstanden, sie sind Schreibtischphantome, die nicht auf exakte vergleichende formale Analyse gegründet sind. Sie greifen dem Fortschritte solcher Untersuchungen hindernd und störend vor und werden nie durch das analytische Experiment be- wiesen werden können, wenn sie nicht mit den Ergebnissen der formalen Analyse des ungestörten Geschehens in Einklang stehen. Mit der Aufstellung von Denkmöglichkeiten wird mangelhafte Methodik und geringe Erfahrung, einseitiges Beobachten nie zu kompensieren sein. Solange die Entwicklungsmechaniker es als ein „Armutszeugnis“ betrachten, durch eingehendes Studium deskrip- tiver Abhandlungen ihren Gesichtskreis zu erweitern, und die grund- legenden vergleichenden Ermittlungen sich nicht voll und ganz in praxi zu eigen machen, werden sie sich von ihren Icarusflügen nicht erholen! Was ist z. B. mit den märchenhaften Reserveidioplasson in jenem Falle der Zwillingsbildung anzufangen? Wozu ein Heer von Determinauten für unvorhergesehene Verdoppelung in die ein- fachen Zellen hineingeheimnissen, wenn sie doch nur celluläre Toti- potenz bekunden und sich nur durch geringe Wachstumsprävalenz von anderen unterscheiden, was doch erst die Epigenesis in so wuch- tiger Weise offenbart? Wenn wir also bedenken, daß es in der zweiten Woche der menschlichen Entwicklung noch nicht bestimmt ist, ob ein Individuum oder eineiige Zwillinge entstehen werden, ob also ein winziger Zellenkomplex im Millionenstaate des Gastrulastadiums einen Menschen aufbauen oder aber ein Stück vergänglichen Amnion- epithels liefert, welches bei der Nachgeburt abgeworfen wird, so ist damit auch für den Menschen ein ungemein wichtiger Triangulierungs- punkt für die Beurteilung des bescheidenen Repertoires der Fähig- keiten der menschlichen Keimzelle gegeben, der mit den anderen, durch die vergleichende Embryologie sowie in den Mif- bildungen und Geschwülsten vertretenen Triangulierungspunkten des ontogenetischen Geschehens die Wucht und kardinale Bedeutung der Epigenesis zu erkennen, die noch unbekannten cellulären Werte der Keimzelle wenigstens zu ahnen gestattet und den Verzicht auf das Experiment sehr erleichtert. Wenn einmal die unicellulären Prozesse der Histogenese voll erkannt, wenn einmal die Arbeitsteilung im Protozoenkörper in all ihren Details ermittelt, die Cellularphysiologie genügend ausgebaut sein wird, dann wird die Anwendung dieser Erkenntnisse auf das Getriebe im Zellenstaate weitere Ausblicke und Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Zool. u. Physiol. 30 464 ALFRED GREIL, verläßliche Erklärungen ergeben. Diese vollberechtigte Hoffnung, daß es dereinst gelingen werde, Einblick zu gewinnen in die Art und Weise, wie primitive Fähigkeiten unter dem Einflusse der differenzierenden Auslese und Anpassung vom Zellenstaate bis zu den höchsten psychi- schen Leistungen in vollendetem, harmonischem Zusammenwirken ge- steigert werden, bestimmt uns, die weißen, noch unerforschten Felder auf der ontogenetischen Karte der Epigenesis offen zu lassen, sie nicht mit Anlage- und Vererbungssubstanzen zu überdecken und zu verschleiern, mit den wenigen unbekannten Faktoren zu rechnen und durch die unvoreingenommene Verfolgung der Epigenesis sie aufzuklären, zuerst die kardinalen, dann die Sonderbedingungen des ungestörten Geschehens zu ermitteln. Die Cellularphysiologie erhält durch den Vergleich reiche Aufschlüsse; welch wertvolle Beiträge liefert doch die Verfolgung der Furchung bei den verschiedenen Formen für die Lehre vom Teilungsmechanismus! Diese kardinale Fähigkeit der Zelle vermag, wenn sie, sei es durch bessere Approvisionierung und Ernährung der Zelien oder gleichmäßige, gesteigerte Temperatur erhöht wird, durch die rasche Vergrößerung des Zellenstaates un- absehbare Komplikationen, insbesondere auch bei der nachfolgenden Auslese ihrer Funktionen, hervorzurufen. Nicht lokalisierte Substanzen, sondern eine Erhöhung des Teilungswachstums, des Gemeingutes aller Zellen steigert die Organisation auf allen Linien und fördert die Differenzierung. Diese bringt dann wiederum infolge des er- höhten Verbrauches auch bei der Arbeitsteilung die diesen Ver- brauch registrierenden Eizellen graduell auf ein höheres Niveau. So wird in unzähligen Generationen die Mannigfaltigkeit der Organisation gesteigert. Was somit die Keimzelle der höchststehenden Formen zu so eminenten Leistungen befähigt, ist in erster Linie die Kom- plikation ihres unicellulären Haushalts. Die Phylogenese hat bei Warmblütlern eine Anpassung des cellulären Elementarorganismus an hochgespannte Lebensbedingungen, eine Steigerung der Assimi- lationstätigkeit, des gesamten Stoff- und Gaswechsels herbeigeführt, welche die Geschlechtszellen mit den somatischen Zellen teilen. Diese Steigerung der Intensität der cellulären Lebenserscheinungen hebt die unicelluläre Leistungsfähigkeit auf ein sehr hohes Niveau, welches bei der Darbietung von vorzüglich vorbereitetem Nähr- material — mit und ohne Vermittlung des Eiwachstums — den heranwachsenden Zellenstaat zu besonderen Leistungen befähigt. Es kann nicht nachdrücklich genug betont werden, daß schon diese Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 465 Steigerung des Teilungswachstums, der Intensität, der Vielseitigkeit und der Dauer des Ringens auf allen Linien eine Fülle neuer Si- tuationen und Gelegenheiten schafft und so — ganz abgesehen von der Disposition zu besonderen multicellulären Leistungen an cellulärer Differenzierung und Anpassung — das Kardinalerbe auch der höchst- stehenden Formen ist, dessen Tragweite unabsehbar erscheint. Dieses Erbe läßt sich nicht in Anlagesubstanzen, in Teilchen und Plassonten auflösen, was einem Cellularphysiologen niemals in den Sinn kommen wird. Die Erhöhung der Wechselwirkungen und der Wechsel- beziehungen der einzelnen, durch Arbeitsteilung entstandenen Kom- ponenten einer Zelle bedeutet an sich bereits die Intensität der Leistungsfähigkeit der Keimzelle. Diese unterscheidet sich aber lediglich durch ihre Indifferenz, durch ihre volle, nicht einseitig be- anspruchte Differenzierungsbereitschaft, von den funktionell einseitig beanspruchten Somazellen, sie teilt mit diesen den gesteigerten Zellenhaushalt, sozusagen die Verwöhnung, welche beim Vergleich mit den im Kampfe ums Dasein stehenden, abgehärteten Elementen kleinerer, anspruchsloser, freischwärmender Zellenstaaten, die lediglich wegen des niedrigeren Niveaus ihrer unicellulären Fähigkeiten weniger leisten können, so markant zutage tritt. Wir haben es für die menschliche Keimzelle ebensowenig not- wendig wie für die eines Cnidariers, ein Idioplasma und ein Trophoplasma zu unterscheiden. Das Eiwachstum ist doch eine assimilatorische Funktion des primitivsten, cellulären Haushaltes, mithin ist auch die so unermeßlich variierbare Art der Anordnung von Laboratorium und Depot bei weiterer Vergrößerung der Fabrik unbedingt eine Funktion des als Trophoplasma bezeichneten Ab- schnitts. In dieser Eigenart sowie in der Beschaffenheit des Spermocentrums ist jedoch das Ringen des Teilungsmechanismus mit den Reserven, die Furchungsmechanik, das Ringen der Blastomeren und alle die sich daraus ergebenden so folgenschweren Situationen vorbedinet. Die Bildung der Zona pellucida und anderer Eihüllen muß doch — gleich anderen Abscheidungen — eine als solche variable Funktion des Trophoplasmas sein, ihre Anordnung und Elastizität nimmt aber auf das Ringen, die Formbildung der Art und des Individuums wesentlichen Einfluß. Dasselbe gilt auch von dem andere Differenzierungen leistenden Arbeitszeug, welches Meta- zoen nicht anders gebrauchen als Protozoen. Dieselben Kernsegmente und Chondriosomen, welche beim Wachstum der Eizelle einseitig tätig sind, werden später in ihren essentiellen, spezifisch cellulären 30* 466 ALFRED GREIL, Bestandteilen, bei anderen Differenzierungen beansprucht. So sind also die Keimzellen bei Hoch und Nieder nicht durch Gehalt an einem mystischen, determinierenden Idioplasma, sondern durch die univer- selle, uneingeschränkte erhöhte Bereitschaft ihres celluläre Leistungen vollbringenden, unermeßlich variierbaren, essentiellen Arbeitszeuges ausgezeichnet, dessen Nuance sie voneinander unterscheidet. Bei höherstehenden Formen verbietet es sich von selbst, an eine Keimbahn zu denken oder den Versuch zu wagen, im so rasch sich verzweigenden Zellenstammbaum diejenige Verzweigungesfolge zu ermitteln und zu isolieren, welche zur Bildung des Keimepithels führt. Insofern sind diese Formen eine sehr wichtige Kontrolle für die Beurteilung der bei niederen zellarmen Formen, an deren Zellenstammbaum schon frühzeitig jene Verzweigungsfolge ermittelt werden kann, erhobenen Befunde, die für die Keimplasmalehre ver- eewaltigt worden sind. Was an niederen Formen ermittelt wird, soll doch eine Erklärung des an den am besten bekannten höchststehenden Formen zu Beobachtenden anbahnen und erleichtern; was aber mit den Befunden an jenen schon a priori unvereinbar erscheint, kann doch nicht für die einfachen Formen mit ihrer primitiven Entwicklung angenommen werden. Was das Keimepithel der höchststehenden Formen charakterisiert, ist durchaus nicht seine Stellung im Zellen- stammbaume, — in vielen Fällen ist es überhaupt nicht auf eine der zwei, zweihundert oder zweitausend ersten Zellen zurückführbar, daran ist gar nicht zu denken, — sondern die durch seine Anordnung gegebene Disposition zu weiterem Wachstum, wobei die Beschaffen- heit der Unterlage eine ausschlaggebende Rolle spielt. Welch komplizierte weitere Vorgänge der Arbeitsteilung spielen sich noch späterhin ab, wenn es erst zur Follikelbildung kommt! Die Erkenntnis der Epigenesis, die hier ihren Kreis schließt, verpflichtet uns, jeder- zeit mit der Möglichkeit zu rechnen, daß irgendein noch indifferenter Epithelkomplex an die Stelle des Keimepithels gebracht, unter die- selben Bedingungen versetzt wie dieses, Ureier liefern könnte, also eine Vollentwicklung zuwege brächte Wir haben gesehen, wie die Keimepithelzellen als einfache winzige Zellen an die epigenetisch ermöglichte Arbeit gingen. Wir haben sie in ihrem Wachstum ver- folet und erkannt, wie sie jene grundlegenden Dispositionen für die fundamentalste Organisation eines Chordoniers so ganz nebenbei er- werben und in der Phylogenese, bei ihrem stetig zunehmenden Wachstum blindlings in den Tag hinein arbeitend, erworben haben. Würden dieselben Zellen unter anderen Bedingungen, an anderer Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 467 Stelle, in anderer Anordnung, unter anderen Widerständen der Nachbarschaft, unter anderen Ernährungsverhältnissen, Spannungen und Beengungen stehen, so würden sie ganz etwas anderes leisten, nämlich genau das, was eben jeweils durch die betreffende Differen- zierungslage vorgeschrieben wird. Blindlings und zwangsläufig, als eine Kette von spontanen Reaktionen auf die alles beherrschenden Bedingungen der Nachbarschaft und der Außenwelt kommt das Ei- wachstum und seine Folgen zustande. Könnten wir die in den ersten Phasen des Wachstums begriffene, nur ganz wenig gemästete Keim- zelle an einen anderen Ort versetzen, so würde sie noch zu einer sehr leistungsfähigen, der Nachbarschaft sich anpassenden zunächst überfütterten Somazelle werden, — genau so wie das Urmesoderm- zellenpaar des Blastulastadiums der Schnecken ins Ectoderm einge- setzt sich später z. B. an der Schalen- oder Fußbildung beteiligen würde und bei reziproker Versetzung ein zu Ectoderm werdendes Micromer in die Leibeshöhle versetzt unter genau derselben Nachbar- schaft wie die Urmesodermzellen Mesodermbänder und deren Derivate liefern müßte. An solche Programme haben Entwicklungsmechaniker noch gar nicht gedacht, vielleicht weil das sicher zu erwartende Er- sebnis bei Ausführbarkeit des Experiments mit ihren aprioristischen Wünschen und Anschauungen allerdings nicht in Einklang zu bringen wäre. — Doch läßt das Experiment in entscheidenden Fragen uns doch immer kläglich im Stich! — Aber auch bei den Formen mit exquisiter Keimbahn, deren Entstehung bei Nematoden z. B. lediglich einer bestimmten Variation des Eiwachstums und der Beschaffenheit der Eihüllen zuzuschreiben ist, kämen, wenn wir diese äußeren und die durch sraduelle Prävalenzen vertretenen inneren Bedingungen verändern, z. B. die Eihülle entfernen könnten, niemals jene isolierten, in einer „splendid isolation“ verharrenden, zu nichts anderem zu brauchenden Urgeschlechtszellen zustande! Könnten wir aber die nun schon einmal abseits gebliebenen, in die ventrale Rumpfwand einge- schlossenen überwachsenen sog. Propagationszellen in das Entoderm oder auch ins Ectoderm — vielleicht jüngerer großzelligerer Keime — transplantieren, dann würden wir wohl darüber staunen, wie prächtig sie sich den neuen Verhältnissen anpassen und z. B. den Körperschutz besorgen helfen würden. Andrerseits würde die rückversetzte, im- plantierte Ectodermzelle namentlich dann, wenn sie über etwas gesteigertes Teilungswachstum verfügte, reichlich konzentrierte - Reservenreste erhalten würde, unter den Bedingungen ihrer Um- 468 ALFRED GREIL, gebung wohl nichts anderes als entweder einen langen gewundenen Hodenschlauch oder einen gegabelt auswachsenden, kürzeren Ei- schlauch hervorbringen können, mit gewissen Modifikationen viel- leicht, aber im wesentlichen doch wohl gleich, denn unter denselben Bedingungen muß auch dasselbe geschehen, und die meisten, die wichtigsten Bedingungen treffen zu. Die Abwerfung der keulen- förmigen, schwerfälligen, bei der Kontraktion nicht zu bewältigenden Enden der für rasche Weiterteilung der wie Geschwindigkeitshebel arbeitenden somatischen Zellen sozusagen unpraktischen, unförmigen dicken langen Chromosomen ist als ein Beitrag zur Cellularphysiologie zu behandeln und als ein Symptom der Behinderung und Erlahmung des Kontraktionsmechanismus — genau so wie der Dotterlappen oder Pollappen einiger Schnecken — zu betrachten. Es war eine unglückliche Kombination der Befunde, als man darin eine Elimi- nierung einer überflüssigen, hinderlichen, hemmenden Erbmasse er- blickte, etwa so, wie man die Bildung der Richtungskörperchen ganz irrtümlicherweise als eine Entledigung der Eizelle von gewissen, die Entwicklung offenbar hemmenden Teilen ihres Zellkörpers und ihres Zellkernes aufgefaßt hat. Es ist doch in erster Linie das Ergebnis des kontrollierenden Vergleiches zu berücksichtigen, daß jene Er- scheinung der Kerndiminution durchaus nicht bei allen Nema- toden, sondern lediglich nur bei Ascariden vorkommt, auch sollten die Verhältnisse bei chromosomenreicheren und bei höherstehenden Formen jene Auffassung schon von vornherein als außerordentlich bedenklich erkennen lassen. Wir haben also auch bei den höchsten Formen nicht die geringste Veranlassung, Keimepithel und indifferente epitheliale Keimblätter- zellen als etwas irgendwie prinzipiell Differentes hinzustellen, und müssen daher die Lehre von der Keimbahn in ihrer bisherigen Form a limine abweisen. Es läßt sich lediglich der Stammbaum und die Sukzession von Situationen und Gelegenheiten verfolgen, welche indifferent gebliebenen Zellen die Anteilnahme an zellenstaatlicher Arbeitsleistung versagen, andrerseits die Möglichkeit schaffen, in Sesteigertes Teilungswachstum einzutreten und an dem in Arbeits- teilung entstandenen Zellenstaate zu schmarotzen. Der einfache, sich so ganz und gar im Rahmen des Unicellulären abspielende Vor- gang des Eiwachstums, welcher bei so vielen Somazellen in seinen ersten Anfängen unter wenig geänderten Bedingungen sein Analogon findet, ist nicht mit der Art und Weise zu vergleichen, wie man Kindern Süßigkeiten in ein sog. Wunderknäuel einspinnt. Nicht Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 469 mystische organbildende und morphoplasmatische Stoffe werden beim Eiwachstum eingewoben, sondern es findet eine simple, getreue, wahl- lose Registrierung des mütterlichen Stoffbedarfes und Stoffumsatzes und eine cellulärem Haushalte und dem Fortgange dieser Arbeit ange- paßte Anordnung der so gebildeten Reserven an rohen Bau- und Nähr- substanzen statt, und in dem Maße als das Depot immer größer und größer wird, ergeben sich dann jene Dispositionen zu den grundlegenden Wachstumsdifferenzen. Ehe diese einen gewissen Grad, eine gewisse Reaktionsschwelle erlangen, kann die heran- wachsende ungeschlechtliche Keimzelle oder die Oocyte gar nichts leisten, sie brächte nicht einmal die Gastrulation oder die Bildung eines Keimknotens bei Placentaliern zuwege. Alles muß erst in so überaus einfacher Weise, als eine Begleit- und Folgeerscheinung anhaltenden Eiwachstums bei Hoch und Nieder erworben werden. Diese Tatsache steht aber mit der von Vererbungstheoretikern und Entwicklungsmechanikern geforderten Annahme der Kontinuität einer besonderen Erbmasse, des Idioplasmas, in grellem Widerspruche. Die Kontinuität der Zelle scheint für solche Spekulationen nicht zu genügen, es soll noch ein in der Zelle enthaltenes, in den Chromo- somen, den Mitochondrien oder in irgendwelchen Winkeln des Plasmas deponiertes Keimplasma als Erbmasse vorhanden sein, und dieses wird als unsterblich hingestellt, während die nur als Träger gedachte Zelle ignoriert wird. Die Verfolgung des Eiwachstums lehrt uns etwas ganz anderes. Alles und jedes muß bei Protozoen wie beim Menschen erst durch spezifisch celluläre Arbeit erworben werden, und speziell diejenige grobe Anordnung des Plasmas, welche die Keimzelle dazu befähigt die grundlegenden Formbildungen einzu- leiten, ihren Abkömmlingen die ersten Griffe und Stellungen in jenem Ringen vorzuschreiben, in dessen weiterem epigenetischem Verlaufe sich alles folgende ergibt, ist das Werk der schlichten cellulären Tätigkeit beim Eiwachstum. Die Keimzelle bestimmt die Form- bildung durch ihre Veranlagung zum Teilungswachstum und jene, so fein abgestimmte und variierbare bilaterale Polarität, die erst ganz allmählich schrittweise erworben werden muß. Die Austragung des Ringens wird stets auch durch äußere Bedingungen bestimmt. Dies paßt alles nicht in den Rahmen einer Erbmasse; von einer Kontinuität von Anlagesubstanzen für Organbildung kann daher überhaupt gar keine Rede sein, es werden auch nicht junge unfertige Anlagesubstanzen für die Formbildung während des Eiwachstums in vollwertige reife organbildende Substanzen übergeführt, denn die 470 ALFRED GREIL, Keimzelle ist nicht ein Zauberball, die Entwicklung führt vor uns keine Taschenspielerkunststücke auf, sondern bewegt sich offen, in der Phylogenese wie in der Ontogenese auf breiten, durch die Epigenesis vorgezeichneten cellulären Bahnen, welche nicht durch bequemes Spekulieren am Schreibtische, sondern nur durch eine sorgfältige, bei den Umwandlungen des Keimepithels einsetzende formale Analyse des epigenetischen Geschehens der Entwicklung zu ermitteln ist. — Die ungeheure Variabilität der quantitativen und qualitativen Verhältnisse des das Ringen in den Blastomeren und unter den Blastomeren veranlassenden Eiwachstums, welche in letzter Linie auch auf die durch unzählige Generationen hindurch wirkenden, ver- schiedenen äußeren Entwicklungs- und Lebensbedingungen zurückzu- führen ist — also ein umfassender Komplex der inneren und äußeren Entwicklungsbedingungen — bringt es mit sich, daß die Reaktionen auf die in der ganzen Metazoenwelt wie eine Universalerscheinung, eine Grundschablone auftretende, bei jeder Steigerung des Eiwachs- tums sich gleichermaßen zwangsläufig als Begleiterscheinung sich einstellende Polarität und Bilateralität in verschieden gearteter Weise zum Ausdrucke kommen, in deren besonderer Anordnung sich das Walten der Epigenesis so markant äußert. Der Grundton aber ist derselbe: die Veranlagung zu Wachstumsdifferenzen. — In anderer Weise beeinflußt keine Keimzelle — abgesehen von ihrem ersten Produkt der Eihülle — die Formbildung, das Werk ihrer Abkömm- linge. Jene mannigfaltig abgestufte Wachstumsdifferenz wird den äußeren Umständen und der Epigenesis gemäß eben in verschiedener, unendlich mannigfaltiger Weise ausgetragen. Wenn wir die Be- dingungen, welche dies bestimmen, kennen, so ist die Sachlage auch erklärt. Wenn wir z. B. sehen, daß bei so vielen Wirbellosen der Dotter derart angeordnet und beschaffen ist, daß er schon bei der ersten Teilung von dem mit ihm ringenden Teilungsmechanismus nicht vollends bezwungen wird, die beiden ersten Blastomeren in auffälliger Weise ungleich groß sind, so ist doch damit für alles Weitere eine gewisse Marschroute gegeben. Jene quantitative Un- gleichheit, die noch keine Ungleichartigkeit ist und nur zu Wachstums- differenzen disponiert, gleichviel, ob diese früher oder später zur Austragung kommen, begründet z. B. unter den bei gewissen Mollusken bestehenden Verhältnissen, die, wenn auch nur ganz entfernt, gewisse Analogien mit der Morulabildung bei Säugern aufweisen, eine dauernde Hegemonie des D-Quadranten. Die weitere Furchung, Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. A die epibolische Überwachsung der Macromeren muß hier früher oder später zu Ungleichheiten führen, die zur Abdrängung marginaler, jüngster Zellen oder zu paratangentialer Teilung führen. So kommt in diesem Quadranten ein Zellenpaar ins Innere. An der Oberfläche ist damit ein Ausgleich zustande gekommen. Die Innenzelle kann unter der neu gegebenen Anordnung, in der neuen Nachbarschaft nichts anderes als zu einer Urmesodermzelle werden. Meist ist sie zu dieser Zeit bereits in zwei geteilt. Jede andere Zelle müßte in dieser Situation, wie wir oben gesehen haben, dasselbe leisten. Gelingt es experimentell, die ungleiche Größe der vier ersten Blasto- meren, insbesondere des D-Blastomers, einzuschränken und damit jene Wachstumsdifferenz, die durch grübste quantitative Verhältnisse gegeben ist, aufzuheben, dann wird auch der Effekt, die Reaktion während der Furchung, ausbleiben. Es gibt Formen (Dentalium, Ilyanassa), bei denen dies durch die besondere Gunst der Verhältnisse, nämlich infolge einer besonders auffälligen Steigerung des Dotter- gehaltes oder einer gewissen Schwächung des Teilungswachstums dadurch ermöglicht ist, daß dieses Übermaß als Dotterlappen zur Zeit der höchsten Konzentration temporär abgenabelt wird, indem sich der kontraktionsfähige Teil des Protoplasmas von diesem nicht zu bewältigenden Ballast abgrenzt. Bei den folgenden Teilungen wird er nach Einverleibung in der Erschlaffungsperiode bezwungen und äußert aber dann in der oben angegebenen Weise seine Hegemonie. Wird nun dieser Dotterlappen künstlich im richtigen Moment total abgenabelt, entfernt, so fällt jene Disposition mit einem Schlage weg, es entsteht keine Urmesodermzelle. Leider gibt es bei höheren Formen keine so einfache Gelegenheit, Wachtumsdifferenzen und Beengungen sowie deren Folgen mit einem Schlage aufzuheben. Sollen nun wirklich mit jener völligen Abnabelung des Dotterlappens mesodermbildende Substanzen entfernt sein, oder soll jenes Übermaß an Dotter denn wirklich als spezifischer „Stimulus“ für die Meso- dermbildung, als eine Erscheinung der Entelechie betrachtet werden, darf das simple, blindlings spontan erfolgende Geschehen, das epi- genetisch ausgetragene Ringen in so mystischer Weise gedeutet oder gar als ein Beweis für die Entstehung und Lokalisation organ- bildender Substanzen, für die Mosaiktheorie angegeben werden? Mit solch geheimnisvollen Erörterungen und gar nichts erklärenden Um- schreibungen, die nur zu deutlich den Mangel an formalanaytischer Durcharbeitung des Problems erkennen lassen, kann sich der Epi- genetiker nicht befreunden. Sein Stolz ist es, möglichst wenig in 472 ALFRED GREIL, die Keimzelle hineinzulegen, anzunehmen und den gewaltigen Erwerb desselben klar zu erkennen. „Non multa sed multum“, nicht un- zählige organbildende Substanzen, sondern wenige, aber breitspurige, nie versagende, wie die physiologische Mehrfachbildung lehrt, sozu- sagen auf mehrfache Sicherheit — von der natürlichen Zuchtwahl — geprüfte fundamente, lapidare Dispositionen zum Ringen und damit zur Formbildung sind in der Keimzelle gegeben, womit der Epigenesis ganz bestimmte Bahnen gewiesen sind. Diese Dispositionen zu Wachstumsdifferenzen sind noch lange keine Anlagen für Organ- bildung, eine und dieselbe Disposition kann der Anlaß zum sukzessiven Erwerbe der verschiedensten Organe werden (dorsale Gastrulawand sämtlicher Chordonier). An den Placentaliern, deren Keimzellen von allem entbehrlichen Ballast bei der phyletischen Verfeinerung ihrer Lebensführung befreit wurden, treten diese fundamentalen Präva- lenzen und Dispositionen zu ungleichem Wachstum um so deutlicher hervor. Schon die ersten Blastomeren zeigen die groben Reaktionen (manchmal auch ungleiche Größe), die bei weiterer Aufteilung des Plasmas bei der weiteren Verzweigung des jungen Zellenstamm- baumes immer auffälliger werden. Dadurch aber, daß das Eiwachstum, der Dottererwerb so eingeschränkt werden mußte, wurde der Keimling ganz und gar auf den Uterus angewiesen, an dessen Stoffcirculation er schon im Gastrulastadium angeschlossen wird. Dadurch gewährt uns die Natur die weitgehendsten Rückschlüsse auf das Verhältnis der Nahrungsreserven der meroblastischen, oviparen Formen zur Ent- wicklung. Würde die Placentalierentwicklung in jenen früheren Stadien unterbrochen, ein therapeutisches Curretement ausgeführt, so würde von diesem Momente an das, was da die Mutter sonst dem Embryo zu seinem weiteren Wachstum und zu seinen ebenso epigenetisch erfolgenden Differenzierungen dargeboten hätte, von deren eigenem Soma und zwar in prinzipiell derselben Weise zum Ersatz dessen verbraucht werden, was beim Embryo aufgebaut worden ware. Es würde mutatis mutandis dasselbe geschehen, wie wenn eine Henne ihre eigenen Eier frißt. Was ist also mit der Erbmasse, den morpho- plasmatischen und Anlagesubstanzen für die Differenzierungen ge- schehen? — Wer sich solche Fragen vorlegt, wird niemals ins Lager der Neoevolutionisten übergehen können und HaAEckEL begreifen lernen, wenn er in seinen lapidaren tiefsinnigen Worten davon spricht, dab aus Gleichartigem (ersten Blastomeren) Ungleichartiges entstehe. Kein Epigenetiker, kein formaler Analytiker wird je einen treffenderen Ausdruck, eine bündigere Darlegung dieses fundamentalen Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 473 Sachverhaltes finden, keine schärfere Richtlinie für die Erkenntnis der vitalsten Probleme der Menschheit ziehen können. — Könnten wir irgendeine kugelige, in lebhafter Assimilation be- eriffene Zelle eines Keimblattes oder eine solche noch nicht zu ein- seitig beanspruchte (indifferenzierungs-, voll anpassungsfähige) Soma- zelle eines Säugetierfetus an die Stelle einer ganz jungen Oocyte in einen Prrücerschen Eischlauch der betreffenden Species ver- senken, sie also unter solche Bedingungen bringen, daß sie sich eine Zeitlang mästen, polarbilateral heranwachsen, dann befruchtet werden, im Uterusepithel einen neuen Nährboden gewinnen könnte, so würde diese Zelle unter so günstigen äußeren Bedingungen sicherlich imstande sein, ein vollendetes Soma zu erzeugen, d.h. der Epigenesis so breite Ansatzflächen zur Entfaltung ihrer Hebel zu gewähren. Leider sind solche und andere Experimente nicht aus- führbar. Auch Transplantationen von Säugetierovarien auf Placen- talier verschiedener Species und Ordnungen sind nicht möglich, weil sich das Organ dem artfremden Chemismus nicht rasch genug anpassen kann. An die Aufzucht von befruchteten Keimzellen in artfremden Geschlechtswegen ist kaum zu denken. Transplantationen von trächtigen Uterussegmenten ergeben keine eindeutigen Ent- scheidungen, denn es handelt sich in erster Linie darum, den be- stimmenden Einfluß der Uteruswand auf die Gruppierung der Blasto- meren, die Austragung der Wachstumsdifferenzen, ferner den Einfluß der osmotischen Druckverhältnisse auf den Ablauf der ersten, grund- legenden Entwicklungsvorgänge zu demonstrieren. Wenn nur das allgemeine Zellenleben aufrecht erhalten werden könnte, das Teilungs- wachstum voll zur Geltung kommen und die minimalen ersten, durch das Eiwachstum geschaffenen Prävalenzen ihre Reaktionen bedingen würden, so wäre bereits sehr viel gewonnen. Es wird die Ent- wicklung in Anpassung an die neuen Verhältnisse ihren Fortgang nehmen, im Laufe der intrauterinen Stoffzufuhr werden vom jungen Zellenstaate dieselben Differenzierungen geleistet, welche auch die Nährmutter aufweist. Die Zelle braucht anfangs nichts besonderes zu enthalten und zu erhalten, sondern nur gemäß der durch das Eiwachstum geschaffenen Dispositionen für das Teilungswachstum in die Entwicklung einzutreten; das Ringen wird seinen Fortgang nehmen, und alte und neue Anpassungserscheinungen werden ein- treten. Die Abkömmlinge höchststehender Formen brauchen nur in 474 ALFRED GREIL, die Gelegenheit zu kommen, um mit ihrem an sich bescheidenen cellu- lären Stamm- und Betriebskapital zu wuchern. Weite Strecken der Entwicklung können lediglich mit gewöhnlichen unicellulären, im allge- meinen gesteigerten Fähigkeiten zurückgelegt werden. Embryonen mit vielen Segmenten können noch aus ganz gleichartigen Zellen bestehen, alle grundlegenden Formationen besitzen, ohne daß andere Fahigkeiten verwendet worden wären als diejenigen, welche auch die Protozoen aufweisen. Alles leistet ein durch das Eiwachstum eingeleitetes differentielles Teilungswachstum. Rasch und unauf- haltsam, alle Schwierigkeiten, die der Zellenstaat bietet, über- windend, nimmt das Ringen, nimmt lokal gesteigertes und sich stetig, neuerlich, da und dort steigerndes beengtes Wachstum seinen Weg. Eine Situation ergibt bei dessen Fortgang die andere. Wenn nur das Teilungswachstum nicht erlahmt, die Approvisionierung stets gleichen Schritt hält, das Angebot der Nachfrage entspricht, so kann auch speziell bei den höchsten Formen aus einfacher richtunggebender Ausgangssituation mit überraschender Schnellig- keit vor dem Eintritt geweblicher Differenzierung viel mehr geleistet werden, als niedere Formen, im harten Kampf ums Dasein sich kümmerlich nährend. hervorbringen. — Könnten sich somatische oder Keimzellen solcher niederer Formen rasch genug an hochge- spannte Lebensbedingungen, an hochgradige Abhängigkeit von äußeren Lebensbedingungen gewöhnen bzw. anpassen, wären die Unterschiede im Chemismus so leicht zu überbrücken, könnten wir solche Zellen in einen Follikel eines Placentaliers transplantieren, so würden sie beim Erwerbe desselben polarbilateralen Eibaues auch dieselben Reaktionen in einem rasch ablaufenden Teilungswachstum zeigen und unter denselben Außenbedingungen dieselben Keimblätter und folgenden Formationen liefern. Ein geschickter Arbeiter wird auch Verrichtungen, die ihm eänzlich ungewohnt und fremd sind, leichter besorgen, sich leichter neuem, ungewohnten Materiale anpassen als ein ungeschickter primitiver Arbeiter. Der Geschicklichkeit und Übung solcher Arbeiter entspricht die erhöhte celluläre Bereitschaft, die Verfeine- rung des cellulären Haushaltes und Arbeitszeuges bei hochgezüchteten Protozoen oder den Keimzellen hochstehender Metazoen, denen die fortgesetzte Teilung und das Leben im Verbande die Gelegenheit gewährt, diese Geschicklichkeit vielseitiger auszunützen. — Wenn die Entwicklung hochstehender Formen gewisse Momente erreicht hat, in denen da und dort Differenzierungen einsetzen, so Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 475 werden den Zellen mit komplizierterem Haushalte, mit gesteigerter Universalität dann, wenn es ihre Anordnung gestattet und das ihnen dargebotene Rohmaterial sie besonders dazu befähigt, auch besondere Leistungen vollbringen können, zu denen sie die sich epigenetisch ergebenden Umstände veranlaßt haben. Die formale Analyse hat zu ermitteln, wie und unter welchen Bedingungen dies möglich ist und zwangsläufig sich abspielt. So kann also eine an sich einfache Zelle sich epigenetisch ergebende Anpassungen leisten, die zu höchster Vollendung führen. Diese müssen also durchaus nicht qualitativ schon in der Keimzelle — 7. B. der Placentalier — determiniert sein, sondern sind ganz und gar von der Stoffzufuhr abhängig, das Werk der Epigenesis. Die Keimzelle tritt nicht wesentlich anders in die Ontogenese ein als die Urahnenzellen in die Phylogenese. Bei der Entwicklung in einen art- oder gattungs- fremden Uterus müßte gerade diese Erscheinung der Epigenesis — allgemeine Anpassungsfähigkeit des Zellenhaushaltes an den fremden Chemismus vorausgesetzt — besonders auffällig sein. Die Differenzierungen müßten sich nach dem Angebote richten, und das Zellmaterial würde in den verschiedenen, durch das ringende Wachs- tum geschaffenen Situationen gemäß der Verschiedenheit des Roh- materiales auch quantitativ und qualitativ ganz andere Abscheidungen erzeugen. Es würden z.B. im einen Falle mehr Horn- oder Chitin- gebilde mit eigenartiger Pigmentierung, im anderen mehr Kalkskelete, stärkere Muskulatur oder auch art- bzw. gattungs- oder ordnungs- fremde Differenzierungsweisen zustande kommen. Der Umstand, daß geweblich vollkommen übereinstimmende Differenzierungen (Cuticularbildungen, Knorpel, Fibrillenbildungen etc.) bei Formen entstehen, die im Systeme weit auseinander liegen, einen gänzlich verschiedenen Chemismus besitzen, legt bei Protozoen und Metazoen weiteres Zeugnis von der Einheitlichkeit der funda- mentalen, durch diese sekundären Anpassungen nur wenig veränderten cellulären Strukturen sowie vom einheitlichen Wirken der Epigenesis, speziell der funktionellen Anpassung ab, unter deren Zwange auch aus chemisch differentem Material dieselben oder ganz ähnliche Strukturen zustande kommen. Übereinstimmende Komponenten der chemischen Konstitution müssen wohl vorhanden sein und dieser Differenzierung ihre eigene Note aufprägen und erleichtern. Sicher- lich bestehen bei diesen Differenzierungen aber hinsichtlich der chemischen Konstitution auch viele Ungleichartigkeiten. So kann also die. Epigenesis, so paradox es klingen mag, auch aus chemisch 476 ALFRED GREIL, verschiedenen Zellenkomplexen, deren Elemente unter sich gleichartig sind, dasselbe Ungleichartige, d. h. dieselbe Differenzierung und Struktur, erzeugen. Durch Anpassung erworbene Veränderungen in der chemischen Konstitution müssen also die Epigenesis nicht unbe- dingt in verschiedene Bahnen lenken, stets dominiert der Einfluß anderer, innerer und äußerer Entwicklungsbedingungen. Der Mecha- nismus der cellulären Arbeitsleistung ist derselbe, nur das arbeitende und zu verarbeitende Material ist verschieden. Das eine wissen wir also, daß sich die Eizelle als Re- gistrator des mütterlichen Stoffverkehrs bei den ver- schiedenen Organismen nur hinsichtlich gradueller primitiver Fähigkeiten Einzelliger sowie durch quantitative und qualitative Verschiedenheiten der aufgefangenen und aufgestapelten Nahrungs- reserven auszeichnet, bei deren Wirksamkeit unter Bildung eines Zellen- staates ein sich hierbei epigenetisch ergebender gewaltiger Bedingungs- komplex die Divergenzen in der Entfaltung und Steigerung uni- cellulärer Fähigkeiten, insbesondere des Teilungswachstums und der Differenzierung, beherrscht. Diese Erkenntnis steht fest. Die physi- kalische Variabilität des Kibaues hat bei Hoch und Nieder in formativer Hinsicht eine Variabilität des gewaltigen, epigenetisch sich ergebenden Bedingungskomplexes der Entwicklung zur Folge, deren äußerste, uns meist noch unbekannte Glieder individuelle Charaktere bestimmen. Hätte je das Menschengeschlecht von einem einzigen Paare seinen Ursprung genommen, so würde dieses der befruchteten Ei- zelle und die heutige Organisation und Leistungsfähigkeit der menschlichen Gesellschaft dem fertigen Organismus entsprechen. Den zellenstaatlichen Fähigkeiten und Leistungen der Urmenschen ent- sprechen in diesem Vergleiche die cellulären Fähigkeiten der Keim- zelle. Nichts von den Leistungen und Gliederungen war damals fest bestimmt. So wie nun ein zweites identisches, ganz primitives Menschenpaar unter denselben Bedingungen in der staatlichen Organisation seiner Abkömmlinge seine primitiven Fähigkeiten ebenso steigern und vollenden kann und wie dann in der letzten Phase dieses gewaltigen Werdeganges die Menschheit als Gesamt- heit dieselben Sonderungen gewinnen würde, so gleichen auch die Individuen der einzelnen Arten in ihren Grundzügen einander, und das, was ihre individuellen Charaktere bedingt, hängt z. T. von den Anderungen der letzten Glieder jenes schier unermeßlichen epigene- tischen Bedingungskomplexes ab, der das sukzessive aus einfachsten Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. AA Anfängen entstandene Werk der Vergangenheit ist. Individuelle Verschiedenheiten, der Beginn weiterer Verzweigung des Metazoen- stammbaumes, müssen also durchaus nicht in einer spezifischen, essentiellen Veränderung der Ausgangszelle ihren Grund haben. Minutiöseste graduelle Veränderungen genügen. Alles ist im Laufe der Entwicklung durch die Veränderung äußerer und innerer Ent- wicklungsbedingungen in durchaus epigenetischer Weise veränderlich. Durch gleichsinnige Anpassungsweisen können gleichsinnige Abände- rungen zustande kommen Die vergleichende Analyse des ungestörten Geschehens liefert bereits eine kaum zu bewältigende Fülle von Be- weisen, welche zielbewußt ausgeführte Experimente unter günstigen Umständen kontrollieren und erweitern können. Der Vergleich der Entwicklung mit einem Ringkampfe oder mit dem Fortschritte der biologischen Wissenschaft selbst, ist auch in dieser Hinsicht sehr lehrreich. Diese historische Auffassung der Entwicklung, der um- fassende Vergleich mit den primitiveren, denselben prinzipiellen Werdegang in früheren Phasen mit Varianten darbietenden niedrigeren Formen ermutigt uns, der ungeheueren Aufgabe der Erforschung der epigenetischen Entstehung des Menschen näher zu treten. Das Prinzip, vom Einfachen zum Komplizierten vorzuschreiten, findet in jeder Ontogenese seine Bestätigung, und alles, was die Keimzelle an minutiösen Verschiedenheiten in ihrem Zellbaue darbietet, spielt sich im Rahmen einer primitiv funktionierenden, mit wenigen Fähig- keiten versehenen einfachen Zelle ab, die sich zu dem, was aus ihr hervorgeht, nicht anders verhält als ein erstes Menschenpaar zu einer in voller und weitestgehender Arbeitsteilung organisierten, höchststehenden menschlichen Gesellschaft. Die Unterschiede, welche die Keimzellen der Meta- zoen darbieten, betreffen somit nur die Disposition zur Entfal- tung unicellulärer Fähigkeiten. Graduelle Unterschiede im Teilungswachstum verändern bereits die gesamte Formbildung, sie können nicht für einzelne Keimblätter und später auftretende Organe systemisiert und a priori lokalisiert sein. Alles dies ist das Werk des Zellenstaates, der Epigenesis, zu dem die Keimzelle vor allem das universelle Mittel der Teilung, das grobe Handwerkzeug liefert; alles könnte, wie jene Triangulierungspunkte erkennen lassen, jeden Augenblick anders werden, nie und nimmer können im ersten Gliede der Bedingungskette auch alle folgenden enthalten sein. Die Wachs- tumsunterschiede betreffen auch die Protozoen, sie kommen an den Metazoen nur wegen der Staatenbildung so sehr zur Geltung. Genau 418 ALFRED GREIL, so wie Protozoen unterscheiden sich ferner die Keimzellen hin- sichtlich der Differenzierungsbereitschaft, deren Verschiedenheit zum Teil auf verschiedenen Chemismus in den Urahnenzellen zurückge- führt werden kann oder erst allmählich erworben wurde. Die Ausbildnug eines Kalkskelets oder der Schalen und Chitinpanzer sind primitivste, derartige Eigenschaften, welche sukzessive in der Folge der Genera- tionen durch die Variabilität der Assimilation und die Registrierung des mütterlichen Stoffwechsels beim Eiwachstum, durch schmarotzendes Abfangen vom Stoffverkehre allmählich gesteigert wurden. Bei der intrauterinen Ernährung der Placentalier, von Peripatus sowie anderer Formen kommt dieses Zwischenträgersystem in Wegfall, die Keimzelle wird kleiner, sie nähert sich in dieser Hinsicht den Ausgangszuständen. Allerdings darf nicht übersehen werden, daß die Komplikation, die Steigerung des Zellenhaushaltes im Säugerorganismus die Aufstapelung großer Nahrungsreserven unmöglich macht, weil diese solches Zellenleben gefährden. Das Eiwachstum hält sich also in beschränkten Graden und wird, je höher die Organisation des Warmblütlers ansteigt, immer mehr reduziert. Die Selektion hat jene Formen gezüchtet, bei denen die Epigenesis als spontane Varianten jene Anordnung der Geschlechts- wege zustande brachte, welche die Dauerentwicklung in denselben ‚ermöglichte. Die Einschränkung des Eiwachstumes ging soweit, als es eben die Phylogenese mit all ihren Faktoren gestattete, soweit dies möglich war, ohne daß jene so überaus wichtigen, das Wachstum und das Ringen in bestimmte Bahnen leitenden, als Begleiter- scheinungen erworbenen Besonderheiten des Eibaues nicht beein- trächtigt wurden. Die Einschränkung des Dottererwerbes konnte unter der beständigen Kontrolle der Zuchtwahl jenen Grad, jenes Minimum der Reaktionsschwelle erreichen, in dem die Disposition zu ungleichem Wachstum für den heranwachsenden Zellenstaat voll- wirksam erhalten bleibt. Infolge der bei Warmblütlern gesteigerten allgemeinen Arbeitsleistung der Zellen mußten diese Wachstums- differenzen an sich bereits viel intensiver wirksam werden. Auch die Keimzellen der Primaten, von denen die menschliche an Größe etwa jener des Amphioxus entspricht, weisen jenen polar-bilateralen, erst beim Eiwachstum erworbenen Bau auf, dessen Reaktionen das Furchungsbild bestimmen; dies ist das Wesentlichste, was sie für die Formbildung besonderes mitbringen. Unter den geänderten übrigen Bedingungen kommen diese Wachstumsdifferenzen viel an- haltender zur Austragung. Die erste Reaktion, welche bei Amphioxus Richtlinien des Eutwicklungs- und Vererbungsproblems. 479 die Gastrulation herbeiführt, ist die Sonderung des Keimknotens, welche bei vielen Placentaliern ganz an die unter ähnlichen Be- dingungen zustande kommenden Erscheinung'en bei den amerikanischen Peripatus-Arten erinnert. Immer engere Kreise zieht dann jene Dis- position zu ungleichem, Beengungen und Steigerungen, lokale Zellen- vermehrung und Formbildung bedingendem Wachstum; die Entstehung des Primitivstreifens der Placentalier ist der nächste Erwerb, und die völlige Konzentration und Anstauung des Wachstums an dessen Vorder- ende bildet einen folgenden Wendepunkt, eine intimste Reaktion aufjene Veranlagung zu ungleichem Wachstum. Wie aber diese Wachstums- differenzen, dieses Ringen ausgetragen werden, dies entscheidet z. T. die im Wachstum relativ zurückbleibende, hemmende und hinderliche, nicht gleichen Schritt haltende Umgebung. Soweit also diese so fein abgestufte, im Verlaufe des Ringens immer engere Kreise ziehende Disposition zu ungleichem Wachstum — welche an sich noch keine spezifische Organbildung bedeutet und deren Austragung ganz von den Begleitumständen abhängt — noch gesichert erscheint, konnte das Eiwachstum reduziert, der Dotterballast verringert bzw. der Zellenhaushalt so verfeinert werden, daß er keine größeren Depots gestattet. Es spielt bei dieser polaren Bilateralität nicht so sehr die grobe Menge des Depots als die Konzentration der Reserven sowie engere Lokalisation des exzentrisch werdenden Laboratoriums eine große Rolle, was von allen Metazoen gilt, bei den Placentaliern aber besonders prägnant hervortritt. Die den Kern beherbergenden Abschnitte des Zelleibes, welche sich als Fabrik, bei der Assimilation, den Synthesen besonders hervortun, werden später auch zum Teilungs- wachstum besonders geeignet erscheinen, womit ja bereits für die Abkömmlinge der Plasmaregionen Dispositionen zu Wachstumsdiffe- renzen gegeben sind. Ein hochgezüchteter Haushalt und jene Dispo- sitionen sind also alles, was die Keimzellen der Placentalier mit- bringen, alles andere wird erst während der Entwicklung sukzessive vom miitterlichen Nährboden aufgenommen. Die Dottermitgift der Keimzellen —s. 1. (d. h. die Gesamtheit der Reserven) — ist bald aufge- braucht, und es treten dann bereits äußere Entwicklungsbedingungen in Kraft, denn der mütterliche Nährboden bedeutet ein Stück Außen- _ welt für den Keimling. So tritt uns diese Einschränkung des Dotter- erwerbes als ein Atavismus entgegen, der einer maximalen Frühreife eines meroblastischen Eies oder den frühen Phasen des Erwerbes des Eiwachstums in der Phylogenese entspricht. Die Keimzelle wird durch die Verringerung des Depots und ihrer Wirksamkeit entschieden Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Zool. u. Physiol. 31 480 ALFRED GREIL, einfacher gebaut, ihr celluläres Arbeitszeug tritt mehr hervor. Es zeigt sich, daß die Reserven trotz aller ihrer Vielseitigkeiten, wenn sie von der groben Assimilation beim Teilungswachstum beansprucht werden, auch diesem genügen müssen, etwa so, wie wenn ein Tag- löhner die Gerichte eines Feinschmeckers verzehrte. Auch was der mütterliche Nährboden in den ersten Zeiten des Bauens benötigt, wird elektiv mit gewöhnlichem Rohmateriale bestritten. Erst wenn die Differenzierung, jene Zuchtwahl unter den Dispositionen zur Entfaltung unicellulärer Leistungen in den einzelnen Zellenkomplexen einsetzt, wenn diese unter verschiedene Bedingungen geraten, wird genau so wie im mütterlichen Soma dasjenige beansprucht, was jeweils verwendbar ist. Auch diese Bedingungswahl findet im Frei- leben der Organismen und in der züchterischen Praxis ein voll- kommenes Analogon. Wir können aber dem mütterlichen Stoffreservoir auch der höchstgezüchteten Formen ebensowenig eine spezifische organbildende Tätigkeit zuerkennen wie etwa der aufgenommenen Nahrung oder dem Dotterreservoir des Eies, welches der Embryo doch eigentlich im wesentlichen in genau derselben Weise bean- sprucht wie der Organismus, der ein Ei verzehrt. Die immensen Vorteile, welche der Erwerb der immer länger währenden intrauterinen Entwicklung darbot, werden erst verständ- lich, wenn wir uns die langwierige und mühsame Art des Eiwachstums oviparer Formen, die Synthese der konzentrierten Reserven, welche im Laboratorium der Oocyte aufgespeichert werden, und dann die Aufspaltung von Eiweiß, Kohlehydraten und Fetten beim Abbau dieser Reserven, die nachfolgende Resynthese der Aufspaltungsprodukte vergegenwärtigen. Bei intrauteriner Entwicklung ist dieser Prozeß wesentlich abgekürzt, vereinfacht, der junge Zellenstaat, der Embryo und Fetus wächst und differenziert sich nun mit dem Materiale, welches der mütterliche Organismus im wesentlichen so wie seinen eigenen Geweben fortdauernd direkt darbietet. Welche Zellenkomplexe und in welchem Grade sie die korrespondierenden Differenzierungen leisten, darüber entscheidet stets die Epigenesis, der Zellenstaat; auch diese Funktion der Gelegenheit kann nicht vorher bestimmt sein. Das Erbe der Vergangenheit muß somit das Gemeingut aller Zellen sein, die in dieser Hinsicht infolge der Variabilität des Eiwachstumes nur graduelle Unterschiede zeigen können. Nachdem die Steigerung unicellulärer Fähigkeiten erst im Zellenstaat nach Maßgabe der hierzu günstigen Gelegenheit erfolgt, das Werk des Zellenstaates ist, so kann die Komplikation, welche die Keimzellen in unermef- Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 481 licher Mannigfaltigkeit darbieten, nicht so groß sein, daß sie nicht allen Furchungszellen zuteil würde Ob letztere diese Fähig- keiten steigern oder vernachlässigen, kann in der Eizelle noch nicht bestimmt sein. Der von GEGENBAUR und HAECKEL geforderte ein- fache celluläre Charakter der Keimzelle wird durch diese graduelle Steigerung des bescheidenen Repertoirs unicellulärer Fähigkeiten nicht im mindesten beeinträchtigt, und es erscheint daher als eine sehr unpraktische, kurzsichtige Vorstellung, alle Organbildungen und Differenzierungslokalisation in die Keimzelle zu verlegen, die Keimzelle mit den Werken des Zellenstaates zu rubrizieren und so in engster Perspektive ein ungeheuerliches Chaos zu konstruieren. — Nachdem erst im Laufe der Entwicklung der Zellenstaat die unicellulären Fähigkeiten seiner Komponenten ausliest und steigert, soist der Verzicht, den die einzelnen Zellen bei der Arbeitsteilung und einseitigen Differenzierung auf die nicht benützbaren Fähigkeiten leisten müssen, nicht sehr groß, jedenfalls steht er in keinem Ver- hältnisse zu dem Erfolge der Arbeitsteilung und Differenzierung. Die Keimzelle und ihre Abkömmlinge bringen sozusagen nur die rohen Potenzen mit, von denen zunächst nur die Teilungsfähigkeit allgemein gesteigert wird. Erst die differenzierende Auslese ver- feinert die anderen Potenzen. So arbeitet also die Entwicklung bei der Bildung des Zellenstaates und seiner Organe trotz mancherlei Verzicht dennoch mit großer Ökonomie. Die einzelnen dotterhaltigen Zellen holoblastischer, freilebender Keime enthalten in jungen Entwicklungs- stadien zweifellos auch solche der bei der Registrierung des mütter- lichen Stoffverbrauchs aufgenommenen gleichmäßig auf sie verteilten Nahrungssubstanzen, welche ihre Nachkommen bei ihrer einseitigen Differenzierung nicht verwerten können. Was sollen Mesodermzellen eines Nematodenkeimes z. B. mit dem zur Chitinbildung nötigen Roh- material, aus welchem sie sicherlich auch partizipieren, anfangen ? Solche Materialien kommen dann auf dem Wege des Stoffaus- gleiches durch die Leibeshöhlen- und Blutflüssigkeit den Ecto- dermzellen, die sie verwerten können, zugute, und umgekehrt geben diese wieder Rohmaterialien ab, die für die Muskelfibrillenbildung geeignet sind. So wird also die ganze Mitgift der Keimzelle, welche bei äqualen Furchungen gleichmäßig auf den jungen Zellenstaat verteilt wird, vollkommen ausgenützt. Bei meroblastischen Formen oder bei intrauterin sich entwickelnden höheren Formen, deren Blut- sefäßsystem frühzeitig ausgebildet wird, entnehmen die schon von vornherein entlasteten, nur ganz wenige, oder gar keine Reserven 31* 482 ALFRED GREIL, enthaltenden Zellen des Embryos der Ernahrungsfliissigkeit das- jenige, was sie brauchen können. Es bestehen also ähnliche elektive Verhältnisse wie in vollendeter Soma, sofern kein besonderer An- passungszwang besteht, oder etwa bei der Vampyrella spirogyrae oder im großen, in der pelagischen Organismenwelt, von welcher jede Species ihrem, auch individuellen Chemismus entsprechend, diejenigen Salze und Substanzen aufnimmt, welche sie bei der Differenzierung benötigt, so daß die Konstitution des Meerwassers voll ausgenützt wird. Niemand hat aber die Salze des Meerwassers als organbildende Substanzen bezeichnet, so kann also auch das Depot an Rohmaterial, welches die Eizelle registrierend aufspeichert, nicht als solches gelten. Die Tätigkeit des differenzierenden Zellenstaates schafft durch Um- arbeitung des direkt von außen oder aus Depots oder aus den Körper- säften des Muttertieres aufgenommenen Rohmaterials die Organisation. Es ist daran festzuhalten, daß die minutiösen, graduellen, quan- titativen und qualitativen Verschiedenheiten, welche die Keimzellen in ihren cellulären Strukturen und ihren cellulären Produkten aufweisen, stets die ganze Zelle, insbesondere das gesamte Protoplasma und die anderen in innigsten Wechselbeziehungen stehenden Komponenten (Kern, Teilungszentrum ete.), die alle durch die celluläre Arbeitsteilung entstanden sind, betreffen. Dasselbe gilt auch für die Veränderungen, welche die Differenzierung der Zellen hervorbringt. Keine einzige Tatsache macht es wahrscheinlich, daß das Protoplasma oder der Kern allein, geschweige denn ein Chro- mosom oder gar Abschnitte eines solchen spezifische Fähigkeiten, eine spezifische Erbmasse oder Vererbungssubstanzen und -strukturen repräsentieren können. So wie die Urahnenzellen der Metazoen als ganze, einheitlich wirkende Komplexe, als Elementarorganismen und nicht als ein Haufen organbildender Spezialfabriken die Zellenstaaten des Metazoenreiches begründet haben, so liefern auch die in inniger Wechselbeziehung stehenden Komponenten der Keimzelle, der Kern, das Protoplasma und das Centrosoma etc. die Zellenstaaten rezenter Formen und beeinflussen durch ihre Wechselbeziehungen und die Variabilität ihres Chemismus die Variabilität der Gesamtleistungen, das Werk des Zellenstaates. Was die Chromosomen im be- sonderen anbelangt, so ist ihre phyletische Entstehung und onto- genetische Bedeutung lediglich unicellulärer Art. Die Entstehung der Kernsegmente ist ein Akt des Erwerbes der mitotischen Kern- teilung, welcher lediglich die mechanischen Vorteile des „divide et impera“ bietet und insofern mit der Furchung in einem gewissen Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 483 Parallelismus steht. Nichts weist darauf hin, daß die einzelnen Chromosomen spezifische Funktionen hätten. Die Stützen solcher Theorien sind durchaus nicht gesichert. Die Ökonomie der Forschung zwingt uns, den ursprünglichen Standpunkt des phyletischen Er- werbes gleichwertiger Kernsegmente Rechnung zu tragen und so lange zu vertreten, bis jene postulierte sekundäre Differenzierung und funktionelle Spezialisierung der Chromosomen, die mit Grüben- und Längenverschiedenheiten durchaus nicht identisch sein muß, wirklich erwiesen werden kann. Aber auch dann würde es sich lediglich um celluläre Verrichtungen, nicht aber um das Postulat gewisser Vererbungstheorien handeln. Wenn bei wenigen Wirbel- losen (z. B. Brachystola nach Surrox) Größenunterschiede zwischen einzelnen Kernsegmenten bestehen und bei der Befruchtung eine Paarung gleich langer (eventuell väterlicher und mütterlicher) Stücke stattfindet, so ist dies noch kein Beweis für eine funktionelle Verschiedenheit derselben. Es kommt in erster Linie darauf an, eine Vorstellung darüber zu gewinnen, wie diese Verschiedenheit entstanden ist. Die Ascendenten solcher Formen können durch verschiedengradige funktionelle Beanspruchung der Kernsegmente, durch eine bei unzähligen, restituierenden Synthesen als Begleit- erscheinung eintretende Veränderung ihrer Kontraktionsfähigkeit, etwa durch Wachstumsdifferenzen bei den Synthesen zunächst eine quantitative Verschiedenheit erworben haben, welche durch äquale Teilungen der Segmente festgehalten wird. Gröbenunter- schiede zwischen Chromosomen sind zunächst nicht anders zu be- trachten als solche zwischen Paramaecien. Die Variabilität trifft hierbei sozusagen ins Herz der Zelle. Wenn bei Konstanz solcher Elemente die Sättigung der quantitativ verschiedenen Affinitäten bei der Befruchtung voll erfolgt, d. h. daß kleinere sich mit kleineren und größere mit größeren paaren, so werden diese Größendifferenzen im Laufe der Generationen stabilisiert werden. Andererseits ist zu bedenken, daß einseitige Differenzierungen in den Gewebszellen nicht nur den allgemeinen Chemismus, sondern auch die Größe und Gestalt der Kernsegmente (Chromosomen) beeinflussen. In den Hodenzellen von Proteus finden sich z. B., wie C. RABL gezeigt hat, andere Chromo- somenformen als in der Milz und anderen Organen. Diese Verände- rungen betreffen aber den ganzen Chromosomenbestand und nicht einzelne Chromosomen. Es wäre zwar nicht ausgeschlossen, dab der spontane Erwerb von Größendifferenzen mit Veränderungen im Chemismus kombiniert sein kann. Wenn dem aber schon so wäre, 484 ALFRED GREIL, dann kann es sich zunächst nur um Nuancen bei der Entfaltung cellulärer Fähigkeiten, um eine minutiöse Einflußnahme auf das Protoplasma handeln, die von vielen anderen, sich epigenetisch er- gebenden Bedingungen abhängig ist. Beweise für solche Erscheinungen liegen nicht vor; ihnen steht die Beobachtung entgegen, daß in den Zellen eines und desselben Gewebes, z. B. in Bindegewebszellen, durchaus inkonstante und verschiedenartige Kombinationen größerer und kleinerer Chromosomen angetroffen werden, so dab diesen Ver- schiedenheiten nur eine nebensächliche Bedeutung zukommt. Die Er- haltung großer und konstanter Unterschiede unter den Kernsegmenten ist cellularphysiologisch von Interesse, weil sie zum mindesten für eine Sukzession der Caryomeren, des achromatischen Gerüstes spricht, dessen Affinität die im übrigen während der Ruheperiode freizügigen Chromatinkörnchen beherrscht, für eine Individualität der Chromo- somen, d. h. des Liningerüstes und seines Inhaltes, des Chromatins, sind hingegen keine Beweise erbracht worden. Von einer Permanenz der Caryomeren kann deshalb nicht gesprochen werden, weil während der Kernteilung, bei der Anaphase erhebliche Teile des achroma- tischen Gerüstes bei der Bildung der Spindel verwendet werden und eine lebhafte Synthese den vollen Bestand des Gerüstes auf Grundlage des in den Chromosomen erhalten gebliebenen Teiles bei deren Aufquellung wieder herstellt. Diese intimen Wechselbeziehungen zwischen den Komponenten des Kernes und des Protoplasmas schließen es aus, dem Kerne oder seinen durch Arbeitsteilung ent- standenen Komponenten ein Vererbungsmonopol zu vindizieren. Auch das Protoplasma ist schon aus historischen Gründen als ein ein- heitlicher Komplex verschiedener Komponenten zu betrachten, in welchem nur die Gesamtheit sowie die einzelnen der letzteren betreffende Verschiedenheiten, insbesondere im kontraktilem Gerüstbau, den Chon- driosomen, sowie in der groben Aufstapelung der Rohmaterialien bestehen. Dies beweist die Gleichartigkeit und celluläre Totipotenz der Abkömmlinge der Keimzelle, der Blastomeren und indifferenten Zellen der Keimblätter. Die Verschiedenheiten, welche durch die groben Verhältnisse und Bedingungen des Eiwachstums herbeigeführt werden, gehen also niemals so weit, daß ein Sektor oder Teile eines solchen korpuskulärer, gelöster, flüssiger Bestandteile der Gesamtheit vollkommen entbehren würde. Dies kann erst im Zellenstaate auf Grund jenes Stoffausgleiches bei der extremen Differenzierung ge- schehen, womit dann der Verzicht der einzelnen Zelle auf die Ent- faltung ihres ganzen ausschließlich spezifisch cellulären Potenzen- Riehtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 485 repertoirs in der Regel besiegelt ist. Der letzte Akt dieses Er- scheinungskomplexes der epigenetischen Entwicklung spielt sich in den heranwachsenden Oocyten ab, die infolge ihrer extremen An- passungsweise an Ihre Differenzierungslage dem Untergange verfallen, wenn sie nicht befruchtet werden. Wenn also auch bei intrauteriner Ernährung, d. h. unter den denkbar günstigsten äußeren Entwicklungsbedingungen, bei allmählich steigender Zufuhr von konzentriertester Nahrung, bei gleichbleibender Körpertemperatur eines Warmblütlers die Keimzelle als solche ver- einfacht erscheint, insofern sie gemäß ihrem verfeinerten, auf so hochstehenden vielseitigen Haushalt abgestimmten Arbeitszeug nur wenig Reserven mitbringen kann, so darf ihre Belastung mit denselben nicht als eine wesentliche Komplikation gelten. Die Keimzelle unter- scheidet sich nur graduell von einer Oocyte oder den Urgeschlechts- zellen, genau so wie sich differenzierte, nur einseitig betätigende Gewebszellen von ihren indifferenten Stammzellen unterscheiden. Nur die Einseitigkeit ihrer durchaus cellulären, vegetativen Funktion, welche sie mit Drüsenzellen teilt, kennzeichnet die Oocyte und ver- ändert deren celluläre Konstitution. So wie ein Placentalier beim Austragen der Leibesfrucht in seiner Körperkonstitution durch den gesteigerten Stoffwechsel Veränderungen erfährt (Körperwachstum, Pigmentierungen etc.), so wird auch die heranwachsende Oocyte in einer ihrer vegetativen, intensiven Tätigkeit funktionell angepaßten Weise verändert und dann auch in anderen Funktionen — abge- sehen von dem im Gesamtwachstum nicht gleichen Schritt haltenden Ovocentrum — leistungsfähiger. Diese durchaus unicellulären, sich bei der Mästung von Protozoen in prinzipiell derselben Weise, nur nicht solchem Grade, nicht unter so überaus günstigen Bedingungen sich einstellenden Vorgänge haben doch mit der Bildung morphoplasma- tischer Stoffe gar nichts zu tun, sie bilden auch bei den höchstge- züchteten Formen lediglich ein Problem der Cellularphysiologie. Der Grundsatz, dab kein einziger Abschnitt der durch die ursprüngliche Arbeitsteilung entstandenen Formationen der Zelle (Protoplasma, Kern, Centrosoma nebst den weiteren Differenzierungen, Mitochondrien, Chondrioconten, Caryomeren, Chromatin, Nucleolen usw.), ferner kein einziger Dotterabschnitt etwas enthalte, was den anderen Abschnitten der betreffenden Einzelformationen der Keimzelle fehlt und diese besonderen charakterisieren und qualifizieren wiirde, ist nirgends durchbrochen. Weder das unicelluläre Arbeitszeug der menschlichen Keimzelle und ihrer Derivate noch die von diesem gebildeten Re- 486 ALFRED GREIL, serven zeigen in ihren Kategorien qualitative Sonderungen und Lokalisationen. Dies gilt insbesondere auch vom Dotter, dessen großen Sektoren organbildende Substanzen aufgebürdet wurden. Daß diese Sonderung auch dann, wenn sie vorhanden wäre, keine bleibende sein kann, erhellt schon daraus, daß z. B. die Abkömmlinge der Micromeren der Holoblastier, welche den Dotter zugewiesen erhalten, denselben meist schon beim Teilungswachstum verbrauchen, ehe es zu feineren Differenzierungen kommt; dann sind sie aber auf das von den großen Dotterreservoirs in den Macromeren stammende, durch die Circulation ihnen zugeführte Material genau so angewiesen, wie die von ihnen gebildeten Gewebe des fertigen Organismus bei ihrem beständigen Verbrauch und Ersatz auf das aus der Nahruns bezogene Material angewiesen, von diesem ganz und gar abhängig sind. Bei Meroblastiern ist dies noch viel eklatanter als bei den Holoblastiern, bei denen jede Zelle eine Dottermitgift erhält, welche für längere Zeit ausreicht und sicherlich zahlreiche Stoffe enthält, welche die betreffenden Zellen bei der Differenzierung in ihrer situationellen und funktionellen Anpassung gar nicht verwenden können. Diese kommen auf dem Wege des Stoffwechels anderen Zellen zugute, von denen erstere wiederum den Überschuß auf gleichem Wege erhalten. Bei den Meroblastiern ist der Embryo schon früh- zeitig dotterfrei und hat seine engeren Reserven aufgebraucht. Die sub- serminale, durch Verdauung des Dotters vergrößerte Flüssigkeits- ansammlung sowie der Dotterkreislauf führen dann dem Embryo, genau so wie im Kreislauf des fertigen Organismus, kunterbunt durcheinander gemischtes Rohmaterial für die verschiedensten Diffe- renzierungen zu, aus denen dann die verschiedenen Zellenkomplexe je nach Bedarf dasjenige auswählen, was sie in der betreffenden Situation verwenden, zur Steigerung einer einzigen jeweils tauglichen unicellulären Fähigkeit ausnützen können. Diese erst vor Ort er- folgende Auslese des Rohmaterials, die mit der funktionellen Auslese und Anpassung Hand in Hand geht, schließt es vollkommen aus, daß im Dotter morphoplasmatische und organbildende Qualitäten verteilt sind, die etwa anderen Dotterabschnitten mangeln würden. (Genau dasselbe ist aber im cellulären Arbeitszeug der Keimzellen und ihrer Abkömmlinge, solange sie indifferent sind, der Fall. In keinem Chromosomenabschnitte, in keinem Protoplasmateil ist etwas vorhanden, was den anderen Teilen fehlen würde. Daran ist unbe- dingt festzuhalten, denn die Ermittlung der Bedingungen, unter denen Doppel- und Mehrfachbildungen sowie Regenerationen zu- Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 487 stande kommen — und darum handelt es sich ja bei solchen Unter- suchungen —, gibt so evidente, so zwingende Beweise für die Gleich- artigkeit der Blastomeren und indifferenten Zellen, daß an eine Lokalisation besonderer Qualitäten, die anderen Abschnitten der- selben Kategorie fehlen würden, gar nicht gedacht werden kann. Es ist daher die Sonderung der einzelnen Elemente der Zelle, welche in den fertigen Gewebszellen oder mehr oder weniger indifferent ver- bliebenen oder gewordenen Somazellen uns entgegentritt, nicht mit anderen Augen zu betrachten als die phyletisch erworbenen Diffe- renzierungen der Keimzelle in dieselben Zellbestandteile. Die ersten Blastomeren und ihre noch indifferenten Abkömmlinge sind also gleichartig, und zwar bei allen Formen, auch bei den höchststehenden. Niemals unterscheiden sie sich durch ihre spezifische Befähigung zu besonderen Leistungen und Differenzierungen oder gar zu deter- minierten Formbildungen, denn diese Leistungen müssen sie alle erst erwerben. Unter den Kernsegmenten, den freizügigen Chromatin- körnchen etc. bestehen wahrscheinlich überhaupt keine essentiellen Unterschiede, denn die Mitose mischt beständig die Karten; im Protoplasma bestehen lediglich die durch die bilaterale Polarität des Eiwachstums bedingten Prävalenzen, also nur eraduelle Unterschiede hinsichtlich der cellulären Leistungsfähigkeit im allgemeinen Teilungs- wachstum, der Differenzierungsbereitschaft. Auch an den ausge- bildeten, aufgestapelten Reserven bestehen nur graduelle, prozen- tuelle, die Konzentration betreffende Unterschiede, ein Mehr oder Weniger, wodurch ebenfalls die Befähigung der aus den betreffenden Plasmaabschnitten hervorgehenden Blastomeren zu ungleichem Wachs- tum gegeben erscheint. Auch die Reserven werden bei jeder Mitose z. T. durchmischt. Niemals sinkt aber die Minorität zu einem gänz- lichen regionären Fehlen, zu einem Mangel gewisser Bestandteile, denn in allen Teilen ist stets das ganze Repertoir an Rohmaterial vorhanden, und zwar in quantitativ abgestuftem Grade. Dies ergibt sich schon aus der Art des Eiwachstums sowie daraus, daß alle ersten meridional geteilten Blastomeren Anteil an allen Schichten des kon- zentrisch oder exzentrisch wachsenden Eies haben (insbesondere bei Stieleiern), daß ferner die einheitliche Protoplasmarinde (das Nebenlabo- ratorium der Dotterbildung) und deren Produkte, insbesondere bei den Follikeleiern, gleichmäßig auf alle oberflächlichen Zellen der Blastula und deren Derivate, die Keimblätter, ausgeteilt sind. Die Wandbezirke, aus denen letztere epigenetisch hervorgehen, sind bei den meisten Formen im Blastulastadium oberflächlich gelegen. Die Sonderung 488 ÄLFRED GREIL, von Epithelien durch Delamination erfolgt durchaus nicht durch- gehends in paratangentialen Teilungen, sondern meist durch schräge Teilungen und nachfolgende grobmechanische Einordnung im Ringen und Drängen, wobei schon während der Teilung der Dotterballast ausweichen muß und verlagert wird, also beständig namentlich auch gelöste, flüssige, kolloide und feinstkörnige Stoffe durchmengt und gleichmäßig verteilt werden. Übrigens haben wir gar keinen Grund, der meist gar nicht sicht- baren, häufig auch gar nicht vorhandenen Schichtenfolge beim kon- tinuierlichen Eiwachstum verschiedene Qualitäten zuzuerkennen. Viel- mehr ist die Schichtung, falls sie vorhanden ist, mit der Entstehung von Jahresringen an Bäumen prinzipiell zu vergleichen. Wenn die isolierten ersten Blastomeren außer dem allgemeinen Anteil an den Reserven auch noch jene Veranlagung zu ungleichem Wachstum ihrer Abkömmlinge, die Disposition zum Ringen derselben in sich tragen, sei es, daß dieselbe noch von den groben Verhältnissen des Eiwachstums herrührt oder aber die freigelegte, ehedem zentral gelegene Innenseite andere quantitative Anordnung, eine andere Verteilung und Konzen- tration des Rohmaterials darbietet als die schon von allem Anfang an oberflächlich gelegenen Teile, so ist damit die Entwicklung, die Mehrfachbildung gesichert. Es kommt lediglich auf die das ungleiche Wachstum, das Ringen einleitenden groben und gröbsten Dispositionen an, denn das Rohmaterial zum weiteren Aufbau, zur Fortsetzung des Ringens und zu allen Differenzierungen ist das Gemeingut aller Ab- schnitte der Keimzelle und aller Blastomeren, es wird allen Zellen zugeführt und würde an sich alle Zellen zu allen Leistungen be- fähigen, wenn andere, durch die Situation gegebene Bedingungen und Umstände zuträfen. Insofern hat der Zelleib bei Hoch und Nieder vor allem durch die polar-bilaterale Anordnung der im Verein mit dem Kerne gebildeten Reserven, durch die damit bedingte Ein- leitung des Ringens in ungleichem Wachstum einen viel größeren Einfluß auf die Entwicklung als der Kern, doch läßt sich diese Be- stimmung nicht etwa nur bis zum Gastrulastadium begrenzen. Alle sıch weiterhin epigenetisch ergebenden Situationen in diesem Ringen haben ihre Vorbedingungen im Plasmabau. Der Einfluß des Kernes und namentlich auch des Teilungszentrums auf das Wachstum soll indes nicht unterschätzt werden. Er kann an vielen labilen Situationen im Ringen das Zünglein an der Wage spielen und erscheint daher stets sehr bedeutsam. Immerhin kann von einer ungleichen Plasma- teilung gesprochen werden, die je nach den dynamischen Verhältnissen Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 489 beim Teilungsmechanismus mit der Symmetrieebene des Eies in Be- ziehungen stehen kann, aber nicht muß. Jedenfalls wird nicht spezifisch verschiedenes, nicht verschieden qualifiziertes Material gesondert, es bestehen lediglich quantitative prozentuelle Verschiedenheiten, die sich nicht in Größendifferenzen äußern müssen. Es finden also insofern früher oder später ungleiche Teilungen des Zelleibes statt, welche keine Ungleichartigkeit bedeuten. Der Kern wird in solcher Hinsicht vollkommen äqual geteilt, weil in ihm das Eiwachstum keine korre- spondierenden Veränderungen schafft. Es bildet mit dem Plasmahof die einheitliche Hauptfabrik der Reserven, deren Vermehrung und Anordnung im Depot die Ungleichheit schafft. Die Kerngenerationen werden erst später bei der Austragung der Wachstumsdifferenzen und bei der Auslese der Differenzierungsbereitschaft ungleich, denn auch vergrößertes Teilungswachstum, gesteigerte Assimilationsgelegen- heit verändert den sich funktionell der Mehrleistung anpassenden Kern. Diese Verschiedenheiten werden jedoch erst allmählich, im Ringen und bei der situationellen und funktionellen Anpassung epigenetisch erworben. In der Keimzelle bestehen noch keine solchen Unterschiede; die Exaktheit der Mitose bedingt es, daß auch — etwa als Begleiterscheinungen einer intimen, funktionell bedeutungslosen Variation entstandene — Größenverschiedenheiten der Kernsegmente und Chromosomen in den Kerngenerationen ungeschmälert fortbe- stehen, die Kerne werden also wohl immer essentiell gleich geteilt. — Wenn HAECKEL seinerzeit vom „strukturlosen Plasma“ der Keimzelle, wenn PFLÜGER und Hrrrwıc von der Isotropie des Protoplasmas sprachen, so ist beides vollberechtigt, insofern als außer den gewöhn- lichen Zellstrukturen, wie sie indifferent gebliebene Gewebszellen aufweisen, keine besonderen spezifisch verteilten mystischen organ- bildenden Strukturen vorhanden und qualitativ verteilt sind und die Strukturen der Gewebe in situationeller und funktioneller Anpassung an die jeweilige epigenetisch sich ergebenden Entwicklungs- und Differenzierungslagen erst erworben, verfeinert und ausgearbeitet werden müssen. Insofern — und darauf kam es bei jenem Worte Harcker’s ja in erster Linie an — zeigt also die Keimzelle auch bei voller Wachstums- und Differenzierungsbereitschaft, bei vielseitiger Anpassungsfähigkeit tatsächlich noch keine den Zellenstaat charak- terisierenden, durch epigenetische Evolution cellulärer, indifferenter Strukturen und Fähigkeiten auch nach Maßgabe des — bei Placen- taliern erst während der Entwicklung zugeführten — Rohmaterials erworbenen Formation. Jedes Blastomer hat hierzu von allem 490 ALFRED GREIL, alles; jede Zelle hat im Stoffwechsel Anteil an allem. Daran ist festzuhalten, dies ist eine der wichtigsten und verläßlichsten Leit- linien der deskriptiven Analyse. Der Embryologe hat es zunächst gar nicht nötig, sich mit den molekularen und atomistischen Verhältnissen der Gebilde des cellulären Arbeitszeuges und des von diesem aufgespeicherten Rohmaterials eingehender zu befassen. Erst müssen die groben Verhältnisse der Austeilung des Materials, der epigenetischen Erwerbungen an Form- bildung und Differenzierung morphobiologisch festgestellt sein, ehe in diesen Rohbau die feineren Architekturen eingefügt werden und die viel schwierigere chemische Analyse zielbewußt in Angriff ge- nommen werden kann. Alles was über die fiktiven Vererbungs- substanzen die Organplasmen u. dgl. ausgeklügelt worden ist, kommt in erster Linie der Cellularphysiologie und der Protozoenforschung zugute und betrifft die Variabilität der chemisch-physikalischen Konstitution der Zelle, welche durch die Entwicklung so immens gesteigert, intimsten Einflüssen äußerer und innerer Bedingungen preisgegeben wird. Wenn es je überhaupt möglich sein wird, darüber exakte Analysen anzustellen, so werden diese nur eine eingehende Ausführung der Leitprinzipien sein, welche sich bereits an den groben allgemeinen und speziellen physiologischen Verhältnissen des Stoff- wechsels erkennen lassen. Wir haben schon wiederholt darauf hingewiesen, daß in den heranwachsenden Eizellen alle Qualitäten des Rohmaterials umgearbeitet werden, die das mütterliche Soma selbst benötigt, daß also die chemische Konstitution des Kies der bündigste Ausdruck der mütterlichen Konstitution in spezifisch cellulärer Note ist. Die Eizelle repräsentiert in diesem Rahmen den zellenstaat- lichen Haushalt ebenso wie ein Protozoon den Haushalt seiner Art. Diese Eigenart des Rohmaterials und des dasselbe fabrizierenden cellulären Arbeitszeuges drückt in erster Linie der Keimzelle die Note, den Stempel der Species und der Individualität auf. Wenn wir die rohe Frage stellen, warum aus den in den Thermostaten oder im Aquarium nebeneinander sich entwickelnden Keimen immer nur die betreffenden Species werden und keine anderen, so ist zunächst im groben, fürs erste auf die Verhältnisse des Eiwachstums, die hierdurch erworbene richtunggebende Ausgangssituation sowie darauf hinzuweisen, daß z. B. der Stoffwechsel einer Ente ein anderer ist als der eines Huhnes und daß daher auch das diesem Stoffumsatz diesem Staatshaushalt wahllos entnommene, im Ei aufgestapelte Rohmaterial die Jungen nur zu epigenetischem Erwerbe derjenigen Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 491 besonderen Differenzierungen befähigt, welche das Muttertier selbst leistet und beständig ersetzt. Diese eigenartige Note der allgemeinen und speziellen chemischen Konstitution des Eies und seiner Produkte, die Mannigfaltigkeit des ungeheuer variablen, während des lange währenden Eiwachstums auf die geringste Bedingungsänderung prompt ansprechenden cellulären Haushaltes haben verschiedene Reaktionen auf dieselben äußeren Bedingungen der Entwicklung (Temperatur, Feuchtigkeit usw.) zur Folge, wobei stets zu bedenken ist, daß die vom Organismus des Muttertieres bestimmten physikalischen und chemischen Verhältnisse der nächsten Nachbarschaft des Keimlings stets verschieden sind. Der immense Einfluß der Ernährung auf die Gestaltung (s. 1.) besteht in der Embryonalentwicklung ebenso wie im Freileben, und zwar in ganz erheblich gesteigertem Grade. Alle diese Umstände beeinflussen schon von allem Anfange an die epi- genetische Evolution cellulärer Fähigkeiten, zunächst das Tempo, die Intensität des Teilungswachstums und seiner Ungleichheit im Ringen der Blastomeren und Zellengruppen, wobei sich dann in der Anordnung, den Massenentfaltungen der Zellenkomplexe, also der Wachstumsweise und den Wachstumswegen, charakteristische Unter- schiede ergeben. Alle diese intimen Fragen erfordern eine so exakt vergleichende Prüfung der einschlägigen minutiösen Unterschiede in ihrem epigenetischen Erwerbe, daß diese letzten Fragen nicht im groben rascherhand beantwortet werden können. Was die Difieren- zierungen anbelangt, die in einem engeren Abhängigkeitsverhältnis zum aufgestapelten oder zugeführten Rohmaterial stehen, so läßt sich deren spezielle und individuelle Eigenart in bündiger Weise auf die gleiche Eigenart des wahllos aufgefangenen Rohmaterials zurückführen. Diese charakteristische Note ist allen indifferenten Zellen gleichermaßen aufgeprägt, sie haben alle Anteil an Allem. Wie wir nun freilebenden Formen durch die erzwungene Ver- änderung der Lebenslage, insbesondere die Nahrungswahl, zu ganz eigenartigen Bildungen und Differenzierungen veranlassen können, wie wir z. B., um ganz einfache Fälle herauszugreifen, an Paramäcien einen Gleitschuh, hoch- und niedrighelmige, lang- und kurzstachelige Daphnien, Schmetterlinge in allen Farbenschattierungen, Dompfaffen ohne rotes Brustfeld züchten können, indem wir das Werk der freien Natur nachahmen, so übt also auch die Eigenart des dem Embryo zugeführten Rohmaterials einen bestimmenden, ausschlaggebenden Einfluß aus. — Eine Änderung dieses Rohmaterials, Vertauschungen in dieser Hinsicht würden die Entwicklung in ganz entscheidender 499 ALFRED GREIL, Weise beeinflussen, in andere Bahnen lenken, zur Bildung neuer Arten Veranlassung geben können. Diese Versuche am keimenden Organismus scheitern nur daran, daß die Eigenart des Rohmaterials ganz genau auf jene der Ureier abgestimmt ist, deren celluläres Arbeitszeug das Rohmaterial ja gebildet hat. Die essentiellen, arbeitenden Zellbestandteile zeigen also jene Eigenart in allen ihren Teilen in harmonischer Durchbildung. Der bestimmende Einfluß der Lebenslage, in der die Geschlechtszellen heranwachsen und sich mästen, beeinflußt deren celluläre Konstitution bei so einseitiger Tätigkeit ebenso, wie die so gewonnene und bestärkte Eigenart die Ent- wicklung bestimmt. Dies wäre bei einem Wechsel dieses Milieus, der Differenzierungslage des Eiwachstums viel markanter, wenn nicht die Urkeimzellen selbst auf eine bestimmte Eigenart des Somas, das sie hervorgebracht hat und welches ihnen die von ihm selbst ge- wählten Stoffe darbietet, in ihrem ganzen Chemismus so fein abge- stimmt wären. Wären die Urkeimzellen ganz indifferent und voll anpassungsfähig, gingen sie ohne alle spezielle Note an die Arbeit, mübten sie aus einem ganz neuen, ihnen fremden Material die Roh- und Nährstoffe einer Eizelle aufbauen, dann würde sich zeigen, was — genau so wie im Freileben, nur in viel eklatanterer und wirksamer Weise — diese äußeren Bedingungen alles bestimmen und beherrschen, was in der Gesamtheit — ohne evolutionistische Determination — aus der Keimzelle lediglich durch Ausübung cellulärer Befähigung wird. Die Abhängigkeit der Entwicklung und zwar sowohl der Formbildung, wie der Differenzierung wäre eine überaus markante. Unter nor- malen Verhältnissen und auch bei Transplantationen der Ovarien ist somit die Rolle, welche das Rohmaterial, die Reserven, die Nahrung als eine äußere, nur ins Innere verlegte Entwicklungsbedingung auf die Organisation nimmt, nicht isoliert zu sondern. Am markantesten müßte dies bei intrauteriner Ernährung in art- und gattungsfremden Nährammen zutage treten, sofern der Unterschied des Chemismus eines so verfeinerten Zellenhaushaltes nebst anderen Umständen nicht die Kombinationen verschiedener, ganz andere Differenzierungen leistender Tiere verhindern würde. — Wir sind davon ausgegangen, daß der Dotter oder das ander- weitig zugeführte Rohmaterial das Gemeingut, ein gemeinsamer Anteil aller indifferenten Zellen ist, daß weder in einzelnen Teilen der Keimzelle noch in den ersten Blastomeren besondere organbildende oder anderweitig spezifizierte und qualifizierte Depots für besondere, geschlossene Werke des Zellenstaates vorhanden sein können und Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 493 überhaupt nichts spezifisch Gestaltendes ausgeteilt ist. Diese Sonder- wünsche der Entwicklungsmechaniker, zu deren Erfüllung diese eine neue Wissenschaft begründen wollten, kann das Eiwachstum nicht befriedigen, sie haben auch vom Standpunkt der Epigenesis keinerlei Berechtigung. Die aus den Blastomeren hervorgehenden Zellen und Zellenkomplexe bedürfen bei ihrer Differenzierung keinerlei spezieller Bevormundung, denn die erst während der Entwicklung unter dem Zwange der Situation — die wir im Einzelnen auch Entwick- lungs-oderDifferenzierungslage,nach Artder Lebenslage der Organismen, nennen können —, also durchaus epigenetisch erfolgende Auswahl der tauglichen cellulären Fähigkeit ist so bindend und eindeutig, daß auch ganz anders zusammengesetztes Rohmaterial an diese Stelle geleitet keine andere Differenzierung herbeizuführen vermöchte, während andererseits die betreffenden Zellen auch die minimalsten Mengen der für ihre Differenzierung geeigneten Bestand- teile des Rohmaterials aus dem gemeinsamen Futtertrog des Stoff- kreislaufes oder aus ihrer eigenen noch vorhandenen Dottermitgift herauslesen und alles, was andere Zellen in dieser Hinsicht als unbrauchbar zurücklassen, säuberlich für sich in Anspruch nehmen und voll ausnützen. So wird also die Entscheidung darüber, wo und wie das Rohmaterial verwendet wird, erst im Geäste des Zellen- stammbaumes, vor Ort, je nach der Situation und Anpassungsfähigkeit der einzelnen Zellenkomplexe gefällt. Die geringste Bedingungsänderung im Wachstum genügte, um neue Situationen und Gelegenheiten, neue Entwicklungs- und Differenzierungslagen (im besonderen) zu schaffen, dasselbe Zellenmaterial zu zwingen, ganz andere Stoffe aus dem rohen cellulären Baumaterial aufzunehmen und zu ganz anderen Differenzierungen auszunützen. Die Differenzierungsweise der Ab- kömmlinge der Keimzelle kann nur in ihrem allgemeinen Repertoire, nie und nimmer aber in den speziellen Entscheidungen in der Keim- zelle bestimmt sein. Auch für die Formbildung gilt, daß die Keim- zellenur dasgrobe Arbeitszeug, nur die universellen, lediglich cellulären Mittel besitzt, die in völliger Harmonie auf die Reserven, welche sie selbst gebildet und angeordnet haben, abgestimmtsind. Die Austragung der beim Eiwachstum als Begleiterscheinung erworbene Veranlagung zu Wachstumsdifferenzen, der Fundamente der Embryonalentwicklung, schafft in letzter Linie die Gelegenheit zu verschiedenartiger Diffe- renzierung in dem bei der Keimblatterbildung und den anschließenden Prozessen auf vielen Linien sich fortpflanzenden, gleichzeitig ab- laufenden Ringen, das bis zum Lebensende nicht zur Ruhe kommt. 494 ALFRED GREIL, Die Ermittlung der Bedingungen, unter denen Doppel- und Mehrfach- bildungen, teilweise Verdoppelungen und Mißbildungen zustande kommen, bestätigen auf das überzeugendste, daß in den Keimzellen lediglich die Dispositionen zu ungleichem Wachstum als Besonderheit richtunggebend abgesteckt sind, jedoch keine qualitativen, als Un- eleichartigkeiten zu bezeichnenden Unterschiede, welche zu besonderen spezifischen Leistungen und Differenzierungen einzelner Zellengruppen befähigen würden. Die Blastomeren und indifferenten Zellen besitzen den unverkürzten Anteil am ganzen Repertoire der auch durch die Art des Rohmaterials bestimmten Allgemeinheit der Differenzierungs- weisen. An dieser formalanalytischen Erkenntnis darf nicht ge- rüttelt werden, sie ist phyletisch und ontogenetisch begründet und bildet die verläßlichste, breite Grundlage des Vererbungsproblems, welches nicht durch die Ermittelung von Vererbungsregeln, sondern auf Grund entwicklungsgeschichtlicher Erhebungen durch sorgfällige deskriptive Analysen wissenschaftlich gelöst werden kann. Vi. Die von den Reformatoren der von HaEckEL so treffend präzi- sierten Fassung des biogenetischen Grundgesetzes (0. HERTwIG u. A.) in Frage gezogene wissenschaftliche Charakterisierung der einzelnen Entwicklungsstadien hat in erster Linie die fundamentalen Charaktere der betreffenden Entwicklungsformen zu berücksichtigen. Es handelt sich nicht um die Wiederholung be- stimmter spezieller Arten und Ausführungen dieser Organisations- typen, wie sie freilebende Formen darbieten. Es wird nicht „eine“ oder „die“ Gastrula in der Ontogenese höherer Formen in raschem Fluge wiederholt, sondern der Gastrulatypus und das Gastrula- stadium. Für die Blastula ist die Konstitution des primitiven Zellenstaates charakteristisch, dessen Elemente nach keiner Richtung hin durch die Ausbildung einzelner ihrer Fähigkeiten dauernd und spezifisch engagiert sind. Das entwicklungsphysiologische Moment steht über dem streng morphologischen. Ob das Blastulastadium mit 256 oder mit einer Million Zellen erreicht wird, ja sogar ob eine Höhle vorhanden ist oder nicht — meist ist sie ja vorhanden —, erscheint von sekundärer Bedeutung. Für die Gastrulaform ist die Bildung eines Urdarmes charakteristisch, der die fundamentale Arbeitsteilung in der Organisation des Metazoenkörpers einleitet. Ob dieser Urdarm schon von Anfang an funktioniert oder erst viel später als Darm seine Tätigkeit beginnt, ob dementsprechend der Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 495 Urmund und der ganze Urdarm geöffnet oder geschlossen ist, ob letzterer bei dotterreichen Formen nur in einem beschränkten Bezirke und nicht in ursprünglicher, voller Ausdehnung entsteht, ob er gegen den Dotter durchbricht oder nicht, ist für die Charakterisierung des Gastrulastadiums als solches belanglos. Daraus ergeben sich auch keinerlei alleinbindende Schlüsse auf die Stellung der betreffenden Form im System. Der Keim des Menschen durchläuft z. B. das Gastrulastadium in viel ursprünglicherer Weise als der eines Vogels. Die Obliteration, der nachträgliche, unter normalen Umständen nur vorübergehende kürzere oder längere Zeit andauernde Verschluß des Urmundes oder des Afters sowie der Durchbruch des ventralen Darmlumens gewisser Anuren, die ausgedehnte Dehiszenz des Ur- darmbodens der Amniotenkeime sind ebenso wie die Durchbrüche in der Allantois gewisser Saurier und die mannigfachen regressiven Vorgänge bei der frühzeitigen Amnionbildung der Säuger charakte- ristische Beispiele der von HAEckEL als Cänogenesen bezeichneten Fälschungsgeschichte. Es handelt sich um ganz eigenartige, den phyle- tischen Werdegang tatsächlich fälschende Prozesse, welche, wenn sie nicht nachträglich, an sich richtungslos, ohne Tendenzen kompen- siert werden, die Lebensfähigkeit des Individuums erheblich beein- trächtigen, unter Umständen unterbinden können (Atresia ani). Solche Erscheinungen könnten an freilebenden Formen überhaupt nicht zustande kommen. Ein schon von vornherein bestehender oder temporärer, erst nachträglich auftretender Verschluß des Urmundes könnte an einer hungrigen, gleichsam von der Hand in den Mund lebenden Gastrula, an einem funktionierenden Urmunde überhaupt nicht vorkommen. Diese sozusagen mutwilligen Seitensprünge, welche durch die gute Approvisionierung und unerschöpfliches Teilungs- wachstum sowie durch die Funktionslosigkeit des Urdarmes ermöglicht wurden und erst nachträglich wieder kompensiert werden, sind wahr- haftige und wirkliche Störungen und können nicht besser bezeichnet werden als mit dem von HAEckEL vorgeschlagenen Namen. Unter diese Rubrik gehören auch alle nachträglich, an sich vollkommen ziellos auftretenden und als Kompensationen erscheinenden Veränderungen, welche das angerichtete, lediglich durch die Funktionslosigkeit be- giinstigte Unheil wieder ausgleichen. Im Prinzip erfolgt dann dieser Prozeß ebenso wie die übrige Organisation in ringendem Wachstum und unter differenzierender Auslese und Anpassung. Hierbei ergeben sich dann, wie z. B. bei der Ergänzung und Vollendung der gegen die Dotterhöhle durchgebrochenenUrdarmwand, mancherlei Änderungen in der Verwendung des Materials, die erst durch jenen cänogenetischen Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Zool. u. Physiol. 32 496 ÄLFRED GREIL, Akt ermöglicht wurde. Andererseits kann aber dieser an sich cäno- genetische Akt sehr wichtige Bahnen eröffnen. Bei den Sauropsiden z. B. kommt es dazu, daß die tiefe Zellenschicht des zweischichtigen Keimes, welche fälschlich Entoderm genannt wird, in Wahrheit aber eine Subgerminalschicht ist und von Abkömmlingen aller Areale der oberflächlichen Schicht, also von einer ganz internationalen Zellen- gesellschaft aufgebaut wird, sich infolge der Beziehungen, welche sie am Rande der Durchbruchsstelle zum echten invaginierten Entoderm gewinnt, in die Entwicklungslage kommt, sich in mehr oder minder ausgedehnter Weise an der Bildung des Darmepithels zu beteiligen, was ohne diese cänogenetisch geschaffene Gelegenheit unmöglich wäre. Die Entstehung der Leber ist an die Bildung der ventralen Darmpforte, eine Folgeerscheinung jenes cänogenetischen Durchbruches, geknüpft. Dieser als eine phyletische Heteromorphose zukennzeichnende Vor- sang der Verwendung der Subgerminalschicht ist also ebenfalls cäno- genetischer Art. Der Durchbruch ist vollkommen überflüssig, könnte am funktionierenden Entoderm niemals stattfinden, er liegt durchaus nicht in der Bahn der ursprünglichen palingenetischen Gestaltung des Darmsystems. Jene Verwendung der Subgerminalschicht der Sauropsiden, welche etwa einer durch paratangentiale Teilungen entstandenen Innenschicht einer Amphioxusblastula entsprechen würde, zur Ergänzung der Darmwand ist durchaus der vom Irisrand geleisteten Neubildung der Linse nach deren Exstirpation zu ver- gleichen. Diese Erscheinung ist um so bedeutsamer, als sie sich bei vollkommen normaler Entwicklung abspielt, im Laufe der Phylo- genese eine große Variationsbreite und Bedeutung bei den ver- schiedenen Amnioten erlangt hat und hinsichtlich der Leistungs- fähigkeit, der Differenzierungen der in die Heteromorphose einge- tretenen Zellenschichte die Resultate der experimentell erzeugten Heteromorphose weit übertrifft. So wie niemand behaupten wird, daß der Irisrand normal die Linse bildet, ist es auch vollkommen verfehlt und der Gasträatheorie widersprechend, wenn die innere Zellenschicht des Sauropsidenkeimes auf dem Blastulastadium (vor Auftreten der Primitivplatte bzw. des Primitivstreifens) als Entoderm bezeichnet wird. Niemals kann aus dieser irrtümlichen Auffassung dann die Unhaltbarkeit der Gasträatheorie, die Unmöglichkeit ihrer exakten Anwendung auf die Amnioten deduziert werden. Es würde aber wohl zu weit führen, wenn auch der Erwerb des Dotters und der Eihüllen, der Viviparität mit allen Konsequenzen, welche diese Vorgänge haben, als cänogenetische Akte Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 497 bezeichnet würden. Diese kardinalen Errungenschaften sind eine der wichtigsten Bedingungen zur Erreichung höherer Organisation. Die Invagination dotterarmer Formen und die Komplikationen und Schwierigkeiten, welche der Gastrulation bei dotterreichen und ins- besondere meroblastischen Formen entgegenstehen, sind in den Ex- tremen zwar sehr auffällig, andrerseits aber durch eine so fein abgestufte Kette von Übergängen verbunden; die Bedingungsände- rungen der Invagination freischwärmender Blastulae und der Invagi- nation innerhalb der Eihüllen erfolgen, wie wir anzudeuten versucht haben und andernorts ausführlicher darlegen werden, so allmählich, daß keine scharfe Grenze zwischen den beiden Erscheinungs- komplexen gezogen werden kann. Wenn wir aber ferner bedenken, daß der Erwerb des Dotters und der Eihüllen in ihrer einfachsten Form (etwa bei Echiniden oder Balanoglossus) oder in ihrer durch alle Übergänge vermittelten kompliziertesten Gestaltung ein so funda- mentaler, die Phylogenese in unabsehbarer Weise fördernder Erwerb, eine der dringlichsten Bedingungen der Entstehung einer kompli- zierten Organisation darstellt, dann können wie diese Erwerbe und ihre Konsequenzen, soweit sie die Bahn nach vorwärts nur verlängern, unmöglich wirklichen Störungen und Fälschungen als cänogenetische Erscheinungen zur Seite stellen. Die Analyse der hierdurch bedingten Abarten und Anpassungsweisen des ringenden Wachstums machen es unmöglich, an einer bestimmten Form der Gastrula festzuhalten, sondern es ist der Vorgang der Gastrulation zu ermitteln, das physio- logische Moment bei der Homologisierung der Keimblätter über das streng morphologische zu stellen. Der Keim muß dem kolossalen Erwerbe der Approvisionierung, der raschen und gesicherten Ent- wicklung, der Möglichkeit des fast unbeschränkten Weiterbauens, der Enthebung von den Nahrungssorgen gewisse Opfer bringen. Er muß die kleinen Hindernisse und Komplikationen, welche die Gastrulation zu überwinden hat, mit in Kauf nehmen. Diese Kompli- kationen fälschen nichts, man kann nicht einmal behaupten, dab der Gastrulationsvorgang bei Amnioten im zentralen Urdarmbezirke ernstlich gestört sei. Die Vorgänge an der dorsalen Urdarmwand, die Entstehung ihrer Derivate vollziehen sich im wesentlichen doch nicht anders als bei holoblastischen Anamniern. So ist also nur die Gastrulation ein kritischer Moment, der aber glänzend überwunden wird. Wenn sich nur ein Abschnitt des zentralen Urdarmfeldes der Amnioten invaginiert, der andere Abschnitt dieses Areals (der Primitivplatte oder des Primitivstreifens) und das gesamte periphere Urdarmfeld (die Area opaca), welch letzteres, wie die klassischen Befunde DA 498 ALFRED GREIL, Braver’s an Gymnophionenkeimen so überzeugend lehren, ventro- lateralen Abschnitten eines einheitlichen Urdarmfeldes entspricht, sich wegen der Dotterfülle nicht invaginieren kann, so ist auch diese Erscheinung kein cänogenetischer Akt, denn es ist nichts geschehen, was einen Seitensprung von der palingenetischen Bahn bedeuten würde. Daß diese Urdarmfelder auf einen Zustand verharren, der im wesentlichen dem Blastulastadium entspricht und nur durch die lebhafte Proliferation etwa dem Beginne der polaren Einwande- rung des Entoderms an der Planula von Aequorea entspricht, ist kein cänogenetischer Akt, keine Fälschung, denn diese muß, wie die Obliteration des Urmundes oder der Durchbruch der Bodenschicht des Urdarms, ein aktiver und zwar ein regressiver Vorgang sein, der nachträglich wieder kompensiert werden kann (aber nicht muß). Es dürfte sich also empfehlen, alle progressiven, d. h. den Weg zur höheren Organisation weisenden und ebnenden Vorgänge als palin- senetische Erscheinungen den Störungen und Fälschungen be- dingenden, nachträglich wieder zum Ausgleich kommenden, zunächst auch phyletisch regressiven cänogenetischen Erscheinungen gesenüberzustellen. Palingenetische Erscheinungen werden durch den Erwerb der den weiteren Ausbau der Organisation ermöglichen- den und sichernden Ernährungs- und Schutzeinrichtungen, welcher unter wesentlicher Komplikation der allgemeinen Lebensbedingungen unter intensiver Steigerung des Stoffwechsels erfolgt, sozusagen auf, engere Bahnen gelenkt, die jedoch alle in eindeutiger Weise die Richtung nach vorne einschlagen. Wenn die Invagination durch die Dotterbelastung der Eizelle, welche dann bei der Furchung auf das spätere Entoderm übergewälzt wird, beeinträchtigt wird oder wenn ein großer Teil des dem Urdarmfelde dotterarmer Formen homologen Areales des Amniotenkeimes schon frühzeitig als Area opaca in den Dienst der Ernährung des Embryos eintritt und auf solche Weise der sich geöffnet oder geschlossen invaginierende Urdarmbezirk erheblich eingeschränkt wird, so ist dies so, wie wenn eine auf einer breitgetretenen Straße marschierende Truppe an deren Rand gedrängt wird, den sie aber beharrlich behauptet. Sie findet dort Platz genug, um ihres Weges zu gehen. — Es darf in diesem speziellen Falle ja nicht übersehen werden, daß durch die Vergrößerung und Dotter- belastung der Eizelle oder durch die immense Vergrößerung gewisser Säugerkeime auf dem Blastulastadium eine geradezu kolossale, für die Ernährung und die freie Entwicklung des Keimes große Vorteile bietende Gesamtvergrößerung der Blastulawand eingetreten ist und das sich invaginierende Urdarmfeld nur relativ, nicht aber absolut Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 499 so klein ist. Absolut genommen, steht es in den ersten, ganz jungen, korrespondierenden Stadien dem sich invaginierenden Felde dotter- ärmerer, primitiver Formen nicht viel nach. Es ist nur relativ, im Verhältnis zu den übrigen Wandabschnitten des jungen Zellenstaates bei den Amnioten und Meroblastiern verschwindend klein. Nichts- destoweniger geht der Prozeß selbst mit allen charakteristischen Erscheinungen des palingenetischen Erwerbes vor sich, und es wäre eine ungeheuerliche Forderung, wollte man erwarten, daß unter solchen Umständen sich das ganze dem sich vollkommen invagi- nierenden Urdarmfelde niederer, freischwärmender Formen morpho- logisch entsprechende Areal der Blastula invaginieren solle Das physiologische Prinzip steht unter allen Umständen über dem streng morphologischen. Die solide Anlage des Urdarmes gehört schon deshalb nicht zu den Erscheinungen der Cänogenese, wenngleich sie hart an der Grenze derselben steht, weil es durchaus nicht aus- geschlossen ist, dab Gasträaden auch durch solide Proliferation und nachträgliche Aushöhlung des unteren Polfeldes der Blastäaden ent- standen sind, wenngleich die freie, ökonomische Invagination zweifellos der verbreitetste Prozeß war, der eine baldige, andauernde funktionelle Ausnützung des invaginierten Zellenmaterials des jungen Staates ge- stattet. Auch die polare Einwucherung, die allseitige Delamination : kann zur Bildung einer vollendeten Gasträa führen. Die Cölente- raten präsentieren alle die verschiedenen Formen der Gastrulation nebeneinander. Die solide geschlossene Entstehung solcher Diver- tikel und Falten kommt bei nicht funktionierenden Organen, wenn die differenzierende Auslese und Anpassung des Zellenmaterials nicht un- mittelbar dem Teilungswachstume folgt oder mit diesem nicht gleichen Schritt hält, sehr häufig vor und bedeutet weder eine Störung noch eine Fälschung: früher oder später, sobald sich hierzu die epi- genetischen Bedingungen ergeben, erfolgt die Konstituierung des Lumens, die Epithelialisierung des Zellenmaterials. Solche Erschei- nungen sind doch vollkommen von jenen echten wirklichen Störungen verschieden, wie sie bei der Obliteration eines (bereits geöffneten) Urmundes oder Urdarmes oder beim Durchbruch einer kompleten Bodenschicht des Urdarmes entstehen. Dadurch wird bereits Funktionierendes oder wenigstens Funktionsfähiges zerstört, funk- tionsunfähig gemacht. Solche Prozesse sind gewaltige Schritte direkt nach rückwärts, sie stören, fälschen und vernichten. Es handelt sich um eine Vergeudung von Arbeit, Energie und Zellen- material, die an sich gar keine Vorteile bringt, für nichts Platz schafft, somit auch in dieser Hinsicht durchaus nicht den Weg nach 500 ALFRED GREIL, vorwärts weist, wie es für die palingenetischen Erscheinungen charakteristisch ist. Wenn die Funktionsfähigkeit wieder hergestellt ‘wird, so kann dies nur durch nachträglichen Ersatz, also durch doppelte Arbeit geschehen. — Was wir Keimblätter nennen, sind die nicht unter dem Zwange zellenstaatlicher Funktion einseitig beanspruchten und ver- wendeten Zellenkomplexe, die nicht unter äußeren, sondern unter inneren Entwicklungsbedingungen als trefflich approvisionierte und daher unaufhaltsam wachsende primordiale Formationen eines jungen Zellenstaates entstehen. Ihr unfertiger, indifferenter Zustand, die oft gleichartige Beschaffenheit und noch bestehende allseitige Ver- wendbarkeit des nur durch seine Anordnung beschränkten Materials macht die Keimblätter als erste Zellenverbände zu dem, was die dotterlosen oder ganz dotterarmen freilebenden und freischwärmenden Keimzellen der Ascendenten gewesen sind. Der Vorsprung, den die Entwicklung auf diese Weise errungen hat, bedeutet einen immensen phyletischen Gewinn. Dieser palingenetische Erwerb ist die conditio sine qua non für die weitere Entwicklung. Die Abhängigkeit von der Dauer und der Art des Eiwachstums, welches diese rasch ablaufende Proigeneseermöglichthat, zeitigtjenemannigfaltigen Verschiedenheiten, die auf den ersten Blick namentlich bei den Wirbellosen einer einheit- lichen Keimblätterlehre Schwierigkeiten zu bereiten scheinen. Die Erkenntnis des Wechsels der äußeren und der inneren Be- dingungen sowie der Variierbarkeit der letzteren schützt auch hier vor verfehltem Dogmatismus. Späterhin nivelliert die einheitliche Funktion die Unterschiede, welche das auf verschiedene Weise zustandegekommene Material hinsichtlich seiner Herkunft aufweist, indem sie es zellenstaatlichen, lebenswichtigen Funktionen unterwirft, es gleichartiger Arbeitsteilung zuführt. Die funktionelle Beanspruchung bringt gleichartige Ordnung in das System, welches rasches und schrankenloses Teilungswachstum geschaffen. In der Reihe der Chordonier haben sich bis zum Menschen hinauf die fundamentalen Erscheinungen der Invagination und der Prävalenz der Dorsalwand mit ihrer beengten Längsfaltenbildung und der Segmentierung in den Grundzügen unverändert erhalten, sie sind durch das Eiwachstum, die Komplikation der unicellulären Fähigkeiten, beim Wechsel der ersten äuberen Bedingungen nicht derart verändert worden, daß neue erste Entwicklungsbahnen zustandegekommen wären. Diese Er- scheinungen hat den so erfolgreichen Ausbau der Chordonierorgani- sation und die Hegemonie dieses Typus im Tierreiche begründet. Der Mensch wiederholt, wiegesagt, denGastrulatypusin vielursprünglicherer Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 501 Weise als ein Vogelkeim, an dessen solidem Urdarmstrang das Ento- derm nur in einem vordersten und hintersten Abschnitt erhalten bleibt, während es in der großen Mittelstrecke in einzelne, sich später verlierende Zellen aufgelöst wird. Die Versuche der Homologisierung der Keimblätter, der Aufstellung der Keimblattlehre, haben nicht nur die Herkunft des Materials, sondern auch die einheitlichen und einigenden Be- dingungen der Indienststellung desselben zu berücksichtigen. Ab- gesehen von ganz wenigen, extremen Abweichungen, welche Sonder- bahnen repräsentieren, zeigt die große breite einheitliche Entwick- lungsbahn im Blastulastadium noch alle Zellenkomplexe, welche später die Keimblätter aufbauen, an der Oberfläche. Sie alle haben sozusagen noch Anteil an der Sonne. Was von der Oberfläche in die Tiefe rückt, sei es unter den Erscheinungen einer regelrechten Invagination oder durch massenhaftes und vereinzeltes Abströmen unter Ausgleich von Wachstumsdifferenzen, ist in jenen großen ersten Etappen als ein Keimblatt zu bezeichnen, denn es repräsentiert einen großen Ast des Zellenstammbaumes, der gemäß seiner Anordnung später in die Gelegenheit kommt, nur bestimmte unicelluiäre Fähig- keiten zu entfalten. Schichtenweise Delaminationen sind immer mit Vorsicht zu behandeln, namentlich dann, wenn wie bei den Amnioten auf solchen Schichten reguläre Invagination der vollwertig ver- bleibenden Außenschichte, der Germinalschicht, erfolgt. Tiefere Schichten wie die Subgerminalschicht haben schon von vornherein einen untergeordneten Rang, der sie keineswegs dazu befähigt, die Keimblätterlehre ins Wanken zu bringen. Sie sind gewissermaßen zur Disposition stehende Zellenkomplexe; kommen sie in die Lage für die auf cänogenetische Weise zugrunde gegangenen Komplexe und Derivate der Germinalschicht einzutreten, ringend vorzuwachsen, so handelt es sich um eine sekundäre Verwendung bereitstehenden Materials, um eine Heteromorphose. Die Erkenntnis des durch- aus sekundären Charakters dieser Modifikation einer großen Ent- wicklungsbahn schließt engere Homologisierung mit den primären, fundamentalen Keimblättern schon von vornherein aus. Ob also die internationale, gemischte Zellengesellschaft der Subgerminalschicht den Intestinaltractus aufbaut oder ob äußerste Zellen der Ganglien- leiste, welche bei den Ascendenten Kopfganglien gebildet haben, in zerstreuter Anordnung als eine Folge überschüssigen Wachstums sich nachbarlichen freien Mesodermzellen anschließen oder auch allein alle möglichen Formationen des Stützgewebes liefern, die unter dem Zwang der sich epigenetisch ergebenden Entwicklungs- und Diffe- 502 ALFRED GREIL, renzierungslagen möglich sind, ob bei Anuren Zellen des Entoderm- massivs sich ans Mesoderm anschließen — dadurch wird weder die Gasträatheorie HaArckeL’s noch die Célomtheorie der Gebrüder Hertwic noch die Mesodermtheorie RAgr’s erschüttert. — Das bio- genetische Grundgesetz hat alle diese Erscheinungen und Bedingungs- änderungen zu berücksichtigen, wenn die gemeinsamen Entwicklungs- bahnen und die sie beherrschenden Bedingungen festgestellt werden. Diese Heteromorphosen können unter Umständen in progressivem Sinne von großer Tragweite sein, Ersparnisse und raschere Schaffung von Zellenkomplexen bewirken, die dann mit einem Schlage der differen- zierenden Ausleseund Anpassung verfallen. Den vollen Rang primordialer Formationen können indes Heteromorphosen auch in der Phylogenese nicht erringen. Alles hat die Approvisionierung der Keimzelle ge- schaffen, das überschäumende Wachstum, die frühzeitig eintretenden Erscheinnngen des beengten Wachstums und der Wachstumsdiffe- renzen haben gewaltige Zellenmassen gesondert, die lange Zeit hindurch unter Erhaltung ihrer selbst wachsen und infolge des Unterbleibens spezieller funktioneller Beanspruchung sehr lange Zeit wachsen können, ohne dem Staat, den sie aufbauen, Opfer zu bringen. Je später die Feile der differenzierenden Auslese und Anpassung angelegt wird, je länger das Zellenmaterial geschont bleibt, um so besser für die weitere Entwicklung. Dieses rasche Aufbauen des Zellenstaates hat die großen Schritte ermöglicht, die zur Chordonier- organisation geführt haben. Das „Woher“ tritt naturgemäß bei so später Inanspruchnahme immer mehr in den Hintergrund, bei solcher Freiheit, Ungebundenheit und Zügellosigkeit des Wachstums — bei so geringer Verantwortung für den Zellenstaat, möchte man fast sagen —, beherrscht zur Zeit der Organisation die Gegenwart, die jeweilige Etappe der epigenetischen Bedingungskette die Entwick- lungslage, indem das vorliesende Material den großen Funktionen im Zellenstaate überantwortet wird. In diesem einheitlichen Zwange liegen die Wurzeln des biogenetischen Grundgesetzes. Woher das Material stammt, ob und wo z. B. das Mesoderm an einer vollendeten Gastrula entsteht, ob es unter dem Drängen nachbarlicher Zellen eines übermächtigen „D“-Quadranten schon während der Furchung abgesondert wird — omnes eodem coguntur —, sie alle müssen sich dem Zwange der differenzierenden Auslese cellulärer Fähigkeiten, den großen Forderungen tierischer Organisation in einheitlicher Weise fügen, wenn — bei niederen Formen — die Nahrungsreserven er- schöpft sind, das Freileben beginnt, sozusagen Frau Sorge ihren Einzug in den Zellenstaat hält, der Kampf ums Dasein einsetzt. So Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 503 können also verschiedene Wege zu gleichartiger Organisation und Verwendung des Materials führen und am Zellenmaterial alle gene- tischen Unterschiede verwischen. Durch diese sekundären Adaptionen wird jedoch der primäre Unterschied nicht aufgehoben, denn die Übereinstimmung in der Herkunft des Materials entscheidet in morphologischer Hinsicht bei der Charakterisierung der Entwick- lungsformen. Primäre Herkunft und primäre Entstehungsbedin- gungen sind sowohl für die Keimblätterlehre wie für das biogenetische Grundgesetz stetsmaßgebend. Heteromorphosen stehen in zweiter Linie. Die Ontogenese der höheren Formen kann naturgemäß über die ursprünglichen Bedingungen der Entwicklung freilebender Ascen- denten keinen Aufschluß mehr geben, denn diese sind schon längst durch innere, mit dem Eiwachstum erworbene Bedingungen abgelöst worden, welche eine gleichmäßige Sicherung bewirken. Die Reak- tionen auf diese Bedingungen sind jedoch im wesentlichen gleich, und darin besteht das Prinzip der Wiederholung. Der Wechsel der Bedingungen ist mit dem Fortschreiten der Entwicklung auf immer spätere Stadien zurückgedrängt worden und kann in diesen in der- selben Weise verfolgt werden, wie in der Ontogenese niedrigerer Formen. Dieser Bedingungswechsel hat also die Keimblätter geschaffen, deren Homologisierung mit vollwertigen, in voller Funk- tion stehenden Primitivorganen dadurch nicht beeinträchtigt wird. Der Wechsel der Bedingungen und die Verlängerung der Wirksam- keit der Sukzession einer Kette innerer Entwicklungsbedingungen, welcher so rasche und so weite Fortschritte in der Organisation er- möglicht hat, konnte — auch wenn er sich in sehr späten Stadien vollzieht — die ersten kardinalen fundamentalen Gestaltungen nicht beeinflussen, und so ist auch das Gastrulastadium des Menschen in seinen wesentlichen Zügen zur Wiederholung gelangt, oder, richtiger gesagt, weil es in solchen Zügen stets aufs neue erworben wird, — woran die züchtende Auslese mitgewirkt hat — konnte die Basis zu so weitgehender und vollendeter Organisation gewonnen werden, denn nur dieser Weg führt zu solchen Höhen. Durch ein Gastrula- stadium muß alles hindurch, was eine Chordonierorganisation erwirbt, ob der Keim während dieser Periode von perivitelliner Flüssigkeit umgeben sich in einer weiten Eihülle entwickelt, ob er platt, flach ausgebreitet einer gespannten Dotterhaut anliegt oder ob der be- treffende prävalierende Zellenkomplex am Grunde einer schon im Blastulastadium gebildeten Amnionhöhle liegt — omnes eodem coguntur — gemäß dem biogenetischen Grundgesetz. Je weiter die Entwicklung vorgeschritten ist, d.h. je später 504 ALFRED GREIL, die funktionelle Anpassung der in rapidem Wachstum begriffenen, aus wohlversorgten Keimen entstandenen indifferenten Zellen be- stehenden Formationen eintritt, um so schwieriger wird es, die einzelnen inneren Bedingungen der differenzierenden Gestaltung zu ermitteln. Schon die Analyse der unter dem Zwange äuberer Be- dingungen an den Formationen einsetzenden komplizierteren Diffe- renzierungen hat die Schulung durch die deskriptive Analyse ein- facherer Gestaltungen, wie sie die Wirbellosen in reicher Fülle dar- bieten, zur Voraussetzung, wie erst recht die Erkenntnis der inneren Bedingungen der Entwicklung komplizierterer Organe, die ohne zellen- staatliche, funktionelle Beanspruchung erfolgt. Bei höheren Formen sind doch das Herz und das übrige Gefäf- system und die durch die Zuführung von Nährmaterial an Kon- zentrationspunkten des Blutstromes hervorgerufenen Formationen, welche alsbald der funktionellen Anpassung unterliegen, die ersten Formationen, an denen wir, sowie an den Nahrungsquellen, das Wirken äußerer Bedingungen auf den Gesamtorganismus sowie in betreff seiner einzelnen Teile verfolgen können. Was aber an jungen Stadien und niederen Formen gelingt, dies muß auch an den komplizierteren, ohne Funktion lediglich unter dem Zwange innerer epigenetisch gewonnener Bedingungen entstehenden Gebilden möglich sein. Diese Zuversicht bestärkt uns bei dem bescheidenen Versuche, das so interessante Problem solcher Differenzierungsweisen in Angriff zu nehmen, um auch für dieses die Giltigkeit des biogenetischen Grundgesetzes unter Ermittlung der ursprünglichen Bedingungen der Entstehung und des sekundären Wandels, der Prävalenz der inneren Bedingungen zu erweisen. Die geringe Ausbente, welche bisher bei solehen Untersuchungen gewonnen wurde, zwingt noch nicht zur Resignation, welche wohl nur durch ein Versagen des Experiments gefördert werden könnte. Die Schulung an den einfacheren Pro- blemen, der Blick auf die Gesamtheit und der Rückblick auf die Vergangenheit wird bei systematischer Methodik der Analyse der Entwicklungs- und Differenzierungslagen die situationelle Auslese und auch die komplizierteren Vorgänge, die sich bei Anpassung cellulärer Funktionen abspielen, dem Verständnisse näher bringen. Die Erscheinungen der physiologischen Heteromor- phose gewähren insofern interessante und lehrreiche Aufschlüsse, als sie vor allem zeigen, wie die Funktion alle Unterschiede hin- sichtlich der Herkunft des Materials nivelliert und ferner die Universa- lität indifferenten Materials, junger, wohlapprovisionierter Zellen beweisen. Die physiologische Heteromorphose ergibt in dieser. Hin- Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 505 sicht prächtige Beispiele, denen die Erscheinungen der künstlichen Heteromorphose, der künstlich erzwungenen Freigabe des Materials zu erweiterter Verwendung, der Regeneration und der ungeschlecht- lichen Fortpflanzung nahe verwandt sind. Diese Phänomene können indes weder mit der Keimblätterlehre noch mit dem auf dieser basierenden biogenetischen Grundgesetze in innigere engere Be- ziehungen gebracht werden, sie sind nur Dokumente der Leistungs- fähigkeit und universellen Differenzierungsbereitschaft des Materials, der bezwingenden Wucht des sich epigenetisch ergebenden Bedingungs- komplexes. Was hierbei erreicht wird, braucht aber nicht der Ontogenese alsatypischeundindirekte Entwicklung gegenübergestellt zu werden, denn die ungeschlechtliche Fortpflanzung und die Regene- rationserscheinungen erfolgen in ihrer Art ebenso typisch wie die Entwicklung aus dem Ei. Sie werden von ebenso konstant sich einstellenden und ebenso zwingenden epigenetischen Bedingungs- ketten beherrscht. Sie sind z. T. auch Neuerscheinungen, als ein Ding für sich, so wie Halblarven als ein Novum zu behandeln und demgemäf bei der Klassifikation der Erscheinungen einzureihen. Sie gestatten dann weder auf die Entwicklung aus dem Ei noch auf die Phylogenese bindende Rückschlüsse. Man könnte vielleicht die Entwicklung aus dem Ei als die primäre, die Erscheinungen der ungeschlechtlichen Fortpflanzung als eine sekundäre Ontogenese und die Regene- ration als sekundäre Partialentwicklung betrachten. Es würde in phylogenetischer wie in ontogenetischer Hinsicht gerecht- fertigt sein, von sekundärer Ontogenese zu sprechen. Für diese Er- scheinung ist es doch charakteristisch, daß die Entwicklung nicht von einer Keimzelle, sondern von einem bereits in Funktion stehen- den, sich indifferenzierenden Zellenverbande ausgeht. Es erscheint gewissermaßen der ganze, große Prozeß der Keimzellenbildung aus- geschaltet, und es wird daher ganz erheblich an Energie gespart. Es handelt sich also bei der sekundären Ontogenese um eine abge- kürzte Keimbildung; ob die Keimzelle alle die ersten Stadien in progressiver Furchung zu durchlaufen hat, oder ob bereits ein kleiner Zellenkomplex vom Soma frei wird, kommt im wesentlichen auf das- selbe hinaus, wenngleich der Verzicht auf die Approvisionierung der Keimzelle und die übrigen Vorteile, welche die sexuelle Diiferen- zierung bietet, die Leistungsfähigkeit erheblich einschränkt. Die differenzierende Auslese und Anpassung gleicht auch in diesem Falle die Unterschiede hinsichtlich der Herkunft des Materials bis zu einem gewissen Grade aus. — Immerhin tritt die eminente palin- genetische Bedeutung des Dottererwerbes und der Ausbildung der 906 ALFRED GREIL, Eihüllen samt allen hierdurch geschaffenen sekundären Verände- rungen deutlich genug vor Augen. Daß die Erscheinungen, welche sich an den rudimentären Organen abspielen, wichtige Dokumente der Palingenese sind, ist längst anerkannt. Hier handelt es sich zwar auch um ein Stillestehen, welches neben der unaufhaltsam wachsenden, kon- kurrierenden und in günstigere Entwicklungslagen geratenden, besser verwendbaren Nachbarschaft schon vom ersten Augenblicke an einen Rückschritt bedeutet. Es ist aber kein aktives Zurückgehen, sondern nur ein Zurückbleiben, was diese Erscheinungen charakterisiert. Wenn sich im Laufe der Epigenese zwar die Bedingungen zur Ent- stehung solcher Organe ergeben, aber nicht jene zu weiterem Wachs- tum und vorteilhafter zellenstaatlicher Wirksamkeit, so werden sie eben funktionell ersetzt und von anderen Organen überholt, daher relativ kleiner und umgebildet. Frıtz MÜLLER-Desterro hat bereits das. glänzendste Beispiel dieser Art, die Rückbildungserscheinungen an parasitischen- Crustaceen näher erörtert (1864), und HAECKEL riet „hierbei ins Auge zu fassen, daß durch den Besitz hochdifferenzierter Theile dem Organismus nicht allein Vortheile, sondern auch Lasten erwachsen und daß also das Verschwinden solcher Theile, welche immer eine bestimmte Quantität Nahrung erfordern, für ihn ein positiver Vortheil ist, sobald dieselben nicht mehr im Gebrauch, ihm nicht mehr von Nutzen sind.“ „Die Parallele zwischen der Phylogenie und Ontogenie tritt auch in diesem Falle wiederum auf das Schlagendste ans Licht, denn die gesamte individuelle Entwicklungs- geschichte der rudimentären Theile zeichnet uns in kurzer Zeit mit flüchtigen, aber charakteristischen Strichen die Grundzüge des langen und langsamen cataplasmatischen Processes, durch welchen die rudi- mentären Theile im Laufe vieler Generationen durch Anpassung an einfachere Lebensbedingungen, durch Nichtgebrauch, Nichtübung etc. von ihrer früheren Ausbildungshöhe herabsanken.“ Die Entstehung rudimentärer Organe ist ein Beweis, wie blindlings und zwangs- läufig, ohne jede Zielstrebigkeit das Ringen des Wachstums in den sich epigenetisch ergebenden Entwicklungslagen erfolgt. Genau so wie die rudimentären entstehen auch die Dauerformationen; auch bei ihnen muß es sich erst zeigen, ob und wie sie verwendbar und anpassungsfahig sind. Auch ihre Entstehung müssen wir — wie einen Ringkampf — verfolgen, als wüßten wir gar nicht, was sich weiterhin ergeben werde. Die Stammesgeschichte hat die epigenetische Sukzession der Situationen des Ringens nicht dermaßen verändert, dab jene Formationen nicht entstehen, sie hat nur die Bedingungen Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 507 des weiteren Ringens für sie ungünstig verändert. Es werden zwar manchmal andere Situationen erschlossen, andere Verwendungsweisen eröffnet. Manchmal aber werden, so unökonomisch es von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet erscheinen mag, dennoch unter dem Zwange alter Bedingungsketten auch für das Individuum ganz über- flüssige aussichtslose Formationen jüngerer stammesgeschichtlicher Perioden in der Ontogenese höherer Formen wiederholt, im ringenden Wachstum spontan erworben, so wie die günstiger situierten Forma- tionen der Nachbarschaft, deren Fortentwicklung nicht epigenetisch unterbunden wird. Solche sehr beweiskräftige Erscheinungen bilden eine Regel häufigen Vorkommens; auch sie repräsentieren eine Wieder- holung der fundamentalen Stufenleiter der Organisation unter dem Zwange der Epigenesis, welche dem biogenetischen Grundgesetze folgt und die gesicherten Korrelationen zwischen der Stammes- und Keimesgeschichte bestimmt. Die für weitere epigenetische Erwerbungen der Entwicklung untauglichen, unverwendbaren rudimentären Organe werden infolge mangelnder Beanspruchung durch das Soma zu Müßiggängern und Schmarotzern und können in jenem Zustande der wiedererreichten völligen Indifferenz, nach vollzogener Indifferenzierung, wenn sie einseitige Betätigung ihrer unicellulären Fähigkeiten aufgegeben haben, später ein immenses Wachstum beginnen, in neue epigenetisch sich ergebende Bahnen eintreten und bösartige Tumoren, z. B. carci- nomatöse Wucherungen, erzeugen. Die Kiemenspaltencarcinome, die Urachuscarcinome sind Beispiele solcher bösartig gewordener Reminis- zenzen der Phylogenese bzw. Folgen der Palingenese, die der Mensch mitunter mit dem Leben bezahlen muß. — Unter den palingenetischen Erscheinungen sind also die ur- sprünglichen Ausgangszustände dotterarmer, freischwärmender, hungriger, von allem Anfang an im vollen Kampfe ums Dasein stehender Ausgangsformen und die erst sekundär und tertiär usw. sich ergebenden Bedingungsänderungen, welche den Weg zu höherer Organisation eröffnet haben, zu unterscheiden. Vor allem ist es die vorübergehende Funktionslosigkeit, welche ein so rasches Weiter- bauen, so gesteigertes Wachstum ermöglicht; wenn der Dotter die Nahrungsversorgung, die Placenta außerdem auch noch andere, lebenswichtige Funktionen des Stoffwechsels übernimmt, so können die betreffenden Organe viel rascher im Ringen entstehen und ausge- baut werden. Man könnte also von den Ausgangsformationen und den durch die Approvisionierung und den Schutz des Keimes, die Viviparität bedingten Anpassungen und Abänderungen sprechen, wobei jedoch 508 ALFRED GREIL, stets die kardinale Bedeutung der diese Abänderungen zwangsläufig mit sich bringenden Faktoren zu würdigen ist. Im Vergleich mit den Vorteilen dieser immensen Erwerbe sind die Begleit- und Folge- erscheinungen, jene Seitenwege, welche sich in der Komplikation der Keimblätterbildung, insbesondere der Gastrulation, zeigen, von ganz untergeordneter Bedeutung. Andrerseits haben diese Erwer- bungen des Gesamtkeimes (Dotter, Eihüllen) wiederum die Entstehung: neuer Einrichtungen von gleichfalls großer palingenetischer Bedeutung als Förderung der stammesgeschichtlichen Vollendung der Organisation mit sich gebracht, unter denen die beim Übergange vom Wasser- zum Landleben sowie beim Erwerbe der intrauterinen Ernährung geschaffenen Formationen an erster Stelle stehen. — Für die Beurteilung der Gastrulaform ist es hinsichtlich der Wertung des biogenetischen Grundgesetzes also von unterge- ordneter Bedeutung, ob dieselbe bei freilebenden Formen von relativ wenigen Zellen aufgebaut wird oder ob während der von ein paar Dutzend Zellen ausgeführten Urdarmbildung Millionen gleichaltriger Zellen bereits mit dem Dotter oder der Gebärmutterwand in Be- ziehung treten, in überaus günstige Wachstumslagen geraten, die sie in stetig steigendem Maße ausnützen, und dann am Aufbaue des Körpers nicht unmittelbar teilnehmen. Es kommt auf die kardinalen Bedingungen der Gastrulation an, welche, wie wir oben gezeigt haben, als äußere oder innere Bedingungen im wesentlichen die Gestaltung des Zellenstaates in gleicher Weise beeinflussen und be- herrschen, bei höheren Formen aber bis zu einem gewissen Grade eingeschränkt werden. Für den Enterocölier ist vor allem die Entstehung paariger, paraxialer Mesodermfalten charakteristisch. Ob diese geöffnet oder geschlossen zustandekommen, wann die Leibes- höhle entsteht und wann die einzelnen Abschnitte einerim wesentlichen übereinstimmenden differenzierenden Auslese cellulärer Fähigkeiten preisgegeben werden, ist von geringer Bedeutung. Die Bildung und Segmentierung dieses paarigen Mesoderms erfolgt bei Menschen im Prinzip genau so wie beim Amphioxus. Der gesteigerte Dottererwerb hat dann die Bedingungen für eine reichlichere Mesodermproduktion um den Urmund herum mit sich gebracht, die das prostomale Mesoderm, jenes Zellenmaterial schafft, welches in funktioneller Anpassung sich zunächst mit dem Transport der Nahrungsreserven befaßt, sich größtenteils in den Dienst des Embryos stellt. Die kardinale Errungenschaft der Entstehung der Chorda dorsalis, des Chordoniertypus wird in den Frühstadien des Menschen im wesentlichen genau so wie bei den primitivsten Chordoniern Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 509 (Ascidien, Amphioxus) erworben, so daß dieser Typus infolge der relativ geringen Variationsbreite meist auch in der speziellen Art der Entstehung übereinstimmt. Für den Fischtypus ist der neostomale, enterocöle Enterozoon- und Chordoniertypus die Grund- lage. Dazu kommt, daß bei dem Durchbruche seitlicher Schlund- taschen der Kiemendarm entsteht. Die Beschuppung, die Zahl und Anordnung der Flossen steht in zweiter Linie. Ob ferner nur fünf oder hundert solcher Kiemenspalten auftreten, ja sogar, ob die Schlundtaschen durchbrechen oder nicht, ist in Anbetracht der Funktionslosigkeit dieser Gebilde bei Embryonen terrestrischer Formen vollkommen gleichgültig. Das Prinzip der Entstehung des Mundes und der Schlundtaschen muß nebst anderem gewahrt sein, wenn wir einer Entwicklungsform den Fischcharakter zusprechen. Dieser Er- werb kommt aber auch in der Entwicklung des Menschen in nicht minder eklatanter Weise zum Durchbruch wie bei einem Fischembryo. Es kann daher der betreffende Entwicklungszustand des Menschen mit Fug und Recht als übereinstimmend mit dem Urfischtypus bezeichnet werden, denn alle die sekundären Anpassungserscheinungen an den einzelnen Organen, z. B. an der Körperdecke, welche an freilebenden Formen dieser Organisationsstufe in mannigfaltiger Ausbildung die verschiedenen Details der Gestaltung bedingen, kommen bei der Charakterisierung des Organisationstypus zunächst nicht in Betracht. Für den Dipnoer ist stammesgeschichtlich vor allem das gleich- zeitige Auftreten der alten Kiemen und des neuen epigenetischen Erwerbes der Lungen charakteristisch. Der Mangel eines Schuppen- kleides und anderer für alte und rezente Dipnoer charakteristische Formationen können uns nicht davon abhalten, von einem Dipnoer- zustand der menschlichen Entwicklung, welche auch diese Ver- hältnisse getreulich wiederholt, zu sprechen, wenngleich diese Doppel- atmung funktionell nicht eintritt. In dieser Hinsicht ist für das Amphibium der Übergang zur ausschließlichen Lungenatmung und für das Reptil der sukzessive Erwerb der Scheidung der beiden Kreisläufe des Blutes charakteristisch, wodurch erst die volle Aus- nützung der Lungenatmung ermöglicht wurde. Dieser Entwicklungs- sang wird insbesondere hinsichtlich der Gestaltung des Blutgefäß- systems auch beim Menschen in einer ungemein lehrreichen Weise wiederholt (Pneumozoonzustand.) ' So muß also stets zwischen den in einer Linie zwangsläufig vom Einfacheren zum Komplizierteren fortschreitenden Veränderungen und Erweiterungen der fundamentalen Entwicklungslagen dieses Werdeganges, in welchem zwangsläufig eins aus dem anderen hervor- 510 ALFRED GREIL, geht, und jenen wechselnden Adaptionen des Körpers unterschieden werden, bei denen eine Etappe nicht die unmittelbare Voraussetzung der anderen sein muß. Das Wimperkleid der Gasträa, der Wimper- ring und der Apicalschopf eines freischwärmenden primitiven Entero- zoons, die einfache Cuticularbildung der Körperdecke des primitiven Chordoniers, das Schuppenkleid des Fisches, die zarte, Schleim secernierende Haut hochstehender Dipnoer, der Schuppenpanzer der Reptilien und schließlich das Wollhaarkleid eines Säugers können in Äonen von Jahren durch Anpassung an den Wechsel äußerer Be- dingungen (insbesondere beim bedeutungsvollen Übergange vom Wasser- zum Landleben) und an andere Faktoren der stammesge- schichtlichen Metamorphosen sukzessive einander folgen; aber jede Etappe geht aus einem noch ganz indifferenten Zustande der Körper- decke und des Bindegewebes hervor. Keine dieser Stufen ist zur Erreichung der folgenden unerläßlich nötig; die höhere Stufe hat vielmehr unter Umständen die Schwächung, Unterdrückung und das Ausbleiben der vorhergehenden zur Voraussetzung. Es handelt sich hierbei um Anpassungserscheinungen an bestimmte Entwicklungs- und Lebenslagen, die ursprünglich größtenteils bereits im Freileben erfolgten. Anders jedoch verhält es sich mit jenen fundamentalen Charakteren, die wir oben zum Teil kennen gelernt haben. Die Bildung der Wirbelsäule hat die Invagination, die Entstehung der Chorda, des Mesoderms und anschließende Veränderungen zur unbe- dingten Voraussetzung. Am Gefäßsystem, am Excretionssystem er- geben sich nicht minder zwangsläufig bestimmte Reihen, an denen kein Glied fehlen darf, bei denen jede Organisationsstufe die uner- läßliche Voraussetzung für die Erreichung der folgenden ist. Solche Reihen werden auch in der Ontogenese vollständig getreulich wieder- holt, während die Erwerbung der wechselnden, adaptiven Charaktere, so wichtig sie auch der Stammesgeschichte gewesen sein mögen, meist einen enormen Umweg bedeuten würde, der den Gewinn des raschen Entwicklungstempos erheblich beeinträchtigen, unter Um- ständen die Erreichung einer höheren Organisation direkt vereiteln würde Auch in dieser Hinsicht ist stets der Wechsel der Be- dingungslagen, den die Embryonalentwicklung und andere Umstände mit sich brachten, zu prüfen und in seinen Folgen zu analysieren. — In Anbetracht des durch die vorzügliche und schließlich dauernde Approvisionierung für die ganze Entwicklung bedingten raschen Entwicklungstempos und einer durch die Funktionslosigkeit gewährten gewissen gegenseitigen Unabhängigkeit der einzelnen Organe kann es nicht wundernehmen, daß das Gesamtbild des Embryos in den Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 5li weiteren Stadien, in dem Ringen seiner einzelnen Teile gewisse Ver- schiedenheiten im zeitlichen Auftreten und Ablaufe sowie auch der räumlichen Anordnung der Organe zeigt, welche indes die kardinalen Züge der Wiederholung nicht beeinträchtigen können. Die Forderung der Wiederholung adaptiver, wech- selnder Charaktere ist ebenso kurzsichtig wie einseitig und mit der Sicherung und Ökonomie des Werdeganges unvereinbarlich. Ebenso wie die Gastrulaform des menschlichen Keimes nicht be- wimpert und das Urfischstadium des Menschen nicht beschuppt sein kann, ist ferner die Metazoenwelt nicht aus einer einzigen individuellen, spezifisch gebauten Urzelle hervorgegangen. Es handelt sich viel- mehr um einen ganz bestimmten Zellentypus, welcher dadurch aus- gezeichnet ist, daß er sich unter Erhaltung des Verbandes teilen und so einen festgefügten langlebigen Zellenstaat begründen kann. Wo und wann immer solche Urahnenzellen entstanden sind, wie sie sich in ihrer chemischen Konstitution individuell unterschieden haben, ist zunächst gleichgültig, alle haben mit denselben Mitteln dieselben fundamentalen führenden Organisationen des Zellenstaates erworben. Omnes eodem coguntur. Jene Differenzen sind zunächst nur Begleit- erscheinungen, die hinsichtlich jenes kardinalen Moments eine unter- geordnete Rolle spielten. Neben diesen Zellen entstanden unzählige andere, welche diese Fähigkeiten nicht erlangten, das Schwesterreich der Protozoen begründet haben und ursprünglich ebenso spontan entstanden sind. Stets handelt es sich um die prinzipiellen, funda- mentalen Charaktere. Aufjeder Organisationsstufe besteht Veränderlichkeit äußerer und innerer Entwicklungsbedingungen, der Entwicklungslagen, und es ist Gelegenheit zur Abzweigung, zum Verharren unter Entstehung sekun- därer und tertiärer Charaktere gegeben. Darauf gründet sich die Mannigfaltigkeit der rezenten Organismenwelt, welche stammesge- schichtlich bis zu jener Etappe zurückzuführen ist, an welcher die Divergenzen einsetzten und der Erwerb jener besonderen Charaktere begann. Es sind also die Wegstrecken der gemeinsamen Entwick- lungsbahnen, in denen hinsichtlich der fundamentalen Organisation ein gewisser Parallelismus bestand, festzustellen. Durch die Abstra- hierung besonderer Anpassungsweisen gelingt es dann, an der rezenten Formenwelt die Grundform an den einzelnen Divergenzstellen so- zusagen herauszuschälen. Diese Grundformen sind gewissermaßen festgehaltene, arretierte Etappen der Stammesent- wicklung, der großen, einheitlichen Entwicklungsbahn. Mit ihnen stimmen die rasch durchlaufenen Entwicklungsformen höherer Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Zool. u. Physiol. 33 JT 12 ALFRED GREIL, Formen überein. Sind die sekundären, nach der Abzweigung er- worbenen Merkmale primitiver, rezenter Formen gering, dominieren im Körperbau die primären, am Stamme erworbenen Charaktere, dann können die entsprechenden Entwicklungsformen höherer Formen mit gewissen Abstrichen direkt mit niedrigen rezenten Formen verglichen werden. Unter allen Umständen bieten aber die Entwicklungsformen niederer Formen, an denen jene adaptiven Komplikationen noch nicht so zur Geltung gekommen sind, die direkten, stammesgeschichtlichen Vergleichspunkte mit solchen höherer Formen dar. Dies ist die Forderung des biogenetischen Grund- gesetzes, das Programm biogenetischer, stammesgeschichtlicher For- schung, bei welcher wir stets die Organisation und die Entwicklung der Menschen als Ziel vor Augen haben. Die Metazoenwelt gleicht einem Baume, dessen Wurzeln wir in zentripetaler Richtung verfolgen müssen. Die Verzweigungen der Wurzeln repräsentieren nämlich den sukzessiven Erwerb der Urahnenzellen der Metazoen. In bzw. aus anorganisch und organisch verschiedenem Erdreiche, zu verschiedenen Zeiten, mit verschiedener Konstitution und Variation entstanden, konvergieren die Wurzeln des (Metazoen-) Stammbaumes insofern, als sie damit den Erwerb der Teilung im Verbande charakterisieren. Der Stamm des Metazoen- baumes besteht aus parallel verlaufenden Fasersystemen, die je nach ihrem Wurzelareal an sich verschieden, aber prinzipiell hinsichtlich der essentiellen Zellgebilde und cellulären Erwerbe gleichartig sind. Es gab verschiedene Blastäaden, Gasträaden. Aber diese Organisation mußte alles, was eine höhere Organisation erlangte, trotz aller neben- sächlichen Verschiedenheiten, wann und wo immer, in gleichartigem Grundtypus erreichen. Nun erst beginnt die Verästelung, die Diver- genzen setzen ein. Die Organisationsstufe der Gasträa bot als solche der Variation einen gewissen Spielraum, sie war dauerhaft genug, um in beiden primären Keimblättern mannigfache Ver- änderungen zu gestatten, die, je weitere Kreise sie zogen, immer weiter von der gemeinsamen Bahn zum Enterozoon ablenkten und in jene Sackgassen führten, aus denen die rezenten Cölenteraten und viele Rippenquallen hervorgegangen sind. Der Metazoenstamm setzt sich ins Enterozoenreich fort. Die Organisation dieses Typus gestattete eine reiche Mannigfaltigkeit für die Gewinnung divergierender Charaktere, und so gab es nach allen Richtungen Verästelungen und Abzweigungen, welche sowohl die Formbildung wie die Differenzie- rung betrafen. Diese Unterschiede im ringenden Teilungswachstum Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 513 und der Entfaltung anderer unicellulärer Fähigkeiten können in allerletzter Linie auf jene Differenzen und die chemische Konsti- tution der Urahnenzellen zurückgeführt werden, welche durch lange Zeiträume hindurch als Begleiterscheinungen latent blieben, gesteigert oder aber erst allmählich durch Anpassung erworben wurden. Auf jeden Fall ist die volle Wirksamkeit dieser Momente das Werk der Epigenesis. Der mächtige Stamm jenes Baumes, d. h. die Bahn, welche zur dominierenden Wirbeltierorganisation führt und die reichste Entfaltung des Zellenstaates gewährleistet, leitet zum Entero- cölier- und Chordoniertypus. Allenthalben seitliche Abzweigungen, bis endlich jener Urfischtypus erreicht und damit das Reich der der Wirbeltiere begründet war. Alle die zahllosen Weiterver- zweigungen, die Hegemonie des Dipnoer- und des darauffolgenden Pneumozoontypus, der terrestrischen Formen und die weitere Fort- setzung des Stammbaumes sollen uns hier, wo es sich um die Prin- zipien des biogenetischen, die kardinalen „Formveränderungen“ (HAECKEL), nicht aber enge Stadien betreffenden Grundgesetzes handelt, nicht weiter beschäftigen. — Überblicken wir noch einmal diesen gewaltigen Werdegang, so treten zwei prinzipielle Momente scharf hervor. Ziel- und richtungs- los, spontan, durchaus epigenetisch war der Erwerb, eines ergab in der Stammesgeschichte im kleinen zwangsläufig das andere, in blinder Anpassung wurde auf allen, sich immer mehr verzweigenden Linien in den Tag hineingebaut. Je größer das Gebäude wurde, um so mehr trat das ursprüngliche Fundament — die Keimzelle — relativ zurück. Bei der ontogenetischen Wiederholung ist es nicht anders. Zwangsläufig wurde aber sukzessive der epigenetische Erwerb, das Chaos der Varianten beschränkt und auserlesen, weil alles, was nicht Schritt für Schritt ohne wesentliche, den Gang der Entwicklung un- vorteilhaft beeinflussende Bedingungsänderungen den einzelnen Organi- sationstypen folgte, stehen blieb, bei der züchtenden Selection zu- grunde ging oder sich abzweigte. Die Sicherung eines bestimmten Entwicklungsganges war auch bei ungleichartigem Ausgangsmaterial in erster Linie durch die gleichartigen Bedingungsketten gegeben. Jede Blastäa, war sie groß oder klein, war der Chemismus ihrer Zellen wie immer variiert, wurde unter den Folgeerscheinungen des ungleichen Wachstums, gleichviel ob unter dem Zwange äußerer oder innerer Bedingungen, zu einer Gasträa. So ging es fort und fort. Erst sekundär wurden diese anfänglichen Begleiterscheinungen im Chemis- mus, vor allem aber die Art des Eiwachstums zu einem namentlich bei der Formbildung und Differenzierung richtunggebenden Faktor 39* 514 ALFRED GREIL, und stetig wiederholt, zur Sicherung der Entwicklung unter gleich- zeitiger Eindämmung direkt wirkender Außenbedingungen. Aber auch diese graduellen Veränderungen, welche eine einfache, sich mästende Einzelzelle betreffen und lediglich unicelluläre Funktionen in ver- schiedener Weise steigern, bedeuten nur minimale Änderungen der Ausgangssituation, die in keinem Verhältnisse stehen zur gleich- zeitigen, immer größer werdenden Komplikation des epigenetisch sich ergebenden Bedingungskomplexes, welchen gesteigertes Teilungs- wachstum und treffliche Approvisionierung ermöglicht haben. Der Parallelismus zwischen der Ontogenese und Phylo- genese besteht somit in erster Linie in der Übereinstimmung des epigenetischen Prinzips des Erwerbes der zellenstaatlichen Organi- sation mit den bescheidenen cellulären Mitteln; nur die Quantität und Qualität der Approvisionierung zeichnet die Keimzellen besonders aus. In zweiter Linie steht das mit diesen Mitteln, aus der beim Eiwachstum erlangten Ausgangssituation des ringenden Wachs- tums Erworbene, die Übereinstimmung der aus prinzipiell gleich- artigen Ausgangssituationen des polarbilateralen Eibaues sich ein- stellenden Etappen und Erscheinungsweisen des Ringens und der sukzessive sich epigenetisch ergebenden Komplikationen des Be- dingungskomplexes. Das Erbe der Vergangenheit ist die approvisionierte Eizelle, deren zelluläre Fähigkeiten graduell ge- steigert werden. Diese relativ einfache Zelle darf nicht mit rätselhaften Anlagesubstanzen, Atomverkettungen, Plassonten, Ver- erbungssubstanzen und geschichteten Attraktionssystemen etc., welche Spezifika für die Bildung der Organe und sogar der individuellen Charaktere ihrer Gestaltung sein sollen, überlastet werden, denn damit würde die Entwicklung in ein Zerrbild verwandelt und statt einer klaren deskriptiven Analyse der Entwicklung, der epigenetischen Evolution cellulärer Fähigkeiten ungeheuere Schwierigkeiten und ein mystisches Dunkel geschaffen. Es ist daran festzuhalten, daß durchaus nicht alle Erscheinungen und Leistungen einer höheren Organisation in der Phylogenese von vollendeten Individuen erworben worden sind. Vielmehr spielt auch in der Stammesgeschichte das all- mählich geförderte Eiwachstum in dieser Hinsicht eine überaus wichtige erwerbende, richtunggebende Rolle. Die große Variabilität des Ei- wachstums hat auch, soweit sie schon durch physikalische Momente beeinflußt wird, bei der Begründung und Vergrößerung des Zellenstaates ganz charakteristische Reaktionen zur Folge, welche schöpferisch wirkend, selbständig ganz neue Entwicklungsbahnen, einen Werdegang von unabsehbarer Tragweite einleiten. Ganz fundamentale Organi- Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 515 sationen werden auf solche Weise erworben. So bietet die bisher meist als ein Problem für sich behandelte oder ganz vernachlässigte Untersuchung des Eiwachstums den Schlüssel für das Ver- ständnis des Werdeganges der Organisation, sofern nicht die Auf- stöberung und Isolierung von Anlagesubstanzen angestrebt wird, sondern die groben, den Teilungsmechanismus vorwiegend physikalisch beeinflussenden und ungleiches Teilungswachstum der Abkömmlinge bedingenden graduellen, quantitativen Unterschiede in der Verteilung cellulären Baumaterials und die übrigen, durch das langandauernde, eine gewaltige unicelluläre Leistung repräsentierende Eiwachstum im Zellengefüge der Oocyte geschaffenen Veränderungen ermittelt werden. Die heranwachsende Oocyte ist wie eine Nahrungsreserven auf- stapelnde Leberzelle zu betrachten. Daß die Registratur des Stoff- verkehrs eine größere ist, bedingt nur graduelle Unterschiede. Nicht Anlagesubstanzen, sondern Rohmaterial für celluläre Verrichtungen und Differenzierungen wird gebildet und aufgestapelt. Aus den flüssigen, gelösten und korpuskulären Komponenten des rohen Bau- materials schafft der Zellenstaat bei der differenzierenden Auslese und Anpassung unter Steigerung unicellulärer Fähigkeiten die _ verschiedenen Gewebe. Dieses Rohmaterial ist das Gemeingutaller einzelnen Zellen und kann ebenso wie das Meerwasser nicht mit bestimmten Formationen und Differenzierungen in engere direkte Beziehungen gebracht werden. Die Disposition über das Rohmaterial, d.h.dieVerwendung desselben zu besonderen cellulärenDifferenzierungen, also die Verwertung und Umarbeitung des Rohmaterials, die Lokali- sation der Differenzierung ist ausschließlich das Werk des Zellenstaates, der Epigenesis. Die Bedingungen zu diesen Entscheidungen ergeben sich erst im Verlaufe des epigenetischen Ringens und können nie und nimmer schon in der Keimzelle alle definitiv spezifiziert festgelegt sein. Jenes Rohmaterial mit groben Formbildungen (Invagination, Falten- bildung etc.) in spezifische Beziehungen zu bringen, ist ein Beweis mangelnder Einsicht in das epigenetische Entwicklungsprinzip. Der deskriptive Analytiker kennt im Gegensatze zum speku- lierenden kausalen Analytiker, dem Neoevolutionisten, keine Prä- formation für Werke eines Zellenstaates, sondern nur Prä- valenzen unicellulärer Fähigkeiten in der Keimzelle In der Art und der Lokalisierung dieser Prävalenzen unterscheiden sich die Eizellen der Metazoen. Die vergleichende physiologische Er- forschung des epigenetischen Werdeganges, des Bedingungskomplexes der Entwicklung und nicht die Rubrizierung der Eizelle ist die Forderung des biogenetischen Grundgesetzes. 516 ALFRED GREIL, So wie die Oocyten erst allmählich ihre schmarotzende Tätig- keit in einer zwangsläufig wirkenden, eigenartigen Differenzierungs- lage erwerben und dabei jene weitestgehende Einseitigkeit ihres cellulären Wachstumes gewinnen, welche dann die Befruchtung aus- gleicht, wie ferner ungleiches Eiwachstum in schlichter, einfacher, aber bestimmender Weise das Ringen der Entwicklung einleitet, so werden auch alle übrigen Entwicklungs- und Differenzierungslagen im Laufe der Ontogenese aller Generationenreihen erst allmählich, epi- genetisch erworben, indem sich alleringenden Zellen und Zellenkomplexe in blinder Anpassung den sich epigenetisch ergebenden Bedingungen fügen. Das Eiwachstum, der letzte epigenetische Entwicklungsakt im Soma schließt den Zyklus; als einfache Zellen, so wie alle in- differenten Gewebszellen, treten die Oocyten ins Wachstum ein, sie müssen sich erst an diese eigenartige Differenzierungslage anpassen, und wenn sie dieselbe meistern, so treten andere an ihre Stelle. Während der Furchung muß der lange vernachlässigte Teilungs- mechanismus in funktioneller Anpassung sich für eine immense Dauerleistung trainieren, und schließlich wird in situationeller Aus- lese und Anpassung diejenige Art der Differenzierungsbereitschaft gepflegt und gesteigert, welche vor Ort verwendbar und tauglich ist. Die Fertigkeit und Vollendung, welche die Zellen der Metazoen in den verschiedensten Differenzierungslagen und Differenzierungs- leistungen im staatlichen Verbande universell — im Gegensatze zu den Schranken, welche die Einzelligkeit mehrseitiger besonderer differen- zierender Betätigung setzt — erringen, muß erst mühsam erworben werden. So wie die Ureier das celluläre Arbeitszeug zum Eiwachstum besitzen, so wuchern die Keimzellen mit demselben cellulären Material, mit denselben Fähigkeiten und Werten, wenn sie als einfache wohl- versorgte Arbeiter nach einer leiblicher Wohlfahrt gewidmeten Periode den Zellenstaat begründen und aufbauen. Ihr universelles Arbeitszeug, ihre uneingeschränkte, unverbrauchte, durch treffliche, den Reserven eines Ozeanriesen vergleichbare Mitgift versorgte und bestimmte Differenzierungsbereitschaft sichern ihren langen Weg, den sie blindlings in den Tag hinein, komme, was kommen mag, in spontaner Anpassung verfolgen, wobei es nur eine Losung gibt, das Vorwärts des überschäumenden, unaufhaltsamen Wachstumes. Die Erkenntnis des epigenetischen Charakters aller Erwerbungen und Errungenschaften, welche die Ontogenese mit sich bringt, erklärt die celluläre Totipotenz und Vollbereitschaft der ersten Blastomeren und indifferenten Zellen. Die Ermittlung der Bedingungen, unter denen sich das Teilungs- Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. 517 wachstum der Keimzelle lokal steigert und in Anpassung entfaltet, die Feststellung des mannigfachen Einflusses, welchen die Approvisio- nierung der Keime auf diesen fundamentalen Teilungsmechanismus aus- übt, läßt sich an einer einzelnen Form, besonders dann, wenn die Eizelle, wie es den meisten Entwicklungsmechanikern beliebt, als etwas Gegebenes betrachtet und die Art des Eiwachstums der deskriptiven Buchung überlassen wird, nur mit einer gewissen Unsicherheit, gleichsam auf schwindelndem Pfade durchführen. Es ist durchaus unrationell, um jeden Preis, mit allen Hebeln und Schrauben der Forschung einzelnen rezenten Species die Faktoren, welche ihren Werdegang beherrschen, abzutrotzen. Die Sicherheit des Urteils, das volle Verständnis der bei den einzelnen Formen sich darbietenden Ver- hältnisse und Varianten wird erst durch den umfassenden Vergleich der bei ungestörter Entwicklung unter mannigfacher Variation des Bedingungskomplexes geschaffenen Reaktionen derselben unicellulären Vorgänge und Leistungen erlangt. Es ist erst eine Vorarbeit getan, wenn wir z. B. bei Meroblastiern die Widerstände und Hindernisse, die der Teilungsmechanismus infolge der Dotterbelastung der Keim- zelle überwindet, ferner die Art und die Weise, wie sich die Keimscheibe von den Klammern und Fesseln des Dotters frei macht, wie die Ver- dauung des Dotters erfolgt und wie gewisse Zellenkomplexe sich als Funktion der Gelegenheit ausschließlich in differenzierender Auslese und Anpassung ihrer unicellulären Fähigkeiten mit der Verarbeitung des Dotters beschäftigen, ermitteln. Damit wäre die physiologische Seite des Problems für den ersten Entwicklungstag erschöpft. Das volle Verständnis für die so entstandenen, in einen Komplex uni- cellulärer Anpassungen auflösbarer Formationen wird jedoch erst dann errungen werden, wenn wir nachsehen, wie sich bei geringerer Dotterbelastung in der von der rezenten Formenwelt in allen Einzel- gliedern und in reicher Variation präsentierten Reihe die korrespon- dierenden Vorgänge abspielen, wenn wir sozusagen einen Kataster anlegen und die einzelnen Regionen der Keimscheibe bezeichnen und dahn als Vollendung des Vergleiches die ihnen homologen Be- zirke an der Cöloblastula und der Gastrula des Amphioxus aufsuchen. Die Kenntnis der Erscheinungen, welche die sukzessive Zunahme des Dotters mit sich brachte, indem sie die meroblastischen Furchungs- typen schuf, die historische Betrachtungsweise, ermöglicht somit erst die volle Würdigung der im ontogenetischen Werdegange bei den einzelnen rezenten Formen sich darbietenden Veränderungen. Bei einem so zwangsläufigen Katastervergleiche der jungen Keime kann kein morphologisch und physiologisch bedeutsames Detail entgehen. 518 ALFRED Greir, Richtlinien des Entwicklungs- und Vererbungsproblems. Ohne diesen die Einseitigkeit und die Komplikation des Bedingungs- komplexes analysierenden und den phyletischen Werdegang offen- barenden Vergleich ist sowohl die physiologische wie die morpho- logische Forschung einseitig, unbefriedigend und vielfach irreführend. Dasselbe gilt mutatis mutandis auch für die älteren Stadien. Nicht die Aufstellung von Denkmöglichkeiten und Ahnengalerien, sondern die Ermittlung der sukzessiven Änderungen des gewaltigen Bedingungskomplexes der Entwicklung während des phyletischen Werdeganges, die aus dem Vergleiche der Bedingungsketten, welche die Entwicklung rezenter Formen beherrschen, erschlossen werden kann, also die Erkenntnis des Epigenesis, die Klarlegung der großen, unter denselben Bedingungen bei stammverwandten Formen er- worbenen Entwicklungsweisen und gemeinsamen einheitlichen Ent- wicklungsbahnen ist dieAufgabe und das Ziel der embryo- logischen Erforschung der Entstehung der rezenten Organismen. Die vergleichende physiologische Forschung, die Ermittlung der suk- zessiven Änderung und Komplikation des epigenetischen Bedingungs- komplexes der Entwicklung bei den verschiedenen Formen liefert die wichtigsten Dokumente für die Genealogie, das letzte Ziel und das übersichtlich geordnete Ergebnis vergleichender Morphologie. Der Zwang der Epigenesis, die „aus Gleichartigem Ungleichartiges“ schuf und schafft, die Phylogenese ebenso begründet hat, wie sie die Ontogenese beherrscht, bedingt jene monistische Solidarität der Entwicklung, welche im biogenetischen Grundgesetze so klar zum Ausdrucke gelangt. Das biogenetische Grundgesetz betrifft sowohl im allgemeinen den Erwerb der Steigerung und Vielseitigkeit cellulärer Leistungen und Anpassungsweisen, die epigenetische Evo- lution cellulären Schaffens in der Phylogenese und Ontogenese, wie im speziellen den übereinstimmenden Erwerb der einzelnen epi- genetisch einander folgenden Entwicklungslagen, den Bau der großen auf solche Weise in der Keimes- und Stammesgeschichte, in zähem Ringen gebahnten und verlängerten, zu solchen Höhen emporführenden Entwicklungswege. So leitet die Erkenntnis des biogenetischen Grundgesetzes, welches in seinen durchaus epigenetischen Prinzipien, im Sinne Ernst HAEcKEL’s erfaßt, allenthalben bestätigt werden kann, den Menschen Schritt für Schritt bei der wissenschaftlichen Vertiefung des Monismus, in seinem „eigentlichen Studium“, das sie begeisternd fördert. Innsbruck, Anatomisches Institut, am 24. Mai 1911. G. Pätz’sche Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. S. Fe LE ae dr re Ca ds AG SA do ri 3 way QE LA 0 % BRETT x t. v va = r „eb TR DR SR nt PERS % ae Verlag von GUSTAV FISCHER in JENA. pr = — : I = = —— Soeben erschien: Festschrift zum 60. Geburtstage des Herrn Geheimen Hofrats Prof. Dr. J. W. Spengel. Herausgegeben von A. Bier (Berlin), L. Döderlein (Straßburg), L. Dollo (Brüssel), H. Ludwig (Bonn), E. L, Mark (Harvard Univ.), M. Weber (Amsterdam) und A. Weismann (Freiburg). (Zoologische Jahrbücher. Supplement 15.) 1912. 3 Bände. Preis: 225 Mark. Erster Band: Arbeiten vorwiegend systematischen Inhalts. Mit 32 Tafeln und 59 Abbildungen im Text. Preis: 75 Mark. Zweiter Band: Arbeiten vorwiegend anatomischen Inhalts. Mit 41 Tafeln und 212 Abbildungen im Text. Preis: 100 Mark, Dritter Band: Arbeiten vorwiegend allgemein zoologischen und physio- logischen Inhalts. Mit 18 Tafeln und 161 Abbildungen im Text. Preis: 50 Mark. Soeben erschien: Pr Zoologische u. anthropologische Ergebnisse ‚ einer Forschungsreise - im westlichen und zentralen Südairika ausgeführt in den Jahren 1903—1905 En mit Unterstützung = kgl. preuß. Akademie der Wissenschaften zu Berlin von Dr. Leonhard Schultze, Professor der Geologie an der Universität Kiel. Fünfter Band: Systematik und Tiergeographie. Erste Lieferung. Mit 4 Tafeln, 1 Karte und 14 Figuren im Text. Preis: 7 Mark 50 Pf. Inhalt: Südwestafrikanische Schizopoden von Carl Zimmer, Breslau. Mit Tafel I und II. On a Colleetion of Afriean Coceidae von Robert New- stead. With Tafel III. Copepoda von Carl van Douwe, München-Schwabing. Mit Tafel IV und 1 Karte im Text. Das Plankton der Küste von Südwest- afrika von C. Apstein, Berlin. Mit 14 Figuren im Text. Inhaltsverzeichnis der Bände I—IV kostenfrei! Festschrift zum siebzigsten Geburtstage des Herrn Geheimen Rats Prof. Dr. August Weismann Febue Mit 32 Tafeln und 104 Abbildungen im Text. („Zoologische Jahrbücher“ heraus- gegeben von Dr. J.W.Spengel, Prof.in Gießen. Supplement VII.) 1904. Preis: 60 Mark. Inhalt: (Jeder Beitrag ist einzeln käuflich.) Über das Vorkommen eines Kehlkopfes bei Ganoiden und Dipnoern sowie über die Phylogenie der Lunge. Von R. Wiedersheim. Mit 6 Tafeln und 1 Abbildung | im Text. Preis: 9 Mark. — Uber Amoeba viridis Leidy. Von August Gruber. Mit 1 Tafel. Preis: 2 Mark 50 Pf. — Künstliche Parthenogenese. Von Alexander Petrunkewitsch. Mit 3 Tafeln und 8 Abbildungen im Text. Preis: 5 Mark. — Keimfieck und Synapis. Von Konrad Guenther. Mit 1 Tafel. Preis: 2 Mark. — = Bastardierung und Geschlechtszellenbildung. Von Valentin Hicker. Mit 1 Tafel ~ und 13 Abbildungen im Text, Preis: 4 Mark. — Über Doppelbildungen bei Lumbri- 2 eiden. Von E. Korschelt. Mit 2 Tafeln und 7 Abbildungen im Text. Preis: 2 Mark. — Anthraconema. Von Otto L. zur Strassen. Mit 2 Tafeln und 9 Abbildungen im Text. Preis: 4 Mark. — Uber die Entwicklung der Vellela aus einer in der Tiefe vorkommenden Larve. Von R. Woltereck. Mit 3 Tafeln und 6 Abbildungen im Text. Preis: 5 Mark. — Die Hemipterengattung Polyetenes Gigl. und ihre Stellung im System. Von P.Speiser. Mit 1 Tafel. Preis: 1 Mark. — Beiträge zur Kenntnis der Entwicklung. und Anatomie der Gymnophionen. Von August Brauer. Mit 3 Tafeln und 7 Abbildungen im Text. Preis: 3 Mark. — Uber die phylogenetische Bedeutung der Sehorgane des Amphioxus. Von Th. Boveri. Mit 10 Abbildungen im Text. Preis: 1 Mark. — Uber experimentell erzeugte Doppelbildungen mit zyklo- pischem Defekt. Von Hans Spemann. Mit 2 Tafeln und 24 Abbildungen im Text. Preis: 3 Mark. — Uber den feinern Bau der Stäbchen und Zapfen einiger Wirbel- tiere. Mit 1 Tafel und 3 Abbildungen im Text. Preis: 2 Mark 50 Pf. — Über die Entwicklung von Gyrodactylus elegans v. Nordm. Von L. Kathariner. Mit 3 Tafeln und 10 Abbildungen im Text. Preis: 3 Mark 50 Pf. — Uber die Hummeln als Zeugen natürlicher Formenbildung. Von H. Friese u. F.v. Wagner. Mit 2 Tafeln. Preis: 5 Mark. — Uber Polymorphismus und Variation bei den Ameisen. Von August Forel. Preis: 1 Mark. — Zur Kenntnis des Polymorphismus der Ameisen. Von C. Emery. Mit 6 Abbildungen im Text. Preis: 1 Mark 50 Pf. — Zur Kenntnis der Gäste der Treiberameisen und ihre Wirte vom obern Kongo. Von E. Wasmann. Mit 3 Tafeln. Preis: 5 Mark. — Brutpflege bei Echinodermen. Von Hubert Ludwig. Preis: 80 Pf. — Der Begriff des Instinkts einst und jetzt. Von Heinrich Ernst Ziegler. (2. Auflage 1910.) Preis: 3 Mark. — Uber Schwimmblasen, Lungen und Kiementaschen der Wirbeltiere. Von J. W.Spengel. oS Preis: 1 Mark 20 Pf. Festschrift zum achtzigsten Geburtstage des Herrn Geheimen Regierungsrats Prof. Dr. Karl Möbius in Berlin. Mit 20 Tafeln und 20 Textabbildungen. („Zoologische Jahrbücher“ herausgegeben von Prof. Dr. J. W. Spengel in Gießen. Supplement VOL) ta 1905. 654 S. gr. 8. Preis: 36 Mark. : : Inhalt: Karl August Möbius. Von Fr. Dahl. — Koreanische SüBwasser- Mollusken. Von Ed. von Martens. — Revision von Hellers Ascidien-Typen us —__ dem Museum Godeffroy. Von W. Michaelsen. — Beiträge zur Kenntnis der ~— Molluskenfauna der Magalhaen-Provinz. Von Hermann Strebel. — Die go sraphische Verbreitung der Scolopendriden. Von Karl Kraepelin. — Uber die Entwicklungsstufen der Steinläufer, Lithobiiden, und Beiträge zur Kenntnis der Be: Chilopoden. Von Karl W. Verhoeff. — Tierreiche und Pflanzenreiche des Landes. Von F. Hick. — Zur Systematik der koloniebildenden Radiolarien. Von K. Brandt. — 4 — Die Appendicularien des arktischen und antarktischen Gebiets, ihre Beziehungen zueinander und zu den Arten des Gebiets der warmen Ströme Von H. Lohmann. — Asciden von Mauritius. Von R. Hartmeyer. — Die zoogeographischen Be ziehungen Südamerikas, betrachtet an den Klassen der Reptilien, Amphibien und Fische. Von G. Pfeffer. — Uber einige stieläugige Krebse von Messina. Von Joh. Thiele. — Uber die Lebensweise und die geographische YET der coprophagen Lamellicornier. Von H. J. Kolbe. — Beitrag zur Kenntnis der morphose geflügelter Heteropteren. Von Th. Kuhlgatz. — Uber die Bedeutung des Begriffs der Biocönose für den biologischen Schulunterricht. Von Karl Matz- ir dorff. — Betrachtungen über die Architektonik der Tiere. Von J. W. Spengel ~~ über „Handwörterbuch der Naturwissenschaften®. G. Pätz’sche Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d. 8. ; eta- Diesem Heft liegt ein Prospekt bei you Bulls Fischen a a. Sogn aan ABTEILUNG = 4 Br: FÜR | | ALLGEMEINE ZOOLOGIE UND PHYSIOLOGIE | = DER TIERE HERAUSGEGEBEN VON PROF. Dr. J. W. SPENGEL oe m : . IN GIESSEN EINUNDDREISSIGSTER BAND | VIERTES HEFT = MIT 24 ABBILDUNGEN IM TEXT SEMPER Ns JENA VERLAG VON GUSTAV FISCHER | 1912 Inhaltsübersicht. Seite DEMOLL, REINHARD u. LUDWIG SCHEURING, Die Bedeutung der Ocellen der Insecten. - Mit 23 Abbildungen im Text? = te Te Hess, C.; Untersuchungen zur Frage nach dem Vorkommen von : bent bei Fischen. Mit 1 Abbildune im Text . . :. ! 629: Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neueste Veröffentlichungen: Soeben erschien: | Verhandlungen des VIII. Internationalen Zoologen-Kongresses zu Graz 15.—20. August 1910. Herausgegeben vom Generalsekretär des Kongresses Rudelf Ritter von Stummer-Traunfels. Mit 7 Tafeln und 126 Abbildungen im Text. 1912. Preis: 30 Mark, geb. 31 Mark 50 Pf. Hieraus einzeln: Die Biologie des Domus und des Inundations- R Vortrag, ‘gehalten auf dem gebietes der unteren Donau. vit mteimationalen Zoologen- Kongreß in Graz am 15. August 1910. Von Dr. Gr. Antipa, Direktor des Natur- historischen Museums in Bukarest. Mit 18 Figuren im Text. Preis: 1 Mark 50 Pf. 7 2 : ee oe Vortrag, gehalten auf dem Uber die Luftsäcke der Vogel. VIII. Internationalen Zoologen- KongreB in Graz am 18. August 1910. Von Franz Eilhard Schulze, Berlin. Mit 1 Tafel und 6 stereoskopischen Textfiguren. Preis: 1 Mark 60 Pf. Soeben erschien: Verhandlungen der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern. Band XI, Heft 1. Im Auftrage der Gesellschaft herausgegeben von C. E. Hellmayr, Kustos der ornithologischen Abteilung der Zoologischen Staatssammlung, Generalsekretär der Gesellschaft. 1912. Preis: 5 Mark. Inhalt: Nachruf an Dr. Karl Parrot von L. Frhr. von Besserer. — (Welegenheitsbeobachtungen aus Bad Kissingen und Umgebung von L. Frhr. von Besserer. — Vogelbeobachtungen aus Unterfranken von Dr. HansStadler (Lahr). — Materialien zur bayerischen Ornithologie. VIL. Beobachtungsbericht aus den Jahren 1909 und 1910 von Dr. J. Gengler. — Die Züge des Staren (Sturnus voles L.) in der Bamberger Landschaft im Beobachtungsjahre 1911 von Dr. A. Ries (Bamberg). — Beschreibung eines neuen Dendrocolaptiden aus Venezuela von ©. E. Hellmayr und Josef Graf von Seilern. — Über : neue und seltene Vögel aus Südperu von ©: E. Hellmayr. — Zwei neue paläarktische Formen von A. Laubmann. Nachdruck verboten. Übersetzungsrecht vorbehalten. Die Bedeutung der Ocellen der Insecten. Von Reinhard Demoll, u. Ludwig Scheuring, Privatdozent und Assistent cand. rer. nat. in Gießen. in Gießen. Mit 23 Abbildungen im Text. Inhaltsverzeichnis. Einleitung . . ee ee ct Pe ARSTER Historische rai ARE 520 Kritische Besprechung der ei achesen ond zum ‘nel Nachprüfung ikrer Voraussetzungen . . . Ne 999 Eigene ‘Auffassung und een ae en N NU RO OE A Ua dd Ne. à Slee OO Einleitung. Die Existenz von zweierlei, morphologisch scharf voneinander ge- schiedenen Lichtsinnesorganen bei vielen Insecten hat von jeher Ver- anlassung gegeben, den Ocellen eine Funktion zuzuschreiben, die sich nicht mit der des Facettenauges deckt, sondern vielmehr eine Spezialisierung der Sehfunktion in irgendeiner Art darstellt, und zwar so, daß das Facettenauge als Hauptauge anzusprechen ist, die Ocellen dagegen einer Nebenfunktion allein dienen. Welcher Art aber auch die Spezialisierung der Ocellen nach den verschiedenen Autoren sein sollte, keine der gegebenen Hypo- Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Zool. u. Physiol. 34 520 REINHARD DEMOLL U. LUDWIG SCHEURING, thesen konnte wirklich befriedigen. Es war daher nicht erstaunlich, daß Stimmen laut wurden, die den Ocellen überhaupt jede Be- deutung als Lichtsinnesorgane absprachen. Aber auch gegen diese Auffassung ließen sich triftige Gründe anführen. So wird es ver- ständlich, daß sich die sorgfältigen Erwägungen von Kozse in der Hauptsache damit bescheiden, Hinweise zu geben, die event. zur Lösung der Frage beitragen Können. Wir wollen nun versuchen, zunächst eine historische Übersicht über die Forschungen auf diesem Gebiete zu geben. Daran soll sich eine kurze Zusammenfassung der bis heute aufgestellten Hypo- thesen anschließen. Weiter sollen diese eine kritische Besprechung erfahren. In einigen Fällen setzt dies eine Nachprüfung der als Basis für die betreffende Hypothese gewählten Ergebnisse voraus. Schließlich werden wir versuchen, die Bedeutung der Ocellen von einem neuen Gesichtspunkt aufzufassen; wir werden zu prüfen haben, ob die bisher vorliegenden gesicherten Befunde unsere Hypothese als berechtigt erscheinen lassen, und wir werden weiter neues Material beizubringen versuchen, das uns geeignet erscheint, unsere Auf- fassung zu stützen. Historische Übersicht. Es mag vielleicht scheinen, als werde der historischen Be- trachtung hier allzuviel Raum zugestanden, als seien die Zitate in srößerem Umfang aufgenommen worden, als durchaus nötig erscheint. Würde es sich in diesem Abschnitt nur darum handeln, die Ent- wicklung und den Wechsel der Ansichten über die Bedeutung der Ocellen darzutun, so könnte man diesem Vorwurf einige Berech- tigung nicht absprechen. Da es aber unsere Absicht ist, hier — so- weit als es der Titel des Kapitels erlaubt — zugleich auch das Material an die Hand zu geben, um den Wert der verschiedenen Hypothesen beurteilen zu können, und da dieser Abschnitt ferner die Kenntnis vermitteln soll über die Verbreitung der Ocellen bei den Insecten und über ihre Zahl bei einzelnen Arten, so wird man es begreiflich finden, daß einige der Autoren sehr eingehende Berücksichtigung fanden. Wer sich ausführlich über Zahl und Vorkommen der Ocellen. unterrichten will, den verweisen wir auf MARCEL DE SERRES, auf Krug und auf Kose, deren Zusammenstellungen neuerdings durch Link einige Ergänzungen erfahren haben. Die Bedeutung der Ocellen der Insecten. 521 Als Ré£Aumur im Jahre 1740 es unternahm, Näheres über die Funktion der Ocellen zu eruieren, war ihm der Weg, den er hierbei betrat, bereits von Hooke und SWAMMERDAM vorgezeichnet. Diese beiden Forscher hatten es sich zur Aufgabe gemacht, die Natur der Facettenaugen als Lichtsinnesorgane klar zu stellen, und sie er- reichten dies, indem sie das Benehmen der geblendeten Tiere be- obachteten. Hooker (1665) eliminierte die Funktion des Facetten- auges dadurch, dab er das Organ zerstörte, SwAMMERDAM (1738) dadurch, daß er es mit Ölfarbe überstrich. Diese letztgenannte Methode machte sich nun RÉAUMUR zu eigen, um die Bedeutung der Ocellen der Bienen zu erforschen. Daß es sich bei diesen Gebilden um Lichtsinnesorgane handelte, nahm RÉAUMUR von vornherein an. Seine Experimente hatten fol- sende Ergebnisse: Wurden einer Biene nur die Facettenaugen über- strichen, so erhob sie sich hoch in die Luft und flog davon. Wurden allein die Stirnaugen ausgeschaltet, so blieb sie in der Nähe, flog in den Büschen umher, ohne jedoch sich erheben oder ihren Stock finden zu können. Sie hatte das Direktionsvermögen verloren. REAUMUR schließt hieraus: „Des expériences semblables à celles que j'ai faites sur les yeux à rézeau m'ont prouvé que les petits yeux des abeilles, les yeux lisses leur servent aussi à se conduire,“ p. 287. PORTERFIELD (1759) berührt in seinem zweibändigen Werk „A treatise on the eye“ unsere Frage nicht. - G. Cuvier äußert sich in seinen „Lecons d’anatomie comparée“ (1799) in Kürze über die Bedeutung der Ocellen (Vol. 2, p. 442). Er prüft die Experimente von R&Aumur nach und findet hierbei: Wenn man einem Insect die Facettenaugen zuschmiert, so erhebt es sich senkrecht in die Höhe, eliminiert man auch die Funktion der Ocellen, so bleibt es ruhig sitzen. Weiter läßt er sich nicht über die Wirkungsweise der Ocellen aus. Eine andere Abhandlung von Cuvier, die möglicherweise darauf näher eingeht — sie ist betitelt „Memoires sur la nutrition des Insectes“ — war uns nicht zugänglich. Wir fanden sie auch nicht in dem Katalog der Pariser National- bibliothek erwähnt. Die erste Abhandlung, die sich in eingehender Weise mit Bau und Funktion der Ocellen beschäftigt, verdanken wir MARCEL DE SERRES (1813, englisch 1814, deutsch 1826). Er weist zunächst auf die Beziehungen hin, die zwischen der Lebensweise und der Aus- bildung der Facettenaugen bestehen. Dann kommt er auf die „glatten Augen“ zu sprechen. Für ihn sind diese ebenso wichtig wie die 34* 522 Rernuarp DemorL u. Lupwie SCHEURING, Facettenaugen. „Beide Arten sind in ihrem Zweck gleich, bisweilen finden sie sich bei einem und demselben Individuo.“ Er läßt nun eine lange Aufzählung von Insecten folgen, die sowohl „glatte als zusammengesetzte Augen“ haben, und bespricht ihre Formen, Stellung und Anzahl. p.15: „Alle Insekten (nur vollkommene), die Ocellen und Facettenaugen haben, bedürfen eines weiten Gesichtsfeldes, entweder weil sie hochfliegen und ihre Beute schon aus der Ferne sehen müssen, oder weil sie grosse Räume durchziehen, um einen sichern Weg zu wählen.“ Wir stellen fest, daß bereits DE SERRES hier eine Beziehung der Ocellen zur schnellen Fortbewegungsweise aufdeckt. Weiter unten geht er noch näher darauf ein. Versuche, die mit Bienen, Wespen und einigen Orthopteren angestellt wurden, ergaben: das Außerfunktionsetzen der Ocellen führt nicht zu Ände- rungen in dem Benehmen der Tiere, dagegen benehmen sich Insecten mit überstrichenen oder ausgestochenen Facettenaugen wie blind (gegen R£AUMUR). Diese Versuche lassen ihn vermuten, daß die beiderlei Augen sich in ihren Leistungen ergänzen: p. 80: „Glatte Augen dienen vielleicht nur zum Sehen von Gegenständen in nächster Nähe. Findet man beide, so scheinen die glatten von geringer Bedeutung. So würden also, die oben und an der Seite des Kopfes gelegenen, bestimmt sein, das Insekt über alle äussere Gegenstände, die gerade in dieser Richtung liegen, zu belehren, dagegen sie das einfache mittlere Auge, das sich an der vorderen und mittleren Fläche befindet, mit den Gegenständen, die sie bei der Bewegung in gerader Linie an- träfen, bekannt machte. Doch muß ich bemerken, dab die einfachen Seitenaugen in diesem Fall nur wenig hinter den zusammengesetzten Augen liegen, und dass das mittlere immer mehr, der dem Gang des Insekts in gerader Richtung entgegen stehender Hindernisse wegen, gerade nach vorn sieht. Bisweilen stehen aber die glatten Augen im Dreieck oben auf dem Kopf, ihr Nutzen kann dann nur darin bestehen, die über ihnen sich befindlichen Gegenstände zu erkennen. Wirklich bewegen diejenigen Insekten, die so gebaut sind, den Kopf so, dass sie sich der einfachen Augen bedienen können, um nach vorne zu sehen.“ Als Beispiel führt er Bienen, Wespen und Mantis an. Auch Jos. MÜLLER widmet in seiner vergleichenden Physiologie des Gesichtssinnes (1826) den Ocellen eine kurze Betrachtung. Er folgert aus der starken Refraktion „in den einfachen Augen der Gliedertiere“ einen „Mangel des genauen Sehens in die Ferne“ und ein „scharfes Gesicht in die Nähe“ (p. 333). „Versuche haben über Die Bedeutung der Ocellen der Insecten. 523 die Funktion des glatten Auges bei den Insekten nichts erwiesen. Vielleicht kann die Lage derselben unsere Schlüsse leiten.“ Die Lage der vorderen Ocellen bei Empusa, Locusta, Truxalis, Gryllus littatus ... ,Gryllen mit konischem Kopf (Gryllus serrulatus, crenatus, lithoxyton Kuue, Acheta u. s. w.)* ... zeigt nach unten und weist darauf hin, dass sie nur die nächsten Dinge sehen. „Die einfachen Augen verhalten sich dann zu den zusammengesetzten Augen ganz so wie die Palpen zu den Antennen in Hinsicht des Gefühls. Den Larven fehlen die Antennen, ihnen bleiben zum Theil die Palpen; den Larven fehlen grösstentheils die zusammengesetzten Augen, ihnen bleiben zum Theil die einfachen.“ p. 334. G. G. TREVIRANUS (1828) ist von der Eigenschaft der Ocellen als Lichtsinnesorgane überzeugt, spricht ihnen aber keine große Be- deutung zu. p. 85: „Es ist hiernach“ — nach seiner anatomischen Untersuchung — „ausser Zweifel, dass die einfachen Augen der In- sekten wirklich Gesichtswerkzeuge sind. Aber wie sie als solche nützen, bleibt eine schwer zu beantwortende Frage. Ihre Funktion ist räthselhaft, nicht nur weil sie nur auf eine sehr geringe Ent- fernung wirken können, sondern auch, weil sie auf der oberen Seite des Kopfes liegen, wo sie ohne allen Schutz den blendenden Sonnen- strahlen ausgesetzt sind, und wo kein Wahrnehmen dessen, was das Insekt mit den Palpen der Fresswerkzeuge oder mit den Vorder- füssen betastet, durch sie gesehen werden kann. Ich sehe keine andere Möglichkeit zur Erklärung ihrer Wirkungsart, als bei der Voraussetzung, dass, ihrer Kleinheit ohngeachtet der Radius ihrer Wirkungssphäre doch gross genug für das Insekt ist, um bei nieder- sesenktem Kopf die gerade vor demselben liegenden Gegenstände unterscheiden zu können.“ A. Ducès beschäftigt sich in zwei Abhandlungen (1830, 1838) mit den Ocellen, ohne aber auf deren Physiologie einzugehen. Er erwähnt nur flüchtig, daß Mantis auch ohne Ocellen gut sieht. Eine sehr ausführliche Zusammenstellung über Zahl und Ver- breitung der Ocellen verdanken wir Kuve (1831) Auf ihre Be- deutung geht er nicht näher ein. Er bemerkt nur zum Schluß, „dass die Grösse der Seitenaugen auf das Vorkommen und die Zahl .der Nebenaugen nirgends von Einfluss ist und am wenigsten ein solches Verhältniss stattfindet, dass vorzüglich da Nebenaugen vor- handen sein sollten, wo die Seitenaugen kleiner und weniger aus- eebildet sind“. p. 312. G. Parson (1831) glaubt annehmen zu müssen, dab Sen ohne 524 REINHARD DEMOLL U. LUDWIG SCHEURING, Accommodation divergent sein müssen, und daß sich deren Sehfelder nicht decken dürfen. Den Ocellen spricht er nur sehr geringes Seh- vermögen zu. p. 133: „The visual horizon of the simple eyes is certainly very small.“ Brants (1838, 1840, 1843) findet es nicht vorstellbar, wie ein in seinen Teilen unbewegliches Auge sehen kann, da es stets nur auf eine Entfernung eingestellt ist. Aus diesem Grunde wendet er sich gegen die MÜLLER’sche Theorie. In einer späteren Arbeit (1843) sucht Branrs dem „Glaskegel“ der Ocellen Eigenschaften zuzuschreiben, die ihn befähigen, die Accom- modation zu ersetzen. Da die ziemlich umfangreiche Abhandlung holländisch geschrieben ist, so mußten wir uns begnügen, uns mit seinen Ergebnissen vertraut zu machen. In welcher Weise er sich die Funktion des „Glaskegels“ vorstellt, blieb uns vollständig ver- borgen. Die von Brants hervorgehobenen Schwierigkeiten veranlaßten auch Dusarpın (1847, 1867) zu einer geistreichen, aber, wie wir sehen werden, unzutreffenden Hypothese. Er sagt: die Linse ist kon- zentrisch geschichtet (?) und zwar in der Art, daß den verschiedenen Zonen eine verschiedene optische Dichte zukommt. Somit hat die Linse mehrere Brennpunkte, indem die Randstrahlen nur die äußerste Schicht durchsetzen, die der optischen Achse etwas näher gelegenen dagegen schon zwei Zonen durchdringen, von denen die eine einen abweichenden Brechungsexponent besitzt. Die beiden Strahlenbündel können somit keinen gemeinsamen Brennpunkt besitzen. Dies gilt in gleichem Maße, wenn wir weiter gegen die optische Achse hin fortschreiten. Somit wird von jedem Objekt eine Reihe von Bildern hintereinander entworfen, und wenn wir das Objekt von der Nähe bis in große Entfernung wandern lassen, ist damit die Möglichkeit gegeben, den Auffangeschirm, d. h. also die Retina, so anzubringen, dab zu jeder Zeit ein Bild des Objekts auf ihn fällt, ohne dab er seinen Ort verändert. Die gegenseitige Überlagerung der den ver- schiedenen Bildern zugeordneten Strahlenbündel soll die Schärfe des Bildes wenig beeinflussen. Wir führen hier sein Endergebnis im Wortlaut an: ,,C’est que, au lieu d’avoir, comme une lentille sphérique un seul foyer principal pour les rayons parallèles, ces lentilles en ont autant qu'on peut supposer de zones dans leur surfaces de telle sorte que, quelle que soit la distance d’un objet extérieur, les rayons qui en émanent rencontrent dans l'œil de l’Araignée ou dans le stem- Die Bedeutung der Ocellen der Insecten. 525 mate de l’Insecte une zone susceptible de les réfracter, de manière à donner encore une image distincte.“ p. 107. Gegen diese Hypothese nimmt ParPenxetM (1847) Stellung, ohne aber das Wesentliche zu treffen. 1851 schreibt BartH in der Bienen-Zeitung kurze Aufsätze über Anatomie und Physiologie der Bienen. Bringt er Drohnen in ein Zimmer, so fliegen sie sofort dem Fenster zu. „Wenn man ihr aber die drei Augen in der Mitte des Gesichtes fest mit Buchdrucker- schwärze überstreicht, dann bleibt sie scheu auf der Hand sitzen bei den Wendungen des Armes zufällig gegen das Licht des Fensters, und auch von ihm weg, fliegt bei Beunruhigung zwar auf, allein gerade in die Höhe, irrt herum und hängt sich, wo sie hintrifft, an, oder fällt zu Boden; kurz sie ist blind.“ p. 13. BERGMANN U. LEUCKART (1852) schließen sich eng an die Aus- führungen von J. MÜLLER an. Wir lesen hier p. 492: „Bei der starken Convexität der durchsichtigen Medien in diesen einfachen Augen muss die Brechung des Lichtes nothwendig sehr bedeutend seyn. Dieser Umstand, sowie die Kleinheit der Augen, lassen vermuthen, was auch die Beobachtung zu beweisen scheint, dass dieselben für genaues Sehen in die Ferne nicht brauchbar sind. Die einfachen Augen der Arthropoden sind myopisch.“ Weiter führen sie aus, daß besondere Schwierigkeiten bestehen würden, falls dieselben Objekte gleichzeitig von dem Facettenauge und den Ocellen gesehen würden. „In den einen werden die Objekte umgekehrt, in den anderen bleiben sie aufrecht. — Es ist indessen wahrscheinlich, dass ein solches widersprechendes Verhältniss nie- mals eintritt. Mögen die Gesichtsfelder der zusammengesetzten und einfachen Augen sich auch immerhin kreuzen oder decken, bei der Kurzsichtigkeit der letzteren werden die entfernteren Gegenstände, die in dem gemeinsamen Raume des Gesichtsfeldes liegen, doch nur von den ersteren wahrgenommen werden. Nur die nächsten Objekte werden von den einfachen Augen gesehen werden, und dann auch gewiss nur solche, die nicht in dem Gesichtsfeld der zusammen- gesetzten Augen liegen. Und dass dem wirklich so sey, dafür bürgt uns die Divergenz, die wir, wenn auch in verschiedenem Grade (vielleicht entsprechend einer verschiedenen Kurzsichtigkeit), doch gewiss überall zwischen den Achsen der einfachen und zusammen- gesetzten Augen wahrnehmen.“ p. 492/3. DönnHorr (1855) ist der Ansicht, daß die Sehfelder der Facetten- augen sich erst in einiger Entfernung vom Kopfe überlagern. Es 526 REINHARD DEMOLL U. LUDWIG SCHEURING, bleibt also ein im Querschnitt dreieckiger Raum in nächster Nähe des Kopfes, in dem Objekte nicht von den Facettenaugen gesehen werden können. Hier sollen nun die Ocellen Ersatz bieten. Damit aber die Erregungen beider Augenarten nicht miteinander in Kol- lission kommen können, müssen die Ocellen — so meint DÖNHOFF — so kurzsichtig sein, daß sie nicht über das ihnen allein zugeteilte Gebiet hinaussehen können. 1865 veröffentlichte SCHÖNFELD die Ergebnisse seiner Experi- mente, die er an Bienen angestellt hatte. Seine wichtigsten Resul- tate stellen eine Bestätigung der Angaben von RÉAUMUR insofern dar, als auch er findet, daß ein alleiniges Ausschalten der Ocellen bereits einen deutlichen desorientierenden Effekt hat. Im Zimmer fliegen derartig behandelte Tiere nicht mehr gegen das Fenster, während sie dies noch tun, wenn die Facettenaugen allein überklebt worden sind. Werden beide Arten von Augen eliminiert, so bleiben die Versuchstiere ruhig sitzen. Auf Grund dieser Experimente, zum Teil auch auf Grund theoretischer Erwägungen kommt er zu dem Schluß (p. 89): „Dass die einfachen Augen zum Sehen in der Nähe untauglich sind, geht schon aus ihrer äusseren Stellung auf der Höhe der Stirn deutlich hervor.“ Aus seinen Versuchen „er- weist es sich aber klar, dass die Biene nur mit den einfachen Augen in die Ferne sieht. Daraus folgt aber unbestreitbar der Lehrsatz: die brechenden Medien der einfachen Augen brechen das Licht schwächer, als die brechenden Medien der zusammengesetzten Augen“. p.90. Auf derselben Seite fährt er fort: „Es bleibt uns daher... nichts übrig, als die Annahme, dass beide Augen der Biene ein verschiedenes Sehfeld haben. ‘ Ich meine, sie haben sich gegenseitig in der Art zu ergänzen, dass, wo das Sehfeld der einfachen Augen aufhört, das der zusammengesetzten beginnt, dass, wo jene nichts mehr sehen, diese ihre Thätigkeit eröffnen. Sieht demnach die Biene mit ihren einfachen Augen in die Ferne und nur bei Sonnenlicht, so sieht sie mit den zusammengesetzten in der Dämmerung und in der Nähe.“ Lowne (1878) wurde durch seine anatomischen Untersuchungen an den Ocellen von Eristalis zu der Ansicht geführt, daß die geringe Zahl der recipierenden Elemente in den Ocellen ein deutliches Sehen ausschließen. Er kommt daher zu dem Schluß: „I strongly suspect that the function of the ocelli is the perception of the intensity and Die Bedeutung der Ocellen der Insecten. 527 the direction of light, rather than vision in the ordinary acceptation Ominerterm.” p. 578. Im Jahre 1878 publizierte Foren seine erste Untersuchung über diesen Gegenstand. In größeren Zwischenräumen folgten die Fort- setzungen dieser Studien (1886, 1887, 1900) Im Jahre 1910 er- schienen seine Arbeiten zusammengefaßt in Buchform und ins Deutsche übersetzt, nachdem 1908 bereits eine solche, Sammlung in englischer Sprache herausgekommen war. Das erwähnte, von M. Semon übersetzte Buch ist dieser Besprechung zugrunde gelect. (1878) Forez stellte zunächst fest, daß Exstirpation oder Uber- kleben der Ocellen bei Hymenopteren ohne erkennbaren Erfolg ist (gegen REAuMUR). Schaltete er die Facettenaugen aus, so benahmen sich die operierten Tiere (Dipteren, Maikäfer, Noctua gamma) wie vollständig blind. Sie flogen unregelmäßig auf und ab, hin und her, rannten überall an und fielen zu Boden. Wurden sie öfter zum Fliegen genötigt, so erhoben sie sich schließlich in mehr oder weniger ausgesprochenen Spiralwindungen in die Höhe und ent- schwanden dem Auge des Beobachters. Dieses Emporfliegen erweist sich als unabhängig von der Funktion der Ocellen (gegen CuVIEr), da es auch auftritt bei Tieren, denen die Ocellen verklebt sind, und auch bei solchen, denen überhaupt keine Ocellen zukommen. Da diese Unabhängiekeit von der Funktion der Ocellen durch die Ar- beiten von PLATEAU bestätigt wird, so fällt für uns die Aufgabe hinweg, uns mit dieser Frage näher zu befassen. In der 3. Studie (1886) kommt Forez auf die Bedeutung der Ocellen zu sprechen. p. 33 sagt er: „Die Nützlichkeit der Stirn- Ocellen für Insecten, die mit Facettenaugen versehen sind, ist mir heute noch ein Rätsel.“ In derselben Abhandlung spricht er sich jedoch in der Zu- sammenfassung positiver über diese Frage aus: p. 43: „Die Ocellen stellen ein sehr unvollkommenes Sehorgan dar und dürften bei Insekten mit Facettenaugen nur akzessorische Bedeutung haben. Immerhin ist es möglich, dass sie dem Betrachten sehr naher Gegenstände in einer dunkeln Umgebung dienen; die Tatsache, dass sie besonders stark bei solchen fliegenden Insekten entwickelt sind, die komplizierte, dunkle Nester bewohnen, scheint mir darauf hinzudeuten. Die Ocellen wären dann als eine gewisse Ergänzung des Riechorgans anzusehen.“ An dieser Auffassung hält Forez später in seiner 4. Studie fest. Er schreibt hier: „Frontal-Ocellen. Noch ein letztes 528 REINHARD Demozz u. LUDWIG SCHEURING, Wort über diese Organe: Nach reiflichem Nachdenken bin ich zu dem Schluss gekommen, dass sie solchen Insekten, die im übrigen ein gutes Sehvermögen durch Facettenaugen haben, dazu dienen, in einer relativ dunklen Umgebung das Licht sowie auch nahe von ihnen stattfindende Bewegungen zu unterscheiden“ (p. 78). Schließlich kommt Forez in seiner 9. Studie nochmal auf die Ocellen zurück. Wir müssen auch diese Stelle berücksichtigen, weil er hier seine Ansicht noch etwas mehr präzisiert und zwar in solcher Weise, daß sie nun der von KoLBE, Hesse und Link vertretenen direkt widerstreitet. Er sagt: „Ich selbst hatte aus meinen ersten Experimenten den Schluss gezogen, dass die Ocellen beim Sehen der mit Facettenaugen versehenen Insekten nur eine untergeordnete Rolle spielen. Ich hätte sagen sollen: beim Sehen im Fluge“ (vom Verf. selbst hervorgehoben). p. 176. Kurz vorher äußert er sich ganz allgemein: „Kurz und gut, die Ocellen müssen eine Existenzberechtigung haben und ihre Be- sitzer müssen sich auf ihre Anwendung verstehen.“ Insoweit stimmt Forez mit KoLse, Hesse und Link überein. Die weitgehendsten Auseinandersetzungen in dieser Frage hatte ForEL mit PLATEAU, dessen erste Arbeit in Gestalt einer vorläufigen Mitteilung im Jahre 1885 erschien. Bald folgten weitere Unter- suchungen nach. In der ersten Arbeit kommt PrArTEAu auf Grund einiger Experimente zu dem provisorischen Schluß, daß bei den In- secten, die mit Facettenaugen ausgestattet sind, den Ocellen eine so geringe Bedeutung im Leben zukommt, daß die Organe als in ihrer Funktion rudimentär aufgefaßt werden dürfen. Im Jahre 1888 verbreitet sich PLATEAU eingehender über diesen (Gegenstand. Er hatte mit Insecten der verschiedensten Gruppen experimentiert. Da er sich überzeugte, daß das Überstreichen der Augen keine Garantie bietet für ein sicheres Außerfunktionsetzen, so begnügte er sich nicht damit, die Augen mit alter, schwarzer Ölfarbe zu überziehen, sondern er stellte auch Kontrollversuche mit Tieren an, denen er die Sehnerven durchschnitten hatte. Zunächst stellte er fest, daß der Flug vertikal nach oben, wie er schon von RÉAUMUR an Insecten mit überstrichenen Facetten- augen beobachtet wurde, nicht als durch die Funktion der Ocellen bedingt angesehen werden darf. Denn vollständig geblendete Tiere zeigen genau das gleiche Verhalten. — Diese Beobachtung war bereits vorher von Forez gemacht worden. — Experimente an Gryllotalpa vulgaris lassen ihn annehmen, „que les ocelles frontaux Die Bedeutung der Ocellen der Insecten. 529 peuvent servir à la distinction entre la lumière et l'obscurité“, p. 76, 1888. Eine Reihe von Versuchen, die sowohl im Freien als auch im Zimmer angestellt wurden, zeigen, daß Ausschalten der Facetten- augen gleichbedeutend ist mit völligem Blenden, daß dagegen Aus- schalten der Ocellen keine Änderung im Benehmen der Tiere her- vorruft (gegen REAUMUR und SCHÖNFELD). Die Ocellen allein vermögen die Insecten nicht nach dem Licht hinzuleiten. Dies geht aus den Experimenten, die im Zimmer bei seitlicher Beleuchtung gemacht wurden, hervor. PrATEAu kommt daher zu dem Schluß, „que chez les Insectes diurnes, les ocelles n’ont plus aucun usage“. p. 84. Und weiter beweisen ihm verschiedene Versuche, „que les Insectes, qui n'ont plus a leur service que les ocelles frontaux seuls ne percoivent même pas les mouvements des objets rapprochés“. p. 85. Der Ansicht Forer’s, daß die Ocellen im Dämmerlicht eine Rolle spielen sollen, kann PLATEAU nicht beipflichten. Er beobachtet, dab ihnen im gedämpften Lichte ebensowenig eine Bedeutung zukommt wie im Tageslicht: „J’etais donc arrivé à cette conviction que, dans leurs retraites sombres, les Hyménoptéres utilisent d’autres sens que le sens visuel, l’odorat et le toucher probablement.“ p. 87. 1888. Ein Referat der Prareau’schen Arbeiten gibt Tıese, in: Biol. Ctrlbl., 1889/90. V. GRABER, der sich selbst mit der Anatomie und Histologie der Ocellen näher beschäftigt hat (1880), äußert sich auch schon in seinem Lehrbuch: „Die Insekten“ (1877) über deren Bedeutung. Er sagt im vol 1, p: 287: .Das Nebeneinander Vorkommen von zusammengesetzten und einfachen Augen bei den meisten Insekten muss schon a priori in uns die Ansicht erwecken, dass beiderlei Organe eine verschiedene, aber sich gegenseitig ergänzende Aufgabe haben. Und das ist in der That ein köstliches Verhältnis.“ Nach Bemerkungen, daß die dem Fernsehen dienenden Facetten- augen nicht Gegenstände aus nächster Nähe erkennen könnten, fährt er fort: „Diesen Fehler gleichen nun eben die als Hilfsorgan bei- gesellten Punktaugen aus. Dass aber die Scheitelaugen wirklich vorzugsweise zum Nahsehen dienen, beweist einmal die starke Krümmung ihrer Chitinlinse, noch schlagender aber der Umstand, dass sie vorzugsweise bei solchen Kerbtieren vorkommen, deren ganzer Wirkungskreis, wie ja schon aus der Unvollkommenkeit ihres 530 REINHARD DEmozz U. Lupwic SCHEURING, lokomotorischen Apparates hervorgeht, ein überaus enggezogener ist“ (GRABER meint hier Insecten oder Larven, die nur Ocellen besitzen). „Und so stehen denn die Insekten, diese Muster-, um nicht zu sagen Wunderwerke organischer Bildung, auch hinsichtlich des vor- nehmsten Orientierungsapparates ganz einzige da: Es malt sich in ihren tausendfältigen Netzaugen und zwar mit unendlicher Schärfe und Präcision in weitem Umkreise die äußere Welt ab; mit ihren lupenartigen Kleinaugen nehmen sie aber gleichzeitig das geringste Stäubchen wahr, das unmittelbar vor ihren Füssen liegt.“ NOTTHAFT (1881) sieht in den Ocellen Organe von nur unterge- ordneter Bedeutung; p. 85 spricht er von dem „sicherlich kurz- sichtigen Stemma“, das für die Orientierung während des Fliegens „nicht in Betracht“ käme, und p. 112 hebt er die Inferiorität der Linsenaugen ohne Accommodation hervor; als Beispiel führt er an „die Stemmata der Arthropoden“, die „nur für eine einzige ganz be- stimmte Sehweite“ eingerichtet sind. Ein Referat dieser Abhandlung geben FockE u. LEMMERMANN in der Naturw. Wochenschrift 1890 und in den Abhandlungen des. naturwissenschaftlichen Vereins zu Bremen. Erkennt schon NoTTHAFrT den Ocellen nur einen geringen Wert zu, so geht CARRIÈRE (1885, 1886) so weit, ihren Charakter als Licht- sinnesorgane ganz in Frage zu stellen. Er findet, daß die sog. Ocellen der Acridier, Grylliden und Blattiden überhaupt nicht als Sehorgane angesprochen werden dürfen, da sie kein Pigment und keine lichtbrechenden Apparate besitzen. Dagegen betont er ihre Ähnlichkeit mit den Knospenorganen der Wirbeltiere. In seinem 1885 erschienenen Buche erkennt er sie zwar noch als Sehorgane an, doch spricht er ihnen keine große Bedeutung zu. p. 191 schreibt er: „Da sich nur bei einigen weniger hochstehenden Insekten (Poduriden, Aptera parasitica, Puliciden) allein Ocellen finden, bei fast allen anderen kleine Ocellen zwischen grossen Fächeraugen, so könnte man wohl in letzterem Falle die Napfaugen mit Hinsicht auf ihre durch verschiedene Umstände verringerte Leistungsfähigkeit als rudimentäre Organe bezeichnen.“ Eine Arbeit von PotLETAJsEw (1884) konnten wir nicht berück- sichtigen, da sie russisch geschrieben und in den sehr kurzen Refe- raten, die darüber existieren, nichts enthalten ist, was auf unsere Frage Bezug hat. Eine längere Auseinandersetzung widmet J. LusBock (1889) unserem Problem. Nachdem er einen kurzen Überblick über die Die Bedeutung der Ocellen der Insecten. 531 verschiedenen Meinungen gegeben und da und dort einige kritische Bemerkungen angefügt hat, leitet er seine eigene Auffassung mit dem Geständnis ein: „Die Bedeutung der Nebenaugen ist wirklich ein grosses Räthsel, wenigstens wenn neben ihnen noch zusammengesetzte vorhanden sind.“ p.181. Dass sie rudimentär oder nutzlos sind, scheint ihm nicht glaubhaft. Er findet schließlich die Ansicht von Forez (zum ersten- mal von TREVIRANUS ausgesprochen) am annehmbarsten: „Alles in allem scheint daher vielleicht die Ansicht die grösste Wahrscheinlichkeit für sich zu haben, welche annimmt, dass, bei den Insekten wenigstens, die Nebenaugen dem Sehen im Dunkeln und aus der Nähe dienen.“ p. 184. Die Gründe für diese Auffassung sind dieselben, die Forez anführt. Einen wesentlichen Fortschritt bedeuten die Erwägungen, die Kose (1893) diesem Thema widmet. Er baut die glückliche Idee von MARCEL DE SERRES weiter aus, indem er sie durch das Zusammen- stellen von neuen, hierfür wichtigen Tatsachen auf eine festere Basis stellt: „Die zahlreichen, gern fliegenden Insekten stellen das grösste Contingent der mit Stirnaugen versehenen Arten, z. B. die zahl- reichen Hymenopteren, die grosse Mehrzahl der Dipteren, viele Lepidopteren (ausser den Tagschmetterlingen u. a.), die meisten Trichopteren und alle Wasserjungfern (Odonaten). Diese Tatsache spricht für eine verschiedene Verwendung der Stirnaugen und der Seitenaugen. Die nicht oder wenig fliegenden, also mehr an den Ort gebundenen, gewöhnlich am Boden sich aufhaltenden Insekten haben nur nötig, in einem kleinen Umkreise zu sehen; es genügen ihnen hierzu wohl die Seitenaugen. Die schnell fliegenden Insekten müssen befähigt sein, in die Ferne zu blicken; es sind namentlich solche, welche sich bei Tage versteckt halten und Abends dem helleren Ausgange zustreben, z. B. die Nachtschmetter- linge, oder zielbewußt blumenbesuchende Insekten, z. B. zahlreiche Hymenopteren und Dipteren (nicht die der Ocellen ermangelnden Tipuliden) und einige Käfer; ferner die nach Beute jagenden In- sekten, vornehmlich die Odonaten. Die kaum zielbewußt umher- flatternden Tagschmetterlinge besitzen keine Stirnaugen, auch nicht die Sphingiden, die mehr vom Geruche geleitet Abends die Blumen aufsuchen. Den über dem Wasserspiegel tanzend flatternden Leptoceriden (Ordnung Trichoptera) fehlen die Stirnaugen, nicht aber den von einem Platze zum anderen fliegenden Limno- philiden, Phryganeiden, Hydropsychiden, die zu der- selben Ordnung gehören“ (p. 171, 177). 532 REINHARD DEMOLL u. Lupwic ScHEURING, Und weiter auf p. 478 führt KozBe aus: „Zum Unterscheiden von Formen dienen indes die Stirnaugen wahrscheinlich in keinem Falle, schon deswegen nicht, weil sie hoch oben auf dem Kopfe in der Stirn- oder Scheitelgegend sitzen, also wenig Gelegenheit haben, Gegenstände zu sehen, wohl aber das Licht des Himmelsraumes zu erspähen. Allein zu diesem Zwecke sind sie auch verhältnismässie gross und hochgewölbt, so dass der Helligkeitsgrad völlig erkannt werden kann“. SMALIAN (1894) referiert die Arbeiten von ForEL und PLATEAT, kann sich jedoch PLATEAuU in seinen Schlußfolgerungen nicht an- schließen. Für ihn ist die Frage nach der Funktion der Ocellen noch ganz ungeklärt: „Über die Bedeutung der einfachen Augen der In- sekten, also auch der Ameisen, wissen wir absolut nichts Sicheres.“ p.5. Gerade der entgegengesetzten Ansicht huldigt Rorscaürz (1892), nach dem die Stirnaugen für Sehen in größere Entfernungen, die Facettenaugen für Sehen in der Nähe bestimmt sind. Derselben An- sicht ist BESSLER (1887). Dagegen schreibt KRANCHER (1902) in seinem „Kleinen Lexikon der Bienenzucht und Bienenkunde“ den Ocellen Kurzsichtigkeit, den Facettenaugen Fernsichtigkeit zu. v. GOEKEN (1903) hält die Ansichten dieser Bienenzüchter einander gegenüber und wirft nun die Frage auf: „Was ist richtig?“ — Soweit uns die eben erwähnten Abhandlungen nicht zugänglich waren, sind wir dem Referat v. GOEKEN’s gefolgt. — Wir fügen hier eine Reihe von Autoren ein, die sich über diese Frage geäußert haben, meist jedoch ohne versucht zu haben, ihre Ansicht irgendwie näher zu begründen. Es sind durchweg Bienenzüchter, die sich zum Teil auf die Auffassungen anderer stützen. Nicht alle Abhandlungen waren uns im Original zugänglich (s. Lit.-Verz.). SCHMIDT U. KLEINE (1865) bescheiden sich mit dem Hinweis, daß die Funktion der Ocellen noch nicht genügsam bekannt ist. Berrıca (1870) sagt dagegen in seinem Werkchen „Die Biene und der Gottesleugner“, daß bekanntlich die 3 Stirnaugen der Biene gegeben sind, damit sie damit in die Nähe sähe, während die Facetten- augen dem Fernsehen dienen. Das „bekanntlich“ bezieht sich jeden- falls auf die Kenntnis der Auffassung von J. MÜLLER. Auf ihn beruft sich auch Bacx (1878) in seinen „Studien und Lesefrüchte aus dem Buche der Natur“. PACKARD (1898) äußert sich in seinem „Text-Book of Entomology“ nur ganz kurz über die Bedeutung der Ocellen. p. 256 sagt er: „On: Die Bedeutung der Ocellen der Insecten. 533 the whole, we are rather inclined to agree with LuBBock and Foret, that the ocelli are useful in dark places and for near vision.“ Durch den Aufsatz von v. GOEKEN wurde v. BUTTEL-REEPEN im Jahre 1903 veranlaßt, seine Ausführungen, die er in „Die stammes- geschichtliche Entstehung usw.“ bereits veröffentlicht hatte, in ähn- licher Form nochmal in dem Bienenwirtsch. Ctrbl. wiederzugeben. Hier lesen wir auf der zweiten Seite der Publikation: „Wir dürfen daher wohl schliessen, dass die Seitenaugen erst recht keine Dienste im dunklen Stockinnern [gemeint ist im Bienenstock] leisten werden, und treten hier möglicherweise die drei kleinen Stirnaugen in Funktion, wenn die Bienen überhaupt der Augen im Innern des Stockes be- dürfen, was ja zweifelhaft erscheint, da man konstatieren kann, dass die Bienen auch in absoluter Finsternis alle Geschäfte des Haushaltes anscheinend in unveränderter Weise fortsetzen.“ Weiter unten spricht er sich dann doch entschiedener in dieser Frage aus: „Wir können“, — fährt er fort — „einen Beleg für das Funktionieren der Stirnaugen im Dämmern schon mit grosser Wahr- scheinlichkeit darin finden, dass unsere Tagschmetterlinge keine Stirnaugen besitzen, während alle Nachtschmetterlinge sie aufweisen.“ Und weiter auf der dritten Seite sagt er: „Wir können auf Grund des Augenbaues den Schluss wagen, dass das Sehvermögen wahr- scheinlich nur die nächste Nähe (d.h. vielleicht nur wenige Zentimeter) umfasst. Auch kommt ein scharfes Sehen der Formen und Einzel- heiten an den Objekten wohl nicht in Betracht, sondern aller Wahr- scheinlichkeit nach nur das Sehen von sich bewegenden sehr nahen Objekten, die sich daher nur ganz im groben im Augenbilde darstellen mögen.“ Da ihm die Versuchsergebnisse von SCHÖNFELD sehr erstaunlich schienen, wiederholte er dessen Experimente unter Assistenz mehrerer anderer Herren. Das Ergebnis war entgegengesetzt. Er stellte fest, „dass Bienen, deren Ocellen mit schwarzem Lack überstrichen waren, nach wie vor auf Licht reagierten und dem breiten sonnenbeschienenen Fenster (Mittags 12—1 Uhr) aus einer Entfernung von ca. 11, m trotz entgegengestellter Hindernisse zustrebten. Wurden die Seiten- augen lackiert und die Stirnaugen freigelassen, so fand auf dem Versuchstische (11, m vom Fenster) keinerlei Reaktion auf Licht State . Keine Ocellen, stark gewölbte Facettenaugen ohne merkliche Randabflachung; Cornealreflex äußerst schwach. I. Binokulares Sehfeld der Facettenaugen 20°; sie verschwinden nach hinten bei 130°. II. Facettenaugen erscheinen bei 25°; verschwinden bei 180°. III. Facettenaugen sehen noch etwas nach unten hinten, ver- schwinden bei 130°. Facettenaugen sehen also hauptsächlich nach unten, in der Richtung der Mandibeln. Eciton coecum 2. 3 Ocellen. Randabflachung kaum merklich nach vorn und nach unten. I. Sichtbar: Beide Facettenaugen. Die 3 Ocellen. Binokulares Sehfeld der Facettenaugen 100°. Binokulares Sehfeld der lateralen Ocellen 35°. Medianocellus verschwindet nach + 65°. Laterale Ocellen verschwinden nach 135°. Facettenaugen verschwinden nach 160°. IT. Sichtbar: Beide Facettenaugen. . Die 3 Ocellen (die lateralen berühren sich). Binokulares Sehfeld der Facettenaugen nach oben 80°. Binokulares Sehfeld der lateralen Ocellen 80°. Medianocellus verschwindet nach + 25°. 590 RewuarD Demos u. Lupwic ScHEURING, Laterale Ocellen verschwinden voll hinter den Facettenaugen nach 120° Binokulares Sehfeld der Facettenaugen nach unten 10°. III. Sichtbar: Beide Facettenaugen (schwach). Medianocellus erscheint nach 65°; verschwindet nach 185°. Laterale Ocellen erscheinen nach 75°; verschwinden nach 235°. Facettenaugen verschwinden hinter dem Rücken nach 250°. Bei Eciton coecum 3 sind keinerlei Augen zu finden. Aenictus sp. G. 3 Ocellen. Randabflachung nach vorn stärker; nach oben und hinten nur mäßig. I. Sichtbar: — Medianocellus. Facettenaugen erscheinen nach 10° (Reflex) — 25° — — 15°; binokulares Sehfeld — 30°. Medianocellus verschwindet nach + 50°. Laterale Ocellen erscheinen nach 20°; verschwinden nach 85° (ungenau). Facettenaugen verschwinden nach 100° + 10° = 110°. II. Sichtbar: Facettenaugen. Laterale Ocellen. Facettenaugen erscheinen 12° (Reflex) — 15° = — 3°; also bin- okulares Sehfeld 6°. Binokulares Sehfeld der Ocellen 10°; verschwinden nach 90°. Facettenaugen verschwinden nach 160° + 10° = 170°. III. Facettenaugen erscheinen nach 35° (Reflex) — 15° — 20°; verschwinden nach 135°; tauchen wieder auf bei 205°; verschwinden wieder nach 220° (Reflex) + 20° — 240°. Medianocellus erscheint nach 70°; verschwindet nach 155°. Laterale Ocellen erscheinen nach 135°; verschwinden nach 230°. Dorylus helvolvus 2. 3 Ocellen. Randabflachung nach vorn mäßig stark; nach oben und nach unten stärker. Die Bedeutung der Ocellen der Insecten. 591 I. Sichtbar: Medianocellus. Facettenaugen erscheinen bei + 10° (Reflex) — 20° — — 10°: binokulares Sehfeld also 20°. Medianocellus verschwindet nach + 65°. Laterale Ocellen erscheinen nach 33°; verschwinden nach 145°. Facettenaugen verschwinden nach 140° + 20° — 160°. II. Sichtbar: —. Facettenaugen erscheinen nach 30° (Reflex) — 30° = 0°. Laterale Ocellen erscheinen nach 5°; verschwinden voll am oberen Rande des Facettenauges nach 110°. Facettenaugen verschwinden nach 145° + 30° = 175°. Medianocellus erscheint nicht. III. Sichtbar: —. Schon bei etwa 20° beginnt eine Andeutung des Cornealreflex über den Facettenaugen entlang zu laufen. Infolge der Rand- abflachung ist bei 20° binokulares Sehfeld anzunehmen. Corneal- reflex tritt deutlich auf bei 105, bleibt aber stets am Rande und verschwindet wieder bei 130° + 30° = 160°. Medianocellus erscheint bei 65°; verschwindet nach 150°. Dorylus helvolvus 3 ist blind. Cicada fraxini. 3 Ocellen. Facettenaugen haben sehr starke Randabflachung nach vorn und etwas weniger stark nach oben. I. Sichtbar: Beide Facettenaugen. Medianocellus. Sehfeld des Facettenauges — 5 + (— 35) = — 40°; binokulares Sehfeld also 80°. Seitliche Ocellen erscheinen nach 25°; verschwinden nach 125°. Medianocellus verschwindet nach + 85°. Facettenaugen verschwinden nach 155°. II. Sichtbar: Beide Facettenaugen. Beide laterale Ocellen. Sehfeld des Facettenauges nach oben — 10 4 (— 30)= — 40°; binokulares Sehfeld der Facettenaugen nach oben also 80°. Binokulares Sehfeld der lateralen Ocellen 60°. 592 REINHARD Demozz u. Lupwic ScHEURING, Laterale Ocellen verschwinden hinter den Facettenaugen nach 85°. Sehfeld des Facettenauges nach unten 230° 4 20° — 250°; bin- okulares Sehfeld der Facettenaugen nach unten also 140°. III. Sichtbar: Beide Facettenaugen. Facettenaugen erscheinen bei — 50°. Medianocellus erscheint nach 35°; verschwindet nach 175°. Laterale Ocellen erscheinen nach 105°; verschwinden nach 220°. Facettenaugen verschwinden nach 270°. Ledra aurita. 2 Ocellen. Randabflachung nach vorn und hinten stark. I. Sichtbar: Beide Facettenaugen. Beide Ocellen. Sehfeld des Facettenauges nach vorn + 15° — 30° — — 15°. Binokulares Sehfeld also 30°. Binokulares Sehfeld der Ocellen 50°. Ocellen verschwinden nach 105°. Facettenaugen verschwinden nach 150° + 30° — 180°. II. Sichtbar: Beide Facettenaugen. Beide Ocellen. Binokulares Sehfeld der Facettenaugen nach oben 50°. Binokulares Sehfeld der Ocellen 45°. Ocellen verschwinden nach 110°. Binokulares Sehfeld der Facettenaugen nach unten 50°—60°. III. Sichtbar: Beide Facettenaugen. Facettenaugen erscheinen bei — 25°. Ocellen erscheinen nach 60°; verschwinden bei 150°. Facettenaugen verschwinden hinter den Vorsprüngen des Thorax nach 205°. Triquetra bos (FAIRMAIRE) (in: Ann. Soc. entomol. [2], Vol. 4, p. 282). 2 Ocellen. Randabflachung nach vorn unten und nach vorn oben ziemlich stark. Die Bedeutung der Ocellen der Insecten. 593 I. Sichtbar: Beide Facettenaugen. Beide Ocellen. Sehfeld der Facettenaugen — 15° + (— 20°) — — 35°. Binokulares Sehfeld also 70°. Binokulares Sehfeld der Ocellen 30°. Ocellen verschwinden nach 85° hinter den Facettenaugen. Facettenaugen verschwinden nach 135° + 10° = 145°. II. Sichtbar: — Facettenaugen erscheinen nach 90° — 20° — 70°; verschwinden bei 185° + 20° — 205°. Binokulares Sehfeld der Facettenaugen nach unten also 50°. Ocellen erscheinen bei 100°; verschwinden etwa bei 145°; man seht nahe der Peripherie des Sehfeldes entlang. III. Sichtbar: Beide Facettenaugen. Facettenaugen erscheinen nach — 20° + (— 20°) = — 40°; ver- schwinden nach 110° + 20° = 130°. Ocellen erscheinen bei 15°; verschwinden bei etwa 115°—125°. Phrictus diadema. 2 Ocellen. Keine Randabflachung. I. Sichtbar: Beide Facettenaugen. Binokulares Sehfeld der Facettenaugen 30°; wird beiderseits durch den Kopfaufsatz eingeengt. Ocellen erscheinen hinter dem seitlichen Kopfvorsprung nach 8—10°; verschwinden hinter dem Thorax nach 150°. Facettenaugen verschwinden nach 170°. II. Sichtbar: Beide F'acettenaugen. Binokulares Sehfeld der Facettenaugen nach oben 60°; wird beiderseits durch die seitlichen Vorsprünge des Kopfaufsatzes ein- geengt. Ocellen erscheinen hinter den Facettenaugen nach 35°—40°; ver- schwinden hinter dem unteren Rande des Kopfvorsprunges nach 165°. Binokulares Sehfeld der Facettenaugen nach unten 15°—20°, III. Sichtbar: Beide Facettenaugen. Ocellen erscheinen nicht. 3 Facettenaugen verschwinden nach 260°. 594 REINHARD DemotL U. LUDWIG SCHEURING, Fulgora laternaria. 2 Ocellen. Keine merkliche Randabflachung. I. Sichtbar: Beide Facettenaugen. Binokulares Sehfeld der Facettenaugen 8°. Ocellen erscheinen nach 8°; verschwinden nach 160°. Facettenaugen verschwinden nach 185°. II. Sichtbar: Beide Facettenaugen. Binokulares Sehfeld der Facettenaugen, nach oben von einem Chitinzapfen eingeengt, 15—20°. Ocellen erscheinen hinter den Facettenaugen nach 55°; ver- schwinden nach 170°. Binokulares Sehfeld der Facettenaugen nach unten 20°. III. Sichtbar: Beide Facettenaugen. Facettenaugen erscheinen bei — 15°, verschwinden bis auf eine kleine Kappe bei 70°, erscheinen wieder ganz bei 85° und ver- schwinden nach 260°. Ocellen nicht sichtbar. Hotinus candelarius. 2 Ocellen. Nach vorn ganz geringe Randabflachung. I. Sichtbar: Beide Facettenaugen. Beide Ocellen. Binokulares Sehfeld der Facettenaugen 10°. Binokulares Sehfeld der Ocellen 8—10°. Ocellen verschwinden nach 145° zwischen der Antenne und dem Thorax. Facettenauge verschwindet nach 155° hinter den gespreizten Flügeln des Tieres. II. Sichtbar: Beide Facettenaugen. Binokulares Sehfeld derselben nach oben 85°. Ocellen erscheinen nach 45°; verschwinden nach 175°. Binokulares Sehfeld der Facettenaugen nach unten 30°. Die Bedeutung der Ocellen der Insecten. 595 III. Sichtbar: Beide Facettenaugen. Facettenaugen erscheinen bei — 15°; verschwinden nach 255°. Ocellen erscheinen nach 45°; verschwinden hinter dem Rande des Facettenauges nach 130°. Wir glauben durch diese Spiegelungen genügend Material ge- wonnen zu haben, um zur Betrachtung der zu Anfang dieses Ka- pitels (S. 556) aufgestellten Forderungen und Vermutungen übergehen zu können. Der erste Punkt bedurfte, wie wir oben auseinandergesetzt haben, keiner besonderen Erörterung. Wir gehen gleich zu dem zweiten über. Er lautet: Das gesamte Sehfeld der Ocellen muß innerhalb der Facettenaugen liegen. Um uns die Kontrolle unserer Untersuchungsergebnisse zu er- leichtern, wird es gut sein, diese tabellarisch geordnet vorzuführen. Tabelle 1 gibt uns in 3 Rubriken, I, II und III, die Ausdehnung der Sehfelder wieder, wie sie sich bei den 3 Spiegelungen ergeben hat. Und zwar finden wir für jedes Tier zu oberst angegeben die Facettenaugen (abgekürzt F.), dann folgt 1. O. = lateraler Ocellus. — Bei Spiegelung I und II sind natürlich immer nur für den Ocellus und das Facettenauge einer Seite die Zahlen angegeben. — Und in der untersten Reihe finden wir die Angaben, die sich auf den Me- dianocellus (M. O.) beziehen, sofern ein solcher vorhanden. Zahlen, die infolge ungünstiger Verhältnisse beim Spiegeln nur ungefähre Werte darstellen können, sind mit einem Sternchen bezeichnet. Ist bei einer Spiegelung ein Ocellus nicht sichtbar geworden, so findet sich in dessen Rubrik ein Strich. Schließlich haben wir auf dieser Tabelle auch die Fälle eingetragen, wo die lateralen Ocellen nach vorn durch die Fühler bei normaler Haltung verdeckt werden. Es ist dies jeweils durch den Buchstaben A rechts außen in der be- treffenden Spalte angegeben. Wir werden später sehen, dab dies einiges Interesse für unsere Frage hat. Es folgen in der Tabelle erst die lebend untersuchten Tiere; und diese sind wieder geteilt in solche mit 3 Ocellen, die wir vor- angestellt haben, und solche mit 2 Ocellen. 596 REINHARD DEMOLL u. LUDWIG SCHEURING, Tabelle 1. Durch Spiegelung lebender Tiere gewonnene Maße. | Tiere mit 3 Ocellen. 1. Mantis religiosa © 2. Mantis religiosa Q 3. Decticus verrucivorus 4. Stenobothrus bicolor 5. Platycleis sp. 6. Parapleurus alliaceus 7. Oedipoda coerulescens 8. Gryllus domesticus 9. Anabolia sp. 10. Libellula flaveola 11. Aeschna cyanea 12. Anax formosus Ausdehnung der Sehfelder bei Spiegelung I Grad F —32 bis 135 1.0. —19 „ M.O.—45 „ 45 Be ee el) 1.0. —40 , 85 M.O.—65 „ 65 pis TD 1.0. —35 „ 165 M.O.—80 „ 80 F. —30 bis 190* 1.0. +5 „ 150 M.O.—55 „ 55 1.0 ADS 160 M.O.—50 „ 50 F. 25* bis 180 1.0. —10 , 120 M.O.—50 „ 50 mer 25 Dis. MV 1.0. Or 120 M.O.—50 „ 50 F. —50*bis 175 1.0. —28 „ 115 M.O.—55 „ 55 F. -30 bis 170 1.0 BD, 135 M.O.—60 „ 60 F. —25* bis 185* 1.0. BD 70 M.O.—70 „ 70 FR. 35 bis 1957 1.0 60 , 120 M.O — F. —70 bisüb. 180 1.0. +30 ,, 105 M.O.—80 , 80 Spiegelung II | Spiegelung III 230* | 190 170 22 Grad —? bis 2607 IA8 20 ,, 130 12... 110 ni De 40:7, 2 190 10 iso Be, “5 ir 9.918.260 110 ig 25 ap 0 :bis 270 121 xan —? pis 270 "he 5, 185 20e —15 bis 270 og Sigal 18.) is 5 bis 270) In 90 , 210 55 : 135 O bis 270 155. 0 160% gs UE —? “his 290 700 GO 22) hig oes 160 , 240 100 > 155 = bis 260000 160 , 215 95 115 = a oe oo) see 2. Sn Oe ee TS nn 3 mn Die Bedeutung der Ocellen der Insecten. 597 Ausdehnung der Sehfelder bei Spiegelung I Spiegelung II Spiegelung III 13. Agrion ornatum 14. Calopteryx splendens 15. Lestes fusca (16. Ephemera sp. “17. Hypnotranus concen- tricus 18. Panorpa communis 19. Hristalis tenax 20. Paniscus sp. 21. Polistes gallica _ 22. Vespa crabro 23. Anthidium manicatum 24, Apis mellifica 25. Formica rufa Ÿ Grad 50 bis 190 1. O. U. 190 M.O.—90 „ 90 F. —42 bis 195 1.0. OF 80 M.O.—75 „ 75 F. 40 bis 19 1.0. SO 5 170 M.0.+85 , —85 F. —40 bis 213 1.0. —20 , 135 M.O.+55 , 55 F —12 bis 180 1.0. 40 „ 100 M.0.—10 „ 10 F. —45 bis 160 1.0. —38 „ 110 M.O.—35 „ 35 Bo Nine UT) 120%: 50m, 125 M. O. —-25. „ 25 Be CRIE eut 1. O. EU 115 M.O.+50 , 15 F. —35 bis 160 1.0. SD 110 M.O.—65 „ 65 EF. —50* bis 100 1.0. —20 „ 80 M.0.—65 „ 65 F. —60* bis 165 1.0. 10 65 M.O.—58 „ 58 Nee, ies 1. O. ae 75 M.O.—35 , 35 I, lee Jorg) Bl EO 8, 58 M.O.—25 „ 25 Grad — 50% bis 225 3911; 70 DONS 38 Grad + Ihe LOUE 802, Re |, EEE Brenn nee | men —40* bis 305% COR —35* bis über 180 i 85 eo. 25 120 —53 ” —20 bis über 180 80 3) 60 —35 bis 180 Bor Se CID ER Be ih —35* bis 190* Sa ties Ay nal +50* bis 140* SO LEGER 10 598 REINHARD DEmozz uU. LUDWIG SCHEURING, Ausdehnung: der Sehfelder bei Spiegelung I Spiegelung II Spiegelung III Tiere mit 2 Ocellen. Grad | Grad Grad | 26. Phyllodromia ger- F. —30 bis 180 —20 bis 200 —10 bis 270 manica 10.—30 , 70 40 , 200 —13 , 165 27. Periplaneta orientalis F. —7 bis 135* —20 bis 235 —35 bis 205 10. —6 „ 115 73. 2.2085 —10 „ 100 28. Stenobothrus lineatus F. —30 bis 190 3 bis 185* —? bis 270 1:0: OR) ep toe 1810) Op) 5. aS 29. Gryllus campestris F. —30* bis 150* —6 bis 165* {sicher von 28 bis 270* 10.—32 „ 120 LS MISE 28 bis 160 30. Gryllotalpa vulgaris F. —40* bis 130 —13 bis 210* —? bis 210* LO.—45 , 125 EI A) 30 ,, 140 31. Catocala nupta F. —32 bis 140 —1 bis 212 —? bis 190 LOE es PIE CORNE Goa Shag 32. Pentatoma nigricorne F. —6 bis 115 —30 bis 215 —? bis 200 LOC 7110 —37 , 104 75 , 200 33. Hurydema (Strachia) F. —17 bis 116 —20 bis 218 0 bis 200 oleracea 1.0.—20 „ 116 BB eS 72 al 34. Eurygaster maura var] F. —8 bis 112 —32 bis 213 —40* bis 225 picta 1.08 45 Os SO aetna EG) — 35. Aelia pallida F. —15* bis 105 7* bis 180 +5 bis 240 1.0.—10 , 105 15% RDS 18 „ 240 36. Tettigonia viridis F. —2 bis 150* —15 bis 200 —? bis 230 1:0. +40 2145 ll) | los 8 Durch Spiegelung toter Tiere gewonnene Maße. Tiere mit 3 Ocellen. 37. Ameles nana F. —45* bis 190* —35 bis 190* 10* bis 270 / 1.0. In 90 107 40 — M.O.—50 „ 50 — 25 „ 139 38. Atta sexdens 7 IM 28 bis 165* 5* bis 195 —45* bis 160* 1.0. LO 95 1072 00 110 mo eee EZ 30 bis 110 Die Bedeutung der Ocellen der Insecten. 599 Ausdehnung der Sehfelder bei Spiegelung I Spiegelung II Spiegelung: III Grad Grad Grad 39. Atta seadens 2 F. —7 bis 155 20 bis 200 —45 bis 160 TROP 25. 0 07 12 100 — M.O.—40 , 40 — SD TES 40. Atia sexdens 3 F. —1 bis 135 55y pis: 195 —20* bis 110* 1:02:=-20) 3." 745 — 2072-5 100 M.0.—35 , 30 - —10 , 80 A1. Atia gulosa? F. —40* bis 140* —23* bis 140 DD* bis 215* SOx 6 5D ee LO 105 — M.0.—35 „ 3 — 857.140 42. Atta cephalotes? 3 F. --10 bis 130 25 bis 180 —0 bis 130 43. Eciton coecum 7 F. —50 bis 160 —40 bis 185 —5 bis 258 On ie e135 —40 , 120 (Gy ne NES MO = 65006 —25 „ 25 Gasen A4, Aenictus sp. F. —15* bis 110* —30* bis 170* 20* bis 240* 1. O 20.0785 —5 , 90 135) 230 MEO; 508 UN 50 = 0002155 45. Dorylus helvolvus 1 F. —10* bis 160* 0* bis 175* 20 bis 160 KO 73377372145 DO — M.0.—63 , 6 — 63, 2150 46. Cicada fraxini F. —40* bis 155 —40* bis 250* —50 bis 270 RO 259%, 125 —304%).,88 105. 220 M.0.—85 „ 8 — TU DD Tiere mit 2 Ocellen. 17. Ledra aurita F. —15* bis 180* | —25 bis 210 —25 bis 205 1.0.—25 , 105 | —22 , 110 CO al 48. Triquetra bos CE. —85* bis 145* 70* bis 205* —40* bis 130* 20219... 85 100,5 145 Ly 2120 49. Phrictus diadema F. —15 bis 170 —30 bis 190 —8 bis 260 PONS 7.150 352 2.3165 — 50. Fulgora laternaria F. —4 bis 185 —10 bis 190 —15 bis 260 RON 280.) 160 Se MM) — 51. Hotinus candelarius F. —5 bis 155 —43 bis 195 —15 bis 255 10. —5 „ 145 IH a lat, Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Zool. u. Physiol. 39 600 "REINHARD DEMOLL uU. LUDWIG SCHEURING, Ausdehnung der Sehfelder bei Spiegelung I | Spiegelung: II | Spiegelung Ill Tiere mit 1 Ocellus. 52. Anthrenus pimpinellae "FE. —40* bis 85 —-70* bis 180 0 bis 150 .0.—45 , 45 — SH 12) In dieser Tabelle ist Stenobothrus lineatus und ebenso Gryllus campestris den Tieren mit 2 Ocellen eingereiht, da bei beiden der Medianocellus eine so minimale Ausbildung erfährt, daß man nicht erwarten kann, daß er noch seiner ursprünglichen Funktion in vollem Umfange nachkommt. Eine Bestimmung seines Sehfeldes war uns in beiden Fällen unmöglich. Die Tabelle zeigt uns, daß die erste Forderung überall erfüllt ist, wenn wir von einer einzigen Ausnahme absehen, auf die wir später noch zurückzukommen haben, da sie uns die Regel aufs klarste zu bestätigen scheint. Wenn wir diesen einen Fall vorläufig außer acht lassen, so hat die Untersuchung uns kein Tier kennen gelehrt, bei dem das Sehfeld der Ocellen an irgendeiner Stelle, die durch unsere Messungen kontrolliert wurde, außerhalb des Sehfeldes der Facettenaugen zu liegen kam. Man wird uns entgegnen, dab hierin insofern kein schwerwiegender Beweis liegt, als die Facettenaugen doch in vielen Fällen ein nahezu umfassendes Sehfeld besitzen, so daß die Möglichkeit, daß die Ocellensehfelder außerhalb desselben zu liegen kommen, an sich schon äußerst gering ist. Dies trifft wohl für viele Fälle zu, und wir sehen daher in diesen Daten weniger einen Beweis für unsere Ansicht als vielmehr die Erfüllung einer Voraus- setzung, die unsere Hypothese erst diskutabel macht. Wenn wir die Tabelle übersehen, so finden wir aber doch eine Reihe von Fällen, wo die Facettenaugen nach der einen oder der anderen Richtung hin eine Einschränkung erfahren haben; und wenn wir dann hier konstatieren, daß auch die Ocellen-Sehfelder nach dieser Richtung hin keine Ausdehnung besitzen, während: vielleicht — bei nahe verwandten Arten die Sehfelder beider Augen nach dieser Seite hin wohlentwickelt sind, so liegen hierin schon Hinweise positiver Natur. Wir lassen hier die Namen der Tiere folgen, deren Ocellen direkt nach oben zu sehen vermögen: Gryllus domesticus, Anax formosus, Aeschna cyanea, Paniscus, Polistes.gallica, Vespa crabro, Die Bedeutung der Ocellen der Insecten. 601 Anthidium manicatum, Eristalis tenax, Eciton coecum 2, Aenictus sp. &, Cicada fraxim, Pentatoma nigricorne, Ledra aurita, Aelia pallida. Es lehrt uns diese Reihe, daß die Stellung der Ocellen in vielen Fällen eine derartige ist, daß ihre Sehfelder sich nach oben überdecken. Wenn zwischen Ocellen und Facettenaugen nicht eine bestimmte Beziehung bestände, so müßten wir wohl erwarten, daß auch bei solchen Tieren, deren Facettenaugen nicht direkt nach oben zu sehen vermögen, sich welche finden, deren Ocellen ein binokulares Sehfeld nach oben besitzen. Dies trifft aber nirgends zu. Am deutlichsten wird dies bei Triquetra bos. Hier sitzen die Facettenaugen unter starken Hörnern, die ihr Sehfeld wesentlich nach oben hin einschränken (Fig. H IT u. III S. 616). Die Ocellen da- gegen liegen frei auf der Stirnfläche. Säßen sie dieser senkrecht auf, so würde sich ihr Sehfeld weiter nach oben ausdehnen als das der Facettenaugen. Dies finden wir verhindert durch eine Schräg- stellung und zwar so, daß die optische Achse nach seitlich unten zeigt. Auf diese Weise ergeben sich Maße, die vollständig unseren Forderungen entsprechen. Bei der Spiegelung II gelangt man in den Bereich des Facettenauges erst nach 70°, eine ganz abnorm hohe Zahl, in den Bereich der Ocellen nach 100°, ein ebenso ungewöhn- licher Befund. Bei der Spiegelung III verschwinden die Facetten- augen bereits wieder nach 130°, die Ocellen nach 120°, beides eben- falls Werte, die unter der Norm bleiben. Wir haben demnach hier eine Einengung des Facettenauges durch die eigentümliche Kopf- form und zugleich eine von der Norm abweichende Einstellung der Ocellen derart, daß — oder im Sinne unserer Hypothese gesprochen — damit ihre Sehfelder dieselbe Einengung erfahren. Wir könnten noch darauf hinweisen, daß ein Sehen der Ocellen nach unten hinten immer nur da gefunden wird, wo auch von den Facettenaugen dieser Raum beherrscht wird. Es zeigt dies Spiege- lung III in Tabelle 1. Ferner, daß nur in wenigen Fällen, nämlich bei Agrion ornatum, bei Phyllodromia germanica und bei Periplaneta orientalis, ein binokulares Sehfeld der Ocellen nach hinten gefunden wurde und daß bei denselben Tieren auch den Facettenaugen ein binokulares Sehfeld nach hinten von genau derselben oder wenig größeren Ausdehnung zukommt. , Wir werden im Zusammenhang mit der ersten Forderung nun noch die Erscheinung zu behandeln haben, daß die Hauptsehachse des Facettenauges und die Blicklinie der lateralen Ocellen nach unge- ‘ fähr derselben Richtung weisen. Man könnte uns ja entgegenhalten: ou 602 REINHARD DEMOLL U. LUDWIG SCHEURING, die Ocellen haben im Verhältnis zu den Facettenaugen ein Sehfeld von mäßiger Ausdehnung, und zwar erstreckt sich dies im großen ganzen nach vorn, nach oben und nach der Seite. Mithin sehen nach vorn seitlich nur periphere Teile der Ocellen-Retina. Die zentralen Teile aber, die wir allem nach als die Stelle deutlichsten Sehens ansprechen dürfen, sehen schon ziemlich stark nach oben, schätzungs- weise 45°. Wenn nun — so könnte man schließen — beide Augen zusammenarbeiten müssen, so wäre zu erwarten, daß die Stelle deut- lichsten Sehens dahin gekehrt wäre, wohin auch die Hauptachse des Facettenauges zeigt, und dies ist in den meisten Fällen nach der Seite, mit mäßiger Abweichung nach vorn oben. Wir würden in diesem Ein- wande keine Gefahr für unsere Hypothese erblicken, auch wenn eine derartige Divergenz der beiden Augenachsen bestände. Die Unhaltbarkeit einer derartigen Annahme war aber für uns Ver- anlassung darauf einzugehen. ‚Wenn wir nämlich beim Spiegeln beispielsweise feststellen, daß der Ocellus bei — 5° erscheint und bei 95° verschwindet, so ist damit noch nicht gesagt, daß für die Blicklinie die Mitte, also 45°, in Betracht kommt. Wir hatten in den meisten Fällen angegeben, daß der Ocellus hinter den Facettenaugen verschwindet, und häufig hatten wir besonders betont „mit vollem Leuchten“. Es würde dies für obiges Beispiel aussagen, daß wir uns noch nicht außerhalb der Stelle deutlichsten Sehens befinden, bei 95°, also im Moment, wo der Ocellus hinter dem Facetten- auge verschwindet. Da aber sowohl bei Spiegelung I als auch bei Spiegelung II dieses Verschwinden bei ungefähr 90° stattfindet, so ergibt sich, daß die Stelle deutlichsten Sehens bei den lateralen Ocellen annähernd nach der Richtung sieht, in die die Hauptachse des Facettenauges hinweist. Zur besseren Kontrolle des Gesagten folgt auf nächster Seite eine Zusammenstellung, die die Tiere berücksichtigt, bei denen das Verschwinden des Ocellus hinter dem Facettenauge mit vollem Leuchten besonders deutlich ist. Es sind die Gradzahlen, wann dies stattfindet, beigefügt, und zwar bezieht sich Rubrik I auf Spiegelung I, Rubrik II auf Spiegelung II. Die Tabelle zeigt deutlich einen Mittel- wert von 90°. Daß der enge funktionelle Konnex der beiden Augenarten sich auch in ihrer Stellung äußert, haben wir bereits gesehen. Am klarsten tritt dieser Zwang, den die Facettenaugen auf die Ocellen ausüben, bei den Formen zutage, deren Kopf durch eigentümliche Fortsätze eine möglichst abweichende Gestaltung erfahren hat. So haben wir Die Bedeutung der Ocellen der Insecten. 603 Phyllodromia germanica Gryllus domesticus Gryllus campestris Mantis religiosa Mantis religiosa © Oedipoda coerulescens Anabolia Aeschna cyanea Calopteryx splendens Lestes fusca Agrion ornatum Ephemera Catocala nupta Apis mellifica Vespa crabro Tettigonia viridis Ameles nana 70 — 115 — 120 _ 85 110 85 — 120 — — 100 120 — 80 _ == 90 — 70 = 105 == 85 _ 15 80 _— — 90 90 70 —- 120 — 110 Eciton coecum © tot gespiegelt Dorylus helvolvus 5 uns aus diesem Grunde schon mit Triquetra bos näher beschäftigt. Wir werfen nun noch einen Blick auf die bizarrste aller derartiger Formen, auf Ful- gora laternaria. Wenn wir finden, daß hier die Ocellen dicht neben den Facettenaugen sitzen (Fig.B) (unter dem Stachel, dem Facettenauge dicht angeschmiegt), während sie bei anderen Tieren oft in beträchtlicher Entfernung hiervon sich finden — wir verweisen auf die Figur von Triquetra bos (S. 616) — so erhebt sich die Frage, wie es kommt, daß hier auf Fig. B. Kopf von Fulgora laternaria. Schräg von vorn gesehen. 604 REINHARD DemoLz u. Lupwic SCHEURING, dem ungeheueren Kopfe die Ocellen nicht eine solche Stellung be- sitzen, die ihnen einen möglichst großen Rundblick gestattet, sondern dab sie statt dessen neben den Facettenaugen liegen, an einer Stelle, die so ungünstig ist, dab sie erst auf Stiele gesetzt werden müssen, um einigermaßen zur Geltung zu kommen. Wir können eine Ant- wort hierauf nur wieder in der funktionellen Beziehung der beiden Augenarten finden. Die Facettenaugen sind hier nicht so umfassend wie bei manchen anderen Tieren. Daher kommt es darauf an, daß die Ocellen eine ganz bestimmte Blickrichtung haben, eine Richtung, die möglichst mit der Hauptachse der Facettenaugen zusammenfällt. Dies bedingt ihre Lage. Betrachten wir den Kopf des Tieres von vorn, so fällt uns auch auf, wie der Wall, der nach vorn vor den beiden Augen sich befindet, zwei Ausbuchtungen besitzt, eine obere und eine untere, die eine für das Facettenauge, die andere für den Ocellus, welche beide in gleicher Weise eine Erweiterung des Seh- feldes nach vorn gestatten. Schließlich sei hier noch auf eine Erscheinung aufmerksam ge- macht, die Forez aufgefallen ist und die ihm wichtig genug schien, sie zu erwähnen. Er sagt (1910) p. 33 in einer Anmerkung, „dass jene Ameisen, die drei Ocellen an der Stirne haben, daneben auch die am besten ausgebildeten Facettenaugen besitzen“. Wenn den Ocellen eine von den Facettenaugen unabhängige Funktion speziali- sierter Art zukäme, wie z. B. Dämmerungssehen, so müßte man er- warten, daß es wohl auch Tiere gibt, bei denen die Ocellen wichtig sind, die Facettenaugen dagegen nicht. Für die Ameisen gilt dies ganz besonders. Wir kennen aber kein Insect, bei dem die Ocellen gut, die Facettenaugen schlecht entwickelt sind, es sei denn, daß die Facettenaugen ganz fehlen und die Ocellen allein dem Sehen dienen. Wir haben mehrere Ameisenarten gespiegelt, obwohl uns nur Museumsmaterial zur Verfügung stand. Es schien uns aber nicht ohne Bedeutung, zu verfolgen, wie die Verhältnisse der Sehfelder. wie wir sie bei den Männchen finden, sich bei den Weibchen und Arbeitern verschieben. Wenn eine Art gut entwickelte Augen be- sitzt, so ist dies im Interesse der Männchen. Dies wird deutlich genug bei Æciton coecum und Dorylus helvolvus, wo die Arbeiter voll- ständig blind sind und die Weibchen schon wesentlich kleinere Augen besitzen. Auch bei Atta sexdens fanden wir die kleinen Arbeiter vollständig blind, die großen dagegen noch mit Ocellen und Facetten- augen ausgestattet. Besser finden wir die Augen noch entwickelt bei den Weibchen, und diese wieder werden schließlich von den Die Bedeutung der Ocellen der Insecten. 605 Männchen wesentlich übertroffen. Wir dürfen hieraus schließen, daß diese Organe für die Arbeiter von gar keiner oder doch wenigstens von nur ganz untergeordneter Bedeutung sind und daß sie sich bei den sroßen Arbeitern nur deshalb erhalten haben, weil sie in den Erbanlagen der Männchen erhalten werden müssen. Die Weibchen scheinen wohl noch Gebrauch von ihnen zu machen, doch kommt ihnen schon nicht mehr die Wichtigkeit zu wie bei den Männchen. Wenn wir jetzt hören, daß unter allen gespiegelten Tieren die Weibchen von Atta sexdens die einzigen sind, die gegen die erste Forderung verstoßen — bei Spiegelung II wird die Ausdehnung des Ocellensehfeldes nach oben um etwa 10° größer gefunden als die des Sehfeldes der Facettenaugen —, so werden wir in dieser Ausnahme nicht ein Moment erblicken, das unsere Hypothese in Frage stellen könnte, sondern viel eher eine Stütze unserer Ansicht. Wir selbst möchten nicht allzusehr Wert auf diesen Ausnahmefall legen, da die Fehlergrenze bei Museumsmaterial wohl etwa 10° beträgt. Doch mußten wir darauf eingehen, um uns den Vorwurf zu ersparen, daß wir ungünstige Ergebnisse stillschweigend hätten unter den Tisch fallen lassen. Viel wichtiger erscheint uns die erwähnte Beobachtung: von Forez, die sich auf umfassende Kenntnis der Ameisen gründet. Wir kommen zu der unter No. 3 gestellten Forderung. Sie lautet: Ein mittlerer Ocellus kann nur vorhanden sein, wenn den Facettenaugen ein binokularer Sehraum zukommt. Daß dies voll- ständig erfüllt ist, geht ohne weiteres aus der Tabelle 1 hervor. Wir wenden uns daher gleich zu der hier anzuknüpfenden Ver- mutung, daß nämlich nur bei starker Ausbildung dieses binokularen Sehraumes der Facettenaugen mittlere Ocellen auftreten. Um uns zu orientieren, ob sich diese Vermutung bewahrheitet, werden wir gut tun, die Ausdehnungen der binokularen Sehfelder der Facetten- augen, wie sie sich bei Spiegelung I und II ergeben haben, tabel- larisch zusammenzustellen, und zwar einmal bei Insecten mit 3 Ocellen und daneben bei solchen, die mit nur 2 Ocellen ausgestattet sind. Wenn wir dann aus den Zahlen jeder Rubrik das arithmetische Mittel nehmen, so wird ein Vergleich der gewonnenen Maße uns belehren, ob in den beiden Gruppen das binokulare Sehfeld durchschnittlich eine verschieden große Ausdehnung besitzt. Unberücksichtigt blieben in der Tabelle 2 die Arbeiter und Weibchen der Ameisen, da zu erwarten ist, daß die gegenseitige Beeinflussung der Ocellen- und Facettenaugensehfelder nur da deutlich wird, wo die Organe auch funktionskräftig sind. Wir sind aber bereits oben zu der Ver- 606 REINHARD DEMOLL u. LUDWIG SCHEURING, mutung gekommen, daß sowohl die Arbeiter als auch die Weibchen der Ameisen Sehorgane von geringerer Ausbildung besitzen würden, wenn nicht den Männchen hochentwickelte Augen zukämen. Tabelle 2. Binokulare Sehfelder der Facettenaugen. Mantis religiosa 7 Mantis religiosa © Decticus verrucivorus Stenobothrus bicolor Platycleis sp. Parapleurus alliaceus Oedipoda coerulescens Gryllus domesticus Anabolia sp. Libellula flaveola Aeschna cyanea Anax formosus Agrion ornatum Calopteryx splendens Lestes fusca Emphemera sp. Hypnothranus concentricus Phyllodromia germanica Periplaneta orientalis Stenobothrus lineatus Gryllus campestris Gryllotalpa vulgaris Catocala nupta Pentatoma nigricorne Eurydema oleracea Eurygaster maura var. picta nach vorn. Grad nach oben. Grad Mit 3 Ocellen. Panorpa communis Eristalis tenax Paniscus sp. Polistes gallica Vespa crabro Anthidium manicatum Apis mellifica Ameles nana Atta sexdens 5 Atta gulosa ? Eciton coecum 7 Aenictus sp. Dorylus hewolwus «1 Cicada fraxini Durchschnittszahl | 72 Mit 2 Ocellen. 16 65 Aelia pallida Tettigonia viridis Ledra aurita Triquetra bos Phrictus diadema Fulgora laternaria Hotinus candelarius | nach | nach vorn. | oben. Grad | Grad 85 80 54 70 45 55 70 45 100 40 125 70 70 70 90 10 55 10 SOR mt 100 80 30 6 20 0 80 80 | 2247/3111675/30 i 56 30 15 5 30 30 50 70 —140 30 60 8 20 10 85 556/16 | 483/16 34°), 30 Durchschnittszahl Wir finden im Durchschnitt das binokulare Sehfeld bei 3 Ocellen nach vorn um über doppelt so stark, nach oben um nahezu doppelt so stark entwickelt wie bei 2 Ocellen. Da es sehr begreiflich ist, daß ein Medianocellus nur dann Wert besitzt — wenn wir von unserer Hypothese ausgehen —, wenn die Facettenaugen auch stark nach vorn gerichtet sind, so glauben wir in dieser Beziehung, die sich in der Tabelle zwischen dem Auftreten eines mittleren Ocellus und einer starken Ausbildung des binokularen Sehfeldes der Facetten- Die Bedeutung der Ocellen der Insecten. 607 augen nach vorn und oben offenbart, eine wichtige Stütze für unsere Auffassung sehen zu dürfen. Wenn wir diese funktionelle Korrela- tion (Pseudokorrelation, BECHER) zwischen den beiden Augentypen zunächst rein theoretisch weiter ausspinnen und Insecten in den Kreis der Betrachtung ziehen, die nur mit einem Ocellus ausgestattet sind, so müssen wir erwarten, daß hier die Facettenaugen weniger nach der Seite, dagegen in erster Linie nach vorn sehen, ein Ver- halten, das entgegengesetzt ist dem, das die Tiere mit 2 Ocellen zeigen. Prüfen wir daraufhin den einzigen Vertreter der Insecten mit einem Ocellus, den wir in unseren Protokollen finden, einen Speckkäfer, Anthrenus pimpinellae, so werden wir unsere Vermutung vollauf bestätigt finden. Das Tierchen hat nach vorn ein binoku- lares Sehfeld der Facettenaugen von 80°. In dieses Gebiet fällt ungefähr auch das Sehfeld des Ocellus. Das Abnorme, das wir bei keinem einzigen anderen Insect wiederfinden, liegt darin, daß die Facettenaugen kaum imstande sind, direkt nach der Seite zu sehen. Daß unter diesen Umständen laterale Ocellen überflüssig sind — wieder nur im Sinne unserer Hypothese —, ist ohne weiteres klar; daß sie auch nicht vorhanden sind, scheint uns ein bemerkenswerter Hinweis für die Richtigkeit unserer Auffassung zu sein. Man wende nicht ein, daß die Kopfformation des Tierchens dergestalt sei, daß einerseits die Facettenaugen nach der Seite hin keine Ausbildung hätten erfahren können und daß auch andrerseits keine Möglichkeit geboten wäre, laterale Ocellen günstig zu placieren. Wohl vermag das Tier bei drohender Gefahr den Kopf so eng an die Brust zu drücken, daß die Augen auch in ihrer jetzigen Stellung noch zum Teil nichts mehr zu sehen vermögen. Wenn der Käfer aber seinen Kopf etwas frei nach vorn trägt, so zeigt sich, daß einer Aus- breitung des Facettenauges nach der Seite nichts im Wege stehen würde und daß ebenso laterale Ocellen in beliebiger Weise zur Ent- wicklung und funktionellen Betätigung gelangen könnten (Fig. G). Wir schließen hier eine Betrachtung an, die uns zeigen soll, wie die lateralen Ocellen und der mediane sich gegenseitig er- sänzen. Es hat dies mit unserer Frage wohl direkt nichts zu tun, doch erscheint es uns angebracht, hier mit wenigen Worten darauf aufmerksam zu machen, daß in den meisten Fällen die Sehfelder der lateralen Ocellen nach vorn nicht zusammenstoßen. Von den Ausnahmen zeigen mehrere zwar ein binokulares Sehfeld der late- ralen Ocellen nach vorn, doch tritt bei gewöhnlicher Fühlerhaltung eine Behinderung des Sehens nach vorn hin ein, so daß auch hier REINHARD DEMOLL U. N 08 REINHARD DEMOLL U. LUDWIG SCHEURING, die 3 Ocellen sich gegenseitig ergänzen. Nur wenige Insecten bleiben übrig, wo die lateralen Ocellen noch imstande sind direkt nach vorn zu sehen, so daß hier dem medianen Ocellus weniger die Bedeutung zukommt, die Sehfelder zu ergänzen, als vielmehr die Bedeutung, die Sehschärfe der Ocellen direkt nach vorn zu erhöhen, da es doch nur die periphersten Teile der lateralen Ocellen sind, die hierfür in Betracht kommen können. Kehren wir zu unserem Problem zurück. Wir haben oben schon die Einreihung von Gryllus campestris unter die Insecten mit 2 Ocellen zu rechtfertigen versucht, und wir verweisen auch hier nochmals auf den Anhang. Es scheint uns recht günstig, inner- halb derselben Gattung zwei Arten zu kennen, von denen die eine mit 3 (domesticus), die andere nur mit 2 funktionsfähigen Ocellen ausgestattet ist. Ein Vergleich gewinnt an Interesse da- durch, daß die Kopfform der beiden Tiere einander außerordentlich ähnlich ist, so daß auch hier die Einschränkung des Sehfeldes und Rückbildung des mittleren Ocellus nicht auf Veränderungen der Kopfform zurückgeführt werden kann. Das binokulare Sehfeld der Facettenaugen umfaßt bei Gryllus domesticus nach vorn 100°, nach oben 55°, bei Gr. campestris dagegen nach vorn nur 60°, und nach oben sinkt es sogar auf 13° herab. Damit erklärt sich für uns der Schwund des mittleren Ocellus. Wir gehen nun dazu über, die unter No. 5 anfgestellte Ver- mutung einer näheren Betrachtung zu unterziehen, zu untersuchen, wie wir zu dieser Vermutung kamen und ob sie durch die Tat- sachen bestätigt wird. Die Vermutung lautete, daß da, wo nur 2 Ocellen vorhanden sind, die Ausdehnung der Sehfelder der beiden Arten von Augen nach vorn nicht allzu verschieden ist. Die Vermutung gründet sich auf folgende Überlegung. Wenn Insecten imstande sind auch nach hinten zu sehen, so hat dies in erster Linie die Bedeutung, Feinde, die sich von hinten her nähern, zu signalisieren. Ein Entfernungsmessen ist jedoch hierbei lange nicht in dem Maße nötig wie bei dem schnellen Flug in der Rich- tung nach vorn und nach der Seite. Denn die Tiere ergreifen die Flucht, sobald das Bild, das der verdächtige Körper auf der Retina entwirft, eine bedeutendere Größe erreicht. Sie zeigen sich hierbei ziemlich unabhängig von Gegenstandsgröße und -abstand. Aus- nahmen finden wir bei den Libellen. Man kann sich leicht davon überzeugen, wie sich diese Räuber, nachdem sie ruhig in der Luft gestanden haben, auch dann plötzlich auf ein Beutestück stürzen, Die Bedeutung der Ocellen der Insecten. 609 wenn dieses hinten vorbei oder angeflogen kam. Hier kann man wohl einsehen, daß es für die Tiere von Vorteil ist, die genaue Ent- fernung feststellen zu können, da es anderenfalls geschehen könnte, dab sie vor einer in nächster Nähe vorbeifliegenden Fliege die Flucht ergreifen und andrerseits einen Vogel in größerer Ent- fernung als Beutestück betrachten. Hier spielt der Objektabstand eine bedeutsame Rolle, und hier sehen wir denn auch, daß die Ocellen weit nach hinten sehen, bei Agrion u.a. sogar ein binoku- lares Sehfeld nach hinten besitzen, um anch hier eine Entfernungs- lokalisation zu ermöglichen. Die räuberischen Libellen, bei denen es sich immer um die Entscheidung handelt, ob das Objekt zu fliehen oder als Beute zu erjagen ist, nehmen aber eine Ausnahme- stellung ein. Bei den meisten Insecten sind dagegen die Reaktionen bei Annäherung anderer Tiere eindeutiger. Damit verliert die genaue Entfernungslokalisation nach hinten an Wert, und es bleibt damit allein die Beziehung zur schnellen Fortbewegungsart bestehen. Die Folge davon ist, daß kein Interesse vorliegt, daß sich die Ocellen-Sehfelder in der Richtung nach hinten ebensoweit ausdehnen wie die Sehfelder der Facettenaugen. Ähnliches eilt auch, wenn wir das Sehen nach unten in Betracht ziehen. Hier ist nur in ganz bestimmten und zwar sehr engen Grenzen eine Entfernungslokali- sation nötig, in Grenzen, wie sie durch die Art der Nahrungs- aufnahme und Verarbeitung bestimmt werden. Diese Einschränkung mag es ermöglichen, daß hier die in dem stereoskopischen Sehen und in der Querdisparation gelegenen Faktoren ausreichen. Eine Entfernungslokalisation vermittels Ocellen findet nach unten nicht statt. Dementsprechend ist hier die Ausdehnung der Sehfelder der Facettenaugen eine viel beträchtlichere als die der Ocellen. Anders verhält es sich hinsichtlich der beiden übrigen Rich- tungen. Besonders in der Richtung nach vorn dürfen wir eine mehr oder weniger große Übereinstimmung der Abgrenzung des Bereichs beider Augenarten erwarten. Natürlich, wenn 3 Ocellen vorhanden sind, so verschwinden überhaupt alle Grenzen nach vorn. Die Fa- cettenaugen haben ein großes gemeinsames Sehfeld, und der Bezirk, der hier 2 Augen zugehört. wird für die Ocellen in drei Teile aufge- teilt. Wir müssen uns daher zu den Insecten mit nur 2 Ocellen wenden, wenn wir etwas darüber erfahren wollen, ob in der Richtung nach vorn die Grenzen für beide Augenarten zusammenfallen. Eine Durchsicht der Tabelle 1 wird uns belehren, daß fast überall die Übereinstimmung in der Tat nicht zu verkennen ist, wenn wir von 610 REINHARD DEMOLL U. LUDWIG SCHEURING, Catocala nupta absehen, bei der die Ocellen eine weniger hohe Aus- bildung zu haben scheinen. Aber nicht nur die vordere Begrenzungs- fläche stimmt meist gut überein, auch die hintere Grenze ist für beide Augen oft nahezu dieselbe, besonders da, wo das Facetten- auge weniger nach hinten gerichtet ist. Dies gilt besonders für Pentatoma nigricorne (F. 115°, O. 110°), für Eurygaster maura (F. 112°, O. 104°), für ÆEurydema oleracea (F. 116°, O. 116°), Aeha pallida (F. 105°, O. 105°), Tettigonia viridis (F. 150°, O. 145°), Gryllotalpa vulgaris (F. 130°, O. 125°) und Hotinus candelarius (F. 155°, O. 145°). Wenn den Ocellen eine selbständige Funktion zukäme, wie wäre es dann möglich, daß hier die beiden Grenzen so nahe nebeneinander her- laufen, bei einigen sogar zusammenfallen, dabei aber nie die Grenze für die Ocellen weiter, sondern stets — wenn nicht gleich — etwas enger sind als die der Facettenaugen. Um die Übereinstimmungen und die Differenzen der Sehfelder übersichtlicher zum Ausdruck zu bringen, geben wir hier eine Reihe von Figuren. Die römischen Zahlen beziehen sich auf die I., IL. und III. Spiegelung. Die inneren Kreisausschnitte gelten für die Ocellen, die äußeren für die Fa- cettenaugen. Ich glaube, wir können auf ein weiteres Eingehen auf diese Verhältnisse verzichten. Die Figuren lassen deutlich genug er- kennen, daß zwischen den beiden Augenarten eine Pseudokorrelation bestehen muß. Wir wenden uns daher zu der nächsten von uns ausge- gesprochenen Vermutung, daß nämlich die Verknüpfung der Er- regungen der Ocellen und der Facettenaugen auch im Verlauf der Nervenfasern im Gehirn zum Ausdruck kommt. Wir teilen uns diese Frage in zwei Teile. Erst wollen wir uns über den Verlauf der Ocellarnerven selbst orientieren, und dann werden wir noch zu fragen haben, mit welchen Gehirnteilen sie in direkte Beziehung treten. Die Literatur über diesen Gegenstand ist nicht sehr umfangreich. Da es sich hier nur um ein Teilproblem innerhalb unserer Fragestellung handelt, so glauben wir darauf ver- zichten zu können, einen erschöpfenden historischen Bericht einzu- fügen. Wir halten uns an die neueren Arbeiten. Und da unter diesen Jonzscu (1909) den Ocellarnerven selbst viel weniger Auf- merksamkeit widmet als den Teilen des Gehirns selbst, so bleiben in der Hauptsache nur zwei Arbeiten zu berücksichtigen, nämlich die von Link und die von v. ALTEN. v. ALTEN (1910) hat das Gehirn der Hymenopteren untersucht. Uber die Ocellarnerven von Bombus agrorum 2 berichtet er (p. 431): Die Bedeutung der Ocellen der Insecten. 611 TH Fig. C. Phyllodromia germanica. 612 REINHARD DEMOLL U. LUDWIG SCHEURING, III Fig. D. Gryllus campestris. Die Bedeutung der Ocellen der Insecten. 613 Fig. E. Pentatoma nigricorne. „Ich habe gefunden, dass die Nervenfasern des medialen Scheitel- auges die unter diesem liegende Trachee ... umgreifen und dabei neben die Fasern der lateralen Ocellen zu liegen kommen, ohne sich aber mit diesen zu vereinigen; vielmehr kreuzen sie sich unter der Trachee miteinander, so daß die Fasern der rechten Hälfte des 614 REINHARD Demozz u. LUDwIG ScHEURING, Fig. F. Aelia pallida. mittleren Ocellums zu denen des linken lateralen ziehen und um- gekehrt; diese Kreuzung scheint mir eine vollständige zu sein. Die Nerven der lateralen Ocellen, die zunächst medialwärts verlaufen, biegen am Rande der pilzhutförmigen Körper scharf lateralwärts um und beteiligen sich an der oben erwähnten Kreuzung nicht; so- weit ich jedoch erkennen konnte, schicken sie wenige ihrer medialen Soe Die Bedeutung der Ocellen der Insecten. 615 = = i III Fig. G. Anthrenus pimpinellae. Fasern zur Mittellinie oder darüber hinaus, indem sie so eine zweite Kreuzung bilden, unterhalb der ersten und sehr viel weniger be- deutend als diese.“ Nach v. Auten haben wir also eine totale Kreuzung der Nerven des Medianocellus, eine teilweise, unbedeutende Kreuzung der Nerven der lateralen Ocellen. Zu ähnlichen Resultaten kam Linx bei anderen Insecten. So lesen wir bei ihm über den Verlauf der Nerven der lateralen Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Zool. u. Physiol. 40 616 REINHARD Demorz U. LUDWIG SCHEURING, wy Mi III Fig. H. Triquetra bos. Ocellen von Panorpa communis auf p. 224: „Beide verlaufen nahezu parallel dem Zentrum des Gehirns zu. Eine kleine Strecke, bevor sie nach den Seiten ausbiegen, sieht man von jedem Sehnerven auf der Innenseite ein einheitliches Nervenfaserbündel nach der anderen Seite übertreten, so dass eine partielle Kreuzung der Nervenfasern OCR RE Die Bedeutung der Ocellen der Insecten. 617 ... stattfindet.“ Aber nicht überall findet sich eine solche Kreuzung. Link weist nicht immer darauf hin, ob eine solche fehlt, doch ent- nehmen wir seiner Beschreibung deutlich, daß den untersuchten Locustiden und Acridiern nichts Derartiges zukommt. Über den Verlauf des Nerven des Medianocellus äußert er sich eingehender bei der Besprechung von Gomphus vulgatissimus und Anax formosus. Beidemal findet er, daß entsprechend der Doppelnatur des Median- ocellus zwei getrennte Nerven, ein rechter und ein linker, die Retina verlassen. Er sagt von Anax formosus: „Die Sehnerven treten ge- sondert aus der Retina aus. Nach kurzem Verlauf vereinigen sie sich und durchkreuzen ihre Fasern; dann biegen die beiden Hälften nach den Seiten und gelangen zu den zugehörigen Gehirnteilen“ (p. 333). Und für Gomphus gilt: „Die Sehnerven treten aus der Retina gesondert aus, nach kurzem Verlauf vereinigen sie sich, um nach Durchkreuzung ihrer Fasern nach den Seiten auszubiegen zu den entsprechenden Gehirnteilen“ (p. 334). Aber auch diese Kreuzung findet sich nicht in allen Gruppen. So scheinen die Cicaden ihrer zu entbehren. Wir schließen hier unsere eigenen Befunde über den Verlauf der Ocellarnerven an. Wir können die Angaben von v. ALTEN über eine partielle Kreuzung der lateralen Nerven bei Hymenopteren bestätigen, ebenso die von Link über eine solche bei Panorpa (Fig. K Ch, S. 620). Ferner fanden wir sie bei Ephemera (Fig. J Ch). Doch gelang es uns inkeinem Falle, weder bei Vespi- den und Apiden noch bei Panorpa oder Ephemera, ge- nau festzustellen, welchem Teil der Retina die sich überkreuzenden Fasern zugehören. Eine starke Ver- werfung der Fasern findet distal von O 0. V Ch = Fig. J. Querschnitt durch den Kopf von Ephemera. der Kreuzung sicher O Ocellen. O. V Ocellarnerv. Ch Chiasma. nicht statt. Doch scheinen uns einige Präparate für eine geringe Verschiebung oder für eine Verschiebung eines nur unbedeutenden Nervenbündels zu 40* 618 ReEInHARD DEMOLL U. LUDWIG SCHEURING, sprechen. Wir haben dies in der Fig. J (bei O. N) angedeutet. Jedenfalls warnt uns dies, die kreuzenden Fasern der medialen Partie der Retina zuzuschreiben. | Auch hinsichtlich der totalen Kreuzung des medianen Nerv stimmen wir den beiden Autoren zu, v. ALTEN auch insofern, als wir eine totale Kreuzung bei Hymenopteren nur als sehr wahrschein- lich bezeichnen können. Wir sind jedoch nicht imstande auf Grund unserer Präparate sicher zu behaupten, daß die Kreuzung eine voll- ständige ist. Wir haben weiter untersucht, ob mit der Verwerfung von rechts nach links auch eine solche von vorn nach hinten stattfindet. Wir konnten aber nirgends einen Anhaltspunkt hierfür gewinnen. Bestände aber eine solche, so hätte sie uns sicher nicht entgehen können bei Vespa crabro, wo der Nerv ganz beträchtliche Dimen- sionen aufweist. Die Bedeutung, die diesen Kreuzungen zuzuschreiben ist, wird man zunächst in dem Umstand suchen, daß das Linsenauge ein um- sekehrtes Bild auf der Retina entwirft und daß dementsprechend ein geordnetes gegenseitiges Ineinandergreifen der Erregungen der 3 Ocellen eine Umlagerung der in das Gehirn einstrahlenden Nerven in der Weise erfordert, daß die räumliche Anordnung der Erregungen der räumlichen Ordnung der Objekte entspricht. Gegen eine solche Deutung läßt sich vor allem anführen, daß dann eine totale Kreuzung des medianen Nerven eine nahezu totale der lateralen Nerven be- dingen würde, indem nur die Fasern ungekreuzt bleiben dürfen, die denjenigen Retinabezirken zukommen, auf denen Objekte der gegen- überliegenden Seite abgebildet werden. Fehlt den lateralen Ocellen ein binokularer Sehraum ganz oder nahezu, so muß die Kreuzung ihrer Nerven auch eine ganz oder nahezu vollkommene sein. Dem widersprechend finden wir aber gerade unter diesen Bedingungen überhaupt keine Kreuzung (Locustiden, Acridier). Wir glauben diesen Kreuzungsverhältnissen eine andere Deutung geben zu müssen. Wenn in der Tat, so wie es unsere Hypothese verlangt, die Erregungen der Facettenaugen und der Ocellen innig miteinander verknüpft werden, so lassen ökonomische Rücksichten diese Verwerfungen leicht verstehen. Es wird dann günstig sein, wenn die Impulse der Ocellen, die mit denen des rechten Facettenauges verkuppelt werden sollen, auch der rechten Gehirnhälfte zugeleitet werden. Dies würde eine totale Kreuzung im medianen Nerven erfordern und weiter eine teilweise Kreuzung der lateralen Nerven dann, wenn den lateralen Ocellen ein bin- Die Bedeutung der Ocellen der Insecten. 619 okulares Sehfeld zukommt. Nun findet sich ein solches aber auch bei den Facettenaugen. Dadurch wird die Sache wesentlich kompli- ziert. Wir wollen den Möglichkeiten, die damit für einen öko- nomischen Verlauf der Ocellarnerven gegeben sind, nicht weiter nachgehen. Wir beschränken uns darauf, zu konstatieren, daß immer nur da partielle Kreuzung der lateralen Nerven gefunden wurde, wo den zugehörigen Ocellen auch ein binokularer Sehraum zukommt (Vespa crabro und vulgaris, Bombus agrorum, Polistes gallica, Panorpa commu- nis, Ephemera.) Entsprechend dem Umstand, daß der Sehraum auf der Seite, der der Ocellus zugehört, immer wesentlich größer ist als auf der gegenüberliegenden Seite, finden wir die Zahl der kreu- zenden Fasern gering im Verhältnis zu den ungekreuzten. Andrer- seits konstatieren wir, daß bei Locustiden und Acridiern von einer Kreuzung nichts vorhanden ist, daß aber auch hier die Seh- felder der Ocellen nicht auf die gegenüberliegende Seite übergreifen. Was den medianen Ocellarnerven anbelangt, so wurde in verschiedenen Gruppen eine totale Kreuzung von rechts nach links beobachtet. Es stimmen also die Kreuzungsverhältnisse der Ocellarnerven mit dem überein, was unsere Hypothese erwarten läßt. Auch wenn sich zeigen sollte, daß nicht überall die Fasern der medianen Nerven diese Verwerfungen erleiden, so würde dies noch nicht be- sagen, daß die Erklärung von diesem Gesichtspunkt aus verfehlt ist. Ökonomische Forderungen können auch unerfüllt sein, bleiben aber dennoch bestehen. Wir wenden uns nun zu dem zweiten Teil unserer Frage. Waren es ökonomische Faktoren, die die Kreuzungen bedingten, so müssen diese sich auch weiter darin äußern — sofern unsere Hypothese zu Recht besteht —, daß die Verknüpfung der Erregungen der beiden Augen im Gehirn durch eine möglichst direkte Verbindung der Ganglien der beiden Augen begünstigt wird. In der Literatur finden wir hierüber wenig. Nur v. ALTEN gibt genauere Daten. p. 431 führt er über Bombus agrorum 2 aus: „Ausserdem konnte ich noch Beziehungen beobachten zu dem „Cordon commisural“, V1AL- LANES, der die direkte Commissur der als Fasciculus inferior posterior aus der inneren Markmasse des Lobus opticus in die Proto- cerebralloben eindringenden Faserzüge mit denen der Gegenseite darstellt, und weitere Beziehungen zu dem Fasciculus antennalis inferior, wodurch eine direkte Verbindung der Ocellen mit dem Lobus opticus einerseits und dem Lobus olfactorius andrerseits hergestellt wird“ (von uns gesperrt). Da dies die einzigen Ch 620 REINHARD DEMOLL U. LUDWIG SCHEURING, Angaben waren, die uns orientieren konnten über diese Frage, die uns für unsere Hypothese von einiger Bedeutung zu sein scheint, so ver- suchten wir selbst, uns am Präparat näher zu unterrichten. Unsere Fig. K. Etwas schräg gestellter Frontalschnitt durch den Kopf von Panorpa. Aus zwei Schnitten kombiniert. Untersuchung an Hymenopteren ergab eine Bestätigung der Befunde von v. ALTEN. Wir glaubten aber gut zu tun, unsere Aufmerksamkeit auch niederen Insectenformen zuzuwenden, Formen, bei denen die pilz- hutförmigen Körper nicht die hohe Komplikation des ganzen Gehirns bedingen, wie wir sie bei den Hymenopteren finden. Wir wählten Ephemera und Panorpa. Bei der letztgenannten Form gelang es uns denn auch, die hier sehr einfach liegenden Verhältnisse durch Schnitte, die in günstiger Richtung geführt waren, darzutun. Fig. K stellt im wesentlichen einen einzigen Schnitt dar. Nur für eine kleine Die Bedeutung der Ocellen der Insecten. 621 Stelle mußte der nächstfolgende Schnitt herangezogen werden. Wir erkennen an ihm, daß der laterale Nerv, nachdem er das Bündel abgegeben hat, das sich mit dem der anderen Seite kreuzt (Ch), zum Teil in ein kleines bohnenförmiges Ganglion (G) einstrahlt, zum Teil medial an diesem vorbeizieht, um sich zu den tiefer gelegenen Ganglienzellen zu begeben (J). Von dem Ganglion (G) gehen nun wieder zwei Faserzüge ab: ein schwächerer, der ventral gerichtet nach den benachbarten Ganglienzellen führt (P), und ein starker Faserzug (C), der in flachem Bogen unter dem Gehirn hindurch- zieht, sich seitlich zwischen dieses und das III. und weiterhin auch zwischen dieses und das II. Ganglion opticum einschiebt. Hier biegt ein Teil der Nervenfasern scharf rechtwinklig ab und strahlt zwischen die beiden Partien ein, aus denen sich das Ganglion II zusammensetzt. Ein anderer Teil zieht geradlinig weiter und begibt sich nach dem dorsalen Vorsprung des Ganglion IT (F. m). Der Rest der Fasern tritt zu dem sich hier anschließenden Ganglienzellenlager (F.s). Hieraus ist zu ersehen, daß die Ocellen mit Umgehung des Gehirns vermittels dieses Faserbündels in direktester Verbindung mit dem II. Ganglion der Facettenaugen stehen. In diesem Gebilde, so müssen wir hieraus schließen, spielen sich die Prozesse ab, die der Entfernungslokali- sation zugrunde liegen. Nachdem wir sowohl die Forderungen wie auch die Vermutungen, die wir als Kriterien unserer Hypothese aufstellten, als erfüllt an- sprechen dürfen und nachdem, wie wir hoffen, damit die Gültigkeit unserer Hypothese dargetan ist, bleibt uns nun noch zum Schluß ein Punkt zu berühren, eine Frage, die wir zu beantworten nicht imstande sind. Wir sprachen an letzter Stelle die Vermutung aus, daß den guten Fliegern, die keine Ocellen besitzen (Sphingiden), ein anderes die Entfernungslokalisation begünstigendes Moment zu- kommt. Worin dieses Moment zu erblicken ist, wissen wir nicht. Es scheint uns allerdings auch nicht ausgemachte Sache zu sein, daß dieSphingiden für Distanzen über !/, m einer präzisen Entfernungs- lokalisation fähig sind. Unsere Beobachtungen an Protoparce convolvuli sprechen dagegen. Etwas anderes ist es, wenn wir uns fragen, warum die Sphingiden keine Ocellen besitzen? Hierfür läßt sich wohl ein Grund in der geringen Lichtintensität, bei der die Tiere fliegen, finden. Eulen besitzen zum Teil noch Ocellen, wenn auch in einer Ausbildung, die vermuten läßt, daß sie sich auf absteigendem Ast befinden. Die Eulen fliegen aber auch meist schon vor den Schwärmern. Bei den Sphingiden mag die zur Verfügung stehende Lichtinten- 622 REINHARD Demozz u. LUDWIG SCHEURING, sität zu gering sein, um noch ausgenützt werden zu können. Denn der Anpassungsfähigkeit der Receptoren an die Lichtintensitäten sind bestimmte Grenzen gesteckt, die nicht unterschritten werden können. Das Superpositionsauge vermag dagegen infolge seiner ganz beteutend höheren Lichtstärke unter den gegebenen Bedingungen noch sehr wohl zu funktionieren. Wenn wir auch unsere Unter- suchung mit einer Frage beschließen mußten, die wir nicht ganz und nur vermutungsweise zu lösen imstande sind, so hoffen wir doch genügend Material beigebracht zu haben, um unsere Hypothese so zu stützen, daß diese nicht vollständig geklärte Frage nicht im- stande ist, an ihrer Richtigkeit zweifeln zu lassen. Es bleiben senügend Forderungen und Vermutungen, deren einwandsfreie Er- füllung den Prüfstein unserer Hypothese darstellen. Anhang. Der Medianocellus von Gryllus campestris. Wir haben in den Tabellen Gryllus campestris stets den Tieren mit 2 Ocellen eingereiht. Die Spiegelungsergebnisse, die Unmöglich- keit, das Sehfeld des mittleren Ocellus zu bestimmen, und die Klein- heit seiner Dimensionen ließen uns vermuten, daß es sich hier um ein rudimentäres Organ handelt. Zu dieser Auffassung kommt auch Link auf Grund seiner histologischen Befunde Als wir es als wünschenswert erkannten, durch eigene Anschauung die Histologie dieses Auges näher kennen zu lernen, war leider für uns die Mös- lichkeit, Material hierfür zu sammeln und zu fixieren, vorbei. So sahen wir uns auf ein einziges Exemplar angewiesen, das wir nach dem Spiegeln in verbrauchten, etwa 60—70°/,igen Alkohol geworfen hatten. Eine gute Fixierung konnten wir unter diesen Umständen nicht erwarten. Um so größer war unsere Freude, als wir auf den Schnitten bemerkten, daß der Erhaltungszustand ein ganz vorzüg- licher war, jedenfalls alles weit übertraf, was wir durch verschiedene andere Fixationsmethoden erreichten. Leider hatten wir die Cuticula resp. Linse mit der Hypodermis abgesprengt, um Zerreißungen zu verhüten, was sich nachträglich als völlig überflüssig herausstellte. Wir sind daher nicht imstande, eine vollständige Beschreibung zu geben. Wir haben uns aber doch entschlossen, zur Rechtfertigung | der Einreihung dieses Insects bei den Formen mit 2 Ocellen unsere Ergebnisse hier mitzuteilen, und dies um so mehr, als wir in zwei wesentlichen Punkten mit Linx nicht übereinstimmen können. Wir TT ee u an ln ua jé ut Las en ‚elemente erreichen. Link findet, Die Bedeutung der Ocellen der Insecten. 623 fanden mit Linx ein becherförmiges Organ (Fig.L). Die Tiefe des Bechers ist mit einem voluminösen Tapetum ausgefüllt. Dieses wird von polygonalen, feinkörnigen und ziemlich hellen Zellen gebildet, deren Grenzen nicht deutlich hervortreten. In dieses Tapetum eingebettet liegen die Zellen der Retina. Es sind dies kleinere Elemente von ebenfalls polygonaler Abgren- zung, die ein sehr dunkles Plasma besitzen. Ihre Gruppierung läßt eine Andeutung von Reihen er- kennen, die auf der Linse senk- recht stehen. Von hinten tritt ein Nerv an den Augenbecher heran, der sich im Tapetum in mehrere Äste spaltet, die unter gewundenem Verlauf die Retina- daß es in diesen Retinazellen noch zur Ausbildung von Rhab- domen kommt, derart, daß ein Rhabdom von einer Zelle, von zweien oder auch aus dreien sebildet wird. Wirkonnten nichts Derartiges finden. Wir haben die Präparate, die erst mit Hämalaun behandelt waren, wieder entfärbt Fig. L. und mit Eosin-Hämatoxylin ge- Sagittalschnitt durch den Medianocellus von färbt. Aber auch so war von "Tihse) ist mit der Hypodermis entfernt Rhabdomen nichts zu sehen. Da- gegen erscheinen die Nervenbündel, wenn sie quer geschnitten sind, stark dunkel gefärbt, und da diese sich zwischen den Zellen hindurch- drängen, so ist eine Verwechselung mit Rhabdomen nicht ganz aus- geschlossen. Wenn uns schon durch das Fehlen der Rhabdome die Rück- bildung als weit fortgeschritten erscheinen mußte, so wurde dieser Eindruck noch wesentlich verstärkt, als wir fanden, daß in dem Medianocellus sich bereits ein Gebilde entwickelt hat, das mehr an Sinnesknospen anderer Art und Funktion erinnert als an Ocellen (Fig. L). Die Bildung besteht aus langen, spindelförmigen Zellen, die in ihrer Gestalt nichts mit den Retinazellen der Grylliden, Man- tiden etc. gemein haben. An ihrem distalen Ende findet sich eine 624 ReEınHARD DEMOLL U. LUDWIG SCHEURING, feine Membran, die die Sinnesknospe jedoch nicht vollständig ab- schließt, sondern es dringen die einzelnen Zellen mit zarten Köpfchen durch diese Membran hindurch. Die ganze Partie distal vom Kern färbt sich etwas dunkler und läßt bei schwächerer Vergrößerung die Anwesenheit von dünnen, rhabdomähnlichen Bildungen erwarten. Bei Anwendung stärkerer Systeme konnten wir jedoch nur un- regelmäßige Verdichtungen des Plasmas in diesen Bezirken fest- stellen. Proximal zieht sich jede Sinneszelle in eine Nervenfaser aus. Dadurch entsteht ein Nervenstrang, der an der Peripherie des Bechers entlang läuft, um sich mit dem anderen Nerven, der aus dem Innern des Ocellus kommt, zu vereinigen. Welche Funktion dieser Sinnesknospe zukommt, darüber gibt die Histologie keine Auskunft. Wohl könnte man in ihr einen Ocellus primitiver Art erblicken, wenn nicht in der ganzen Gruppe der Grylliden die Retinazellen stets ein ganz anderes Aussehen zeigten, eine Form, wie wir sie jetzt noch bei den dunklen, polygo- nalen Zellen dieses rudimentären Ocellus finden. Dies läßt es als ausgeschlossen erscheinen, dieser Sinnesknospe Lichtreception zu- schreiben zu wollen. Das, worauf es uns im Moment besonders an- kommt, ist aber weniger die Frage nach der Funktion dieses Sinnesorgans als die Tatsache, daß in diesem Medianocellus tief- ereifende Umbildungen stattgefunden haben. Läßt schon dies an der Rückbildung der Sehfunktion dieses Organs keinen Zweifel mehr aufkommen, so wird diese Auffassung noch weiter gerechtfertigt dadurch, daß in den noch vorhandenen Sehzellen keine Rhabdome mehr angelegt werden. Zum Schluß möchten wir nicht verfehlen, auch hier unseren Dank auszusprechen für die freundliche Beihilfe, die wir bei Be- schaffung des Materials von verschiedener Seite erfahren haben. Vor allem fühlen wir uns verpflichtet, dem Leiter des Senckenbergi- schen Museums, Herrn Prof. Dr. zur STRASSEN, sowie Herrn Dr. Nick, Assistent am Senckenbergischen Museum. Weiter gilt unser Dank Herrn Prof. Dr. Heymons, Herrn Dr. v. JAnıckı und meinem Freunde Dr. Srronz. Auch dem ehemaligen Vorstand des Bienen- zuchtvereins von Oberhessen, Herrn Lehrer Sprrz in Gießen, sei hier Dank ausgesprochen für die Liebenswürdigkeit, mit der er uns seine Bibliothek zur Verfügung stellte. Gießen, November 1911. Die Bedeutung der Ocellen der Insecten. 625 Literaturverzeichnis. (Die mit * bezeichneten Abhandlungen waren uns nicht im Original zugänglich.) Obgleich sich bei einem Autor ein Hinweis auf NAGEL fand, konnten wir doch in dessen Arbeiten keine entsprechende Notiz über Ocellen finden. v. ALTEN, H., 1910, Zur Phylogenie des Hymenopterengehirns, in: Jena. Ztschr. Naturw., Vol. 46. Anonym, 1878—1879, Die Rückbildung der Sehorgane bei im Finstern lebenden Insekten, Spinnen und Krebsen, in: Kosmos, Vol. 4. *BACH, M., 1878, Studien und Lesefrüchte aus dem Buche der Natur. BARTH, 1851, Physiologische Versuche, in: Bienen-Ztg., Jg. 7, No. 1, 1851. BERGMANN, C. und R. LEUCKART, 1852, Vergleichende Anatomie und | Physiologie, Stuttgart. V. 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In einer neueren Darstellung (1911) erwähnt LOEB einzelne meiner Versuche an Fischen und macht dazu folgende unrichtige Angabe: „Man darf aber nicht vergessen, dass in diesen Versuchen an Tieren nur die relative orientierende Wirkung der Strahlen auf positiv heliotropische Fische untersucht wurde und nicht die Helligkeitsempfindungen dieser Tiere.“ LOEB übergeht hier einen wesentlichen Teil der von mir mitgeteilten 1) Hess, Untersuchungen über den Lichtsinn bei Fischen, in: Arch. Augenheilk., Vol. 64 (1909); Experim. Untersuch. z. vergl. Physiol. d. Gesichtssinnes, in: Arch. ges. Physiol., Vol. 142 (1911). L 630 C. Hess, Befunde, denn bei meinen Fütterungsversuchen im Spektrum hatte ich gerade die ,Helligkeitsempfindungen“ der Fische zum Gegenstande der Untersuchung gemacht. Schon durch diese Tatsache ist also LoEB’s Behauptung genügend widerlegt; doch sei darauf hingewiesen, daß auch meine kürzlich (1911) mitgeteilten neuen Versuche mit farbigem Futter auf andersfarbigem Grunde (in: Arch. ges. Physiol, Vol. 142) sich wiederum gerade mit der Helligkeitswahrnehmung der Fische beschäftigen. Bei Cephalopoden habe ich in Parallelversuchen die pupillo- motorische Wirkung verschiedener homogener Lichter und die An- sammlung der jungen, zum Hellen schwimmenden Tiere im Spektrum untersucht und gezeigt, daß letztere nach jenen Teilen des Spektrums gehen, welche die stärkste Pupillenverengerung hervorrufen; also auch hier habe ich nicht bloß die „relative orientierende Wirkung der Strahlen“ unter- sucht, sondern wiederum auch die , Helligkeitsempfindungen“ der Tiere. Die von mir auf verschiedenen, voneinander unabhängigen Wegen erhaltenen Befunde führten alle zu dem gleichen Ergebnisse und genügen zur Widerlegung der LoEB’schen Hypothese über die Be- wegungen der Tiere zum Lichte sowie der von ihm noch immer ver- tretenen Behauptung von der Identität dieser Erscheinungen mit dem pflanzlichen Heliotropismus. In den letzten Jahren haben mit der Farbenlehre nicht ver- traute Autoren wiederholt versucht, die übliche Annahme eines Farbensinnes bei Fischen durch neue Angaben zu stützen. Die Ver- suche BAaver’s (1910) sind ganz ohne Kenntnis der Farbenphysiologie in unzulänglicher Weise angestellt, seine Beobachtungen sowie seine Angaben über die Befunde Anderer sind zum großen Teile falsch; ich darf daher von einer Besprechung derselben hier absehen. Wesentlich sorgfältiger sind v. Friscr's !) Versuche angestellt; aber auch sie wären bei genauerer Vertrautheit mit der wissen- schaftlichen Farbenlehre gewiß nicht als Stütze für die Annahme eines Farbensinnes bei Fischen mitgeteilt worden. Wenn auch die Unhaltbarkeit der Auffassung v. FrıscH’s zum großen Teile schon aus meinen inzwischen (1911) veröffentlichten neuen Untersuchungen über den Lichtsinn bei Fischen erhellt, scheint es doch zur Vermeidung weiterer Irrtümer geboten, wenigstens einzelne Punkte seiner Dar- stellung kurz zu besprechen. Seine Annahme eines Farbensinnes bei Fischen stützt v. FriscH auf 3 Gruppen von Angaben. Zunächst wiederholt er verschiedene Behauptungen BavEr’s, die ich, z. T. schon früher, alle als falsch nachgewiesen habe. So schreibt er: 1) v. FRISCH, Ueber den Farbensinn der Fische, in: Verh. deutsch. zool. Ges., 1911. Vorkommen von Farbensinn bei Fischen. 631 Ich möchte Ihnen nur einen von den Baver’schen Versuchen anführen, der wohl als Beweis für einen Farbensinn gelten kann“; er zitiert dann BAver’s Angabe, nach der helladaptierte Atherinen aus dem Rot ins Dunkle fliehen sollen. Durch Wiederholung dieses Versuches kann man sich leicht überzeugen, daß die Atherinen nie das von BAUER behauptete Verhalten zeigen. Gegen meine Beobachtungen an Julis pavo führt v. Frisch fälsch- lich an, bei den Versuchen, in welchen ich die Verkürzung des Spektrums für diese Fische nachgewiesen habe, seien die Tiere dunkeladaptiert gewesen „und könnten sich bei Helladaptation anders verhalten haben“. Schon aus meiner ersten Darstellung (1909) ist auch für den Laien ersichtlich, daß meine Fische bei den fraglichen Versuchen nicht dunkeladaptiert waren. Auch diese Angabe v. Frısc#’s ist somit schon durch meine früheren Mitteilungen erledigt; doch sei noch darauf hingewiesen, in wie einfacher Weise man sich mit meinen kürzlich mitgeteilten Methoden (in: Arch. ges. Physiol., Vol. 142, p. 411ff.) davon überzeugen kann, daß die geringen Helligkeitswerte roter Lichter für die bisher unter- suchten Fische auch bei Helladaptation derselben nachzuweisen sind. Weiter zitiert v. Friscx folgende Angabe Baver’s: „Auch eine andere Fischart, Charax puntazzo, die sich als nicht phototactisch erwies, strebte in gleicher Weise aus dem Rot ins Blau resp. ins Dunkel.“ v. Friscx erwähnt hier nur die unrichtigen Angaben BaAvezr’s, deren Unhaltbarkeit ich bereits eingehend erörtert hatte, und über- geht meine früheren Untersuchungen (1909), in welchen ich für Charax positive Phototaxis nachwies; er übergeht ferner die gleichfalls bereits früher (1910) von mir eingehend besprochene Tat- sache, dab Baver’s Versuche bei Charax schon deshalb für seine Auffassung völlig wertlos sind, weil dieselben nicht im Dunkel- zimmer, sondern in belichteten Räumen vorgenommen wurden. Es handelt sich hier um photometrische Bestimmungen, bei welchen selbstverständlich außer den zu untersuchenden alle Lichtquellen aufs sorgfältigste ausgeschaltet werden müssen. Was würde man wohl von einem Physiker denken, der die photometrische Bestimmung zweier Lichtquellen in einem hellen Raume vornehmen wollte, in dem die Photometerflächen nicht nur von den zu prüfenden Lichtern, sondern auch vom Zimmerlichte in ganz unkontrollierbarer Weise mitbeleuchtet werden ? Zool. Jahrb. XXXI. Abt. f. allg. Zool. u. Physiol. 41 632 C. Hess, Seine Annahme, daß die Fische Farbensinn besitzen müßten, stützt v. Frisco weiter auf die von ihm gemachte Beobachtung, daß Crenilabrus (eine zu den Labriden gehörige bunte Fischart), wenn er sie längere Zeit in rotem Lichte hielt, rötlich wurden, während in grünem Lichte gehaltene Exemplare grün wurden. Er fragt: „Woran sollten die Fische, die hier Wochen lang in monochromatischem Lichte gehalten wurden, erkennen, daß sie in rotem, resp. grünem Lichte sind, wenn sie es nicht qualitativ verschieden sehen ?“ Für die Frage nach einem etwaigen Farbensinne bei Fischen können diese Versuche schon deshalb nicht in Betracht kommen, weil vy. Frisch versäumte, den nach meinen Arbeiten naheliegenden und unerläßlichen Kontrollversuch anzustellen, wie sich die Färbung seiner Fische bei Einwirkung solcher farbloser Reizlichter ver- hält, deren Helligkeitswert mit dem farblosen Helligkeitswerte seiner roten und grünen Lichter übereinstimmt. Dortein (1910) fand, daß gewisse Krebse (Leander xiphias), die bei gewöhnlichen Belichtungsverhältnissen „kräftig grüne Färbung“ zeigten, nach Dunkelaufenthalt von 3 Wochen im allgemeinen rot eefärbt waren, auch Leander aspersus war nach 14 Tagen Dunkel- aufenthalt am ganzen Körper rötlich gefärbt. Wenn die Sehquali- täten bei Leander ähnliche oder die gleichen sind wie bei allen anderen bisher von mir untersuchten Krebsen und beim total farben- blinden Menschen, so wird derselbe auch bei Einwirkung roten Lichtes, das für ihn nur sehr geringen Helligkeitswert hat, rot werden, und doch zeigt das Rotwerden bei Verdunkelung, daß dieses nie. auf Wahrnehmung der roten Farbe bezogen werden kann. Auch diese Erfahrungen an Krebsen mußten also nahelegen, zu prüfen, ob nicht auch bei jenen Fischen schon Lichtstärkenverminde- rung allein auf ihre Färbung von entsprechendem Einflusse sein kann. Denn auch für sämtliche bisher von mir untersuchten Fisch- arten hat rotes Licht, ebenso wie für den total farbenblinden Menschen, nur relativ geringen Helligkeitswert, und der Aufenthalt in mono- chromatischem rotem Lichte wird daher auch hier im wesentlichen ähnlich wirken können wie entsprechende Lichtstärkenverminderung eines farblosen Reizlichtes bzw. wie völlige Verdunkelung. In analoger Weise müßten bei Untersuchung der Wirkung grünen Lichtes auf die Färbung von Crenilabrus Kontrolltiere einem farblosen Lichte von gleichem farblosem Helligkeitswerte unter sonst genau gleichen Bedingungen ausgesetzt werden usw. Im Hinblicke auf das Gesagte stellte ich u. a. folgende Ver- Vorkommen von Farbensinn bei Fischen. 633 suche an: Von einer größeren Zahl von Crenilabrus brachte ich eine Hälfte in ein Aquarium, das, allseitig von rubinrotem Glase um- schlossen, in einem hellen Zimmer mit mattweißen Wänden aufge- stellt war; die andere Hälfte kam in ein zweites, gleich großes Aquarium, das allseitig mit schwarzem Karton und schwarzem Tuche liehtdieht verdeckt war. Temperatur, Wasser und Lüftung ) waren in beiden Aquarien gleich. Die Tiere wurden jeden zweiten Tag für etwa 1 Minute aus ihren Behältern geholt und auf ihre Färbung untereinander verglichen. Nach 8tägiger Dauer des Ver- suches konnten weder ich noch einige zugezogene Beobachter irgend- welchen Unterschied in der Färbung zwischen den lange unter Lichtabschluß und den hinter rubinroten Gläsern gehaltenen Tieren wahrnehmen. Auch aus diesem Versuche folgt die Unzulässigkeit des Schlusses, den v. FrıscH aus seinen Befunden zog. Die Crenilabrus, die sich 8 Tage im roten Lichte bzw. im Dunkeln befunden hatten, hielt ich nun weiterhin 3 Wochen lang bei Tageslicht, ohne daß es mir möglich gewesen wäre, eine deutliche Anderung ihrer Färbung wahrzunehmen. Ich muß es dahingestellt sein lassen, inwieweit hier etwa Verschiedenheiten der Art, der Jahreszeit, des Alters oder irgendwelche andere Einflüsse mitspielen; jedenfalls waren die von mir benützten, mir durch Herrn Kollegen Cort aus Triest freundlichst über- mittelten, sehr kräftigen und bunten Exemplare von Crenilabrus zu farbenphysiologischen Untersuchungen der fraglichen Art nicht geeignet. Eine weitere Gruppe von Versuchen stellte v. Frisco mit Ell- ritzen (Phoxinus laevis) an, für die er angibt, daß sie sich nicht nur der Helligkeit, sondern auch der Farbe des Untergrundes anpassen, indem sie auf gelbem oder rotem Grunde ihre gelben Pigmentzellen am ganzen Rücken und an den Seiten, außerdem rote Pigmentzellen an bestimmten Körperstellen expandieren. Die Anpassung an die Helligkeit des Untergrundes erfolge viel rascher als jene an die Farbe, erstere in wenigen Sekunden, letztere in Stunden. Der Hauptversuch v. Frısc#’s besteht darin, daß er ein Grau „auf glänzendem Kopierpapier“ zu finden suchte, „das den Fischen 1) Bei Flachfischen kann, wie VAN RIJNBERK (1906) zeigte, auch die mehr oder weniger große Glätte bzw. Rauhigkeit des Bodens auf die Expansion der Pigmentzellen der Haut von Einfluß sein. 41% 634 C. Hess, von derselben Helligkeit erschien, wie ein bestimmtes gelbes Glanz- papier“. 1) ... „Es fand sich ein Grau, das für die Fische offenbar den gleichen Helligkeitswert hatte wie das Gelb; denn wurde der eine auf das Grau, der andere auf das Gelb gesetzt, so blieben sie untereinander gleich hell.“ Auch hier unterläßt v. Friscx die Vor- nahme eines unerläßlichen Kontrollversuches: seine Annahme, das gleichhelle Aussehen der Fische lasse darauf schließen, daß ihnen der Grund gleich hell erscheine, hat zur Voraussetzung, daß die Fische auch die kleinsten von ihnen wahrgenommenen Helligkeits- verschiedenheiten des Grundes in einer entsprechenden Verschieden- heit ihres Aussehens zum Ausdrucke bringen. Davon kann aber, wie die folgenden Versuche zeigen, keine Rede sein, und schon damit erledigen sich alle Schlüsse, die v. Frisch auf seine irrige Annahme gründet. Wie der Physiker, ehe er eine Messung vor- nimmt, das Meßinstrument auf seine Zuverlässiekeit prüft, muß hier der Beobachter vor allem feststellen, welches die kleinsten Licht- stärkenunterschiede des Grundes sind, die eben noch in deutlichen Unterschieden des Aussehens der Fische zum Ausdrucke kommen. Zur Prüfung der Annahme v. Frrscæs ging ich bei einer Reihe von Versuchen so vor, daß ich verschiedene Gruppen von Ellritzen in Behältern mit Glasboden ?) auf verschiedene tonfreie, mattgraue Papiere brachte, deren relatives Lichtremissionsvermögen ich photo- metrisch bestimmt hatte; ich fand auf diese Weise verschieden hell- bezw. dunkelgraue Papiere, auf welchen die verschiedenen Fisch- 1) Es ist bekanntlich eine der ersten Regeln bei farbenphysiologischen Versuchen, nur mit matten (d. h. nicht glänzenden) Pigmentpapieren zu arbeiten, da ja für bestimmte Richtungen des zurückgeworfenen Lichtes die Farbe des Papiers durch den Glanz unterdrückt bzw. durch jene des auffallenden Lichtes ersetzt wird. Besonders bedenklich ist die An- wendung des Glanzpapiers, wenn es sich, wie hier, um photometrische Versuche handelt; kann doch ein schwarzes Glanzpapier uns bekanntlich bei entsprechender Lage zur Lichtquelle viel heller erscheinen als eine mattweiße Fläche. Von allen wissenschaftlichen Erörterungen sind mit@lanzpapierenangestellteVersuchevon vornherein auszuscheiden. 2) Auch die Gefäße mit Glasboden können unter Umständen durch Reflexion des Lichtes von letzterem zu Irrtümern Anlaß geben; diese Fehlerquelle bei v. FRıscH’s Versuchen läßt sich zunächst weniger leicht umgehen (doch ist solches z. B. mit der weiter unten von mir be- schriebenen Methode möglich); um so mehr muß vermieden werden, durch Benützung von Glanzpapier noch weitere, größere Fehlerquellen einzu- führen. crane ane ER à Vorkommen von Farbensinn bei Fischen. 635 eruppen gleiche Färbung zeigten. Um Flächen von kontinuierlich und meßbar variabler Lichtstärke zu erhalten, stellte ich mir fol- sende Vorrichtung her (vgl. Fig. A): Im Innern eines etwa 1 m langen, innen mattschwarzen Tunnels T ist eine Nernst-Lampe ZL meßbar verschieblich, die eine mattweiße, am einen Ende des Tunnels unter einem Winkel von 45° zu dessen Achse aufgestellte Fläche F bestrahlt. Das von dieser Fläche diffus zurückgeworfene Licht gelangt durch einen mattschwarzen Schlot S von quadratischem Querschnitte auf den gläsernen Boden des Bassins B mit den Fischen. B Bros A. Dicht neben dieser ersten befindet sich eine zweite, genau gleiche Vorrichtung. Der ganze Apparat ist in einem Zimmer mit matt- schwarzen Wänden in passender Entfernung von einem seitlich an- gebrachten Fenster so aufgestellt, daß der von oben auf die beiden nebeneinander stehenden Bassins blickende Beobachter die Färbung der beiden Fischgruppen im auffallenden schwachen Tageslichte bequem vergleichen kann. Durch passendes Verschieben einer jeden der beiden Lampen können den Unterlagen, auf welchen die beiden Fischgruppen sich befinden, innerhalb ziemlich weiter Grenzen be- liebig verschiedene Lichtstärken gegeben werden. Bei zahlreichen Versuchen nach den beiden hier geschilderten Methoden fand ich übereinstimmend, daß Ellritzen, die einige Zeit auf verschieden lichtstarken (angenähert farblosen) Unterlagen ge- 636 C. Hess, standen hatten, durchschnittlich selbst dann noch nicht merklich verschieden hell erschienen, wenn die Lichtstärke der einen Unter- lage 5—6mal größer war als die der anderen. Ja, selbst bei 10mal größerer Lichtstärke der einen Unterlage waren die auf ihr be- findlichen Fische nicht immer heller gefärbt als die auf der dunkleren. Damit ist v. FrıscH’s Annahme genügend widerlegt; denn mit ver- schiedenen von mir früher angegebenen Methoden läßt sich leicht zeigen, daß viele Fische Lichtstärkenunterschiede schon mit Sicher- heit wahrnehmen, die sich wie 1 : 1,23 verhalten. Da somit die Fische auf farblosen Unterlagen von beträchtlich verschiedenen Lichtstärken nicht merklich verschieden gefärbt er- scheinen, darf auch aus gleichem Aussehen derselben auf verschieden farbigen Unterlagen nicht, wie v. Friscu wollte, geschlossen werden, daß ihnen diese farbigen Lichter gleich hell erscheinen. Die Fische passen sich eben dem Grunde nicht entfernt so genau an, wie v. Frisch annahm, ohne einschlägige Versuche zu machen. Daher ist seine Methode für Licht- und Farbensinnuntersuchungen bei Fischen nicht in dem von ihm gewollten Sinne verwertbar. Bringt man von den Ellritzen eine Gruppe auf mattweißen, die andere auf mattschwarzen Grund, so werden freilich die Fische der letzteren Gruppe in der Regel deutlich dunkler als die der ersteren; aber hier ist die Lichtstärke der weißen Fläche durchschnittlich um etwa das 60—80 Fache größer als die der schwarzen. Um irgend verwertbare Lichtsinnuntersuchungen anstellen zu können, müßten die Fische aber auf wesentlich kleinere Lichtstärkenunterschiede regelmäßig mit entsprechenden Änderungen ihres Aussehens reagieren. Ich brauche nach dem Mitgeteilten nicht noch alle anderen Ver- suche aufzuzählen, die ich zur Prüfung der Angaben v. Friscu’s mit Ellritzen anstellte; nur die folgenden Beobachtungen mit farbigen Papieren seien kurz erwähnt. Ich brachte frühmorgens 3 Gruppen von Ellritzen je auf eine weiße, eine schwarze und eine für uns leuchtend rote (nicht glänzende) Papierfläche. Sie standen neben- einander so an einem Nordfenster, daß alle gleichmäßig belichtet waren; die Tiere blieben ungestört 8—9 Stunden lang in dieser Stellung und wurden dabei häufig auf ihr Aussehen kontrolliert. Im allgemeinen waren die auf der weißen Fläche deutlich heller als die auf der schwarzen, die auf der roten Fläche in der Regel von jenen auf der schwarzen nicht merklich verschieden ; vereinzelt Se: Vorkommen von Farbensinn bei Fischen. 637 fand_ich sie jenen auf der weißen Fläche ähnlicher als jenen auf der schwarzen. Entsprechende Versuche stellte ich mit schwarzen, weißen und für uns leuchtend gelben Flächen an. Auch hier waren die Fische auf dem Gelb oft kaum oder gar nicht merk- lich von jenen auf dem Schwarz verschieden.) Auch solche Ver- suche zeigen aufs neue, daß v. Friscu’s Methoden für die in Rede stehenden wissenschaftlichen Zwecke nicht genügend zu verwerten sind. Daß auch für Ellritzen ebenso wie für den total Farbenblinden rote Lichter sehr geringen Helligkeitswert haben, läßt sich mit meinen früher mitgeteilten Fütterungsmethoden leicht in eindring- licher Weise dartun. Die Ellritzen, die etwa 8 Stunden lang auf gelbem oder rotem Grunde gestanden hatten, zeigten bei keinem meiner Versuche eine deutlich mehr ins Gelbliche oder Rötliche gehende Färbung als jene, die ich auf farblos grauem Grunde gehalten hatte. Damit sollen v. FrıscH’s Angaben nicht angezweifelt werden, nach welchen auf rotem Grunde „prompt die Rotfärbung auftrat“; es mögen vielleicht individuelle Verschiedenheiten der Fische, verschiedenes Verhalten derselben zu verschiedenen Jahreszeiten etc. mit ins Spiel kommen (ich stellte meine Versuche im Herbst an sehr frischen, lebhaften Tieren an). Bei den von mir benützten Exemplaren trat jedenfalls die Anpassung ihrer Farbe an die der Unterlage nicht in einer für unsere Zwecke genügenden Weise in Erscheinung. Für die Frage nach einem etwaigen Farbensinne dieser Fische aber ist nach den vorher mitgeteilten Messungen eine solche Anpassung auch dann nicht zu verwerten, wenn sie konstant in ausgesprochenerer Weise wahrgenommen werden kann. 1) Eine sichere Beurteilung kleinerer Verschiedenheiten des Aus- sehens ist nur möglich, wenn man die Tiere auf genau gleich hellen bzw. gleich gefärbten Unterlagen betrachtet, da anderenfalls ihr Aussehen durch den Kontrast mit dem helleren oder dunkleren Grunde beeinflußt werden kann. Ich brachte daher bei einem Teile meiner Versuche die drei Gruppen, nachdem sie längere Zeit auf verschiedenen Unterlagen gestanden hatten, rasch nebeneinander auf eine gleichmäßig dunkle Unterlage und verglich ihr Aussehen im ersten Augenblicke nach solcher Einstellung. Dies hat natürlich den Nachteil, daß die Fische inzwischen ihre Färbung schon wieder geändert haben können, daher versuchte ich stets die Fär- bungen der Fische auch ohne solche Umstellungen zu ermitteln. Gröbere Verschiedenheiten des Aussehens lassen sich ja auch bei verschieden licht- starken Unterlagen wenigstens einigermaßen wahrnehmen (v. FRISCH gibt nicht an, in welcher Weise er seine Beobachtungen über das Aussehen der Tiere vorgenommen hat). 638 C. Hess, Nachdem schon meine ersten Untersuchungen an Fischen mich zu dem Ergebnisse geführt hatten, daß „ein bei ihnen etwa vor- handener Farbensinn jedenfalls mindestens hinsichtlich der Hellig- keitsverhältnisse der von ihnen gesehenen Farben wesentlich anders geartet sein müsste, als der menschliche“, schreibt v. Frisch: „viel- leicht aber trifft man das Richtige, wenn man den Fischen einen Farbensinn zuschreibt, der in Bezug auf die Helligkeit, in welcher die Spektralfarben erscheinen, von dem des Menschen abweicht“. Er bringt keine Beobachtung, die eine solche Annahme auch nur wahrscheinlich machen könnte, und scheint zu übersehen, wie un- wahrscheinlich ein derartiger Farbensinn wäre, bei dem die Hellig- keitswerte der einzelnen Farben ganz andere wären als bei uns und doch so weitgehende Übereinstimmung mit jenen beim total farbenblinden Auge zeigten, wie es für den Fisch der Fall ist. Daß ein für unser normales Auge leuchtend helles Rot allen bisher von mir untersuchten Fischen, wie dem total farbenblinden Menschen, nicht anders erscheint als ein sehr dunkles Grau usw., läßt sich mit meinen Methoden auf verschiedenen Wegen eindringlich dartun. Ich habe mich im Vorstehenden auf die Erörterung des rein Tat- sächlichen beschränkt, das zur Widerlegung der Anschauungen v. FRISCH’s genügt. Von prinzipiellen Erwägungen mögen zunächst nur die folgenden Platz finden: Man betrachtet wohl allgemein die An- passung des Aussehens der Fische an das des Grundes als eine zweck- mäßige Schutzvorrichtung, und die in wenigen Sekunden erfolgende Ver- dunklung bzw. Aufhellung, die die Fische auf genügend dunklen bzw. hellen Unterlagen zeigen, macht einer derartigen Deutung keine Schwierig- keit. Nicht recht verständlich aber erscheint es, wie eine Expansion der gelben und roten Chromatophoren einen nennenswerten Schutz bieten soll, wenn dieselbe bei Fischen, die sich dauernd auf leuchtend rotem Grunde befinden, „erst nach vielen Stunden“ eintritt. Vom physiologischen Standpunkte sei auf Folgendes hingewiesen: Wenn wir eine frei-rote Fläche mit unbewegtem Auge betrachten, so erscheint diese uns bekanntlich in den ersten Sekunden am schönsten, am meisten „gesättigt“ rot; schon nach kurzer Zeit nimmt die „Sättigung“ der Farbe allmählich ab, sie erscheint uns immer mehr graulichrot und kann bei fortgesetztem Fixieren sogar mehr oder weniger farblos grau erscheinen, d. h. der farbige Reizwert einer farbigen Strahlung nimmt mit zunehmender Dauer ihrer Wirkung immer mehr ab. Es ist aus der Farbenphysiologie genügend bekannt, in wie großem Umfange diese chromatische Adaptation zur Geltung kommen kann, wenn längere Zeit hindurch die gleichen Netzhautstellen mit einem farbigen Lichte gereizt werden. Wird ein Fisch auf eine rote Fläche gebracht, so sind infolge der relativ geringen Beweglichkeit seines Kopfes und seiner Augen die Be- x Vorkommen von Farbensinn bei Fischen. 639 dingungen fiir die Entwicklung einer solchen chromatischen Adaptation an das rote Reizlicht besonders günstige. Will man nicht annehmen, daß die entsprechenden physiologischen Vorgänge bei den als farbentüchtig angenommenen Fischen ganz andere sind als bei uns — womit man wieder eine ganz neue und angesichts der weitgehenden Übereinstimmung hin- sichtlich der farblosen Helligkeitswerte sowie der Adaptation bei Fischen und Menschen wenig wahrscheinliche Hypothese einführen würde —, so wird auch beim Fische eine chromatische Adaptation des Sehorgans erfolgen und dementsprechend der farbige Reizwert der roten Fläche um so geringer werden, je länger das Tier sich auf ihr befindet. Man wird dann zu der Annahme genötigt, daß das Ellritzenauge nicht imstande ist, die Expansion der gelben und roten Chromatophoren in den ersten Minuten zu vermitteln, solange der rote Grund für dasselbe noch einen verhältnis- mäßıg großen farbigen Reizwert baben kann, sondern erst nach vielen Stunden, nachdem ausgiebige chromatische Adaptation erfolgt und der farbige Reizwert des Grundes entsprechend gering geworden ist. Ich betone, daß ich hier nur einen Teil der Bedenken zur Sprache bringe, auf die ich beim Lesen der Arbeit v. Friscæs auf- merksam wurde, und behalte mir vor, wenn es erforderlich werden sollte, noch auf weitere Einwände einzugehen. Zunächst glaube ich hiervon absehen zu können, da schon das Vorstehende genügend zeigt, wie wenig v. Friscu’s Versuche geeignet sind, als Stütze für die Annahme eines Farbensinnes bei Fischen zu dienen.’) Es ist nicht schwer, sich durch verhältnismäßig einfache Ver- suche davon zu überzeugen, wie überraschend genaue Bestimmungen mit den von mir entwickelten Methoden der Lichtsinn-Untersuchung bei Fischen möglich sind, während die von der Färbung der Unterlage abhängigen Änderungen des Aussehens der in Rede stehenden Fische nur ein ganz unzulängliches Urteil über die Helligkeitswahrnehmungen der letzteren gestatten. Wer sich der kleinen Mühe unterzieht, beide Methoden aus eigener Anschauung kennen zu lernen, wird gewiß die Frage nach einem etwaigen Farbensinne bei den in Rede stehenden Fischen nicht mehr auf diesem zweiten Wege in Angriff nehmen wollen. 1) Ich habe schon früher wiederholt auch mit der Schachtassel (doihea tricuspidata) Versuche angestellt, für die bekanntlich PAUL MAYER eine Änderung der Färbung bei Übergang von dunklem auf hellen Grund nachgewiesen hat. Aber auch hier fand ich für die von mir untersuchten Exemplare, daß ihre Anpassung an den Grund keine genügend genaue ist, um als Grundlage für wissenschaftlich verwertbare Lichtsinnstudien dienen zu können. Weitere Untersuchungen werden zeigen müssen, ob es für derartige Studien geeignete Tierarten gibt. 640 C. Hess, MR Bei allen meinen bisherigen Erörterungen über den Lichtsinn der Fische habe ich mich auf Untersuchung und Darstellung der rein tatsächlichen Verhältnisse beschränkt, die ja unter allen Umständen für unsere Auffassung in letzter Linie ausschlaggebend sein müssen. Da aber vielfach, insbesondere auch in zoologischen Kreisen, die Neigung besteht, die Frage nach einem Farbensinne der Fische aus allgemein theoretischen Gesichtspunkten zu erörtern, ist es vielleicht nicht ganz überflüssig, die tatsächlichen Grund- lagen derartiger Überlegungen einer näheren Betrachtung zu unter- ziehen. Seitdem Darwın zuerst die Möglichkeit betonte, daß die Farbe der männlichen Fische zunächst als eine geschlechtliche Zierde er- langt worden sei, hat man vielfach die Annahme eines Farbensinnes bei Fischen mit dem Hinweise auf die schöne Färbung mancher Arten zu begründen versucht. Darwın’s Darstellung der ganzen Frage ist vielen späteren auch heute noch so weit überlegen, dab die wesentlichsten Stellen derselben hier Platz finden mögen (Ab- stammung des Menschen, Vol. 2, p. 14). „Daß bei den Fischen eine nahe Beziehung zwischen ihren Farben und ihren geschlechtlichen Funktionen existiert, können wir sehr deutlich sehen, erstens daraus, daß die erwachsenen Männchen gewisser Species verschieden von den Weibchen und oft viel brillanter gefärbt sind, zweitens daraus, daß diese selben Männchen, solange sie unreif sind, den reifen Weibchen gleichen, und endlich daraus, daß die Männchen selbst der Species, welche zu allen anderen Zeiten des Jahres in der Färbung mit den Weibchen identisch sind, oft während der Zeit des Laichens brillantere Färbung er- halten. Wir wissen, daß die Männchen in ihrer Bewerbung äußerst eifrig sind und zuweilen verzweifelt miteinander kämpfen. Wenn wir annehmen dürfen, daß die Weibchen die Fähigkeit haben, eine Wahl auszuüben und die schöner verzierten Männchen zu wählen, werden die sämtlichen oben erwähnten Tatsachen nach dem Prinzip der geschlechtlichen Zuchtwahl verständlich. Bei einigen Fischen können, wie bei vielen der niedrigsten Tiere, glänzende Farben das direkte Resultat der Natur ihrer Gewebe und der Wirkung der umgebenden Bedingungen sein ohne irgendwelche Hilfe einer Zuchtwahl. Vielleicht ist der Goldfisch (Cyprinus auratus), wenig- stens nach der Analogie der Goldvarietät des gemeinen Karpfens zu ur- teilen, ein hier einschlagender Fall, da er seine glänzenden Farben einer einzigen plötzlich auftretenden Abänderung verdanken dürfte infolge der Bedingungen, welchen dieser Fisch im Zustande der Gefangenschaft unter- worfen ist. Es ist indessen wahrscheinlich, daß diese Farben durch Vorkommen von Farbensinn bei Fischen. 641 künstliche Zuchtwabl intensiver geworden sind, da diese Species in China seit einer sehr entlegenen Zeit schon sorgfältig gezüchtet wird.... Unter natürlichen Verhältnissen scheint es nicht wahrscheinlich, daß so hoch organisierte Wesen wie Fische, und welche unter so komplizierten Bedingungen leben, brillant gefärbt werden sollten, ohne aus einer so be- deutenden Veränderung irgend einen Nachteil oder Vorteil zu erlangen, folglich also auch ohne das Dazwischentreten natürlicher Zuchtwahl.... Es ist möglich, daß gewisse Fische auffallend gefärbt worden sind, um Vögel und Raubtiere zu warnen, weil sie ungenießbar sind (wie aus- auseinandergesetzt wurde, als die Raupen besprochen wurden); es ist aber, wie ich glaube, nicht bekannt, daß irgendein Fisch, wenigstens kein Süßwasserfisch, deshalb verschmäht würde, weil er fischfressenden Tieren widerwärtig wäre. Im ganzen ist die wahrscheinlichste Ansicht in bezug auf die Fische, bei denen beide Geschlechter brillant gefärbt sind, die, daß ihre Farben von den Männchen als eine geschlechtliche Zierde erlangt worden und dann in einem gleichen oder nahezu gleichen Grade auf das andere Geschlecht überliefert worden sind.“ Hier wie bei späteren einschlägigen Erörterungen ist eine 'Tat- sache von einschneidender Bedeutung nicht berücksichtigt: man nahm stillschweigend an, daß die Fische in ihrer natürlichen Umgebung die Farben ihrer Genossen unter ähnlichen physikalischen Bedingungen wahrnehmen wie wir bei Betrachtung derselben in Luft oder in relativ kleinen Aquarien. Einer solchen Annahme wird bis zu einem ge- wissen Grade wohl Vorschub geleistet durch die verbreitete Neigung, in halbpopulären Schriften optische Querschnitte durch das Meer mit Grund und Felsen darzustellen und dabei zwar das Wasser durch blaue oder grüne Farbe anzudeuten, aber die in der Tiefe befindlichen Tiere in den leuchtenden Farben wiederzugeben, die sie nur bei Betrachtung in Luft oder unter einer relativ dünnen Wasserschicht zeigen können. Wenn diese Tiere sich aber auch nur einige Meter unter der Wasseroberfläche befinden, müssen sie einem in ihrer Nähe befindlichen farbentüchtigen Menschenauge in zum Teile wesentlich anderen Farben erscheinen als an der Ober- fläche. Das Wasser absorbiert von den langwelligen Strahlen so viel, daß, wie z.B. schon Bunsen zeigte, eine Wasserschicht von nur 2 m Durchmesser bereits deutlich blau erscheint. Sprine (1895) wiederholte solche Versuche mit 5 m dicken Wasserschichten und fand solche schön blau. SoRET u. Sarasin (1884) sahen bei spektro- skopischer Untersuchung einer 2 m langen Wassersäule in der Gegend des Orange (Wellenlänge von ca. 600 wu) einen dunklen Streifen; war die Wasserschicht 4—8 m lang, so wurde dieser Streif 642 C. Hess, dunkler, und das Spektrum erschien am langwelligen Ende verkürzt. v. AUFSESS (1903, s. dort auch die ältere Literatur) fand bei spektro- skopischer Untersuchung des Wassers verschiedener bayerischer Seen den Absorptionskoeffizienten pro Meter für rotes Licht von ca. 600 wu Wellenlänge durchschnittlich ungefähr — 0,3 (zum Teile noch etwas höher). Das besagt, daß bei einer Schichtdicke von 2 m schon angenähert die Hälfte des auffallenden roten Lichtes (von 600 wu) zurückgehalten wird; bei einem Absorptionskoeffizienten von ca. 0,4, wie er fiir einzelne Seen gefunden wurde, gelangt zu einer Tiefe von 3 m nur noch etwa !/, des auffallenden roten Lichtes von 600 uu usw. Von dem Einflusse klaren Meerwassers auf vorwiegend rote Lichter auch bei Schichtdicken von nur 3—4 m kann man schon durch primitive Versuche eine gewisse Vorstellung gewinnen: wenn man etwa eine farbige Tafel, die uns in Luft leuchtend rot erscheint, an einer gut belichteten Stelle ins Meer versenkt, so erscheint sie uns schon bei 2 m Tiefe in einem ziemlich „ungesättigten“, mit Dunkelgrau verhüllten Rot, in etwas größerer Tiefe fast farblos dunkelgrau. Beim Baden, z. B. in der Nordsee, deren Wasser eine vorwiegend grünliche Farbe hat, sieht man oft die Spitze des nach unten ausgestreckten Fußes blaB grünlich. Der Abstand der Fußspitze von der Wasseroberfläche beträgt hier etwa 11}, m; auf dem Wege von etwa 3 m, den die einfallenden Strahlen im Wasser zurücklegen, bis sie zum Auge gelangen, wird also schon ein so beträcht- licher Teil der roten Strahlen zurückgehalten, daß die in Luft oder nahe der Wasseroberfläche rötlich gesehene Haut uns bereits grünlich er- scheint usw. Farbige Gegenstände, die uns in Luft schön rot, rotgelb oder gelb erscheinen, werden in Tiefen von mehr als etwa 8—10 m!) auch einem farbentüchtigen Auge im allgemeinen nur ziemlich schwach röt- lich bzw. gelblich grau oder rein grau bis schwarz erscheinen, selbst wenn wir sie dort aus unmittelbarer Nähe betrachten können. Bei allen Fischen, die dauernd in größeren Tiefen als etwa 8—10 m leben, können somit rote, rotgelbe und gelbe Färbungen als Schmuckfarben schon deshalb kaum in Betracht kommen, weil dieselben den Artgenossen auch dann nur sehr „ungesättigt“ bzw. grau erscheinen müßten, wenn diese einen dem unsrigen ähnlichen oder gleichen Farbensinn besäßen. (Die Zeichnung der Fische dagegen 1) Die Grenzen werden natürlich je nach der Zusammensetzung des Wassers, dem Stande der Sonne, der Bewölkung etc. innerhalb gewisser Breiten schwanken, daher lassen sich allgemein gültige Zahlen nicht wohl geben. Vorkommen von Farbensinn bei Fischen. 643 kann in solchen Tiefen wohl noch als „Schmuckzeichnung“ zur Geltung kommen: nur wird das Muster, das sich uns in Luft z.B. in Gestalt roter oder gelber Linien oder Streifen, Flecken oder Punkte auf grünem oder blauem Grunde darstellt, dort auch dem farben- tüchtigen Auge sich etwa in Gestalt dunkelgrauer oder schwarzer Streifen usw. auf vorwiegend grünem bzw. blauem Grunde darstellen.) Die grünen, blaugrünen und blauen Färbungen an Fischen pflegt man wohl mit Recht vorwiegend als Schutzfarben anzusehen. Wollte man für Fische, die in mehr als ungefähr 8-10 m Tiefe zu leben pflegen, bei ihnen etwa vorhandene rote oder gelbe Farben als Schmuckfarben auffassen, so wäre das nur möglich, wenn nachzuweisen wäre, daß diese Fische in gewissen Lebensperioden, etwa in der Laichzeit, bei Tage nahe an die Wasseroberfläche kommen, denn nur unter diesen Bedingungen könnten ihre Färbungen den Artgenossen ähnlich erscheinen wie uns in Luft. Ein weiterer Umstand, der einer der unsrigen ähnlichen Farben- wahrnehmung in Wasser bis zu einem gewissen Grade entgegensteht, liegt in Folgendem: Reeanarp (1891) fand bei messenden Unter- suchungen über die Abnahme der Lichtintensität in verschieden dicken Meeresschichten, daß bereits innerhalb des ersten Meters unter der Oberfläche die Lichtintensität beträchtlich abnimmt. Diese Lichtstärken-Verminderung bedingt eine entsprechende Zu- nahme der Dunkeladaptation des Sehorgans; daß auch im Fischauge adaptative Vorgänge von ähnlicher Art wie im menschlichen sich abspielen, habe ich früher durch messende Untersuchungen nachge- wiesen. Je mehr wir aber dunkeladaptiert sind, desto weißlicher erscheinen uns ceteris paribus farbige Lichter, desto ungünstiger werden also auch hierdurch die Bedingungen für die Wahrnehmung von Farben unter Wasser. Dieser Umstand wirkt somit in ähnlichem Sinne wie der erste und bedingt, daß schon in einer Tiefe von einigen Metern auch einem farbentüchtigen Auge die dort noch nicht absorbierten farbigen Strahlungen mehr oder weniger mit Grau verhüllt („ungesättigt“) erscheinen müssen. Da mit zunehmender Schichtdicke auch die kurzwelligen Strahlen eine merkliche Intensitätsverminderung erfahren, so ist für die Fische, wenn sie von der Oberfläche in die Tiefe tauchen, ihre Fähigkeit der Adaptation an die dort zunehmend geringeren Licht- stärken natürlich von größter biologischer Bedeutung. Das Netz- hautpigment zieht sich mit zunehmender Dunkelheit immer mehr zurück, so daß die percipierenden Elemente nicht mehr von ihm 644 C. Hess, eingehüllt sind und die hier wesentlich in Betracht kommenden kurzwelligen Strahlen ausgiebig zur Wirkung kommen können. Steigen die Fische zur Oberfläche und gelangen somit in Gebiete mit größerer Lichtstärke, so erfolgt die Anpassung an letztere zum eroßen Teile schon durch die physiologische Helladaptation; dazu gesellt sich die Vorwanderung des retinalen Pigments, die, wie ich in messenden Untersuchungen zeigte, im wesentlichen so wirkt wie Vorsetzen eines passenden gelben Glases vor das Auge; sie ge- währt einen ausgiebigen Schutz insbesondere gegen die kurzwelligen Lichter. Bei Erörterung der Fragen nach Färbung und Farbensehen der Fische haben die hier entwickelten physikalischen und physiologischen Gesichtspunkte bisher keine Berücksichtigung gefunden. Sie lehren, dab infolge der starken Absorption, die langwellige Lichter schon durch Wassersäulen von mäßiger Dicke erfahren, das Gebiet, inner- halb dessen rote und gelbe Farben von einem farbentüchtigen Auge in Wasser ähnlich wie von uns in Luft wahrgenommen werden können, auf eine wenige Meter tiefe Schicht unter der Wasserober- fläche beschränkt ist. Schon in Tiefen von mehr als 8-10 m sieht auch der Farbentüchtige die wahrnehmbaren Gegenstände vor- wiegend in verschiedenen Schattierungen von Blau bzw. Grün bis Grau und hat somit keinen großen Vorteil vor einem total Farben- blinden, der dort die Gegenstände in entsprechend verschieden hellem oder dunklem Grau wahrnimmt. Auch hinsichtlich der Frage, ob vielleicht für das Aufsuchen der Nahrung ein Farbensinn den Fischen von wesentlichem Vorteil sein könne, ergibt sich, daß farbentüchtigen Fischen, die durch- schnittlich in Tiefen von mehr als 8—10 m leben, die als Nahrung in Betracht kommenden Gegenstände vorwiegend mehr oder minder hell blau bis grün bzw. grau erscheinen würden, ein farbentüchtiges Auge also wiederum keinen großen Vorteil vor dem total farbenblinden hätte. Es kann also nur die Frage sein, ob für solche Fische, die nahe der Wasseroberfläche ihrer Nahrung nachgehen, ein Farbensinn zur Unterscheidung verschiedener Futterobjekte von wesentlichem Werte sein dürfte Tatsachen, die für eine solche Möglichkeit sprechen, liegen bisher meines Wissens nicht vor. Es ist ja bekannt, daß von einem Teile der Angler die Frage nach dem Werte farbiger Köder nachdrücklich bejaht wird; aber ich habe andrerseits schon früher berichtet, daß mir aus Anglerkreisen ebenso nachdrücklich versichert wird, die Farbe des Köders sei ohne jeden Einfluß auf das Fang- Vorkommen von Farbensinn bei Fischen. 645 ergebnis. Auch die von Laien in der Farbenlehre angestellten Fütterungsversuche, aus welchen man auf Farbensinn bei Fischen hat schließen wollen, sprechen, wie ich früher zeigte, nicht sowohl für als gegen die Annahme eines solchen. Meine eigenen mit farbigem Futter und farbigen Attrapen angestellten Versuche er- gaben übereinstimmend, daß auch hier die bisher untersuchten Fische sich so verhalten, wie total farbenblinde Menschen sich unter ent- sprechenden Bedingungen verhalten würden. — Aus den mitgeteilten Tatsachen folgt, daß Tiere, die sich dauernd in Tiefen von mehr als etwa 8—10 m unter der Wasseroberfläche auf- halten, von dem Auftreten eines Farbensinnes keinen ersichtlichen Vorteil haben würden; auch für die etwas näher an der Oberfläche lebenden wäre ein dem unsrigen ähnlicher Farbensinn von geringerer Bedeutung als für Lufttiere. Zusammenfassung. Unter den Angaben, die v. Friscu als Stütze seiner Annahme eines Farbensinnes bei Fischen aufführt, sind die von ihm zitierten Behauptungen Baver’s von mir sämtlich als falsch nachgewiesen. v. Friscu’s Versuche an Crenilabrus sind schon deshalb nicht zu ver- werten, weil versäumt wurde, unerläßliche Kontrollversuche anzu- stellen. Die Versuche an Ellritzen sind einesteils mit unzulänglichen Methoden angestellt, anderenteils gehen sie von der nachweislich unrichtigen Annahme aus, daß die Fische die kleinsten von ihnen wahrgenommenen Helligkeitsunterschiede des Grundes in entsprechen- den Verschiedenheiten ihres Aussehens zum Ausdrucke bringen. Die bisherigen Versuche, einen Farbensinn bei Fischen nachzu- weisen, sind ausnahmslos ohne Kenntnis der Farbenlehre angestellt; unter den mitgeteilten Tatsachen ist keine, die das Vorkommen eines Farbensinnes bei Fischen auch nur wahrscheinlich machen könnte, ein ansehnlicher Teil derselben spricht viel mehr gegen als für das Vorhandensein eines solchen. Bei dem wiederholten Versuche, die Annahme eines Farbensinnes bei Fischen durch Hinweis auf deren Färbung zu stützen, ist wesent- lichen physikalischen und physiologischen Umständen nicht genügend Rechnung getragen. Für die in Wasser lebenden Tiere sind schon infolge der Färbung, die das Wasser bereits in Schichten von wenigen Metern zeigt, die biologischen Bedingungen der Entwick- lung eines Farbensinnes im allgemeinen weniger günstig als für die in Luft lebenden. 646 C. Hess, Vorkommen von Farbensinn bei Fischen. In allen bisher mit den Methoden der wissenschaftlichen Farbenlehre durchgeführten Untersuchungen des Lichtsinnes bei Fischen wie auch bei anderen Wassertieren verhielten diese sich durchweg so, wie es der Fall sein muß, wenn ihre Sehqualitäten ähn- liche oder die gleichen sind wie die eines total farbenblinden Menschen. Im Hinblicke auf die oben erörterten optischen Verhältnisse stellt sich diese Eigentümlichkeit des Lichtsinnes bei den fraglichen Tieren als vortreffliche Anpassung an die besonderen Bedingungen des Wasserlebens dar. G. Pätz’sche Buchdr. Lippert & Co. '@ m. b. H., Naumburg a. d. 8. Zoolog. Jahrbücher Bd.31 At. fallg. Zool.u. Physiol. H r : Hoppe gez. Verlag von Gus OO" We 2 \ \\ \ \ cher in Jena. Lith. Anst.v. Johannes Arndt, Jena ee à D mt mm tie a sa se a ee CE EE | | | | i | : | | | mm mc von Fly Lith Anst.v Johannes Arndt, Jena. à AA a = = = = Z ZB A = Z — > =... = eG m. — . Verlag von Gustav Fischer in Jena, Zoolog. Jahrbücher Bd.31 Abt. t-allg. Zool. u. Physiol. Hoppe gez. Zoolog. Jahrbücher Bd. 31. Abt. fallg. Zool. u. Physiol. Sa. Be. Mm RT > Ÿ Tye OR DROP oer 1S qe: OT MIT \ N LAN NA A Shp. Hy St) Hoppe gez. Verlag von Gr 15 a. = | ae Tin Jens. | | =| Lith. Anst.v. Johannes Arndt, Jena. oo me tr tt ee ae - pa ey u nn. ~ PE qe Zoolog. Jahrbücher Bd. 31. Abt. allg. Zool. u. Physiol. Ste;a ‘ Shp; Pi, Stera Sty; St Hoppe gez. Br Gene : = == ---- —-- — ae i Verlag von Gustav RE En se Rs BR + R “> 3 Lith Anst.v Johannes Arndt, Jena. a a 1 CTI a Zoolog. Jahrbücher Bd.31. Abt.f. allg. Zool.u. Physiol. Oetcke gez. © @ eee Nk. o © © ® @ f f © Br er ® © z o te 42% . Figo. Verlag von Gu rin Jena. . Lith. Anst.v. Johannes Arndt, Jena. | | | | | | | | | | | | | | | | | | | | Zoolog. Jahrbücher Bd.31. Abt f.allg. Zool.u. Physiol. Fig. 6. Fig. 7. é Fig. 13. Oetcke gez. gez Verlag von Gustav Fischer in Jena, LA I FER : ; th. Anst.v. Johannes Arndt, Jena. Zoolog. Jahrbücher Bd. 31 Abt. f. allg. Zool. u. Physiol. Taf. 4 Kosminsky. Verlag von Gustav Fischer in Jena. P. Weise, Lith. ‚Jena, Hu + 4 À ; ' und sekundären Geschlechtsmerkmalen bei Fröschen. + à mi Sad ie ra ® L | Verlag von Gustav Fischer in Jena. Neueste Veröffentlichungen: Experimentelle Studien zur Soma- und Geschlechts- differenzierung. Von Prof. Johannes Meisenheimer. | Zweiter Beitrag: Über den Zusammenhang zwischen Geschlechtsdrüsen Mit 20 Figuren im Text. (Sonderabdruck aus | : „Festschrift zum 60. Geburtstage von Prof. Dr. J. W.Spengel, Gießen. Band III.) 1912. Preis: 1 Mark. Früher erschien: Erster Beitrag: Ueber den Zusammenhang primärer und. sekundärer Ge- schlechtsmerkmale bei den Schmetterlingen und den übrigen Gliedertieren, Mit 2 Tafeln und 55 Figuren im Text. 1909. Preis: 6 Mark 50 Pf. „Naturwissenschaftliche Rundschau“ 1909, Nr. 45, 11. November. . . . Jetzt liegen jene Untersuchungen über die Regeneration der Geschlechts- organe sowie der Flügel der Schmetterlinge in vortrefflicher Ausstattung zusammen- gefaßt vor... „Kaum können wohl schärfere Beweise, als sie die geschilderten Beobachtungen enthalten, dafür erbracht werden, daß Ausbildung wie Betätigung der psychischen Sexualcharaktere völlig unabhängig von einer Beeinflussung seitens der Geschlechtsdrüsen oder anderer Teile des Genitalapparates sich vollziehen. Eine Wechselwirkung zwischen primärem Geschlechtsapparat und Geschlechtsinstinkten besteht in keiner Form und in keinem Grade.“ Am Schlusse behandelt Verf. nach verschiedenen ailgemein-biologischen Exkursen die Frage, was nun eigentlich be- _ stimmend für die Entwicklung der männlichen oder weiblichen primären und sekundären Sexualcharaktere sei, und das Ergebnis ist, die Ursache müsse in der u | a | a É jungen Keimzelle gesucht werden. Damit ist auch ein Berührungspunkt ‘mit der . hochinteressanten Frage der Geschlechtsbestimmung, insbesondere mit den Hertwig- sehen Ideen hierüber gegeben. Obwohl wir noch nicht wissen, mit welchen Fragen sich die folgenden Beiträge des Herrn Meisenheimer befassen werden, sehen wir ihnen doch mit Spannung entgegen. V. Franz. Wissenschaftliche Ergebnisse der Deutschen Tiefsee- Expedition auf dem Dampfer ,, Valdivia’ 1898— 1899. Im Auftrage des Reichsamtes des Innern herausgegeben von Carl Chun, Professor der Zoologie in Leipzig, Leiter der Expedition. XVII. Band. Heft 1: Die gestielten Crinoiden der deutschen Tiefsee- - Expedition. Von Dr. Ludwig Döderlein, Prof. an der Universität Straß- “burg i. Els. Mit 12 Tafeln und 9 Figuren im Text. 1912. ; Einzelpreis: 26 Mark [Vorzugspreis: 22 Mark]. XX. Band. Heft 2: Paguriden. Von Dr. Heinrich Balß. Mit5 Tafeln, 26 Figuren u. 1 Karte im Text. 1912. Einzelpreis: 14 Mark [ Vorzugspreis: 11 Mark]. Die bis jetzt bekannten Larven von Thrombidiidae = 1 en mit besonderer Berücksichtigung der für den Mensch und Erythraeidae schidlichen Arten von De Fe C. Oudemans. Mit 57 Abbildungen im Text. (Zoolog. Jahrb., Suppl. 14, erstes Heft.) 1912. : : Preis: 9 Mark. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Seit Januar 1912 erscheint: DER NATUR- WISSENSCHAFTEN Herausgegeben von Prof. Dr. E. Korschelt-Marburg (Zoologie), Prof. Dr. G. Linck-Jena (Mineralogie und Geologie), Prof. Dr. Oltmanns-Freiburg (Botanik), Prof. Dr. K. Schaum-Leipzig (Chemie), Prof. Dr. H. Th. Simon-Göttingen (Physik), Prof. Dr.M. Verworn-Bonn (Physiologie) und Dr. E. Teichmann- — Frankfurt a. M. (Hauptredaktion). 3 Dieses Werk, das in den Fragen der Naturwissenschaft zuverlässige und wissenschaftliche Kenntnisse nach dem neuesten Stande der Forschung vermittelt, wird dazu beitragen, die verschiedenenZweigedieserumfangreichen Wissenschaft wieder einander näher zu bringen, und ebenso allen denen, die nach tieferer Er- kenntnis der Natur verlangen, eine dauernd bereite Quelle der Aufklärung sein. Es setzt sich zur Aufgabe, die Kontinuität und Einheitlichkeit naturwissen- schaftlichen Forschens und Lehrens, die heute ernstlich in Frage ge- stellt sind, zu fördern und zu bewahren. In 10 starken Bänden wird das gesamte Gebiet der Naturforschung von der Physik bis zur Anthropologie und experimentellen Psycho- logie in einzelnen in sich geschlossenen und erschöpfenden Aufsätzen behandelt. In alphabetischer Ghederung ist der gewaltige Stoff in einzelne Artikel auf- geteilt, damit jeder das Gesuchte ohne Mühe findet. Für jedes einzelne Gebiet wurde der Stoff unter solche Stichwörter geordnet, unter denen jeder Interessent die Materie suchen wird und die sich zu einer zusammenfassenden Darstellung eines nicht zu kleinen und nicht zu großen Gebietes eignen. Für eine gute Durchführung der großen Aufgabe bürgen die Namen des obengenaunten Redaktionskollegiums. Eine große Anzahl von instruktiven Abbildungen wird den Text begleiten und erläutern. Die einzelnen Beiträge sind mit einer kurzen Inhaltsübersicht versehen, die das Auffinden bestimmter Fragen erleichtert. Am Schluß jedes Artikels wird die Literatur angegeben, mit Hilfe deren ein Ein- — dringen auch in die speziellsten Probleme und deren Behandlung möglich ist. Jeder Beitrag ist mit dem Namen des Verfassers unterzeichnet. Der letzte Band des ganzen Werkes wird ein genaues und ausführliches Gesamtregister enthalten. Für wen ist das Handwörterbuch bestimmt? In erster Linie wird der Forscher danach greifen, der sich auf den seiner eigenen Wissenschaft benachbarten Zweigen Rats zu holen wünscht; weiter wird der Lehrer den Stoff für seinen Unterricht nirgends so gedrängt und übersichtlich beisammen finden wie hier; je länger je mehr werden auch Mediziner, Juristen und Nationalökonomen, besonders aber Techniker und Ingenieure die Notwendig- keit empfinden, sich eingehende Kenntnis der Naturwissenschaften zu eigen zu machen und gegebenenfalls ein Werk an der Hand zu haben, das ihnen in jeder beliebigen naturwissenschaftlichen Frage Auskunft erteilt. So wird das Werk vielfach auch von unmittelbar praktischer Bedeutung sein. Für alle Gebildeten schließlich wird es keine bessere Gelegenheit geben, das Verlangen nach ge- — diegener und zuverlässiger naturwissenschaftlicher Belehrung u befriedigen, als hier. In 3 bis 4 Jahren soll das Werk fertig vorliegen. Das Werk wird zunächst in Lieferungen ausgegeben und etwa 80 Lieferungen umfassen zum Preise von je 2 Mark 50 Pf.; das Ganze wird in 10 Bänden vollständig … und Einbanddecken werden sofort nach Abschluß jedes Bandes erhältlich sein. Der Preis des ganzen Werkes wird etwa 200 Mark, in 10 Halbfranzbänden gebunden etwa 230 Mark betragen. | Probeheft (2 Bogen) kostenfrei! — Lieferung 1 zur Ansicht! G. Pätz’sche Buchdr. Lippert & Co. G. m. b. H., Naumburg a. d., S. it to À V5, Ney A % Pr € = ee A 22 es PAS ee; ESSEN ai RS | = Worm 03 jae La Le ep es D Ne N Shane I Ness ANS EE Vel ze cot 5 My ee jon) Poe 1 (a Is Ra) K 7 IR de p ni TE . ey gs \ hi BEAT OA Le PENSE %, % siya yt ie 7 a WT I [A | i Ag Si "hy Ay © = YW if NS I unit. Dun) ee À nee D N = om i ad en | I" AIM Op, Sy \ t | a à i | n Ps fi EST 2 dpi IN % Rei : 4“ SMITHSONIAN INSTITUTION LIBRARIES m