nnr ZU HU U al Au da BU DZ) 1 STEIN 2. DL dm ne zn ne aan 2a

LE sy Zac X >>

III IA Le KA e. & - N > > DI La e DI RL CC XI DIDI IT cc

e.. 4 *.

Verlag Quelle Reuer Leipzig.

III DE

Sccccc x = ⁹ne Kreer.

1 SD N DDD - % er >r lee 2222 ee X 33332 cc X c DR rr N Nc rcccc - K I YET DIDI ZLliceumn

DI LLC tec M Nec - Nec X =D 220.

A DSi & NCC = NM e ll

—.

=

DIS Zee N De-

9

m 322)

Buchſchmuck von Profeſſor G. Belwe. 1 Druck der Spamerſchen Buchdruckerei in Leipzig.

Vorwort

von der „Sammlung der Geiſter“ nach ein paar Monaten ein unveränderter Neu— > druck nötig wird, und daß das Buch mii unabläſſig W N Außerungen und Anregungen aus allen deutſchen Gauen einträgt, das iſt mir eine große Freude und ein hochwillkommenes Zeugnis dafür, wie viel Teilnahme die dort behandelten Fragen heute im deutſchen Volke finden. Wir haben doch augen— ſcheinlich nicht ganz aufgehört, das Volk der Denker zu ſein. Meinen herzlichen Dank aber möchte ich allen denen ſagen, welche in Wort und Schrift für das Buch und die Sache kräftig und freundlich eingetreten ſind; ich hoffe auf ein weiteres förderliches Zuſammenwirken für die un- abweisbaren Ziele.

Jena, Anfang Februar 1914 Rudolf Eucken

N 14 9 i 1 W * * * Br 7 1 . in Er X } DE *

bun Nad le, Nauen e er ae LTR A Pie kann

Mei, 1 BET ch a inn | 15 Digitized by the Internet

in 2010 with funding Um en n Of 1

uns

. N i re WII mE 1 N = il eee ee

tp 7 ² p. ArCHIVe. org / details / zursammiungdergeo

Inhalt

Vorwort

Die Lage der Gegenwart A 8 Die Größe der deutſchen Leiſtung. Die Gefährdung, der Inner⸗ lichkeit. Der Stand der Religion und der Philoſophie. Philo⸗ ſophie, Erziehung, Literatur. Der Mangel an moraliſcher Kraft. Ethiſche Gefahren. Unſicherheit über die Hauptrich— tung. Sichtbare und unſichtbare Welt. Größe und Schranke des Menſchen. Das Ideal der Kraftſteigerung. Reflektierende Art des Deutſchen.

Das Suchen eines Haltes .- - 26

Forderung eines Tatbeſtandes. Zweiheit im e Wesen Größe und Eigentümlichkeit der deutſchen Arbeit. Arbeit und Innenkultur. Die deutſche Innerlichkeit in der Religion. Die deutſche Religionsphiloſophie. Religion und Wiſſenſchaft bei den Deutſchen. Die deutſche Innerlichkeit in der Philoſophie. Die deutſche Innerlichkeit in der Erziehung. Die deutſche Innerlichkeit in Erziehung und Kunſt. Die deutſche Inner— lichkeit in der Kunſt. Das deutſche Suchen eines neuen Lebens. Der deutſche Auf bau eines neuen Lebens. Die Ent: faltung einer Innenwelt. Deutſche Schätzung der Perſönlich— keit und Individualität. Hangen des Deutſchen am Weltge— danken. Wahrhaftigkeit und Freiheit als Grundpfeiler deut— ſchen Lebens. Deutſches Verhalten zur Welt der Erfahrung. Geſamtbild des deutſchen Lebens. Deutſcher, griechiſcher und indiſcher Idealismus. Deutſche, indiſche und chriſtliche Art. Arbeit und Schaffen im deutſchen Leben. Deutſche Verbin— dung von Schaffen und Arbeit. Der Deutſche ſich ſelbſt ein Ideal.

Inhalt | Die Forderung der Gegenwart.. 80

Heutiger Widerſpruch in der Lebensrichtung. Ein Entweder oder in der heutigen Lage. Der Widerſpruch der Zeit gegen die deutſche Art. Die deutſche Überwindung des bloßen Kraft⸗ ideals. Der Menſch und die Welt nach deutſcher Faſſung. Heutige Bewegung nach mehr Tiefe. Notwendigkeit einer Konzentration. Größe, Feſtigkeit, Freudigkeit des deutſchen Lebens. Ausgehen vom Leben. Scheidung von Geiſteskultur und Menſchenkultur. Verhältnis von Religion und imma— nentem Idealismus. Bedeutung und Schranke der Zeit. Ge: ſtaltung des Verhältniſſes von Menſch und Welt. Geftal- tung des Verhältniſſes von Natur und Geiſt. Geſtaltung des Verhältniſſes von Zeit und Ewigkeit. Forderung einer zeitüberlegenen Gegenwart. Individuum und Geſellſchaft. Form und Gehalt der Kultur. Notwendigkeit eines neuen Standorts. Forderung eines Neuidealismus.

122

Die Pflicht der Zeicgenoſſen , ie Pflicht jedes Einzelnen. Notwendigkeit einer Scheidung. Notwendigkeit eines Kampfes nach zwei Seiten. Notwendig⸗ keit des Weltproblems. Ablehnung des Monismus. Ab⸗ lehnung des Subjektivismus, ſowie ſtarrer Verengung. Ab: lehnung des Aſthetizismus und der „neuen Moral“. Reli:

giöſer Zug des deutſchen Weſens. Aufrechterhaltung des Lebensglaubens gegenüber flacher Verneinung. Ernſt und Größe des Kampfes. Notwendigkeit eines Zuſammen⸗

ſchluſſes. Schluß wort. Regiſter

VIII

Die Lage der Gegenwart

err Blick unſeres Volkes war in dieſem Jahre

\ 0 rückwärts gekehrt und der großen Zeit zuge— 905 IS 7 wandt, die nun hundert Jahre hinter uns liegt. Mit Stolz und Freude durften wir uns in dieſe Zeit verfegen, in der zum erſtenmal das deutſche Volk ſelbſtändig eine große nationale Bewegung aufnahm, ſich aus kläglicher Lage erhob und in Verbindung von mora— liſchem Ernſt und geiſtiger Kraft ungeheure Hemmungen draußen und drinnen überwand. Es war ein Triumph des deutſchen Volkes, es war zugleich ein Triumph des Geiſtes. Aber die Vergangenheit darf nicht bloß ein Gegen— ſtand müßiger Betrachtung bleiben, wir müſſen von ihr auch für unſer eignes Leben gewinnen, und der Gedanke daran treibt zwingend dazu, dieſes Leben mit dem jener Zeit zu vergleichen, ſowie zu prüfen, ob wir die dort errungene Größe wahrten und das Leben geiſtig weiterführten, oder ob wir ermatteten und zurückgegangen ſind.

Richten wir den Blick auf die Welt um uns und auf unſer Wirken zu ihr, ſo finden wir uns augenſcheinlich in ſicherem und großem Gewinn, in überaus wichtigen Ge— bieten hat gegen jene Zeit ſich ein gewaltiger Fortſchritt vollzogen. Wir haben die damals erſt erſehnte politiſche Einheit erreicht und mit ihrer Entwicklung zugleich Macht in der Welt errungen; faſt noch mehr wuchs unſere wirt— ſchaftliche Leiſtung, und es gewinnt unſere Induſtrie, der

1 1

Die Lage der Gegenwart

die enge Verbindung mit der Wiſſenſchaft eine bewunde— rungswürdige Präzifion und einen ſyſtematiſchen Charak⸗ ter verleiht, immer mehr eine führende Stellung. Die deutſche Wiſſenſchaft aber, die damals auf manchen Ge: bieten hinter der anderer Völker zurückſtand, hat ſich jetzt gewaltig entwickelt, ſie hat in methodiſcher Arbeit ſich alle Lebensgebiete unterworfen und ſich in unermüdlichem Wir⸗ ken vom unendlich Großen bis ins unendlich Kleine aus— gedehnt, fie hat uns nicht nur im Einzelnen Punkt für Punkt bereichert, ſondern ſie hat uns auch ein klareres Bild vom Ganzen der Welt und von unſerer Stellung in ihr gegeben, hier gehen wir unbeſtreitbar der ganzen Menſchheit voran. Auch in der näheren Durchbildung des Lebens blieben wir nicht zurück. Unſere Verwaltung wahrt ſich den alten Ruf der Treue, Sorgfalt und Tüchtig— keit, indem ſie ſich unabläſſig auf weitere Gebiete ausdehnt; ſie hat ſich auch all den Aufgaben gewachſen gezeigt, welche das Streben nach einer gründlichen Beſſerung der ſozialen Lage mit ſich brachte. Auch in der Sorge für Erziehung und Unterricht übertrifft uns kein anderes Volk, wir ſind nicht nur bereit dafür wachſende Opfer zu bringen, ſondern wir ſuchen zugleich die Bildung immer weiteren Klaſſen zuzuführen, und wir erweiſen auch dabei ein großes Ge— ſchick der Organiſation. Daß endlich unſer Heer eine füh— rende Stellung einnimmt, uns nach außen ſchützt 1

innen eine gewaltige Kraft der Erziehung ausübt, daran

D

Die Größe der deutſchen Leiſtung

brauchen wir nicht erſt zu erinnern. Gewiß iſt in dem allen unſere Leiſtung nicht frei von Mängeln und Fehlern, und es möchte ſicherlich der eine dieſes, der andere jenes erheb— lich anders wünſchen, aber Unvollkommenheit iſt nun ein— mal das Los aller menſchlichen Dinge; wenn wir die Lei— ſtungen ins Ganze faſſen und als Ganzes ſchätzen, ſo dürfen wir ſicherlich ſtolz auf das ſein, was unſer Volk in dem abgelaufenen Jahrhundert aus ſich gemacht hat, und was es heute noch leiſtet. Es liegt ein großartiges Schauſpiel in der deutſchen Arbeit vor, wie ſie die verſchiedenen Kräfte verbindet und zu großem Wirken befähigt, wie ſie unab— läſſig vordringt und keine Schranken zu kennen ſcheint, wie ſie den Menſchen ſeiner Umgebung überlegen macht und ihm zugleich ein ſtolzes Kraftgefühl gibt.

Alles das läßt erwarten, daß eine friſche und freudige Lebensſtimmung unſer ganzes Volk durchdringe und es vertrauensvoll von großer Vergangenheit zu noch größe— rer Zukunft fortſchreiten laſſe. Aber unleugbar fehlt eine ſolche Stimmung. Wir finden vielmehr bei Betrach— tung des Ganzen der Lebenslage und der Lebensſchätzung viel Zweifel und Unſicherheit, wir finden die Neigung weit verbreitet, an den Dingen mehr die Schranken und Feh— ler als das Große und Gute zu ſehen, über dem Haften am einzelnen Eindruck das Ganze ungewürdigt zu laſſen, bei Kritik und Verneinung zu bleiben und ſich dadurch die ee Freude auch an unbeſtreitbaren Erfolgen zu ſtören;

1 3

Die Lage der Gegenwart dazu finden wir uns bei allen prinzipiellen Fragen in arger Spaltung, und verlieren wir über ſolcher Spaltung die Sicherheit und Freudigkeit des eigenen Beginnens. Mögen das zunächſt bloße Stimmungen ſein, auch Stimmungen laſſen ſich nicht wegdekretieren, auch ſie wollen als Tatſachen behandelt und gewürdigt ſein; ſo gilt es zu verſtehen, wie es kommt, daß inmitten ſo glänzender Erfolge und eines fo ſicheren Fortſchritts in dieſen Erfolgen das Ganze un: ſeres Lebens ſo viel Unbehagen und ſo viel Ungewißheit zeigt.

Nun läßt jede nähere Erwägung alsbald erſehen, daß, fo ausgedehnt, ja grenzenlos jene Leiſtungen auf ihrem eig- nen Gebiete ſind, ſie doch innerlich eine Grenze haben, innerlich alle miteinander eine beſondere Richtung verfolgen; es iſt das aber die Arbeit als Wirken am Gegenſtand und als Unterwerfung der Welt unter die Macht des Men— ſchen. Das iſt ſicherlich etwas Großes und Unentbehrli— ches, aber es erfchöpft nicht das ganze Leben des Menſchen und befriedigt ihn daher nicht vollauf. Denn mit Recht ſagt ein deutſches Wort, daß der Menſch mehr iſt als ſeine Arbeit. Die Arbeit hat in aller Größe die Schranke, daß ſie die Tätigkeit allein auf den Gegenſtand richtet und bei dem Gegenſtand feſthält, ſie kehrt nicht zur Seele zu— rück und kümmert ſich nicht um ihren Stand; ſie hat auch darin eine Schranke, daß ſie bei ſteigender Kultur ſich immer weiter verzweigt und daher einen immer geringeren

Die Gefährdung der Innerlichkeit Teil der ſeeliſchen Kräfte in Tätigkeit ſetzt. So iſt der Fortſchritt der Arbeit noch nicht ein Gewinn für das Ganze der Seele, vielmehr kann dieſes bei allem Fortſchritt verarmen. Eine ſolche Verarmung aber läßt ſich für die Dauer unmöglich ertragen, die unterdrückte Innerlichkeit bricht ſchließlich aus aller Hemmung hervor und fordert zwingend ihr Recht. Sie kann es aber nur finden durch die Entwicklung einer ſelbſtändigen Innenwelt, zu der es ſowohl geiſtigen Schaffens als moraliſcher Kraft bedarf. An dieſer Stelle aber liegt heute der Punkt unſerer Schwäche. Wir können nicht leugnen, daß wir hier die vor hundert Jahren erreichte Höhe nicht wahrten, und daß wir auf all den Gebieten, die hier in Frage kommen, wohl in eifrigem Mühen und Suchen, nicht aber in ſicherem Schaffen und Vordringen begriffen find. Zugleich müſſen wir aner- kennen, daß während früher eine gemeinſame geiſtige At— moſphäre die Individuen bei aller Mannigfaltigkeit um⸗ fing und zuſammenhielt, jetzt die Beſtrebungen weit aus⸗ einandergehen bis zu völligem Gegenſatz. So bei allem Zuſammenhalt der Arbeit eine Zerſtreuung und Zerſplit— terung in all den Gebieten, die den ganzen und inneren Menſchen betreffen.

So erweiſt es am deutlichſten wohl das Gebiet der Reli— gion. In jener Zeit war es ein idealiſtiſch geſinnter Hu— manismus, der die Gemüter verband und ihnen inmitten des Lebens ein Ewiges und Unendliches gegenwärtig hielt,

Die Lage der Gegenwart dem dabei eine freiere Stellung zur Geſchichte es geſtattete, Gegenwart und Vergangenheit unmittelbar zu verbinden und allen überlieferten Beſtand ins Reinmenſchliche und Univerſale umzuſetzen. Jetzt dagegen iſt alle innere Einheit verſchwunden, und was unſer Leben an Gegenſätzen birgt, das tritt nun in voller Schroffheit hervor. So hat im be— ſonderen der Fonfeffionelle Gegenſatz, der damals innerlich überwunden oder doch ſehr gemildert war, eine gefährliche Spannung erreicht, Katholizismus und Proteſtantismus befehden ſich leidenſchaftlich, und hier wie da iſt oft der Kampf gegen den anderen die ſtärkſte Triebkraft des Wir⸗ kens. Dabei iſt der Katholizismus in großer Gefahr, ſich zu verengen und in bloße Werktätigkeit zu verfallen, der Proteſtantismus aber in der, tiefere Zuſammenhänge auf: zugeben und zugleich ſich ſehr zu zerſplittern. Die Probleme verſchärfen ſich weiter durch eine neue Behandlung der Geſchichte, welche uns das Eigentümliche und zugleich das Unterſcheidende der einzelnen Zeiten deutlich vor Augen rückt und daher ein leichtes Überfließen von der einen Zeit zur anderen verbietet. Zugleich erſchüttert die hiſtoriſche Kritik die Grundlagen deſſen, was früher als Hauptbeſtand des religiöſen Glaubens galt; ſelbſt wenn ſie nicht mit der Verneinung abſchließt, ſo zerſtört ſchon die Diskuſſton die Selbſtverſtändlichkeit der Überzeugung, worauf die Reli— gion nicht verzichten kann. So iſt es ganz wohl begreiflich, daß die Religion, welche damals in jenem freieren Sinne

Der Stand der Religion und der Philofophie einen gemeinſamen Beſitz des deutſchen Volkes bildete, jetzt von vielen Seiten ernftlich angegriffen wird, nicht bloß in dieſem oder jenem Punkt, ſondern im Ganzen ihres Be— ſtandes, und nicht aus frivoler Freigeiſterei wie oft in frü— heren Zeiten, ſondern aus einer ernſtlichen Sorge um die Wahrhaftigkeit unſeres Lebens. Dieſe Verneinung dringt heute raſch in immer weitere Volksſchichten ein und zer— ſtört damit immer mehr den inneren Zuſammenhang, den die Religion uns früher gab. Das alles bedeutet aber keineswegs einen Mangel an religiöſem Intereſſe, es iſt vor— handen, in hohem Grade vorhanden und oft ſelbſt in der Verneinung deutlich erkennbar, es bewegt die Gemüter heute vielleicht in höherem Maße als zu jener Zeit, aber es führt uns nicht zu einem großen Schaffen, das alle Bedenken niederſchlägt und alle Widerſtände überwindet; nicht einmal über die Hauptrichtung des Suchens ſind wir einig, wir arbeiten nicht ſowohl miteinander, als neben: einander, ja gegeneinander.

Eine vielfach verwandte Lage zeigt die Philoſophie, ob— ſchon ſie naturgemäß weniger in das gemeinſame Leben eingreift. In wichtigen Punkten iſt ſie heute jener Zeit voraus. Sie iſt weit beſſer über die Vergangenheit orien— tiert, wie ungenügend, ja ſchief waren z. B. die Vor— ſtellungen eines Kant von der alten Philoſophie —, ſie hat überhaupt weit mehr Wiſſen, wie ärmlich war z. B. nach unſeren Maßen das Wiſſen eines Fichte —, fie ſteht

T

Die Lage der Gegenwart in weit engeren Beziehungen zu den einzelnen Wiſſen— ſchaften und ſucht ſich durch die Verbindung mit ihnen eine breitere Baſis zu geben. Sie hat mehr Umſicht, mehr Weite, mehr kritiſche Beſonnenheit. Aber alle Tüchtig⸗ keit deſſen, was fie an Arbeit hier leiſtet, gewährt keinen Erſatz für den Mangel ſelbſtändigen Schaffens, den ſie verglichen mit jener Epoche zeigt. Denn ihr fehlen einfache Grundwahrheiten, welche die Welt erleuchten, ſie eröffnet keine neue Lebenstiefen, welche das Ganze der Menſch— heit fördern; ſobald ſie einen Geſamtbau wagt und einen letzten Abſchluß verſucht, gerät ſie in Abhängigkeit von der Vergangenheit und bindet ſie ihr Denken an dieſe. Nun hat aber das 19. Jahrhundert fo viel Neues gebracht und gegen jene Zeit unſere Lage ſo verändert, daß die Ge— genwart notwendig eine eigene Philoſophie entwickeln und ihre eigene Art an den großen Problemen ausdrücken müßte. Dabei herrſcht auch auf dieſem Gebiet eine ſtarke Zer— ſplitterung, verſchiedene Ausgangspunkte werden gewählt, derſchiedene Richtungen eingeſchlagen, ein Überwiegen von Scharfſinn und Reflexion läßt es nicht zur Bildung großer, von einem einheitlichen Ziel beherrſchter Gedanken— welten kommen, wir gelangen nicht unter den Zwang einer überlegenen Notwendigkeit. Dabei ſei vollauf anerkannt, daß das Intereſſe an den philoſophiſchen Fragen wach und in unabläſſigem Wachſen iſt, es nehmen heute weit größere Kreiſe an der Bewegung teil als in der alten Zeit, nur

8

Philofophie, Erziehung, Literatur | verhilft uns alles Intereſſe nicht zu gemeinſamer Überzeu— gung und zu ſchöpferiſchen Ideen.

Ahnlich ſteht es auf dem Gebiet der Erziehung, auch hier entſprechen ſich keineswegs geiſtige Arbeit und begrün— dendes Schaffen. Alle Fülle von Eifer und Leiſtung, von Hingebung und Opferwilligkeit kann nicht verdecken, daß es uns heute an eigenen leitenden Ideen, an einem Ideal des ganzen Menſchen in hohem Grade gebricht. Verſuche zur Verbeſſerung fehlen wahrlich nicht, ja wir erſticken faſt in Reformtheorien, aber für die Hauptziele bleiben wir auf die Ideale vergangener Zeiten, namentlich auf den Neuhumanismus, angewieſen. Alle Achtung und Chr: erbietung vor Männern wie Peſtalozzi, Herbart und Frö— bel, aber es iſt doch nicht zu verkennen, daß die Lage der Menſchheit und die Lebensaufgaben ſich ſeitdem gewaltig verändert haben.

Auch die ſchöne Literatur und die Kunſt teilen dieſe Probleme: auch hier viel Intereſſe, auch hier viel Rührig— keit und viel Einzelgewinn, ein Vordringen in Form— gewandtheit und in ſicherer Beherrſchung des Ausdrucks, ein Vordringen auch in der Heranziehung immer neuer Stoffgebiete, aber nicht ein Schaffen, welches die ungeheure Spannung der Gegenwart zu angemeſſenem Ausdruck brächte und durch die künſtleriſche Geſtaltung dem ſchwe— ren Druck der Dinge befreiend und erhöhend entgegen— wirkte. Die Menſchheit iſt heute in voller Unſicherheit

Die Lage der Gegenwart über den Sinn ihres Lebens, dabei ift das Leben felbft immer ſchwerer geworden, es gilt einen ſehr harten Kampf um unſer Daſein zu führen, zugleich ſteht die Verwicklung der menſchlichen Lage und auch die Tragik des menſch— lichen Geſchicks uns heute klar vor Augen. Inzwiſchen verweilt das literariſche Schaffen überwiegend innerhalb der Sphäre des Menſchen, es behandelt die verſchiedenen geſellſchaftlichen Lagen, die mannigfachen Beziehungen der Individuen zueinander, es erörtert mit beſonderer Vorliebe das Verhältnis der beiden Geſchlechter, es unterhält und belehrt damit mannigfach, es iſt ſtark darin, einzelne Ein— drücke und Stimmungen eindringlich wiederzugeben, aber es wirkt wenig zum Ganzen der Seele, und es rüttelt nicht ihre Tiefen auf. Dabei leidet es ſchwer unter dem Mangel einer gemeinſamen geiſtigen Atmoſphäre, welche Schaffende und Empfangende miteinander verbindet und jene eine ſichere Reſonanz in der Seele dieſer finden läßt; dies iſt eine Hauptbedingung der Bildung eines charakteriſtiſchen Stils; wie können wir einen ſolchen Stil gewinnen, wenn unſer gemeinſames Leben einer inneren Einheit entbehrt?

Zu ſolcher Unſicherheit des geiſtigen Schaffens auf den verſchiedenen Hauptgebieten geſellt ſich ein Mangel an moraliſcher Kraft und Tiefe. In jener früheren Zeit er- zeugte die ſchwere Not einen großen Ernſt, ſie erweckte eine gewaltige Kraft und trieb die einzelnen zu freudiger Hin— gebung und zu ſchwerſten Opfern für die Geſamtheit. Die

10

Pflichtidee, die im preußiſchen Staat eine gewiſſe Ver— körperung gefunden hat, war durch Denker wie Kant und Fichte ins Allgemeinmenſchliche gehoben und jedem einzel— nen nahe gebracht. Die ethiſche Aufgabe bildete hier den Kern einer großen Gedankenwelt, und aus ſolchem Zu— ſammenhange fand ſie die Kraft, den Menſchen bei ſich ſelbſt zu befeſtigen und ihm als Träger einer neuen Ord— nung eine unvergleichliche Größe und Würde zu geben. Jetzt liegt nicht nur die Spannung jener Zeiten weit hinter uns, ſondern es find auch die Zuſammenhänge aufgelöft oder doch ſehr geſchwächt, welche damals die ethiſche Auf— gabe trugen; unſer Tun hat immer mehr alle Welt⸗ zuſammenhänge aufgegeben und ſeine Aufgaben lediglich im eigenen Bereich des Menſchen geſucht. Demgemäß wird das moraliſche Handeln vornehmlich auf den bloßen Menſchen gerichtet, auf den Menſchen, wie die Erfahrung ihn zeigt, es findet ſeine Ziele lediglich im Verhältnis von Menſch zu Menſch, die Moral geſtaltet ſich damit aus- ſchließlich zur Sozialethik, zum Altruismus. Nun ſei vollauf anerkannt, was in Entwicklung dieſer ſozialen Ethik die Zeit geleiſtet hat, und was ſie in ſteigendem Maße leiſtet. Ihr hilfreiches Wirken bleibt keineswegs auf die bloßen Individuen beſchränkt, ſondern es ergreift auch die allgemeinen Verhältniſſe und ſucht überall der Not und

dem Elend zu ſteuern, das Schwache zu ſtärken, das Auf— kae zu heben, überhaupt mehr Wohlwollen und

Die Lage der Gegenwart Freudigkeit in das menſchliche Daſein zu bringen, auch mehr das Bewußtſein einer gegenſeitigen Verantwortlich⸗ keit zu entwickeln. Aber auch hier liegt die Stärke mehr in der Expanſton als in der Konzentration, mehr in der Förderung in äußeren Dingen als in innerer Weiter⸗ bildung und in der Kräftigung der geſamten Perfönlich: keit. Die Sorge um die Bedingungen des Lebens verdrängt leicht die um ſeinen Gehalt. So ſchätzbar dieſe Moral daher auf ihrem beſonderen Gebiete iſt, ſie vermag nicht das Ganze des Lebens zu führen. Wo ſie das unternimmt, da entſteht die Gefahr eines Mangels an Kraft und Härte, die Gefahr einer Uberſchätzung des bloßen Individuums und einer weichlichen Anpaſſung an feine Beſonderheit. Über der Sorge darum, daß das Individuum nur ja keinen Schaden erleide, wird das Recht des Ganzen vergeſſen, vergeſſen auch, daß im Individuum meiſt Gutes und Böſes durcheinander liegt, und daß einen geiſtigen Cha- rakter ihm nicht die bloße Natur, ſondern erſt geiſtige Arbeit zu geben pflegt. Leicht ſinkt dabei die Energie der Beurteilung, es unterbleibt alles Sichten und Sondern, das Leben wird auf das Niveau des Mittelmäßigen herab⸗ gedrückt. Die Verneinung aller Macht, die dem Men⸗ ſchen überlegen und zugleich ſeinem Innern gegenwärtig iſt, nimmt der Pflichtidee alle Schärfe und alle aufrüttelnde Kraft; dabei iſt kein Platz für Ehrfurcht, von der doch Goethe ſagt, daß fie erſt den Menſchen vollauf zum

12

Ethiſche Gefahren Menſchen mache; aus der Weichheit kann leicht eine Schlaffheit werden. Vor allem aber iſt diefe foziale Ethik bei aller Vortrefflichkeit der einzelnen Leiſtungen als Ganzes bei weitem nicht den gewaltigen moraliſchen Gefahren der Gegenwart gewachſen. Eine ſolche Gefahr liegt zunächſt in der Fülle der Genüſſe und der Lockerung aller feſten Verhältniſſe, welche alle hochentwickelte Kultur zu bringen pflegt. Immer mehr Lockungen und Reize, immer weniger Widerſtände und Hemmungen, immer mehr Aufwuchern eines raffinierten Epikureismus, der einen gewiſſen Ge— ſchmack entwickelt und ſich mit dem Schein der Freiheit umkleidet, der aber mit der Laxheit feiner Denkart und ſeiner Verherrlichung aller Schwäche unverkennbar die innere Kraft untergräbt und am Mark des Volkes zehrt. Und es erſcheint bei uns viel zu wenig Energie in der Zurückweiſung ſolcher Denkart, wir nehmen leicht wie ein unabwendbares Schickſal hin, wogegen wir uns auflehnen könnten und auflehnen müßten; wir ſind ſchwächlich auch im Wollen des Rechten. Auch die Geſtaltung der mo— dernen Arbeit wirkt inſofern wenig günſtig, als ſie alle Hemmungen aufhebt, welche die größere Geſchloſſenheit und die perfönlichere Art früherer Zeiten der Willkür und den niederen Trieben des Individuums entgegenſetzten; wie ſehr iſt in dieſer Hinſicht die Macht der Familie, der per— ſönlichen Arbeitsgemeinſchaft, der zuſammengehörigen Ge— meinde geſunken! Zugleich erfahren wir eine gewaltige

13

Die Lage der Gegenwart

Verſchärfung des Kampfes ums Daſein und mit ihr ein Wachstum von Selbſtſucht und Machtbegier. Wäh⸗ rend früher das menſchliche Streben mehr in begrenzten Kreiſen verlief, tun ſich ihm jetzt unendliche Ausblicke auf und treiben es über alle Schranken hinaus. Solche Entwicklungen ſind nicht zurückzunehmen, wir müſſen mit ihnen rechnen. Wohl aber wären Gegenwirkungen gegen ſie möglich, ſie ließen ſich aber nur erreichen von leben— umfaſſenden Zielen aus, die die tiefſte Seele bewegen und das Streben der Individuen verbinden könnten. Solche Ziele werden unter uns wohl geſucht, mit Eifer und beſter Geſinnung geſucht, aber auch hier kommt das menſchliche Unternehmen nicht unter die Macht und die Führung einer geiſtigen Notwendigkeit.

So kann kein Zweifel daran ſein, daß wir bei den Fragen der inneren Bildung und des ganzen Menſchen die frühere Zeit bei weitem nicht erreichen. Der Höhe der Arbeitskultur entſpricht heute nicht die der Innenkultur. Nun wäre es freilich in hohem Grade unbillig, von jeder Zeit eine ſolche Fülle ſchaffender Geiſter zu fordern, wie unſere klaſſiſche Literaturepoche ſie bot. Ein derartiges Schaffen erfolgt nur unter beſonderen Umſtänden, an Knotenpunkten der Weltgeſchichte, an Sonn- und Feſt⸗ tagen, welche naturgemäß raſch vorübergehen und nicht ſo bald wiederkehren. Aber was von jeder Zeit verlangt werden muß, das iſt eine Hauptrichtung ihres Strebens,

Unſicherheit über die Hauptrichtung die Unterordnung aller mannigfachen Betätigung unter ein beherrſchendes Ziel; erſt damit gewinnt die Zeit einen eigentümlichen Geſamtcharakter. Daß uns ein ſolcher fehlt, das iſt es, was die heutige Lage ſo unſicher macht und uns bei aller Verbindung durch die Arbeit innerlich ſo weit auseinandertreibt.

Wie das aber gekommen iſt, läßt ſich ohne Mühe er— ſehen. Die Lebensordnung der klaſſiſchen Zeit ward durch die realiſtiſche Bewegung des 19. Jahrhunderts weit zurückgedrängt und verlor ihre herrſchende Stellung; aber auch die Schranken des Realismus konnten dem Deutſchen nicht lange verborgen bleiben, ſo erhob ſich ihm gegenüber wieder ein Verlangen nach Innenkultur. Aber die Be— friedigung dieſes Verlangens erweiſt ſich uns als überaus ſchwer. Eine einfache Wiederaufnahme des klaſſiſchen Lebensideals iſt ſchlechterdings unmöglich, die Entwicklung des 19. Jahrhunderts und ſein geſchichtliches Bewußtſein ſtellt uns viel zu deutlich vor Augen, daß jenes Lebensideal geſchichtliche Zuſammenhänge und prinzipielle Voraus— ſetzungen hat, die nicht für die Gegenwart gelten. Eine durch die Erfahrungen von Jahrhunderten geſammelte Innerlichkeit befreite ſich damals von der bisherigen reli— giöſen Bindung, ohne freilich damit alles Verhältnis zur Religion aufzugeben, und ergoß ſich, verſtärkt durch ein künſtleriſches Element, über die ganze Weite des Lebens, in alle einzelnen Gebiete Bewegung und Veredlung tra—

Die Lage der Gegenwart gend. Ein freudiges Lebensgefühl befeelte hier alles Tun, der Menſch ſtand in ſicherem Zuſammenhange mit den Gründen der Wirklichkeit, ja er durfte als ihr Vollender gelten; eine Vernunft des Ganzen ſchien hier außer Zwei— fel geſtellt, auch die Natur erſchien ganz und gar als ein Reich der Ordnung und Schönheit; vor der künſt⸗ leriſchen oder ſpekulativen Verbindung mit dieſer herr- lichen Welt und der davon erwarteten inneren Bildung traten alle Aufgaben des menſchlichen Zuſammenſeins weit zurück. Gewiß find von ſolchen Überzeugungen aus Ewig⸗ keitswerte geſchaffen, die für alle Zeiten Geltung behalten, und die uns in höchſten Ehren ſtehen ſollen. Aber im Ganzen feſthalten wollen könnte jene Zeit nur jemand, dem aller Blick für die gewaltigen Umwälzungen des 19. Jahr⸗ hunderts fehlt; wer dieſe würdigt, der wird zugleich an— erkennen, daß wir auf einem weſentlich veränderten Boden ſtehen, und daß wir von ihm aus neu unſere Ziele zu ſuchen haben; wir würden unwahr gegen uns ſelber wer— den, wollten wir die Gedankenwelt unſerer Klaſſiker in Bauſch und Bogen zu unſerem Bekenntnis erheben. Aber nun können wir uns der Tatſache nicht entziehen, daß wir gegenüber all den Eindrücken und Erfahrungen, die von den verſchiedenſten Seiten auf uns eindringen, noch keine ende Selbſtändigkeit gewonnen haben, daß jene Ein⸗

drücke weit mehr uns als wir ſie bezwingen; ſo müſſen wir 2 der Verſchiedenheit unſerer Stellung und Lebenslage

16

Unficherheit über die Hauptrichtung weit auseinandergehen, ſo gewinnt freiſchwebende Reflexion einen ungebührlichen Raum, ſo lenkt uns nicht eine über⸗ legene Notwendigkeit, ſo ergeben ſich alle die Schranken und Mängel, die wir bei den einzelnen Gebieten gewahrten.

So befinden wir uns heute in einer verwickelten und ſchwierigen Lage. Eine hohe Blüte der Arbeitskultur und eine ſtarke Unfertigkeit der Innenkultur treffen bei uns zu— ſammen, jene Arbeitskultur beherrſcht unſer Wirken, aber dies Wirken befriedigt uns nicht, wir verlangen mehr Innenkultur. Aber wir finden für ſie kein deutliches Ziel und keine ſichere Bahn; ſo faßt ſich das Leben uns nicht zu einer Einheit zuſammen, wir vermögen ihm nicht einen beherrſchenden Mittelpunkt zu geben, wir erlangen kein inneres Gleichgewicht und keinen widerſpruchsfreien Lebens⸗ typus.

Es iſt begreiflich, daß ſolche Mängel beſonders den fremden Völkern ins Auge fallen; ſo hören wir heute viel Tadel gegen die Deutſchen, viel Klage über die Unaus— geglichenheit ihrer Art und ihres Benehmens. Aber jede eingehende Betrachtung und jede gerechte Würdigung hat anzuerkennen, daß die Hauptſchuld der Unſicherheit und der Verwicklung nicht bei den Deutſchen liegt, ſondern bei der weltgeſchichtlichen Lage der geſamten modernen Menſchheit. Große Wandlungen haben ſich in unſerem Leben vollzogen, ſie haben die alten Ideale erſchüttert und vielfach unzulänglich gemacht, ſie trieben neue hervor, die

Die Lage der Gegenwart

zeitweilig die ganze Kraft und Überzeugung der Menſch— heit gewannen. Aber wir ſehen nun bei uns ſich einen Umſchlag vollziehen, eine innere Dialektik wirken, welche die Bewegung der Weltgeſchichte nicht ſelten zeigt: die Bewegungen erweiſen eben dadurch, daß ſie zu voller Ent— wicklung gelangen, ihre Grenze und ihre Schwäche; ſo geht aus dem Siege ſelbſt eine Niederlage hervor. In dieſer Weiſe haben auch die modernen Ideale in ihrer vollen Durchſetzung zugleich ihre Grenze gezeigt, mehr und mehr überzeugen wir uns, daß ſich unmöglich bei ihnen abſchließen läßt. So treibt es uns vielfach zum Alten zurück und zur Anerkennung bleibender Wahrheit in ihm, aber zugleich kann darüber kein Zweifel ſein, daß es ſich in der früheren Geſtalt nach den großen Wandlungen der Zeiten unmöglich wiederaufnehmen läßt. Daher ſtehen wir un— entſchieden zwiſchen dem Neuen, das wir feſthalten müſſen, und das uns doch nicht genügt, und dem Alten, von dem wir uns nicht völlig trennen mögen, deſſen Wahrheits— gehalt ſich uns aber nicht deutlich genug von anhaftender Irrung abhebt. Alle Hauptpunkte des Lebens zeigen einen ſolchen verworrenen Stand der Dinge.

So find wir nicht bloß als Deutſche, ſondern als mo— derne Menſchen darüber ins Schwanken geraten, ob der Hauptſtandort unſeres Lebens in der ſichtbaren oder in einer unſichtbaren Welt zu ſuchen ſei; bald zieht es uns mehr nach der einen, bald mehr nach der andern Seite.

18

e

Sichtbare und unſichtbare Welt Zu Beginn der Neuzeit herrſchte unangefochten die reli- giöſe Lebensordnung mit ihrer weltüberlegenen Innerlich⸗ keit. Aber die Geſamtbewegung der Neuzeit trieb zur ſicht⸗ baren Welt, ſie hat das Leben immer mehr in dieſe hin⸗ eingelegt. War die Renaiſſance geneigt, das Göttliche unſerer Welt anzunähern und ſeine Gegenwart in ihr zu erkennen, ſo ſuchte der Pantheismus Sichtbares und Un⸗ ſichtbares in eine einzige Welt zu verſchmelzen und ein Un⸗ ſichtbares nur in Verbindung mit einem Sichtbaren gel⸗ ten zu laſſen; endlich aber drängte der Poſitivismus des 19. Jahrhunderts dahin, alles Unſichtbare als bloßmenſch⸗ liche Zutat auszuſcheiden und die ſichtbare Welt als den Jubegriff aller Wirklichkeit zu behandeln. Aber nun kam bald zur Erfahrung und Empfindung, daß die durch jahr⸗ tauſendlange Arbeit geweckte und geſtärkte Innerlichkeit ſich nicht ohne weiteres aufheben läßt. Sie war doch mehr als ein Erzeugnis menſchlicher Einbildung, ſie hatte neue Größen und Güter mit ſich gebracht, ja den Schwerpunkt des Lebens an ſich gezogen; ſo verſchwand ſie nicht einfach vor der neuen Lage, ſondern fie verblieb und verlangte Be- friedigung. Daß eine ſolche aber in der ſichtbaren Welt nicht erreichbar war, das mußte um ſo mehr erſichtlich werden, je mehr dieſe Welt auf ihr eigenes Vermögen zurückgeführt und aller Ausſchmückung entkleidet wurde, welche das Fortwirken älterer Denkweiſen ihr lange Zeit noch verlieh. So drängte das Leben über den Abſchluß

Die Lage der Gegenwart bei der ſichtbaren Welt hinaus und erzeugte ein wachfen- des Verlangen nach mehr Tiefe der Wirklichkeit und nach einer auf Gedankenarbeit gegründeten Welt. Aber beim Suchen nach einer ſolchen erſcheinen ungeheure Schwierig— keiten, alle Aufbietung von Scharfſinn und Reflexion gibt jener Welt nicht die Sicherheit, nicht die Gelbftverftänd- lichkeit, die ſie haben müßte, um den Hauptſtandort des Lebens bilden zu können. So bleibt unſere Lage die, daß die ſichtbare Welt uns nicht mehr genügt, eine unſichtbare aber ſich nicht ſicher dartun und nahebringen läßt. Ahnliche Schwierigkeiten erfährt im modernen Leben der Menſch ſelbſt, ſobald er über ſeine eigene Stellung im All und über den Sinn und Wert feines Lebens nach: zudenken beginnt; auch hier liegen merkwürdige Wand⸗ lungen vor. Hatten lange Zeiten dem Menſchen vor: nehmlich ſeine Kleinheit und Schwäche eingeprägt, ſo gab die Neuzeit ihm eine hohe Schätzung und ein ſtolzes Selbſtgefühl; das 18. Jahrhundert namentlich konnte ſich nicht genug darin tun, die Größe und Würde des Men⸗ ſchen zu preiſen; das 19. aber machte in der Wendung zum Realismus Ernſt damit, beim Menſchen, wie die Erfahrung ihn zeigt, einen vollen Erſatz für alle Ideale übermenſchlicher Art zu ſuchen. So ſprach es deutlich Ludwig Feuerbach in jenen bekannten Worten aus: „Gott war mein erſter, die Vernunft mein zweiter, der Menſch mein dritter und letzter Gedanke“. Und das blieben nicht

20

Größe und Schranke des Menſchen

bloße Worte. Denn es hat das 19. Jahrhundert in Wahrheit eine gewaltige Verſtärkung des Menſchen und eine großartige Entwickelung einer Menſchenkultur ge- bracht. Es hat nicht nur nach der techniſchen Seite hin dem Menſchen eine ungeahnte Macht über die Natur und auch über den eignen Kreis gegeben, es hat ihn auch innerlich beträchtlich zu heben geſucht. Es hat dies na- mentlich getan, indem es das Nacheinander der Zeiten zu einer fortlaufenden Kette der Geſchichte zuſammenſchloß, es hat es nicht minder getan, indem es die einzelnen In⸗ dividuen feſter zum Gewebe einer Geſellſchaft verband und ſie in engere Beziehungen zu einander ſetzte; Geſchichte und Geſellſchaft miteinander ſchienen ſichere Grundlagen für den Aufbau einer Kultur aus bloßer Menſchenkraft zu gewähren. Große Erfolge wurden damit erreicht, aber aus den Erfolgen ſelbſt wuchſen große Verwickelungen ber- vor: die Wendung zur Geſchichte brachte die Gefahr einer Unterdrückung der lebendigen Gegenwart, die Wendung zur Geſellſchaft aber die einer Unterdrückung des Indivi⸗ duums; hier wie da ward fo die Quelle urſprünglichen Lebens bedroht. Auch ließ ſich nicht verkennen, daß eben die ſtär— kere Entwicklung der menſchlichen Kraft viel Verwicklung und Unheil hervorgebracht hat, Selbſtſucht und Lebens—⸗ gier ſchoſſen gewaltig auf, der Kampf ums Daſein ver— ſchärfte ſich unermeßlich, das Zuſammenſein, nunmehr der |Gefamtserich des Lebens, erzeugte unfäglich viel Kleinheit,

21

Die Lage der Gegenwart Schein und Unlauterkeit. Je mehr der Menſch ſich allein auf ſich felber ſtellt, deſto innerlich kleiner ſcheint er zu werden, immer widerwärtiger ſtellt ſich das bloße Menſchengetriebe dar. Und doch ſehen wir kein Mittel, wie auf modernem Boden der Menſch darüber hinauskommen kann; wir ſehen auch keine Ausſicht, daß was an Mängeln und Schä⸗ den im menſchlichen Daſein vorliegt, ſich je werde weſent— lich ändern können. Der Geſamteindruck iſt der, daß der Menſch, allein auf ſich ſelbſt angewieſen, gegen dunkle Mächte in der Welt und auch im eigenen Innern nicht aufzukommen vermag. Solches Erkennen der Schranken einer bloßen Menſchenkultur erzeugt notwendig die Sehn— ſucht nach irgendwelcher Befreiung von ſolcher Gebunden: heit und nach dem Gewinn einer Überlegenheit gegen die niederdrückenden Mächte. Aber mag in der Zeit ein ſolches Streben immer mehr Macht gewinnen, wir ſehen nicht, wie es bei der heutigen Lage durchdringen könne, unſere Enge hält uns feft, wir werden von allen Verſuchen, über uns ſelbſt hinauszukommen, immer wieder auf uns zurückgewor⸗ fen. So ſtellt ſich wiederum die Lage dahin, daß was wir be⸗ ſitzen, uns nicht genügt und nicht genügen kann, daß aber, was wir begehren und begehren müſſen, ſich ſchlechterdings nicht erreichen läßt. Demnach wird der Menſch ſich ſelbſt zu einem ſchweren Problem, ja einem dunklen Rätſel. Endlich ergreift die Unſicherheit auch die dem modernen Leben eigentümliche Hauptrichtung. Das leitende Ideal

22

Das Ideal der Kraftſteigerung der Neuzeit war die unbegrenzte Kraftſteigerung, war die Aufrufung aller Elemente zu ungehemmter Betätigung, war das unabläſſige Anſchwellen der Lebensenergie; dem Ordnungsſyſtem des Mittelalters trat damit ein Syſtem der Freiheit entgegen und fühlte ſich ihm weit überlegen. Denn es ſchien ein unermeßlicher Gewinn, alles Schlum— mernde zu wecken, alles Ruhende zu bewegen, alles Zer— ſtreute in fruchtbare Wechſelwirkung zu bringen; Freiheit und Kraft ſchienen ſtark genug, alle Hemmungen zu über: winden, alle Verwicklungen aufzulöſen. Aber auch hier haben ſich, je mehr das Neue zu reiner Entfaltung kam, zugleich mit den großen Erfolgen auch große Verwick— lungen eingeſtellt: die zur Freiheit berufenen Kräfte fan— den ſich nicht ſo leicht zuſammen, ſondern gerieten oft in ſchroffen Gegenſatz, und dieſer Gegenſatz entzündete un— geheure Leidenſchaft; die wachſende Beſchleunigung der Bewegung drohte das Leben mehr und mehr in einzelne Augenblicke aufzulöſen und wie alles Beharren, ſo auch alle wahrhaftige Gegenwart, alles Beiſichſelbſtſein des Lebens zu zerſtören. Zugleich überzeugt uns die eigene Er- fahrung der Zeit davon, daß die Steigerung der Kraft noch keineswegs einen Lebensinhalt ergibt, daß vielmehr mit ſtarker Kraftentwicklung eine innere Leere verbunden ſein kann, ja daß eine ſolche Leere auch im Ganzen unſeres Lebens ſich immer mehr fühlbar macht. Dieſer Leere aber können wir uns unmöglich widerſtandslos ergeben;

23

Die Lage der Gegenwart ſo gewiß unſere Seele eine Einheit beſitzt, und ſo gewiß dieſe befriedigt ſein will, ſo notwendig müſſen wir einen Inhalt des Lebens fordern. Aber wie dies Verlangen zu erfüllen ſei, das ſehen wir von der gegebenen Lage aus nicht. So müſſen wir wohl oder übel beim Kraftideal verbleiben, obwohl wir klar genug ſeine Unzulänglichkeit

durchſchauen.

Das ſind Probleme und Verwicklungen, an denen heute alle Völker zu tragen haben. Wenn der Deutſche an ihnen beſonders zu tragen hat und unter ihnen beſonders leidet, fo kann ihm das nur zur Ehre, nicht zum Vorwurf ge- reichen, er tritt damit für die Menſchheit ein, er arbeitet für die Menſchheit. Daß er aber beſonders ſtark durch jene Fragen aufgeregt wird, dazu wirken bei ihm ſeine Natur und feine Geſchichte zufammen. Wir haben von der Geſchichte aus weniger Geſchloſſenheit als andere große Völker, wir ſind in verſchiedene Stämme, Staaten, auch Konfeffionen geſpalten, wir finden uns aus ſolcher Spal— tung ſchwer zu einer gemeinſamen Art zuſammen. Dazu iſt uns durch unſere Natur auferlegt, daß wir die Höhe unſeres Weſens erſt durch eigene Arbeit erringen müſſen. Wir nehmen die Eindrücke der Welt nicht ſo unbefangen auf, wie es wohl andere Völker tun, ſondern wir wollen unſeren geiſtigen Beſitz vor unſerem Denken und unſerer Überzeugung vollauf gerechtfertigt haben. So neigen wir

24

Reflektierende Art des Deutſchen

dahin, unſer Streben und Handeln unter Ideen und Prin— zipien zu ſtellen und in alles Schaffen, ſei es in politiſcher, pädagogiſcher, künſtleriſcher Art, eine Geſamtüberzeugung hineinzulegen. Es hat guten Grund, daß bei uns das Fauſtdrama entſtand und ſo viel Einfluß gewann, auch daß wir uns ſo viel mit Hamlet beſchäftigten. Sind wir dem— nach ein Volk der Denker und Grübler, ſo iſt es begreif— lich, daß die großen Probleme der Menſchheit uns be— ſonders tief erregen und auf uns mit voller Schwere laſten. Wir können uns weniger als die anderen von den Verwicklungen der menſchlichen Lage auf eine gegebene Natur zurückziehen, in ihr verſchanzen, von ihr aus die großen Probleme mildern oder gar beiſeite ſchieben, ſon— dern wir müſſen unſern ganzen Ernſt und unſere ganze Kraft an ihre Löſung ſetzen. Von dieſem Geſichtspunkt aus darf ſogar die Unfertigkeit und der Zwieſpalt in un— ſerem Leben als ein Zeugnis dafür gelten, wie ernſt es uns mit der Sache iſt; wir könnten die Probleme nicht ſo ſtark empfinden, wie wir ſie empfinden, und nicht ſo viel Stö— rung durch fie erfahren, wenn fie nicht mit unſerem We— ſen aufs engſte verbunden wären. Daher darf uns auch das Unbefriedigende der heutigen Lage keineswegs nieder— drücken, nur muß es uns zu einem ſtarken Antrieb werden, der Verwicklung entgegenzuwirken und die Lage zu über— winden, aus der ſie hervorgegangen iſt.

| Das Suchen eines Halts

unſers Lebens zerſtören; ſelbſt die Höhe der Arbeit, auf die wir ſtolz ſind, wäre ſchwer gefährdet, wenn die Unſicherheit im Kern unſeres Weſens weiter um ſich griffe und ſowohl unſere geiſtige Kraft als unſer mora— liſches Vermögen lähmte. Aber wo findet ſich ein Weg, der aus der Verwicklung herausführt? Helfen kann nicht eine grübelnde Reflexion, davon haben wir heute ſchon im Übermaß, ihr Weiterſpinnen würde die Unſicherheit nur noch ſteigern. Helfen kann auch nicht eine freund— liche Verſtändigung, eine leidliche Ausgleichung der ver— ſchiedenen Tendenzen. Denn die Gegenſätze ſind viel zu ſchroff, als daß ſie ſich ohne eine Verflachung des Lebens zuſammenbringen ließen, es tut uns weit mehr ein energi- ſches Entweder-Oder not als ein vermittelndes Sowohl— Als auch, eine Sammlung wird erſt möglich, nachdem eine Scheidung erfolgt iſt. Augenſcheinlich find große Wer: ſchiebungen im Lebensbeſtande erfolgt. Sie haben nicht nur unſere Meinungen von den Dingen, ſondern den Stand der Dinge ſelbſt verändert, ſo bedürfen wir eines neuen Tatbeſtandes, um die heutige Stockung zu überwin: den. Ein ſolcher Tatbeſtand kann uns aber unmöglich von außen zugeführt werden. Denn die Welt draußen iſt bei

26

Forderung eines Tatbeſtandes ſolchen Fragen ſtumm, ſie gibt nur wieder, was wir in ſie hineingelegt haben. Es müßte alſo die geſuchte Tatſache in uns liegen, und ſie dürfte dabei nicht etwas Einzelnes und Abgeſondertes ſein, ſondern ſie müßte ſich über das Ganze unſeres Lebens erſtrecken und einer Wirkung auf das Ganze fähig ſein. Sie würde aber weniger ein fer— tiges Datum als einen Antrieb und eine Forderung bilden. Sie müßte ſich uns zugleich als alt und als neu darſtellen, als alt, weil nun und nimmer uns weſentlich fördern könnte, was nicht in unſerem eigenen Weſen wurzelt und daher von jeher irgendwie in uns wirkte, als neu, weil ſie nur ſo unſere Kräfte ſteigern und uns über die gegenwärtige Verwicklung hinausführen könnte. Darauf alſo wäre die Frage zu richten, ob in unſerem geiſtigen Bereich eine Be— wegung erſichtlich wird, die bei kräftiger Aneignung und mutiger Weiterführung fähig wäre, uns weſentlich weiter— zubringen. Zum glücklichen Fortgang bedürften wir alſo ſowohl einer Selbſtbeſinnung als einer Selbſterhöhung. Die Erhöhung wäre nötig, weil ja der alte Stand uns gegen die Erſchütterung nicht geſchützt hat; ſie wäre aber nicht zu vollziehen, bevor wir durch eine Beſinnung einen feſten Grund und eine gewiſſe Richtung gefunden haben. Mag eine derartige Tatſächlichkeit nicht greifbar vor uns ſtehen, wir dürfen es ganz wohl für möglich halten, ſie in uns zu entdecken. Denn der Menſch iſt mehr als der bloße Augenblick ihn zeigt, er trägt in ſich das Grundgefüge

27

Das Suchen eines Halts

feines Weſens und die Geſamtbewegung feines Lebens, da⸗ her iſt er oft auch weit mehr als er ſelbſt im Bewußtſein hat, indem hinter deſſen Fläche eine weitere Tiefe des Le— bens walten und wirken kann. Dies gilt wie vom einzel— nen Menſchen, ſo noch mehr für ein großes Kulturvolk; es trägt in ſich ſeine Geſchichte, es iſt unvergleichlich viel mehr, als der jeweilige Augenblick es zeigt. Was ein ein- zelnes Volk beſitzt, das kann freilich bei dieſen Fragen von entſcheidender Bedeutung nur fein, ſoweit es das menſch— liche Weſen überhaupt zum Ausdruck bringt, aber wir dürfen darauf vertrauen, daß jedes große Kulturvolk etwas in ſich trägt, was eine wichtige Seite des Menſchenweſens vertritt und eine der ganzen Menſchheit gemeinſame Auf— gabe beſonders tüchtig behandelt. So iſt es ſicherlich auch bei dem deutſchen Volk zu erwarten. Sehen wir alſo, ob im deutſchen Weſen, wie ſeine Geſchichte es zeigt, eine Kraft der Überwindung der heutigen Konflikte liegt, ſehen wir, ob es unſerem Suchen eine beſtimmte Richtung zeigt. Auch nach Gewinn eines ſolchen Anhalts werden wir im Suchen bleiben, aber es macht einen gewaltigen Unter- ſchied, ob wir ohne alle Weiſung und ins Irre hinein, oder ob wir in vorgezeichneter Richtung ſuchen. Sehen wir alſo, ob die Natur und die Geſchichte unſeres Volkes unſer Streben zu einem beſtimmten Ziele weiſen.

Die Behandlung dieſer Frage begegnet aber bei uns ſofort dem Bedenken, daß das deutſche Weſen und Stre—

28

Zweiheit im deutſchen Weſen ben ſich keineswegs einfach darſtellt, ſondern daß es eine entgegengeſetzte Richtung zu verfolgen ſcheint. Einmal treibt es den Deutſchen mächtig in die ſichtbare Welt hinein, er will ſie ergreifen, durchdringen und beherrſchen. Mit nicht geringerem Eifer aber ſtrebt er über alle ſichtbare Welt hinaus zum Schaffen und Behaupten einer unſichtbaren Welt. Je nachdem die Beurteilung der Deutſchen ſich an dieſe oder jene Seite hielt, fiel ſie ſehr verſchieden aus, es galten die Deutſchen einmal als ein Volk vortreff licher Weltarbeit, ſodann aber als ein Volk reiner Innenkultur, ſie wurden einmal die Inder, ſie wurden aber auch die Amerikaner Europas genannt. Ob das deutſche Weſen in Wahrheit geſpalten iſt, oder aber die verſchiedenen Rich⸗ tungen nur Seiten eines einzigen Geſamtcharakters ſind und daher ſich gegenſeitig zu fördern vermögen, das kann erſt die weitere Erörterung zeigen; einſtweilen darf die Un⸗ terſuchung darin einen Vorteil ſehen, daß ſie von zwei Punkten ausgehen kann und durch die Forderung, fie mit⸗ einander feſtzuhalten, in eine beſtimmte Richtung getrieben wird.

So diel iſt gewiß, daß das heutige Wirken zur Welt nicht plötzlich bei uns eingetreten iſt und nicht einen Abfall von unſerem echten Weſen bedeutet. Denn von altersher war ein Wirken am Gegenſtande und am Ganzen der Weltumgebung ein Hauptſtück und eine Hauptſtärke deut- ſcher Art, wir ſuchten und fanden darin den Weg zur

29

Das Suchen eines Halts Entfaltung und Steigerung unſerer Kraft. Stand dabei zunächſt das kriegeriſche Wirken voran, und haben die Deutſchen ſich in die Geſchichte als Überwinder und Zer— ſtörer eines großen Weltreichs eingeführt, ſo haben ſie auf ſeinen Trümmern neue Reiche errichtet und ſich in ihnen mit Eifer und Fleiß den Werken des Friedens gewidmet; ihre Geſchichte zeigt ſie auf allen Gebieten der Arbeit hervor— ragend durch ihre Leiſtung. So durch die Jahrtauſende hindurch im Landbau, wie noch heute der deutſche Bauer mit ſeinem ausdauernden Fleiß überall geſucht und geſchätzt wird, ſo im bürgerlichen Gewerbe, ſo bis in alle Verzwei— gung hinein, es ſei nur des Forſtweſens und des Bergbaus gedacht. Uberall war der Deutſche bemüht, ſein Wirken der Eigentümlichkeit des Gegenſtandes anzupaſſen und durch das Eingehen darauf ſich ſelber weiterzubilden. Die deut- ſchen Städte waren und ſind ſelbſtändige Mittelpunkte nicht nur rühriger Erwerbstätigkeit, ſondern auch hoher Geiſteskultur; auch heute übertreffen wir durch den Be— ſitz fo vieler Kulturzentren alle anderen Völker. Die deut: ſche Arbeit hat in ihrem Verlauf nicht nur gegebene Bah⸗ nen weiterverfolgt, ſondern fie hat durch mannigfache Er- findungen oft neue Bahnen geſchaffen, denken wir nur an die Buchdruckerkunſt. Als in trüben Zeiten deutſchen Le⸗ bens von franzöſiſcher Seite die geiſtige Befähigung der Deutſchen beſtritten war und dagegen ihnen in dem großen Kritiker Bayle ein tüchtiger Verteidiger entſtand, da hob

30

Größe und Eigentümlichkeit der deutſchen Arbeit dieſer unter ihren Ruhmestaten beſonders die Erfindungen hervor. Auch fehlte es uns keineswegs an einem Vermögen der Organiſation, an einem Geſchick, viele Kräfte zum Wirken zu verbinden; ſo zeigt es im Mittelalter in einer Richtung die Hanſe mit ihrer Seeherrſchaft, in einer an— deren der deutſche Ritterorden mit ſeiner Kulturarbeit. Durchgängig ſtehen die Deutſchen bei ihrer Arbeit feſt und freudig in der ſichtbaren Welt als in ihrer gegebenen Hei— mat, ſie ſind nicht weltflüchtiger Art.

Es iſt aber die deutſche Arbeit als Ganzes betrachtet weit eigentümlicher, und fie offenbart viel mehr von un: ſerem Weſen, als es oft gegenwärtig iſt. Es hat nämlich das deutſche Leben ein inniges ſeeliſches Verhältnis zur Ar— beit ausgebildet, wie es ſich kaum bei irgendeinem anderen Volke findet. Wenn der große engliſche Denker John Locke meinte, daß Arbeit um der Arbeit willen gegen die Natur ſei, ſo widerſpricht dem die deutſche Art durchaus. Sie findet in der Arbeit um der Arbeit willen die wahre Höhe des Lebens; hier zieht die Arbeit die Seele des Men— ſchen an ſich und wird damit aus einem bloßen Mittel zu einem völligen Selbſtzweck; ihr inneres Gelingen gewährt hier eine weit größere Freude als alle Erfolge nach außen. Daraus erklärt ſich die Treue des Deutſchen gegen die Ar— beit, die unermüdliche Ausdauer in ihrer Verrichtung, die Sorgfalt und Gewiſſenhaftigkeit, die auch das Kleinſte wert— hält. Das zuſammen gibt der deutſchen Arbeit den Cha—

31

Das Suchen eines Halts

Arbeit ſprechen. Das wirkt mit befonderer Stärke dahin, daß die Arbeit nicht in einzelne Leiſtungen aufgeht, ſondern zu einem lebenerfüllenden Berufe wird, und daß dieſer Be⸗ ruf ſtark auf die Seele des Menſchen zurückwirkt. So wird die Arbeit zu einer ethiſchen Macht, es vollzieht ſich in ihr eine innere Befeſtigung des Menſchen, eine Ablö— fung von verengender Selbſtſucht, eine Austreibung ſchwan⸗ kender Willkür, eine willige Unterordnung unter die Ge— ſetze und Forderungen der Sache, in dem allen ein inneres Wachstum des Menſchen.

Aber alle moraliſche Kraft, welche die deutſche Arbeit enthält, hätte ſie nie zu ihren großen Erfolgen geführt, wenn nicht der Geſinnung ein geiſtiges Vermögen ent— ſprochen hätte. In Wahrheit zeigt die deutſche Arbeit in hervorragender Weiſe eine methodiſche und ſyſtematiſche Art, ſie umſpannt alles einzelne mit leitenden Gedanken, und ſie ſchreitet in ihrer Entwicklung Schritt für Schritt ſicher fort. Wir ſind oft weniger raſch wie die anderen Völker, und wir entſchließen uns oft langſam, aber was wir ergriffen haben, das ſuchen wir bis zum Grunde durch— zubilden und in ein Ganzes zu faſſen; ſo kommen wir ſchließ— lich doch den anderen voran. Das iſt es vornehmlich, was der deutſchen Induſtrie eine Überlegenheit verleiht, daß ſie den engſten Zuſammenhang mit der Wiſſenſchaft wahrt

32

Arbeit und Innenkultur und damit ihrer Arbeit einen ſyſtematiſchen Charakter gibt; überhaupt finden wir, in welches Gebiet des deutſchen Lebens wir blicken, das Vermögen ſyſtematiſcher Geftal- tung und feſter Organiſation, ſo im Gebiet der Wiſſen— ſchaft, ſo in der deutſchen Verwaltung, ſo in der Geſtal— tung des deutſchen Buchhandels, ſo wohin wir blicken. Wenn die Arbeit dem Deutſchen ſo viel bedeutet, und wenn fie ſich ihm fo vom Äußern ins Innere wendet, fo kann keine Lebensordnung ihn befriedigen, die nicht ſeine Arbeit voll anerkennt und die ihr notwendige Kraft und Geſinnung ſtärkt. Aber die Innerlichkeit, welche in der Arbeit erſcheint, kann ſich nicht auf ſie beſchränken, ſie wird auch über ſie hinaus eine ſelbſtändige Entwicklung ſuchen, und das führt uns zu der anderen Seite des deutſchen We— fens, zum Verlangen einer reinen Innenkultur und der Aus— bildung einer unſichtbaren Welt. Hier erſt gelangt zu voller Entwicklung jene Innerlichkeit, die als das Weſen des Deutſchen gilt. Wenn Fichte der erſte war, der in ſeinen Reden an die deutſche Nation die Deutſchen das Volk des Gemütes nannte, ſo iſt die Sache uralt, ſie erſcheint ſchon in den erſten Anfängen unſerer geſchichtlichen Entwicklung. Durch das ganze deutſche Leben geht ein Streben, die Seele von der Bindung an die Umgebung zu befreien, ſie durch— aus ſelbſtändig zu machen, ihrem Leben volle Urſprünglich— keit zu geben, ja ſie aus einem bloßen Stück der Welt in das Ganze einer eigenen Welt zu verwandeln; die Inner—

Das Suchen eines Halts lichkeit erſcheint hier nicht als nachbildend, ſondern als ſchaffend, als ein urſprünglicher Quell des Lebens.

Es hat aber der Deutſche den Zug zur Innerlichkeit zu⸗ erſt in der Religion entwickelt, es war das Verhältnis der Seele zu einer überſinnlichen Welt, woran der Deutſche vornehmlich die Tiefe ſeines Weſens fand. Freilich kam das Chriſtentum an den Deutſchen zunächſt von außen, es ward ihm oft in recht unerquicklicher Weiſe und unter Zerſtörung wertvollen nationalen Beſitzes aufgedrängt. Aber es mußte doch wohl eine innere Verwandtſchaft be- ſtehen, ſonſt hätte der Deutſche nicht ſo bald ein inneres Verhältnis zum Chriſtentum gefunden, den äußeren Be: ſtand ſich ſeeliſch nahegerückt und das Fremde unter viel— facher Umbildung in die eigene Gemütswelt aufgenommen. Daß dies geſchah, zeigt z. B. das altſächſiſche Epos He— liand (aus dem 9. Jahrhundert) mit ſeiner merkwürdigen Verſchmelzung chriſtlicher Gedankenwelt und deutſcher Empfindungsweiſe. Aber es hat die Bewegung zur In— nerlichkeit dieſe Stufe bald überſchritten, es war den Deut⸗ ſchen nicht genug, eine vorgefundene Welt nur anzuerken— nen und anzunehmen, ſondern es entſtand ein tiefes Wer: langen danach, jene Welt auf dem eignen Boden der Seele entſpringen zu laſſen und ſie zugleich mehr in ein Ganzes zu faſſen; ſo zeigt es namentlich die deutſche Myſtik, vor allem ein Meiſter Eckhart. Das religiöſe Leben iſt hier nicht ein bloßes Mitleben und Nacherleben, ſondern ein

34

Die deutſche Innerlichkeit in der Religion urſprüngliches Schaffen einer neuen Welt, die Seele ſpie— gelt die Welt nicht bloß ab, ſondern ſie einigt ſich mit ihr vom tiefſten Grunde aus, ſie verwandelt damit völlig den Anblick und Inhalt der Wirklichkeit. Ein ſolches Ziel iſt nicht zu erreichen ohne eingreifende Wandlungen des erſten Befundes, die Seele muß dafür etwas weſentlich anderes aus ſich machen, ein neuer Menſch muß entſtehen. Für dieſe Aufgabe verlangt Eckhart zunächſt eine energiſche Konzentration des Menſchen auf ſich ſelbſt; um „Frieden und Freiheit des Herzens in einer ſtillen Ruhe zu finden“, muß er „alle feine Kräfte heimrufen und fie von allen zer⸗ ſtreuten Dingen ſammeln in ein inwendiges Wirken“; weiter aber verlangt der Denker eine gründliche Austreibung aller Selbſtſucht und alles Verlangens nach Lohn „die Wahrheit begehrt keiner Kaufmannſchaft“ —, das Haupt⸗ mittel dazu findet er in echtem Leiden als dem, was den Hochmut des Menſchen bricht und ihn demütig macht, es liegt aber „die höchſte Hoheit der Höhe in dem tiefſten Grunde der Demut; je tiefer der Grund, deſto höher iſt auch die Höhe, die Höhe und die Tiefe ſind Eins“. Denn in dem Untergang des natürlichen Menſchen entſteht durch göttliche Kraft ein neuer Menſch, der von ſich ſagen kann: „Bin ich ſelig, ſo ſind alle Dinge in mir, und wo ich bin, da iſt Gott, ſo bin ich in Gott, und wo Gott iſt, da bin ich.“ Aber wenn ſolches Teilgewinnen an der göttlichen Einheit, Ewigkeit, Vollkommenheit den Menſchen weit

3* 35

Das Suchen eines Halts über die ſichtbare Welt hinaushebt, fo verliert er nicht die Berührung mit ihr und ſtellt nicht das Wirken zu ihr ein; Eckhart verlangt vielmehr aufs Entſchiedenſte, daß der Menſch zur Welt zurückkehre und das neue Leben durch unabläſſiges Wirken für den Nebenmenſchen bekunde; fo flellt er Martha über Maria und meint, ein „Lebe⸗ meiſter“ ſei mehr als tauſend „Leſemeiſter“. Zugleich iſt er völlig frei von der Gedrücktheit, welche manchen als ein Kennzeichen echter Frömmigkeit gilt, er meint vielmehr „Du ſollſt haben ein aufgerichtetes Gemüt, nicht ein nie⸗ derhangendes“. Offenbar ergibt dieſe Geſtaltung der Re— ligion keine matte Weltflucht, ſondern eine kräftige Welt⸗ erneuerung.

Luther hat im Lauf ſeiner Entwicklung ſich von der Myſtik, die er zunächſt ſehr ſchätzte, im Lauf ſeines Lebens immer weiter entfernt, er mußte das tun, um ſein eignes Weſen zu finden; ſo gibt er auch der Innerlichkeit einen weſentlich anderen Sinn, als Meiſter Eckhart es tat. Denn hier liegt das Problem nicht darin, wie der Menſch von der Vereinzelung befreit und in die Einheit des Alls aufgenommen werde, ſondern vielmehr darin, wie das menſchliche Wollen ſich zum göttlichen verhalte, und hier gilt es vornehmlich, ja allein, den ſchroffen Widerſpruch zu überwinden, den der Stand des Menſchen zeigt. Da: durch wird das Leben mehr zugeſpitzt und vielleicht auch verengt, aber es gewinnt mehr Kraft und Wärme, es

Die deutſche Innerlichkeit in der Religion

kann weit ſtärker zur Aufrüttelung und Umwandlung wir- ken. Die Entwicklung dieſer Überzeugung zeigt aber ähn- lich wie bei Eckhart die Stufen eines Bruches, einer Neu— bildung und einer Rückkehr. Indem bei Luther der ethiſche Gegenſatz die höchſte Spannung erreicht, und indem das Lebensproblem ſich aufs äußerſte dadurch verſchärft, daß alle großen Probleme unmittelbar auf die Seele des ein— zelnen fallen, kann er bei den von der Kirche dargebotenen Gnadenmitteln und überhaupt in dem Anfchluß an eine ſichtbare Ordnung keine Beruhigung finden; es iſt nicht ein fubjektiver Eigenſinn, ſondern es iſt der Zwang der geiſtigen Selbſterhaltung oder in ſeiner Sprache die Sorge um ſeine Seele, welche ihn zwingend zu einem Bruche treibt und ihn kein Argernis ſcheuen läßt; fo kann es heißen: „Argernis hin, Argernis her, Not bricht Eiſen und hat kein Argernis. Ich ſoll der ſchwachen Gewiſſen ſchonen, ſofern es ohne Gefahr meiner Seele geſchehen kann. Wo nicht, ſo ſoll ich meiner Seele raten, es ärgere ſich dann die ganze oder halbe Welt.“

Aber aus der ungeheuren Erſchütterung ſteigt ihm durch göttliche Liebe und Gnade eine neue Welt empor und er- füllt ihn mit voller Gewißheit und Freudigkeit. Je ſchwerer früher der Druck des Feindlichen empfunden wurde, deſto größer wird jetzt der Jubel über die Befreiung davon, und je peinlicher der Zweifel an der Rettung war, deſto freudiger wird jetzt ihre felfenfefte Gewißheit. Aber fo

7

Das Suchen eines Halts hoch dieſe neue Welt über der ſichtbaren Welt liegt, ſie verliert nicht die Beziehung zu ihr, ſondern es erwacht ein mächtiger Drang, dies neue Leben in der Welt zu bekun⸗ den, vornehmlich durch ein Wirken der Liebe zu den Neben⸗ menſchen; „es fließt aus dem Glauben die Liebe und die Freude im Herrn, und aus der Liebe ein froher und freier Geiſt, dem Nächſten aus freien Stücken zu dienen, un: bekümmert um Dank oder Undank, um Lob oder Tadel, um Gewinn oder Verluſt“. Allerdings iſt bei Luther im Verlauf ſeines Lebens die Innenwelt immer mehr in einen Gegenſatz zur ſichtbaren Welt geraten, aber dies war zum guten Teil die Schuld der Zeit, die ihn umgab, und die Tatſache bleibt beſtehen, daß das Ganze der Reformation weit mehr Kraft urſprünglichen Lebens, mehr perſönliche Verantwortung, eine Verbindung von demütigem Wer: trauen und freudigem Lebensmut, eine Befreiung der Frömmigkeit von blinder Devotion in die Welt gebracht und den Menſchen gelehrt hat, auf ſich ſelbſt zu ſtehen, ohne damit innere Zuſammenhänge aufzugeben.

Für die weitere Entwicklung der Religion bei uns iſt beſonders charakteriſtiſch die Ausbildung der Religions⸗ philoſophie, die recht eigentlich eine deutſche Wiſſenſchaft iſt. Dieſe Philoſophie ſetzte ſich keineswegs bloß zur Auf: gabe, den Befund des kirchlichen Glaubens zu rechtfertigen; der verkennt ihr Weſen völlig, der in ihr eine bloße Apo— logetik ſteht; vielmehr handelt es ſich bei ihr darum, die

38

Religion über die Kirche hinaus dem Weſen des Men⸗ ſchen näher zu bringen, ja, ſie aus ihm entſpringen zu laſſen; das aber konnte nur gelingen, wenn in der Tiefe des Menſchenweſens ein unmittelbares Wirken göttlichen Le— bens erkannt und ergriffen wurde. So ſpricht es ſchon

Jakob Böhme in ſeiner treuherzigen Sprache aus: „Wenn das Licht Gottes im Zentro des Seelengeiſtes anbricht, fo fiehet der Seelengeiſt als in einem hellen Spiegel die Schöpfung der Welt gar wohl, und iſt nichts Fernes“. Die ſpäteren Denker haben ſolches Streben in größerem Stile durchgeführt, fo ein Kant, ein Schleier⸗ macher, ein Hegel. Sie alle ſuchen eine Tiefe, in der das menſchliche Leben ſich unmittelbar mit einer unſichtbaren Ordnung berührt und ihre erhöhende Kraft in ſich auf— nimmt, ſie geben zugleich dem Menſchen eine aller Natur weit überlegene Größe. So geſchah es bei Kant von der Moral, im beſonderen der Pflichtidee aus, die ihm als die Eröffnung des tiefſten Grundes der Wirklichkeit galt; ſo geſchah es bei Schleiermacher im Gefühl, das ihm als die Grundkraft der Seele einen unmittelbaren Zuſammen⸗ hang mit dem Weltall herzuſtellen ſchien, und das ihm daher weit mehr bedeutet als dem gewöhnlichen Sprach— gebrauch. So geſchah es endlich bei Hegel, wenn er in der Religion eine notwendige Stufe des Denkens ſieht, dieſes Denken aber als die welterzeugende und weltdurch— dringende Macht verſteht und daher von der Religion

39

Das Suchen eines Halts | agen kann: „In dieſer Region des Geiſtes ſtrömen die 9 26) g

Lethefluten, aus denen Pſyche trinkt, worin fie allen Schmerz verſenkt, alle Härten, Dunkelheiten der Zeit zu einem Traumbild geſtaltet und zum Lichtglanz des Ewigen verklärt.“ Durch das Wirken aller dieſer Männer hat die Religion eine große Verinnerlichung erreicht, eine Be: freiung von der bloßkirchlichen Faſſung, eine engere Wer: bindung mit dem Ganzen des Menſchenweſens. Indem die Aufgabe dahin geſtellt wird, Tiefe und Freiheit bei der Religion in vollen Einklang zu bringen, entſteht ein eigentümliches Verhältnis von Religion und Wiſſenſchaft, das aber in bemerkenswertem Unterſchied von anderen großen Völkern. Im franzöſiſchen Leben ſind Religion und Wiſſenſchaft oft in ſchroffen Gegenſatz zueinander geraten, es gab eine Zeit, wo „philosophe“ fo viel als Ungläubiger bedeutete; das engliſche Leben führt beide Ströme oft nebeneinander her, ſo daß mit ausgeprägt naturwiſſenſchaftlicher Denkweiſe eine aufrichtige Religi— oſität ganz wohl zuſammengehen kann. In Deutſchland dagegen beſteht von alters her das Streben, Religion und Philoſophie in eine enge Verbindung zu bringen, der Philo— ſophie damit einen tiefen Ernſt und eine Richtung auf die letzten Probleme zu geben, die Religion aber damit ins Große zu wenden und ſie zu einer Macht für das ganze Leben zu erheben. Daß im deutſchen Leben die Innerlich— keit eine ſolche Selbſtändigkeit erlangt hat und ſich aller

40

Religion und Wiſſenſchaft bei den Deutſchen

Außenwelt ſo weit und ſo ſicher überlegen fühlt, das hängt aufs engſte mit dieſer Faſſung der Religion zuſammen. Gewiß bringt dieſe deutſche Art auch manche Sorgen und Verwicklungen, eine ſolche Begründung der Religion auf die eigene Überzeugung fordert eine gewiſſenhafte Prüfung des überkommenen Beſtandes, die ein kritiſches Verfahren hervorruft und wohl auch zu einer Verneinung führen kann; auch droht die Gefahr einer Geringſchätzung aller äußeren Form und aller feſten Gemeinſchaft, ſowie die eines Verfallens in individuelle Abſonderung. Aber bei allen ſolchen Gefahren bleibt jene Innerlichkeit etwas Großes und für die ganze Menſchheit Unentbehrliches, ſie bleibt etwas, wovon der Deutſche unmöglich laſſen kann.

War vom Mittelalter her die deutſche Innerlichkeit vornehmlich mit der Religion verbunden und rankte ſie ſich an dieſer als an einer feſten Stütze empor, ſo hat ſie in der Neuzeit eine volle Selbſtändigkeit gewonnen und ſich über alle Gebiete gleichmäßig auszubreiten geſucht; durchgängig bedeutet dabei auf der Höhe des Schaffens die Innerlichkeit nicht die bloße Subjektioität des Indi⸗ viduums, nicht ein leeres Fürſichſein, ſondern die Hervor⸗ bringung einer Junenwelt; dies Schaffen legt nicht die vorhandene Welt nur für den Menſchen zurecht, ſondern es verſetzt ihn in eine neue Welt, die aus innerer Be— wegung des Geiſteslebens hervorgeht. Das geſchah nir— gend mehr als in der deutſchen Philoſophie. Ihr genügte

41

Das Suchen eines Halts

es nicht, die vorgefundene Welt lediglich geſchickt zu regi— ſtrieren und dem Menſchen eine gewiſſe Überficht über fie zu verſchaffen, ſie wollte aber auch nicht neben der vorhandenen Welt irgendwelche neue künſtlich erſinnen, wie das der unglückliche Ausdruck Metaphyſik oft meinen ließ, ſondern ihr galt die Welt, die ſie vorfand, nur als Erweiſung und Erſcheinung einer tieferen und echten Wirklichkeit, und das wurde nun ihr Verlangen, zu dieſer echten Wirklich— keit durchzudringen und damit für Denken und Leben volle Wahrheit zu erringen; ein gebildetes Volk ohne Meta— phyſik erſchien ihr nach Hegels Ausdruck wie ein Tempel ohne ein Allerheiligſtes.

In Ausführung dieſes Strebens ſuchten die Denker zu einer geiſtigen Bewegung vorzudringen, die einen Welt— charakter trage und damit fähig ſei, alle Wirklichkeit aus ſich hervorzubringen; von dieſer neuen Welt wurde dann die alte betrachtet und damit erſt durchleuchtet; in der Tiefe des Seelenlebens hoffte man hier die letzte Tiefe der Wirk— lichkeit aufzudecken; fo wurde das Wiſſen hier letzthin ein Sichſelbſterkennen des Geiſtes als der alles tragenden Welt— macht. Bei aller Verſchiedenheit der einzelnen Denker iſt an jeder Stelle ein ſolches Streben erkennbar. So ſah Leibniz in der Seele eine Monade, welche der Möglichkeit nach die ganze Unendlichkeit in ſich trage, welche nicht von außen empfange „die Monaden haben keine Fenſter“ —, ſondern alles aus ſich ſelbſt entwickle; ſo konnte er ſagen:

42

Die deutſche Innerlichkeit in der Philoſophie „In unſerem Selbſtweſen ſteckt eine Unendlichkeit, ein Fußſtapf, ein Ebenbild der Allwiſſenheit und Allmacht Gottes.“ So ſetzte Kant in unermüdlicher Arbeit innerſte Forderungen ſeines Weſens, die Forderung einer echten Wiſſenſchaft und die Forderung einer echten Moral ſieg⸗ reich gegen die vorgefundene Lage durch. Er konnte das nicht, ohne den Weltſtand völlig neu zu beleuchten, alte Zuſammenhänge aufzulöſen, neue anzubahnen, er konnte es nicht ohne eine ungeheure Erſchütterung. Aber durch alle Erſchütterung hindurch erfolgte ein ſiegreicher Auf— ſtieg geiſtiger Kraft, die eine Welt aus ſich hervorbringt und daher auch in aller Weite der Welt vor allem ſich felber findet. Auch Kant wollte den Menſchen zum Teil: haber einer Unendlichkeit machen, er wollte es aber nicht vom Erkennen, ſondern von der Moral aus, die ihm zum ſicheren Bürgen einer neuen Wirklichkeit wurde. Auch Hegel ſtellt die Aufgabe groß, indem er das Denken über den Stand des Individuums hinaushebt und eine Welt⸗ macht in ihm erkennt, von dieſer Macht aus aber die ganze Wirklichkeit zu entwickeln ſucht, in allem Unter⸗ nehmen getragen von der Überzeugung, daß der Menſch von der Größe und Macht des Geiſtes nicht groß genug denken könne. In dem allen waren die deutſchen Syſteme durchaus nicht bloße Lehrſyſteme, nicht bloß intellektuelle Entwürfe, nicht bloße Erzeugniſſe von Scharfſinn und logiſcher Phantafie, fondern fie waren Weiterbildungen

43

Das Suchen eines Halts

der Wirklichkeit, fie waren charakteriſtiſche Entfaltungen des Lebens, das ſich bei ihnen zu einer Welt der Gelb: ſtändigkeit und Urſprünglichkeit erhob; dies von ihnen er— öffnete Leben iſt das wahrhaft Große und das Bleibende an ihnen, es erhält ſich in ſeiner Bedeutung, auch wenn die beſondere Art der Beweisführung und des ſchulmäßigen Aufbaues der Kritik verfallen ſollte. Auch die Erfahrung zeigt, daß ſie gewaltig auf den Stand des deutſchen Lebens wirkten, daß ſie miteinander eine geiſtige Atmoſphäre ſchu— fen, die aus dem Menſchen etwas Neues gemacht und alle Verzweigung des geiſtigen Schaffens eigentümlich und groß geſtaltet hat. Gewiß war hier mit der Größe auch eine Kühnheit verbunden, die ſich nicht ſelten überſpannte und damit in Irrung geriet, aber das iſt eine Gefahr der Größe, nicht der Kleinheit, und es hebt die Bedeutung des Ganzen der Leiſtung in keiner Weiſe auf. Nur müſſen wir als das Weſentliche hier nicht eine Anzahl von Lehren, ſondern die Erweiterung und Vertiefung des Lebens be— trachten und ehren.

Nach derſelben Richtung wie die Philoſophie ſtrebt auch die deutſche Erziehung. Denn es waren ihre Führer bei aller Verſchiedenheit darin einig, daß der Menſch an erſter Stelle nicht für draußen befindliche Ziele, auch nicht für die menſchliche Geſellſchaft, ſondern für ſich ſelbſt zu bilden ſei, indem er zu einer ſelbſtändigen Perſönlichkeit und einer geiſtigen Individualität erhoben werde. Das

44

Die deutſche Innerlichkeit in der Erziehung aber iſt nur ſcheinbar einfach, es enthält weit größere Pro— bleme, als der erſte Anblick annehmen läßt. Zunächſt enthält dieſe Zielſteckung die Behauptung, daß alles, was das Außenleben an den Menſchen bringt und was es ihm an Gütern verheißt, den tiefſten Bedürfniſſen ſei— ner Natur nicht genügt; ſie enthält die weitere Be— hauptung, daß in ihm ſelbſt eine neue Art des Lebens aufſteigt, die eine Unabhängigkeit, ja Überlegenheit gegen alle Umgebung zu erringen vermag, und die in der eigenen Entwicklung ein unvergleichlich höheres Glück gewährt, als es alle Außenwelt bieten kann. Dabei ſollte aber die Er: hebung über die Welt keine Ablöſung von ihr bedeuten. Denn die ganze deutſche Erziehung iſt von der Überzeugung durchdrungen, daß der Menſch eben dann, wenn er nicht den äußeren Nutzen zum Hauptziele macht, ſondern vor allem ſeine Seele vertieft und kräftigt, auch in der ficht- baren Welt am meiſten wirken und erreichen wird. Sol— cher Überzeugung entſpricht die Tatſache, daß aus der Epoche des deutſchen Idealismus ein ſo gewaltiges Wir— ken zur ſichtbaren Welt hervorgehen konnte, wie im 19. Jahrhundert bei den Deutſchen daraus hervorgegan— gen iſt.

So verſtanden gewinnt die Erziehung ſelbſt eine weit größere Bedeutung im Ganzen des Lebens, als ihr gewöhn— lich zuerkannt wird. Denn ſie hat nun nicht bloß den alten Kulturſtand einem neuen Geſchlecht zu übermitteln, ſondern

45

Das Suchen eines Halts

fie möchte mit dem Zurückgehen auf die erſten Anfänge und mit ihrer rechten Geſtaltung das ganze Leben des Men— ſchen zu größerer Einfalt, Urſprünglichkeit und Wahrheit führen. In ſolcher Richtung haben namentlich Peſtalozzi und Fröbel gewirkt, ſie haben das Kindesleben uns ſeeliſch näher gebracht, ſie haben eine Verinnerlichung des Fami⸗ lienlebens zum Keimpunkt einer reineren und edleren Kul⸗ tur gemacht, auch haben fie die verſchiedenen Lebensgebiete auf den Punkt zurückzuführen geſucht, wo ihre bewegenden Kräfte unmittelbar aus der Seele des Einzelnen entſpringen. So ſagt z. B. Peſtalozzi von der Religion: „Das Stau— nen des Weiſen in die Tiefen der Schöpfung und ſein Forſchen in den Abgründen des Schöpfers iſt nicht Bil— dung der Menſchheit zu dieſem Glauben. In den Ab⸗ gründen der Schöpfung kann ſich der Forſcher verlieren, und in ihren Waſſern kann er irre umhertreiben, fern von der Quelle der unergründlichen Meere. Einfalt und Un⸗ ſchuld, reines menſchliches Gefühl für Dank und Liebe iſt Quelle des Glaubens. Im reinen Kinderſinn der Menſch— heit erhebt ſich die Hoffnung des ewigen Lebens, und rei— ner Glaube der Menſchheit an Gott lebt nicht in ſeiner Kraft ohne dieſe Hoffnung.“ In ähnlichem Sinne hat auch Fröbel gewirkt, wenn er die „Fremdheit der Bil- dung“ bekämpfte und im Kinde nicht eine bloße Vorſtufe, ſondern eine reinere Welt ſah, wenn ſich ihm zugleich die Familie heiligte, und er daher ſagen konnte: „Von dem

46

Die deutſche Innerlichkeit in Erziehung und Kunft ſtillen, verborgenen Heiligtum der Familie kann nur zu— nächſt das Wohl des Menſchengeſchlechts uns wiederkom— men.“ In dem allen erſcheint der Menſch nicht als ein bloßes Stück eines Weltmechanismus, ſondern als ein Ur— quell neuen Lebens. Die Erziehung darf ihn daher nicht bloß zu einem geſchickten Arbeiter der großen Kulturfabrik bilden, ſondern ſie hat vornehmlich jene Lebensquelle von aller Hemmung zu befreien und voll in Fluß zu bringen. Solche Überzeugungen find nicht private Meinungen ein- zelner Perſönlichkeiten, ſondern ſie entſprechen der ſeeliſchen Art des ganzen deutſchen Volkes. Sicherlich ſteht mit jener Verſenkung in die Kindesſeele in engem Zuſammen— hang, daß Deutſchland die Kinderliteratur aufgebracht und zu höchſter Entwicklung geführt hat, ſowie daß Deutſch— land noch heute die ganze Welt mit Kinderſpielzeug ver— ſieht.

Der geſchilderten Innenkultur entſpricht auch die deut— ſche Kunſt und Literatur. Die deutſche Kunſt hat nicht die Formgewandtheit der ſüdlichen Völker, und es gehen ihr Geiſtiges und Sinnliches nicht ſo leicht zuſammen wie jenen. Aber ſie iſt ſtark, ja einzigartig im Streben, dem Menſchen alle Tiefen ſeiner Seele zu eröffnen und ihn ſich ſelbſt innerlich näher zu bringen; fie benügt ſich nicht da- mit, ihn nur zu unterhalten und zu ergötzen, ſondern ſie begleitet ihn in alle Probleme und Kämpfe des Lebens, auch bei ihr handelt es ſich letzthin um den Sinn ſeines Lebens

47

Das Suchen eines Halts und um fein Verhältnis zum All. So hat vornehmlich die Höhe unſerer klaſſiſchen Literatur die künſtleriſche Tä— tigkeit zur Leitung des Lebens berufen. Das literariſche Schaffen wurde hier zum Träger einer neuen Welt, welche den Menſchen von der Schwere des Scoffes befreit, alle Mannigfaltigkeit zu einem Ganzen fügt, die Grundgeſtal— ten der Wirklichkeit klar und rein herausarbeitet, in dem Menſchen vor allem den Menſchen fieht und ihn zur Höhe ſeines Weſens emporhebt. Dabei durfte ſich hier der Menſch im Streben nach eigner Vollendung zugleich als einen Mitarbeiter an der Bewegung des Alls, ja als einen Vollender des Alls betrachten. Denn was die Ma⸗ tur unbewußt und unter dem Zwange der Notwendigkeit tut, das ſcheint erſt beim Menſchen volle Klarheit und Freiheit zu erlangen und damit erſt ſein eignes Weſen zu erreichen. Aber wenn ſo die Kunſt den Menſchen vom Druck der Umgebung befreite, und wenn Schiller uns auf— fordern konnte, die Angſt des Irdiſchen von uns zu werfen und uns in das Reich der Ideale zu flüchten, ſo blieb dies Reich keine ferne und fremde Welt, ſein Wirken erſtreckte ſich auch in die ſichtbare Welt zurück und ſuchte ſie wei— terzubilden. Die volle Einigung beider Welten verkörpert uns namentlich Goethe. Denn wenn er die ganze Außen— welt in ſeine Seele hineinzieht, ſo drängt er damit den Dingen nicht eine fremde und bloßſubjektive Art auf, fon- dern er vermag ſich in ſie ſelbſt zu verſetzen; wie ein Zau—

48

Die deutſche Innerlichkeit in der Kunſt berer bringt er ſie zu eigenem Sprechen und zur Enthül⸗ lung ihrer innerſten Natur, die dem gewöhnlichen Auge verfchloffen bleibt. So wird durch geiſtige Kraft eine volle Harmonie der Welten erreicht, aber ſie wird innerhalb des Geiſteslebens erreicht, nicht durch ein Zuſammenbringen draußen.

Begreiflicherweiſe ſteht bei ſolcher Richtung auf das Innere die Lyrik in der Dichtkunſt voran und erzeugt Schöpfungen unvergleichlicher Art. Überhaupt aber hat alles künſtleriſche Schaffen der Deutſchen ſeine Stärke weniger im Sinnlichen als im Seeliſchen. So erklärt ſich auch die hervorragende Stellung und die einzigartige Größe der deutſchen Muſik. Sie wird vor allem eine Zeugin für das durchdringende Streben des Deutſchen nach reiner Innerlichkeit und nach Aufdeckung neuer ſeeliſcher Tiefen. Es gilt hier nicht ein bloßes Darſtellen vorhandener Ge— fühlslagen, ſondern ein weiteres Vordringen, ein Erzeugen neuer Werte, ein Herſtellen neuer Zuſammenhänge. Wie bier beim Künſtler das Schaffen ein Einſetzen der gan- zen Perſönlichkeit iſt, fo vermag es auch die ganze Per— ſönlichkeit zu ergreifen und zu fördern. Auch von dieſem künſtleriſchen Schaffen dürfen wir ſagen, daß was auf der Höhe errungen ward, ein Verlangen des ganzen Volkes zum Ausdruck bringt; die deutſche Muſtk iſt kein neben⸗ ſächlicher Anhang, ſondern ein weſentliches Stück des deutſchen Lebens.

Das Suchen eines Halts

Das Ganze dieſes deutſchen Strebens iſt weit eigen— tümlicher, es enthält weit kühnere Behauptungen, und es ſtellt weit größere Forderungen, als gewöhnlich anerkannt wird; das Gerede von der ſeeliſchen Tiefe und dem Gemüt des Deutſchen verdeckt oft nur das Große, Kühne, ja He— roiſche, das im deutſchen Schaffen liegt. Denn es enthält einen Kampf nicht um einzelne Dinge, ſondern um das Ganze des Lebens, es enthält zugleich einen Zuſammenſtoß ganzer Welten, es dringt durch gründlichſte Verneinung zu einer entſchiedenen Bejahung vor. Es regt ſich beim Deutſchen das Verlangen eines neuen Lebens, findet keine Befriedigung im vorgefundenen Daſein und wird da— mit auf neue Bahnen getrieben; dieſe Lage ſpitzt ſich zu einem Entweder —oder zu, eine Entſcheidung wird unab— weisbar, ob mehr den inneren Notwendigkeiten oder der Welt der Erfahrung zu folgen und demgemäß die Haupt: richtung des Lebens zu beſtimmen ſei. Und in dieſem Kampf entſcheidet ſich, wenn auch nicht der einzelne Deutſche, ſo doch das deutſche Schaffen für die innere Notwendigkeit.

Das deutſche Schaffen fand ſeine Eigentümlichkeit und ſeine Größe in der Wendung zu einer Innerlichkeit und in der Entwicklung dieſer Innerlichkeit. Dabei ſollte die Innerlichkeit nicht einen bloßen Nachklang äußerer Ge— ſchehniſſe in der Seele der Individuen, nicht eine bloße Begleiterſcheinung der Wirklichkeit bilden, ſondern fie follte ſelbſtändig werden und eine Welt aus eignem Wer:

50

Das deutſche Suchen eines neuen Lebens mögen erzeugen, fie ſollte nicht rezeptiver, ſondern produk— tiver Art ſein. Was treibt den Deutſchen zum Suchen einer ſolchen Innerlichkeit, und was hofft er bei ihr zu finden? Es treibt ihn unverkennbar dazu ein Zerfallenſein mit dem Stande des Lebens, den er nicht nur draußen, ſondern auch in ſeiner eignen Seele, den er damit im Ganzen des menſchlichen Daſeins findet. Dies Daſein er— ſcheint inſofern als ein einziger großer Widerſpruch, als in ihm etwas Neues aufſteigt und zur Führung aufſtrebt, aber weder zu einer reinen Entfaltung noch zur erforderlichen Macht gelangt, es erſcheinen im Leben des Menſchen Beſtrebungen, Anſprüche, Forderungen, die er nicht auf— geben kann, denen aber nicht nur das Weltgefüge um ihn, ſondern auch die eigne Seele harten Widerſtand leiſtet. Den aufſtrebenden Menſchen dürſtet nach Ewigkeit und nach Unendlichkeit, und er findet ſich als vergänglich und engbegrenzt, neue Größen und Güter werden erſichtlich, wie das Wahre, Gute und Schöne, und möchten ſein Leben erfüllen, aber ſie finden dazu nicht die nötige Kraft, und was ſich als ihre Verkörperung gibt, das iſt oft nicht mehr als ein Schein; das Individuum wird von innen her dazu angehalten, ſich, ſein Schickſal, ſein Handeln bedeutend zu nehmen, zugleich aber wird es von der Welt als ſchlechthin gleichgültig behandelt; durchgängig bleibt, was an Höherem aufſtrebt, an das Niedere gebunden und mit ihm vermengt, ja es wird oft in ſeinen Dienſt gezogen

Das Suchen eines Halts und damit ſich ſelber entfremdet, kurz, von allen Seiten umringen uns Widerſprüche, Widerſprüche nicht der bloßen Betrachtung, ſondern des Lebens ſelbſt. Alles was auf dieſem Boden an Leben entſteht, das trägt den Cha— rakter der Halbheit und der Leere, es iſt mehr ein Haſchen nach Leben, ein Lebenwollen, ein Schein des Lebens als wirkliches Leben. Mühe und Arbeit in Hülle und Fülle, aber kein Ertrag und kein Inhalt, der dieſe Mühe lohnt.

Das iſt nun die Eigentümlichkeit und die Größe des Deutſchen, daß er, bei vollem Durchleben dieſer Lage und ihrer Verwicklungen, ſich ihr nicht ergibt, ſondern Mut und Kraft dazu findet, die Forderung eines weſenhaften und wahrhaftigen Lebens, eines Lebens, das in Überwin— dung der Widerſprüche einen Inhalt gewinnt und da- durch erſt lebenswert wird, aufrechtzuhalten und durchzu⸗ ſetzen. Dies eben iſt es, was ihn treibt und zwingt, mit jener ganzen widerſpruchsvollen und leeren Welt zu brechen, ſich auf ſeine Innerlichkeit zu ſtellen und von ihr aus eine neue Welt zu entwickeln. Es iſt ihm das nicht eine Sache müßiger Spekulation, ſondern eine Frage der geiſtigen Selbſterhaltung, ein Kampf um eine Seele und eine Wahrheit ſeines Lebens; ſo darf er allen Bedenken das Goetheſche Wort entgegenhalten: „Der beſte Ratgeber iſt die Notwendigkeit.“

Aber iſt das Unternehmen des Aufbaus einer neuen Welt das wird dem deutſchen Streben ſelbſt e

52

Der deutſche Aufbau eines neuen Lebens wieder zu einer Sorge und Frage nicht eine Über: ſpannung des menſchlichen Vermögens, fällt der Menſch nicht ins Leere, wenn er, das kleine und vergängliche Weſen, der unermeßlichen Welt, in der er ſich findet, von ſich aus eine neue Ordnung entgegenſtellt und dieſe als überlegen behauptet? Und eine Welt müßte das Neue notwendig ſein, um der alten gewachſen zu werden. In Wahrheit läge eine kecke Überfpannung und ein vergeb— liches Wagnis vor, wenn jene Wendung zur Innerlich— keit eine Sache des bloßen Menſchen bliebe, wenn in ihr nicht eine Weltbewegung, eine Bewegung aus dem Gan— zen der Wirklichkeit ergriffen, ja wenn ſie ſelbſt nicht als Wirkung einer ſolchen verſtanden würde. Jenes Streben ſelbſt bekundet die Eröffnung und Gegenwart einer Tiefe der Wirklichkeit, die nur noch mehr in eignes Leben zu verwandeln iſt; daß der Menſch mit ſeinem Streben zu einem den Widerſprüchen überlegenen, in ſich ſelbſt be— feſtigten und befriedigten Leben in eine neue Ordnung ein— tritt und von ihrer Kraft getragen wird, daß überlegene Notwendigkeiten, ja das Ganze einer Welt ſelbſtändiger Junerlichkeit, ſagen wir kurz eine Geiſteswelt, in ihm waltet, das iſt eine Überzeugung, die bewußt oder un— bewußt alles deutſche Schaffen durchdringt. Dieſe ot: wendigkeiten nahmen ſich nach den verſchiedenen Gebieten verſchieden aus, fie erſchienen anders in der Religion, wo es zwingend nach Überwindung einer unerträglichen ſee—

53

Das Suchen eines Halts liſchen Zerklüftung trieb, anders in der Philoſophie, wo eine Denknotwendigkeit der ſichtbaren Welt gegenüber eine unſichtbare aufbauen hieß, anders in der Kunſt, wo der verworrenen und ſeelenloſen Welt ein Verlangen nach Sinn und Seele entgegentrat, aber gemeinſam war die Erhebung des Menſchen über die kleine Sonderexiſtenz und ſein Eintritt in ein Leben und Schaffen aus unſicht— baren Zuſammenhängen.

Das aber beſagt nicht nur eine äußere Erweiterung, ſondern mehr noch eine innere Wandlung des Lebens, von der aus es den Widerſprüchen überlegen und den Forde⸗ rungen gewachſen zu werden vermag. Denn wenn eine Welt der Innerlichkeit, ein Ganzes der Innenwelt an— erkannt wird, ſo wird das Leben, das ſonſt zwiſchen den Dingen vorging und daher immer gebunden blieb, zu einer Selbſtentfaltung jenes Ganzen, es vermag damit eine Selbſtändigkeit und eine Unabhängigkeit von allem Frem⸗ den zu erreichen. Indem dies Ganze alle Mannigfaltig⸗ keit aus ſich entwickelt und überall in ihr gegenwärtig bleibt, kann es in der ganzen Weite ſich ſelbſt erleben, ſich ſelbſt eröffnen und weiterbilden, kann es im Ausgehen und Zurückkehren zu ſich ſelbſt einen Inhalt bilden, kann es damit erſt wahrhaftes und an ſich wertvolles Leben werden. Was im Menſchen an Bewegungen gegenüber dem nafür- lichen Daſein erſcheint, wie die zum Wahren, Guten und Schönen, das hellt ſich nun damit auf, daß es als Gelbft-

54

Die Entfaltung einer Innenwelt

entfaltung einer Welt der Innerlichkeit, als Offenbarung einer geiſtigen Ordnung verſtanden wird; jene Bewegungen bleiben durchaus rätſelhaft, ſolange ſie als Erzeugniſſe des bloßen Menſchen gelten, fie könnten als ſolche nun und nimmer eine klare Ausprägung, noch eine kräftige Wir— kung erlangen. Das ändert ſich alles mit jener großen Wendung, nun wird der Menſch durch fie in Eröff— nungen des Alls gehoben und von Kräften des Alls ge— trieben, nun erhält das deutſche Streben nach Innerlich— keit einen feſten Grund und die Gewißheit eines Gelingens; es erhält ſie, indem ein neuer Standort gewonnen und eine Umkehrung der erſten Lage vollzogen, ein Leben von innen heraus im Ganzen der Wirklichkeit anerkannt wird.

Zugleich aber muß der Geſamtanblick des Menſchen ſich aufs weſentlichſte verändern. Er war ein bloßes Stück des natürlichen Nebeneinander, und wenn das geſellſchaft— liche Zuſammenſein gewiſſe Betätigungen höherer Art in ihm wachrief, ſo blieben dieſe an Fremdes gebunden, mit Fremdem vermengt, ohne einen inneren Zuſammenhang und ohne eine deutliche Geſtalt; ſo waren ſie machtlos gegenüber einer undurchſichtigen Welt, ſo verlief all ihr Unternehmen in bloße Halbheit und Schein. Das ver— ändert ſich gründlich, wenn im Menſchen die Eröffnung einer Welt ſelbſtändiger Innerlichkeit anerkannt, und er damit zur Teilnahme am Leben dieſer Welt berufen wird. Denn dann iſt er nicht mehr ein bloßer Punkt in

55

Das Suchen eines Halts einem ſeelenloſen Getriebe, dann wird er ein ſelbſtändiger Teilhaber und Träger geiſtigen Lebens, dann wird von innen heraus die ganze Welt ſein eigen, und kann ſie ſeinem Leben einen Inhalt gewähren, dann wird er ſelbſt eine Welt, und das Ganze der Wirklichkeit wächſt zu einer Welt von Welten. Einen ſolchen Weltcharakter und mit ihm eine innere Unendlichkeit dem Menſchen, jedem einzelnen Menſchen, zu ſichern, darum finden wir alle großen deutſchen Denker bemüht; ſo ſuchte es Leibniz in ſeiner Monadenlehre, ſo ſuchte es Kant in ſeiner Er⸗ hebung des Menſchen zu ſittlicher Autonomie, ſo war ganz beſonders für Goethe der Menſch eine innere Welt. Nur aus dieſem Zuſammenhange erklärt und rechtfertigt ſich die Schätzung der Perſönlichkeit und der geiſtigen Indioidualität, welche alles deutſche Leben bekennt. Was läge wohl daran, den einzelnen Punkt zu verſtärken und ihm das Bewußtſein eines hohen Wertes zu geben, wenn der Menſch ein bloßes Stück der natürlichen und gefell- ſchaftlichen Verkettung wäre? Dann wäre jenes eher eine ungebührliche Anmaßung, ein bloßer Ausfluß der Gelbft- ſucht. Nur dann hellt die Sache ſich auf, und nur dann gewinnt ſie ein gutes Recht, wenn die Idee der Perſön— lichkeit die Tatſache zum Ausdruck bringt, daß im Men⸗ ſchen unmittelbar eine Quelle neuen Lebens entfpringt, das in fich ſelbſtändig iſt und zugleich eine Welt umfaßt, wenn damit alle geiſtigen Betätigungen Erweiſungen eignen

86

Deutſche Schätzung der Perſönlichkeit und Individualität

Lebens werden und die Kraft einer Selbſterhaltung er— langen. Wie könnte uns ferner die Individualität ſo viel bedeuten, und wie könnte im deutſchen Leben eine ſo ſtarke Bewegung zu ihrer Ausbildung gehen, wären wir nicht mehr als ein wenig abweichende Exemplare der Natur— gattung Menſch, ſchiede ſich nicht von einer derartigen Zufälligkeit eine geiſtige Individualität, in der wir das Ganze des geiſtigen Lebens eigentümlich zu geſtalten ver— mögen, und die uns, jedem für ſich, einen unvergleichlichen Wert verleiht. Eine ſolche geiſtige Individualität iſt kein gegebenes Faktum, ſondern ein hohes Ziel; wieviel Mühe und Arbeit haben unſere Beſten, haben ein Kant und ein Goethe darangeſetzt, ihr eignes Weſen zu finden! In ſolchem Streben aber fühlten fie ſich und fo kann jeder ſich fühlen, dem das Leben mehr iſt als ein blinder Maturprozeß oder ein leeres Spiel weit hinaus über alle Bindungen und Rückſichten des gewöhnlichen Lebens, empfanden ſie in jener Wendung eine heilige Pflicht, die zwingend zu ihrer Seele ſprach; in dem allen lag aber das Bekenntnis zu einer neuen Ordnung der Dinge, zu einer Innenwelt als der Tiefe der Wirklichkeit.

Solches Bewußtſein eines inneren Zuſammenhanges mit dem Ganzen der Wirklichkeit und einer Bedeutung unſeres Handelns dafür gibt dem deutſchen Leben einen

ſchweren Ernſt; was wir tun oder unterlaſſen, billigen oder verwerfen, das gilt hier nicht als eine bloße Privat

57

Das Suchen eines Halts angelegenheit, fondern als eine Sache des Ganzen und eine Pflicht gegen dieſes, es wirkt fördernd oder hemmend darauf zurück; an unſerer Stelle haben wir die Eröffnung einer Tiefe der Wirklichkeit zu vertreten und weiterzu⸗ führen; unſer Verſagen aber wird zu einer Auflehnung gegen die Ordnung des Alls. War es ein Zufall, daß bei uns die Reformation aus der Sorge um die Rettung der Seele fo gewaltige Kräfte zog, ein Zufall, daß unſer be- deutendſter Denker alle Größe und Würde des Menſchen an die moraliſche Aufgabe knüpfte? Das ergibt eine eigen⸗ tümliche Lage, daß mit jener Anerkennung der Gegenwart eines Ganzen des Lebens bei uns etwas im Menſchen ſelbſt geſetzt wird, was über dem Menſchen liegt. Indem dann geiſtiger und natürlicher Menſch weit auseinandertreten, geſtaltet das ganze Leben ſich zu einer ſchweren Aufgabe, aber es rechtfertigt ſich nun auch vollauf, den Menſchen als etwas Großes und Hohes zu behandeln; ihn ſo zu ſchätzen und ihm zugleich alle Tiefe, allen Zuſammenhang mit einer Welt der Innerlichkeit abzuſprechen, das er- ſcheint nunmehr als ein Widerſpruch, der verwirrend wirken muß, indem er die Anſprüche des geiſtigen Men— ſchen auf den natürlichen überträgt.

Nur ſolches Angewieſenſein auf eine Welt der Inner— lichkeit und das Hervorgehen eines geiſtigen Selbſt aus ihr erklärt das Hangen des Deutſchen am Weltgedanken und die Geſtaltung ſeines Lebens von dieſem Gedanken her.

58

Hangen des Deutſchen am Weltgedanken Wenn die deutſche Philoſophie über alle ſichtbare Welt zu letzten Tiefen der Wirklichkeit ſtrebt, und wenn ſie einen ſtarken Zug zur Bildung großer Syſteme, durchgebildeter Gedankenwelten hat, ſo ſteht hinter dem intellektuellen Bedürfnis ein Verlangen des ganzen Menſchen, eine Sorge nicht um ferne und fremde Dinge, ſondern um die Urſprünglichkeit und die Wahrheit des eignen Lebens. Mag dem Deutſchen noch ſo oft ein ſolches Suchen letzter Tiefen als unmöglich und überflüſſig dargeſtellt werden, eine Notwendigkeit ſeines Weſens zwingt ihn dazu, das Leben auf einen Punkt zu bringen, wo es ihm nicht bloß äußerlich anhängt, ſondern wo es ihm wahrhaft zu eigen, wo es zu einer Selbſtentfaltung des eignen Weſens wird; dies kann aber nur durch eine Verſetzung in ein Leben des Alls geſchehen, das von innen heraus geführt wird. Da— her wird der Deutſche allen Fragen und Zweifeln die Antwort entgegenhalten, welche Schelling in den Worten gibt: „Aber ſoll denn der Geiſt überhaupt nach Ergrün— dung feines Grundverhältniſſes zum Univerſum ſtreben? Ich antworte: wenn er es nicht ſoll, ſo muß er es wenig⸗ ſtens.“

Wie ſehr es den Deutſchen zu einer Überzeugung vom All, zu einer Weltanſchauung treibt, das zeigen auch Er— ſcheinungen wie die Sozialdemokratie und der Monis— mus: was bei anderen Völkern Leiſtung eines beſonderen Gebietes bleibt und ſich daher mit verſchiedenen Grund—

59

überzeugungen vereinen läßt, das geſtaltet fich in Deutſch⸗ land zu einer allumfaſſenden und ausſchließlichen Welt⸗ anſchauung, und das zieht aus ſolcher Wendung eine Steigerung ſeiner Kraft.

Es iſt aber dieſe Richtung des deutſchen Denkens auf das All nur ein Stück eines durchgehenden deutſchen Strebens. Denn dieſes, daß hier der Menſch ſich ſelbſt und feine Aufgabe vom All her als einer innerlich gegenwär⸗ tigen Macht verſteht, das gibt feiner Kultur einen eigen- tümlichen Charakter, und das unterſcheidet ſie ſehr von der engliſchen, der die Beziehung zur menſchlichen Geſellſchaft voranſteht, und das All nur den Hintergrund bildet. So ſucht der Deutſche in der Religion nicht ſowohl einen An— ſchluß an die Gemeinſchaft und eine Stärkung der Ge— meinſchaft als die Selbſterhaltung der Perſönlichkeit gegen alle Hemmungen draußen und drinnen; damit aber wird ihm zur Hauptſache die direkte Beziehung zum Urgrund der Wirklichkeit, die unmittelbare Gegenwart göttlichen Lebens in ſeiner Seele. Auch die Ethik iſt ihm an erſter Stelle nicht ein Wirken für andere, eine Sorge für den Stand der Geſellſchaft, ſondern die volle Aneignung der ihm eröffneten Geiſteswelt und die Verlegung ſeines Schwerpunkts in ſie. Von da aus wird auch ein neues Verhältnis zum Menſchen gewonnen und die Aufgabe ihm gegenüber erhöht. Hier gilt es vor allem, mehr aus dem Menſchen zu machen und nicht über der Sorge

Wahrhaftigkeit und Freiheit als Grundpfeiler deutſchen Lebens

um die Bedingungen des Lebens das Leben ſelbſt zu vergeſſen.

Dieſe ganze Bewegung läßt am deutſchen Weſen vor— nehmlich zwei Züge erſehen: ein Streben nach Wahr— haftigkeit und ein anderes nach Freiheit. Das Verlangen nach einem wahrhaftigen Leben, einem Leben, das auf ſich ſelber ſteht, ſich ſelbſt einen Inhalt gibt, in ſich ſelbſt ſeine Befriedigung findet, war der Hauptantrieb zum Streben nach einer ſchöpferiſchen Innerlichkeit. So muß das Streben nach Wahrheit den Deutſchen in all ſein Schaffen begleiten. Es verlangt dabei eine volle Treue gegen ſich ſelbſt als die wichtigſte aller Pflichten, es verlangt ein Schaffen aus innerer Notwendigkeit heraus und nur in Hinblick auf die Sache, nicht in Umwerbung anderer und nicht wegen der Wirkung bei ihnen; ein Bedachtſein auf die Wirkung draußen und ein Sichleitenlaſſen dadurch erſcheint als eine Verfälſchung echten Strebens; ſo ent— ſprach es dem Geiſte des deutſchen Volkes, wenn Schopen— hauer nur den für einen echten Denker erklärte, der nicht für andere, ſondern für ſich ſelber denkt. Nicht minder wird gefordert, daß das ganze Weſen in das Werk hinein— gelegt werde und darin voll zum Ausdruck gelange; dies aber geſtaltet ſich beſonders dadurch ſchwer und wichtig, daß unſer eignes Weſen uns nicht fertig zufällt, ſondern durch Zweifel und Arbeit hindurch erſt zu erringen iſt, und daß das Werk ſelbſt dieſe Bewegung zu fördern hat.

Das Suchen eines Halts

Mit dem Verlangen nach Wahrhaftigkeit hängt beim Deutſchen aufs engſte zuſammen das nach Freiheit. Denn vollauf unſer eignes Leben und Weſen werden kann nur, was wir frei und ſelbſtändig ergreifen, was aus unſerer eignen Bewegung und Entſcheidung hervorgeht. Auch hier ſpricht ſich die Eigentümlichkeit des Deutſchen gegen— über der anderer Völker deutlich aus. Durch die ganze Neuzeit geht ein Kampf um Freiheit gegenüber dem Ord— nungsſyſtem des Mittelalters mit ſeinen Abſtufungen und Abhängigkeitsverhältniſſen, aber es hat ihn jedes der großen Kulturvölker in eigentümlicher Weiſe geführt. Dachten die anderen dabei vorwiegend an eine Unabhängigkeit des Individuums im Verhältnis zu Staat und Geſellſchaft, ſo denkt der Deutſche vielmehr an ſeine Stellung im Ganzen der Wirklichkeit, und es bedeutet volle Freiheit ihm dabei ein Wirken rein von innen heraus, eine Er— hebung feines Lebens und Schaffens zu voller Gelbftändig- keit und Urſprünglichkeit. So ſind unſere leitenden Denker darin einig, an die Freiheit vornehmlich die Größe und Würde des Menſchen zu knüpfen. So tat es Leibniz, wenn er in dem Menſchen nicht ein bloßes Stück des Alls, ſondern einen freien Bürger des Gottesſtaates ſah, ſo war es für Kant die Freiheit, welche den Menſchen adelt und weit über alle Natur erhebt, ſo ſetzte Hegel den Endzweck der Welt in das Bewußtſein des Geiſtes von ſeiner Freiheit. Auch Goethe ſah den Kern ſeines

Wahrhaftigkeit und Freiheit als Grundpfeiler deutſchen Lebens Wirkens darin, daß es dem Menſchen zu mehr innerer Freiheit verhelfe. Wie ſich das zur pſychologiſchen Frage der Willensfreiheit verhält, das iſt ein Problem für ſich, das die verſchiedenen Denker verſchieden beantwortet haben, aber einig find fie alle in der Forderung einer Freiheit für das ganze Leben und Weſen.

Dieſe deutſche Forderung der Freiheit bedarf einer vollen Anerkennung ihrer Eigentümlichkeit, um gegen Miß— deutung geſchützt zu ſein. So verſtanden iſt die Freiheit kein fertiger Beſitz, ſondern ein hohes Ziel, das ſich nur allmählich erreichen läßt. Denn um jene Urſprünglichkeit des Lebens zu gewinnen, gilt es alles auszutreiben, was an Fremdes bindet und von ihm abhängig macht, gilt es möglichſt ſeinen ganzen Gehalt aus ſeiner eignen Bewe— gung hervorzubringen. Das ruft Bewegungen über Be— wegungen hervor, indem der Verlauf der Arbeit uns immer wieder erkennen läßt, daß etwas, was urſprünglich ſchien, Vorausſetzungen in ſich trägt und damit abhängig wird; ſo gilt es immer weiter zu ſtreben und den ſcheinbar ſicheren Beſitz immer wieder in ein Problem zu verwandeln. So hängt mit der Freiheit eng zuſammen das Streben nach Unendlichkeit, das durch das deutſche Weſen geht; ſchon der erſte moderne Denker verkündigt es mit voller Ent: ſchiedenheit. Denn es ſagt Nikolaus von Cues: „Immer mehr und mehr erkennen zu können ohne Ende, das iſt die Ahnlichkeit mit der ewigen Weisheit. Immer möchte der

63

Das Suchen eines Halts

Menſch, was er erkennt, mehr erkennen, und was er liebt, mehr lieben, und die ganze Welt genügt ihm nicht, weil fie fein Erkenntnisverlangen nicht ſtillt.“ Ferner hat dieſe deutſche Faſſung der Freiheit nichts zu tun mit Willkür und Eigenſinn, denn die erſtrebte Urſprünglichkeit wird nur erreicht durch ein Gehobenwerden in unſichtbare Zu: ſammenhänge und eine daraus entſpringende Wandlung, die Freiheit erſcheint damit als das höchſte Werk der Gnade. Der mißverſteht das deutſche Freiheitsſtreben völlig, wer es als einen Ausfluß von Eigenſinn und Eigendünkel ver⸗ ſteht.

Aus ſolchem Streben nach Wahrhaftigkeit und Frei⸗ heit entſpringt eine gewaltige Bewegung, welche die letzten Tiefen aufwühlt und ſich nicht mit einer gegebenen Welt begnügt, ſondern ſich ſtark genug fühlt, eine neue Welt zu erringen und ſie der alten entgegenzuſetzen, die damit dem Menſchen neue Tiefen aufſchließt und ihn auf ungeahnte Bahnen führt. Daher konnte Fichte ſagen: „Der deutſche Geiſt wird neue Schachten eröffnen und Licht und Tag einführen in ihre Abgründe, und Felsmaſſen von Gedan— ken ſchleudern, aus denen die künftigen Zeitalter ſich Woh⸗ nungen erbauen.“

Dieſes Reich ſelbſtändiger Innerlichkeit, das der Deutſche erſtrebt und erſtreben muß, um ſeinem Leben Wahrheit zu geben, kann ſich nur entfalten in Erhebung über die Welt der Erfahrung, in einem Wirken aus eigner Kraft und

64

Deutſches Verhalten zur Welt der Erfahrung nach eignen Geſetzen. Aber das beſagt keineswegs, daß es jenes Daſein ruhig liegen laſſen und ganz bei ſich ſelbſt verweilen dürfe; es kann das ſchon deshalb nicht, weil es für ſeine eigene Wahrheit darauf beſtehen muß, nichts außer ſich zu dulden, ſondern alles was irgend vorhanden iſt, an ſich zu ziehen und von ſich aus umzubilden; es kann es auch deshalb nicht, weil es bei uns Menſchen weder in fertiger Geſtalt eintritt, noch ſich aus ſich ſelbſt heraus in ruhigem Fortgang entfaltet, ſondern weil es der Be— ziehung auf die Welt der Erfahrung und eines unabläſſigen Kampfes mit ihren Widerſtänden bedarf, um ſeine eigene Durchbildung und Vollendung zu finden. Je tiefer die hier unternommene Bewegung geht, deſto größere An— ſprüche muß ſie ſtellen, und deſto mehr wird ihr der Stand der Umgebung als ungenügend, ja als feindlich erſcheinen. So konnte Luther ſagen: „Je chriſtlicher einer iſt, deſto mehr iſt er dem Übel, dem Leid, dem Tod unterworfen.“ Aber wenn ſich damit aller bequeme Kompromiß verbietet, fo braucht die Auseinanderſetzung mit dem Daſein keines⸗ wegs immer feindlich auszufallen, das Neue kann An— knüpfung in dem Alten finden, es kann, was dieſes an geiſtigen Elementen enthält, zuſammenfaſſen und verſtärken, es kann Schlummerndes wecken, Schein und Wahrheit ſcheiden, mehr Bewegung in das Daſein bringen. Darum kann die deutſche Art ſich unmöglich ganz und gar in die Innenwelt verſenken, ſie muß ſich einen offenen Blick und

5 65

Das Suchen eines Halts

eine warme Teilnahme auch für das Daſein wahren, fie wird ſowohl ſeine Eigentümlichkeit zu erkennen als auf es zu wirken bedacht ſein. So zeigen es auch die Denker, deren kühner Gedankenflug ſie zu einer neuen Welt empor⸗ trug, ſo hält z. B. Leibniz den Reichtum der Erfahrungs⸗ welt ſeiner Forſchung allezeit gegenwärtig, und ſo ſetzt er größten Eifer daran, dieſe Welt möglichſt zu verbeſſern, mehr Vernunft in ihr zu erwecken; ſo hat auch Kant, eben indem er dem Denken eine volle Unabhängigkeit gegenüber der Erfahrung erkämpft, ihm eine enge Beziehung zu ihr gewahrt und dadurch die eigentümliche Art des menſchlichen Erkenntnisvermögens klarer herausgeſtellt, zugleich hat er durch die Gewalt ſeiner ethiſchen Uberzeugung aufrüttelnd und ſtärkend auf eine weichliche Zeit gewirkt; ſo hat über⸗ haupt der deutſche Idealismus der klaſſiſchen Zeit mit ſeiner Verinnerlichung die nationale Erhebung und die großen Leiſtungen des 19. Jahrhunderts allererſt möglich gemacht. Auch die Religion hat beim Deutſchen bei aller Tiefe der Innerlichkeit nicht in orientaliſcher Weiſe dem Menſchen die Welt als gleichgültig dargeſtellt, es hat bei ihr die Ewigkeit die Zeit nicht gänzlich verſchlungen, vielmehr hat ſie ſich in dieſe eingeſenkt und ihr damit Gehalt und Wert verliehen. Selbſt da, wo das deutſche Schaffen die ſichtbare Welt ganz und gar zu verlaſſen ſcheint, erkennt ein näheres Zuſehen leicht die Fortdauer einer Verbindung. Das unterſcheidet z. B. die deutſche Myſtik von der

66

Deutſches Verhalten zur Welt der Erfahrung griechiſchen, einen Eckhart von einem Plotin, daß auf griechiſchem Boden die religiöſe Überzeugung gegen die ſichtbare Welt durchaus gleichgültig macht und alle Nei⸗ gung aufhebt, ſie zu ergreifen und weiterzubilden; wie es dagegen einen Eckhart von aller Höhe der religiöſen Speku— lation mächtig in die Welt zurücktreibt, davon haben wir uns überzeugt. Nicht anders ſteht es mit der philoſophi— ſchen Spekulation; mag Hegel das Ganze der Wirklich— keit aus reiner Gedankenbewegung erzeugen wollen, und ſcheint dafür alle Erfahrung entbehrlich, fo bleibt in Wahr— heit die Welt der Erfahrung ſeiner Arbeit ſtets gegen— wärtig, ſeine Gedankenwelt iſt geſättigt von den Eindrücken und den Aufgaben der um ihn befindlichen Welt, ſie ver— dankt dem ein gutes Stück ihrer Wirkung, die eine der ſtärkſten geiſtigen Mächte des 19. Jahrhunderts war. So wird durchgängig das deutſche Leben durch das Hin— ausgehen über die Welt nicht zu einer matten Weltflucht verleitet. Freilich kehrt es nicht zur Welt der Erfahrung zurück, um ganz in ſie aufzugehen und alles Gewonnene lediglich in ihren Dienſt zu ſtellen, ſondern der Schwer— punkt des Lebens bleibt in der neuen Welt, nur aus der Verbindung mit ihr ſchöpft das Daſein einen Sinn und Wert.

Immer bleibt hier beſtehen, daß ſich dem Deutſchen das Daſein nicht in die Innenwelt gänzlich umſetzt, ſondern daß es ihr gegenüber beharrt und einen ſelbſtändigen Stand⸗

5* 67

Das Suchen eines Halts ort des Lebens bildet; fo verbleiben zwei Ausgangspunkte, zwei Pole des Lebens, von denen jeder für ſich in ſeinem Recht anerkannt werden muß. Dies macht begreiflich, daß große Kämpfe, Kämpfe von Ganzem zu Ganzem, entſtehen, daß immer neue Widerſtände erſcheinen, und daß überhaupt das Leben des Menſchen nicht zu einem reinen Abſchluß gelangt. Aber ſolche Unfertigkeit macht es keineswegs vergeblich und unfruchtbar, denn in dem Kampf und durch ihn hindurch können ſich neue Tiefen des Innenlebens erſchließen, und es kann daraus die Hoff- nung, ja die Gewißheit entſpringen, daß das Ganze vor: wärts kommt und ein Sinn ihm zugrunde liegt.

Alles zuſammen ergibt ein ſehr eigentümliches und ein höchſt bedeutendes Geſamtbild vom deutſchen Leben und Streben; es iſt ein Ringen um ein wahrhaftiges Leben; um dies zu erreichen, bricht der Deutſche mit der nächſten Welt, ſtellt ſich auf ſeine Innerlichkeit und findet hier einen Zuſammenhang mitt letzten Tiefen des Alls und mit einer Bewegung des Alls; in Ergreifung deſſen wird er ſtark genug, Welt gegen Welt zu ſetzen und in Arbeit und Kampf ſeinem Leben einen Wahrheitsgehalt und eine unvergleichliche Größe zu geben. Es ſteht und fällt aber dieſes Leben mit einer eigentümlichen Überzeugung vom Ganzen der Welt, mit der Überzeugung nämlich, daß unſere Welt eine Stätte des Werdens iſt, in der eine höhere Stufe der Wirklichkeit gegen eine niedere aufſteigt,

68

Geſamtbild des deutſchen Lebens

dabei in härteſten Kampf mit dieſer gerät, in dem Kampf aber neues erringt und in der Gewißheit eines Sieges unbeirrt weiter vordringt. Es erſcheint in dem allen ein ſtarker Glaube, ein kühnes Wagnis, ein Wandeln auf ſchwindelnder Höhe, es erſcheint aber zugleich eine gewal— tige Erhöhung des Menſchen, der nunmehr ein Welt⸗ weſen wird, Weltgeſchicke erlebt, mit feinem Handeln in fie eingreift. Eine volle Uberzeugungskraft wird das nur bei eigener Zuwendung erlangen, bei Aufnahme der Be— wegung in das eigene Wollen und Streben. Fehlt dieſe Aneignung, ſo mag, ja muß jenes Wagnis eine kecke An— maßung ſcheinen. Aber jene Aneignung unterlaſſen, das heißt auf den geiſtigen Charakter des Lebens verzichten, alle Wahrheit preisgeben, einer inneren Zerſtörung verfallen. Das iſt einmal wie ein Geſchick ſo ein Vorzug alles Großen, daß es ſich nicht aufdrängen und andemonſtrieren läßt, ſondern aus eigner innerer Bewegung und Entſchei— dung hervorgehen muß. Bei Fragen peripherer Art läßt ſich ſolcher Entſcheidung entgehen, nicht aber läßt ſich das hier, wo es ſich um das Zentrum des Lebens und ſeine Hauptrichtung handelt. Wie ſich hier alle Fragen in eine einzige zuſammenfaſſen, ſo liegt auch die Antwort nicht an einzelnen Gründen, ſondern an der Kraft und Tiefe des ganzen Lebens. Das Ja und das Nein ſtehen hier unverſöhnlich gegeneinander.

Wird aber das neue Leben vollauf angeeignet, ſo ent—

69

Das Suchen eines Halts wickelt es den Charakter überragender Größe, und ſo ver— mag es Widerſprüche zu überwinden, die ſonſt das Leben zerreißen. Es erzeugt gewaltige Kraft, duldet keine Gren— zen und bewegt den ganzen Umkreis des Lebens, aber es begnügt ſich nicht damit, die bloße Kraft zu ſteigern und im Strom der Zeit von Punkt zu Punkt fortzueilen, fon- dern es gewinnt in der Ausbildung einer inneren Selb— ſtändigkeit einen Standort, wo es aller Bewegung über— legen wird, wo ſich ihm alles Geſchehnis in ein Erlebnis verwandelt, und wo ſich aus allem Wandel ein Ewigkeits⸗ gehalt heraushebt. Damit wird der Boden für eine eigen— tümliche Inhaltskultur gewonnen, welche mit ihrer Be— lebung einer Tiefe nicht nur jeder bloßen Kraftſteigerung, ſondern auch aller bloßen Formkultur weſentlich überlegen iſt. Ferner enthält jenes neue Leben eine eigentümliche Schätzung des Menſchen, die ſowohl ſeine Größe als ſeine Grenze vollauf anerkennt. Indem dies Leben ſo viel mehr aus dem Menſchen macht und ſeinem Handeln eine ſo viel größere Bedeutung gibt, muß es in ihm ein ſtarkes Bewußt⸗ ſein ſeiner Größe erwecken und ihn weit über das natürliche Daſein erheben; aber dies Bewußtſein kann ſich nicht zu ſtolzem Hochmut überſpannen, weil der Menſch jene Größe und überhaupt ſein geiſtiges Selbſt nur aus der Kraft des Ganzen, nur aus überlegenen Zuſammenhängen empfängt. So verbindet ſich mit dem Bewußtſein der Größe eine Ehrfurcht vor höheren Mächten, und es gewinnt dieſes

70

Deutſcher, griechiſcher und indiſcher Idealismus

Leben von Grund aus einen aller dogmatiſchen Formu— lierung überlegenen ethiſchen und religiöſen Zug. Hier nämlich kommen Religion und Moral nicht an ein ge— gebenes Daſein heran, um ihm gewiſſes zu leiſten und ge— wiſſes von ihm zu verlangen, ſondern ſie machen hier jenes höhere Leben, jenes geiſtige Selbſt erſt möglich, ſo ſind ſie ſeiner Entwicklung aufs engſte verbunden, und es beſagt ihre Preisgebung nicht weniger als eine Zerſtörung deſſen, was ihm ſeinen Wert und ſeine Überlegenheit gibt.

Die Eigentümlichkeit dieſes deutſchen Idealismus tritt beſonders deutlich hervor im Vergleich mit anderen her— vorragenden Formen des Idealismus, beſonders dem grie— chiſchen und dem indiſchen. Deutſche und griechiſche Denk— art ſtimmen darin zuſammen, daß ſie die Ziele des ſinn— lichen Daſeins und zugleich alle bloße Mützlichkeit unzu— länglich finden und ein Leben fordern, das ſeinen Wert in ſich ſelber trägt. Auch der Grieche ſtellt dem Menſchen eine große Aufgabe, nämlich die, von der verworrenen Sinneswelt in heroiſchem Aufſchwung zu einer Welt reiner Schönheit und ewiger Wahrheit aufzuſteigen und dieſe gegenüber jener tapfer feſtzuhalten. Aber er hat eine Grenze darin, daß er das All als ein geſchloſſenes Kunſt— werk und damit als fertig betrachtet, daß er den Men— ſchen nicht aufruft, in Aufbietung ſeiner Kraft den Ge—

ſamtſtand der Wirklichkeit weiterzubilden, ſondern daß er ihm als die Höhe des Lebens die reine Anſchauung bia

Das Suchen eines Halts er kann das nicht wohl, ohne die Welt für ein Reich der Vernunft zu erklären und zu dieſem Zwecke das Übel in ihr möglichſt abzuſchwächen und wegzudeuten. Das aber ſchädigt notwendig die Spannung, ja die Tiefe des Lebens. Der indiſche Geiſt erlangt mehr Unabhängigkeit gegen die Welt, wie ſie vorliegt, er iſt groß in der Abwägung ihres Wertes und in der völligen Erhebung über ſie. Aber ihn erregt und ſchmerzt weniger das Ungenügen ihres Gehalts und ihr ethiſcher Widerſpruch, als die Grundform ihres Geſchehens, das Flüchtige und Nichtige alles deſſen, was in ihr unternommen wird, die Sinnloſigkeit der Auf: regung, die das beim Menſchen hervorruft. So gilt es vor allem eine gründliche Austreibung dieſes Scheins; was aber ihm gegenüber erſtrebt wird, das iſt mehr Ruhe und Frieden als der Aufbau einer neuen Welt, das iſt mit ſeiner Ertötung aller Affekte mehr verneinender als be— jahender Art, es ſtrebt daher nicht zur Welt zurück, um neues aus ihr zu machen. Der deutſche Idealismus da— gegen bricht allerdings mit der erſten Welt, aber er ver: ſetzt den Menſchen durch geiſtiges Schaffen in die neue Welt eines Lebens von innen heraus, und er ſucht von dieſer neuen Welt fördernd und hebend auch auf die alte zu wirken; bei ſolcher Überzeugung kann er die Unbill und Unvernunft der vorgefundenen Lage ohne alle Abſchwächung anerkennen, ohne den Mut zu verlieren, ja er kann darin einen Antrieb zu geſteigerter Tätigkeit finden; ihm wird

Deutſche, indiſche und chriſtliche Art dann nicht das Erkennen den Kern des Lebens bilden, fon- dern eine ſchöpferiſche Tätigkeit, die, als auf den ganzen Bereich des Lebens gehend, ſich deutlich von dem unter— ſcheidet, was man praktiſches Wirken zu nennen pflegt. Von hier aus ergibt ſich auch eine nahe Verwandtſchaft des deutſchen Lebens mit dem Grundcharakter des Chriſten⸗ tums. Freilich führt das deutſche Verlangen nach voller Urſprünglichkeit des Lebens leicht in einen Widerſpruch zur kirchlichen Faſſung des Chriſtentums, aber das hindert nicht eine Ibereinſtimmung im Kern der geiſtigen Art. Hier wie da wird durch entſchiedene Verneinung und völlige Umwälzung hindurch ein Aufſtieg des Lebens vollzogen, hier wie da erhebt ſich die Bewegung nicht nur von einem Nein zu einem Ja, ſondern es bleiben auch auf der Höhe das Ja und das Nein miteinander gegenwärtig, und es entſteht damit eine unabläſſige Bewegung, die immer neue Tiefen eröffnen mag. Auch das iſt gemeinſam, daß hier nicht um einzelne Fragen und um einzelne Seiten des Lebens gekämpft wird, ſondern daß es die Erringung eines neuen Menſchen gilt, daß dabei nicht weniger als die Rettung der Seele auf dem Spiele ſteht, und daß die großen Weltprobleme unmittelbar in das Leben des Ein: zelnen reichen.

Der pofitiven Behauptung, welche das deutſche Leben in dem allen enthält, entſprechen beſtimmte Verneinungen. Jenes Leben kann keine Genüge bei einer Geſtaltung fin—

73

Das Suchen eines Halts den, welche das Befinden des bloßen Menſchen zum Ziel aller Ziele macht, es widerſteht daher notwendig allem Utilitarismus und Pragmatismus; ebenſowenig kann es einer Überzeugung huldigen, welche die Natur zum In: begriff aller Wirklichkeit macht und damit alle Gelb: ſtändigkeit und allen Selbſtwert geiſtigen Lebens aufhebt, es verwirft daher allen Naturalismus, mag er ſich Ma⸗ terialismus oder Monismus nennen; ferner genügt ihm kein Idealismus, der nicht eine große Wandlung des Menſchen mit ſich bringt und ihn nicht zu einer wefen- erneuernden Tat aufruft, fo lehnt es allen Aſthetizismus ab, der ſich mit dem gegebenen Daſein begnügt und es möglichſt in Schmuck, Genuß und Spiel verwandelt; es wahrt ſich in allen Kämpfen und Erſchütterungen einen feſten Glauben an eine Tiefe der Wirklichkeit und an eine ſchaffende wie erhöhende Macht des Geiſtes, es ſchöpft aus ſolchem Glauben einen unerſchütterlichen Lebensmut, fo kann es nicht einer zagen Weltflucht und einem trüb⸗ ſeligen Peſſimismus verfallen; zugleich aber laſſen feine hohen Ziele es den Widerſtand und das Dunkel der Welt, die uns umgibt, auch das Unzulängliche alles eignen Unter- nehmens mit beſonderer Schwere empfinden, und ſchützen daher gegen allen flachen Optimismus, der leicht und be: quem mit der Welt fertig wird. Mögen die damit ver: worfenen Richtungen in der Breite des deutſchen Lebens noch fo viel Raum einnehmen, der Tiefe dieſes Lebens ent:

74

Arbeit und Schaffen im deutſchen Leben ſprechen ſie keineswegs, und das Ganze des deutſchen Lebens wird bei ihnen nie ſein Genüge finden.

Solche eigentümliche Beſchaffenheit des deutſchen Ide⸗ alismus geſtattet es auch, eine freundliche Verbindung und eine fruchtbare Wechſelwirkung mit der deutſchen Arbeit herzuſtellen. Daß hier zunächſt ein Gegenſatz vorliegt, ſei in keiner Weiſe abgeſchwächt. Die Arbeit ſetzt eine Welt der Gegenſtände außer ſich voraus, macht ſich an ihr zu tun und ſucht ſie dem Menſchen zu unterwerfen; das Schaffen möchte eine Wirklichkeit aus ſich ſelber erzeugen und alles, was draußen liegt, in ein Inneres verwandeln. Aber eben die Art, wie ſich beides im deutſchen Leben ge— ſtaltet, ermöglicht eine Verſtändigung, ja ein Zuſammen— ſtreben. Der deutſchen Arbeit iſt eigentümlich, daß fie nicht ein bloßes Mittel der Lebenserhaltung bleibt, ſon— dern daß fie zu einem Selbſtzweck wird, daß fie dem Men— ſchen nicht äußerlich anhängt, ſondern daß ſie ſeine Seele an ſich zieht und dadurch ſich ſelbſt mit ſeeliſchem Leben erfüllt. So ſetzt die deutſche Arbeit ein ſelbſtändiges Seelen— leben und einen Selbſtwert der Innerlichkeit voraus. Auf der anderen Seite aber fanden wir das deutſche Schaffen mit einem Weltaufbau befaßt, es verzehrt ſich nicht in müßigem Brüten und Grübeln oder im Aufbringen weicher Stimmungen, ſondern es will aus ſeiner Bewegung das Ganze einer Wirklichkeit entwickeln, es kann dazu nicht gelangen ohne im eignen Bereich von der Kraft einen

75

Das Suchen eines Halts

Gegenſtand abzulöfen, ihn ihr entgegenzuſetzen und durch ſeine Geſtaltung das Ganze des Lebens weiterzubilden; in Befaſſung mit dem Gegenſtande und im Ringen mit ſeinen Widerſtänden wird es ſelbſt zu einer Arbeit, einer inneren Arbeit, die aber an Ernſt und Anſtrengung hinter der nach außen gerichteten Arbeit in keiner Weiſe zurück— ſteht. Dabei ſahen wir, daß das deutſche Schaffen die Welt der Erfahrung keineswegs gleichgültig liegen ließ, ſondern ſich aufs gründlichſte mit ihr befaßte und ſie weiterzubilden befliſſen war; dafür aber iſt ihm eine wert⸗ volle Hilfe, daß die Arbeit ihm eine gewiſſe Unterwerfung und Vergeiſtigung der Erfahrungswelt entgegenbringt.

Wenn ſo von beiden Seiten her ſchließlich dasſelbe Ziel erſtrebt wird, ſo iſt für die menſchliche Lage das eine auf das andere angewieſen, die Schädigung der einen Seite bringt auch der anderen einen Verluſt. Die Arbeit bedarf des Schaffens, weil nur dies ihm eine belebende Seele zuführt, ohne welche fie unvermeidlich einer geift- loſen Mechaniſterung verfällt; das Schaffen aber bedarf der Arbeit, weil es dadurch vor einer Ablöſung von der Welt und einem Sichverlaufen in unſichere und erträumte Bahnen behütet wird; das Ganze des Lebens bedarf, um die Innerlichkeit nicht in Weichlichkeit und die Kraft nicht in blinden Tatendrang verfallen zu laſſen, eines Gleich— gewichts von Schaffen und Arbeit. Daß das deutſche Weſen beide Seiten umſpannt und damit dem Leben zwei Pole, ſowie

76

Deutſche Verbindung von Schaffen und Arbeit

zwei Bewegungsrichtungen gibt, daß es aber durch ſolche Scheidung hindurch das gemeinſame Ziel einer geiſtigen Bewältigung der Wirklichkeit und der Erringung eines Lebensgehalts verfolgt, das iſt es, worin feine Mannig⸗— faltigkeit ſich zur Einheit eines Ganzen zuſammenfaßt, und was allem Handeln und Streben eine beſtimmte Rich— tung weiſt. Gerade daß wir von verſchiedenen Seiten aus wirken, gibt unſerem Streben eine Größe und hält es in ſteter Bewegung.

Es läßt ſich aber eine ſo hervorragende Beſchaffenheit der deutſchen Arbeit nicht vor Augen ſtellen, ohne daß zugleich deutlich wird, wie ſchwere Gefahren die volle Ent— wicklung dieſer Art bedrohen, und wie weit der Durch— ſchnitt des Lebens hinter der geforderten Höhe zurückbleibt. Das Verlangen nach einem echten und gehaltvollen Leben, nach Befreiung von Halbheit und Schein, konnte nur in einem Selbſtändigwerden der Innerlichkeit Befriedigung finden; die Innerlichkeit iſt aber ſtets der Gefahr aus— geſetzt, ins Bloßmenſchliche und Subjektive zu geraten und dem Menſchen nicht ſowohl eine Tiefe der Wirklichkeit zu eröffnen, als nur eine Sonderwelt aufzubringen und damit aus der Wahrheit herauszufallen. So wird die Innerlichkeit, der Stolz und die Größe des Deutſchen, zugleich ſeine größte Gefahr und oft ſein Verhängnis; Zerſplitterung, Eigenſinn, Formloſigkeit, Verflüchtigung echten Lebensgehalts können aus ihrem Sinken hervor:

77

Das Suchen eines Halts

gehen. Aber auch bei Feſthaltung der Hauptrichtung bleiben mannigfachſte Gefahren. Das deutſche Leben trägt in ſich eine gegenläufige Bewegung: ein Sich⸗los⸗reißen von der nächſten Welt, eine Befeſtigung in ſich ſelbſt, eine Rückkehr zu jener Welt, um ſie weiterzubilden, und zu— gleich bei ſich ſelbſt zu wachſen; ein Ganzes des Lebens muß dieſe Seiten umſpannen, aufeinander beziehen und in das rechte Verhältnis bringen. Wieviel dazu gehört, und wie nahe hier Irrungen liegen, das bedarf keiner Ausführung.

So iſt der Deutſche ſich ſelbſt ein Ideal, wohl bei keinem anderen Volke geht die Forderung ſo hoch; daher kann es auch nicht befremden, daß hier ſich wohl der wei— teſte Abſtand zwiſchen der Höhe und dem Durchſchnitt findet. Jenes Beſtehen auf einem inneren Zuſammen⸗ hang mit dem All und auf voller Wahrheit und Freiheit des Lebens verhindert nicht die weite Ausbreitung eines öden Spießbürgertums, einer Enge und Kleinlichkeit, einer Unſicherheit und Gebundenheit im Durchſchnitt des Lebens. Es hängt mit dieſem weiten Abſtand von Oberfläche und Tiefe ohne Zweifel zuſammen, daß wir Deutſchen mehr ſchaffende Größen erſten Ranges beſitzen als irgendein Volk ſeit dem alten Griechentum, daß wir aber weit weniger Größen zweiten Ranges haben als andere Völker, Größen, welche die Höhe des Schaffens dem Ganzen des Volkes vermitteln und jedem einzelnen zuführen könnten.

78

Der Deutſche ſich felbft ein Ideal

Solcher Abſtand des deutſchen Schaffens von der Durch— ſchnittslage erklärt auch, daß dem Deutſchen ſich die Tiefe des eignen Weſens leicht verdunkelt und damit unſicher wird. So muß er die eigne Höhe immer von neuem er— klimmen, ſo kann er an ſich ſelbſt immer von neuem irre werden. Das zeigt beſonders deutlich die Gegenwart. Aber gegenüber allen Zweifeln der Menſchen und Zeiten ver— bleibt die Grundbewegung des deutſchen Lebens, ſie bietet dem Deutſchen einen Halt und weiſt ihm hohe Ziele auch in den Wirren der Gegenwart.

79

| Die Forderung der Gegenwart

D die Gegenwart nicht das Ganze en deut⸗ . ſchen Lebens aufruft und zur Betätigung

5 2 bringt, das iſt nicht zu beſtreiten. Gewiß DNS find wir tüchtig, hervorragend, führend im Reich der Arbeit, aber daß unſer Schaffen ſtockt, und daß wir uns bei den großen Fragen nicht ſowohl im Beſitz als im Suchen, und zwar einem ſehr unſicheren und vielfach geſpaltenen Suchen befinden, das hat der Beginn der Unter⸗ ſuchung deutlich vor Augen geſtellt. Was eine ſolche Lage an Zweifel und Verneinung erzeugt, das wendet ſich auch gegen den Grundcharakter des deutſchen Schaffens und damit gegen das deutſche Weſen, auf deutſchem Boden ſelbſt muß es einen harten Kampf für ſein Recht und feine Bedeutung führen. Aber fo gewiß die geiſtige Not— wendigkeit menſchlicher Willkür und Irrung überlegen iſt, ſo gewiß wird es ſiegreich dieſen Kampf beſtehen; nur fällt ein ſolcher Sieg nicht mühelos zu, er verlangt eine Aufrüttelung unſerer Weſenstiefe und eine Aufbietung aller Kraft.

Wenn heute der deutſche Idealismus mit ſeiner Innen⸗ welt entbehrlich dünkt, ja als eine grobe Irrung verworfen wird, ſo findet das ſeine Erklärung zum guten Teile darin, daß die Aufgaben und die Schätzungen, welche jenem ent- ſtammen, im praktiſchen Leben oft auch von denen feft- gehalten werden, welche ihn prinzipiell, oft mit leidenſchaft—

80

NL

AN

Heutiger Widerſpruch in der Lebensrichtung

lichem Eifer, bekämpfen; nur ſo wird es möglich, die un— aufhaltſame Zerſtörung und die unerträgliche Leere zu überſehen, welche jene Verneinung, klar durchdacht und voll ausgeführt, mit ſich bringt. Denn fällt jene Wer: innerlichung des Lebens, ſo werden alle Größen und Güter, welche die ſichtbare Welt und die Selbſterhaltung des Einzelnen überſchreiten, zu leeren Phantomen, die vor wachſender Aufklärung ſich mehr und mehr auflöfen müſſen. Verworrene Köpfe mögen eine geiſtige Tiefe der Wirk— lichkeit leugnen und zugleich ein Gutes, Wahres und Schönes feiern, ſie können das nur, weil ſie ſich keinerlei Gedanken über den näheren Inhalt und die Voraus— ſetzungen dieſer Begriffe machen, ſondern automatiſch Schätzungen nachſprechen, welche von ihren Grundlagen abgelöft hohle Phraſen werden. Wie laſſen ſich noch Größen wie Perſönlichkeit und geiſtige Individualität als hohe Ziele behandeln, überhaupt in irgendwelchen Ehren halten, wenn der allbezwingende Naturmechanismus ihnen alle Berechtigung nimmt, ja durchaus unbegreiflich macht, daß ſolche Begriffe überhaupt entſtehen konnten? Wie können Gedanken wie Ehre und Liebe, Pflicht und Recht noch irgendwelchen Platz in einem Weltgefüge behaupten, das nur eine Wechſelwirkung blinder Elemente und nur das Geſetz des Stärkeren kennt? Dabei darf es uns nicht be ruhigen, daß bei ſolcher Inkonſequenz die höheren Werte tatſächlich anerkannt werden und das Leben damit ſeine

Die Forderung der Gegenwart alten Geleiſe behält. Denn auf geiſtigem Gebiet verliert, was nur mechaniſch fortläuft, alsbald ſeine Kraft und Schärfe, hier iſt immer von neuem hervorzubringen, immer von neuem in eignes Wollen zu verwandeln, was unver— mindert fortwirken ſoll. Im beſondern gilt das von den Grundüberzeugungen und von der Hauptrichtung des Le— bens. Raſch kommt hier alles ins Sinken, was nicht die ganze Perſönlichkeit und die eigne Entſcheidung des Menſchen beſitzt; was aber an einzelnen Anregungen ver⸗ bleibt, das muß um ſo unzulänglicher dünken, je mehr Verwicklungen im menſchlichen Leben anerkannt werden, und je härtere Widerſtände die Aufbringung des geiſtigen Lebens bei uns überwinden muß. Nur der flachſte Opti— mismus kann mit dem kümmerlichen Reſte auszukommen hoffen, den ein weitverbreiteter Zug der Zeit von dem reichen Erbe der weltgeſchichtlichen Arbeit noch feſtzuhalten geruht. So iſt ein Entweder - oder nicht zu verkennen, wir treiben einer Kataſtrophe zu, wenn dem unvermeid⸗ lichen geiſtigen Sinken nicht energiſch widerſtanden wird. Schon jetzt empfinden wir ſchmerzlich den Mangel an ſchaffenden Perſönlichkeiten und an ſtarken Charakteren, ſchon jetzt ſtockt bei uns das geiſtige Schaffen und ſinkt die ſittliche Energie; ſoll das ſo weitergehen, ſollen wir immer mehr einen inneren Halt verlieren und unſer Leben mehr und mehr der Leere verfallen laſſen? Soll die ge- waltige Arbeit der Jahrtauſende darin auslaufen, daß nur

82

Ein Entweder⸗oder in der heutigen Lage unſere Selbſtſucht immer mehr Waffen gewinnt, unſer Vorſtellen beweglicher, unſere Sinnlichkeit raffinierter wird? Soll die geiſtige Evolution der Menſchheit das Haupt— ergebnis haben, daß der Menſch darin ſich ſelbſt zerſtört und ſich alles Wertes beraubt, indem er ſich nur als ein etwas begabteres Tier verfteht?

Solche Wendung müſſen wir nicht nur als Indivi⸗ duum, um unſerm Leben einen Sinn zu wahren, ſondern auch als Deutſche zurückweiſen und bekämpfen. Wir würden ſonſt ja mit dem, was uns eine hervorragende Größe gab, vollſtändig brechen, wir müßten unſer durch jahrtauſendlanges Wirken bekundetes Weſen verleugnen, wir könnten in Männern wie Luther, Kant, Goethe, Beethoven nicht mehr Helden des Geiſtes, ſondern nur noch verirrte Schwärmer ſehen, da ſich uns ja die Welt, die ſie trug und ihr Schaffen erfüllte, als eine bloße Illuſion erwieſen hat. Mit der Preisgebung unſerer eigentümlichen Größe würden wir aber zugleich unſern Wert für die Menſchheit verlieren. Denn in dem Aufbau einer Innen⸗ welt und in der Geſtaltung des Lebens aus dem Verlangen nach Wahrheit und Freiheit konnten wir ihr Eigentüm⸗ liches bieten und einer Aufgabe dienen, die für alle von größter Bedeutung iſt. Was bleiben wir noch am Be- ſondern, wenn wir, was uns die Größe gab, für ein bloßes Wahnbild erklären?

Mit gutem Recht ſagte Nietzſche: „Nur das Volk

6* 8 3

Die Forderung der Gegenwart lebt, das ſeine Erlebniſſe in Ewigkeitswerten ausdrückt“; können wir aber dann noch mit gutem Gewiſſen ſagen, daß das deutſche Volk heute lebt?

Daß dieſe Verdunklung unſerer Art und dieſer Abfall von unſerer Art in engem Zuſammenhang mit der ganzen Bewegung der Neuzeit ſteht, das ergab ſich uns ſchon oben. War es ja die durchgehende Unſicherheit und Zer— klüftung bei den großen Lebensfragen, welche uns zur Be: ſinnung auf das Weſen des Deutſchen trieb, um in ihm eine ſichere Richtung zu finden. Wir haben eine ſolche Richtung gefunden, aber zugleich müſſen wir erkennen, daß die Bewegung der Zeit ihr abhold iſt und ihr ſchroff entgegenwirkt; ſo kann ſie keine bequeme Zuflucht bieten, ſondern ſie bedarf einer Auseinanderſetzung und eines Kampfes mit der Zeit. Nachdem ganze Jahrtauſende hin— durch die unſichtbare Welt den Hauptſtandort des Lebens gebildet hatte, hat mehr und mehr die ſichtbare Welt ſo viel Anziehungskraft gewonnen, daß ſie in einer durch— greifenden Umkehrung den Gehalt und die Art des Lebens beherrſcht; ſie tut das zunächſt im Erkennen, indem ſie es überwiegend auf die Erfahrungswelt in Natur und Ge⸗ ſchichte richtet, ſie tut es nicht minder im Handeln, indem es vorzugsweiſe von den politiſchen und ſozialen Problemen in Anſpruch genommen wird; hier wie da gibt es ſo viel zu tun und wird auch ſo viel geleiſtet, daß darüber alles Sorgen um weitere Tiefen zurücktritt, ja völlig entbehr—

84

Die Forderung der Gegenwart

der Entwicklung eines Inhalts im eignen Bereich. Der Menſch oerliert feine Seele nicht dadurch, daß er fie zeit— weilig vergißt. Es bleibt ein unerträglicher Widerſpruch, daß unermeßliche Kraft aufgeboten und an die Umgebung gewandt wird, daß aber von ſolcher Richtung nach außen das Leben gar nicht zu einer Einheit zurückkehrt und den Erfolg nach außen in einen Gewinn für dieſe verwandelt, ſondern ſich immer mehr in lauter einzelne Elemente und Bewegungen auflöſt; um fo unerträglicher muß das werden, als die wachſende Verzweigung der Arbeit den Umfang der Kraftentwicklung für den Einzelnen immer mehr einſchränkt. Daß wir damit immer mehr aus lebensvollen Perſönlich— keiten und Individualitäten, aus Trägern einer geiſtigen Welt, zu bloßen Stücken einer ſeelenloſen Kulturfabrik werden, das mag eine Zeitlang ertragen, wer wenig Tiefe der Seele und wenig geiſtige Regung hat; wo aber eine ſolche vorhanden iſt, da wird ſich früher oder ſpäter ein Wider⸗ ſtand regen, und da wird das Verlangen nach einem Leben unabweisbar, das nicht wie ein Strom vorüberrauſcht, ſondern das auf ſich ſelber ſteht, das in der Ausbildung ſeiner ſelbſt einen inneren Zuſammenhang mit dem Ganzen der Wirklichkeit erlangt und zugleich einen Sinn und Wert gewinnt. Und ſolchem Verlangen kommt keines anderen Volkes Art fo entgegen wie unſere deutſche, fie bietet einen Boden, auf dem ſich für eine Konzentration und für eine innere Erhöhung des Lebens zuverfichtlich wirken läßt.

86

Die deutſche Überwindung des bloßen Kraftideals

Dazu iſt dieſe deutſche Art beſonders geeignet, eine Er— füllung der Forderungen anzubahnen, welche die geiſtige Lage der Gegenwart uns immer eindringlicher vorhält. Es ſind das, wie wir ſahen, namentlich drei Forderungen: die einer Überwindung des bloßen Kraftideals, die einer Rettung des Menſchen vor völligem Nichtigwerden, die einer Klärung des Verhältniſſes von ſichtbarer und un— ſichtbarer Welt. Daß im deutſchen Leben mit ſeinem Be— ſtehen auf einem Gehalt eine Uberwindung des Kraftideals angelegt iſt, das bedarf keiner weiteren Erörterung; es müßte das Streben nach einem Gehalt und nach einer Weſensbildung nur weiter entwickelt werden, um ſich zu einem allumfaſſenden Lebensſyſtem zu geſtalten. Denn die Forderung einer Inhaltsbildung vermag ſich über alle Lebensgebiete auszudehnen und ſie zugleich einander nahe— zurücken. Überall ſtellt ſich dabei die Aufgabe dahin, inner— halb des Lebens einen beharrenden Grund zu gewinnen, der das Mannigfache des Geſchehens trägt, beſeelt und zuſammenhält, es gilt im Wirken ein Weſen zu erreichen und dies Weſen an jeder einzelnen Stelle gegenwärtig zu halten. Dies Streben nach Tiefe führt aber mit Not— wendigkeit über den bloßen Punkt hinaus, denn eine ab— ſchließende Tiefe iſt nicht erreichbar ohne eine Verwand— lung des Lebens in volle Urſprünglichkeit, und da eine ſolche nie im begrenzten und bedingten Einzelweſen erreich— bar iſt, ſo wird das Streben von innen heraus über deſſen

87

Die Forderung der Gegenwart enge Schranke hinausgeführt und zum Suchen eines Gan— zen, einer lebendigen Einheit der Wirklichkeit getrieben, in der allein volle Urſprünglichkeit und zugleich auch volle Wahrheit des Lebens möglich wird.

Zugleich läßt ſich vom deutſchen Leben aus eine her— vorragende Stellung des Menſchen und ein Wert ſeines Tuns verfechten ohne einen Rückfall in einen kindlichen Anthropomorphismus und eine Überſchätzung des Men— ſchen. Das aber aus dem Grunde, weil ſich hier im Geiſtes— leben, das im Menſchen erſcheint, eine neue Welt eröffnet, und er zur ſelbſtändigen Mitarbeit am Ganzen dieſer Welt berufen wird. Damit überſchreitet er weſentlich alle bloße Natur, er kann nun der Welt, die von außen her auf ihn eindringt, eine Welt entgegenhalten und überlegen machen, welche von innen her in ihm aufſteigt. Wohl bleibt er zugleich ein Stück der Weltverkettung, und es behalten Natur und geſellſchaftliche Umgebung eine ge— waltige Macht über ihn, aber er iſt dieſer Macht nun nicht mehr wehrlos ausgeliefert, er kann ſich gegen ſie be— haupten und auch in den Wechſelfällen des Kampfes eine unvergleichliche Größe wahren.

Auch das Verhältnis von ſichtbarer und unſichtbarer Welt klärt ſich im Bereich dieſes Lebens. Den Haupt⸗ ſtandort des Lebens, nicht bloß des Schaffens, ſondern auch der Arbeit, bietet hier die unſichtbare Welt, da ſie allein es zur Selbſtändigkeit, zur Einheit und zu einem

88

Der Menſch und die Welt nach deutfcher Faſſung Inhalt führt. Aber die Bewegung zur Innerlichkeit foll beim Deutſchen nicht in bloße Subjektivität verfallen, fon- dern es gilt hier, ſchaffende Innerlichkeit und bloßes Privat- geſpinſt deutlich voneinander zu ſcheiden; das zu erreichen und der Innerlichkeit einen Weltcharakter zu ſichern, da- für iſt beſonders wichtig, ja notwendig das Gegenwärtig⸗ halten der ſichtbaren Welt und das unabläſſige Wirken zu ihr. Auch überzeugten wir uns, daß die Erfahrungen und Kämpfe, welche daraus entſtehen, für die Weiter— bildung der Innerlichkeit ſich nicht wohl entbehren laſſen. So verträgt ſich mit der deutſchen Schätzung der Inner⸗ lichkeit aufs beſte ein Wirken zur ſichtbaren Welt, und ſo konnte die Arbeit an ihr ihren vollen Wert neben dem geiſtigen Schaffen behaupten. Demnach läßt ſich an allen Hauptpunkten der Unſicherheit und dem Zweifel, welche die Gegenwart bedrücken, vom deutſchen Leben aus entgegen— wirken; auch wird ſich bei näherer Betrachtung zeigen, daß es eine genügende Weite hat, um die Ergebniſſe der mo- dernen Kultur voll zu würdigen und in ſich aufzunehmen.

Wenn es nun trotz ſolcher Vorzüge und ſolcher Un— entbehrlichkeit von der Zeitbewegung ſo weit zurückgedrängt, und wenn es in Deutſchland ſelbſt ſo oft verleugnet und angefochten wird, ſo entſteht notwendig die Frage, was ſich zu ſeiner Anerkennung und ſeiner Verſtärkung unternehmen läßt, von ſolchen unternehmen läßt, die ſich verpflichtet fühlen, die Güter zu verteidigen, an denen die Größe

| Die Forderung der Gegenwart unſeres Volkes hängt, und die zugleich der Menſchheit

unentbehrlich ſind.

Nun kann darüber kein Zweifel ſein, daß ein ſolches Wirken eine Hoffnung auf Gelingen nur bei einer be- ſtimmten Vorausſetzung hat. Stünde die Zeit ganz und gar unter dem Bann der Verneinung des deutſchen Lebens⸗ ideals, ſo wäre alles Mühen um Erfolg vergeblich, die tieferen Seelen müßten dann dem Rate Platos folgen: vor der Unvernunft der Maſſe ſich wie vor einem Ge— witterſturm in irgendwelchen Unterſchlupf zu flüchten. Aber fo ungünſtig ſteht die Sache heute keineswegs. Die Schran⸗ ken einer bloßen Daſeinskultur und der bloßen Kraft— entwicklung kommen immer deutlicher zum Bewußtſein und immer ſtärker zur Empfindung; daß wir bei allem Fortſchritt im Einzelnen im Ganzen unſeres Seins immer leerer und matter werden, das tritt immer mehr zutage und erzeugt immer mehr Mißbehagen; wir nähern uns augenſcheinlich immer mehr einem Punkt, wo die Be- wegung völlig umſchlägt, und wo die Sehnſucht nach einem Gehalt und einem Wert des Lebens wieder einen ſtarken Zug zu einer Innerlichkeit hervorruft. Denn auf die Dauer kann der Menſch nichts ſchwerer ertragen als Leere und Sinnloſigkeit im Ganzen ſeines Lebens, und auf nichts kann er ſchwerer verzichten als auf ſeine eigne Seele. Kommt daher erſt zur vollen Anerkennung, daß in dieſem Kampf nicht fremde Dinge, ſondern das Ganze des Lebens

90

c

Heutige Bewegung nach mehr Tiefe und die eigne Seele auf dem Spiele ſtehen, ſo braucht über ſeinen Ausgang nicht die mindeſte Sorge zu ſein. Daß heute eine Bewegung nach ſolcher Richtung aufſteigt, das ſei nicht deshalb beſtritten, weil augenſcheinlich der Zweifel und die Verneinung äußerlich noch immer weiter dringen und immer breitere Maſſen ergreifen. Denn die Maſſen entſcheiden nicht über den Gang der Weltgeſchichte, und ſie vertreten nicht die inneren Notwendigkeiten der Zeit, ſie ſprechen und fühlen nur nach, was ihnen zugeführt wird und ſie in der Wirkung berührt. Solches Eindringen in die Maſſen und die dabei unvermeidliche Vergröberung pflegt bei geiſtigen Bewegungen ein Anzeichen deſſen zu ſein, daß ſie ihren Höhepunkt überſchritten, wohl gar ſich ausgelebt haben und daher einer neuen Woge des Lebens weichen müſſen. Bei dieſen Fragen wird gewogen, Feines- wegs bloß gezählt.

Aber ſolches Vertrauen auf eine Wendung beſagt nicht, daß wir den Lauf der Dinge ſich ſelbſt überlaſſen und ihm mit verſchränkten Armen zuſehen dürften. So gewiß eine ent- gegenkommende Woge der Zeit eine unerläßliche Voraus⸗ ſetzung für die Wirkung der Arbeit iſt, für ihre Geſtal— tung beſagt fie recht wenig, dafür tut ſowohl kritiſche Be- ſinnung als mutiges Vordringen not. Wenn nun das deutſche Lebensideal bei den Deutſchen ſelbſt fo ſtark ver-

dunkelt und ſo weit zurückgedrängt werden konnte, ſo liegt die Vermutung nahe, daß das nicht bloß an der Sam.

91

Die Forderung der Gegenwart

mung der Zeit, ſondern auch daran liegt, daß jenes Ideal nicht deutlich und kräftig genug zur Gegenwart ſpricht, daß die weltgeſchichtliche Lage eine Weiterbildung ſeiner fordert. Das braucht ein Beharren ſeines Kernes nicht anzutaſten. Denn im Gebiet des Geiſteslebens beſteht das Beharren nicht darin, daß etwas mit einem abgeſchloſſenen Beſtande, man möchte ſagen mit Haut und Haaren, un⸗ verändert durch die Jahrhunderte geht, ſondern darin, daß es ſich fähig zeigt, in die verſchiedenen Zeiten einzu- gehen und eine jede in ihrer Art zu fördern, das aber ohne in fie aufzugehen, ſondern unter Wahrung und Ermei- ſung ſeines Grundcharakters ihnen allen gegenüber. Nun haben ſich im modernen Leben ſo große Wandlungen voll— zogen, daß auch das deutſche Lebensideal ſich in Wahr⸗ heit fortbilden muß. Es iſt aber eine Weiterbildung na⸗ mentlich nach folgenden Richtungen hin zu ſuchen.

Wir bedürfen gegenüber den Verwicklungen und den Beſtreitungen unſeres deutſchen Lebensideals vor allem einer Verſtärkung feines Kerns, einer deutlichen Heraus⸗ hebung ſeiner aus allem, was ihn umgibt und leicht auch verhüllt. In ſeinen überkommenen Geſtaltungen hat das deutſche Leben ſich eng an beſondere Gebiete angeſchloſſen und ſie das Ganze beherrſchen laſſen, ſo zunächſt an die Religion, dann an das literariſche Schaffen in Wiſſen— ſchaft und Kunſt. Das hat den Vorteil einer größeren Anſchaulichkeit, aber es hat die zwiefache Gefahr, daß ein—

92

Notwendigkeit einer Konzentration mal die Einheit des Ganzen nicht in voller Klarheit hervor— tritt und daher das Schaffen leicht an beſondere Be— dingungen gebunden wird, die der Verlauf der Zeit zweifel- haft machen kann, daß ferner aber das Leben in zu enge Bahnen gerät, die verſchiedene Grundſtimmungen und verſchiedene Durchblicke der Wirklichkeit ergeben und da— mit einander widerſprechen können. So iſt es in Wahr⸗ heit im deutſchen Leben geſchehen. Die religiöſe Lebens: geſtaltung kehrte beſonders die Gegenſätze des Lebens und die Ohnmacht des Menſchen hervor, das gab mit ſeiner Emporhebung zu einer höheren Ordnung und feiner An— weiſung auf rettende Liebe und Gnade dem Leben einen ſchweren Ernſt, eine große Tiefe und Weichheit, aber es minderte die Teilnahme für alles, was außer der Religion lag, und es ließ den Menſchen leicht zu willig alle Not und Unbill des Daſeins ertragen. Die immanente Denk— weiſe, welche das künſtleriſche und das wiſſenſchaftliche Schaffen beherrſcht, hat vollen Sinn für die Weite, ſie entfaltet die Kraft des Menſchen und weckt in ihm Mut und Freudigkeit, aber auch ſie unterliegt der Gefahr, das Leben zu eng zu faſſen und große Gebiete, wie das politiſche und ſoziale Leben, nicht genügend anzuerkennen, auch geht ſie zu raſch über die ſchroffen Gegenſätze des Lebens hinweg und mindert dadurch ſeine innere Spannung. So gewiß eine jede dieſer Lebensgeſtaltungen einen Wahrheits⸗ und Ewigkeitsgehalt beſitzt, unmöglich können wir die eine oder

93

Die Forderung der Gegenwart die andere unbedingt feſthalten und herrſchen laſſen, wie ſie an uns kommt; ebenſo unmöglich aber können wir beide einfach in ein Ganzes zuſammenlegen, da ſie uns nach viel zu verſchiedenen Richtungen ziehen und leicht einander gegenſeitig ſchwächen.

Weit günſtiger ſtellt ſich die Sache, und ſehr viel ge— winnen wir für Arbeit und Kampf, wenn wir uns zu der Haupttatſache wenden, welche beide Entwicklungen trägt, wenn wir den Grund des Lebens deutlich herausarbeiten und die Vorausſetzung unſerer Arbeit vollauf in eigene Tat verwandeln. Das iſt keine plötzliche Wendung, denn ein der Natur überlegenes Geiſtesleben iſt die Grundlage ſowohl der Religion als eines immanenten Idealismus, wie fie der deutſche Boden erzeugte. Was wäre eine Re: ligion, die im Menſchen nur ein Naturweſen ſähe, nicht an ein Mehr in ihm glaubte und dies Mehr zu beleben ſuchte, und wie könnte ein Kulturidealismus den Men— ſchen mit wiſſenſchaftlichem und künſtleriſchem Schaffen einzunehmen und weiterzubilden hoffen, ſetzte er nicht in ihm einen geiſtigen Grund voraus? Aber es macht einen bedeutenden Unterſchied, ob dieſer Grund ein bloßer Hinter⸗ grund bleibt und dabei leicht nicht genügend beachtet wird, oder ob er als die Hauptſache anerkannt wird und zugleich eine volle Aneignung fordert. Die Zweifel und Kämpfe

der Gegenwart werfen uns zwingend auf dieſen letzten Punke zurück. Es gilt heute eine Entſcheidung darüber,

94

Notwendigkeit einer Konzentration

nicht was der Menſch etwa glaubt oder leiſtet, fondern darüber, was er im Grunde ſeines Weſens iſt. Iſt er ein gleichgültiges Stück eines ſeelenloſen Maturmechanismus, ein bloßer Punkt neben Punkten, oder vermag er ein Mit— arbeiter und Träger einer neuen Welt zu werden? Geht das Leben nur als etwas Halbfremdes an ihm vor, oder wird es durch Tat und Entſcheidung ſein eigenes Leben? Entwickelt ſein Leben bloß Beziehungen nach außen hin, und kann es ſo verſtanden weder eine Einheit bei ſich ſelbſt, noch ein inneres Verhältnis zu den Dingen finden, oder faßt es ſich in eine Einheit zuſammen, bildet einen eigenen Daſeinskreis, ja wird es mehr und mehr zum Ganzen einer Wirklichkeit? Erſt eine ſolche Faſſung des Problems macht klar, wieviel bei ihm auf dem Spiele ſteht; ſo ge— faßt wendet es ſich unmittelbar an jeden einzelnen und ruft ihn zu einer Entſcheidung über ſein eigenes Weſen auf, es ruft ihn in einer Weiſe auf, die ſich unmöglich ablehnen oder auch nur zurückſchieben läßt; es wendet ſich an den Menſchen nicht wegen eines beſonderen Berufes, ſondern an den Menſchen als Menſchen. Unverkennbar werden wir hier vor ein Entweder⸗ oder geſtellt, das unſer ganzes Leben durchdringt und alles Streben verſchieden, ja ent— gegengeſetzt geſtaltet. Fällt die Entſcheidung gegen die An— erkennung einer ſelbſtändigen Innerlichkeit, ſo kann nur

eine verworrene Denkart geiſtige Größen und Güter noch irgendwie gelten laſſen; denn was in ſeinem Grunde Fe,

95

Die Forderung der Gegenwart

kann nicht in ſeinen Folgen weiterwirken. Fällt ſie aber zugunſten jener Innerlichkeit, ſo muß die von der Gegen— wart geforderte bewußtere Heraushebung ſowohl den An— blick der Wirklichkeit vertiefen als die Kraft des Lebens verſtärken.

Erkennen und anerkennen wir, daß der Mechanismus der Natur und das Gerriebe des geſellſchaftlichen Lebens uns keineswegs vollſtändig einnehmen, ſondern daß ein neues Leben in uns durchbricht und uns als ſelbſtändige Glieder am Ganzen des Alls und an der Eröffnung einer Tiefe der Wirklichkeit teilnehmen läßt, fo ſteigert ſich ge: waltig die Spannung des Lebens, indem es nun ſeinem ganzen Umkreis nach zu einer ſchweren Aufgabe wird. Gilt es nun doch eine Umkehrung des vorgefundenen Standes, der das Höhere in geringer Entfaltung und an das Niedere gebunden zeigt; nur eine Verlegung des Schwerpunkts kann ihm die Selbſtändigkeit gewähren, die zur Entwicklung ſeiner Eigentümlichkeit und ſeines Vermögens unentbehrlich iſt. Daß ſo das Leben das höchſte Ziel in ſich ſelber findet, das rechtfertigt erſt die deutſche Schätzung der Innerlichkeit; das läßt erſt begreifen, daß das deutſche Leben auf ſeiner Höhe an erſter Stelle nicht gegen die Außenwelt, auch nicht gegen die menſchliche Umgebung, ſondern gegen ſich ſelbſt gekehrt war. Was ſollte wohl ſolche Befaſſung mit ſich ſelbſt bedeuten, wenn das Leben keine Tiefe hätte, die nach Eröffnung verlangt?

96

Größe, Feſtigkeit, Freudigkeit des deutſchen Lebens

Wie ſolches Zurückgehen auf den Kern des deutſchen Lebens die Bedeutung des Menſchen unvergleichlich ſtei— gert, ſo eröffnet es ihm beſonders eine Größe, eine Feſtig— keit, eine Freudigkeit. Eine Größe wird ihm hier möglich, weil er ſich über alle Enge des natürlichen Daſeins erheben, Geſchicke des Alls miterleben und mit ſeinem Wirken das Ganze fördern kann; eine Feſtigkeit mag hier entſtehen, weil das neue Leben uns nicht von draußen zugeführt wird, ſondern bei uns ſelbſt entſpringt, und weil es nicht eine beſondere Betätigung bildet, die vom übrigen Leben her angefochten und anders gedeutet werden könnte, ſondern weil es ein Ganzes bildet, das nichts unberührt laſſen kann; eine Freudigkeit wird ſich entwickeln, nicht nur des: halb, weil die neue Welt mit ihren neuen Größen und Gütern über alle Mühen und Sorgen der alten hinaus: zuheben vermag, ſondern auch deshalb, weil in dieſem neuen Leben die begründende Hauptſache allen Verwick— lungen der Ausführung überlegen bleibt und durch ſie alle hindurchwirkt; ſelbſt härteſte Verwicklungen, wie erſchüt— ternde Zweifel an der Wahrheit oder ſchwere moraliſche Hemmungen, ſind im Grunde Zeugniſſe dafür, daß eine große Wendung im Menſchen erfolgt iſt, die ihn aller bloßen Natur überlegen macht.

Es wirkt aber die geforderte Herausarbeitung des fchaffen- den Lebensgrundes auch inſofern zur Wandlung des Stre— bens, als ſie deutlich vor Augen ſtellt, daß aus dem Ganzen

7 97

Die Forderung der Gegenwart des Lebens alle nähere Geſtaltung und Verzweigung her— vorgeht, und daß ſie immer wieder zu ihm zurückkehren muß. Aus dieſer Voranſtellung des Lebens rechtfertigt und verſtärkt ſich ein Streben nach einem Erfaſſen der Dinge von innen heraus, das Unternehmen, überall zu den ſchaffen⸗ den Gründen vorzudringen und den Gehalt der bloßen Form voranzuſtellen. Dies Streben hat oft eine bedenk— liche Unterſchätzung von Form und Geſtalt erzeugt, aber es hat zugleich dem Schaffen eine einzigartige Tiefe und Lebensfülle gegeben, auch hat es jedes einzelne Gebiet dazu getrieben, ſeine Wurzel im Ganzen des Lebens aufzuſuchen. Auch zeigt ſich die deutſche Art bei ſolcher Entfaltung ihres Kerns beſonders geeignet, ein Verlangen zu erfüllen, das in mächtigen Wogen durch die Gegenwart geht, das Verlangen, nicht von einer draußen gelegenen Welt zum Leben fortzuſchreiten, ſondern das Leben voranzuſtellen und die Bedeutung alles Unternehmens nach der Leiſtung dafür zu meſſen. Denn es haben alte und neue Erfahrungen uns dahin belehrt, daß der Menſch mit aller Anſtrengung einen feſten Standort und ein ſicheres Ziel nicht in einer draußen gelegenen Welt zu finden vermag; von allem Streben danach iſt er immer wieder auf ſich ſelbſt zurückgeworfen. Aber dieſe Wendung zum Menſchen müßte zerſtörend wirken, wäre Leben nicht mehr als das, was die Natur oder der geſellſchaftliche Kreis davon bietet. Denn aus einem ſolchen Leben wäre weder ein Inhalt zu entwickeln

98

Ausgehen vom Leben noch ein der Zerſplitterung und dem Schwanken der menſchlichen Lage überlegener Maßſtab zu finden. Nur

wenn in Bekräftigung der deutſchen Art das Leben ſich zu einer ſelbſtändigen Innerlichkeit geſtaltet, kann es in der geſuchten Weiſe zum Träger einer Wirklichkeit werden und dem Streben feſte Ziele bieten.

In dieſer Weiſe zuſammenfaſſen und im eigenen Weſen verſtärken läßt ſich aber das geiſtige Leben nicht, ohne daß es ſich ſchärfer vom vorgefundenen Stande des Menſchen abhebt, ohne daß der Abſtand zwiſchen beiden wächſt. Von hier aus wird es zur Forderung, die übliche Ver— mengung von beidem zu überwinden und die eigentüm⸗ liche Art beider Stufen, im beſondern die des Geiſtes⸗ lebens, vollauf herauszuarbeiten. So muß es beim einzelnen Menſchen geſchehen, indem hier das Wirken ſelbſtändiger Innerlichkeit ſchärfer vom natürlichen Seelenleben geſchie⸗ den wird, ſo ſind auch in der Struktur des Lebens zwei Schichten auseinander zu halten, ſo müſſen die Güter hie und da weiter auseinandertreten, und das Gute ſich noch unverföhnlicher von allem Mützlichen ſcheiden, wie ſolche Scheidung ja auch im Hauptzuge des deutſchen Lebens liegt. Die Scheidung wird aber durchgängig zu größerer Weite des Lebens und zu ſtärkerer Bewegung wirken; ſie muß zur Erkenntnis bringen, daß durch das ganze Menſchenleben eine große Entſcheidung geht und en den Charakter der Freiheit gibt. Denn nunmehr wird

** 99

Die Forderung der Gegenwart

klar, daß der Schwerpunkt des Lebens uns nicht zwingend gegeben iſt, ſondern von uns ſelbſt beſtimmt wird. Beſonders deutlich und folgenreich wird dieſe Schei— dung der Lebensreihen im Ganzen der Kultur und in der Verzweigung ihrer Gebiete. Die gewöhnliche Lage läßt hier Geiſteskultur und bloße Menſchenkultur ungeſchieden zuſammenrinnen, ſie bringt bei ſolcher Vermengung die Geiſteskultur nicht zu klarer Geſtalt und zu kräftiger Ent— faltung ihrer Art. Dem gegenüber gilt es zur vollen An— erkennung zu bringen, daß nur da eine echte Kultur ent⸗ ſteht, wo ſich ein Leben entwickelt, das nicht den Zwecken des bloßen Menſchen dient, ſondern ihm überlegen wird und ihn mit erhöhendem Wirken in eine neue Welt ver: ſetzt. Soweit aber der Menſch die Bewegung in ſein Jutereſſe zieht, erfolgt eine arge Entſtellung, und ein Kampf wird unvermeidlich. Dieſer Gegenſatz und Kampf reicht in alle einzelnen Gebiete hinein, überall wird zur Frage, ob ſie in den Dienſt des bloßen Menſchen gezogen werden und damit unvermeidlich eine Verzerrung, ja Zer⸗ ſtörung erfahren, oder ob gemäß jener ſelbſtändigen Faſ⸗ lung des Geiſteslebens jedes einzelne Gebiet als Glied einer geiſtigen Welt behandelt und in ihm eine charakteriſtiſche Weiterbildung des geſamten Lebens geſucht wird. Jene Faſſung wird den Kern der Religion nicht darin ſuchen, was ſie dem Menſchen zu ſeinem menſchlichen Wohlſein leiſtet, ſondern darin, was ſie an Tiefen der Wirklichkeit

Scheidung von Geiſteskultur und Menſchenkultur und an neuen Zuſammenhängen des Menſchenlebens er— ſchließt, den Kern der Moral nicht darin, was ſie der Er— haltung der menſchlichen Geſellſchaft nützt, ſondern darin, daß fie die neue Ordnung dem Menſchen in eigene Tat verwandeln möchte, den Kern der Kunſt nicht in ihrem Wirken für Genuß und Behagen des Menſchen, ſondern in einer Offenbarung urſprünglicher Tiefen und eigentüm— licher Zuſammenhänge der Wirklichkeit, ſie wird auch dem Staat nicht bloß die Aufgabe ſtellen, den Menſchen Ruhe und Sicherheit zu gewähren, ſondern auch bei ihm wird ſie eine Eröffnung eigentümlicher geiſtiger Gehalte und Aufgaben ſuchen; durchgängig wird die kräftigere Konzentration des Geiſteslebens eine gründlichere Aus— einanderſetzung von Geiſteskultur und Daſeinskultur ver— langen und durch ſolche Auseinanderſetzung den Gehalt und die Kraft des Geiſteslebens ſtärken. Beſonders not— wendig iſt das der Gegenwart bei ihrer Neigung, Kultur und Menſchenleben überwiegend auf den bloßen Menſchen, ſei es das Individuum, ſei es die Maſſen, zu ſtellen und nach ſeinen Wünſchen zu geſtalten. Je reicher das Leben der Gegenwart iſt, und je vielfachere Beziehungen es an uns bringt, deſto wichtiger iſt es, daß wir in Verfolgung der deutſchen Lebensbahn auf jene Scheidung dringen; ſie wird, eben indem ſie die Grenze des bloßen Menſchen bemerklich macht, ihm als einem Gliede der neuen Welt eine einzig— artige Größe verleihen und ſein Leben unermeßlich bereichern.

101

Die Forderung der Gegenwart Jenes Ganze des Lebens, deſſen kräftigere Entwicklung wir verlangen, macht auch verſtändlich, daß die geiſtige Bewegung auf deutſchem Boden eine zwiefache Richtung einſchlug, die der Religion und die eines immanenten Idealismus, die einer Erhebung in eine überweltliche Ord— nung und die andere zur geiſtigen Durchdringung und Erhöhung der uns umfangenden Welt. Jener Idealis— mus vertritt die Tatſache, daß überhaupt eine geiſtige Welt in uns aufkommt, die Religion dagegen die, daß die Entwicklung dieſer Welt in unſerem Bereich auf ſchwere Hemmungen ſtößt und dadurch in Stocken gerät, daß nur eine weitere, noch tiefer zurückreichende Erſchließung des Geiſteslebens fie wieder in Fluß bringen kann. So ent: ſtehen verſchiedene Pole des Lebens, die aber, wenn nur das Geiſtesleben in der Wurzel ergriffen und als Ganzes verſtanden wird, ſich nebeneinander behaupten und ſich gegenſeitig ergänzen können. Wir Deutſchen müſſen aus unſerer innerſten Natur einer Verfeindung beider Geſtal⸗ tungen widerſtehen, indem uns bei ſolcher die immanente Kultur leicht zu flach, die Religion aber zu eng und ſtarr zu werden ſcheint. Mögen die Individuen wie auch ganze Zeiten je nach ihrer Art und nach ihren Eindrücken ſich bald mehr hierher, bald mehr dorthin ſtellen, es iſt eine dringende Forderung unſeres deutſchen Weſens, beides miteinander gegenwärtig zu halten; dieſe Forderung iſt aber nur erfüllbar, wenn ein Ganzes des Lebens kräftig

102

Verhältnis von Religion und immanentem Idealismus herausgearbeitet wird. So zeigt ſich überall, daß eine ſolche Herausarbeitung und bewußtere Aneignung der Grundtatſache des Geiſteslebens es in den Kämpfen der Gegenwart beträchtlich zu ſtärken und ihm Waffen gegen die vielfachen Angriffe zu liefern vermag.

Eine weitere Stärkung erwarten wir von der Anbah—⸗ nung eines engeren Verhältniſſes des deutſchen Idealismus zur Gegenwart, denn unleugbar befaßt er ſich oft zu wenig mit den Aufgaben und Nöten unſerer Zeit; er ſcheint oft eine engere Berührung zu ſcheuen, als ob dadurch die Höhe und Reinheit des Lebens gefährdet werde. Gewiß iſt das Verhältnis des Geiſteslebens zur Zeit keineswegs einfacher Art, es birgt in ſich manche Verwicklung. Alles geiſtige Streben behandelt ſeinen Gehalt als etwas der bloßen Zeit Überlegenes, es fordert dafür ewige Gültigkeit. So würde es zur Zeit kein freundliches Verhältnis finden können, wenn dabei eine völlige Hingebung an den Strom der Zeit und eine Verſchiebung je nach den wechſelnden Lagen der Zeit gefordert würde. Aber es gibt auch ein Verhält— nis zur Zeit, wobei ſich die geiſtige Arbeit zu ihr nicht als Diener, ſondern als Richter und Herrſcher verhält. Als— dann wird nicht aufgenommen, was gerade dargeboten wird, und wie es dargeboten wird, ſondern es wird ausgeſchieden und verworfen, was der bloßen Oberfläche angehört und den Meinungen und Neigungen des bloßen Menſchen folgt, es wird dagegen herausgehoben und anerkannt, was

103

Die Forderung der Gegenwart

die Arbeit der Zeit an geiſtigem Gehalt und an bleibender Wahrheit eröffnet. Daß wir ſo einen Geiſtesgehalt der Zeit erſt abzuringen haben und zur eigenen Vollendung des Lebens der Arbeit in der Zeit bedürfen, das wird beſonders bei der Überzeugung anerkannt werden, daß das Geiſtes— leben, in dem wir begründet ſind, ſeine volle Nähe und Durchbildung für uns nur durch unſere Arbeit hindurch und in der Bewegung der Weltgeſchichte finden kann. Bei ſolchem Stande der Sache wird es zu einer argen

Hemmung der Bewegung und einer Schädigung des

Ganzen, wenn eine beſondere Phaſe dauernd feſtgelegt, 4 ihr Inhalt uns als ewige Wahrheit geboten und damit

ein ſchwerer Druck auf alle künftigen Zeiten ausgeübt wird;

wir müſſen uns vielmehr für ein Weitergeſtalten ae halten und unſere Arbeit dem Stande der weltgeſchicht— lichen Evolution entſprechen laſſen. Dieſe Bewegung des Geiſteslebens vollauf anzuerkennen, ohne darüber die Ewig⸗ keit ſeines Gehalts zu verkennen, dazu treibt den Deutſchen vornehmlich ſein Beſtehen auf voller Urſprünglichkeit und voller Freiheit des Lebens zuſammen mit einem heißen Verlangen nach Ergründung der letzten Tiefen und nach Erlangung einer ewigen Wahrheit; Freiheit und Tiefe, die ſich ſonſt leicht verfeinden, ſtreben bei uns zuſammen und vermögen ſich gegenſeitig zu fördern. Aber ſie können das nur bei einer Geſtaltung des Lebens aus dem innerſten Grunde heraus. Der Deutſche kann ein enges Verhältnis

104

Bedeutung und Schranke der Zeit zur geſchichtlichen Bewegung finden, ohne ſich in ſie zu verlieren, weil ſie für ihn der Weg zu ewiger Wahr— heit iſt.

Dieſe Forderung eines Eingehens in die Zeit und eines Überlegenwerdens gegen die Zeit gewinnt eine befondere Bedeutung für die Gegenwart, in der, wie wir ſahen, alte und neue Gedankenmaſſen ſich aufs heftigſte bekämpfen. Es handelt ſich dabei nicht bloß um einzelne Punkte, ſon— dern verſchiedene Denkweiſen treten gegeneinander und be— ſtreiten ſich gegenſeitig alles Recht. Die einen halten ſich an das Alte, betonen ſeine ewige Wahrheit, die keinen Wandel vertrage, und neigen dahin, alles Neue geringzu— ſchätzen, im beſonderen, was es von geiſtigem Gehalt an Eignem bringt, auf bloße Willkür und Irrung der Men— ſchen zu ſchieben; umgekehrt werfen die anderen ſich mit voller Hingebung in die Flut der Zeit hinein und laſſen ſich widerſtandslos von ihren Wogen treiben; das Neue erſcheint hier von vornherein als wahr, das Alte als ver— altet und abgetan. Hier wie da entſtehen große Ge— fahren: das Alte gerät in die Gefahr, ſich dem Leben der Menſchheit mehr und mehr zu entfremden und feine Haupt— ſtütze in bloßer Autorität zu ſuchen, das Neue dagegen ge— winnt keine Selbſtändigkeit gegen die Oberfläche der Zeit und iſt damit wehrlos ihrem raſchen Wechſel und Wan— del preisgegeben; die dort geſuchte Tiefe droht zur Enge und Starrheit, die hier gewollte Freiheit zur Flachheit

105

Die Forderung der Gegenwart

und Flüchtigkeit zu werden. Je bewußter und kräftiger der deutſche Idealismus ſeine Art entfaltet, deſto mehr wird er ſolchem Gegenſatz und der mit ihm drohenden Entzweiung der Menſchheit entgegenwirken, indem er bei der Zeit zwiſchen dem Geiſtesgehalt und der menſchlichen Aneignung ſcheidet, indem er ein gutes Recht der Zeit anerkennt, aber dieſes Recht aus dem Zuſammenhang der geiſtigen Bewegung gewiſſenhaft zu begründen und zu— gleich zu begrenzen ſucht. Wie tief dieſe Lage in unſer Leben und Streben greift, und wiesiel fie uns zu tun gibt, das erſehen wir ſofort, wenn wir einzelne Hauptprobleme etwas näher ins Auge faſſen. Überall erſcheint ein harter Kampf zwiſchen alter und neuer Denkart, überall erhalten große und bleibende Gegenſätze die Eindringlichkeit der Gegenwart und die Färbung des Tages, überall kann dabei unſere deutſche Art Hilfe und Förderung leiſten, zugleich aber ſich ſelbſt verſtärken.

Unſicher ſind wir heute über das Verhältnis von Menſch und Welt, von Einzelweſen und Ganzem, von Subjekt und Objekt. Die ältere Art, welche ſich vom klaſſiſchen Altertum in das Mittelalter erſtreckt und ſich hier beſon— ders befeſtigt, bildet eine Geſamtordnung, welche dem ihr eingefügten Menſchen den Inhalt des Lebens und die Richtung des Strebens mit voller Sicherheit zuführt; die Bewegung geht hier von der Welt zum Menſchen, vom Objekt zum Subjekt, der Zuſtand hängt gänzlich am

106

Geſtaltung des Berhältniffes von Menſch und Welt

Gegenſtand. Die Neuzeit hat einen Bruch mit dieſer Denkart vollzogen und darin vornehmlich ſich ſelbſt ge— funden, ihr iſt die Einſicht aufgegangen, daß zwiſchen der Welt und dem Menſchen ſein eignes Denken ſteht, und daß alle Ordnung, die er außer ſich anzutreffen glaubt, von ihm ſelbſt in die Dinge gelegt iſt; ſo macht ſie das menſchliche Subjekt zum Ausgangspunkt aller Bewegung und ſucht alle Wirklichkeit von ihm aus aufzubauen. Das hat uns aus vermeintlich ſicherem Beſitz in ein mühſames Suchen verſetzt, aber es hat zugleich unſer Leben weit ſelb— ſtändiger, bewegter und reicher geſtaltet, es in weit höherem Maße zu unſerem eignen Leben, unſerem eignen Werk gemacht. Jene Wendung erſchien wie ein Mündigwerden aus kindlicher Abhängigkeit, wie ein Erwachen aus einem Schlummerſtande, das ſich unmöglich zurücknehmen läßt. Aber die Wendung brachte zugleich ungeheure Gefahren und Zweifel: iſt der Menſch wirklich ſtark genug, wie ein Atlas die Welt zu tragen, ſieht er nicht lediglich ſeine beſon— dere Art in ſie hinein, wird dabei nicht jeder Einzelne feinen eignen Weg verfolgen und fo eine Zerſplitterung ent— ſtehen, die alle gemeinſame Wahrheit aufhebt? Wird nicht zugleich jeder Einzelne ſich als den Mittelpunkt der Wirklichkeit fühlen und kein anderes Ziel anerkennen als das eigne Wohl? Die Vertreter der alten Denkweiſe heben ſolche Gefahren hervor und erklären jene ganze Wendung für eine bloße Überfpannung menſchlichen Ver—

107

Die Forderung der Gegenwart mögens, ja für einen Ausfluß von Eigendünkel und Selbſt⸗ ſucht, woraus nur Zerſtörung hervorgehen könne; fo for: dern ſie eine Feſthaltung der alten Art oder eine Rückkehr zu ihr. Solcher Forderung kann aber das Neue die Er— wägung entgegenhalten, daß jene Wendung nicht bloß menſchliche Meinung und Strebung bewegte, ſondern daß ſie eingreifende und höchſt fruchtbare Wandlungen des Geiſteslebens hervorgebracht hat, daß der Geſamtſtand des menſchlichen Daſeins durch ſie ein weſentlich anderer ge— worden iſt. Aber ſolche Abweiſung des Alten iſt noch keine Überwindung der Einwände gegen das Neue, eine ſolche wäre nur möglich, wenn der Menſch mehr als einen eng⸗ begrenzten Punkt in der Unendlichkeit bedeutete; er kann jenem Weltproblem nur gewachſen werden und die engen Schranken des bloßen Subjekts durchbrechen, wenn ein ſchaffendes Leben in ihm aufgeht, das ihn von innen her Weltzuſammenhänge gewinnen und aus ihrer Kraft eine Wirklichkeit aufbauen läßt; iſt dies nicht der Fall, ſo wird die Menſchheit hoffnungslos hin und her geworfen zwiſchen dem Alten, das ihr zu eng und drückend geworden iſt, und dem Neuen, das eine Zerſplitterung und Verflüchtigung nicht überwinden kann. Wir haben geſehen, daß im deut⸗ ſchen Weſen die Kraft eines derartigen Schaffens liegt; ſo gilt es dieſe Art in den Kampf der Gegenwart einzuſetzen und von ihr aus eine Überwindung jenes Gegenſatzes an— zuſtreben; wir ſehen, daß die Zeit ſie nicht entbehren kann.

108

Geſtaltung des Verhältniſſes von Natur und Geiſt Unſicher iſt uns auch das Verhältnis von Natur und Geiſt geworden. Die alte Denkweiſe gründete ſich ganz und gar auf die Überlegenheit einer geiſtigen Welt, die Natur war ihr nicht mehr als ein Werk und ein Werk— zeug jener Welt. Dem hat die Bewegung der Neuzeit immer entſchiedener widerſprochen, fie brachte zur Anerken— nung, daß die Natur ſelbſtändig iſt und nach eignen Ord— nungen lebt, ſie zeigte auch, wie tief ihr Wirken ſich in den menſchlichen Kreis erſtreckt und ſelbſt das innerſte Ge— webe des Seelenlebens ergreift. Dabei blieb dieſe Wen— dung keine bloße Theorie, mit Hilfe der Technik machte ſie den Menſchen zum Beherrſcher ſeiner Umgebung, und aus der techniſchen Geſtaltung der Arbeit erwuchſen die Hauptprobleme des modernen Geſellſchaftslebens. So iſt es gar nicht verwunderlich, daß ein breiter Strom der Zeit ſich von ſolchen Tatſachen aus ſeine Grundüberzeugung bildet, die Matur für das Ganze der Wirklichkeit erklärt und zugleich den Menſchen ganz und gar in ſie aufnimmt. Dem widerſpricht mit aller Energie die alte Art, und es macht ihre Ablehnung des Naturalismus fie leicht miß- trauiſch auch gegen die Naturwiſſenſchaft und ihren un- abläſſigen Fortſchritt; ſo ſucht ſie, ſoweit irgend möglich, das ältere Naturbild feſtzuhalten oder doch die Bedeutung des Fortſchritts abzuſchwächen. Das aber führt leicht in einen Zuſammenſtoß mit unanfechtbarer Wahrheit, und ein ſolcher Zuſammenſtoß kann nur zum Schaden deſſen

109

Die Forderung der Gegenwart

gereichen, was das Alte an echter Wahrheit vertritt. Dieſer Verwicklung kann die deutſche Art guten Muts entgegen: wirken. Ihre Anerkennung einer ſelbſtändigen Innerlich— keit behütet ſie zunächſt mit völliger Sicherheit vor einem Verfallen in Naturalismus, denn die Tatſache, die ſie damit ergreift, ſteht vor aller Erfaſſung der Natur, ja ſie macht eine ſolche erſt möglich. Aber zugleich kann ſie die Bedeutung der Natnr, im beſondern für die Lage des Menſchen, vollauf anerkennen. Denn da ſie geiſtiges Leben und menſchliche Lage genügend auseinanderhält, ſo beſagt ihr die enge Verbindung des Menſchen mit der Natur keine Erſchütterung des Geiſteslebens, und auch daß eine geiſtige Betätigung bei uns fo fpät erfcheint, erweiſt keines⸗ wegs, daß jenes eine bloße Nebenſache und ein Anhang eines andersartigen Geſchehens iſt. Daher können die Tat⸗ ſachen der Entwicklungslehre vollauf anerkannt werden; nur ihre Verwertung zugunſten des Naturalismus iſt ab⸗ zulehnen, und ſolcher Verwertung die Erwägung Schleier— machers entgegenzuhalten: „Sollte auf der einen Seite behauptet werden, die Vernunft ſei überall nur das Re⸗ ſultat von der Entwicklung des organiſchen geiſtigen Lebens: ſo werden wir nur ſagen, wie die Vernunft geworden ſei, das gelte uns gleich; das Gewordenſein derſelben aber ſei der Wendepunkt in der Geſchichte der Erde, mit welchem das Sittliche erſt beginne, und von welchem an auch erſt von einem Gut die Rede ſein könne.“

110

Geſtaltung des Berhältniffes von Zeit und Ewigkeit Unſicher iſt uns weiter das Verhältnis von Veränderung und Beharren, von Zeit und Ewigkeit geworden. Die ältere Auffaſſung brachte den Lebensinhalt als einen un— wandelbaren Stammbeſitz an jede einzelne Zeit heran, dieſe hatte nicht weiterzuſtreben und umzubilden, ſondern nur das Überlieferte ſich getreulich anzueignen; das gab jenen Zeiten eine volle Ruhe und Sicherheit. Dieſe Ruhe iſt durch die Neuzeit unwiederbringlich zerſtört, dieſe hat die Bewegung und die Wandelbarkeit der Dinge voll zur Geltung gebracht und als eine Grundtatſache erkennen laſſen, fie lehrte das Sein vom Werden her zu verſtehen, ſie rief den Menſchen auf, ſich in den Strom des Wer— dens ohne Rückhalt hineinzuwerfen und nach beſtem Ver— mögen den überkommenen Stand weiter und weiter zu erhöhen. Wieviel uns das alles gebracht hat, das ſteht zu deutlich vor Augen, um irgendwelcher Erörterung zu bedürfen. Aber die Erfahrung der Zeiten belehrt uns immer deutlicher dahin, daß jene Preisgebung alles Be— harrenden auch große Gefahren und Verwicklungen, ja ſchwere Verluſte mit ſich bringt; fehlt jenem Strome des Werdens alle Gegenwirkung, ſo löſt ſich das Leben mehr und mehr in bloße Augenblicke auf, ſo wird die Wahr— heit ein bloßes Spiegelbild der Zeit, und da eben die moderne Art das Leben unabläſſig beſchleunigt, ſo wird die eine Wahrheit ſofort durch eine neue verdrängt, und es muß der regelloſe Wechſel ſchließlich alle Wahrheit, allen Zu—

111

Die Forderung der Gegenwart ſammenhang, allen Inhalt des Lebens zerſtören. Das er- weckt begreiflicherweiſe bei manchen eine Sehnſucht nach der alten Art mit ihrer Ruhe und Sicherheit; aber ſo viel Probleme die neue Art enthalten mag, ein Verzicht auf ſie und eine einfache Rückkehr zur alten iſt ſchlechterdings ausgeſchloſſen. Denn die Bewegung iſt keine bloße Theorie, die ein überlegener Scharfſinn widerlegen könnte, ſondern ſie umfängt uns als ein unbeſtreitbarer Tatbeſtand, ſie erweiſt ſich nicht nur draußen in unbemeſſener Wirkung, ſie hat uns auch innerlich umgewandelt, wir erkennen ſie an, auch wenn wir ſie leugnen. Mögen wir daher noch ſo ſehr uns mehr Ruhe und Sicherheit wünſchen, unſer Wunſch iſt kein Befehl, und ſeine Stärke erweiſt keines— wegs die Gewißheit ſeiner Erfüllung; wir müſſen wohl oder übel anerkennen, daß wir im Werden begriffen ſind. Wollen wir alſo nicht auf alle Wahrheit verzichten, ſo müſſen wir ſie auf dem neuen Boden und durch die Be— wegung hindurch erſtreben. Auch dafür vermag uns wiederum die deutſche Art zu helfen, indem ſie eine Selb— ſtändigkeit des Innenlebens anerkennt und in ihr eine Über- legenheit gegen alle bloße Zeit entdeckt. Eine ſolche Denk— weiſe wird darauf beſtehen, daß die Geſchichte für das geiſtige Weſen nicht bloß ein Geſchehnis, ſondern auch ein Erlebnis iſt; im Erleben aber wird das Vergangene in eine Gegenwart geſtellt, bei den Zeiten Beharrendes und Vergängliches zu ſcheiden unternommen und ſo aus dem

Forderung einer zeitüberlegenen Gegenwart Wechſel und Wandel ein bleibender Beſtand herausge— arbeitet. Ein ſolcher zeitüberlegener Beſtand iſt die Vor— ausſetzung aller hiſtoriſchen Bildung, aller Bereicherung des Lebens durch die Vergangenheit. In dieſem Zuſammen— hange erſcheint als ein Hauptantrieb der Bewegung das Verlangen, etwas hervorzubringen, was aus der Bewegung heraustritt und für alle Zeiten gilt; ſo angeſehen wird die Geſchichte ein immer weiteres Hinausheben eines ewigen Beſtandes aus der Zeit. Ein ſolches Verhältnis zur Ge— ſchichte zu gewinnen, dazu muß es beſonders uns Deutſche treiben, die wir einen ſo reichen geſchichtlichen Beſtand in unſern eigenen Beſitz zu verwandeln haben; daß eine ſtarke Bewegung bei uns nach dieſer Richtung geht, das bekundet auch die bedeutende Entwicklung, welche die Philoſophie der Geſchichte bei uns gewonnen hat; gewann ſie es doch als ein Weg, das Vergangene neu zu beleben und aus dem bloßen Nacheinander eine zeitumſpannende Gegen— wart, aus den Meinungen der Menſchen einen Ewigkeits⸗ gehalt herauszuheben.

Unficher ward uns auch das Verhältnis von Indivi⸗ duum und Geſellſchaft, und ungewiß zugleich die Art des Zuſammenlebens. Die alte Denkweiſe ſtellte das Ganze der Geſellſchaft voran und gab dem Individuum eine Be— deutung nur als einem Gliede des Ganzen. Das wurde der aufſteigenden Lebenskraft der Neuzeit viel zu eng, ſie befreite den Menſchen von jener Bindung, und es haben

Die Forderung der Gegenwart alle modernen Völker, jedes in ſeiner Weiſe, dazu gewirkt, das Recht und die Überlegenheit des Individuums zu voller Geltung zu bringen. Das verwandelte zugleich die Struk— tur der Geſellſchaft. Solange nämlich die Stellung im Ganzen über die Bedeutung des Individuums entſchied, war gegen eine Abſtufung und eine feſte ſoziale Schich— tung nicht das mindeſte einzuwenden; ſo geſtaltete ſich die Lage dahin, daß der Kern der Arbeit einem geſchloſſenen oder doch begrenzten Kreiſe zufiel, und daß nur durch ſeine Vermittelung die anderen an den Ergebniſſen einen oft karg bemeſſenen Anteil erhielten. Befreit ſich da— gegen das Individuum von jener Bindung und Ein— ordnung, und nimmt es ſein Leben unmittelbar bei ſich ſelber auf, ſo fehlt ein genügender Grund und ein Recht zu ſolcher Abſtufung und Unterordnung; ſiegreich erhebt ſich nunmehr das Verlangen, allen eine gleiche Bedeutung zu geben und alle zu gleicher Teilnahme an der Lebens entwicklung und den Lebensgütern zu berufen; fo ein demo- kratiſcher Zug gegenüber dem ariſtokratiſchen der älteren Art. Der Verlauf der Neuzeit erweiſt, wieviel mit jener Wendung erreicht iſt, und wie fie ſich unmöglich zurück: nehmen läßt, aber er zeigt zugleich, wie große Verwick— lungen ſie mit ſich bringt. Denn mit der Preisgebung aller ordnenden Zuſammenhänge wird das Kulturleben mehr und mehr auf die bloßen Individuen und ihr Zu— ſammentreten zu großen Maſſen geſtellt. Die Gefahr iſt

Individuum und Geſellſchaft augenſcheinlich, daß dabei kein hohes Niveau des Lebens erreicht wird, ſie ſteigert ſich durch die ſchwere Kriſe, in der die Kultur unſerer eigenen Zeit ſich befindet. Denn eine ſolche Kriſe führt dem Einzelnen keine feſten Ziele und keine bindenden Aufgaben zu, alles ſteht hier auf der Mei⸗ nung und Neigung des bloßen Menſchen, er erſcheint als das Maß aller Dinge. Viel erwarten kann davon nur, wer einen kindlichgläubigen Optimismus beſitzt. Demnach ſtellt die Lage ſich wiederum ſo dar, daß eine Rückkehr zum Alten ſich ſchlechterdings verbietet, daß aber das Neue für ſich allein unſer Leben mit ſtärkſtem Sinken bedroht. Auch hier mag die deutſche Art inſofern förderlich wir— ken, als ſie eine Überlegenheit des Geiſteslebens gegenüber dem bloßen Menſchen verficht und eine ſelbſtändige Ent- wicklung geiſtiger Gebiete gegenüber dem menſchlichen Be: finden fordert; allein die innere Bindung, welche von dieſen Gebieten ausgeht, kann erſetzen, was im modernen Leben an äußerer Bindung verloren geht. Augenſcheinlich er— zeugt das Verhältnis beider Reihen eine Fülle neuer Pro— bleme, und an Verwicklungen kann es nicht fehlen, aber nur dieſer Weg mit ſeiner Scheidung macht es möglich, zugleich jedem Einzelnen ſein Recht zu geben und den Gefahren einer bloßen Menſchen- und Maſſenkultur kräftig entgegenzuwirken.

Unſicher ſind wir heute endlich auch über das Ganze der Kultur und zugleich über das Leben jedes Einzelnen;

Die Forderung der Gegenwart auch hier iſt die ältere Art erſchüttert und die neue voll Unfertigkeit und Unſicherheit. Das gilt zunächſt von der Form des Lebens. Die ältere Art hatte eine feſte Einheit und umſpannte mit gemeinſamen Zielen alle einzelnen Ge— biete; ihre Geſchloſſenheit iſt aber durch die unermeßliche Ausdehnung und die wachſende Verzweigung des modernen Lebens durchbrochen, ſie vermag nicht mehr die mannig— fachen Ströme des Lebens zuſammenzuhalten. Die neue Art aber mit ihrer Richtung auf die Verzweigung ver— mag der Mannigfaltigkeit keine innere Einheit entgegen⸗ zuhalten, bei ihr droht alle gemeinſame geiſtige Atmoſphäre, ja aller Geſamtcharakter des Lebens verloren zu gehen, damit aber die Grundbedingung aller und jeder Kultur. Aber aller Widerſtand dagegen kann uns nicht eine Rück— kehr zur alten Einheit empfehlen; was einmal auseinander: fiel, das iſt künſtlich nicht wieder zuſammenzubringen. Nicht anders ſteht es mit dem Gehalt der Kultur. Die ältere Art hatte ihn in der Ausbildung einer eigentüm⸗ lichen Innerlichkeit geſucht und eine große Vertiefung damit erreicht, dieſe Innerlichkeit iſt aber der Neuzeit zu eng geworden und vielfach in einen Gegenſatz zu der ge— waltig anſchwellenden Lebensflut geraten; die neue hat ihre Stärke in der Entwicklung der Kräfte am Gegenſtand, vornehmlich an der Welt, wie ſie uns umgibt. Sie hat mit ſolcher Kraftentfaltung Erſtaunliches geleiſtet und den Geſamtſtand des Daſeins aufs weſentlichſte verändert, aber

116

Form und Gehalt der Kultur je ausſchließlicher das Leben in dieſe Richtung aufgeht, und je weniger es von dem Wirken nach draußen zu ſich ſelbſt zurückkehrt, deſto mehr entfällt alles Bei-fich-felbft- ſein des Lebens und alle ſelbſtwertige Innerlichkeit; auf eine ſolche kann aber der Menſch nach der langen Arbeit der Weltgeſchichte nun und nimmer verzichten. Denn es hat dieſe Arbeit mehr und mehr den Standort des menſch— lichen Lebens von außen nach innen verlegt und den zunächſt ganz und gar der Außenwelt angehörigen Menſchen immer mehr auf ſich ſelbſt geſtellt und ihn ſein Leben von innen nach außen führen laſſen; das hat ſich unſerer Seele viel zu tief eingeprägt und iſt unſerem Leben viel zu unentbehr— lich geworden, als daß wir darauf verzichten und wieder in das Verhältnis zur Außenwelt aufgehen könnten. Aber alle Anerkennung deſſen rechtfertigt nicht eine einfache Rückkehr zur alten Art, und ſo ſchwebt der moderne Menſch zwiſchen einem ſtürmiſchen Wirken nach außen und einem ungeſtillten Verlangen nach Innerlichkeit un— ſicher hin und her; eine ſolche Lage iſt unmöglich endgültig hinzunehmen.

Auch in dieſen Zweifeln und Nöten mag uns eine Be— ſinnung auf die deutſche Art und eine Verſtärkung dieſer Art Hilfe und Förderungbringen. Denn dieſe Art beſchränkt ſich nicht auf beſondere Gebiete, ſondern ſie geht auf den ganzen Menſchen, ſie vollzieht bei aller Verinnerlichung nicht eine Ablöſung von der nächſten Welt, ſondern ſie

117

Die Forderung der Gegenwart

bleibt für ihre eigene Vollendung auf diefe angewieſen; fo kann fie auch der Arbeit am Gegenſtand eine hohe Schät— zung zollen. Daher ſteht zu hoffen, daß ſich in Ergreifung und Weiterbildung unſerer innerſten Art eine Bewegung zur Aufrechterhaltung einer Innenkultur aufbringen läßt, ohne daß darüber die enge Verbindung des Menſchen mit der Weltumgebung und die Bedeutung dieſer Umgebung irgendwie verkümmert wird. Freilich iſt nach der gewaltigen Erweiterung des Lebens nicht zu erwarten, daß alle Mannig⸗ faltigkeit ſich einfach zuſammenfinde, und daß die Gegen— ſätze eine glatte Löſung erhalten. Aber ſchon das iſt von großem Wert, daß der Verworrenheit gegenüber irgend— welcher feſter Kern gebildet und von ihm aus eine Be: wegung gegen das drohende Auseinanderfallen des Lebens aufgenommen wird; das aber läßt ſich von der deutſchen Art aus erſtreben.

Die erſte Bedingung eines Erfolges in dieſem Streben iſt aber eine volle Klarheit über ſein Verhältnis zu der alten und der neuen Art, deren Zuſammenſtoß das Leben der Gegenwart zerreißt. Einfach wäre die Lage, wenn wir hier oder dort unſere Stellung nehmen und von da aus das andere geſtalten könnten; aber die Gegenſätze ſind zu ſchroff, und jede Seite hat zu viel an eignem Recht, als daß ſie ſich der anderen unterordnen und anpaſſen könnte. Der Konflikt beſchränkt ſich ja nicht auf einzelne Punkte, ſondern er erſtreckt ſich über den ganzen Umkreis des Lebens,

118

Notwendigkeit eines neuen Standorts

nichts bleibt von ihm unberührt; dabei ſtellen ſich hier nicht bloß Meinungen und Neigungen der Menſchen gegeneinander, ſondern jede der beiden Seiten darf ſich auf große Leiſtungen im Grundbeſtande des Lebens be— rufen: das Alte hat ihm einen inneren Halt und eine Tiefe gegeben, woraus auch das Neue alles ſchöpft, was es nach dieſer Richtung hin aufbringt; das Neue aber hat eine Freiheit, eine Weite, eine Beweglichkeit erſchloſſen, die aus der Welt wie aus uns ſelbſt etwas weſentlich anderes machten. Dieſe Verſchiedenheit anerkennen heißt auch die Unmöglichkeit erkennen, beides, ſo wie es unmittelbar vor— liegt, zuſammenzubringen und miteinander auszugleichen. Denn bei dem Auseinandergehen der Bewegungsrichtungen könnte das nur unter völliger Abſchwächung der charak— teriſtiſchen Art beider Seiten geſchehen; damit würde aber das Wertvollſte hier wie dort verloren gehen und die Energie des Lebens ſchweren Schaden leiden. So gewiß wir nach den großen weltgeſchichtlichen Leiſtungen beider Seiten überzeugt ſein dürfen, daß jede von ihnen einen Wahrheits⸗ und Ewigkeitsgehalt beſitzt, er tritt bei der heu- tigen Lage uns keineswegs klar und deutlich entgegen, ſondern da uns das Ganze des Lebens unſicher ward, ſo iſt er für uns erſt herauszuarbeiten; wir beſitzen heute für die Schätzung keine feſten Maße, ſondern wir müſſen ſie erſt erringen.

So drängt alles zu dem Ergebnis, daß heute ein ſelb— ſtändiger Standort ſowohl gegenüber dem Alten als gegen—

119

Die Forderung der Gegenwart über dem Neuen zu erſtreben ift, wir bedürfen einer Wer- ſetzung in urfprüngliches Leben und Schaffen und dafür eines neuen Idealismus, eines Neuidealismus; ein ſolcher müßte weit genug ſein, um das Wahre auf beiden Seiten anzuerkennen und aufzunehmen, zugleich aber auch kräftig genug, um dem Ganzen einen ausgeprägten Charakter zu geben und damit die heutige Unſicherheit zu überwinden. Für dieſes Streben aber ſuchen wir einen Halt und eine Hauptrichtung in der deutſchen Art, wie wir fie erkannten. Sahen wir doch, wie ſie durchgängig das Leben eigen— tümlich geſtaltet, wie fie eine große Bewegung enthält und dabei verſchiedene Stufen durchläuft, wie ſie mannigfachſte Durchſichten des Lebens bietet, die Welt von verſchiedenen Seiten behandelt und dabei doch eine Einheit des Ganzen wahrt. Das Wirken dieſer deutſchen Art iſt nicht auf ein beſonderes Gebiet oder auf eine beſondere geſchichtliche Lage beſchränkt, ſahen wir doch, wie es den Forderungen ſehr verſchiedener Epochen entſprechen konnte, wie es ſo— wohl auf dem Boden der Religion als auf dem eines im⸗ manenten Idealismus große Schöpfungen erzeugte, die bei aller Verſchiedenheit eine gemeinſame Art und Über- zeugung deutlich genug erweiſen. Warum ſollten wir alſo nicht auch in der Gegenwart für die Ausbildung eines univerſalen Idealismus, der auf das Ganze des Menſchen— lebens geht und dabei den gegenwärtigen Stand der gei— ſtigen Evolution voll anerkennen möchte, bei dieſer Art

120

Forderung eines Neuidealismus Hilfe und Förderung finden können? Nur werden wir volle Kraft aufzubieten haben, um die vom deutſchen Idealis⸗ mus geforderte Höhe zu erreichen, nur werden wir eines männlichen Muts bedürfen, um den ſchweren Kämpfen gewachſen zu ſein, welche die Aufgabe mit ſich bringt.

Die Pflicht der Zeitgenoſſen

olcher dringlichen Forderung der Zeit tritt Sy oft die Erwägung entgegen, es könne in N i ſelchen Dingen nur weſentlich anders wer⸗ EN den durch das Erſcheinen großer Perſönlich— keiten und durch ihr umwälzendes Wirken; darauf müßten wir warten, darauf unſere Hoffnung ſtellen. Das iſt ein bequemes Aſyl der Trägheit, und es enthält zugleich eine ſchiefe Faſſung der Sache. Denn ſo gewiß aller Um— ſchwung der Weltgeſchichte an ſchöpferiſchen Perſön— lichkeiten hängt, dieſe Perſönlichkeiten fallen nicht plötzlich vom Himmel in eine fremde Welt hinein, auch ſie be— dürfen der Vorbereitung, es müſſen Wünſche erweckt, Ziele entworfen, eine geiſtige Atmoſphäre gebildet ſein, damit der Platz für ein Schaffen größten Stiles gewonnen werde. Wieviel geiſtige Arbeit mußte getan ſein, damit das Chriſtentum möglich wurde, ja ſetzt nicht alles Große eine allgemeinere Bewegung voraus? Mag ferner alles, was wir zu leiſten vermögen, bloß vorbereitender Art ſein, es darf uns letzthin nicht kümmern, was unſer Wirken im Zuſammenhang der Geſchichte bedeute, ſondern an erſter Stelle iſt es unſere eigene Sache, unſere eigene Notwen— digkeit; was wir als bezeichnend für die deutſche Art er— kannten, daß ſie das Wirken nicht ſowohl auf den Erfolg bei anderen als auf die eigene Seele richtet, das ſei uns auch heute gegenwärtig; wie wenig wir erreichen mögen,

122

Pflicht jedes Einzelnen wir erhöhen unſer eigenes Leben, und wir denken würdiger von uns ſelbſt, wenn wir die erſchütternden weltgeſchicht— lichen Bewegungen nicht gleichgültig betrachten und ſtumm über uns ergehen laſſen, ſondern an ihnen teilnehmen und ſie nach beſtem Vermögen zu fördern ſuchen. Was uns klein und ohnmächtig macht, iſt an erſter Stelle unſere eigene Trägheit und Zaghaftigkeit.

So iſt zunächſt von jedem Einzelnen zu verlangen, daß er den großen Fragen ſich mehr verpflichtet fühle und mehr Verantwortlichkeit für das Ganze auf ſich nehme. In ruhigeren Zeiten mag das minder notwendig ſein, heute aber befinden wir uns in einem geiſtigen Kriegs⸗ zuſtand, und wie im Kriege ſich niemand der Mitwirkung entziehen darf, ſo ſollte es auch in geiſtigen Kämpfen die eigene Uberzeugung fordern. Auch hier kämpfen wir nicht um fremde Dinge, ſondern um uns ſelbſt und um unſer Leben, denn die Entſcheidung über jene Probleme ent: ſcheidet auch über dieſes; je mehr uns das zum Bewußt⸗ ſein kommt, daß unſere eigene Sache auf dem Spiele ſteht, je mehr wir empfinden, daß die Verwicklungen der geſamten Lage auch jedes Einzelnen Leben unſicher und haltlos machen, deſto eher dürfen wir hoffen, daß die Teilnahme an den großen Fragen wächſt, und daß immer mehr Kraft dieſen zugeführt wird. Ohne Zweifel ſind wir hier in einer aufſteigenden Bewegung begriffen. Wir brauchen nur ein paar Jahrzehnte zurückzublicken,

123

Die Pflicht der Zeitgenoſſen

um zu ſehen, wieviel ſtärker jene Fragen heute die Men⸗ ſchen beſchäftigen, und wie ſie in immer weitere Kreiſe dringen. Aber es bleibt immer noch viel zu tun, damit wir den Problemen, welche die Zeit uns auferlegt, auch nur leidlich gewachſen werden.

So ſehr aber ſchließlich alles bei den Individuen ſteht, die Individuen dürfen nicht in der Vereinzelung bleiben, wenn ihr Wirken in dem ungeheuren Getriebe der Gegen— wart und gegenüber ihren Maſſenwirkungen nicht gänz⸗ lich verſchwinden ſoll; der Einzelne dringt heute aus eigener Kraft nicht durch, wir bedürfen notwendig eines feſteren Zuſammenſchluſſes zu gemeinſamem Streben, einer Samm⸗ lung der Geiſter, wenn eine Bewegung gemäß den Idealen unſerer deutſchen Art die Bedeutung und Wirkung erlangen ſoll, worauf ſie beſtehen muß. Zu einer ſolchen Verbin— dung der Geiſter genügt aber nicht ein äußerliches Zu- ſammentreten, ſondern es bedarf dazu eines Grundſtocks gemeinſamer Überzeugungen, einer Einigung über die Hauptlinie des Strebens, es bedarf dazu einer Klärung darüber, was heute zu bejahen und was zu verneinen iſt. Die Sammlung kann nur in dem Maße kräftig und wirkſam werden, als ihr eine Scheidung der Geiſter entſpricht, als mit voller Deutlichkeit auseinandertritt, was für oder gegen die unerläßlichen Ziele wirkt. Ein Hauptgrund der Sta⸗ gnation des geiſtigen Schaffens in unſerer Zeit iſt die Verworrenheit, in der verſchiedenartigſtes durcheinander—

Notwendigkeit einer Scheidung

läuft, ſich die Verneinung als Bejahung, die Schwächung als Verſtärkung gibt, in der ſich alle Grenzen verwiſchen, und das beſte ſubjektive Wollen nicht ſicher davor iſt, ſtatt der Wahrheit dem Irrtum zu dienen. Was Peſta— lozzi in Hinſicht darauf von feiner Zeit ſagte, das gilt noch mehr von der unſrigen: „Es war immer Licht und Fin— ſternis in der Welt, aber beide, das Licht und die Finſternis, ſtanden in den meiſten Tagen der Vorzeit, ſelber in dunklen Zeiten, reiner und wahrhafter vor den Augen der Men— ſchen. Die Finſternis war in ihrem vollen Dunkel dem ſehenden Mann leicht erkennbar. Jetzt ſcheint die Finſternis Licht, und das Licht iſt Finſternis geworden.“

Dieſe Notwendigkeit, klar abzugrenzen und energiſch zu kämpfen, bringt manche Schwierigkeit mit ſich. Vor allem werden Perſon und Sache deutlich zu ſcheiden ſein. Wenn überhaupt jeder tüchtige Menſch mehr iſt als ein bloßes Glied einer Partei, ja wenn jede Individualität eine Unendlichkeit in ſich trägt, wenn dazu die Verworren— heit unſerer Zeit die ſubjektive Abſicht und den geiſtigen Gehalt eines Strebens oft weit auseinandergehen läßt, ſo werden wir uns ſorgfältig hüten müſſen, unſer Urteil über ein Parteiprogramm auf das Ganze einer menſchlichen Perſönlichkeit zu übertragen. Aber die Schätzung der Per— ſönlichkeit in jeder Partei darf nicht zu einer Abſchwächung

der großen Prinzipienfragen verleiten, ſie darf unſeren Widerspruch gegen das Falſche und Irreleitende in keiner

125

Die Pflicht der Zeitgenoffen Weiſe ſchwächen. Um zu hohe Güter wird gekämpft, und viel zu viel ſteht auf dem Spiel, als daß man darauf ausgehen dürfte, alles möglichſt ins Gute zu wenden, die Gegenſätze möglichſt abzuſchwächen und ſich dabei zu be— ruhigen, daß jede Denkweiſe brave Menſchen unter ihren Anhängern zählt.

Was dieſe Kämpfe beſonders verwickelt und beſonders leidenſchaftlich macht, das iſt die Tatſache, daß der Menſch einen Kampf ſowohl um eine höhere Lebensſtufe überhaupt als um die nähere Faſſung des Geiſteslebens führen muß; unſägliche Verwirrung und Verbitterung entſteht daraus, daß dieſe beiden Aufgaben, der Kampf um das Geiſtes— leben und der innerhalb des Geiſteslebens, ſich oft mit— einander vermengen, und daß der, welcher eine beſondere Art des Geiſteslebens angreift, leicht als ein Gegner des Ganzen dargeſtellt wird. Gewiß muß alle nähere Geftal- tung ſich daraufhin prüfen laſſen, ob ſie dem Grund— gedanken des Geiſteslebens entſpricht, und wie ſie auf das Ganze des Geiſteslebens wirkt, aber ſelbſt wenn ſolche Prüfung ungünſtig ausfallen ſollte, ſo bleibt immer ein weiter Abſtand zwiſchen einem Fehlgehen innerhalb eines Strebens und einer prinzipiellen Verwerfung des Stre— bens. Das muß auch in dem Kampfe ſtets gegenwärtig bleiben.

Wenn wir den Punkt der Sammlung in der Geſamt— art des deutſchen Schaffens, in den Idealen des deutſchen

126

Notwendigkeit eines Kampfes nach zwei Seiten Lebens ſuchen, ſo glauben wir damit für das Ja ſowohl eine Feſtigkeit als eine genügende Weite zu gewinnen; daß unſerer Arbeit damit eine beſtimmte Richtung gewieſen wird, davon haben wir uns überzeugt, aber zugleich ſind die hier geſtellten Forderungen weit genug, um einer Mannigfaltigkeit des Strebens freien Raum zu gewähren; die Verneinung aber wird nach zwiefacher Richtung gehen, freilich nicht mit gleicher Stärke: ſie wird an erſter Stelle das bekämpfen, was den Grundgedanken des deutſchen Idealismus, die Selbſtändigkeit und den Selbſtwert der Innerlichkeit angreift oder doch abſchwächt, ſte muß ſich an zweiter Stelle aber auch gegen das wenden, was die Bewegung an zu eng gewordene Formen bindet, die nicht mehr neues Leben erwecken, ſie muß in ſolcher Feſtlegung eine Gefahr für den Idealismus ſelbſt erblicken und des— halb ſich ihr entgegenſtellen, wenngleich hier der Gegenſatz weniger ſchroff und eine Verſtändigung eher erreichbar iſt. Jedenfalls hat eine Belebung des deutſchen Idealis— mus ſich nach zwei Seiten hin abzugrenzen und zu wehren. Sehen wir nun, wie ſich das bei den verſchiedenen Stufen der Lebensbewegung näher geſtaltet.

1. Wir müſſen auch heute darin zur deutſchen Art ſtehen, daß der Menſch ſich eine Überzeugung von feiner Stellung in der Wirklichkeit bilde und ſich mit dem Weltproblem irgendwie auseinanderſetze, es iſt uns das

127

Die Pflicht der Zeitgenoſſen nicht eine Sache müßiger Spekulation, wie es ſich in flachen Köpfen ſpiegelt, ſondern eine Sache der geiſtigen Selbſterhaltung, ein unentbehrlicher Weg zum Stehen auf uns ſelbſt und zur Urſprünglichkeit unſeres Lebens; ſo gilt es auch heute dabei zu verbleiben, wenn unſer Lebens⸗ ſtand nicht in ein arges Sinken geraten ſoll. Es bringt hier aber die Lage der Zeit Gefahren verſchiedener Art. Es wirkt gegen jene Selbſtbeſinnung zunächſt die un— abläſſig wachſende Spezialiſierung der Arbeit. Nötig iſt allerdings unſerer techniſch hoch entwickelten Arbeit eine ſolche Spezialiſierung, nicht nötig aber iſt es, daß der Menſch ganz und gar in die Arbeit aufgehe und darüber das Ganze ſeines Weſens vergeſſe und in ihm immer ärmer werde; wir ſollten das Mißliche ſolcher Wendung nicht bloß beklagen, ſondern wir ſollten Gegenwirkungen gegen ſie ſuchen, wir ſollten namentlich in Erziehung und Unterricht die Probleme des ganzen Menſchen kräftiger hervortreten laſſen und mehr an die Seelen bringen, ſtatt, wie es heute meiſt geſchieht, ſie nur gelegentlich und als eine Nebenſache zu ſtreifen.

Weiter droht den allgemeinmenſchlichen Problemen eine Gefahr von der ausſchließlichen oder doch überwiegen: den Beſchäftigung mit den Fragen des geſellſchaftlichen Zuſammenſeins und ſeiner Verbeſſerung. Gewiß geben die gewaltigen Wandlungen des modernen Lebens dieſen Fragen eine beſondere Bedeutung, aber es ſollte der wohl

128

Notwendigkeit des Weltproblems berechtigte Eifer, der ihnen zugewandt wird, nicht die großen Welt⸗ und Weſensfragen als nebenſächlich, wenn nicht als überflüſſig behandeln laſſen. Einerſeits erſchöpft ſich der Menſch, wenigſtens der moderne Kulturmenſch, keineswegs in dem Kreis der Geſellſchaft, ſondern ſein Denken und Sinnen geht weit darüber hinaus, anderer— ſeits bedarf das geſellſchaftliche Leben und Streben ſelbſt gewiſſer Grundüberzeugungen, ja eines allbeherrſchenden Ideals, um eine freudige Hingebung und Aufopferung des ganzen Menſchen erlangen zu können. Deutlich genug ſteht uns heute vor Augen, daß die Parteien, deren poli— tiſche Uberzeugung auf einer Geſamtſchätzung menſchlicher Dinge beruht, daraus eine beſondere Stärke ziehen und denen überlegen werden, deren politiſches Streben eines ſolchen belebenden Grundes entbehrt. Die Geringſchätzung der Weltprobleme iſt oft der Ausdruck eines flachen Op— timismus gegenüber dem ſeeliſchen Stande des Menſchen. Es ſieht oft aus, als ob dieſer gar keine Probleme in ſich trage; dann mag allerdings aller Fortſchritt an der bloßen Anordnung der Elemente, an den Verfaſſungsformen uſw. zu hängen ſcheinen. So bedeutend aber dieſe Formen in Wahrheit ſind, ſie wirken förderlich nur in Verbindung mit dem Gehalt des Lebens; fie als ſouverän und als Uni: verſalheilmittel zu behandeln und aus ſolcher Schätzung eine beſondere Form allen Lagen aufzudrängen, das führt in ſchwerſte Verwicklung.

Die Pflicht der Zeitgenoffen Wenn aber gegenüber ſolchen Gefahren die deutſche Art das Recht des Lebens- und Weltproblems unver⸗ kümmert aufrecht zu halten hat, ſo muß ſie zugleich eine Behandlung ſeiner aus eigener Bewegung und in voller Urſprünglichkeit fordern. Sie widerſpricht einer künſt— lichen Aufrechterhaltung von Gedanken und Überzeugungen, welche in früherer Zeit eine ſolche Urſprünglichkeit hatten, ſie aber durch die großen Wandlungen des modernen Lebens eingebüßt haben. Dies gilt befonders von der Re- ligion. Es liegt in ihrer Art, am ſchwerſten in Bewegung zu kommen, aber ein Unterdrücken ſolcher und ein zähes Feſthalten der älteren Art, vor allem aber eine gebieteriſche Aufdrängung ihrer kann zu ſchwerer Unwahrhaftigkeit des innerſten Lebens führen; eine ſolche iſt aber heute be- ſonders gefährlich, da nur eine volle Wahrhaftigkeit des Lebens uns der gewaltigen geiſtigen Kriſe gewachſen machen kann. Die Religion ſelbſt wird nie die ihr gebührende Stellung und Macht erlangen, wenn ſie nicht aus unſerem eigenen Leben, unſeren Erfahrungen, unſeren Erſchütte— rungen, unferen Überwindungen hervorgeht, wenn es nicht wieder mit Peſtalozzi heißen kann: „Gott iſt die nächſte Beziehung der Menſchheit.“

2. Der deutſchen Art gab in den Kämpfen des Lebens einen feſten Standort und eine freudige Zuverſicht die Er— ringung einer ſelbſtändigen und ſchöpferiſchen Innerlich— keit; an die Wahrung und Weiterbildung dieſer Inner—

130

Ablehnung des Monismus lichkeit iſt auch heute alles Gelingen des deutſchen Strebens geknüpft; wir geben den Kern unſeres Weſens preis, wenn wir darauf verzichten. Solche Feſthaltung der Innerlich— keit wird heute aber von verſchiedenen Seiten bedroht. Sie wird bedroht von der Tendenz, die Natur für das Ganze der Wirklichkeit auszugeben und damit das Innen⸗ leben aller Selbſtändigkeit und alles Selbſtwertes zu be— rauben. Ein ſolcher Naturalismus liegt in reinſter Form im Materialismus vor, etwas gemäßigter, aber im Grunde kaum verſchieden, erſcheint er im modernen Monismus. Auch der Monismus iſt keine Überwindung des Gegen— ſatzes von Geiſt und Natur, ſondern nicht mehr als Na— turalismus. Denn daß den Naturelementen ein gewiſſes ſeeliſches Element angeklebt wird, oder aber gewiſſe ab— ſtrakte Verbindungsbegriffe zwiſchen Natur und Geiſt aufgeſucht werden, das ändert nicht das Allermindeſte an dem entſcheidenden Punkt; dieſer Punkt iſt aber die Frage, ob im Geiſtesleben eine neue Stufe, eine weitere Er— ſchließung der Wirklichkeit anerkannt wird oder nicht. Wird das nicht anerkannt und alles geiſtige Leben in die Natur hineingezogen und von ihr aus geſtaltet, ſo muß man ſehr unklar denken, um dann noch ſpezifiſch geiſtige Größen und Aufgaben, wie die des Guten, Wahren, Schönen, gelten laſſen und gar feiern zu können. Das iſt der große Widerſpruch im Monismus, und das ſtempelt ihn zum ſchroffſten Dualismus, der überhaupt möglich iſt,

9* 131

Die Pflicht der Zeitgenoſſen daß er in der Theorie alle Selbſtändigkeit des Geiſteslebens verwirft, im praktiſchen Leben aber die Ideale des Geiſtes⸗ lebens feſthält, ja ſie durch die prinzipielle Leugnung des Geiſteslebens ſogar zu verſtärken hofft, daß ihm damit Wiſſen und Leben völlig auseinanderfallen. Aber auch theoretiſch enthält er einen ſtarken Widerſpruch, indem er naives und wiſſenſchaftliches Weltbild miteinander ver⸗ mengt, und das, was dort als ſelbſtverſtändlich gilt, auch hier als erwieſen behandelt. Gewiß bringt dieſe Bewegung nach beſonderen Richtungen hin Wahrheitselemente zur Geltung, aber im Ganzen ihres Seins widerſpricht ſie der Tiefe des deutſchen Weſens, und fo kann ihre Entwick— lung nur zur Schädigung jener wirken.

Eine andere Gefahr entſteht aus der Wendung zum Subjektivismus, d. h. daraus, daß wohl über die bloße Natur hinausgeſtrebt wird, daß aber das Neue auf die einzelnen Menſchen beſchränkt bleibt und nicht zur Ent⸗ wicklung einer gemeinſamen Innenwelt gelangt. Dieſe Wendung erzeugt viel Bewegung und treibt eine bunte Fülle einzelner Geſtaltungen hervor, aber es fehlt dem hier erzeugten Leben ſowohl an feſter Geſtalt als an innerem Zuſammenhang, mit ſeinen flüchtigen Bildern und vagen Anregungen iſt es weder ſtark genug, dem Naturalismus einen genügenden Widerſtand zu leiſten, noch dem Innern eine Selbſtändigkeit zu geben. Denn eine Innerlichkeit ohne eine begründende und richtende Innenwelt bleibt ein

132

Ablehnung des Subjektivismus, ſowie ſtarrer Verengung leeres und haltloſes Ding, und ihr gebührt kein beſonderer Wert. Es pflegt dabei viel von Perſönlichkeit und Indi⸗ vidualität geredet zu werden, aber dieſe Worte verdecken oft nur den Mangel an Lebensgehalt; beim Fehlen einer Begründung in einer Innenwelt werden ſie ſelbſt zu leeren Formen. Dazu treibt eine ſolche bloß ſubjektive Innerlich— keit die Menſchen immer weiter auseinander; da jeder hier das gleiche Recht beſitzt, ſo gibt es keinen willkürüberlegenen Maßſtab, fo löſt die Wahrheit ſich in lauter ſubjektive Meinungen auf, und der Trieb, etwas beſonderes zu leiſten, nimmt leicht die Wendung dahin, das Subjekt möglichſt unter ſcheidend, möglichſt auffallend, möglichſt abſonderlich darzuſtellen und es damit auf immer entlegenere Pfade zu führen. Die Gefahr des Sinkens einer weſenhaften Inner⸗ lichkeit zu bloßer Subjektivität liegt dem Deutſchen befon- ders nahe; um ſo entſchiedener iſt folcher Gefahr zu wider— ſtehen.

Aber über der Abwehr der Gefahren, die uns von der neuen Geſtaltung drohen, über dem Kampf gegen Mo— nismus und Subjektivismus dürfen wir nicht vergeſſen, daß auch die alte Art Gefahren für das Beſteheu einer ſelbſtändigen Innerlichkeit enthält. Gefahren erwachſen daraus, daß ſie die beſonderen Formen, welche früher die Innerlichkeit annahm, trotz der weſentlichen Verände— rung der Lage unbedingt feſthält und die Entwicklung aller und jeder Innerlichkeit an ihre Aneignung knüpft.

133

Die Pflicht der Zeitgenoſſen Entſtehen nun Zweifel gegen jene beſondere Art, ſo ſchaden fie leicht auch dem Grundgedanken der Innerlichkeit. Dem- gegenüber müſſen wir darauf beſtehen, daß alle beſonderen Formen der Innerlichkeit ſich von einem Ganzen des Innenlebens her zu begründen haben, daß ſie ſich von einer gemeinſamen Wurzel des Lebens aus entwickeln müſſen. Das verändert auch ihre eigene Geſtalt, denn zur Hauptſache wird bei ihnen alsdann, was ſie dem Leben an eigentümlichen Weiterbildungen geben, und was ſie dabei an neuer Tatſächlichkeit erſchließen. So wird das Ausgehen vom Ganzen auch eine Belebung und Kräfti— gung der beſonderen Geſtaltungen bringen. Namentlich dringend iſt heute ein ſolches Zurückgehen auf das Ganze des Lebens für die Religion, nur von hier aus kann ſie wieder eine feſte Stellung erlangen und den Menſchen in eine eigentümliche Welt verſetzen, ſtatt bloß die Individuen zu bewegen.

3. Die deutſche Art ſteht zu der Überzeugung, daß die erſtrebte Innerlichkeit den Menſchen nicht ohne weiteres umfängt oder ihm mühelos zufällt, daß ſie vielmehr nur in Widerſpruch und Bruch mit der nächſten Lage erreich— bar ift, daß der Gewinn eines neuen Standorts eine durch— greifende Umwälzung und die Aneignung innerer Zu— ſammenhänge fordert. Das „Stirb und werde“ Goethes entſpricht dem innerſten Zuge deutſchen Weſens. Solche Wandlung aber iſt nicht möglich ohne eigene Tat und

134

Ablehnung des Aſthetizismus und der „neuen Moral“ Entſcheidung; ſchon das gibt dem deutſchen Leben einen ſtarken ethiſchen Grundzug, in ihm waltet die Überzeu- gung, daß der Menſch kein abgeſchloſſenes Weſen iſt, ſondern die Fähigkeit einer Erhöhung beſitzt, und daß dabei nicht nur dieſer oder jener Einzelgewinn, ſondern der eines neuen Selbſt in Frage ſteht. Das gibt dem deutſchen Leben einen tiefen Ernſt, aber zugleich ein hohes Ziel ſowie eine große Hoffnung.

Aus ſolcher Überzeugung muß die deutſche Denkweiſe alles verwerfen, was den Gegenſatz verdeckt oder abſchwächt, der das menſchliche Leben durchdringt, was damit den Antrieb zum Handeln lähmt und unſer Leben mit Un: wahrheit behaftet, indem es als ſchon erreicht darſtellt, was in Wahrheit ein hohes Ziel bedeutet.

Wer ſolche Grundüberzeugung teilt, der muß eine äſthe— tiſche Lebensauffaſſung verwerfen und bekämpfen, die das Leben in tatloſe Betrachtung oder gar in ſpielenden Genuß verwandelt. Mag das mehr Beweglichkeit und eine ge— wiſſe Verfeinerung des Lebens gewinnen laſſen, ſolcher Gewinn erfolgt auf Koſten der geiſtigen Subſtanz und unter Verfallen in Weichheit und Schlaffheit. Gerade heute dringen aber auf die Menſchheit ſo ſchwere Aufgaben ein, und finden im beſondern wir Deutſchen ſo viel zu tun, daß uns Kraft und Aufopferungsfähigkeit in höchſtem Grade notwendig ſind, und daß wir die Verwandlung des Lebens in ein angenehmes Spiel aufs entſchiedenſte

135

Die Pflicht der Zeitgenoſſen abweiſen müſſen. Nur ein Bund von Pflicht und Liebe führt bei dieſen Problemen weiter.

Aus denſelben Gründen haben wir uns auch deſſen zu er⸗ wehren, was ſich „neue Moral“ nennt und dafür die Zeit gewinnen möchte. Ein berechtigter Ausgangspunkt fehlt dabei nicht: die großen Wandlungen des Lebens ſtellen manche neue Fragen, verlangen im beſondern mehr Be- achtung individueller Lagen und auch mehr Milde und Humanität gegenüber herkömmlicher Strenge. Dagegen iſt nichts einzuwenden, ſolange es die ewigen Ordnungen achtet, die alles menſchliche Tun beherrſchen; es verdient aber ſchärfſte Abweiſung, wenn es ſich gegen jene Ordnungen kehrt und ihnen nach Lage und Laune der Zeit eine „neue Moral“ entgegenhält. Schon der Name „neue Moral“ iſt irreführend, weil er die Moral als eine bloße Sache der Zeit darſtellt; dabei iſt, was hier geboten wird, meiſt weder neu noch Moral; neu iſt höchſtens dieſes, daß ein Ver⸗ weichlichen und Erſchlaffen, eine Nachgiebigkeit gegen alle individuelle Neigung, eine Austreibung aller Pflichtidee, kurz eine Untergrabung der Moral ſich Moral nennt und ſich wohl gar als den Gipfel aller Moral geberdet. Was vermag wohl eine ſolche Pſeudomoral gegenüber den moraliſchen Gefahren und Mißſtänden, welche eine hochentwickelte Kultur mit ſich zu bringen pflegt, und die wir heute beſonders ſtark erfahren, was vermag ſie gegen die raffinierte Sinnlichkeit, die grenzenloſe Erwerbsgier,

Religiöfer Zug des deutſchen Weſens das Jagen nach möglichſt viel Genuß, den wilden Kampf ums Daſein, die Auflöſung aller inneren Zuſammenhänge?

Die deutſche Art hat von jeher den weiten Abſtand zwiſchen der geiſtigen Forderung und dem vorgefundenen Stande des Menſchen anerkannt und empfunden, dies Bewußtſein einer inneren Kluft gab dem deutſchen Leben einen großen Ernſt, aber es erweckte zugleich die felſenfeſte Überzeugung, daß eine höhere Macht den Menſchen auf— recht halte und ihn durch ein Schaffen neuer Anfänge den Konflikten ſeines eigenen Weſens überlegen mache. So iſt die Religion ein unentbehrliches Stück des deutſchen Lebens, Religion als Lebensmacht, nicht als ein Bekenntnis zu beſonderen Sätzen oder als eine Ausübung beſonderer Gebräuche und Formeln. Alles geiſtige Schaffen des Deutſchen enthält eine religiöſe Stimmung allgemein— menſchlicher Art, es bekundet überall die Überzeugung, die Goethe in den Worten ausſpricht: „Wer nicht mit Be— wunderung und Erſtaunen anfangen will, der findet nicht den Weg in das innere Heiligtum.“

Dabei kann der Deutſche den harten Widerſpruch zwiſchen dem Sein und dem Sollen, zwiſchen der geiſtigen Forderung und dem Stande des Menſchen, überhaupt die Probleme unſerer Welt nicht ſo ſtark durchleben, wie er es tut, ohne ein Geheimnis in dem Ganzen anzuerkennen und eine Tiefe der Wirklichkeit ahnungsvoll zu verehren, fo wenig unſer Denken fie aufzuhellen vermag.

137

Die Pflicht der Zeitgenoſſen Aus ſolcher Überzeugung muß die deutſche Art alle bloß verſtandesmäßige Zurechtlegung des Daſeins ſowohl als eine Verflachung der Sache wie als eine kecke Uberhebung des Menſchen verwerfen. Darum muß ſie ſich auch der flachen und flüchtigen Art widerſetzen, mit der die Religion heute in weiten Kreiſen behandelt wird. Gewiß bietet der kirchliche Beſtand der Religion Anlaß zu mancher Kritik. Aber das iſt ein großer Unterfchied, ob dieſe Kritik aus der Idee und den Zwecken der Religion heraus erfolgt, oder ob ohne irgendwelche eigene Teilnahme und ohne ein tieferes Verſtändnis der Sache an ihr herumgemäkelt wird. Ebenſo wie die Kunſt und die Philoſophie ſo verlangt auch die Religion ein freies Entgegenkommen, ſie ſei niemandem aufgedrängt. Aber eine Sache, welche Jahrtauſende den Beſten wertvoll und heilig war, darf einige Ehrerbietung verlangen, und auch einen ernſtlichen Verſuch, ſich in ihre Triebkräfte hineinzuverſetzen. Alle Achtung vor einer Ver— neinung, welche aus eigenen Bewegungen und Kämpfen entſpringt, aber gründliche Verachtung einer Wer: neinung, welche ohne alles Intereſſe an der Sache ihren Witz im Verwerfen und Zertrümmern übt, welche damit nur den verſteckten Ingrimm zum Ausdruck bringt, den der ordinäre Menſch gegen alles Überragende hat! Und wie bequem iſt die Verneinung, und wie vornehm kann man ſich dabei dünken! Nur zu recht hat Leibniz mit den Worten: „Den meiſten Menſchen iſt es kein Ernſt. Sie

Aufrechterhaltung des Lebensglaubens gegenüber flacher Verneinung haben die Wahrheit nicht gekoſtet und ſtecken in einem heimlichen Unglauben.“

Wenn die deutſche Art in Moral und Religion eine durchgreifende Wandlung erſtrebt, ſo verſteht ſie dieſe nicht bloß als eine Befreiung vom Leid, ſondern auch als eine weſentliche Erhöhung, fie lebt des Glaubens, daß durch Leid und Not ſich eine neue Welt eröffnet; fo bricht hier durch alle Hemmungen und Widerſtände ſchließlich wie ein neues Leben fo ein pofifiver Lebensaffekt ſiegreich hindurch und be- hauptet ſich mannhaft gegen alle Anfechtung. Demnach kann die deutſche Art nicht in der oſtaſtatiſchen, ſpeziell indiſchen Denkweiſe ihr Genüge finden, welche alle Affekte einſtellen, ganz in die Unendlichkeit verſchwimmen und nur die Ruhe und Stille der Ewigkeit beftehen laſſen möchte, welche damit wohl den Schmerz aus dem Leben vertreibt, nicht aber es zu ſteigern und in feinem Wert zu erhöhen vermag. Wir ver- ſtehen ganz wohl, wenn gegenüber der Haſt und Leere des Durchſchnittslebens indiſche Stimmungen auch unter uns um ſich greifen, aber um jenen Nöten überlegen zu werden, brauchen wir keine Hilfe draußen zu ſuchen, wir finden ſie beſſer in den Tiefen unſeres eigenen Weſens und unſerer ge— ſchichtlichen Arbeit. Was bei den Indern aus eigener Art und Geſchichte hervorging und hier eine bewunderungswür— dige Größe erreichte, das wird bei uns leicht ein bloßer Aus—

druck matter Dekadenz. Und die ſchlichte Einfalt der Inder in dieſer Richtung erlangen wir mit aller Mühe nicht. |

139

Die Pflicht der Zeitgenoſſen Wenn demnach eine Feſthaltung der ethiſchen und der religiöſen Aufgabe zu fordern iſt, fo muß ihre Behand- lung der weltgeſchichtlichen Lage der Gegenwart voll ent- ſprechen, und es iſt der überkommene Beſtand gewiſſenhaft und unerſchrocken daraufhin zu prüfen, was er an bleiben⸗ der Wahrheit enthält, und was von ihm einer beſonderen Zeitlage angehört. Nur jenes kann heute noch neues Leben erwecken und zuverſichtlich allen Gegnern trotzen; dieſes dagegen wird mehr und mehr zur Bürde, je weiter wir uns von der Zeit ſeines Urſprungs entfernen. Daher haben wir uns gegen diejenigen zu wenden, welche ſolcher Prü— fung und Scheidung ſich widerſetzen, welche die Wahr— heit des Ganzen gefährdet glauben, wenn nicht die Farbe der Zeit erhalten bleibt. Sie zeigen damit nur, daß ſie geiſtigen Grundgehalt und menſchliche Aneignung nicht zu unterſcheiden vermögen. Auch an dieſer Stelle müſſen wir offen bekennen, daß wir im Suchen begriffen ſind, und zwar in einem Suchen, das ſich nicht auf Probleme innerhalb der Religion beſchränkt, ſondern auch auf ihre Stellung im Ganzen des Lebens geht. Dies Suchen braucht kein vages Taſten zu ſein, wenn es inneren Not⸗ wendigkeiten des geiſtigen Lebens dient.

4. Endlich zeigte die deutſche Art ſich auch darin eigen— tümlich, daß ſie bei aller Erhebung über die ſichtbare Welt dieſe nicht aus dem Auge verlor und ſie nicht in ihrem alten Stande beließ, ſondern daß ſie eine Rückkehr zu ihr

140

Ernft und Größe des Kampfes vollzog und ein eifriges Wirken aufnahm, ſie an ſich zu ziehen und zugleich ihrer eigenen Vollendung zuzuführen. Erſt in ſolcher Rückkehr zur Welt gewann die Innerlich⸗ keit volle Kraft, und zugleich wurde ſie durch den Wider— ſtand, den ſie dabei traf, zur Herausarbeitung weiterer Tiefen und zum Ergreifen noch urfprünglicherer Zuſammen⸗ hänge getrieben. Von hier aus ſtellt das Ganze unſeres Lebens und Seins ſich als höchſt unfertig dar, wir ſtehen wie mitten in einer Bewegung, deren Ende wir nicht ab— ſehen können, über deren Richtung aber kein Zweifel ſein kann, es iſt, um mit Luther zu ſprechen, „nicht das Ende, ſondern der Weg“. Aber in ſolcher Unfertigkeit zeigt der Ernſt des Kampfes und die Weiterbildung durch ihn zur Genüge, daß das Ganze kein bloßes Spiel und kein Aus— fluß der Willkür ift, daß etwas von Bedeutung in unſerem Leben vorgeht und unſerem Streben einen Wert verleiht. Darin liegt eine Ablehnung alles weltſcheuen Idealis— mus, der ſich ſelbſtbewußt in die eigenen Kreiſe einſpinnt, es liegt darin die Ablehnung alles Unternehmens, unſer Leben raſch zum fertigen Abſchluß zu bringen, es liegt darin aber auch eine Verwerfung alles genußſüchtigen Epikureismus, es liegt darin eine Aufforderung, mit männ— lichem Mut in den Weltkampf einzutreten und am Werk des Alls zu wirken. Wieviel Aufgaben das auch der Gegenwart ſtellt, das brauchen wir nicht zu ſagen. So läßt ſich die deutſche Art nicht aufrecht erhalten

Die Pflicht der Zeitgenoſſen und zur Gegenwart in förderliche Beziehung ſetzen, ohne daß heftige Kämpfe nach den verſchiedenſten Seiten ent⸗ ſtehen, bauen läßt ſich hier nur mit dem Schwert und der Kelle in der Hand. Mannigfachſte Nebenlinien zweigen ſich von der Hauptlinie ab und drohen das Streben vom Hauptziele abzulenken, ja ihm gänzlich zu entfremden. Daß aber die Einhaltung jener Linie eine beſtimmte Stel— lung gegenüber allen Ablenkungen ergibt, davon haben wir uns Punkt für Punkt überzeugt, ebenſo davon, daß die einzelnen Behauptungen hier nur Entwicklungen einer Geſamtbehauptung ſind. Stellen wir uns auf dieſe, ſo können wir getroſt den Kampf nach den verſchiedenſten Seiten führen, ohne darüber einen Zuſammenhang zu verlieren. Wo immer der Einzelne dabei ſeine Stellung nehmen und wohin er ſeine Arbeit richten mag, er darf ſich in einem inneren Zuſammenhang mit allen Gleich— geſinnten wiſſen.

Das aber iſt endlich auch eine dringliche Forderung der Gegenwart, daß dieſer Zuſammenhang mehr zur Erſchei— nung komme, mehr das Bewußtſein der Kämpfenden er— fülle, mehr auch die Kraft gegenüber dem Gegner ſtärke. Denn bei der Bewegungsfülle der Zeit und ihrer Er— zeugung von Maſſenwirkungen kommt auch das, was bei unzähligen Einzelnen vorhanden iſt, nicht zu genügender Wiang ſolange die Einzelnen in der Zerſtreuung ver—

142

| Notwendigkeit eines Zuſammenſchluſſes bleiben. Ferner ſind die Kampflinien ſo mannigfach, daß bei der Zerſtreuung leicht das Bewußtſein der Gemeinſchaft verloren geht. Aber nicht nur zur Wirkung nach außen, ſondern auch zu gegenſeitiger Förderung iſt ein Zuſammen— ſchluß unentbehrlich. Denn es ſind diejenigen, welche die Hauptlinie des deutſchen Geiſteslebens wahren und gemäß den Bedürfniſſen der Gegenwart weiterführen wollen, zu— nächſt noch in vollem Suchen begriffen; alle Überein- ſtimmung in der Grundgeſinnung läßt viele Möglichkeiten der näheren Ausführung offen, über dieſe Möglichkeiten werden wir uns zu verſtändigen haben, werden Eindrücke und Erfahrungen austauſchen müſſen, kurz es liegt nicht nur für den Kampf, ſondern auch für die eigene Klärung und Stärkung viel daran, daß der Neuidealismus feine Freunde ſammele, daß an allen Orten die Geſinnungs— genoſſen zuſammentreten und in vereinter Arbeit für die gemeinſame Sache wirken. Nur ſo kann zur nötigen Klarheit gelangen, daß zwiſchen denen, welche ſtarr am Alten halten und es allen Wandlungen der Zeiten ent- ziehen möchten, und denen, welche ſich jenen Wandlungen rückhaltlos ergeben und dadurch allen Ewigkeitsgehalt und alle Tiefe des Lebens zu verlieren drohen, daß es zwiſchen dieſen beiden noch zahlreiche andere gibt, welche getreu der deutſchen Art feſte Begründung in ewiger Wahrheit und eifriges Wirken in der Zeit miteinander verbinden möch— ten, welche Tiefe und Freiheit miteinander feſthalten und

143

Die Pflicht der Zeitgenoſſen darauf bedacht ſind, daß die Tiefe nicht zur Enge und Starrheit, die Freiheit nicht zur Verflachung und Wer- flüchtigung alles Lebensinhalts werde.

Daß ſo ein gemeinſamer Kampf nach beiden Seiten hin aufgenommen werde, das iſt vor allem notwendig zur Erhaltung unſerer deutſchen Art. Wir haben durch mühe⸗ volle Arbeit einen eigentümlichen geiſtigen Charakter er⸗ rungen und ihn durch große Leiſtungen in den verfchieden- ſten Gebieten bewährt, wir vertreten mit dem Ganzen unſeres Seins einen eigenartigen, höchſt wertvollen Typus des Menſchenlebens. Haben die Wandlungen der Neu⸗ zeit dieſe Art hinfällig gemacht, können wir das, was ihr eine Eigentümlichkeit und eine Größe gab, nicht mehr behaupten, müſſen wir zugeſtehen, daß unſere ganze geiſtige Entwicklung ein großer Irrtum war? Unſererſeits treten wir dafür ein, daß dies keineswegs nötig iſt, ſondern daß unſere Art allen Aufgaben der Gegenwart vollauf ge— wachſen iſt, ſo daß wir unſer Volk und ſeine Geſchichte nicht zu verleugnen brauchen. Aber es iſt jene Art mannig⸗ fach verdunkelt und geſchwächt, wir müſſen mehr Kraft an die Sache ſetzen, damit die Möglichkeiten, welche unſer Weſen und unſere Geſchichte enthält, auch für uns zu voller Wirklichkeit werden. Wir müſſen vieles an Gleich— gültigkeit und an Trägheit bei uns überwinden und das Leben aus geiſtiger Stagnation mehr in Bewegung ver— ſetzen; es ſollte deutlich vor unſerem Bewußtſein ſtehen,

Kampf um die Erhaltung des deutſchen Weſens

daß nicht um dieſes oder jenes, ſondern um das Ganze des Lebens gekämpft wird, und es ſei mehr herausgearbeitet, daß damit ein unverſöhnliches Entweder- oder an uns kommt, ſo daß nicht über, ſondern unter allen Parteien ſteht, wer eine Entſcheidung darüber ablehnt; wir ſollten endlich auch mehr zur Anerkennung bringen, daß, ſo ſehr dies Problem in das Leben jedes Einzelnen greift, es nicht eine Privatangelegenheit, ſondern eine gemeinſame Sache iſt, und daß wir, die wir die Hauptbewegung des deutſchen Lebens feſthalten wollen und zugleich die ihr drohende Ge— fahr erkennen, uns enger zuſammenſchließen, mehr mit- einander wirken, uns gegenſeitig ſtützen, im Kampfe zu— ſammenſtehen müſſen. Eine Sammlung der Geiſter tut dringend not, eine Sammlung aber, welche keine Willkür enthält, ſondern welche in unſerer deutſchen Art einen feſten Halt und eine ſichere Richtung findet.

10 145

Schlußwort

8 se war die Zerklüftung und Zerſplitterung f 8 des deutſchen Geiſteslebens, die unſere Un- oO terſuchung hervorrief, und der fie enfgegen-

SE SAMEN möchte. Diefe Zerſplitterung ſchwächt unvermeidlich das Wirken geiſtiger Kräfte auf das gemein- ſame Leben, und eine ſolche Schwächung iſt gerade heute eine große Gefahr. Denn wir ſtehen in ſchweren Aufgaben, deren Löſung höchſtes Aufgebot geiſtiger Kraft und mora- liſcher Geſinnung verlangt; was ſoll nun werden, wenn, wie es leider der Fall iſt, eine Luſt zur Verneinung und Verflachung, ein Mangel an Ehrfurcht, eine moraliſche Erſchlaffung unter uns um ſich greifen? Alle Machtent⸗ faltung nach außen hin, alle Erfolge der Technik und In⸗ duſtrie können nicht ein Sinken verhüten, wenn unſere Seele ermattet und leer wird. Nun brauchen wir eine Hilfe nicht draußen zu ſuchen, wir finden ſie bei uns ſelbſt, in der Natur und Geſchichte unſeres eignen Volkes. Aber ſeine Art iſt uns heute arg verdunkelt, es gilt ſich kräftiger auf ſie zu beſinnen, um von ihr aus den Aufgaben der Gegenwart mehr und mehr gewachſen zu werden. Sie bietet einen feſten Boden, auf dem ſich ſammeln kann, was eine Tiefe des Lebens anerkennt und zugleich einen Glauben an unſer Volk bewahrt. Wie aber kein wirkſames Ja ohne ein entſchiedenes Nein beſteht, ſo muß der Samm⸗ lung der Geiſter eine Scheidung entſprechen, ſo muß das

146

Schlußwort Für und das Wider deutlicher auseinandertreten, damit die Stagnation verſchwinde, unter der wir heute leiden. Wir fordern demnach mehr Kampf der Geiſter, mehr Konzentration dieſes Kampfes auf den Hauptpunkt, mehr Zuſammenhalt und gemeinſames Wirken derer, die ſich für das Ja entſcheiden.

10* 147

Regiſter

Alte und neue Denkart 18, 105, 115ff.

Arbeit; ihre Größe bei den Deutſchen uff, ihre Grenze Aff, ihre geſchichtlicheLeiſtung Zoff, ihre Innerlichkeit 3 uff, ihr ſyſtematiſcher Charakter 32, ihre Vereinbarkeit mit dem deutſchen Schaffen 75ff.

Arbeitskultur und Innen— kultur 14ff, 17.

Aſthetizismus; fein Wider:

ſpruch mit dem deutſchen

Weſen 74, 135.

60, der griechiſchen 71, der indiſchen 72, 139.

Eckhart (Meiſter) Z4ff.

Entweder-Oder in der heu— tigen Lage 82, 95, 124ff, 145.

Erfahrungswelt; Stellung der Deutſchen zu ihr 64ff, 140ff.

Ernft des deutſchen Weſens 37, 135.

Erziehung; heutige Lage g, Forderungen der deutſchen Art 44ff.

Ethik (Morah; heutige Lage

und Probleme 10 ff, Gefahren

in der Gegenwart 13, deutſche

Faſſung 60, 71, Macht im

deutſchen Leben 58.

Feuerbach (Ludwig) 20.

Fichte 33, 64.

Freiheit; als Grundzug deut- ſchen Weſens 61 ff, eigenfüm: liche Faſſung 63 ff.

Freiheit und Tiefe 104, 143.

Fröbel 46.

Geiſteskultur und Men— ſchenkultur 100ff.

Bayle 30. Böhme (Jakob) 39.

Chriſtentum; Verwandtſchaft der deutſchen Art mit ihm 73.

Deutſche Art; ihre Neigung zum Denken und Grübeln 24 ff, ihr Mangel an Ge— ſchloſſenheit 24, Zweiheit in ihr 29, 76 ff, Geſamtbild 68, Abſtand zwiſchen Höhe und Durchſchnitt 78ff.,

Deutſche Eigentümlichkeit;

gegenüber der engliſchen 40,

148

Regifter

Geiftesleben und menſch- Kultur; Forderungen für fie liche Lage gaff. 116ff.

Geſchichte; ihre Bedeutung für | Kunſt und Literatur; heutige das Leben 27ff. Lage g, deutſche Art 47.

Goethe 12, 48ff, 52, 56, 62, 134, 137.

Leben; Notwendigkeit eines Zurückgehens darauf 98. Leibniz 42, 56, 62, 66, 138.

Locke 31. Luther 36ff, 65, 141.

Hegel 39, 42, 43, 62, 67.

Idealismus (deutſcher); in welcher Richtung weiterzu⸗ bilden 92 ff.

Immanente Denkweiſez ihr Unterſchied von der religiöfen 93, 102.

Individuum und Geſell— ſchaft 113ff.

Innerlichkeit (deutſche) 33ff, 50ff, ihre Voraus— ſetzungen 55, 96, 130ff, Gefahr bei ihr 77, 133.

Maſſe; ihr Unvermögen bei geiſtigen Problemen 91. Menſch; ſeine Stellung und Schätzung im modernen Leben 20 ff, in der deutſchen Art

53 ff, 70ff, 88. Menſch und Welt ı06ff. Menſchenkulturzihre Schran— 22. Monismus; ſein Widerſpruch mit der deutſchen Art 131. Muſik; ihre Bedeutung im deutſchen Leben 49. Myſtik (deutſche); ihre Eigen: tümlichkeit 66ff.

Kant 39, 43, 56, 62, 66. Kindesſeele; Verſtändnis der Deutſchen dafür 47. Klaſſiker (deutſche); ihre Lebensanſchauung 15. Kraftſteigerung als Le— bensideal; ihre Größe und Grenze 23, 87ff, 116ff.

Natur und Geiſt; ihr Ver⸗ hältnis nach deutſcher Faſſung 109ff.

149

Nafuralismus; fein Wider: ſpruch mit dem deutſchen Weſen 74, 110.

Neue Moral; ihre Verkehrt⸗ heit 136.

Neuidealismus; ſeine Not— wendigkeit 120ff.

Neunzehntes Jahrhun— dert; ſeine Veränderung der Stellung des Menſchen 21.

Nietzſche 8zff.

Nikolaus von Cues 63ff.

Optimismus und Peſſimis— mus; beide im Widerſpruch mit der deutſchen Art 74.

Perſönlichkeit und Indivi⸗ dualität; deutſche Schät⸗ zung derſelben 56, ihre Be: dingung 81, 133, Bedeutung und Bedingtheit der großen Perſönlichkeit 122 ff.

Peſtalozzi 46, 125, 130.

Philoſophie; heutige Lage 7ff, deutſche Art 41 ff, 39.

Plato go.

Religion; heutige Lage zZ ff, deutſche Art 34 ff, 60, 66,

Regiſter

71, 137, Forderung einer Weiterbildung 130, 134, 140, Abweiſung einer flachen Verneinung 138.

Religion und Wiſſenſchaft; deutſche Faſſung ihres Ver⸗ hältniſſes 40 ff.

Religionsphiloſophie

den Deutſchen z3öff.

bei

Schaffenz Geſamtcharakter des deutſchen Schaffens 50 ff, 68 ff, fein Verhältnis zur Ar: beit 75 ff.

Schelling 39.

Schiller 48.

Schleiermacher 39, 110.

Schopenhauer 61.

Selbſtändiger Standort; Notwendigkeit eines ſolchen gegenüber dem Alten und dem Neuen I IIff.

Sichtbare und unſichtbare Welt; Kampf um ihr Ver⸗ hältnis 18 ff, 88 ff 14off, Richtung der Zeit dabei 84ff.

Sozialethik; ihre Bedeutung und ihre Schranke 11.

Subjektivismus; Gefahr für die deutſche Art 132ff.

150

Regiſter Utilitarismus; fein Wider: | Weltgedankezſeine Bedeutung ſpruch mit der deutſchen Art für die deutſche Art zöff, 74. ſeine Notwendigkeit für die Gegenwart 127ff.

Verantwortlichkeit jedes Einzelnen 123. f Mi

Berfaffungsformen; ihre Zeit; Verhältnis des Geiſtes⸗ Bedeutung und ihre Grenze lebens zu ihr rogff.

129. Zeit und Ewigkeit ıııff. Verneinungen im deutſchen Zuſammenſchluß der Kräf— Leben 73ff. te; ſeine Notwendigkeit in der

Gegenwart 124ff, 142. Wahrhaftigkeit; Grundzug | Zwiefache Richtung des deutſchen Schaffens 67ff. Kampfes 127.

151

Verlag von Quelle & Meyer in Leipzig

Rudolf Eucken

Einführung in die Philoſophie

205 Seiten. In Originalleinenband M. 4.60

„Die Bedeutung dieſes Euckenſchen Buches beruht weniger auf den ſyſtematiſchen Ausführungen als auf den hiſtoriſchen Partien. Zwar fehlt es innerhalb jener nicht an Eigenartigem, was bisher ſo vom Verfaſſer noch nicht geſagt worden war, wie beiſpielsweiſe die eingeſtreuten Notizen zur Erkenntnistheorie und die kerngeſunden Bemerkungen über den Eudämonismus beweiſen; doch liegt das Schwergewicht im Geſchichtlichen. Da entfaltet der Autor die bekannte Virtuoſität im Gruppieren des Stoffes, in der Konſtruktion großzügiger Bilder, in der Eröffnung wei» ter Durchblicke.“ Theologiſche Literaturzeitung.

Der Sinn und Wert des Lebens für den Menſchen der Gegenwart 3. Auflage. 13. bis 14. Tauſend. 192 Seiten Buchausſtattung von Prof. G. Belwe. In Originalleinenband M. 3.60

„Mit großer Umſicht bahnt Eucken ſich den Pfad durch die Verworrenheit der heutigen Lage, beſpricht die Löſungsverſuche der Religion, des immanenten Idealismus, zeigt die Unmöglichkeit der naturaliſtiſchen und intellektualiſtiſchen Löſung, die Unzuläng⸗ lichkeit der bloßen Menſchenkultur, um dann in der inneren Feſtigung des Lebens, im Wachstum der freien ſelbſtändigen Art und in der Überwindung des Kleinmenſch⸗ lichen die Ziele aufzuweiſen, die das ganze Daſein durchleuchten und ſinnvoll machen, wenn ſich der Menſch entſchließt, darum zu kämpfen.“ Theologiſche Rundſchau.

Erkennen und Leben Buchausſtattung von Profeſſor Georg Belwe. 192 Seiten. In Originalleinenband M. 3.80

Dieſe neue Schrift des großen Jenaer Philoſophen behandelt eines der wichtigſten philoſophiſchen Probleme und wird zu den bedeutendſten Werken des Meiſters ger hören. Ein erſter kritiſcher Teil bringt eine Auseinanderſetzung mit dem poſiti⸗ viſtiſchen und ſpekulativen Intellektualismus einerſeits und dem pragmatiſchen und biologiſchen Empirismus andererſeits; zugleich aber werden hier ſchon beſtimmte Forderungen und Anhaltepunkte für den eigenen Aufbau gewonnen. Dieſer erfolgt im zweiten Teile des Werkes, in dem ein neues Syſtem der Erkenntnis geboten wird. Überall ſtehen die Ausführungen im engſten Zuſammenhang mit den Bewegungen des modernen Lebens, und wohl in keiner Schrift Euckens tritt die Geſamtauffaſſung ſeiner Philoſophie ſo klar zutage wie hier.

University of Toronto Library

0 J —— m 9 O e rt

Zammlung 2

Rudolf

Acme Library Card Pocket LOWE-MARTIN CO. LIMITED

8 wo 0 80 © 5 68 9 MA SOd J1HS AVA 39NV4 0

M3IASNMOG AV IN