Led, Varı remW. u, Zum Andenken an Karl von Zittel. Rede in der DIEISSIODIDIOIDIDIII ZI DIDI IDIOSIISIO<>O< öffentlichen Festsitzung der K. B. Akademie der Wissenschaften am 14. März 1904 K. Th. von Heigel Präsident der Akademie der Wissenschaften. München 1904. Verlag der K. B. Akademie in Kommission des G. Franz’schen Verlags (J. Roth). ; 4 DOII—D—Dm—_>I——Dm——I—_— > ——_—m>——Dd—m_—D I —II—DI—DI ZI TII< a Zum Andenken an Karl von /ittel. _ Rede in der öffentlichen Festsitzung der K. B. Akademie der Wissenschaften am 14. März 1904 von K. Th. von Heigel Präsident der Akademie der Wissenschaften. I Ki AN n N GDBRPE ei hl an nn München 1904. Verlag der K. B. Akademie in Kommission des G. Franz’schen Verlags (J. Roth). Pr # ei ie aa A Jos ae. Von mannigfachen, von widerstreitenden Empfindungen bewest, begrüsse ich Sie an dieser Stätte, wo Sie bis vor kurzem einen Mann zu sehen gewohnt waren, über dessen Recht auf jeden Hochsitz kein Zweifel bestehen konnte. Mein allergnädigster Landesherr hat mich auf diesen Platz berufen. Ihm hatte ich zu gehorchen, ihm habe ich zunächst für diesen höchsten Beweis von Vertrauen ehr- furchtsvoll zu danken. Kann ich aber dieses Vertrauen rechtfertigen? Das ist die Frage, die ich seit meiner Berufung bei Tag und Nacht mit Bangen an mich stelle. Die Nachfolger des Grafen von Heimhausen, der in der ersten ordentlichen Versammlung am 21. November 1759 im Redouten-, jetzt Abgeordnetenhause an der Prannerstrasse den Vor- sitz in der Münchner Akademie übernahm, waren fast alle bewun- derungswürdige Repräsentanten ihrer Wissenschaft, schöpferisch, bahn- brechend, Männer, deren Namen zu allen Zeiten den Eifer der jungen Forscher anspornen werden. Friedrich Heinrich Jacobi, der liebens- würdige Philosoph von Pempelfort! Friedrich von Thiersch! Welch strahlende Welt sahen seine Augen, von welchen Geisterscharen war er umringt! Er sah den ersten dorischen Tempel erstehen und des Melas erste Marmorwerke. Aus der Werkstätte des Phidias ging er herrlicher Eindrücke voll zu den Symposien des Perikles. Er hörte in der Stille der Nacht spartanische Männer die uralte kriegerische Weise singen und sah nach der Schlacht bei Salamis den jungen Sophokles vor den Siegestrophäen den Päan zu Ehren Apollos tanzen. Er lauschte in der Akademie unter den schattenden Oelbäumen dem göttlichen Platon. Ignaz von Döllinger! Tiefsinnig und von uner- sründlichem Wissen wie Dante schlägt er mit der Unerschrocken- 1163 Ei heit des Florentiners an den Felsen Petri nach neuen Lebensquellen. Ein grosser Staatsmann, Realpolitiker, Protestant, Brite, William Ewart Gladstone, nennt sich mit Stolz seinen Freund und Schüler. Da sind die Naturforscher, ein Justus von Liebig, ein Max von Pettenkofer! Beide Wohltäter der Menschheit! Dank der neuen Lehre von der Pflanzenernährung bricht für den Landwirt unter dem kalten nordi- schen Himmel wie unter dem glühenden Südamerikas eine neue hoff- nungsreiche Aera an. Die Forschungen Pettenkofers sind eine sieg- reiche Propaganda für einen der grössten Werte, den Wert der Ge- sundheit! Ein Karl von Zittel endlich wird der Lehrer aller modernen Paläontologen...... Gegen jene Werke und Tage, was gilt mein Werk, was bedeutet mein Tag? Viele sprechen von ihrer Tätigkeit bescheiden, aber kein Mensch denkt von seiner eigenen Tätigkeit bescheiden. Wohl aber kann man sich bei aller Selbstschätzung über das Feld, das man beackert, im klaren sein. Es ist nun einmal ein Unterschied, ob ich in der lichten Welt der Hellenen wandle, ob ich die Gesetze weiser baby- lonischer Könige enträtsele oder diese und jene Episode der Heimats- geschichte zu erforschen habe. Von dem kosmischen Unendlichkeits- gefühl, das den Naturforscher bei seiner Arbeit beseelt, wird derjenige wenig verspüren, den z. B. die unendlichen Irrungen und Landestei- lungen der bayrischen Herzoge im fünfzehnten Jahrhundert beschäf- tigen. Doch fruchtlos ist auch solche Arbeit nicht. Es ist heute weder nötig noch schicklich, über den Wert der Heimatsgeschichte zu sprechen, — vielleicht bietet sich später einmal Gelegenheit, — ich erlaube mir nur darauf hinzuweisen, dass sogar Nietzsche bei aller hämischen Streitlust gegen Historie und Historiker dem „bewahrenden und verehrenden“ Geschichtsforscher seine Anerkennung nicht ver- sagt. „Wie könnte die Historie“, sagt Nietzsche in den „Unzeitge- mässen Betrachtungen“, „dem Leben besser dienen, als dadurch, dass sie auch die minder begünstigten Geschlechter und Bevölkerungen an ihre Heimat und Heimatstätte anknüpft, sesshaft macht und sie abhält, nach dem Besseren in der Fremde herumzuschweifen und um k i 5 5 dasselbe wetteifernd zu kämpfen..... Das Wohlgefühl des Baumes an seinen Wurzeln, das Glück, sich nicht ganz willkürlich und zu- fällig zu wissen, sondern aus einer Vergangenheit als Erbe, Blüte und Frucht herauszuwachsen und dadurch in seiner Existenz ent- schuldigt, ja, gerechtfertigt zu werden, — dies ist es, was man jetzt mit Vorliebe als den eigentlich historischen Sinn bezeichnet.“ Alles in Allem, ich sage mit unserem tüchtigen Böhmer: „Es ist immer ein Trost, gearbeitet zu haben.“ In diesem Wort finde ich meine Rechtfertigung und Ermutigung! Die Absicht unseres hoch- herzigen Landesherrn bei meiner Berufung war wohl die, ein Ge- schäftspräsidium aufzustellen, einen Arbeiter auf den Posten zu setzen, einen gewissenhaften Hüter der wissenschaftlichen Sammlungen, der die sachkundisen Vorstände in ihrer Tätigkeit zur Förderung und Hebung derselben mit voller Hingabe unterstützt. Und das gelob’ ich! An Hingebung, an Pflichttreue werde ich keinem meiner glänzenden Vorgänger nachstehen. Dass ich meinen Lohn voraus habe, bevor ich die Arbeit beginne, ist mir nur ein Sporn. Und ich bin überzeugt, dass Sie Alle für die Arbeitsfreude, Treue und Wahrhaftigkeit eines Mannes warmen Herzschlag haben werden. So steh’ ich hier „zugleich erhoben und gedrückt, Unschuldig und gestraft, und schuldig und beglückt!*‘ (Göthe, Ilmenau.) Meine erste Aufgabe, eine beglückende Pflicht ist es, das An- denken meines Vorgängers, des edlen, uns zu früh entrissenen Karl von Zittel zu feiern. Auf eine Darlegung der wissenschaftlichen Wahrheiten, welche die Welt ihm verdankt, und des Weges, auf dem er zu ihnen ge- langte, muss ich natürlich verzichten. Den grossen Gelehrten, den Pfadfinder Karl von Zittel wird ein Redner der mathematisch - physikalischen Klasse in einer späteren Sitzung gebührend würdigen Ich darf nur sagen, was er uns als Mensch, als Kollege, was er in seiner Ehrenstellung für unsere Akademie gewesen ist. Für mich 6 insbesondere ist heute der Blick auf diese willensstarke und doch so liebenswürdige Persönlichkeit eine Wohltat. Noch lebt in mir die Erinnerung, wie Zittel als jugendlicher Rektor unsrer Universität im Jahre 1880 mit leuchtenden Augen über Arbeit und Fortschritt im Weltall sprach. In der ganzen kosmischen Welt, legte er uns dar, hat Alles und Jedes seinen festen, bestimmten Arbeitskreis, die Sonne eines Fixsternsystems wie das Aufgusstierchen unsres Planeten. Arbeit ist das Wohlwollen dieser grossen kosmischen Welt mit ihren schreckhaften Unendlichkeiten des Raumes und der Zeit und der Kraft! „Wer etwas länger gelebt hat“, sprach er am Schlusse seines begeisterten Vortrags, „der weiss, dass unter allen Gaben, die das Schicksal dem Menschen bietet, Arbeit den dauerhaftesten Ge- nuss gewährt!“ In dieser Ueberzeugung, in diesem Zeichen hat Zittel selbst ge- lebt, gekämpft und gesiegt! Zittels Lehrjahre fielen in die schöne Blütezeit der Naturwissen- schaften. Man war der kosmologisch-metaphysischen Spekulationen müde und setzte in die exakte Forschung die Hoffnung auf Natur- erkenntnis. Und so fruchtlos jene geblieben waren, so fruchtbar bewies sich alsbald diese. Welche Wunder erschloss das Mikroskop in kurzer Zeit den fleissigen Forschern! Von der aufsteigenden Ent- wickelung vom Niederen zum Höheren, „von der Alge zum Eich- baum, vom Zoophiten zum Säugetier und Menschen“ hatte man nun nicht mehr bloss Ahnungen und Hypothesen, sondern Beweise. Die herrliche Folge immer vollkommener werdender Formen und Funk- tionen war nicht mehr dichterische Intuition, sondern eine Tatsache für den gesunden Menschenverstand. In der Musenstadt Heidelberg war Zittel seiner Jugend froh, ohne über der akademischen Freiheit die akademischen Pflichten zu vergessen. An geistigen Lockungen war kein Mangel, doch Zittel hatte seinen Beruf früh erkannt. Ihm war der Stein nicht taub! 7 Er wurde Mineraloge, und wenn ein sonniger Tag ins Freie lockte, wanderte er über Berg und Tal, nicht mit der zerstreuten Neugier eines Naturschwärmers, sondern mit der Liebe zum Wissen, nicht als Spaziergänger, sondern als Sammler. In Wien, unter aen Schätzen des Petrefaktenkabinetts, angesichts der Reste von Floren und Faunen der verflossenen Jahrtausende, entschloss sich der junge Gelehrte, seine Lebensarbeit der Erdge- schichte, der Geologie und ihrer Schwesterwissenschaft, der Pa- läontologie, zu widmen. Dieser Entschluss erscheint uns als ein wesentlicher Zug im Charakterbild des Gelehrten, wenn wir uns an ein Wort Alexander von Humboldts erinnern: „Paläontologische Stu- dien haben der Lehre von den starren Gebilden der Erde, wie durch einen belebenden Hauch, erst Anmut und Vielseitigkeit verliehen.“ Inwieweit Zittel in seinen Anfängen von der damals noch herr- schenden Lehre von den Schöpfungsperioden beeinflusst, in der Ro- mantik vulkanischer und neptunischer Katastrophen, welche ruck weise das Weltbild vernichteten und ein neues schufen, befangen war, und wie er sich ihr entwand und für die heute allgemein giltige An- nahme einer langsamen Entwickelung als massgebender Richter ein- trat, kann nur der Fachmann auf Grund des beinahe unerschöpflichen Arbeitsmaterials dartun. Als der 27 jährige Gelehrte die erste ordent- liche Professur für Paläontologie in München erhielt, stand sein Ruf in der wissenschaftlichen Welt bereits fest. Und wie entsprach er seinem Rufe! Am Arbeitstisch und im Laboratorium ist er genau in der Beobachtung, von unerbittlicher Logik. Und weil er seinen Stoff vollständig beherrscht, ist er auch als Lehrer im Hörsaal anregend. Der Dilettant hat bunte Einfälle, nur der Meister hat fruchtbare Ideen. Mit den bescheidensten Mitteln erwirbt Zittel für den bayerischen Staat die paläontologischen Schätze, welche wegen ihrer Seltenheit, Reichhaltigkeit und instruktiven Ord- nung von den Fachgelehrten aus aller Herren Ländern aufgesucht und bewundert werden. 17 Jahre lang arbeitet er an seinem Haupt- werk, dem Handbuch der Paläontologie, und liefert mit dem voll- 8 endeten Werk gegenüber einem alten Vorurteil den glänzenden Be- weis, dass ein Handbuch eine durchaus selbständige, im höchsten Sinne wissenschaftliche Tat sein kann. Er löst die schwierigsten geologi- schen Rätsel, entdeckt in der verworrenen Mannigfaltigkeit und an- scheinenden Willkür immer das Gesetz. Niemals lässt er der Fantasie die Zügel schiessen. Der Jünger soll niemals auf die Autorität des Meisters schwören, denn Jeder kann einmal irren, doch der Jünger muss immer auf die Wahrhaftigkeit seines Lehrers schwören können. Zittel beherrscht ein ungeheures Gebiet, sieht kosmisches Leben in grauenvollen Tiefen, sieht auf Gründe, über denen einst der greuliche Plesiosaurus schwamm, und verfolgt im Diluvium die Spuren der ersten menschlichen Kultur. Begeistert nennen ihn seine Schüler, mit Überzeugung und neidlos auch die deutschen, englischen und amerikanischen Fachgenossen den ersten Paläontologen der Gegenwart! Ich weiss nicht, ob Zittels „Bilder aus der Urzeit“, vor mehr als dreissig Jahren erschienen, in allen Einzelheiten mit den Resul- taten der neuesten Forschung noch übereinstimmen. Als Ganzes be- trachtet, dünkt mich das Werk das Muster eines Buches, das ein wissenschaftliches Thema für Laien behandelt. Über die Nützlich- keit einer solchen Aussprache für das grosse Publikum wird heute niemand mehr streiten. Geheimwissenschaft wollen wir den Hindus überlassen und solchen, die in Europa Hindus werden wollen. Für klare Gedanken wird sich immer auch der klare Ausdruck finden. Im Umgang werden wir uns stets bemühen, unsere Vorstellungen von einer Sache ohne Dunkelheit und ohne Pathos mitzuteilen. Warum sollten wir mit der Feder anders reden? Zittel bleibt auch in diesem populären Buche der besonnene Forscher. Indem er eine sukzessive Entwickelung annimmt und auf übernatürliche Eingriffe verzichtet, steht er auf dem festen Boden der exakten Forschung. Er weiss: in diesem mütterlichen Erdreich ist seine Kraft. Doch „eine Erklärung der letzten Ursache der Dinge“, sagt er in seinem Buche, „entzieht sich der menschlichen Erkenntnis.“ 5) Er hat niemals die Begriffe verwirrt, aber auch niemals ein gläubiges Gemüt. Er war „der Weise,“ nach Göthe, „der Glückliche, der das Erforschliche erforscht und das Unerforschliche verehrt.“ Als ich Zittel nach seinem letzten Unfall besuchte, erkundigte ich mich nach der Ansicht der Aerzte. „Ich werde zeitlebens ein steifes Bein behalten“, erwiderte er mit stoischer Gelassenheit, „doch daraus mache ich mir nichts. Ich habe in meinem Leben so viel Schönes und Grosses gesehen, dass ich genug daran zu tun habe, Alles geistig zu verarbeiten, — ich werde von jetzt an noch mehr die inneren Augen spazieren führen!“ In sein stilles Gelehrtenleben hatten ja wiederholt grosse Reisen Abwechslung und Farbe gebracht. Mit Gerhard Rohlfs und andren Gelehrten unternahm er 1873 im Auftrag des Khedive die Reise durch die libysche Wüste, die diesen ältesten Teil des nordafrikani- schen Wüstenkomplexes für uns sozusagen entdeckt hat. Die wissen- schaftlichen Resultate wird der künftige Biograph Zittels ins Helle stellen, für den Laien hat Zittel selbst jene Tage in seinen Briefen aus der libyschen Wüste geschildert. Sie erschienen zuerst in der Allgemeinen Zeitung. Manche wurden nach zehnstündigem Ritt zwi- schen den Dünen von gelbem Quarzsand unter glühendem Himmel Abends im Lager geschrieben. Doch alle sind von gleicher Frische und Anschaulichkeit, mit dem sicheren Blick eines hochgebildeten, gründlich vorbereiteten Mannes für das Charakteristische und Wert- volle. Der grosse Kenner der Erdgeschichte war auch in diesem öden Weltwinkel sofort daheim, und wie 15 Jahre früher der Student im Heidelberger Gelände die Taschen mit Steinen füllte, steckte der Pro- fessor unter den Felsen bei Minieh fröhlich Seeigel und Brachio- poden ein. Zehn Jahre später gab die Gastfreundschaft eines Deutsch- Amerikaners dem Gelehrten Gelegenheit, in die Bergwelt des nord- amerikanischen Westens einzudringen. Und auch jene Reise wurde köstliche Frucht. Wie brachte uns sein Vortrag das „Wunderland“ 2 10 am Yellowstone-Fluss nahe! Wir wanderten mit ihm an erloschenen Vulkanen vorüber aufwärts zu den Cannons, wir schauten phantastisch gegliederte Terrassen, versteinerte Wälder, tiefblaue Seen, brodelnde Geysirsäulen. Zittel schwelgt bei diesem grossartigen Naturschauspiel nicht in unklaren Empfindungen; er sieht in diesem zerrissenen Ge- klüft und diesen Schlammfontänen nicht den Zorn finsterer Mächte, sondern er schildert uns lebendig, farbig und getreu die Tatsachen und führt uns dann zu den Endursachen zurück. Nach seinen Wanderungen durch öde Wüstengebiete und herr- lichen Urwald kehrte er heim, durch die Fülle von Eindrücken nicht zerstreut und ermüdet, sondern die Wangen röter, begeistert und tatenfreudig wie ein Jüngling, der im Plutarch gelesen! — Ach! dass dieser Feuergeist in keinem ehernen Körper wohnte! Zittels Gesundheit war keine feste, doch er achtete nicht auf die warnenden Symptome, gönnte sich keine Ruhe. Ohne seine Lehr- tätigkeit zu unterbrechen, übernahm er im Auftrage der Münchener Historischen Kommission für die Geschichte der Wissenschaften das Riesenwerk: Geschichte der Geologie und Paläontologie. Ein Riesen- werk, denn es ist eigentlich eine Kulturgeschichte der Menschheit. Wenn auch von einer wissenschaftlichen Ausbildung der Geologie vor dem 16. Jahrhundert kaum gesprochen werden kann, das Weltent- stehungsproblem war mit jedem Kultus verknüpft. „Auf allen Ge- sittungsstufen und bei allen Menschenstämmen fand der völkerkundige Peschel religiöse Empfindungen stets von dem gleichen inneren Drang erregt, nämlich von dem Bedürfnis, für jede Erscheinung und Be- gebenheit eine Ursache oder einen Urheber zu erspähen.“ Sagen wir also, das menschliche Causalitätsbedürfnis ist so alt wie der gesunde Menschenverstand. Märchen, Mythen und kosmogonische Aphorismen des grauen Altertums, der Glaube des Mittelalters, die Beobachtungen und Forschungen, Hypothesen, bewiesenen Wahrheiten und Postulate der Neuen Zeit bis zur Gegenwart mussten einbezogen werden. Für ein solches Werk war Zittel der rechte Mann, mit allen Hilfswissenschaften tl der Geologie vertraut, ein mathematischer Kopf, ein Kenner der alt- klassischen Literatur, und der wichtigsten modernen Kultursprachen mächtig! In verhältnismässig kurzer Zeit bewältigte der ausserge- wöhnliche Mann die ausserordentliche Aufgabe. 1899 erschien das Werk, ein standard-work, ein klassisches Werk, würde ich sagen, wenn das Wort gegenwärtig nicht so missbraucht und entweiht wäre. Sie werden mir nachempfinden, warum mich die Erinnerung an dieses Werk heute besonders bewegt. Zu Nutz und Frommen, zum Ruhm unsrer Akademie hatte Zittel es unternommen, und sie dankte ihm! Als unser grosser Pettenkofer, nicht arbeitsmüde, aber von der Ar- beit erdrückt, sich ausser Stande fühlte, das Präsidiuin weiterzuführen, da gab es über die Nachfolge keinen Zweifel! Karl von Zittel war für alle und jeden der natürliche Erbe von Amt und Würden des Scheidenden. Und wenn damals Pettenkofer die Augen geschlossen hätte, würde man an das tiefsinnige Rechtssprichwort gedacht haben: Le mort saisit le vif! Der Tote erbet den Lebenden!!) Das Ideal in der Seele, das nächste Wünschenswerte und Er- reichbare immer im Auge, verwaltete Zittel das verantwortungsvolle Amt. Wir alle wissen das, doch nur aus den Akten lässt sich der ganze Umfang und die Wirkung seiner Tätigkeit ermessen. Er wurde dabei von einer einsichtigen Staatsregierung nicht nur liebenswürdig ermuntert, sondern auch mit reichen Mitteln unterstützt. Ich brauche nicht im einzelnen aufzuzählen, wieviel neue Beamte und Bedienstete für die zahlreichen, zur Akademie gehörigen Sammlungen und In- stitute angestellt, wie freigebig die Fonds zur Erhaltung der kost- baren Bestände und für neue Erwerbungen erhöht wurden, — es genügt die Tatsache, dass gerade in den zwei Finanzperioden, wäh- 1) „Die uralte Rechtsmaxime „Le mort saisit le vif“ „Der Tote erbet den Lebenden,“ wie sie deutsch, oder „Mortuus aperit oculos viventis,“ wie sie lateinisch ausgedrückt zu werden pflegt, eine Rechtsmaxime, die wir bei allen germanischen Stämmen wiederfinden, ist es, welche in jener den Rechtssprichwörtern eigenen, energischen Form die Anschauung in sich enthält, dass die Erbschaft sofort unmittelbar mit dem Tod des Erblassers ipso jure auf den Erben übergehe.“ (Lassalle, Das System der erworbenen Rechte, II, 2, 569) I* rend deren Zittel die oberste Leitung in Händen hatte, durch sein treues Zusammenwirken mit den sachkundigen Pflegern unserer Schätze bedeutende Neuerwerbungen und Verbesserungen ermöglicht wurden. Auch die reichen Schenkungen der letzten Jahre dürfen nicht uner- wähnt bleiben. Ich erfülle freudig eine Dankespflicht, wenn ich an die kostbare Bereicherung erinnere, welche dem botanischen Museum durch die Gnade einer erfahrenen Sammlerin, Ihrer Königlichen Hoheit Prinzessin Therese von Bayern, zu Teil wurde, an die wertvollen Gaben für das paläontologische, das pflanzenphysiologische, das ethno- graphische Museum, wie an die Gaben für das Antiquarium und die prähistorische Sammlung, Dank unsrem verewigten Kollegen Selenka! Vor allem wurde das zoologische Museum bedacht; das ostasiatische Material Dr. Haberers ist wohl das wertvollste Geschenk, das unsere wissenschaftlichen Sammlungen je erhalten haben. Und welch namhafte Stiftungen fielen in der nämlichen kurzen Periode unsrer Akademie zu! Ich erinnere an die Stiftung eines Un- genannten für das ethnographische Museum, an die Spende der Fa- milie Bassermann-Jordan in Deidesheim zum Zweck von Ausgrabungen Professor Furtwänglers in Griechenland, an die Gabe der Familie Königs für chemische Forschungen, endlich an das grossmütige Ge- schenk, das der Rentner Albert Samson in Brüssel der bayerischen Akademie zur Förderung der Moral zuwandte. Das war eine Freude für Zittel! Als er nach seinem letzten Unfall als Schwerverwundeter auf dem Streckbett lag, wurde er nicht müde, den Mäcen zu preisen, der in Belgien lebt, aber auch für die Arbeit eines gemeinnützigen Instituts in fremdem Land hellen Sinn und offene Hand hat, der nicht Orden noch Titel verlangt, sondern sich mit dem Bewusstsein einer guten Tat begnügt. Das lebhafteste Interesse nahm Zittel an den Bemühungen um einen Neubau für die historischen und naturwissenschaftlichen Samm- lungen. Im Anschluss an die Mahnungen seines Vorgängers Petten- kofer sprach Zittel schon in der ersten Festsitzung seines Präsidiums 13 im November 1899 die Hoffnung aus, dass die gewaltig angewachsenen unschätzbaren Staatssammlungen in einem Neubau Platz fänden, der auch eine systematische, der modernen Museentechnik entsprechende Neuordnung erlauben würde. In seinen Berichten wies Zittel mit guten Gründen nach, dass von allen staatseigenen Plätzen das Areal der Türkenkaserne am besten dem Zweck entsprechen würde. Pro- fessor v. Thiersch entwarf dafür ein glänzendes Projekt. Der ganze Plan wurde von Sr. Exzellenz Herrn Minister von Landmann aufs wärmste vertreten. Ohne Zweifel würde die Annahme und Ausführung dieses Pro- jekts die unabweisliche Forderung auf das erfreulichste erfüllt haben, allein der Plan scheiterte an unüberwindlichen Hindernissen. Zittels Initiative hatte aber nichtsdestoweniger für unser Institut wohltätige Folgen. Im März 1901 erging der Auftrag, ein Projekt zu zweckmässigen baulichen Veränderungen im alten Wilhelminum auszuarbeiten. In der 26. Finanzperiode (1902—3) wurden Zentralheizung und teil- weise elektrische Beleuchtung eingerichtet und für ausreichende Si- cherung gegen Feuersgefahr gesorgt. Namentlich die Zentralheizung, deren Einrichtung allerdings 280 000 Mark kostete, war eine hoch- erfreuliche Errungenschaft. Bisher war die Benützung der Staats- sammlungen fünf Monate lang den Mitgliedern und Beamten der Akademie ausserordentlich erschwert, für den öffentlichen Besuch waren sie winterlane überhaupt geschlossen. Jetzt stehen die Samm- lungen während des ganzen Jahres offen. Man sagt zwar, dass die einheimische Bevölkerung an den Genüssen, welche unsere Museen bieten, weniger Geschmack finde, als die Fremden. Doch vielleicht lockte nur der Sommer allzu lieblich ins Grüne. Nun sind die Säle winters nicht nur zugänglich, sondern auch warm, — hoffen wir, dass unsere Münchener kommen! Jedenfalls verdienen die K. Staats- regierung und die Volksvertretung für ihr namhaftes Opfer zur För- derung der Volksbildung unsern besten Dank. 14 Doch es soll noch weiter für Ausdehnung und Nutzbarkeit der Sammlungen gesorgt werden. Seitdem auf einen Neubau an Stelle der Türkenkaserne verzichtet wurde, ist es die Absicht der hohen Staatsregierung, der Akademie allmälig das ganze Wilhelminum einzuräumen, also auch jene Flügel, in denen annoch das Oberste Landesgericht, die K. Rechnungskammer und die K. Normaleichungskommission ihren Sitz haben und das K. geheime Staatsarchiv untergebracht ist. Dann werden auch sämt- liche Räume, was für die Sammlungen unsere erste und wichtigste Fürsorge ist, die bestmögliche Sicherheit gegen Feuersgefahr bieten. Zunächst dürfte die Akademie in den Besitz der Räume des Obersten Landesgerichtes gelangen, sobald von diesem der Anbau an den Justiz- palast bezogen werden kann. Eine Erweiterung des eigenen Hauses ist um so dringlicher ge- boten, als die kostbarste der Staatssammlungen, das Münzkabinett, das nach einem älteren Anschlag schon einen Wert von 30 Millionen, in Wirklichkeit wohl den doppelten Wert repräsentiert, weder in einem Anbau an das neue Nationalmuseum noch im alten National- museum untergebracht werden kann. Ebensowenig war es möglich, für das Gipsmuseum etwa durch einen Ausbau des Königsplatzes und für das in enge Räume eingepferchte ethnographische Museum er- träglichere Zustände zu schaffen, obwohl Zittel alle diese Pläne aufs nachdrücklichste unterstützte. — Ein köstliches Vermächtnis Zittels besitzen wir endlich in den Reden, womit er in den Jahren 1899 bis 1903 die öffentlichen Festsitzungen einleitete. In der ersten bot er einen Rückblick auf die Gründung und Entwickelung unsrer Akademie. Leider musste er sich auf die Haupt- züge beschränken. Westenrieders Geschichte der Akademie, ein Werk voll feiner Charakteristik und von edlem Freimut, reicht ja nur bis zum Jahre 1800. Möchte sich doch bald zu würdiger Fortsetzung der rechte Mann finden lassen! Begeistert wies Zittel auf die wach- 15 sende Bedeutung unsres Instituts, das nach dilettantischen Anfängen heute den schwierigsten Aufgaben gewachsen und den bestbewährten Schwesterinstituten ebenbürtig ist. In seiner zweiten Rede besprach Zittel eingehend die Ziele und Aufgaben der Akademien im zwanziesten Jahrhundert; dem Rück- blick folgt ein Ausblick auf die Zukunft! Die früher von der Aka- demie mit Vorliebe betriebene naturwissenschaftliche Erforschung des Heimatsgebietes wird gegenwärtig nur noch in beschränktem Masse fortgesetzt, da besondere staatliche Anstalten oder Kommissionen die topographische, geodätische, geologische, meteorologische und prä- historische Untersuchung Bayerns übernommen haben. Dafür er- strecken sich heute die Arbeiten der naturwissenschaftlichen Klasse auf die gesamte Erd- und Naturkunde. In New-York und London mit dem gleichen Interesse verfolgt, wie in den heimischen Kreisen, gereichen sie unserem eigenen Vaterland wie dem ganzen Deutsch- land zur Ehre. Das Nämliche gilt von den Leistungen der philo- sophisch-philologischen Klasse; die Ergebnisse archäologischer For- schungen und klassischer, orientalistischer, byzantinischer und germa- nistischer Studien von Münchner Gelehrten werden in Paris ebenso - beachtet und geschätzt, wie bei uns. In der historischen Klasse wird mit Recht der bayerischen Geschichte liebevoller Eifer gewidmet, und in neuerer Zeit wird an der Fortsetzung des schon im 18. Jahr- hundert begonnenen gewaltigen bayerischen Urkundenwerkes wieder eifrig gearbeitet. Doch auch die historische Klasse versucht die Lö- sung von Aufgaben aus allen Gebieten der Geschichtswissenschaft. Die von König Maximilian II. gestiftete und mit unsrer Akademie verbundene Historische Kommission hat die gesamte deutsche Ge- schichte in ihren Arbeitsplan aufgenommen, wie sie ja auch in allen deutschen Gauen ihre Mitglieder und Mitarbeiter hat. Zittel war ein besonders warmer Verehrer der akademischen Kartelle. Das deutsch-österreichische Kartell, das seit einem Jahr- zehnt besteht, führte zu einem grösseren Bündnis, das alle bedeu- 16 tenderen Akademien und gelehrten Gesellschaften der ganzen ge- bildeten Welt umfasst. Ich stehe, wie ich offen bekennen will, dieser internationalen Ausdehnung der Akademien, diesem Grossbetrieb der Wissenschaft, etwas misstrauisch gegenüber, doch auch ich muss zugeben, dass manches wünschenswerte Werk die Kräfte des Einzelnen, wie lokaler Kommissionen übersteigt und nur durch die gemeinsame Arbeit vieler Forscher, in manchem Fall nur durch die einträchtige Tätigkeit einer internationalen Kommission zustande kommen kann, — ein Ziel, das Leibniz, der so Vieles voraussah, mit der Gründung einer Universal- akademie im Auge hatte, ein Ziel, das insbesondere von Mommsen mit heissem Bemühen angestrebt und durch den Zusammentritt von 18 Akademien am 31. Juli 1900 im Institut de France erreicht worden ist. „Das 19. Jahrhundert“, sagt Zittel, „hat die unglück- lichen Begriffe von nationaler und konfessioneller Wissenschaft her- vorgebracht; die Tätigkeit der Akademien im 20. Jahrhundert steht unzweifelhaft unter dem Zeichen der Internationalität.“ Freilich wird es auch dabei immer auf die Persönlichkeit, na- mentlich auf die unbestechliche Wahrheitsliebe der einzelnen Forscher ankommen. „Was ist wissenschaftliche Wahrheit?“ Diese Frage wird von Zittel in der dritten und letzten Rede aufgeworfen. Nachdem er in allen Disziplinen nachgewiesen, wie der Begriff wissen- schaftlicher Wahrheit wechselt und immer vom Umfang des zeit- weiligen Wissens abhängig ist, wie häufig schon nach wenigen Jahr- zehnten als Irrtum erkannt wird, was vorher als wohlbegründete Wahrheit galt, präzisiert er das Verhältnis der wissenschaftlichen Forschung zur Wahrheit dahin: „Je weiter wir eindringen in das Wesen der Dinge, desto überzeugender tritt uns die Unendlichkeit dessen, was wir nicht wissen, vor Augen. Wäre es der Wissenschaft möglich, zur vollen Wahrheit zu gelangen, so wäre ihre Aufgabe gelöst und jede weitere Tätigkeit überflüssig. Doch dahin wird es nicht kommen, kann es nicht kommen; die Lösung der letzten Fragen 17 in jeder Wissenschaft liest wahrscheinlich jenseits der Grenzen mensch- licher Forschung. Diese Erkenntnis darf uns aber nicht hindern, dass wir immer der Wahrheit nachstreben, — sehen wir doch, welche Wohltaten wissenschaftlicher Fortschritt der Menschheit gebracht hat. Als Trost mag uns Lessings Wort gelten, dass das Ringen nach Wahrheit dem Besitz der Wahrheit vorzuziehen sei.“ Der Naturerkenntnis, der Wahrheit war die Lebensarbeit Zittels gewidmet, und darum ist sein Lebenswerk, obwohl Zittel auf vielen Gebieten ausbauend und schöpferisch tätig war, ein einheitliches, grosses, dauerndes Werk. „Der Ruhm bedeutender Männer wächst uns zu.“ Mit diesem Trostwort Emersons und mit dem heissen Wunsche, dass es mir vergönnt sein möge, im Geiste Karl von Zittels zu wirken, damit sein Erbe dereinst unverkümmert wieder in würdigere Hände komme, übernehme ich mein Ehrenamt. RE A | sh la DER RE FERN t alt IRINA GERN Mana ni] Ju hit ö natetfäsiE HAIE ch Mit 4 \ y niit er I ni; a if id! [4% KUISTLIEADEWOLERAE, fi k | VE En j t f BIN IZ, j ur Puh wu ABER Pe RE A. N hart r | N a ö Ta Ya! TITTEN TUESTTIT N ERG 1- Nr 2 fi | tröthine. -LIösR., INNE IE Zn re DELRAUN Te. LP A Li ERBRDEE on los N man Gen \ i u eyiike irioli Id) N II > ER y ah] FOL ARIIZEN la RR DE I IIEHER: TE ! 175637) eis saLg ’ Juake DE as ERTERERER i : i i 3 s F 2 E i